Giordano Bruno: "Die Heroischen Leidenschaften" 9783787333431, 9783787333424

Die »Heroischen Leidenschaften« (De gli heroici furori) – sind der letzte der insgesamt sechs italienischen Dialoge Gior

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Giordano Bruno: "Die Heroischen Leidenschaften"
 9783787333431, 9783787333424

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Giordano Bruno: ­»Die Heroischen Leidenschaften« Maria Moog-Grünewald

Meiner

Maria Moog-Grünewald

Giordano Bruno: »Die Heroischen Leidenschaften«

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-3342-4 ISBN eBook: 978-3-7873-3343-1

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2017. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspei­cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, s­ oweit es nicht §§  53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werk­druck­­papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

Für Walter Moog •

Inhalt I Praeliminaria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II Poiesis. Sprache – Struktur – Genera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

De gli eroici furori  I 1–4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 De gli eroici furori  I  5 bis II  2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 De gli eroici furori  II  3 – II  4 – II  5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

III Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV Postscripta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

I  PR AELIMINARIA*

 D

ie hero­ischen Leidenschaften – so die geläufige Übersetzung von De gli eroici furori – übertreffen an Ruhm alle übrigen Werke Giordano Brunos – und dies zu Recht: Sie sind Höhepunkt und Summa zugleich der italienischen Dia­loge und der lateinischen Traktate, der vorgängigen und der nachfolgenden. Der Grund liegt in ihrer Besonderheit: Sie ist in aller Knappheit zu kennzeichnen als poietisch-ästhetische Ausfaltung der spezifisch brunianischen Theoreme, der metaphysischen wie der moralischen, in einem als Dia­log gestalteten Text. Performanz ist sein Signum. Es ist die Absicht der nachfolgenden Zeilen aufzuweisen, dass die Eroici furori Repräsentation und Präsenz zugleich sind: Sie repräsentieren in ihrer spezifischen Textualität die metaphysisch begründete Erkenntnistheorie des Nolaners, und sie sind ineins unmittelbarer Ausdruck des ihm eigenen Ingeniums, eines Ingeniums, das sich in Struktur und Bildlichkeit des Textes geradezu entäußert, seine Anschauung gewinnt wie in einem Spiegel. Es ist gleichermaßen unmöglich wie notwendig, Thema und Struktur der Eroici furori zu skizzieren. Unmöglich, weil der Text sich jeglicher thematischen wie strukturellen Linearität absichtsvoll widersetzt, insofern in unterschiedlicher Gewichtung immer ›alles in allem‹ ist. Jede größere Passage ist geeignet, exemplarisch die Intention des gesamten Textes herauszustellen: in ihrer jeweiligen Aussage wie in ihrer der Aussage analogen, ja sie geradezu manifestierenden sprach-bildlichen Gestalt. Und das heißt – in leichter Überbietung: Jede Passage steht in einer bestimmten Weise in Korrespondenz zu allen übrigen Passagen, gewinnt nicht zuletzt aus * Die vorliegende Studie ist während meines Jahres als Fellow am Interna­tio­ nalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln (2010 – 2011) sowie während eines weiteren Jahres als Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald (2012 – 2013) entstanden. Mein besonderer Dank gilt den Direktoren des jeweiligen Kollegs, Herrn Professor Günter Blamberger und Frau Professor Bärbel Friedrich.   |  9

dieser Korrespondenz mit den übrigen ihren komplexen Sinn. Und dennoch ist es notwendig, von Thema und Struktur eine erste Vorstellung zu vermitteln, um in der Folge die spezifische Literarizität bzw. Poetizität der Eroici furori als partizipatives Analogon1 der in ihnen verhandelten Ontologie und Epistemologie zu erweisen. Die Heroischen Leidenschaften, De gli eroici furori, sind der letzte der insgesamt sechs ›italienischen Dia­loge‹ Brunos, die sämtlich zwischen 1583 und 1585 in England verfasst wurden. Sie können nicht nur als Höhe- und Kulminationspunkt des brunianischen Œuvres insgesamt gelten, vielmehr zugleich als ein Werk, in dem sich wie in einem Brennspiegel Philosopheme des ausgehenden Mittelalters – hier ist insbesondere Cusanus2 zu nennen – und der Frühen Neuzeit – hier vor allem der Neuplatonismus – bündeln und in neue Konstellationen treten.3 Sie verfügen zudem über ein hohes Maß an Literarizität, ja Poetizität und reflektieren damit das Selbstverständnis Brunos, das er in seiner Explicatio triginta sigillorum4 in dem Satz formuliert: »[…] philosophi sunt quodammodo pictores atque poëtae, poëtae pictores et philosophi, pictores philosophi et poëtae […] non est enim philosophus, nisi qui fingit et pingit.«5 Poetische Gestaltung und anschauliche Darstellung sind demnach dem Philosophen aufgegeben.6 Welche Gestalt haben die Eroici furori – nüchterner gesagt: Welche Struktur haben sie? Die Eroici furori weisen rein äußerlich zwei Teile auf, deren jeder fünf Dia­loge enthält. In den fünf Dia­logen des ersten Teils sind Cicada und Tansillo die Gesprächspartner; die fünf Dia­loge des zweiten Teils kennen verschiedene Figuren: Cesarino und Maricondo wechseln ihre Worte im ersten und zweiten Dia­log; es folgen Liberio und Laodonio, Severino und Minutolo und schließlich Laodomia und Giulia, zwei weibliche Figuren also. Diese äußere Gliederung in zwei Teile entspricht allerdings nicht einer inneren. Die ersten vier Dia­loge des ersten Teils bilden eine erste Einheit, der fünfte Dia­log des ersten Teils und die beiden ersten Dia­loge des zweiten Teils eine weitere und schließlich die letzten drei Dia­loge je eine eigene: ein Widerstreit also zwischen äußerer und innerer Gliederung. Das hindert wiederum nicht, dass alle Dia­logpartien in ihrer Aussage auseinander hervorgehen, ein10  |  Praeliminaria

ander variieren und auch in der Folge präzisieren, zudem sämtlich eine formale Besonderheit aufweisen: Die Dia­loge nehmen – mit Ausnahme des letzten zehnten Dia­logs – jeweils Bezug auf Gedichte – meist Sonette, zudem Sestinen, eine Kanzone –, die von den Dia­ logpartnern gelesen, ausgelegt und kommentiert werden. In der Regel wird in dem Sonett eine Aussage in bildhafter Anschaulichkeit, zugleich – paradoxerweise – in Verschlüsselung formuliert, die des Kommentars bedarf, der wiederum in einem nachfolgenden Sonett auf den konzeptistischen Punkt gebracht oder argumentativ weitergeführt wird, um danach erneut kommentiert zu werden. Wiederholung in Variation, zugleich Steigerung im Wechsel sind das Merkmal der Dia­loge, die in ihrer Bewegung und Bewegtheit Einheit im Unendlichen erstreben, ohne sie je erreichen zu können.7 Jeder Dia­log und Dia­logteil setzt andere Akzente, jede Passage hat einen eigenen und je einzigartigen Aussagemodus und die diesem Modus eigene Form. Die ersten vier Dia­loge weisen prima vista die Struktur eines kommentierten petrarkisch-petrarkistischen Canzoniere8 auf, insofern die beiden Dia­logpartner wechselnd Gedichte, näherhin petrarkisch-petrarkistisch semantisierte Sonette, lesen und jeweils mit wiederum verteilten Rollen interpretieren. Die nachfolgenden zwei bzw. drei Dia­loge fingieren die Lektüre und die Kommentierung von insgesamt achtundzwanzig Impresen, die ihrerseits von einem Kommentar in Sonettform begleitet sind. Der vorvorletzte Dia­log präsentiert wiederum dialogisch erörterte Sonette, die als ein Frage-Antwort-Widerspiel zwischen Augen und Herz konstelliert sind; der vorletzte Dia­log erläutert neun Sonette von neun Blinden, und der letzte Dia­log bildet im Wesentlichen eine hymnisch-narrative Cauda. Damit wird deutlich: Die Dia­ loge sind ihrerseits nach dialogunspezifischen Genera und Diskursen modelliert.9 Doch bei aller Vielfalt der Formen verhandeln jeder einzelne Dia­log und der Text als ganzer das selbige Thema in immer variierten Zugängen, ja in Umkreisungen, genauer in einkreisenden Bewegungen10: das große Thema der hero­ischen Leidenschaften. Im Argomento ist zu lesen – der Sprecher ist Bruno selbst11: […] mi protesto che il mio primo e principale, mezzano et accessorio, ultimo e finale intento in questa tessitura fu et è d’apportare Praeliminaria  |  11

contemplazion divina, e metter avanti a gli occhi et orecchie altrui furori non de volgari, ma eroici amori […] (16/18)i

Absicht des Dia­logs De gli eroici furori ist es, die Schau des Göttlichen zu ermöglichen (»apportare contemplazion divina«) und ›andere Begeisterungen‹ zur Vorstellung zu bringen (»metter avanti a gli occhi et orecchie altrui furori«): nicht die gewöhnlichen ›Begeisterungen‹ (»furori non de vulgari«), vielmehr hero­ische Liebesleidenschaften (»eroici amori«). Es geht zum einen um die Schau des Göttlichen, mit Platon gesprochen: um die Einsicht des Wahren, Guten, Absoluten. Und es geht zum anderen um furori, um ›Begeisterungen‹, enthousiasmoi, die näherhin bestimmt werden als hero­ische Liebesleidenschaften. Diese Liebesleidenschaften sind hero­isch, weil sie ›begeistert‹, ›enthusiasmiert‹ danach streben, das Göttliche zu schauen, wie anderseits die hero­ischen Begeisterungen ihren Impuls erhalten durch eine Liebe, einen Eros, der seinerseits hero­isch ist, weil er auf die Schau des Göttlichen sich richtet. Das ist der Grund, weshalb die in Rede stehenden ›Begeisterungen‹ nicht ›gewöhnlich‹ sind: Sie sind nicht identisch mit den vier furores, den vier maníai, die Platon in Phaidros12 nennt und voneinander unterscheidet, und doch sind auch sie furores, ›Begeisterungen‹, die allerdings in ihrer eigenen Vielzahl und als hero­ische sich absondern, zudem auf Eros als der treibenden Kraft verwiesen sind. Die neuartige komplexe Relation und Interaktion von ›furore‹, ›amore‹ und ›eroico‹ formuliert Bruno in immer neuen Sach-, Wort- und »[…] ich erkläre feierlich, dass meine erste und hauptsächliche, mittlere und untergeordnete, letzte und endgültige Absicht in diesem Gewebe aus Worten war und ist, eine Betrachtung des Göttlichen vorzulegen und meinen Mitmenschen die Leidenschaften nicht gewöhnlicher, sondern hero­ischer Liebe vor Augen und Ohren zu stellen […]« (17/19). – Die Übersetzung der Zitate im Text folgt der Übersetzung der zweisprachigen Ausgabe, der auch die Zitate des Originaltexts selbst entnommen sind: ­Giordano Bruno: De gli eroici furori – Von den hero­ischen Leidenschaften (BW 7), unter Verwendung der Übersetzung von Christiane Bacmeister grundlegend überarbeitet von Henning Hufnagel. Einleitung von Maria Moog-Grünewald. Edition des italienischen Originaltextes, Kommentar und Philosophisches Nachwort von Eugenio Canone, Hamburg 2017. Seitenverweise in Klammern im Anschluss an die Zitate beziehen sich im Folgenden jeweils auf diese Ausgabe. Zitate aus der deutschen Übersetzung wurden in der Orthographie den Regeln der neuen Rechtschreibung angepasst. i

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Sprachbildkonstellationen, die nie identisch sind, vielmehr vielfältige Variationen der gedanklichen u n d sprachlichen Annäherung an das letztlich Undenkbare und Unsagbare: das absolute Eine. Dem entspricht die Wahl des Begriffs ›intento‹: »il mio primo e principale, mezzano ed accessorio, ultimo e finale intento […] fu et è […] d’apportare contemplazion divina, e metter avanti a gli occhi et orecchie altrui furori non de volgari, ma eroici amori […]« Die Schau des Göttlichen zu ermöglichen (»apportare contemplazion divina«) und ›andere Begeisterungen‹ zur Vorstellung zu bringen (»metter avanti a gli occhi et orecchie altrui furori«) ist eine stetige geistige Unternehmung, eine Bestrebung, die letztlich nie an ihr Ziel kommt. Sie ist ineins eine literarische, ja poetische Unternehmung, die mit dem Begriff tessitura13 als work in progress gekennzeichnet ist. Demgemäß wird weder hier noch in der Folge eine wie immer statische Deskription, gar Definition der hero­ischen Leidenschaften selbst gegeben, vielmehr die dynamische Darstellung des Weges – zu Beginn des vierten Dia­logs des ersten Teils zutreffend mit dem Wort »discorso« (von lat. discursus, discurrere) bezeichnet –, den die hero­ischen Leidenschaften, die ›Begeisterungen‹, wie der diesen ›Begeisterungen‹ Gestalt gebende Text nehmen, um das ihnen eigene und gemäße Ziel zu erreichen: Cossì si descrive il discorso de l’amor eroico per quanto tende al proprio oggetto, ch’è il sommo bene; e l’eroico intelletto che gionger si studia al proprio oggetto che è il primo vero o la verità absoluta. (118)i

Was im Argomento als Thema und als Form der Eroici furori annonciert ist, wird zu Beginn des vierten Dia­logs des ersten Teils noch einmal in Variation aufgenommen – als vorläufiges Ergebnis des bisher zur Sprache und in Sprache Gebrachten (»cossí si descrive il discorso«): Hier sind es die hero­ische Liebe (»l’amor eroico«) und deren enger Gefährte, der hero­ische Intellekt (»l’eroico intelletto«)14 , die die hero­ischen Leidenschaften als eine affektivkognitive Bewegung qualifizieren. Deren Intention (»tende« und »si studia« i. S. v. ›orientiert sein hin‹ und ›bestrebt sein nach‹) ist »So wird der Weg der hero­ischen Liebe beschrieben, wie sie zu dem ihr gemäßen Objekt strebt, sprich dem höchsten Gut, und der Weg der hero­ischen Vernunft, die sich um die Vereinigung mit dem ihr gemäßen Objekt bemüht, sprich dem höchsten Wahren oder der absoluten Wahrheit.« (119) i

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es, sich dem höchsten Gut bzw. dem absoluten Wahren in höchstem Maße anzunähern, ja mit ihm identisch zu werden. ✴ ✴ ✴

Das Streben des Intellekts nach der Vereinigung mit dem ersten und absolut Wahren, ein platonisches und auch neuplatonisches Konzept, findet sein prägnantestes Anschauungsbild in dem vielkommentierten Sonett über Aktaion15 , das sich unmittelbar an die soeben zitierten Sätze anschließt: Alle selve i mastini e i veltri slaccia il giovan Atteon, quand’ il destino gli drizz’ il dubio et incauto camino, di boscareccie fiere appo la traccia.   Ecco tra l’acqui il più bel busto e faccia, che veder poss’ il mortal e divino, in ostro et alabastro et oro fino vedde: e ’l gran cacciator dovenne caccia.   Il cervio ch’a’ più folti luoghi drizzav’ i passi più leggieri, ratto voraro i suoi gran cani e molti.   I’ allargo i miei pensieri ad alta preda, et essi a me rivolti morte mi dan con morsi crudi e fieri. (118)i

In intensivster Form wird der Mythos von Aktaion in einem Sonett konfiguriert, ein Mythos, der in einer reichen Überlieferungstradition immer neue Ausprägungen gefunden hat.16 Doch die brunianische Version ist in ihrer eigenwilligen Transkription des Mythos ohne Beispiel. Das Aktaion-Sonett ›kontrahiert‹ – um einen zentralen Begriff Brunos aufzunehmen – Kosmologie, Epistemologie, »In den Wäldern macht die Blut- und Windhunde / Aktaion, der Jüngling los, da das Schicksal / ihm einen Weg voll Zweifel und Unvorsicht weist, / den wilden Waldestieren auf der Spur. / Und schau: Im Wasser sah den schönsten Körper, das schönste Gesicht, / das Mensch und Gott je wohl zu seh’n vermögen, / von Purpur und von Alabaster und von feinem Gold / er – und der große Jäger ward zur Beute. / Den Hirschen, der zu undurchdringlicheren / Orten leichtren Schritts sich wandte, / verschlangen schnelle seine vielen großen Hunde. / Meine Gedanken send’ ich aus / nach erlesner Beute, und sie, zu mir zurückgekehrt, / geben mir den Tod mit grausam wilden Bissen.« (119) i

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Anthro­po­lo­gie und ist zugleich in seiner kühnen Bildlichkeit Ausdruck dessen, was Bruno unter philosophischer pictura und poetischer philosophia versteht. Als pars pro toto ist es geeignet, die metaphysischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der ästhetischen Gestalt der Eroici furori zu benennen, ihre Textualität – Sprache und Struktur, Metaphorik und Bildlichkeit – als poietische Manifestation der in ihnen verhandelten Metaphysik und Epistemologie zu erweisen.17 Eine Trennung der Bereiche – und sei es aus Gründen der Heuristik – ist schwerlich möglich, insofern die Poietik ein strukturelles Analogon der durch sie zur Darstellung gebrachten metaphysischen und epistemischen Theoreme ist, insofern – um es genauer zu formulieren – Metaphysik, Epistemologie und Poetologie auf denselben ontologischen Prinzipen gründen bzw. aus ihnen hervorgehen. Dies exemplarisch im Ausgang des AktaionSonetts und mit Ausgriff auf De gli eroici furori, darüber hinaus auf De la causa, principio et uno und auf De l’infinito, universo et mondi sowie auf De umbris idearum, Sigillus sigillorum und De imaginum, signorum et idearum compositione zu erweisen18 , ist die Absicht der nachfolgenden Ausführungen. Sie sind Ausgangspunkt und Basis der Beschreibung der philosophisch begründeten Literarizität der Eroici furori. Dabei könnte es sich allerdings herausstellen, dass der Literarizität eine Bildtheorie zugrunde liegt, die die brunianischen Philosopheme erst ermöglicht hat. Das Verhältnis wäre invers. Das Aktaion-Sonett ist gekennzeichnet als »tutta la somma di questo [sc. discorso]«, während die nachfolgenden fünf Sonette die ihm eignende Ordnung, »l’ordine della quale vien descritto«, zur Vorstellung bringen sollen. Das Aktaion-Sonett ist somit ein Brennspiegel: Es enthält geradezu komplikat, was die nachfolgenden Sonette und jeweiligen Prosatexte ›explizieren‹, indem sie seine ganze Fülle ›ausfalten‹. Mehr noch: Es konfiguriert in nuce die Eroici furori als Ganze.19 Das Sonett ist in zwei Teile geteilt: Der erste, die beiden Quartette und das erste Terzett umgreifende Teil referiert auf den Mythos des Aktaion.20 Die mythische Figur des Aktaion ist weniger eine Allegorie, denn eines der vielen Bilder, die die brunianische Philosophie veranschaulichen. Und so ist auch der zweite Teil des Sonetts, das letzte Terzett, nicht so sehr eine Allegorese in Bezug auf den ersten Teil, als vielmehr eine präzisierende Applikation. Denn Praeliminaria  |  15

schon Aktaion, der Jäger, il gran cacciator, ist ein Bild für den eroico, den nach dem Wahren, Guten und Schönen Strebenden, seine Jagd ist Metapher für das Streben des hero­ischen Ich. Das Bild des Jägers, im Ganzen die Metaphorik des Jagens kennt in der griechischen und – in Übernahme – römischen Literatur eine lange Tradition21. Philosophisch geht sie auf Platons ›Jagd nach dem Sein‹ (τοῡ ὄντος ϑήρα22) zurück »als dem Index des Versuchs, die Idee denkend zu erreichen«23 . Die Metapher steht für die διαλεκτικὴ μέϑοδος, die sich auf die ἀλήϑεια τῶν ὄντων richtet, zugleich aber auch das Schöne zum Ziel hat, mithin auch Jagdbild für den Eros sein kann. Brunos Wahl des Aktaion-Mythos ist somit begründet in der Möglichkeit, die in der platonischen und sodann neuplatonischen Ontologie so omnipräsente Jagd-Metapher24 wieder aufzunehmen, jedoch in einem entscheidenden Aspekt zu transformieren und dergestalt für die ihm eigene Erkenntnistheorie wie Poetologie figu­ rativ fruchtbar zu machen. Die Aktaion-Figuration und ihr Kommentar machen die ontologisch-epistemologische Wendung quasi unter der Hand evident. So ist Aktaion der Intellekt, der die gött­ liche Weisheit oder Wahrheit zu erjagen intendiert, diese in der Ansehung göttlicher Schönheit zu erfassen sucht.25 Die beiden Satzteile »l’intelletto intento alla caccia della divina sapienza, all’apprension della beltà divina« insinuieren eine Beiordnung von »caccia della divina sapienza« und »apprension della beltà divina«. Tatsächlich aber stehen zwei differente epistemologische Modi in Rede wie die Folge des Kommentars deutlich macht: Aktaion »macht die Blut­ hunde und Windhunde los«, die – schneller und kräftiger als der Jäger, mithin als der Intellekt – ihrerseits für den Willen stehen: »Denn die Tätigkeit des Intellekts geht der Tätigkeit des Willens voraus.«26 Wenn Bruno sodann feststellt, dass der Wille kräftiger und wirksamer sei als der Intellekt, es dem menschlichen Verstand aber eher gelinge, »die göttliche Güte und Schönheit zu lieben als zu begreifen«, dann sucht er, ›die schwache Sache stark zu machen‹: In einem scheinbar unvermittelten Argumentationsumschlag ist es nicht mehr das Intelligible, das der Verstand zu erkennen trachtet und – platonisch – prinzipiell auch zu erkennen vermag, vielmehr ist es »die göttliche Güte und Schönheit, die der Intellekt liebt«. »Zudem – so fährt Bruno fort – ist es die Liebe, die den Intellekt dazu bewegt und antreibt, dass er ihr wie eine Laterne vorangehe.«27 16  |  Praeliminaria

Bruno kontaminiert, ja hybridisiert platonische Erkenntnistheorie, die in der Jagdmetapher ihre Anschauung gewonnen hat, mit der Eroslehre der Diotima in Platons Symposion, die ihrerseits wiederum Ficino in seinem Symposion-Kommentar aufgenommen hat.28 Nach Ficino erzeugt die göttliche Schönheit die Liebe in der Welt und damit auch in der Seele des Liebenden, der seine Liebe wiederum auf die göttliche Schönheit richtet und in dieser Liebe das Göttliche erfährt. Die sichtbare Schönheit der Welt verweist dabei auf die letztlich unsichtbare göttliche Schönheit, nach der – wie Ficino in Commentarium in Convivium Platonis De amore formuliert – »alle Wesen Verlangen tragen, in dessen Besitz sie alle Ruhe finden«29. Ganz in diesem Verständnis liest man bereits im dritten Dia­log des Ersten Teils: Tutti gli amori (se sono eroici e non son puri animali […]) hanno per oggetto la divinità, tendeno alla divina bellezza, la quale prima si comunica all’anime e risplende in quelle, e da quelle poi o (per dir meglio) per quelle poi si comunica alli corpi: onde è che l’affetto ben formato ama gli corpi o la corporal bellezza, per quel che è indice della bellezza del spirito. […] Questa mostra certa sensibile affinità col spirito a gli sensi più acuti e penetrativi […] (98)i

Die Bedeutung der oben zitierten Eingangssätze des vierten Dia­ logs wird damit ebenso evident wie die der Aktaion-Figuration: Aktaion, der Jäger, strebte danach, das höchste, das absolute Gut zu erkennen, doch – »ecco« – was er tatsächlich mit den inneren Augen sah (»vedde«), ist allein die äußere schöne Erscheinung – »il più bel busto e faccia« (118) –, »die ein Mensch und Gott je wohl zu seh’n vermögen« – und dies »im Wasser«, »tra l’acqui«, und das heißt: ›im Wasser gespiegelt‹. So auch der Kommentar: »nel specchio de le similitudini, nell’opre dove riluce l’efficacia della bontade e splendor divino« (120). Die sinnenfällige Schönheit als Spiegel göttlicher »Jede Liebe (wenn es hero­ische und nicht jene rein tierische Liebe ist […]) hat das Göttliche zum Gegenstand und strebt zur göttlichen Schönheit, die sich zuerst den Seelen mitteilt und in ihnen erstrahlt und sich dann von ihnen aus oder (genauer gesagt) durch sie den Körpern mitteilt. Deshalb liebt das wohlausgereifte Gefühl den Körper oder die körperliche Schönheit, insofern sie ein Verweis auf geistige Schönheit ist. […] Diese äußere Schönheit steht für besonders scharfe und durchdringende Sinne in einer bestimmten fühlbaren Affinität zum Geist […]« (99) i

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Gutheit und göttlichen Glanzes aufzufassen, mithin als Simula­ crum30 , folgt durchaus platonisch-neuplatonischem Verständnis. Doch die entscheidende Differenz – auch zu Ficino und darüber hinaus zu Plotin31 – besteht darin, dass die göttliche Güte und der göttliche Glanz überhaupt nur in ihrer Wirkung, mithin mittelbar erfahrbar sind: in der äußeren Erscheinung des schönen Körpers und Antlitzes, hier eine Metonymie für Diana, ineins eine Metapher für das Universum, die Natur, die Welt. An keiner anderen Stelle in den Eroici furori wird die Spezifik und die Reziprozität der brunianischen Erkenntnistheorie und Kosmologie bzw. Ontologie derart knapp und präzise zugleich ins Bild gesetzt – ins Bild von Aktaion und Diana als deren poetisches Analogon. Wie ist dies im Einzelnen zu verstehen? Beginnen wir mit der Kosmologie bzw. Ontologie. Was der Intellekt, repräsentiert durch Aktaion bzw. durch den Heros, tatsächlich zu sehen vermag, ist nicht das Absolute, das Eine, mithin das Göttliche selbst, an anderer Stelle figuriert in Apollo32 , vielmehr ist es das Universum, die Welt, die Natur, figuriert in Diana und im Sonett umschrieben mit »più bel busto e faccia«. Was darunter zu verstehen ist, erläutert der Kommentar: cioè potenza et operazion esterna che vedersi possa per abito et atto di contemplazione et applicazion di mente mortal o divina, d’uomo o dio alcuno. (120)i

Die Begriffe »potenza et operazion esterna« rekurrieren auf den scholastischen Begriff der Potenz und dessen Unterscheidung von bzw. Übereinstimmung mit Akt. In ihrer tradierten Bedeutung sind die auch an anderen Stellen von Bruno gebrauchten Begriffe Akt und Potenz ontologische Begriffe für Seinsmodi: Das absolute göttliche Sein ist bestimmt durch die Identität von Potenz und Akt. In Brunos Schrift De la causa, principio et uno liest man dazu: […] ogni essenzia, necessariamente è fondata sopra qualche essere: eccetto che quella prima che è il medesimo con il suo essere, perché la sua potenzia è il suo atto, perché è tutto quel che può essere […]. 33, ii »Potenz und […] den äußeren Akt also, die man je wohl zu sehen vermöchte durch Disposition und Betrachtung und Hinwendung mit sterblichem oder göttlichem Geist, als Mensch oder Gott.« (121) ii Causa, dialogo 4, in: BW III, S. 194. (Übersetzung ebd., S. 195: […] jede i

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Das göttliche Sein ist, was es sein kann.34 Diese Prämisse fundiert das göttliche Sein, das ›Eine‹, als die absolute Transzendenz gegenüber der Welt, der Natur, dem Universum. Und das heißt: Das Universum verfügt nicht über eine konstitutive Möglichkeit, die zugleich der Grund seiner Verwirklichung wäre, sondern verweist über sich hinaus auf die absolute Identität von Akt und Potenz.35 Zwischen der göttlichen Identität und ihrer Effektuierung in der Weltmaterie kennt Bruno aber eine vermittelnde Instanz, die neuplatonische Konzeption einer Weltseele, die als das ›Auge der Welt‹ alle Dinge intrinsisch in sich enthält und zugleich extrinsisch von der göttlichen Substanz getrennt ist. So ist sie nicht nur Wirkursache (causa efficiente), sondern auch Formalursache (causa formale), insofern sie alles Seiende in seiner jeweiligen Eigenart hervorbringt. Damit aber erhält die scholastische Konzeption von Akt und Potenz eine neue ontologische Valorisierung: Um die Potenz der Materie zur Aktualität der Weltform hervorzutreiben, muss die Weltseele alle Formen des Seins immer schon als mögliche präfigurieren: […] per tanto questo intelletto36 che ha facultà di produre tutte le specie, e cacciarle con sì bella architettura dalla potenza della materia a l’atto, bisogna che le preabbia tutte, secondo certa raggion formale, senza la quale l’agente non potrebe procedere alla sua manifattura […].i

Die im scholastischen System nurmehr transzendent verortete Identität von Akt und Potenz wird über die neuplatonische Konzeption der vermittelnden Weltseele immanentisiert – freilich nicht dergestalt, dass das Seiende eine Reduplicatio des absoluten Seins wäre, mithin in dem Sinne, dass es gleichfalls alles ist, was es sein kann. Vielmehr wird das Seiende zum Vorgriff auf die VollkomWesenheit basiert notwendigerweise auf einem Sein, außer jener ersten, die mit ihrem Sein identisch ist, weil ihr Vermögen ihr Akt ist, weil sie alles das ist, was [sie] sein kann […]). i Causa, dialogo 2, in: BW III, S. 98. (Übersetzung ebd., S. 99: »Deshalb ist es notwendig, daß diese Vernunft, die das Vermögen dazu hat, alle Arten hervorzubringen und sie in Gestalt einer so schönen Architektur aus der Möglichkeit der Materie in die Wirklichkeit übergehen zu lassen, alle diese Formen entsprechend einer bestimmten formalen Bestimmung zuvor in sich trägt. Ohne diese formale Bestimmung könnte das Wirkende nicht zu einer bildenden Tätigkei fortschreiten […]«.) Praeliminaria  |  19

menheit einer ontologischen Aktualität, die sich in der Potentialität des unendlich individuierten Seienden gleichsam abspiegelt. Somit realisiert sich die Potenz nicht mehr im mit ihr identischen Akt, vielmehr entäußert sie sich in der unendlichen Vielheit des individuierten Seienden und wird als »operazion esterna«37 sichtbar.38 Es ist nun diese Sichtbarkeit des Göttlichen in der Immanenz und seine Wahrnehmung39, die den ›Jäger‹ zur ›Jagdbeute‹ werden lässt. Die Kernstelle des Sonetts: »e’l gran cacciator dovenne caccia« – »und der große Jäger wurde selbst zur Jagdbeute« – und der darauf bezogene erläuternde Kommentar ist in diesem Verständnis zu l­esen: Cossì Atteone con que’ pensieri, que’ cani che cercavano estra di sé il bene, la sapienza, la beltade, la fiera boscareccia, et in quel modo che giunse alla presenza di quella, rapito fuor di sé da tanta bellezza, dovenne preda, veddesi convertito in quel che cercava; e s’accorse che de gli suoi cani, de gli suoi pensieri egli medesimo venea ad essere la bramata preda, perché già avendola contratta in sé, non era necessario di cercare fuor di sé la divinità. (122)i

Wenigstens drei Begriffe der zitierten Passage sind von Belang: raptus40 , conversio41 und contractio42 , Begriffe, deren jeder geradezu paradigmatisch für die metaphysisch begründete Epistemologie im Allgemeinen, des ›hero­ischen‹ Intellekts im Besonderen einsteht und die zugleich aufeinander verwiesen sind. Zunächst: Ein raptus ergreift den ›Jäger‹ – nicht angesichts des Göttlichen, mithin des absoluten Einen, des Wahren, Guten und Schönen selbst, vielmehr in Reaktion auf die Wahrnehmung seiner Erscheinung in der Natur: »[…] nel specchio de le similitudini, nell’opre dove riluce l’efficacia della bontade e splendor divino.« (120)43 Der raptus wird ausgelöst nicht sowohl durch die reine Erscheinung des Göttlichen bzw. der göttlichen Wahrheit selbst als durch deren Plötzlichkeit: »[…] la divina verità« – so an anderer Stelle – »non proviene con misura di moto e tempo […]; ma subito e repentinamente secondo il modo »So wurde Aktaion durch jene Gedanken, jene Hunde, die außerhalb von ihm das Gute, die Weisheit, die Schönheit, das wilde Waldestier suchten, und durch die Art, wie er in dessen Gegenwart geriet, über so viel Schönheit außer sich geraten, zur Beute; er sah sich in das verwandelt, was er suchte, und er merkte, dass er seinen Hunden, seinen Gedanken, selbst zur ersehnten Beute wurde, denn insofern er die Gottheit in sich zusammengezogen hatte, war es nicht mehr notwendig, sie außerhalb seiner zu suchen.« (123) i

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che conviene a tale efficiente.« (364) Erblindung kann die Folge sein. Ihre spezifische Figuration findet sie im dritten der neun Blinden, »il qual dice esser dovenuto cieco per essere repentinamente promosso dalle tenebre a veder una gran luce […]« (348). Plötzlich – »subito« – habe eine himmlische Schönheit, eine göttliche Sonne seinen Augen sich dargeboten (ebd.), und er, gewohnt nur gewöhnliche Schönheiten zu erblicken, sei erblindet. Doch anders als der ›dritte Blinde‹44 verliert Aktaion bei Ansehung der göttlichen Schönheit nicht sein Augenlicht, vielmehr wird er ›hingerissen‹(»rapito fuor di sé da tanta bellezza«): Aktaion ›gerät außer sich‹. Der raptus, die Ekstasis löst eine conversio aus – »veddesi convertito«. Indes ist der raptus und die durch ihn ausgelöste conversio bei aller offensichtlichen semantischen und sachlichen Übereinstimmung keine mystische Erfahrung, sondern ein Erkenntnisakt. Nicht eine unio mystica findet statt, mithin die Vereinigung der Seele mit dem Einen selbst, vielmehr ist es der vom Willen getriebene Intellekt, der die Schönheit des Universums als Abbild des Göttlichen wahrnimmt45 und der, von deren Wahrnehmung ›hingerissen‹, sich in eben die wahrgenommene Schönheit verwandelt, konvertiert.46 Letzteres bedarf einer Erläuterung: Es ist offensichtlich, dass Begriff und Sache der conversio – im weiteren Text werden die Wörter »converte« bzw. »si converte« noch einmal aufgenommen – neuplatonische Philosopheme sind. ›Conversio‹ und ›converti‹, ›Umkehr‹ i. S. v. ›Rückkehr‹, ist das späte lateinische Äquivalent des griechischen Wortes epistrophê47. Bei Platon (Timaios) hat epistrophê einen zugleich kosmologischen und noologischen Sinn: Der Kreis ist die vollkommene Bewegung, und er ist gleichursprünglich das Symbol für die den Geist kennzeichnende Rückkehr zu sich selbst. Für die Neuplatoniker ist die epistrophê das grundlegende Gesetz der sinnenhaften wie der intelligiblen Welt. Für Plotin wie für Porphyrios ist die Konstituierung des Seins Hervorgang und Rückkehr der Dinge zu ihrem Ursprung, ist – um bereits mit den Begriffen der Patristen zu reden – progressio und regressus, creatio und conversio. Wie in der neuplatonischen Tradition bedeutet auch bei den Patristen der Begriff conversio Rückkehr zu dem im Innersten der Seele gegenwärtigen Gott, der Wahrheit, Licht und Vernunft ist. In diesem Verständnis scheint durchaus der bereits zitierte Satz Praeliminaria  |  21

formuliert: »[…] veddesi convertito in quel che cercava; e s’accorse che de gli suoi cani, de gli suoi pensieri egli medesimo venea ad essere la bramata preda, perché già avendola contratta in sé, non era necessario di cercare fuor di sé la divinità.« (122) Doch der Unterschied zum traditionellen neuplatonischen conversio-Verständnis ist markant: Das brunianische ›Göttliche in uns‹, »la divinità«, ist nicht gleichzusetzen mit dem neuplatonischen ›Einen in uns‹, insofern das neuplatonische ›Eine in uns‹48 nicht eine Folge des Ansichtigwerdens des Göttlichen im Spiegel der Natur, des »schönsten Körpers und des schönsten Gesichts« ist. Eine minime, doch von der Sache her entscheidende Umakzentuierung des neuplatonischen conversio-Verständnisses hat stattgefunden. Darauf weist zunächst die Figura etymologica, die im Sonett gebraucht ist: »e ’l gran cacciator dovenne caccia«. Sie versteht die conversio in der Variation der Sememe ›caccia-‹ als ein Rückgang in das, was bereits als selbiges potentiell angelegt ist: der »cacciator« konnte zur »caccia« werden, weil er das, was er zu erjagen gedachte, mithin mit seinem »intelletto« erkannte und seiner »voluntade« erstrebte, bereits in sich selbst hatte: »perché avendola contratta in sé, non era necessario di cercar fuor di sé la divinità«. Eindeutiger noch: Die conversio, i. e. die ›Rückkehr‹, ereignet sich in dem Augenblick, als der ›Jagende‹, i. e. der Strebende, die Gottheit in ihrer Schönheit und Wahrheit als Spiegelung, als Simulacrum erkennt, eine Schönheit, die als Abglanz der Gottheit in ihrer Immanenz auf die Trans­ zendenz verweist. Dies ist auch der Grund, weshalb die ›Hunde‹, also die »pensieri«, die ›Gedanken‹, die als ›Jagdhelfer‹ ausgesandt wurden, die erstrebte Beute zu erfassen, sich auf den zur Jagdbeute ›konvertierten‹ Jäger selbst stürzen: Das Erstrebte ist als das Transzendente in der Immanenz selbst zu finden: »perché avendola contratta in sé, non era necessario di cercar fuor di sé la divinità«. Nicht also eine neuplatonisch konzipierte Rückkehr in das transzendent Eine mittels des ›Einen in uns‹ ist hier in Rede gebracht, mithin eine Reflexion auf ›das wahre Selbst‹49; vielmehr findet eine conversio im Modus der contractio statt. Im Begriff der contractio wiederum werden die Stufen der Wirklichkeit aufgerufen, die in der Tradition des Cusanus verstanden werden als complicatio des Einen, Absoluten, Göttlichen, als dessen explicatio im Universum, in der Natur, und wiederum als dessen contractio im Einzelnen, im Indi22  |  Praeliminaria

viduum.50 Alles, was das absolute Eine in vollkommener Weise, und das heißt als umfassende Einfaltung (complicatio) des Seienden, in sich enthält, ist entfaltet im Universum als unendliche Vielheit, als Allheit der Einheit; es ist Bild, imago, similitudo, simulacrum des Einen. Das Einzelseiende wiederum kontrahiert in sich das ganze Universum, partizipiert am Universum und am ins Universum entfalteten Einen. Das Raffinement des kontextuellen Gebrauchs des Begriffs der contractio, näherhin der Formulierung »avendola [sc. la bramata preda, i. e. Diana bzw. das Universum] contratta in sé«, liegt wiederum darin, dass eine ontologische Kategorie epistemologisch fruchtbar gemacht wird: Im Begriff der contractio wird das Teilhabeverhältnis des Intellekts am Universum evidenziert, ineins die spezifische ›hero­ische‹ Erkenntnistheorie figuriert. Denn folgendes geht voraus: Aktaion – so das Bild – macht die Bluthunde und die Windhunde los, damit sie die wilden Waldestiere aufspüren. Und das heißt: Der vom Willen befeuerte Intellekt sucht die intelligiblen Erscheinungen der idealen Begriffe zu (er)fassen – »le specie intelligibili de concetti ideali« (120). Wie das Eine im Universum sich als Spur und im Spiegel manifestiert51 – hier im Bild der Diana –, sind die Ideen als species intelligibiles, als Schatten, erkennbar.52 Kosmologie – das Universum, die Natur, ›Diana‹ als Objekt des Intellekts, des ›jagenden Aktaion‹ – und Epistemologie – die species intelligibiles – werden erneut in ihrem analog-partizipativen Verhältnis ins Bild gesetzt: Denn die species intelligibiles sind die Begriffe, die sich der menschliche Intellekt vom Universum als dem Spiegel des Einen macht. Doch als Schatten der Ideen haben sie sowohl teil am Universum, näherhin an dessen Weltintellekt, als sie ineins vom menschlichen Intellekt hervorgebracht werden. In diesem Verständnis nimmt die Dia­logfigur Tansillo jene zentrale Passage des Aktaion-Sonetts in der ihr eigenen Bildlichkeit auf und gibt eine erste Erläuterung: »›Vedde il gran cacciator‹: comprese quanto è possibile, e › dovenne caccia‹: andava per predare e rimase preda, questo cacciator, per l’operazion de l’intelletto53 con cui converte le cose apprese in sé.« (120/122) Und die Dia­logfigur Cicada führt weiter aus: »Intendo, perché forma le specie intelligibili a suo modo e le proporziona alla sua capacità, perché son ricevute a modo de chi le riceve.« (Ebd.) Das bedeutet: Das im Universum ›gespiegelte‹ absolute Eine erfasst der menschliche Intellekt dank der ›umbratilen‹ Praeliminaria  |  23

species intelligibles. Rezeptivität und Spontaneität stehen in einem Wechsel-, ja Abhängigkeitsverhältnis zueinander; der menschliche Intellekt nimmt »die von ihm ergriffenen Dinge« (»le cose apprese«) gemäß des ihm eigenen Fassungsvermögens auf und verwandelt sie (»converte«), formt sie nach seiner Weise, ›kontrahiert‹ sie in sich54 . Was an dieser Stelle nurmehr knapp formuliert ist, ist an anderer Stelle ausführlich in Rede gebracht: Cicada  Il »divo« dumque »e vivo oggetto«, ch’ei dice, è la specie intelligibile più alta che egli s’abbia possuto formar della divinità; e non è qualche corporal bellezza che gli adombrasse il pensiero come appare in superficie del senso? Tansillo  Vero: perché nessuna cosa sensibile, né specie di quella, può inalzarsi a tanta dignitade. Cicada  Come dunque fa menzione di quella specie per oggetto, se (come mi pare) il vero oggetto è la divinità istessa? Tansillo  La è oggetto finale, ultimo e perfettissimo; non già in questo stato dove non possemo veder Dio se non come in ombra e specchio, e però non ne può esser oggetto se non in qualche similitudine; non tale qual possa esser abstratta et acquistata da bellezza et eccellenza corporea per virtù del senso; ma qual può esser formata nella mente per virtù de l’intelletto. (104)i

Die species intelligibiles werden vom Intellekt bzw. dem Geist (la mente) aufgenommen und zugleich hervorgebracht. Durch sie ver­ mag der Intellekt das Intelligible »in ombra e specchio« zu erkennen. Sie sind das Medium, durch das und in dem das Höchste, Ab»Cicada Das göttliche, lebendige Objekt also, wie er es nennt, ist die höchste mit der Vernunft fassbare Erscheinung, die er sich vom Göttlichen bilden konnte, und keine körperliche Schönheit, die ihm die Gedanken verdunkelt, wenn sie an der Oberfläche der Sinne auftaucht? Tansillo  Richtig, denn keine sinnlich wahrnehmbare Sache oder ihre Erscheinung kann sich zu solcher Würde erheben. Cicada  Warum also berichtet er von jener Erscheinung als Objekt, wenn doch (wie mir scheint) das wahre Objekt das Göttliche selbst ist? Tansillo  Das Göttliche ist das endgültige, letzte und vollendete Objekt, aber nicht schon in dieser Welt, in der wir Gott gleichsam nur in seinem Schatten und im Spiegel sehen können. Deshalb kann es für uns das Objekt nur in einem Gleichnis geben. Und zwar einem Gleichnis, das nicht kraft Sinneswahrnehmung aus körperlicher Schönheit und Vortrefflichkeit abgeleitet und gewonnen werden könnte, sondern kraft Vernunft im Geiste gebildet werden muss.« (105) i

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solute sich dem Intellekt vermittelt und durch das und in dem der Intellekt sich das Höchste, Absolute anverwandelt. Rezeptivität und Spontaneität, ja Konstruktivität sind unverbrüchlich aufeinander verwiesen. Die conversio im Modus der contractio ist ineins eine reformatio des Intellekts und des Willens, denn die Gottheit – so die Replik von Cicada – »wohnt in uns, kraft der neuen Gestalt von Intellekt und Wille«55. So wird aus einem gewöhnlichen und gemeinen Menschen ein besonderer und hero­ischer, ja ein ›neuer‹ Mensch: »da quel ch’era un uom volgare e commune, dovien raro et eroico, ha costumi e concetti rari, e fa estraordinaria vita« (122). Die Dia­logfigur Tansillo fasst die Aktaion-Figuration – das Sonett wie die Erläuterungen – in aller Klarheit zusammen, indem sie sich ein weiteres Mal auf das Sonett in Paraphrase und Kommentar bezieht: […] l’Atteone, messo in preda de suoi cani, perseguitato da proprii pensieri, corre e drizza i novi passi: è rinovato a procedere divinamente e più leggiermente, cioè con maggior facilità e con una più efficace lena a’ luoghi più folti, alli deserti, alla reggion de cose incomprensibili; da quel ch’era un uom volgare e commune, dovien raro et eroico, ha costumi e concetti rari, e fa estraordinaria vita. »Qua gli dan morte i suoi gran cani e molti«: qua finisce la sua vita secondo il mondo pazzo, sensuale, cieco e fantastico; e comincia a vivere intellettualmente: vive vita de dèi, pascesi d’ambrosia et inebriasi di nettare. (122)i

Bis hierhin sollte deutlich werden: Im Aktaion-Sonett und in dessen unmittelbar nachfolgendem Kommentar ist konzis und prägnant die Ontologie aufgerufen, die der Struktur des hero­ischen Intellekts »[…] Aktaion also, seinen Hunden zur Beute geworden, von den eigenen Gedanken verfolgt, läuft los und lenkt die verwandelten Schritte. Er ist von neuer Gestalt, so dass er wie ein Gott und wie auf Flügeln vorwärtskommt, das heißt mit größerer Leichtigkeit und mit mehr Ausdauer, zu undurchdringlicheren Orten, in Einsamkeiten, in das Gebiet der unbegreiflichen Dinge. Er, der ein gewöhnlicher, alltäglicher Mensch war, wird besonders und hero­isch, seine Gebräuche und seine Begriffe sind besonders, und er führt ein außergewöhnliches Leben. Nun geben ihm den Tod seine vielen großen Hunde: Nun endet sein Leben gemäß der verrückten, sinnlichen, blinden und phantastischen Welt, und er beginnt ein Leben in der Vernunft zu führen: Er lebt das Leben der Götter, nährt sich von Ambrosia und berauscht sich an Nektar.« (123) i

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zugrunde liegt. Aktaion, Bild des hero­ischen Subjekts, ›kontrahiert‹ als Einzelseiendes die Gottheit, i. e. das Universum in seiner Totalität – hier im Bild der Diana – in sich und verwandelt sich selbst in einen ›neuen‹, hero­ischen Menschen, der dank seines von Eros getriebenen Intellekts ein ›göttliches‹ Leben führt. Indes: ›Vivere vita de dei‹ bedeutet nicht, dass Aktaion, Figuration des Heros, an sein Ziel gekommen wäre, mithin das absolute Höchste, die Gottheit mit dem geistigen Auge zu erkennen vermöchte. Vielmehr ist er nurmehr mental in den Stand gesetzt, sein Ziel in unermüdlicher Anstrengung zu verfolgen – im Wissen, nie an ein Ende zu kommen, und im Bewusstsein, dass gerade hierin seine Besonderheit, sein ›Heroismus‹ beruht. Der Grund liegt im Gegenstand, auf den sich das leidenschaftliche Begehren, der furore, richtet: Unendlichkeit ist das Prädikat des göttlichen Einen und – als dessen partizipatives Derivat – des Universums. In der hier in Rede stehenden AktaionFiguration ist auf diese für die brunianische Ontologie und Epistemologie basale Qualität u n d Quantität nur implizit verwiesen: in der Kennzeichnung des »più bel busto e faccia« als »potenza et operazion esterna«, mithin in der Kennzeichnung des Universums als der Einheit, in der die ontologisch aktuale Unendlichkeit sich in die Potentialität unendlicher Vielheit entäußert. Im Dia­log De l’infinito, universo et mondi, der zusammen mit De la causa, principio et uno die metaphysischen Grundlagen der Eroici furori formuliert56 , ist die Unendlichkeit unter anderem mit folgenden Worten bestimmt – die Bezugnahme auf Philosopheme des Cusaners ist offensichtlich: […] per esser differente la infinità dell’uno da l’infinità dell’altro; perché lui [sc. Dio] è tutto l’infinito complicatamente e totalmente: ma l’universo è tutto in tutto (se pur in modo alcuno si può dir totalità dove non è parte né fine) explicatamente, e non totalmente; per il che l’uno ha raggion di termine, l’altro ha raggion di terminato, non per differenza di finito et infinito, ma perché l’uno è infinito e l’altro è finiente […]. 57, i De l’infinito, universo et mondi – Über das Unendliche, das Universum und die Welten (= BW IV), S. 72. In Übers.: »Die Unendlichkeit des einen ist von der Unendlichkeit des anderen unterschieden; denn Gott ist das gesamte Unendliche auf eingefaltete Weise und in vollkommener Ganzheit; das Universum hingegen ist alles in allem (wenn man überhaupt von Allheit sprechen kann, wo es weder Teil noch Grenze gibt) auf ausgefaltete Weise und nicht i

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Die unverbrüchliche Verwiesenheit der Seinsmodi Akt und Potenz auf das Theorem der Unendlichkeit, zudem den Ort des Intellekts in der Hierarchie der aufeinander bezogenen ›drei Welten‹, der gött­ lichen, der natürlichen und der menschlichen Welt, bringt Tansillo im dritten Dia­log des Ersten Teils und unmittelbar vor der AktaionFiguration im vierten Dia­log mit Blick auf den Heros auf den Punkt: Né per questo che l’obietto è infinito, in atto simplicissimo, e la nostra potenza intellettiva non può apprendere l’infinito se non in dis­ corso, o in certa maniera de discorso, com’è dire in certa raggione potenziale o aptitudinale, è come colui che s’amena a la consecuzion de l’immenso onde vegna a constituirse un fine dove non è fine. (106/108)i

Um das Vorstehende zusammenzufassen: Das Eine ist alles, was es sein kann, und dies auf unendliche Weise; das Universum als Bild des Einen ist alles, was es sein kann, und dies auf endliche Weise; die Dinge im Universum, also die Einzelseienden und damit auch der Mensch, sind nicht alles das, was sie sein können. Letztere vermögen allein in einer sukzessiven Annäherung, in einem nie endenden discorso ihre Vollendung im Unendlichen anzustrengen, ohne sie je zu verwirklichen – sie ist stets potentiell, nie aktual58 . Dieser Vorstellung auch textuell Ausdruck zu geben, endet die Aktaion-­ Figuration nicht mit dem Constat, dass der Jäger nach seiner conversio sein Ziel erreicht habe – genau dies trifft auf die augustinische conversio, wie sie im achten Buch der Confessiones dargestellt ist, zu –, dass er vielmehr von nun an ein Leben der Götter lebe (»vive vita de dei«), intellektuell, qua Intellekt, zu leben beginne (»comincia a vivere intellettualmente«), mithin ein anderes Leben, das Leben des furioso eroico führe. So ist denn ganz in diesem gänzlich. Deshalb hat Gott die Maßgabe der Grenze und das Universum hat die Maßgabe des Begrenzten, nicht wegen eines Unterschiedes zwischen Endlichem und Unendlichem, sondern weil der Erste unendlich ist und das Zweite in der Weise der Beendigung wirkt.« (S. 73) i »Und insofern das Objekt unendlich in der einfachsten Form des Akts ist und unser Einsichtsvermögen das Unendliche nur begreifen kann, indem es sich ihm diskursiv oder in einer bestimmten Art von Aufeinanderfolge annähert, also sozusagen mit einem gewissen potenziellen oder befähigenden Verstand, ist der Leidenschaftliche nicht wie einer, der sich anschickt, das Unermessliche zu erfassen, indem er ein Ende konstruiert, wo keines ist.« (107/109) Praeliminaria  |  27

Sinne das nachfolgende Sonett – »Mio pàssar solitario« (124) – eine Fortsetzung des Aktaion-Sonetts und ein Neuanfang zugleich: Im Bild des Sperlings bzw. des geflügelten Herzens wird nicht anders als im Bild Aktaions das Streben des endlichen menschlichen Intellekts nach dem ihm eigenen unendlichen Objekt59, dem Einen, Absoluten, Höchsten zur Vorstellung gebracht: »Il progresso sopra significato per il cacciator che agita gli suoi cani, vien qua ad esser figurato per un cuor alato […]« (124) Und doch findet eine Verschiebung statt: Aktaion ist eine Figur der griechisch-römischen Mythologie, der einsame Sperling hingegen ein Bild aus einem Psalm des Alten Testaments (Ps 101,8), das bereits Petrarca in Rerum vulgarium frag­ menta (CCXXVI, 1–4) aufgenommen hat; das geflügelte Herz, für das der Sperling einsteht, findet sich wiederum in Platons Phaidros (249d).60 Die komplexen intertextuellen Verweise und Aufnahmen haben die Funktion, gerade im scheinbar Gleichen der Begriffe bzw. der Bilder – Bruno gebraucht ausdrücklich die Wörter »significato« und »figurato« – die Differenzen in der Filiation selbst deutlich zu machen. Der Sperling, den der furioso aus dem Käfig ausfliegen lässt, damit er ein Nest baue und die Küken aufziehe, und das heißt »seine Gedanken«61 auf das Höchste, Absolute richte, ist in der Bedeutung nicht identisch mit dem Sperling des Psalms und dem Sperling Petrarcas; gleichwohl gewinnt er das ihm eigene Profil im Horizont der jüdisch-christlichen wie der petrarkischen Tradition: Das Bild des Sperlings wird aufgerufen und reformuliert, doch in der Reformulierung (neu)platonisch reformiert im Bild eines geflügelten Herzens – »un cuor alato«. Das Bild des geflügelten Herzens behält wiederum die auf den Sperling bezogene Bildlichkeit bei und führt sie weiter mit dem Ziel, den Sperling als eine »altra similitudine« (122) des Jägers Aktaion auszuweisen. Die jeweilige und ineins aufeinander verwiesene Bildlichkeit des Jägers und des Sperlings erfüllt somit zwei Funktionen: Zum einen bringt das Bild des Jägers und das Bild des Sperlings, ineins des geflügelten Herzens, jeweils die Verwandlung des furioso von einem gewöhnlichen in einen außergewöhnlichen, gottgleichen Menschen zur Vorstellung – Verwandlung im Verständnis von conversio; zum anderen ist das eine Bild selbst eine Verwandlung des anderen Bildes – Verwandlung im Verständnis von transmutatio und vicissitudo. So wird die metaphysisch fundierte Erkenntnislehre, das Streben nach dem 28  |  Praeliminaria

absolut Einen, Unendlichen, im jeweiligen und jeweils differenten Bild des Jägers und Sperlings zur Anschauung gebracht, zugleich in der Folge der jeweiligen differenten Bilder die sie tragende Vorstellung der Ausfaltung des Einen im unendlich vielen Einzelnen qua Text realisiert – und dies durch Verwandlung, transmutatio und vicissitudo, der einzelnen Bilder. Es dürfte kein Zufall sein, dass das textuelle Verfahren des fortgesetzten Wechsels der Bilder selbst wiederum Bild geworden ist in einem Sonett, das dem Aktaion-Sonett unmittelbar vorausgeht: im Metamorphosen-Sonett, dem letzten Sonett des dritten Dia­logs des Ersten Teils: Quel dio che scuot’ il folgore sonoro, Asterie vedde furtivo aquilone, Mnemosine pastor, Danae oro, Alcmena sposo, Antiopa caprone; fu di Cadmo a le suore bianco toro, a Leda cigno, a Dolida dragone: io per l’altezza de l’oggetto mio da suggetto più vil dovegno un dio.   Fu cavallo Saturno, Nettun delfin, e vitello si tenne Ibi, e pastor Mercurio dovenne, un’uva Bacco, Apollo un corvo furno:   et io (mercé d’amore) mi cangio in dio da cosa inferiore. (112/114)62, i

Die Aussage scheint ebenso evident wie einfach: Die Götter verwandeln sich in Tiere oder Pflanzen, auch Früchte, mithin in niedere Dinge; der Sprecher, der furioso, verwandelt sich in einen Gott. Tatsächlich werden zwei Arten der Verwandlung – »due specie de metamorfosi« (112) – ins Bild gesetzt: Die eine verweist auf den beständigen Wechsel der unendlich vielen Einzelseienden, jene un»Jenen Gott, der Donnerkeile schleudert, / sah Asteria als räuberischen Adler, / als Schäfer Mnemosyne, als Goldregen Danae, / Alkmene als Gatte, Antiope als Satyr. / Er war des Cadmos Schwestern ein weißer Stier, / der Leda ein Schwan, Proserpina ein Drache. / Ich, durch meines Gegenstands Erhabenheit, / werde vom gemeinsten der Subjekte zu einem Gott. / Es war ein Pferd Saturn, / Neptun ein Delphin, und eines Kalbs Gestalt / nahm Ibis an, zum Hirten ward Merkur, / zu einer Rebe Bacchus, Apoll zu einem Raben: / Und ich (kraft Liebe) / verwandle mich in einen Gott aus einem niedern Ding.« (113 /115) i

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endliche zeit-räumliche Veränderung – vicissitudine und transmutazione –, durch die die Einheit potentiell eingeholt, wenn nicht ›wiederhergestellt‹63 wird; die andere auf die Verwandlung in Erkenntnis, den Überstieg in die intelligible Welt – wie sie Aktaion, der ein Bild des furioso ist, als conversio vollzieht. Vicissitudo und conversio werden nicht gegeneinander ausgespielt, vielmehr ergänzen sie einander.64 Zudem: Das Bild des geflügelten Herzens wird hier, am Ende des dritten Dia­logs des Ersten Teils, in der Variante der Flügel vorweggenommen: »[…] il furioso eroico inalzandosi per la conceputa specie della divina beltà e bontade, con l’ali de l’intelletto e voluntade intellettiva s’inalza alla divinitade lasciando la forma de suggetto più basso […]« (116).i Das Ziel, die größtmögliche Angleichung an das Göttliche, scheint auch hier schon erreicht – in den von Tansillo wiedergegebenen Worten des furioso: »›Da suggetto più vil dovegno un Dio, Mi cangio in Dio da cosa inferiore.‹« (116) Und so scheint der discorso an dieser Stelle abgeschlossen, umso mehr, als der bereits oben zitierte erste Satz des nachfolgenden vierten Dia­logs des Ersten Teils direkt darauf Bezug nimmt: »Cossí si descrive il discorso de l’amor eroico, per quanto tende al proprio oggetto, ch’è il sommo bene, e l’eroico intelletto che giongersi studia al proprio oggetto, che è il primo vero o la verità absoluta.« Indes resümiert dieser Satz nicht nur den letzten Teil des dritten Dia­logs, vielmehr eröffnet er zugleich den vierten Dia­log, der mit dem Aktaion-Sonett einsetzt und in der Folge das Verhältnis von Intellekt und Willen, die Rezeptivität und Spontaneität der species intelligibiles, die Verwandlung des gewöhnlichen Menschen in einen Heros thematisiert – und damit in Variation wiederholt, was zu Ende des dritten Dia­logs nicht anders als in allen übrigen Dia­logen der Eroici furori in eine immer andere und neue Begriffskonstellation und Bildlichkeit gebracht ist. So wird aus der oben zitierten Passage aus Dia­log I  3 deutlich, dass die Flügel des Sperlings und damit auch die Flügel des Herzens der Wille und der Intellekt sind, die im Aktaion-Sonett im Bild der Jagdhunde wiederaufgenommen werden. In der Wiederholung der Sprachbilder »[es] erhebt sich der hero­ische Leidenschaftliche, weil er die Erscheinung der göttlichen Schönheit und Güte empfangen hat, mit den Flügeln der Vernunft und des von der Vernunft gelenkten Willens zum Göttlichen und lässt die Form des niedrigen Subjekts hinter sich.« (117) i

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in Variation werden die basalen Philosopheme, wie sie insbesondere in den beiden Dia­logen De la causa, principio et uno und De l’infinito, universo et mondi verhandelt werden – die Analogisierung von absolutem Sein, von Natur und von allem Einzelseiendem, das Konzept der Unendlichkeit, das in unterschiedlicher Weise von Sein, Natur und Einzelnem sich realisiert, die Vorstellung, dass nur im permanenten Wechsel (›trasmutazine‹ und ›vicissitudine‹) alles Einzelseienden das absolute Eine potentiell ›eingeholt‹ wird –, reflektiert, durchaus im brunianischen Verständnis ›gespiegelt‹ und als ›Schatten‹ sichtbar. Es sind die (Sprach)Bilder, die in ihren unendlich vielen Wandlungen eine Anschauung vermitteln von der Ausfaltung des Einen im Universum und die jeweils einstehen für das Einzelseiende. Und es ist die Textur, die tessitura, die ihrerseits der Teilhabe des Einzelseienden am Universum und am ins Universum ausgefalteten Einen eine ›Ähnlichkeit‹ gibt, indem sie durch steten Wechsel der Perspektivierung ›alles mit allem‹ verbindet und damit gerade in der Vielheit der Modellierungsmodalitäten eine Einheit des Werkes intendiert. Die vorstehenden Beobachtungen bleiben freilich unvollständig ohne hinreichend genaue Bestimmung der ›modellierenden‹ In­ stanz. Denn – so das bisherige Ergebnis – die strukturelle Analogie der Textur der Eroici furori zu den in ihr zur Darstellung gebrachten metaphysischen und epistemischen Theoremen verdankt sich einem Ingenium, das im Spiegel des Universums teilhat am Einen und dies mittels der species intelligibiles, der Begriffe, die im menschlichen Geist partizipativ gebildet werden und die zugleich der menschliche Geist sich selbst bildet. Die Frage, die sich stellt, ist folgende: Ist Poietik und Poetologie der Eroici furori – und in anderer Weise auch des Spaccio und der Cena – nurmehr die logische Konsequenz der brunianischen Ontologie und Epistemologie oder verhält es sich gerade umgekehrt – am Anfang stünde eine allen metaphysischen Spekulationen vorgängige Poietik? Die Frage wird nicht eindeutig zu beantworten sein, doch folgendes ist zu sehen: Die seiner Poietik zugrunde liegende Bildgebungs- und Zeichentheorie formuliert Bruno insbesondere in seinem ersten und in seinem letzten von ihm besorgten Werk: in De umbris idearum und in De imaginum, signorum et idearum compositione.65 Die Reflexion Praeliminaria  |  31

über die Bilder umschließt nicht nur sein philosophisches Werk, sie ist vielmehr dessen Fundament, sie hat selbst philosophischen Anspruch66 . Demnach begründete nicht die Ontologie die Zeichen­ theo­rie, vielmehr ermöglichte die Zeichentheorie allererst die Ontologie. Das ›Denken in Bildern‹, wie Bruno selbst seine Zeichen- und Bildgebungstheorie, seine ihm eigene ars memoriae, benennt, wäre somit nicht Folge der spezifisch brunianischen Ontologie und Epis­ temologie, es wäre deren Voraussetzung, ja Basis. In diesem Sinne wären Sprache und Struktur der drei sog. ›moralischen‹ Dia­loge – des Spaccio, der Cabala, der Eroici furori –, wären ihre eigenwillige Komposition und überraschende Bildlichkeit Träger und Ausdruck der nolana filosofia, die sich als nova filosofia versteht. Dies zu fundieren, ist es nützlich, noch einmal auf die Figur des Aktaion, allgemeiner den Intellekt zurückzukommen: Der durch den Willen angetriebene Intellekt intendiert, sich dem Einen, Göttlichen anzunähern, und er vollzieht die immer neuen und differenten Annäherungen in einer unendlichen Bewegung. Diese als »moto metafisico«67 ontologisch begründete Bewegung des hero­ ischen Intellekts hat aber die Qualität dessen, was Bruno in De ima­ ginum compositione 68 als Phantasie bezeichnet: ›intelligere nostrum (id est operationes nostri intellectus) aut est phantasia aut non sine phantasia‹, rursum: ›non intelligimus, nisi phantasmata speculemur‹. 69, i

Denken – so die Aussage – ist Vorstellen, ist Imaginieren, ist Denken in Bildern: Hoc est quod non in simplicitate quadàm, statu et unitate, sed in compositione, collatione, terminorum pluralitate, mediante discursu atque reflexione comprehendimus.ii De imaginum, signorum et idearum compositione, in: Opera latine conscripta, II/3, S. 91, Z. 13–16. (Übers.: »unser Erkennen [i. e. die Tätigkeiten unseres Intellekts] vollzieht sich entweder mittels der Phantasie oder doch nicht ohne Phantasie; mithin: ›wir erkennen nur durch/in Phantasmata‹ [= in Bildern].«). ii De imaginum compositione II /3, S. 91, Z. 16–19. (Übersetzung: »Dies ist der Grund, weshalb wir nicht auf eine wie immer geartete einfache, ein für allemal feststehende und einheitliche Weise, vielmehr aufgrund von komplexen Fügungen, Zusammenstellungen und durch eine Vielheit der Begriffe diskursiv und reflexiv verstehen.«) i

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Das Denken ist ein phantasmatischer Prozess – »phantasmata speculemur« –, mittels dessen das endliche menschliche Denkvermögen sich seinem Objekt, dem Einen, Unendlichen, Absoluten annähert. Denn nur in diesem phantasmatischen Prozess, der ja nichts anderes ist als das fortgesetzte Entwerfen von Bildern und Zeichen, vermag das Denken die Natur, das Universum zu erfassen, zugleich ex negativo eine Vorstellung zu gewinnen vom unvorstellbaren Einen. Denn die »Verfertigung von Bildern, Zeichen und Ideen« ist »eine universale, alle Seinsformen betreffende Tätigkeit (opus)«70 – wie Bruno gleich eingangs seiner Abhandlung herausstellt: Idea, imaginatio, adsimulatio, configuratio, designatio, notatio est universum Dei, naturae et rationis opus, et penes istorum analogiam est ut divinam actionem admirabiliter natura referat, naturae sub­ inde operationem humanum (quasi et altiora praetentans) aemuletur ingenium.i

Die göttliche, die natürliche und die menschliche Welt stehen daher auch in der Verfertigung von Bildern, Zeichen und Ideen in einem Verhältnis der Ähnlichkeit und zugleich der Teilhabe zueinander. Die göttliche Tätigkeit (actio divina) konstituiert das Sein in seiner urbildlichen, idealen Form; die Natur bezieht sich (referat) auf das göttliche Sein; und das menschliche Ingenium ahmt seinerseits die Natur nach, ja es ›konkurriert‹ in wörtlichem Sinne mit ihr, insofern es »zu Höherem strebt«71. Und das bedeutet: Das menschliche Ingenium partizipiert nicht nur an der Natur, vielmehr ist es in gewisser Weise der Natur überlegen, insofern es prätendiert72 , unmittelbar am göttlichen Sein teilzuhaben, das göttliche Sein zu erfassen. Voraussetzung ist die prinzipielle Gleichheit in der Ungleichheit zwischen den drei Welten und ihrer jeweiligen Effektuierung73 . Dies aber hebt die gleichermaßen prinzipielle Differenz nicht auf: Weil nämlich nur die göttliche Welt (universum Dei) vollkommen ist, insofern sie alles ist, was sie sein kann, und dies wiederum auf unDe imaginum compositione II/3, S. 89, Z. 20 – S. 90, Z. 4. (Übersetzung: »Die Idee, die Imagination, die ›Anähnlichung‹, die Konfiguration, die Desig­ nation, die Notation ist das Werk Gottes, der Natur und der Vernunft, und sie stehen im Verhältnis folgender Analogie zueinander: die Natur stellt auf wunderbare Weise das göttliche Handeln vor, das Ingenium des Menschen hingegen eifert (gleichsam Höheres erstrebend) der Vollzugsform der Natur nach.«). i

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endliche Weise, die menschliche Welt und damit auch das Ingenium nicht alles das ist, was es sein kann, bleibt letzterem allein die Möglichkeit, in einer unendlichen Bewegung der Annäherung an die göttliche Welt Vollkommenheit zu prätendieren. Die Prätention ist gerechtfertigt durch die ontologische Grundstruktur, die Bruno in De imaginum compositione noch einmal darlegt74 in der Absicht, sie ausdrücklich für das imaginative Potential des menschlichen Geistes und die wiederum davon abgeleitete Zeichentheorie fruchtbar zu machen. Und das heißt: de potentia vermag der menschliche Intellekt dank seines ontologischen Status das absolute Eine zu repräsentieren – und dies mittels der Bilder und Zeichen, die er in partizipierender Ähnlichkeit zur göttlichen idea und zum vestigium idearum der Natur als umbra idearum entwirft75. Es sind jene Vorstellungsbilder, mentale Akte, mit denen in den Eroici furori der furioso, repräsentiert durch die Figur des Aktaion, das Universum, repräsentiert durch die Figur der Diana, erfasst und zugleich entwirft und die mit dem Begriff der specie intelligibili gekennzeichnet sind76 . Was allerdings in den Eroici furori nurmehr mit dem Begriff der specie intelligibili epistemologisch77 gekennzeichnet ist, ist in eben diesem Werk bereits in einer Weise poietische Praxis78 geworden, die erst in De imaginum compositione systematisch erörtert wird. Vorausgenommen sind deren bildtheoretische Reflexionen allerdings schon in dem ausnehmend langen Kommentar zur Blindheit des fünften Blinden im vierten Dia­log des Zweiten Teils. Die Blindheit des fünften Blinden ist bedingt durch die »Unverhältnismäßigkeit der Mittel unserer Erkenntnis dem Erkennbaren«79 gegenüber. Die Dia­logfigur Severino weist daraufhin, dass zur Betrachtung der göttlichen Dinge die Augen geöffnet werden müssen durch Figuren und Gleichnisse, die die Peripatetiker Phantasmen nennen.80 Da die göttlichen Dinge nicht unmittelbar erkannt werden können, bedarf es der Vermittlung, die wiederum nurmehr ex negativo möglich und wirklich wird: […] credere vogliamo che la più alta e profonda cognizion de cose divine sia per negazione e non per affirmazione, conoscendo che la divina beltà e bontà non sia quello che può cader e cade sotto il nostro concetto: ma quello che è oltre et oltre incomprensibile; massime in questo stato detto »speculator de fantasmi« dal filosofo, e dal teologo »vision per similitudine speculare et enigma«; perché veggiamo non 34  |  Praeliminaria

gli effetti veramente, e le vere specie de le cose, o la sustanza de le idee, ma le ombre, vestigii e simulacri de quelle […] (368)i

In Differenz zur zitierten Stelle aus Paulus an die Korinther81 und damit in Differenz zur christlichen Theologie eröffnet sich dem furioso nicht die Möglichkeit, Gott im Jenseits zu schauen, er bleibt auf das Diesseits verwiesen und damit auf die Wahrnehmung der Spuren und Simulakren des Göttlichen mittels der Bilder, der Phantasmen, die seine Einbildungskraft hervorbringt. Wie in einem Brennspiegel werden die basalen Konzepte aus De umbris und aus De imaginum compositione ›gebündelt‹ und die erkenntnistheoretisch komplementär-gegenwendigen Begriffe der Spur und des Schattens zusammengeführt im Begriff des Phantasmas. Das Phantasma, Ausdruck des bildschöpferischen Vermögens, vermittelt zwischen Wahrnehmungsfähigkeit und wahrzunehmendem Objekt (»il mezzo over intermedio tra la potenza visiva e l’oggetto« [368]). Ihm kommt damit die Funktion zu, die bislang den species intelligibiles zugeordnet war. Hierin allerdings einen erkenntnistheoretischen Paradigmenwechsel von intellectus zu phantasia zu sehen, verbietet sich schon deshalb, weil auch der Intellekt zur Hervorbringung der mentalen Bilder, der species intelligibiles, auf den Willen als Motor angewiesen ist, um in immer neuen und wechselnden Bewegungen sich dem Einen, Absoluten, Wahren so weit wie möglich anzunähern. Einmal mehr wird diese für den eroe spezifische Korrelation von Intellekt und Wille in Fortsetzung der Aktaion-Figuration thema­tisiert: Essendo l’intelletto divenuto all’apprension d’una certa e definita forma intelligibile, e la volontà all’affezzione commensurata a tale apprensione, l’intelletto non si ferma là: perché dal proprio lume è promosso a pensare a quello che contiene in sé ogni geno de l’intelligibile et appetibile, sin che vegna ad apprendere con l’intelletto l’eminenza del fonte de l’idee, oceano d’ogni verità e bontade. (128)ii »[…] wir wollen davon ausgehen, dass die höchste und tiefste Erkenntnis göttlicher Dinge durch Verneinung und nicht durch Bestätigung gelingt, indem man also erkennt, dass die göttliche Schönheit und Güte nicht das ist, was in unsere Begrifflichkeit fällt und fallen kann, sondern das, was bei weitem über unser Fassungsvermögen hinausgeht, ganz besonders in jenem Zustand, den die Philosophen als ›Denken in Phantasmen‹ und die Theologen als ›Schau im Spiegel der Gleichnisse und Rätsel‹ bezeichnen.« (369) ii »Wenn die Vernunft eine bestimmte, definierte und intelligible Form eri

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Die Annäherung des endlichen Intellekts an das unendliche Eine und Absolute vollzieht sich notwendigerweise in unendlich vielen mentalen Bildern, species intelligibiles oder phantasmata, ohne dass je der »Ozean aller Wahrheit und Güte« ausgeschöpft würde. Unmittelbare materiale Manifestation der unendlichen Bewegung des endlichen Intellekts sind aber die Eroici furori, ihre Verfahren und ästhetische Figuration. Als Ausdruck der unendlichen Bewegung des Denkens in Bildern haben sie teil am »moto metafisico«82 und ermöglichen ihn zugleich: als Text bzw. als tessitura. Soviel sollte bislang deutlich werden: Die spezifische Poetizität der Eroici furori ist in der nolana filosofia begründet wie umgekehrt die Poetizität der Eroici furori die nolana filosofia erst sichtbar macht. Die Exuberanz der Bilder, die Vielfalt der literarischen Formen und die Wiederholung in Variation der Strukturen sind nicht Selbstzweck, vielmehr generieren sie eine Textur, deren Dickicht zu durchdringen dem Leser dieselbe Mühe abverlangt wie dem furioso der Weg zur Erkenntnis des Göttlichen in Gestalt der Diana. Denn Dichtung und Philosophie sind gleichursprünglich, und es sollte nach dem bislang Gesagten nicht erstaunen, wenn die der Dichtung zugrunde liegende Bildtheorie die Philosophie erst ermöglicht hätte. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Hermeneutik auf den Kopf gestellt würde. Denn es gilt nach wie vor Folgendes: Die Eroici furori sind ein philosophischer Text, und sie sind zugleich ein poetischer Text. Die spezifische Ästhetik und Poietik des als Dia­log gestalteten Textes zu erkennen und in ihrer Funktion zu bestimmen, ist es notwendig, die in ihm verhandelten Philosopheme auszuweisen. Die Ontologie, die insbesondere in den beiden Dia­logen De la causa, principio et uno und De l’infinito, universo et mondi formuliert ist, wird in den Eroici furori epistemologisch reflektiert und ästhetischpoietisch zur Anschauung gebracht. Doch gleichermaßen gilt, dass die spezifische brunianische Ontologie, Epistemologie und Anthro­ po­lo­gie, wie sie insbesondere in den italienischen Dia­logen und a fortiori in den Eroici furori reflektiert werden, sich erst über die kannt hat und der Wille die jener Erkenntnis entsprechende Zuneigung ent­ wickelt hat, bleibt die Vernunft doch nicht stehen, denn das eigene Licht treibt sie, an das zu denken, was jegliche Art von Erkennbarem und Erstrebenswertem in sich beinhaltet, solange bis sie die erhabene Quelle der Ideen, den Ozean aller Wahrheit und Güte erfasst hat.« (129) 36  |  Praeliminaria

den Dia­logen eignende Sprache und Struktur, ihre Zeichen und Figuren erschließt. Das setzt die Behauptung einer Analogie der drei Bereiche der Ontologie, der Epistemologie und der Poetologie voraus und impliziert, dass das menschliche Vermögen schöpferisch hervorbringt, woran es seinshaft partizipiert. In diesem Verständnis macht bereits die dezidiert poetische Struktur der Eroici furori deutlich, dass gerade das schöpferische Vermögen poietisch ausstellt, was epistemologisch verhandelt wird. Deutlicher noch: Die Poietik der Eroici furori ist geradezu der Garant der hero­ischen Erkenntnislehre und ihrer metaphysischen Begründung, sie verbürgt deren Wahrheit, die freilich als ästhetisch-poietische Wahrheit immer neu auszutarieren ist. Das hat Folgen für Sprache, Struktur, Genera.

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II  POIESIS. SPR ACHE – STRUK TUR – GENER A

D  

ie Eroici furori gelten formal als Dia­log – zu Recht: Es sind insgesamt zehn Dia­loge in zwei Teilen. Bruno selbst bezeichnet im »Argomento […] sopra gli eroici furori« das in Rede stehende Werk als dialogo und seine Teile als dialogi. Jeder einzelne Dia­log hat je zwei Dia­logpartner – es sind nicht immer dieselben. Indes besteht die Besonderheit der Dia­loge zunächst rein formal darin, dass die Prosapartien mit Poemen alternieren, genauer: auf Poeme Bezug nehmen bzw. zu Poemen überleiten. Es sind Sonette, auch Schweifsonette, Sestinen und eine Kanzone – Bruno bezeichnet sie im Argomento als articoli83 , als ›Glieder‹, und macht damit deutlich, dass jeder einzelne articolo in seiner Bedeutung für sich steht. Und doch bilden die einzelnen articoli nur in ihrer Folge einen Text, weben sie jene tessitura, die den Sinn der Eroici furori generiert. So sind sie die sinnbildenden Elemente im engeren Sinn; ihre Evidenz gewinnen sie aus ihrer poetischen Form, der Form des Sonetts; sie geben den eroici furori Ausdruck und Anschauung – in potentiell unendlich vielen Variationen. Die Strophenformen und das Thema, die Liebe, wenngleich die hero­ische, haben denn auch zu der Annahme geführt, die Eroici furori seien ursprünglich ein Canzoniere gewesen, dem die Prosapartien nurmehr hinzugefügt seien.84 Auch wenn diese Annahme aus guten Gründen keine Fortüne hatte, wird man die Eroici furori zumindest im Kontext des Petrarkismus diskutieren müssen nicht anders als sie in die Tradition der Impresenkunst und der Emblematik zu stellen sind. Allerdings wird es sich zeigen, dass der Verweis auf verschiedene literarische Formen und Gattungen keine eindeutige Zuweisung zu diesen Gattungen und Formen erlaubt. Denn für die Litterae gilt dasselbe nolanische Gesetz wie für Erkenntnis und Moral: die Aufnahme der Tradition und ihre Reform durch Transformation. Die Besonderheit der Eroici furori beruht nun darin, dass die Reform der Erkenntnis und der Moral nurmehr möglich wird durch einen Text, der die Reform ästhetisch-poietisch 38  | 

selbst vollzieht, mithin seinerseits ›reformiert‹ ist. Denn nur eine ›reformierte‹ Ästhetik und Poietik vermag unmittelbarer Ausdruck der nolana filosofia, einer nova filosofia, zu sein bzw. diese erst zu rechtfertigen. Das gilt nicht anders für den Gesamtaufbau der Eroici furori, den ihnen zugrunde liegenden Kompositionsplan. Aus heuristischen Gründen ist es geboten, die differenten literarästhetischen, auch generischen Merkmale des Textes in ihrer jeweiligen Besonderheit zu beschreiben und in ihrer Funktion zu bestimmen. Voraussetzung ist die Kenntnis der Rolle, die Bruno der Dichtung im Allgemeinen, für die Eroici furori im Besonderen zumisst. Darüber gibt bereits der Beginn der Eroici furori, der erste Dia­log des Ersten Teils, Aufschluss. Tansillo spricht eingangs folgende Worte: Gli furori dumque atti più ad esser qua primieramente locati e considerati, son questi che ti pono avanti secondo l’ordine a me parso più conveniente. (42)

Leidenschaften also, denen es zukommt, an erster Stelle ›bedacht‹ zu werden, stellt Tansillo seinem ›interlocutore‹ Cicada in der Folge vor – »secondo l’ordine a me parso più conveniente«, mithin in einer Ordnung, die ihm am meisten angemessen zu sein scheint. Die Konvenienz der Ordnung – so das Raffinement der Formulierung – ist eine zweifache und wechselseitige: Sie ist sowohl dem Gegenstand, den furori, geschuldet als auch dem, der ihn ›in Betracht zieht‹ und in Sprache ›vor Augen stellt‹. Und das heißt: Was auch immer in der Folge über die furori gesagt wird, wird in einer dem Objekt und zugleich dem Subjekt konvenienten Ordnung und Sprache vorgetragen.85 Mit der Aussage »son questi che ti pono avanti« wird sodann das die gesamten Eroici furori kennzeichnende Verfahren benannt: das Verfahren des Vor-Augen-Stellens, mithin der Ekphrasis. Die Intention – so wird damit gleich aus dem ersten Satz deutlich – ist Anschaulichkeit, Unmittelbarkeit der Darstellung, ist Simulation von Präsenz durch Repräsentation in Bildern. Der Grund liegt im Gegenstand, in den furori, die das erste Wort der Aussage überhaupt sind.86 Es sind Leidenschaften – so wird in der Folge näher ausgeführt werden –, die auf das absolute Eine und dessen Erkenntnis hinzielen, in nie nachlassendem Bemühen, Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  39

in unendlicher Anstrengung – zugleich im Bewusstsein, dass dies, wenn überhaupt, nurmehr mediatisiert möglich ist: im ›Schatten‹ der Natur bzw. des Universums und im ›Spiegel‹ der Sprache, der Dichtung. Der Rang der Sprache als Medium des Intellekts bzw. des Ingeniums und die Rolle der Dichtung, näherhin der poetischen Darstellung, wird denn auch gleich mit dem ersten Wort des ersten Sonetts der Eroici furori explizit deutlich. Nicht die furori werden, wie nach dem Eingangssatz zu erwarten, als erste genannt und als solche thematisiert, vielmehr folgt unmittelbar ein Musenanruf in Form eines Sonetts: Muse che tante volte ributtai, importune correte a’ miei dolori, per consolarmi sole ne’ miei guai con tai versi, tai rime e tai furori, con quali ad altri vi mostraste mai, che de mirti si vantan et allori;   or sia appo voi mia aura, àncora e porto, se non mi lice altrov’ ir a diporto.   O monte, o dive, o fonte, ov’abito, converso e mi nodrisco; dove quieto imparo et imbellisco;   alzo, avviv’, orno il cor, il spirto e fronte: morte, cipressi, inferni cangiate in vita, in lauri, in astri eterni. (42)i

Der Sprecher des Sonetts ist der furioso, der eroe. Die Musen, die er anruft, hat er in der Vergangenheit immer wieder von sich gewiesen; nun sollen sie ihm in seinem Leid Trost spenden mit Versen, Reimen und Leidenschaften, wie sie sie bislang keinem anderen gewährten. In asyndetischer Reihung haben versi, rime, furori gleiche Valenz und gehören als solche zusammen, sie bilden eine Kombina»Musen, die so häufig ich zurückgestoßen, / aufdringlich laufet ihr herbei in meinem Schmerz, / um als einzige in meinem Elend mich zu trösten / mit solchen Versen, Reimen, Leidenschaften, / mit denen ihr euch andern niemals zeigt, / die sich der Myrte und des Lorbeers rühmen. / Nun sei bei euch mir Windhauch, Anker, Hafen, / wenn anderswo mir Atempausen nicht vergönnt sind. / Oh Berg, oh Göttinnen, oh Quell, / wo ich Wohnung, Umgang, Nahrung finde, / wo Ruh’ ich halte, lerne, schöner werde, / hier erheb’, beleb’ und schmück’ ich Herz, Geist, Stirn: / Tod, Zypressen, Höllen / verwandelt ihr in Leben, Lorbeer, ewige Sterne.« (43) i

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tionsfolge, die in Variation im zweiten Terzett aufgenommen wird: Die ihrerseits asyndetische ternäre Reihe der Verben und Substantiva, näherhin Prädikate und Objekte, in der zwölften Zeile nimmt mit alzo […] il cor und avvivo […] il spirto Bezug auf furori, mit orno […] [sc. il] fronte auf versi und rime, um in der letzten Zeile die erstrebte Metamorphose vom Tod – morte, cipressi, inferni – in das ewige Leben nicht allein den furori, vielmehr zugleich den versi und rime zuzuschreiben: der Tod soll sich in Leben, die Hölle bzw. die Unterwelt in ewige Gestirne, die Zypressen in Lorbeer verwandeln. Daraus wird deutlich: Die Leidenschaften sind mit der Dichtung, die ihnen Ausdruck gibt, unverbrüchlich verbunden; alle Wörter und Bilder des ersten Sonetts sind semantisch entweder den furori oder den versi und rime zuzuordnen, und versi und rime sind auf furori bezogen und umgekehrt. Die Interrelation zwischen den furori und der sie zur Vorstellung bringenden Dichtung hebt der Kommentar des Sonetts – Cicada spricht – noch einmal hervor, indem er dem furioso die folgenden Worte beilegt: »O monte« Parnaso dove »abito«, Muse con le quali »converso«, »fonte« eliconio o altro dove mi »nodrisco«: monte che mi doni quieto alloggiamento, Muse che m’inspirate profonda dottrina, fonte che mi fai ripolito e terso; monte dove ascendendo »inalzo« il core; Muse con le quali versando »avvivo« il »spirito«; fonte sotto li cui arbori poggiando adorno la »fronte«; »cangiate« la mia »morte« in »vita«, gli miei »cipressi« in »lauri«, e gli miei »inferni« in cieli: cioè destinatemi immortale, fatemi poeta, rendetemi illustre, mentre canto di morte, cipressi et inferni. (50)i

In der Bildlichkeit des Musenanrufs und seinem üblichen Apparatus – der Berg Parnassus, die Quelle am Fuße des Helicon – ist nicht allein eine Poetologie formuliert, vielmehr zugleich die den Eroici furori zugrunde liegende Metaphysik. Es sind die Musen, die tiefe »Oh Berg Parnassus, wo ich Wohnung finde, Musen, mit denen ich Um­ gang pflege, Quell Helikon (oder ein anderer), an dem ich Nahrung finde; Berg, der du mir ruhige Heimstatt schenkst, Musen, die ihr mir tiefe Lehre eingebt, Quell, der du mich rein und klar machst; Berg, den hinaufsteigend ich mein Herz erhebe, Musen deren Gesellschaft meinen Geist belebt, Quell, unter dessen Bäumen kauernd ich meine Stirn schmücke: Verwandelt meinen Tod in Leben, meine Zypressen in Lorbeer und meine Höllen in Himmel; bestimmt mich also für die Unsterblichkeit, macht mich zum Dichter, lasst mich berühmt werden, während ich von Tod, Zypressen und Höllen singe.« (51) i

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Gelehrsamkeit eingeben, ineins den Geist beleben sollen, zudem jene im Bild des Aktaion verhandelte conversio herbeiführen, die hier nur erst mit dem Begriff des cambiamento – »cangiate la mia morte in vita« – bezeichnet ist87. Deutlicher noch wird die Referenz auf das Aktaion-Sonett im zweiten Poem des ersten Dia­logs: Ein enger Zusammenhang, ja die Übereinstimmung von »muse« und »pensieri«, Erkenntnis und schöpferischer Einbildungskraft, von phantasia und cognitio wird postuliert: In luogo e forma di Parnaso ho ’l core, dove per scampo mio convien ch’ io monte; son mie muse i pensier ch’a tutte l’ore mi fan presenti le bellezze conte; onde sovente versan gli occhi fore lacrime molte, ho l’Eliconio fonte: per tai montagne, per tai ninfe et acqui, com’ ha piaciut’ al ciel poeta nacqui.   Or non alcun de reggi, non favorevol man d’imperatore, non sommo sacerdot’ e gran pastore mi dien tai grazie, onori e privileggi;   ma di lauro m’infronde mio cor, gli miei pensieri, e le mie onde. (50/52)i

Was im ersten Sonett, dem Musenanruf, nurmehr angedeutet wurde, wird in der Folge evident: Die Musen des furioso sind seine eigenen Gedanken – eine Inversion konventioneller Musenauffassung hat statt. Der musengegebene Enthusiasmos, traditionell verstanden als äußere göttliche Einwirkung, ist in die Gedanken, die pensieri, jenen vom Willen angespornten Intellekt, verlegt. Denn in der für die Schreibweise Brunos typischen Manier ist in Begriff und Sache der pensieri die oben analysierte Aktaion-Figuration im vierten Dia­log »An Statt und in Gestalt des Bergs Parnassus habe ich mein Herz, / das, um Rettung zu erlangen, ich besteigen muss. / Meine Musen sind jene Gedanken, die zu jeder Stunde / mir erlesne Schönheiten vergegenwärtigen. / Wo aus den Augen häufig / viele Tränen fließen, ist mein Quell des Helikon: / Kraft solcher Gipfel, Nymphen, Wasser / bin, wie dem Himmel es gefiel, als Dichter ich geboren. / Nicht ein einziger der Könige, / nicht gnadenvolle Herrscherhand, / nicht der höchste Priester und kein Oberhirte / könnte mir solche Gnaden, Ehren, Privilegien schenken; / indes bekränzen mich mit Lorbeer / mein Herz, meine Gedanken, meine Tränenströme.« (51 /53) i

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des Ersten Teils vorweggenommen: dort sind die pensieri die cani88 , »i mastini e i veltri«, ihrerseits Bilder für intelletto und voluntade, wobei wiederum voluntade mit amore gleichgesetzt wird89; hier sind »gli miei pensieri« mit dem Herzen (»mio cor«) und »le mie onde«, Bild für die stets tränenden Augen, in Relation gebracht, ihrerseits wiederum Bild für den Intellekt und den Willen. Die Augen und das Herz sind immer wiederkehrende Figurationen des Intellekts und des Willens90 , der Vernunft und des Gefühls, von amor und cognitio, wie anderseits Intellekt und Willen, Vernunft und Gefühl in immer neuen Figurationen wie den Augen und dem Herz oder den Waldestieren Ausdruck finden. So werden bereits in den ersten beiden Sonetten und den die Sonette kommentierenden Dia­logen Bilder und Konzepte aufgerufen, die in immer neuen Variationen und Konstellationen das selbige Thema zur Vorstellung bringen. Abgesehen von der spezifischen Bildlichkeit, auf die zurückzukommen ist, ist die Aussage von Anbeginn eindeutig, ist das Signal gleich eingangs der Eroici furori stark: Der Intellekt des Heros ist aus eigenem Antrieb tätig, er ist – hierin der Weltseele analog – sein eigener Ursprung und seine eigene Ursache, und er ist derjenige, der den Heros zum Dichter macht und den Dichter zum Heros: »[…] di lauro m’ infronde / mio cor, gli miei pensieri e le mie onde.« (52) Der vom Willen getriebene Intellekt ist schöpferisch, ist poietisch tätig. Die Bildlichkeit der beiden ersten Sonette und die durch sie zur Vorstellung gebrachte Bedeutung – »son mie muse i pensier« – erschließen sich nicht ohne Kommentar. Allerdings besteht die Funktion der kommentierenden Dia­loge keineswegs darin, die Poeme – diese und alle folgenden – zu erläutern und miteinander zu verbinden, aufeinander zu beziehen. Vielmehr sind die Poeme unmittelbarer bildlicher Ausdruck der nolana filosofia, die die kommentierenden Dia­loge noch einmal darlegen. Die Poeme selbst, ihre ihnen jeweils eigenen (Sprach)Bilder sind die Phantasmata, in denen und durch die das Denken sich artikuliert. Deutlicher noch: Die (Sprach) Bilder, die Imagines und Signa, ermöglichen ein Denken, eine Philosophie, die als nolana filosofia Eigensinn beansprucht, der wiederum einer eigenen poetischen Sprache bedarf. Dies ist der Grund, weshalb von Anbeginn der Eroici furori die hero­ischen Leidenschaften und die Musen aufeinander verwiesen sind, weshalb der Heros, der sich den »philosophischen Studien« verpflichtet fühlte, schließPoiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  43

lich die Einladung der Musen annimmt: »[…] accettasse l’invito di costoro [sc. de le Muse]« (44). Die herausragende Bedeutung der dichterischen Tätigkeit, im Ganzen der Poiesis für die Eroici furori wird bereits aus dieser kleinen, nur scheinbar beiläufigen Fügung deutlich. Zusammen mit der Adhortatio der Musen zu Beginn des ersten Sonetts – »Muse […] correte a’ miei dolori / per consolarmi sole ne’ miei guai« – spielt sie offensichtlich auf De consolatione phi­ losophiae des Boethius an. Auch dort werden die Musen eingangs in einer elegia flebilis als Trösterinnen in hoher Bedrängnis angerufen91. Allerdings sind sie hier dem Sprecher – Boethius – willkommen – »Solantur maesti nunc mea fata senis« –, während sie von der Philosophia als ›Theaterhuren‹, als »scenicae meretriculae«, tituliert und verjagt werden. Das hindert nicht, dass der Text der Consola­ tio philosophiae, ein dialogischer Monolog, ein in höchstem Maße poetischer Text ist, wobei ganz wie im Falle der Eroici furori Poesie und Prosa, Gedicht und kommentierende Reflexion, in wechselndem Bezug zueinander stehen.92 So könnte also die Apostrophe der Musen als Trösterinnen im Leid nahelegen, in Boethius’ Consolatio philosophiae das formale wie konzeptionelle Modell der Eroici furori zu sehen. Indes gibt es bei aller Übereinstimmung in der Form93 einen ebenso minimen wie belangvollen Unterschied in der Konzeption. Während in der Consolatio philosophiae die Philosophie die Musen vertreibt, um deren Stelle einzunehmen, werden in den Eroici furori die Musen dem Heros zu Trösterinnen, obgleich – wie es heißt – »er sich zu philosophischen Studien verpflichtet fühlte, die, auch wenn sie nicht reifer sind, den Musen als deren Eltern vorangehen müssen«94; doch: »Al fine nel maggior fervor de fastidi nelli quali incorse, è avvenuto che non avend’altronde da consolarsi, accettasse l’invito di costoro […].« (44)i Die Musen gewinnen die Oberhand über die Philosophie. Die jeweils unterschiedliche Stellung der Philosophie hat Folgen für die Funktion der Poesie – und genau dies zu zeigen, ist Absicht der Anspielung, des impliziten Zitats. Das Sprecher-Ich der Consolatio gelangt dank der Maieutik der Figur der Philosophia allmählich zu der Einsicht, dass das höchste Ziel, zugleich das wahre Glück des Menschen im Erreichen, ja im »Zuletzt, als der ihm bereitete Verdruss seinen Höhepunkt erreicht hatte, geschah es, dass er, da er nichts anderes hatte, um sich zu trösten, die Einladung der Musen annahm […].« (45) i

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Besitz des höchsten, des vollkommenen Guten besteht, das wiederum identisch ist mit dem Einen, dem Unum. Diese Einsicht nicht nur im Argument herbeizuführen, vielmehr zugleich in der Bildlichkeit der Sprache zu evidenzieren, ist insbesondere die Aufgabe der den monologischen Dia­log rhythmisierenden carmina. Damit tritt die Dichtung in den Dienst der Philosophie.95 Anders verhält es sich mit den Eroici furori: Der Heros nimmt die Einladung der Musen nicht nur an, sondern lässt sich von ihnen »trunken machen mit Leidenschaften, Versen und Reimen« – »[…] son dette inebriarlo de tai furori, versi e rime […]« (44). In der wiederholten Aufnahme der asyndetischen Reihe furori, versi e rime – so sahen wir – wird deutlich, dass Dichtung und Philosophie gleichursprünglich sind – im Ich des furioso: »son mie muse i pensier ch’a tutte l’ore / mi fan presenti le bellezze conte; […]« (50) Die Folge der Gleichursprünglichkeit von Dichtung und Philosophie ist, dass sich das in Rede stehende, mithin das das Werk schreibende Ich nicht allein von den Musen umworben sieht, sondern in herausragender Weise ausgezeichnet ist: wie ihm zeigten sie sich den anderen nicht: »son dette inebriarlo de tai furori, versi e rime con quali non si mostraro ad altri.«96 Die besondere Auszeichnung ist der Grund dafür, dass das Werk »mehr glänzt durch Erfindung als durch Nachahmung«: »perché in quest’opra più riluce d’invenzione che d’imitazione« (44)97 Demgemäß ist der Kommentar, der sich in der Folge auf einzelne Zeilen des Sonetts bezieht, eine harsche Abrechnung mit der Regelpoetik98 und eine vehemente Verteidigung des dichterischen Ingeniums: Ausgangspunkt ist die Bezugnahme auf die im Sonett erwähnten »mirti« und »allori«, die Myrte und den Lorbeer, die metaphorisch für die seinerzeit kanonisierten Gattungen der Liebeslyrik und des Heldenepos einstehen. Gegen eine Restriktion des generischen Kanons verteidigt Tansillo – durchaus im Einklang mit Cicada – die Vielfalt der literarischen Gattungen: Però corone a’ poeti non si fanno solamente de mirti e lauri: ma anco de pampino per versi fescennini, d’edera per baccanali, d’oliva per sacrifici e leggi; di pioppa, olmo e spighe per l’agricoltura; de cipresso per funerali: e d’altre innumerabili per altre tante occasioni. (48)i »Dichterkränze werden nämlich nicht nur aus Myrte und Lorbeer gemacht, sondern auch aus Weinlaub für Spottlieder, aus Efeu für Bacchanale, i

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Die Begründung für diese unorthodoxe und auch leicht ironischspöttische Äußerung: […] la poesia non nasce da le regole, se non per leggerissimo accidente; ma le regole derivano da le poesie: e però tanti son geni e specie de vere regole, quanti son geni e specie de veri poeti. (46)i

Und: »[…] dico che sono e possono essere tante sorte de poeti, quante possono essere e sono maniere de sentimenti et invenzioni umane […].« Der entscheidende Gesichtspunkt ist also die Unabhängigkeit, ja Eigenständigkeit des Ingeniums: die »propria virtude et ingegno«, der Besitz einer »eigenen Muse«. Mehr noch als dies: Das Ingenium des musenbegnadeten Dichters ist jeweils einzig­ artig99, nicht anders als das des furioso, genauer: des furioso als Dichter und vice versa. Und genau hierin ist der scheinbar so unvermittelte Übergang von der die Eroici furori eröffnenden Erklärung, die furori vorstellen zu wollen, in einen Musenanruf begründet: in der Identität des furioso mit dem wahren Dichter sowie in der Identität von Gegenstand und Form, von der Rede über die eroici furori und von den eroici furori als Rede.100 Der Gegenstand der Rede ist von der Form seiner Präsentation nicht zu trennen, wie die Form der Präsentation zugleich Ausdruck des Ingeniums dessen ist, der den Gegenstand in Rede bringt. Die ungemein modern anmutende Behauptung, dass die Dichtung nicht aus den Regeln geboren werde, sondern die Regeln aus der Dichtung genommen würden, ist dann nurmehr die logische wie intendierte Folgerung der nolana filosofia, richtiger: der diese Philosophie grundierenden, ja sie erst hervorbringenden Bildtheorie. Das bedeutet nicht, dass die bildtheoretisch begründete Dichtung autonom im modernen Verständnis wäre – im Sinne einer Genieästhetik. Das bedeutet vielmehr, dass die Bilder, in denen und durch die das Denken statthat, und die Sprache, die den Bildern des aus Olivenzweigen für Opfersprüche und Gesetze, aus Zweigen von Pappel und Ulme und aus Ähren für Werke über die Landwirtschaft, aus Zypressen für Totenlieder und aus unzähligen anderen Pflanzen für ebenso viele andere Gelegenheiten.« (49) i »[…] die Dichtung entsteht nicht aus den Regeln – von gänzlich unbedeutenden Nebensächlichkeiten abgesehen –, sondern die Regeln leiten sich aus den Dichtungen ab. Deshalb gibt es so viele Gattungen und Arten wahrer Regeln, wie es Gattungen und Arten wahrer Dichter gibt.« (47) 46  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

Denkens Anschauung gibt, Ausdruck eines individuellen Ingeniums sind und a fortiori eines individuellen poietischen Ingeniums. Es sind die Bilder, die, Mittel der Erkenntnis, den discorso des eroico furioso ermöglichen und die, Mittel der Sprache, den discorso zur Erscheinung bringen und zugleich dessen Nachvollzug im Leser gewährleisten. Wie lässt sich das poetische Verfahren näherhin beschreiben? Vorab wird man den unterschiedlichen Formen der Dia­loggestaltung Rech­ nung tragen müssen, eine Verallgemeinerung ist nicht möglich. Es gibt Dia­loge, die eine Einheit bilden – so die ersten vier Dia­loge des Ersten Teils, die Dia­loge I  5 bis II  1 bzw. II  2 –, und es gibt Dia­loge, die formal je für sich stehen – das trifft für die übrigen zu. Gleichwohl bauen die einzelnen Dia­loge aufeinander auf, entwickeln sich strukturell und thematisch auseinander und gegeneinander. Daher wird es notwendig sein, die Dia­loge bzw. Dia­logeinheiten in der vom Text selbst vorgegebenen Reihenfolge zu beschreiben, ihre formalen und strukturellen Besonderheiten zu begründen, im Ganzen auf ihre Funktion für Metaphysik und Erkenntnistheorie hin zu untersuchen. De gli eroici furori  I  1–4

Die Absicht der Dia­logfigur Tansillo, zugleich Repräsentant des Nolaners, ist es, die Leidenschaften in einer konvenienten Ordnung vorzustellen – »secondo l’ordine a me parso più conveniente«. Die ersten vier Dia­loge beschreiben den Weg, den der furioso nimmt, bestimmen die furori in ihrer Besonderheit als hero­ische. Der Modus der Beschreibung, die Bildlichkeit der Bestimmung sind einzigartig in der Literatur – nicht nur des 16. Jahrhunderts. Dafür steht gleich das erste Sonett ein, näherhin dessen Terzette:   O monte, o dive, o fonte, ov’abito, converso e mi nodrisco; dove quieto imparo ed imbellisco;   alzo, avviv’, orno il cor, il spirto e fronte: morte, cipressi, inferni cangiate in vita, in lauri, in astri eterni. (42)i i

»Oh Berg, oh Göttinnen, oh Quell, / Ort, wo ich Wohnung, Umgang, Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  47

Auffällig ist eine jeweils ternäre Reihung von Verben und Substantiven bzw. von Prädikaten und Objekten, deren Sinn sich nicht in einer horizontalen, sondern vertikalen Lektüre erschließt – derart, dass monte, abito, quieto, alzo […] il cor aufeinander zugeordnet sind nicht anders als dive, converso, imparo, avvivo […] il spirto und fonte, mi nodrisco, imbellisco, orno […] [il] fronte. Die jeweiligen Zuordnungen in der Vertikalen – zumindest gilt dies für die ersten vier Zeilen der beiden Terzette – sind Ergänzungen, Erweiterungen, Änderungen der Perspektive. Die Folge der Wörter in der Horizontalen hebt die Zuordnungen in der Vertikalen wiederum auf derart, dass jedes Wort einer Zeile jedem Wort der übrigen Zeilen zumindest als Möglichkeit zugeordnet werden kann. Die Wörter der beiden letzten Zeilen stehen jeweils in einem oppositiven Verhältnis zueinander, wobei auch hier wiederum zumindest potentiell jedes Wort des Verses morte, cipressi, inferni in jeder Wortfügung des Verses cangiate in vita, in lauri, in astri eterni eine sinngebende Entsprechung hat. Der Sinn der Terzette, in bestimmter Weise eine Fortführung der Quartette, ist bereits in tai versi, tai rime e tai furori buchstäblich ›intoniert‹: der furioso erlangt Unsterblichkeit als Dichter, nicht anders als der Dichter nurmehr als furioso ewigen Ruhm gewinnen wird. Das erste Sonett findet sodann eine Fortführung und in bestimmter Weise eine Präzisierung im zweiten Sonett: In luogo e forma di Parnaso ho ’l core, dove per scampo mio convien ch’io monte; son mie muse i pensier ch’a tutte l’ore mi fan presenti le bellezze conte; onde sovente versan gli occhi fore lacrime molte, ho l’Eliconio fonte: per tai montagne, per tai ninfe et acqui, com’ ha piaciut’ al ciel poeta nacqui. (50)i Nahrung finde, / wo Ruh’ ich halte, lerne, schöner werde, / hier erheb’, beleb’ und schmück’ ich Herz, Geist, Stirn: / Tod, Zypressen, Höllen / verwandelt ihr in Leben, Lorbeer, ewige Sterne.« (43) i »An Statt und in Gestalt des Bergs Parnassus habe ich mein Herz, / das, um Rettung zu erlangen, ich besteigen muss. / Meine Musen sind jene Gedanken, die zu jeder Stunde / mir erlesne Schönheiten vergegenwärtigen. / Wo aus den Augen häufig / viele Tränen fließen, ist mein Quell des Helikon: / Kraft solcher Gipfel, Nymphen, Wasser / bin, wie dem Himmel es gefiel, als Dichter ich geboren.« (51) 48  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

Der Berg und der Quell – so die generischen Bezeichnungen im ersten Sonett – werden hier präzisiert als Parnass und Helikon, ihrerseits Bilder für das Herz und die tränenreichen Augen, die wiederum Bilder sind für Wille und Intellekt. Wille und Intellekt aber sind jene Gedanken, die der furioso als seine Musen erachtet; im Aktaion-Sonett schickt der furioso, figuriert im Jäger, seine Gedanken, jene cani, aus, um Beute zu machen – mit der Folge, dass er selbst zu ihrer Beute wird. Die Selbstaffizierung der Gedanken, wie sie das Aktaion-Sonett ins Bild setzt, wird hier vorweggenommen in den letzten beiden Zeilen des Sonetts:   ma di lauro m’ infronde mio cor, gli miei pensieri, e le mie onde. (52)i

Die Schlussverse variieren die beiden ersten Quartette – und sie nehmen dabei in Umkehrung insbesondere deren letzte Verse auf: »per tai montagne, per tai ninfe et acqui,/ com’ ha piaciuto al ciel poeta nacqui.« Berg, Quell, Musen, Parnass, Helikon, Nymphen, Herz, Gedanken, Augen, zugleich Tränen und Wasser – dies sind die (Sprach)Bilder, die in immer neue Konstellationen treten, um auf immer neue Weise die furori des furioso zu veranschaulichen. Dabei wird von Anbeginn der Eroici furori deutlich gemacht, dass die furori Ausdruck des vom Willen angespornten Intellekts sind, spekulativ das absolute Eine, das Göttliche zu erfassen. Dies gelingt – so überhaupt – nurmehr in jener »metaphysischen Bewegung«, in der sich Intellekt und Wille des Liebenden dem »höchsten Gut« anzunähern suchen.101 Da das höchste Gut unendlich ist, ist notwendigerweise die »metaphysische Bewegung« des Intellekts und des Willens, mithin der endlichen Seele des eroe, unendlich. Liberio bringt es ins Bild, wenn er im vierten Dia­log des Zweiten Teils, dem dialogischen Widerspiel der Augen und des Herzens, im Ganzen eine Variante und Weiterführung der ersten Sonette der Eroici fu­ rori, unter anderem bemerkt: »Qua gli occhi imprimeno nel core, cioè nell’intelligenza, suscitano nella volontà un infinito tormento di suave amore, dove non è pena, perché non s’abbia quel che si desidera: ma è felicità, perché sempre vi si trova quel che si cerca; »indes bekränzen mich mit Lorbeer / mein Herz, meine Gedanken, meine Tränenströme.« (53) i

Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  49

et in tanto non vi è sazietà, per quanto sempre s’abbia appetito, e per consequenza gusto […]« (338)i, 102 Die unendliche Annäherung der endlichen Seele an das unendliche Objekt findet also in einem Denken statt, das in Zeichen und Bildern zur Vorstellung gebracht wird, mithin in einem semiotischen Erkenntnisprozess, der dem ihm zugrundeliegenden Seins- und Naturprozess analog ist, und das heißt: in Zeichen und Bildern, die in unendlich fortgesetzter Variation ihrer selbst, in einem permanenten Wechsel aller möglichen Konstellationen das absolute Eine ›einzuholen‹ intendieren, ihm ›ähnlich‹, mit ihm gar ›identisch‹ werden wollen – »wenn es denn möglich ist«, wie die Figur des Maricondo im ersten Dia­log der Zweiten Teils einräumt: […] cossì sempre varrà tentando il spirito eroico, sin tanto che non si vede inalzato al desiderio della divina bellezza in se stessa, senza similitudine, figura, imagine e specie, se sia possiblile: e più se sa arrivare a tanto. (238)ii

Die Bilder des Geistes – »specie« und »similitudine« – und die von ihm hervorgebrachten Bilder der Sprache – »figura« und »imagine« – sind zwar an Zahl beschränkt, indes sind die Möglichkeiten der Kombination der (Sprach)Bilder unendlich.103 Aus der potentiell unendlichen Kombination einer notwendigerweise beschränkten Zahl an (Sprach)Bildern gewinnen die eroici furori, der Text und die Haltung, ihre Dynamik und simulieren ein nie enden wollendes Streben, eine immerwährende Bewegung. Die Simulation der Bewegung kann allerdings keine Mimesis sein weder der Natur noch des absoluten Einen, vielmehr realisiert sie sich als Semiosis: in der spezifischen Fügung von (Sprach)Bildern, die in ihrer Selbstbezüglichkeit gleichwohl zur Natur und dem Einen in einem partizipa»Auf diese Art wirken die Augen auf das Herz, also die Vernunft, ein, sie rufen im Willen eine unendliche Qual süßer Liebe hervor, in der kein Leid herrscht, weil man nicht hat, was man sich wünscht, sondern Freude, weil man darin immer findet, was man sucht. Und dabei gibt es keine Sattheit, weil man immer Appetit hat und deshalb immer Geschmack daran findet.« (339) ii »[…] so wird der hero­ische Geist immer streben, solange er sich nicht zur Sehnsucht nach der göttlichen Schönheit selbst erhoben sieht, wo sie also nicht Gleichnis, Darstellung, Abbild und Erscheinung ist, wenn dies möglich ist, und noch höher wird der streben, wenn es ihm gelingt, so weit zu kommen.« (239) i

50  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

tiv-analogen Verhältnis steht. Die semiotische Bewegung gewinnt metaphysische Valenz. Die der unendlichen Bewegung inhärente Dynamik wird erzeugt durch strukturellen Wechsel und durch semantische Gegenstrebigkeit der Sprachfiguren. Als Semiosis der diversità und contrarietà, der vicissitudine und der varietà, der molteplicità und der metamorfosi reflektieren sie das im Universum ausgefaltete unendliche Eine in seiner unendlichen Vielheit. In diesem Verständnis thematisiert der erste Dia­log des Ersten Teils vornehmlich das absolute Sein als Ziel der hero­ischen Anstrengung; die vier bzw. sechs104 Sonette, die auf das exordiale Musen-Sonett und dessen explikativer Fortführung folgen, können in ihrer Variation der Bildlichkeit von Augen und Herz als Ausfaltung des Einen in die Vielzahl der Varianten erachtet werden, zugleich als Bestreben, das Eine aus dem Vielen zu restituieren. Das Sonett »Chiama per suon di tromb’ il capitano« (52/54) hat zum Thema den Willen – im Bild des Kapitäns –, der die Gedanken – im Bild der Krieger – zu ›konzentrieren‹ sucht, und es reflektiert dieses Thema rhetorisch und semantisch in der Rekurrenz von »un / una« und »un sol« in den beiden Terzetten. Geradezu ausgefaltet wird das Thema sodann in den nachfolgenden vier Sonetten (56–68) derart, dass auf das erste der vier letzten Sonette – »Amor, sorte, l’oggetto e gelosia« (56) – die drei folgenden Sonette Bezug nehmen, indem sie es, ganz wie die Prosapassagen, ihrerseits kommentierend ent-wickeln. Prosapassagen und Gedichte haben dieselbe Funktion: das Verständnis des ersten Sonetts zu gewährleisten, mit dem Unterschied allerdings, dass die Gedichte den Kommentar darüber hinaus poietisch evidenzieren. Hinzu kommt, dass die Ein- bzw. Ausfaltungsbewegung von einer internen semantischen Gegenwendigkeit getragen ist, die ihrerseits auf Einheit gerichtet ist. Beispiel ist jenes erste der vier letzten Sonette: Amor, sorte, l’oggetto e gelosia m’appaga, affanna, content’ e sconsola; il putto irrazional, la cieca e ria, l’alta bellezza, la mia morte sola: mi mostr’ il paradis’, il toglie via, ogni ben mi presenta, me l’invola; tanto ch’il cor, la mente, il spirto, l’alma, ha gioia, ha noia, ha refrigerio, ha salma. Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  51

  Chi mi torrà di guerra? Chi mi farà fruir mio ben in pace? Chi quel ch’annoia e quel sì mi piace ...........................................   farà lungi disgionti, per gradir le mie fiamme e gli miei fonti? (56)i

Das Sonett hat eine quaternäre Struktur: Im ersten Quartett re­spon­ dieren den vier Substantiven der ersten Zeile, den Subjekten des Satzes, vier Verben, die Prädikate, und vier erweiterte Appositionen, wobei die Appositionen zwei Verszeilen einnehmen. Die Reihung wird im zweiten Quartett durch vier weitere Prädikate, die wiederum in zwei Zeilen auf die vier Subjekte des ersten Verses Bezug nehmen, fortgeführt und in einem Konsekutivsatz, der seinerseits durch vier Subjekte und vier Prädikate in zwei Zeilen gebildet ist, erläutert. Das erste Terzett formuliert vier Fragen, wobei das Fragewort »chi« anaphorisch die drei Verszeilen einleitet; das zweite Terzett, deren erste Zeile fehlt, endet in der Benennung des Ziels: »per gradir le mie fiamme e gli miei fonti?« In der Folge wird das Sonett erläutert, Wort für Wort, Satzteil für Satzteil, in Prosakommentaren und in drei Sonetten, wobei die Sonette die vier Wörter der ersten Zeile des ersten Sonetts – amor, sorte, oggetto, gelosia – in Variation wiederaufnehmen, dabei die Dynamik ihres Kontrasts herausspielen mit dem Ziel, die vier Prinzipien amor, sorte, oggetto, gelosia und die sie bestimmenden zwei Gegensätze auf zwei Prinzipien, amor und oggetto, und einen Gegensatz zurückzuführen und schließlich diese wiederum in einem einzigen Prinzip, das den Gegensatz in sich selbst austrägt, zu vereinen:

»Liebe, Schicksal, Gegenstand und Eifersucht / sind mir Erfüllung, Qual, Befriedigung, Verzweiflung; / Knabe voll Unvernunft, das Schicksal blind und grausam, / die edle Schönheit, mein allein’ger Tod, / zeigt mir das Paradies, entzieht es mir, / macht jedes Gut mir gegenwärtig, raubt es mir wieder, / sodass Herz, Vernunft, Geist, Seele, / Freude, Unmut, Labsal, Last empfinden. / Wer wird mich aus dem Krieg befreien? / Wer wird mein Gut in Frieden mich genießen lassen? / Was mich stört und was mir so gefällt, / …. wer wird es Meilen auseinanderbringen, / um meinen Flammen, meinen Quellen wohlzutun?« (57) i

52  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

Quattro principii et estremi de due contrarietadi vuol ridurre a doi principii et una contrarietade. […] Appresso, doi principii et una contrarietade riduce ad un principio et una efficacia […] (68)i

Dem entsprechen die beiden letzten Verse des letzten Sonetts:   Non son doi dumqu: è una che fa gioconda e triste mia fortuna. (68)ii

Die quateräne Struktur des ersten der vier letzten Sonette – »Amor, sorte, l’oggetto e gelosia« (56) – ist im vierten Sonett auf eine binäre Struktur reduziert: Premi (oimé) gli altri, o mia nemica sorte; vatten via, gelosia, dal mondo fore: potran ben soli con sua diva corte far tutto nobil faccia e vago amore. Lui mi tolga de vita, lei de morte, lei me l’impenne, lui brugge il mio core; lui me l’ancide, lei ravvive l’alma; lei mio sustegno, lui mia grieve salma.   Ma che dich’io d’amore? se lui e lei son un soggetto o forma, se con medesm’ imperio et una norma fann’ un vestigio al centro del mio core?   Non son doi dumque: è una che fa gioconda e triste mia fortuna. (66/68)iii »Vier Prinzipien und Extrempunkte zweier Gegensätze will er auf zwei Prinzipien und einen Gegensatz zurückführen. […] Sodann führt er beide Prinzipien und ihren einen Gegensatz auf ein Prinzip und eine Wirkung zurück. […]« (69) ii »Es sind mithin nicht zwei, ist eines nur, / was mein Los in Freuden traurig macht.« (69) iii »Bedränge, ach, die andren, oh mein feindlich’ Schicksal, / verschwinde aus der Welt, oh Eifersucht! / Es können gut allein mit ihrem göttlichen Gefolge / das edle Antlitz und die sehnsuchtsvolle Liebe alles tun. / Die Liebe reißt vom Leben, das Antlitz mich vom Tode fort, / es lässt meinem Herzen Flügel wachsen, sie verbrennt es, / sie tötet meine Seele, es belebt sie, / es ist mein Halt, sie meine schwere Last. / Doch was soll ich von der Liebe reden? / Wenn sie und es ein Wesen sind, eine Gestalt, / wenn beide mit derselben Macht, nach einem einzigen Gesetz / eine Spur im Zentrum meines Herzens hinterlassen? / Es sind mithin nicht zwei, ist eines nur, / was mein Los in Freuden traurig macht.« (67 /69) i

Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  53

Schicksal und Eifersucht sind ausgesondert, die Liebe und ihr Objekt bleiben zurück und werden eins – ›der Jäger wird zur Jagdbeute‹. So ist zusammenfassend zu sagen: Die konzentrierte Bildlichkeit des Aktaion-Sonetts ist in Variation in der Sprachbildlichkeit insbesondere der vier letzten, von Bruno verfassten Sonette des ersten Dia­logs vorweggenommen. Im Unterschied zum konzisen AktaionBild-Sonett beruht ihre Besonderheit darin, dass die jeweilige Semantik in der Struktur der Sätze und in der Abfolge ihrer einzelnen Glieder reflektiert ist: die quaternäre Struktur des Sonetts »Amor, sorte, l’oggetto e gelosia« (56) wird – nach Zwischenstationen – im oben zitierten Sonett auf eine Zweigliedrigkeit reduziert, die insbesondere im zweiten Quartett in den rhythmisierten Satzparalle­ lismen bei chiastischer Stellung der Pronomina lui und lei ihre formale Entsprechung hat. Die chiastische Gegenwendigkeit zielt auf die Fügung eines komplementären Gegensatzes in der letzten und konkludierenden Zeile »Che fa gioconda e triste mia fortuna«. Der Gegensatz ist in der Einheit aufgehoben, die Einheit, soweit sie die Einheit des Universums ist, ist nurmehr als Gegensatz und als Vielheit möglich.105 Ganz in diesem Verständnis setzen die (Sprach)Bilder des zweiten Dia­logs die (Sprach)Bilder des ersten fort: Der eine Gegensatz, auf den die zwei Prinzipien reduziert waren106 , wird wiederum erweitert auf zwei Gegensätze.107 Denn es ist der äußerste Widerstreit der Gegensätze (»eccesso delle contrarietadi« [76]), in dem die hero­ische Leidenschaft zum Austrag kommt, insofern er der Garant ist für Bewegung, Verwandlung und Wechsel108: »Denn der eine Gegensatz ist der Grund dafür, dass der andere Gegensatz ersehnt wird und Freude bereitet.« Voraussetzung ist der metaphysische Grundsatz, dass »alle [Einzel]Dinge aus Gegensätzen« bestehen109, und die erkenntnistheoretisch-ethische Äquivalenz, dass »niemand sich mit seinem Zustand zufrieden gibt«, am wenigsten der furioso. Diese permanente Unruhe, jene vicissitudo rerum, die dem Universum wie allen Einzelseienden, den physischen wie den psychischen ›Dingen‹ (cose) gleichermaßen, doch in unterschiedlicher Weise eignet, hat aber ihren Grund im Verhältnis von Weltseele und Materie »als einer unendlich fruchtbaren, die Dinge aus sich in einen Kreis von Entstehen und Vergehen hervortreibenden Kraft«110 . Bruno bezieht sich auf seine in De la causa formulierte Metaphysik, näherhin auf 54  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

die geradezu revolutionäre Neubestimmung des Verhältnisses von Materie und Form bzw. Weltseele und ihrem Intellekt, wenn er die Figur des Cicada die Reflexionen zum ersten Sonett des zweiten Dia­logs, insbesondere zum Vers »gelate ho spene, e gli desir cuocenti« noch einmal kommentieren und paraphrasieren lässt: […] non è nella temperanza della mediocrità, ma nell’eccesso delle contrarietadi ha l’anima discordevole: se triema nelle gelate speranze, arde negli cuocenti desiri; è per l’avidità stridolo, mutolo per il timore; sfavilla dal core per cura d’altrui, e per compassion di sé versa lacrime da gli occhi; muore ne l’altrui risa, vive ne’ proprii lamenti; e […] altri ama, odia se stesso: perché la materia (come dicono gli fisici) con quella misura ch’ama la forma absente, odia la presente. (76/78)111, i

Die Materie ist der Grund aller möglichen Formen, ohne sich aktual zu erschöpfen; vielmehr ist sie imstande, immer neue Formen hervorzubringen derart, dass in deren permanentem Wechsel die unendliche Wirkung des unendlichen Einen in einer unendlichen Welt sich manifestiert. Das erste Sonett des zweiten Dia­logs bringt den Wechsel als duplikes112 Verhältnis von Materie und Form in einer Bildlichkeit der Gegensätze, der contrarietadi, zur Anschauung – in einer Rhetorik der Oppositionen, Chiasmen, Parallelismen: Io che porto d’amor l’alto vessillo, gelate ho spene, e gli desir cuocenti: a un tempo triemo, agghiaccio, ardo e sfavillo, son muto, e colmo il ciel de strida ardenti; dal cor scintill’, e da gli occhi acqua stillo; e vivo e muoio, e fo ris’ e lamenti: son vive l’acqui, e l’incendio non more, ch’ a gli occhi ho Teti, et ho Vulcan al core.   »[…] der Leidenschaftliche befindet sich nicht im Zustand der Mäßigung des Mittelwegs, sondern im Übermaß der Gegensätzlichkeiten wird seine Seele zerrissen. Wenn er in eisigen Hoffnungen zittert, brennt er zugleich in kochend heißen Wünschen. Vor Begierde schreiend ist er stumm vor Furcht. Aus dem Herzen stieben die Funken der Liebe zum anderen, und aus den Augen fließen die Tränen des Selbstmitleids. Er stirbt im Lachen des anderen und lebt in den eigenen Klagen. Und […] er liebt das andere und hasst sich selbst. Denn die Materie (sagen die Physiker) hasst ihre gegenwärtige Form in dem Maß, wie sie die Form, die sie nicht hat, liebt.« (77/79) i

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  Altr’amo, odio me stesso: ma s’io m’impiumo, altri si cangia in sasso; poggi’altr’al cielo, s’io mi ripogno al basso; sempr’altri fugge, s’io seguir non cesso;   s’io chiamo, non risponde: e quant’io cerco più, più mi s’asconde. (70)i

Ganz offensichtlich nimmt der Nolaner in diesem Poem Bezug auf Petrarca.113 Dafür sprechen die typisch petrarkisch-petrarkistischen Lexeme, Antonyme und Antithesen, mehr noch die wörtlichen Zitate aus Sonett cxxxiv der Rerum vulgarium fragmenta114 . Indes ist es die Absicht des intertextuellen Bezugs, in der scheinbaren Gleichheit der Sprachbildlichkeit die unüberbrückbare Differenz herauszustellen. Petrarcas contrari affetti geben der Spannung einer sündentheologisch motivierten dolendi voluptas, der Schmerzliebe, Ausdruck: Es ist das Leiden am Verlust einer (göttlichen) Ordnung und ineins die Lust einer Liebe zum Irdischen: Transzendenz und Immanenz stehen in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis. Brunos contrarietadi hingegen stehen ein für den beständigen Wechsel der Zustände, dem das hero­ische Individuum sich ausgesetzt sieht in seinem leidenschaftlichen Streben nach dem absoluten Einen, Göttlichen. Die reziproken Gegensätze, die die psychischen Zustände des furioso beherrschen, sind somit metaphysisch motiviert, und sie werden in der Seele ausgetragen. Das partizipative Verhältnis der Seele am Sein bzw. am Universum als dessen Spiegel wird in der scheinbar übergangslosen Begründung im oben angeführten Zitat deutlich gemacht: »altri ama, odia se stesso: perché la materia […] con quella misura ch’ama la forma absente, odia la presente«. Zudem unterscheidet Bruno den Kampf, den die Seele in »Ich trag der Liebe edles Banner: / eisig sind meine Hoffnungen, und meine Wünsche kochend heiß: / zugleich erzitt’re ich, erstarr’ zu Eis, brenne und lodere hell, / bin stumm und füll’ den Himmel aus mit Schreien der Leidenschaft; / aus dem Herzen lass’ ich Funken stieben, aus den Augen Wasser tropfen. / Ich lebe und sterbe; lache und klage: / die Wasser sind lebendig, und das Feuer findet nicht den Tod, / denn Thetis sitzt in meinen Augen und Vulkan in meinem Herzen. / Ein andres liebe ich, mich selber hasse ich: / indes wenn ich mir Flügel wachsen lasse, verwandelt dieses Andre sich in Stein, / es strebt zum Himmel, wenn ich wieder auf die Erde sinke; / immer flieht es, solange ich nicht davon lasse, ihm zu folgen. / Wenn ich rufe, gibt es keine Antwort: / und je mehr ich suche, desto mehr versteckt es sich vor mir.« (71) i

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ihrem Inneren führt, den Kampf zwischen Wille und Intellekt – er ist in den beiden Quartetten ins Bild der Augen und des Herzens gesetzt –, und den Kampf der Leidenschaft, der sich in äußeren Gegensätzen abspielt.115 So hat das nachfolgende Sonett erneut die zwei Gegensätze, denen der furioso unterworfen ist, zum Gegenstand: der Zustand der äußeren und inneren Zerrissenheit, ob »Natur oder Geschick«, findet Anschauung in einer Fügung aus Chiasmus und Figura etymologica »In viva morte morta vita vivo.« (78) sowie im nicht korrekten, doch originellen mythologischen Bild der zwei (!) Räder des Ixion: »qual Ixion convien mi fugga e siegua: / perché al dubbio discorso / dan lezzion contraria il sprone e ’l morso«. Die Rhetorik der widerstreitenden Gegensätze des zweiten Sonetts nimmt in Variation die Rhetorik des ersten Sonetts auf – mit dem Unterschied freilich, dass in der Fügung »In viva morte morta vita vivo!« die Gegensätze zusammenfallen – im Moment ihrer Poiesis. Das bedeutet: Vollendung in der Einheit ist, wenn überhaupt, poie­ tisch darstellbar, sie ist nicht moralisch realisierbar. Dabei bleibt auch die Vollendung der Darstellung im Potentialis, sie ist ihrerseits in Bewegung und vermag solchermaßen Vollendung nurmehr zu intendieren. So ist es ein rhetorisches Meisterstück, die poietischinstantane Aufhebung der contrarietadi in »In viva morte morta vita vivo« erneut in eine Bewegung der Gegensätze zu überführen in einem Kommentar, der in einem ersten Teil weniger erklärt als variiert: Non è morto, perché vive ne l’oggetto; non è vivo, perché è morto in se stesso: privo di morte, perché parturisce pensieri in quello; privo di vita, perché non vegeta o sente in se medesimo. (80)

und der in einem zweiten Teil variiert, indem er erklärt: […] è bassissimo per la considerazion de l’alto intelligibile e la compresa imbecillità della potenza; è altissimo per l’aspirazione dell’eroico desio che trapassa di gran lunga gli suoi termini, et è altissimo per l’appetito intellettuale che non ha modo e fine di gionger numero a numero; è bassissimo per la violenza fattagli dal contrario sensuale che verso l’inferno impiomba. (80)i »Er ist nicht tot, denn er lebt im Objekt; er ist nicht lebendig, denn er ist tot in seinem Inneren: des Todes beraubt, weil er Gedanken an das Objekt gebiert; des Lebens beraubt, weil er in sich selbst nicht mehr wächst beziehungsi

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Die Gegensätze werden in den beiden kommentierenden Passagen nicht aufgehoben in einer poietisch simulierten Einheit, vielmehr in ihrer Komplementarität ausagiert. Der Zwiespalt und die Zerrissenheit, die dem furioso eigen sind, ja ihn als solchen kennzeichnen – »quel disquarto e distrazione in se medesimo« (78), werden in der Folge geradezu performativ in Szene gesetzt im Dia­log zwischen Filenio und Pastore, der Vernunft und dem Leidenschaftlichen (82): Die Stichomythie ist zur Antilabe gesteigert und reflektiert in ihrem Tempo der knappen, bis auf ein einziges Wort reduzierten Redefolge »das leidenschaftliche Gefühl zu jenem Objekt, in dessen Verehrung er [sc. der furioso] gefangen ist«116 . Hinzukommt, dass dieser kleine eingeschaltete fiktive Dia­log in der Form und in der Sache, die in Rede steht, den dritten Dia­log des Zweiten Teils in nuce vorausnimmt, ja geradezu motiviert: jenen höchst raffiniert komponierten Dia­log der Augen und des Herzens. Die Besonderheit des Textes der Eroici furori – so sollte die Analyse bislang deutlich machen – beruht darin, dass seine A-Systematik System hat: jegliche Linearität sowohl der ›Geschichte‹ wie der Argumentation ist aufgehoben. An ihre Stelle treten Korrespondenzbeziehungen von (Sprach)Bildern und von die (Sprach)Bilder begleitenden Reflexionen, die ihrerseits subtile Beziehungen schaffen, als roter Faden den Text durchwirken. Ein weiteres Beispiel dafür ist – neben den bisher genannten – die Weise des Übergangs vom zweiten zum dritten Dia­log des Ersten Teils. Der zweite Dia­log endet mit einer Reflexion über die differenten Liebesleidenschaften, näherhin mit der platonisch-ficinianischen Unterscheidung nach drei Amores bzw. drei Lebensarten – Tansillo bringt sie in die Diskussion: Sai bene come il rapto platonico è di tre specie, de quali l’uno tende alla vita contemplativa o speculativa, l’altro a l’attiva morale, l’altro a l’ociosa e voluptuaria: cossì son tre specie d’amori; de quali l’uno weise empfindet. Sodann stellt ihn die Betrachtung der Höhe des Erkennbaren und die Erkenntnis der Schwäche seines Vermögens auf die unterste Stufe; in die höchste Höhe trägt ihn das Streben der hero­ischen Sehnsucht, die seine Grenzen bei weitem übersteigt, und es trägt ihn in die Höhe das Streben der Vernunft, deren Vorgehen und Ziel nicht darin besteht, Zahl an Zahl zu reihen; auf die unterste Stufe stellt ihn die Gewalt, die ihm von dem entgegengesetzten Trieb, dem der Sinne, angetan wird, der bleischwer zur Hölle zieht.« (81) 58  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

dall’aspetto della forma corporale s’inalza alla considerazione della spirituale e divina; l’altro solamente persevera nella delettazion del vedere e conversare; l’altro dal vedere va a precipitarsi nella concupiscenza del toccare. (84)117, i

Es folgt eine weitere Differenzierung nach ›Mischformen‹ und ›Unterarten‹ der drei Liebes- und Lebensweisen – sie hat kein Vorbild bei Ficino oder Plato –, um zu dem Schluss zu kommen, dass nur »die Liebe zu würdigen Dingen«, »das Streben nach edlen oder gar göttlichen Dingen« zu loben und zu rühmen seien. Dem Streben den nötigen Aufschwung zu verleihen, aber bedarf es der »Flügel« der hero­ischen Liebe118 . Unterderhand und zunächst kaum merklich ist die hero­ische Liebe von allen übrigen Amores – den platonisch-neuplatonischen drei ›reinen‹ Arten und den unzähligen Mischarten – als eine weitere und besondere abgesetzt und in ihrer Besonderheit durch ihre »Flügel«, dem Bild für Wille und Intellekt, gekennzeichnet: als jene »wahrhaft hero­ische Liebe« (»l’amor suo […] veramente eroico« [84]). Sie ist – so der Befund – eben nicht gleichzusetzen mit der höchsten Form der Liebe nach platonischficinianischem Verständnis, jener Liebe, »die sich vom Anblick der körperlichen zur Anschauung der geistigen und göttlichen Form« erhebt119, sie bedarf mithin nicht der Sinne und damit der sinnlichen Schönheit als Ausgang, um in die geistige Schönheit Einsicht zu gewinnen: Das aristotelisch-thomistische Theorem – per sensibilia ad intelligibilia120 – scheint kühn außer Kraft gesetzt. Diese Position wird in ihrer ganzen Tragweite erst zu Beginn des dritten Dia­logs deutlich. Dort ist erneut von mehreren Formen der Leidenschaften die Rede, die sich aber im Wesentlichen auf zwei Grundformen zurückführen ließen121: die eine zeuge von nichts anderem als Blindheit, Dummheit und unüberlegtem Ungestüm und könne bis zu tierischem Unverstand gehen; die andere aber bestehe in einer göttlichen Entrücktheit, die manchen besser als den gewöhnlichen Menschen werden lasse. Davon aber gebe es wiederum zwei Arten: »Dir ist ja bekannt: Wie es nach Platon drei Arten der Leidenschaft gibt – die eine strebt nach kontemplativ-spekulativem, die nach moralisch handelndem und die dritte nach müßig-triebhaftem Leben –, so gibt es drei Arten der Liebe, deren eine sich vom Anblick der körperlichen zur Anschauung der geistigen und göttlichen Form erhebt, die zweite im bloßen Genuss des Sehens und Umgangs verharrt, und die dritte sich vom Anblick zur Gier nach Berührung hinreißen lässt.« (85) i

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[…] altri per esserno fatti stanza de dèi o spiriti divini, dicono et operano cose mirabile senza che di quelle essi o altri intendano la raggione; […] quei non parlano per proprio studio et esperienza come è manifesto, séguite che parlino et oprino per intelligenza superiore […]. (90)i

Die anderen hingegen seien in philosophischen Betrachtungen geübt und mit einem leuchtenden, einsichtsfähigen Verstand begabt: […] da uno interno stimolo e fervor naturale suscitato da l’amor della divinitate, della giustizia, della veritade, della gloria, dal fuoco del desio e soffio dell’intenzione acuiscono gli sensi, e nel solfro della cogitativa facultade accendono il lume razionale122 con cui veggono più che ordinariamente: e questi non vegnono al fine a parlar et operar come vasi et instrumenti, ma come principali artefici et efficienti. (90)ii

Fast unmerklich ist das Rayon gewechselt: Es geht nicht mehr wie zu Ende des zweiten Dia­logs allein darum, verschiedene Arten der Liebe zu benennen und zu hierarchisieren – von der niederen Liebe zur höchsten, vielmehr die höchste geistige Liebe selbst noch einmal zu differenzieren und zugleich zu stufen. Das Kriterium ist nicht mehr das Maß an Spiritualität und Göttlichkeit allein, sondern das Maß an mehr oder minder großer Eigenständigkeit des Geistes. Um in den (Sprach)Bildern des Textes zu bleiben: Die einen sind nurmehr Gefäße der göttlichen Eingebung, einer »intelligenza superiore«, die anderen aber »entzünden am Schwefel ihres Denkvermögens das Licht ihres Verstandes«. Sie sind nicht Empfänger göttlicher Inspiration, sie sind selbsttätige Künstler, »principali artefici et efficienti«, Prinzip und Wirkung ihrer selbst. Unversehens »Weil in den einen Götter oder göttliche Geister hausen, sagen oder tun sie Wunderdinge, ohne dass sie oder andere den Grund dafür verstehen. […] sie reden nicht aus eigenem Bemühen und eigener Erfahrung, wie es ganz offensichtlich der Fall ist, sondern sie sprechen und handeln mittels einer höheren Einsichtsfähigkeit […].« (91) ii »[…] sie schärfen aus innerem Antrieb und natürlicher Inbrunst, die von der Liebe zur Gottheit, Gerechtigkeit, zur Wahrheit und zum Ruhm, vom Feuer der Sehnsucht und dem Wind des Wollens geweckt worden ist, ihre Sinne und zünden im Schwefel der Denkfähigkeit das Verstandeslicht an, mit dem sie mehr sehen als gewöhnlich: Sie sprechen und handeln zuletzt nicht als Gefäße und Werkzeuge, sondern als grundlegende Schöpfer und Urheber.« (91) i

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– so scheint es – sind die amores des Symposion zu den furores des Phaidros mutiert. Doch tatsächlich ist der Vorgang komplexer. Mit anderen Mitteln der Sprache und auf andere Weise der Argumentation wird einmal mehr das für die brunianische Erkenntnistheorie so einzigartige Verhältnis von furori eroici und eroici amori123 zur Vorstellung gebracht: Die eroici amori sind weder mit der höchsten Form der platonisch-ficinianischen Liebe kompatibel noch sind die furori eroici mit den maniai des platonischen Symposion oder auch nur den furores des Commentarium in Convivium Ficinos identisch. Vielmehr repräsentieren die furori den Intellekt, der das erste Wahre, das Absolute zu erkennen strebt, doch auf die Liebe, den Willen, angewiesen bleibt, das Eine wenn nicht zu erkennen, so zu lieben, nurmehr »im Spiegel der Gleichnisse« zu sehen; und das heißt: aufgrund seiner ihm eigenen Begrenztheit, aber zugleich aufgrund seiner ihm eigenen Möglichkeiten zu begreifen.124 Dies ist der Grund, weshalb Bruno zwei Arten (»due specie«) der göttlichen Entrücktheit (»divina abstrazione«) unterscheidet und die Rezeptivität als minder qualifiziert gegenüber der Spontaneität, die als wahrhaft »göttlich«, »als selbst heiliger Gegenstand« hervorgehoben ist und in der sich ein gesteigertes Menschsein manifestiert: Gli primi hanno più dignità, potestà et efficacia in sé: perché hanno la divinità. Gli secondi son essi più degni, più potenti et efficaci, e son divini. Gli primi son degni come l’asino che porta li sacramenti: gli secondi come una cosa sacra. Nelli primi si considera e vede in effetto la divinità e quella s’admira, adora et obedisce. Ne gli secondi si considera e vede l’eccellenza della propria umanitade. (92)i

Die Besonderheit des Heroischen gewinnt gerade durch das entschieden modifizierte Zitat der Modelle Platon und Ficino an Profil: Deren amores- und furores-Konzepte bilden den Horizont, vor dem – gleich einem Palimpsest – Bruno einmal mehr seine nolana »Die ersten haben mehr Würde, Macht und Wirkung an sich, denn sie sind im Besitz der Gottheit. Die zweiten sind selbst würdiger, mächtiger und wirkungsvoller, denn sie sind göttlich. Die ersten sind würdig wie der Esel, der die Heiligtümer trägt; die zweiten wie ein heiliger Gegenstand. In den ersten schaut und sieht man die Wirkung der Gottheit, ihr zollt man Bewunderung, Verehrung und Gehorsam. In den zweiten schaut und sieht man die Vortrefflichkeit, die im eigenen Menschsein liegt.« (93) i

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filosofia als nova filosofia zur Anschauung bringt, vor dem er das andere, das grundlegend Neue der hero­ischen Liebesleidenschaften gegenüber den platonisch-neuplatonischen Konzeptionen des Eros und des Enthousiasmos evidenziert. Es beruht – kurz gesagt – im intellektuellen Selbst- und Gegenentwurf, dem gleichwohl die Partizipation am Absoluten respondiert. Und das heißt konkret: Der ontologisch-erkenntnistheoretischen Fundierung der dignitas hominis im Konzept der hero­ischen Leidenschaften, mithin des furioso, entspricht die Vorstellung einer spontanen Kreativität. Und das bedeutet ja nichts anderes, als dass Poesie und Philosophie unverbrüchlich aufeinander verwiesen, die Poesie der Raum der Philosophie des furioso, der nolana filosofia, ist. So sind denn die »principali artefici et efficienti«, ihrerseits furiosi, Dichter und Denker ineins, sie denken als Dichter. Soviel ist mit Blick auf die ersten vier Dia­loge des Ersten Teils der Ero­ ici furori zusammenfassend zu sagen: Die einzelnen Dia­loge gehen auseinander hervor und stehen zueinander in Bezug und dies weniger über ihre Aussage, als über ihre (Sprach)Bilder, die in den Sonetten bzw. Poemen figuriert sind. Die Poeme bilden die Paradigmen, die über ihre syntagmatische Folge, mithin über die die (Sprach-) Bilder tragenden Strukturen, die Bedeutung der Eroici furori generieren. Sie sind der Raum, in dem und durch den die brunianischen Philosopheme Anschauung gewinnen. Das die Eroici furori tragende und ihre Struktur prägende Philosophem ist das Philosophem der Unendlichkeit. Die Metaphysik des Unendlichen begründet nicht allein die furori des eroe, sie ist vielmehr zugleich figurativ präsent in den Eroici furori: als Ausdruck des endlichen Bewusstseins, das das Unendliche zu erfassen sucht, doch immer nur auf seine Erscheinung verwiesen bleibt: auf das unendliche Universum, das sich seinerseits in unendlichem Wechsel der Daseinsweisen, in den unendlich vielen modi di essere des Endlichen repräsentiert. Dementsprechend vermag das endliche Bewusstsein des eroe sich vom absolut Unendlichen nurmehr ›im Spiegel‹ ein Bild zu machen und es ›als Schatten‹ zu figurieren, und dies wiederum immer nur potentiell, nicht aktual. Es ist immer nur eine apprehensio, nicht eine comprehensio. Um eine wichtige Passage noch einmal aufzunehmen:

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Né per questo che l’obietto è infinito, in atto simplicissimo, e la nostra potenza intellettiva non può apprendere l’infinito se non in discorso, o in certa maniera de discorso, com’è dire in certa raggione potenziale o aptitudinale, è come colui che s’amena a la consecuzion de l’immenso onde vegna a constituirse un fine dove non è fine. (106/108)i

Das hat zur Folge, dass der Text der Eroici furori ein work in progress ist, eine tessitura, die die unendliche Bewegung des Universums und dessen permanente Bewegtheit durch dauernden Formwechsel, die vicissitudo, präsentiert in ›Figuren‹ der Sprache, die ihrerseits ›Phantasmata‹ sind, Schöpfungen des Geistes bzw. des Ingeniums.125 Das durchaus chaotische Material der Sprache wird geformt durch den Geist, wobei das Material bereits alle Möglichkeiten der Formung in sich enthält und aus sich selbst hervorbringt.126 Insofern ist auch der Text der Eroici furori, seine Genese und seine Realisation, unmittelbarer Ausdruck der wechselseitigen Verwiesenheit von Potenz und Akt und der ihrem Verhältnis entsprechenden Entfaltungsbewegung.127 Das ist der Grund dafür, dass der Text an keiner Stelle zu Ende kommt, vielmehr in Figurationen des Wechsels und der Gegensätze die unendlich vielen Möglichkeiten herausspielt mit dem Ziel, das Eine zu ›erfassen‹. Die tessitura intendiert, testo zu werden, ohne je testo sein zu können – und dennoch das Unend­liche, das Absolute in der Sprache und als Sprache zu materialisieren. ✴ ✴ ✴

Abschließend ein Wort zur möglichen generischen Einordnung der ersten vier Dia­loge der Eroici furori. Nicht selten werden die ersten vier Dia­loge des Ersten Teils der Eroici furori, ja die Eroici furori insgesamt unter dem Rubrum ›Canzoniere‹ verbucht, im Ganzen in die Tradition des Petrarkismus gestellt.128 Dafür gibt es Gründe. Nicht nur das Thema, die Liebe, ist durchaus petrarkistisch, sondern auch »Und insofern das Objekt unendlich in der einfachsten Form des Akts ist und unser Einsichtsvermögen das Unendliche nur begreifen kann, indem es sich ihm diskursiv annähert, also sozusagen mit einem gewissen potenziellen und befähigenden Verstand, ist der Leidenschaftliche nicht wie einer, der sich anschickt, das Unermessliche zu erfassen, indem er ein Ende konstruiert, wo keines ist.« (107/109) i

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die Form der Gedichte – Sonette, Canzonen, Sestinen –, und insbesondere eine große Zahl an Topoi und an Sprachbildern scheinen einem petrarkisch-petrarkistischen Arsenal entnommen.129 Zudem trägt einer der Interlocutori des gesamten ersten Teils der Eroici fu­ rori den Namen Tansillo. Die Wahl des Namens verweist offensichtlich auf Luigi Tansillo, einen der seinerzeit bedeutenden Lyriker, Petrarkisten zumal, der ersten Hälfte des Cinquecento, der nicht allein in Italien, vielmehr auch in Spanien und in England bekannt und geschätzt war130 . Es liegt daher nahe, die Eroici furori im ›System‹ des Petrarkismus zu verorten131, in ihnen eine eigenwillige Auseinandersetzung mit einer seit zwei Jahrhunderten von Petrarcas Can­ zoniere geprägten europäischen Lyrik zu erkennen, und dies umso mehr, als die Eroici furori keinem Geringeren als Sir Philip Sidney gewidmet sind. Und doch wird gerade aus den an Zahl keineswegs geringen petrarkisch-petrarkistischen Referenzen die Differenz deutlich. Der Musenanruf, so haben wir gesehen, ist invertiert in eine intellektuelle und poietische Selbstbehauptung. Und so ist es auch verfehlt – um nur ein weiteres Beispiel zu nennen –, aufgrund der Pfeilschuss-Motivik (»chi sì m’ha punt’ il cor è un sol dardo« [54]), im Ganzen aufgrund der Bildlichkeit des Liebeskriegs das dritte Sonett des ersten Dia­logs des Ersten Teils als innamoramentoSonett zu typisieren132; denn in Rede steht nicht ein sich plötzlich Verliebender, sondern der furioso, dessen Begehren keinen Anfang und kein Ende kennt, insofern es sich auf das absolute Eine richtet – deutlich herausgestellt durch den rekurrenten Gebrauch der Wörter un/uno und sol/sola in den beiden Terzetten.133 Die Bezüge bleiben auch dann, wenn sie offensichtlich scheinen wie im Falle des Passer-Sonetts, superfiziell: Erhalten doch die Bilder, so sie dem petrarkisch-petrarkistischen Inventar entnommen sind, eine gänzlich differente Validierung: Sie sind Ausdruck eines Denkens, das in der spekulativen Philosophie des Nolaners gründet und das gerade Petrarcas atra voluptas wie auch das petrarkistische Spiel mit einer auf sich selbst bezogenen Dichtung überwinden will. Das ist kurz zu erläutern. Bruno fällt über Petrarca gleich im Argomento ein harsches, ja bösartiges Urteil:

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E per mia fede, se io voglio adattarmi a defendere per nobile l’ingegno di quel tosco poeta che si mostrò tanto spasimare alle rive di Sorga per una di Valclusa, e non voglio dire che sia stato un pazzo da catene, donarommi a credere, e forzarommi di persuader ad altri, che lui per non aver ingegno atto a cose megliori, volse studiosamente nodrir quella melancolia, per celebrar non meno il proprio ingegno su quella matassa, con esplicar gli affetti d’un ostinato amor volgare, animale e bestiale […]. (14)i

Die Laura-Liebe als gewöhnlich, niedrig, gar tierisch zu bezeichnen, dürfte in der Hochzeit des europäischen Petrarkismus beispiellos sein. Nicht einmal die Antipetrarkisten wendeten sich mit ihrer ridikülisierenden Polemik direkt gegen den lorbeergeschmückten Dichter. Doch auch diese übersät Bruno mit Hohn und Spott: Sie hätten sich verstiegen, »das Lob der Fliege, der Küchenschabe, des Esels, des Silen, des Priapus«134 zu besingen, und deren Nachäffer hätten zum Lob des Nachtpotts, des Dudelsacks, der Saubohne, des Bettes, der Lüge, der Ehrlosigkeit, des Ofens, des Hammers, der Hungersnot Verse geschrieben135. Nun könnte man derartige Äußerungen als Strategien der Distanznahme werten, ihnen für die Beantwortung der Frage, ob die Eroici furori das petrarkisch-petrarkistische ›System aktualisieren‹136 , wenig Belang beimessen, wenn sich nicht ganz offensichtlich andere Kriterien anböten: auch hier eine ausdrück­ liche Stellungnahme, auch hier der textuelle Befund. Der Argomento und mit ihm die Eroici furori setzen ein mit folgenden Worten: È cosa veramente, o generosissimo Cavalliero, da basso, bruto e sporco ingegno d’essersi fatto constantemente studioso, et aver affisso un curioso pensiero circa o sopra la bellezza d’un corpo femenile. Che spettacolo (o Dio buono) più vile et ignobile presentarsi ad un occhio di terso sentimento, che un uomo cogitabundo, afflitto, tormentato, triste, maninconioso: per dovenir or freddo, or caldo, or fervente, or »Bei meiner Treu, wenn ich mich schon dazu herbeilassen will, den Geist jenes toskanischen Dichters, der an den Ufern der Sorgue so offen nach einer aus Vaucluse schmachtete, als edel zu verteidigen, und nicht behaupten will, dass er als Verrückter in Ketten gehört hätte, werde ich mich bemühen zu glauben und zwingen, die anderen davon zu überzeugen, dass er, dessen Geist zu besseren Dingen nicht fähig war, diese Melancholie fleißig nähren wollte, um den eigenen Geist nichtsdestoweniger anhand dieses Gewirrs blitzen zu lassen, indem er die Gefühle einer beharrlichen, gewöhnlichen, tierischen und bestialischen Liebe entwickelte […].« (15) i

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tremante, or pallido, or rosso, or in mina di perplesso, or in atto di risoluto; un che spende il meglior intervallo di tempo, e gli più scelti frutti di sua vita corrente, destillando l’elixir del cervello con mettere in concetto, scritto, e sigillar in publichi monumenti, quelle continue torture, que’ gravi tormenti, que’ razionali discorsi, que’ faticosi pensieri, e quelli amarissimi studi destinati sotto la tirannide d’una indegna, imbecille, stolta e sozza sporcaria? (4)i

Es scheint, als spotte Bruno über die Lauraliebe Petrarcas, schmähe eine Liebe zu einer irdischen Frau als niedrige Fleischeslust. Die Wahl der Worte und der Bilder wiederum sind ganz in der Manier der zeitgenössischen Antipetrarkisten. Doch der Schein trügt. Bruno hat nicht vor allem Sprache, Stil, Bildlichkeit des petrarkischen Canzoniere im Visier137; Bruno zielt aufs Ganze, auf das Konzept einer Liebe, die im Modus der contrari affetti die peinigende Abkehr von göttlicher Ordnung und die lustvolle Verfallenheit an die irdische Welt besingt – nicht ohne einer Reue Ausdruck zu geben. Der Nolaner unterstellt dem toskanischen Dichter die eifrige Pflege einer Melancholie138 – Voraussetzung und Gewähr dichterischer Kreativität139, und er hat damit den wesentlichen Punkt getroffen. Der physiologische und psychologische Befund entspricht aufs Genaueste den Erkenntnissen, die das 16. Jahrhundert vom Melancholiker hatte140 , und er nimmt in frappanter Weise Goethes Tasso-Figur141 voraus. Doch die physio-psychologische Oberfläche hat eine Tiefendimension. Die Lauraliebe Petrarcas wird in dem ihr eigenen Wesen begründet: als Folge und Ausdruck einer Melancholie im Verständnis von acedia, wie sie insbesondere der Aquinate in »Es zeugt, großmütigster Herr, in der Tat von einem niederen, groben und schmutzigen Geist, sein Streben unausgesetzt auf die Schönheit eines weiblichen Körpers zu richten und ihr einen neugierigen Gedanken zu widmen. Welches Schauspiel, guter Gott, könnte sich einem Auge von reiner Gesinnung gemeiner und unedler darbieten als ein grüblerischer, leidender, gequälter, trauriger, melancholischer Mann; der bald kalt, bald heiß wird, bald glüht, bald zittert, erbleicht, errötet, der abwechselnd Verwirrung und Entschiedenheit zur Schau trägt; ein Mann, der seine beste Zeit und die erlesensten Früchte seines Lebens dazu benutzt, seine Gehirnflüssigkeit auszuschwitzen, um jene steten Peinigungen, schweren Qualen, grüblerischen Reden, ermüdenden Gedanken und überaus bitteren Mühen, die sämtlich unter der Tyrannenherrschaft einer unwürdigen, schwachsinnigen, dummen und schmierigen Geilheit stehen, auf den Begriff zu bringen, aufzuschreiben und in öffentliche Denkmäler einzumeißeln.« (5) i

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seiner Summa theologica bestimmt: als »tristitia de bono spirituali in quantum est bonum divinum«142 , als Betrübnis, ja Verzweiflung darüber, dem göttlichen Heil nicht zugänglich zu sein. Acedia ist eine der sieben Hauptsünden – und eine ihrer Töchter ist curiositas, Neugierde143. Als Reaktion auf die Körper und Geist lähmende acedia sucht curiositas nach Auswegen, indem sie auf das Viele in der Welt das Interesse lenkt und damit ablenkt von der Misere der Seele144 . In diesem Verständnis ist der erste, bereits oben zitierte Satz des Argomento zu lesen: »È cosa veramente […] da basso, bruto e sporco ingegno […] [d’]aver affisso un curioso pensiero circa o sopra la bellezza d’un corpo femenile« (4). Die interessierte Neugierde aber, die nurmehr der Schönheit des weiblichen Körpers gilt, ist die Neugierde des Melancholikers: eines »uomo cogitabundo, afflitto, tormentato, triste, maninconioso« (ebd.). Und dieser Melancholiker ist kein anderer als Petrarca, jener toskanische Dichter, der sich an den Ufern der Sorgue nach einer Frau aus Vaucluse verzehrte, dessen Verstand (»il proprio ingegno«) zu nichts Besserem taugte, als seiner Melancholie eifrig Nahrung zu geben (»volse studiosamente nodrir quella melancolia«). Beweis dessen ist der Canzoniere und deutlicher noch das Secretum. In jenem lateinischsprachigen dialogischen Monolog145 mit dem genauen Titel De secreto conflictu curarum mearum146 erkennt die Figur des ›Franciscus‹ unumwunden an, von wenigstens zwei Hauptsünden befallen zu sein: der accidia147, wofür spätestens seit dem beginnenden 16. Jahrhundert in ungenauer Verwendung der Begriff ›Melancholie‹ steht, und der superbia; letztere äußert sich als Folge der ersteren in Ruhmsucht, gloria, und in amor, der Liebe zu Laura, i. e. zur Dichtung, ihrerseits Ausdruck der curiositas. Wenn ›Franciscus‹ am Ende des Secretum seinem Dia­logpartner ›Augustinus‹ unumwunden zugesteht, dass er den Weg zurück zu Gott nicht mehr zu gehen vermag, auch wenn er solchermaßen seine Seelenruhe wiederfände, dass ihn vielmehr die geschäftige, unruhige Welt und das, was in ihr zu besorgen ist, das Dichten, die Dichtung, unwiderstehlich anziehen, fällt er eine Entscheidung, die Bruno als Ausdruck »eines niedrigen, groben und schmutzigen Geistes« verurteilt. Das Verlangen des ›Franciscus‹, zugleich des Francesco Petrarca, gilt den irdischen Dingen, nicht den himmlischen – so zumindest die vielleicht etwas vereinfachende Sicht Brunos. Allerdings könnte der das fiktive Gespräch Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  67

beendende Satz des ›Franciscus‹ – »[…] desiderium frenare non valeo« – »[…] ich kann mein Verlangen nicht zügeln« auch von Bruno formuliert sein, wenn nicht der Gegenstand, auf den das Verlangen sich richtet, ein gänzlich anderer wäre: nicht die irdische Schönheit, gar eines weiblichen Körpers (»la bellezza d’un corpo femenile«), im besonderen weltlicher Ruhm durch Dichtung, vielmehr die göttliche Schönheit, das absolute Eine – jenseits der irdischen Welt. Deutlich grenzt Bruno die hero­ischen Leidenschaften von der in seinen Augen gewöhnlichen Leidenschaft eines Petrarca148 ab – der Unterschied liegt im Objekt wie im Subjekt: »[…] questi f u ror i eroici ottengono suggetto et oggetto eroico: e però non ponno più cadere in stima d’amori volgari e naturaleschi […].« (10). Die Entschiedenheit, mit der der Nolaner die Liebeskonzeption der petrarkisch-petrarkistischen Lyrik149 im Argomento, dem liminalen Text der Eroici furori, zurückweist, könnte größer nicht sein. Die Absicht ist es, in der Differenz das eigene Liebeskonzept, jene Einheit aus amor und cognitio, zu profilieren, seine Andersheit herauszustellen. Der leidenschaftliche, ungebrochene Drang nach Erkenntnis, das Streben nach »contemplazion divina« (18) lassen für Melancholie, auch und gerade im Verständnis von acedia150 , keinen Raum. Im Gegenteil: Die eroici furori des furioso sind in ihrem glühenden Elan Kontrapost zur petrarkischen atra voluptas.151 Die vehemente Kritik an der petrarkisch-petrarkistischen Liebeskonzeption ist somit allererst philosophisch – und implizit auch theologisch – begründet, mit Folgen für Sprache, Bildlichkeit und Struktur. Dementsprechend hat der gesamte Text des Argomento letztlich zwei Intentionen, ineins zwei Themen bzw. Bereiche der Argumentation: die Ablehnung der petrarkisch-petrarkistischen Liebeskonzeption152 – und dies in all ihren Varianten insbesondere des 16. Jahrhunderts, und die Positionierung der nolana filosofia, jener neuen Liebestheorie, die eine metaphysisch begründete Erkenntnistheorie ist. Ihr Gegenstand ist das absolute Eine, auf das das Begehren sich beständig richtet, auch wenn und zugleich weil es als Unendliches sich entzieht.153 Noch ein weiteres, durchaus selbstgewähltes Modell weist Bruno zurück: Die neue Liebestheorie in ihrer Eigenheit, ja Einzigartigkeit154 herauszustellen, ihr die ihr zukommende Würde zu geben, wollte 68  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

der Nolaner – so liest man – seine Dichtung Cantica nennen155 und damit in die Reihe der Lieder eingliedern, deren höchstes und schönstes das Hohelied ist, das Canticum canticorum.156 Doch zwei Gründe haben ihn davon abgehalten: Zum einen, weil er fürchtete, der Gotteslästerung geziehen zu werden, wenn er einen ›heiligen und übernatürlichen Titel‹ einem Poem gebe, dessen Gegenstand ›natürlich und materiell‹ sei157, mit anderen Worten: philosophisch und nicht theologisch; zum andern – und dies ist nurmehr die logische Folge –, weil das Hohelied eine Allegorie sei158 – Bruno spricht von Figuren und Metaphern: »[…] ivi [sc. im Canticum canticorum des Salomo] le figure sono aperta e manifestamente figure, et il senso metaforico è conosciuto di sorte che non può esser negato per metaforico« (12)i – und es folgen Beispiele wie ›den Augen, die Tauben gleichen‹, ›einem Hals wie ein Turm‹, ›einer Zunge aus Milch‹ und andere. Mit Blick auf die Eroici furori hingegen stellt Bruno fest: »[…] in questo poema non si scorge volto che cossì al vivo ti spinga a cercar latente et occolto sentimento […].« (Ebd.)ii Freilich – so wiederum der Einwand – könnte die »gewöhnliche Weise der Rede und der Vergleiche« (»l’ordinario modo di parlare e de similitudini«) bei den Unverständigen den Eindruck erwecken, dass es sich um die Rede gewöhnlicher Liebhaber handele, die in ihren Versen die Liebe zu Licoris, Cynthia, Lesbia, Laura sängen, dass es mithin der übliche Liebesdiskurs sei, den – so ist hinzuzufügen – petrarkistisch zu nennen die Literaturwissenschaft übereingekommen ist. Im Gegenteil aber sei es eine Rede, die in ihrer Weise den Cantica, deren schönstes das Hohelied ist, ebenbürtig sei, und die, ganz wie das Hohelied, einzig in ihrer Art von niemandem besser verstanden und erklärt werden könne als dem, der es geschaffen hat: […] come gli furori di quel sapiente Ebreo hanno gli proprii modi ordini e titolo che nessuno ha possuto intendere e potrebbe meglio dechiarar che lui se fusse presente; cossì questi Cantici hanno il proprio »[…] dort sind die Bilder offen und deutlich Bilder, und der metaphorische Sinn ist auf eine Weise kenntlich, dass er nicht als solcher geleugnet werden kann […]« (13) ii »In der hier nun vorliegenden Dichtung findet sich hingegen kein Bild, das dich so lebhaft dazu triebe, einen verborgenen und versteckten Sinn zu suchen.« (13) i

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titolo ordine e modo che nessun può meglio dechiarar et intendere che io medesimo quando non sono absente. (12/14)i

Die Cantici des Nolaners haben den Rang der Cantica Salomons, doch sie sind ihnen nicht gleich.159 Die entscheidende Differenz besteht darin, dass ihre Figuralität weder metaphorisch noch alle­gorisch ist, vielmehr wörtlich, ad litteras. Lässt man einmal unberücksichtigt, dass Bruno hier wie an anderen Stellen nicht klar unterscheidet nach Metapher, Allegorie, Vergleich und Bild, ist die Insistenz auf der Literalität der Figuralität seiner Dichtung von Belang. Was in der klassischen Rhetorik ein Widerspruch scheint, ist gerade das herausragende Charakteristikum der Bild-Zeichen-Theorie des Nolaners: Bild-Zeichen sind unmittelbarer Ausdruck des Denkens, des Ingeniums, wie die Bild-Zeichen das Denken erst ermöglichen.

De gli eroici furori  I  5 bis II  2

Der fünfte Dia­log des Ersten Teils und der erste Dia­log des Zweiten Teils bilden die Mitte der Eroici furori, und sie sind im Wortsinn ihr Mittelpunkt: durch ihr Format und in ihrem Gegenstand. Durch ihr Format – nennen wir es hier vorerst verkürzt das Impresen-Format – bilden die beiden Dia­loge eine Einheit und verbinden so den Ersten Teil mit dem Zweiten, ja schweißen die beiden Teile geradezu fest zusammen. In ihrem Gegenstand nehmen sie das vielfältig perspektivierte Thema der ersten vier Dia­loge erneut auf, setzen es fort und vertiefen es, indem nachdrücklicher noch als in den ersten vier Dia­logen die Philosopheme aus De la causa und De l’infinito zum Austrag kommen. Und doch kann von einem Neueinsatz die Rede sein. Während in den ersten vier Dia­logen des Ersten Teils der discorso des amor eroico und des eroico intelletto, mithin der diskursive Weg der hero­ischen Leidenschaften, beschrieben wurde, werden in den beiden mittleren Dia­logen deren Zustände, »le condizioni di questi furori« (160), vor Augen gestellt. Der zweite Dia­log »[…] denn wie die Leidenschaften jenes weisen Juden ihre eigenen Verfahren, Ordnungen und Titel haben, die niemand besser verstehen konnte und erklären könnte als er, wenn er zugegen wäre, so haben auch diese Lieder ihren eigenen Titel, Ordnung und Verfahren, die niemand besser erklären und verstehen kann als ich selbst, wenn ich nicht abwesend bin.« (13/15) i

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des Zweiten Teils wiederum bildet zu den beiden vorausgegangenen Dia­logen eine Art Schlußstein und ist zudem Aufnahme und Varia­ tion des vierten Dia­logs des Ersten Teils. Somit weisen der Canzoniere-Teil wie der Impresen-Teil160 zwar eine je eigene Komposition auf, doch das Thema, die hero­ischen Leidenschaften im Spiegel des furioso eroico, ist dasselbe – freilich unterschiedlich figuriert. Im folgenden interessiert die spezifische Figuration des ImpresenTeils – nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zum Canzoniere-Teil. Unvermittelt bittet die Dia­logfigur Cicada ihren Gesprächspartner Tansillo, sie zu unterstützen bei der rechten Betrachtung der Zustände der Leidenschaften, wie sie der Reihe nach beschrieben und entfaltet werden161: Fate pure ch’io veda, perché da me stesso potrò considerar le condizioni di questi furori, per quel ch’appare esplicato nell’ordine […] qua descritto. (160).i

Die Wahl des Wortes esplicato – i. S. v. ›entfaltet‹, ›ausgefaltet‹ – ist absichtsvoll: Die Zustände der furori werden in ihrer Wechselhaftigkeit und variierten Vielfalt beschrieben – es sind insgesamt siebenundzwanzig bzw. achtundzwanzig Zustände. Doch doch ist ihre Zahl beliebig, sie könnte ins Unendliche gehen. Denn wie das begehrte Objekt unendlich ist, sind auch die Zustände des Begehrens in unendlichem Wechsel unendlich vielfältig. Ihre Anschauung finden sie auf Impresen, deren Bedeutung zu erschließen ist: […] basta che stiamo su la significazion de l’imprese et intelligenza de la scrittura, tanto quella che è messa per forma del corpo de la imagine, quanto l’altra ch’è messa per il più de le volte a dechiarazion de l’impresa. (160)ii

Das Format der beiden in Rede stehenden Dia­loge – soviel wird aus der vorstehenden Aussage deutlich – ist gleichwohl intrikat. Es handelt sich durchaus um Impresen, die die Zustände des furioso »Lasst mich auch sehen, damit ich selbst die Zustände dieser Leidenschaften erkennen kann, soweit sie in der hier beschriebenen Reihenfolge […] ›entfaltet‹ zu werden scheinen.« (161) ii »[…] es genügt, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Impresen und das Verständnis der Geschriebenen richten, und zwar sowohl des Geschriebenen, das dem bildlichen Körper Form gibt, als auch jenes anderen, das in den meisten Fällen der Imprese zur Erklärung beigegeben ist.« (161) i

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zur Vorstellung bringen, also um jene Einheit aus Wort und Bild, aus Wahlspruch und Bildsymbol162 , die wohl gegen Ende des Quattrocento in Italien in Mode kam163 . Gleich eingangs ist die Rede von Schildern und Wappen, die die einzelnen Rittergestalten trügen und um deren Deutung sich Cicada und Tansillo bemühen. Ihre Bemühung wird dabei in jedem einzelnen Fall unterstützt durch ein Sonett – darauf weisen jeweils geradezu formelhafte Sätze wie: »Il che è molto bene esplicato ne le rime seguenti sotto la figura« (162) oder »[a]ssai bene s’esplica appresso« (164). Das die Impresenfiguration näher erklärende Sonett ist ganz offensichtlich auf einer beigefügten Tafel eingraviert – »[…] che è quel che sta scritto nella tabella?« (170), lautet diese oder eine ähnliche Formulierung, wenn Cicada und Tansillo ein ums andere Mal die Wort-Bild-Figuration genauer noch verstehen wollen und das Poem, das ja buchstäblich als Epigramm verstanden sein will, zu Rate ziehen. Motto, Icon und Epigramm könnten nun durchaus als jene dreiteilige Einheit aufgefasst werden, die Emblem zu nennen man seit dem Erscheinen von An­ drea Alciatos Emblematum liber im Jahre 1531 übereingekommen ist. Dementsprechend wurde denn auch das Format der Dia­loge I  5, II  1 und mit Einschränkung des Dia­logs II  2 als emblematisch charakterisiert164 , ja die Eroici furori insgesamt als Emblembuch verstanden oder doch zumindest als nach dem Muster eines Emblembuchs gestaltet erachtet165. Indes widersprechen dieser Einschätzung Textgestalt und Textintention der Eroici furori im Ganzen wie die hier interessierenden Dia­loge I  5 und II  1 im besonderen. Dazu ist zunächst anzumerken, dass ausdrücklich die Rede von Impresen166 ist, deren zwei Teile – Motto und Figur – nach der zeitgenössischen Theorie als Seele und Körper aufgefasst werden.167 Demgegenüber ist das Poem in Sonettform eine epigrammatische Erläuterung, der allerdings die Funktion zukommt, die Impresenfiguration in einer eigenen Sprachbildlichkeit poietisch zu evidenzieren. Dass es sich in den Dia­logen I  5 bis II  1 bzw. II  2 tatsächlich um ein Impresen-Format handelt, mithin das epigrammatische Sonett nicht per se die Imprese zu einem Emblem erweitert, kann ein Blick auf die Genese des Emblems selbst zeigen. So war es keineswegs die Absicht des Andrea Alciato, ein buechle der verschroten werck168 zu publizieren, vielmehr eine Sammlung von größtenteils 72  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

aus dem Griechischen ins Lateinische übertragenen Epigrammen zum Druck vorzulegen. »[…] libellum composui epigrammaton, cui titulum feci Emblemata« – so Alciato in einem vielzitierten Brief an Francesco Calvi vom 9. Dezember 1522. Der Zweck der Epigrammsammlung wird unmittelbar genannt: singulis enim epigrammatibus aliquid describo, quod ex hixtoria [sic], vel ex rebus naturalibus aliquid elegans significet, unde pictores, aurifices, fusores, id genus conficere possint, quae scuta appellamus et petasis figimus, vel pro insignibus gestamus, qualis Anchora Aldi, Columba Frobenii et Calvi elephas tam diu parturiens, nihil pariens.169

Die einzelnen Epigramme, in denen Alciato etwas aus dem Bereich der Historiographie und der Natur beschreibt, verstehen sich als Anregung für künstlerische und kunsthandwerkliche Arbeiten: Schilder zum Anheften zum Beispiel oder auch Signete, wie sie die Buchdrucker und Verleger haben. Alciato nennt diese Epigramme, die in der Regel einen kurzen Titel hatten, Embleme. Eine Illustration der Epigramme war nicht beabsichtigt – dies besorgte knapp zehn Jahre später der Verleger Heinrich Steiner: Er gab den Epigrammen bzw. den so genannten Emblemen Holzschnitte von Jörg Breu d. Ä. bei – ohne Wissen Alciatos und auch ganz gegen dessen Intention.170 Denn Alciato wollte mit der Vorlage seiner Epigramme bzw. seiner Embleme nichts anderes als Impresen anregen.171 Gleichwohl emanzipiert sich das Emblem, die Emblematik als eigenständige bildliterarische Gattung von der Impresenkunst im Laufe des 16. Jahrhunderts, und im 17. Jahrhundert werden auch in den einschlägigen Traktaten und Poetiken Imprese und Em­blem unterschieden. So gilt die Imprese, für die sehr viel genauere Regeln ausgearbeitet sind172 , als ein Bild-Zeichen, in dem individuelle Lebensführung, Handlungsmaximen, Verhaltensregeln Ausdruck finden, das Emblem hingegen erhebt Anspruch auf allgemeine moralische, politische, religiöse Unterweisung. Die Imprese ist ingeniöskonzeptistisch, überraschend, das Motto ist zu seinem Verständnis auf die Icon, die Res picta173 , angewiesen, und umgekehrt gewinnt die Icon nur durch das Motto ihren Sinn – ein Rest an Rätselhaftigkeit bleibt bestehen und ist beabsichtigt.174 Motto und Icon gewinnen in ihrer wechselseitigen Bezogenheit eine ästhetisch-konzeptistische Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  73

Eigenwertigkeit, die den Verweis auf die Wirklichkeit ›einholt‹ in die Ästhetik eines Bild-Zeichens, dessen zwei Teile eine unauflösbare Einheit eingehen: Motto und Icon sind jeweils Bezeichnendes und Bezeichnetes zugleich.175 Die Einheit von Motto und Icon ist die Voraussetzung dafür, dass die Imprese zum Bild-Zeichen werden kann, das die Eigenschaft, die Haltung, die Absicht eines Individuums bezeichnet. Mit anderen Worten: Die Inferenzialität der Imprese ist die Bedingung ihrer Referenzialität. Ercole Tasso hat diesen Sachverhalt in Della realtà e perfettione delle imprese wohl am genauesten formuliert: IMPRESA è Simbolo constante necessariamente di Figura naturale (toltane l’humana semplicemente considerata) overo artificiale, natu­ ralmente prese, et di Parole proprie, o semplicemente translate: dalle quali Figura & Parole tra se disgiunte, nulla inferiscasi, ma insieme combinate, esprimasi non proprietà alcuna d’essa Figura, ma bene ­alcun nostro instante affetto, ò attione, ò proponimento.176

Ganz in diesem Verständnis formuliert der Argomento zum fünften Dia­log des Ersten Teils: »Nel qu i nto d ia logo si descrive il stato del furioso in questo mentre, et è mostro l’ordine, raggione e condizion de studii e fortune.« (22)i Der ›Status‹ des furioso wechselt in unendlicher Folge, immer geht es von neuem um einen »instante affetto, o attione, o proponimento«, die – wie Tasso formuliert – in der Imprese ihren Ausdruck finden und denen Ausdruck zu geben, Eigenschaft und Funktion der Imprese sind, jener Einheit gewordenen Verbindung von Wort und Bild.177 Das Impresen-Format der Dia­loge I  5 und II  1 erlaubt es also, den stets wechselnden stato des furioso und die vielfältigen condizioni der furori zu veranschaulichen, sie ins Wort-Bild bzw. – wie noch zu zeigen – ins Bild-Zeichen zu setzen, während das Canzoniere-Format der ersten vier Dia­loge (I  1 bis I  4) den discorso der Leidenschaften zur Vorstellung gebracht hat. Auf die Diskursivität der eroici furori folgt mithin eine Reflexion auf ihre Konditionalität. So wird auch im Wechsel der Formate, und das heißt auf der Ebene der Textur, das ontologische Prinzip der vicissitudo wirksam. »Im f ü n f ten Dia ­l og wird der Zustand des Leidenschaftlichen während dieses Kampfes beschrieben und Reihenfolge, Grund und Beschaffenheit seines Strebens und Schicksals aufgezeigt.« (23) i

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Doch damit nicht genug. Brunos Wahl des Impresen-Formats hat einen weiteren, einen tieferen Grund. Ihn zu erkennen und zu bestimmen, ist es dienlich, zunächst den Aufbau und die Argumentationsfolge einer Impresen-Einheit in den Blick zu nehmen.178 Auffälligstes Merkmal des Impresen-Formats ist der Verzicht auf die Icon, die Figura179 als bildliche Darstellung180 . Die Figurae werden von jeweils einem der beiden Dia­logpartner nurmehr sprachlich evoziert.181 So beginnt Cicada die Betrachtung und Deutung der Reihe der »insegne« mit folgenden Worten: […] ecco qua il primo che porta uno scudo distinto in quattro colori, dove nel cimiero è depinta la fiamma sotto la testa di bronzo, da gli forami della quale esce a gran forza un fumoso vento, e vi è scritto in circa: at regna senserunt tria. (160)

Tansillo beschreibt daraufhin, was er auf dem Schild dargestellt sieht bzw. zu sehen vermeint – in Wirklichkeit gibt er eine Interpretation: Per dichiarazion di questo direi che per essere ivi il fuoco che per quel che si vede scalda il globo, dentro il quale è l’acqua, avviene che questo umido elemento essendo rarefatto et attenuato per la virtù del calore, e per consequenza risoluto in vapore, richieda molto maggior spacio per esser contenuto: là onde se non trova facile exito, va con grandissima forza, strepito e ruina a crepare il vase. Ma se vi è loco o facile exito d’onde possa evaporare, indi esce con violenza minore a poco a poco; e secondo la misura con cui l’acqua se risolve in vapore, soffiando svapora in aria. (160) i

Zu sehen – »per quel che si vede« – ist ein physikalischer Prozess. Dessen Bedeutung oder richtiger: die Bedeutung, die Tansillo aus dem bildlich Dargestellten erschließt, ist folgende: »Ich würde dies so interpretieren: Da dort Feuer brennt, das, soweit man sieht, die Kugel erhitzt, in deren Innern sich Wasser befindet, braucht dieses feuchte Element, weil es durch die Kraft der Wärme verdünnt und abgeschwächt worden ist und sich schließlich in Dampf aufgelöst hat, insgesamt wesentlich mehr Platz zu seiner Ausdehnung. Falls es also keinen leichten Ausgang findet, bringt es das Gefäß unter ungeheurem Druck und Getöse und vielen Scherben zum Bersten. Aber wenn dort eine Stelle oder ein leichter Ausgang ist, wodurch es den Dampf ablassen kann, tritt es nach und nach mit geringerem Druck aus, und je nach der Geschwindigkeit, mit der das Wasser verdampft, entschwebt es und verdunstet in der Luft.« (161) i

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Qua vien significato il cor del furioso, dove come in esca ben disposta essendo attaccato l’amoroso foco, accade che della sustanza vitale altro sfaville in fuoco, altro si veda in forma de lacrimoso pianto boglier nel petto, altro per l’exito di ventosi suspiri accender l’aria. (160/162)i

Und genau dieser Sachverhalt ist in den vier Wörtern des Mottos benannt – es ist das bzw. ein Motto des furioso: »E però dice At regna senserunt tria.« Das nachfolgende Gedicht erläutert noch einmal Figura und Motto – »il che è molto bene esplicato ne le rime seguenti sotto la figura« – und trägt insbesondere der differenzierenden Bedeutung des Wörtchens ›at‹ Rechnung. Tatsächlich aber ist das nachfolgende Gedicht nurmehr ein weiteres (Sprach)Bild, das jenen die furori bestimmenden Widerstreit der Augen und des Herzens, mithin des Willens und des Intellekts, erneut, doch auf wieder andere Weise figuriert. Ohne vorerst auf weitere Besonderheiten der ersten ›Imprese‹ einzugehen, ist folgendes festzuhalten: Die unverbrüchliche Einheit von Motto und Icon, die die Imprese üblicherweise kennzeichnet, scheint wenn nicht aufgegeben, so doch entschieden alteriert. Der bildliche Teil tritt hinter dem sprachlichen Teil gänzlich zurück bzw. existiert nurmehr sprachlich, ist seinerseits bildlich figurierte Sprache.182 Im Unterschied zu den variablen und kopiosen (Sprach-) Bildern, die die Sonette generieren – und dies gilt gleichermaßen für den Canzoniere-Teil wie den Impresen-Teil der Eroici furori –, ist das jeweilige (Sprach)Bild der Motti mit seinen zwei, drei, auch vier Wörtern höchst konzentriert. Sie sind ihrerseits signa, imagines und als solche Ausdruck der mentalen Bilder, mittels deren der Intellekt des eroe denkt183 und durch die der Intellekt des eroe zugleich figuriert ist. In ihrer Hermetik werden die Motti zu Hieroglyphen ganz eigener Art184: Sie stehen nicht für etwas anderes, sie sind keine Allegorien und keine Symbole und keine Metaphern, sie stehen für sich selbst, richtiger: sie sind sie selbst.185 »Hier wird das Herz des Leidenschaftlichen versinnbildlicht, dem folgendes widerfährt: Wie trockener Zunder brennt es, wenn das Feuer der Liebe einmal entfacht ist, und so geht die Substanz des Lebens teilweise in Funken auf, teilweise kocht sie als tränenreiches Weinen in der Brust, teilweise steckt sie, durch heftige Seufzer hinausgetrieben, die Luft in Brand.« (161/163) i

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Dies recht einzuordnen, ist in aller Knappheit daran zu erinnern, dass schon in der frühen Renaissance das Interesse an den Hieroglyphen Ägyptens neu einsetzte.186 Neben antiken, neuplatonischen und allgemein spätantiken Quellen waren es insbesondere die Hie­ ro­glyphica des Horapollo, die die Hieroglyphomanie der Humanis­ ten auslöste – Christophorus de’ Buondelmonti hatte die griechische Handschrift 1419 nach Florenz gebracht, Aldus Manutius druckte 1505 die editio princeps; es folgten in kurzer Zeit dreißig weitere Ausgaben in lateinischer und in anderen Sprachen.187 Das Faszinosum der Hieroglyphica lag für die Humanisten und wiederum insbesondere für die Platoniker unter ihnen darin, dass »jede einzelne Hieroglyphe einen bestimmten Begriff darstelle und mit dessen Bedeutung innerlich zusammenhänge«188 . So ist der Elefant ein starker oder ein redlicher Mensch; der Kranich mit einem Stein in der Kralle die Wachsamkeit; der Phönix die langlebige Seele; der Ibis das Herz. Die Begriffe – es sind deren insgesamt 189 in zwei Büchern – werden keineswegs als Bild-Zeichen repräsentiert, vielmehr werden die Bild-Zeichen, die für die Begriffe stehen, nurmehr beschrieben. Zwei Beispiele aus einer kommentierten und annotierten Ausgabe von 1595 189 – dem griechischen Originaltext steht eine Übersetzung ins Lateinische gegenüber – sollen hier um der Veranschaulichung willen angeführt werden, sie sind dem ersten Buch der Hierogly­ phica entnommen; zitiert wird die lateinische Version: 34. Quomodo animam longo hîc tempore agentem. Animam quæ diutissimè in hac vitâ moram traxerit, aut etiam in­ undationem, commonstrare volentes, Phœnicem avem pingunt. An­ imam quidem, quòd omnium quæ toto orbe sunt animantium, hoc maximè diuturnae vitae est. Inundationem verò, quòd velut signum Solis sit Phœnix, quo nihil in orbe majus, cum Omnia subeat, omnes scrutetur & disquirat. Atq; adeo, πολυϛ, hoc est, multus vocitari solet.i »34. Die Seele, die hier (auf Erden) lange Zeit lebt. Wenn sie die Seele, die äußerst lange Zeit in diesem Leben zugebracht hat, oder eine Überschwemmung darstellen wollen, malen sie den Phoenix. Für die Seele ist er ein Zeichen, weil er von allen Tieren dieses Erdkreises am längsten lebt. Und für die Überschwemmung, weil der Phoenix das Zeichen für die Sonne ist, das Größte im ganzen Universum: sie steht über allem, durchsucht und erforscht alle. Und deswegen pflegt sie πολυϛ, das heißt ›viel(äugig?)‹ genannt zu ­werden.« i

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36. Quomodo Cor pingunt. Cor volentes indicare, Ibin pingunt, quod quidem animal Mercurio attributum ac dicatum est, cordis omnisq; rationis præsidi & modera­ tori. Nam & Ibis per se ipsa magna ex parte cordi adsimilis est, de qua re plurimi apud Ægyptios agitantur sermones.i

Bilder treten an die Stelle von (Sprach)Zeichen – in unseren Texten ist von ›(zugleich) zeigen‹ (commonstrare), ›malen‹ (pingere) und ›hinweisen‹ (indicare) die Rede, und dennoch werden die Bilder nurmehr in (Spach)Zeichen evoziert. Gleichwohl wird die Vorstellung vermittelt, dass res und verbum übereinkommen, eins sind in einem Bild-Zeichen, das in seiner absoluten Figuration das Eine, das Göttliche vergegenwärtigt. Genau hierin ist das Interesse der Humanisten für die Hieroglyphen begründet: Als ›heilige Zeichen‹ sind sie Modell eines mittelalterlichen Analogismus, den es unter postnominalistischen Bedingungen zu restituieren gilt. Und das bedeutet für die Renaissancehieroglyphik: Während die Bild-Zeichen der Ägypter, eingemeißelt in Stein, als ›heilig‹ galten, weil sie als Gabe des Gottes Theut erachtet wurden, sind die Bild-Zeichen der Renaissancehumanisten Schöpfungen ihres eigenen Ingeniums, ohne dass der Anspruch des ›Heiligen‹ aufgegeben wäre. Das splendideste Zeugnis ist die Hypnerotomachia Poliphili des Francesco Colonna190 , jener phantasmatische ›Traumliebeskampf‹ in lateinischitalienischer Kunstsprache, Schmelztiegel von Bild-Zeichen aus drei Jahrtausenden, gefundenen und erfundenen.191 Die Hieroglyphen der Hypnerotomachia und weit mehr noch die der Hieroglyphica des Pierio Valeriano192 sind Ausdruck eines komplexen Widerspiels von inventio und imitatio, von absolutem göttlichem Bild-Zeichen, das – vorgeblich – aufgenommen wird, und einem Bild-Zeichen, das der menschliche Geist konzipiert. In dieser Konstellation hat die Imprese ihre Origo und ihr Telos: Sie ist ein mentaler Akt, der der Materialität der Figura letztlich nicht (mehr) bedarf. Vom BildZeichen avanciert die Imprese zur Bild-Idee193; und als Bild-Idee partizipiert sie am absoluten Göttlichen, am Sein. Alessandro Farra, »36. Das Herz. Wenn sie das Herz bezeichnen wollen, malen sie einen Ibis, weil nämlich dieses Tier dem Merkur heilig ist, dem Herren und Lenker des Herzens und der Vernunft. Denn der Ibis sieht ja selbst weitgehend dem Herzen ähnlich, weshalb bei den Ägyptern äußerst viel geredet wird.« i

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der Platoniker unter den Impresen-Theoretikern, hat diese Vorstellung wohl am klarsten formuliert: […] essendo [sc. le imprese] le Imagini de’ nostri concetti più nobili, hanno necessariamente un’altissimo principio, perciochè nella formatione loro gli Animi humani vengono a farsi seguaci e imitatori dell’Anima Regia o gran Natura, della Mente prima, e finalmente d’Iddio sommo opefice, nella creatione del Mondo ideale, del ragionevole, e del sensibile.194

Als Bild-Ideen (Imagini de’ nostri concetti) sind auch die Impresen Simulacra, Schatten der Ideen und Spiegel des Absoluten (seguaci e imitatori dell’Anima Regia o gran Natura, della Mente prima, e finalmente d’Iddio sommo opefice). Hieraus gewinnen sie ihre metaphysische Dignität. Bruno schöpft die Möglichkeiten der Imprese aus195 und nimmt sie für seine nolana filosofia, näherhin seine ontologisch begründete Bildtheorie196 in Dienst. Demgemäß ist weniger die Figura von Belang als das Motto: Es ist eine (Sprach)Bild gewordene Bild-Idee und als solche Ausdruck des hero­ischen Intellekts bzw. der hero­ ischen Imagination.197 In den hermetisch verdichteten Bild-Ideen eines Idem semper ubique totum oder Mutuo fulcimur oder gar Cir­ cuit figuriert der hero­ische Intellekt sich selbst, er ›kontrahiert‹ sich in immer neuen Figurationen, die in ihrer Hermetik zu Hieroglyphen eigener Art werden: Als Ausdruck mentaler Akte geben sie ihrerseits Zeugnis von Partizipation und Konstruktion zugleich und werden somit auch zu (Ab)Bildern der species intelligibiles. Die Wahl des Impresen-Formats ist nicht einer Mode geschuldet – Bruno hat für die Impresen-Manie nurmehr Spott übrig198 . Sie ist vielmehr begründet in der Möglichkeit, auf eine weitere und andere Weise Ideae in und durch Imagines und Signa zur Vorstellung zu bringen, genauer: die unendlichen Ideae in einer unendlichen Vielzahl und Vielfalt an Imagines und Signa zu figurieren.199 Die Variation der Form ist wiederum im Gegenstand selbst begründet bzw. erlaubt, den Gegenstand in der Form selbst hervorzubringen: die Philosopheme der Einheit und der Unendlichkeit, die in den Impresen-Dia­logen I  5 und II  1, zudem II  2 in besonderer Intensität zum Austrag kommen. Im ganzen aber gilt für den Impresen-Teil wie bereits für den Canzoniere-Teil200: Die brunianische Metaphysik Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  79

und Erkenntnistheorie kann nicht anders, als sich in immer neuen Bildern der Sprache, in immer anderen Phantasmata zu artikulieren. Denn das ›Denken in Bildern‹ ist gleichermaßen konstitutiv für die nolana filosofia als nova filosofia, für die Eroici furori als Text wie die furori eroici als Haltung, als Ethos. So werden in den beiden Impresen-Dia­logen die »condizioni di questi furori« (160) der Reihe nach vorgestellt und zur Sprache gebracht, zudem eine Ordnung201 eingehalten, die die einzelnen Bild-Zeichen bzw. Bild-Ideen in ihrer Aufeinanderfolge auseinander hervorgehen und sich wechselseitig erläutern, sich verdichten lässt. Somit sind die condizioni in ihrer Abfolge – wie oben gezeigt – nurmehr eine Variante des discorso. Die Wiederaufnahme der Philosopheme der ersten vier Dia­loge und deren Intensivierung in formal-figurativer Variation in den drei folgenden sollten allerdings eine bemerkenswerte Veränderung, die mit der Impresen-Figuration ganz offensichtlich in Zusammenhang steht, nicht übersehen lassen: Im Impresen-Teil ist ein neues Bildprogramm aufgelegt und damit verbunden eine modifizierte Perspektive eingenommen. Während im Canzoniere-Teil der eroe, sein Streben und sein Schicksal in den Bildern des Jägers, der Hunde und des Wildes, der Küken und des Nestes, der Felsen und der Höhle Anschauung finden, sind im Impresen-Teil die Bilder des Phönix202 und der Sonne rekurrent: In vielfältiger Weise vergleicht sich der furioso mit jenem enigmatischen Vogel203 , den die Ägypter verehrten und dem gemeinsam mit dem Sonnengott Heliopolis einen Kult errichtete. In Entsprechung wird im Impresen-Teil die mythische Figur des Phoebus Apollo, Relationsfigur der Diana, unter der Hand durch den Sonnengott der Ägypter, Re (hier: Sol), ersetzt – jeweils Bilder für »il sommo bene«, »il primo vero« oder »la verità absoluta«. Der Wechsel hat Methode. Mit Phönix und Sol (Re) tritt die ägyptische Kultur in den Horizont204: Das Repertoire der Bilder wird erweitert in eine Zeit und in einen Raum, die der griechischen Antike vorausliegen und die die Möglichkeit schaffen, Impresen, verstanden als Bild-Ideen, den Rang von Hieroglyphen zu geben.205 Dem neuen Bildprogramm entspricht die modifizierte Perspektive: Während im Canzoniere-Teil der furioso, mithin das ›Subjekt‹ (il suggetto), im Fokus stehen, tritt im Impresen-Teil das ›Objekt‹ (l’oggetto), das höchste Gut, die absolute Wahrheit, in den Mittel80  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

punkt. Nicht mehr ist in erster Linie das unendliche Streben des eroe hin zum Einen vielfältig variiertes Thema, vielmehr das Sein und die Wirkung des Einen auf den eroe. Der Perspektivenwechsel ermöglicht freilich nurmehr weitere Variationen in der Wiederholung der die Eroici furori tragenden Philosopheme und eine Intensivierung wie Differenzierung des Konzepts der Unendlichkeit. Einige Beispiele sollen die genannten Besonderheiten erhellen, insbesondere ein weiteres Mal deutlich machen, dass die (Sprach)Bilder in einer internen Logik auseinanderhervorgehen und zugleich die basalen philosophischen Konzepte buchstäblich hervortreiben. Kommen wir noch einmal auf die erste Imprese206 zurück: At regna senserunt tria. In Figura – sie stellt vorgeblich einen physikalischen Prozess dar – und Motto – es verweist auf die »drei Reiche der Empfindung«, auf Tränen, Seufzer und innere Glut – wird die Leidenschaft des Leidenschaftlichen ins Bild gesetzt. Die Zustände des furioso – so die Aussage – sind wie eine Kugel, deren Inneres mit Wasser gefüllt ist und die erhitzt wird. Je nach Beschaffenheit der Kugel, ob offen oder geschlossen, sind die Reaktionen unterschiedlich. Im Sonett kommen Figura und Motto überein: Die Wort-Zeichen, die jeweils Psyche bzw. Natura kennzeichnen – cor, lacrime, suspiri, ardor und acqua, aria, fuoco –, werden zu WortBild-Zeichen, die aufgrund ihrer je eigenen Wertigkeit in ein frei korrelierendes Verhältnis treten und somit die Übereinstimmung von Naturvorgängen und seelischen Zuständen evidenzieren: Dal mio gemino lume, io poca terra, soglio non parco umor porgere al mare; da quel che dentr’ il petto mi si serra spirto non scarso accolgon l’aure avare; el vampo che dal cor mi si disserra si può senza scemars’ al ciel alzare: con lacrime, suspiri et ardor mio a l’acqua, a l’aria, al fuoco rendo il fio. (162)i »Aus meinem zweifach’ Licht pfleg’ ich, die kleine Erde, / nicht wenig Flüssigkeit dem Meer zu schenken. / Aus dem, was sich in meiner Brust verschließt, / nehmen die gierigen Lüfte nicht geringen Atem auf. / Die Lohe, die aus meinem Herzen weicht, / kann ohne Minderung zum Himmel sich erheben: / Durch Tränen, Seufzer und mein Brennen / zahl’ ich Tribut an Wasser, Luft und Feuer.« (163) i

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Dass der furioso sich gleich eingangs des Sonetts als poca terra bezeichnet, die Wasser, Luft und Feuer aus sich entlässt, ist nicht allein ein Tribut an eine konsistente Bildlichkeit. Vielmehr gelingt mit diesen beiden kleinen Wörtern einer der zahlreichen raffinierten Übergänge von einem Bildbereich in den anderen – hier in den Bildbereich von Imprese II: Dort ist im Wappen die Sonne dargestellt, die ihre Strahlen auf dem Rücken der Erde ausbreitet. Und genau hier findet ein erster Perspektivenwechsel statt: vom ›Subjekt‹ auf das ›Objekt‹, dieses Mal im Bild der Sonne figuriert. Die Sonne, »immer dieselbe und immer und an allen Orten alles zugleich bewirkend«207 – idem semper ubique totum, so das Motto –, ist somit ein weiteres Bild des absoluten Einen, mit sich Identischen und Ubiquitären. Sie steht, wie bislang Apollo, für »il sommo bene«, »il primo vero« und »la verità absoluta«, und sie ergießt ihre Strahlen über die Erde.208 Es folgt der Vergleich, die Gleichsetzung der Sonne mit dem ›Objekt‹ des furioso und der Erde mit dem furioso selbst: […] come il sole sempre dona tutte le impressioni a la terra, e questa sempre le riceve intiere e tutte: cossì l’oggetto del furioso col suo splendore attivamente lo fa suggetto passivo de lacrime, che son l’acqui; de ardori, che son gl’incendii; e de suspiri quai son certi vapori, che son mezzi che parteno dal fuoco e vanno a l’acqui, o partono da l’acqui e vanno al fuoco. (164)i

Die Figurierung der Reaktion des furioso nimmt wiederum die Bildlichkeit von Imprese I, in der die Leidenschaft des Leidenschaftlichen durch die drei »(Be)Reiche der Empfindung« (At regna sen­ serunt tria – Tränen, Seufzer, innere Glut) veranschaulicht werden, auf und führt sie in Imprese IV in Variation weiter in der Figura der Feuerflamme, in der der Falter, angezogen und geblendet von ihrem Glanz, zu Tode kommt. In ihm sieht der furioso sein Ebenbild: […] a costui [sc. al furioso] non men piace svanir nelle fiamme de l’amoroso ardore, che essere abstratto a contemplar la beltà di quel raro splendore, sotto il qual per inclinazion di natura, per elezion di »[…] wie die Sonne immer alles auf die Erde einwirken lässt und diese alles vollständig aufnimmt, so macht das Objekt den Leidenschaftlichen durch die Tätigkeit seines Glanzes zum passiven Subjekt der Tränen, das heißt des Wassers, der Glut, das heißt des Feuers, und der Seufzer, das heißt gewisser Dämpfe, die das Mittelglied beim Übergang von Feuer zu Wasser oder von Wasser zu Feuer darstellen.« (165) i

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voluntade e disposizion del fato, stenta, serve e muore: più gaio, più risoluto e più gagliardo, che sotto qualsivogli’altro piacer che s’offra al core […]. (172)i

Der Unterschied freilich liegt darin, dass der Falter die Flamme vermiede, wenn er wüsste, dass er in ihr den Tod findet209. Doch nicht der Falter, sondern der Phönix wird recht unvermittelt in dem nachfolgenden Sonett, in dem wiederum der furioso der Sprecher ist, zur Referenzfigur. Mit ihm hat der eroe die Beständigkeit (con­stanza) gemein: »sempr’uno sarò ver l’unica fenice« (170) und »Cossì questo [sc. il furioso] è unico con la fenice unica.« (172) Die Funktion der Bezugnahme auf den mythischen Vogel erhellt allerdings erst aus Imprese VI, deren Figura eine fenice volante vorstellt210 . Das Sonett auf der tavoletta wird zum besseren Verständnis gleich eingangs von Tansillo gelesen: Unico augel del sol, vaga Fenice, ch’appareggi col mondo gli anni tui, quai colmi ne l’Arabia felice: tu sei chi fuste, io son quel che non fui; io per caldo d’amor muoio infelice, ma te ravviv’il sol co’ raggi sui; tu bruggi ’n un, et io in ogni loco; io da Cupido, hai tu da Febo il foco.   Hai termini prefissi di lunga vita, et io ho breve fine, che pronto s’offre per mille ruine, né so quel che vivrò, né quel che vissi.   Me cieco fato adduce, tu certo torni a riveder tua luce.211 (178/180)ii »[…] dem Leidenschaftlichen gefällt es nicht weniger, in den Flammen des Feuers der Liebe zu vergehen, als hingerissen die Schönheit jenes außergewöhnlichen Glanzes zu betrachten, für den er aufgrund seiner natürlichen Neigung, seiner Willensentscheidung und der Bestimmung seines Schicksals sich müht, dient und stirbt, und zwar fröhlicher, entschlossener und mutiger als für alles andere, was sich an Vergnügen dem Herzen bietet […].« (173) ii »Einzigartiger Sonnenvogel, schöner Phönix, / dem Alter dieser Welt entspricht die Anzahl deiner Jahre, / die du im Glücklichen Arabien zur Vollendung bringst. / Du bist jener, der du warst, ich bin der, der ich nicht war. / Ich sterbe in der Glut der Liebe unglücklich, / doch dich belebt die Sonne mittels ihrer Strahlen; / du brennst an einem, ich an allen Orten; / ich hab’ von Cupido, von Phoebus du das Feuer. / Dir ist vorherbestimmt in Ziel und Dauer / ein i

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Es scheint, als werde der Constat aus Imprese IV – »Cossì questo è unico con la fenice unica« (172) – aufgehoben, ja in sein Gegenteil gewendet: Die Konstanz wird hier allein dem Phönix zugeschrieben, die Wechselhaftigkeit und Unbeständigkeit dem eroe212 . Aus der Analogie wird ein Gegensatz213 , der wiederum in dem Motto Fata obstant seine ebenso prägnante wie überraschende214 Bild-Idee findet. Die Besonderheit von Sonett und Kommentar, im Ganzen der zwei Impresen-Dia­loge, ist aber darin zu sehen, dass die beiden mythisch-mythologischen Bildbereiche – der römisch-antike und der altägyptische – ineinandergeblendet sind, ineinander übergehen und austauschbar werden. Mit dem solchermaßen erweiterten Bildpotential – Sonne und Mond, Apoll und Diana, Sol und Phönix – werden unter anderem Augenblick, Zeit und Ewigkeit, Endlichkeit und Unendlichkeit, Akt und Potenz, Materie und Form und insbesondere die Seele215 zur Vorstellung gebracht – Philosopheme, die in der einen oder anderen Weise und in unterschiedlicher Intensität bereits in den ersten vier Dia­logen, dem Canzoniere-Teil, thematisiert sind. Und doch dominieren im Impresen-Teil die Philosopheme der Unendlichkeit und der Vollkommenheit, der Zeit, des Augenblicks und der Ewigkeit. In Sol und Phönix haben sie ihre ›Hieroglyphe‹, in der – potentiell unendlichen – Abfolge der Impresen, genauer der siebenundzwanzig Bild-Ideen wie Circuit, Talis mihi semper et astro, Novae ortae Aeoliae, Manens moveor sind sie figurativ ›entfaltet‹.216 Die Worte Cesarinos zu Beginn der Imprese VIII des ersten Dia­logs des Zweiten Teils können für jede einzelne Imprese gelten: »[…] è tempo di procedere a considerar il seguente dissegno simile a questi prossimi avanti rapportati, con li quali ha certa conseguenza.« (266)i Doch nicht in erster Linie die Ähnlichkeit, vielmehr der unablässige Wechsel in der Ähnlichkeit, ja in der Selbigkeit ist das figurative Prinzip der ›Entfaltung‹. Ein Ende ist ausgeschlossen. Eine geradezu langes Leben, ich indessen hab’ ein schnelles Ende, / das rasch sich offenbart in tausendfältigem Verfall. / Ich weiß nicht, was das Leben mir bereithält, noch was es mir brachte. / Mich führt das Schicksal blind, / du kehrst gewiss zurück, wirst dein Licht wiedersehen.« i »[…] es ist an der Zeit, zur Betrachtung der nächsten Zeichnung überzugehen, die jenen unmittelbar zuvor besprochenen ähnlich ist und sie in gewisser Weise fortsetzt.« (267) 84  |  Poiesis. Sprache – Struktur – Genera

kongeniale Performanz dieses Prinzips ist die letzte Imprese des fünften Dia­logs des Ersten Teils, Imprese XV. Die Figura zeigt eine Schlange, die im Schnee dahinsiecht, und einen nackten Knaben, der im Feuer brennt; das Motto zählt vier Wörter, hat drei semantische Einheiten: Idem, itidem, non idem – für Tansillo ein Rätsel, ein enigma. Auch die zwei Sonette scheinen keine Klärung zu bringen, den »Knoten nicht lösen zu können« – so jedenfalls Tansillo: »Andiamone, perché per il camino vedremo di snodar questo intrico, se si può.«i (226) Tatsächlich aber könnten Wahl und Folge der drei semantischen Einheiten des Mottos nicht treffender sein, sie sind geradezu der Inbegriff der Bild-Idee, in der das brunianische Philosophem der Wechsels und der Gegenwendigkeit, der contrarietà, figuriert ist. Anders als die petrarkisch-petrarkistidschen contrari affetti, die – so jedenfalls scheint es – vor allem im ersten der beiden Sonette im Gegenspiel von ›Eis‹ und ›Feuer‹ ausgetragen werden217, reflektiert die Wortfolge Idem, itidem, non idem in ihren nur leicht variierten Morphemen und Phonemen jenen dynamischen Wechsel und jene Diversität218 , kurz jenes Selbige im Nichtselbigen, mittels derer die Unendlichkeit des komplikativen Einen in der unendlichen Vielheit des Universums ausgefaltet ist und die in strukturell gleicher Weise das Streben des furioso nach dem Absoluten be­ stimmen. Jede einzelne Imprese, jede einzelne Bild-Idee, verdiente eine genaue Analyse. Nur soviel: Jede Bild-Idee enthält in nuce alle übrigen Bild-Ideen; sie ist jeweils alles in allem, freilich potentiell, nicht aktual. Entfaltet wird sukzessiv und instantan zugleich die nolana filosofia in immer neuen Bildern des Lichts und des Schattens, des Todes und des Lebens, von Eros und Anteros. Wiederholung in Varation, Wechsel und Gegenwendigkeit sind das ontologische und das ästhetische Prinzip. Der moto metafisico hat sein Bild in einem moto poietico, der moto poietico generiert den moto metafisico. Diese poietisch-metaphysische Bewegung, die die Abfolge der einzelnen Bild-Ideen-Impresen bestimmt, wird noch einmal makro­ strukturell reflektiert im Verhältnis der beiden Impresen-Dia­loge I  5 »Gehen wir, um unterwegs zu versuchen, diesen Knoten aufzulösen, wenn es denn möglich ist.« (227) i

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und II  1 zueinander und wiederum im Verhältnis dieser Dia­loge zu Dia­log II  2. Die Dia­loge I  5 und II  1 verlaufen in Abfolge und Entfaltung der Philosopheme parallel; ihr Ende weist jeweils ins Offene, Aporetische – Scheitern, ja Hoffnungslosigkeit ist das letzte Wort. »[…] lasciamo ogni speranza«219 (224) – so der Schluss des zweiten Sonetts der letzten Imprese von Dia­log I  5; und die letzte Imprese von Dia­log II  1 thematisiert die Schwäche des hero­ischen Geistes, der in seinem göttlichen Streben in den Abgrund gerissen wird.220 Verzweiflung sind Zustand und Verfassung, stato und condizion, des eroe. Unvermittelt setzt sodann Dia­log II  2 ein mit einem radikalen Umschlag, einem absoluten Neubeginn. Er wird eröffnet mit dem Verweis der Figur des Maricondo auf eine weitere Imprese: Qua vedete un giogo fiammeggiante et avolto de lacci, circa il quale è scritto: levius aura; che vuol significar come l’amor divino non aggreva, non trasporta il suo servo, cattivo e schiavo al basso, al fondo: ma l’inalza, lo sulleva, il magnifica sopra qualsivoglia libertade. (296)i

Und es folgt ein Schweifsonett, das ein Parodos zum Aktaion-Poem zu Beginn des vierten Dia­logs des Ersten Teils ist. Die Perspektive ist wiederum dieselbe, die die beiden vorausgehenden ImpresenDia­loge bestimmt: Das Göttliche wird in seinem Verhältnis zum Menschlichen gesehen. Diana tritt als Jägerin dem Jäger Aktaion gegenüber, die Vereinigung zwischen Göttlichem und Menschlichem, die Ende I  4 sich ereignet in conversio, raptus und contractio, findet erneut statt, und es ist Amor, der eine Hymne auf den eroe im Bild Aktaions anstimmt:  […] »O fortunato amante, o dal tuo fato gradito consorte: che colei sola che tra tante e tante,   quai ha nel grembo la vit’ e la morte, più adorna il mondo con le grazie sante, ottenesti per studio e per sorte,   ne l’amorosa corte »Hier seht Ihr ein flammendes, von Schlingen umwundenes Joch; rundherum steht geschrieben levius aura; es soll darstellen, inwiefern die göttliche Liebe ihren Diener, Gefangenen und Sklaven nicht belastet, nicht in die Tiefe und auf den Grund zieht, sondern ihn aufrichtet, erhebt und größer macht als jede erdenkliche Freiheit.« (297) i

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sí altamente felice cattivo, che non invidii a sciolt’ altr’uomo o divo.« (296)i

Der Höhe- und Schlußpunkt hero­ischer Leidenschaft scheint ein weiteres Mal erreicht, insbesondere da Amor das letzte Wort hat. Es wird deutlich, weshalb auf die beiden textmittigen und in Form und Gegenstand weitgehend analogen Impresen-Dia­loge noch ein weiterer folgt, der nur eine Imprese enthält und nur eine Imprese enthalten kann: Diese letzte, separierte Imprese ist Kontrapunkt und Aufgipfelung zugleich aller vorausgegangenen Impresen bzw. BildIdeen: Wechsel und Wandlung, Gegenstrebigkeit und Diversität sind Bedingung der Möglichkeit, das Eine Unendliche im Moment der contractio zu erfahren. In der Bild-Idee levius aura hat sie ihre konzise Anschauung. Zugleich aber wird mit levius aura und dem ihm folgenden Diana-Poem wiederum ein Bezug zum Aktaion-Sonett, zum vierten Dia­log des Ersten Teils und insgesamt zum Canzoniere-Teil hergestellt: Das große Thema der ›Jagd nach Wahrheit‹, das den Canzoniere-Teil beherrscht, wird in Dia­log II  2 aufgenommen und philosophiegeschichtlich wie geschichtsphilosophisch vertieft in durchaus polemischer Auseinandersetzung mit Aristoteles und den ›Pedanten‹ einerseits, den Vorsokratikern und Platon anderseits. Zweck dieser Auseinandersetzung ist es, die nolana filosofia als Höhe- und Endpunkt auszuweisen und ihr ein weiteres Mal im Bild von Diana und Aktaion prägnante Anschauung zu geben. De gli eroici furori  II  3 – II  4 – II  5

Was als Höhe- und Endpunkt erscheint, ist – ganz im Sinne der nolana filosofia, näherhin des furore eroico – nurmehr die Voraussetzung eines Neubeginns. Es folgen drei weitere Dia­loge, Solitäre in ihrer jeweiligen und je eigenen Form, zugleich ein Novum in der Reflexion des hero­ischen Erkenntnisprozesses. »[…] ›Oh, du glückseliger Liebender, / oh, du durch dein Geschick begünstigter Gemahl, / da du gerade jene, die von all den Vielen / aus dem Schoß des Lebens und des Todes / die Welt in höchstem Grad mit heiliger Anmut schmückt, / durch dein Streben und des Schicksals Los erhalten hast. / Du in verliebter Anbetung / so erhaben glücklicher Gefangener, / dass du keinen freien Menschen oder Gott beneidest.‹« (297) i

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Ingeniös ist der Einsatz des dritten Dia­logs des Zweiten Teils: Der furioso hat – wie es am Ende von Dia­log II  2 heißt – das Absolute Eine, das Göttliche in seinem Schatten gesehen, ist »ganz Auge und umfasst den gesamten Horizont mit seinem Blick«221, und für eine kurze Zeit ist seine Seele »stillgestellt«: »Posando sotto l’ombra d’un cipresso il furioso, e trovandosi l’alma intermittente da gli altri pensieri (cosa mirabile) […]« (320)222 – so die Situation zu Beginn von Dia­log II  3. Es ist eben jener Moment, der am Ende von Dia­log I  4 in der contractio des eroe-Atteone kulminierte und wiederum am Ende von Dia­log II  2 im Diana-Aktaion-Bild223 aufgenommen und vorbereitet ist. Über diese rekurrente Bildlichkeit und die ihr eigene erkenntnistheoretische Implikation ist der Canzoniere-Teil mit dem Impresen-Teil verbunden, erweist sich der eine letztlich als eine Variation des anderen, ist zudem ein Bezug zu den letzten drei Dia­logen geschaffen, deren jeder den hero­ischen ErkenntnisProzess ein weiteres Mal auf je neue und höchst intensive Weise figuriert. Die Besonderheit von Dia­log II  3 liegt nun darin, dass die »altri pensieri«, Intellekt und Wille, Augen und Herz, »wie zwei Lebe­wesen und Substanzen mit jeweils unterschiedlichem Verstand und Gefühl«224 reagieren, sie sich verselbständigen und miteinander in Disput geraten; ein Dia­log im Dia­log hat statt: Augen und Herz klagen sich gegenseitig an, der Grund für die die Seele aufzehrenden Qualen zu sein225. Was in der Folge in den zwei mal zwei proposte und den zwei mal zwei risposte der Augen und des Herzens zum Austrag kommt, ist jene die brunianische Erkenntnistheorie charakterisierende und im Ganzen die Heroischen Leidenschaften strukturierende Interdependenz von Intellekt und Wille. Liberio, der die proposte und risposte der Augen und des Herzens aus dem Gedächtnis referiert, bringt die Wechselbewegung auf den Punkt, wenn er unter anderem kommentiert: Gli occhi apprendono le specie e le proponeno al core, il core le brama et il suo bramare presenta a gli occhi: quelli concepeno la luce, la diffondeno, et accendeno il fuoco in questo; questo scaldato et acceso invia il suo umore a quelli, perché lo digeriscano. Cossì primieramente la cognizione muove l’affetto, et appresso l’affetto muove la cognizione. (340)i i

»Die Augen nehmen die Erscheinungen auf und legen sie dem Herzen

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Es ist diese gegenwendige Bewegung von Erkenntnis und Affekt, die in der ungewöhnlichen Sequenz von zweimal je zwei proposte und zweimal je zwei risposte im jeweiligen Wechsel ihr Bild findet. Indem auf eine proposta des Herzens eine proposta der Augen folgt, sodann jeweils eine risposta und so fort, wird eine Übereinstimmung im Widerstreit figuriert. Sie ist nurmehr der Effekt einer wechselseitigen Hemmung entgegengesetzter Kräfte, die in der spezifischen Abfolge der acht Schweifsonette ausagiert wird. Augen und Herz, Intellekt und Wille, bilden als zwei gleich starke Kräfte ein Gleichgewicht in der Schwebe. Ein weiteres Mal wird der hero­ ische Erkenntnisprozess als unendliche Wechselwirkung von Wille und Intellekt figurativ generiert: hier in der Doppelstruktur von proposte und riposte und in den Bildern von Augen und Herz, Wasser und Feuer. Während die Struktur des Dia­logs II  3 eine geradezu ingeniöse Neuerung des Dia­logs als Form ist, stellen die Bilder in ihrer Rekurrenz den Bezug zu allen vorausgehenden Dia­logen her. Der vierte Dia­log des Zweiten Teils verleiht über das Motiv der Blindheit dem Augen-Herz-Widerstreit in Dia­log II  3 eine neue Dimension und schafft zugleich die Voraussetzung für den letzten Dia­log. Im Bild von neun Blinden »werden die neun Gründe für die Unfähigkeit, Unverhältnismäßigkeit und Fehlerhaftigkeit der Anschauung und des Erkenntnisvermögens des Menschen göttlichen Dingen gegenüber versinnbildlicht und auf manche Weise erklärt«226 , neun Gründe also des Scheiterns des menschlichen Intellekts im Bemühen, das Absolute, Eine, Göttliche zu erfassen. Das Scheitern ist ein hero­isches Scheitern: unhintergehbar und gerade darum Ansporn zu immer neuer Bemühung. Die Gründe des Scheiterns bzw. – bildlich – der Blindheit sind in Ursache und Wirkung keineswegs homogen, hierin durchaus analog den condizioni des eroe, wie sie im Impresen-Teil vorgestellt sind. So sind die neun Weisen der Blindheit neun Weisen, in denen der von hero­ischer Leidenschaft angetriebene furioso scheitern kann und auch tatsächlich hero­isch scheitert. Denn nicht eine je einzelne Weise der vor, das Herz begehrt sie und zeigt sein Begehren den Augen. Jene empfangen das Licht, geben es weiter und stecken das Herz in Brand; dieses, erhitzt und entbrannt, sendet ihnen sein Wasser, damit sie es verarbeiten. So erregt zuerst die Erkenntnis das Gefühl und dann das Gefühl die Erkenntnis.« (341) Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  89

Blindheit kennzeichnet das hero­ische Bewusstsein, sondern immer andere, unterschiedene Weisen. Sie sind der Weg, der discorso, dem Einen Unwandelbaren sich anzunähern, ohne es je zu erkennen, ohne je von der Blindheit geheilt zu werden227. In der Reihung der Sonette, der articoli, die die Blinden einer nach dem anderen vortragen und die jeweils eingeleitet sind durch ein Parla il primo cieco, Parla il secondo cieco und so fort, werden »Bewegung, Wandel und Veränderung«228 des hero­ischen Bewusstseins figuriert nicht anders als in der Folge der differenten Gründe der Blindheit, die in den Sonetten einer nach dem anderen thematisiert werden, das »Rad der unaufhörlichen Wandlungen«, die das »Subjekt mit seinem Sinn und Intellekt durchläuft«229, seine Anschauung findet. Erneut bilden Philosopheme und Struktur eine Einheit, werden Philosopheme durch die Struktur generiert. So ist es nur folgerichtig, dass in dem Dia­log der Eroici furori, der wie kein anderer den hero­ischen Erkenntnisprozess in seinen unterschiedlichen Facetten zum Gegenstand hat, näherhin die unüberwindliche »Unverhältnismäßigkeit der Mittel unserer Erkenntnis gegenüber dem Erkennbaren«230 , von dem Mittel die Rede ist, mit dem die »göttlichen Dinge betrachtet werden« können: […] per contemplar le cose divine, bisogna aprir gli occhi per mezzo de figure, similitudini et altre raggioni che gli Peripatetici comprendono sotto il nome de fantasmi […] massime in questo stato detto »speculator de fantasmi« dal filosofo, e dal teologo »vision per similitudine speculare et enigma«; […] (366/368)i

Die Betrachtung der göttlichen Dinge im Mittel der Figuren ist somit die einzige Möglichkeit der Erkenntnis; sie Blindheit zu nennen, bedeutet nicht, dass nichts gesehen werde; im Gegenteil ist sie in ihren differenten Weisen unhintergehbarer Teil des Erkenntnisprozesses, und sie ist im besten Falle für einen Moment aufgehoben: im Moment der Ekstasis, der Illuminatio. Die Canzone de gl’illuminati wird die letzte figura und similitudine der Eroici furori sein. »Denn um die göttlichen Dinge zu betrachten, muss man die Augen durch Bilder, Gleichnisse und andere Sichtweisen öffnen, die die Peripatetiker unter der Bezeichnung Phantasmen zusammenfassen. […] ganz besonders in jenem Zustand, den die Philosophen als ›Denken in Phantasmen‹ und die Theologen als ›Schau im Spiegel der Gleichnisse und Rätsel‹ bezeichnen.« (367/369) i

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Der Übergang vom vierten zum fünften Dia­log des Zweiten Teils ist so raffiniert wie folgerichtig. Laodomia weiß zu berichten, dass die neun Blinden, »zu Anfang neun wunderschöne, verliebte Jünglinge«231, ihre Blindheit dem Zauber der Circe verdanken: Zehn Jahre irrten sie ohne Augenlicht umher, um schließlich am Ufer der Themse auf »schöne und anmutige Nymphen« zu treffen. Sie klagen ihnen ihr Leid und bitten, das Glas zu öffnen, das sie mit sich tragen. Als die Nymphen, eine nach der anderen, es nicht wagen, dem Wunsch nachzukommen, und schließlich eine unter ihnen sich doch ein Herz fasst, »öffnet sich das Glas plötzlich wie von selbst«. Laodomia weiß zu berichten: Che volete ch’io vi referisca quanto fusse e quale l’applauso de le Nimfe? Come possete credere ch’io possa esprimere l’estrema alle­ grezza de nove ciechi, quando udiro del vase aperto, si sentiro aspergere dell’acqui bramate, apriro gli occhi e veddero gli doi soli; e trovarono aver doppia felicitade: l’una della ricovrata già persa luce, l’altra della nuovamente discuoperta, che sola possea mostrargli ­l ’imagine del sommo bene in terra? (388)i

Die Erzählung Laodomias, die letztlich den gesamten letzten Dia­log umfasst, ist eine große Figur, ein Phantasma; sie steht mit Grund am Ende der Eroici furori, mithin im fünften Dia­log des Zweiten Teils. Als letzter Dia­log ist dieser – wie sich zeigen wird – nicht der abschließende Dia­log in dem Sinn, dass er die Unternehmung der Eroici furori, den Text und die den Text hervorbringende Haltung, zu Ende brächte. Und doch bündelt er die vorausgegangenen Dia­ loge in einer Art Brennspiegel – wiederum nicht in einem einfachen Verfahren der mise en abyme, mithin einer Spiegelung en miniature, vielmehr erneut der Variation und der Verschiebung. Form und Materie dieses letzten und abschließenden Teils haben kein Modell in einem der vorangegangenen Teile, und man wird zögern, diesen letzten Teil überhaupt als Dia­log im Sinne eines Gesprächs zu bezeichnen, in dem Positionen und Reflexionen zum Austrag »Muss ich euch beschreiben, wie stark und wie begeistert die Nymphen Beifall klatschten? Wie könnt ihr glauben, ich sei fähig, die äußerste Freude der neun Blinden zum Ausdruck zu bringen, als sie vernahmen, dass das Glas sich geöffnet hatte, sich mit dem ersehnten Wasser benetzt fühlten, die Augen öffneten und die beiden Sonnen sahen.« (389) i

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kommen. Eher handelt es sich um eine Prophetie. Der Argomento gibt darüber Auskunft: Nel quinto dia logo, perché vi sono introdotte due donne, alle quali (secondo la consuetudine del mio paese) non sta bene di commentare, argumentare, desciferare, saper molto, et esser dottoresse per usurparsi ufficio d’insegnare e donar instituzione, regola e dottrina a gli uomini; ma ben de divinar e profetar qualche volta che si trovano il spirito in corpo: però gli ha bastato de farsi solamente recitatrici della figura lasciando a qualche maschio ingegno il pensiero e negocio di chiarir la cosa significata. (30)i

Damit ist offenbar, weshalb am Ende der Eroici furori zwei Frauenfiguren auf den Plan treten: Sie sind Prophetinnen der nolana filosofia, und sie zählen zu denen, die Bruno zu Beginn des dritten Dia­logs des Ersten Teils als »stanza de dèi o spiriti divini«, als »vòti di proprio spirito e senso« (90) unterschieden hat von denen, die »in philosophischen Betrachtungen geübt […] sowie mit einem leuch­ tenden, einsichtsfähigen Geist begabt sind« (91). Sie sind das Gefäß – um noch einmal die Bildlichkeit des Textes aufzunehmen und weiterzuführen –, in dem die Lehre des ›göttlichen Bruno‹ widerhallt. Das Arrangement ist raffiniert, und es changiert zwischen Ironie und Pathos. Seine Funktion ist es, ein Ende zu finden für einen Text, der nach Form und Materie potentiell unendlich ist und der zugleich vollständig und vollendet sein muss. Um der Vollendung im Unendlichen virtuellen Ausdruck zu geben, gestaltet Bruno den letzten Dia­log als eine Figur, als ein großes Bild232 , dessen Kommentar – fast – ausschließlich in den einleitenden Argomento verlegt ist: Die Reinheit der Figur bleibt damit gewahrt. Das hat zur Folge, dass dem Argomento des letzten Dia­logs eine Sonderstellung eingeräumt ist: Er ist der an Umfang weitaus größte, in der Sache ausführlichste, »Im f ü nf ten Dia ­l og treten zwei Frauen auf, denen (nach den Gebräuchen meines Landes) nicht wohl ansteht, zu kommentieren, zu argumentieren, zu enträtseln, viel zu wissen und Doktorinnen zu sein, um sich die Aufgabe anzumaßen, die Menschen zu belehren und ihnen Ordnung, Regeln und Wissen zu vermitteln; hingegen ziemt es ihnen, bisweilen zu weissagen und zu prophezeien, wenn der Geist in ihren Körper fährt. Deshalb haben sie sich damit begnügt, die ›Sprach-Figur‹ lediglich vorzutragen und einem männlichen Geist das Denken und die Aufgabe zu überlassen, die gemeinte Sache zu erklären.« (31) i

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und er ist von den übrigen beiden Teilen, die die ersten fünf und nachfolgenden vier Dia­loge referieren und kommentieren, typographisch abgesetzt und eigens mit einem (Unter)Titel versehen: Argomento et allegoria del quinto dialogo.233 Der Kommentar im Argomento kann als Kondensat der in den Eroici furori verhandelten Metaphysik und Erkenntnistheoie gelesen werden234 , der letzte Dia­log als dessen ästhetische Realisation. Nucleus ist die Zahl neun: Neun ist die Zahl der Ordnung und der Verschiedenheit aller Dinge, die Zahl der Vollkommenheit, die im Universum der Dinge herrscht und dem Ganzen in bestimmter Weise Gestalt gibt. Neun ist die Zahl der Sphären, und neun ist die Zahl der Intelligenzen235 , die, unterhalb der absoluten Einheit, in einem ständigen Kreislauf des Auf- und Abstiegs sich bewegen: wechselseitige und ewige Umwälzung – »revoluzione […] vicissitudinale e sempiterna« (34) – ist ihr Gesetz. Neun ist die Zahl der Jünglinge, die, rivalisierend, der göttlichen Schönheit »im Schatten und auf der Spur« ansichtig werden, erblinden und auf vielen Wegen und nach langer Zeit im hellsten Licht sich wiederfinden236: »Là s’intendeno illuminati da la vista de l’oggetto, in cui concorre il ternario delle perfezioni, che sono beltà, sapienza e verità […]« (36)237 Und neun ist die Zahl der Musen, die mit den Intelligenzen gleichgesetzt sind: Im Einklang mit den neun Sphären stimmen sie einen Gesang an und begleiten ihn mit je einem anderen Musikinstrument. Die genaue Beschreibung der neun Strophen und die Erklärung der Bedeutung, die ihnen eignet, der Funktion, die sie für die Eroici furori erfüllen, sind ein Spiegel der nolana filosofia, die insbesondere in De la causa, De l’infinito und in den Eroici furori formuliert ist und die ihre Ästhetisierung in dem Text selbst hat, der sie poietisch reflektiert. An keiner anderen Stelle im Argomento findet sich eine vergleichbar ausführliche Erläuterung – es lohnt, sie zu zitieren: Qua è conseguente il canto e suono, dove son nove intelligenze, nove muse, secondo l’ordine de nove sfere; dove prima si contempla l’armonia di ciascuna, che è continuata con l’armonia de l’altra; perché il fine et ultimo della superiore è principio e capo dell’inferiore, perché non sia mezzo e vacuo tra l’una et altra: e l’ultimo de l’ultima per via de circolazione concorre con il principio della prima. Perché medesimo è più chiaro e più occolto, principio e fine, altissima luce Poiesis. Sprache – Struktur – Genera  |  93

e profondissimo abisso, infinita potenza et infinito atto, secondo le raggioni e modi esplicati da noi in altri luoghi. Appresso si contempla l’armonia e consonanza de tutte le sfere, intelligenze, muse et instrumenti insieme; dove il cielo, il moto de’ mondi, l’opre della natura, il discorso de gl’intelletti, la contemplazion della mente, il decreto della divina providenza, tutti d’accordo celebrano l’alta e magnifica vicissitudine che agguaglia l’acqui inferiori alle superiori, cangia la notte col giorno, et il giorno con la notte, a fin che la divinità sia in tutto, nel modo con cui tutto è capace di tutto, e l’infinita bontà infinitamente si communiche secondo tutta la capacità de le cose. (36/38)i

Der instrumental begleitete Gesang der neun Intelligenzen partizipiert an der Sphärenharmonie: Neun Strophen – Sechszeiler238 – gehen formal auseinander hervor, indem jeweils die letzte Zeile einer Strophe von der ersten Zeile der nachfolgenden Strophe wiederholt wird und die allerletzte Zeile der neunten Strophe die erste Zeile der ersten Strophe wieder aufnimmt. Der moto metafisico hat sein Anschauungsbild gefunden, ist zum moto poietico geworden: Die unendliche Bewegung findet ihre Vollendung, und die Voll­endung ist eine unendliche Bewegung, verweist doch das Ende auf den Anfang und vice vera. Vollendung ist nur unter der Bedingung des beständigen Wechsels, des Widerstreits und des Zusammenfalls der »Daran schließt sich ein Gesang und Konzert an, in dem neun Vernunftwesen, neun Musen in der Reihenfolge der neun Sphären auftreten. Zuerst betrachtet man darin die Harmonie jeder einzelnen, die sich in der Harmonie der nächsten fortsetzt, denn das Ende und Letzte der oberen ist Anfang und Beginn der unteren, damit kein Zwischenraum und keine Leere zwischen der einen und der nächsten sei. Und der letzte Vers der letzten Strophe stimmt infolge der Kreisbewegung mit dem Beginn der ersten überein. Denn das Hellste und Dunkelste, Anfang und Ende, höchstes Licht und tiefster Abgrund, unendliches Vermögen und unendlicher Akt sind dasselbe, und zwar aus Gründen und auf Weisen, die wir an anderen Stellen erklärt haben. Sodann werden die Harmonie und der Zusammenklang betrachtet, die alle Sphären, Vernunftwesen, Musen und Instrumente zusammen ergeben; da feiern der Himmel, die Bewegung der Welten, die Werke der Natur, die Rede der Vernunftwesen, die Betrachtungen des Geistes und die Bestimmung der göttlichen Vorsehung alle einmütig den erhabenen und großartigen Wandel, der die niederen Wasser den höheren gleichmacht, die Nacht mit dem Tag vertauscht und den Tag mit der Nacht, damit die Göttlichkeit in allem sei auf die Art, wie alles zu allem fähig ist, und damit die unendliche Güte sich je nach dem Fassungsvermögen der Dinge unendlich mitteile.« (37/39) i

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Gegensätze möglich; wenn sie Wirklichkeit würde, wäre sie weder erfahrbar noch darstellbar, denn die Wirklichkeit der Vollendung ist das Eine, Absolute.239 Die neun Intelligenzen treten im Dia­logteil als die neun Blinden auf: Sie haben ihr einst verlorenes Licht zurückerhalten und zugleich ein neues gefunden – zwei Lichter sind ihnen fortan zu eigen. Mit dem neuen Licht vermögen sie »das Abbild des höchsten Gutes auf Erden«240 zu sehen – nicht mit dem Sinn der Augen, sondern mit dem Intellekt des Geistes. Eine Illuminatio hat stattgefunden – ausgelöst durch das Gefäß, das »sich plötzlich wie von selbst«241 öffnete. Als »furiosi debaccanti« bilden sie einen Kreis – »in ordine di ruota« – und stimmen ihren Gesang an, spielen auf den Instrumenten und tanzen schließlich im Reigen. Die Inszenierung des instrumental begleiteten und tanzend aufgeführten Gesangs der neun Blinden folgt deutlich der Inszenierung des Choros, des Chorreigens, wie ihn Platon insbesondere in den Gesetzen, den Nomoi, evoziert242 . Und doch nimmt Bruno eine keineswegs minime Veränderung vor: Platons Metaphysik ist in die Immanenz gewendet – nicht ohne dass der Schatten und die Spur des Metaphysischen mitgeführt würden. Die Interdependenz platonischer Ontologie und brunianischer Kosmologie ist daher das Thema der des letzten Poems, der Canzone de gl’illimunati – sie wird im Bild des Jupiter und des Oceanus veranschaulicht. Kühn ist der Auftakt – er nimmt Goethes Prometheus, Gedicht und mythische Figur, voraus: »Non oltre invidio, o Giove, al firmamento,« dice il padre Oceàn col ciglio altero, »se tanto son contento per quel che godo nel proprio impero«; (394)i

An kaum einer anderen Stelle wird deutlicher, dass dem ›Reich‹ der Immanenz als dem explikativen Universum in seiner unendlichen, unerschöpflichen Vielheit letztlich der Vorzug gegeben wird vor dem ›Reich‹ der Transzendenz als dem komplikativen Einen, Absoluten, Unendlichen. So ist es Jupiter, dem zu hoffen bleibt, dass seine »Schätze« wenigstens denen des Oceanus ebenbürtig seien: »›Ich beneide, Jupiter, den Himmel nicht mehr,‹ / spricht Vater Ozean mit hocherhob’ner Augenbraue, / ›denn ich bin sehr zufrieden / mit dem, was ich im eignen Reich genieße.‹« (395) i

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Giove responde: »O dio d’ondosi mari, ch’altro si trove più di me beato non lo permetta il fato; ma miei tesori e tuoi corrano al pari. (396)i

Die »Schätze«, in denen beide wetteifern, sind die »Schätze« der klassischen Metaphysik und der neuen Kosmologie, der nolana filo­ sofia. Es ist letztere, die obsiegen wird.

»Jupiter gibt zur Antwort: ›Oh Gott der wellenreichen Meere, / dass einer mehr als ich vom Glück gesegnet wäre, / möge das Geschick nicht dulden, / vielmehr seien meine Schätze deinen gleich. […]‹« (395) i

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III C ON CLUSIO

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ie Eroici furori sind nicht nur ein philosophischer Text; sie sind ein Text, der die in ihm verhandelte Philosophie aisthetisch hervorbringt, buchstäblich in (Sprach)Bildern veranschaulicht als Ausdruck eines Ingenium, das seine schöpferische Kraft einem komplexen Widerspiel von Reflexivität und Spontaneität verdankt: Indem es am über das Universum vermittelten Einen partizipiert, vermag es selbst produktiv zu werden, gewinnt es seine ihm eigene Kreativität. Das unerhört Neue der Eroici furori, ihrer tessitura und ineins ihrer Philosophie, ist ihre Poiesis. Bruno selbst hat in jenem vielzitierten, doch in seiner ganzen philosophisch-ästhetischen Tragweite wohl noch nicht recht eingeschätzten Satz, dass die Philosophen Maler und Dichter seien, die Dichter Maler und Philosophen und die Maler Dichter und Philosophen, dass im Ganzen der Philosoph gestaltet und malt243 , die Spur zum Verständnis insbesondere der Poiesis der Eroici furori gelegt: Sie führt zurück zu Cusanus. Denn es war Cusanus, der unter anderem in Idiota de mente die – freilich einzuschränkende – Analogie zwischen Gott, dem Schöpfer, seiner Schöpfungskunst, der ars Dei, und seinem Geschöpf, dem Menschen, in der Metaphorik des Malers, der Malkunst und des Gemäldes veranschaulichte. Als imago Dei vermag es der Mensch seinerseits, dank seiner Vernunft (intellectus) und seines Geistes (mens) in Analogie zur Schöpfungskunst Gottes als der »ars absoluta« selbsttätig zu schaffen, selbst zu malen244: Nosti mentem nostram vim quandam esse habens imaginem artis divinae iam dictae. Unde omnia, quae absolutae arti verissime insunt, menti nostrae vere ut imagini insunt.245

Der Geist des Menschen realisiert diese ihm eigene Fähigkeit, wofern das Denken die Bedingungen seines Denkens mitbedenkt: Das unentfaltete Sein Gottes in seiner absoluten Unendlichkeit ist dem menschlichen Geist nurmehr in der begrenzten Unendlichkeit seiner Entfaltung ›einsehbar‹ – mit der Folge, dass das ›Denken des   |  97

Einen‹ immer unabgeschlossen bleibt, prozessual und dynamisch ist. Gleichwohl hat das Denken selbst eine unendliche Kraft, eignet ihm ein unendliches Potential derart, dass in ihm das Unendliche im Endlichen aufscheint, ja präsent ist. Solcherart ist der denkende Geist des Menschen eine imago viva Gottes.246 Das Gemälde – um zur Metaphorik des Malens zurückzukommen –, das der menschliche Geist in Analogie zur göttlichen Kunst schafft, gehört dem Bereich des Epistemisch-Anagogischen an. Aufgrund seines ontologischen Status verweigert es eine Realisierung in der Materie. Gleichwohl veranschaulicht Cusanus – und dies ist für unseren Zusammenhang von Interesse – die schöpferische Kraft des menschlichen Geistes durch die Malkunst in einer Weise, die zugleich die Möglichkeiten der wirklichen Malkunst und des Gemäldes mitreflektiert. So vergleicht Cusanus in De mente das vollkommene Bild des Geistes mit einem vollkommenen realen Bild: […] quia imago numquam quantumcumque perfecta, si perfectior et conformior esse nequit exemplari, adeo perfecta est sicut quaecumque imperfecta imago, quae potentiam habet se semper plus et plus sine limitatione inaccessibili exemplari conformandi – in hoc enim infinitatem imaginis modo quo potest imitatur, quasi si pictor duas imagines faceret, quarum una mortua videretur actu sibi similior, alia autem minus similis viva, scilicet talis, quae se ipsam ex obiecto eius ad motum incitata conformiorem semper facere posset, nemo haesitat secundam perfectiorem quasi artem pictoris magis imitantem – sic omnis mens, etiam et nostra, quamvis infra omnes sit creata, a deo habet, ut modo quo potest sit artis infinitae perfecta et viva imago.247

Demnach könnte auch ein wirkliches Bild, ein Porträt, allgemein ein Kunstwerk, das Potential des menschlichen, gottähnlichen Geistes, seines Ingenium, aufscheinen lassen: nicht, indem es seinen Gegenstand möglichst getreu wiedergibt – dies wäre nach Cusanus eine imago mortua –, vielmehr indem es, »durch seinen Gegenstand in Bewegung gesetzt, sich selbst [sc. dem unerreichbaren Vorbild] immer gleichförmiger« macht und somit eine imago viva schafft, »ein vollkommenes und lebendiges Bild der unendlichen Kunst«. Das Gemälde spiegelte als imago viva den Prozess seines Entstehens – und wäre zugleich künstlerische Manifestation dieses Prozesses, wäre dessen Bild. Und dennoch wird man daraus keineswegs 98  |  Conclusio

schließen, Cusanus habe in der Metapher der Malkunst für die denkende Kraft des menschlichen Geistes auch die Malkunst selbst und ihre künstlerischen Verfahren in Rede gebracht. Die Metapher der Malkunst248 dient der Veranschaulichung des Schöpfungsvorgangs und zugleich des Verhältnisses göttlicher und menschlicher (Ideen) Erkenntnis249, im Ganzen der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Dies wird noch einmal deutlich aus einem der späten Sermones des Cusaners – Anlaß war Allerheiligen250 . Auch hier wird der Schöpfergott (Deus creator) mit einem Maler verglichen, die göttliche Schöpferkunst mit der Malkunst: Et considera consequenter quod pictor, dum vult aliquid depingere puta historiam aliquam, intuetur in conceptum rei pingendae et facit picturam ad similitudinem ideae, quam in se intuetur. Sed dum intellectus artem pingendi depingere institueret, tunc nihil quod pingi potest particulariter depingeret, quia non caelum, non terram, non animal, nec aliud visibile, sed intellectualem naturam, quae solum artis est capax, et artis pictoriae principia in ipsa imprimeretur, ut fieret imago formae artis pictoriae et species specierum omnium, quae sensibiliter possent depingi.i

Die Malermetaphorik intendiert, eine Vorstellung zu geben von dem »in Gott wie Mensch gleichermaßen stattfindenden Prozeß der (künstlerischen) Umsetzung einer in mente konzipierten Idee«251. So ist der menschliche Geist das »Bild der universalen Kunst Gottes« (»imago universalis artis Dei«252). Und dennoch: Der Cusaner Nicolai de Cusa: Sermo CCLI, n. 9, in: Opera omnia, Vol. XIX: Sermones IV, fasc. I: Sermones CCIV–CCXVI, Hamburgi: Meiner 2008, p. 324 f. (Überi

setzung: »Und bedenke daher, dass der Maler, wenn er etwas malen will sagen wir irgendeine Geschichte –, auf den Begriff der zu malenden Sache schaut und sodann ein Bild malt, das der Idee, die er in sich erschaut, möglichst nahekommt (ähnlich wird). Wenn aber der Intellekt sich vornähme, die Malkunst (sc. in ihrem Vollzug) zu malen, dann würde er nicht (sc. alles) das, was gemalt werden kann im Einzelnen malen, also weder Himmel noch Erde noch ein Lebewesen noch etwas anderes Sichtbares, sondern (er würde) die intellektuale Natur (malen), die allein der Kunst fähig ist, und er würde die Prinzipien der Malkunst in sie einprägen, damit sie ein Bild der Form (Idee) der Bildkunst würde und die Gestalt aller Gestalten, die auf sinnliche Art und Weise gemalt werden könnten.«) Den Hinweis auf Sermo CCLI entnehme ich Leinkauf: Ut philosophia pictura (2010), S. 54, Anm. 20. Weiterhin zu Sermo CCLI: Mandrella: Gott als Porträtmaler (2005). Conclusio  |  99

hat in diesem Bild, allgemein im Konzept des menschlichen Geistes als imago viva Dei durchaus absichtslos und ganz gegen seine eigene Lehre gleichwohl die Voraussetzungen geschaffen für eine metaphysisch begründete Ästhetik253: in der Vorstellung, dass der mensch­ liche Geist ein Maler ist, der, »wenn er etwas malen will […], auf den Begriff der zu malenden Sache schaut und sodann ein Bild malt, das der Idee, die er in sich erschaut, möglichst nahekommt«. Gior­ dano Bruno musste diese Vorstellung einer rein geistigen Kunst, mithin ungegenständlichen Kunst nur aufnehmen, sie ›konkretisieren‹ und mit dem fast sein gesamtes Werk bestimmenden Theorem der Unendlichkeit grundieren, um eine unendliche Bewegung des menschlichen Geistes hin auf sein unerreichbares Vor-Bild (exemplar inaccessibile) proklamieren und in der tessitura der Eroici furori buchstäblich realisieren, in Bildern und Zeichen materialisieren zu können.254 Möglich wird die ästhetische Realisation bzw. Materialisierung aufgrund der brunonischen Neubestimmung des Verhältnisses von Form und Materie. Denn die Vorstellung, daß die Materie die Möglichkeit jeglicher Form ist, die Form deren Möglichkeit verwirklicht, ist übertragbar auf die Sprache255: in ihrer zwar materiell überaus großen, doch keineswegs unendlichen Zahl an Wörtern ermöglicht sie gleichwohl aufgrund von unendlich vielen formalen Kombinationsmöglichkeiten unendliche Variationen von (Sprach-) Bildern und (Sprach)Strukturen. In den Eroici furori werden diese unendlichen Variationen in ihren unendlichen Möglichkeiten herausgespielt – derart, dass die Möglichkeiten selbst schon eine Form des Aktes sind. So wäre denn der Satz des Cusaners auf den Nolaner und die Eroici furori in leichter Veränderung zu übertragen: dass nämlich die vollkommene Dichtung die unendliche Bewegung des in Bildern malenden Intellekts in der Weise der Dichtung, wie sie es kann, nachahmt. Damit sind die Eroici furori eine tessitura viva256 und ein vollkommenes Werk.257 Giulias Kommentar zu Laodomias Vortrag der Canzone de gl’illuminati kann daher Geltung für die Eroici furori insgesamt beanspruchen: »[…] non vi manca sentenza che possa appartener alla perfezzion del proposito; né rima che si richieda per compimento de le stanze.« (396)i »[…] kein Satz fehlt, der zur abschließenden Vollendung des Arguments gehören könnte, noch ein Vers, der zur Vollständigkeit der Strophen nötig wäre.« (397) i

100  |  Conclusio

IV P OSTSCRIP TA

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ollendung im Unendlichen: die Eroici furori spiegeln in Thema und Form eine metaphysisch begründete Ästhetik wider, die mit Cusanus durchaus als Ausfaltung der Einfaltung näherhin zu bestimmen ist – mit der entscheidenden Differenz, daß die Ausfaltung der Einfaltung sich nicht auf den Bereich des Geistigen beschränkt, vielmehr sich buchstäblich materialisiert: im poetischen Text, in der ihm eigenen Struktur. Ein nie endender discorso ist sinnlicher und sinnbildlicher Ausdruck eines Geistes, der sich dem Absoluten, Einen anzunähern sucht, ohne sein Ziel je zu erreichen. Somit spielt das ›poema eroico‹ – nicht anders als das Universum und das Individuum – potentialiter das göttliche Eine in seiner unendlichen Vielfalt und Vielheit heraus, tritt zu ihm in Analogie, gibt ihm Anschauung: in der ihm eigenen Semiosis der diversità und contrarietà, der vicissitudine und der varietà, der molteplicità und der metamorfosi.

Varietät und Diversität, Vielheit durch Wandel und Wechsel, im Ganzen eine sich nie erschöpfende Fülle gilt als Signum der Epoche der Renaissance schlechthin258 . Pluralität, so die einhellige Meinung, ist Merkmal des ›Renaissancediskurses‹, sie kennzeichnet Kunst, Literatur, Philosophie gleichermaßen. Doch welche sind die Charakteristika dieser Pluralität und wichtiger noch: welche sind die Gründe, die philosophischen, näherhin epistemologischen, auch theologischen Voraussetzungen, die zu dem geführt haben, was spätestens seit Foucault als ›Episteme‹ der Renaissance firmiert259, jener ›Episteme‹, die ihren sichtbar-sinnlichen Ausdruck allererst in Ästhetik und Poietik der Epoche gefunden hat? Eine »spätscholastische Lehre von der zweifachen Wahrheit«, mithin die Trennung »zwischen christlicher Lehre und rationaler Erkenntnis« zur Ursache einer »Relativierung des Wahrheitskonzepts«260 zu erklären, sie damit zugleich zur Voraussetzung des Pluralitätstheorems zu hypostasieren, überzeugt nicht261: Die Lehre von der   |  101

zweifachen bzw. doppelten Wahrheit262 im Sinne konkurrierender Wahrheiten ist nie vertreten worden. Vielmehr erkannten die mittelalterlichen Denker den Thesen des Aristoteles und der arabischen Philosophen »eine probabilitas, d. h. eine ›Beweisbarkeit‹« natura­ liter loquendo, »gemäß den Regeln der natürlichen Vernunft«, zu, während die Lehren des christlichen Glaubens als »eine veritas im Sinne einer Wirklichkeitsgeltung aufgefaßt wurden«263. Gleichwohl hat der christliche Offenbarungsglaube im 12. und 13. Jahrhundert infolge der erneuten und in gewissem Sinne neuartigen Auseinandersetzung mit Platonismus und Aristotelismus264 eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht gekannte ›Rationalisierung‹265 erfahren: Albertus Magnus und Thomas von Aquin – um nur diese zu nennen – verbinden wissenstheoretische Überlegungen der aristotelischen Metaphysik mit Aspekten der neuplatonischen Ontologie in der Absicht, der christlichen Glaubenslehre ein philosophisches Fundament zu geben. Dabei sind insbesondere zwei Fragen von Bedeutung: die Frage nach dem Verhältnis von Geist und Materie und die Frage nach der Relation zwischen dem Einen und dem Vielen. Sie werden im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit höchst differenziert diskutiert und halten ihrerseits eine Antwort auf die Frage bereit, wie Vielheit und Vielfalt zum Signum einer Epoche werden konnten und – mehr noch – in welchem Verhältnis sie zur Einheit stehen. Giordano Brunos Eroici furori bilden Höhe- und Endpunkt dieser Diskussionen: sie nehmen sie auf, reflektieren sie in der ihnen eigenen Poiesis und Semiosis und geben implizit wie explizit Auskunft über die theologisch-philosophischen Voraussetzungen. Diese selbst in ihrer Komplexität zu entfalten, bedürfte es einer eigenen Studie.266 Es müssen hier in aller problematischen Verkürzung wenige Hinweise genügen, die es erlauben, auf die beiden oben formulierten Fragen noch einmal einzugehen und daraus weitere Folgerungen zu ziehen. Es wird sich dabei erneut zeigen, dass die beiden Aspekte – Materie und Geist, Verhältnis des Vielen zum Einen – aufeinander verwiesen sind. Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist eine Unter­ scheidung, die Thomas von Aquin zwischen (aristotelischer) Meta­ physik und (christlicher) Theologie267 vornimmt. In seinem Kommentar zur Abhandlung des Boethius über die Dreieinigkeit268  102  |  Postscripta

formu­liert Thomas in Quaestio V269 mit Blick auf die »scientia divina« folgende Differenzierung – sie ist zugleich eine Zusammenfassung vorgängiger Fragen270: Sic ergo theologia sive scientia divina est duplex. Una, in qua con­ siderantur res divinae non tamquam subjectum scientiae, sed tamquam principia subiecti, et talis est theologia, quam philosophi prosequuntur, quae alio nomine metaphysica dici­tur. Alia vero, quae ipsas res divinas considerat propter se ipsas ut sub­iectum scientiae, et haec est theologia, quae in sacra Scrip­tura traditur.i

Demnach gibt es eine zweifache, eine doppelte Wissenschaft von den »göttlichen Dingen« bzw. der Theologie: einerseits die Theologie der Philosophen – »theologia, quam philosophi prosequuntur« –, die auch Metaphysik genannt wird; andererseits die Theologie, die auf der in der Heiligen Schrift überlieferten christlichen Offenbarung beruht – »theologia, quae in sacra Scriptura traditur«. Beide »göttlichen Dinge« (»res divinae«) sind Prinzipien aller Seienden, doch sie werden auf je verschiedene Weise behandelt, je nach dem sie Prinzipien für etwas anderes sind oder aber sowohl Prinzipien für etwas anderes sind als auch für sich selbst Bestand haben271. Der Gegenstandsbereich der Metaphysik sind die Prinzipien aller Seienden, insoweit sie die ersten Ursachen aller Seienden sind und somit nur über ihre Wirkungen sich der Erkenntnis erschließen272 . Hingegen hat die Offenbarungstheologie ihren Gegenstand im göttlichen Sein selbst, insofern dieses sich selbst offenbart; mit anderen Worten: sie hat den sich offenbarenden Gott zu ihrem Gegenstand.273 So bezeichnen genau besehen die Wörter »Theologie« oder »göttliche Wissenschaft«274 zwei verschiedene Wissenschaften: die Wissenschaft der Philosophen und die Wissenschaft der Theologen. Denn der Gegenstand ist ein je anderer: Der Gegenstand der einen sind Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 121/123]. Übersetzung: »Somit ist die Theologie oder die Wissenschaft vom Göttlichen eine doppelte [Wissenschaft], in der das Göttliche nicht als Gegenstand der Wissenschaft, sondern als Prinzip des Gegenstandes betrachtet wird, und so ist die Theologie beschaffen, welche die Philosophen verfolgen, die mit anderem Namen Metaphysik heißt. Die andere [ist] jedoch [die Wissenschaft], welche das Göttliche selbst, um seiner selbst willen als Gegenstand der Wissenschaft betrachtet, und das ist die Theologie, die in der Heiligen Schrift überliefert wird.« i

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die Wirkungen der »göttlichen Dinge«, der Gegenstand der anderen sind die »göttlichen Dinge« selbst, »res divinae, secundum quod in se ipsis subsistunt […]«. Entscheidend für unsere weiteren Überlegungen ist, dass Thomas die Gegenstände der spekulativen Wissenschaften275 in ihrem Verhältnis zu Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] bestimmt. Mit Blick auf die »scientia divina« erörtert Quaestio V, Articulus iv die Frage, »utrum divina scientia sit de his quae sunt sine materia et motu«. Auch in dieser Hinsicht ergeben sich aus der Duplizität der »scientia divina« Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam ist beiden Wissenschaften, dass sie von Dingen handeln, die von Materie und Veränderung frei276 sind; sie sind als in ihrem Sein von der Materie unabhängige »speculabilia«277 ununterschieden. Sie unterscheiden sich indes darin, dass ihr Freisein von Materie und Veränderung wiederum von verschiedener Art ist278 . Die »theologia sacrae Scripturae« ist eine Wissenschaft, deren Gegenstand in der Weise von Materie und Veränderung frei ist, dass dieses Freisein selbst ein Merkmal seines Begriffes (»de ratione ipsius rei«) ist279. Die »theologia philosophica« hingegen ist eine Wissenschaft, deren Gegenstand in der Weise von Materie und Veränderung frei ist, dass Verbundenheit mit der Materie kein Merkmal seines Begriffes ist280 . Entsprechend dieses Unterschieds gibt es wiederum zwei Wissenschaften vom Immateriellen – in Analogie zu den zwei Wissenschaften von den »göttlichen Dingen« und ihrem jeweiligen Betrachtungsgegenstand. Beide sind verwiesen auf die menschliche Erkenntniskraft bzw. den Intellekt. Allerdings – so noch einmal Thomas – »verhält sich der Intellekt zu ihnen (sc. den göttlichen Dingen bzw. den ersten Prinzipien) wie das Auge des Nachtkauzes zum Licht der Sonne«281. Das »Licht des natürlichen Verstandes« – »lumen naturalis rationis« – vermag nur zu erkennen, was aufgrund seiner Verwirklichung in der Materie erfahrbar ist, mithin aufgrund der Wirkungen der allgemeinen Prinzipien des Seienden. Sie sind daher – um auch dies noch einmal aufzunehmen – Gegenstand der »theologia philosophica«. Die »theologia sacrae Scripturae«, mithin die Wissenschaft vom Göttlichen, wie sie in der Heiligen Schrift überliefert wird, handelt so von Gott, wie er sich selbst in diesen Schriften offenbart hat. Bereits im Prolog seines Boethiuskommentars schreibt Thomas mit Blick auf die eingeschränkte Fähig­ 104  |  Postscripta

keit menschlicher Erkenntnis, der naturalis cognitio: »Deshalb hat Gott für das Menschengeschlecht einen anderen sicheren Weg der Erkenntnis vorgesehen, indem er dem menschlichen Geist seine Kenntnis durch den Glauben eingießt.«282 Doch was folgt daraus – für den menschlichen Verstand und das Verhältnis zu Gott? Was folgt aus der Feststellung, dass die »theologia sacrae Scripturae« sich mit den »göttlichen Dingen« befasst, die notwendigerweise ohne Materie und Veränderung sind und die deswegen dem menschlichen Verstand nicht zugänglich sind? Im ›Prologus‹ der Summa theologica stellt Thomas fest, dass die »sacra doctrina« in ihrem höheren Wert gegenüber allen übrigen Lehren nicht dadurch geschmälert wird, dass ihr Gegenstand vom menschlichen Verstand nicht erfasst werden kann. Im Gegenteil ist genau dies ein Zeichen ihrer Überlegenheit. Sind doch die Zweifel nicht in der Sache, mithin in Gott, begründet, vielmehr in der Schwäche des menschlichen Intellekts: »Unde dubitatio quae accidit in aliquibus circa articulos fidei, non est propter incertitudinem rei, sed propter debilitatem intellectus humani.«283 Thomas verweist auf den Glauben als der überlegenen »scientia divina« und unterscheidet Metaphysik bzw. Ontologie von Theologie, mithin eine »scientia divina«, mittels derer der menschliche Verstand Gott als die Ursache des Seienden zu erfassen vermag, von einer »scientia divina«, die Gott selbst in seinen Eigenschaften durch seine Offenbarung unmittelbar erfährt. Gleichwohl ist der menschliche Verstand, die menschliche Erkenntnisfähigkeit gegenüber dem Absoluten, dem Einen – um das Göttliche mit Bruno neuplatonisch zu benennen – geschwächt. Das bleibt nicht ohne Wirkung in den nachfolgenden Jahrhunderten, und der Aquinate hat daran – wenngleich ohne Intention – einen nicht unerheblichen Anteil. Denn die ungeschiedene Anerkennung der »theologia philosophica« wie der »theologia sacrae Scripturae« als »scientiae divinae«, ihre systematische Parallelisierung hat implizit die Aufwertung der einen, die Schwächung der anderen zur Folge. Thomas’ Entwurf der aristotelischen Meta­ physik ist (mit)geprägt von der christlichen Theologie, und vice versa wird die christliche Theologie im System der Wissenschaften (mit)verortet. Der keineswegs zu unterschätzende Vorbehalt, dass die »res divinae« von der einen als »principia subiecti« und von der Postscripta  |  105

anderen als »subiectum scientiae« betrachtet werden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gott als »Prinzip des Subjekts« letztlich auch der Gegenstand der christlichen Theologie284 werden kann – wofern man sie als Wissenschaft im eigentlichen Verständnis begreift.285 Denn als Wissenschaft muß auch die christliche Theologie die Einschränkung machen, dass dem menschlichen Verstand die »göttlichen Dinge«, wofern sie nicht von Gott selbst offenbart werden, nicht erfahrbar sind. In diesem entscheidenden Punkt treffen sich die »göttlichen Wissenschaften« der christlichen Theologie und der aristotelischen Metaphysik, und genau hier liegt, von Thomas nicht intendiert286 , die prinzipielle Gefährdung287 des christlichen Offenbarungsglaubens: Sobald ein genuin theologisches Phänomen (auch) an den Intellekt verwiesen wird, ist es enttheologisiert. In Verknappung der Gegebenheiten, der komplexen theologischen und philosophischen Diskussionen am Ende des Mittelalters, lässt sich gleichwohl feststellen: Aus der Schwäche des menschlichen Intellekts, die Thomas als solche noch herausstellt, wird in der Folge eine Stärke. Das hat seinen Grund allererst darin, dass die theologisch tradierten Denkfiguren auf ihre ontologischen und erkenntnistheoretischen Bedingungen hin befragt werden – bis zu dem Punkt, an dem, durchaus nicht intentional, doch folgerichtig288 , das Wissen an die Stelle des Glaubens tritt, die Ratio sich ihrer ontologischen Bindungen entledigt.289 Den Weg dahin auch nur in groben Linien nachzuzeichnen, ist hier wiederum nicht der Ort und nicht möglich.290 Es muß ein Beispiel genügen – und es ist, noch einmal, das Aktaion-Sonett aus Giordano Brunos Eroici furori. In diesem Sonett – so konnten wir zeigen291 – wird in Aufnahme und Weiterführung (neu)platonischer Philosopheme und christlicher Theologoumena das absolute Transzendente, das Eine, das Göttliche oder auch Gott als höchstes Ziel der Erkenntnis im Bild der Jagd zur Anschauung gebracht: Aktaion, der Jäger, ist – neoplatonisch gesprochen – auf der ›Jagd nach der Wahrheit‹. Doch was er, der Intellekt, vom Willen getrieben, keineswegs erkennt, zu erkennen vermag, vielmehr sieht, ist nur mehr die Wahrheit im Spiegel, mithin deren Abbild.292 An die Stelle der Transzendenz tritt die Immanenz: Platonismus und Offenbarungstheologie werden – so lässt sich in 106  |  Postscripta

Verallgemeinerung sagen – vom aristotelischen Rationalismus ›eingeholt‹. Die wiederum keineswegs intendierte Folge ist die Deontologisierung der Vernunft und deren Verwiesenheit auf die Sinne, denen gleichwohl ein ontologischer Status beigemessen wird. Denn – um auch dies noch einmal aufzunehmen – die reformatio des Intellekts infolge der conversio hat nichts Geringeres als dessen Vergöttlichung zur Folge293 . Wenn Bruno gerade hierin das spezifisch Heroische seines Heros, des Menschen, der über das gewöhnliche Menschsein294 weit hinausragt, erkennt, wird noch einmal deutlich, dass einem ›theologischen Absolutismus‹ keineswegs umstandslos eine ›humane Selbstbehauptung‹295 entgegengesetzt wird, dass im Gegenteil noch der ›neue‹ Mensch nach dem Bilde des ›alten‹ Menschen platonischer wie christlicher Prägung entworfen ist – freilich mit der entscheidenden Differenz, dass der Mensch sich von Gott, das Menschliche sich vom Göttlichen, allgemein das Seiende sich vom Sein nur noch graduell, nicht mehr prinzipiell unterscheidet. Dieser ungeheure Anspruch, der in der rinascimentalen Formel vom Menschen als ›alter deus‹ seinen allgemeinsten Ausdruck gefunden hat, hat sein Fundament in einer beispiellosen Aufwertung der Materie296 , der Natur, des Universums, der Welt: Die Differenz zwischen Gott und der Welt, neuplatonisch gesprochen zwischen dem Einen und dem Universum, besteht nur aktual; potentialiter ist sie aufgehoben. Insofern das Eine in komplikativer Einfachheit (complicatio) alles enthält, was im Universum in der Weise der Vielgestaltigkeit ausgefaltet (explicatio) ist, besteht ein Hiat zwischen Gott und der Welt, zwischen dem absoluten Einen und dem Universum letztlich nicht (mehr). Das Universum mit seinen mannigfaltigen, ja unendlichen Erscheinungen unterscheidet sich wesensmäßig nicht vom Einen, Absoluten: es ist die eine Substanz im Modus mannigfaltigster Vielförmigkeit – »moltimodo e moltiforme e moltifigurato«297. Der menschliche Geist – um auch dies noch einmal aufzunehmen –, das intellektuelle Vermögen, sucht das absolute unendliche Eine zu begreifen, doch weil es unendlich ist, vermag der Intellekt nur mehr in vielfältigen Kreisbewegungen sich dem Unendlichen unendlich anzunähern. Und das heißt: Ein Ende kann dort nicht gesetzt werden, »wo keines ist«. Vielmehr ist in einer sukzessiven Annäherung, in einem nie endenden, ›vielfigurierten‹ discorso, Postscripta  |  107

Vollendung im Unendlichen anzustrengen, ohne sie je zu verwirklichen – auch sie ist stets potentiell, nie aktual. Brunos Furori sind in ihrer Art einzigartig – nicht anders als jedes philosophische und literarische Werk von Rang. Doch sie sind zugleich repräsentativ: für die Epoche, deren mannigfaltige und auch zueinander konträre ›Bewegungen‹ sie wie in einem Brennspiegel reflektieren, sowie für die Werke, die diese Epoche hervorbringt – die dialogischen, lyrischen, romanzesken, die emblematischen. Darüber hinaus – und dies ist das Entscheidende: Brunos Eroici furori geben mittels der in ihnen auch poiëtisch verhandelten Metaphysik Auskunft über die Gründe für den epistemologischen Wandel am Beginn der Renaissance: es ist die De-Ontologisierung der Vernunft, die in Konsequenz auf die Sinne verwiesen ist, und es ist, wiederum in Konsequenz, die Naturalisierung, genauer die Materialisierung der Theologoumena. Diesen Prozess bilden die Eroici furori als ganze ab – doch ein Satz kann ihn in nuce erhellen: […] a nessun pare possibile de vedere il sole, l’universale Apolline e luce absoluta per specie suprema et eccellentissima; ma sì bene la sua ombra, la sua Diana, il mondo, l’universo, la natura che è nelle cose, la luce che è nell’opacità della materia: cioè quella in quanto splende nelle tenebre. (314)i

Was Thomas von Aquin in seinem Kommentar zu Boethius’ Traktat Quomodo trinitas unus deus ac non tres dii zur (Un)Fähigkeit des Menschen, Gott zu erkennen, geschrieben hat, wird von Bruno aufgenommen in der für ihn charakteristischen (Sprach)Bildlichkeit: einmal mehr wird das so häufig verwandte Mythologem ›Apoll – Diana – Aktaion‹ aufgerufen. Im Universum die ›schattenhafte‹ Wirklichkeit zu erkennen, die Wahrheit nurmehr als ›Schatten‹ zu sehen, ist Dogma – theologisch nicht anders als gnoseologisch. Dass aber das Licht nicht aus der Opazität der Materie herauszutreten vermöge, ja nurmehr in der Finsternis selbst leuchte – »quella [luce] »[…] niemand hält es für möglich, die Sonne zu schauen, den universellen Apollo, das absolute Licht in seiner höchsten und vorzüglichsten Erscheinung; wohl aber seinen Schatten, seine Diana, die Welt, das Universum, die Natur, wie sie in den Dingen liegt, das Licht, wie es in der Undurchsichtigkeit der Materie steckt, also das Licht, insofern es in der Finsternis leuchtet.« (315). i

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in quanto298 splende nelle tenebre« –, ist die ebenso minime wie folgenreiche Verkehrung des Satzes lux in tenebris lucet aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums. Dort bringt der Evangelist zum Ausdruck, dass – wie Thomas in seinem Kommentar schreibt – »das ›Licht‹, d. h. das fleischgewordene Wort Gottes, ›in der Finsternis leuchtet‹, d. h. in den Menschen der Welt, die von der Finsternis des Irrtums und der Unwissenheit verdunkelt sind«299. Bruno indes formuliert mit »in quanto splende nelle tenebre« nicht allein einen Vorbehalt, sondern gibt auch zu verstehen, dass die Sonne, das Licht, und das heißt ›Apoll‹, das Absolute, Eine, Göttliche, sich geradezu materialisiert – im Schatten, in der Finsternis, i. e. in ›Diana‹, dem Universum, der Natur. Vor dem Hintergrund des Inkarnationstheorems, mit dem der Prolog des Johannes-Evangeliums einsetzt und dessen Fortführung die Lichtmetaphorik ist, wird die Intention der brunianischen Wendung evident: die Materie selbst zu vergöttlichen. Nichts Geringeres als eine conversio der Heilsgeschichte hat statt: Die De-Ontologisierung der Vernunft findet ihre Kompensation in einer Ontologisierung der Materie. Die Materie aber – so haben wir gesehen300 – ist der Grund aller möglichen Formen, ohne sich aktual zu erschöpfen; sie vermag immer neue Formen hervorzubringen derart, dass in deren permanentem Wechsel die unendliche Wirkung des unendlichen Einen in einer unendlichen Welt sich manifestiert. Das bedeutet zugleich, in der Vielheit und Vielfalt der Materie einen Einheitsgrund anzuerkennen. So bleibt das Viele auf das Eine bezogen, wie auch das konkrete Einzelseiende, »ausgefaltet, verstreut und vervielfältigt«301, in seiner Explicatio auf die Complicatio bezogen bleibt. Ohne dass eine Einheit je (wieder) erreicht würde, ist sie das Ziel der sich unendlich verändernden Einzelseienden und damit auch des Intellekts, der gleichwohl auf die Sinne verwiesen bleibt, ja gerade hieraus die Motivation gewinnt, immerwährend nach der unerreichbaren und unbegreifbaren ›lichthaften‹ Wahrheit zu streben. Vielheit und Vielfalt im Horizont der Einheit302 ist das Kennzeichen der Epoche der Renaissance, ihrer Kultur im Ganzen. Ihr epistemologischer Grund aber ist in jener Vergöttlichung der Materie als Folge der Naturalisierung des Intellekts zu sehen. Und so ist es nur Postscripta  |  109

scheinbar ein Paradox, in dem für die Renaissance spezifischen Verhältnis von Einheit und Vielheit eine christlich-theologische, allgemeiner monotheistische Grundierung zu erkennen: der Wille und die Notwendigkeit, alle Erscheinungen in ihrer unendlichen Vielfalt und auch Widersprüchlichkeit in sich zu vereinen. Vor diesem Hintergrund ist es treffend, die Renaissance als »Kulturtyp«, den ihr eigenen »Pluralismus«303 als »schöpferisches Prinzip«304 zu verstehen. Die Eroici furori repräsentieren den »Kulturtyp« Renaissance in hohem Maße. Weder sind sie ›beeinflusst‹ noch haben sie selbst ›Einfluß‹ genommen. Und dennoch vermögen sie mehr als jedes andere philosophische und literarische Werk Auskunft zu geben über die – im engeren und weiteren Sinn – epistemologischen Voraussetzungen jener Pluralisierung, die die Epoche der Renaissance insgesamt kennzeichnet und die sie vom Mittelalter unterscheidet. Es ist – um es noch einmal knapp aufzunehmen – das auf den Cusaner zurückgehende Einfaltungs-Ausfaltungs-Theorem, das der Nolaner aufnimmt und dynamisiert derart, dass die aus der Einheit hervorgehende Vielfalt zwar nicht allumfassend unendlich ist, dennoch insgesamt unendlich305 . So können die Eroici furori, ihre Formen und Figuren gewordenen Philosopheme, Modell sein für das Verständnis, die Analyse und Interpretation, all jener ›heterogenen‹ Werke – ob lyrisch, episch, dialogisch, romanzesk –, die insbesondere im 15. und 16. Jahrhundert in Italien und Frankreich entstanden sind. Dabei schließt die übergeordnete Perspektive eines philosophisch begründeten »Pluralismus« mannigfache Varietäten selbst nicht aus: in den Formen und Figuren, ihren Legitimierungen in Rhetorik und Poetik. Wenn – um wiederum nur dieses Beispiel zu nennen – Torquato Tasso die poietische varietà mit dem vorgeblich aristotelischen Anspruch auf Einheit zu ›versöhnen‹ sucht, wird man die Gründe dafür in seinen Discorsi dell’arte poetica e in parti­ colare sopra il poema eroico expliziert finden. Doch wenn es gilt, auf einer übergeordneten Ebene ein Gemeinsames im Heterogenen zu erkennen, wird man auf die Berücksichtigung der theologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen nicht verzichten können. Die Rede von einer ›Relativierung von Wahrheit‹, die ihre ›Pluralisierung‹ zur Folge habe und damit auch eine ›Pluralisierung von Autoritäten‹306 , ist durchaus zutreffend, doch sie entbehrt der Begründung, die über die Beobachtung des Offensichtlichen hi­naus110  |  Postscripta

bzw. zurückgeht. Brunos Eroici furori enthalten die Begründung in sich selbst. ✴ ✴ ✴

»Tantam vbique vim habet varietas, vt nihil omnino tam nitidum sit, quod non squalere videatur citra huius commendationem«307 i – so Erasmus in seiner 1512 erstmals erschienenen Schrift De ­copia verborum ac rerum308 . Varietas der ›Wörter‹ und der ›Sachen‹ ist ihr Gegenstand, Abwechslung verstanden als Veränderung im Wechsel.309 Erasmus beruft sich auf den Reichtum der Natur, in der nicht eines dem anderen gleicht.310 Wie die Augen am ehesten vom Anblick ganz verschiedener Dinge in Bann gehalten würden, so sei auch der Geist auf Neues aus, wende sich gelangweilt ab vom immer Gleichen. Daher gelte es, denselben Satz in immer neuer Weise zu formulieren, gleichsam ihn aus sich selbst heraus verändern zu lassen – ganz nach dem Vorbild des Proteus.311 Es ist also eine proteische Sprache, ein proteischer Stil, den Erasmus in seiner neuartigen Rhetorik312 empfiehlt. Copia ist der Schlüsselbegriff.313 Doch im Unterschied zum Gebrauch bei Cicero oder Quintilian314 meint Copia bei Erasmus nicht schiere Anhäufung, Akkumulation im Nebenund Nacheinander, vielmehr Fülle, die sich aus sich selbst heraus entfaltet, und eine Bewegung, die sich nie erschöpft, die ohne Ende ist. Copia ist reflexiv und infinit, dynamisch und imaginativ, sie ist potentiell, nie aktual. Der Text De duplici copia verborum ac rerum ist dafür selbst das beste Beispiel: Die Rede des Erasmus über Copia ist ihrerseits copios. Doctrina tritt hinter exercitatio bzw. experientia zurück315 . So macht Erasmus im »Experientiae« betitelten Kapitel xxxiii des I. Teils – es schließt jene Reihe der Kapitel ab, die die zahlreichen Möglichkeiten, rhetorische Figuren zu variieren (›rationes variandi‹), aufführen – die ›Probe aufs Exempel‹, unter erneutem Verweis auf Proteus316: Nunc quo res fiat dilucidior, experiundi gratia sententiam vnam atque alteram proponamus conemurque, quoad fieri poterit, eandem veluti Proteum in omnem speciem vertere. Non quod omnis variFreie Übersetzung: »Allenthalben hat die Varietas eine solche Strahlkraft, dass sie durch überhaupt nichts in ihrer Wirkung auch nur im geringsten beeinträchtigt werden könnte.« i

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andi ratio in vnam quampiam orationem possit incidere, sed quot incident, tot vtemur.i

Das erste Beispiel ist der einfache Satz: »tuae literae me magnopere delectarvnt«. Nach der Auflistung von zahlreichen Synonymen jedes einzelnen Wortes folgen rund 150 Sätze, deren jeder eine Variante von tuae literae me magnopere delectarvnt ist – und es schließt sich ein weiterer Beispielsatz an317, für den wiederum fast 200 Variationen aufgeführt sind. Im ganzen praktiziert mehr oder minder jedes einzelne Kapitel, wovon die ›Theorie‹ handelt: De copia verborum ac rerum ist eine performative Rhetorik, mithin eine Poïetik. Ihre Besonderheit gegenüber zahlreichen anderen Rhetoriken und Poetiken, sei es den zeitgenössischen, sei es den antiken, liegt freilich darin, dass sie eine Sprachphilosophie, ja Sprachtheologie ist: Im Zentrum steht die Frage nach der Beziehung zwischen den Ideen und den Sachen (res) und den Möglichkeiten ihres sprachlichen Ausdrucks (verba).318 So bleibt die unendliche Vielheit an Figuren und Tropen, die Vielfalt der sprachlichen Kombinationen bezogen auf die Einheit der Idee, deren Ausdruck sie sind. ✴ ✴ ✴

Copia und Cornucopia319: Wort und Sprachbild evozieren treffend jene poietische Eigentümlichkeit, die üblicherweise als Pluralität, Vielheit, Diversität firmiert und die herausragenden Werken der französischen, italienischen, auch englischen Literatur und Dichtung insbesondere des 16. Jahrhunderts zugeschrieben wird: Rabelais’ Gargantua und Pantagruel, Ronsards Amours, Montaignes Essais, auch Ariostos Orlando furioso oder Shakespeares Sonetten und Bühnenstücken – um nur diese zu nennen. Ihre sprachlichstilistischen und semantischen Eigentümlichkeiten, im ganzen ihre Verfahrensweisen sind jeweils höchst verschieden. Gemeinsam ist ihnen aber jene Fülle der ›Wörter‹ und der ›Sachen‹, jene ›Copia verborum et rerum‹, die als unendlich reiche Materie ihre jeweiliFreie Übersetzung: »Da nun die Sache, um die es geht, klarer geworden ist, wollen wir versuchshalber den einen oder anderen Satz auswählen und versuchen, ihm, Proteus gleich, so viele Gestalten wie möglich zu geben. Nicht dass alle Variationsregeln am Beispiel eines einzigen Satzes exemplifiziert werden könnten; doch ich werde so viele wie überhaupt möglich anwenden.« i

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gen Formen unendlich generiert, jene Fülle, die sich aus sich selbst heraus entfaltet und eine Bewegung initiiert, die sich nie erschöpft, die ohne Ende ist und die dennoch auf eine Einheit bezogen bleibt, die ihre Origo ist. Die in Rede stehenden Werke mit Michail Bachtin als polyphon zu kennzeichnen, ist – mit der notwendigen Differenzierung – durchaus zutreffend. Doch es fehlt die philosophische Begründung.320 Giordano Bruno gibt sie ex post in seiner folgenreichen Neubestimmung des Verhältnisses von Materie und Form321, die theologischen Voraussetzungen wiederum sind im Complicatio-Explicatio-Theorem des Nikolaus von Kues322 gegeben, und die Eroici furori sind deren eigenwillige poietische Realisierung. Es ist hier nicht der Ort, eine größere Zahl von Werken aus der Epoche der Renaissance in Struktur und Semantik zu analysieren, den Nachweis im einzelnen zu führen, inwiefern die Philosopheme des Cusaners und mehr noch des Nolaners die spezifische rinascimentale Poietik der Pluralität und Varietät zu erklären vermögen. Doch exempli gratia sollen Ronsards Amours knappe Erwähnung finden – nicht nur aus formalen Gründen dürften sie die größte Ähnlichkeit zu den Eroici furori aufweisen. Indes ist auch der gravierende Unterschied zu sehen: Die Eroici furori sind ein philosophisches Werk; ihre Ästhetik und Poietik sind unmittelbarer Ausdruck der hero­ischen Erkenntnislehre und ihrer metaphysischen Begründung, mehr noch: sie sind deren Garant. Die Amours sind ein dichterisches Werk, sind allererst Dichtung; ihre Ästhetik und Poietik sind Ausdruck der Inszenierung eines Liebesdiskurses, dessen Originalität darin besteht, die unendlichen Möglichkeiten amouröser Sprache herauszuspielen: inter- und intratextuell. Die Copia der Amours hat primär ludischen Charakter, und sie ist nicht frei von Eironeia. Das hindert freilich nicht, dass sie konzeptuell den Theoremen der Complicatio-Explicatio und der Unendlichkeit verpflichtet ist. Im Jahre 1552 erscheint die Editio princeps der Amours: einem liminalen Sonett (Vœux) folgen 182 Sonette, ein Chanson und ein Sonett, das den Epilog bildet. Die Sammlung hat beträchtlichen Erfolg: Eine zweite Ausgabe wird ein Jahr später publiziert; sie ist gekennzeichnet durch nicht unbeträchtliche Erweiterungen und auch Umstellungen. Es folgen Continuation des Amours und Nou­ velle Continuation des Amours.323 Die Besonderheit der jeweiligen Postscripta  |  113

Sammlungen und ihrer Varianten324 besteht darin, dass die Abfolge der einzelnen Gedichte seriell ist: Das Syntagma ist paradigmatisch strukturiert.325 Wiederholung in Variation ist das Prinzip. Es ermöglicht, die historisch und systematisch differenten Liebeskonzeptionen326 aufzunehmen, sie nicht nur miteinander in Dia­log zu bringen, vielmehr zugleich gegeneinander in Konkurrenz zu setzen.327 Es ermöglicht zudem, ein Motiv, ein Sprachbild, ein Konzept vielfältig zu perspektivieren und zu reflektieren, immer neue Facetten aufzudecken. Generiert wird eine unendliche semantische und figurale Potentialität, deren Funktion letztlich in nichts anderem besteht, als eben diese Potentialität zu generieren – ein tautologischer Schluss, der gleichwohl die poietischen Verfahren der Amours und ihre Funktion aufs genaueste kennzeichnet: die sich bietenden Modelle der Sprache, des Stils, der Bildlichkeit, der Gattungsformen aufzunehmen und in copioser Diversität neu zu konstellieren, zudem das mythologische Wissen, die philosophischen Strömungen der Zeit aufzurufen und textuell zu substantiieren – in der Absicht, eine ›Neue Dichtung‹ im emphatischen Sinne schaffen, durchaus im Gestus des Spielerischen. Denn darin unterscheidet sich Ronsard nicht allein von Petrarca und der großen Zahl der Petrarkisten, vielmehr vor allem von Giordano Bruno. Der Dichter ist ein Homo ludens, der Philosoph ein Homo heroicus. Doch ihre poietischen Verfahren sind analog, die Theoreme, die ihnen zugrunde liegen, die selbigen. Das allgemein Gesagte soll in aller Kürze am Text exemplifiziert werden, an den Sonetten cxxxix bis cxliii der ersten Ausgabe der Amours von 1552. Die fünf Sonette bilden eine Serie, die den bekannten petrarkisch-petrarkistischen Gegensatz von Feuer/Eis, Heiß/Kalt, Brennen/Frieren aufnehmen und neu kontextualisieren. Je veus brusler pour m’en voler aux cieux, Tout l’imparfait de ceste escorce humaine, M’eternisant, comme le filz d’Alcméne, Qui tout en feu s’assit entre les Dieux. Ja mon esprit chatouillé de son mieux, Dedans ma chair, rebelle se promeine, Et ja le bois de sa victime ameine Pour s’enflammer aux rayons de tes yeulx.

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O sainct brazier, ô feu chastement beau, Las, brusle moy d’un si chaste flambeau Qu’abandonnant ma despouille cognue, Nét, libre, & nud, je vole d’un plein sault, Oultre le ciel, pour adorer là hault L’aultre beaulté dont la tienne est venue.328

Thema ist der Aufstieg der Seele zu den himmlischen Sphären, ihre Befreiung von den irdischen Fesseln – kurz: die neuplatonische Liebeskonzeption, wie sie insbesondere Marsilio Ficino in seinem Kommentar zu Platons Symposion prominent formuliert hat. Die Besonderheit der Ronsard’schen Darstellung beruht nun darin, dass der Aufstieg der Seele in der Metaphorik des Brennens, Sich-Entflammens und Entflammt-Werdens, des Feuers und der Feuerstelle zur Vorstellung gebracht wird, mithin in der Verschränkung eines neuplatonischen Philosophems mit einem typischen petrarkischpetrarkistischen Bild: Der Sprecher als der Liebende brennt nicht nur in Liebe, vielmehr möchte er selbst verbrennen, um sich seines Körpers, seiner »menschlichen Hülle«, zu entledigen und seinen Geist zu befreien von jeglicher materiellen Fessel. In Brand setzen möge ihn die Geliebte, freilich mit einer keuschen Flamme, damit er sich in die ätherischen Höhen aufschwingen kann, »jene andere Schönheit anzubeten«, deren Abglanz die Geliebte ist. Auch diese gegenwendige Relation ist ein neuplatonisches Philosophem – ­Ficino spricht von Kreislauf329. Das Spiel mit Metaphern, Bildern, Konzepten ist durchaus ingeniös, insofern Metaphorik, Bildlichkeit, Konzeptualität scheinbar zwischen konkretem und übertragenem Sinn changieren. Mit dem Verweis auf den »filz d’Alcmène«, den Herakles auf dem Oita, wird zudem ein Mythologem der griechischen Antike in Anschlag gebracht, dessen Funktion es ist, den ›Vorgang‹ zu nobilitieren. Doch sollte der Leser sich nicht täuschen lassen: Das Sonett besticht durch eine Raffinesse der iocositas, ein fein-ironisches Spiel mit den Möglichkeiten petrarkistischer Dichtung, mit den Möglichkeiten einer Dichtung, die unterschiedlichste Liebessprachen aufnimmt und frei, doch nicht beliebig kombiniert: Ihre Regeln basieren auf einer genau zu beschreibenden Interaktion von res und verba. So nimmt das nachfolgende Sonett das Thema des Aufstiegs der Seele wieder auf, doch nur um es zu konter­ karieren: Postscripta  |  115

Ce fol penser pour s’en voler plus hault, Apres le bien que haultain je desire, S’est emplumé d’ailles joinctes de cire, Propres à fondre aux raiz du premier chault. Luy fait oyseau, dispost de sault en sault, Poursuit en vain l’object de son martire, Et toy, qui peux, & luy doys contredire, Tu le vois bien, Raison, & ne t’en chault. Soubz la clarté d’une estoile si belle, Cesse, penser, de hazarder ton aisle, Ains que te voir en bruslant deplumer: Car pour estaindre une ardeur si cuizante, L’eau de mes yeulx ne seroit suffisante, Ny suffisants toutz les flotz de la mer.330

Die Idee, sich in höhere Sphären aufzuschwingen, wird kurzerhand als Verrücktheit erklärt – und damit ineins die neuplatonische Seelenlehre tout court: Die erste Zeile des Sonetts cxl ist der Widerruf der ersten Zeile des vorausgegangenen Sonetts, der umso markanter ist, als die Wörter die selbigen sind – »pour m’en voler aux cieux« / »pour s’en voler plus hault« –, die Sachen hingegen differieren: Das Streben nach dem Absoluten gilt nun als Ausdruck eines Hochmuts, der im Mythologem des Icarus sein Bild hat. Dessen vermessener Flug in die Höhen des Himmels endete jäh: Das Wachs, mit dem die Flügel zusammengefügt waren, ist in der Hitze der Sonnenstrahlen geschmolzen. So wird die Metaphorik des Fliegens aus Sonett cxxxix wiederaufgenommen und über das Icarus-Mythologem zu einem das Gedicht dominierenden semantischen Feld – voler, emplumé, ailles, oyseau, aisle, deplumer –, das wiederum mit dem Bedeutungsbereich des Feuers, der Hitze, des Brennens, gleichfalls überführt aus Sonett cxxxix, auf neuartige Weise sich verschränkt: aux raiz du premier chault, ne t’en chault331, bruslant, une ardeur si cuizante. Das Liebesfeuer, das den Liebenden zum Aufstieg in die höchsten Höhen beflügeln soll – um die gedoppelte Metaphorik aufzunehmen –, ist im Gegenteil die Ursache seines Untergangs. Die neuplatonische Seelenlehre wird aufgerufen und eigenwillig konterkariert: durch eine Hyperbolik der Sprachbilder, die die tradierten Philosopheme spielerisch-ironisch in Frage stellt; durch eine poetische Logik, die gegenüber dem Anspruch ei116  |  Postscripta

ner Selbstüberhöhung das Recht der Vernunft ins Feld führt: »Tu le vois bien, Raison, & ne t’en chault«. Ein weiteres ist zu vermerken: Die einzelnen Metaphern, Bilder, Konzepte gehen auseinander hervor, entfalten sich im Modus der Metonymie und vermögen dank rhetorischer Variation und topischer Kombinatorik332 den Eindruck eines unendlichen Kontinuums zu geben, in dem gleichwohl alles mit allem in Beziehung steht. Das gilt für das einzelne Sonett wie für deren Abfolge, die – um es zu wiederholen – weitestgehend seriell333 ist. So durchzieht das Motiv des Feuers und des Brennens auch die folgenden drei Sonette, allerdings in einer jeweils differenten Gewichtung und neuen Kombination. Die zentrale Aussage des Sprechers ist auch in Sonett cxli, dass Liebe ihn in Brand setze – »Amour me brusle« leitet als Constat das erste Terzett ein. Um zu veranschaulichen, dass das ›Brennen in Liebe‹ ein Zustand der Dauer ist, wird im Gegensatz dazu der immerwährende Wechsel der Naturerscheinungen vor Augen geführt: Wind und Wetter, Eis und Schnee, stürmisches Meer und zerborstenes Land werden in anaphorischer Insistenz – or que … que / or que … que – evoziert und à part die vier Elemente, die diesem Naturtreiben zugrunde liegen, auf den Plan gerufen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Unversehens ist das Spektrum erweitert und zugleich modifiziert: Feuer ist nicht mehr allein eine Liebesmetapher, vielmehr eines der vier Elemente, die wiederum zum Bild eines bedrohlich-unbeständigen Naturtreibens werden: Or que le ciel, or que la terre est pleine De glaz, de graille esparse en tous endrois, Et que l’horreur des plus frigoureux mois Fait herisser les cheveux de la plaine, Or que le vent, qui mutin se promeine, Rompt les rochers, & desplante les bois, Et que la mer redoublant ses abois, Contre les bordz sa plus grand rage ameine, Amour me brusle, & l’hyver froidureux, Qui gele tout, de mon feu chaleureux Ne gele point l’ardeur, qui tousjours dure : Voyez, Amantz, comme je suis traitté, Je meurs de froid au plus chault de l’Esté, Et de chaleur au cuœur de la froidure.334 Postscripta  |  117

Schließlich werden in den letzten beiden Terzetten die Metaphorik des Liebesfeuers und die Bildlichkeit der Elemente und der Jahreszeiten, insbesondere des Winters, zusammengeführt und verschränkt im paradoxalen Topos des Eis-Feuers: er soll die Grundgestimmtheit des Sprechers zur Vorstellung bringen. Die Bildlichkeit der (Feuer)Strahlen und des Entfachtseins wird in cxlii fortgeführt, wiederum in einer neuen semantischen Wendung: Die Ausstrahlung335 der Geliebten ist der Grund der poetischen Inspiration, nicht die Musen und ihr nächtlicher Tanz – »De tes beaulx raiz chastement allumé / Je fu poëte […]«. Auf diesen Constat hin scheinen die Bilder, Metaphern, Topoi der unmittelbar vorausgegangenen Poeme – und letztlich aller vorausgegangenen und nachfolgenden! – orien­ tiert: Ins Zentrum tritt eine Dichtung, die in der Pluralisierung ihrer Bilder, Metaphern, Topoi die ihr eigene Form generiert und die ihr eigene Identität gewinnt;336 Kombinatorik und Serialisierung sind ihr Prinzip, Einheit und Totalität im Unendlichen ihr Ziel. In nuce zeigt dies das nachfolgende Sonett cxliii, das die hier in Rede stehende Reihe abschließt – und eine weitere implizit eröffnet: Ny les desdaingz d’une Nymphe si belle, Ny le plaisir de me fondre en langueur, Ny la fierté de sa doulce rigueur, Ny contre amour sa chasteté rebelle, Ny le penser de trop penser en elle, Ny de mes yeulx la fatale liqueur, Ny mes souspirs messagers de mon cuœur, Ny de ma flamme une ardeur eternelle, Ny le desir qui me lime & me mord, Ny voir escrite en ma face la mort, Ny les erreurs d’une longue complainte, Ne briseront mon cuœur de diamant, Que sa beaulté n’y soit tousjours emprainte Belle fin fait qui meurt en bien aymant.

Eine Kaskade anaphorisch durch ›ny‹ eingeleiteter wechselnder Zustände und Ereignisse, geradezu eine Summa petrarkisch-petrar­ kistischer Topoi, mündet in die Beteuerung beständiger Liebe – Metapher einer Dichtung, die in ihrer Fülle an Wörtern und Sachen, ihrem Reichtum an Variationen und Transformationen einmal mehr die Einheit der Idee reflektiert.337 Die Amours, die Continua­ 118  |  Postscripta

tions des Amours und die Nouvelle Continuation des Amours sind ein poietisches Analogon des Complicatio-Explicatio-Philosophems des Cusaners und des Copia-Theorems des Erasmus. Sie repräsentieren eine Episteme, die die Epoche der Renaissance insgesamt kennzeichnet und auszeichnet: Vielheit als Einheit und Einheit als Vielheit. Am Ausgang dieser Epoche sucht Giordano Bruno insbesondere in den Eroici furori diese basale rinascimentale Episteme im Konzept einer Unendlichkeit, die Vollkommenheit intendiert, zu fundieren, genauer und in Wiederholung: in der Vorstellung einer Einheit, in der die ontologisch aktuale Unendlichkeit sich in die Potentialität unendlicher Vielheit entäußert. Bei aller Sprengkraft, die dem bruno­nischen Unendlichkeitstheorem inhäriert, bleibt ein metaphysisches Implikat erhalten, eine Orientierung auf einen Ordo. ✴ ✴ ✴

Wie verhält es sich in der Moderne – ihrerseits verstanden als ›longue durée‹?338 Die Intention, Vollendung im Unendlichen anzustreben – und dies gleichermaßen auf dem Feld der Erkenntnis wie der Poietik –, liegt auch der ästhetischen Philosophie und philosophischen Ästhetik der Romantik zugrunde. »Die Kunst ist unendlich perfektibel und ein absolutes Maximum ist in ihrer steten Entwicklung nicht möglich: aber doch ein bedingtes relatives Ma­ ximum, ein unübersteigliches fixes Proximum.«339 Und wenn Friedrich Schlegel im wohl bekanntesten Athenäums-Fragment 116 die »romantische Poesie« eine »progressive Universalpoesie«340 nennt, kommt der Vorstellung des ›unendlich Progredierenden‹ die Funktion zu, die romantische Poesie einer Vollendung im Unendlichen zuzuführen: »[…] indem sie [sc. die progressive Universalpoesie] jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein soll, alle Teile ähnlich organisiert, wodurch ihr die Aussicht auf eine grenzenlos wachsende Klassizität eröffnet wird.«341 Die Äußerungen Friedrich Schlegels können einige Geltung für weite Teile der modernen Kunst und Literatur und wohl auch Musik beanspruchen. Ausdruck dieser »ästhetischen Revolution«342 sind Werke der Kunst und der Literatur ab etwa 1800 bis heute, sind ihre spezifischen Formen und StruktuPostscripta  |  119

ren. Es sind keineswegs »unendliche Texte«343 , nur mehr Texte, die intendieren, Unendlichkeit zu figurieren: Ihre Aktualität besteht allein in ihrer unendlichen Potentialität. Und dies hat – so haben wir bereits mit Blick auf Brunos Eroici furori gesehen – seinen Grund in der unaufhebbaren Materialität der Sprache und ihren immer nur eingeschränkten Möglichkeiten. Ist unter dieser Voraussetzung auch für die Moderne eine Poietik des Unendlichen philosophisch zu begründen – in Analogie zu Bruno? Dazu – wiederum in aller Knappheit – einige Positionen der deutschen (Früh)Romantik. Friedrich Schlegel, Schelling, auch Novalis erachten Philosophie und Dichtung bzw. Kunst nicht allein als aufeinander verwiesen, ja allgemein als unverbrüchliche Einheit – »das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie«344 – sei die Kunst, so Schelling; sie benennen auch den Grund – um noch einmal Schelling anzuführen: »Philosophie geht – ich bitte Sie, dies streng aufzufassen – überhaupt nicht auf das Besondere als solches, sondern unmittelbar immer nur auf das Absolute, und auf das Besondere nur, sofern es das ganze Absolute in sich aufnimmt in sich darstellt«345; und für die Kunst gelte: Die Kunst, um Objekt der Philosophie zu sein, muß also überhaupt das Unendliche in sich als Besonderem entweder wirklich darstellen oder es wenigstens darstellen können. Aber nicht nur findet dieses in Ansehung der Kunst statt, sondern sie steht auch als Darstellung des Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philosophie: – wie diese das Absolute im Urbi ld, so jene das Absolute im Gegenbild darstellend. 346

Schellings Konzept des Unendlichen bzw. des Absoluten zeigt Analogien zu Unendlichkeitskonzepten Giordano Brunos und – wohl durch diesen vermittelt – des Nikolaus von Kues. Werner Beierwaltes hat gezeigt, dass Schellings Konzept des Unendlichen bzw. des Absoluten, wie er es im Rahmen seiner Identitätsphilosophie aus den Jahren 1801 bis 1806 entwickelt, auch auf der Auseinandersetzung mit Giordano Brunos italienischem Dia­log De la causa, principio et uno (etwa 1574) beruht. Deutliches Dokument dafür ist Schellings 1802 erschienener Dia­log Bruno – oder über das gött­ liche und natürliche Prinzip der Dinge. Der zentrale Gedanke, der hier verfolgt wird, ist das Prinzip der coincidentia oppositorum im unendlichen Einen, zugleich die Pointe des Schelling’schen Identi120  |  Postscripta

tätssystems. Anders als Schelling hat Friedrich Schlegel – nach eigenem Bekunden – Cusanus selbst zur Kenntnis genommen. Doch es sollte nicht um Einfluß im engeren Sinne gehen, sondern darum zu sehen, ob eine moderne Ästhetik und Poietik der Unendlichkeit philosophisch zu begründen ist. Indes ist der Unterschied zu Cusanus und zu Bruno erheblich – er ist in der Bestimmung des Geistes, der mens bzw. des intellectus, zu erkennen. Es ist Grundüberzeugung der platonischen Tradition, dass der Geist ein Vermögen zu allen Dingen ist; die Geistmetaphysik der Renaissance und frühen Neuzeit teilt diese Überzeugung. In Differenz dazu bringen Schlegel, Schelling, die (Früh)Romantiker den Geist – um es etwas salopp zu sagen – um seine genuin metaphysische Dimension. Der Idealismus vertritt eine Metaphysik eigener Art, die den Platonismus letztlich invertiert: Die klassische Metaphysik wird durch eine Ästhetik und Poietik ersetzt, die gleichwohl in der Immanenz auf eine Transzendenz verweist, doch letztlich die Transzendenz ›schleift‹. Voraussetzung ist Brunos Aufwertung der Materie: Sie wurde zum Einfallstor für die Ästhetik, die Kunst und ihre Eigenmächtigkeit.347 Um noch einmal aus Friedrich Schlegels Athenäums-Fragment 116 zu zitieren: […] Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkür des Dichters kein Gesetz über ihr leide. 348

Die Differenz zu Cusanus und auch zu Bruno ist evident: An die Stelle der Participatio des Geistes ist die Freiheit der Creatio getreten – der Text spricht gar von Gesetzlosigkeit der Dichtart und Willkür des Dichters – Willkür verstanden als uneingeschränktes Wollen-Können. ✴ ✴ ✴

Ernst Cassirer349 widmet im ersten Teil seines frühen dreibändigen Werks Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit350 ein Kapitel dem Nolaner: »Das kopernikanische Weltsystem und die Metaphysik. Giordano Bruno«351. Im MittelPostscripta  |  121

punkt steht – entsprechend der leitenden Perspektive des Werkes – Brunos Kosmologie, näherhin »das Problem des Unendlichen«, der »Geda n ke der Unend lich keit der Welten«, Ausgangspunkt für »eine neue Auffassung der philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnis«, und – so ist weiterzuführen – für einen »dynamischen Begriff des Seins«352 . Cassirer erkennt luzide, dass Bruno »den Begriff des Unendlichen mit dem Problem des Selbstbew u ßtsei ns in Beziehung gesetzt hat«353 , dass – mit anderen Worten – das Unendliche sich nicht wie das Sein der Dinge dem Sinn und der Wahrnehmung erschließt, vielmehr in der Vernunft, im Intellekt, im Geist hervorgebracht wird354 . Indem Cassirer – auch unter Berücksichtigung wichtiger mnemotechnischer Werke Brunos – festhält, dass es in Brunos Erkenntnislehre »der charakteristische Vorzug des Intellekts [ist], daß er seinen objektiven Inhalt aus sich selbst schöpft«355 , legt er bereits in seinen frühen Schriften eine ›Spur‹, die über die Kosmologie und Erkenntnistheorie des Nolaners zu dessen Bild- und Zeichentheorie356 und damit seine eigene Symboltheorie hätte führen können. Der Blick dafür war offenbar in dieser frühen Zeit noch verstellt. Anders verhält es sich in dem mehr als zwanzig Jahre später erschienenen Buch Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance357 – es ist Aby Warburg gewidmet. Im dritten Kapitel werden die Reflexionen über »Freiheit und Notwendigkeit in der Philosophie der Renaissance«358 unter anderem am Beispiel des »Fortuna-Symbols« veranschaulicht, und Cassirer erwähnt eingangs ein anläßlich der Hochzeit der Lucrezia Borgia mit Alfonso d’Este aufgeführtes Spiel, »in dem ein Ka mpf z w ischen For t u na u nd Herku les dargestellt war«, um sodann auf Brunos Spaccio della bestia trionfante (1584) zu sprechen zu kommen und auf die Szene, in der Fortuna vor Zeus und vor die Versammlung der olympischen Götter hintritt. Die für unsere weiteren Überlegungen entscheidende Passage ist folgende: […] eine Gestalt wie Giordano Bruno lehrt, daß die allegorischen Masken, die diese Spiele beherrschen, ihre Wirkung bis weit in ein Gebiet erstrecken, das, unseren Denkgewohnheiten gemäß, nur dem abstrakten, dem begrifflich-bildlosen Denken vorbehalten sein sollte. In einer Zeit, in der das Leben sich überall von geistigen Formen beherrscht und mit ihnen durchdrungen zeigt, in der die Grundgedanken über die Stellung des Menschen zur Welt, über Freiheit 122  |  Postscripta

und Schicksal bis in das festliche Spiel hinein sich wirksam erweisen – in einer solchen Zeit bleibt auch der Gedanke nicht lediglich in sich selbst beschlossen, sondern strebt nach sichtbaren Symbolen. Giordano Bruno ist der deutlichste Exponent dieser Grundanlage und dieser Grundstimmung der Renaissancephilosophie. Von seinen frühe­sten Schriften, von der Schrift: »De umbris idearum« an, hat er den Gedanken festgehalten, daß für die menschliche Erkenntnis sich die Ideen nicht anders als in bildhafter Form darstellen und verkörpern lassen. […] Für eine solche Denkart ist die Allegorie kein bloßes äußeres Beiwerk, keine zufällige Hülle, sondern sie wird zum Vehikel des Gedankens selbst. 359

Cassirers neue Perspektive auf den Nolaner verdankt sich zum einen den eigenen Reflexionen über die symbolischen Formen360 , jener Manifestation der »Bildkraft des Geistes«361: Bruno sei der »deutlichste Exponent« einer Renaissancephilosophie, nach der der Gedanke »nach sichtbaren Symbolen« strebe, sich »die Ideen nicht anders als in bildhafter Form darstellen und verkörpern« ließen. Zum andern verdankt sie sich dem geistigen Austausch mit Aby Warburg und der Arbeit in der von diesem gegründeten Bibliothek362 . So geht Cassirer gar so weit, die »ethisch-allegorische[…] Formelsprache« des brunianischen Spaccio als »neue und doch echt-antike Pat hosformel« zu kennzeichnen und in der »D y na mi k des [sc. brunianischen] Denkens […] – mit Warburg zu sprechen – das Streben nach einem neuen ›energetischen Gleichgewichtszustand‹«363 zu behaupten. Cassirer hat – wie sich wenige Jahre später noch weit deutlicher zeigen wird – Entscheidendes gesehen, ohne freilich dessen Tragweite erkannt zu haben: dass nämlich Giordano Brunos Kosmologie und Epistemologie basale Theoreme der eigenen Symbolphilosophie vorwegnehmen, ineins eine Bildtheorie formulieren, die ihre Voraussetzungen zwar in Topik und Rhetorik hat, sie indes überwindet, ja invertiert.364 Zur Verdeutlichung gilt es noch einmal folgendes zu erinnern: Giordano Bruno hat in seinen sog. mnemotechnischen Schriften – ausgehend von De umbris idearum und Sigillus sigillorum bis hin zu De imaginum, signorum et idearum compositione – eine kosmologisch und epistemologisch begründete Bild- und Zeichentheorie entworfen, die zugleich eine Anthro­po­lo­gie mit ethischem Anspruch ist.365 Dabei kommt der imago im Verständnis Brunos nicht Postscripta  |  123

anders als dem Symbol im Verständnis Cassirers eine »allumfassende geistige Fu n k t ion« 3 6 6 zu. Es ist die epistemisch-phantasmatische bzw. symbolische Funktion, die den einheitlichen Gehalt einer »Phi losophie a ls Ga nzes« 3 67 begründet. Sie besteht in ihrem allgemeinsten Sinne in der selbsttätigen Hervorbringung von »Zeichen und Bilder[n]«, die »dem, was wir die objektive Wirklichkeit der Dinge nennen«368 , entgegentreten. Bilder und Zeichen sind »das Medium, durch welches uns irgendwelches geistige Sein erst faßbar«369 wird. Indes präkonisiert Cassirer keineswegs eine Geistmetaphysik, vielmehr reflektiert er Möglichkeit und Modus der Erkenntnis überhaupt370 und versucht zu zeigen, »wie hinter jedem bestimmten Kreis von Symbolen und Zeichen […] Energ ien des Bildens stehen«371. Gerade in der Unhintergehbarkeit und Widerständigkeit der symbolischen Medialität erweise sich die »echte Substantialität des Geistes«. Nicht anders gilt für den Nolaner, dass ein unmittelbares Erkennen weniger der »objektive[n] Wirklichkeit der Dinge« als eines »geistige[n] Sein[s]«372 nicht (mehr) möglich ist. Dem entsprechend anerkennt auch er die Mittlerrolle der Bilder und Zeichen. Indes steht seine Erkenntnistheorie gleichwohl noch im Horizont der Geist­metaphysik eines Plotin, Cusanus, Ficino: Zwar hat der menschliche Geist (Intellekt) nicht (mehr) die Möglichkeit, das Eine, Abso­lute, Göttliche unmittelbar zu erkennen, doch er vermag die Spuren (vestigia) und die Schatten (umbrae) des Einen, Göttlichen, absoluten Seins wahrzunehmen – und dies mittels der Bilder, der Phantasmen, die die virtus imaginativa bzw. die phantastica potentia, das bildschöpferische Vermögen, hervorbringt. Die Annäherung des endlichen Geistes bzw. Intellekts an das unendliche Eine und Absolute vollzieht sich damit in unendlich vielen mentalen Bildern, imagines oder phantasmata, ohne dass je der »Ozean aller Wahrheit und Güte«373 ausgeschöpft würde. Die Fähigkeit der virtus imaginativa, unendlich viele Bilder und Zeichen hervorzubringen, ist wiederum ontologisch begründet in der prinzipiellen Analogie zwischen der actio divina und der operatio ingenii humani, näherhin zwischen dem aktual unendlichen Einen Göttlichen und der nurmehr potentiell unendlichen Kraft des menschlichen Geistes. In dieser Analogie ist die schöpferische Dynamik der virtus imaginativa begründet, die Fähigkeit des Geistes also, unendlich viele 124  |  Postscripta

Bilder und Zeichen zu generieren, nicht nur, um das Göttliche Eine mittelbar in der Spur und im Schatten zu erkennen, vielmehr um sich in der Welt zu orientieren.374 Bruno hat seine Bild- und Zeichentheorie zwar noch vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen, platonisch-neuplatonischen Ontologie formuliert, doch zugleich in eine Epistemologie transformiert, die auf Positionen des ›modernen‹ Idealismus vorausweisen. Cassirer gründet seine Symbolphilosophie allein auf das Bewusstsein, das »sich nicht damit begnügt, einen sinnlichen Inhalt nicht einfach zu haben, sondern […] ihn aus sich heraus [zu erzeugen]« 375 . In der »Kraft dieser Erzeugung« beruht die Leistung der symbolischen Form.376 Cassirers Symbolphilosophie dürfte in metaphysikkritischen Zeiten der Vorzug vor Brunos Bild- und Zeichentheorie gegeben werden – zumal sich seit etwa zwei Jahrzehnten die philosophisch belehrte Bildwissenschaft die Erkenntnis (oder auch nur Annahme) der primären Gestalt- oder Bildförmigkeit sinnlicher Wahrnehmung zu eigen gemacht hat. Doch gerade unter dieser Prämisse könnte Brunos Epistemologie für die Beantwortung der Frage, was ein Bild ist, von Belang sein: bei Lichte besehen überzeugt die reflexive Selbstbegründung nicht (mehr).

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Anmerkungen   Zum Aspekt der Partizipation siehe Schneider: Kosmos, Seele, Text (2012). 2  Die Forschung zu Cusanus und Bruno seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Clemens: Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa [1847]) bis auf den heutigen Tag ist zu reich, um hier aufgeführt zu werden. Die prominenteste Studie dürfte die von Blumenberg sein: Aspekte der Epochenschwelle: Cusaner und Nolaner (1976). 3  Vgl. bspw. Spruit: Il problema della conoscenza in Giordano Bruno (1988), S. 298: »Si può dire […], che la strategia filosofica di Bruno sia complessivamente caratterizzata da una contaminazione, in genere difficilmente risolvibile, di pensieri provenienti dalle scuole tradizionali.« Spruit bringt in seiner Studie zahlreiche Belege für die Bezugnahmen Brunos auf die philosophische Tradition – wie im übrigen zahlreiche weitere Forschungsarbeiten. Hervorzuheben ist Thomas Leinkauf: Einleitung, in: Giordano Bruno: De la causa, principio et uno / Über die Ursache, das Prinzip und das Eine. Übersetzung, Einleitung und Kommentar von Thomas Leinkauf, Hamburg 2007 [= BW III], S. ix–cliii. 4  Erschienen 1583 in London: Erläuterung der Gedächtniskunst in der Tradition des Raimundus Lullus. 5  Explicatio triginta sigillorum, in: Opera latine conscripta, ed. F. Fiorentino et al., 3 Bde., Neapoli/Florentiae 1879–91; ND Stuttgart 1962, II/2, S. 133, Z. 20–24. 6  Siehe dazu u. a. Ordine: La soglia dell’ombra (2003), insbes. S. 163–229. Auf Nachweise durch genauere Textanalysen ist allerdings verzichtet. 7  Bruno nimmt philosophisch wie ästhetisch-poietisch Konzepte vorweg, die z. B. in der deutschen Romantik und Frühromantik, unter anderem im Konzept der »progressiven Universalpoesie«, wieder aufgenommen werden, ohne dass freilich von einem ›Einfluss‹ gesprochen werden könnte. Der romantische Begriff des Unendlichen bzw. der Unendlichkeit ist von der Vorstellung einer ›Vollendung im Unend­lichen‹ bestimmt, er postuliert eine Zusammenführung von Endlichem und Unendlichem, mithin die Einheit von beidem im Unendlichen. Genau dieser Vorstellung entsprechen die eroici furori als Bestrebungen des eroe und die Eroici furori als Text bzw. als Textur. Genaueres s. u. S. 119 ff. 8  Dazu Genaueres weiter unten S. 47 – 70. 9  Zur Frage der Genera s. u. S. 38 – 96. 1

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  Zum ›moto metafisico‹ s. u. S. 32; S. 36, Anm. 82 u. ö.   Zur Frage der (Nicht)Identität von Autor und Erzähler siehe Andreas Kablitz: Literatur, Fiktion und Erzähler nebst einem Nachruf auf den Erzäh­ ler, in: Irina Rajewski und Ulrike Schneider (Hgg.): Im Zeichen der Fiktion. Aspekte fiktionaler Rede aus historischer und systematischer Sicht. Festschrift für Klaus W. Hempfer zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2008, S. 13–44. 12  Platon, Phaidros 265b; vgl. auch 245a (manía der Dichter); Näheres dazu siehe weiter unten S. 61. 13  Furori, Argomento (16/18): »il mio primo e principale […] intento in questa tessitura«. 14  Üblicherweise wird der Intellekt mit dem ihn anspornenden Willen verbunden; die Verbindung des ›amor eroico‹ mit dem ›eroico intelletto‹ ist, wie die weiteren Ausführungen zeigen, eine Variante im semantischen und sprachbildlichen Spektrum der Eroici furori. 15  Es dürfte – neben zahlreichen Aufsätzen – kaum eine Monographie zu Giordano Bruno geben, die nicht wenigstens kursorisch auf die brunianische Aufnahme des Aktaion-Mythos einginge. Unter den vielen seien e. g. genannt Ordine: La soglia dell’ombra (2003), S. 140–158; Sabbatino: Gior­dano Bruno e la »mutazione« del Rinascimento (1993), S. 128–157; Mancini: La sfera infinita (2000), S. 75–92; Canziani: Le metamorfosi dell’amore (2001), 213 ff. – Barberi Squarotti: Selvaggia dilettanza (2000) untersucht die Jagd als Topos in der italienischen Literatur von den Anfängen bis zu Marino und vermag so unter anderem, die brunianische Version in die philosophische und literarische Tradition des Topos der Jagd und der mythischen Figur des Aktaion zu stellen. – Eine vielhundertseitige, einläss­ liche, doch auch verbose Studie zur Bedeutung der Jagdmetapher und zum Aktaion-Mythos bei Bruno hat Bombassaro: Im Schatten der Diana (2003) vorgelegt. In der Prägnanz philosophischer Reflexion unübertroffen bleiben allerdings Beierwaltes: Actaeon (1978), sowie Fellmann: Heroische Lei­ denschaften und die Entstehung der philosophischen Anthro­po­lo­gie (1989), S. xxviii–xxxiii. – Überflüssig, da ohne einen einzigen neuen Gedanken ist Gonzales y Reyero: Il »disquarto« di Atteone (2005). 16  Zur Wirkung und Rezeption des Aktaion-Mythos in der europäischen Renaissance siehe vor allem Cziesla: Aktaion polypragmon (1989). Weiterhin u. a. Margolin: Sur quelques figures d’Actéon à la Renaissance (2002); Murphy: The Death of Actaeon as Petrachist Topos (1991); Ordine: La soglia dell’ombra (2003), S. 144–153; Sabbatino: Giordano Bruno e la »mu­ tazione« del Rinascimento (1992), S. 128–148; Schlam: Diana and Actaeon: Metamorphoses of a Myth, (1984). 17  In der jüngeren Forschung ist durchaus hervorgehoben worden (so bspw. Ordine: La soglia dell’ombra [2003], S. 209–229), dass in Brunos italienischen Dia­logen Philosophie und Poesie aufeinander verwiesen sind, 10

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128  |  Anmerkungen

mithin der poetische Diskurs nicht Akzidens des philosophischen und vice versa ist; allerdings blieb diese Einsicht für die Beschreibung des spezifischen Verhältnisses von Philosophie und Poesie mehr oder minder folgenlos. So berücksichtigt Sabbatino: Giordano Bruno e la »mutazione« del Rinascimento (1993) zwar in entschiedenem Maße die literarischen – rhetorischen, poetischen, thematisch-motivlichen, metrischen usw. – Besonderheiten des brunianischen Werkes, insbesondere des Candelaio und der Ero­ ici furori, doch versteht er sie nicht als spezifischen ästhetischen Ausdruck und Folge der brunianischen ›neuen Philosophie‹. Analoges gilt für Ordine: La soglia dell’ombra (2003), der zwar zahlreiche treffende Beobachtungen zu Sprache, Stil, Metrik usw. formuliert, doch wie die übrigen die genaue Analyse für die folgende grundlegende Einsicht schuldig bleibt (216): »Bisogna attivare anche sul piano dell’estetica lo stesso processo di liberazione avviato nelle sfere dell’etica, della cosmologia e della gnoseologia.« Und: »Dal lessico alla sintassi, dal verso alla struttura metrica ogni singolo elemento espressivo viene piegato a questa eroica funzione.« – Eine Ausnahme ist der Beitrag von Otto: Die Augen und das Herz (2000). – Die umfangreiche Monographie von Farinelli: Il Furioso nel labirinto (2000) beeindruckt durch die Fülle an Einzelbeobachtungen zu Sprache, Stil, Form(en) der Eroici fu­ rori, die Einbeziehung weiterer Werke Brunos und zeitgenössischer literarischer und theoretischer Texte zur Erklärung von Aussagen, Bildern, u. ä. Doch auch hier werden die Phänomene eher im Neben- und Nacheinander präsentiert, als in ihrer Bezogenheit aufeinander begründet. 18  Dass die Erkenntnislehre der Eroici furori auf den genannten Grundlagentexten basiert, haben Ciliberto: L’occhio di Atteone (2002), S. 95–109 [dort das Kap. III: »Il gioco degli occhi e del cuore negli Eroici furori«] und sodann Leinkauf: Metaphysische Grundlagen (2005) gezeigt. Ästhetik und Literarizität der Eroici furori bleiben unberücksichtigt. 19  Nicht nur das Aktaion-Sonett, sondern auch viele andere, ja in gewisser Hinsicht alle Poeme reflektieren die basalen brunianischen Philosopheme in je verschiedenen Sprach- und Bildkonstellationen. 20  Die Geschichte von Aktaion ist mit ihrer ersten sprachlichen bzw. bildliterarischen Gestaltung Mythos, und das heißt: sie ist von Anbeginn funktionalisiert für eine bestimmte Aussage. Genau hierin besteht die Besonderheit dessen, was Mythos zu nennen wir übereingekommen sind: in der Generierung einer Evidenz aus der funktionalen Inanspruchnahme einer Geschichte, die Tradition hat, näherhin die ihre Tradition auf die griechisch-römische Antike zurückführt. Der Mythos ist nicht, er wird gemacht, und er wird immer wieder neu gemacht: mittels einer sprachlich (auch bildlich) und strukturell intentional geordneten Geschichte, deren Funktion es ist, eine bestimmte Aussage zu machen und sie zu evidenzieren. Hierfür ist Brunos Aktaion-Sonett ein ebenso schlagendes wie eigenwilliges Beispiel. Anmerkungen  |  129

  Siehe dazu Classen: Untersuchungen zu Platons Jagdbildern (1960), und zuletzt Bombassaro: Im Schatten der Diana (2003), S. 23–194, der »Jagd als Praxis, Metapher und Begriff« sowie »Die Jagd und die Einführung der venatorischen Methode in der Philosophie« darstellt. 22  Phaidon 66c2. 23  Beierwaltes: Actaeon (1978), S. 428. 24  Bombassaro: Im Schatten der Diana (2003) hat in Kap. 3 und in Kap. 4 seiner Studie das geradezu ubiquitäre Vorkommen der Jagdmetapher und des Aktaion-Mythos in den lateinischen und den italienischen Schriften Brunos aufgewiesen. 25  Furori I  4 (118): »Atteone significa l’intelletto intento alla caccia della divina sapienza, all’apprension della beltà divina.« Die Intentionalität, mithin das Streben, und eben nicht die Verwirklichung findet Ausdruck in den Begriffen ›intendere‹ und ›apprendere‹ bzw. ›apprension‹, letzteres in Unterscheidung von ›comprendere‹ bzw. ›comprension‹: Für den menschlichen Intellekt ist nurmehr ein ›comprendere‹, eine ›comprension‹ möglich, nicht ein ›apprendere‹, eine ›apprension‹. 26  Furori I  4 (118/120): »Costui slaccia ›i mastini et i veltri‹: de quai questi son più veloci, quelli più forti. Perché l’operazion de l’intelletto precede l’operazion della voluntade; ma questa è più vigorosa et efficace che quella; […].« 27  Furori I  4 (120): »[…] atteso che a l’intelletto umano è più amabile che comprensibile la bontade e bellezza divina, oltre che l’amore è quello che muove e spinge l’intelletto acciò che lo preceda come lanterna.« 28  Vgl. dazu Spruit: Il problema della conoscenza (1988), S. 236–251 (2. Amor & cognitio). Spuit berücksichtigt außer Ficino auch Thomas von Aquin. Zum Problem insgesamt vgl. die differenzierte Studie von Leinkauf: Liebe als universales Prinzip (2009). 29  Marsilio Ficino: Commentarium in Convivium Platonis De amore II, ii: »Divina vero hec speties in omnibus amorem, hoc est, sui desiderium procreavit. Quondam si deus ad se rapit mundum mundusque rapitur, unus quidam continuus astractus est a deo incipiens, transiens in mundum, in deum denique desinens, qui quasi circolo quodam in idem unde manavit iterum remeat. Circulus itaque unus et idem a deo in mundum, a mundo in deum, tribus nominibus nuncupatur. Prout in deo incipit et allicit, pulchritudo/; prout in mundum transiens ipsum rapit, amor; prout in auctorem remeans ipsi suum opus coniungit, voluptas. […] Idem enim deus est, cuius spetiem desiderant omnia, in cuius possessione omnia requiescunt.« – »Die göttliche Schönheit hat in allen Dingen die Liebe, d. i. das Verlangen nach ihr selbst, erzeugt. Da eben Gott die Welt zu sich hinzieht und die Welt zu ihm hingezogen wird, so besteht eine dauernde Anziehung zwischen Gott und der Welt, welche von Gott ausgeht, auf die Welt sich überträgt 21

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und in Gott zum Abschluß kommt, demnach sozusagen im Kreislauf zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. Ein und derselbe Kreislauf also, nämlich von Gott zur Welt und von der Welt zu Gott hin, wird auf dreifache Weise benannt. Insofern er in Gott entspringt und zu ihm hinzieht, heißt er Schönheit, insofern er auf die Welt sich erstreckt und sie an sich reißt, wird er Liebe genannt; insofern er, zum Urheber zurückkehrend, diesen mit seiner Schöpfung verbindet, heißt er Genuß. […] denn es ist derselbe Gott, nach dessen Schönheit alle Wesen Verlangen tragen, in dessen Besitz sie alle Ruhe finden.« – Marsilio Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (= Commentarium in Convivium Platonis de amore). Lateinisch-Deutsch. Übers. von Karl Paul Hasse. Hg. und eingel. von Paul Richard Blum, Hamburg 31994, S. 38 f. 30  Um bereits hier einem möglichen Missverständnis vorzubeugen: Simulacrum ist bei Bruno wie in der gesamten platonisch-neuplatonischen Tradition i. S. v. Bild, Abbild zu verstehen, nicht im postmodernen Sinne des Trugbilds. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Postmoderne die Tradition, auf der sie aufruht, nicht kennte; sie leugnet sie allerdings bzw. verkehrt sie intentional. 31  Von Interesse ist gerade in diesem Zusammenhang eine der eindrucksvollsten Passagen aus Plotins Enneades (Ennead. I  6,8, in: Plotins Schriften, übers. von Richard Harder, Bd. 1, Hamburg 1956, S. 20): ἰδόντα γὰρ δεῖ τὰ ἐν σώμασι καλὰ μήτοι προστρέχειν, ἀλλὰ γνόντα ὥς εἰσιν εἰκόνες καὶ ἴχνη καὶ σκιαὶ φεύγειν πρὸς ἐκεῖνο οὗ ταῦτα εἰκόνες. εἰ γάρ τις ἐπιδράμοι λαβεῖν βουλόμενος ὡς ἀληθινόν, οἷα εἰδώλου καλοῦ ἐφ᾽ ὕδατος ὀχουμένου ὁ λαβεῖν βουληθείς, ὥς πού τις μῦθος, δοκῶ μοι, αἰνίττεται, δὺς εἰς τὸ κάτω τοῦ ῥεύματος ἀφανὴς ἐγένετο – τὸν αὐτὸν δὴ τρόπον ὁ ἐχόμενος τῶν καλῶν σωμάτων καὶ μὴ ἀφιεὶς οὐ τῷι σώματι, τῇι δὲ ψυχῇι καταδύσεται εἰς σκοτεινὰ καὶ ἀτερπῆ τῷι νῷι βάθη, ἔνθα τυφλὸς ἐν Ἅιδου μένων καὶ ἐνταῦθα κἀκεῖ σκιαῖς συνέσται. »Denn wer die körperliche Schönheit betrachtet, der darf sich nicht an sie verlieren, sondern er muß erkennen, daß sie ein Bild und eine Spur und ein Schatten ist, und fliehen zu dem, dessen Abbild sie darstellt. Denn wenn einer hinstürmte und das als etwas Wahres erfassen wollte, was doch nur ein schönes Spiegelbild im Wasser ist, dann wird es ihm ebenso gehen, wie demjenigen, von dem ein Mythos zu berichten weiß, daß er ebenfalls ein Spiegelbild ergreifen wollte und dabei in der Tiefe des Gewässers verschwand; auf dieselbe Weise wird der, der an der körperlichen Schönheit festhält und nicht von ihr lassen will, nicht mit dem Körper, sondern mit der Seele in finstere und dem Geiste grauenvolle Abgründe versinken, wo er als ein Blinder im Orkus weilt und, dort wie hier, mit Schatten verkehrt.« (In der Übersetzung folge ich nicht Harder, sondern Erwin Panofsky: Idea. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie, Berlin 51985, S. 16.) Anmerkungen  |  131

Der Mythos, auf den Plotin verweist, ist der Mythos von Narziss. Bruno nimmt dessen Bildlichkeit auf – das Erblicken eines schönen Spiegelbildes im Wasser –, ordnet sie Actaeon und Diana zu und gibt ihr eine gänzlich differente Valenz: Nicht nur dass das Bild, die Spur, der Schatten das Einzige sind, das überhaupt erkennt werden kann, vielmehr werden sie gnoseologisch aufgewertet, ja umgewertet. In dieser Umwertung wird einmal mehr die Differenz der nolana filosofia zu Platonismus und Neuplatonismus deutlich. Gleichwohl bleibt aber auch für Bruno das »abitar[re] il mondo intelligibile« (Furori I  4 [146]) das Ziel des hero­ischen discorso. 32  Vgl. hierzu eine der zahlreichen Stellen aus Furori II  2 (314): »[…] a nessun pare possibile de vedere il sole, l’universale Apolline e luce absoluta per specie suprema et eccellentissima; ma sì bene la sua ombra, la sua Diana, il mondo, l’universo, la natura che è nelle cose, la luce che è nell’opacità della materia: cioè quella in quanto splende nelle tenebre.« 33  Zum Verhältnis von absolutem Sein, Weltseele und Universum s. Lein­kauf in: Einleitung (2007), lxix–cxiii [= BW III], insbesondere S. lxxiii–xci des systematischen Grundrisses von De la causa. Vgl. auch ebd., S. 438 f., Anm. 68 zur oben zitierten Passage. 34  Vgl. Causa, dialogo 3, in: BW III, S. 168–173 sowie der Kommentar zur Stelle. 35  Vgl. dazu auch die zentrale Stelle aus Causa, dialogo 3, in: BW III, S. 170/172: »Lo universo che è il grande simulacro, la grande imagine e l’unigenita natura, è ancor esso tutto quel che può esser per le medesime specie e membri principali e continenza di tutta la materia; alla quale non si aggionge e dalla quale non si manca, di tutta et unica forma: ma non già è tutto quel che può essere per le medesime differenze, modi, proprietà et individui; però non è altro che un’ombra del primo atto e prima potenza, e per tanto in esso la potenza e l’atto non è assolutamente la medesima cosa, per che nessuna parte sua è tutto quello che può essere. Oltre che in quel modo specifico che abbiamo detto, l’universo è tutto quel che può essere, secondo un modo esplicato, disperso, distinto: il principio suo è unitamente et indifferentemente; perché tutto è tutto et il medesmo semplicissimamente, senza differenza e distinzione.« – »Auch das Universum selbst, das große Abbild, das Ebenbild und die eingeborene Natur, ist alles, was [es] sein kann, dank der Konstanz der Arten und Hauptglieder sowie der Tatsache, daß es alle Materie in sich enthält, zu der man nichts hinzufügen kann, von der man nichts wegnehmen kann, und daß es von umfassender und einheitlicher Form ist. Doch ist das Universum freilich noch nicht alles das, was [es] sein kann, und zwar durch die Konstanz der Unterschiede, Arten und Weisen, Eigenschaften und Individuen; daher ist es letztlich nichts anderes als ein Schatten der ersten Wirklichkeit und des ersten Vermögens, und daher gilt auch, daß in ihm Vermögen und Wirklichkeit nicht auf absolute Weise eines 132  |  Anmerkungen

sind, denn nicht jedes seiner Teile ist alles das, was [er/es] sein kann. Hinzu kommt, daß das Universum in dem spezifischen, oben erwähnten Sinn alles ist, was [es] sein kann, und zwar auf eine entfaltete, verstreute und unterschiedene Weise, sein Prinzip hingegen ist [alles] auf einheitliche und unterschiedslose Weise, denn Alles ist [in ihm] Alles und auf schlechthin einfache Weise Dasselbe, ohne Verschiedenheit und Unterschied.« (Ebd., S. 171/173) 36  Intelletto hier verstanden als Funktion der Weltseele. 37  Vgl. dazu auch den Kommentar zu dieser Stelle in Giordano Bruno: Dia­loghi filosofici italiani, a cura e con un saggio introduttivo di Michele Ciliberto, Milano 2000, S. 1400, n. 14, der die in Frage stehende Passage allerdings nicht vor dem Hintergrund der ontologischen Seinsmodi Akt und Potenz liest, sondern erkenntnistheoretisch: »questo significa che l’eroe contempla Dio nella totalità dell’universo esplicato, senza cogliere l’intimo della sostanza divina, strutturalmente estraneo alla comprensione umana.« 38  Dazu die zentrale Stelle aus dem dritten Dia­log von De la causa: »Or contempla il primo et ottimo principio, il quale è tutto quel che può essere; e lui medesimo non sarebe tutto, se non potesse essere tutto: in lui dumque l’atto e la potenza son la medesima cosa. Non è cossì nelle altre cose, le quali quantumque sono quello che possono essere, potrebono però non esser forse; e certamente altro, o altrimente che quel che sono: perché nessuna altra cosa è tutto quel che può essere. Lo uomo è quel che può essere, ma non è tutto quel che può essere. […] Quello che è tutto che può essere, è uno, il quale nell’esser suo comprende ogni essere. Lui è tutto quel che è, e può essere qualsivogli’altra cosa che è e può essere. Ogni altra cosa non è cossì: però la potenza non è equale a l’atto, perché non è atto assoluto ma limitato; […] Ogni potenza dumque et atto che nel principio è come complicato, unito et uno, nelle altre cose è esplicato, disperso e moltiplicato. Lo universo che è il grande simulacro, la grande imagine e l’unigenita natura, è ancor esso tutto quel che può esser per le medesime specie e membri principali e continenza di tutta la materia; alla quale non si aggionge e dalla quale non si manca, di tutta et unica forma: ma non già è tutto quel che può essere per le medesime differenze, modi, proprietà et individui; però non è altro che un’ombra del primo atto e prima potenza, e per tanto in esso la potenza e l’atto non è assolutamente la medesima cosa, per che nessuna parte sua è tutto quello che può essere. Oltre che in quel modo specifico che abbiamo detto, l’universo è tutto quel che può essere, secondo un modo esplicato, disperso, distinto: il principio suo è unitamente et indifferentemente; perché tutto è tutto et il medesmo semplicissimamente, senza differenza e distinzione.« Causa, dialogo 3, in: BW III, S. 168/170/172. – »Betrachte nun das erste und beste Prinzip, das alles das ist, was es sein kann: es wäre selbst nicht alles, wenn es nicht auch alles sein könnte, so daß in ihm also Akt und Vermögen ein und dasselbe sind. Dies ist bei den anderen Dingen nicht Anmerkungen  |  133

so: diese, selbst wenn sie sein sollten, was sie sein können, könnten aber vielleicht auch nicht sein, zumindest sicherlich anders oder andersartig, als sie jetzt tatsächlich sind. Denn nichts anderes (außer dem ersten Prinzip) ist alles das, was [es] sein kann. […] Das aber, was alles das ist, was [es] sein kann, ist Eines, das aus seinem Sein alles Sein umfaßt. Es ist alles, was ist, und kann jedes beliebige Ding sein, das ist und sein kann. Jedes andere ist anders: bei ihm ist das Vermögen nicht der Wirklichkeit gleich, da letztere keine absolute, sondern eine begrenzte Wirklichkeit darstellt; […] Also ist alles Vermögen und alle Wirklichkeit, die im Prinzip gleichsam eingefaltet, vereint und Eines sind, in den anderen Dingen ausgefaltet, verstreut und vervielfältigt. Auch das Universum selbst, das große Abbild, das Ebenbild und die eingeborene Natur, ist alles, was [es] sein kann, dank der Konstanz der Arten und Hauptglieder sowie der Tatsache, daß es alle Materie in sich enthält, zu der man nichts hinzufügen kann, von der man nichts wegnehmen kann, und daß es von umfassender und einheitlicher Form ist. Doch ist das Universum freilich noch nicht alles, was [es] sein kann, und zwar durch die Konstanz der Unterschiede, Arten und Weisen, Eigenschaften und Individuen; daher ist es letztlich nichts anderes als ein Schatten der ersten Wirklichkeit und des ersten Vermögens, und daher gilt auch, daß in ihm Vermögen und Wirklichkeit nicht auf absolute Weise eines sind, denn nicht jedes seiner Teile ist alles das, was [er/es] sein kann. Hinzu kommt, daß das Universum in dem spezifischen, oben erwähnten Sinne alles ist, was [es] sein kann, und zwar auf eine entfaltete, verstreute und unterschiedene Weise, sein Prinzip hingegen ist [alles] auf einheitliche und unterschiedslose Weise, denn alles ist [in ihm] Alles und auf schlechthin einfache Weise Dasselbe, ohne Verschiedenheit und Unterschied. « (Ebd., S. 171/173.) – Ich verweise auf die überzeugende Strukturierung des ordo rerum von Leinkauf in: Einleitung (2007), lxix–cxiii [= BW III]. 39  Hier ist einer der vielen Hinweise darauf, dass in Brunos Ontologie und Kosmologie »das Eine zugleich transzendent und immanent ist, sofern es einerseits absoluter Grund allen Seins ist und sofern andererseits alles, was ist, nur eingeschränkter, abbildhafter, kontrakter Ausdruck eben dieser Einheit selbst ist«. (Leinkauf: Einleitung [2007], lxxvii, n. 153.) – Dazu Näheres weiter unten. 40  Furori I  4 (122): »rapito fuor di se da tanta bellezza«. 41  Ebd.: »veddesi convertito«. 42  Ebd.: »la bramata preda […] già avendola contratta in se«. 43  Vgl. hierzu eine der vielen möglichen Äußerungen in Causa, dialogo 2, in: BW III, S. 88: »[…] della divina sustanza, sì per essere infinita, sì per essere lontanissima da quelli effetti, che sono l’ultimo termine del corso della nostra discorsiva facultade, non possiamo conoscer nulla, se non per modo di vestigio come dicono i Platonici, di remoto effetto come dicono i Peripate134  |  Anmerkungen

tici, […] di spechio, ombra et enigma come dicono gli Apocaliptici.« – »[…] von der göttlichen Substanz können wir, sei es, weil sie unendlich ist, sei es, weil sie von den Wirkungen am weitesten entfernt ist, die wiederum die äußerste Möglichkeit unseres diskursiven Erkenntnisvermögens ausmachen, überhaupt nichts erkennen, außer auf eine Weise, die die Platoniker Spur nennen, die Peripatetiker entfernte Wirkung, […] die Apokalyptiker Spiegel, Schatten und Rätsel.« (Ebd., S. 89.) – In den Eroici furori ist neben vielen weiteren Passagen die Bezugnahme auf Platons Höhlengleichnis von Interesse, ohne dass allerdings die platonischen Konsequenzen gezogen würden: »[…] perché veggiamo non gli effetti veramente, e le vere specie de le cose, o la sustanza de le idee, ma le ombre, vestigii e simulacri de quelle, come color che son dentro l’antro et hanno da natività le spalli volte da l’entrata della luce, e la faccia opposta al fondo: dove non vedeno quel che è veramente, ma le ombre de ciò che fuor de l’antro sustanzialmente si trova.« (368) – »Denn wir sehen nicht die tatsächlichen Wirkungen und die wahren Erscheinungen der Dinge oder die Substanz der Ideen, sondern deren Schatten, Spuren und Trugbilder, gleichen jenen in der Höhle, die von Geburt an mit dem Rücken zum Lichteinfall und mit dem Gesicht zum Höhlenhintergrund stehen, weshalb sie nicht das wahrhaft Seiende sehen, sondern die Schatten dessen, was sich seiner Substanz nach außerhalb der Höhle befindet.« (369) 44  Siehe Furori II, 4 (348/350). 45  Erhellend ist eine Passage am Ende des zweiten Dia­ logs des Ersten Teils, die einmal mehr ein Beispiel ist für die den ganzen Text kennzeichnenden Verweisungen, Wiederaufnahmen in Veränderung, Präzisierungen durch Sinnerweiterungen – es ist die Rede von den drei Modalitäten des platonischen raptus: »Sai bene che come il rapto platonico è di tre specie, de quali l’uno tende alla vita contemplativa o speculativa, l’altro a l’attiva morale, l’altro a l’ociosa e voluptuaria: cossì son tre specie d’amori; de quali l’uno dall’aspetto della forma corporale s’inalza alla considerazione della spirituale e divina; l’altro solamente persevera nella delettazion del vedere e conversare; l’altro dal vedere va a precipitarsi nella concupiscenza del toccare.« Furori I, 2 (84). – »Dir ist ja bekannt: Wie es nach Platon drei Arten der Leidenschaft git – die eine strebt nach kontemplativ-spekulativem, die andere nach moralisch handelndem und die dritte nach müßig-triebhaftem Leben –, so gibt es auch drei Arten der Liebe, deren eine sich vom Anblick der körperlichen zur Anschauung der geistigen und göttlichen Form erhebt, die zweite im bloßen Genuß des Sehens und Umgangs verharrt, und die dritte sich vom Anblick zur Gier nach Berührung hinreißen läßt.« (85) – Liebe ermöglicht Erkenntnis, nicht anders als der Intellekt auf den Willen als Motor angewiesen ist. Das Verhältnis von amor und cognitio wird immer wieder neu austariert, die Gewichtungen sind variabel. 46  Aus der Fülle der Beispiele sei aus Furori II  1 der Kommentar zur Anmerkungen  |  135

zehnten Imprese zitiert, eine Passage, die über das Thema der Liebe deutlichen Bezug zum Aktaion-Sonett und dessen Kommentar hat: »L’amor dunque […] viene ad esser presto, furtivo, improvisto e subito. […] ogni cosa naturalmente appete il bello e buono, e però non vi bisogna argumentare e discorrere perché l’affetto si informe e conferme; ma subito et in uno instante l’appetito s’aggionge a l’appetibile, come la vista al visibile.« (284) – »Die Liebe ist also schnell, flüchtig, überraschend und plötzlich […]. […] jeder Gegenstand [strebt] von Natur aus nach dem Schönen und Guten, und darum ist es nicht nötig, Argumente anzuführen und Überlegungen anzustellen, warum das Gefühl Gestalt annimmt und Gewalt erlangt; vielmehr vereint sich plötzlich und in einem Augenblick das Streben mit dem Erstrebenswerten, wie das Sehen mit dem Sichtbaren.« (285) 47  Siehe dazu H. Jacobsohn: ›Conuersio‹, in: TLL 4 (1906–1909), Sp. 853– 856; ders.: ›Conuerto‹, in: ebd., Sp. 858–869; Henry Pinard de la Boullaye: ›Conversion‹, in: Dictionnaire de Spiritualité ascétique et mystique […], II, Paris 1953, S. 2224–2265; Pierre Hadot: ›Conversio‹, in: HWPh 1 (1971), Sp. 1033–1036; ders.: Conversion, in: Exercices spirituels et philosophie antique, Paris 1981 [= Études Augustiennes], S. 175–182; ders.: Epistrophè et metanoia dans l’histoire de la philosophie, in: Histoire de la philosophie. Méthodologie, antiquité et Moyen Âge, Amsterdam 1953 [= Actes du Xième Congrès international de philosophie, Bruxelles, 20–26 août 1953 – vol. Xii]. 48  So Beierwaltes: Actaeon (1978). 49  So Titel und Argumentation des Buches von Beierwaltes: Das wahre Selbst (2001). 50  Siehe dazu Leinkauf: Die Bestimmung des Einzelseienden (1994). 51  Furori I  4 (120): »[…] nel specchio de le similitudini, nell’opre dove riluce l’efficacia della bontade e splendor divino […]«. – Eindringlich wird in Cena und vor allem in Causa das Verhältnis zwischen dem Einen, Göttlichen, Absoluten und dem Universum, der Natur als Spur (vestigio) und Spiegel (specchio) dargestellt. 52  Zum analogisch-partizipativen Verhältnis von absolutem Einen, unendlichem Universum und menschlichem Intellekt vgl. bspw. De umbris idearum, ed. Rita Sturlese, Firenze 1991, S. 43–44 (= n. 52): »Analogiam enim quandam admittunt methaphysica, physica, et logica seu ante naturalia, naturalia, et rationalia, sicut verum, imago, et umbra. Caeterum idea in mente divina est in actu toto simul, et unico. In intelligentiis sunt ideae discretis actibus. In coelo, in potentia activa multiplici et successive. In natura per vestigii modum quasi per impressionem. In intentione, et ratione per umbrae modum.« 53  In raffinierter Weise ist hier – wie absichtsvoll auch immer – Bezug genommen auf den das Bild »più bel busto e faccia« erläuternden Kommentar »cioè potenza ed operazion esterna«. 136  |  Anmerkungen

  An dieser Stelle spätestens wird deutlich, dass die Figura etymologica – »il gran cacciator dovenne caccia« – nicht reine rhetorische Übung ist, vielmehr das komplexe Theorem einer conversio im Modus der contractio prägnant auf den Punkt bringt: Rhetorik hat wie selten eine semantische Funktion. 55  Furori I  4 (122): »Cicada […] ben si dice il regno de Dio esser in noi, e la divinitade abitar in noi per forza del riformato intelletto e voluntade.« – »Cicada […] so sagt man richtig, das Reich Gottes sei in uns und die Gottheit wohne in uns, kraft der neuen Gestalt von Vernunft und Willen.« (123) 56  Wir werden darauf – wie einleitend annonciert – in der Folge immer wieder referieren. – Auch wenn in der Forschung auf die ontologisch-erkenntnistheoretischen Bezüge insbesondere dieser drei italienischen Dia­ loge verwiesen wird, haben Spruit: Il problema della conoscenza (1988) und insbesondere Leinkauf: Metaphysische Grundlagen (2005) wesentliche Aspekte der metaphysischen Fundierung der in den Eroici furori verhandelten Erkenntnislehre herausgestellt. 57  Giordano Bruno: De l’infinito, universo et mondi – Über das Unend­ liche, das Universum und die Welten. Ital. – Deutsch. Übers., kommentiert und hg. von Angelika Bönker-Vallon, Hamburg 2007, S. 72 (= BW IV). 58  In aller Klarheit wird dieser Zusammenhang noch einmal im Dia­log zwischen Cicada und Tansillo zur Sprache gebracht in Furori, I  5 (212): Cicada  Come l’intelletto nostro finito può seguitar l’oggetto infinito? Tansillo  Con l’infinita potenza ch’egli ha. Cicada  Questa è vana, se mai sarrà in effetto. Tansillo  Sarebbe vana, se fusse circa atto finito, dove l’infinita potenza sarrebe privativa; ma non già circa l’atto infinito, dove l’infinita potenza è positiva perfezione. Cicada  Se l’intelletto umano è una natura et atto finito, come e perché ha potenza infinita? Tansillo  Perché è eterno, et acciò sempre si dilette, e non abbia fine né misura la sua felicità; e perché, come è finito in sé, cossì sia infinito nell’ oggetto. Cicada  Che differenza è tra la infinità de l’oggetto et infinità della potenza? Tansillo  Questa è finitamente infinita, quello infinitamente infinito. ----Cicada  Wie kann unsere endliche Vernunft ein unendliches Objekt verfolgen? Tansillo  Mit dem unendlichen Vermögen, das ihr eigen ist. Cicada  Dies Vermögen ist doch sinnlos, wenn es niemals zur Geltung kommt. Tansillo  Es wäre sinnlos, wenn es sich auf einen endlichen Akt richtete, 54

Anmerkungen  |  137

denn dort wäre das unendliche Vermögen eine Beraubung; nicht so jedoch gegenüber dem unendlichen Akt, wo das unendliche Vermögen eine positive Vollendung darstellt. Cicada  Wenn die menschliche Vernunft von endlicher Natur und ein endlicher Akt ist, wie und warum hat sie dann ein unendliches Vermögen? Tansillo  Weil sie ewig ist, und darum kann sie sich immer erfreuen, und ihr Glück hat weder Maß noch Ende. Und weil sie, so wie sie in sich endlich ist, unendlich im Objekt ist. Cicada  Was ist der Unterschied zwischen der Unendlichkeit des Objekts und der Unendlichkeit des Vermögens? Tansillo  Dieses ist auf endliche Weise unendlich, jenes auf unendliche Weise. (213) 59  Und das heißt: nach dem Objekt, an dem der Intellekt partizipiert. Eine Variante des Sonetts »Mio pàssar solitario«, erweitert auf insgesamt drei Sonette, eröffnet den Dia­log De l’infinito, universo et mondi. 60  Siehe dazu Sabbatino: »A l’infinito m’ergo« (2004), S. 151–159 (»Le ali dell’anima e il ›passer solitario‹: un fitto dialogo intertestuale«). 61  Furori I, 4 (124): »[…] ad allievar gli pulcini suoi pensieri […]«. »Suoi pensieri« nimmt »i miei pensieri« aus dem Aktaion-Sonett wieder auf; damit wird über einen einzigen erkenntnistheoretisch zentralen Begriff das Sperling-Sonett mit dem Aktaion-Sonett in Verbindung gebracht und zugleich variiert. 62  Ronsard hat in den frühen Amours de Cassandre (1552) ein Sonett verfasst, in dem der Sprecher den Wunsch zum Ausdruck bringt, verschiedene Gestalten anzunehmen, um der Geliebten nahe zu sein; es sind zum Teil jene Metamorphosen der antiken Götter, auf die auch Bruno in seinem Metamorphosen-Sonett anspielt: »Je voudroy bien richement jaunissant / En pluye d’or goutte à goutte descendre / Dans le giron de ma belle Cassandre, / Lors qu’en ses yeux le somne va glissant. // Puis je voudroy bien en toreau blanchissant / Me transformer pour sur mon dos la prendre, / Quand en Avril par l’herbe la plus tendre / Elle va fleur mille fleurs ravissant. // Je voudroy bien alleger ma peine, / Estre un Narcisse et elle une fontaine, / Pour m’y plonger une nuict à séjour: // Et si voudroy bien que ceste nuict encore / Fust eternelle, et que jamais l’Aurore / Pour m’esveiller ne rallumast le jour«. (Pierre de Ronsard: Œuvres complètes I, éd. établie, présentée et annotée par Jean Céard, Daniel Ménager et Michel Simonin, Paris 1993, S. 34 f.) Der Unterschied besteht nun darin, dass das französischsprachige Sonett im Rückgriff auf die antike Mythologie, näherhin auf einige fabulae aus den Metamorphosen Ovids, die Liebessemantik mithilfe bekannter Mythologeme erweitert, ineins immer neue Weisen poietischer Sprache in den Metamorphosen-Bildern thematisiert und im Sonett wie im Gesamtwerk ästhetisch realisiert; dass das italienischsprachige Sonett in den Metamor138  |  Anmerkungen

phosen-Bildern eine Ontologie und Epistemologie aufruft, die den Eroici furori zugrunde liegen und ihrerseits die Struktur des Dia­logs bestimmen. 63  Hierzu Raimondi: Il sigillo della vicissitudine (1999), S. 165 f. – Zitiert nach Leinkauf: Einleitung (2007), xcii [= BW III]. 64  Dass der den furioso repräsentierende Sprecher hier wie in den ersten vier Dia­logen die Verwandlung in Erkenntnis für sich in Anspruch nimmt, ist im Thema dieser Dia­loge begründet: den Weg und das Ziel der hero­ ischen Leidenschaften zu beschreiben. 65  Beide Werke zählen zur ars memoriae, die mit den übrigen mnemotechnischen Werken – sämtlich in lateinischer Sprache verfasst – Schwerpunkt und Zentrum des brunianischen Œuvres bildet. 66  In diesem Sinne, wenn auch nicht mit Blick auf die ästhetischen Konsequenzen, argumentiert Michele Ciliberto: »… Per speculum et in aenig­ mate…«, in: Giordano Bruno: Opere mnemotecniche. Ed. dir. da Michele Ciliberto. A cura di Marco Matteoli, Rita Sturlese, Nicoletta Tirinnanzi, Bd. II, Milano 2009, xii: »Dall’inizio alla fine Bruno si interroga sulle immagini, sul loro valore, su ciò che esse significano per l’uomo che vuole mettersi alle tracce della verità. […] Bruno nasce alla filosofia discutendo di immagini e chiude la sua attività pubblica con un libro sulle immagini. Ma in entrambi casi […] le opere mnemotecniche sono il terreno su cui nasce e si sviluppa una riflessione nella quale precipitano, e si concentrano, motivi fondamentali di tutta la ›nova filosofia‹.« 67  Furori I  4 (130). 68  Die Abhandlung De imaginum, signorum et idearum compositione ist eine für Brunos Bildgebungs- und Zeichentheorie zentrale Schrift. Sie ist 1591 bei Johann Wechel in Frankfurt erschienen, etwa zeitgleich mit den Schriften der sog. Frankfurter Trilogie De minimo, De monade und De im­ menso. Sie nimmt Reflexionen auf und führt sie weiter, die bereits anfangs der 1580er Jahre in Sigillus sigillorum und De umbris idearum formuliert wurden. 69  De imaginum, signorum et idearum compositione, in: Opera latine conscripta, ed. F. Fiorentino et al., 3 Bde., Neapoli/Florentiae 1879–91; ND Stuttgart 1962, II/3, S. 91, Z. 13–16. – Vgl. auch ebd., S. 198, Z. 18–24: »Alibi dixi de cognatione quadam mira, quae est inter veros poetas, qui ad eandem speciem referuntur atque musici, veros pictores et veros philosophos; quandoquidem vera philosophia musica seu poesis et pictura est, vera pictura et est musica et philosophia, vera poesis seu musica est divina sophia quaedam et pictura.« (Übersetzung: »An anderer Stelle habe ich über eine erstaunliche Verwandtschaft gesprochen, die zwischen den wahren Dichtern, die ja zur gleichen Spezies gehören wie die Musiker, den wahren Malern und den wahren Philosophen besteht; ist doch die wahre Philosophie Musik oder Dichtung und Malkunst, die wahre Malkunst ist sowohl Musik als Anmerkungen  |  139

auch Philosophie, die wahre Dichtung bzw. Musik ist gewissermaßen eine göttliche Weisheit und Malkunst.«) – Die oben zitierte Formulierung in De imaginum compositione findet sich bereits in Explicatio triginta sigillorum, in: Opera latine conscripta, II/2, S. 133, Z. 24 – S. 134, Z. 6.: »›intelligere est phantasmata speculari, et intellectus est vel phantasia vel non sine ipsa‹; non est pictor nisi quodammodo fingat et meditetur; et sine quadam meditatione atque pictura poëta non est. Phantasiam ergo pictorem, cogitativam poëtam, rationem philosophum primum intelligito, qui quidem ita ordinantur et copulantur, ut actus consequentis ab actu praecedentis non absolvatur. Quomodo haec contemplatio ad inquirendum, inveniendum, disponendum et iudicandum faciat, ipse considera.« (Übersetzung: »Erkennen ist ein (theoretisches) Betrachten in Vorstellungsbildern (in Phantasmata), und der Intellekt ist entweder Vorstellen oder nicht ohne dieses. Nur der ist ein Maler, der zu gestalten und nachzudenken vermag, und ohne ein gewisses Nachdenken und ohne bildnerische Gestaltung ist man auch kein Dichter. So hat man sich also allererst die Einbildungskraft (Phantasia) als Maler, das Denkvermögen als Dichter, den Verstand als Philosophen vorzustellen, die alle in der Weise angeordnet und verbunden sind, dass der Akt des Nachfolgenden von demjenigen des Vorangehenden nicht abgetrennt werden kann.«) Mit dem zitierten Satz gibt Bruno vor, auf Aristoteles, De anima III, cap. 5–8 (insbes. 432 a 8f.), zurückzugehen, tatsächlich deutet er ihn absichtlich fehl, um ihn so für seine eigenen Interessen in Anspruch zu nehmen. Vgl dazu Borsche: Denken in Bildern (1993). 70  Grundlegend der Aufsatz von Leinkauf: Die epistemische Funktion der ›imaginatio‹ bei Giordano Bruno (2010), hier S. 16. 71  Leinkauf: Die epistemische Funktion der ›imaginatio‹ bei Giordano Bruno (2010), S. 17, Anm. 4, diskutiert die Übersetzung von altiora praetentans und entscheidet sich mit guten Gründen für die oben zitierte. 72  Und dies heißt eben nicht, dass es das göttliche Sein tatsächlich zu ›erfassen‹ vermag. 73  De imaginum compositione II /3, S. 94, Z. 8–11: »Ens in tria capita distributum intelligitur, metaphysicum, physicum et logicum universaliter dictum; ut tria sunt omnium principia, Deus, natura atque ars; et tres sunt effectus, divinus, naturalis, artificialis.« (Übersetzung: »Das Seiende wird als in drei (Haupt-)Bereiche unterteilt gedacht, als metaphysisch, als physisch und als logisch im allgemeinen Sinne; so wie auch die Prinzipien von allem Gott, die Natur und die Kunst sind; und wie es auch drei Wirkungen gibt: die göttliche, die natürliche, die künstlerische.«) 74  De imaginum compositione II /3, S. 94, Z. 12–18: »Omne agens proposito et non necessitate quadam constitutum speciem rei efficiendae ut praeconcipiat oportet. Quae sane species ante naturalia appellatur idea , in naturalibus for ma sive vest ig iu m idea r u m, in postnaturalibus ra140  |  Anmerkungen

t io seu i ntent io, quae in primam atque secundam distinguitur, quam nos aliquando idea r u m u mbra m consuevimus appellare.« (Übersetzung: »Jedes Tätige, das durch Vorsatz und nicht durch irgendeine Notwendigkeit bestimmt ist, muß notwendig zuvor die Artform der hervorzubringenden [zu bewirkenden] Sache erfassen, welche Artform, sofern sie vor den natürlichen Dingen [anzusetzen] ist, Idee genannt wird, sofern sie in den natürlichen Dingen [anzusetzen] ist, For m oder K leid der Ideen genannt wird, sofern sie nach den natürlichen Dingen [anzusetzen] ist, Beg r i f f oder Intent ion genannt wird, welch letztere in erste und zweite Intention unterschieden wird, die wir manchmal als Schat ten der Ideen zu bezeichnen gewohnt waren.«) Diese ontologische Grundstruktur ist insbesondere in De la causa reflektiert und in den Eroici furori poietisch realisiert. 75  Siehe dazu das Zitat in Anm. 74. 76  Furori, passim. Über die Häufigkeit des Aufkommens des Begriffs specie intelligibile in den Werken Brunos und insbesondere in den Eroici furori siehe Ciliberto: Lessico di Giordano Bruno II (1979), S. 1146–1148. 77  Es verdient einen Hinweis, dass in Brunos früheren Schriften zur Ars memorativa das bilderschaffende Vermögen nicht Imaginatio heißt, vielmehr Ratio, Verstand. Die Begrifflichkeit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ars memorativa als Ars inventiva bzw. imaginativa eine neue Bestimmung erhält: als Kunst freien geistigen Experimentierens und unendlicher schöpferischer Möglichkeiten. (Siehe dazu Sturlese: Brunos Ge­ dächtniskunst [1993].) So heißt es an entscheidender Stelle in De umbris ide­ arum: »Ratio novas atque noviter in infinitum species format, componens, dividens, abstrahens, contrahens, addens, subtrahens, ordinans, deordinans.« (De umbris idearum, a cura di Rita Sturlese, Firenze 1991, S. 52, n. 64. – Übersetzung: »Der Verstand formt unendlich viele neue Artformen/gestalten [mentale Bilder] und auf neuartige Weise, indem er zusammensetzt, teilt, abstrahiert, zusammenzieht, hinzufügt, wegnimmt, ordnet, auflöst.«) Die produktive Erkenntnismethode des menschlichen Verstandes (Ratio) wird unterschieden von den Tätigkeiten des ›ersten Intellekts‹ und den­jeni­ gen der Natur: »Primus intellectus« – so die unmittelbar vorausgehende Bestimmung – »foecunditate sua modo suo propagat ideas non novas, nec noviter. Natura novas res producit in numero, non noviter tamen – modo suo – si semper eodem modo operatur.« (Übersetzung: »Der erste Intellekt bringt aufgrund seiner Fruchtbarkeit in seiner ihm eigenen Art Ideen hervor, die weder neu sind noch auf neue Weise entstehen. Die Natur schafft neue Dinge in Form der Zahl (als Zählbarkeit), allerdings nicht auf neue Weise – insofern sie immer auf dieselbe Weise vorgeht.«) Als unendliche Produktivität ist die Ratio eine Kraft, die als das innere Prinzip ihrer Verwirklichungen unendliche Aktualität ist. Seine Verfahren, strukturanalog der Unendlichkeit alles Seienden, vermögen ebendiese Unendlichkeit aufAnmerkungen  |  141

grund ihrer Teilhabe am Göttlichen, vermittelt durch die Natur, zur Darstellung zu bringen. Als schöpferische Kraft steht sie im Dienste der Kunst, der Poesie. (Siehe dazu Wels: Zur Vorgeschichte des Begriffs der ›Kreativen Phantasie‹ [2005]). 78  Allerdings formuliert Bruno bereits in Explicatio triginta sigillorum seine Vorstellung in aller Deutlichkeit: »›Pictoribus atque poëtis quae­ libet audendi semper fuit aequa potestas.‹ Primus praecipuusque pictor est phantastica virtus, praecipuus primusque poëta est in cogitativae virtutis adpulsu, vel connatus vel inditus noviter quidam enthusiasmus, quo vel divino vel huic simili quodam afflatu ad convenienter aliquid praesentandum excogitatum concitantur. Idem ad utrumque proximum est principium; ideoque philosophi sunt quodammodo pictores atque poëtae, poëtae pictores et philosophi, pictores philosophi et poëtae, mutuoque veri poëtae, veri pictores et veri philosophi se diligunt et admirantur; non est enim philosophus, nisi qui fingit et pingit […].« (Explicatio triginta sigillorum II/2, S. 133, Z. 12–24.) (Übersetzung: »›Die Maler und die Dichter verfügten stets gleichermaßen über die Möglichkeit, jedwedes Wagnis einzugehen.‹ Der erste und herausragende Maler ist das Vermögen der Einbildungskraft; der herausragende und erste Dichter ist im Antrieb des Denkvermögens zu sehen, und es ist eben dieser gewisse Enthusiasmus, sei er angeboren oder gerade erworben, durch den sie [sc. die Dichter und Maler] dank einer göttlichen oder dieser ähnlichen Eingebung angetrieben werden, ihre Gedanken und Vorstellungen in angemessener Weise zur Darstellung zu bringen. Für beide ist das nächste Prinzip dasselbe; und daher sind die Philosophen gewissermaßen Maler und Dichter, die Dichter Maler und Philosophen, die Maler Philosophen und Dichter, und so schätzen und bewundern sich gegenseitig die wahren Dichter, die wahren Maler und die wahren Philosophen; denn es gibt keinen Philosophen, der nicht dichtet und malt […].«) 79  Furori II  4 (366): »La qu i nta [sc. cecità] procede dalla improporzionalità delli mezzi de nostra cognizione al cognoscibile; […]« – »Die f ü n f te Ursache […] rührt von der Unverhältnismäßigkeit der Mittel unserer Erkenntnis gegenüber dem Erkennbaren her.« (367) 80  Furori II  4 (366): »essendo che per contemplar le cose divine, bisogna aprir gli occhi per mezzo de figure, similitudini et altre raggioni che gli Peripatetici comprendono sotto il nome de fantasmi […]« – »Denn um die göttlichen Dinge zu betrachten, muss man die Augen durch Bilder, Gleichnisse und andere Sichtweisen öffnen, die die Peripatetiker unter der Bezeichnung Phantasmen zusammenfassen.« (367) 81  Bruno setzt die ›Vision‹ des Philosophen mit der des Theologen gleich: »massime in questo stato detto ›speculator de fantasmi‹ dal filosofo, e dal teologo ›vision per similitudine speculare et enigma‹«; tatsächlich aber heißt es in 1 Kor 13,12: »videmus nunc per speculum et in aenigmate, tunc 142  |  Anmerkungen

autem facie ad faciem«. Die entscheidende Ergänzung in der Paulus-Stelle unterschlägt Bruno – nicht anders als in der Bezugnahme auf Aristoteles in der Bestimmung der Rolle der Phantasia für das Denken. 82  Furori I  4 (128/130): »[…] atteso che non è cosa naturale né conveniente che l’infinito sia compreso, né esso può donarsi finito: percioché non sarrebe infinito; ma è conveniente e naturale che l’infinito per essere infinito sia infinitamente perseguitato (in quel modo di persecuzione il quale non ha raggion di moto fisico, ma di certo moto metafisico; […]).« – »[…] denn es ist weder natürlich noch angemessen, dass das Unendliche erfaßt werde, noch kann es sich als endlich zu erkennen geben: Dann wäre es ja nicht unendlich. Dagegen ist es angemessen und natürlich, dass das Unendliche, weil es unendlich ist, ohne Ende verfolgt werde (und zwar in einer Verfolgung, die nicht den Gesetzen der physischen, sondern einer gewissen metaphysischen Bewegung folgt; […].« (129/131) 83  So beispielsweise gleich eingangs der eigenwilligen, Argomento del Nolano betitelten Inhaltsangabe, die ihrerseits durch einen eigenen Titel – Argomento de’ cinque dialogi de la prima parte – von dem vorausgehenden allgemeinen Teil abgesetzt ist; dort heißt es: »Nel pr i mo d ia logo della prima parte son cinque articoli […].« (18) Darüber hinaus werden die Gedichte, die die ›Impresen‹ erklären – in I  5 und II  1 – immer wieder als arti­ coli bezeichnet. 84  So bspw. Sarno: Gli »Eroici furori« di Giordano Bruno come un can­ zoniere d’amore (1920) und ders.: La genesi degli »Eroici furori« di Giordano Bruno (1920). 85  Dass die Eroici furori ein Verständnis voraussetzen, das ihr Autor selbst einfordert, liest man bereits im Argomento (12): »Ma pensi chi vuol quel che gli pare e piace, ch’alfine o voglia o non, per giustizia la deve ognuno intendere e definire come l’intendo e definisco io, non io come l’intende e definisce lui: […].« – »Aber mag jeder denken, wie es ihm scheint und gefällt, da schließlich doch jeder, ob er will oder nicht, diese Dichtung gerechterweise so verstehen und bestimmen muß, wie ich sie verstehe und bestimme, nicht ich, wie er sie versteht und bestimmt: […].« (13) 86  Der Anfang der Eroici furori, im Ganzen der erste Satz, könnte durchaus der Topik der Ilias, der Odyssee und der Aeneis nachgebildet sein. 87  Von conversione, cambiamento zu unterscheiden ist metamorfosi, trasmutazione. Siehe dazu insbesondere oben S. 29. 88  Furori I  4 (122): »Cossì Atteone con que’ pensieri, que’ cani che cercavano estra di sé il bene, la sapienza, la beltade, la fiera boscareccia, et in quel modo che giunse alla presenza di quella, rapito fuor di sé da tanta bellezza, dovenne preda, veddesi convertito in quel che cercava; e s’accorse che de gli suoi cani, de gli suoi pensieri egli medesimo venea ad essere la bramata preda, perché già avendola contratta in sé, non era necessario di cercare Anmerkungen  |  143

fuor di sé la divinità.« – » So wurde Aktaion durch jene Gedanken, jene Hunde, die außerhalb von ihm das Gute, die Weisheit, die Schönheit, das wilde Waldestier suchten, und durch die Art, wie er in dessen Gegenwart geriet, über so viel Schönheit außer sich geraten, zur Beute; er sah sich in das verwandelt, was er suchte, und er merkte, daß er seinen Hunden, seinen Gedanken selbst zur ersehnten Beute wurde, denn insofern er die Gottheit in sich zusammengezogen hatte, war es nicht mehr notwendig, sie außerhalb seiner zu suchen.« (123) 89  Furori I  4 (118/120): »[…] l’operazion de l’intelletto precede l’operazion della voluntade; ma questa è più vigorosa et efficace che quella: atteso che a l’intelletto umano è più amabile che comprensibile la bontade e bellezza divina, oltre che l’amore è quello che muove e spinge l’intelletto acciò che lo preceda, come lanterna.« – »[…] die Tätigkeit der Vernunft geht der Tätigkeit des Willens voraus; aber dieser ist kräftiger und wirksamer als jene, denn der menschlichen Vernunft gelingt es eher, die göttliche Güte und Schönheit zu lieben als zu begreifen, außerdem ist es die Liebe, welche die Vernunft dazu bewegt und antreibt, daß sie ihr wie eine Laterne vorangehe.« (119/121) 90  Die Tränen und das Herz sind als Bilder ubiquitär in den Eroici furori. Prominent ist der dritte Dia­log des Zweiten Teils. Dazu Genaueres weiter unten S. 88 f. 91  Boethius: De consolatione philosophiae. Opuscula theologica, ed. Claudio Moreschini, Monachii/Lipsiae 2000 (= Bibliotheca Teubneriana), I.i, 1–8. 92  Dazu ausführlich Moog-Grünewald: Selbstsorge als ästhetische Refle­ xion (2004). 93  Rein äußerlich handelt es sich bei beiden Texten um ein Prosi­metrum. 94  Furori I  1 (44): »[…] per trovarsi ubligato alla contemplazion, e studi de filosofia: li quali se non son più maturi, denno però come parenti de le Muse, esser predecessori a quelle.« – »[…] weil er sich zur Kontemplation und zu philosophischen Studien verpflichtet fühlte, die, auch wenn sie nicht reifer sind, den Musen als deren Eltern vorangehen müssen.« (45) 95  Dass die carmina zugleich die Philosophie in den Dienst der Ästhetik nehmen, kann hier nicht näher ausgeführt werden. Siehe dazu MoogGrünewald: Selbstsorge als ästhetische Reflexion (2004). 96  Hervorhebung von MMG . 97  Poetische Invention als Ausdruck eines musenbegnadeten Enthusiasmus zu begreifen, ist durchaus konventionell, ein Topos antiker und rina­ scimentaler Dichtungslehre. Marsilio Ficino hat in Weiterführung platonischer Konzepte, wie sie insbesondere im Phaidros, sodann im Symposion formuliert sind, vor allem in De amore, seinem Kommentar zum platonischen Symposion, nichts anderes bemerkt. Und doch enthält die Rede des 144  |  Anmerkungen

Nolaners wiederum eine Abweichung von der Tradition: in der Insistenz auf der Einzigartigkeit, in der sich die Musen dem Heros zeigen. 98  Nach Bruno kann die aristotelische Poetik nicht der Maßstab sein, an dem die Dichtung der Antike und der Gegenwart zu messen ist; ihre Regeln mögen allein tauglich sein für Dichterlinge, jene also, die über kein Talent verfügen, die »keine eigene Muse« (»non di propria musa«) haben und so auf »Nachäfferei« (»scimia de la musa altrui«) angewiesen sind. Größeren Schaden noch als die Untalentierten und deren Machwerke richten allerdings die Kritikaster an, die es unternehmen, herausragende literarische Werke auf der Waage der Regeln zu prüfen, zu bewerten und zu verwerfen – Missgunst sei ihr Motiv: »[…] non san far cosa di buono, ma son nati solamente per rodere, insporcare e stercorar gli altrui studi e fatiche; e non possendosi render celebri per propria virtude et ingegno, cercano di mettersi avanti o a dritto o a torto per altrui vizio et errore.« (48) (»[…] [sie können] nichts Gutes zustande bringen, sondern [sind] allein dazu geboren […], die Bestrebungen und Mühen der anderen zu schmälern, in den Schmutz zu ziehen und mit Dreck zu bewerfen. Unfähig, sich aufgrund von Vorzügen des eigenen Charakters und Geistes auszuzeichnen, suchen sie sich durch tatsächliche oder auch nur behauptete Laster und Fehler der anderen in den Vordergrund zu rücken.« [49]) – In der für Bruno typischen drastischen Manier wird der Gegner zugleich auch moralisch diskreditiert. 99  Bruno greift auch in den Streit um Homer ein, näherhin um die Frage, ob Homer noch als Muster gelten könne angesichts der Romanzi eines Ariost und eines Torquato Tasso. Bruno dürfte in seiner Zeit der einzige gewesen sein, der Homer – neben Vergil, Ovid, Martial, Hesiod Lukrez – als eigenständigen und unverwechselbaren, zugleich unvergleichbaren Dichter verteidigte: weder befolge sein Werk Regeln noch könnten aus dessen Werk Regeln gezogen werden. Furori I  1 (46) Siehe dazu auch Georg Finsler: Ho­ mer in der Neuzeit von Dante bis Goethe, Leipzig 1912 (Repr. 1973), S. 33–82; zu Bruno: S. 81 f. 100  Es greift daher zu kurz, das erste Sonett der Eroici furori umstandslos in die Tradition des Musenanrufs zu stellen, wie es beispielsweise Mehltretter: Giordano Bruno und der Petrarkismus (2003), S. 146–179, hier S. 156 f. getan hat. Mehltretter nimmt an, »dass die Form des Musenanrufes […] für die intendierte Allegorese bewusst gewählt ist, um von Anfang an eine canzoniere-Struktur im Sinne etwa Bembos zu erhalten […]« (S. 157). – Zur Frage der canzoniere-Struktur s. u. S. 63 ff. 101  Die »metaphysische Bewegung« auf das Unendliche hin ist eine Bewegung im Kreis – wie Tansillo in Kommentierung des dritten Sonetts des vierten Dia­logs anmerkt: »[il moto metafisico] non è da imperfetto al perfetto: ma va circuendo per gli gradi della perfezione, per giongere a quel centro infinito il quale non è formato né forma.« (130) Die Frage Cicadas, Anmerkungen  |  145

wie denn der Mittelpunkt in Kreisbewegungen zu erreichen sei, lässt Tansillo unbeantwortet: »Cicada Vorrei sapere come circuendo si può arrivare al centro? / Tansillo Non posso saperlo. / Cicada Perché lo dici? / Tansillo Perché posso dirlo e lasciarvel considerare. / Cicada Se non volete dire che quel che perséguita l’infinito, è come colui che discorrendo per la circonferenza cerca il centro, io non so quel che vogliate dire. / Tansillo Altro. / Cicada Or se non vuoi dechiararti, io non voglio intenderti. […].« (130) – »Cicada Ich wüßte gerne, wie man zum Mittelpunkt gelangen kann, wenn man im Kreis läuft. / Tansillo Das kann ich nicht wissen. / Cicada Warum sagst du es dann? / Tansillo Ich kann es doch sagen und euch darüber nachdenken lassen. / Cicada Wenn Ihr damit nicht sagen wollt, wer das Unendliche verfolgt, sei wie jemand, der den Mittelpunkt eines Kreises sucht, indem er seinen Umkreis abläuft, weiß ich nicht, was Ihr sagen wollt. / Tansillo Etwas anderes. / Cicada Wenn du dich nicht erklären willst, will ich dich nicht verstehen. […]« (131) – Die Antwort, die Tansillo verweigert, ist bereits in De l’infinito, universo et mondi gegeben. Im fünften Dia­log nimmt Filoteo Stellung zu insgesamt zwölf ›Argumenten‹ des Aristoteles und bemerkt zu dessen drittem ›Argument‹, wonach es nur ein Ort, eine Welt und damit auch nur ein Zentrum gebe: »Quanto al terzo argumento, dico che nell’etereo campo non è qualche determinato punto, a cui, come al mezzo, si muovano le cose gravi, e da cui, come verso la circonferenza, se discostano le cose lievi; perché nell’universo non è mezzo né circonferenza, ma, se vuoi, in tutto è mezzo ed in ogni punto si può prendere parte di qualche circonferenza a rispetto di qualche altro mezzo o centro.« (De l’infinito, universo et mondi, dialogo 5 [BW IV, S. 284]. – Übersetzung [S. 285]: »Was das dritte Argument betrifft, sage ich, daß es in dem Ätherfeld nicht irgendeinen bestimmten Punkt gibt, zu dem sich die schweren Dinge wie gegen eine Mitte hin bewegen und von dem sich die leichten Dinge wie gegen einen Umkreis entfernen, denn im Universum ist weder Mittelpunkt noch Umkreis. Vielmehr ist (wenn du so willst) die Mitte in allem, und in jedem Punkt kann man einen Teil irgendeines Umkreises in bezug auf irgendeine andere Mitte oder einen anderen Mittelpunkt annehmen.«) – Siehe auch dialogo 3 [S. 196]: »Resta […] da sapere ch’è un infinito campo e spacio continente, il qual comprende e penetra il tutto. In quello sono infiniti corpi simili a questo, de quali l’uno non è più in mezzo de l’universo che l’altro, perché questo è infinito, e però senza centro e senza margine; […]« (Übersetzung [S. 197]: »Es bleibt […] zu wissen, daß es ein unendlich weites Feld und einen unendlich enthaltenden Raum gibt, der alles umfaßt und durchdringt. In diesem befinden sich unendlich viele Körper, dem unseren ähnlich, von denen der eine nicht mehr in der Mitte des Universums ist als der andere. Denn dieses ist unendlich, ohne Mittelpunkt und ohne Begrenzung […].«) Von Belang ist für den hier interessierenden Aspekt 146  |  Anmerkungen

der Textstruktur Tansillos Charakterisierung des unendlichen Zentrums (»quel centro infinito«): es ist weder geformt noch Form (»non è formato né forma«); doch, so ist hinzuzufügen, es ist formbar – durch Denken in Bildern. Dem unendlichen Zentrum ist durch eine begrenzte Anzahl an Bildern, die unendlich kombinierbar sind, eine Form zu geben, die ihrerseits durch eine unendliche Vielheit und Vielfalt von Formen geprägt ist. 102  In Ergänzung kann die vorausgehende Passage – Liberio kommentiert das unmittelbar vorausgehende Sonett – angeführt werden, es ist die »zweite Antwort der Augen an das Herz«: »[…] non senza raggione l’affezzion del core è detta infinito mare dall’apprension de gli occhi: perché essendo infinito l’oggetto de la mente, et a l’intelletto non essendo definito oggetto proposto, non può essere la volontade appagata de finito bene; ma se oltre a quello si ritrova altro, il brama, il cerca, perché […] il summo della specie inferiore è infimo e principio della specie superiore, o si prendano gli gradi secondo le forme le quali non possiamo stimar che siano infinite, o secondo gli modi e raggioni di quelle, nella qual maniera per essere infinito il sommo bene, infinitamente credemo che si comunica secondo la condizione delle cose alle quali si diffonde: però non è specie definita a l’universo […], non è specie definita a l’intelletto, non è definita la specie de l’affetto.« Furori II  4 (336). – »Nicht ohne Grund ist die Zuneigung des Herzens dem Verständnis der Augen nach ein unendliches Meer genannt worden. Da nämlich das Objekt des Geistes unendlich ist und die Vernunft kein in seinen Grenzen bestimmtes Objekt zum Gegenstand hat, kann der Wille nicht durch ein endliches Gut zufriedengestellt werden; vielmehr begehrt und sucht er, wenn sich darüber hinaus noch ein anderes findet, dieses andere, da ja […] der Gipfelpunkt der niedrigeren Erscheinung der Tiefpunkt und Ausgangspunkt der höheren Erscheinung ist, ob nun die Stufen entsprechend den Formen eingeteilt werden, von denen wir nicht glauben können, dass sie unendlich sind, oder entsprechend den Arten und Seinsgründen dieser Formen, was wir für die Weise halten, in der sich das höchste Gut, weil es unendlich ist, unendlich mitteilt, je nach dem Zustand der Dinge, in die es sich verbreitet. Darum gibt es keine in ihren Grenzen bestimmte Erscheinung für das Universum […] keine solche Erscheinung für die Vernunft, keine solche Erscheinung für das Gefühl.« (337) 103  Bruno entwickelt bereits in De umbris idearum eine Art kombinatorischer Semiotik, die in De imaginum compositione weitergeführt und in den Eroici furori textuell realisiert ist. Um die bereits oben [Anm. 77] zitierte Stelle aus De umbris idearum noch einmal aufzunehmen: »Primus intellectus foecunditate sua modo suo propagat ideas non novas, nec noviter. Natura novas res producit in numero, non noviter tamen – modo suo – si semper eodem modo operatur. Ratio novas atque noviter in infi〈ni〉tum Anmerkungen  |  147

species format, componens, dividens, abstrahens, contrahens, addens, subtrahens, ordinans, deordinans.« De umbris idearum, a cura di Rita Sturlese, Firenze 1991, S. 52 (= n. 64). 104  Es sind vier Sonette, deren Sprecher der furioso ist, die mithin Bruno selbst verfasst hat, und zwei ›eingeschaltete‹ Sonette des Dichters Tansillo. 105  In diesem Sinne ist das Argumentum zum fünften Articulus des ersten Dia­logs zu verstehen – Bruno fasst zusammen: »[…] ogni contrarietà si riduce a l’amicizia: o per vittoria de l’uno de’ contrarii, o per armonia e contemperamento, o per qualch’altra raggione di vicissitudine; ogni lite alla concordia, ogni diversità a l’unità […]«. Furori, Argomento (20). – »[…] jeder Gegensatz [führt] wieder zur Freundschaft […], sei es durch den Sieg einer der beiden Gegensätze, sei es durch Harmonie und Anpassung oder durch einen anderen Grund, der in der allgemeinen Wechselhaftigkeit der Dinge liegt; so führt jeder Streit wieder zur Eintracht, jede Verschiedenartigkeit zur Einheit.« (21) 106  Furori I   1 (68): »Quattro principii et estremi de due contrarietadi vuol ridurre a doi principii et una contrarietade.« – »Vier Prinzipien und Extrempunkte zweier Gegensätze will er auf zwei Prinzipien und einen Gegensatz zurückführen.« (69) 107  Leinkauf spricht zu Recht von einer »strukturellen Duplizität aller Wirklichkeit« (in: Einleitung [2007], cvii u. ö. [= BW III]). 108  Den furioso charakterisiert Tansillo unter anderem wie folgt: »[…] quel ch’è vivo, vegghia et intende; il quale considerando il male et il bene, stimando l’uno e l’altro come cosa variabile e consistente in moto, mutazione e vicissitudine (di sorte ch’il fine d’un contrario è principio de l’altro, e l’estremo de l’uno è cominciamento de l’altro) […].« Furori I  2 (74). – »[…] einer, der lebt, sieht und versteht; einer, der das Schlechte und das Gute begreift, beides als Dinge einschätzt, die sich ändern und in Bewegung, Verwandlung und Wechsel begriffen sind (so dass das Ende eines Gegensatzes der Anfang des nächsten und der äußerste Punkt des einen der Beginn des anderen ist); […]« (75) 109  Furori I  2 (70/72): »[…] nessuna cosa è pura e schetta […]; […] tutte le cose constano de contrarii: da onde avviene che gli successi de li nostri affetti per la composizione ch’è nelle cose, non hanno mai delettazion alcuna senza qualch’amaro; anzi dico, e noto di più, che se non fusse l’amaro nelle cose, non sarebbe la delettazione, atteso che la fatica fa che troviamo delettazione nel riposo; la separazione è causa che troviamo piacere nella congiunzione: e generalmente essaminando, si trovarà sempre che un contrario è caggione che l’altro contraio sia bramato et piaccia.« – »[…] kein Ding [ist] rein und unvermischt […]. […] alle Dinge bestehen aus Gegensätzen. An dieser Zusammensetzung in den Dingen liegt es, dass unsere Gefühle niemals zu einem Genuss ohne eine gewisse Bitterkeit führen. Ich behaupte 148  |  Anmerkungen

sogar und unterstreiche noch, dass es, wenn keine Bitterkeit in den Dingen wäre, keinen Genuss gäbe, denn erst durch die Anstrengung finden wir Genuss in der Entspannung; die Trennung ist der Grund, warum wir an der Vereinigung Gefallen finden. Wo man auch prüft, immer wird man finden, dass der eine Gegensatz Grund dafür ist, dass der andere begehrt wird und Freude erregt.« (71/73) 110  Leinkauf in: Einleitung (2007), cvii [= BW III]. 111  Kursivierung von MMG . 112  Leinkauf: Einleitung (2007), lxxix f. [= BW III]. 113  Außer Petrarca zitiert das brunianische Sonett eines der bekanntesten Embleme Andrea Alciatos, das die Inscriptio »Paupertatem summis ingeniis ne provehantur« trägt und dessen Pictura einen Mann (in späteren Ausgaben einen Knaben) zeigt, an dessen einem Arm ein Stein hängt und dessen anderer Arm geflügelt ist. 114  Francesco Petrarca: Canzoniere (Rerum vulgarium fragmenta), edizione commentata a cura di Marco Santagata, Milano 1996, S. 649: »Pace non trovo e non ò da far guerra, / e temo, et spero; et ardo, et son un ghiaccio; / et volo sopra ’l cielo, et giaccio in terra; / et nulla stringo, et tutto ’l mondo abbraccio. // Tal m’à in pregion, che non m’apre né serra, / né per suo mi riten né scioglie il laccio; / et non m’ancide Amore, et non mi sferra, / né mi vuol vivo, né mi trae d’impaccio. // Veggio senza occhi, et non ò lingua e grido; / e bramo di perir, et cheggio aita; / et ò in odio me stesso, et amo altrui. // Pascomi di dolor, piangendo rido; / egualmente mi spiace morte e vita: / in questo stato son, Donna, per voi.« 115  Furori I  1 (78): »[…] cossì conclude nell’ottava la guerra ch’ha l’anima in se stessa; e poi quando dice ne la sestina ›ma s’io m’impiumo, altri si cangia in sasso‹, e quel che séguita, mostra le sue passioni per la guerra ch’essercita con li contrarii esterni.« – »In den ersten acht Zeilen ist das Thema also der Kampf, den die Seele in ihrem Innern führt. Wo es dann in den Terzetten heißt: Indes wenn ich mir Flügel wachsen lasse, verwandelt dieses Andre sich in Stein und so weiter, stellt er dar, was er durch den Krieg erleidet, den er mit den äußeren Gegensätzen führt.« (79) 116  Furori I  1 (80): »[…] l’affezione di quell’oggetto alla cui osservanza è fatto cattivo.« 117  Die Passage ist eine fast wörtliche Übernahme aus Ficinos Commen­ tarium in Convivium Platonis de amore VI, viii: »Hinc triplex, ut diximus, subrepit amor. Aut enim ad contemplativam, aut activam, aut voluptuosam vitam prompti et proclives geniti educative sumus. Si ad contemplativam, statim a forme corporalis aspectu ad spiritalis atque divine considerationem erigimur. Si ad voluptuosam, subito a visu ad concupiscentiam tangendi descendimus. Si ad activam atque moralem in sola illa videndi et conversandi oblectatione perseveramus. Illi tam ingeniosi sunt ut altissime provehantur, Anmerkungen  |  149

isti tam ebetes ut deprimantur ad in infima, hi tamquam medii in media remanent regione.« – »Jene drei Eroten entspringen daraus, daß wir zu einer von drei Lebensarten geboren und erzogen sind, nämlich der betrachtenden, der tätigen oder der genußsüchtigen. Wenn wir zu der betrachtenden neigen, so erheben wir uns durch die Anschauung der körperlichen zugleich zur Betrachtung der geistigen und übersinnlichen Form. Wenn wir zur Wollust neigen, so sinken wir vom Anschauen sogleich zum Gelüste des Berührens. Neigen wir aber zu der tätigen und sittlichen Lebensart, so verharen wir bei der Freude des Anschauens und geselligen Umgangs. Die ersten sind so geistvoll, daß sie sich am höchsten erheben; die letzten sind so plump, daß sie zum Niedergang hinabsinken; die mittleren halten eine mittlere Richtung ein.« – Marsilio Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl (= Commentarium in Convivium Platonis de amore). LateinischDeutsch. Übers. von Karl Paul Hasse. Hg. und eingel. von Paul Richard Blum, Hamburg 31994, S. 218/221.) 118  Furori I, 2 (86): »[…] amando cose degne, aspirando a cose illustri, e più alto a cose divine accomodando gli suoi studi e gesti, a i quali non è chi possa più ricca e commodamente suppetitar l’ali, che l’eroico amore […].« – »[…] indem sie würdige Dinge lieben, nach edlen Dingen streben und gar noch höher, nach göttlichen Dingen ihren Eifer und ihr Tun ausrichten – ein Eifer und ein Tun, denen allein die hero­ische Liebe die passenden Flügel verleiht.« (87) 119  Furori I  2 (84): »[…] l’uno dall’aspetto della forma corporale s’inalza alla considerazione della spirituale e divina; […]« – »[…] eine [erhebt] sich vom Anblick der körperlichen zur Anschuung der geistigen und göttlichen Form […].« (85) 120  Siehe e. g. Thomas von Aquin: Summa theol. 1 q. 1 a. 9: »Est autem naturale homini ut per sensibilia ad intelligibilia veniat: quia omnis nostra cognitio a sensu initium habet.« (Übersetzung: »Es ist aber für den Menschen natürlich, vom Sinnlichen zum Geistigen zu kommen: denn all unsere Erkenntnis nimmt vom Sinn ihren Ausgang.«) 121  Furori I  3 (90): »[…] più specie de furori, li quali tutti si riducono a doi geni […]« 122  Die bildliche Formulierung »nel solfro della cogitativa facultade accendono il lume razionale« zeigt noch einmal deutlich, dass zwischen Ratio und Phantasia kaum unterschieden wird. 123  Furori, Argomento: »[…] il mio primo e principale, mezzano et accessorio, ultimo e finale intento […] fu et è […] d’apportare contemplazion divina, e metter avanti a gli occhi et orecchie altrui furori non de volgari, ma eroici amori […].« (16/18) (»[…] meine erste und hauptsächliche, mittlere und untergeordnete, letzte und endgültige Absicht in diesem Gewebe aus Worten war und ist, eine Betrachtung des Göttlichen vorzulegen und mei150  |  Anmerkungen

nen Mitmenschen die Leidenschaften nicht gewöhnlicher, sondern hero­ ischer Liebe vor Augen und Ohren zu stellen […]« [19]) Die neuartige komplexe Relation und Interaktion von furore, amore und eroico formuliert Bruno in immer neuen Wort-, Sach- und Sprachbildkonstellationen, die nie identisch sind, vielmehr vielfältige Variationen der sprachlichen und gedanklichen Annäherung. 124  Ausführlicher dazu Moog-Grünewald: Leidenschaft und Überschrei­ tung (2006). 125  So wiederholt sich auf der Ebene der Sprache bzw. der (Sprach)Bilder und (Sprach)Figuren das ontologisch-epistemologische Konzept der species intelligibiles. 126  Vgl. dazu noch einmal Causa, dialogo 3, in: BW III, S. 171 f. [Zit. in Anm. 38] Vor allem aber sei hier verwiesen auf die einläßliche Darstellung zum Verhältnis von Form und Materie in De la causa von Leinkauf in: Ein­ leitung (2007), lxxiii–cxiii [= BW III]. Auch hier ist allerdings erneut die Frage nach der Priorität von Semiologie und Ontologie zu stellen. 127  Zur ontologisch begründeten Relation von Materie und Form bemerkt Leinkauf in: Einleitung (2007), lxxxiv [= BW III] unter anderem: »[…] die Materie ist absolute Form in der Weise, daß sie die possibilitas absoluta jeglicher Form ist, die Form ist selbst Materie, in der Weise, daß sie die Wirklichkeit aller possibilitas absoluta ist, d. h. die Möglichkeit ist selbst schon eine Form des Aktes, der Akt ein Moment der Entfaltung des Möglichen […].« 128  Prominent für diese Einschätzung ist Sarno: Gli »Eroici furori« di Gi­ ordano Bruno come un canzoniere d’amore (1920) und ders.: La genesi degli »Eroici furori« di Giordano Bruno (1920); auch Schmidt: Zum Problem des Heros bei Giordano Bruno (1968) vertritt diese These. 129  Farinelli: Il Furioso nel labirinto (2000), S. 216–278 (»L’adesione al codice petrarchista: ruolo del pubblico e peso della tematica gnoseologica«). 130  Bruno fügt in die Eroici furori insgesamt vier Sonette von Tansillo in weitestgehend wörtlichem Zitat ein. Sie fallen allerdings gegenüber allen übrigen, von Bruno selbst verfassten Sonetten ›aus dem Rahmen‹: im wörtlichen Sinne, insofern sie in der Originalausgabe von 1585 nicht wie die übrigen – brunianischen – Sonette von einer Schmuckborte gefasst, sondern in den Text integriert sind; im übertragenen Sinne, insofern sie keine Fortführung in Variation eines vorangegangenen Sonetts sind, sondern die Abfolge sistieren; sie haben eher illustrierende Funktion. Rowland: Giordano Bruno e Luigi Tansillo (2003) sucht die Aufnahme der Figur des Tansillo zu begründen und macht – neben anderen – den keineswegs überzeugenden und durch die Texte auch nicht belegten Vorschlag, dass sie eine maieutische Funktion für den Nolaner und die Eroici furori habe ganz wie Sokrates für Platon und das Symposion. Anmerkungen  |  151

  Insbesondere Mehltretter: Giordano Bruno und der Petrarkismus (2003), hat einlässlich den Versuch unternommen, Brunos Eroici furori, näherhin deren erste vier Dia­loge, »als modifizierten canzoniere in freier Umprägung des Petrarkischen Musters [zu] lesen« (ebd., S. 170). Die Argumente scheinen vorderhand überzeugend, doch verkennt das akribische Aufzeigen von ›Systemreferenzen‹ die Besonderheit der Eroici furori: nicht nur, dass diese sich nicht auf ›Referenzen auf das petrarkistische System‹ reduzieren lassen, behaupten sie vielmehr in Gegenstand und Form uneingeschränkte Eigenständigkeit. Darauf wird im Folgenden zurückzukommen sein. 132  So wiederum Mehltretter: Giordano Bruno und der Petrarkismus (2003), S. 158–160. 133  Der Kommentar: »Qua un ›oggetto riguarda‹, a cui è volto con l’intenzione. Per ›un viso‹ con cui s’appaga ›ingombra la mente‹. In ›una sola beltade‹ si diletta e compiace; e dicesi ›restarvi affiso‹, perché l’opra d’intelligenza non è operazion di moto, ma di quiete. E da là solamente concepe quel ›dardo‹ che l’uccide, cioè che gli constituisce l’ultimo fine di perfezione. ›Arde per un sol fuoco‹, cioè dolcemente si consuma in uno amore.« Furori I  1 (54). – »Ein einziges Objekt betrachtet er nun, auf das er seinen Willen gerichtet hat. Mit einem einzigen Gesicht, das ihm Befriedigung verschafft, ist sein Geist zur Gänze ausgefüllt. An einer einzigen Schönheit findet er Gefallen und erfreut er sich, und er sagt von sich, dass er dort haften bleibe, denn die Tätigkeit der Einsichtskraft vollzieht sich nicht in der Bewegung, sondern in der Ruhe. Und einzig von dort empfängt er jeden Pfeil, der ihn tötet, der für ihn also das letzte Ziel der Vollendung darstellt. Er brennt in einem einzigen Feuer, das heißt er verzehrt sich süß in einer einzigen Liebe.« (55) 134  Furori, Argomento (14): »[…] gli altri […] han parlato delle lodi della mosca, del scarafone, de l’asino, de Sileno, de Priapo […].« – »[…] andere [haben] das Lob der Fliege, der Küchenschabe, des Esels, des Silen, des Priapus gesungen […].« (15) 135  Furori, Argomento (14/16): »[…] scimie de quali son coloro ch’han poetato a’ nostri tempi delle lodi de gli orinali, de la piva, della fava, del letto, delle bugie, del disonore, del forno, del martello, della caristia, de la peste; […].«– »[…] deren Nachäffer [haben] in unserer Zeit zum Lob des Nachttopfs, des Dudelsacks, der Saubohne, des Bettes, der Lüge, der Ehrlosigkeit, des Ofens, des Hammers, der Hungersnot und der Pest gedichtet.« (15/17) 136  Zum ›petrarkistischen System‹ siehe unter anderen die Beiträge in Hempfer/Regn (Hgg.): Der petrarkistische Diskurs (1993). 137  Letztlich werden Petrarkisten und Antipetrarkisten unterschiedslos in ihrem nichtigen Tun verhöhnt: »Ecco vergato in carte, rinchiuso in libri, messo avanti gli occhi, et intonato a gli orecchi un rumore, un strepito, 131

152  |  Anmerkungen

un fracasso d’insegne, d’imprese, de motti, d’espistole, de sonetti, d’epigrammi, de libri, de prolissi scartafazzi, de sudori estremi, de vite consumate, con strida ch’assordiscon gli astri, lamenti che fanno ribombar gli antri infernali, doglie che fanno stupefar l’anime viventi, suspiri da far exinanire e compatir gli dèi, per quegli occhi, per quelle guance, per quel busto, per quel bianco, per quel vermiglio, per quella lingua, per quel dente, per quel labro, quel crine, quella veste, quel manto, quel guanto, quella scarpetta, quella pianella, quella parsimonia, quel risetto, quel sdegnosetto, quella vedova fenestra, quell’esclissato sole, quel martello; quel schifo, quel puzzo, quel sepolcro, quel cesso, quel mestruo, quella carogna, quella febre quartana, quella estrema ingiuria e torto di natura: che con una superficie, un’ombra, un fantasma, un sogno, un circeo incantesimo ordinato al serviggio della generazione, ne inganna in specie di bellezza.« (Furori, Argo­ mento, 4/6) – »Seht also nun zu Papier gebracht, in Bücher eingeschlossen, vor Augen gestellt und vor den Ohren zum Tönen gebracht: einen Lärm, ein Getöse, einen Donnerhall von Sinnbildern, Impresen, Motti, Briefen, Sonetten, Epigrammen, Büchern, von überquellenden Kladden, von Todes­ schweiß und von verbrauchtem Leben, aus denen sich Schreie erheben, welche die Sterne ertauben lassen, Klagen, die in den Höhlen der Unterwelt widerhallen, Schmerzen, vor denen die Seelen der Lebenden erstarren, Seufzer, welche die Götter vor Mitleid vergehen lassen; all dies für jene Augen, jene Wangen, jenen Busen, jenes Weiß, jenes Korallenrot, jene Zunge, jene Zähne, jene Lippe, jene Locke, jenes Gewand, jenen Mantel, jenen Handschuh, jenes Schühchen, jenen Pantoffel, jene Zurückhaltung, jenes Lächeln, jene gewisse Verachtung, jenes verwaiste Fenster, jene verfinsterte Sonne, jene bohrende Qual, für jenen Ekel, jenen Gestank, jenes Grab, jenen Abort, jene Monatsblutung, jenen Kadaver, jene Malaria, jene gewaltige Ungerechtigkeit und Betrügerei der Natur, die mit einer Äußerlichkeit, einem Schatten, einem Phantasiegebilde, einem Traum, einem Zauberbann der Circe, der nur der Fortpflanzung dient, uns durch die Erscheinung von Schönheit verführt.« (7) 138  Furori, Argomento (4): »Che spettacolo […] più vile et ignobile […], che un uomo cogitabundo, afflitto, tormentato, triste, maninconioso […].« 139  So bereits Aristoteles, Problemata Physica XXX ,1. 140  Zur Melancholie in der Frühen Neuzeit siehe die weitestgehend noch immer gültige Studie von Klibansky/ Panofsky/Saxl: Saturn and Melancholy (1964 u. ö.) – Grundlegend für die Melancholie-Diskussion des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts ist Robert Burton: The Anatomy of Melancholy, zuerst 1617. 141  Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. Ein Schauspiel. Siehe dazu u. a. Maria Moog-Grünewald: Tassos Leid. Zum Ursprung moderner Dichtung, in: arcadia 21 (1986), S. 113–128. Anmerkungen  |  153

  Thomas von Aquin: Summa theol. 2–2 q. 35. – Quaestio 35 ist ›De ace­d ia‹ übertitelt. Der systematische Ort der Erörterung von acedia bzw. tristitia bzw. dolor ist das Lehrstück über die drei theologischen Tugenden (2–2 q. 1–44), das dem Lehrstück über die vier Kardinaltugenden vorausgeht. Die theologischen Tugenden sind Glaube (q. 1–16), Hoffnung (q. 17–22) und Liebe (q. 23–44). Der Traktat über die Liebe fragt zunächst nach der Liebe selbst (q. 23–27), sodann nach ihren Früchten (q. 28–33) sowie nach den Haltungen und Affekten, die diesen entgegenstehen (q. 34–43). Unter den Früchten der Liebe ist die erste Frucht die Freude, gaudium (q. 28). Während der Hass, odium (q. 34), der Liebe selbst entgegensteht, stehen der Freude zwei Haltungen entgegen, die Gleichgültigkeit, acedia (q. 35), und der Neid, invidia (q. 36). 143  So wiederum Thomas von Aquin: Summa theol. 2–2 q. 35 a. 4. 144  Zu diesem Komplex siehe Moog-Grünewald: Vorbemerkung (2002). 145  Er wurde in den Jahren zwischen 1348 und 1352 verfasst. 146  Aus der Vielzahl der Forschungsarbeiten zum Secretum siehe insbesondere Küpper: Das Schweigen der Veritas. (1991) sowie das Nachwort zu einer jetzt wieder vorliegenden zweisprachigen Ausgabe von Regn und Huss: Pluralisierung von Wahrheit im Individuum (2004). Zum Verhältnis von Melancholie und Kreativität jetzt Moog-Grünewald: Petrarcas Secre­ tum (2014). 147  Petrarca wählt statt der gräzisierenden Schreibweise ›acedia‹ die lateinische Variante ›accidia‹. 148  Siehe dazu den deutlichen Hinweis auf die petrarkische ›atra voluptas‹ in Furori, Argomento (6): »La quale (i. e. die trügerische Schönheit) insieme insieme viene e passa, nasce e muore, fiorisce e marcisce; et è bella cossì un pochettino a l’esterno, che nel suo intrinseco vera e stabilmente è contenuto un navilio, una bottega, una dogana, un mercato de quante sporcarie, tossichi e veneni abbia possuti produrre la nostra madrigna natura; la quale dopo aver riscosso quel seme di cui la si serva, ne viene sovente a pagar d’un lezzo, d’un pentimento, d’una tristizia, d’una fiacchezza, d’un dolor di capo, d’una lassitudine, d’altri ed altri malanni che son manifesti a tutto il mondo; a fin che amaramente dolga, dove suavemente proriva.« – »Diese Schönheit kommt und vergeht, wird geboren und stirbt, blüht und verwelkt im gleichen Augenblick. Und so ist äußerlich eine kleine Weile schön, was innerlich wahr- und dauerhaft ein Frachtschiff, einen Krämerladen, ein Lagerhaus, einen Marktplatz voll an Schmutz, Schadstoff und Gift birgt, so viel, wie unsere stiefmütterliche Natur nur eben hervorbringen konnte. Wenn sie jenen Samen eingesammelt hat, den man ihr darbringt, zahlt sie uns dafür oft nur mit Gestank, Reue, Traurigkeit, Schwäche, Kopfschmerz, Müdigkeit und vielen anderen Übeln, die der ganzen Welt bekannt sind, so dass am Ende bitter schmerzt, wo es erst süß gekitzelt hatte.« (7) 142

154  |  Anmerkungen

  Es muss hier nicht eigens darauf hingewiesen werden, dass der Petrarkismus selbst verschiedene Liebeskonzepte kennt, die – wie bspw. im Falle Ronsards – in einem einzigen Werk gegeneinander ausgespielt, zugleich miteinander ins Spiel gebracht werden. Siehe dazu Rainer Warning: Petrarkistische Dia­logizität am Beispiel Ronsards, in: Wolf-Dieter Stempel / Karlheinz Stierle (Hgg.): Die Pluralität der Welten. Aspekte der Renaissance in der Romania, München 1987, S. 327–358, und Terence Cave: The Cornu­ copian Text. Problems of writing in the French Renaissance, Oxford 1979; zu Ronsard: S. 223–270. 150  Dass Bruno den ›uomo maninconioso‹ als Sünder erachtet, mithin als der Hauptsünde der Melancholie im Verständnis von acedia verfallen, wird darüber hinaus deutlich in der langen Schelte gleich im zweiten Absatz des Argomento, in der acedia um eine Serie von Haupt- bzw. Todsünden ergänzt ist: »Che tragicomedia? che atto […], degno più di compassione e riso può esserne ripresentato in questo teatro del mondo […], che di tali e tanto numerosi suppositi fatti penserosi, contemplativi, constanti, fermi, fideli, amanti, coltori, adoratori e servi di cosa senza fede, priva d’ogni costanza […] e dove è più superbia, arroganza, protervia, orgoglio, ira, sdegno, falsitade, libidine, avarizia, ingratitudine et altri crimi exiziali […]?« (4) – »Welche Tragikomödie, welche Szene […], die mehr Mitleid und Gelächter verdiente, könnte uns auf dieser Bühne unseres Bewusstseins, […] aufgeführt werden, als das Schauspiel jener so zahlreichen Individuen, die nachdenklich, tiefsinnig, beständig, standhaft und treu werden, zu Liebhabern, Verehrern, Bewunderern und Sklaven gegenüber einem Gegenstand ohne Verlass, ohne jede Beständigkeit […]? In dem aber mehr Hochmut, Unverschämtheit, Vermessenheit, Stolz, Zorn Verachtung, Falschheit, Wollust, Habgier, Undankbarkeit und andere Todsünden stecken […]?« (5) 151  In aller Deutlichkeit wird im dritten Dia­log des Ersten Teils die göttliche Leidenschaft des furioso von der verirrten Leidenschaft der Schwarzgalligen unterschieden – die lange Passage ist zugleich ein glänzendes Psychophysiogramm des Melancholikers: »Doviene un dio dal contatto intellettuale di quel nume oggetto; e d’altro non ha pensiero che de cose divine […]; niente teme, e per amor della divinitade spreggia gli altri piaceri, e non fa pensiero alcuno de la vita. Non è furor d’atra bile che fuor di conseglio, raggione et atti di prudenza lo faccia vagare guidato dal caso e rapito dalla disordinata tempesta; come quei, qu’avendo prevaricato da certa legge de la divina Adrastia vegnono condannati sotto la carnificina de le Furie: acciò sieno essagitati da una dissonanza tanto corporale per sedizioni, ruine e morbi, quanto spirituale per la iattura dell’armonia delle potenze cognoscitive et appetitive. Ma è un calor acceso dal sole intelligenziale ne l’anima et impeto divino che gl’impronta l’ali […].« Furori I  3 (92/94). Hervorh. von MMG. – »Er wird zu einem Gott durch den geistigen Kontakt mit jenem 149

Anmerkungen  |  155

göttlichen Objekt, er denkt an nichts anderes als an göttliche Dinge […]. Er fürchtet nichts, verachtet aus Liebe zum Göttlichen alle anderen Freuden und macht sich keine Gedanken um sein Leben. Seine Leidenschaft ist kein Ausfluß schwarzer Galle, die ihn dazu bringen würde, unüberlegt, unvernünftig und unklug umherzuirren, vom Zufall geführt und von stürmischer Verwirrung hingerissen – wie jene, die für ihre Ausschweifungen nach einem Gesetz der Göttin Adrastea zur Zerfleischung durch die Furien verurteilt werden, sodaß sie sowohl körperlich durch inneres Aufbegehren, Zusammenbrüche und Krankheiten als auch geistig durch den Verfall der Harmonie zwischen erkennenden und begehrenden Kräften von Unstimmigkeiten zerrüttet werden. Seine Leidenschaft ist vielmehr eine Hitze, die von der Sonne der Einsichtskraft in der Seele entfacht worden ist, und ein göttlicher Impuls, der ihn beflügelt.« (93/95) 152  Um es noch einmal aufzunehmen: Es ist kein Widerspruch, dass Bruno gleichwohl aus dem Arsenal der petrarkisch-petrarkistischen Dichtung schöpft: Semantik, Topoi, Bilder, Formen und Konzepte des Petrarkismus bestimmen in ihren Variationen den poetischen Liebesdiskurs im 16. Jahrhundert – eine andere poetische Sprache steht nicht zur Verfügung. Und doch ist ihre Verwendung different, ist ihr eine differente Semantik eingeschrieben. 153  Um so weniger überzeugt, wenn Mehltretter (Giordano Bruno und der Petrarkismus [2003]) »Brunos Dichten in den Furori als Intervention in einem Sprachspiel« (S. 147) versteht und zu folgendem Ergebnis kommt: »Bruno betreibt eine Neufassung des Spiels, in das er eintritt, indem er das Petrarkische und petrarkistische Liebeskonzept nach oben transponiert, vor allem durch die Zuweisung eines neuen Objekts. Sein Spielverhalten ist davon geprägt, dass er das zu modifizierende Spiel als ein systematisches Ganzes behandelt und begreift, dem er wichtige Umstrukturierungen angedeihen läßt. Dabei gelingt es ihm, die Grundoppositionen des übernommenen Spiels umzubauen, ohne sie einfach nur zu destruieren, wenn bei ihm nunmehr die diskurstypische Widersprüchlichkeit auch für den Liebesgegenstand gilt.« (S. 177) Mehltretter verfehlt die Eigenart der Eroici furori: Er geht von einem – vorgeblich – zuhandenen System, einem petrarkistischen System, aus und sucht, den brunianischen Text in das System zu integrieren – freilich nicht ohne »Spielräume« zu konzedieren. Indes liegt Bruno nichts ferner als die »Intervention in einem Sprachspiel«. Vielmehr schafft Bruno eine neue Philosophie auf der Basis einer neuen Dichtung. Genau dies zu zeigen, ist die Absicht der vorliegenden Ausführungen. 154  Es bedarf an dieser Stelle keiner größeren Einlassungen, dass die Liebestheorie der Eroici furori von Platon und insbesondere von Ficino, im Ganzen vom Neuplatonismus geprägt ist. Und dennoch ist sie weder mit der platonischen noch der neuplatonischen Liebestheorie identisch. 156  |  Anmerkungen

  Furori, Argomento (10): »Però per liberare tutti da tal suspizione [sc. di cadere in stima d’amori volgari e naturaleschi], avevo pensato prima di donar a questo libro un titolo simile a quello di Salomone, il quale sotto la scorza d’amori et affetti ordinarii contiene similmente divini et eroici furori […]; volevo (per dirla) chiamarlo Cantica.« – »Um alle von einem solchen Verdacht zu befreien (sc. dem Verdacht, dass die hero­ischen Leidenschaften für gemeine und triebhafte Liebe gehalten würden), hatte ich deshalb zuerst daran gedacht, diesem Buch einen ähnlichen Titel zu geben, wie ihn das Buch des Salomon trägt, das unter der Schale gewöhnlicher Liebe und Gefühle auf vergleichbare Weise den Kern göttlicher und hero­ischer Leidenschaften enthält […]. Ich wollte es, gestehe ich, Hohelied nennen.« (11) 156  Zur intensiven Rezeption des Hohelieds (Übersetzungen, Kommentare, Auslegungen) insbesondere im 16. Jahrhundert in ganz Europa siehe die große Dokumentation von Engammare: »Qu’il me baise des baisiers de sa bouche« (1993). – Das Wort Cantica konnte auch – wie die reiche Dokumentation von Engammare deutlich macht – anstelle von Canticum canticorum gebraucht werden. 157  Furori, Argomento (10): »[…] per usurpar in mio naturale e fisico discorso titoli sacri e sopranaturali […].« 158  Zur Hermeneutik, näherhin zur Auslegung des Hohelieds nach dem mehrfachen Schriftsinn, stellt Engammare (»Qu’il me baise des baisiers de sa bouche« [1993], S. 329) unter anderem fest: »La majorité des commentateurs proposent un double sens.« 159  Furori, Argomento (10): »[…] per la grande dissimilitudine che si vede fra il volto di questa opra e quella, quantumque medesimo misterio e sustanza d’anima sia compreso sotto l’ombra dell’una e l’altra […].« – »Wegen der großen Verschiedenheit, die man im Äußeren dieses und jenes Werks sieht, obwohl dasselbe Geheimnis und dieselbe Substanz des Seelischen unter dem Schatten des einen wie des anderen verborgen ist.« (11/13) 160  Die Begriffe ›Canzoniere-Teil‹ und ›Impresen-Teil‹ werden ihrer Praktikabilität wegen gebraucht; sie kennzeichnen die beiden Dia­log-Teile nur unzureichend, wie insbesondere aus den nachfolgenden Ausführungen deutlich wird. 161  Auch wenn Tansillo seine nachfolgende Erklärung eröffnet mit dem Hinweis: »Vedi come portano l’insegne de gli suoi affetti o fortune« (160) und damit insinuiert, dass es sich um jene persönlichen Abzeichen, jene signa handelt, mit denen Adlige ihre imprese (i. S. v. ›Vorhaben‹, auch ›Haltung‹) zu erkennen gaben, ist in der Folge keineswegs die Rede von jenen individuellen Impresen, deren jeder sich nur eine einzige zu eigen machen konnte; vielmehr nimmt Bruno das Genus der Imprese auf, um in einer potentiell unendlichen Zahl die potentiell unendlich variierenden, auch widerstrebenden Zustände der furori, ineins des furioso zu figurieren. Der 155

Anmerkungen  |  157

Verweis auf die insegne der milizia ist nurmehr ein Tribut an das Genus der Imprese – dazu zählen noch einige wenige weitere Allusionen, wie »ecco qua il primo che porta un scudo distinto in quattro colori« (160) –, das aber dann umso entschiedener für die eigenen erkenntnistheoretischen und ästhetischen Interessen eingesetzt und damit partiell alteriert wird. Dies zu zeigen, ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen. 162  Darauf weist eindeutig die Formulierung ›intelligenza de la scrittura, tanto quella che è messa per forma del corpo de la imagine‹. 163  So in dem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Italien am meisten verbreiteten und daher wirkmächtigsten Dia­log über die Impresen von Paolo Giovio: Dia­logo dell’imprese militari e amorose (1551): »Ora in questa età più moderna, come di Federico Barbarossa, al tempo del quale vennero in uso l’insegne delle famiglie, chiamate da noi arme, donate da’ Principi, per merito dell’onorate imprese fatte in guerra, ad effetto di nobilitare i valorosi cavalieri, nacquero bizzarrissime invenzioni di cimieri e pitture negli scudi […]. […] a questi nostri tempi, dopo la venuta del re Carlo VIII e di Lodovico XII in Italia, ognuno che seguitava la milizia, imitando i capitani francesi, cercò di adornarsi di belle e pompose imprese, delle quali rilucevano i cavalieri, appartati compagnia da compagnia con diverse livree, perciò che ricamavano d’argento, di martel dorato i saioni e le sopraveste, e nel petto e nella schiena stavano l’imprese de’ capitani, di modo che le mostre delle genti d’arme facevano pomposissimo e ricchissimo spettacolo e nelle battaglie si conosceva l’ardire e il portamento delle compagnie.« (Paolo Giovio: Dia­logo dell’imprese militari e amorose, a cura di Maria Luisa Doglio, Roma 1978, S. 36 f.) 164  So bspw. Memmo, Jr.: Giordano Bruno’s »De gli eroici furori« and the emblematic tradition (1964). Memmos Absicht ist es unter anderem, »to give adequate attention to the original and provocative way Bruno has included the emblems in the total design of De gli eroici furori.« Memmo unterscheidet nicht zwischen Emblem und Imprese und verkennt daher schon aufgrund dieses Mangels die Intention der in Rede stehenden Dia­loge der Eroici furori. – Yates stellt ebenfalls die Eroici furori in die Tradition der Emblembücher: »Since Bruno uses Petrarchan conceits as emblems, and in conjunction with emblems, it seems obvious that the best way of trying to get at the historical flavour of his Petrachism would be to relate his emblems to the history of emblem literature. In one of its aspects the Eroici furori is an unillustrated emblem book and as such has, or should have, a place in the history of emblem literature.« (The Emblematic Conceit in Giordano Bruno’s »De gli eroici furori« [1982] S. 186.) 165  So insbes. Schmidt: Zum Problem des Heros bei Giordano Bruno (1968), dort das Kapitel II: »›furore eroico‹ und ›amore umano‹. Die Sprache der ›Emblem-Impresen‹«, S. 16–33. Die These lautet: »Unabhängig von der 158  |  Anmerkungen

Frage, ob und inwieweit eine Verknüpfung dieser intentionalen Elemente der Imprese und des Emblems von Giordano Bruno angestrebt wurde: Es scheint einsichtig, daß eine Verknüpfung von ›individueller Autonomie‹ und ›allgemein-gültiger Verbindung‹ eine Synthese bringen mußte, die intentionaliter für jeden einzelnen und zugleich den Einzelnen als Konzen­ tration des Allgemeinen Gültigkeit haben will.« (S. 21) Die These überzeugt nicht, insofern sie weder die spezifische Textualität der Eroici furori berücksichtigt noch die erkenntnistheoretisch fundierte Bildtheorie Brunos, stattdessen allgemeine Merkmale der Imprese und des Emblems zugrunde legt und nicht zuletzt hieraus die ›Individualität‹ des eroe zu begründen sucht. 166  Imprese wiederum ganz im Verständnis Giovios, der im dedikatorischen Eingang seines Dia­logo dell’Imprese dessen Gegenstand (»l’argomento del presente discorso«) mit folgenden Worten knapp benennt: »[…] ragionare della materia e arte dell’invenzioni e imprese, le quali i gran signori e nobilissimi cavalieri a’ nostri tempi sogliono portare nelle sopraveste, barde e bandiere per significare parte de’ lor generosi pensieri.« Giovio: Dia­logo dell’imprese, ed. Doglio, S. 33 f. – In den Eroici furori findet sich außer imprese in gleicher Bedeutung divisa (»Questo non tanto dechiara il senso de la divisa […]« [166]; »[…] il senso di questa divisa è conseguente di quello de la prossima superiore […]« [208]), eine italianisierende Übernahme des französischen devise, und ieroglifico (»[…] però la vehemenza dell’aspirare è notata per quell’ieroglifico del forte spirare […]« [210]). 167  Um die entsprechende und bereits oben zitierte Passage noch einmal aufzunehmen: »[…] basta che stiamo su la significazion de l’imprese et intelligenza de la scrittura, tanto quella che è messa per forma del corpo de la imagine, quanto l’altra ch’è messa per il più de le volte a dechiarazion de l’impresa.« Furori I  5 (160). – Giovio: Dia­logo dell’imprese, ed. Doglio, S. 37, formuliert als erste Regel einer ›perfetta imprese‹: »Prima, giusta proporzione d’anima e di corpo.« – Bruno unterscheidet nach forma (i. e. scrittura) und corpo (i. e. imagine). 168  So Wolfgang Hungers Übersetzung von libellus Emblematum in der zweisprachigen Ausgabe bei Wechel, Paris 1542. 169  Gian Luigi Barni: Le Lettere di Andrea Alciato giureconsulto, Firenze 1953, S. 46 (Brief No 24, an Francesco Calvi, Mailand, 9. Dezember 1522). 170  Zur Entstehungsgeschichte des Emblems sowie dessen Differenz zur Imprese siehe Moog-Grünewald: Zwischen Kontingenz und Ordo. Das Em­ blem in Renaissance und Barock (2000). 171  Von Interesse in diesem Zusammenhang ist, dass Alciato die Wendung ›emblematice scribere‹ gebraucht hat, um damit das Niederschreiben bzw. das Verfassen von Epigrammen zu kennzeichnen, die ihm geeignet erschienen, in bildliche Zeichen umgesetzt zu werden bzw. bildliche Zeichen anzuregen: Impresen zum Beispiel, jene konzeptistisch verfassten Anmerkungen  |  159

Abzeichen aus rätselhaft aufeinander verwiesenen Wort- und Bildzeichen, die man durchaus ›Pictogramm‹ im eigentlichen Wortsinn nennen könnte. 172  Es dürfte wohl mehr als ein Dutzend Traktate zur Imprese allein im Italien des Cinquecento geben. Die bekanntesten Regeln – es sind deren fünf – sind die von Paolo Giovio, die in der Folge leicht verändert und vor allem ergänzt wurden. 173  So ist gleich eingangs von Dia­log I, 5 beim ersten Beispiel zwischen ›Malen‹ und ›Schreiben‹ unterschieden: »[…] un scudo distinto in quattro colori, dove nel cimiero è depinta la fiamma sotto la testa di bronzo […], e vi è scritto in circa: at regna senserunt tria.« (Furori I, 5 [160]) – »[…] ein in vier Farben aufgeteilter Schild, dem als Wappenschmuck eine Flamme unter einem bronzenen Schädel aufgemalt ist […] und drumherum steht geschrieben: at regna senserunt tria.« (161) 174  Siehe dazu die Regeln, die Giovio für eine vollkommene Imprese aufstellt und deren zweite heißt: »Seconda, ch’ella non sia oscura di sorte ch’abbia mestiero della sibilla per interprete a volerla intendere, né tanto chiara ch’ogni plebeo l’intenda.« Giovio: Dia­logo dell’imprese, ed. Doglio, S. 37. 175  Was Henkel und Schöne für das Emblem als Kennzeichen reklamierten, trifft weit mehr, wenn nicht ausschließlich, für die Imprese zu – nämlich das wechselseitige Darstellen und Deuten der einzelnen Teile. Vgl. dazu Henkel/Schöne (Hgg.): Emblemata. (1967), S. xii f. (»Vorbemerkung der Herausgeber«) 176  Hercole Tasso: Della realtà, & perfettione delle imprese. Con l’Essa­ mine di tutte le opinioni infino à quì scritte sopra tal Arte. La Seconda edi­ tione. In Bergamo, Per Comin Ventura. 1612. p. 24 (zit. nach Klein: La théo­ rie de l’expression figurée [1957], S. 335). 177  In der Regel hatte eine – ranghohe – Persönlichkeit eine einzige Imprese, in der eine Haltung, ein Grundsatz, auch eine Unternehmung ihren je individuellen Ausdruck fand. Doch konnte sie auch mehrere Impresen haben, diffenziert nach Anlaß und Unternehmung. Diese Möglichkeit nutzt auch Bruno, freilich indem stets die eine und einzige Unternehmung des furore eroico in ihren unendlich vielfältigen Erscheinungs- und Ausdrucksformen herausgespielt wird. 178  Aufbau und Argumentationsfolge der einzelnen Impresen-Einheiten variieren nur geringfügig. 179  Bruno spricht durchgängig von figura, nicht von pictura oder icon. 180  Als Grund für die fehlenden Picturae wurde unter anderem ins Feld geführt, dass die Drucktechnik in England noch nicht so weit fortgeschritten war, Holzschnitte zu reproduzieren – so Levergeois: Giordano Bruno (2000), S. 357: »[…] les premiers livres d’emblèmes d’outre-Manche ne sont pas davantage illustrés, et ce à cause du retard technique de la gravure sur bois en Angleterre. La traduction de Giovio par Daniel […] ne contient au160  |  Anmerkungen

cune reproduction […]. Il faudra attendre 1612 et la parution de Minerva Britanna de Henry Peacham pour qu’un recueil d’emblèmes anglais dûment illustrés voie le jour.« Freilich wurde das erste illustrierte englische Emblembuch, Geoffrey Whitneys Choice of Emblems, bereits 1586, wenngleich in Antwerpen bei Platin gedruckt. 181  Es gibt Ausgaben der Eroici furori, die die Picturae ergänzen – so bspw. bereits die zweite Auflage der Übersetzung von Ludwig Kuhlenbeck: Eroici furori / Zwiegespräche vom Helden und Schwärmer, Jena 1907, V, S. 92 ff., wiederaufgenommen in Giordano Bruno: De gli eroici furori, a cura di Eugenio Canone, Milano 2011, S. lxvii–lxxvi. Auch die jüngste Übersetzung ins Englische von Rowland (Giordano Bruno: On the Heroic Frenzies. A Translation of ›De gli eroici furori‹ by Ingrid D. Rowland, Toronto 2012) reproduziert Picturae. – Die Picturae, die die Originalausgabe der Eorici furori nicht kennt, mögen unterhaltsam, anschaulich, ja ingeniös sein; sie in eine Ausgabe der Eroici furori aufzunehmen, entspricht nicht der Intention Brunos. Zudem trägt es für das Verständnis der brunianischen Impresen wenig bei, wenn auf ähnliche oder gleiche Picturae, wie in den Eroici furori beschrieben, in Emblembüchern der Zeit hingewiesen wird. 182  Die Konzentration auf das Wort, die Sprache wird schon aus der Lektüreanweisung Tansillos deutlich, mit der die Impresen-Dia­loge eröffnet werden: »[…] basta che stiamo su la significazion de l’imprese et intelligenza de la scrittura, tanto quella che è messa per forma del corpo de la imagine, quanto l’altra ch’è messa per il più de le volte a dechiarazion de l’impresa.« (160) 183  Gelegentlich der Imprese xiv (mit dem Motto Amor instat ut instans) des fünften Dia­logs des Ersten Teils findet sich die Äußerung (die freilich zugleich ein Beispiel für eine widersinnige Tautologie ist): »[…] questa impresa costui [sc. il furioso] la ha finta come finta […].« (218) 184  Bruno gebraucht die Wörter Imprese, Devise und Hieroglyphe syn­ onym. 185  Für die brunianische Imprese gilt dasselbe, was Bruno zu seinen Ero­ ici furori als ganzem angemerkt hat: Ihre Figuralität ist – im Unterschied zum Hohelied – nicht metaphorisch, vielmehr wörtlich. (Siehe dazu oben S. 70. 186  Es ist weder möglich noch notwendig, die Voraussetzungen und die Folgen dieses Interesses hier darzulegen. Standardwerke sind noch immer Giehlow: Die Hieroglyphenkunde (1915); Volkmann: Bilderschriften der Re­ naissance (1923); Iversen: The Myth of Egypt and its Hieroglyphs in European Tradition (1961). Eine erste knappe Darstellung, die auf den vorgenannten Werken weitestgehend gründet, gibt Wittkower: Hieroglyphen in der Früh­ renaissance (1984). 187  Siehe dazu u. a. die Einleitung zur Übersetzung der Hieroglyphica Anmerkungen  |  161

ins Englische von George Boas: The Hieroglyphics of Horapollo, transl. by George Boas, New York 1950, S. 15–54. 188  Volkmann: Bilderschriften der Renaissance (1923), S. 8. 189  Hieroglyphica Horapollinis, / a Davide Hoeschelio / Fide codicis Augustani ms. correcta, suppleta, illustrata; [horvm versio latina Ioan. Merceri; observationes Ioan. Merceri ; notae Davidis Hoeschelii]. Avgvstæ Vindelicorvm / ad insigne pinus. / Cum privilegio Cæs. perpetuo. / Anno mdvc. 190  Die Offizin des Aldus Manutius hat auch dieses Werk mit seinen vorzüglichen Holzschnitten im Jahre 1499 gedruckt. 191  Siehe dazu Volkmann: Bilderschriften der Renaissance (1923), S. 13–23. 192  Ioannes Pierius Valerianus: Hieroglyphica sive de sacris Aegyptiorum aliarumque gentium literis commentarii, Basileae 1556. 193  Dazu unter anderem Klein: La théorie de l’expression figurée (1957), passim. 194  Alessandro Farra: Settenario dell’humana riduttione, Venezia 1571, f. 157 ro (= VII: ›Filosofia simbolica, ovvero dell’imprese‹). Zit. nach Klein: La théorie de l’expression figurée (1957), S. 338. – Die argumentative Nähe zu Brunos weiter oben zitiertem Satz ist evident – um es noch einmal aufzunehmen: »Idea, imaginatio, adsimulatio, configuratio, designatio, notatio est universum Dei, naturae et rationis opus, et penes istorum analogiam est ut divinam actionem admirabiliter natura referat, naturae subinde operationem humanum (quasi et altiora praetentans) aemuletur ingenium.« (De imaginum compositione II/3, S. 89, Z. 20 – S. 90, Z. 4.) 195  Es ist nicht nachzuweisen, welche Impresen-Traktate Bruno gekannt hat. Giovios Dia­logo dell’imprese dürfte lange Zeit die bekannteste und am meisten verbreitete Impresen-Theorie gewesen sein. Dass Bruno den Set­ tenario von Alessandro Farra gelesen hat, ist eher nicht wahrscheinlich. Umso auffallender sind die Übereinstimmungen, die aber letztlich auf die gemeinsame neuplatonische Basis zurückzuführen sind. 196  Hier ist neben den übrigen mnemotechnischen Schriften insbesondere auf De umbris idearum und De imaginum compositione zu verweisen. 197  Aufschlussreich ist bereits oben [Anm. 183] zitierte Äußerung, die zwar im Kontext der Diskussion, ob instans Substantiv oder Adjektiv ist (Amor instat ut instans), als Tautologie formuliert ist, gleichwohl auf die eigenschöpferische Leistung des furioso ausdrücklich hinweist: »che ha medesima penuria di proposito, che se uno dicesse: ›questa impresa costui [sc. il furioso] la ha finta come finta […]‹.« (218) 198  Nicht anders als für Petrarca, den Petrarkismus u. a. – siehe dazu gleich eingangs des Argomento (4/6): »Ecco vergato in carte, rinchiuso in libri, messo avanti gli occhi, et intonato a gli orecchi un rumore, un strepito, un fracasso d’insegne, d’imprese, de motti, d’epistole, de sonetti, d’epigrammi, de libri, de prolissi scartafazzi […].« 162  |  Anmerkungen

  Aus diesem Grund ist es auch müßig, nach Vorbildern zu suchen, mithin festzustellen, dass das eine oder andere Motto, die eine oder andere Pictura sich bereits in einem vorgängigen Emblem-Buch finden. (So bspw. Memmo, Jr.: Giordano Bruno’s »De gli eroici furori« and the emblematic tra­ dition [1964], passim.) Zum Verständnis des brunianischen Gebrauchs der Imprese und seiner Funktion tragen derartige ›Einflussforschungen‹ nichts bei. 200  In den Canzoniere-Dia­logen wie in den Impresen-Dia­logen sind das ›Schicksal, das Streben und der Zustand‹ des eroe das große Thema (Furori, Argomento: »[…] si mostra variamente la condizion di sua fortuna, studio e stato […].« [22] – »[…] auf unterschiedliche Weise wird die Beschaffenheit seines Schicksals, Strebens, Zustands gezeigt […]«); in beiden Teilen ist die Bewegung hin auf das Ziel, jenes höchste ›Objekt‹, nicht teleologisch, sondern ›metaphysisch‹. 201  Auf die ›Ordnung‹ in der Folge verweist Bruno im Argomento (»Nel quinto dia logo si descrive il stato del furioso in questo mentre, et è mostro l’ordine, raggione e condizion de studii e fortune« [22]) als auch zu Beginn von Furori I  5 (»[…] considerar le condizioni di questi furori, per quel ch’appare esplicato nell’ordine […] qua descritto.«[160]) – Hervorhebungen von MMG. Zudem wird mit »il stato del furioso in questo mentre« ausdrücklich Bezug genommen auf die vorausgegangenen Dia­loge und insbesondere auf das Ende des vierten Dia­logs des Ersten Teils, in dem vom »sì travaglioso conflitto« (22) des furioso die Rede ist. 202  Zu Phönix, seiner Herkunft und Verbreitung siehe das vorzüglich dokumentierende Werk von van den Broek: The Myth of the Phoenix (1972). 203  Während Aktaion eine Identifikationsfigur des furioso ist, ist der Phönix nurmehr eine Vergleichsfigur. Hingegen ist das Verhältnis des Phönix zur Sonne analog zum Verhältnis Dianas zu Apoll. 204  Es verdient zumindest eine Anmerkung, dass gerade der Anfang des Großen Sonnenhymnus des Echnaton (auch Hymnus an Aton; um 1351–1334 v. Chr. entstanden und erst 1884 erstmalig gedruckt), näherhin der Beginn der Aretalogie des Re bzw. Aton, Übereinstimmungen aufweist mit der Aretalogie des Sol bei Bruno: dass Gott eine kosmische Macht ist, die sich als Sonne und Licht den Menschen mitteilt. 205  Es ist wichtig zu betonen, dass Brunos Bild-Idee eine Inversion des neuplatonischen Bild-Symbols (Plotin, Iamblich, Proklos; siehe dazu Leinkauf: Bild-Symbol, Geometrie und Methode [2006]) ist: Während das Bild-Symbol und hier exemplarisch die ägyptische Bilderschrift für Plotin und die Neuplatoniker »den Versuch einer nicht-diskursiven Vergegenwärtigung göttlicher Einheit« (Leinkauf, S. 80) darstellen, ist die Bild-Idee Brunos (sprach)bildlicher Ausdruck eines mentalen Aktes, in dem Spontaneität und Reflexivität übereinkommen. 199

Anmerkungen  |  163

  Im Folgenden wird auf die einzelnen articoli mit ›Imprese‹ und entsprechender römischer Zahl verwiesen. 207  Furori I, 5 (164): »Dovete considerare che il sole benché al rispetto de diverse regioni de la terra, per ciascuna, sia diverso, a tempi a tempi, a loco a loco, a parte a parte; al riguardo però del globo tutto, come medesimo, sempre et in cadaun loco fa tutto: […]« – »[…] Denkt daran, dass die Sonne zwar für jede der verschiedenen Regionen der Erde ja nach Zeit, Ort und Gebiet verschieden, für den Erdball insgesamt aber immer dieselbe ist und immer und an allen Orten alles macht: […]« (165) 208  In eben dieser Weise wirkt der ägyptische Sonnengott, dessen Strahlen das Leben auf der Erde ermöglichen. Zahlreich sind die Darstellungen von Re bzw. Aton mit handförmig endenden Sonnenstrahlen. 209  Bereits in Furori I  3 (96) ist der Falter bzw. Schmetterling ein Bild des furioso und seiner brennenden Sehnsucht – mit der nämlichen Einschränkung. 210  Eingeleitet wird die Imprese VI mit folgenden Worten Tansillos: ›Appresso veggio descritta la fantasia d’una fenice volante […].‹ Was Tansillo sieht, ist ge- bzw. beschrieben, ist mithin eine Bild-Idee. 211  Aus der Fülle an Emblemen, die Phönix zum Gegenstand haben, ist das Epigramm eines Emblems aus Barthélemy Aneaus Picta Poesis dem brunianischen Sonett äußerst ähnlich: ›Innvmerabilivm seclorum millia fertur / Viuere Arabs Phoenix vnica semper auis. / Ex se ipsa nascens, ex se reparabilis ales. / Quae exoriens moritur: quae moriens oritur. / Nam dum deficiens solis se torruit igni: / Nascitur e flammis mox rediuiua suis. / Credimvs? An vanum reputamus quod peregrina / Dicere libertas audet in historia? / Credimvs. Et certe est volucris sub imagine, viuens / Aeternum Phoenix vnicus ipse Deus. / A se principium capiens resolutus et in se. / Semper et exoriens luminis igne sui.‹ (Barthélemy Aneau [Barptolemaeus Anulus]: Picta Poesis. Vt Pictvra Poesis erit. Lvgdvni, Apud Mathiam Bonhomme. 1552, S. 93. Zit. n. Henkel/Schöne [Hgg.]: Emblemata, Sp. 794 f.) (Übers., ebd.: »Tausende von unzählbaren Jahrhunderten soll der arabische Vogel Phoenix [sic!] leben, den es immer nur einmal gibt, der aus sich selbst geboren wird, aus sich selbst sich wiederherstellt, der entstehend stirbt, der sterbend entsteht. Denn sobald er sich, dahinschwindend, im Feuer der Sonne verbrannt hat, wird er sogleich erneut aus seinen Flammen wiedergeboren. Glauben wir’s? Oder halten wir’s für Erfundenes, das dichterische Freiheit in einer fremdartigen Geschichte zu sagen wagt? Wir glauben es. Denn sicherlich ist dieser ewig lebende Phönix unter dem Bilde eines Vogels der alleinzige Gott selbst: Von sich selbst nimmt er den Ursprung und löst sich auf in sich selbst und entsteht immer neu im Feuer seines Lichtes.«) 212  Auf der Figura – so Tansillo – ist ein Knabe und ein Phönix dargestellt, wobei der Knabe für den eroe steht. 206

164  |  Anmerkungen

  Es ist näherhin der Gegensatz bzw. der Unterschied zwischen dem niederen Intellekt und dem höheren Intellekt, dem »intelletto di potenza o possibile« und dem »intelletto agente et attuante« (180/182), zwischen dem Intellekt, der – wie der Mond oder der Phönix – nur eine einzige Gestalt annimmt, die er stets durch seine Hinwendung zur Sonne, der ersten und universellen Intelligenz, erneuert, und dem individuellen und vielfältigen Intellekt des Menschen, der wechselhaft, schwankend, unbeständig ist, unendlich viele Formen annimmt und Stufen erklimmt (ebd.). Näheres dazu Eugenio Canone: Il fanciullo e la fenice, in: ders.: Il dorso e il grembo dell’eterno (2003), S. 53–78. 214  ›Fata obstant‹ ist üblicherweise i. S. v. widrigem Schicksal gebraucht (so bspw. das Motto eines Emblems in Gabriel Rollenhagens ­Nvclevs Emblematvum [1611], no. 90). Darauf verweist Tansillo gleich eingangs seiner Erklärung des Sonetts: »[…] Fata obstant, non è per significar che gli fati siano contrarii o al fanciullo, o a la fenice, o a l’uno e l’altro; ma che non son medesimi, ma diversi et oppositi gli decreti fatali de l’uno e gli fatali decreti de l’altro. […]« (180) – »[…] Fata obstant soll nicht bedeuten, das Schicksal sei dem Knaben oder dem Phönix oder beiden widrig gesonnen, sondern dass die Schicksalsbestimmungen des einen und die des anderen nicht identisch, sondern unterschiedlich und einander entgegengesetzt sind.« (181) 215  Phönix gilt schon zu Hesiods Zeiten als Symbol der Seele (siehe dazu van den Broek: The Myth of the Phoenix [1972], S. 132–145.). In Furori II  1, Imprese VI führt Bruno den Neuplatoniker Jamblich mit nachfolgenden Äußerungen zur Seele an: »È tanta la virtù della contemplazione (come nota Iamblico) che accade tal volta non solo che l’anima ripose da gli atti inferiori, ma et oltre lascie il corpo a fatto.« (260). (»So groß ist die Kraft der Schau [wie Iamblichus bemerkt], dass die Seele manchmal nicht nur die niederen Tätigkeiten ruhen lässt, sondern sogar den Körper ganz verlässt.« [261]) Dabei handelt es sich um eine Paraphrase aus Iamblich: De mysteriis Aegyptiorum III, 3 (siehe den Kommentar zur Stelle von Miguel Angel Granada in Giordano Bruno: Opere italiane II, Milano 2002, S. 663, Anm. 51). Marsilio Ficino übersetzte 1497 erstmals das Werk ins Lateinische und gab ihm den Titel De mysteriis Aegyptiorum. 216  Um nur noch ein weiteres Beispiel auszuwählen: Bereits die Motti von Imprese IX und Imprese X des ersten Dia­logs des Zweiten Teils – Vicit instans und Subito, clam – weisen das Instantan-Plötzliche als Modus möglicher Erfahrung des Unendlichen und des Ewigen aus. 217  Tatsächlich handelt es sich – gegen allen Anschein – um contrarietadi. 218  Die zögerliche Erklärung Tansillos trifft diesen Sachverhalt durchaus, bleibt allerdings der Bildlichkeit verhaftet: »[…] pur crederei che voglia 213

Anmerkungen  |  165

significar medesimo fato molesto, che medesimamente tormenta l’uno e l’altro […], con diversi instrumenti o contrarii pincipii, mostrandosi medesimo freddo e caldo.« (222) – »Doch möchte ich annehmen, dass es auf ein und dasselbe unerfreuliche Schicksal hinweist, das auf dieselbe Weise den einen wie den anderen quält […], aber mit unterschiedlichen Mitteln beziehungsweise entgegengesetzten Prinzipien, wodurch es sich als gleichzeitg heiß und kalt herausstellt.« (223) 219  Leicht verändertes Zitat aus Dantes Inferno III, 9: »Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!« 220  Selbst die Tageszeit, zu der Maricondo und Cesarino ihre ImpresenExegese beenden, entspricht dem Zustand und der Verfassung des eroe: es ist Nacht. 221  Furori, II  2 (316): »[…] è tutto occhio a l’aspetto de tutto l’orizonte.« 222  Mit cipresso ist in Verweis und Aufnahme des ersten Sonetts in Fu­ rori I  1 (»morte, cipressi, inferni // cangiate in vita, in lauri, in astri eterni« [42]) der intermittierende Zutand der Seele des furioso zwischen ›Tod‹ und ›neuem Leben‹ veranschaulicht. 223  Furori, II  2 (314): »Rarissimi dico son gli Atteoni alli quali sia dato dal destino di posser contemplar la Diana ignuda: e dovenir a tale che dalla bella disposizione del corpo della natura invaghiti in tanto, e scorti da que’ doi lumi del gemino splendor de divina bontà e bellezza, vegnano trasformati in cervio, per quanto non siano più cacciatori ma caccia. […] in quella divina et universale [sc. caccia] viene talmente ad apprendere che resta necessariamente ancora compreso, assorbito, unito: […]« – »Äußerst selten, sage ich, sind die Aktaionen, denen es das Schciksal bestimmt hat, die nackte Diana schauen zu können – und in den Zustand zu gelangen, da sie, über die Harmonie des Körpers der Natur derart in Verzückung geraten und von den beiden Lichtern des doppelten Glanzes göttlicher Güte und Schönheit derart getroffen, in einen Hirsch verwandelt werden und nun nicht mehr Jäger, sondern Beute sind. […] bei jener göttlichen, allumfassenden Jagd geschieht das Ergreifen auf solche Weise, dass er gezwungenermaßen selbst auch begriffen, aufgesogen und vereint wird. […]« (315/317) 224  Furori, II  3 (320): »[…] (come fussero animali e sustanze de distinte raggioni e sensi) […].« 225  Furori, II  3 (320): »[…] si parlassero insieme il core e gli occhi: l’uno de l’altro lamentandosi come quello che era principio di quel faticoso tormento che consumava l’alma.« – »[…] das Herz und die Augen sprachen miteinander: Sie beschuldigten sich gegenseitig, die Ursache jener mühseligen Qual zu sein, die die Seele aufzehrte.« (321) 226  Furori, Argomento (28): »[…] son figurate et alcunamente ispiegate le nove raggioni della inabilità, improporzionalità e difetto dell’umano sguardo e potenza apprensiva de cose divine.« 166  |  Anmerkungen

  Furori, II, 4 (372): »Il moto è alterità, quel che si muove sempre è altro et altro, quel che è tale, sempre altri et altrimente si porta et opra, per che il concetto et affetto séguita la raggione e condizione del suggetto. E quello che altro et altro, altri et altrimente mira, bisogna necessariamente che sia a fatto cieco al riguardo di quella bellezza che è sempre una et unicamente, et è l’istessa unità et entità, identità.« – »Bewegung bedeutet Andersartigkeit. Was sich bewegt, ist immer wieder anders. Was so beschaffen ist, verhält sich und handelt immer wieder anders, denn das Begreifen und das Fühlen richtet sich nach den Gesetzen und Gegebenheiten des Subjekts. Und das, was als stets anderes und auf stets andere Weise schaut, muss notwendigerweise jener Schönheit gegenüber blind sein, die immer eine und auf eine einzigartige Weise ist, die die Einheit, das Sein und die Identität selbst ist.« (373) 228  So in Kennzeichnung des sechsten Blinden: ›[…] il quale è in continuo moto, mutazione, et alterazione […].‹ Furori, II, 4 (370). 229  Furori, II, 4 (372): »[…] senza fine discorrendo il suggetto del senso e cognizione per la ruota delle mutazioni in infinito?« 230  Furori, II, 4 (366): »La qu i nta [sc. caggione della nostra cecità], significata nel quinto, procede dalla improporzionalità delli mezzi de nostra cognizione al cognoscibile; […].« Die Begründung der Blindheit des fünften Blinden gilt mehr oder minder für alle übrigen Blinden. 231  Furori, II, 4 (378): »[…] questi nove ciechi, quali eran prima nove bellissimi et amorosi giovani […].« 232  Furori, Argomento (30): »[…] gli ha bastato de farsi solamente recitatrici della figura […].« Es handelt sich auch hier um Bilder der Sprache, nicht um Allegorien. Denn es gibt – wie wir gesehen haben – für Bruno keine Anders-Rede, insofern er die Zeichen und Bilder als unmittelbaren Ausdruck des Ingeniums erachtet. Es ist eine Frage des Begriffs, nicht der Sache. 233  Der (Unter)Titel – Argomento et allegoria del quinto dialogo (30) – trägt einmal mehr zur Klärung des brunianischen Verständnisses von Allegorie bei: Es ist eine Erklärung, Erläuterung, die sich einer Sprache bedient, die nicht figürlich, bildlich und damit auch nicht philosophisch im engeren Sinne ist. 234  Allerdings wird man nicht mit Nuccio Ordine (in: Giordano Bruno: Opere italiane I–II, Torino 2002 u. ö., Bd. 2, S. 508, Anm. 65) so weit gehen wollen, den Kommentar zum letzten Dia­log der Eroici furori als »l’apice e il vero e proprio epilogo dell’opera« zu qualifizieren. Dieses Prädikat kommt dem Dia­log selbst zu, und dies allein seiner spezifischen Figuralität. 235  Furori, Argomento (30): »[…] atteso che secondo la volgare imaginazione delle nove sfere, mostrano il numero, ordine e diversità de tutte le cose che sono subsistenti infra unità absoluta, nelle quali e sopra le quali tutte sono ordinate le proprie intelligenze […].« – »Sie stellen nämlich, der gän227

Anmerkungen  |  167

gigen Vorstellung von den neun Sphären entsprechend, die Zahl, Ordnung und Verschiedenheit aller Dinge dar, die sich unterhalb der absoluten Einheit befinden und in und über denen allen die entsprechenden Vernunft­ wesen angeordneet sind.« (31) 236  Furori, Argomento (34): »[…] da qua si prende la raggione e discorso della cecità e luce di questi nove, or vedenti, or ciechi, or illuminati; quali son rivali ora nell’ombre e vestigii della divina beltade, or sono al tutto orbi, ora nella più aperta luce pacificamente si godeno.« – »[…] aus der letztgenannten Überzeugung ist die Begründung und Rede von Blindheit und Erleuchtung dieser neun zu begreifen, die erst sehen, dann blind und schließlich erleuchtet sind.« (35) 237  Canone: Le ›due luci‹ (2003), S. 306f., Anm. 65: »[…] molte altre volte nel testo Bruno parla di bellezza, bontà e verità come sommi attribuiti divini; d’altronde, ›bontà‹ viene a riferirsi a Minerva/Sapienza (›lo spirito di Dio‹) come pure a Giunone e a Venere.« 238  Bruno spricht von Sestinen und meint damit die Strophenform, nicht die Gedichtform: »Dopo che ciascuno […] ebbe cantata la sua sestina […].« Furori II  5 (394). 239  Friedrich Schlegel wird auf dem Felde der Kunst und der Dichtung das Endliche und das Unendliche in einer Vollendung im Unendlichen zu versöhnen suchen. Demnach intendiert die romantische Dichtung die Vollkommenheit der antiken Poesie in einer unendlichen Progression einzuholen im unendlich Objektiven, gewinnt die romantische Poesie unter der Bedingung der unendlichen Perfektibilität die Vollkommenheit der Vergangenheit für die Moderne wieder. Friedrich Schlegels Reflexionen über die antike Poesie und ihr Verhältnis zur modernen Dichtkunst, wie er sie insbesondere in seinem großen Essay Über das Studium der griechischen Poesie (1797) formuliert hat, sind für das Unendlichkeitskonzept der Epoche der Romantik und darüber hinaus der Moderne basal. Einheit, Ganzheit, Vollkommenheit, Schönheit, Objektivität sind die Charakteristika der ›natürlichen Bildung‹ der Antike; sie sind das Ideal, das höchste und unerreichbare Ziel, auf das hin die ›künstliche Bildung‹ der Moderne in einer unendlichen Progression fortschreitet, ohne es je erreichen zu können und erreichen zu wollen. Ohne dass von einem ›Einfluss‹ der brunianischen Konzeption der Unendlichkeit und der als unendliches Streben konstellierten hero­ischen Leidenschaften auf das romantische Theorem der unendlichen Progression ausgegangen werden kann, ist die Analogie bei allen Differenzen im einzelnen offensichtlich. Näheres dazu s. unten S. 119 ff 240  Furori II  5 (388): »[…] l’una della ricovrata già persa luce, l’altra della nuovamente discuoperta, che sola possea mostrargli l’imagine del sommo bene in terra?« 168  |  Anmerkungen

  Furori II  5 (388): »[…] come spontaneamente, s’aperse da se stesso.« – Einmal mehr werden die Bilder, mit denen Gleiches – hier die conversio – zur Vorstellung gebracht wird, neu entworfen. Dabei ist zu sehen, dass die conversio der Figur des Aktaion sich beim Anblick der Diana ereignet, für die Blinden hingegen erst die Öffnung des Gefäßes den Anblick des ›höchsten Gutes‹ im Abbild ermöglicht. 242  Platon, Nomoi 664b1–671a1; insbesondere 664b1–665a6. 243  Um jenen bereits auf S. 10 zitierten Satz noch einmal aufzunehmen: »[…] philosophi sunt quodammodo pictores atque poëtae, poëtae pictores et philosophi, pictores philosophi et poëtae […] non est enim philosophus, nisi qui fingit et pingit.« Explicatio triginta sigillorum, in: Opera latine conscripta, ed. F. Fiorentino et al., 3 Bde., Neapoli/Florentiae 1879–91; ND Stuttgart 1962, II/2, S. 133, Z. 20–24. 244  Siehe hierzu Leinkauf: Nicolaus Cusanus (2006), S. 207 et passim; ders.: Ut philosophia pictura (2010). Darüber hinaus insbesondere van Velthoven: Gottesschau und menschliche Kreativität (1977) sowie einzelne Beiträge in Bocken/Schwaetzer (Hgg.): Spiegel und Porträt (2005). 245  Nikolaus von Kues: De mente c. 13, n. 148, in: Philosophisch-theologische Werke I–IV, lat.-dt., Bd. 2, Hamburg 2002, S. 112. (Übersetzung, ebd., S. 113: »Du weißt, daß unser Geist eine gewisse Kraft ist, die das Bild der genannten göttlichen Kunst darstellt. Daher ist alles, was in der absoluten Kunst in voller Wahrheit enthalten ist, in unserem Geist als dem Bild wahr enthalten.«) 246  Vgl dazu Leinkauf: Ut philosophia pictura (2010) und von Bredow: Der Geist als lebendiges Bild Gottes (mens viva dei imago) (1978). 247  Nikolaus von Kues: De mente c. 13 n. 149, in: Philosophisch-theologische Werke I–IV, lat.-dt., Bd. 2, Hamburg 2002, S. 112. (Übersetzung, ebd., S. 113: »Wenn ein noch so vollkommenes Bild nicht vollkommener und seinem Vorbild ähnlicher sein kann, ist es niemals so vollkommen wie ein lebendiges unvollkommenes Bild, das das Vermögen hat, sich immer mehr und mehr ohne Begrenzung dem unerreichbaren Vorbild gleichzugestalten. Hierin ahmt es nämlich die Unendlichkeit in der Weise des Bildes, wie es kann, nach. Das ist so, wie wenn ein Maler zwei Bilder malte, von denen das eine, tote, ihm in Wirklichkeit ähnlicher schiene, das andere aber, das weniger ähnliche, lebendig wäre, nämlich ein solches, das, durch seinen Gegenstand in Bewegung gesetzt, sich selbst immer gleichförmiger machen könnte. Niemand zweifelt daran, daß das zweite vollkommener ist, weil es gleichsam die Malerkunst mehr nachahmt. So hat jeder Geist, auch der unsrige, obgleich er niedriger erschaffen ist als alle anderen, von Gott, daß er in der Weise, in der er kann, vollkommenes und lebendiges Bild der unendlichen Kunst ist.«) 248  Unter anderem aus dieser Passage wird deutlich, dass der Begriff von 241

Anmerkungen  |  169

ars nicht auf Malerei eingeschränkt ist; vielmehr bezeichnet er künstlerischkunstvolles Hervorbringen im Allgemeinen. Dabei ist jedes Kunstwerk ein Bild nicht nur der kreativen Potenz des menschlichen Geistes, sondern der absoluten Potenz Gottes. 249  Siehe hierzu Leinkauf: Der Bild-Begriff bei Cusanus (2010). 250  Die Predigt wurde 1496 in Brixen gehalten. 251  Mandrella: Gott als Porträtmaler (2005), S. 139. 252  Nicolai de Cusa: Sermo CCLI, n. 10, 8, p. 325. 253  In diesem Sinne ist auch die Anmerkung Leinkaufs zu verstehen, Cusanus habe »in gewisser Weise auch die Grundrechtfertigung aller ungegenständlichen Malerei schon antizipiert« (Leinkauf: Ut philosophia pictura [2010], S. 55). Denn die Kunst der Moderne ist tatsächlich über weite Teile ›platonisch‹, ohne dies eigens zu thematisieren oder sich dessen gar bewusst zu sein; und die Forschung übergeht diesen Sachverhalt. Siehe aber Maria Moog-Grünewald: Was ist Dichtung?, Heidelberg 2008. 254  Brunos Eroici furori geben dem Unendlichen als Raum ohne Grenzen Anschauung in einer Textur, die nicht sowohl das Unendliche figuriert, vielmehr geradezu hervortreibt. Das Konzept ›Raum‹, das insbesondere in den letzten beiden Dezennien die Literaturwissenschaft beherrscht, ist in den Eroici furori als Raumsemantik wie als Raumsemiotik aufs eindrücklichste realisiert. Zum Problem siehe Eckhard Lobsien: Literatur und Raum­ begriff, in: Philosophische Rundschau 60 (2013), S. 157–174. Lobsien stellt fest: »Der Raum ist gewiß einer von den unzählbaren Gegenständen, die wir in der Literatur antreffen. Zu einem besonderen literarischen Gegenstand aber wird er, weil sich der literarische Text zu verräumlichen vermag« (S. 174), und er moniert, dass die Literaturwissenschaft einmal mehr ihren genuinen Gegenstand verfehlt: Semantik, nicht Semiotik ist im Fokus des Interesses. 255  Leinkauf: Einleitung (2007), lxxxiii [= BW III] spricht allgemein von der »methodische[n] kombinatorische[n] Flexibilität der Sprachstruktur«, die »es ermöglichen soll, auch auf der Seite der Explikation nicht hinter den Implikationen des ›Chaos‹ der unbestimmten Sprachmaterie zurückzubleiben, wobei alle Prozesse sich auf der semiologischen Grenzscheide zwischen Form und Gehalt bewegen […]«. 256  Dieser Möglichkeit freilich würde der Cusaner nicht zustimmen, doch genau hierin besteht die unerhörte Neuerung der nolana filosofia: Sie ermöglicht die Materialisierung, ja Ästhetisierung der ideae in signa und imagines. 257  Es ist ein eigenes Kapitel zu zeigen, inwiefern die in den Eroici fu­ rori ästhetisch gewordene Kosmologie Brunos die Ästhetik der Moderne ab etwa 1800 mitbegründet hat. 258  Dass die Epoche der Renaissance weitestgehend, wenn nicht ausschließlich durch die Episteme der Varietät und Pluralität bestimmt sei, 170  |  Anmerkungen

hat seit etwa zwei bis drei Dezennien insbesondere in der romanistischen Literaturwissenschaft allgemeine Geltung. Freilich ist dabei das Verhältnis von Vielheit und Einheit, sind im Ganzen die theologischen und philosophischen Prämissen kaum in den Blick geraten. 259  Hempfer (Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissance­ begriffs [1993]) nennt »für den epistemologischen Wandel […] zumindest drei interdependente Gründe« (S. 37 f.): (1) »die Relativierung des Wahrheitskonzepts als spezifisch humanistische Lösung der Probleme […], die sich aus der spätscholastischen Lehre von der zweifachen Wahrheit ergaben […]«; (2) »die Pluralisierung von A u t o r i t ä t e n , die die zweifache Wahrheit […] in eine plurale überführte«; (3) das an die daraus resultierende »Vermehrung des Wissensfundus« spezifische »Erkenntnisprinzip«, das »auf der Auslegung von Texten« basiert. 260  Alle Zitate nach Hempfer: Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissancebegriffs (1993), S. 36 und 37. 261  Hempfer: Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissance­ begriffs (1993) bezieht sich auf Eckhard Kessler: Petrarca und die Geschichte. Geschichtsschreibung, Rhetorik, Philosophie im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, München 1978. 262  In der mittelalterlichen Theologie ist die ›Lehre von der doppelten Wahrheit‹ die Bezeichnung für eine angebliche philosophische Lehre, nach der ein Urteil in der Philosophie (secundum rationem) wahr, in der Theologie (secundum fidem) falsch sein könne. Um ein Beispiel anzuführen: Bischof Tempier bemerkt in seinem Einleitungsschreiben zu den Verurteilungen des Jahres 1277: »Dicunt enim ea esse uera secundum philosophiam, sed non secundum fidem catholicam quasi sint due contrarie ueritates, et quasi contra ueritatem sacre scripture sit ueritas in dictis gentilium dampnatorum […].« Zit n. David Piché: La condamnation Parisienne de 1277, nouv. éd. du texte latin, trad., introd. et commentaire, Paris 1999, S.77. (Übersetzung: »Sie sagen nämlich, dass diese [Irrlehren] wahr seien im Sinne der Philosophie, aber nicht im Sinne des katholischen Glaubens, als gäbe es zwei gegensätzliche Wahrheiten und als stünde gegen die Wahrheit der Heiligen Schrift die Wahrheit in den Texten der verworfenen Heiden […].«) 263  Siehe dazu insbes. Anneliese Maier: Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik, Bd. IV: Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Naturphilosophie, Rom 1955, S. 1–44: »Das Prinzip der doppelten Wahrheit«; hier S. 5. – Siehe darüber hinaus Ludwig Hödl: »… sie reden, als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe.« Legende und Wirklichkeit der mittelalter­ lichen Theorie von der doppelten Wahrheit, in: Jan P. Beckmann / Ludger Honnefelder / Gangolf Schrimpf / Georg Wieland (Hgg.): Philosophie im Mit­telalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg 1996, S. 225–243. 264  Beierwaltes hebt im »Vorwort« des von ihm herausgegebenen Bandes Anmerkungen  |  171

Platonismus in der Philosophie des Mittelalters (1969), S. vii-xiv zu Recht hervor, dass »Platonismus« nur mehr ein Grundzug der sog. Platoniker meint, dass darüber hinaus Platonismus und Aristotelismus nicht als einander ausschließender Gegensatz begreifbar sind; und er betont mit Blick auf Thomas von Aquin, dass dieser keineswegs der »Aristoteliker schlechthin« ist, vielmehr »die platonischen und die neuplatonischen Elemente – bewußt oder unbewußt – nicht dem in seinem Denken vorherrschenden Aristotelismus als Heterogenes hinzugefügt hat, sondern sie als Prinzipien für den inneren Bau seines Denkens hat bestimmend werden lassen […]« (hier S. viii). 265  Siehe dazu u. a. die Einleitung zu Vom Einen zum Vielen. Der neue Aufbruch der Metaphysik im 12. Jahrhundert. Eine Auswahl zeitgenössischer Texte des Neoplatonismus, hg., eingel., übers. und komm. von Alexander Fidora und Andreas Niederberger, Frankfurt a. M. 2002, S. vii – x lvii; hier insbesondere das Kapitel »Das ›metaphysische Erwachen‹ im 12. Jahrhundert: Von der Theologie zur Philosophie«, S. xxxvii – x liv. – Siehe auch Matthias Lutz-Bachmann / Alexander Fidora / Andreas Niederberger (Hgg.): Meta­ physics in the Twelfth Century. On the Relationship among Philosophy, Science and Theology, Turnhout 2004 (= Textes et Études du Moyen Âge, 19). 266  Überflüssig zu erwähnen, dass eine beeindruckende Fülle von vorzüglichen Arbeiten zu einzelnen Autoren und Werken wie zu übergeordneten Fragen vorliegt. Darauf kann im Rahmen dieser kleinen Studie nicht eingegangen werden. 267  Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen Metaphysik und Theologie ist rein pragmatisch: Thomas macht diese Unterscheidung nicht konsequent; es ist der Kontext, der darüber entscheidet. 268  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate / Kommentar zum Trinitätstraktat des Boethius, I–II, lat.-dt., übers. und eingel. von Peter Hoffmann in Verbindung mit Hermann Schrödter, Freiburg 2006 (= Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 3/I–II) [zit.: Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate]. 269  In Quaestio V, die in unserem Zusammenhang interessiert, wird – u. a. – gefragt, ob die spekulative Wissenschaft in die drei Disziplinen der Naturwissenschaft, der Mathematik und der Wissenschaft vom Göttlichen oder der Theologie zu unterteilen ist (q. 5, a. 1: »Utrum sit conveniens divisio qua dividitur speculativa in has tres partes: naturalem, mathematicam et divinam«). Für unsere weiteren Überlegungen ist allein die dritte Disziplin, die Wissenschaft von den »göttlichen Dingen«, von Belang. 270  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 120/122]. – Den Hinweis auf die Stelle, im ganzen auf die Expositio, verdanke ich der Einleitung zu Vom Einen zum Vielen [Anm. 265], S. xxxvii, Anm. 63. – Darüber hinaus verweise ich auf Weidemann: Zum Problem der Begründung der Metaphysik bei Thomas von Aquin 172  |  Anmerkungen

(1988), der insbesondere die Quaestiones V und VI zum Gegenstand seiner Darlegungen macht. 271  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 120]: »Huiusmodi ergo res divinae, quia sunt principia communia omnium entium et sunt nihilominus in se naturae completae, dupliciter tractari possunt: uno modo, prout sunt principia communia omnium entium; alio modo, prout sunt in se res quaedam.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 121]: »Folglich kann dergleichen Göttliches, weil es die Prinzipien aller Seienden darstellt und nichtsdestoweniger eine vollständige Natur in sich, auf zweifache Weise behandelt werden: Auf eine Weise, sofern es die gemeinsamen Prinzipien aller Seienden darstellt. Auf andere Weise, sofern es in sich selbst als gewisser Sachverhalte besteht.« 272  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 120]: »[…] per lumen naturalis rationis pervenire non possumus in ea nisi secundum quod per effectus in ea ducimur; et hoc modo philosophi in ea pervenerunt, quod patet Rom. 1(20): ›Invisibilia dei per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur.‹« – Übers. [ed. Hoffmann, S. 121]: »Durch das Licht der natürlichen Vernunft können wir nicht zu ihnen gelangen, es sei denn, insofern wir durch [ihre] Wirkungen zu ihnen geführt werden. Und auf diese Weise gelangten die Philosophen zu ihnen, was aus dem Römerbrief 1,2 offenkundig ist: Das Unsichtbare Gottes wird seit der Schöp­ fung der Welt durch das, was geschaffen wurde, verstanden und erblickt.« 273  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 120]: »Est autem alius [modus] cognoscendi huiusmodi res, non secundum quod per effectus manifestantur, sed secundum quod ipsae se ipsas manifestant. […] Et per hunc modum tractantur res divinae, secundum quod in se ipsis subsistunt et non solum prout sunt rerum principia.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 121]: »Es gibt aber eine andere Weise, um derartige Sachverhalte zu erkennen, nicht insofern sie durch ihre Wirkungen sichtbar werden, sondern insofern sie sich selbst sichtbar machen. […] Und auf diese Weise behandelt man das Göttliche, insofern es in sich selbst Bestand hat und nicht nur, sofern es die Prinzipien der Dinge darstellt.« – Deutlicher noch formuliert Thomas gleich zu Beginn der Summa theologica, im ›Prologus‹: »[…] doctrina sacra credit principia revelata sibi a Deo.« (S. theol. 1, q. 1, a. 2.) Zudem kennzeichnet er an selbiger Stelle die »sacra doctrina« als eine Wissenschaft (»scientia«), näherhin eine aufgrund ihres Gegenstandes – Gott – »in sich einheitliche Wissenschaft« (»una scientia«) (ebd., 1, q. 1, a. 3). 274  Die Benennungen sind keineswegs klar getrennt: Thomas bezeichnet beide Wissenschaften als Theologie, Wissenschaft vom Göttlichen und auch als Metaphysik. 275  Siehe oben Anm. 267. Anmerkungen  |  173

  Auf den Unterschied von separatio und abstractio einzugehen, ist für das Verständnis des Folgenden nicht notwendig. 277  Thomas versteht unter dem speculabile den möglichen Gegenstand einer rein theoretischen Erkenntnis in Unterscheidung von einer praktischen Erkenntnis, die auf das Handeln bezogen ist. (Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 1 [ed. Hoffmann, S. 62]: »Dicendum quod theoricus sive speculativus intellectus in hoc proprie ab operativo sive practico distinguitur quod speculativus habet pro fine veritatem quam considerat, practicus vero veritatem consideratam ordinat in operationem tamquam in finem.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 63]: »Der theoretische und der spekulative Verstand wird charakteristischerweise darin vom handlungsbezogenen oder praktischen unterschieden, dass der theoretische [Verstand] die Wahrheit als Ziel hat, die er betrachtet, der praktische [Verstand] richtet jedoch die Wahrheit, die er betrachtet hat, auf das Handeln aus wie auf ein Ziel.«) 278  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 122]: »Utraque autem est de his quae sunt separata a materia et motu secundum esse, sed diversimode, secundum quod dupliciter potest esse aliquid a materia et motu separatum secundum esse.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 123]: »Beide handeln aber von dem, was dem Sein nach von Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] getrennt ist, aber auf unterschiedliche Weise. Infolgedessen kann etwas dem Sein nach auf zwei­ fache Weise von Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] abgetrennt sein: […]« 279  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 122]: »Uno modo sic, quod de ratione ipsius rei, quae sunt separata dicitur, sit quod nullo modo in materia et motu esse possit, sicut deus et angeli dicuntur a materia et motu separati.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 123]: »Auf eine Weise so, dass es zur Bestimmung des Sachverhaltes selbst gehört, welcher abgetrennt genannt wird, dass er auf keine Weise in Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] sein kann, so wie man sagt, Gott und die Engel seien von Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] getrennt.« 280  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 122]: »Alio modo sic, quod non sit de ratione eius quod sit in materia et motu, sed possit esse sine materia et motu, quamvis quandoque inveniatur in materia et motu.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 123]: »Auf andere Weise so, dass es nicht zu seiner Bestimmung gehört, dass er in Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] ist, sondern ohne Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] sein kann, obgleich er bisweilen in Materie und Veränderung [bzw. Bewegung] vorgefunden wird.« – Siehe dazu Weidemann: Zum Problem der Begründung der Metaphysik bei Thomas von Aquin (1988), S. 45 u. ö. 276

174  |  Anmerkungen

  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, q. 5, a. 4 [ed. Hoffmann, S. 120]: »[…] intellectus noster se habet ad ea ut oculos noctuae ad lucem solis, ut dicitur in II Metaphysicae, per lumen naturalis rationis pervenire non possumus in ea nisi secundum quod per effectus in ea ducimur; et hoc modo philosophi in ea pervenerunt, quod patet Rom. 1 [20]: Invisibilia dei per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur.« – Übersetzung [ed. Hoffmann, S. 121]: »[…] unser Verstand verhält sich zu ihnen [sc. den ersten Prinzipien] wie das Auge der Eule zum Licht der Sonne, wie es im zweiten Buch der Metaphysik heißt. Durch das Licht der natürlichen Vernunft können wir nicht zu ihnen gelangen, es sei denn, insofern wir durch [ihre] Wirkungen zu ihnen geführt werden. Und auf diese Weise gelangten die Philosophen zu ihnen, was aus dem Römerbrief 1,2 offenkundig ist: Das Unsichtbare Gottes wird seit der Schöpfung der Welt durch das, was geschaffen wurde, verstanden und erblickt.« 282  Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii De Trinitate, Prologus [ed. Hoffmann, S. 24/25]: »Et ideo Deus humano generi aliam tutam viam cognitionis providit, suam notitiam mentibus hominum per fidem infundens.« 283  S. theol. 1, q. 1, a. 5. 284  Nicht anders als für die Theologie ist auch für die Metaphysik Gott immer das Ziel. Darin unterscheiden sich beide als »scientiae divinae« wiederum von den beiden anderen »spekulativen Wissenschaften«. 285  Die Frage, ob die »sacra doctrina« eine »scientia« ist, erörtert Thomas gleich in Quaestio 1 des ›Prologus‹, um sie differenziert zu bejahen (S. theol., Prologus, q. 1, a. 1-a. 8). – Albert Zimmermann (Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhun­ dert – Texte und Untersuchungen, Leuven 1998, S. 200–223: »Thomas von Aquin«) beschränkt sich gemäß dem Gegenstand seines Buches auf die Metaphysik bei Thomas; die Theologie wird nur mehr in ihrem Verhältnis zur Metaphysik erwähnt. 286  Es besteht kein Zweifel: Für Thomas ist Gott keinesfalls »Teil des Subjekts der Metaphysik«, vielmehr ist er »die höchste und letzte Ursache von allem, was das Subjekt dieser Wissenschaft umfaßt« (Zimmermann: Onto­ logie oder Metaphysik? [Anm. 285], S. 218). 287  Zimmermann (Ontologie oder Metaphysik? [Anm. 285]) fasst seine Ausführungen zur Metaphysik des Aquinaten zusammen: »Metaphysik ist gemäß dem Entwurf des Thomas von Aquin also weder Wissenschaft von Gott noch Wissenschaft vom geschaffenen Seienden, sie weder Wissenschaft vom Übersinnlichen noch vom Endlichen. Jede derartige Bestimmung nimmt höchstens etwas vorweg, das sich am Ende und als Ende der Meta­ physik zeigt« (S. 222). Kursivierung von MMG. 288  Von hier aus wird evident, dass Hans Blumenbergs so erfolgreiche 281

Anmerkungen  |  175

Formel von der ›Legitimität der Neuzeit‹ (Die Legitimität der Neuzeit, 1966 u. ö.) ein wohl absichtsvolles Missverstehen der theologisch-philosophischen Voraussetzungen ist. Tatsächlich handelt es sich um eine – ursprünglich keineswegs intendierte – Legitimation bzw. Legitimierung der Neuzeit. 289  Andreas Kablitz habe ich für anregende und weiterführende Gespräche zur Frage nach der möglichen Genese der Neuzeit und Moderne aus den theologisch-philosophischen Diskussionen insbesondere des 12. und 13. Jahrhunderts zu danken. In seinem 2017 erscheinenden Buch Francesco Petrarcas »Canzoniere«. Lyrik und Scholastik im Dia­log kann Kablitz in ebenso subtilen wie ingeniösen Analysen und Interpretationen ausgewählter Gedichte Petrarcas zeigen, dass die poetische Sprache und die ihr eigene Bildlichkeit die theologisch-philosophischen Aporien, wie sie insbesondere in den Schriften des Aquinaten zutage treten, aufnimmt und ausagiert. 290  Die inzwischen zahlreichen Arbeiten, die dem lange Zeit vorherrschenden Mißverstehen der Bedeutung des Mittelalters, seiner theologischen und philosophischen Schriften, für die Genese von Neuzeit und Moderne, eine differenziertere Position, nicht zuletzt aufgrund der genauen Kenntnis der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlich-modernen Philosophie, entgegenzuhalten wussten, können hier nicht einzeln genannt, noch weniger für unsere Überlegungen berücksichtigt werden. Aus der Fülle sei gleichwohl verwiesen auf Ludger Honnefelder: Woher kommen wir? Ursprünge der Mo­ derne im Denken des Mittelalters, Berlin 2008. 291  Siehe oben S. 14–27. 292  Ich verweise noch einmal auf Brunos eigenwillige Lesart von 1 Kor 13,12: »videmus nunc per speculum et in aenigmate, tunc autem facie ad faciem«, wie sie S. 149, Anm. 81 knapp expliziert ist. 293  Furori I  4 (122): »Cicada  […] ben si dice il regno de Dio esser in noi, e la divinitade abitar in noi per forza del riformato intelletto e voluntade.« – »Cicada  Deshalb sagt man richtig, das Reich Gottes sei in uns und die Gottheit wohne in uns, kraft der neuen Gestalt von Vernunft und Willen.« (123) 294  Um es noch einmal aufzunehmen: »da quel ch’era un uom volgare e commune, dovien raro et eroico, ha costumi e concetti rari, e fa estraordinaria vita« (122) – Dazu ausführlich oben S. 25. 295  So die prominent gewordenen Begriffe, mit denen Blumenberg die Neuzeit zu legitimieren sucht – mit beträchtlichem Erfolg. 296  Die Materie – so Bruno in De la causa, principio et uno – nimmt nicht nur Formen auf, sondern bringt mehr noch Formen hervor: Sie ist die »Quelle der Aktualität« oder »der Formen« (»fonte de la attualità«; »fonte de le forme«). Siehe dazu Leinkauf in: Einleitung (2007), insbesondere S. lxxiii– xci [= BW III]. 297  Causa, dialogo 5, in: BW III, S. 234. 176  |  Anmerkungen

  Hervorhebung von MMG.   Thomas von Aquin: Der Prolog des Johannes-Evangeliums / Super evangelium S. Joannis lectura (caput I, lectio I–XI). Übersetzung, Einführung und Erläuterung von Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1986, S. 75. – Original: »Dicit ergo quod lux, idest Verbum Dei incarnatum, in tenebris lucet, idest hominibus mundi, erroris et ignorantiae tenebris obscuratis.« (Ebd. – Hervor­ hebung von MMG) – Thomas bietet darüber hinaus noch weitere Lesarten der zitierten Stelle, die jedoch für unsere Überlegungen nicht von Belang sind. 300  Siehe oben S. 54 ff. 301  Causa, dialogo 3, in: BW III, S. 171 (S. 170: »esplicato, disperso e moltiplicato«). 302  Dadurch unterscheidet sich die Epoche der Renaissance von der sog. Moderne, gar Postmoderne, die nur mehr Pluralität als Vielfalt des Verschiedenen und Heterogenen präkonisiert. Siehe Wolfgang Welsch: Unsere post­ moderne Moderne, Weinheim 21988. 303  Der entsprechende Begriff in der russischen Originalsprache ist mir nicht zugänglich. Gleichwohl ist es nicht korrekt, mit Blick auf die Renaissance von ›Pluralismus‹ zu sprechen. Der Renaissance eignet Pluralität, Pluralismus hingegen eignet der Postmoderne. 304  So die treffenden Begriffe von Leonid M. Batkin: Die italienische Re­ naissance. Versuch einer Charakterisierung eines Kulturtyps, aus d. russ. Ms. von Irene Faix, Basel/Frankfurt a. M. 1981. Das Buch von Batkin ist gegenüber der eher einseitig ausgerichteten Studie von Michail M. Bachtin (Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1969 u. ö.) in der Forschung kaum erwähnt, wenngleich es ganz offensichtlich die Forschung insbesondere zum Dia­log in der Renaissance entscheidend in den letzten Jahrzehnten angeregt hat. Es lohnt, die Sätze, in denen von »‹Pluralismus‹ als schöpferischem Prinzip« die Rede ist, zu zitieren – sie finden sich in der Einleitung seines Buches, in dem ein großes Kapitel dem Dia­log gewidmet ist: »Heidnische Renaissance oder christliche, säkularisierte oder religiöse, rationale oder mystische, naturalistische oder symbolisch-phantastische, antikisierte oder überhaupt nicht auf die Klassik zurückführbare, zur Nachahmung neigende oder zum Neuen, unzugängliche oder aufgeschlossene, rhetorisch gekünstelte oder voller Lebendigkeit und Kraft, aristokratischesoterische oder sozial-aktive? Und so weiter. […] Jeder Standpunkt scheint schon oft widerlegt worden zu sein, aber jeder birgt vernünftige Gedanken in sich […].« Notwendig sei eine »hinreichend nüchterne logisch-theoretische Synthese, in der der ›Pluralismus‹ eine einheitliche Auslegung erfährt und nicht als eine empirische Gegebenheit, sondern als ein schöpferisches Prinzip dargestellt wird« (S. 41 f.). Freilich bleibt auch Batkin eine philosophischepistemologische Begründung schuldig. 298 299

Anmerkungen  |  177

  Das Universum ist insgesamt unendlich, doch nicht allumfassend unendlich, weil jeder Teil, den wir ihm entnehmen können, und jede der Welten, die es enthält, endlich ist. (Siehe dazu oben S. 26 ff. u. ö.) Um einen Pantheismus zu vermeiden, hat letztlich auch bei Bruno Gott bzw. das Göttliche einen anderen Status der Unendlichkeit als das Universum und die Einzelseienden. Doch die Differenz ist minimisiert. 306  So Hempfer: Probleme traditioneller Bestimmungen des Renaissance­ begriffs (1993), passim. 307  De dvplici copia verborum ac rerum commentarii dvo, ed. by Betty I. Knott, in: Opera omnia Desiderii Erasmi Roterdami recognita et adnota­ tione critica instrvcta notisqve illvstrata, ordinis primi tomvs sextvs (= I-6), Amsterdam/New York/Oxford/Tokyo 1988, I, viii (Im Folgenden zitiert: Erasmus: Copia verborum ac rerum mit Angabe des Buches und des Kapitels). 308  Zur Editionsgeschichte siehe die Einleitung von Betty I. Knott zur kritischen Ausgabe. Eine genaue inhaltliche Präsentation gibt Jacques Chomart: Grammaire et Rhétorique chez Erasme, I-II, Paris 1981, Bd. II, S. 711–761: »Chap. V: Le style et l’art d’écrire«. 309  Die Kapitel xi bis xxxii des ersten Teils (›copia verborum‹) sind ausdrücklich den unterschiedlichsten ›rationes variandi‹ gewidmet, den ›Empfehlungen zur Variation‹ aller wichtigen rhetorischen Figuren – wie der Metapher, der Katachrese, der Metalepse, der Synekdoche, der Hyperbole usf. 310  Wenngleich Erasmus auch hier – implizit – als christlicher Theologe spricht bzw. schreibt, ist es gleichwohl eines Hinweises wert, dass auch Bruno die Vielfalt der Einzeldinge von der Vielfältigkeit des Universums, der Natur ableitete. 311  Erasmus: Copia verborum ac rerum I, viii: »Gaudet ipsa natura vel in primis varietate, quae in tam immensa rerum turba nihil vsquam reliquit, quod non admirabili quodam varietatis artificio depinxerit. Et sicut oculi diuersarum aspectu rerum magis detinentur, ita semper animus circunspectat in quod se veluti nouum intendat. Cui si cuncta sui similia occurrant vndique, taedio protinus auertitur. Atque ita perit totus simul orationis fructus. Hoc igitur tantum malum facile vitabit, cui promptum erit sententiam eandem in plureis formas vertere quam Proteus ipse se transformasse dicitur.« – Freie Übersetzung: »Selbst die Natur erfreut sich ganz besonders an einer vielfältigen Abwechslung, derart dass sie trotz der unermeßlichen Menge an Dingen jedes einzelne mit höchster Kunst in seiner jeweiligen Besonderheit geschaffen hätte. Und wie die Augen eher gefesselt werden durch Abwechslung und Vielfalt der Erscheinungen, so hält auch der Geist Umschau nach Neuem. Wenn sich ihm alles überall gleich darbietet, stellt sich Langeweile ein. Und genauso geht jegliche Wirkung einer Rede verloren. Diesen er305

178  |  Anmerkungen

heblichen Nachteil meidet derjenige, der in der Lage ist, denselben Satz in verschiedenster Wendungen immer neu zu formulieren, so wie Proteus sich selbst in eine immer neue Gestalt verwandelt haben soll.« 312  Die Neuartigkeit des kleinen Werkes zeigt sich darin, dass es auf heftige Kritik stößt und zugleich eine ungemein große Verbreitung in den Jahrzehnten nach seiner erstmaligen Erscheinung gefunden hat. 313  Terence Cave hat zunächst in einem Aufsatz – Copia et Cornucopia (in: French Renaissance Studies. 1540–70, ed. by Peter Sharratt, Edinburgh 1976, S. 52–69) – auf die Bedeutung von Erasmus’ De copia verborum ac rerum für die Rhetoriklehre im Frankreich des 16. Jahrhunderts hingewiesen; in der vielbeachteten Monographie The Cornucopian Text. Problems of Writing in the French Renaissance (Oxford 1979) hat er sodann überzeugend dargelegt, dass Erasmus’ Handbuch und die literarischen Werke Ronsards, Mon­ taignes, Rabelais’ übereinstimmen in ihren ›Figuren der Fülle‹ (so der Untertitel der französischen Übersetzung von 1997: »Figures de l’abondance«). 314  Erasmus ist nicht der erste und keineswegs der einzige, der den Begriff der Copia für die Rhetorik fruchtbar gemacht hat. Hierzu verweise ich wiederum auf die beiden Studien von Cave, der antike und zeitgenössische Rhetoriken anführt, um die Besonderheit des erasmianischen Werkes herauszustellen (Copia et Cornucopia und The Cornucopian Text). 315  So die treffende Beobachtung von Cave: Copia et Cornucopia, S. 56 und The Cornucopian Text, S. 25 316  Erasmus: Copia verborum ac rerum I, xxxiii. 317  Erasmus: Copia verborum ac rerum I, xxxiv: semper dvm vivam, tvi meminero. 318  Cave geht auf diesen zentralen Aspekt in seinen beiden Arbeiten (Co­ pia et Cornucopia und The Cornucopian Text) nicht ein; philosophische bzw. theologische Begründungen finden sich nicht. Anders Jean-Claude Margolin, der in seinen Ausführungen zu De Copia berücksichtigt, dass Erasmus immer auch als Theologe schreibt: Jean-Claude Margolin: Erasme et le verbe. De la Rhétorique à l’Herméneutique, in: Erasme, l’Alsace, et son temps. Catalogue de l’exposition réalisée à la Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg: et Communications de Jean-Claude Margolin, Otto Herding, et Jean Lebeau au colloque organisé par l’Université de Strasbourg (20 novembre 1970), Strasbourg, Palais de l’Université, 1971 (= Publications de la société savante d’Alsace et des Régions de l’Est: collection Recherches et Documents, VIII), S. 87–110. 319  So – um es noch einmal aufzunehmen – die treffenden Wörter, mit denen Terence Cave das Phänomen der semantischen und strukturellen Fülle zur Vorstellung bringt. 320  Da gilt im übrigen für fast alle literaturwissenschaftlichen Arbeiten zu Werken der Renaissance – als Beispiel verweise ich auf die Beiträge in Anmerkungen  |  179

Wolf-Dieter Stempel / Karlheinz Stierle (Hgg.): Die Pluralität der Welten, München 1987. Der Beitrag von Ferdinand Fellmann: Giordano Bruno und die Anfänge des modernen Denkens, ebd. S. 449–488, bleibt auf Bruno konzentriert. 321  Siehe dazu oben S. 54 ff. 322  Siehe dazu oben S. 22 u. ö. 323  Minutiös elaborierte Konkordanzen der einzelnen Sammlungen und ihrer diversen Ausgaben gibt Michel Dassonville: Pour une interprétation nouvelle des Amours de Ronsard, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 28 (1966), S. 241–270. 324  Ronsard veränderte die einzelnen Sammlungen immer wieder, stellte um, ergänzte nach Prinzipien, deren minutiöse Beschreibung Auskunft geben könnten über die ihm eigene Poietik der Variation und Transformation. Die Edition letzter Hand aus dem Jahre 1584 – sie vereint alle bislang vorliegenden Sammlungen – kann nur insofern als definitiv erachtet werden, als der Tod des Autors ein Jahr später keine weiteren Veränderungen ermöglichte. 325  Eine Serie, Sonette 154–161, der ersten Ausgabe der Amours von 1552 analysiert und interpretiert eingängig Rainer Warning: Petrarkistische Dia­ logizität am Beispiel Ronsards, in: Wolf-Dieter Stempel / Karlheinz Stierle (Hgg.): Die Pluralität der Welten, München 1987, S. 327–358. 326  Einen guten Überblick über die differenten Liebeskonzeptionen gibt unter anderen Claude-Gilbert Dubois: Les conceptions de l’amour au seizi­ ème siècle: Introduction aux Amours de Ronsard, in: Eidôlon 39 (1992), S. 13– 46. – Warning: Petrarkistische Dia­logizität, stellt zu Recht mit Blick die französischsprachige Rezeption des Petrarkischen Vorbilds, insbesondere für Ronsards Liebeslyrik, von der »epochale[n] Signatur eines Polylogs gleichberechtigter Liebessprachen: römische Erotik, petrarkische Schmerz- und platonische Verzichtliebe, heimische Pastoraltradition […].« Ebd., S. 155 f. 327  Darauf weist zu Recht Warning: Petrarkistische Dia­logizität, passim. 328  Zitiert nach Pierre de Ronsard: Les Amours (1552–1584). Chronologie, introduction, notes et glossaire par Marc Bensimon et James L. Martin, Paris 1981, S. 114. 329  Marsilio Ficino: Über die Liebe oder Platons Gastmahl. Übersetzt von Karl Paul Hasse. Herausgegeben und eingeleitet von Paul Richard Blum. Lateinisch-Deutsch, Hamburg 1994, Oratio secunda – caput II (S. 38): »Divina vero hec speties in omnibus amorem, hoc est, sui desiderium procreavit. Quoniam si deus ad se rapit mundum mundusque rapitur, unus quidam continuus astractus est a deo incipiens, transiens in mundum, in deum denique desinens, qui quasi circulo quodam in idem unde manavit iterum remeat. […] Amor est circulus bonus a bono in bonum perpetuo revolutus.« (Übersetzung, ebd., S. 39: »Die göttliche Schönheit hat in allen Dingen die Liebe, 180  |  Anmerkungen

d. i. das Verlangen nach ihr selbst, erzeugt. Da eben Gott die Welt zu sich hinzieht und die Welt zu ihm hingezogen wird, so besteht eine dauernde Anziehung zwischen Gott und der Welt, welche von Gott ausgeht, auf die Welt sich überträgt und in Gott zum Abschluß kommt, demnach sozusagen im Kreislauf zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrt. […] Die Liebe ist ein guter Kreislauf, welcher sich unaufhörlich vom Guten zum Guten wendet.«) 330  Ronsard: Les Amours, S. 115. 331  Es ist nicht ohne Witz, dass die Metaphorik der »ersten warmen Strahlen« (»aux raiz du premier chault«) mit der sinnübertragenden Redensart »ne t’en chault« in Relation gebracht und in Reim gesetzt wird! 332  Siehe dazu Warning: Petrarkistische Dia­logizität, S. 342. 333  Zur intra- und innerzyklischen Serialisierung siehe Warning: Petrar­ kistische Dia­logizität [ebd.], S. 341 f. 334  Ronsard: Les Amours, S. 115. 335  Eig. die ›strahlenden‹ Augen. 336  Hier stimme ich Warning: Petrarkistische Dia­logizität, S. 343 nicht zu. 337  Die Dichtung Ronsards als »Spiel ohne Ethos« zu charakterisieren – so Warning: Petrarkistische Dia­logizität, S. 348 –, ist daher ein Fehlurteil. Auch der Verweis, dass das Sonett als Form die Einheit verbürgt, überzeugt kaum. 338  Die nachfolgenden Bemerkungen gehen zurück auf Vf.:Unendlichkeit. Eine Denk- und Anschauungsfigur der Neuzeit und Moderne, in: Heike C. Spickermann (Hg.): Weltliteratur interkulturell. Referenzen von Cusanus bis Bob. Dylan, Winter 2015, S. 22–24. 339  Friedrich Schlegel: Über das Studium der Griechischen Poesie 1795 – 1797, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (= KA), hg. von Ernst Behler u. a., I, Paderborn /München /Wien 1979, S. 288. 340  Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragmente, in: KA II, München/ Paderborn/Wien 1967, S. 182. 341  Ebd. – Vgl. dazu u. a. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 1986 (stw 592), S. 256: »Das romantische Fragment nimmt beide Funktionen auf: Anwartschaft auf unendliche Vollendung und Erinnerung an verlorene Totalität.« 342  So Ernst Behler in Friedrich Schlegel: Über das Studium der griechi­ schen Poesie 1795 – 1797. Mit einer Einleitung hg. von Ernst Behler, Paderborn u. a. 1982 (= utb 1055), S. 35 u. ö. 343  So Manfred Frank: Die unendliche Fahrt. Die Geschichte des Fliegen­ den Holländers und verwandte Motive, Leipzig 1995, S. 201 ff. 344  F. W. J. Schelling: Texte zur Philosophie der Kunst, ausgewählt von Werner Beierwaltes, Stuttgart 1982, S. 121. 345  Ebd., S. 150. 346  Ebd., S. 152. Anmerkungen  |  181

  Dass die ästhetische Revolution ihre Voraussetzung in einer philosophischen Revolution hat, bemerkt neben anderen Novalis: »Die Philosophie macht alles los – relativirt das Universum – Sie hebt wie das Copernikanische System die festen Punkte auf – und macht aus dem Ruhenden ein Schwebendes.« [ In: NS III, 378, Nr. 622.] Allerdings verkennt die Universalisierung der kopernikanischen Revolution – seinerzeit und heute gleichermaßen – die Bedeutung der Kosmologie Giordano Brunos. 348  Schlegel: KA II, S. 183. 349  Der nachfolgende Abschnitt zu Ernst Cassirer ist ein Auszug aus Vf.: Nicht Symbol, nicht Allegorie, sondern Bild: Anmerkungen zu einer philo­ sophisch begründeten Bildwissenschaft, in: Bernhard Huss /David Nelting (Hgg.): Schriftsinn und Epochalität. Zur historischen Prägnanz allegorischer und symbolischer Sinnstiftung, Heidelberg 2017, S. 321–341. 350  In: ECW 2–4, erstmals erschienen in den Jahren 1906, 1907 und 1920. (Die Schriften Cassirers werden mit der Abkürzung ECW und der jeweiligen Bandnummer zitiert nach: Ernst Cassirer: Gesammelte Werke [Hamburger Ausgabe], hg. von Brigit Recki, Hamburg 1998 ff.) 351  Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissen­ schaft I, in: ECW 2, S. 225–261. 352  Ebd., S. 225; S. 234; S. 245. – Im Jahr 1906, als der erste Band erschienen ist, stand die Forschung zu Giordano Bruno erst ganz am Anfang; um so bemerkenswerter sind viele richtige Einsichten insbesondere in die Kosmologie Brunos, wenngleich man Cassirers Urteil nicht in allen Punkten wird zustimmen können. Von Einwänden sehen wir daher ab, nicht zuletzt deswegen, weil ›Korrekturen‹ im einzelnen für unsere Fragestellung nicht von Belang sind. Und dennoch soll wenigstens das abschließende Urteil Cassirers über Brunos Naturphilosophie hier kurz zitiert werden: »Sosehr er danach ringt, der Natur selbständig und ohne fremde Vermittlung gegenüberzustehen, sowenig gelingt es ihm, wie der gesamten Naturphilosophie, die Magie von seinem Pfade zu entfernen. Weil ihr der freie Ausblick in ei ne mat hemat ische T heor ie der der Er fa h r u ng verwehrt ist, muß sich die Met hoden leh re Brunos in die dürren und unfruchtbaren Wege der Lullischen Gedächtniskunst verlieren und damit dem modernen Ideal der Erkenntnis, das sie selbst in allgemeinen Zügen vorgezeichnet hat, entsagen.« (Cassirer: Das Erkenntnisproblem I, in: ECW 2, 261) Die bedeutende, am Warburg Institut in London forschende und lehrende Fances A. Yates hat in den 1960er Jahren noch äußerst wirkmächtig die These von Bruno als Hermetiker und ›Magier‹ in der Nachfolge Llulls vertreten (Giordano Bruno and the Hermetic Tradition [1964] und The Art of Memory [1966]). Dass Bruno Raimundus Lullus verpflichtet ist, steht außer Frage; doch hat er ihn äußerst kreativ rezipiert, indem er ihn nicht nur für seinen »dynamischen Begriff des Seins« (Cassirer) fruchtbar gemacht hat, vielmehr für seinen am 347

182  |  Anmerkungen

Sein partizipierenden, zugleich das Seiende hervorbringenden und damit gleichermaßen dynamischen Bild- und Zeichenbegriff. Wir kommen weiter unten darauf zurück. 353  Cassirer: Das Erkenntnisproblem I, in: ECW 2, S. 234. – Näheres dazu siehe weiter unten. 354  Giordano Bruno: De l’infinito, universo et mondi – Über das Unend­ liche, das Universum und die Welten. Ital. – Deutsch. Übers., kommentiert und hg. von Angelika Bönker-Vallon, Hamburg 2007 (= BW IV), S. 50/52: »[…] l’infinito non può essere oggetto del senso […]. La verità come da un debile principio è da gli sensi in picciola parte […]. […] [è] Ne l’ogetto sensibile come in un specchio. Nella raggione per modo di argumentazione e discorso. Nell’intelletto per modo di principio, o di conclusione. Nella mente in propria e viva forma.« 355  Cassirer: Das Erkenntnisproblem I, in: ECW 2, S. 235. 356  Cassirer hat offenbar die gesamten lateinischen Schriften von Bruno sowie die italienischen Dia­loge zur Kenntnis genommen. Doch seine Lektüre war interessegeleitet, sodass er das bild- und zeichentheoretische Potential insbesondere in De imaginum, signorum et idearum compositione ad omnia inventionum, dispositionum et memoriae genera libri tres (1591) nicht erkannte. 357  Ernst Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renais­ sance [1927], in: ECW 14. 358  So der Titel des Kapitels in Individuum und Kosmos, in: ECW 14, S. 85–142. 359  Individuum und Kosmos, in: ECW 14, S. 86. Kursivierungen mit Ausnahme des Werktitels von MMG. 360  Außer dem 1923 erschienenen Aufsatz Der Begriff der symbolischen Form sind die beiden ersten Bände bzw. Teile der Philosophie der symboli­ schen Formen 1923 und 1925 erschienen. 361  So bereits in Der Begriff der symbolischen Form, in: ECW 16, S. 91. 362  Cassirer stellt Individuum und Kosmos eine Art Widmungsbrief an Warburg voran; in ihm heißt es unter anderem: »[…] ich hätte die Arbeit an dieser Schrift nicht durchführen können, hätte ich mich nicht beständig der Anregung und Förderung durch jene Arbeitsgemeinschaft zu erfreuen gehabt, die in Ihrer Bibliothek ihren geistigen Mittelpunkt besitzt.« Insbesondere verweist Cassirer auf den Aufbau und die geistige Struktur der Bibliothek und hebt »den Gedanken der methodischen Einheit und des methodischen Zusammenschlusses aller Gebiete und aller Richtungen der Geistesgeschichte« hervor, der sich in ihr verkörpere. ECW 14. S. ix. – Cassi­rer, Warburg, Panofsky und Bruno ist der erste Band der Cassirer Studies I-2008: Philosophy and Iconology gewidmet. Für unsere Frage von Belang ist eine Reihe von kurzen, eher referierenden Artikeln unter dem Anmerkungen  |  183

übergeordneten Titel: Warburg, Cassirer and Giordano Bruno »thinker through images« (ebd., S. 145–200); sie sind das Ergebnis eines »Seminars« am Dipartimento di Filosofia e Politica der Università degli Studi di Napoli L’Orientale (6–12–2006). Außerdem zu erwähnen ist Christopher D. Johnson: Memory, Metaphor, and Aby Warburg’s Atlas of Images, Ithaca, New York 2012, dort das 7. Kapitel: »Synderesis: The »Bruno-Reise«, S. 194–229. 363  Cassirer: Individuum und Kosmos, in: ECW 14, S. 88. 364  Siehe dazu noch einmal S. 34–37 und insbes. Anm. 77 des vorliegenden Essays. 365  Cassirer bemerkt in Individuum und Kosmos, in: ECW 14, S. 141 f.: »So trägt selbst bei dem Denker [sc. bei Bruno], den man als typischen Vertreter der ›naturalistischen‹ Tendenzen der Renaissance anzusehen pflegt, die Naturphilosophie und Kosmologie ein ausgesprochen ethisches Gepräge: Nur durch den hero­ischen Affekt, der sich in ihm selbst entzündet, wird der Mensch der Natur gewachsen und zur Anschauung ihrer Unendlichkeit und Unermeßlichkeit reif.« 366  Cassirer: Das Symbolproblem, in: ECW 17, S. 256. – Cassirer erklärt das Symbolische zu »einem systematischen Zentrum […], auf das alle Grunddisziplinen der Philosophie […] in gleicher Weise hinzielen«. (Ebd., S. 253.) 367  Ebd., S. 281. 368  Cassirer: Der Begriff der symbolischen Form, in: ECW 16, S. 79. 369  Ebd., S. 80. 370  Siehe dazu die deutliche Kritik Cassirers an einem »Bestreben […], von aller bloßen Bedeutung zum letzten ursprünglichen Sein, von allem bloß Repräsentativen und Symbolischen zur metaphysischen Grundgewißheit der reinen Intuition zurückzudringen […] an die Stelle der Worte die unmittelbare Anschauung, an die Stelle des sprachlich-diskursiven Denkens das reine, wortlose Schauen [zu] setzen« (Der Begriff der symbolischen Form, in: ECW 16, S. 102). 371  Ebd., S. 103 f. 372  Bruno verwendet den Begriff »oggetto« sowohl für das absolute Eine i. S. v. Ens, als auch für das, was nurmehr vermittelt erkannt werden kann: es ist letztlich ein und dasselbe. 373  Furori I  4 (129). 374  Schon Cassirer hat auf das ethische Potential insbesondere des Spac­ cio de la bestia trionfante hingewiesen (Individuum und Kosmos, in: ECW 14, S. 86). 375  Cassirer: Der Begriff der symbolischen Form, in: ECW 16, S. 81. 376  Ebd. – Insoweit stimmt Cassirer mit Bruno überein, wie aus dessen Bestimmung der species intelligibiles ersichtlich wird (freilich immer unter dem Vorbehalt der ontologischen Begründung): Die species intelligibiles sind die Begriffe, die sich der menschliche Intellekt vom Universum als dem 184  |  Anmerkungen

Spiegel des Einen macht, sie sind die mentalen Akte, deren Repräsentanten die signa und imagines, die Zeichen und Bilder sind. Die species intelligibiles haben als Schatten der Ideen sowohl teil am Universum, näherhin an dessen Weltintellekt, als sie ineins vom menschlichen Intellekt hervorgebracht werden. In dieser Interaktion von Rezeptivität und Spontaneität liegt die Neuerung der brunonischen Epistemologie. Cassirer hat dies offenbar nicht gesehen. In Der Begriff der symbolischen Form, in: ECW 16, S. 88) bemerkt er: »Aber sosehr man […] in der mittelalterlichen Philosophie bestrebt ist, zu einer Intellektualisierung und Sublimierung der Abbildtheorie vorzudringen, und sosehr insbesondere die Scholastik sich um die Unterscheidung der ›species intelligibilis‹ von der ›species sensiblis‹ bemühte – so lebte doch in dem abstrakten Begriff der ›Spezies‹ selbst die alte sinnliche Grundbedeutung des Bi ldes fort. Es bedurfte der neuen Denkform des modernen Idealismus, um den aristotelisch-scholastischen Speziesbegriff und die an ihn geknüpfte Erkenntnislehre endgültig zu überwinden.«

Anmerkungen  |  185

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