Gewinnabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach (AOA): Fremdvergleich in Gestalt des Authorised OECD Approach und Betriebsstättengewinnermittlung im In- und Ausland 9783504384296

Der AOA normiert für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (BS) eine uneingeschränkte Selbständigke

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German Pages 800 [747] Year 2020

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Gewinnabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach (AOA): Fremdvergleich in Gestalt des Authorised OECD Approach und Betriebsstättengewinnermittlung im In- und Ausland
 9783504384296

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Oestreicher/Schnitger/Wellens

Gewinnabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach (AOA)

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Gewinnabgrenzung nach dem Authorised OECD Approach (AOA) herausgegeben von

Prof. Dr. Andreas Oestreicher Steuerberater Abteilung für deutsche und internationale Besteuerung, Georg-August-Universität, Göttingen

Dr. Arne Schnitger, LL.M. Steuerberater/Certified Public Accountant, Berlin

Dr. Ludger Wellens Steuerberater, Düsseldorf

2020

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Autoren Jörg Bender Bundeszentralamt für Steuern, Bonn

Hans-Günter Mayr München

Philipp Borchert, M.Sc. Berlin

Dr. Florian Müller Steuerberater, Saarbrücken

Daniela Bült, B. A. Nordhorn

Prof. Dr. Andreas Oestreicher Steuerberater Abteilung für deutsche und internationale Besteuerung, Georg-August-Universität, Göttingen

Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität, München Kati Fiehler Steuerberaterin, Hamburg Hartmut Förster Bundeszentralamt für Steuern, Bonn Lisa Hillmann Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für deutsche und internationale Besteuerung, Georg-August-Universität, Göttingen Prof. Dr. Heinz Kußmaul Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Martin Renz Steuerberater, Stuttgart Daniel Retzer Steuerberater, Düsseldorf Sebastian Ringer München Dr. Arne Schnitger, LL.M. Steuerberater Certified Public Accountant, Berlin Daniel Sennewald Steuerberater, München Susann van der Ham Steuerberaterin, Düsseldorf Dr. Ludger Wellens Steuerberater, Düsseldorf

Zitierempfehlung: Verfasser(in) in Oestreicher/Schnitger/Wellens, AOA, Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-26106-1 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Die steuerliche Behandlung von Betriebsstätten international tätiger Unternehmen durchläuft turbulente Zeiten. War zunächst die Abgrenzung des Betriebsstättenbegriffs strittig, identifizierte die OECD im Rahmen ihrer BEPS-Initiative funktionsarme Produktionsstätten und formal unabhängige Vertreter als mögliche Ursache für Gewinnverlagerungen und die Aushöhlung der Bemessungsgrundlage. Zuletzt stand die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle im Zentrum der politischen Diskussion mit dem Ergebnis, dass nach den aktuellen Vorschlägen „Marktstaaten“ residuale Gewinnanteile auch ohne eine „physische“ Betriebsstätte steuerlich zugeordnet werden können. Die jüngsten Entwicklungen bedeuten nicht, dass die Frage nach der Besteuerung von Betriebsstätten an Bedeutung verloren hätte. Infolge des „Authorised OECD Approach“ (AOA) werden vielmehr für die Praxis neue Anwendungsfragen bezüglich der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeworfen. Diese speisen sich nicht zuletzt aus dem Konstruktionsprinzip des AOA, wonach Betriebsstätten als fiktiv selbständiger Unternehmensteil zu behandeln sind und eigenständige Geschäftsbeziehungen mit dem Stammhaus unterhalten können. Sie waren für uns Anlass, ein Handbuch zur Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten nach dem AOA herauszugeben. Das vorliegende Werk befasst sich mit den Empfehlungen der OECD und deren Umsetzung in nationales Recht, die sich durch zahlreiche, teilweise unbestimmte Rechtsbegriffe auszeichnen und bisher nicht abschließend diskutiert sind. Daneben wird der AOA aus Sicht der UN, des Unions- und des Verfassungsrechts betrachtet und auch der Tatsache Rechnung getragen, dass der AOA in den Mitgliedstaaten der OECD nicht in gleicher Weise umgesetzt wurde, was in einem beschreibenden Länderteil beleuchtet wird. Besonders komplex gestaltet sich auch die Anwendung des AOA bei Banken, Versicherungen, dem Anlagenbau und Förderbetriebsstätten. Diesen ist daher jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet, um den AOA unter Berücksichtigung industriespezifischer Eigenschaften darzustellen. Eine zentrale Besonderheit des vorliegenden Werkes ist der Kreis seiner Autoren. Er setzt sich zusammen aus Experten, die sich mit der Betriebsstättengewinnabgrenzung aus der Perspektive der Unternehmen, Finanzverwaltung, internationalen Organisationen, Wissenschaft und Steuerberatung befassen, wobei ein großer Teil der Autoren in der Steuerabteilung von PricewaterhouseCoopers arbeitet. Die Autoren haben die Kommentierung der jeweiligen Abschnitte entsprechend ihrer inhaltlichen Ausrichtung in der Praxis und ihrer persönlichen Interessen übernommen. Wir bedanken uns bei den mit dem Werk befassten Autoren, die ihre Beiträge neben der täglichen Arbeit geleistet haben, für ihre engagierte Mitarbeit. Ein besonderer Dank gilt daneben Philipp Borchert, der die Koordination der Autoren organisatorisch begleitete. Dem Verlag Dr. Otto Schmidt KG sowie namentlich Daniel Dahl soVII

Vorwort

wie Michael Kunze danken wir für die Aufnahme dieses Werks in das Verlagsprogramm, die organisatorische Betreuung und die stets gute Zusammenarbeit. Rechtsstand ist Februar 2020, wobei aktuelle Entwicklungen – etwa das neue Kapitel X der OECD-Leitlinien zu Finanztransaktionen – berücksichtigt wurden. Göttingen, Berlin und Düsseldorf

VIII

Andreas Oestreicher, Arne Schnitger und Ludger Wellens

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII XV XXIX

1. Teil Normativer Rahmen Rz. Seite

Kapitel 1 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Historische Entwicklung des AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Umsetzung des AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zielsetzung des AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Wertungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 1.1 1.21 1.25 1.29 1.33

1 2 9 11 12 14

Kapitel 2 Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte – AOA aus Sicht der OECD und Position der UN . A. Die Entwicklung des AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Reaktion der Vereinten Nationen (UN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ausblick und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 2.1 2.92 2.93

17 19 55 56

......... ......... ......... ......... .........

3.1 3.1 3.9 3.47 3.70

59 60 65 80 92

Kapitel 3 Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und Gewinnaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung D. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA . . . . . . . . . A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA . . . . . . .

4.1 97 4.1 98 4.15 112

Kapitel 5 AOA und der unionsrechtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . A. Bedeutung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.1 121 5.1 122 5.6 124

IX

Inhaltsübersicht Rz. Seite

C. Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.21 131 5.41 140

2. Teil Gewinnabgrenzung nach dem AOA im Einzelnen Kapitel 6 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Systematische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis zu anderen Normen . . . . . . . . . . . . . . . . D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG . . . E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 7 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung für in- und ausländische Betriebsstätten über die Hilfs- und Nebenrechnung, Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgütern, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfällen . A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gewinnermittlungskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der Betriebsstättengewinnaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zuordnung des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1 6.1 6.3 6.6 6.14 6.81

145 146 147 148 151 172

7.1 183 7.1 185 7.20 192 7.70 208 7.96 217 7.162 239

Kapitel 8 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und die Verrechnung der Finanzierungsfunktion . . . . . . . . . . . . A. Dotationskapital und übrige Passivposten . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen . . . . . . . . . . . . . . C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens . . . . . . . .

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8.1 8.1 8.59 8.76

249 251 277 286

Kapitel 9 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9.1 9.1 9.2 9.5

301 301 302 305

X

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Inhaltsübersicht Rz. Seite

Kapitel 10 Betriebsstätten im Spannungsfeld von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung – Unterschiede und Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Drohende Doppelbesteuerung bei Funktionsverlagerungen . . . . . .

10.8 329 10.48 344

Kapitel 11 Besonderheiten der Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Vertreterbetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . .

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11.1 11.1 11.5 11.12 11.22 11.27

347 347 349 351 357 359

Kapitel 12 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12.1 12.1 12.2 12.10

361 361 362 364

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10.1 325 10.1 326

3. Teil AOA und industriespezifische Eigenheiten Kapitel 13 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau A. Besonderheiten der Bau- und Montagebetriebsstätte . . . . . . . . . . . B. Sonderregelungen der BsGaV und der VWG BsGa für Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Abschließendes Beispiel zur Gewinnermittlung anhand der Funktions- und Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 14 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten A. Verhältnis zum allgemeinen Teil der BsGaV . . . . . . . . . . . . B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV) . . . . . . . . . C. Besondere Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Dotationskapital einer inländischen Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1 383 13.1 384 13.7 388 13.86 422

..... ..... .....

14.1 429 14.1 430 14.4 431

.....

14.31 437

. . . . . 14.118 459

XI

Inhaltsübersicht Rz. Seite

E. Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.147 467 F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV) . . . . . . . 14.171 472 Kapitel 15 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen . . . . . . A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten . B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten . . . . . . . . . C. Dotation ausländischer Versicherungsbetriebsstätten . . . . . . . . D. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten . . . . . . . . . . E. Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens . . . . . . . . . .

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15.1 15.1 15.28 15.47 15.60 15.68

479 480 492 500 504 507

Kapitel 16 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten A. Zielsetzung der Spezialregelungen zu Förderbetriebsstätten . . B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten .

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16.1 16.1 16.7 16.27

509 510 511 521

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4. Teil Anwendung des AOA in ausgewählten Ländern Kapitel 17 Afrika A. Ghana . . . . . . B. Simbabwe . . . C. Südafrika . . . .

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17.1 17.1 17.23 17.45

543 543 549 553

Kapitel 18 Asiatisch-pazifischer Raum A. Australien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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18.1 18.1 18.23 18.45 18.68

559 559 565 570 576

Kapitel 19 Europa A. Belgien . . . . . . . B. Finnland . . . . . C. Frankreich . . . . D. Italien . . . . . . . E. Niederlande . . . F. Polen . . . . . . . . G. Russland . . . . .

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. 19.1 583 . 19.1 584 . 19.23 591 . 19.43 596 . 19.67 603 . 19.89 608 . 19.112 614 . 19.134 619

XII

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H. I. J. K.

Spanien . . . . . . . . . . . . Schweden . . . . . . . . . . Schweiz . . . . . . . . . . . . Tschechische Republik .

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19.157 19.180 19.202 19.224

625 630 634 640

Kapitel 20 Mittlerer Osten A. Ägypten . . . . . . . . . . . . B. Katar . . . . . . . . . . . . . . C. Saudi-Arabien . . . . . . . . D. Türkei . . . . . . . . . . . . . .

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20.1 20.1 20.23 20.47 20.69

645 645 650 656 661

Kapitel 21 Nordamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.1 669 21.1 669 21.23 674

Kapitel 22 Südamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.1 681 22.1 681 22.23 686

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693

XIII

Abkürzungsverzeichnis a.A. AB abl. ABl. EG ABl. EU Abs. Abschn. abw. AcP a.E. AEAO AEUV a.F. AfA AG AhiRL aHZB AIG AktG AlkStG allg. Alt. a.M. amtl. Anh. Anm. AO AOA APA Art. asB AStG ATR AUD Aufl. ausf. ausl. AuslInvG AVR AWD AWG Az.

andere(r) Ansicht Ausführungsbestimmung(en) ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europäischen Union (ab Februar 2003) Absatz Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Absetzung für Abnutzung Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift) Amtshilfe-Richtlinie anzusetzender Hinzurechnungsbetrag Auslandsinvestitionsgesetz Aktiengesetz Alkoholsteuergesetz allgemein Alternative anderer Meinung amtlich Anhang Anmerkung Abgabenordnung Authorised OECD Approach Advanced Pricing Agreement(s) Artikel anzunehmende schuldrechtliche Beziehung(en) Außensteuergesetz Advance Tax Rulings Australian Dollar(s) Auflage ausführlich ausländisch Auslandsinvestmentgesetz Archiv für Völkerrecht (Zeitschrift) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Zeitschrift) Außenwirtschaftsgesetz Aktenzeichen XV

Abkürzungsverzeichnis

BaFin BAnz. BB Bd. BdF BDI Begr. Beih. BeitrRL Bem. BEPS BergPG bes. Beschl. bestr. betr. BewG BFH BFHE BFH/NV BFuP BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BIFD BilMoG BMF BMWi Bp BpO BPT BR BR-Drucks. BSG BsGaV Bsp. bspw. BStBl. BT BT-Drucks. BTR Buchst. XVI

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesanzeiger Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Bundesminister der Finanzen Bundesverband der Deutschen Industrie Begründung Beihefter Beitreibungsrichtlinie Bemerkung(en) Base Erosion and Profit Shifting Bergmannsprämiengesetz besonders Beschluss bestritten betreffend Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Entscheidungssammlung des BFH Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (Zeitschrift) Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Teil I oder II Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bulletin for International Fiscal Documentation Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Betriebsprüfung Betriebsprüfungsordnung Branch Profits Tax Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundessozialgericht Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt (Teil I oder II) Bundestag Drucksache(n) des Bundestags British Tax Review (Zeitschrift) Buchstabe

Abkürzungsverzeichnis

BVerfG BVerfGE BVerfGG BZSt bzw.

Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundeszentralamt für Steuern beziehungsweise

CAD CbCR CCCTB CCN CDFI CFC CGI CIR Corp COGS CSI CV CZK

Kanadischer Dollar Country-by-Country Report(ing) Common Consolidated Corporate Tax Base Common Communication Network Cahiers de Droit Fiscal International (Zeitschrift) Controlled Foreign Companies Général des impôts Code des impôts sur les revenus Corporation Cost of Goods Sold Common System Interface Commanditaire Vennootschap Tschechische Krone

DB DBA DBCFT DBW DDR DepotG DE-VG

Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Destination-Based Cash-flow Tax Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Deutsche Demokratische Republik Depotgesetz Deutsche Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen dergleichen das heißt Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Der Konzern (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument, Dokumentation Drucksache Deutsche Steuergewerkschaft Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (Tagungsbände) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift) deutsch Durchführungsverordnung

dgl. d.h. DIHT Diss. DK DNotZ Dok. Drucks. DStG DStJG DStR DStRE dt. DV (DVO)

XVII

Abkürzungsverzeichnis

E EBITDA EC EDV EFG e.G. EG EGAHiG EGAO EGBGB EGHGB EGKS EGP EGV Einf. Einl. einschl. EK EnergieStG EnergieStV Entsch. entspr. EP EPSA ErbSt ErbStG Erl. E/S ESt EStB EStDV EStG EStH EStR ET EU EUAHiG EUBeitrG EuGH EuR EU-SchU EUStBV EuStZ EuZW XVIII

(Gesetz-)Entwurf Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation Tax Review European Communities Tax Review (Zeitschrift) Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungssammlung der Finanzgerichte (Zeitschrift) eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft EG-Amtshilfegesetz Einführungsgesetz zur Abgabenordung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Ägyptisches Pfund Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam Einführung Einleitung einschließlich (verwendbares) Eigenkapital Energiesteuergesetz Verordnung zur Durchführung des Energiesteuergesetzes Entscheidung entsprechend Europäisches Parlament Exploration and Production Sharing Agreement Erbschaftsteuer Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz Erlass Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz Einkommensteuer Einkommensteuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Hinweise Einkommensteuer-Richtlinien European Taxation (Zeitschrift) Europäische Union EU-Amtshilfegesetz EU-Beitreibungsgesetz Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) Europäisches Schiedsübereinkommen (Schiedsverfahrenskonvention) Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung Europäische Steuerzeitung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

e.V. evtl. EWG EWGV EWIV EWR EWRA EWS

eingetragener Verein eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift)

f. FA FAC FATCA F/D F&E ff. F/G FG FGO Fifo Fin.Arch. FinMin. FinSen. FinVerw. FKAustG Fn. FN-IdW FR F&R FRL FS FSEA FVerlV FVG F/W/B/S

folgende (eine Seite) Finanzamt Final Acceptance Certificate Foreign Tax Account Compliance Act Frotscher/Drüen, KStG-Kommentar Forschung und Entwicklung fortfolgende (mehrere Seiten) Frotscher/Geurts, EStG-Kommentar Finanzgericht; Festgabe Finanzgerichtsordnung First in – first out Finanzarchiv (Zeitschrift) Finanzministerium Finanzsenator Finanzverwaltung Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz Fußnote Fachnachrichten des Instituts der Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Funktion und Risiko Fusions-Richtlinie Festschrift Functionally Separate Entity Approach Funktionsverlagerungsverordnung Gesetz über die Finanzverwaltung Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht Kommentar Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland – Schweiz Kommentar

F/W/K G GA GATS GATT GAufzV GbR gem.

Gesetz Generalanwalt General Agreement on Trade and Services General Agreement on Tarifs and Trade Gewinnaufzeichnungsverordnung Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes gemäß XIX

Abkürzungsverzeichnis

GenG GewArch. GewStDV GewStG GewStR GG ggf. GHS GKG G/K/G/K GKKB gl.A. GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GoB GoS Gr. GRCh GrEStG GrS GS GS GuV GVG GWR H Halbs. HB Hdb. Hess. HFA HFA des IdW HFR HGB H/H/R H/H/Sp. Hifo h.L. H/M h.M. XX

Genossenschaftsgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Ghana Cedi Gerichtskostengesetz Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA Kommentar Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betr. die GmbH GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung Grundsätze ordnungsmäßiger Speicherbuchführung Gruppe Charta der Grundrechte der EU Grunderwerbsteuergesetz Großer Senat Gesetzessammlung Gedächtnisschrift Gewinn- und Verlustrechnung Gerichtsverfassungsgesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Hinweis(e) Halbsatz Handelsbilanz Handbuch Hessen/Hessisch Hauptfachausschuss Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (Zeitschrift) Handelsgesetzbuch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung Highest in – first out herrschende Lehre Haritz/Menner, Umwandlungsteuergesetz herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis

Hrsg. HZB

Herausgeber, herausgegeben Hinzurechnungsbetrag

i.A. IAS IBFD i.d.F. i.d.R. i.d.S. IdW i.E. i.e.S. IFA IFRS IGH i.H.v. Inc. INF InfAustAbk inl. insb. InsO Inst.FuSt intern. Intertax InvG InvStG InvZulG IPO IRC IRG IRS i.S. ISR IStR ITA ITJ ITPJ i.V.m. IWB IWG i.w.S.

im Allgemeinen International Accounting Standard International Bureau of Fiscal Documentation in der Fassung in der Regel in dem Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer im Einzelnen im engeren Sinne International Fiscal Association International Financial Reporting Standard Internationaler Gerichtshof in Höhe von Incorporated Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Zeitschrift) Informationsaustauschabkommen inländisch insbesondere Insolvenzordnung Institut „Finanzen und Steuern“ international International Tax Review (Zeitschrift) Investmentgesetz Investmentsteuergesetz Investitionszulagengesetz Initial Public Offering Internal Revenue Code Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internal Revenue Service im Sinne Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Income Tax Act The international Tax Journal (Zeitschrift) International Transfer Pricing Journal (Zeitschrift) in Verbindung mit Internationale Wirtschafts-Briefe immaterielles Wirtschaftsgut bzw. immaterielle Wirtschaftsgüter im weiteren Sinne

Jb. JbFStR

Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht XXI

Abkürzungsverzeichnis

JBl. Jg. JStG JuS

Juristische Blätter (Zeitschrift) Jahrgang Jahressteuergesetz Juristische Schulung (Zeitschrift)

KAG Kap. KapErhStG K/E KERT KFR KF-VO KfW Kfz. KG KGaA Kj. KÖSDI KraftStG krit. K/S/M KSt KStDV KStG KStR KWG

Kommunalabgabengesetz Kapitel Gesetz über steuerrechtliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuergesetz, Kommentar Key Entrepreneurial Risk Taking Functions Kommentierte Finanzrechtsprechung Kleinsendungs-Einfuhrfreimengen-Verordnung Kreditanstalt für Wiederaufbau Kraftfahrzeug Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kalenderjahr Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Kraftfahrzeugsteuergesetz kritisch Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz Körperschaftsteuer Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Gesetz über das Kreditwesen

LB LG Lifo li.Sp. lit. LLC LLLP LLP LoB LP L/S LStDV lt. Ltd. LuF

Lehrbuch Landgericht Last in – first out linke Spalte Buchstabe Limited Liability Company Limited Liability Limited Partnership Limited Liability Partnership Limitation of Benefit Limited Partnership Lenski/Steinberg, GewStG-Kommentar Lohnsteuer-Durchführungsverordnung laut Private Company Limited by Shares, Limited Land- und Forstwirtschaft

m. Anm. MA

mit Anmerkung(en) Musterabkommen

XXII

Abkürzungsverzeichnis

m.a.W. MCCA

m.R. MRK MTR MüKo m.w.N. MwSt MwStSystRL MwSt-ZVO MZK

mit anderen Worten Multilateral Competent Authority Agreement on the Exchange of Country-by-Country Reports Multilateral Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) MwSt-Informations-Austausch-System Mineralölsteuergesetz Million(en) Management Information Systems Quarterly (Zeitschrift) Multilaterales Instrument Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen mit Recht Menschenrechtskonvention Mutter-Tochter-Richtlinie Münchner Kommentar mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer Mehrwertsteuersystemrichtlinie Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Modernisierter Zollkodex

Nds. n.F. NJW NL Nr. nrkr. NRW NV NW NWB NZG

Niedersachsen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Niederlande Nummer nichtrechtskräftig Nordrhein-Westfalen Namenloze Vennootschap (Niederlande) Nordrhein-Westfalen Neue Wirtschafts-Briefe Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

o.Ä. OECD OECD-MA

oder Ähnliches Organisation for Economic Co-operation and Development OECD-Musterabkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen OECD-Musterkommentar Transfer Pricing Guidelines der OECD Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Vorgängerorganisation der OECD) Original Equipment Manufacturer

MCMAA MDR MIAS MinöStG Mio. MIS Q. MLI MoMiG MoRaKG

OECD-MK OECD-TPG OEEC OEM

XXIII

Abkürzungsverzeichnis

OFD OFH o.g. OHG OLG OR-Geschäfte ÖStZ OVG OVGE OWiG

Oberfinanzdirektion(en) Oberster Finanzgerichtshof oben genannt offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Geschäfte ohne Rechnung Österreichische Steuerzeitung Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Ordnungswidrigkeitengesetz

p.a. PAC PartGG PIStB Pkw plc Prot. PSA PSC

per annum Provisional Acceptance Certificate Partnerschaftsgesellschaftsgesetz Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) Personenkraftwagen Public Limited Company Protokoll Production Sharing Agreement Production Sharing Contract

QR

Katar-Riyal

R RabelsZ

Richtlinie Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Zeitschrift) Reichsabgabenordnung Rechnungsabgrenzungsposten Relevant Business Activity Approach Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz Rechtsverordnung Referentenentwurf Regierungsbegründung Real Estate Investment Trust rechte Spalte Revision Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgesetzblatt Rödder/Herlinghaus/Neumann, Körperschaftsteuergesetz Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, Umwandlungssteuergesetz Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz rechtskräftig Richtlinie Rechtssache

RAO RAP RBAA R/D RechtsVO RefE Reg.-Begr. REIT re.Sp. Rev. RFH RFHE RGBl. R/H/N R/H/vL RIW R/K/L rkr. RL Rs. XXIV

Abkürzungsverzeichnis

Rspr. RStBl. RUB RWP Rz.

Rechtsprechung Reichssteuerblatt Russischer Rubel Rechts- und Wirtschafts-Praxis (Zeitschrift) Randzahl(en)

s. S. S.A. SAR Sàrl SC SCA SCE SCE-VO Schl.-Holst. Schr. S-Corp S/D SE sec. SEED SEStEG

siehe Seite Société anonyme; Sociéta a accomandita Saudi-Riyal Société à responsabilité limitée Sociedad en comandita Société en Commandite par Actions Societas Cooperativa Europaea, Europäische Genossenschaft Verordnung über das Statut der Europäischen Genossenschaft Schleswig-Holstein Schreiben Subchapter S Corporation Schönfeld/Ditz, DBA-Kommentar Societas Europaea, Europäische Aktiengesellschaft, Europa-AG section System for Exchange of Excise Data Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Schweizer Franken Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Société d’investissement à capital fixe Société d’investissement en capital à risque Société d’investissement à capital variable Strunk/Kaminski/Köhler, AStG und OECD-MA Société en nom collectif siehe oben so genannt Solidaritätszuschlagsgesetz Spalte Schlussprotokoll Societa per Azioni Significant People Function Sociedad regular colecitva ständig Steuer Der Schweizer Treuhänder (Zeitschrift) Steueränderungsgesetz

SE-VO sfr. SGB SGG SICAF SICAR-Status SICAV S/K/K SNC s.o. sog. SolZG Sp. SP SpA SPF SrC st. St ST StÄndG

XXV

Abkürzungsverzeichnis

StandOG StAnpG StB Stbg StbJb SteuerHBekG SteuerHBekV StEUVUmsG StGB StJ StPO StQ str. StR StRev. StromStG stv. StVergAbG s.u. SWI TIEA T/K TNI TNMM TPIR Tz. u. u.a. u.Ä. u.a.m. Übers. Ubg udgl. UmwG UmwR UmwStG UN UN-MA

XXVI

Standortsicherungsgesetz Steueranpassungsgesetz Der Steuerberater (Zeitschrift) Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz Steuerhinterziehungsbekämpfungs-Verordnung Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften Strafgesetzbuch Steuerjournal (Zeitschrift) Strafprozessordnung Quintessenz des Steuerrechts (Zeitschrift) strittig Steuerrecht Steuer-Revue (Zeitschrift) Stromsteuergesetz stellvertretend Steuervergünstigungsabbaugesetz siehe unten Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift) Tax Information Exchange Agreement (Informationsaustauschabkommen) Tipke/Kruse, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung Kommentar Tax Notes International (Zeitschrift) Transactional Net Margin Method Tax Planning International Review (Zeitschrift) Textzahl/en) und und andere, unter anderem und Ähnliches und andere(s) mehr Übersicht Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) und dergleichen Umwandlungsgesetz Umwandlungsrecht Umwandlungssteuergesetz United Nations Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development) zur Vermeidung von Doppelbesteuerung

Abkürzungsverzeichnis

UN-MK

UR Urt. üU USA USt UStDV UStG USt-IdNr. UStR usw. u.U. UWG UZK

Musterkommentar der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development) zur Vermeidung von Doppelbesteuerung Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Urteil übriges Unternehmen Vereinigte Staaten von Amerika Umsatzsteuer Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Umsatzsteuer-Richtlinien und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Unionszollkodex

v. VAG VAT V/B/E v.E. VerbrStSystRL VerbrSt-ZVO VersStG Vfg. VG vGA VGH vgl. v.H. V/L VO Vol. Vorb. VSt VStDV VStG VStSystRL VVaG VWG BsGa VwGO VwVfG VwZG

vom, von Versicherungsaufsichtsgesetz Value added Tax Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise verdeckte Einlage Verbrauchsteuersystemrichtlinie Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung Versicherungsteuergesetz Verfügung Verwaltungsgericht verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen Verordnung Volume Vorbemerkung Vermögensteuer Vermögensteuer-Durchführungsverordnung Vermögensteuergesetz Verbrauchsteuersystem-Richtlinie Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungszustellungsgesetz

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

W/A/D W/B WEG wistra Wj. WKBG WM W/M WPg W/R/S WTO WTOÜ WÜD WÜK WÜRV WVK

ZaöRV z.B. ZBstA ZG ZGR ZHR Ziff. ZiLiRL ZIP ZiRL zit. ZIV ZK ZPO z.T. zutr. ZVglRWiss

XXVIII

Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen Wohnungseigentumsgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaftsjahr Gesetz zur Förderung von Wagniskapitalbeteiligungen Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht Welthandelsorganisation WTO-Übereinkommen Wiener Übereinkommen für Diplomaten Wiener Übereinkommen für Konsuln Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen und zwischen internationalen Organisationen Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zinsbesteuerungsabkommen Zollgesetz Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zins- und Lizenz-Richtlinie Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zinsrichtlinie zitiert, Zitat Zinsinformationsverordnung Zollkodex Zivilprozessordnung zum Teil zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft einschließlich des Rechts der Entwicklungsländer und der ethnologischen Rechtsforschung

Literaturverzeichnis Andresen, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht, in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch: Gewinnermittlung und Besteuerung in- und ausländischer Betriebsstätten, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 5.1 ff. (zit.: Verfasser in W/A/D); Andresen, Banken: Einkünfteabgrenzung für das Einlagengeschäft inländischer Betriebsstätten unter Berücksichtigung des AOA (Authorised OECD Approaches), ISR 2013, 320; Andresen/Kiesel, Weiße Einkünfte begründen keinen Tatbestand der Steuerordnungswidrigkeit, DStR 2011, 745; Andresen/Tenberge in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl., Köln 2018, Rz. 11.1 ff. (zit. Verfasser in W/A/D); Auerbach/Devereux, Cash Flow Taxes in an International Setting, American Economic Journal: Economic Policy 2018, 10(3), 69; Avi-Yonah/Clausing/Durst, Allocating Business Profits for Tax Purposes: A Proposal to Adopt a Formulary Profit Split, Florida Tax Review 2009, 9(5), 497; Baranowski, Besteuerung von Auslandsbeziehungen, 2. Aufl., Herne/Berlin 1996; Bärsch, Bestimmung fremdüblicher Darlehenszinsen bei Finanzierungsgesellschaften, IStR 2017, 622–633; Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, DStR 2008, 1945; Becker/Englisch, Taxing Where Value is Created: What’s „User Involvement“ Got to Do With It?, Intertax 2019, 47(2), 161; Becker/Englisch, EU Digital Services Tax: A Populist and Flawed Proposal, Kluwer Law International Tax Blog, EU/EEA, Tax Policy, vom 16.3.2018, abrufbar unter http://kluwertaxblog.com/2018/03/16/eu-digital-services-tax-populist-flawed-pro posal/; Bendlinger, Die „neue“ Vetreterbetriebsstätte – Leitlinien der OECD zur Gewinnzuteilung an den abhängigen Vertreter, IStR 2016, 914; Bendlinger, Hilfsbetriebsstätten in BEPS-Action 7, SWI 2016, 188 (196); Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts, 3. Aufl., Wien 2016; Bendlinger, Internationale Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff, SWI 2011, 251; Bendlinger, Paradigmenwechsel bei der Auslegung des Betriebsstättenbegriffs im DBA-Recht durch die OECD, SWI 2006, 358; Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, Neue Tendenzen der OECD zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und deren Beurteilung aus Sicht des Maschinen- und Anlagenbaus, IStR 2004, 145;

XXIX

Literaturverzeichnis

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XXX

Literaturverzeichnis

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XLIII

1. Teil Normativer Rahmen Kapitel 1 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung A. Einleitung I. Bedeutung von Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht . . . . . . 1.1 II. Besteuerungsprinzipien der Betriebsstätte in persönlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7

B. Historische Entwicklung des AOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.21 C. Umsetzung des AOA . . . . . . . . . . . . 1.25 D. Zielsetzung des AOA . . . . . . . . . . . . 1.29 E. Wertungsvorgaben . . . . . . . . . . . . . 1.33

III. Methoden der Gewinnabgrenzung 1.17 Literatur: Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 16. Auflage, 2013; Blumers, Betriebsstätten und Doppelbesteuerung, BB 2017, 1118; Blümich (Hrsg.), EStG, KStG, GewStG, Ertragsteuerliche Nebengesetze; Bott/Walter (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz; Ditz/Quilitzsch, Die Änderungen im internationalen Steuerrecht durch das Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz, DStR 2017, 281; Erle/Sauter (Hrsg.), Körperschaftsteuergesetz, Die Besteuerung der Kapitalgesellschaft und ihrer Anteilseigner, 3. Auflage, 2010; Esterer, Der Betriebsstättenbegriff im DBA und seine schleichende Auflösung, S. 137, in Festgabe Wassermeyer, Doppelbesteuerung – Zum 75. Geburtstag von Franz Wassermeyer, 75 Beiträge zum Recht der DBA, 2015; Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Außensteuerrecht; Frotscher/Drüen (Hrsg.), Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umwandlungssteuer; Gosch, Seminar D „Judges’ Seminar“: Abkommensrecht vor Gericht – Stichworte zu zehn gängigen Streitpunkten, IStR 2014, 698; Haas, Reformbedarf im deutschen internationalen Steuerrecht, IStR 2011, 353; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Herbort, Die Auswirkung des Authorized OECD Approach auf die Entstrickungsbesteuerung, FR 2013, 781; Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung – Deutsche Investitionen im Ausland, Ausländische Investitionen im Inland, 8. Auflage, 2016; Kaeser, Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtliche Probleme der Umsetzung des „Authorized OECD Approaches“ (AOA) ins deutsche Recht, S. 179, in Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Festschrift Endres, Besteuerung internationaler Unternehmen, 2016; Kahle/Willner, Hinzurechnungsbesteuerung und Gewerbesteuer, Ubg 2017, 21; Kraft/Dombrowski, Die Folgen der Einführung des AOA für den Steuerpflichtigen, IWB 2015, 87; Kroppen, Aufteilungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auf Basis von Personalfunktionen?, DB 2014, 2134; Lampert, Die dynamische Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Beachtung des Kommentars zum OECD-Musterabkommen, IStR 2012, 513; Lüdicke (Hrsg.), Forum der Internationalen Besteuerung, Besteuerung von Unternehmen im Wandel, Bd. 32, 2007; Neumann, Das Verhältnis von § 1 Abs. 5 AStG zu den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2013, 573; Nientimp/Schwarz/Stein, Einkünfteermittlung nach dem AOA – Plädoyer für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, IStR 2016, 487; Nolte, Die neue „Diverted Profits Tax“ – eine unilaterale britische Antwort auf BEPS, DStZ 2015, 364; Oppel, Die neue diverted profits tax in Großbritannien – Unilaterale Alternative

Schnitger 1

Kap. 1 Rz. 1.1 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung zu BEPS oder wahlkampfbedingter Schnellschuss?, IStR 2015, 333; Pinkernell/Ditz, Betriebsstättenbegriff, Einkünftequalifikation und Gewinnabgrenzung beim Online-Vertrieb elektronischer Produkte (Teil I), FR 2001, 1193; Pinkernell/Ditz, Betriebsstättenbegriff, Einkünftequalifikation und Gewinnabgrenzung beim Online-Vertrieb elektronischer Produkte (Teil II), FR 2001, 1271; Rasch/Wenzel, Die Entstrickungsbesteuerung in der BsGaV und ihre europarechtliche Würdigung, ISR 2015, 128; Reimer, Die Zukunft der Dienstleistungsbetriebstätte, IStR 2009, 378; Rieck, Anrechnung ausländischer Steuern und ATAD – Verpflichtet das EU-Recht zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer?, IStR 2017, 399; Schaumburg (Hrsg.), Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, 2017; Schnitger/Fehrenbacher (Hrsg.), Körperschaftsteuer, 2. Auflage, 2018; Schnitger, Änderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013, IStR 2012, 637; Schnitger, Der Entwurf des AHRL-ÄndUmsG, IStR 2016, 637; Skaar, Permanent Establishment: Erosion of a Tax Treaty Principle, 1991; Vogel/Lehner (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen, 6. Auflage, 2015; Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung: DBA.

A. Einleitung I. Bedeutung von Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht 1.1 Historische Entwicklung des Betriebsstättenbegriffs. Die Betriebsstätte hat im Steuerrecht eine lange Historie. So wurde der Begriff der Betriebsstätte erstmalig im preußischen Gesetz v. 27.7.1885 betreffend Ergänzung und Abänderung einiger Bestimmungen über Erhebung der auf das Einkommen gelegten direkten Kommunalabgaben i.R.d. innerstaatlichen Gesetzgebung und abkommensrechtlich in dem DBA zwischen der Habsburger Doppelmonarchie mit Preußen verwendet.1 Bis heute hat die Betriebsstätte ihre hervorgehobene Bedeutung im Internationalen Steuerrecht trotz neuerer technischer Entwicklungen behalten. Betriebsstätten sind zunächst eine häufig anzutreffende Organisationsform z.B. bei Banken, aber auch als erste Form der Niederlassung eines Unternehmens in einem anderen Staat.2 Dabei wird mit der Betriebsstätte die greifbare Anknüpfung an physische Gegenstände in Form der festen Geschäftseinrichtung verstanden, an der eine Verfügungsmacht besteht (zum Betriebsstättenbegriff weiterführend unter Rz. 1.3 ff.). 1.2 Betriebsstätte als Merkmal zur Bestimmung einer hinreichenden Verfestigung im Quellenstaat. Weiterhin wird durch die Betriebsstätte im internationalen Kontext seit jeher3 der erforderliche Grad der wirtschaftlichen Verflechtung eines Unternehmens mit einem anderen Staat begründet, damit dieser ausländische Unternehmen einem Besteuerungsanspruch unterwerfen kann. So war etwa nach früherem preußischen Steuerrecht die Steuerpflicht von Ausländern daran geknüpft, dass diese „im Inland gewerbliche oder Handels-Anlagen besitzen oder Teilnehmer an solchen 1 Nachweise bei Reimer, IStR 2009, 378 f. 2 Vgl. z.B. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 299 ff.; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.163 ff.; Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht16, 416. 3 Überblick bei Skaar, Permanent Establishment: Erosion of a Tax Treaty Principle, 1991, S. 71 ff.; sowie Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 4.

2 Schnitger

A. Einleitung

Rz. 1.4 Kap. 1

sind.“1 Anders formuliert reichen nur lose Beziehungen eines Unternehmens zu einem ausländischen Staat nicht aus, damit nach international anerkannten abkommensrechtlichen Besteuerungsgrundsätzen eine Legitimation für eine Besteuerung im Quellenstaat entsteht.2 Nach den in Art. 7 OECD-MA niedergelegten Grundsätzen kann nämlich neben dem Ansässigkeitsstaat eines Unternehmens regelmäßig nur der Betriebsstättenstaat hinsichtlich der auf seinem Hoheitsgebiet erzielten Einkünfte abkommensrechtlich einen Besteuerungsanspruch erheben („Betriebsstättenprinzip“). Umgekehrt verpflichtet sich der Ansässigkeitsstaat des Unternehmens, die Vermeidung der Doppelbesteuerung zu vollziehen. Die Betriebsstätte ist damit der zentrale Anknüpfungspunkt, um eine Verteilung der Besteuerungsrechte zu vollziehen (zu den Besteuerungsprinzipien vgl. auch sogleich unter Rz. 1.7 ff.). Abkommensrechtliche und innerstaatliche Betriebsstättendefinition. Eine Be- 1.3 triebsstätte ist ein rechtlich unselbständiger Betriebsteil eines Unternehmens. Die Definition der Betriebsstätte nach innerstaatlichem Recht findet sich in § 12 AO. Abkommensrechtlich ist die Betriebsstättendefinition in Art. 5 OECD-MA enthalten.3 Damit ein Betriebsstättenstaat Einkünfte erfassen darf, ist es regelmäßig erforderlich, dass sowohl eine Betriebsstätte nach nationalem Recht als auch nach Abkommensrecht vorliegt. Betriebsstättenbegriff im Wandel unter Beachtung der Digitalisierung. Inwieweit 1.4 die Betriebsstätte heute noch als zentraler Maßstab für die Aufteilung von Unternehmensgewinnen herangezogen werden kann, wird insbesondere in jüngster Zeit verstärkt diskutiert. Ebenso wie die Besteuerung von Unternehmen im Bereich des E-Commerce Ausgangspunkt für die Diskussion um die Einführung des AOA war (s. hierzu Rz. 1.23), waren diese Unternehmen Auslöser für eine Debatte, inwieweit der althergebrachte Begriff der Betriebsstätte in einer digitalen Welt noch ausreicht, um eine „gerechte“ Besteuerung zu gewährleisten.4 Ansätze zur Entwicklung alternativer Besteuerungskonzepte wurden dementsprechend auf Ebene der OECD i.R. des BEPS-Projekts sowie auf Ebene der EU (s. hierzu Rz. 3.23 ff. und 3.56 ff.) diskutiert, ohne dass jedoch ein Konsens über alternative Maßstäbe zur Verteilung der Ertragsteuern gefunden werden konnte.5 Auch die Bemühungen der OECD bzw. des Inclusive Framework, neue Prinzipien zur Verteilung von Gewinnen für multinational agierende Unternehmen anhand formelhafter Verteilung zu entwickeln, um so die Besteuerung eines Teils der Wertschöpfung in Marktstaaten trotz fehlender Betriebsstätte zu erlauben (sog. „Pillar One“, s. hierzu Rz. 3.68 f.)6, entwertet nicht die Fortgeltung der abkommensrechtlichen Verteilungsnorm des Art. 7 OECD-MA. Denn 1 Vgl. preußisches Gesetz v. 1.5.1851, GS 1851 (Nr. 12), 193; zudem Reimer, IStR 2009, 378 f. 2 Vgl. Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 2. 3 Weiterführend zur Definition der Betriebsstätte vgl. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 308 ff.; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECDMA Rz. 1 ff.; Esterer in Festgabe Wassermeyer, 2015, S. 137 ff. 4 Vgl. Pinkernell/Ditz, FR 2001, 1193 ff. u. 1271 ff. 5 Vgl. OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1, 2015 Final Report sowie OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Interim Report 2018. 6 Vgl. OECD, Secretary Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One, 2019.

Schnitger 3

Kap. 1 Rz. 1.4 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

Ausgangsgröße für die Neuverteilung der Besteuerungsrechte bleibt die Gewinnverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Dementsprechend behält die Betriebsstättenbesteuerung auch in der Zukunft ihre bisherige zentrale Bedeutung, könnte jedoch insbesondere für die digitale Wirtschaft in der EU u.U. eine Erweiterung erfahren.1

1.5 Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und Besteuerungszugriffs des Quellenstaats. Tatsächlich dürfte in praktischer Hinsicht die Zahl der Fälle, in denen man sich in der Praxis mit der Betriebsstättenbesteuerung auseinandersetzen muss, zunehmen. Denn der Betriebsstättenbegriff kann durch die jüngsten Entwicklungen eine Erweiterung erfahren, wie etwa durch die vorgeschlagenen Änderungen für Vertreterbetriebsstätten, welche die Schwelle für die abkommensrechtlich zulässige Annahme für eine Betriebsstätte senken, eine Entwicklung, die von Deutschland allerdings nicht verfolgt wird.2 Damit wird einerseits dem Ansinnen nach einer Justierung der Verteilung der Besteuerungsrechte nachgekommen, um den Quellenstaaten einen als politisch gerechtfertigten stärkeren Zugriff auf Besteuerungssubstrat auch im Rahmen des tradierten Betriebsstättenprinzips zu erlauben. Andererseits gibt diese Ausweitung Anlass zur Sorge, da hierdurch Qualifikationskonflikte hinsichtlich des Bestehens von Betriebsstätten und eine Doppelbesteuerung (wenn der Stammhausstaat eben keine Betriebsstätte annimmt) zu entstehen drohen.3 1.6 Diverted profit tax. In Folge der Digitalisierung lassen sich trotz der Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und der Diskussion um die Einführung zwischen den OECD- bzw. EU-Staaten abgestimmter Ansätze zur Besteuerung digitaler Unternehmen (vgl. Rz. 1.4) auch nationale Alleingänge zur Sicherung nationalen Steuersubstrats kennzeichnen. So führten Großbritannien4 und Australien5 eine sog. „Diverted profit tax“ ein, welche sich dadurch auszeichnet, dass insbesondere digitale Geschäftsmodelle, welche zwar im Hoheitsgebiet Umsätze erzielen, jedoch nicht den i.R. der Betriebsstätte eigentlich erforderlichen physischen Anknüpfungspunkt bieten, gleichwohl der Besteuerung unterliegen. Inwieweit derartige Konzepte neuer „Steuern sui generis“ mit den DBA (welche eine Erhebung direkter Steuern ohne die Begründung einer Betriebsstätte in Folge des Art. 7 OECD-MA verbieten) sowie unionsrechtlichen Vorgaben (welche die Einführung einer neuen indirekten Steuer verbieten) im Einklang stehen, ist zweifelhaft.6 Die Erhebung einer einheitlichen „equalization tax“ innerhalb der EU hat ebenso noch keine ausreichende politische 1 Vgl. Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission v. 21.3.2018 zur Einführung einer signifikanten digitalen Präsenz, COM (2018) 147 final, 2018/0072 (CNS). 2 Vgl. Art. 12 der „Multilateral Convention to implement Tax Treaty related Measures to prevent Base Erosion and Profit Shifting“ v. 24.11.2016 sowie Art. 5 Abs. 5 und 6 OECDMA i.d.F. des Updates 2017. Deutschland hat zur Neufassung der Abs. 5 und 6 des Art. 5 OECD-MA jedoch Vorbehalte in den OECD-MK aufgenommen (vgl. Art. 5 Rz. 213 u. 215 OECD-MK 2017) und wendet Abs. 5 und 6 in der bisherigen Fassung weiter an. 3 Vgl. Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 3; Haas, IStR 2011, 353 (361). 4 Vgl. Finance Act 2015, Chapter 11, Part 3. 5 Vgl. Diverted Profits Tax Act 2017, No. 21, 2017. 6 Z.B. Oppel, IStR 2015, 333 ff.; Nolte, DStZ 2015, 364 ff.

4 Schnitger

A. Einleitung

Rz. 1.9 Kap. 1

Unterstützung gefunden.1 Deshalb drohen weitere nationale Regelungen, wie z.B. die vollzogene Einführung einer Digitalsteuer in Frankreich.

II. Besteuerungsprinzipien der Betriebsstätte in persönlicher Hinsicht Steuersubjekt. Auch beim Vorliegen einer Betriebsstätte ist das Unternehmens- 1.7 stammhaus das Steuersubjekt. Dementsprechend richtet sich die Besteuerung nach der steuerlichen Einordnung des Unternehmensstammhauses: Qualifiziert dieses als Körperschaft, unterliegt die Betriebsstätte der Körperschaftsteuer. Andernfalls kommt eine einkommensteuerliche Erfassung in Betracht. Die Qualifikation des Unternehmensstammhauses erfolgt dabei nach den Besteuerungsregelungen des Betriebsstättenstaats. Das heißt, im Fall einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte erfolgt die steuerliche Beurteilung des ausländischen Rechtsträgers anhand des Rechtstypenvergleichs.2 Territorialitätsprinzip. Nach nationalem Recht folgt die Besteuerung der Betriebs- 1.8 stätte im Betriebsstättenstaat regelmäßig dem Territorialitätsprinzip. Damit werden die der Betriebsstätte zurechenbaren Einkünfte i.R. der beschränkten Steuerpflicht, wie etwa gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, erfasst. Eine Besteuerung nach dem Welteinkommensprinzip erfolgt (anders als regelmäßig im Ansässigkeitsstaat des Unternehmensstammhauses) hingegen nicht, was man als Ausdruck des Äquivalenzprinzips ansehen kann.3 Vermeidung juristischer Doppelbesteuerung. Gleichzeitig wird durch die Anwen- 1.9 dung des Territorialitätsprinzips durch den Betriebsstättenstaat ein Beitrag zur Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung geleistet. Denn für außerhalb des Territoriums entstehende Gewinne wird kein Besteuerungsanspruch erhoben. Dies mag erklären, wieso der Betriebsstättenstaat nicht immer eine Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung selbst anerkennt. So kann in Deutschland die Doppelbesteuerung bei beschränkt steuerpflichtigen gewerblichen Einkünften z.B. nach § 50d Abs. 3 EStG i.V.m. § 34c Abs. 1–3 EStG nur dann durch Anwendung der Anrechnungsmethode oder Abzugsmethode unilateral vermieden werden, wenn in den inländischen Gewinnen einer Betriebsstätte Einkünfte aus einem ausländischen Staat enthalten sind, mit denen der beschränkt Steuerpflichtige dort nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Soweit die Einkünfte hingegen im ausländischen Staat einer der unbeschränkten Steuerpflicht vergleichbaren Besteuerung unterliegen, ist eine Anrechnung bzw. ein Steuerabzug nach § 34c Abs. 1–3 i.V.m. § 50 Abs. 3 1 Vgl. z.B. gemeinsame Regierungserklärung v. 1.6.2018 von Dänemark, Finnland und Schweden, in der die Richtlinienentwürfe der Europäischen Kommission abgelehnt werden. 2 Vgl. RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RFHE 27, 73; BFH v. 3.2.1988 – I R 134/84, BStBl. II 1988, 588 = FR 1988, 366, v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BStBl. II 1992, 972; BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263 = FR 2009, 299; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 – S-1301 USA – 22/04, BStBl. I 2004, 411. 3 Vgl. Schön in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 32, 2007, S. 102 ff.

Schnitger 5

Kap. 1 Rz. 1.9 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

EStG nicht möglich bzw. wird konzeptionell eine Verpflichtung des Ansässigkeitsstaats zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gesehen. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit an dieser konzeptionellen Ausweitung festgehalten werden kann, wenn der Betriebsstättenbegriff zunehmend ausgeweitet wird und damit auch für sich außerhalb eines Territoriums vollziehende Sachverhalte ein Besteuerungsanspruch erhoben wird (und damit dem Entstehen einer juristischen Doppelbesteuerung Vorschub geleistet wird).

1.10 Gewerbesteuer. Auch die Gewerbesteuer folgte grundsätzlich lange Zeit strikt einer Besteuerung nach dem Territorialitätsprinzip, indem nur der inländische stehende Gewerbebetrieb mit seiner inländischen Betriebsstätte der Gewerbesteuer unterlag (§ 2 Abs. 1 GewStG). Dementsprechend ist auch eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer im deutschen Gewerbesteuerrecht nicht vorgesehen. Stattdessen wird die Doppelbesteuerung von ausländischen Gewinnen unilateral nur auf Grundlage der Kürzungsvorschriften des § 9 GewStG vermieden. Umso bedauerlicher ist die sich jüngst abzeichnende Tendenz, dass der deutsche Gesetzgeber das Territorialitätsprinzip im Rahmen der Gewerbesteuer mittels des § 7 Satz 8 ff. i.V.m. § 9 Nr. 3 GewStG für niedrigbesteuerte, passive Einkünfte i.S.d. AStG aufgab, ohne jedoch für eine Entlastung mittels der Einführung der Möglichkeit zur Anrechnung ausländischer Steuern auf die Gewerbesteuer einen Ausgleich zu schaffen.1 Derzeit wirkt sich nämlich nur der Abzug ausländischer Steuern nach § 34c Abs. 2 bzw. Abs. 3 EStG steuerentlastend auf die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage aus (ohne dass der Abzug hier zu einer vollständigen Vermeidung der Doppelbesteuerung führt).2 Eine Kürzung ausländischer Einkünfte aus der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage kommt weiterhin unter den Voraussetzungen des gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegs gem. § 9 Nr. 7 GewStG für ausländische Dividenden in Betracht. Zinsen und Lizenzgebühren, die von einer inländischen Personengesellschaft im Ausland erzielt werden, unterliegen hingegen im vollen Umfang der Gewerbesteuer, ohne dass eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern möglich ist. 1.11 Ausländische Verluste und Territorialitätsprinzip. Gleichzeitig folgt aus der Besteuerung nach dem Territorialitätsprinzip, dass ausländische Verluste des Stammhauses im Inland keine Berücksichtigung finden. Die Nichtberücksichtigung dieser Stammhausverluste ist unionsrechtlich nach derzeitigem Stand wohl nicht zu beanstanden, auch wenn es hier weiterhin Bewegungen in der Rechtsprechung gibt (vgl. Rz. 5.39). Zur Frage der Berücksichtigung ausländischer Verluste bei Anwendung der unbeschränkten Steuerpflicht und unter Anwendung der DBA vgl. Rz. 1.13. 1.12 Vermeidung der Doppelbesteuerung und DBA. Nach den Verteilungsartikeln des OECD-MA steht dem Betriebsstättenstaat das Besteuerungsrecht für die in seinem 1 Vgl. Schnitger, IStR 2016, 637 (642). Vgl. dazu auch Rieck, IStR 2017, 399 ff.; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 281 (287). 2 Hierzu Jochimsen/Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher2, § 26 KStG Rz. 303; Hierstetter in Erle/Sauter3, § 26 KStG Rz. 87; Geurts in Bott/Walter, § 26 KStG Rz. 147; Endert in Frotscher/Drüen, § 26 KStG Rz. 188; vgl. zur Problematik der fehlenden Anrechnungsmöglichkeit auch Kahle/Willner, Ubg 2017, 21 ff.

6 Schnitger

A. Einleitung

Rz. 1.15 Kap. 1

Hoheitsgebiet belegenen Betriebsstätten mit deren zurechenbaren Einkünften zu (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA). Der Ansässigkeitsstaat hat für die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte unter Anwendung des Methodenartikels gem. Art. 23 A/B OECD-MA die Vermeidung der Doppelbesteuerung über die Anwendung der Freistellungs- oder Anrechnungsmethode zu gewährleisten. Bezogen auf den deutschen Rechtskreis bedeutet dies, dass die Einkünfte einer ausländischen Betriebsstätte i.d.R. von der Besteuerung freizustellen sind (zu Einschränkungen vgl. Rz. 1.14). Lediglich eine Erfassung der Einkünfte für natürliche Personen im Rahmen des Progressionsvorbehalts ist nach Art. 23 A/B Abs. 3 OECD-MA zulässig. Ausländische Verluste und DBA. Erzielt ein Steuerpflichtiger ausländische Betriebs- 1.13 stättenverluste, ist eine Verrechnung mit positiven inländischen Einkünften des Stammhauses für Drittstaatsfälle zudem nach innerstaatlichem Recht ebenso nicht mehr möglich, selbst wenn Gewinne der ausländischen Betriebsstätte nach den DBA nicht freigestellt werden (§ 2a EStG). Zu den unionsrechtlichen Überlegungen sei auf die Ausführungen unter Rz. 5.39 verwiesen. Einschränkung der Freistellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte. Eine aus 1.14 den DBA folgende Steuerfreistellung wird zudem durch eine Reihe von innerstaatlichen Normen und abkommensrechtlichen Vorschriften eingeschränkt. Exemplarisch zu nennen sind hier: – Switch-over-Klausel nach § 20 Abs. 2 AStG, – Subject-to-Tax-Klausel nach § 50d Abs. 9 EStG, – Aktivitätsklauseln in den DBA,1 – Switch-over-Klauseln in den DBA,2 – Subject-to-Tax-Klauseln in den DBA. Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot. Art. 24 Abs. 3 OECD-MA ent- 1.15 hält ein Verbot der Diskriminierung von Betriebsstätten. Hiernach ist es unzulässig, eine Betriebsstätte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaats im anderen Vertragsstaat unterhält, ungünstiger zu besteuern als im anderen Staat ansässige Unternehmen, wenn beide Unternehmen die gleiche Tätigkeit ausüben. Die Vorschrift hat insbesondere in Bezug auf den Betriebsstättensteuersatz sowie bei der Ermittlung der Einkünfte einer Betriebsstätte Bedeutung. Gleichwohl wird mittels Art. 24 Abs. 3 OECD-MA nicht die vollständige Selbständigkeit der Betriebsstätte als Vergleichsobjekt fingiert. Verglichen wird stattdessen die Besteuerung des ausländischen Unternehmens mit seiner inländischen Betriebsstätte mit der Besteuerung eines inländischen Unternehmens.3

1 Vgl. zur Übersicht über die in den DBA geltenden Aktivitätsklauseln Schwenke in Wassermeyer, Art. 23 A/B OECD-MA, Anlage. 2 Vgl. hierzu Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 23 A OECD-MA Rz. 161–170. 3 Vgl. Rust in Vogel/Lehner6, Art. 24 OECD-MA Rz. 95.

Schnitger 7

Kap. 1 Rz. 1.16 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

1.16 Branch profit tax. Konzeptionell vergleichbar zu dem durch die OECD eingeführten „Functionally Separate Entity Approach“ (FSEA – vgl. Rz. 1.20) ist die in den USA vollzogene Gleichbehandlung von Betriebsstätten und Tochterkapitalgesellschaften durch die Einführung der sog. „branch profit tax“ in Sect. 884 IRC für Gewinnauskehrungen im nationalen Steuerrecht (aus Vereinfachungsgründen ausgehend von der Einhaltung von gesetzlich fingierten Verschuldungsquoten). Hiernach ist für Entnahmen aus einer Betriebsstätte eine 30 %-Steuer, vergleichbar zu der auf Ausschüttungen von Tochterkapitalgesellschaften anfallenden Kapitalertragsteuer, vorgesehen. Dem Grundsatz der Gleichbehandlung entspricht es jedoch, dass diese „branch profit tax“ nach Art. 10 Abs. 9 und 10 DBA-USA ebenso im Abkommensrecht als „Dividende“ behandelt wird und insoweit die Quellensteuer bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen zu reduzieren ist.

III. Methoden der Gewinnabgrenzung 1.17 Historisch verwendete Methoden zur Gewinnabgrenzung. In Art. 7 Abs. 2 OECDMA wird bestimmt, dass für die Aufteilung des Gewinns zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich der Fremdvergleich („dealing at arm’s length“) maßgeblich ist. Bei den Methoden zur Gewinnabgrenzung wurde insoweit lange Zeit (zuletzt Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2008) unterschieden zwischen der – direkten Methode und der – indirekten Methode.

1.18 Direkte Methode. Bei der direkten Methode wird der Betriebsstättengewinn nach Maßgabe der einschlägigen Gewinnermittlungsvorschriften gesondert ermittelt. Dies kann durch eine Gewinnermittlung auf gesonderten Konten erfolgen.1 Hinter der direkten Methode steht konzeptionell bereits zu einem gewissen Grad der Gedanke der Eigen- oder Selbständigkeit der Betriebsstätte. Gleichwohl ist die Reichweite der Selbständigkeitsfiktion unter der direkten Methode beschränkt. So können keine innerbetrieblichen Leistungsbeziehungen (wie z.B. Warenlieferungen und ein Dienstleistungsverkehr) zwischen Stammhaus und Betriebsstätte unter der direkten Methode angenommen werden. Die aus der direkten Methode folgende Selbständigkeitsfiktion hat folglich nur Wirkung für die Zuordnung von Gewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, die aufgrund eines Rechtsgeschäfts des Einheitsunternehmens mit anderen Personen erfolgt (d.h. Zuordnung von Ertrag und Aufwand aufgrund von „Außentransaktionen“). Zudem hat die aus der direkten Methode folgende Selbständigkeitsfiktion auch Auswirkungen auf die Zuordnung von Wirtschaftsgütern, namentlich von Aktiva und Passiva. Die Zuordnung erfolgt dabei nicht willkürlich, sondern richtet sich nach dem objektiven Veranlassungszusammenhang und dem Fremdvergleichsgrund1 Vgl. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 546 ff., 628 ff.; Hemmelrath in Vogel/Lehner6, Art. 7 OECD-MA Rz. 101; Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2808.

8 Schnitger

B. Historische Entwicklung des AOA

Rz. 1.22 Kap. 1

satz. Die Zuordnung des Dotationskapitals der Betriebsstätte erfolgt durch Heranziehung des externen oder internen Fremdvergleichs. Falls Stammhaus und Betriebsstätte dieselben Funktionen ausüben, soll sich die Eigenkapitalquote der Betriebsstätte nach der Eigenkapitalquote des Gesamtunternehmens richten; falls dem nicht so ist, muss das Eigenkapital angemessen aufgeteilt werden.1 Indirekte Methode. Bei der Anwendung der indirekten Methode wird der Unterneh- 1.19 mensgewinn anhand eines Aufteilungsschlüssels zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Als Schlüssel kommen hier z.B. Umsatz, Lohnsummen oder Kapitalausstattung in Betracht.2 Auch die indirekte Methode soll zu einer Abgrenzung von Gewinnen führen, die zu einer Zuweisung der Gewinne des Unternehmens zum Betriebsstättenstaat führt, die der dort belegenen Betriebsstätte „zugerechnet werden können“. Functionally Separate Entity Approach (FSEA). Der „Functionally Separate Entity 1.20 Approach“ entwickelt die Grundsätze der direkten Methode zur Gewinnermittlung fort. Nach diesem Ansatz ist die Aufteilung des Gewinns zwischen Betriebsstätte und Stammhaus zunächst ausgehend von einer Funktions- und Risikoanalyse betreffend der von der Betriebsstätte übernommenen Funktionen und Risiken vorzunehmen.3 Anschließend sind in einem zweiten Schritt die zwischen den betrieblichen Teilen identifizierten Leistungsbeziehungen (sog. dealings) nach den von der OECD aufgestellten Grundsätzen über den Fremdvergleich zu bewerten (vgl. weiterführend unter Rz. 1.36 f.). Damit werden unter dem FSEA Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich anerkannt und die Betriebsstätte einer vollständigen Selbständigkeitsfiktion zugeführt (zu den Grenzen vgl. Rz. 1.37).

B. Historische Entwicklung des AOA Völkerbund. Das dem Art. 7 Abs. 2 OECD-MA unterliegende Prinzip der Zurech- 1.21 nung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte geht zurück auf Überlegungen des Völkerbunds und zu dem Zeitpunkt abgeschlossene DBA.4 Gleichwohl war damals bereits ersichtlich, dass die Auslegung dieses Prinzips im Einzelfall sehr unterschiedlich vollzogen wird und dementsprechend das Problem einer möglichen Doppelbesteuerung entstehen kann. Betriebsstättenbesteuerung im OECD-MK 1977 und 1984. Nach kleineren Ände- 1.22 rungen des OECD-MK 19775 widmete sich die OECD im Jahr 1984 erstmals intensiver dem Thema der Betriebsstättenbesteuerung.6 Wenig überraschend hatte der Be1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 – 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.5.1. 2 Vgl. Art. 7 Rz. 54 OECD-MK 2008; Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 189; kritisch Hemmelrath in Vogel/Lehner6, Art. 7 OECD-MA Rz. 105. 3 Vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Vorwort, Rz. 2. 5 Vgl. OECD-MA, Paris, 1977. 6 Vgl. OECD, Transfer Pricing and Multinational Enterprises – Three Taxation Issues; The Taxation of Multinational Banking Enterprises, 1984.

Schnitger 9

Kap. 1 Rz. 1.22 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

richt aus diesem Jahr die Gewinnaufteilung für Betriebsstätten von Banken zum Gegenstand, welche als Organisationsform in diesem Bereich sehr verbreitet sind. Im Anschluss nahm sich die OECD 1987 in Folge der weiterhin bestehenden Unsicherheiten erneut der Gewinnabgrenzung an und entwickelte den 1993 veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Attribution of Income to Permanent Establishments“, der auch zu Änderungen des OECD-MK führte.1

1.23 Entwicklung des FSEA als „working hypothesis“. Da die Änderung des OECDMK jedoch wenig zur Vereinheitlichung der Gewinnabgrenzung durch die Staaten in der Praxis beitrug, musste sich die OECD (auch in Folge der Änderungen in den Bereichen Global Trading und Electronic Commerce und der Finanzindustrie) anschließend erneut mit dem Thema beschäftigen.2 In diesem Zusammenhang wurde erstmals die weitreichende Arbeitshypothese („working hypothesis“, vgl. auch Rz. 2.4) entwickelt, dass Betriebsstätten bei der Gewinnabgrenzung als fiktiv selbständig zu behandeln sind (sog. Functionally Separate Entity Approach), um eine einheitliche Position der Mitgliedstaaten zu erreichen. Dieser Ansatz war auch von dem Gedanken geleitet, die in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 19953 entwickelten Prinzipien auf die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus zu übertragen.4 1.24 OECD-Betriebsstättenberichte 2008 und 2010. Im Jahr 2001 wurden ausgehend von den vorangehenden Arbeiten Diskussionsentwürfe zu den Ergebnissen im Allgemeinen (Teil I) sowie zu Bankbetriebsstätten (Teil II) veröffentlicht. Nach intensiven Konsultationen wurde eine bearbeitete Version des Entwurfs zu den Bankbetriebsstätten (Part II) sowie ein neuer Diskussionsentwurf zum Global Trading im März 2003 zur öffentlichen Anhörung bekannt gemacht.5 Die überarbeiteten Versionen von Teil I, II und III wurden im August 2004 erneut zur öffentlichen Anhörung zur Verfügung gestellt. Ein neuer Teil zur Gewinnabgrenzung bei Versicherungen (Teil IV) wurde im Juni 2005 bekannt gemacht.6 Die im Dezember 2006 veröffentlichten Diskussionsentwürfe zu Teil I–III kamen schließlich zu dem Schluss, dass zum Erhalt eines maximalen Grads an Sicherheit nicht nur der OECD-MK sondern auch Art. 7 OECD-MA neu gefasst werden musste.7 Ausgehend hiervon wurde im Juli 2008 die finale Fassung des Berichts veröffentlicht, dessen Grundsätze im selben Jahr zunächst nur in den revidierten OECD-MK zu Art. 7 OECD-MA aufgenommen wurden. Dabei erkannte die OECD, dass einige der im finalen Bericht enthaltenen Grundsätze nicht mit der historischen Auslegung des OECD-MK zu Art. 7 OECDMA übereinstimmten.8 Daher wurde zunächst im Juli 2010 ein Bericht mit einem veränderten Art. 7 Abs. 2 OECD-MA veröffentlicht. Weiterhin sollten die im Be1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 1993. 2 Vgl. Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37. 3 OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen – im Folgenden OECD-Leitlinien. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2006, Rz. 2. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2006, Rz. 3. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2006, Rz. 3. 7 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2006, Rz. 2, 9. 8 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Vorwort, Rz. 7.

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C. Umsetzung des AOA

Rz. 1.28 Kap. 1

richt 2008 enthaltenen Schlüsse aber dennoch für die Auslegung von Altabkommen herangezogen werden (zur Bedeutung des OECD-MK vgl. jedoch unter Rz. 1.28).1

C. Umsetzung des AOA Rechtsgrundlagen. Hinsichtlich der Rechtsgrundlagen lassen sich zwei Bereiche 1.25 unterscheiden: – Umsetzung des AOA in den DBA (vgl. Rz. 1.26) – Umsetzung des AOA im nationalen Recht (vgl. Rz. 1.27) Umsetzung des AOA in den DBA. Mittels der Umsetzung des AOA in den von 1.26 Deutschland abgeschlossenen DBA (derzeit allerdings noch nicht flächendeckend) wird zunächst gewährleistet, dass eine Gewinnaufteilung zwischen Betriebsstätte und dem Stammhaus durch die Vertragsstaaten ausgehend von den Grundsätzen des FSEA vollzogen werden kann und darf. Das heißt, der in den DBA verankerte AOA entfaltet insoweit eine zweifache Wirkung: Einerseits wird eine grundsätzliche Sperrwirkung der Höhe nach bzgl. des zu besteuernden Gewinns ggü. den Mitgliedstaaten eingeführt. Mit den Worten der OECD gesprochen: „The authorised OECD approach does not dictate the specifics or mechanics of domestic law, but only sets a limit on the amount of attributable profit that may be taxed in the host country of the PE.“2

Andererseits enthält die Umsetzung des AOA eine Ermächtigungsgrundlage, wonach die Mitgliedstaaten auch einen über den nach sonstigen Ermittlungsmethoden hinausgehenden Gewinn besteuern dürfen, soweit dies nach den Grundsätzen des AOA zulässig ist. Hierzu bedarf es jedoch einer entsprechenden Verankerung des AOA im innerstaatlichen Recht (vgl. hierzu sogleich unter Rz. 1.27 sowie Rz. 6.14 ff.). Umsetzung des AOA im nationalen Recht. Die nach den DBA vorgesehene Mög- 1.27 lichkeit zur Besteuerung von Gewinnen einer Betriebsstätte bedurfte zudem der Umsetzung im innerstaatlichen Recht; denn die DBA haben in Bezug auf eine höhere Zurechnung eines Gewinns in Folge des AOA keine sog. „self executing“-Wirkung (zu den Änderungen im Einzelnen vgl. Rz. 6.14 ff.).3 Bedeutung des OECD-MK bei der Auslegung von Abkommen. Die Auslegung 1.28 von völkerrechtlichen Verträgen richtet sich nach den Vorgaben der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK). Danach ist einem Ausdruck eine besondere Bedeutung beizumessen, „wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben“. Folglich sind der OECD-MK sowie die darin enthaltenen Vorgaben zum AOA bei 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Vorwort, Rz. 5. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 9. 3 Vgl. z.B. Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 379 u. 690; Blumers, BB 2017, 1118 (1122); Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 487 (488); a.A. Neumann, IStR 2013, 573 ff.

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Kap. 1 Rz. 1.28 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

der Auslegung von Neuabkommen zu berücksichtigen, wenn die vertragschließenden Staaten die Umsetzung des AOA durch eine entsprechende Aufnahme des Art. 7 OECD-MA in der aktuellen Fassung bekundet haben. Bei der Auslegung von Altabkommen soll nach Auffassung der OECD auch die nach Vertragsabschluss geänderte Fassung des OECD-MK nach Einfügung der AOA-Grundsätze bedeutsam sein.1 Die Grundlage für einen sog. dynamischen Verweis wird wohl in Folge des Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK angestrebt, nach dem „jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrages oder die Anwendung seiner Bestimmungen“ zu beachten ist.2 Bereits verfassungsrechtliche Überlegungen sprechen jedoch gegen eine solche Heranziehung eines später veröffentlichten OECD-MK im deutschen Rechtskreis. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung ist es schließlich der Finanzverwaltung nicht möglich, über ihre Mitwirkung im OECDSteuerausschuss durch Änderungen des OECD-MK die Rolle des Gesetzgebers zu übernehmen. Von daher überrascht es nicht, dass der BFH in seiner Rechtsprechung den dynamischen Verweis auf den OECD-MK ablehnt.3 Lediglich soweit die Neufassung des OECD-MK eine klarstellende Interpretation des jeweiligen DBA (im Rahmen des noch zulässigen Interpretationsspielraums im Einzelfall) darstellt, könnte dieser bei der Auslegung früherer DBA Bedeutung haben (was jedoch in Bezug auf den AOA die Ausnahme sein dürfte).

D. Zielsetzung des AOA 1.29 Vereinheitlichung. Die Einführung des AOA ist zunächst in den Bestrebungen nach einer internationalen Vereinheitlichung der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte begründet. Denn bis dahin stellte die OECD beachtliche Unterschiede bei der Gewinnabgrenzung in der staatlichen Praxis fest: „Practical experience has shown, however, that there was considerable variation in the interpretation of these general principles and of other provisions of earlier versions of Article 7.“4

Daher wird mit dem AOA zunächst das Ziel der Vereinheitlichung und Herstellung einer Konsistenz bei der Gewinnermittlung verfolgt: „Over the years, the Committee on Fiscal Affairs spent considerable time and effort trying to ensure a more consistent interpretation and application of the rules of the Article.“5

Naturgemäß sollen die i.R. des AOA entwickelten Prinzipien zudem bei der Verteilung von Verlusten gelten:

1 Vgl. Einleitung Rz. 33–36 OECD-MK; OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 5 sowie Lampert, IStR 2012, 513 ff. 2 Kritisch hierzu Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (39); Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 (88 f.). 3 Vgl. BFH v. 16.1.2014 – I R 30/12, BStBl. II 2014, 721 = FR 2014, 709 m.w.N. sowie BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16, BFHE 262, 354, vgl. auch Gosch, IStR 2014, 698 (699 f.). 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 2. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 2.

12 Schnitger

D. Zielsetzung des AOA

Rz. 1.32 Kap. 1

„It should be noted that under the authorised OECD approach, the same principles should be applied to attribute losses as to attribute profits.“1

Sicherheit. Als Folge der unterschiedlichen Anwendung der Vorschriften über die 1.30 Gewinnabgrenzung ergab sich die Notwendigkeit, Steuerpflichtigen mittels des AOA in einem höheren Maße (Planungs-)Sicherheit zu geben: „The Committee acknowledged the need to provide more certainty to taxpayers.“2

Diese Sicherheit sollte offensichtlich durch die Anwendung bewährter Besteuerungsprinzipien erreicht werden, welche bereits für die Verrechnungspreiskorrekturen von verbundenen Unternehmen bekannt sind. Vermeidung der Doppelbesteuerung und doppelten Nichtbesteuerung. Als Folge 1.31 der unterschiedlichen Anwendung der Methoden für eine Gewinnaufteilung stellte sich zudem das Problem der Doppelbesteuerung und doppelten Nichtbesteuerung: „This lack of a common interpretation created problems of double taxation and non-taxation.“3

Folglich hat die Einführung des AOA auch die Zielsetzung, der Doppelbesteuerung sowie der doppelten Nichtbesteuerung entgegenzuwirken. Gleichbehandlung zur Anwendung der OECD-Grundsätze über die Bestimmung 1.32 der Verrechnungspreise. Zentrales Motiv für die Einführung der Selbständigkeitsfiktion von Betriebsstätten für abkommensrechtliche Zwecke war, eine Gleichbehandlung von Geschäftsbeziehungen zwischen Betriebsstätten mit Geschäftsbeziehungen zwischen Konzerngesellschaften für Zwecke der Abgrenzung von Gewinnen zu erreichen.4 Allerdings geht es hier weniger darum, eine Annäherung beider Niederlassungsformen vor dem Hintergrund eines übergeordneten Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erreichen. Vielmehr soll „nur“ eine analoge Anwendbarkeit der Verrechnungspreisgrundsätze erreicht werden: „In this context, it should be noted that the aim of the authorised OECD approach is not to achieve equality of outcome between branch and subsidiary in terms of profits but rather to apply the same transfer pricing principles that apply to associated enterprises when attributing profits to a PE.“5

Dementsprechend verweist die OECD an verschiedenen Stellen auf eine analoge Anwendung von Verrechnungspreisgrundsätzen.6

1 2 3 4

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 3. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 3. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 3. Vgl. auch Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 195; dies begrüßend Kroppen, DB 2014, 2134 (2134). 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 55, Teil III, Rz. 25, vgl. auch Teil II, Rz. 4. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 10, 17, 39, 185, 188, 224, 225, Teil II, Rz. 74, 146, 157, Teil III Rz. 215, 255, 259 und Teil IV Rz. 104, 183.

Schnitger 13

Kap. 1 Rz. 1.33 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

E. Wertungsvorgaben 1.33 Functionally Separate Entity Approach. Grunddogma des neuen AOA ist der sog. „Functionally Separate Entity Approach“ (FSEA), der eine weitreichende Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte vorsieht. Diese Selbständigkeitsfiktion geht so weit, dass einerseits eine Zuweisung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte möglich ist, wenn das Gesamtunternehmen keinen Gewinn erzielt hat. Aus dem Umkehrschluss ergibt sich, dass für diesen Fall der Rest des Unternehmens einen Verlust erzielt.1 Beispiel: Die A-GmbH unterhält in einem ausländischen Staat eine Betriebsstätte. Diese erzielt einen (ausgehend von den in der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen angemessenen) Gewinn, der 100 betragen soll. Das Gesamtunternehmen macht einen Verlust von -50. Dementsprechend muss das Stammhaus einen Verlust i.H.v. -150 zugewiesen bekommen.

Andererseits folgt aus dieser weitreichenden Selbständigkeitsfiktion, dass auch die Annahme sog. „dealings“ zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zulässig ist (hierzu unter Rz. 1.36).

1.34 Significant people functions. Wohl nicht zuletzt auch in Folge der fehlenden rechtlichen Abgrenzbarkeit zwischen Stammhaus und Betriebsstätte musste sich die OECD darüber im Klaren werden, anhand welcher Kriterien die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Gewinnen erfolgen soll. Da auf die Verortung wertbegründender Aktivitäten abgestellt werden sollte, rückte die OECD die sog. „significant people functions“ (s. hierzu Rz. 7.70 ff.) in den Mittelpunkt der Betrachtung bei dieser Zuordnung. Diesem Vorgehen liegt die (bisher auch nachvollziehbare, vgl. aber Rz. 1.35) Grundannahme zugrunde, dass Menschen die wesentlichen Wertetreiber einer Geschäftstätigkeit darstellen. 1.35 Digitalisierung. Bemerkenswert erscheint weiterhin, dass die Einführung des AOA nach dem eigenen Bekunden der OECD dazu führen sollte, den „modernsten“ Ansatz zur Verteilung von Besteuerungsrechten zu verfolgen: „Instead, the focus was on formulating the most preferable approach to attributing profits to a permanent establishment under Article 7 given modern-day multinational operations and trade.“2

Im Rückblick lässt sich zehn Jahre später in Folge der sich immer stärker vollziehenden Digitalisierung mit Trends wie „Machine Learning“ oder künstlicher Intelligenz feststellen, dass jüngere Entwicklungen die Grundannahmen des FSEA hinterfragen. Von daher würde es nicht verwundern, wenn der zunehmende technische Fortschritt nochmals die Frage aufwirft, ob es den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, nur auf die „significant people functions“ als hauptsächlichem Wertetreiber bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte abzustellen.3 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 8. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 3. 3 In dem Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission zur Einführung einer signifikanten digitalen Präsenz (vgl. Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission v. 21.3.2018 zur Einführung einer signifikanten digitalen Präsenz, COM(2018) 147 final,

14 Schnitger

E. Wertungsvorgaben

Rz. 1.39 Kap. 1

Dealings. Da Stammhaus und Betriebsstätte keine unterschiedliche Rechtspersön- 1.36 lichkeit haben und dealings nicht zu einer Änderung des rechtlichen Eigentums führen, lässt die OECD die Annahme eines solchen dealings nicht ohne Weiteres zu.1 Schließlich bestünde nach Ansicht der OECD andernfalls eine gewisse Anfälligkeit, mittels dealings zu gestalten: „Consequently, intra-entity dealings are perhaps more susceptible to being disregarded or restructured than transactions between associated enterprises.“2

Daher muss nach Ansicht der OECD eine Schwelle überschritten werden, um ein dealing (s. hierzu Rz. 9.1 ff.) annehmen zu können. Anlass für die Annahme eines dealings ist dabei zunächst die buchhalterische Abbildung. Das dealing muss jedoch zusätzlich auf einer tatsächlichen und funktionellen Analyse der Ereignisse beruhen.3 Grenzen des FSEA. Die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte wird von der 1.37 OECD i.R. der Anwendung des FSEA aber nicht grenzenlos als gegeben angesehen. So soll etwa bei der Bestimmung der Kreditwürdigkeit keine Unterscheidung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vollzogen werden, da beide Unternehmensteile rechtlich dieselbe Einheit darstellen. Konsequenterweise ist auch ein Risikotransfer z.B. über eine Bürgschaft nicht als dealing zulässig.4 Ebenso lehnt die OECD eine Möglichkeit der Erhebung von Quellensteuern auf dealings ab, selbst wenn diese für die Überlassung immaterieller Wirtschaftsgüter angenommen werden (also eine Lizenzgewährung als dealing vorliegt). Derartige Lizenzen sollen stattdessen nur für Zwecke der Gewinnermittlung angenommen werden können.5 Einkünfteermittlung nach innerstaatlichem Recht. Der AOA ist als von der OECD 1.38 vorgeschlagene Methode zur Gewinnaufteilung zu verstehen. Welche Konsequenzen sich bei der Besteuerung von Betriebsstätten nach nationalem Recht ergeben, wird von der OECD im FSEA nicht angesprochen. Mit den Worten der OECD ausgedrückt: „The authorised OECD approach does not dictate the specifics or mechanics of domestic law, but only sets a limit on the amount of attributable profit that may be taxed in the host country of the PE.“6

Dementsprechend sollte zumindest nach den Vorstellungen der OECD der AOA keine Aussagen darüber treffen, wie nach innerstaatlichem Recht der FSEA die Ermittlung der Einkünfte beeinflusst. Zeitpunkt der Besteuerung. Es ist wohl allgemeine Ansicht, dass der mit dem AOA 1.39 verbundene FSEA auch Vorgaben für eine Exit-Besteuerung im Fall der Überführung

1 2 3 4 5 6

2018/0072 [CNS]) wird z.B. anstelle der „people functions“ auf „economically significant activities“ abgestellt. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 175. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 176. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 177. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 103. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 203. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 9.

Schnitger 15

Kap. 1 Rz. 1.39 Positionsbestimmung, Definitionen und Einführung

eines Wirtschaftsguts vom Inland in eine ausländische Betriebsstätte enthält.1 Tatsächlich enthält der Bericht des AOA zu dieser Frage der Bestimmung des Zeitpunkts der Besteuerung aber keine Aussagen. So stellt die OECD stattdessen fest: „Under the authorised OECD approach, internal dealings should have the same effect on the attribution of profits between the PE and other parts of the enterprise as would be the case for a comparable provision of services or goods (either by sale, licence or lease) between independent enterprises. However, the authorised OECD approach is based on the premise that the internal dealings are postulated solely for the purposes of attributing the appropriate amount of profit to the PE.“2

Man könnte auch sagen, dass die OECD lediglich festlegt, ob und wie viel ein Staat besteuern darf (Besteuerung dem Grunde und der Höhe nach). Keine Aussage wird hingegen dazu getroffen, wann ein Staat besteuern darf (Zeitpunkt der Steuererhebung). Dieses erklärt sich auch daraus, dass aus Sicht der OECD lediglich die Verteilung der Besteuerungsrechte von Interesse ist. Die Festlegung des Zeitpunkts der Besteuerung ist hingegen eine Frage des nationalen Steuerrechts (vgl. jedoch Rz. 6.82).

1 Vgl. Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183); Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 ff. sowie BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 – zur Aufgabe der finalen Entnahmetheorie (unter Gründe B.III.3.b)cc)) wird auf den AOA verwiesen); a.A. jedoch Schnitger, IStR 2012, 637 (640); Herbort, FR 2013, 781 (783 f.). 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 173.

16 Schnitger

Kapitel 2 Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte – AOA aus Sicht der OECD und Position der UN A. Die Entwicklung des AOA I. Kontext 1. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 2. Ausgangspunkt, Grundannahme und Kontext des AOA . . . . . . . . . . . 2.6 II. Allgemeine Grundsätze für die Zuordnung des Betriebsstättengewinns (Teil I des AOA) 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schritt 1: Bestimmung des fiktiven eigenständigen und unabhängigen Unternehmens, Erstellen der Betriebsstättenbilanz a) Die Funktionen der Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Risiken der Betriebsstätte . c) Die Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Immaterielle Wirtschaftsgüter („IWG“) . . . . . . . . . . d) Die Rechte und Verpflichtungen der Betriebsstätte . . . . . . . . e) Eigen-/Fremdkapital und der Finanzierungsaufwand der Betriebsstätte aa) Systematik/Grundsätze . . . bb) Dotationskapital/Fremdkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bestimmung des Finanzierungsaufwands der Betriebsstätte . . . . . . . . . . . dd) Anpassung des gebuchten Finanzierungsaufwands . . f) Bestimmung der der Betriebsstätte zuzuordnenden Geschäftsvorfälle . . . . . . . . . . . . . . .

2.19

2.23 2.25 2.30 2.34 2.35 2.40

3. Schritt 2: Bestimmung des Betriebsstättengewinns auf der Grundlage einer Vergleichsanalyse a) Anwendung von Verrechnungspreisregelungen auf „innerunternehmerische Leistungsbeziehungen“ . . . . . . . b) Beispiele für die Anwendung von Verrechnungspreisregelungen auf typische Innentransaktionen aa) Übertragung von Wirtschaftsgütern und Risiken bb) Transaktionen im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern . . . . c) Behandlung von vor bzw. nach dem Bestehen einer Betriebsstätte anfallenden Ausgaben . . . 4. Anwendung des AOA auf Vertreterbetriebsstätten . . . . . . . . . 5. Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . .

2.60

2.62 2.63 2.66 2.67 2.70

III. Teil II des AOA (Anwendung auf Bankbetriebsstätten) . . . . . . . 2.72 IV. Teil III des AOA (Anwendung auf das „Global Trading“ bei Banken) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.73

2.41 2.43 2.52 2.55 2.56

V. Teil IV des AOA (Anwendung auf Versicherungsbetriebsstätten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.74 VI. Die Implementierung des AOA in das OECD-MA 1. Aktualisierungen und Änderungen des OECD-MA und OECDMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der zweistufige Ansatz zur Implementierung des AOA . . . . . . 3. Aktualisierung des OECDMK 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Änderung des OECD-MA 2010 . .

2.75 2.76 2.78 2.81

Förster 17

Kap. 2 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN VII. Der AOA im Kontext des OECDAktionsplans zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung („Base Erosion and Profit Shifting – BEPS“) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.84 2. Folgen der Schlussfolgerungen zu Aktionspunkt 7 a) Änderungen in Bezug auf die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 und Abs. 6 OECD-MA) . . . . . . 2.86

b) Änderung in Bezug auf die Ausnahmetatbestände zur Annahme einer Betriebsstätte (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA) . . . . 2.89 B. Reaktion der Vereinten Nationen (UN) . . . . . . . . . . . . . . . . 2.92 C. Ausblick und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.93

Literatur: Engelen, Some observations on the legal status of the Commentaries on the OECD Model, Bulletin Tax Treaty Monitor 2006, 105; Girlich/Müller/Naumann, Erste Praxiserfahrungen mit dem Authorised OECD Approach, ISR 2017, 229–235; Hemmelrath/Keppler, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37 ff.; Huibregtse/Verdoner/Valutyte/Offermanns, Status of Implementation of the Authorized OECD Approach into Domestic Tax Law and Tax Treaties, European Taxation 2015, 363 ff. (Teil 1) und 402 ff. (Teil 2); Kelterborn/Konken, Praxiserfahrungen im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung, BB 2017, 2847; OECD (2020), Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions, http://www.oecd.org/tax/beps/transfer-pricing-guidance-on-fi nancial-transactions-inclusive-framework-on-beps-actions-4-8-10.htm; OECD (2019), Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One v. 9.10.2019, https://www. oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-secretariat-proposal-unified-approach-pil lar-one.pdf; OECD (2018), Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7 v. 22.3.2018, http://www.oecd.org/tax/beps/additional-guid ance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establishment-under-beps-action7.htm; OECD (2017), Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, Juli 2017, https://www.oecd.org/ctp/oecd-transfer-pricing-guidelines-for-multinational-enter prises-and-tax-administrations-20769717.htm; OECD (2017), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Diskussionsentwurf zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 22.6.2017, http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/beps-discussion-draft-additional-guidance-attribu tion-of-profits-to-permanent-establishments.pdf; OECD (2016), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Diskussionsentwurf zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 4.7.2016, http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profitsto-permanent-establishments.pdf; OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7 – 2015 Final Report, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris; http://dx.doi.org/10.1787/9789264241220-en; OECD (2010), Report on the attribution of profits to permanent establishments v. 22.7.2010, https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/45689524.pdf; https://www.oecd.org/tax/transferpricing/41031455.pdf; OECD (2010), Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations v. 22.7.2010, https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/oecd-trans fer-pricing-guidelines-for-multinational-enterprises-and-tax-administrations-2010_tpg-2010en; OECD (2008), Report on the attribution of profits to permanent establishments v. 17.7.2008, OECD (2004), Diskussionsentwurf zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 2.8.2004, Teil I, https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/33637685.pdf; OECD (1993), Report „Attribution of Income to Permanent Establishments“ vom 26.11.1993, ver-

18 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.1 Kap. 2

öffentlicht u.a. in Band II der Vollversion des OECD-MA, https://www.oecd-ilibrary.org/taxa tion/model-tax-convention-on-income-and-on-capital-2017-full-version_g2g972ee-en; OECD (1984), Report „Transfer Pricing and Multinational Enterprises“ (three taxation issues), 1984; OECD (1977), Musterabkommen (überarbeitete Fassung): Bericht des Steuerausschusses der OECD v. 11.4.1977, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom BMF 1979; OECD (1963), Musterabkommen für die Steuern vom Einkommen und Vermögen (OECD-MA), Bericht des Steuerausschusses der OECD von 1963, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bonn 1965; Schön, Attribution of Profits to PEs and the OECD 2006 Report, TNI 2007, 1059; Seeleitner/Sennewald/Müller, Praktische Fragestellungen bei der Anwendung des AOA auf Bau- und Montagebetriebsstätten, IStR 2017, 1013 ff.; Vereinte Nationen, Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, Musterabkommen für Steuern (UN-MA), Fassung 2011; Ward, The role of the Commentaries on the OECD Model in the tax treaty interpretation process, Bulletin Tax Treaty Monitor 2006, 97 ff.; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Vertragsstaaten, IStR 2012, 277; Wellmann/Junkers, Die Zukunft des AOA in den Zeiten von BEPS, IStR 2017, 847 ff.

A. Die Entwicklung des AOA I. Kontext 1. Rückblick Historie. Die Geschichte des Konzepts eine Betriebsstätte zu definieren und als 2.1 Anknüpfungspunkt für die Besteuerung von Erträgen im Quellenstaat heranzuziehen, reicht ebenso weit zurück wie die Geschichte der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Der Wortlaut der verschiedenen Übereinkommensentwürfe hat sich, beginnend mit den Entwürfen des Völkerbunds aus den Jahren 1927, 1933, 1943 und 1946 über den Entwurf einer Konvention zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von 19631 und dessen Nachfolgeübereinkommen aus dem Jahr 19772 bis zum aktuellen Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD-MA3) ständig weiterentwickelt. Hier finden sich die Grundsätze für die Zuordnung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte in Art. 7 OECD-MA, was die Grundlage für das inzwischen weite Netz bilateraler Abkommen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen zwischen den Mitgliedstaaten der OECD einerseits und zwischen OECD-Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedstaaten andererseits bildet. Die Grundsätze des OECD-MA spiegeln sich auch weitgehend im

1 OECD, Musterabkommen für die Steuern vom Einkommen und Vermögen (OECD-MA), Bericht des Steuerausschusses der OECD von 1963, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bonn 1965. 2 OECD-Musterabkommen (überarbeitete Fassung): Bericht des Steuerausschusses der OECD v. 11.4.1977, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom BMF 1979. 3 Verweise auf das OECD-MA (nebst OECD-MK) ohne Nennung einer Jahreszahl beziehen sich auf die Veröffentlichung des Abkommens vom 21.11.2017.

Förster 19

Kap. 2 Rz. 2.1 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

Musterabkommen der Vereinten Nationen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen entwickelten Ländern und Entwicklungsländern1 wider.

2.2 Interpretationsproblem. In der Praxis zeigten sich jedoch erhebliche Unterschiede bei der Interpretation der Regelungen zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten nach Art. 7 OECD-MA. Das Fehlen einer einheitlichen Auslegung resultierte in Doppelbesteuerung und Nichtbesteuerung von gewerblichen Einkünften. Der Ausschuss der OECD für Steuerfragen hat sich über die Jahre hinweg um eine konsistentere Auslegung und Anwendung des Art. 7 OECD-MA bemüht. Beim OECDMA 19772 wurden geringfügige Änderungen im Wortlaut des Artikels sowie eine Reihe von Änderungen im Kommentar vorgenommen. 1984 erschien ein Bericht, der sich mit der Betriebsstättenbesteuerung im Bankgewerbe befasste.3 1987 unterzog der Ausschuss diese Frage einer Neubeurteilung. Diese Arbeiten resultierten 1993 in dem Bericht „Zuordnung von Einkünften zu Betriebsstätten“4 sowie zu entsprechenden Änderungen im OECD-MK 1994. Die letzte von den Arbeiten am AOA unbeeinflusste Fassung des OECD-MA ist das OECD-MK 2005.5 2.3 Ankündigung weiterer Arbeiten. Trotz dieser Arbeiten auf internationaler Ebene, sei es die der OECD oder der UN, wichen die Praktiken der OECD- und NichtOECD-Länder hinsichtlich der Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten und die Auslegung von Art. 7 OECD-MA weiterhin erheblich voneinander ab. Im Bericht „OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen“ (im Folgenden OECD-Leitlinien 1995), der 1995 verabschiedet wurde, kündigte der Ausschuss der OECD für Steuerfragen weitere Arbeiten an, die sich mit der Frage der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten befassen sollten. 2.4 Verlauf. Ein erster Schritt zur Erreichung einer einheitlichen Auslegung war die Entwicklung einer sog. Arbeitshypothese für eine bevorzugte Ermittlung des Betriebsstättengewinns. Diese sollte die bisherigen Entwicklungen des Fremdvergleichsgrundsatzes in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 1995 für verbundene Unternehmen analog auf Betriebsstätten anwenden. Die Arbeitshypothese wurde ausdrücklich ohne Beachtung von ursprünglicher Absicht oder Praxis entwickelt und für einige Wirtschaftszweige getestet, in denen Betriebsstätten von besonderer Relevanz sind (Banken, Global trading und Versicherungen). Nach umfangreichen öffentlichen Konsultationen und 1 Vereinte Nationen, Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, Musterabkommen für Steuern (UN-MA), Fassung 2011. 2 OECD, Musterabkommen (überarbeitete Fassung): Bericht des Steuerausschusses der OECD v. 11.4.1977, in deutscher Übersetzung veröffentlicht vom BMF 1979. 3 OECD, Report „Transfer Pricing and Multinational Enterprises“ (three taxation issues), 1984. 4 OECD, Report „Attribution of Income to Permanent Establishments“ v. 26.11.1993, veröffentlicht u.a. in Band II der Vollversion des OECD-MA Rz. 13.1, https://www.oecd-ilibra ry.org/taxation/model-tax-convention-on-income-and-on-capital-2017-full-version_g2 g972ee-en. 5 Nachfolgend wird auf das OECD-MA 2005 verwiesen, weil es sich um die letzte, vom AOA unbeeinflusste Version des OECD-MA/OECD-MK handelt.

20 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.7 Kap. 2

Genehmigung durch den Steuerausschuss wurde die Arbeitshypothese in Authorised OECD Approach (AOA) umbenannt.1 Dies mündete 2008 in den OECD-Betriebsstättenbericht 2008 („Attribution of Profits to Permanent Establishments“ – AOA 2008). Bei der Annahme des AOA 2008 entschied der Steuerausschuss der OECD, dass der AOA einen besseren Ansatz für die Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten als bisher darstellt, erkannte aber auch an, dass sich Unterschiede zwischen dem AOA und der Interpretation des Art. 7 OECD-MA im bestehenden OECD-MK ergaben. Aus diesem Grund sollten nur die Schlussfolgerungen in die nächste Fassung des OECD-MK (OECD-MK 2008; s.u. Rz. 2.78) übernommen werden, die nicht mit der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Fassung des OECD-MK in Konflikt standen. Neuformulierung des Artikels 7 OECD-MA. Gleichzeitig wurde entschieden, eine 2.5 neue Version des Art. 7 OECD-MA zu entwickeln und in die nächste Aktualisierung des OECD-MA zu übernehmen, um damit die vollständige Anwendung der Schlussfolgerungen des AOA sicherzustellen. Der daraufhin neugefasste Artikel wurde in die Aktualisierung des OECD-MA 2010 übernommen. Da der AOA 2008 eine Vielzahl von Verweisen auf die bis dahin geltende Fassung des Art. 7 OECD-MA und die OECD-Leitlinien 1995 enthielt, wurde im Jahr 2010 zudem eine aktualisierte Version des AOA2 veröffentlicht, die als Interpretationsgrundlage für DBA mit dem nunmehr aktualisierten Artikel dienen soll. 2. Ausgangspunkt, Grundannahme und Kontext des AOA Interpretationslinien. Die oben angesprochenen Unterschiede in der Interpretation 2.6 des Art. 7 OECD-MA ergaben sich aus im Grundsatz unterschiedlichen Ansätzen zu der Frage, wie der Gewinn einer Betriebsstätte zu bestimmen ist: einem Ansatz der in früheren Diskussionsentwürfen zum AOA3 als „relevant business activity approach“ („RBAA“) bezeichnet wurde und einem als „functionally separate entity approach“ („FSEA“) bezeichneten Ansatz. Relevant Business Activity Approach. Nach der unter dem Begriff „RBAA“ zusam- 2.7 mengefassten Interpretationslinie sind „Gewinne eines Unternehmens“ i.S.d. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA nur die Gewinne aus der Unternehmenstätigkeit, zu der die Betriebsstätte einen Beitrag geleistet hat. Danach soll Art. 7 Abs. 1 OECD-MA den nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA der Betriebsstätte zuzuordnenden Gewinn in der Weise begrenzen, dass dieser den insgesamt aus der betreffenden Unternehmenstätigkeit er-

1 OECD, 2008 Report on the attribution of profits to permanent establishments, 17.7.2008, https://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/41031455.pdf, nachfolgend: „OECD-Betriebsstättenbericht 2008“. 2 OECD, 2010 Report on the attribution of profits to permanent establishments, 22.7.2010, https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/45689524.pdf, nachfolgend „OECD-Betriebsstättenbericht 2010“. 3 OECD, Diskussionsentwurf zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 2.8.2004, Teil I, https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/33637685.pdf – im Folgenden als „OECD, Diskussionsentwurf 2004“ bezeichnet.

Förster 21

Kap. 2 Rz. 2.7 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

zielten Gewinn nicht übersteigen kann.1 Dieser Ansatz erfordert es festzustellen, zu welchen Aktivitäten die Betriebsstätte einen Beitrag geleistet hat, diese Gewinne abzugrenzen und dann auf dieser Grundlage die Begrenzung des der Betriebsstätte zuzuweisenden Gewinns zu bestimmen.

2.8 Functionally Separate Entity Approach. Nach der als „FSEA“ zusammengefassten Interpretationslinie besteht keine Begrenzung des der Betriebsstätte zuzuordnenden Gewinns durch den Gewinn des gesamten Unternehmens bzw. den Gewinn aus Unternehmensaktivitäten, zu denen die Betriebsstätte einen Beitrag geleistet hat. Die Formulierung des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA soll danach keinen Einfluss auf die Höhe des der Betriebsstätte zuzuordnenden Gewinns haben. Damit kann der Betriebsstätte selbst dann ein Gewinn zugeordnet werden, wenn die Unternehmenstätigkeit insgesamt oder der die Betriebsstätte betreffende Teil der Unternehmenstätigkeit nicht zu Gewinnen führt.2 2.9 Ergebnisoffene Entwicklung. Ausgehend von dieser Situation einer schon im Grundansatz unterschiedlichen Interpretation, ist ein entscheidender Aspekt des AOA, dass seine Entwicklung nicht von der ursprünglichen Absicht oder der historischen Praxis und Interpretation des Art. 7 OECD-MA beeinflusst sein sollte. Stattdessen sollte es darum gehen, den besten Ansatz für die Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten nach Maßgabe des Art. 7 OECD-MA und im Lichte moderner multinationaler Tätigkeit und Handel zu entwickeln.3 Damit bestimmt der Wortlaut des Art. 7 OECD-MA zum einen den Rahmen der Arbeiten, lässt innerhalb dessen jedoch ein hohes Maß an Freiheit für die Entwicklung einer zu bevorzugenden Interpretation zu.4 2.10 Fremdvergleichsgrundsatz. Schon der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2005 zeigt, dass für Zwecke der Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten der Fremdvergleichsgrundsatz heranzuziehen ist. Schon frühere Fassungen des Art. 7 OECD-MK5 enthalten die Aussage, dass der Grundsatz des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA „dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, der gemäß Art. 9 OECD-MA auch bei der Anpassung der Gewinne verbundener Unternehmen anwendbar ist.“6 Damit wird der grundsätzliche Ansatz des AOA begründet, nach dem der Fremdvergleichsgrundsatz, so wie er in den OECD-Leitlinien zu Art. 9 OECD-MA interpretiert wird, auch für die Zuord-

1 Zum „relevant business activity approach“ s. OECD, Diskussionsentwurf 2004, Teil I, Rz. 11 ff. 2 Zum „functionally separate entity approach“ s. OECD, Diskussionsentwurf 2004, Teil I, Rz. 19. 3 Siehe OECD, Diskussionsentwurf 2004, Preface, Rz. 4. 4 Im Endeffekt ging die Interpretation dann wohl über den Rahmen des bestehenden Art. 7 OECD-MA hinaus und ein geänderter Wortlaut des Art. 7 OECD-MA wurde erforderlich. 5 Bspw. OECD-MK 1995. 6 Art. 7 Rz. 11 OECD-MK 2005.

22 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.13 Kap. 2

nung von Gewinnen auf Betriebsstätten anzuwenden ist.1 Der AOA übernimmt dabei ausdrücklich den Interpretationsansatz des „FSEA“.2 Ein Rechtssubjekt. Wichtiger Gesichtspunkt bei der Gewinnzuordnung auf Be- 2.11 triebsstätten ist, dass nicht die einzelnen Teile eines Unternehmens rechtlich gesehen „Eigentümer“ von Vermögenswerten sind, Risiken übernehmen, Kapital besitzen oder Verträge mit anderen selbständigen Unternehmen abschließen, sondern das Unternehmen als zivilrechtliches Rechtssubjekt. Eine rechtliche Analyse von „Verträgen“ zwischen den rechtlich unselbständigen Teilen eines Unternehmens ist damit ausgeschlossen. Da es Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2005 aber erfordert, die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, das eigene Funktionen ausübt, eigene Risiken übernimmt und Vermögenswerte besitzt oder nutzt, bedarf es eines Mechanismus, der es ermöglicht, der angenommen eigenständigen und unabhängigen Betriebsstätte Risiken, das wirtschaftliche Eigentum von Vermögenswerten3 und Kapital zuzuordnen sowie mit der fiktiv selbständigen und unabhängigen Betriebsstätte jene Rechte und Pflichten zu assoziieren, die sich aus Geschäftsvorfällen zwischen selbständigen Unternehmen und dem Unternehmen ergeben, zu dem die Betriebsstätte gehört. Darüber hinaus ist es erforderlich, innerunternehmerische Leistungsbeziehungen („Innentransaktionen“) zwischen der fiktiv selbständigen Betriebsstätte und anderen Teilen des Unternehmens, zu dem sie gehört, zu identifizieren und ihre Natur zu bestimmen. Daraus soll sich dann das unternehmensinterne Äquivalent der Geschäftsvorfälle zwischen selbständigen Unternehmen ergeben. Es bedarf damit eines allgemein anerkannten Prinzips, durch das bestimmt wird, wie die Eigenständigkeit und die Unabhängigkeit der Betriebsstätte angenommen („hypothesiert“) und damit der „FSEA“ umgesetzt werden kann. Funktionsanalyse. Die OECD-Staaten haben sich dafür entschieden, für diesen 2.12 Zweck das Konzept der Funktionsanalyse anzuwenden, die schon die Grundlage für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach Art. 9 OECD-MA bildet. Nach dem AOA ist es daher die Funktionalität, die darüber entscheidet, wie sich die Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen darstellt. Allerdings sind bei Anwendung des Art. 9 OECD-MA die Unternehmen schon de facto rechtlich getrennt („eigenständig“) und es bedarf hier lediglich einer Korrektur des Gewinns in Fällen, in denen dieser durch die Tatsache der Verbundenheit beeinflusst ist. Aus diesem Grund ist im Rahmen des AOA auch nur eine analoge Anwendung der OECDLeitlinien möglich. Seiteneffekte. Im Rahmen verschiedener öffentlichen Konsultationen wurden Be- 2.13 denken dahingehend geäußert, dass der AOA Einfluss auf die Frage der Annahme 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 53. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 8. 3 „Wirtschaftliches Eigentum“ an Vermögenswerten im Kontext des Art. 7 OECD-MA ist gleichbedeutend mit dem Eigentum eines selbständigen Unternehmens, d.h., es beinhaltet die mit den Vermögenswerten verbundenen Vor- und Nachteilen (z.B. der Anspruch auf die aus dem Eigentum resultierenden Einnahmen wie Lizenzgebühren; das Recht, ein abschreibbares Gut abzuschreiben sowie das potentielle Risiko der Erwirtschaftung von Gewinnen oder Verlusten in Verbindung mit der Auf- und Abwertung der Aktiva).

Förster 23

Kap. 2 Rz. 2.13 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

einer Betriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA und/oder die Anwendung anderer Artikel des OECD-MA haben könnte. Um diesen Bedenken zu begegnen, wird ausdrücklich klargestellt, dass der Ansatz des AOA, die Betriebsstätte als funktional eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, eine reine Fiktion für Zwecke der Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten nach Art. 7 OECD-MA 2005 ist.1

2.14 Begrenzung auf Abkommensrecht. Der im AOA gewählte Ansatz soll auch nicht so verstanden werden, als unterstelle er, dass die Fiktion der Behandlung der Betriebsstätte als eigenständiges Unternehmen, welches mit anderen Teilen des Unternehmens, zu dem es gehört, in „innerunternehmerische Geschäftsbeziehungen“ tritt, Auswirkungen auf die Anwendung anderer Vorschriften des OECD-MA hat.2 Den allgemeinen Grundsätzen eines DBA folgend bestimmt der AOA nicht die Einzelheiten oder Mechanismen des nationalen Rechts, sondern begrenzt lediglich die Höhe des dem Quellenstaat zuzuordnenden Gewinns. In gleicher Weise sollen die Regeln des AOA weder nationale Missbrauchsvorschriften im Zusammenhang mit der Verrechnung von Verlusten noch nationale Regelungen zur Anrechnung von Steuern unterlaufen. 2.15 Befolgungsaufwand. In der Literatur wurde die Art und Weise, wie die Selbständigkeitsfiktion im AOA umgesetzt wurde, insbesondere im Hinblick auf die damit verbundenen Befolgungskosten, die ausschließliche Verbindung von Risiken mit Personalfunktionen und eines dadurch geschaffenen erheblichen Gestaltungsspielraums für die Steuerpflichtigen kritisiert.3 Darüber hinaus wurde befürchtet, dass der AOA wegen der Vielzahl der erforderlichen Fiktionen zu einer erheblichen Verkomplizierung der Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten führen wird.4 2.16 Einfluss auf Art. 9 OECD-MA. Wenngleich die OECD sowohl im Rahmen des AOA als auch im Zusammenhang mit der Diskussion zu den steuerlichen Verrechnungspreisen die Notwendigkeit heraushebt, die Gewinnzuordnung nach Art. 7 OECDMA von der der Gewinnanpassung zwischen verbundenen Unternehmen nach Art. 9 OECD-MA zu unterscheiden,5 ist es m.E. nach nicht zu bestreiten, dass der AOA die Diskussion im Bereich der Verrechnungspreise insofern beeinflusst hat, als es Personalfunktionen sind, an denen sich die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken orientiert.6 Ein Unterschied besteht allerdings insofern, als im Bereich der steuerlichen Verrechnungspreise eine Negativabgrenzung erfolgt (keine Zuordnung von 1 2 3 4 5

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 11. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 11. Schön, TNI 2007, 1059–1072. Wassermeyer, IStR 2012, 277. OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, 22.7.2010, https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/oecd-transfer-pricing-guidelines-for-multi national-enterprises-and-tax-administrations-2010_tpg-2010-en (nachfolgend „OECD-Leitlinien 2010“), Tz. 9.11. 6 OECD, Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations, Juli 2017, https://www.oecd.org/ctp/oecd-transfer-pricing-guidelines-for-multinatio nal-enterprises-and-tax-administrations-20769717.htm, (nachfolgend „OECD-Leitlinien 2017“), Tz. 1.86.

24 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.20 Kap. 2

Risiken ohne Kontrolle),1 während der AOA die Zuordnung direkt in Anlehnung an die entsprechenden Funktionen vornimmt. Zielvorgabe. Durch den AOA soll nunmehr eine einheitliche und am Fremdvergleich 2.17 orientierte Regelung im Hinblick auf die Anerkennung und Vergütung innerunternehmerischer Geschäftsvorfälle erfolgen. Auch hinsichtlich der Frage der Zuordnung von Dotationskapital soll der AOA im Vergleich zum bisherigen Art. 7 OECD-MK 2005 für ein erhöhtes Maß an Klarheit2 sorgen, wenngleich zugegeben werden muss, dass nicht alle Probleme gelöst werden. Dynamische Auslegung. Da es der grundsätzliche Ansatz des AOA ist, die OECD- 2.18 Leitlinien analog für die Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten anzuwenden, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen Änderungen und Klarstellungen der OECDLeitlinien auf den AOA haben. Die OECD geht diesbezüglich ausdrücklich von einer dynamischen Auslegung aus, d.h., zukünftige Änderungen wären automatisch zu berücksichtigen (s. Rz. 2.84 ff.).3

II. Allgemeine Grundsätze für die Zuordnung des Betriebsstättengewinns (Teil I des AOA) 1. Systematik Ausgangspunkt Funktionen. Der AOA übernimmt den in den OECD-Leitlinien 2.19 entwickelten Ansatz, nach dem die Erzielung von Gewinnen an die Ausübung von Funktionen geknüpft ist, wobei „Funktionen“ mit „Aktivitäten“ gleichgesetzt werden.4 Betriebsstättenbilanz. Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung der dem AOA zu- 2.20 grunde liegenden Systematik ist die Tatsache, dass das Aufstellen einer Betriebsstättenbilanz („drawing up a balance sheet“)5 verlangt wird. Obwohl die Prämisse, nach der die Entwicklung des AOA nicht von historischer Interpretation und Praxis beeinflusst sein sollte, wohl andere Ansätze zugelassen hätte,6 orientiert sich der AOA an der klassischen Art und Weise der Ermittlung von Gewinnen aus gewerblicher Tätigkeit. Insofern greift der AOA auch den grundsätzlichen Ansatz des bisherigen OECDMK auf, nach dem die Buchhaltung einer Betriebsstätte den Ausgangspunkt für den nach Art. 7 OECD-MA 2005 zu bestimmenden Gewinn bildet.7 Im Unterschied zum 1 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.60. 2 S. bspw. Art. 7 Rz. 18.2 OECD-MK, wonach die in früheren Fassungen des AOA vorgeschlagene direkte und indirekte Methode sich in der Praxis nicht bewährt haben und die OECD-Mitgliedstaaten eine [wie auch immer geartete] praktikable Lösung bevorzugen [Einschub des Autors]. 3 Siehe zur Interpretation im Rahmen von DBA Rz. 2.75. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 57. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Überschrift zu D-2 (iii) (vor Rz. 72). 6 Bspw. eine von einigen Vertretern geforderte formelhafte Gewinnaufteilung. 7 S. Art. 7 Rz. 12 ff. OECD-MK 2005.

Förster 25

Kap. 2 Rz. 2.20 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

bisherigen Ansatz (Übernahme und ggf. Anpassung einer bestehenden Gewinnermittlung) wird im AOA eine detaillierte Systematik für die Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten entwickelt, d.h., es werden eigenständige Grundsätze für die Erstellung einer Betriebsstättenbilanz aufgestellt. Eine dem Fremdvergleich entsprechende Zuordnung von Gewinnen auf eine Betriebsstätte ergibt sich danach aus der Gesamtheit der wirtschaftlichen Tätigkeiten der betreffenden Betriebsstätte, zu denen auch Geschäftsvorfälle mit fremden Unternehmen, Geschäftsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen sowie Innentransaktionen mit anderen Teilen des Unternehmens zählen.

2.21 2-stufiger Prozess (Schritt 1). Diese Systematik beinhaltet zwei Schritte. Im ersten Schritt erfolgt eine den Grundsätzen der OECD-Leitlinien analoge Funktionsanalyse, durch die die ökonomisch bedeutsamen Aktivitäten und Verantwortlichkeiten der Betriebsstätte im Kontext der gesamten Unternehmenstätigkeit und auch im Hinblick auf innerunternehmerische Leistungsbeziehungen festzustellen sind. Diese Analyse1 dient dazu, – die Funktionen des fiktiv selbständigen und unabhängigen Unternehmens sowie die in Bezug auf die Wahrnehmung dieser Funktionen wirtschaftlich relevanten Eigenschaften (sowohl „interne“ als auch „externe“ Bedingungen) zu ermitteln; – auf der Basis der Identifizierung der für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an Vermögenswerten maßgeblichen Personalfunktionen das wirtschaftliche Eigentum an Vermögenswerten den einzelnen Teilen des Gesamtunternehmens zuzuordnen; – auf der Basis der Identifizierung der für die Übernahme von Risiken maßgeblichen Personalfunktionen die Risiken den einzelnen Teilen des Gesamtunternehmens zuzuordnen; – der Betriebsstätte die Rechte und Pflichten zuzuordnen, die sich aus den Geschäftsvorfällen zwischen dem Unternehmen, zu dem die Betriebsstätte gehört, und selbständigen Unternehmen ergeben; – der Betriebsstätte auf der Basis der ermittelten Vermögens- und Risikostruktur Eigen- und Fremdkapital sowie einen entsprechenden Finanzierungsaufwand zuzuordnen; – den Charakter der zwischen der Betriebsstätte und anderen Teilen des Gesamtunternehmens getätigten Innentransaktionen zu ermitteln und zu bestimmen, ob sie als Geschäftsvorfälle anerkannt werden können.

2.22 2-stufiger Prozess (Schritt 2): Die Funktionsanalyse bildet damit die Grundlage für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken, nach der sich dann die Zuordnung von Eigen- und Fremdkaptal sowie des Finanzierungsaufwands richtet.2 Im zweiten Schritt erfolgt dann die Vergütung der anzuerkennenden Innentransaktio1 Von der nachstehenden Reihenfolge kann den Erfordernissen des Einzelfalls entsprechend abgewichen werden, OECD-Betriebsstättenbericht 2008, Teil I, Rz. 44 ff. 2 „Assets and risks follow functions“, auch als „OECD-Mantra“ bezeichnet.

26 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.23 Kap. 2

nen nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs durch analoge Anwendung der OECD-Leitlinien. Schritt 1: Fiktion der Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen

Schritt 2: Bestimmung des Gewinns

Ausgeübte Funktionen Funktionsund Tatsachenanalyse

Genutzte Wirtschaftsgüter

Vergleichbarkeitsanalyse

Übernommene Risiken Rechte und Pflichten

Anwendung der Verrechnungspreismethoden

Eigen- und Fremdkapital Anerkennung von innerunternehmerischen Geschäftsvorfällen

Abb.: Systematik AOA

2. Schritt 1: Bestimmung des fiktiven eigenständigen und unabhängigen Unternehmens, Erstellen der Betriebsstättenbilanz a) Die Funktionen der Betriebsstätte Funktionsanalyse: Nach dem AOA ist das im Kontext des Art. 9 OECD-MA für 2.23 Zwecke einer angenommenen Unabhängigkeit von verbundenen Unternehmen entwickelte Konzept einer Funktionsanalyse i.S.d. Kapitels 1 der OECD-Leitlinien1 analog anzuwenden, um auf dieser Grundlage die Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu fingieren, das unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen und unter Berücksichtigung der vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und die anderen Teile des Unternehmens ausgeübten Funktionen, der genutzten Vermögenswerte und der übernommenen Risiken die gleichen oder ähnliche Aktivitäten ausübt. Die Funktionsanalyse bildet auch die Grundlage für die Bestimmung, welche der Aktivitäten und Verantwortlichkeiten des Unternehmens mit der Betriebsstätte im Zusammenhang stehen und ggf. in welchem Umfang. Außerdem ist zu bestimmen, in welcher Eigenschaft Funktionen wahrgenommen werden, d.h., ob es sich um für einen anderen Unternehmensteil erbrachte Dienstleistungen handelt oder um eine Funktion, die Teil der unternehmerischen Tätigkeit der 1 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.51 ff.

Förster 27

Kap. 2 Rz. 2.23 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

Betriebsstätte selbst ist. Wird die Betriebsstätte durch eine feste Geschäftseinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA begründet, soll die Bestimmung der Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten, die mit der Betriebsstätte im Zusammenhang stehen, auf der Basis einer Analyse dieser „festen Geschäftseinrichtung“, sowie der von dieser „festen Geschäftseinrichtung“ ausgeübten Funktionen erfolgen. Diese Anweisung soll jedoch ausdrücklich nicht so zu verstehen sein, als sei die Funktionsanalyse ausschließlich auf die Betriebsstätte beschränkt. Vielmehr soll sich die Funktionsanalyse auf die Funktionen des gesamten Unternehmens, einschließlich der Betriebsstätte, erstrecken, d.h. auf alle Aktivitäten, die für die Betriebsstätte von anderen Unternehmensteilen und alle Aktivitäten, die durch die Betriebsstätte für andere Unternehmensteile ausgeübt werden.1

2.24 Personalfunktion. Der Begriff der Funktion ist im AOA auf die von Personen ausgeübten Funktionen („Personalfunktionen“, vgl. auch Rz. 7.70 ff.) beschränkt. Dies wird insbesondere im Rahmen der Ausführungen zur sog. „Server-Betriebsstätte“2 deutlich. Angesichts des Fehlens von „in der Betriebsstätte“ tätigem Personal sollen keine für die Zurechnung des Eigentums an Wirtschaftsgütern oder Vermögenswerten und/oder die Zuordnung von Risiken wesentlichen Personalfunktionen durch den „Server“ wahrgenommen und einer solchen Betriebsstätte nach dem AOA deshalb keine Vermögenswerte oder Risiken zugeordnet werden können. Folglich ergibt sich nach dem AOA für eine solche Betriebsstätte nur ein geringer bzw. gar kein Gewinn.3 b) Die Risiken der Betriebsstätte

2.25 Risiken. Unternehmerische Tätigkeit beinhaltet eine Vielzahl unternehmerischer Risiken. Der Begriff „Risiko“ umfasst dabei auch Chancen (vgl. auch Rz. 7.162 ff.). Je nach Unternehmenstätigkeit können sich Risiken sowohl auf Wertzuwachs/Wertverlust eines Wirtschaftsguts beziehen, aber auch aus der Ausübung bestimmter Funktionen resultieren, ohne direkt mit Wirtschaftsgütern zusammenzuhängen. Während sich bei rechtlich selbständigen Unternehmen die Zuordnung von Risiken aus zivilrechtlich wirksamen Vereinbarungen ergibt, scheidet dies für den Betriebsstättenzusammenhang aus, weil es rechtlich das Unternehmen als Ganzes ist, welches unternehmerische Risiken trägt, und eben nicht einzelne Unternehmensteile. Ungeachtet dessen erfordert es die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte aber, eine Zuordnung von Risiken auf die verschiedenen Unternehmensteile vorzunehmen. 2.26 Risikoübernahmefunktionen. Nach dem AOA werden der Betriebsstätte auf der Grundlage der Funktionsanalyse zunächst all jene Risiken zugeordnet, die sich direkt aus den für die Übernahme von Risiken maßgeblichen Personalfunktionen ergeben, die in der Betriebsstätte ausgeübt werden.4 Wegen des Fehlens wirksamer ver1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 62. 2 Art. 5 Rz. 42.1 ff. OECD-MK zu Fallgestaltungen, in denen ein Computer eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 OECD-MA begründet. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 66. 4 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 21.

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A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.29 Kap. 2

traglicher Vereinbarungen erfolgt insofern eine analoge Anwendung der OECDLeitlinien, als die Verteilung der Risiken und Verantwortlichkeiten im Unternehmen „aus dem Verhalten der Beteiligten und aus den für die Beziehungen zwischen unabhängigen Unternehmen üblicherweise geltenden ökonomischen Prinzipien hergeleitet werden müssen“.1 Die Schlussfolgerungen zur jeweiligen Risikoverteilung innerhalb des Unternehmens sollen sich dann auf der Grundlage der internen Praktiken des Unternehmens (z.B. Vergütungsregelungen), durch einen Vergleich mit unabhängigen Unternehmen oder auf Grundlage der vom Unternehmen vorgelegten Dokumentation ermitteln lassen (zur Relevanz der Dokumentation im Betriebsstättenzusammenhang s. Rz. 2.70 f.). Rückstellungen für Risiken. Ist nach dem Ergebnis dieser Analyse davon auszuge- 2.27 hen, dass die für die Risikoübernahme maßgeblichen Personalfunktionen von der Betriebsstätte wahrgenommen wurden, sind die auf dieser Grundlage zugeordneten Risiken bei der Gewinnermittlung der Betriebsstätte zu berücksichtigen. Konkret heißt das, dass die im Zusammenhang mit diesen Risiken gebuchten Rückstellungen der Betriebsstätte zugeordnet werden und die Betriebsstätte die steuerlichen Konsequenzen des Abzugs oder der Wiederzurechnung derartiger Rückstellungen sowie der Möglichkeit des Eintretens von Gewinnen und Verlusten auf Grund der Realisierung oder Nichtrealisierung der zugeordneten Risiken trägt. Risikotransfer. Die anfängliche Ausübung einer für die Übernahme eines Risikos 2.28 maßgeblichen Personalfunktion schließt es nicht aus, dass nachfolgend ein Risikotransfer im Rahmen einer Innentransaktion anzuerkennen sein kann (z.B. Übertragung eines Vermögenswerts und der mit diesem verbundenen Risiken von einer Betriebsstätte auf einen anderen Unternehmensteil oder Übertragung des Managements bestimmter Risiken auf einen anderen Unternehmensteil). Dies kann nach dem AOA dann der Fall sein, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein anderer Unternehmensteil die für das Management des Risikos relevante wesentliche Personalfunktion tatsächlich wahrnimmt und dies durch eine geeignete Dokumentation nachgewiesen wird. Allerdings soll es nicht möglich sein, ein Risiko allein durch die Fertigung von Aufzeichnungen auf einen Unternehmensteil, der das Risiko nicht von Beginn an übernommen hat, zu übertragen, wenn damit nicht zugleich auch das aktive Risikomanagement durch diesen Unternehmensteil wahrgenommen wird. Es gilt insofern auch hier der Grundsatz des AOA, nach dem eine Trennung von Risiko und Funktion nicht möglich ist. Verwalten von Risiken. Andererseits ist es aber auch möglich, dass eine Betriebsstät- 2.29 te, der ein Risiko aufgrund der von ihr ausgeübten und für die Übernahme des Risikos maßgeblichen Personalfunktion zugeordnet ist, Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Verwaltung des Risikos von einem anderen Unternehmensteil in Anspruch nimmt und sich insofern eine Trennung zwischen dem Management des Risikos und dessen Zuordnung ergibt. Kriterien, nach denen im Einzelfall eine Abgrenzung zwischen Dienstleistungserbringung und Übertragung erfolgen soll, liefert 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 69 auf Tz. 1.52 OECD-Leitlinien 2010 verweisend, allerdings nicht ausdrücklich in die OECD-Leitlinien 2017 übernommen.

Förster 29

Kap. 2 Rz. 2.29 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

der AOA jedoch nicht. Meines Erachtens dürften damit die allgemeinen Regelungen zur Anerkennung eines vom Steuerpflichtigen entsprechend dokumentierten innerunternehmerischen Geschäftsvorfalls1 anwendbar sein. c) Die Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte aa) Allgemeines

2.30 Wirtschaftliches Eigentum. Ähnlich der Zuordnung von Risiken ergibt sich auch bei der Zuordnung von Wirtschaftsgütern (vgl. auch Rz. 7.96 ff.) die Schwierigkeit, dass das Unternehmen als Ganzes rechtlich Eigentümer der Vermögenswerte ist und nicht ein einzelner Unternehmensteil. Für die Zuordnung von Vermögenswerten im ersten Schritt des AOA wird daher der Begriff des „wirtschaftlichen Eigentums“ benutzt, um die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einzelnen Unternehmensteilen zu beschreiben.2 2.31 Wirtschaftliches Eigentum, Folgen. Der im AOA verwandte Begriff des wirtschaftlichen Eigentums besagt, dass der jeweilige Unternehmensteil die aus dem Wirtschaftsgut resultierenden Einnahmen und Ausgaben erhält und die Chancen und Risiken einer Wertveränderung trägt. Dabei ist zu beachten, dass die Auswirkungen der Zuordnung im ersten Schritt auf die Bestimmung des Gewinns je nach Wirtschaftsgut und Wirtschaftszweig variieren. So folgt bspw. aus der Zuordnung eines im Produktionsprozess genutzten Wirtschaftsguts (Maschine) nicht automatisch, dass diesem Unternehmensteil auch das wirtschaftliche Eigentum an den damit hergestellten Produkten einschließlich der damit zusammenhängenden Chancen und Risiken zuzuordnen ist, sondern lediglich eine Zuordnung der Chancen und Risiken, die direkt mit dem Wirtschaftsgut (Maschine) und seiner Nutzung verbunden sind. Welchem Unternehmensteil die Chancen und Risiken aus dem Verkauf der Produkte zuzuordnen sind, ist eine Frage der Risikozuordnung. 2.32 KERT-Funktion. Diesbezüglich besteht ein Unterschied zur Behandlung von Finanzwirtschaftsgütern in der Finanzwirtschaft. Hier soll bspw. die Entscheidung über die Gewährung eines Darlehens nach dem AOA als maßgebliche Personalfunktion zum wirtschaftlichen Eigentum am Wirtschaftsgut „Darlehen“ einschließlich der Chancen und Risiken sowie der daraus im Außenverhältnis erzielten Erlöse (Zinsen) führen.3 Beim Zusammenfallen von wirtschaftlichem Eigentum am Wirtschaftsgut, Risiken und im Außenverhältnis erzielten Erlösen verwendet der AOA den Begriff der „hauptsächlichen unternehmerischen Risikoübernahmefunktion“ (key entrepreneurial risk taking functions „KERT“). 2.33 Ort der Verbuchung. Das wirtschaftliche Eigentum an Wirtschaftsgütern ist grds. dem Teil des Unternehmens zuzuordnen, in dem die für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums an Wirtschaftsgütern maßgeblichen Personalfunktionen ausgeübt werden. Im Rahmen der Funktionsanalyse sollen alle Tatsachen und Um1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 224 ff. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 72 ff. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 18–20.

30 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.35 Kap. 2

stände des Einzelfalls untersucht werden, um auf dieser Grundlage zu bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen die Vermögenswerte des Unternehmens im Rahmen der von der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen eingesetzt und unter welchen Bedingungen sie genutzt werden, um dann den Teil des Unternehmens zu bestimmen, der auf der Grundlage der maßgeblichen Personalfunktion als wirtschaftlicher Eigentümer der Wirtschaftsgüter zu behandeln ist. Dem Ort der Verbuchung kommt damit keine finale Bindungswirkung zu.1 bb) Materielle Wirtschaftsgüter Zuordnung nach Nutzung. Bei der Entwicklung des AOA haben die OECD-Staaten 2.34 offenbar unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter vertreten. Diese reichten von der Zuordnung auf Basis des allgemeinen Grundsatzes der bedeutsamsten Personalfunktionen bis hin zur Nutzung als allein maßgebliches Kriterium. Letztendlich hat man sich im Sinne einer pragmatischen Lösung darauf geeinigt, die Nutzung als Basis für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums anzusehen, soweit nicht besondere Umstände im Einzelfall eine andere Sichtweise rechtfertigen. Grundlage für diesen Kompromiss ist die Annahme, dass beide Lösungsansätze in der Praxis zum gleichen, zumindest aber nicht zu einem wesentlich anderen wirtschaftlichen Ergebnis führen sollten, weil – die Betriebsstätte, wenn sie als fiktiver Eigentümer des Wirtschaftsguts anzusehen ist, das Wirtschaftsgut, soweit es sich um ein abnutzbares Wirtschaftsgut handelt, abschreiben und ggf. anfallende Schuldzinsen abziehen kann und – wenn sie als Mieter des Wirtschaftsguts anzusehen ist, in der Regel berechtigt sein wird, die entsprechenden Mietzahlungen steuerlich wirksam als Betriebsausgaben abzuziehen. Die über die Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts bei beiden Alternativen insgesamt abziehbaren Beträge sollen dann in etwa gleich sein, auch wenn sie in den einzelnen Besteuerungszeiträumen variieren.2 cc) Immaterielle Wirtschaftsgüter („IWG“) Unterscheidung IWG. Hinsichtlich der Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter 2.35 unterscheidet der AOA in Anlehnung an Kapital VI OECD-Leitlinien 1995 zwischen „Marketing IWG“ (Firmenname, Logo etc.) und „Betrieblichen IWG“ (Know-how, Software etc.). Hier ist darauf hinzuweisen, dass die OECD-Leitlinien 2017 inzwischen auf diese Kategorisierung immaterieller Wirtschaftsgüter verzichten.3 Ungeachtet dessen finden sich die Begriffe aber nach wie vor im Glossar der OECD-Leitlinien 2017.

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 18. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 75. 3 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 6.15.

Förster 31

Kap. 2 Rz. 2.36 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

2.36 Selbst geschaffene betriebliche IWG. Bei selbst geschaffenen betrieblichen IWG sind für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums die Personalfunktionen maßgeblich, die die Entscheidungen im Hinblick auf die Übernahme und das Management einzelner oder mehrerer Risiken im Zusammenhang mit der Entwicklung des IWG treffen. Dabei ist auf den aktiven Entscheidungsprozess und nicht auf die rein strategische Ja- oder Nein-Entscheidung auf Leitungsebene abzustellen.1 Nach den Ausführungen des AOA liegt der Schluss nahe, dass für das wirtschaftliche Eigentum oft Funktionen ausschlaggebend sind, die unterhalb des strategischen Niveaus des oberen Managements ausgeübt werden. Es ist dies die Ebene, auf der bspw. das aktive Management bei der Entwicklung eines immateriellen Vermögenswerts stattfinden würde, d.h. die Ebene, auf der die Fähigkeit, die einem solchen Prozess innewohnenden Risiken aktiv zu kontrollieren, gegeben ist. Die Bestimmung soll für jeden Einzelfall gesondert erfolgen, da die für die Feststellung des wirtschaftlichen Eigentums an immateriellen Vermögenswerten maßgeblichen wesentlichen Personalfunktionen und insbesondere ihr relatives Gewicht nach den Umständen des Einzelfalls variieren.2 Der AOA empfiehlt daher, dass die Funktions- und Sachverhaltsanalyse die Dynamik des Forschungs- und Entwicklungsprogramms des betreffenden Unternehmens und insbesondere die kritischen Elemente des Entscheidungsprozesses sowie die jeweilige Ebene, auf der diese getroffen werden, beschreibt. Der Ort der beabsichtigten Nutzung eines betrieblichen IWG an sich soll insofern grundsätzlich kein zwingend maßgebliches Kriterium sein.3 Stattdessen liefert der AOA die nachfolgende beispielhafte Liste von Funktionen, die relevant sein könnten:4 – die Gestaltung der Prüfanforderungen und Prüfverfahren, die den Rahmen der wahrgenommenen Forschungstätigkeit bilden, – die Analyse und Evaluierung der aus diesen Prüfungen hervorgehenden Daten, – die Festsetzung von Entwicklungsphasen, nach denen Entscheidungen getroffen werden und – die konkrete Entscheidung darüber, ob das Projekt weiterfinanziert oder aufgegeben werden soll.

2.37 Erworbene betriebliche IWG. Für die Zuordnung von erworbenen betrieblichen IWG5 sind die o.g. Grundsätze entsprechend anzuwenden. Ebenso wie bei selbst entwickelten immateriellen Vermögenswerten ist festzustellen, welche die für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums maßgeblichen Personalfunktionen in Bezug auf den Erwerb sind und wo diese im Unternehmen ausgeübt werden. Maßgeblich ist wieder die aktive Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit der Übernahme und dem Management der im Zusammenhang mit dem Erwerb des Wirtschaftsguts stehenden Risiken. Diese Funktionen können die Evaluierung des erworbenen IWG, die Wahrnehmung einer ggf. erforderlichen Folgeentwicklungstätig1 2 3 4 5

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 87. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 88. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 90. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 88. Der Erwerb eines IWG kann direkt oder über eine Lizenz erfolgen.

32 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.39 Kap. 2

keit sowie die Evaluierung und das Management der Risiken in Verbindung mit der weiteren Entwicklung des immateriellen Vermögenswerts umfassen.1 Von Bedeutung sind u.a. Entscheidungen über die Frage, ob das jeweilige IWG für das Unternehmen wirtschaftlich Sinn macht oder aber ob statt eines Erwerbs die Eigenentwicklung nicht vorteilhafter wäre. Unter bestimmten Umständen soll sich dies auf genau dieselbe Art und Weise ermitteln lassen wie bei selbst entwickelten immateriellen Vermögenswerten.2 Marketing IWG. Eine grundsätzliche Frage bei der Zuordnung von „Marketing 2.38 IWG“ ist, ob bspw. der Firmenname, ein Logo oder eine Marke mit hohem Bekanntheitsgrad dem Grunde nach als im wirtschaftlichen Eigentum aller Teile des Unternehmens stehend anzusehen ist.3 Ein solches Gemeinschaftseigentum lehnt der AOA ab. Stattdessen sind die zu den betrieblichen IWG entwickelten Grundsätze einer Zuordnung auf Basis der bedeutsamsten Entscheidungsfunktionen auch auf „Marketing IWG“ entsprechend anzuwenden. Dies können bspw. Funktionen sein, die im Zusammenhang mit der Schaffung oder der Kontrolle von Marketingstrategien sowie dem Schutz von Marken stehen. Als problematisch für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums wird es dabei angesehen, dass „Marketing IWG“ häufig vor langer Zeit entwickelt und Aktivitäten zur Werterhaltung (bspw. Werbeaufwendungen) über einen langen Zeitraum und in verschiedenen Staaten getragen worden sind. Diese Problematik ist allerdings nicht auf die Frage der Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten beschränkt, sondern ergibt sich in gleicher Weise zwischen verbundenen Unternehmen.4 Der AOA beschränkt sich hier weitgehend auf einen Verweis auf die einschlägigen Regelungen in den OECD-Leitlinien. Die überarbeiteten OECD-Leitlinien dürften m.E. wegen der von der OECD angenommenen dynamischen Auslegung in diesem Bereich von besonderer Relevanz für die Anwendung des AOA sein. Inwieweit dies auch noch für die derzeit laufende Diskussion zur digitalisierten Wirtschaft5 gelten wird, kann erst nach Abschluss dieser Arbeiten beurteilt werden. Kostenumlagevereinbarungen bei IWG. Die o.g. Grundsätze können zum Allein- 2.39 oder gemeinschaftlichen Eigentum an Wirtschaftsgütern führen.6 Ergibt die Funktionsanalyse, dass der Sachverhalt mit einer Kostenumlagevereinbarung vergleichbar ist, sind die Grundsätze des Kapitels VIII OECD-Leitlinien analog anzuwenden.

1 2 3 4 5

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 94. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 93. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 96. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 97. OECD (2019), Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One v. 9.10.2019, https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-secretariat-propo sal-unified-approach-pillar-one.pdf. 6 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 200.

Förster 33

Kap. 2 Rz. 2.40 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

d) Die Rechte und Verpflichtungen der Betriebsstätte

2.40 Geschäftsvorfälle (extern). Die Zuordnung des Gewinns auf eine Betriebsstätte muss nach dem AOA auch Geschäftsvorfälle mit anderen, selbständigen verbundenen und unverbundenen Unternehmen berücksichtigen. Die Zuordnung der mit anderen Unternehmen abgewickelten Geschäftsvorfälle soll nach dem AOA wiederum auf der Grundlage der Funktionsanalyse und der der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerte und übernommenen Risiken erfolgen. Es sind einer Betriebsstätte danach die externen Rechte und Verpflichtungen zuzuordnen, von denen anzunehmen wäre, dass sie von der Betriebsstätte als gedachtes eigenständiges und unabhängiges Unternehmen abgeschlossen worden wären. Die entsprechenden Gewinnauswirkungen sollen im Fall von Geschäftsvorfällen mit unabhängigen Unternehmen direkt errechnet werden oder – im Fall von Geschäftsvorfällen mit verbundenen Unternehmen – ggf. durch direkte Anwendung der OECD-Leitlinien korrigiert werden.1 e) Eigen-/Fremdkapital und der Finanzierungsaufwand der Betriebsstätte aa) Systematik/Grundsätze

2.41 Passivseite der Betriebsstättenbilanz. Die fiktive Selbständigkeit erfordert es, der Betriebsstätte auf der Passivseite der Betriebsstättenbilanz einen Anteil am Eigenund Fremdkapital zuzuordnen und auf dieser Grundlage den zuzuordnenden Fremdfinanzierungsaufwand zu bestimmen. Es treten in diesem Zusammenhang die folgenden Fragestellungen auf: – Wie sind Eigenkapital (Dotationskapital) und Finanzierungskosten der Betriebsstätte zu ermitteln? – Können Kapitalbewegungen innerhalb des Unternehmens als Innentransaktion anerkannt werden? – Wie ist bereits für die Betriebsstätte gebuchter Finanzierungsaufwand ggf. anzupassen?

2.42 Kreditrating der Betriebsstätte. Nach dem AOA findet die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte ihre Grenze dadurch, dass die Eigenkapitalausstattung zwar der jeweils ermittelten Vermögens- und Risikostruktur der Unternehmensteile folgt, bei dieser Aufteilung allerdings davon auszugehen ist, dass alle Teile des Unternehmens die gleiche Kreditwürdigkeit besitzen.2 Die Gewährung von Eigenkapital (Dotationskapital) durch einen Unternehmensteil an einen anderen Unternehmensteil ist damit grundsätzlich ebenso ausgeschlossen wie die Anerkennung innerunternehmerischer Garantievereinbarungen.3

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 98. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 30. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 100; zur Kritik an diesem Ansatz s. ebenda Rz. 101, 103.

34 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.46 Kap. 2

bb) Dotationskapital/Fremdkapital Dotationskapital. Wegen des grds. Ansatzes des AOA, nachdem Wirtschaftsgüter 2.43 und Risiken sowie externe Geschäftsvorfälle auf der Basis von ausgeübten Personalfunktionen zuzuordnen sind und die Zuordnung von Dotationskapital wiederum der auf diese Weise ermittelten Vermögens- und Risikostruktur der Betriebsstätte folgt, hat die Entscheidung über die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken nach der Logik des AOA direkten Einfluss auf die Bestimmung des Dotationskapitals (vgl. auch Rz. 8.1 ff.). Dotationskapital muss in ausreichender Höhe vorhanden sein, um den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken begegnen zu können1. Das den Unternehmensteilen zugeordnete Dotationskapital ist dabei eine Rechengröße, die dazu dient, das der Betriebsstätte zuzuordnende Fremdkapital zu ermitteln, dem dann in einem späteren Schritt ein entsprechender Zinsaufwand zuzuordnen ist.2 Fremdkapital-/Eigenkapitalqualifizierung. Im AOA wird zwar drauf hingewiesen, 2.44 dass die Regeln zur Charakterisierung von Finanzierungsinstrumenten als Fremdkapital oder Eigenkapital von Land zu Land unterschiedlich sein und diese Unterschiede zu Doppelbesteuerung bzw. weißen Einkünften führen können, es wird jedoch geschlussfolgert, dass eine eigenständige Behandlung dieser Problematik im Rahmen des AOA nicht angebracht ist, weil sie von grundsätzlicher Natur und nicht auf Betriebsstätten beschränkt ist. Dotationskapital (Methoden). Für die Zuordnung von Dotationskapital be- 2.45 schreibt der AOA mehrere Methoden, durch die ein fremdvergleichskonformes Ergebnis erzielt werden kann, die jedoch abhängig vom zu betrachtenden Einzelfall unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen. Diese Methoden wählen unterschiedliche Ausgangspunkte. Zum einen ist dies ein Ansatz, nach der das Eigenkapital des Gesamtunternehmens in Anlehnung an die Vermögens- und Risikostruktur des Unternehmens aufgeteilt wird („Kapitalaufteilungsmethode“), und zum anderen ein Ansatz, nach der die Kapitalisierung in Anlehnung an vergleichbare Unternehmen ermittelt wird („Fremdvergleichs oder Mindestkapitalausstattungsmethode“). Daneben werden noch sog. „Wirtschaftliche Zuordnungsmethoden“ und die sog. „Aufsichtsrechtliche Mindestkapitalisierungsmethode“ beschrieben. Genaue Anweisungen darüber, wann welche Methode anzuwenden sein soll, enthält der AOA nicht. Es wird vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls verwiesen und darauf, dass (i) jeder Ansatz je nach Fallgestaltung Stärken und Schwächen aufweist und es (ii) keinen einzigen dem Fremdvergleich entsprechenden Betrag eines Dotationskapitals gibt. Vielmehr gibt es eine Bandbreite potentieller Kapitalzuordnungen, in deren Rahmen es möglich ist, einen Betrag für das Dotationskapital zu ermitteln, der zu einem fremdvergleichskonformen Ergebnis führt.3 Kapitalzuordnungsmethode. Als Vorteil der Kapitalzuordnungsmethode wird an- 2.46 gesehen, dass eine Verteilung des Gesamtkapitals des Unternehmens erfolgt, die im Ergebnis auch zu einer Verteilung etwaiger Synergieeffekte führt, was dazu beiträgt, 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 108. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 150. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 31.

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Kap. 2 Rz. 2.46 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

die Gefahr einer Doppelbesteuerung zu vermindern. Als problematisch werden dabei allerdings Fallgestaltungen angesehen, in denen sich die Geschäftsaktivitäten der Betriebsstätte vollkommen von denen des Gesamtunternehmens unterscheiden (bspw. wenn die Betriebsstätte als Vertreiber und das Stammhaus als Produzent tätig ist) oder aber die Marktverhältnisse in den beteiligten Staaten sehr unterschiedlich sind (bspw. wenn das Stammhaus im Markt etabliert und die Betriebsstätte sich in der Markteinführungsphase befindet). Bestehen solche Unterschiede, sollen diese bei Anwendung der Methode so weit wie möglich und in adäquater Weise berücksichtigt werden, wobei aber weitgehend offenbleibt, wie dies in der Praxis geschehen soll. Weiterhin als problematisch angesehen werden Fallgestaltungen, in denen das Eigenkapital nicht für die gesamte Unternehmenstätigkeit zur Verfügung steht, weil bspw. ein Teil des Kapitals für einen Zweck gebunden ist, der nur mit einem bestimmten Unternehmensteil in funktionalem Zusammenhang steht. Im Unterschied zur Finanzwirtschaft kann es in anderen Wirtschaftszweigen schwierig sein, überhaupt einen Aufteilungsmaßstab zu bestimmen, der die Vermögens- und insbesondere Risikostruktur in geeigneter Weise reflektiert.1

2.47 Mindestkapitalausstattungsmethode. Die Mindeskapitalausstattungsmethode vermeidet einige der bei der Kapitalaufteilungsmethode auftretenden Probleme, wie bspw. die Notwendigkeit, tätigkeits- und marktbezogene Besonderheiten bei der Aufteilung zu reflektieren, oder die eines insgesamt unterfinanzierten Unternehmens. Bei dieser Methode wird stattdessen die Bestimmung geeigneter Vergleichsunternehmen bzw. Anpassungsrechnungen und die daraus regelmäßig hohe Bandbreite von Ergebnissen als problematisch angesehen. Darüber hinaus kann eine globale Anwendung der Methode im Endeffekt zu einem Ansatz von mehr oder weniger Eigenkapital führen, als tatsächlich im Gesamtunternehmen vorhanden ist. 2.48 Wirtschaftliche Kapitalzuordnungsmethoden. Der AOA erwähnt weiterhin sog. wirtschaftliche Kapitalzuordnungsmethoden. Dies sind Methoden, bei denen die Risiko- und Kapitalverteilung unternehmensinternen Risikoberechnungsmodellen folgt, wobei diese im Hinblick auf Unvollkommenheit und Probleme der Nachvollziehbarkeit zumindest im Zeitpunkt, in dem der AOA verfasst wurde, allenfalls als Ausgangspunkt anerkannt werden könnten.2 Damit erlaubt der AOA grundsätzlich eine Anwendung dieser Methoden, denn Kriterium ist alleine die Frage einer ausreichenden Genauigkeit. Die ständige Weiterentwicklung unternehmensinterner Steuerungs- und Risikobewertungsmodelle könnte daher in der Praxis zwischenzeitlich und zukünftig zu einer anderen Beurteilung führen. 2.49 Quasi-Mindestkapitalausstattungsmethode. Nach der sog. Quasi-Mindestkapitalausstattungsmethode3 wird eine im Tätigkeitsstaat ggf. gesetzlich geforderte Mindestkapitalausstattung für die Bestimmung des steuerlichen Dotationskapitals herangezogen. Hauptsächlicher Nachteil dieser Methode ist, dass solche gesetzlichen Vorschriften wohl lediglich im Finanzbereich existieren und dazu führen können, 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 121–127. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 128. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 135–138.

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A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.51 Kap. 2

dass insgesamt weniger als ein relativer Anteil des insgesamt im Unternehmen vorhandenen Eigenkapitals zugeordnet wird und ggf. überschüssiges Eigenkapital beim Stammhaus verbleibt. Die Nutzung dieser Methoden als „safe harbour“ wird im AOA in Übereinstimmung mit den entsprechenden Ausführungen in Tz. 4.123 OECDLeitlinien 1995 grds. nicht empfohlen. In diesem Zusammenhang ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Nutzung von safe harbours in den OECD-Leitlinien 2017 inzwischen insgesamt weniger kritisch gesehen wird.1 Dies hat m.E. trotz der grundsätzlich vorzunehmenden dynamischen Auslegung keine Auswirkungen auf den hier relevanten Teilaspekt einer nicht vollständigen Verteilung des Eigenkapitals, der ungeachtet dessen problematisch ist.2 Unterkapitalisierung. Als besondere Problematik bei der Bestimmung eines an- 2.50 gemessenen Dotationskapitals gelten Fallgestaltungen mit unterkapitalisierten Unternehmen. Die Kapitalaufteilungsmethode würde in solchen Fallgestaltungen nicht zu einem dem Fremdvergleichsgrundsatz genügenden Ergebnis führen. Um hier dennoch ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erzielen, schlägt der AOA vor, Daten außerhalb des Unternehmens heranzuziehen und auf dieser Basis die Fremdvergleichsmethode für die einzelnen Unternehmensteile direkt anzuwenden (wobei auch hier unterstellt wird, dass alle Unternehmensteile das gleiche Kreditrating haben). Alternativ könnte auch zunächst das Eigenkapital des Gesamtunternehmens angepasst werden, um dann auf dieser Basis die Kapitalaufteilungsmethode anzuwenden. Bei der Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Kapitalisierung in Fallgestaltungen unterkapitalisierter Unternehmen sind auch etwaige wirtschaftliche Gründe für die niedrige Kapitalisierung zu berücksichtigen. Stehen diese Gründe nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Betriebsstätte, kann es gerechtfertigt sein, mehr als das insgesamt im Gesamtunternehmen vorhandene Eigenkapital als Dotationskapital zuzuordnen. Stehen diese Gründe jedoch im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Betriebsstätte, sollen sie bei der Auswahl geeigneter Vergleichsunternehmen oder der erforderlichen Anpassungsrechnungen Berücksichtigung finden. Ist dies nicht möglich, sollten andere zulässige Methode angewandt werden, um ein fremdvergleichskonformes Ergebnis zu erreichen. Doppelbesteuerungsrisiken (Dotationskapital). Da die Zulässigkeit mehrere Me- 2.51 thoden wohl nur in der Theorie zu übereinstimmenden Ergebnissen führt, dürften sich in der Praxis m.E. wohl häufig unterschiedliche Kapitalansätze aus Sicht des Ansässigkeits- und des Betriebsstättenstaates insbesondere deswegen ergeben, weil die Kapitalaufteilungsmethode häufig zu einem Betrag und die Fremdvergleichsmethode zu einer Bandbreite von Ergebnissen führt. Ein evtl. daraus resultierendes Doppelbesteuerungsrisiko wäre m.E. allerdings dann reduziert, wenn der nach einer Methode ermittelte Betrag innerhalb der nach der anderen Methode ermittelten Bandbreite möglicher Ergebnisse liegt.

1 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 4.95. 2 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 4.114.

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Kap. 2 Rz. 2.52 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

cc) Bestimmung des Finanzierungsaufwands der Betriebsstätte

2.52 Ansätze zur Bestimmung des Finanzierungsaufwands. Ebenso wie im AOA mehr als eine Methode für die Bestimmung des Dotationskapitals anerkannt wird, werden auch mehrere Methoden anerkannt, um die der Betriebsstätte zuzuordnenden verzinslichen Fremdfinanzierungmittel zu bestimmen und den auf diese Verbindlichkeiten anzuwendenden Zinssatz zu ermitteln. Bereits der OECD-MK 2005 erwähnt hier einerseits die Möglichkeit einer direkten Zuordnung des externen Finanzierungsaufwands, bei der alle von der Betriebsstätte benötigen Finanzmittel bis zur externen Finanzierung zurückverfolgt werden („tracing approach“) und andererseits die Zuordnung eines Anteils am insgesamt extern entstandenen Finanzierungsaufwand („fungibility approach“). Hingewiesen wird aber auch darauf, dass beide Methoden – in Reinform angewandt – problematisch sind.1 2.53 Bestimmung des Finanzierungsaufwands nach AOA. Im Hinblick auf die Bestimmung des Finanzierungsaufwands legt der AOA den Schwerpunkt darauf, dass der Betriebsstätte letztendlich ein dem Fremdvergleich entsprechender Finanzierungsaufwand zugeordnet worden ist. Ebenso wie bei der Zuordnung von Dotationskapital verzichtet der AOA bei der Zuordnung des Finanzierungsaufwands darauf, eine einzige Methode festzulegen. Es wird stattdessen auf die von verschiedenen Staaten bevorzugten, teilweise kombinierten Ansätze verwiesen, wie bspw. eine direkte Zuordnung bei größeren Positionen und des „fungibility approaches“ für die übrigen Finanzmittel. Eine weitere Methode ist, den Zinsaufwand unter Bezugnahme auf den Zinsaufwand vergleichbarer unabhängiger Unternehmen unter vergleichbaren Umständen zu ermitteln. Letztendlich sollen nach dem AOA alle Methoden zulässig sein, durch die der Betriebsstätte ein dem Fremdvergleich entsprechender Zinsaufwand zugeordnet wird.2 Dabei wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass gerade dieses hohe Maß an Freiheit ein gewisses Potential für Doppelbesteuerung mit sich bringt, für deren Beseitigung dann nur die Möglichkeit der Streitbeilegungsverfahren nach Art. 25 OECD-MA bestünde. 2.54 Innerunternehmerische Finanzierungstransaktionen. Während Kapitalbewegungen zwischen den verschiedenen Unternehmensteilen an sich nicht zwingend zu anzuerkennenden Innentransaktionen führen, ist es nach dem AOA allerdings durchaus möglich, für die Ermittlung des Zinsaufwands der Betriebsstätte innerunternehmerische Finanzierungstransaktionen anzuerkennen und entsprechend zu vergüten. Bei der Bestimmung der fremdvergleichskonformen Vergütung für derartige Transaktionen ist allerdings zu beachten, dass das innerhalb des Unternehmens angenommene gleiche Kreditrating für alle Unternehmensteile den Ansatz eines Vergütungsanteils für Kreditrisiken ausschließt.3

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 155. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 156. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 159.

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A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.57 Kap. 2

dd) Anpassung des gebuchten Finanzierungsaufwands Bestimmung des in der Gewinnermittlung der einzelnen Unternehmensteile 2.55 letztendlich abzugsfähigen Zinsaufwands. Diesbezüglich wird ein weiterer Berechnungsschritt erforderlich, wenn sich Abweichungen zwischen dem tatsächlich gebuchten und dem fremdvergleichskonformen Zinsaufwand ergeben. Ist bspw. das der Betriebsstätte zugewiesene Dotationskapital niedriger als der nach den Grundsätzen des AOA ermittelte fremdvergleichskonforme Betrag, soll eine Verringerung des ursprünglich für die Betriebsstätte geltend gemachten Zinsaufwands erfolgen, um dadurch das fremdvergleichskonformes Dotationskapital zu berücksichtigen.1 Auch für diese Berechnung lässt der AOA verschiedene Methoden zu. Kann bspw. konkret festgestellt werden, welche Fremdmittel durch Eigenkapital ersetzt werden, soll die Korrekturrechnung auf Basis des auf diese Fremdmittel entfallenden Zinsaufwands erfolgen. Ist solch eine konkrete Berechnung nicht möglich, kann die Ermittlung sowohl auf Basis eines entsprechenden Anteils an dem im jeweiligen Wirtschaftsjahr durchschnittlich in der Betriebsstätte angefallenen Zinsaufwands oder auf Basis der tatsächlich von der Betriebsstätte extern geleisteten Zinszahlungen erfolgen. Darüber hinaus ist es auch möglich, andere Methoden anzuwenden, wenn sie zu einem für den Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltung akzeptableren Ergebnis führen.2 f) Bestimmung der der Betriebsstätte zuzuordnenden Geschäftsvorfälle Innerunternehmerische Transaktionen („dealings“). Nachdem Betriebsstätten 2.56 und Stammhaus den o.g. Grundsätzen folgend als selbständige Unternehmen fingiert wurden und auf dieser Grundlage die Gewinnermittlung der Betriebsstätte erstellt wurde, sieht der AOA vor festzustellen, inwieweit die zwischen den einzelnen Unternehmensteilen stattfindenden Leistungsbeziehungen als Geschäftsvorfälle anzuerkennen und den Grundsätzen des Fremdvergleichs entsprechend zu vergüten sind („anzuerkennende Innentransaktionen“, „dealings“, vgl. auch Rz. 9.1 ff.). Bei der Anerkennung (oder Nichtanerkennung) von Innentransaktionen zwischen einer Betriebsstätte und anderen Teilen des Unternehmens soll eine Reihe von Aspekten berücksichtigt werden. Eine Betriebsstätte ist weder rechtlich noch wirtschaftlich unabhängig vom Rest des Unternehmens, dessen Teil sie ist. Innentransaktionen zwischen einer Betriebsstätte und den übrigen Teilen des Unternehmens, auch wenn sie wie vertragliche Beziehungen dokumentiert werden, haben keine Rechtsfolgen für das Gesamtunternehmen. Aus diesem Grund legt der AOA höhere Maßstäbe an evtl. anzuerkennende Innentransaktionen an, als dies für Geschäftsvorfälle zwischen verbundenen, aber rechtlich eigenständigen Unternehmen nach Art. 9 OECD-MA der Fall wäre.3 Anerkennungsvoraussetzungen. Wesentliche Voraussetzung einer „anzuerkennen- 2.57 den Innentransaktion“ ist, dass ihr ein echtes und identifizierbares Ereignis zu1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 162–172. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 165. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 175.

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Kap. 2 Rz. 2.57 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

grunde liegt. Nur dann soll sie in der Gewinnermittlung der Betriebsstätte Berücksichtigung finden. Als Beispiele eines solches echten und identifizierbaren Ereignisses werden die physische Übertragung von Warenbeständen, die Erbringung von Dienstleistungen, der Einsatz eines immateriellen Vermögenswerts oder eine veränderte Nutzung von Anlagevermögen genannt.1

2.58 Relevanz der Dokumentation. Die buchhalterische Behandlung in Verbindung mit einer entsprechend aussagekräftigen Dokumentation einer Innentransaktion soll dabei den Ausgangspunkt für eine mögliche Anerkennung bilden. Steuerpflichtige werden aufgefordert, etwaige anzuerkennende Innentransaktionen angemessen zu dokumentieren, um auf diese Weise den Raum für unterschiedliche Interpretationen zwischen den beteiligten Staaten zu minimieren. Die Steuerverwaltungen sind aufgefordert, die so dokumentierten Innentransaktionen für Zwecke der Gewinnermittlung zu berücksichtigen, wenn – die Dokumentation mit der durch die Funktionsanalyse ermittelten wirtschaftlichen Realität im Einklang steht, – die im Zusammenhang mit der anzuerkennenden Innentransaktion dokumentierten Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit nicht von denen abweichen, die zwischen vergleichbaren selbständigen Unternehmen getroffen worden wären, die in einer wirtschaftlich vernünftigen Art und Weise handeln oder die Dokumentation des Steuerpflichtigen die Steuerverwaltung nicht daran hindert, einen geeigneten Verrechnungspreis zu bestimmen und – die vom Steuerpflichtigen dokumentierte „anzuerkennende Innentransaktion“ den Grundsätzen des AOA nicht widerspricht, indem z.B. ein Risikotransfer dokumentiert wird, durch den Funktionen und Risiken getrennt würden.

2.59 Dynamische Auslegung. Der AOA verweist auf die Tz. 1.26–1.29 und 1.36–1.41 OECD-Leitlinien 2010. Dem Grundsatz einer dynamischen Auslegung folgend, wären die umfangreichen Änderungen zu Kapitel I OECD-Leitlinien 2017 nunmehr entsprechend anzuwenden (s. Rz. 2.75). 3. Schritt 2: Bestimmung des Betriebsstättengewinns auf der Grundlage einer Vergleichsanalyse a) Anwendung von Verrechnungspreisregelungen auf „innerunternehmerische Leistungsbeziehungen“

2.60 Vergleichsanalyse. Der AOA sieht in der zweiten Stufe vor, für die nach den o.g. Grundsätzen anzuerkennenden Innentransaktionen eine dem Fremdvergleich entsprechende Vergütung durch analoge Anwendung der OECD-Leitlinien zu bestimmen.2 Dabei wird ein Vergleich zwischen der Innentransaktion und einer Transaktion zwischen selbständigen und unverbundenen Unternehmen vorgenommen. Dieser Vergleich soll den Grundsätzen der in den OECD-Leitlinien beschriebenen Ver1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 177. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 183–188.

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A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.62 Kap. 2

gleichsanalyse folgen, d.h., dass entweder etwaige Unterschiede zwischen der anzuerkennenden Innentransaktion und einer Transaktion zwischen fremden Dritten die Vergleichbarkeit nicht beeinflussen oder aber hinreichend genaue Anpassungen vorgenommen werden können. Darüber hinaus sollen die Aggregationsgrundsätze in Kapitel I OECD-Leitlinien ebenso Anwendung finden wie die Regelungen zur Anwendung der OECD-Verrechnungspreismethoden. Anwendung der Verrechnungspreismethoden. Für die Ermittlung der fremdver- 2.61 gleichskonformen Vergütung von Innentransaktionen soll die nach den Umständen des Einzelfalls geeignetste Methode1 ausgewählt und analog zu den Grundsätzen in den OECD-Leitlinien angewendet werden. Dabei ist eine mehrfache Berücksichtigung von Kosten zu vermeiden. Beispielsweise dürfen die mit einer anzuerkennenden Innentransaktion zusammenhängenden Kosten, die von einem anderen Teil des Unternehmens zugunsten der Betriebsstätte getragen wurden, nicht der Betriebsstätte belastet werden, wenn sie bereits im Fremdvergleichspreis für die jeweilige Innentransaktion berücksichtigt sind. Der AOA führt dafür das Beispiel von Produktprüfungskosten an, die nicht im Rahmen einer Innentransaktion „Dienstleistungen“ berücksichtigt werden dürfen, wenn sie bereits in dem Verrechnungspreis für ein an die Betriebsstätte „verkauftes“ Produkt enthalten sind, und der Betriebsstätte mit Gewinnaufschlag berechnet wurden.2 Außerdem ist im Hinblick auf die interne Verrechnung von Kosten, die mehreren Innentransaktionen zuzuordnen sind, sicherzustellen, dass die jeweiligen Kosten nicht mehrfach geltend gemacht werden. Ob außerhalb der Betriebsstätte entstandene Kosten dem Grunde nach zu berücksichtigen sind, soll sich durch eine Funktions- und Sachverhaltsanalyse der betreffenden Unternehmensteile ergeben. Hinsichtlich der Frage der technische Berücksichtigung von Kosten bei Anwendung der verschiedenen Verrechnungspreismethoden macht der AOA keine konkreten Vorgaben, sondern verweist auf verschiedene Praktiken in den einzelnen Staaten, die – zumindest was die Anwendung des Art. 7 OECD-MA angeht – zum gleichen Ergebnis führen sollen.3 b) Beispiele für die Anwendung von Verrechnungspreisregelungen auf typische Innentransaktionen aa) Übertragung von Wirtschaftsgütern und Risiken Nutzungs- und Funktionsänderungen. Die Frage des wirtschaftlichen Eigentums 2.62 oder der Zuordnung von Risiken stellt sich nicht nur im Zeitpunkt des Erwerbs eines Wirtschaftsguts oder der Übernahme eines Risikos, sondern auch später, bspw. bei der Nutzungsänderung eines materiellen Wirtschaftsguts durch den tatsächlichen Transfer in einen anderen Unternehmensteil oder wenn sich eine Funktionsänderung in Bezug auf ein bestimmtes Risiko ergibt, d.h. maßgebliche Funktionen später in einem anderen Unternehmensteil ausgeübt werden. Aufgrund der Entscheidung der OECD-Staaten, bei materiellen Wirtschaftsgütern die Nutzung als grundsätzlich 1 OECD-Leitlinien 2017, Tz. 2.2 unverändert. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 187. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 189.

Förster 41

Kap. 2 Rz. 2.62 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

maßgebendes Kriterium für die Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums anzusehen, können der Transfer und die Nutzung des Wirtschaftsguts in einem anderen Staat grundsätzlich zur Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums führen. Diese Übertragung ist dann mit dem Marktwert zu berücksichtigen, der unter Beachtung des jeweiligen nationalen Rechts sowohl die Grundlage für die Berechnung eines etwaigen Veräußerungsgewinns als auch die Abschreibungsbemessungsgrundlage bildet.1 Die Funktionsanalyse könnte aber auch ergeben, dass sich Betriebsstätte und Stammhaus wie Teilnehmer an einer Kostenumlagevereinbarung verhalten. In diesem Fall sollen die Grundsätze des Kapitels VIII OECD-Leitlinien analog anzuwenden sein.2 Ist nach den Grundsätzen des AOA trotz des physischen Transfers im Ausnahmefall keine Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums anzunehmen, ist von einer Nutzungsüberlassung/einem Mietverhältnis auszugehen, was zu entsprechendem laufenden Mietaufwand/-ertrag und konsequenterweise nicht zu einer Realisierung etwaiger Veräußerungsgewinne/-verluste führt.3 bb) Transaktionen im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern

2.63 Anwendung der Verrechnungspreisrichtlinien für IWG. Ergibt sich nach der Funktionsanalyse, dass das alleinige oder ein Teil des gemeinschaftlichen Eigentums an einem immateriellen Vermögenswert der Betriebsstätte zuzuordnen ist, sollen bei der Zuordnung des Gewinns zur Betriebsstätte die Grundsätze des Kapitels VI OECD-Leitlinien („Besondere Überlegungen für immaterielle Wirtschaftsgüter“) oder, bei entsprechenden Fallgestaltungen, des Kapitel VIII OECD-Leitlinien („Kostenumlagevereinbarungen“) analog Anwendung finden.4 2.64 Lizenzzahlungen bei Betriebsstätten. Im Gegensatz zum OECD-MK 2005 erlaubt der AOA fiktive Lizenzzahlungen als eine der denkbaren Möglichkeiten, um im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern eine dem Fremdvergleich entsprechende Zuordnung des Betriebsstättengewinns zu erreichen. Damit sind innerhalb des Unternehmens alle Fallgestaltungen denkbar, die auch zwischen selbständigen Unternehmen denkbar sind (Erwerb, exklusive und nicht exklusive Lizenzen).5 Beispielsweise kann das durch das Unternehmen erworbene Recht, ein immaterielles Wirtschaftsgut zu nutzen, einen Vermögenswert darstellen, dessen wirtschaftliches Eigentum auf der Grundlage der Funktionsanalyse dem Teil des Unternehmens zuzuordnen ist, der die dafür maßgeblichen wesentlichen Personalfunktionen ausübt. Stellt der auf dieser Grundlage bestimmte und als wirtschaftlicher Eigentümer anzusehende Unternehmensteil den immateriellen Vermögenswert einem anderen Teil des Unternehmens zur Nutzung zur Verfügung und sind die Voraussetzungen einer anzuerkennenden Innentransaktion erfüllt, soll der Charakter einer solchen Innen-

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OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 196. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 197 f. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 199. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 200. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 200–209.

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A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.69 Kap. 2

transaktion auf der Grundlage einer Funktionsanalyse als vollständige Übertragung oder als eine Lizenzierung bestimmt werden.1 Dynamische Auslegung AOA. Wegen der nach Auffassung der OECD vorzuneh- 2.65 menden dynamischen Auslegung des AOA kommt der Neufassung der Kapitel VI und VIII OECD-Leitlinien eine besondere Bedeutung zu. c) Behandlung von vor bzw. nach dem Bestehen einer Betriebsstätte anfallenden Ausgaben Aufwand und Ertrag vor und nach Betriebsstättenbegründung. Hinsicht der Fra- 2.66 ge, wie funktional mit der Betriebsstätte zusammenhängender Aufwand oder Ertrag, der vor oder nach der Existenz der Betriebsstätte entsteht, zu behandeln ist, beschränkt sich der AOA darauf, die Problematik zu beschreiben, die in verschiedenen Staaten verfolgten Ansätze darzustellen und auf zukünftig weitere Arbeiten zu verweisen.2 4. Anwendung des AOA auf Vertreterbetriebsstätten Vertreterbetriebsstätte (Voraussetzungen). Nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MA kann ei- 2.67 ne Betriebsstätte auch durch die Tätigkeit eines abhängigen Vertreters begründet werden („Vertreterbetriebsstätte“). Die Voraussetzungen für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte können sowohl durch fremde dritte natürliche oder juristische Personen als auch durch verbundene Unternehmen erfüllt werden. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass der AOA die Frage der Ermittlung des der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnenden Gewinns behandelt und nicht die Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte verändert oder in irgendeiner Weise interpretiert.3 Single taxpayer approach. Der AOA verwirft in diesem Zusammenhang einen An- 2.68 satz, nach der der abhängige Vertreter und die durch ihn begründete Betriebsstätte als ein Steuerpflichtiger anzusehen sind, dem konsequenterweise nur ein Gewinn zugeordnet werden kann („single taxpayer approach“).4 Vertreterbetriebsstätte (Gewinnzuordnung). Für eine Vertreterbetriebsstätte wird 2.69 ebenfalls die dem AOA zugrunde liegende Systematik einer sich an maßgeblichen Personalfunktionen orientierenden Ermittlung auf Basis des funktionell eigen- und selbständigen Unternehmens angewandt. Während die Beurteilung der Unternehmenstätigkeit des abhängigen Vertreters den allgemeinen Grundsätzen der Gewinnermittlung für selbständige Unternehmen folgt und dieser Gewinn ggf. nach Art. 9 OECD-MA anzupassen ist, folgt die Zuordnung des Gewinns auf die Vertreterbetriebsstätte (vgl. auch Rz. 11.5 ff.) davon losgelöst und streng den im AOA entwickel1 2 3 4

OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 210. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 221 ff. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 227. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 235.

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Kap. 2 Rz. 2.69 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

ten Grundsätzen. Sind die vom abhängigen Vertreter ausgeübten Funktionen als maßgebliche Personalfunktionen für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern oder Risiken anzusehen, führt dies zur Zuordnung der betreffenden Wirtschaftsgüter und Risiken einschließlich eines nach den Grundsätzen des Berichts ermittelten Anteils am Eigenkapital des Gesamtunternehmens auf die Vertreterbetriebsstätte. Auf dieser Grundlage erfolgt dann die Zuordnung eines Gewinns auf diese Betriebsstätte. Folge dieser eigenständigen Systematik ist, dass sich ein eigenständiger Gewinn/Verlust der Vertreterbetriebsstätte ergeben kann, aber nicht muss.1 5. Dokumentation

2.70 Dokumentationsanforderungen. Die Dokumentationsvorschriften des Kapitels V OECD-Leitlinien sollen für den AOA analog Anwendung finden.2 Zu beachten ist dabei, dass die Dokumentation bei Betriebsstätten im Vergleich zur Dokumentation für Zwecke des Art. 9 OECD-MA über eine Funktionsanalyse und Vergleichbarkeitsanalyse insofern hinausgeht, als sie auch die nach dem AOA erforderlichen zusätzlichen Aspekte wie die Zuordnung von Wirtschaftsgütern, Risiken und Eigenkapital sowie die Frage umfasst, ob einer anzuerkennenden Innentransaktion ein echtes und identifizierbares Ereignis zugrunde liegt (vgl. auch Rz. 12.1 ff.). 2.71 Dynamische Auslegung (Dokumentation). Auch für Fragen der Dokumentation kommt zumindest aus Sicht der OECD der dynamischen Auslegung wegen der Überarbeitung des Kapitels V im Rahmen der OECD-Leitlinien 2017 eine besondere Rolle zu.

III. Teil II des AOA (Anwendung auf Bankbetriebsstätten) 2.72 Bankbetriebsstätten. Teil II des AOA wendet die in Teil I entwickelten Grundsätze auf das traditionelle Bankgeschäft (vgl. Rz. 14.1 ff.), d.h. das Leihen und Verleihen von Geld in Form von Darlehen an. Teil II beschreibt zunächst die im traditionellen Bankgeschäft ausgeübten Funktionen, qualifiziert diese und geht auf besondere Geschäftsvorfälle dieses Wirtschaftszweigs ein.3 Das Kapitel zur Anwendung der OECDLeitlinien auf das traditionelle Bankgeschäft zwischen verbundenen Unternehmen beschränkt sich auf die Aussage, dass insofern keine besonderen theoretischen Probleme bestehen.4 Es folgt eine ausführliche Betrachtung der Anwendung des AOA.5

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OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 227–247 m.w.N. und einem Beispiel. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 224 f. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Kapitel B. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Kapitel C. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Kapitel D.

44 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.75 Kap. 2

IV. Teil III des AOA (Anwendung auf das „Global Trading“ bei Banken) Global Trading. Teil III des AOA wendet die in Teil I entwickelten Grundsätze auf 2.73 den weltweiten Handel mit Finanzinstrumenten („Global Trading“) an. Es werden zunächst die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Global Trading1 und die in diesem Zusammenhang auftretende Verrechnungspreisproblematik bei verbundenen Unternehmen dargestellt.2 Anschließend werden diese Schlussfolgerungen analog auf Betriebsstättenfälle angewandt.3 Teil III des AOA aktualisiert damit den Inhalt des im Jahre 1998 veröffentlichten Berichts über das Global Trading mit Finanzinstrumenten4 und entwickelt für diesen Wirtschaftszweig damit sowohl Richtlinien für die Anwendung des Art. 7 OECD-MA als auch für die des Art. 9 OECD-MA.

V. Teil IV des AOA (Anwendung auf Versicherungsbetriebsstätten) Versicherungen. Im Teil IV werden die im Teil I des Berichtes entwickelten allgemei- 2.74 nen Grundsätze der Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten auf den von vielfältigen Besonderheiten geprägten Wirtschaftszweig der Versicherungswirtschaft angewandt. Der Bericht gliedert sich in eine Analyse des Versicherungsgewerbes und eine Abhandlung über die Anwendung der allgemeinen Grundsätze des AOA auf ebenjene Versicherungsbetriebsstätten (vgl. Rz. 15.1 ff.).

VI. Die Implementierung des AOA in das OECD-MA 1. Aktualisierungen und Änderungen des OECD-MA und OECD-MK Dynamische Auslegung (OECD-MA). Nach Auffassung der OECD sind die Ände- 2.75 rung eines Artikels im OECD-MA und Änderungen des OECD-MK, die eine direkte Folge eines geänderten Artikels sind, nicht relevant für die Interpretation und Anwendung von vorher abgeschlossenen DBA, wenn deren Artikel sich substantiell von dem geänderten Artikel unterscheiden. Demgegenüber sollen aber andere Änderungen oder Ergänzungen des OECD-MK in der Regel für die Interpretation und Anwendung von bestehenden DBA anwendbar sein,5 deren Wortlaut dem bestehenden Artikel entspricht. Eine solche dynamische Interpretation bestehender DBA ist jedoch international umstritten6 und wird in Deutschland wohl vielfach abgelehnt.7

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OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Kapitel B. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Kapitel C. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Kapitel D. OECD-Bericht „The Taxation of Global Trading of Financial Instruments“ v. 9.3.1998. Einleitung Rz. 35 OECD-MA. Ward, The role of the Commentaries on the OECD Model in the tax treaty interpretation process, Bulletin Tax Treaty Monitor 2006, 97 ff.; Engelen, Some observations on the legal status of the Commentaries on the OECD Model, Bulletin Tax Treaty Monitor 2006, 105. 7 Hemmelrath/Keppler, IStR 2013, 37 ff.

Förster 45

Kap. 2 Rz. 2.76 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

2. Der zweistufige Ansatz zur Implementierung des AOA

2.76 Änderung zum bisherigen OECD-MK. Die Tatsache, dass der AOA ohne Einschränkungen durch historische Interpretation und Praxis entwickelt wurde (s.o. Rz. 2.4), führte dazu, dass sich durch den AOA neben einer Vielzahl von Klarstellungen des Art. 7 OECD-MK auch direkte Unterschiede zu den Schlussfolgerungen im bestehenden Art. 7 OECD-MK 2005 ergaben. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, hat der Steuerausschuss der OECD bei der Annahme des AOA 2008 entschieden, den AOA im Rahmen eines zweistufigen Verfahrens umzusetzen. 2.77 2-stufige Implementierung des AOA. Um mehr Rechtssicherheit bei der Interpretation des bestehenden Texts von Art. 7 OECD-MA zu gewährleisten und den o.g. Grundsätzen der dynamischen Auslegung der OECD folgend, wurden zunächst die Schlussfolgerungen des AOA, die als nicht mit dem bestehenden OECD-MK in Konflikt stehend angesehen wurden, im Sinne einer Klarstellung in Art. 7 OECDMK 2008 eingefügt. Um die Schlussfolgerungen vollumfänglich reflektieren zu können, begannen im Juli 2008 die Arbeiten an einer Neufassung des Art. 7 OECD-MA. Diese fanden mit der Veröffentlichung eines geänderten Art. 7 OECD-MA und einer Kommentierung, die den AOA vollumfänglich umsetzt, im Rahmen des OECDMA 2010 ihren Abschluss. 3. Aktualisierung des OECD-MK 2008

2.78 Aktualisierung im OECD-MK 2008. Bei der Aktualisierung des Art. 7 OECDMK 2008 wurden nur diejenigen Schlussfolgerungen des AOA in den OECD-MK eingefügt, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie nicht mit der bis dahin geltenden Fassungen des OECD-MK in Konflikt stehen.1 Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem AOA und der bis dahin geltenden Fassung des Art. 7 OECD-MK 2005 liegt in der Behandlung innerunternehmerischer Leistungsbeziehungen. Während nach dem AOA Innentransaktionen, denen ein echtes und identifizierbares Ereignis zugrunde liegt, anzuerkennen und nach Fremdvergleichsgrundsätzen, d.h. in der Regel unter Einbeziehung eines Gewinnelements, zu vergüten sind, folgen die früheren Fassungen des OECD-MK verschiedenen Ansätzen, die nur teilweise eine Anerkennung von Innentransaktionen vorsehen und bei denen die Frage, inwieweit ggf. ein Gewinnzuschlag anzuerkennen ist, nicht auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes beantwortet wird.2 Da es sich insofern um eine klare Änderung und eben nicht um eine Klarstellung einer bestehenden Regelung handelt, blieb es in Art. 7 OECD-MK bei den bisherigen Regelungen. 2.79 Symmetriegrundsatz für die Zuordnung von Dotationskapital. Eine Besonderheit im Rahmen der Aktualisierung 2008 bildet eine Regelung, durch die Doppelbesteuerungskonflikte verhindert werden sollen, die möglicherweise wegen der Anerkennung 1 Art. 7 Rz. 7 OECD-MK 2008. 2 Art. 7 Rz. 21 f. OECD-MK 2008 zur Übertragung von Wirtschaftsgütern, Art. 7 Rz. 34 OECD-MK 2008 zur Nutzung von IWG oder Art. 7 Rz. 35 f. OECD-MK zu Dienstleistungen, bei denen die Frage des Gewinnzuschlags u.a. davon abhängen soll, ob die entsprechende Dienstleistung die Haupttätigkeit des Unternehmens darstellt.

46 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.80 Kap. 2

mehrerer Methoden zur Zuordnung von Eigenkapital entstehen. Danach soll der Ansässigkeitsstaat die Höhe des der Betriebsstätte zugeordneten Eigenkapitals durch den Betriebsstättenstaat akzeptieren, wenn (i) die Zuordnung von Eigenkapital in unterschiedlicher Höhe eine Folge unterschiedlicher Kapitalzuordnungsmethoden im nationalen Recht der beteiligten Staaten ist und (ii) der Betriebsstättenstaat eine zulässige Kapitalzuordnungsmethode angewandt hat, die zu einem dem Fremdvergleich entsprechenden Ergebnis führt (Symmetriegrundsatz für die Zuordnung von Eigenkapital). Dies soll entweder direkt durch eine entsprechende Anwendung der Art. 7 und 23 A/B OECD-MA erfolgen oder im Rahmen des Verständigungsverfahrens nach Art. 25 OECD-MA.1 Zu beachten ist, dass Deutschland zusammen mit den USA und Japan eine Bemerkung zur Anwendung dieser Regelung in den OECD-MK eingefügt hat und diesen Ansatz ablehnt.2 Vorbehalte/Bemerkungen im OECD-MK 2008: Insgesamt hat nur Neuseeland die 2.80 Änderungen in Art. 7 OECD-MK 2008 vollständig abgelehnt. In Bezug auf die Zuordnung von Kapital bzw. des Fremdkapitals wurden neben der o.g. Bemerkung von Deutschland, Japan und den USA auch Bemerkungen von Griechenland, Portugal, und Schweden in den OECD-MK 2008 eingefügt. Vergleich wichtiger Aussagen in Art. 7 OECD MK 2005 und Art. 7 OECD-MK 2008 Rz. 2005

Rz. 2008

Inhalt

Vergleich

Einleitung zu Art. 7 OECD-MK 7

AOA als besserer Ansatz zur Zuordnung des Betriebsstättengewinns

+

8

Anwendung des Art. 7 wegen Wegfalls des Art. 14 OECD-MK

=

10

Konkrete Ablehnung einer Attraktivkraft der Betriebsstätte

+

11

Keine Begrenzung des Betriebsstättengewinns auf den Gewinn des Gesamtunternehmens

+

14

Wegfall der Terminologie „Stammhaus“, stattdessen Verwendung des Begriffs „Rest des Unternehmens“

+

15

Ausdrückliche Anerkennung von Gewinndifferenzen in Ansässigkeits- und Quellenstaat wegen unterschiedlicher Gewinnermittlungsvorschriften

+

Buchführung als Ausgangspunkt der Betriebsstättengewinnermittlung

=

Art. 7 Abs. 1 OECD-MK

Art. 7 Abs. 2 OECD-MK

16/19

1 Art. 7 Rz. 48 OECD-MK 2008. 2 Art. 7 Rz. 73 OECD-MK 2008.

Förster 47

Kap. 2 Rz. 2.80 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN Rz. 2005

Rz. 2008 17–8

Vergleich

Verweis auf den AOA als Grundlage für die Bestimmung, ob eine Anpassung der Buchführung erforderlich ist, um den Grundsätzen der Selbständigkeitsfiktion zu entsprechen (FSEA)

+

Aufforderung zur Dokumentation

+

Regelungen zur Anerkennung von in der Buchführung ausgewiesenen Geschäftsvorfällen und Fremdvergleichspreisen



21/22

Übertragung von Wirtschaftsgütern innerhalb des Unternehmens

=

23–25

Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Bau und Montagebetriebsstätten i.S.d. Art. 5 Abs. 3 OECDMA

+

Gewinnzuordnung auf Vertreterbetriebsstätten i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA und Verweis auf AOA

+

Besondere Regelungen zur steuerlichen Behandlung von Darlehensausfällen im Betriebsstättenzusammenhang



27–29

Grundsätze der Anerkennung von Betriebsausgaben im Betriebsstättenzusammenhang

=

30

Klarstellung, dass Art. 7 OECD-MA nur die Zuordnung von Ausgaben betrifft und nicht deren tatsächliche Abzugsfähigkeit

+

31

Frage des Gewinnzuschlags auf innerunternehmerische Geschäftsvorfälle abhängig davon, ob das Unternehmen die jeweilige Leistung gegenüber Dritten mit einem Gewinnzuschlag erbracht hätte

=

32

Gewinnzuschlag, wenn die Kosten im Zusammenhang mit der Gewinnrealisierung durch die Betriebsstätte stehen, kein Gewinnzuschlag, wenn es sich um allgemeine Kosten handelt

=

33

Gewinnzuschlag bei Übertragung von Gütern für den Weiterverkauf

=

34

Für IWG nur Zuordnung der Kosten für Entwicklung, Anschaffung und Erhaltung

=

35

Bei Dienstleistungen Gewinnzuschlag nur, wenn diese auch gegenüber Dritten erbracht werden

=

36

Gewinnzuschlag auch, wenn die Dienstleistungserbringung die Haupttätigkeit der Betriebsstätte darstellt

=

20 12–14

26 15.2–15.4

48 Förster

Inhalt

A. Die Entwicklung des AOA Rz. 2005

Rz. 2008 37

Inhalt

Vergleich

Kosten für Dienstleistungen allgemeiner Natur ohne Gewinnzuschlag

=

Abzugsfähigkeit von Zinsaufwand und Übertragung von Finanzwirtschaftsgütern Anerkennung, dass sich die frühere Regelung zur direkten und indirekten Zuordnung von Finanzierungsaufwand nicht bewährt hat



38–40

Berücksichtigung von Kosten der Geschäftsführung

=

44

Anerkennung, dass sich die frühere Regelung zur direkten und indirekten Zuordnung von Finanzierungsaufwand nicht bewährt hat

=

41–47

Zuordnung von Eigenkapital und Fremdfinanzierungsaufwand nach den Grundsätzen des AOA

+

48

Symmetrieregelung bzgl. Anerkennung des vom Betriebsstättenstaat ermittelten Fremdfinanzierungsaufwands

+

49

Verweis auf die Teile II und III des AOA zu besonderer Regelung für die Finanzwirtschaft

+

50

Verweis auf Teil IV des AOA zu besonderen Regelungen für Versicherungen

+

51

Öffnung für andere Methoden, soweit sie zu einem den Anforderungen des Art. 7 OECD-MA 2008 entsprechendem Ergebnis führen

=

18–20

18.2

Rz. 2.81 Kap. 2

Art. 7 Abs. 4–7 OECD-MK Unverändert

=

(+): Regelung des AOA übernommen (=): keine Änderung, d.h. evtl. Änderung durch AOA nicht übernommen (–): Regelung weggefallen

4. Änderung des OECD-MA 2010 Neuer Artikel 7 OECD-MA 2010. Im Rahmen der Überarbeitung des OECD-MA 2.81 wurde Art. 7 OECD-MA 2010 neu gefasst, um die vollständige Anwendung des AOA zu ermöglichen: Art. 7 OECD-MA 2010 Unternehmensgewinne „(1) Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaates können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Staat durch eine dort belegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne, die der Betriebsstätte nach Absatz 2 zuzurechnen sind, im anderen Staat besteuert werden.

Förster 49

Kap. 2 Rz. 2.81 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN (2) Bei der Anwendung dieses Artikels sowie von Artikel 23 A, 23 B sind die Gewinne, die der in Absatz 1 genannten Betriebsstätte in jedem Vertragsstaat zuzurechnen sind, die Gewinne, die sie hätte erzielen können, insbesondere in ihren Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmensteilen, wenn sie als selbstständiges und unabhängiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte, unter Berücksichtigung der vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und durch andere Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken. (3) Ändert ein Vertragsstaat die einer Betriebsstätte eines Unternehmens eines der Vertragsstaaten zuzurechnenden Gewinne in Übereinstimmung mit Absatz 2 und besteuert er dementsprechend Gewinne des Unternehmens, die bereits im anderen Staat besteuert worden sind, so nimmt der andere Staat eine entsprechende Änderung der von diesen Gewinnen erhobenen Steuer vor, soweit dies zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung erforderlich ist. Bei dieser Änderung werden die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten einander erforderlichenfalls konsultieren. (4) Gehören zu den Gewinnen Einkünfte, die in anderen Artikeln dieses Abkommens behandelt werden, so werden die Bestimmungen jener Artikel durch die Bestimmungen dieses Artikels nicht berührt.“

2.82 Vorbehalte OECD-MA 2010. Ein Vorbehalt gegen die Anwendung der neuen Fassung des Art. 7 OECD-MA 2010 wurde innerhalb der OECD-Staaten von Neuseeland, Chile, Griechenland, Mexiko und der Türkei eingelegt.1 Portugal behält sich vor, die neue Fassung des Artikels erst nach einer Anpassung des nationalen Rechts in seinen neuen DBA zu berücksichtigen.2 2.83 Neufassung des Art. 7 OECD-MK 2010. Mit der Änderung des OECD-MA 2010 ging eine Neufassung des Art. 7 OECD-MK 2010 einher, die die in der nachfolgenden Tabelle zusammengefassten Regelungsbereiche umfasst. Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Übernahme des neuen Art. 7 OECD-MA wohl erhebliche Zeit in Anspruch nehmen wird und einige OECD-Staaten der Neufassung kritisch gegenüberstehen, enthält der OECD-MK 2010 auch noch die Kommentierung zu Art. 7 OECD-MK 2008. Rz.

Inhalt

Einleitung zu Art. 7 OECD-MA 3

Fremdvergleichsgrundsatz und Selbständigkeitsfiktion als ursprüngliches Grundprinzip der Betriebsstättengewinnermittlung

4–8

Unterschiedliche Interpretation des Art. 7 OECD-MA und Entwicklung des AOA

9

AOA als Grundlage für die Interpretation des Art. 7 OECD-MA

Art. 7 Abs. 1 OECD-MK 10/11

Betriebsstätte als Voraussetzung der Gewinnbesteuerung im Quellenstaat

12–14

Begrenzung der Gewinnbesteuerung auf die durch die Betriebsstätte erwirtschafteten Gewinne; keine Attraktivkraft der Betriebsstätte

1 Art. 7 Rz. 95 f. OECD-MK 2010. 2 Art. 7 Rz. 97 OECD-MK 2010.

50 Förster

A. Die Entwicklung des AOA Rz.

Rz. 2.83 Kap. 2

Inhalt

Art. 7 Abs. 2 OECD-MK 15/16

Zweistufige Analyse des AOA

17/18

Keine Begrenzung des Betriebsstättengewinns durch den Gewinn des Gesamtunternehmens, d.h. Zuordnung eines positiven Betriebsstättenergebnisses auch bei Gesamtverlust möglich

19/20

Grundsätze des AOA

21

Erste Stufe des AOA

22

Zweite Stufe des AOA

23–25

Anzuerkennende innerunternehmerische Geschäftsvorfälle

26

Dokumentation

27

Anwendung des AOA durch Ansässigkeits- und Quellenstaat

28

Selbständigkeitsfiktion führt nicht zu Einkommen, das unter andere Zuweisungsnormen fallen würde.

29

Alternative zu Rz. 28

30–32

Frage der tatsächlichen Besteuerung im Regelungsbereich des nationalen Rechts

33/34

Interaktion mit Art. 24 OECD-MA (Diskriminierungsverbot)

35–37

Besonderheiten bei Bau- und Montagebetriebsstätten

38–40

Zuordnung von Geschäftsleitungs- und allgemeinem Verwaltungsaufwand

41

Kommentar zum Wegfall von Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008

42

Kommentar zum Wegfall von Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2008

43

Kommentar zum Wegfall von Art. 7 Abs. 5 OECD-MA 2008

Art. 7 Abs. 3 OECD-MK 44/45

Grundsätze für die Vermeidung der Doppelbesteuerung

46

Keine Anpassung von in beiden Staaten korrespondierend erklärten und dem Fremdvergleich entsprechenden Ergebnissen

47/48

Beispiele zu Rz. 46

49–53

Grundsätze der Gegenberichtigung nach Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010

55–57

Beispiele zur Gegenberichtigung nach Art. 7 Abs. 6 OECD-MA 2010

58/59

Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010 im Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 OECD-MA

60

Mögliche Methoden für die Durchführung einer Gegenberichtigung

61

Zweitberichtigung (Secondary adjustments) im Betriebsstättenzusammenhang

62/63

Zeitpunkt einer Gegenberichtigung

64

Streitbeilegung

Förster 51

Kap. 2 Rz. 2.83 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN Rz.

Inhalt

65/66

Interaktion zwischen Berichtigungen nach Art. 7 OECD-MA 2010 und Berichtigungen nach Art. 9 OECD-MA

67

Interaktion zwischen Gegenberichtigungen nach Art. 7 Abs. 3 OECD-MA 2010 und Art. 23 A/B OECD-MA

68/69

Alternative Formulierung zu Art. 7 Abs. 3 OECD-MA (keine Pflicht zur Gegenberichtigung)

70

Anwendung Rz. 66/67 auch im Fall der alternativen Art. 7 Abs. 3 OECD-MK 2010

Art. 7 Abs. 4 OECD-MK 71

Bestimmung des Begriffs „Gewinn“

72–75

Betriebsstättenvorbehalt

76

Einbeziehung von Lizenzgebühren in den Gewinnbegriff des Art. 7 OECD-MA

77

Einbeziehung von Art. 14 OECD-MA (vor 2000)

VII. Der AOA im Kontext des OECD-Aktionsplans zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung („Base Erosion and Profit Shifting – BEPS“) 1. Allgemeines

2.84 BEPS. Der OECD-Aktionsplan gegen die Erosion von Steuerbemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting – BEPS) benennt 15 Maßnahmen, durch die die an dem Projekt teilnehmenden Staaten in Zukunft verhindern wollen, dass international tätige Unternehmen wenig oder gar keine Steuern zahlen. Innerhalb dieser 15 Maßnahmen wird der Themenkomplex der Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten im Zusammenhang mit dem Aktionspunkt 7 (Verhinderung der künstlichen Vermeidung einer Betriebsstätte) erwähnt. Der im Jahr 2015 veröffentlichte Bericht zu diesem Aktionspunkt sieht die Entwicklung von ergänzenden Leitlinien darüber vor, wie die Grundsätze des Art. 7 OECD-MA auf Betriebsstätten anzuwenden sind, die nach der Reform des Art. 5 OECD-MA anzunehmen sind.1 2.85 Darüber hinaus wird es als notwendig angesehen, die Ergebnisse anderer BEPSMaßnahmen, insbesondere die zu den steuerlichen Verrechnungspreisen, zu berücksichtigen. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Änderungen des Art. 5 OECD-MA keine substantielle Überarbeitung der bestehenden Regeln zur Ge1 OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7 – 2015 Final Report, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris. http://dx.doi.org/10.1787/9789264241220-en – nachfolgend: „OECD-Bericht zu BEPS-Aktionspunkt 7“.

52 Förster

A. Die Entwicklung des AOA

Rz. 2.87 Kap. 2

winnzuordnung auf Betriebsstätten erfordern.1 Im Ergebnis hält die OECD damit (zumindest derzeit) an der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken auf der Basis von Personalfunktionen fest. Dem Grundsatz einer dynamischen Auslegung in Bezug auf die Anwendung der OECD-Leitlinien folgend sollen die Ergebnisse der BEPS-Aktionspunkte 8–10 (Verrechnungspreise) automatisch anwendbar sein. Hierbei sind m.E. jedoch die durch die Systematik des AOA gesetzten Grenzen, wie bspw. die Zuordnung auf Basis von maßgeblichen Personalfunktionen oder aber die Annahme eines gemeinsamen Kreditratings, für alle Unternehmensteile zu beachten. Die Überarbeitung der Verrechnungspreisrichtlinien wurde im Februar 2020 mit der Veröffentlichung eines Kapitels zu Finanztransaktionen (Kapitel X) abgeschlossen.2 Die Arbeiten zu BEPS Aktionspunkt 7 führten im Jahr 2018 zu Änderungen in Art. 5 OECD-MA 2017 und ergänzenden Leitlinien.3 2. Folgen der Schlussfolgerungen zu Aktionspunkt 7 a) Änderungen in Bezug auf die Annahme einer Vertreterbetriebsstätte (Art. 5 Abs. 5 und Abs. 6 OECD-MA) Vertreterbetriebsstätten OECD-MA. Die im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 7 2.86 vorgeschlagenen Änderungen in Bezug auf Vertreterbetriebsstätten4 sehen vor, dass eine Person, die in einem Staat für ein Unternehmen aus einem anderen Staat tätig wird, die Voraussetzung einer Betriebsstätte des beauftragenden Unternehmens erfüllt, wenn sie Verträge abschließt oder aber einen Hauptbeitrag zum Abschluss von Verträgen leistet, die anschließend in der Regel ohne substantielle Änderungen durch das beauftragende Unternehmen übernommen werden, und die Verträge entweder im Namen des beauftragenden Unternehmens abgeschlossen werden oder zu einem Transfer von Gütern und Dienstleistungen durch das Unternehmen führen (vgl. auch Rz. 3.10 ff.). In diesem Zusammenhang wird klargestellt, dass die bisherige Methodik für die Zuordnung des Gewinns auf Betriebsstätten davon unbeeinflusst bleibt.5 Vertreterbetriebsstätte (Anwendungsreihenfolge Artikel 7 und 9 OECD-MA). 2.87 Wird der Tatbestand einer Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MA durch die Tätigkeit einer natürlichen oder juristischen Person erfüllt, so ist diese Tä1 OECD-Bericht zu BEPS-Aktionspunkt 7, Tz. 19 f., http://dx.doi.org/10.1787/978926 4241220-en. 2 OECD (2020), Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions http://www.oecd.org/ tax/beps/transfer-pricing-guidance-on-financial-transactions-inclusive-framework-onbeps-actions-4-8-10.htm. 3 OECD (2018), Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7 v. 22.3.2018, http://www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attri bution-of-profits-to-a-permanent-establishment-under-beps-action7.htm – nachfolgend: „OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA“. 4 OECD-Bericht zu BEPS-Aktionspunkt 7, Tz. 9, http://dx.doi.org/10.1787/9789264241220en. 5 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien zu Art. 7 OECD-MA v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECDMA, Tz. 30, http://www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-apermanent-establishment-under-beps-action7.htm.

Förster 53

Kap. 2 Rz. 2.87 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

tigkeit für zwei Steuersubjekte im Quellenstaat von Relevanz: den ständigen Vertreter und die Betriebsstätte. Wird die Vertreterbetriebsstätte durch ein verbundenes Unternehmen begründet, ist für die Bestimmung der im Quellenstaat zu versteuernden Einkünfte sowohl Art. 9 OECD-MA (Anpassung der Gewinne zwischen verbundenen Unternehmen) als auch Art. 7 OECD-MA (Ermittlung des Gewinns für die Betriebsstätte) relevant. Während Art. 9 OECD-MA eine Anpassung der Gewinne der verbundenen Unternehmen erlaubt, soweit diese nicht dem Fremdvergleich entsprechen, bestimmt Art. 7 OECD-MA die Gewinne der durch das verbundene Unternehmen begründeten Betriebsstätte des nichtansässigen Unternehmens. Hinsichtlich der Frage, in welcher Reihenfolge die Art. 7 und 9 OECD-MA anzuwenden sind, d.h., ob zunächst eine Anpassung nach Art. 9 OECD-MA zu prüfen ist, bevor die Frage eines evtl. in der Betriebsstätte verbleibenden Gewinns gestellt werden kann, belassen es die Richtlinien bei der Aussage, dass beide Ansätze letztendlich zum gleichen Ergebnis führen sollten, und verweist auf die Notwendigkeit, den einmal gewählten Ansatz konsistent anzuwenden und entsprechend zu dokumentieren.1

2.88 Vertreterbetriebsstätte (Auswirkung Änderung der OECD-Leitlinien). Hinsichtlich möglicher Auswirkungen der Änderungen in Kapitel I OECD-Leitlinien durch das BEPS-Projekt wird klargestellt, dass eine mögliche Änderung der Risikozuordnung sich allein auf die Gewinnkorrektur nach Art. 9 OECD auswirkt und keinen Einfluss auf die Tatbestände hat, die zur Annahme einer Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 Abs. 5 OECD-MA führen. Die Zuordnung des Gewinns auf die Vertreterbetriebsstätte folgt dann den Regeln des AOA2 bzw. des jeweils einschlägigen DBA.3 Ausdrücklich wird ausgeführt, dass die Konzepte der maßgeblichen Personalfunktionen i.S.d. AOA nicht deckungsgleich mit denen der Kontrollfunktionen i.S.d. Kapitels I OECD-Leitlinien sind. Weiterhin wird klargestellt, dass ein Risiko, welches korrekterweise dem ständigen Vertreter zugeordnet ist, nicht auch der durch den Vertreter begründeten Betriebsstätte zugeordnet werden kann.4 Die Schlussfolgerungen werden anschließend durch drei Beispiele erläutert. Die in einem ersten Diskussionsentwurf enthaltenen Berechnungsbeispiele sind allerdings in der endgültigen Fassung nicht mehr enthalten.5 1 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, Tz. 35, http:// www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establish ment-under-beps-action7.htm. 2 Zuordnung auf der Basis der für die Zuordnung von Risiken maßgeblichen Personalfunktionen. 3 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, Tz. 39, http:// www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establish ment-under-beps-action7.htm. 4 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, Tz. 41, http:// www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establish ment-under-beps-action7.htm. 5 OECD (2017), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, OECD-Diskussionsentwurf, Ergänzende Leitlinien für die Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten v. 4.7.2016, http://www.oecd. org/tax/transfer-pricing/BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-perma nent-establishments.pdf.

54 Förster

B. Reaktion der Vereinten Nationen (UN)

Rz. 2.92 Kap. 2

b) Änderung in Bezug auf die Ausnahmetatbestände zur Annahme einer Betriebsstätte (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA) Hilfs- und Vorbereitungstätigkeiten von Betriebsstätten. Eine weitere Änderung 2.89 als Folge des BEPS-Aktionspunkts 7 betrifft die Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA. Zu Beginn des BEPS-Projekts wurde festgestellt, dass Aktivitäten, die in der Vergangenheit vom Grundsatz her von vorbereitender Art waren oder eine Hilfstätigkeit darstellten, heutzutage und abhängig vom Einzelfall die Haupttätigkeit des Unternehmens bilden können. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, gilt die im OECD MA 2010 auf Art. 5 Abs. 4 Buchst. e und f begrenzte Voraussetzung, dass die Tätigkeit der Betriebsstätte den Charakter einer Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeit haben muss, um keine Betriebsstätte unter der Ausnahmeregelung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA zu begründen – nunmehr allgemein, d.h. für alle in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2017 genannten Tatbestände (vgl. auch Rz. 3.14).1 Zersplitterung von Aktivitäten (Betriebsstättenbegründung). Darüber hinaus 2.90 wurde eine Regelung aufgenommen, durch die Fallgestaltungen adressiert werden, bei denen die Annahme einer Betriebsstätte dadurch vermieden wurde, dass eine zusammenhängende Geschäftstätigkeit künstlich in einzelne Aktivitäten aufgeteilt wurde, die jede für sich als Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeit qualifiziert wird (Zersplitterung von Aktivitäten). Die Neuregelung sieht eine Gesamtbetrachtung der Tätigkeiten vor, wenn die Tätigkeiten des Unternehmens im Quellenstaat (allein oder zusammen mit verbundenen Unternehmen) insgesamt komplementäre Funktionen einer zusammenhängenden Geschäftstätigkeit sind (vgl. auch Rz. 3.15).2 Zersplitterung von Aktivitäten (Gewinnermittlung). In Bezug auf die Anwendung 2.91 des Art. 7 OECD-MA wäre der Gewinn für jede Betriebsstätte, die Teil dieser zusammengefassten Geschäftstätigkeit ist, nach den Grundsätzen des AOA zu bestimmen, wobei aber die Effekte der Integration zu berücksichtigen sind.3 Die Schlussfolgerungen werden anschließend durch ein Beispiel erläutert.

B. Reaktion der Vereinten Nationen (UN) Vereinte Nationen, Ablehnung AOA. Die aktuelle Fassung des Art. 7 UN-MA4 ent- 2.92 spricht weitgehend der Fassung des Art. 7 OECD-MA 2008, unterscheidet sich jedoch in einigen wichtigen Punkten. Zum einen wird der Betriebsstätten eine gewisse 1 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, Tz 3. ff., http:// www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establish ment-under-beps-action7.htm. 2 OECD, Abschlussbericht zu BEPS-Aktionspunkt 7, Tz. 39, http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264241220-en. 3 OECD (2016), Diskussionsentwurf „Ergänzende Leitlinien für die Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten“ v. 4.7.2016, Tz. 60 f., http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/ BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-permanent-establishments.pdf. 4 Vereinte Nationen, Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten, Musterabkommen für Steuern Fassung 2011 (UN-MA).

Förster 55

Kap. 2 Rz. 2.92 AOA aus Sicht der OECD und Position der UN

Attraktivkraft in Bezug auf Gewinne im Zusammenhang mit dem Verkauf von Gütern im Quellenstaat und in Bezug auf Gewinne aus Tätigkeiten im Quellenstaat, die gleich oder ähnlich den der Betriebsstätte sind, zugesprochen.1 Zum anderen enthält der Text ein ausdrückliches Abzugsverbot für Lizenzen und Gebühren und ähnliche Zahlungen und erlaubt lediglich eine Erstattung des tatsächlichen Aufwands.2 Dieser Aspekt wird vom Expertenausschusses der UN als Grund für die Ablehnung der Übernahme des Art. 7 OECD-MA 2010 in das UN-MA angeführt, weil er als im direkten Widerspruch zu den Ausführungen im UN-MA zur Nichtanerkennung von innerunternehmerischen Geschäftsvorfällen stehend angesehen wird.3 In Fällen, in denen Art. 7 UN-MK auf Art. 7 OECD-MK verweist, finden auch die Regelungen des OECD-MK 2008, die die Schlussfolgerungen des AOA umsetzen, keine Anwendung. Es gelten daher die Grundsätze des Art. 7 OECD-MK 2005 weiterhin. Diese ablehnende Haltung einer Vielzahl von Nicht-OECD-Staaten spiegelt sich auch in deren jeweiliger Position zu Art. 7 OECD-MA (nach 2005) wider.4

C. Ausblick und Herausforderungen 2.93 Übernahme in DBA, Multilaterales Instrument. Das von der OECD im Rahmen des AOA entwickelte Konzept zur Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten steht immer noch einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber. Zunächst ist dies die zurückhaltende Implementierung des überarbeiteten Art. 7 OECD-MA und damit die vollständige Übernahme des AOA in den DBA.5 Dies gilt insbesondere auf Seiten der Entwicklungsländer, was in der gegenwärtigen Ablehnung des AOA im UN-MA seinen Ausdruck findet. Wenngleich die OECD in der Einleitung der ergänzenden Leitlinien zur Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten ausdrücklich erklärt, dass die Schlussfolgerungen des BEPS-Projekts nicht zu einer Modifizierung der bestehenden Regelung führen,6 wird im Text anerkannt, dass manche Staaten in ihren DBA anderen Ansätzen als dem des AOA folgen. Auch ist darauf hinzuweisen, dass das im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 15 entwickelte Multilaterale Instrument (MLI)7 auf die Implementierung der Schlussfolgerungen des BEPS-Projekts beschränkt ist und damit m.E. nicht die Möglichkeit ergriffen wurde, den AOA durch dieses Instrument in eine größere Anzahl von DBA zu implementieren. 2.94 Befolgungsaufwand. Eine weitere Herausforderung besteht durch den mit dem AOA verbundenen Befolgungsaufwand. Dieser ergibt sich aus der Notwendigkeit, die Betriebsstätte als eigenständiges und unabhängiges Unternehmen und auf der Basis des 1 2 3 4 5

Art. 7 Abs. 1 UN-MA. Art. 7 Abs. 3 UN-MA. Art. 7 Rz. 1 UN-MK. Positionen von Nicht-OECD-Staaten OECD-MK. Huibregtse/Verdoner/Valutyte/Offermanns, European Taxation 2015, 363 ff. (Teil 1) und 402 ff. (Teil 2). 6 OECD (2018), Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, Einleitung, Tz. 2. 7 Zum Multilateralen Instrument der OECD allgemein s. https://www.oecd.org/tax/treaties/ multilateral-convention-to-implement-tax-treaty-related-measures-to-prevent-beps.htm.

56 Förster

C. Ausblick und Herausforderungen

Rz. 2.95 Kap. 2

mit einer gewissen Subjektivität verbundenen Konzepts der maßgeblichen Personalfunktionen zu fingieren, einen Transaktionsbezug auf der Grundlage von echten und identifizierbaren Ereignissen herzustellen, und für diese dann auf der Basis der OECD-Leitlinien einen Preis zu bestimmen. Letzteres wird schon für sich genommen als mit erheblichem Aufwand verbunden kritisiert. Erste Praxiserfahrungen scheinen diese Befürchtungen zu bestätigen.1 Hinzu kommt, dass trotz des erheblichen Umfangs des AOA und der im Rahmen seiner Umsetzung insbesondere im deutschen Steuerrecht ergangenen Rechtsvorschriften2 zahlreiche Fragen offen sind.3 Dies dürfte wohl insbesondere für die Wirtschaftszweige gelten, die nicht gesondert im Rahmen des AOA behandelt worden sind, wie bspw. der Maschinen- und Anlagenbau.4 Digitale Wirtschaft. Die wohl größte Herausforderung stellt aber wohl die Frage dar, 2.95 inwieweit der AOA mit seiner Anknüpfung an ausgeübte Personalfunktionen geeignet ist bzw. sein wird, die wirtschaftlichen Entwicklungen in Bezug auf die digitale Wirtschaft abzubilden.5 Da die Diskussionen in diesem Zusammenhang inzwischen weit über Fragen der digitalisierten Wirtschaft hinausgehen und auch die Frage stellen, inwieweit die Rolle von Märkten im bestehenden System adäquat berücksichtigt ist, ist wohl nicht ausgeschlossen, dass diese Entwicklungen mittelfristig zu einer grundsätzlichen Änderung der Gewinnbesteuerung führen könnten.6

1 Kelterborn/Konken, BB 2017, 2847–2850. 2 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 – VWG BsGa. 3 Girlich/Müller/Naumann, ISR 2017, 229–235. 4 Seeleitner/Sennewald/Müller, IStR 2017, 1013 ff. 5 Wellmann/Junkers, IStR 2017, 847 ff. 6 OECD (2019), Public consultation document Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One v. 9.10.2019, https://www.oecd.org/tax/beps/public-consulta tion-document-secretariat-proposal-unified-approach-pillar-one.pdf.

Förster 57

Kapitel 3 Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und Gewinnaufteilung A. Motivation I. Gestaltungen internationaler Konzerne in Bezug auf die Organisation ihrer Lieferungs- und Leistungsbeziehungen . . . . . . . . . . 3.1 II. Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 B. Initiativen I. Empfehlungen der OECD zur Verhinderung von Steuerumgehungen im Zusammenhang mit Betriebsstätten 1. Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungskonzepte a) Kommissionärsmodelle . . . . . . . b) Ausnahme bestimmter Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Positionen der Bundesrepublik im Rahmen des Multilateralen Instruments . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.9 3.10 3.13 3.17

II. Richtlinien-Entwurf der EUKommission zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz 1. Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.23 2. Merkmale der signifikanten digitalen Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . 3.25 III. Berücksichtigung des Wertbeitrags in den Absatzmärkten 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.37

2. Konzept der Nutzerbeteiligung . . . . 3.39 3. Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte . . . . 3.41 4. Einheitliches Konzept der OECD/G20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.45 C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung I. Ergänzende Leitlinien der OECD für die Zuordnung der Gewinne zu Betriebsstätten 1. Gegenstand dieser Leitlinien . . . . . . 2. Feste Geschäftseinrichtungen, insbesondere bei Anwendung der Anti-Fragmentierungsregelung . . . . 3. Vertreterbetriebsstätten . . . . . . . . . . 4. Vereinfachungen . . . . . . . . . . . . . . . .

3.47 3.48 3.50 3.54

II. Entwurf der EU-Kommission zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.56 III. Berücksichtigung des Wertbeitrags in den Marktstaaten 1. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konzept der Nutzerbeteiligung . . . . 3. Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte . . . . 4. Einheitliches Konzept der OECD/G20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.61 3.63 3.65 3.68

D. Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.70

Literatur: Auerbach/Devereux, Cash Flow Taxes in an International Setting, American Economic Journal: Economic Policy 2018, 10(3), 69; Avi-Yonah/Clausing/Durst, Allocating Business Profits for Tax Purposes: A Proposal to Adopt a Formulary Profit Split, Florida Tax Review 2009, 9(5), 497; Becker/Englisch, EU Digital Services Tax: A Populist and Flawed Proposal, Kluwer Law International Tax Blog, EU/EEA, Tax Policy, vom 16.3.2018, abrufbar unter http://klu wertaxblog.com/2018/03/16/eu-digital-services-tax-populist-flawed-proposal/; Becker/Englisch, Taxing Where Value is Created: What’s User Involvement“ Got to Do With It?, Intertax 2019, 47(2), 161; Bharadwaj/El Sawy/Pavlou/Venkatraman, Digital Business Strategy: Toward a Next Generation of Insights, MIS Quarterly 2013, 37(2), 471; Christians, Taxing According to Value Creation, Tax Notes International 2018, 90(6/18), 1379; Christians/van Apeldoorn, Taxing In-

Oestreicher 59

Kap. 3 Rz. 3.1 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung come Where Value Is Created, Florida Tax Review 2018, 22(1), 1; Devereux, Residual Profit Allocation Proposal, Oxford University Centre for Business Taxation, July 14, 2016, http:// www.taxpolicycenter.org/sites/default/files/residual-profit-allocation-proposal_2.pdf; Ehlermann/Köhler, US-Steuerreform leitet neue Runde im globalen Steuerwettbewerb ein, ISR 2018, 37; Farrell/Weiser, Modularity, Vertical Integration, and Open Access Policies: Towards a Convergence of Antitrust and Regulation in the Internet Age, Journal of Law & Technology 2003, 17(1), 85, ebenfalls verfügbar unter https://escholarship.org/uc/item/4dh7q2dd; Feldman, An Introduction to Digital Media, Routledge, London/New York 1997; Geissbauer/Lübben/Schrauf/Pillsbury, Global Digital Operations Study 2018, Digital Champions: How industry leaders build integrated operations ecosystems to deliver end-to-end customer solutions, PwC und Strategy&, 2018; Hagiu/Wright, Multi-sided platforms, International Journal of Industrial Organization 2015, 43 (November), 162; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, Kommentar, 2. Auflage, Köln 2019, Art. 5 OECD-MA 2017; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, herausgegeben von Endres/Spengel, bearbeitet von Endres/Oestreicher/ Spengel/Schumacher, München, 8. Auflage 2016; Jochimsen, Die US-Steuerreform und ihre Auswirkung auf deutsche Unternehmen, ISR 2018, 91; Mnuchin, Statement On OECD’s Digital Economy Taxation Report, U.S. Department of the Treasury, Secretary Statements & Remarks, abrufbar unter https://home.treasury.gov/news/press-releases/sm0316; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, Gewinnabgrenzung – Gewinnermittlung – Gewinnaufteilung, München 2000; Oosterhuis/Parsons, Destination-Based Income Taxation: Neither Principled Nor Practical?, Tax Law Review 71(3), 2018, 515; Oppel, Die Anwendung des Multilateralen Instruments (MLI), ISR 2019, 321; Schoppe/Leuwer, Einkauf als Betriebsstätte ab 2017, BB 2016, 1623; Schumacher/Sihn/Erol, Automation, Digitization and Digitalization and Their Implications for Manufacturing Processes, in Innovation and Sustainability, Proceedings of the International Scientific Conference in Bucharest, Romania, 28/29 October 2016; Sebastian/Mocker/Ross/Moloney/Beath/Fonstad, How Big Old Companies Navigate Digital Transformation, MIS Quarterly Executive 2017, 16(3), 197; Towers, Proposed Changes to OECD Model Tax Treaty Could Nullify Philip Morris Decision, Tax Notes International 2004, 76(5/31), 939; Van Dijk, The Network Society, Social Aspects of New Media, Sage Publications; London/Thousand Oaks/New Delhi 2006; Wells/Lowell, Tax Base Erosion: Reformation of Section 482’s Arm’s Length Standard, Florida Tax Review 2014, 15(10), 737; Yoo/Henfridsson/Lyytinen, The New Organizing Logic of Digital Innovation: An Agenda for Information Systems Research, Information Systems Research 2010, 21(4), 724, https://doi.org/ 10.1287/isre.1100.0322.

A. Motivation I. Gestaltungen internationaler Konzerne in Bezug auf die Organisation ihrer Lieferungs- und Leistungsbeziehungen 3.1 Maßnahmen der OECD. Wurde der Betriebsstättenbegriff im Interesse einer Liberalisierung des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs zum Ende des vergangenen Jahrhunderts noch eng gefasst, haben neue Formen geschäftlicher Tätigkeiten und vor allem auch der elektronische Geschäftsverkehr dazu geführt, dass die OECD nur wenige Jahre später damit begann, ihre bis dahin maßgebende Auslegung dieses Begriffs aufzuweichen. Kennzeichen dieser Entwicklung sind ein höheres Gewicht orts-

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A. Motivation

Rz. 3.3 Kap. 3

bezogener Tätigkeiten1 und das Muster einer Alternativvorschrift, das die Besteuerung von Einkünften aus Dienstleistungen erlaubt.2 Im Rahmen ihrer Initiative gegen Gewinnverlagerungen und die Verkürzung von Bemessungsgrundlagen richtet sich die OECD zudem gegen gewinnverkürzende Gestaltungen internationaler Konzerne in Bezug auf die Organisation ihrer Lieferungs- und Leistungsbeziehungen.3 Wegweisende Bedeutung hatten in diesem Zusammenhang vor allem die Urteile oberster Gerichtshöfe in Steuersachen gegen Dell in Norwegen sowie gegen Roche Vitamins Europe (heute DMS Nutritional Products) in Spanien. Größere Aufmerksamkeit erzielte daneben das Urteil des obersten Gerichtshofs Italiens in der Rechtssache Philip Morris. Letztere Entscheidung schoss aber auch für die OECD über das Ziel hinaus. Rechtliche Betrachtungsweise. In der Rechtssache Dell, Norwegen, ging es um die 3.2 Frage, ob ein Vertreter, der Produkte auf fremde Rechnung im eigenen Namen veräußert (und seine Kunden nicht darüber informiert, dass er auf der Basis eines „Commissionaire agreement“ für eine Schwestergesellschaft in Irland tätig ist), die Voraussetzungen einer Vertreterbetriebsstätte des Vertretenen im anderen Vertragsstaat begründet.4 Das norwegische Bundesgericht verneinte die Existenz einer Vertreterbetriebsstätte, da der englische Wortlaut des irisch-norwegischen DBA voraussetze, dass die Verträge, die Dell Norwegen mit ihren Kunden schließt, rechtliche Bindungswirkung für die Schwestergesellschaft in Irland entfalten müsse, was nicht der Fall sei. Die Interpretation der „Abschlussvollmacht“ im OECD-MK,5 nach der diese Vollmacht unterstellt werden kann, wenn der Vertreter Aufträge hereinholt (ohne sie formell abzuschließen) und sie unmittelbar einem Lagerhaus zuleitet, von dem aus die Güter geliefert werden und wo das ausländische Unternehmen den Geschäftsvorfall routinemäßig billigt, sei im Hinblick auf die am Zivilrecht orientierte Vertragsauslegung in Norwegen für die Beurteilung der Betriebsstätteneigenschaft nicht maßgebend, was auch für Frankreich der französische Staatsgerichtshof in der Rechtssache Zimmer, Frankreich, so gesehen habe.6 Gestaltungsmodell. In der Rechtssache Roche Vitamins Europe war der Sachverhalt 3.3 komplexer. Bis 1999 produzierte Roche Vitaminas S.A., Spanien, in Spanien pharmazeutische Produkte und vertrieb diese auf dem spanischen Markt. Nach einer Neu1 Siehe Art. 5 Rz. 17 OECD-MK 2017. 2 Vgl. Art. 5 Rz. 144 OECD-MK 2017. 3 Vgl. OECD, Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstättenstatus, Aktionspunkt 7 – Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris 2018, abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264287334-de. 4 Siehe Dell Products v. Statenv/Skatt øst, HR-2011-02245-A v. 2.12.2011. 5 Vgl. Art. 5 Rz. 84 OECD-MK 2017. 6 Siehe das Urteil des „Conseil d’État“ (CE), n° 304715, 308525 v. 31.3.2010; auf dieser Linie auch das zeitlich später ergangene Urteil des „Tribunal Administrative“ (TA) Paris, n°1505178, 1505165, 1505113, 1505126, 1505147 v. 12.7.2017 (Revision durch die Finanzverwaltung eingelegt), das an der Auslegung nach dem Wortlaut der Abkommensvorschrift, nach der die Vertretung die rechtliche Bindung des ausländischen Unternehmens voraussetzt, selbst vor dem Hintergrund der damals bereits aktuellen BEPS-Diskussion festhielt.

Oestreicher 61

Kap. 3 Rz. 3.3 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

gestaltung der Vertragsbeziehungen stellte die spanische Gesellschaft ihre Produkte auf der Basis eines Fertigungsvertrags nach den Vorgaben ihrer Muttergesellschaft, Roche Vitamins Europe AG, Schweiz, her und übernahm den Vertrieb auf Kommissionsbasis im eigenen Namen. Sie war nicht befugt, die Verträge im Namen ihrer Muttergesellschaft zu schließen. Die in Spanien hergestellten Produkte wurden nach ihrer Herstellung in ein Lager verbracht, das die Muttergesellschaft in Spanien auf Basis eines Mietvertrags mit ihrer spanischen Tochtergesellschaft nutzte. Für ihre Fertigungstätigkeit erhielt die spanische Gesellschaft ein kostenorientiertes Entgelt zzgl. eines Gewinnaufschlags von 3,3 %, die Vertriebsdienstleistung wurde auf Basis eines Anteils von 2 % der Umsatzerlöse, die in Spanien realisiert wurden, vergütet. Preissetzung und Verkauf erfolgten durch Roche Vitamins Europe, Schweiz.

3.4 Unabhängiger Vertreter. Nach dem spanischen Obersten Gerichtshof, der das Urteil des Nationalen Gerichtshofs bestätigte,1 erfüllten weder das Warenlager noch die Kommissionstätigkeit der spanischen Tochtergesellschaft die Voraussetzungen einer Betriebsstätte der Roche Vitamins Europe in Spanien. Das Warenlager diente allein der „Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren des Unternehmens“ (Art. 5 Nr. 3 Buchst. a DBA-Spanien), während in Bezug auf den Vertrieb maßgebend war, dass die spanische Gesellschaft weder die Vollmacht hatte, Verträge im Namen oder Auftrag von Roche Vitamins Europe, Schweiz, abzuschließen, noch in Verhandlungen mit (möglichen) Kunden einzutreten. Gleichwohl kam der spanische Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Eigenschaft eines abhängigen Vertreters bereits erfüllt sei, wenn eine verbundene Gesellschaft, die mit nur einem Kunden Geschäfte tätige, nicht unabhängig ist. Roche Vitaminas S.A., Spanien, sei weder funktional noch wirtschaftlich unabhängig. In funktionaler Hinsicht zeige sich die fehlende Unabhängigkeit in der Tatsache, dass die spanische Gesellschaft ihre Produkte nach den strengen Vorgaben ihrer Muttergesellschaft herstellt. Sie sei aber auch wirtschaftlich nicht unabhängig, da sie im Rahmen der Produktion, die weder vorbereitenden noch Hilfscharakter habe, nur geringe Risiken trage und zudem auf der Basis ihrer Kosten zzgl. eines Gewinnaufschlags vergütet wurde. 3.5 Lizenzvertrieb. Das Urteil in der Rechtssache Philip Morris bezog sich auf Produkte (Zigaretten und Tabakwaren), die in Italien durch das staatliche Monopol „Amministrazione Autonoma die Monopoli di Stato“ (AAMS) vertrieben wurden. Zu diesem Zweck hatten mehrere ausländische Produktionsgesellschaften der Philip-Morris-Gruppe Markenlizenzverträge mit AAMS abgeschlossen, demzufolge sich AAMS zur Zahlung von Lizenzgebühren an die nicht ansässigen Gruppengesellschaften verpflichtete. Die u.a. deutschen Produktionsgesellschaften unterhielten in Italien keine Verkaufsniederlassungen. 3.6 Übernahme des Vertragsmanagements für nicht ansässige Vertreter. Der Zigarettenvertrieb durch AAMS wurde durch Intertaba SpA, Italien, eine zur Philip-MorrisGruppe gehörende Produktionsgesellschaft für Zigarettenfilter, beaufsichtigt. Diese Gesellschaft erbrachte ihre Aufgabe im Rahmen von Dienstleistungsverträgen für 1 Siehe das Urteil des „Audencia National“, No. 2008/64492 v. 24.1.2008, bestätigt durch das „Tribunal Supremo“, No. 1626/2008 v. 12.1.2012.

62 Oestreicher

A. Motivation

Rz. 3.7 Kap. 3

mehrere nicht in Italien ansässige Produktionsgesellschaften und war berechtigt, die Läger und Verkaufsstellen zu besuchen und den Gesamtvertriebsprozess zu überwachen. Daneben beteiligte sich Intertaba SpA an den Verhandlungen über die Lizenz- und Vertriebsverträge (und deren regelmäßige Verlängerungen) mit AAMS. Mit dieser Struktur sollten Betriebsstätten und eine damit verbundene Einkommensteuerpflicht der Lizenzgeber in Italien vermieden werden. Die italienischen Steuerbehörden unterstellten gleichwohl, dass die Produktionsgesellschaften aufgrund ihrer Geschäftsvorgänge mit Intertaba SpA in Italien eine Betriebsstätte unterhielten. Nachdem zunächst zwei Untergerichte zugunsten der deutschen Produktionsgesellschaft entschieden hatten, hob der Oberste Gerichtshof Italiens die Entscheidung der unteren Gerichte auf und verwies den Fall an ein anderes Tribunal zur Überprüfung nach den folgenden fünf Grundsätzen:1 – Eine konzernverbundene Gesellschaft kann Betriebsstätte mehrerer nicht ansässiger Unternehmen sein, wenn diese Unternehmen eine gemeinsame Strategie verfolgen. In der Rechtssache Philip Morris war zu bestimmen, ob die Tätigkeit der italienischen Gesellschaft als „vorbereitende oder unterstützende Maßnahmen“ in Bezug auf die Aktivitäten der Gruppe als Ganzes anzusehen ist. – Die Überwachung der Durchführung eines für die Geschäftstätigkeit der ausländischen Gesellschaften zentralen Vertrags kann grundsätzlich nicht als vorbereitende oder unterstützende Tätigkeit angesehen werden. – Die Übertragung des Managements von Geschäftsvorfällen an eine italienische Gesellschaft durch nicht ansässige Gesellschaften kann dazu führen, dass die italienische Gesellschaft den Status einer Betriebsstätte der nicht ansässigen Gesellschaft einnimmt, auch wenn sich der Auftrag auf ein bestimmtes Geschäftsfeld beschränkt. – Eine direkte Teilnahme an den Vertragsverhandlungen kann unter das Konzept einer Befugnis zum Abschluss von Verträgen fallen, die eine nicht ansässige Gesellschaft bindet. – Um festzustellen, ob eine feste Geschäftseinrichtung (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) oder ein abhängiger Vertreter (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA) vorliegt, ist der Inhalt von Verträgen wichtiger als deren Form. Keine Betriebsstätte im Sinne des OECD-Betriebsstättenbegriffs. Wenngleich Ita- 3.7 lien anmerkt, dass seine Rechtsprechung, die in Bezug sowohl auf die Abschlussvollmacht als auch die Betriebsstätte bei einer Konzerngesellschaft zu erfüllen ist und bei der Auslegung der Voraussetzungen nicht unbeachtet bleiben darf,2 stellt die OECD im OECD-MK klar, dass eine Mitwirkung an den Vertragsverhandlungen nicht schon per se das Kriterium der wesentlichen Rolle beim Vertragsabschluss erfüllt. Vergleichbar damit kann die feste Geschäftseinrichtung einer inländischen Konzerngesellschaft Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens sein. Voraussetzung ist aber, dass das ausländische Unternehmen über die Geschäftseinrichtung verfügen 1 Siehe das Urteil des Corte Suprema di Cassazione No. 7682/02 v. 25.5.2002. 2 Vgl. Art. 5 Rz. 181 OECD-MK 2017.

Oestreicher 63

Kap. 3 Rz. 3.7 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

kann, keine Hilfsgeschäfte vorliegen oder die Voraussetzungen eines abhängigen Vertreters erfüllt sind; diese Voraussetzungen einer Betriebsstätte müssen aber in Bezug auf jedes ausländische Unternehmen separat erfüllt sein. Im Übrigen begründen verwaltungsbezogene Dienstleistungen, die dem Aufgabenbereich der inländischen Konzerngesellschaft zuzurechnen sind und durch das Personal dieser Gesellschaft erbracht werden, keine Betriebsstätte der ausländischen Gesellschaft.1

II. Digitalisierung 3.8 Begriff. Im Unterschied zur steuerlich motivierten Gestaltung konzerninterner Lieferungs- und Leistungsbeziehungen, bezieht sich Digitalisierung auf den Wandel von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, der auf die Entwicklung digitaler Technologien zurückzuführen ist.2 Wesentlichen Einfluss auf diesen Wandel haben gegenwärtig vor allem die Entstehung und Verbreitung sozialer Medien, mobiler Geräte, analytischer Anwendungen, des Cloud Computing und des Internets der Dinge.3 Ihre Nutzung und vor allem die Speicherung, Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen beruhen auf einer Infrastruktur (Rechen- und Speicherkapazitäten sowie Kommunikationswege, allen voran das Internet), die nicht nur die Geschäftswelt, sondern auch das Verhalten der Konsumenten nachhaltig verändert hat. Sie bieten die Möglichkeit einer globalen Vernetzung und schaffen die Voraussetzungen für effizienten Informationsaustausch, eine Neugestaltung von Arbeitsabläufen und die Verbreitung neuer Produkte und Dienstleistungen. In diesem Sinne werden digitale Technologien nicht nur in der Produktion, der Lieferkette oder zur „Anreicherung“ der Produkte eingesetzt. Vielmehr sind in den vergangenen Dekaden innovative Geschäftsmodelle entstanden, die darauf beruhen, dass Lieferanten, Nutzer oder Kunden mithilfe von Webseiten, Online-Plattformen oder mobilen Anwendungen weltweit schnell erreichbar sind,4 und durch Verbindung der Nutzergruppen auf der Basis von Online- oder webbasierten Benutzeroberflächen die Realisation vor allem indi-

1 Art. 5 Rz. 97 u. Rz. 116–118 OECD-MK 2017; hierzu auch Towers, TNI 2004, 939–942. 2 Vgl. van Dijk, The Network Society, Social Aspects of New Media2; damit umfasst Digitalisierung mehr als die Überführung von analogen in digitale Informationen, vgl. Feldman, Introduction to Digital Media, 1997, S. 1–21, für die im englischen Sprachgebrauch der Begriff Digitisation verwendet wird, vgl. Schumacher/Sihn/Erol, Proceedings of the International Scientific Conference „Innovation and Sustainability“, 2016, S. 2. 3 Diese Einflüsse werden in der Literatur unter dem Akronym SMACIT zusammengefasst, vgl. Sebastian/Mocker/Ross u.a., MIS Q. Exec. 2017, 197–213. 4 Im engeren Sinne dient der Begriff „Plattform“ zur Beschreibung von mehrseitigen Benutzeroberflächen, deren Vorteil für die Nutzer in der Interaktion mit anderen Nutzergruppen liegt, wie das z.B. bei der Vermittlung von Übernachtungs- oder Fahrdienstleistungen der Fall ist, vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, S. 30, abrufbar unter https://doi.org/10.1787/ 9789264310438-de – unter Bezug auf Hagiu/Wright, International Journal of Industrial Organization 2015, 162–174.

64 Oestreicher

B. Initiativen

Rz. 3.9 Kap. 3

rekter Netzwerkeffekte ermöglichen.1 Hier zeigen die Erfolge z.B. von „Amazon Marketplace“, „Booking.com“, „Google/Google Play“, „Apple iTunes store“, „Uber“, „Facebook“, „LinkedIn“ oder „Twitter“, um nur einige, bekanntere Namen zu nennen, dass digitale Geschäftsmodelle keine feste Geschäftseinrichtung im Absatzmarkt voraussetzen und schon heute eine Größenordnung erreicht haben, die keine Randerscheinung mehr ist.2

B. Initiativen I. Empfehlungen der OECD zur Verhinderung von Steuerumgehungen im Zusammenhang mit Betriebsstätten 1. Zielsetzungen Bekämpfung spezifischer Gestaltungsmodelle. Im Hinblick auf die steuerlich mo- 3.9 tivierten Gestaltungen international tätiger Unternehmen zur Abschmelzung der Funktionen und Bemessungsgrundlagen lokaler Konzerneinheiten im Zusammenhang mit z.B. Kommissionärsstrukturen oder einer Fragmentierung der Unternehmenstätigkeit zielt die Politik der OECD im Rahmen ihrer Initiative zur Bekämpfung der Steuerverkürzung und (internationalen) Gewinnverlagerung u.a. auch auf die Absenkung der Besteuerungsschwelle bei Betriebsstätten ausländischer Konzerneinheiten im Inland. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen, die der „künstlichen“ Vermeidung einer Betriebsstätte durch die Nutzung von Kommissionärsmodellen oder vergleichbaren Strategien entgegenwirken sollen. Sie richtete sich aber auch gegen die missbräuchliche Nutzung spezieller Ausnahmetatbestände, die Fragmentierung der Unternehmenstätigkeit und vertragliche Gestaltungen im Zusammenhang mit Bauausführungen oder Montagen. In diesem Sinne ist nach den Empfehlungen der OECD die sachliche Verflechtung zum Inland bereits ausreichend gegeben, wenn die Tätigkeiten eines Vertreters zum regelmäßigen Abschluss von zu erfüllenden Verträgen führen sollen. Anderes solle nur gelten, wenn der Vertreter seine Tätigkeit im Rahmen eines unabhängigen Unternehmens ausübt. Vergleichbar damit sollen die auch weiterhin grundsätzlich maßgebenden Ausnahmetatbestände, wie z.B. der Betrieb eines Auslieferungslagers, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die damit verbundene Tätigkeit vorbereitenden oder Hilfscharakter hat. Um schließlich die Möglichkeit auszuschließen, dass Unternehmen in Bezug auf qualifizierende Bauausführungen und Montagen die Voraussetzungen einer Betriebsstätte unterlau1 Grundsätzlich existieren Netzwerkeffekte immer dann, wenn unter Erhöhung der Nutzerzahl des Netzwerks der beim Kunden entstehende Wert der Nutzung eines Produkts oder einer Dienstleistung ansteigt, vgl. Bharadwaj/El Sawy/Pavlou/Venkatraman, MIS Q. 2013, 37(2), S. 471–482; indirekte Netzwerkeffekte liegen vor, wenn der Nutzen des Konsumenten bei Gebrauch eines Produkts mit zunehmender Zahl komplementärer Produkte steigt. 2 Bei den „digitalen Champions“ resultieren bereits mehr als 50 % der Umsätze aus digital erweiterten oder rein digitalen Produkten und Dienstleistungen, und zwei Drittel dieser „digitalen Champions“ verlassen sich im Rahmen von „Ökosystemen“ auf Partner, vgl. Geissbauer/Lübben/Schrauf u.a., Global Digital Operations Study 2018, S. 7.

Oestreicher 65

Kap. 3 Rz. 3.9 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

fen können, indem sie das Bauprojekt auf dem Papier in zeitlich und/oder inhaltlich zusammenhängenden Bauabschnitte unterteilen, empfiehlt die OECD, dass zeitlich und/oder inhaltlich miteinander verbundene Bauprojekte bei der Prüfung, ob Bauausführungen oder Montagen in Bezug auf ihre Laufzeit die Schwelle zur Betriebsstätte überschreiten, als Art wirtschaftliche Einheit betrachtet werden. 2. Regelungskonzepte a) Kommissionärsmodelle

3.10 Neue Tatbestandsmerkmale. Um diese Ziele zu erreichen, empfiehlt die OECD im Rahmen ihres BEPS-Projekts, Aktionspunkt 7, der die „künstliche Vermeidung des Betriebsstättenstatus“ zum Gegenstand hat,1 Änderungen der Betriebsstättendefinition im OECD-MA und korrespondierende Erläuterungen im OECD-MK (s. auch Rz. 2.86 ff.).2 In diesem Zusammenhang wird in Bezug auf Kommissionärsmodelle vorgeschlagen, dass die Voraussetzung einer „Abschlussvollmacht“ (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA) durch die Tatbestände ersetzt werden, dass die Person des Vertreters für gewöhnlich – Verträge im Auftrag eines Unternehmens abschließt oder bei Verträgen, die üblicherweise ohne materielle Änderungen durch das Unternehmen angenommen werden, – die in Bezug auf den Vertragsabschluss wesentliche Rolle spielt.

3.11 Ausnahmetatbestände. Werden diese Tatbestände erfüllt, begründet die Tätigkeit des Vertreters eine Betriebsstätte des Unternehmens im anderen Vertragsstaat, es sei denn, die Tätigkeit des Vertreters beschränkt sich auf Ausnahmetatbestände, die, handelte es sich um eine feste Geschäftseinrichtung, keine Betriebsstätte begründen würde.3 Die neuen, wirtschaftlichen Kriterien sollen nicht nur für den Fall gelten, dass der Vertreter „im Namen des Unternehmens“ agiert. Sie sollen auch maßgebend sein, wenn der Vertreter im eigenen Namen handelt und entweder – Eigentum oder Nutzungsrechte an Vermögenswerten, die dem Unternehmen gehören oder an denen das Unternehmen ein Nutzungsrecht hat, überträgt oder – Dienstleistungen des Unternehmens vermittelt.

3.12 Besonderheiten für verbundene Unternehmen. Eine Betriebsstätte ist zwar nicht schon deshalb anzunehmen, weil die Person im anderen Vertragsstaat die Tätigkeit eines unabhängigen Vertreters (wie z.B. die eines Kommissionärs) ausübt und dabei im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt. Ist dieser Vertreter jedoch ausschließlich oder fast ausschließlich im Auftrag eines eng verbundenen oder 1 Siehe OECD, Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstättenstatus, Aktionspunkt 7 – Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris 2018, abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264287334-de. 2 Vgl. Art. 5 Rz. 83 OECD-MK 2017. 3 Dieser Vorbehalt für Ausnahmetatbestände bezieht sich auf Art. 5 Abs. 4 OECD-MA.

66 Oestreicher

B. Initiativen

Rz. 3.14 Kap. 3

mehrerer eng verbundener Unternehmen(s) tätig, gilt er nicht als unabhängig in Bezug auf das oder die eng verbundene(n) Unternehmen. Ein Vertreter ist eng mit dem Unternehmen verbunden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die eine Person beherrschenden Einfluss auf die jeweils andere Person hat oder beide unter dem beherrschenden Einfluss einer dritten Person stehen. Der beherrschende Einfluss ist gegeben bei 50 % der maßgebenden Verfügungsrechte oder – im Fall einer Kapitalgesellschaft – 50 % des gesamten Stimmrechts und Werts der Anteilsrechte oder des Anteils am wirtschaftlichen Eigenkapital.1 b) Ausnahme bestimmter Tätigkeiten Einschränkungen. Die Ausnahmen für bestimmte Tätigkeiten werden durch zwei 3.13 Änderungen eingeschränkt. Hierbei bezieht sich – eine erste Korrektur auf die Liste negativer Betriebsstättensachverhalte (Art. 5 Abs. 4 OECD-MA), – während sich die zweite Neuerung gegen die Fragmentierung der Tätigkeiten eines Unternehmens im anderen Vertragsstaat wendet. Tätigkeiten mit vorbereitendem oder Hilfscharakter. Bisher waren die negativen 3.14 Betriebsstättensachverhalte nur in zwei Fällen an die Voraussetzungen gebunden, dass es sich hierbei um eine Tätigkeit mit vorbereitendem oder Hilfscharakter handelt (Art. 5 Abs. 4 Buchst. e und f OECD-MA), während vor allem die Nutzung von Einrichtungen, die allein für Zwecke der Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren des Unternehmens benutzt werden, oder Bestände von Gütern oder Waren des Unternehmens, die ausschließlich zu diesen Zwecken unterhalten werden, auch dann keine Betriebsstätten begründeten, wenn sie der Haupttätigkeit des Unternehmens dienten. Heute gehen die Regelungen im OECD-MA dahin, alle besonderen Einrichtungen unter den Vorbehalt zu stellen, dass die genannten Tätigkeiten keinen vorbereitenden oder Hilfscharakter haben (s. auch Rz. 2.89).2 Mehr noch wird im OECD-MK erläutert, was nach Auffassung der OECD unter diesen Tätigkeiten zu verstehen ist. Danach hat eine Tätigkeit vorbereitenden Charakter, wenn sie im Hinblick auf den wesentlichen und bedeutsamen Teil der Unternehmenstätigkeit durchgeführt wird. Geht sie einer Haupttätigkeit voraus, mag sie sich durch eine kurze Zeitdauer auszeichnen. Die Zeitdauer ist aber nicht entscheidend. Möglich ist, dass die Tätigkeit auch dann vorbereitenden Charakter haben kann, wenn sie dauerhaft Unternehmenstätigkeiten vorbereiten, die an einer anderen Stelle des Unternehmens durchgeführt werden, wie das z.B. bei einem Trainingszentrum, das Mitarbeiter eines Unternehmens auf Tätigkeiten in anderen Vertragsstaaten vorbereitet, gegeben sein kann. Tätigkeiten mit Hilfscharakter zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Haupttätigkeit des Unternehmens unterstützen, ohne Teil dieser Haupttätigkeit zu sein. Daher ist auch nicht zu erwarten, dass für Tätigkeiten mit 1 Siehe im Einzelnen Art. 5 OECD-MA 2017, abrufbar in englischer Version unter https:// dx.doi.org/10.1787/mtc_cond-2017-en. Siehe zu einer deutschen Übersetzung von Art. 5 OECD-MA 2017 Hruschka in Schönfeld/Ditz2, Art. 5 OECD-MA. 2 Zu den möglichen Konsequenzen s. z.B. Schoppe/Leuwer, BB 2016, 1623–1629.

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Kap. 3 Rz. 3.14 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

Hilfscharakter wesentliche Anteile der Vermögenswerte oder Mitarbeiter des Unternehmens einzusetzen oder erforderlich sind.1

3.15 Fragmentierung der Unternehmenstätigkeit. Ergänzt wird die Beschränkung der Negativliste auf Tätigkeiten mit vorbereitendem oder Hilfscharakter um eine Klausel, die sich gegen die Fragmentierung der Unternehmenstätigkeit wendet (s. auch Rz. 2.90). Eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, mehrere Tätigkeiten auszuüben, die unter die Negativliste fallen, ist zwar Betriebsstätte.2 Vorauszusetzen ist aber, dass diese Tätigkeiten in einer festen Geschäftseinrichtung ausgeübt werden. Sind diese Tätigkeiten örtlich und organisatorisch voneinander selbständig, muss für jede Einrichtung separat beurteilt werden, ob die Voraussetzungen einer Betriebsstätte erfüllt sind. Diese organisatorische Selbständigkeit ist aber nicht gegeben, wenn innerhalb eines Vertragsstaats komplementäre Tätigkeiten ausgeübt werden. Letzteres wäre z.B. der Fall, wenn die Lagerung von Gütern an einer Stelle erfolgt und der Vertrieb durch eine andere Einrichtung vollzogen wird. Soll eine Betriebsstätte vermieden werden, genügt es mithin nicht, dass zusammenhängende Tätigkeiten in verschiedene Betriebe aufgeteilt werden, die jeweils für sich vorbereitenden oder Hilfscharakter haben. Vergleichbares muss aber für die OECD auch gelten, wenn diese Betriebe verschiedene, jeweils eng miteinander verbundene Unternehmen sind. Vor diesem Hintergrund sieht eine „Anti-Fragmentierungsregel“ vor, dass die Tätigkeitsausnahmen nicht auf feste Geschäftseinrichtungen anwendbar sind, die durch ein Unternehmen benutzt oder unterhalten werden, wenn dieses Unternehmen oder ein eng verbundenes Unternehmen seine Geschäftstätigkeiten im Vertragsstaat an einem oder mehreren Orten ausübt und – entweder die eine oder andere Einrichtung eine Betriebsstätte für das Unternehmen oder das eng verbundene Unternehmen begründet oder – die Tätigkeit insgesamt nicht vorbereitender Art ist oder Hilfscharakter hat und – die Geschäftstätigkeiten, die durch die zwei Unternehmen am selben Ort oder durch ein Unternehmen oder eng verbundene Unternehmen an zwei Orten ausgeübt werden, komplementäre Funktionen einer zusammenhängenden Geschäftstätigkeit darstellen (Art. 5 Abs. 4.1 OECD-MA 2017).

3.16 Aufteilung von Verträgen. Zur Eindämmung künstlicher Gestaltungen, die darauf abstellen, die für die Existenz einer Betriebsstätte maßgebende Grenze von zwölf Monaten einer Bauausführung oder Montage zu unterlaufen, wurde ein Beispiel in den OECD-MK aufgenommen, das die Untersuchung des wesentlichen Zwecks kürzerer Vertragslaufzeiten demonstrieren soll. In diesem Beispiel geht es um ein Unternehmen, das zur Vermeidung des Betriebsstättencharakters einer Bauausführung den für die Bauausführung maßgebenden Vertrag mit dem Investor über eine Tätigkeit im zeitlichen Umfang von 22 Monaten in zwei Verträge mit (1) dem Unternehmen und (2) einer dazu gegründeten Tochtergesellschaft von jeweils elf Monaten schließt. Das Beispiel soll deutlich machen, dass der wesentliche Zweck einer Aufteilung des Ver1 Vgl. Art. 5 Abs. 4 Rz. 60 OECD-MK 2017. 2 Dies gilt nicht, wenn die sich hieraus ergebende Tätigkeit insgesamt vorbereitender Art ist oder eine Hilfstätigkeit darstellt, vgl. Art. 5 Abs. 4 Buchst. f OECD-MA 2017.

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B. Initiativen

Rz. 3.17 Kap. 3

trags mit dem Investor in zwei Unterverträge darin besteht, die Schwelle für die Existenz einer Montagebetriebsstätte zu unterlaufen. Dabei soll klarwerden, dass in diesem Fall die Gewährung der Vorteile eines entsprechenden DBA gegen den Sinn und Zweck der Laufzeitenbegrenzung verstoßen und dieser Begrenzung ihre Bedeutung nehmen würde. Für den Fall, dass die Vertragsstaaten eine Aufteilung von Verträgen nicht mithilfe nationaler Missbrauchsbestimmungen sanktionieren können, enthält der OECD-MK einen Regelungsvorschlag für eine ergänzende Vorschrift, die für zusammenhängende Aktivitäten eng miteinander verbundener Unternehmen die Rechtsfolge einer Addition der Laufzeit des Vertrags mit der Tochtergesellschaft zur Vertragslaufzeit der Muttergesellschaft im Text des konkreten DBA verankert.1 c) Positionen der Bundesrepublik im Rahmen des Multilateralen Instruments Unterzeichnerstaaten. Durch das multilaterale Instrument (MLI)2 sollen die auf 3.17 DBA bezogene Maßnahmen des Projekts „Base Erosion Profit Shifting“ der OECD/ G20 möglichst effizient in die bilateralen Abkommen der Unterzeichnerstaaten übernommen werden. Es wurde am 7.6.2017 durch 68 Staaten unterzeichnet, umfasste ursprünglich circa 1.100 DBA und trat am 1.7.2018 zwischen den Unterzeichnerstaaten in Kraft, die das MLI bis dahin national ratifiziert hatten.3 Inzwischen haben sich weitere Staaten angeschlossen.4 Aus deutscher Sicht sollten im Zeitpunkt der Unterzeichnung 35 DBA unter das Übereinkommen fallen („Agreements Covered by the Convention pursuant to Article 2 (1)(a)(ii)“). Hierzu gehören z.B. die Abkommen mit Österreich, China, Frankreich, Italien, die Niederlande, Spanien, Großbritannien und die USA, um nur einige Abkommen zu nennen.5 Die USA haben das Überein-

1 Vgl. Art. 5 Abs. 3 Rz. 52 f. OECD-MK 2017. 2 Mehrseitiges oder multilaterales Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standard-artikel/The men/Steuern/2017-06-07-Multilaterales-Instrument.html. 3 Österreich war am 22.9.2017 der erste Staat, der die Ratifikationsurkunde übermittelt hatte. Es folgten die Isle of Man am 19.10.2017, Jersey am 15.12.2017, Polen am 23.1.2018, Slowenien am 22.3.2018 und Großbritannien am 30.6.2018. Zwischen diesen sechs Staaten ist das MLI ab 1.1.2019 auf bestehende DBA anwendbar; für Staaten, die ihre Ratifikationsurkunde nach dem 1.7.2018 einreichen, kann das MLI frühestens ab 2020 angewendet werden. Israel, Litauen, Australien, Frankreich, Japan und die Slowakische Republik haben das in der zweiten Hälfte des Jahres 2018 getan; die Bundesrepublik Deutschland hat das MLI bisher nicht ratifiziert. Siehe zur Anwendung des MLI Oppel, ISR 2019, 321 ff. 4 Siehe OECD, Webseite zum multilateralen Übereinkommen, https://www.oecd.org/tax/trea ties/multilateral-convention-to-implement-tax-treaty-related-measures-to-prevent-beps.htm unter „Latest Update“ oder direkt via http://www.oecd.org/tax/treaties/beps-mli-positiongermany.pdf. 5 Siehe OECD, http://www.oecd.org/tax/treaties/multilateral-convention-to-implement-taxtreaty-related-measures-to-prevent-beps.htm unter „Signatories and Parties (MLI Positions)“ sowie dort unter „Germany“ oder direct via http://www.oecd.org/tax/treaties/bepsmli-position-germany.pdf: Federal Republic of Germany, Status of List of Reservations and Notifications at the Time of Signature, Article 2 – Interpretation of Terms, S. 2–10.

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Kap. 3 Rz. 3.17 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

kommen jedoch nicht unterschrieben, sodass es auf das mit den USA geschlossene DBA keine Anwendung finden kann.

3.18 Auf Betriebsstätten bezogene Regelungen. Ein großer Teil der Bestimmungen des MLI ist freiwillig. Vertragsparteien sind aber verpflichtet, die vorgegebenen Mindeststandards (Art. 6, 7 und 16 MLI) umzusetzen. In Bezug auf die Definition der Betriebsstätte, sieht das MLI Folgendes vor: – Einführung von Vorschriften zur Missbrauchsbekämpfung über die Zurechnung der Einkünfte einer in einem Drittstaat gelegenen Betriebsstätte (Art. 10 MLI), – Erweiterung der Definition des abhängigen Vertreters (Art. 12 MLI), – Vermeidung der künstlichen Aufteilung von Geschäftsvorfällen (Art. 13 MLI), – Verhinderung einer künstlichen Aufteilung von Verträgen (bei Bau- und Installationsarbeiten) zur Vermeidung des Zeitraums, nach dessen Überschreitung eine Betriebsstätte entsteht (Art. 14 MLI), und – Definition der mit einem Unternehmen eng verbundenen Person (Art. 15 MLI).

3.19 Anwendbarkeit der Regelungen zur Definition des abhängigen Vertreters. Was die künstliche Vermeidung des Betriebsstättenstatus mithilfe von Kommissionärsmodellen und ähnlichen Strategien (Art. 12 MLI) betrifft, behält sich die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die nach dem MLI gegebene Möglichkeit einer Abwahl vor, dass Art. 12 MLI1 nicht für ihre unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen anwendbar ist (Art. 12 Abs. 4 MLI).2 Damit werden die entsprechenden Empfehlungen der OECD, die in dieser Form bereits Eingang in das OECDMA gefunden haben, in DBA, die aus deutscher Sicht unter das Übereinkommen fallen, nicht automatisch wirksam, sobald das MLI von den Vertragspartnern ratifiziert ist, sondern müssen vielmehr individuell verhandelt werden. 3.20 Anwendbarkeit der Anti-Fragmentierungsregel. In Bezug auf die künstliche Umgehung des Betriebsstättenstatus durch die Ausnahme bestimmter Tätigkeiten (Art. 13 MLI) behält sich die Bundesrepublik im Hinblick auf die Möglichkeit einer Abwahl vor, dass Art. 13 Abs. 4 MLI (Art. 13 Abs. 6 Buchst. c MLI) nicht für ihre unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen gilt.3 Dieser Abs. 4 sieht vor, dass die Bestimmung eines Abkommens, in der bestimmte Tätigkeiten aufgeführt sind, die nicht als Betriebsstätte gelten, nicht für eine von einem Unternehmen genutzte oder unterhaltene feste Geschäftseinrichtung gilt, wenn dasselbe Unterneh1 Siehe dazu OECD, Guidance for the development of synthesised texts, Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Measures to Prevent BEPS, Paris, November 2018, Tz. 3.12. 2 Federal Republic of Germany, Status of List of Reservations and Notifications at the Time of Signature, Article 12 – Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status through Commissionnaire Arrangements and Similar Strategies, Reservations, S. 24. 3 Federal Republic of Germany, Status of List of Reservations and Notifications at the Time of Signature, Article 13 – Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status through the Specific Activity Exemptions, Reservations and Notifications, S. 25.

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B. Initiativen

Rz. 3.21 Kap. 3

men oder ein eng verbundenes Unternehmen an demselben Ort oder an einem anderen Ort in demselben Vertragsstaat eine Geschäftstätigkeit ausübt und – dieser Ort oder der andere Ort für das Unternehmen oder das eng verbundene Unternehmen nach den Bestimmungen eines unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens, die den Begriff „Betriebsstätte“ bestimmen, eine Betriebsstätte darstellt, oder – die Gesamttätigkeit, die sich aus den von den beiden Unternehmen an demselben Ort oder von demselben Unternehmen oder eng verbundenen Unternehmen an den beiden Orten ausgeübten Tätigkeiten ergibt, weder vorbereitender Art ist, noch eine Hilfstätigkeit darstellt, sofern die von den beiden Unternehmen an demselben Ort oder von demselben Unternehmen oder eng verbundenen Unternehmen an den beiden Orten ausgeübten Geschäftstätigkeiten sich ergänzende Aufgaben darstellen, die Teil eines zusammenhängenden Geschäftsbetriebs sind. Anwendbarkeit von Ausnahmetatbeständen. Daneben wird mitgeteilt, dass sich 3.21 Deutschland in Bezug auf die Ausnahme bestimmter Tätigkeiten für die Option A entscheidet (Art. 13 Abs. 1, 7 MLI). Diese Option A bedeutet,1 dass ungeachtet der Bestimmungen eines unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommens, die den Ausdruck „Betriebsstätte“ definieren, – die Tätigkeiten, die in dem unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen (vor Änderung durch das Übereinkommen) ausdrücklich nicht als Betriebsstätte geltende Tätigkeiten aufgeführt sind, unabhängig davon, ob diese Ausnahme vom Betriebsstättenstatus voraussetzt, dass die Tätigkeit vorbereitender Art ist oder eine Hilfstätigkeit darstellt, – eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen eine nicht unter dem ersten Spiegelstrich beschriebene Tätigkeit auszuüben, – eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, mehrere der unter den beiden ersten Spiegelstrichen genannten Tätigkeiten auszuüben, sofern diese Tätigkeit oder die zusammengefassten Tätigkeiten die Gesamttätigkeit der festen Geschäftseinrichtung vorbereitender Art ist oder eine Hilfstätigkeit darstellt, als nicht von dem Ausdruck „Betriebsstätte“ umfasst gelten (Art. 13 Abs. 2 MLI).2

1 Siehe dazu OECD, Guidance for the development of synthesised texts, Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Measures to Prevent BEPS, Paris, November 2018, Tz. 3.13. 2 Siehe hierzu auch die Liste der betroffenen Bestimmungen aus Abkommen, die unter das Übereinkommen fallen unter Federal Republic of Germany, Status of List of Reservations and Notifications at the Time of Signature, Article 13 – Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status through the Specific Activity Exemptions, Reservations and Notifications, S. 25 f.

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Kap. 3 Rz. 3.22 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

3.22 Anwendbarkeit der Regelungen zur Aufteilung von Verträgen. Insgesamt nicht auf die aus deutscher Sicht unter das Übereinkommen fallenden Steuerabkommen anzuwenden sind auch die Bestimmungen des Art. 14 MLI zur Aufteilung von Verträgen (Art. 14 Abs. 3 Buchst. a MLI), womit auch diese Empfehlungen der OECD1 nicht automatisch wirksam werden, sobald das MLI von den Vertragspartnern ratifiziert wird.

II. Richtlinien-Entwurf der EU-Kommission zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz 1. Motivation

3.23 Erweiterung des Begriffs der Betriebsstätte. Der bisher maßgebende Konsens, dass steuerlich nicht Ansässige in einem Land nur steuerpflichtig sind, wenn sie dort eine Betriebsstätte haben, ist für die Europäische Kommission „nicht mehr zeitgemäß, da der grenzüberschreitende Online-Handel ohne physische Präsenz möglich ist, die Unternehmen von schwer zu beziffernden immateriellen Vermögenswerten abhängen und nutzergenerierte Inhalte und Datenerhebung zu Kerntätigkeiten bei der Wertschöpfung digitaler Unternehmen geworden sind.“2 Hieraus ergibt sich für die Kommission die Notwendigkeit, den Begriff der Betriebsstätte zu erweitern und neue Indikatoren für eine „signifikante wirtschaftliche Präsenz“, um Besteuerungsrechte in Bezug auf die neuen digitalen Geschäftsmodelle zu begründen. 3.24 Einführung neuer Methoden der Gewinnzuordnung. Da nach den Leitlinien der OECD zur Gewinnaufteilung zwischen den Betriebsstätten eines (einheitlichen) Unternehmens die Gewinnaufteilung auf Personalfunktionen beruht,3 werden aber auch neue Methoden der Gewinnzuordnung, die die Wertschöpfung in den neuen Geschäftsmodellen erfassen können, notwendig. Die von der EU-Kommission hierzu vorgelegten Vorschläge sind Gegenstand des nächsten Abschnitts (s. dazu 1 Siehe dazu OECD, Guidance for the development of synthesised texts, Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Measures to Prevent BEPS, Paris, November 2018, Tz. 3.14. 2 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final) v. 21.3.2018, 1, abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_cus toms/sites/taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf., das folgende indirekte Zitat findet sich auf S. 2; dazu auch OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, insbesondere Kap. 2, S. 5 u. 6, 23–87 u. 165–192, abrufbar unter https://doi.org/10.1787/9789264310 438-de. 3 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/trans fer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establishments-german.pdf; s. dazu auch im Einzelnen Teil 2 dieses Werks (Gewinnabgrenzung nach dem AOA im Einzelnen), insbesondere Rz. 6.1 ff.

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B. Initiativen

Rz. 3.25 Kap. 3

Rz. 3.56 ff.). Im Folgenden werden zunächst die Vorschriften für die Ermittlung des steuerlichen Anknüpfungspunkts für grenzüberschreitend tätige digitale Unternehmen ohne physische Präsenz („signifikante digitale Präsenz“) vorgestellt. Sie betreffen körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen in der EU sowie Unternehmen, die in einem Drittland eingetragen oder niedergelassen sind, das kein DBA mit dem Mitgliedstaat hat, in dem eine signifikante digitale Präsenz dieser Steuerpflichtigen besteht. Bei Unternehmen, die in einem Drittland eingetragen oder niedergelassen sind, sind in Bezug auf den Begriff der Betriebsstätte die DBA mit den Mitgliedstaaten, in denen eine signifikante digitale Präsenz besteht, maßgebend. 2. Merkmale der signifikanten digitalen Präsenz Digitale Dienstleistungen. Die signifikante digitale Präsenz dient einer Erfassung 3.25 von Gewinnen ausländischer Unternehmen aus der Bereitstellung digitaler Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle, die mit Nutzern im Steuergebiet erzielt werden. Dabei bezeichnet „digitale Schnittstelle“ eine Software, z.B. eine Webseite oder Teile einer Webseite, und Anwendungen, die für den Nutzer zugänglich sind (Art. 3 Abs. 2 RL-E).1 Digital sind Dienstleistungen, „die über das Internet oder ein elektronisches Netzwerk erbracht werden, deren Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und die ohne die Informationstechnologie nicht erbracht werden könnten […]“ (Art. 3 Abs. 5 RL-E). Zentrale Elemente dieser notwendigen Informationstechnologie sind vor allem standardisierte Schnittstellen und Protokolle, die Dienste auf Endgeräten nutzbar machen.2 Die menschliche Beteiligung ist minimal, wenn diese sich darauf beschränkt, die technischen Voraussetzungen der digitalen Dienstleistung zu schaffen, in dem der Dienstleister die Infrastruktur einrichtet, regelmäßig wartet und bei Bedarf wieder instand setzt. Auf Seiten des Nutzers spielt das Ausmaß menschlicher Beteiligung keine Rolle. Zu digitalen Dienstleistungen gehören danach insbesondere – die Überlassung digitaler Produkte, z.B. Software, – Dienste, die in elektronischen Netzwerken eine Präsenz vermitteln oder unterstützen, z.B. eine Webseite, – von einem Computer automatische generierte Dienstleistungen über ein elektronisches Netz auf der Grundlage von spezifischen Dateninputs des Dienstleistungsempfängers, z.B. die Ergebnisse einer Suchmaschine, – die Einräumung des Rechts, gegen Entgelt eine Leistung auf einer Webseite, die als Online-Marktplatz fungiert, unter bestimmten Voraussetzungen zum Kauf anzubieten, z.B. die Nutzung einer Plattform durch Input-Provider, 1 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final) v. 21.3.2018, 16, abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_cus toms/sites/taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf. 2 Vgl. Farrell/Weiser, Harvard Journal of Law & Technology 2003, 85–134, ebenfalls verfügbar unter https://escholarship.org/uc/item/4dh7q2dd; Yoo/Henfridsson/Lyytinen, Information Systems Research 2010, 724–735.

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Kap. 3 Rz. 3.25 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

– Internet-Service-Pakete mit Informationen, in denen die Telekommunikationskomponente ein ergänzender oder untergeordneter Bestandteil ist, – die im Anhang II des RL-E genannten Dienstleistungen, z.B. Webhosting, automatisierte Online-Fernwartung von Programmen, Online-Data-Warehousing oder die Online-Bereitstellung von Speicherplatz nach Bedarf.

3.26 Negative Abgrenzung. Digitale Dienstleistungen umfassen nicht die in Anhang III des RL-E genannten Dienstleistungen, z.B. Rundfunk- oder Fernsehdienstleistungen, Telekommunikationsdienstleistungen, Gegenstände bei elektronischer Bestellung und Auftragsbearbeitung, CD-ROM, Disketten und ähnliche körperliche Datenträger, Druckerzeugnisse wie Bücher, Newsletter, Zeitungen und Zeitschriften, CDs und Audiokassetten, Videokassetten und DVDs oder Spiele auf CD-ROM. Sie erfassen auch nicht den Verkauf von Gegenständen oder anderen Dienstleistungen über ein elektronisches Netz. Danach ist z.B. der Zugang zu einem digitalen Marktplatz für den Kauf eines bestimmten Produkts eine digitale Dienstleistung, der Bezug eines Produkts auf Basis einer Onlinebestellung unter Nutzung eines Marktplatzes oder der Webseite eines dieses Produkt verkaufenden Unternehmens ist es dagegen nicht. 3.27 Merkmale einer digitalen Präsenz. Um den „digitalen Fußabdruck“ eines Unternehmens im Steuergebiet zu bestimmen, empfiehlt die Kommission, am Zweck der signifikanten digitalen Präsenz (Erfassung von Gewinnen ausländischer Unternehmen aus der Bereitstellung digitaler Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle mit Nutzern im Steuergebiet) anzuknüpfen und die digitale Präsenz anhand von – Erträgen aus digitalen Dienstleistungen, – Nutzern digitaler Leistungen und – Geschäftsverträgen über digitale Leistungen in einem Steuerzeitraum zu identifizieren. Diese Kriterien sollen der Tatsache Rechnung tragen, „dass sich digitale Unternehmen auf eine große Nutzerbasis, die Einbindung und die Beiträge der Nutzer sowie auf die Wertschöpfung stützen, die diese Nutzer für Unternehmen generieren.“1

3.28 Erträge aus digitalen Dienstleistungen. Dabei bezeichnen „Erträge“ alle monetären oder nichtmonetäre Nettoerlöse aus Verkäufen und anderen Transaktionen, einschließlich der Veräußerung von Wirtschaftsgütern und Rechten sowie Zinsen, Dividenden und anderen Arten der Gewinnausschüttung, Liquidationserlösen, Lizenzgebühren, Subventionen und Zuschüssen, Zuwendungen, Schadensersatzzahlungen und freiwilligen Leistungen sowie Sachzuwendungen eines Körperschaftsteuerpflichtigen (Art. 3 Abs. 6 RL-E).

1 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final) v. 21.3.2018, 9, abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_cus toms/sites/taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf.

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B. Initiativen

Rz. 3.33 Kap. 3

Nutzer digitaler Dienstleistungen. „Nutzer“ sind Einzelpersonen oder Unterneh- 3.29 men (Art. 3 Abs. 4 RL-E); im Hinblick auf die Nutzung digitaler Dienstleistungen gelten sie als in einem Mitgliedstaat ansässig, wenn sie in dem betreffenden Mitgliedstaat und Steuerzeitraum ein Gerät benutzen,1 um auf eine digitale Schnittstelle zuzugreifen, über die digitale Dienstleistungen bereitgestellt werden (Art. 4 Nr. 4 RL-E). Geschäftsvertrag über digitale Leistungen. Ein Vertrag gilt als „Geschäftsvertrag“, 3.30 wenn der Nutzer den Vertrag im Rahmen einer Geschäftstätigkeit abschließt; hier sind Nutzer ansässig, wenn sie für Körperschaftsteuerzwecke in dem betreffenden Mitgliedstaat und Steuerzeitraum oder, unter der Voraussetzung, dass sie im betreffenden Steuerzeitraum über eine Betriebsstätte im Mitgliedstaat verfügen, in einem Drittland ansässig sind (Art. 4 Nr. 5 Buchst. a und b RL-E). Zweck der multikriteriellen Bestimmung. Die Verwendung mehrerer Kriterien soll 3.31 der Tatsache Rechnung tragen, dass die Gewinne digitaler Unternehmen je nach dem zugrunde liegenden Geschäftsmodell auf unterschiedlichen Werttreibern beruhen können. So mag bei zweiseitigen Geschäftsmodellen die Wertschöpfung des Unternehmens mit der Anzahl der Nutzer steigen, während die Wertschöpfung in anderen Fällen von der Nutzerbeteiligung oder dem Wert der Dienstleistung abhängt. Schwellenwerte. Um „Bagatellfälle“ auszuschließen, werden für die genannten drei 3.32 Kriterien Schwellenwerte festgelegt. Danach liegt eine signifikante digitale Präsenz in einem Mitgliedstaat und Steuerzeitraum vor, wenn im Hinblick auf die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle durch den Rechtsträger, der die Geschäftstätigkeit ausübt, – der Anteil der Gesamterträge dieses Steuerzeitraums aus digitalen Dienstleistungen an Nutzer im Mitgliedstaat und Steuerzeitraum 7 Mio. Euro überschreiten oder – die Zahl der Nutzer einer oder mehrerer digitalen Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat und Steuerzeitraum 100.000 Nutzer übersteigt oder – die Anzahl Geschäftsverträge über die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen in einem Mitgliedstaat und Steuerzeitraum 3.000 Verträge übersteigt. Anteil der Gesamterträge. Dabei werden digitale Dienstleistungen über eine digita- 3.33 le Schnittstelle durch jedes mit dem Rechtsträger, der die Geschäftstätigkeit ausübt, verbundene Unternehmen berücksichtigt. Der Anteil der Gesamterträge wird aus dem Verhältnis dazu bestimmt, wie oft Geräte im Steuerzeitraum durch Nutzer weltweit genutzt werden, um auf die digitale Schnittstelle zugreifen, über die digitale Dienstleistungen bereitgestellt werden (Art. 4 Nr. 3 und 7 RL-E).

1 Der Mitgliedstaat, in dem ein Gerät des Nutzers verwendet wird, wird anhand der Internet-Protokoll-Adresse des Geräts oder einer anderen Methode der Geolokalisierung bestimmt (Art. 5 Nr. 6 der Richtlinie).

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Kap. 3 Rz. 3.34 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

3.34 Sonderrecht in Bezug auf digitale Dienstleistungen. Diese Erfindung einer „signifikanten digitalen Präsenz“ ist aus mehreren Gründen problematisch. Zwar steht es einer Staatengemeinschaft grundsätzlich frei, neue Anknüpfungspunkte für die Besteuerung einzuführen. Wenn aber der internationale Konsens unter den westlichen Industriestaaten, nach dem der Export von Gütern und Dienstleistungen (internationale Direktgeschäfte)1 keiner Quellenbesteuerung unterliegen soll, aufgebrochen wird, erscheint es nicht konsequent, diese Korrektur auf eine bestimmte Form digitaler Dienstleistungen zu beschränken. 3.35 Nutzer stehen außerhalb des unternehmerischen Wertschöpfungsprozesses. Wenig systematisch erscheint auch, wenn das für physische Betriebsstätten maßgebende Kriterium der „festen Einrichtung“ im Quellenstaat um Software („digitale Schnittstelle“) ergänzt wird, die sich weder lokalisieren noch geografisch verorten lässt, und sich die Steuerpflicht zudem am Wert der Geschäftsbeziehung zu den Nutzern (Höhe von Erträgen, Anzahl der Nutzer und Anzahl der Verträge) orientiert. Schließlich muss man sehen, dass das Konzept der Besteuerung am Ort der Wertschöpfung in Frage steht, wenn auf die Wertschöpfung abgestellt wird, die die Nutzer für die eine Dienstleistung anbietenden Unternehmen generieren.2 Nach bisherigem Verständnis befindet sich der Ort der Wertschöpfung dort, wo die Produktion der Güter oder Leistungen stattfindet. Damit können aber Nutzer (Konsumenten) nur dann zur unternehmerischen Wertschöpfung beitragen, wenn sie am Produktionsprozess teilnehmen.3 Zwar mag sich der Wert der vor allem immateriellen Wirtschaftsgüter des die Dienstleistung erbringenden Unternehmens mit der Anzahl der Nutzer (positive Netzwerkexternalitäten), den Nutzerdaten oder möglichen Nutzerbeiträgen erhöhen.4 Netzwerkeffekte sind aber ein allgemeines Phänomen, das z.B. auch in allen anderen Netzindustrien (ein Beispiel ist die Telekommunikation) wirksam ist.5 3.36 Besteuerung von Haushaltsproduktion. Im Übrigen spielen Nutzerdaten und Nutzerbeiträge bisher nur deshalb keine Rolle, da deren Abgabe im Tausch gegen digitale Leistungen erfolgt und die damit verbundene „Haushaltsproduktion“ auf Ebene der Nutzer genauso wenig erfasst wird wie die Preisgabe von Kundendaten beim Einkauf im Einzelhandel. Will die Europäische Kommission jedoch auf den Markt abstellen, 1 Siehe dazu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 243, 245–272, 371–391. 2 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final) v. 21.3.2018, 9, abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_cus toms/sites/taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf. 3 Vgl. Becker/Englisch, EU Digital Services Tax: A Populist and Flawed Proposal, in Kluwer Law International Tax Blog, EU/EEA, Tax Policy, 16.3.2018. 4 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz (COM (2018) 147 final) v. 21.3.2018, 10–11, abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_ customs/sites/taxation/files/proposal_significant_digital_presence_21032018_de.pdf. 5 Sehr anschaulich bringen auch Becker/Englisch zum Ausdruck, dass die Attraktivität einer Bar für potentielle Besucher umso größer ist, je mehr Personen sich bereits darin aufhalten, vgl. Becker/Englisch, EU Digital Services Tax: A Populist and Flawed Proposal, in Kluwer Law International Tax Blog, EU/EEA, Tax Policy, 16.3.2018.

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B. Initiativen

Rz. 3.39 Kap. 3

den die Unternehmen via Nutzerschnittstelle zu minimalen Grenzkosten digital erreichen können, stellt sie auf Wertbeiträge ab, die außerhalb des (aktuell noch) internationalen Konsenses über den Ort der Wertschöpfung stehen.

III. Berücksichtigung des Wertbeitrags in den Absatzmärkten 1. Ausgangspunkt Fehlende Präsenz in den Absatzmärkten. Digitale Geschäftsmodelle setzen keine 3.37 physische Präsenz in den Absatzmärkten, d.h. den Ländern, in denen die Nutzer, Kunden oder Abnehmer ansässig sind, voraus. Dort ansässige Personen nutzen z.B. webbasierte Plattformen oder sind über Plattformen an zahlreichen Transaktionen mit anderen Personen beteiligt, die im selben Land ansässig sind. Sie begründen aber unter den gegenwärtigen Besteuerungsprinzipien für den Ansässigkeitsstaat der Nutzer keine Besteuerungsrechte in Bezug auf das Einkommen der digitalen Unternehmen. Wertbeiträge in den Nutzer- oder Marktstaaten. Generell stellt sich für Absatz- 3.38 märkte die Frage, ob lokale Wertbeiträge, die ohne körperliche Anknüpfungspunkte auskommen, ein Problem digitaler Geschäftsmodelle sind oder auch andere Formen der Geschäftstätigkeit betreffen. So haben die Veränderungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie dazu geführt, dass Unternehmen globale Marken bilden, eine aktive Kundenbasis entwickeln und Werte auch dort schaffen können, wo sie selbst nicht körperlich präsent sind. Vor diesem Hintergrund haben sowohl Großbritannien als auch die USA Vorschläge entwickelt, die im Unterschied zur gegenwärtigen Grundlage für die Verteilung der Besteuerungsrechte auf die Wertbeiträge in den Nutzer- oder Marktstaaten abstellen. Dabei sind die Vorschläge im Gegensatz zu den Vorstellungen der Kommission nicht auf digitale Geschäftsmodelle beschränkt, sondern sollen auch andere Formen der Geschäftstätigkeit, die durch die Digitalisierung möglich wurden, erfassen. 2. Konzept der Nutzerbeteiligung Britisches Modell. Das Konzept der Nutzerbeteiligung wurde durch die britische 3.39 Finanzverwaltung entwickelt und bezieht sich auf die Wertbeiträge, die im Rahmen digitaler Geschäftsmodelle durch die Entwicklung einer aktiven und engagierten Nutzerbasis sowie die hiermit verbundene Einwerbung von Daten und Inhalten, geschaffen werden.1 Es beruht auf der Vorstellung, dass die Einwerbung eines nachhaltigen Engagements und einer aktiven Nutzerbeteiligung wichtige Bestandteile der Wertschöpfung in digitalen Geschäftsmodellen sind. Nach dieser Vorstellung tragen die Aktivitäten und Beteiligung dieser Nutzer zur Entwicklung der Marke, zur Verarbeitung wertvoller Daten und der Entwicklung einer kritischen Masse bei und 1 Siehe HM Treasury, Corporate tax and the digital economy: position paper, 2017; HM Treasury, Corporate tax and the digital economy: position paper update, 2018, abrufbar unter www.gov.uk/government/publications.

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Kap. 3 Rz. 3.39 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

helfen, Marktmacht zu erzeugen. Der damit verbundene Wertbeitrag ist von besonderer Bedeutung für die Geschäftsmodelle der – Social-Media-Plattformen, deren Wert in der Anzahl und Vernetzung seiner Nutzer insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit zum Verkauf von Werbeflächen liegt, – Suchmaschinen, die ihren Wert ebenfalls aus den Beiträgen ihrer Nutzer gewinnen, und – Online-Marktplätze, deren Wert von der Anzahl der Nutzer auf beiden Marktseiten sowie der Qualität und Vielfalt an Gütern oder Leistungen, die von Seiten der Nutzer angeboten werden, abhängig ist.

3.40 Besteuerung durch Nutzer- oder Marktstaaten. Die von den Nutzern geschaffenen Werte spielen im gegenwärtigen System der Zuordnung von Besteuerungsansprüchen, das auf körperliche Produktion abstellt, keine Rolle. Für die britische Finanzverwaltung hat dies zur Folge, dass Unternehmen wesentliche Werte aus Ländern beziehen können, die die hiermit verbundenen Gewinne keiner Besteuerung unterwerfen dürfen. Sie schlägt daher vor, dass die Länder, in denen die Nutzer der oben genannten Produkte ansässig sind, ein Recht zur Besteuerung der Gewinne haben sollten, die durch die Nutzerbeteiligung in diesen Ländern entstanden sind. Die Ermittlung und Zuordnung dieser Gewinne soll nach den Vorstellungen der britischen Finanzverwaltung durch eine entsprechende Modifikation der Gewinnaufteilungsmethode erreicht werden. Auf diese Modifikation wird weiter unten eingegangen (s. dazu Rz. 3.63 f.). 3. Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte

3.41 Breiter Anwendungsbereich. Das Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte („marketing intangibles“ approach) zielt ebenfalls darauf ab, den bestehenden Konsens über die Anknüpfungspunkte der Besteuerung und die Regelungen zur Gewinnaufteilung zu verändern. Im Unterschied zum britischen Konzept der Nutzerbeiträge sollen hier aber die Auswirkungen der Digitalisierung nicht auf digitale Unternehmen beschränkt bleiben, sondern umfassender berücksichtigt werden.1 3.42 Funktionale Verbindung zum Absatzmarkt. Erfasst werden sollen Situationen, in denen multinationale Unternehmen entweder auf elektronischem Weg oder auf Basis funktionsarmer Einrichtungen (z.B. in der Form eines Limited-Risk-Distributors) ei1 Vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, Tz. 32 ff., abrufbar unter https://doi.org/10.1787/ 9789264310438-de; s. hierzu auch das entsprechende Statement von U.S. Treasury Secretary, Steven Mnuchin, in Bezug auf den vorerwähnten Zwischenbericht der OECD, demzufolge „the U.S. firmly opposes proposals by any country to single out digital companies“ in U.S. Department of the Treasury, Secretary Statements & Remarks, abrufbar unter https://home. treasury.gov/news/press-releases/sm0316.

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B. Initiativen

Rz. 3.43 Kap. 3

ne Nutzerbasis, Kundenstämme oder andere immaterielle Marketingwerte im Marktstaat (Absatzmarkt) entwickeln. Diese stellen aus Sicht dieses Konzepts eine funktionale Verbindung zum Absatzmarkt her, da immaterielle Marketingwerte (wie z.B. die Marke oder ein Warenzeichen) positive Einstellungen im Kopf des Kunden erzeugen können oder das Resultat einer gezielten Kundenansprache sind (Beispiele sind Kundendaten, Kundenbeziehungen und Kundenlisten), sodass diese Werte als im Marktstaat hergestellt gelten können.1 Ordnet man diese Wirtschaftsgüter dem Marktstaat zu, ergibt sich ein Besteuerungsrecht dieses Landes in Bezug auf das Einkommen des Unternehmens, das aus der Nutzung dieser Wirtschaftsgüter unter Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken selbst dann erzielt wird, wenn das Unternehmen im Marktstaat keine Betriebsstätte unterhält.2 Indem dieser Ansatz auf die „Wertschöpfung“ abstellt, die sich aus der Nutzung dieser immateriellen Marketingwerte ergeben, stehe er im Einklang mit den gefestigten OECDGewinnzuordnungsprinzipien und unterscheide sich zugleich von allgemein „günstigen Absatzbedingungen“, die sich in der Größe eines Markts, einer erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung und der damit verbundenen Kaufkraft äußern und unabhängig von möglichen Initiativen des Unternehmens gegeben sein können. Abkehr von den gefestigten Gewinnzuordnungsprinzipien. Gleichwohl bestehen 3.43 Unterschiede im Vergleich zur gegenwärtigen Anwendung der gefestigten OECDGewinnzuordnungsprinzipien, wie das die folgenden Sachverhalte deutlich machen. – Onlinedienstleistungen. Das Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte ordnet den Teil der residualen Gewinne des Unternehmens, der auf die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter (ein Beispiel ist die Kundenbindung aufgrund der Möglichkeit der kostenlosen Nutzung eines E-Mail-Programms oder von Speicherplatz) im Marktstaat entfällt, dem Marktstaat auch dann zu, wenn nach gegenwärtigem Verständnis keine Betriebsstätte im Marktstaat unterhalten wird, und greift damit in die bestehenden Regelungen zum Anknüpfungspunkt der Besteuerung ein. – Limited-Risk-Distributor. Das Konzept der Berücksichtigung immaterieller Wirtschaftsgüter hätte zur Folge, dass die Gewinne, die auf die Nutzung immaterieller Wirtschaftsgüter im Marktstaat zurückzuführen sind (z.B. die Marke, ein Warenzeichen oder Kundenstamm), auch dann dem Marktstaat zugeordnet werden, wenn die korrespondierenden DEMPE-Funktionen („Development“, „Enhancement“, „Maintenance“, „Protection“, „Exploitation“) außerhalb dieses Staats ausgeübt werden. Damit greift dieser Ansatz nicht nur in die bestehenden Regelungen zum Anknüpfungspunkt der Besteuerung ein, sondern trägt auch vor allem dann zur Lösung der durch BEPS adressierten Probleme bei, wenn Dienstleistungen parallel online erbracht werden. Zugleich bewirkt dieses Konzept, dass physische und digitale Leistungen in vergleichbarere Weise besteuert werden. 1 In 1963 galten Marketing- und Entwicklungstätigkeiten noch „so far antecedent to the actual realisation of profits by its parent body that no profits can properly be allocated to it“, siehe Art. 5 Abs. 3 Buchst. e OECD-MA 1963. 2 So bereits Oosterhuis/Parsons, TLR 2018, 546 – in Konkretisierung eines Vorschlags von Wells/Lowell, Florida Tax Review 2014, 737 u. 794–797.

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Kap. 3 Rz. 3.44 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

3.44 Ergänzung durch Modifikationen der Gewinnaufteilungsmethode. Die Ermittlung und Zuordnung dieser Gewinne soll nach den Vorstellungen der US-Finanzverwaltung durch eine entsprechende Modifikation der Gewinnaufteilungsmethode erreicht werden. Hierauf wird weiter unten noch genauer eingegangen (s. dazu Rz. 3.65 ff.). 4. Einheitliches Konzept der OECD/G20

3.45 Neue Anknüpfungspunkte der Besteuerung. International sind die dargestellten Ansätze nicht für sich konsensfähig. Daneben beruhen sie auch auf Kriterien, die mit dem gegenwärtigen Verständnis einer Besteuerung am Ort der Wertschöpfung nicht in Einklang zu bringen sind. Daher stellt das aktuelle Arbeitsprogramm der OECD1 darauf ab, die Vorschläge zu den Anknüpfungsmerkmalen der neuen Besteuerungsrechte auf Ebene der Marktstaaten zu vereinheitlichen und neue „Nexus rules“ zu entwickeln. 3.46 Weitgehende Orientierung an den Umsätzen. Der einheitliche Ansatz soll sich nicht auf digitale Geschäftsmodelle beschränken, sondern sich insbesondere auf die am Konsumenten orientierten Branchen erstrecken. Dabei sollen neuen Anknüpfungspunkte der Besteuerung für die betroffenen Unternehmen auf körperliche Merkmale verzichten und sich stattdessen weitgehend an Umsätzen orientieren.

C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung I. Ergänzende Leitlinien der OECD für die Zuordnung der Gewinne zu Betriebsstätten 1. Gegenstand dieser Leitlinien

3.47 Grundsätzliche Bestimmungen zur Anwendung der BEPS-Aktionspunkte auf Betriebsstätten. Die Empfehlungen der OECD zur Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs wurden im März 2018 um Leitlinien für die Zuordnung von Betriebsstättengewinnen ergänzt.2 Diese Empfehlungen beruhen auf öffentlichen Diskussionen zweier Entwürfe aus den Monaten Juli 2016 und Juni 2017, deren Lektüre deutlich macht, dass der in Form detailliert ausgearbeiteter Beispiele zunächst sehr spezifisch auf den „Authorised OECD Approach“ (AOA)3 bezogene Entwurf unter den Mit1 OECD, Public Consultation Document, Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One, Paris, Oktober 2019, Tz. 15, unter Bezug auf OECD, Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, OECD, Paris 2019, Tz., 24, 39. 2 Siehe OECD (2018), Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7 v. 22.3.2018, http://www.oecd.org/tax/beps/additional-guid ance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establishment-under-beps-action7.htm – nachfolgend: „OECD (2018), Ergänzende Leitlinien zu Art. 7 OECD-MA“; auf diese Leitlinien sind auch die folgenden Ausführungen dieses Abschnitts bezogen. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/attributes-of-profits-permanent-establishments-german.pdf.

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C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Rz. 3.48 Kap. 3

gliedstaaten nicht konsensfähig war. Hierzu trägt bei, dass dieser AOA nicht in allem Mitgliedstaaten umgesetzt ist. Die fehlende Verständigung innerhalb der OECD führte dazu, dass die Mitgliedstaaten eine Chance verpassten, sich auf präzise Vorgaben für die Betriebsstättengewinnermittlung vor allem in Bezug auf Vertreterbetriebsstätten zu verständigen. Der Abschlussbericht dokumentiert aber wichtige Grundsätze in Bezug auf die Anwendung der BEPS-Aktionspunkte 8–101 auf Betriebsstätten und gibt Hinweise zur Anwendung der Fragmentierungsregel, zum Verhältnis der Regelungen für Betriebsstätten und verbundene Unternehmen (vor allem für den Fall, dass das verbundene Unternehmen die Rolle eines Vertreters übernimmt), zu Möglichkeiten der administrativen Vereinfachung und der Gewinnermittlung im Zusammenhang mit dem Verkauf von Gütern im Rahmen von Kommissionärsmodellen, dem Verkauf von Online-Werbeflächen via Dienstleister und dem Bezug von Gütern mithilfe eines konzerninternen Beschaffungsagenten. 2. Feste Geschäftseinrichtungen, insbesondere bei Anwendung der Anti-Fragmentierungsregelung Einheitliche Ermittlung des Gewinns. In Bezug auf die Ausnahmeregelungen 3.48 (Art. 5 Abs. 4.1 OECD-MA 2017) stellen die ergänzenden Leitlinien zunächst fest, dass lediglich die Tätigkeiten auszunehmen sind, die vorbereitenden oder Hilfscharakter haben. Setzt sich das operative Geschäft eines Unternehmens aus verschiedenen separat ausgeübten Tätigkeiten zusammen, sind diese Tätigkeiten für die Prüfung der Frage, ob die Ausnahmeregelungen Anwendung finden, zusammenzufassen. Ergibt sich, dass die Summe dieser Tätigkeiten mehr als vorbereitenden und Hilfscharakter hat, ist von einer oder mehreren Betriebsstätten in diesem Land auszugehen. Diesen Betriebsstätten sind die Gewinne zuzuordnen, die das Unternehmen erzielt hätte, wenn es diese zusammengefassten Tätigkeiten in Form eines selbständigen Unternehmens ausgeübt hätte. Diese Vorgabe wird anhand eines Beispiels („Beispiel 1“2) für eine feste Geschäftseinrichtung, die sich durch verschiedene, einander ergänzende Geschäftstätigkeiten auszeichnet, illustriert. Beispiel 1 (feste Geschäftseinrichtung): Sachverhalt Hierzu werden ein Lagerhaus sowie geografisch getrennte Vertriebs- und Datensammelstellen betrachtet, für die, da festgestellt wird, dass Lagerhaus und das Vertriebsbüro aufgrund der im Land ausgeübten Personalfunktionen wirtschaftlich der Betriebsstätte zuzuordnen sind, selbständige Lager- und Vertriebsdienstleistungen an das Stammhaus unterstellt werden.3 1 Siehe OECD, Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung, Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2017, abrufbar unter https://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de. 2 Siehe OECD (2018), Ergänzende Richtlinien zu Art. 7 OECD-MA, Rz. 11–25, http:// www.oecd.org/tax/transfer-pricing/additional-guidance-attribution-of-profits-to-perma nent-establishments-BEPS-action-7.pdf. 3 Siehe hierzu im Einzelnen Teil 2 dieses Werks (Gewinnabgrenzung nach dem AOA im Einzelnen), Rz. 6.1 ff.

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Kap. 3 Rz. 3.49 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

3.49 Anwendung üblicher Verrechnungspreismethoden. Nach Schritt 2 des AOA sind Vergleichspreise für entsprechende „dealings“ (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus, (s. dazu Rz. 9.1 ff.)) in Rechnung zu stellen, um auf diese Weise den Ertrag sowie, nach Abzug der Kosten, die für die Herstellung dieser Dienstleistungen entstehen (Kosten der Lagerhaltung sowie Vertrieb und Datensammlung), den Gewinn der Betriebsstätte durch Anwendung üblicher Verrechnungspreismethoden zu ermitteln. Nähere Hinweise darauf fehlen. Es wird auch, um die Wertungen möglichst allgemein zu halten, auf eine Diskussion der maßgebenden Personalfunktionen, Zuordnungsfragen und rechnungsmäßigen Konsequenzen (Ansatz und Bewertung in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sowie einer gegebenenfalls notwendigen Hilfs- und Nebenrechnung) verzichtet, sodass die ergänzenden Ausführungen an dieser Stelle keine wirklich neuen Informationen enthalten. 3. Vertreterbetriebsstätten

3.50 Abgrenzungskonflikte. Für – abhängige Vertreter, die – in Bezug auf Dienstleistungen, die Übertragung von Vermögen oder die Einräumung von Nutzungsrechten gewöhnlich im Namen des Unternehmens Verträge abschließen oder – Verträge vorbereiten, welche regelmäßig und ohne wesentliche Änderungen durch das Unternehmen abgeschlossen werden (Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2017), und – unabhängige Vertreter, die ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Auftrag eines oder mehrerer Unternehmen handeln, mit denen sie eng verbunden sind (Art. 5 Abs. 6 OECD-MA 2017), skizziert der Entwurf die Änderungen des Art. 5 OECD-MA infolge von BEPS, die sich ausschließlich auf die Definition der Betriebsstätte dem Grunde nach beziehen, und geht auf die durch BEPS inhaltlich unveränderte Gewinnzuordnung ein (s. auch Rz. 11.1 ff.). Diese Gewinnzuordnung beruhe auf Art. 7 OECD-MA oder korrespondierenden Regelungen der im Einzelfall relevanten DBA und stehe unter der (sowohl nach dem AOA als auch früheren Ansätzen maßgebenden) Prämisse, dass der Betriebsstätte die Gewinne zuzuordnen sind, die die Betriebsstätte erzielt hätte, wäre sie ein separates und unabhängiges Unternehmen, das unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen gleiche oder ähnliche Tätigkeiten ausgeübt hätte. In beiden Fällen ist zu berücksichtigen, dass bei Existenz einer Vertreterbetriebsstätte im Quellenstaat zwei Steuerpflichtige tätig sind: der Vertreter (der im Quellenstaat S ansässig sein kann) und das vertretene Unternehmen, das im anderen Staat (Sitzstaat R) ansässig ist und aufgrund der Vertretung in S beschränkt steuerpflichtig wird. Entsprechend sind bei der Bestimmung des Betriebsstättenerfolgs die Vergütungen zu berücksichtigen, die der Vertreter aufgrund seiner Dienstleistungen an das vertretene Unternehmen erhalten muss. Ist der Vertreter ein verbundenes Unternehmen, bestimmt sich die Provision des Vertreters auf Basis von Art. 9 OECD-MA (oder der korrespondierenden Norm des jeweils maßgebenden DBA), während die Ermittlung des Betriebs82 Oestreicher

C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Rz. 3.51 Kap. 3

stättengewinns auf Basis von Art. 7 DBA zu vollziehen ist. Sind in diesem Fall sowohl Art. 7 als auch Art. 9 DBA anwendbar, ist zu klären, welche Abgrenzung im Fall von Abgrenzungskonflikten Vorrang haben soll. Zwar sind hier viele OECD Mitgliedstaaten der Auffassung, dass die Gewinnabgrenzung zwischen den verbundenen Unternehmen (Art. 9 DBA) vorausgehen muss, um anschließend den verbleibenden Gewinn zwischen den Betriebsstätten des Unternehmens aufzuteilen. Diese Lösung wird aber nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt. So hält es ein anderer Teil der Mitgliedstaaten für richtig, mit der Gewinnaufteilung zwischen den Betriebsstätten zu beginnen. Die OECD akzeptiert beide Ansätze, verlangt aber, dass die Anwendungsreihenfolge ohne Einfluss auf den Gewinn ist, der dem Besteuerungsrecht des Quellenstaats unterliegt. Daneben wird erwartet, dass die Mitgliedstaaten ihren Ansatz transparent machen, konsistent anwenden und dafür Sorge tragen, dass der Gewinn im Quellenstaat nicht doppelt (auf Ebene sowohl der Betriebsstätte als auch des Vertreters) besteuert wird. Zuordnungskonflikte. Dabei ruft die OECD noch einmal in Erinnerung, dass nach 3.51 ihren, gemeinsam mit den G20 herausgegebenen Empfehlungen zur Verhinderung der Aushöhlung von Bemessungsgrundlagen und Gewinnverlagerung (BEPS) die Gewinnaufteilung zwischen verbundenen Unternehmen unter Berücksichtigung der tatsächlich ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgütern und übernommenen Risiken zu erfolgen hat. Hier ist zu berücksichtigen, dass ein Risiko nur übernehmen kann, wer die entsprechende Verantwortung („Control over risks“) und finanzielle Ausstattung („Financial capacity to assume the risk“) innehat.1 Diese Zuordnung des Risikos hat aber nur Bedeutung für die Bestimmung der Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen und wirkt sich auf den Sachverhalt, dass – der Vertreter im Vertragsstaat im Auftrag des nicht ansässigen Unternehmens tätig ist, – der Vertreter gewöhnlich Verträge abschließt oder im Wesentlichen unterschriftsreif vorbereitet und – die Verträge entweder im Namen des Unternehmens abgeschlossen werden, auf die Übertragung oder Überlassung des Vermögens des Unternehmens gerichtet sind oder die Erbringung von Dienstleistungen durch das Unternehmen zum Gegenstand haben, nicht aus. Zu berücksichtigen ist aber, dass diese Aufgaben, die von der Person des Vertreters ausgeübt werden, (zum Teil) sowohl wesentliche Personalfunktionen, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, als auch Risikokontrollfunktionen, die in den Aufgabenbereich des Vertreters fallen, sein können. Die Konzepte der Personalund Risikokontrollfunktionen sind weder aufeinander abgestimmt, noch für Zwecke der Anwendung der Art. 7 OECD-MA und Art. 9 OECD-MA wechselseitig austauschbar. Wurden Aufgaben im Rahmen der Gewinnzuordnung dem Funk1 Vgl. OECD, Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung, Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2017, Abschn. D.1., abrufbar unter https://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de.

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Kap. 3 Rz. 3.51 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

tionsbereich des Vertreters zugeordnet, ist, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, sicherzustellen, dass diese Aufgaben nicht ein weiteres Mal als Personalfunktionen der Betriebsstätte behandelt werden und umgekehrt. Möglich ist daher, dass bei einer Zuordnung von Aufgaben in den Risikokontrollbereich des Vertreters die Gewinne der Betriebsstätte nach Abzug der Vertreterprovision auf null fallen und der Vertreter einen Gewinn ausweist, der über die Vertreterprovision hinausgeht. Werden sie als wesentliche Personalfunktionen der Betriebsstätte behandelt, können die Gewinne der Betriebsstätte positiv oder negativ sein, während der Gewinn des Vertreters seiner Vertreterprovision entspricht.

3.52 Faktisches Wahlrecht. Im Ergebnis besteht ein faktisches Wahlrecht, nach dem die dem Betriebsstättenstaat zuzuordnenden Gewinnanteile dem Vertreter oder der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet werden können. Diese Lösung erweckt den Anschein eines Kompromisses, der vor allem auch die Staaten, in denen der AOA nicht umgesetzt ist, mitnimmt. Schließlich ist auf dieser Basis die bereits vor Umsetzung des AOA übliche Gewinnermittlung für Vertreterbetriebsstätten nach Maßgabe der „Nullgewinnhypothese“ („Single taxpayer approach“) möglich. Inhaltlich überzeugen kann sie nicht. Sie würde zulassen, dass eine Betriebsstätte, deren Grenzen durch BEPS neu (und breiter) abgesteckt wurden, einen Gewinn i.H.v. null ausweist. 3.53 Illustration anhand von Beispielen. Die Überlegungen der OECD zur Gewinnermittlung bei Vertreterbetriebsstätten werden durch zwei Beispiele zu Absatzmittlern (Beispiele 2, 3) und ein Beispiel in Bezug auf einen Beschaffungsagenten (Beispiel 4) ergänzt.1 Dabei betont die OECD den illustrativen Charakter dieser Beispiele, die nicht im Sinne von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten verstanden werden können. Auch diese Einschränkung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach Art. 7 OECD-MA die Anwendung des AOA nicht vorgeschrieben ist und die Methoden der Betriebsstättengewinnzuordnung im Einzelfall erheblich voneinander abweichen können (da das maßgebende Abkommen z.B. auch das im Land der Betriebsstätte übliche Abgrenzungsverfahren akzeptiert). Es muss aber auch gesehen werden, dass in DBA, die auf dem UN-MA zwischen entwickelten und Entwicklungsländern beruhen, „angenommene schuldrechtliche Beziehungen“ sogar ausdrücklich ausgeschlossen sein können. Die durch die OECD vorgenommene Nummerierung wurde beibehalten (zu Beispiel 1 siehe oben Rz. 3.48). Beispiel 2 (Kommissionärsmodell): Sachverhalt Betrachtet wird ein im Quellenstaat ansässiges Unternehmen S, das im Auftrag des im Sitzstaat ansässigen Unternehmens R Marketing- und Vertriebstätigkeiten ausführt und Produkte von R im eigenen Namen veräußert. Dabei ist zwar S, das die Tätigkeit einer Kommissionärin im Quellenstaat ausübt, zur Lieferung der Produkte an die Kunden verpflichtet; S erwirbt aber weder das Eigentum an den Produkten, noch hat es Anspruch auf die entsprechenden Erlöse aus deren Verkauf. Das Personal von S ist aber für die Lagerhaltung und die Steuerung des er1 Siehe OECD, Ergänzende Richtlinien zu Art. 7 OECD-MA, Rz. 45 ff., http://www.oecd. org/tax/transfer-pricing/additional-guidance-attribution-of-profits-to-permanent-establish ments-BEPS-action-7.pdf.

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C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Rz. 3.53 Kap. 3

forderlichen Bestands an Erzeugnissen verantwortlich. R zahlt S, das darüber hinaus weder für andere Unternehmen tätig ist, noch ein eigenes Geschäft betreibt, eine umsatzabhängige Provision. Das maßgebende DBA ist dem OECD-MA in seiner aktuellen Version nachgebildet. Lösung Hier sind der Betriebsstätte von R (im Quellenstaat) sowohl die Rechte und Pflichten aus dem Vertrieb der Produkte als auch jene aus der Vereinbarung mit S zuzurechnen. Die Betriebsstätte vereinnahmt mithin die mit dem Vertrieb verbundenen Erlöse und trägt auch die korrespondierenden Provisionsaufwendungen. Da die Mitarbeiter von S zudem die für R wesentlichen Personalfunktionen in Bezug auf den Bestand an Erzeugnissen ausüben, sind der Betriebsstätte ferner die Vorräte und das mit den Vorräten verbundene Risiko zuzuordnen. Damit verbunden „erwirbt“ die Betriebsstätte von R die für den Verkauf an die Kunden hergestellten Erzeugnisse („anzunehmende schuldrechtliche Beziehung“) zu Marktpreisen und zeigt diesen Erwerb im Bestand oder, soweit die Produkte am Bilanzstichtag veräußert sind, den Umsatzkosten. Die Darstellung fiele nicht anders aus, wenn S die Umsätze lediglich vermittelt, keine Veräußerung im fremden Namen vornimmt, die Verträge aber im Wesentlichen unterschriftsreif vorbereitet. Beispiel 3 (Verkauf von Werbeflächen auf einer Webseite): Sachverhalt Das verbundene Unternehmen S vermarktet im Quellenstaat Online-Werbeflächen auf Basis eines Dienstleistungsvertrags, agiert im Auftrag von R und erhält hierfür eine vom Umsatz im Quellenstaat abhängige Provision. Dabei spielt S gewöhnlich die für den Vertragsabschluss maßgebende Rolle, während R den Vertrag im Wesentlichen nur unterzeichnet. Mitarbeiter von S sind für die Entscheidungen in Bezug auf den Umfang, die Art und die Form der Werbung verantwortlich. Darüber hinaus ist das verbundene Unternehmen weder für Dritte tätig, noch betreibt es ein eigenes Geschäft. Das maßgebende DBA ist dem OECD-MA in seiner aktuellen Version nachgebildet. Lösung Auch hier sind die aus dem Vertrieb der Werbeflächen an die Werbepartner resultierenden Rechte und Pflichten der Betriebsstätte im Quellenstaat zuzurechnen, da der Verkauf von Werbeflächen im Wesentlichen von den Mitarbeitern von S vollzogen und im Auftrag des R durchgeführt wird. Korrespondierend sind auch die Erträge aus dem Verkauf der Werbeflächen der Betriebsstätte im Quellenstaat auszuweisen. Daneben „erwirbt“ es diese Werbeflächen im Rahmen einer „anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung“ von R, vergütet den hierfür maßgebenden Marktpreis und trägt auch das mit der Vermarktung verbundene Risiko. Damit ergibt sich der Betriebsstättengewinn aus den Verkaufserlösen im Quellenstaat abzgl. der Umsatzkosten aus dem Erwerb der Werbeflächen und der Vergütung für die Vermittlungstätigkeit des verbundenen Unternehmens. Beispiel 4 (Beschaffungsagent): Sachverhalt Betrachtet wird ein verbundenes Unternehmen S, das im Quellenstaat die Funktionen eines Beschaffungsagenten namens und im Auftrag des Unternehmens R ausübt. Weder erwirbt S das Eigentum an den zu beschaffenden Gütern, noch hat dieses Unternehmen Anspruch auf die Gegenleistung, die R den Lieferanten vergütet. Mitarbeiter von S sind für die Lagerhaltung und die Steuerung der Lagerbestände verantwortlich. Für seine Tätigkeit erhält S eine vom Beschaffungsvolumen prozentual abhängige Vermittlungsprovision. Das maßgebende DBA ist dem OECD-MA in seiner aktuellen Version nachgebildet.

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Kap. 3 Rz. 3.53 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung Lösung Die Vertretung bewirkt auch hier, dass R im Quellenstaat eine Vertreterbetriebsstätte unterhält, da S für gewöhnlich Verträge im Auftrag von R abschließt und dabei nicht unabhängig ist. Dieser Betriebsstätte ist der Warenbestand zuzuordnen, den S im Auftrag von R bezieht. Er wird zur weiteren Bearbeitung bei R durch S auf R zu Marktpreisen übertragen. Dieser Marktpreis entspricht dem Betrag, den R bereit wäre, unabhängigen Unternehmen unter gleichen oder vergleichbaren Umständen zu bezahlen. Zur Bestimmung des körperschaftsteuerlichen Einkommens zieht die Betriebsstätte von diesen Einnahmen die Beschaffungsprovision und die ihr zuzuordnenden Aufwendungen von R ab, die R im Zusammenhang mit dem Erwerb der Waren verausgabt.

4. Vereinfachungen

3.54 Beschränkung auf die Veranlagung der Intermediäre. Im Interesse einer Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens in Bezug auf Vertreterbetriebsstätten hat sich eine Reihe von Ländern entschieden, die Veranlagung im Quellenstaat auf die Intermediäre zu beschränken, wenn auch die festzusetzende Steuer unter Bezug auf die Gewinne sowohl der Intermediäre als auch der Betriebsstätten ermittelt wird. Diese Verfahren werden von der OECD unterstützt, dürfen aber weder dazu führen, dass die Besteuerungsrechte des Sitz- oder Quellenstaats noch die Möglichkeiten des Steuerpflichtigen zur Vermeidung möglicher Doppelbesteuerungen beschnitten werden. 3.55 Konsequenz für die Beispiele. In diesem Sinne könnten sich in den Beispielen 2–4 oben die Steuerverwaltungen im Quellenland entscheiden, die Steuer bei S zu veranlagen, obwohl dort sowohl S als auch die Betriebsstätte Gewinne erzielen und damit steuerpflichtig sind.

II. Entwurf der EU-Kommission zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz 3.56 Steuerpflichtiger Gewinn. Nach dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Vorschriften für die Unternehmensbesteuerung einer signifikanten digitalen Präsenz unterliegen der Körperschaftsteuer „[…] die Gewinne, die einer signifikanten Präsenz in einem Mitgliedstaat zuzuordnen sind oder im Zusammenhang mit ihr stehen […]“ (Art. 5 Abs. 1 RL-E). Dabei bringt die Konjunktion „oder“ zum Ausdruck, dass Gewinne auch dann der Besteuerung im Mitgliedstaat unterliegen, wenn sie der signifikanten digitalen Präsenz zwar nicht zuzuordnen sind, aber mit ihr im Zusammenhang stehen. Diese im Vergleich zum AOA weiterreichende Formulierung dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass zwar, wie das nach dem AOA allgemein der Fall ist, die ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen sind. Liegen aber weder eine physische Präsenz noch maßgebliche Personalfunktionen im Steuergebiet der signifikanten digitalen Präsenz vor, ist die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken auf Basis der maßgebenden Personalfunktionen nicht möglich, sodass der konzeptionelle Rahmen, der durch den AOA vorgegeben ist, anzupassen und um Gewinne zu erweitern ist, die mit der digitalen Präsenz „im Zusammenhang stehen“. Sie entsprechen „[…] den 86 Oestreicher

Rz. 3.59 Kap. 3

C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Gewinnen, die mir der digitalen Präsenz erzielt worden wären, wenn diese als separates unabhängiges Unternehmen die gleiche oder eine ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte, insbesondere im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens; dabei sind die über eine digitale Schnittstelle ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen“ (Art. 5 Abs. 2 RL-E). Zuordnungsgrundsätze. Wenn auch die Bereitstellung digitaler Dienstleistungen 3.57 über eine digitale Schnittstelle schwer mit dem Bild von einem separaten und unabhängigen Unternehmen in Einklang zu bringen ist, sieht diese Konzeption gleichwohl vor, dass – die Funktionen der signifikanten digitalen Präsenz zu bestimmen, – dieser das Eigentum an den dazugehörigen Vermögenswerten und Risiken zuzuordnen und – hierzu die „wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten“ dieser Präsenz über eine digitale Schnittstelle zu berücksichtigen sind. Funktionszuordnung. Als Funktionen oder wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten 3.58 der signifikanten wirtschaftlichen Präsenz gelten die „[…] über eine digitale Schnittstelle ausgeübten Tätigkeiten im Zusammenhang mit Daten oder Nutzern“ (Art. 5 Abs. 3 RL-E). Eine besondere Rolle spielen die Tätigkeiten, „die für die Entwicklung, Ausweitung, Wartung, Schutz und Nutzung der immateriellen Vermögenswerte des Unternehmens wichtig sind“; sie sind „gebührend“ zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht durch Personal in dem entsprechenden Mitgliedstaat ausgeübt werden (Art. 5 Abs. 4 RL-E). Zu den wirtschaftlich signifikanten Tätigkeiten, „die die signifikante digitale Präsenz über eine digitale Schnittstelle ausübt“ (Art. 5 Abs. 5 RL-E) zählen u.a.: – die Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Analyse, Bereitstellung und der Verkauf von Daten auf Nutzerebene, – die Erhebung, Speicherung, Verarbeitung und Anzeige nutzergenerierter Inhalte, – der Verkauf von Online-Werbeflächen, – die Bereitstellung von Inhalten Dritter über einen digitalen Marktplatz und – die Bereitstellung anderer, bisher nicht aufgeführter digitaler Dienstleistungen (Art. 5 Abs. 5 RL-E). Anteil der digitalen Schnittstelle an der Wertschöpfung der Unternehmen. Da 3.59 digitale Dienstleistungen „aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung“ erbracht werden (Art. 3 Abs. 5 RL-E), liegt nach den Vorgaben des Richtlinienentwurfs die wirtschaftlich signifikante Tätigkeit der digitalen Betriebsstätte z.B. darin, dass das Unternehmen ein Computerprogramm nutzt, um Daten der Nutzer, die mithilfe von Endgeräten auf eine digitale Schnittstelle zugreifen, zu erheben, zu speichern, zu verarbeiten, zu analysieren, bereitzustellen oder zu verkaufen. Man muss schon Fantasie haben, um in diesen Oestreicher 87

Kap. 3 Rz. 3.59 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

Vorgängen eine Produktion (Ort der Wertschöpfung) im Quellenstaat zu erkennen. Dies gilt umso mehr, als sich die Erstellung der Software und/oder die elektronische Verarbeitung der Daten in anderen Staaten vollziehen kann bzw. können. Vergleichbares trifft auf die automatisierte Erhebung, Speicherung, Verarbeitung und Anzeige nutzergenerierter Inhalte sowie die übrigen Tätigkeiten zu, die nach dem Text des Richtlinienentwurfs wirtschaftlich signifikanten Charakter haben. Schließlich setzt die Erhebung und Verarbeitung der Daten oder Inhalte von Nutzern und dritter Personen voraus, dass diese Personen ihre Daten und Inhalte zur Verfügung stellen, sodass im Prinzip ein automatisierter Erwerb von Daten gegen Sachleistung (Nutzung der Plattform oder Webseite durch den Nutzer oder eine dritte Person) gegeben ist, wenn auch für den Verkauf von Online-Werbeflächen und die Bereitstellung von Inhalten Dritter anderes gelten mag.

3.60 Zuordnung eines Anteils am residualen Gewinn. Wer aber auf der Basis eines konventionellen Verrechnungspreisverständnisses vermutet, dass im Einklang mit den Grundsätzen, die für die Charakterisierung von Unternehmen maßgebend sind,1 automatisiert ablaufende Funktionen die Eigenschaft von Routineleistungen haben, wird durch den Entwurf der Richtlinie eines besseren belehrt. Zu verwenden ist die Gewinnaufteilungsmethode, „sofern der Steuerpflichtige nicht nachweist, dass eine andere, auf international anerkannten Grundsätzen basierende Methode in Bezug auf die Ergebnisse der Funktionsanalyse geeigneter ist“ (Art. 5 Abs. 6 Satz 1 RL-E). Diese Vorgabe unterstellt, dass die über eine Schnittstelle automatisiert ablaufenden Prozesse wertvolle Beiträge zum Gewinn digitaler Unternehmen leisten. Die Geschäftstätigkeiten in Bezug auf Daten und Nutzer, die über eine digitale Schnittstelle erfolgen, sind Funktionen, die für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an Vermögenswerten und der damit verbundenen Risiken zur signifikanten digitalen Präsenz relevant sind. Sie haben Anteil am residualen (der nach Abzug aller Vergütungen für Routinebeiträge verbleibende) Gewinn der signifikanten digitalen Präsenz, der mit digitalen Dienstleistungen über eine digitale Schnittstelle erwirtschaftet wird. Mögliche Aufteilungsfaktoren sind die „Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Vermarktung, die wirtschaftlich der signifikanten digitalen Präsenz zuzuordnen sind, sowie die Zahl der je Mitgliedstaat vorhandenen Nutzer und erhobenen Daten“ (Art. 5 Abs. 6 Satz 2 RL-E).

III. Berücksichtigung des Wertbeitrags in den Marktstaaten 1. Zielsetzung

3.61 Reaktion der steuerpflichtigen Unternehmen. Die Maßnahmen der OECD zur Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs sind aus Sicht der Mitgliedstaaten wenig hilfreich, wenn sie lediglich das Besteuerungsverfahren verkomplizieren, nicht aber da1 Siehe dazu aus deutscher Sicht BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570 – VWG Verfahren), Tz. 3.4.10.2; BMF v. 19.5.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10006-01 – DOK 2014/0348272, BStBl. I 2014, 838 – Glossar Verrechnungspreise, Stichwörter „Unternehmenscharakterisierung“ und „Verrechnungspreisbildung“.

88 Oestreicher

C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Rz. 3.63 Kap. 3

zu beitragen, lokales Steueraufkommen zu erhöhen. So war z.B. in Reaktion auf die Empfehlungen der OECD/G20 zur Reform des Betriebsstättenbegriffs zu beobachten, dass Unternehmen zur Vermeidung von Betriebsstätten in ihren Vertriebsländern lokale Vertriebsgesellschaften errichteten, die im Sinne eines Low-Risk-Distributors (LRD) weder immaterielle Wirtschaftsgüter besitzen, noch DEMPE-Funktionen ausüben. Wendet man gängige Verrechnungspreisgrundsätze an, ergibt sich, dass diesen LRDs lediglich Routinevergütungen zuzuordnen sind.1 Ergänzung der Maßnahmen zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs. Dieses 3.62 Beispiel zeigt, dass Maßnahmen zur Sicherung der lokalen Besteuerungsrechte unterlaufen werden können, wenn nicht, wie das auch im Entwurf der Europäischen Kommission zur signifikanten digitalen Präsenz zum Ausdruck kommt, die Regelungen zur Besteuerung dem Grunde nach (Anknüpfungspunkte der Besteuerung) um Vorgaben in Bezug auf die Besteuerung der Höhe nach (Regelungen in Bezug auf die Gewinnzuordnung) ergänzt werden. In diesem Sinne schlagen die Finanzverwaltungen von Großbritannien und der USA vor, dass die Konzepte der Nutzerbeteiligung und der Berücksichtigung immaterieller Werte mit einer Methode zur Aufteilung der Unternehmensgewinne verbunden werden, die eine „Unterschätzung“ der Gewinnanteile, die auf die Marktstaaten entfallen, vermeidet. 2. Konzept der Nutzerbeteiligung Ermittlung des Anteils am Residualgewinn. Da Vergleichswerte weitgehend feh- 3.63 len, erscheint es kaum möglich, die Gewinne, die sich aus einer Nutzerbeteiligung ergeben, mithilfe klassischer Verrechnungspreismethoden zu ermitteln. Wenig zielführend erscheint aber auch die Vorstellung, dass die Nutzerbeteiligung wie ein separates Unternehmen behandelt und danach gefragt werden kann, welchen Gewinn diese Nutzerbeteiligung aus ihren anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen mit anderen Konzerngesellschaften unter Marktbedingungen erzielen sollte. Daher wird auch (ganz im Sinne des Entwurfs einer Richtlinie der Europäischen Kommission) vorgeschlagen, dass der Gewinn, der einem Markt- oder Nutzerstaat zuzuordnen ist, in Form eines Anteils am Residualgewinn ermittelt wird. Hierzu wären grundsätzlich folgende Schritte erforderlich:2 – Berechnung des residualen Gewinns aus der betrachteten Geschäftstätigkeit, d.h. der nach Abzug der Vergütungen für Routinetätigkeiten verbleibende Gewinn,

1 Vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, Tz. 16, abrufbar unter https://doi.org/10.1787/97892643 10438-de. 2 Vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, Tz. 27 ff., abrufbar unter https://doi.org/10.1787/9789 264310438-de.

Oestreicher 89

Kap. 3 Rz. 3.63 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

– Identifikation des Teils dieser residualen Gewinne, der auf den Wert der Nutzerbeiträge entfällt, z.B. auf Basis qualitativer und quantitativer Informationen oder nach Maßgabe eines vorab vereinbarten Prozentsatzes, – Aufteilung dieser Gewinne nach einem vereinbarten Verteilungsschlüssel zwischen den Staaten, in denen die betreffenden Nutzer ansässig sind, und – Zuteilung der Besteuerungsrechte an die Markt- der Nutzerstaaten, unabhängig davon, ob das Unternehmen in diesem Staat eine feste Geschäftseinrichtung betreibt.

3.64 Zuordnung dieses Anteils am Residualgewinn. Nach diesem Ansatz bliebe es grundsätzlich bei der Gewinnzuordnung auf Basis der bestehenden Regelungen. Es würde lediglich ein Teil des residualen Gewinns, der gegenwärtig nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit oder dem Ort der Wertschöpfung zugeteilt wird, an jene Orte umverteilt, in denen die Nutzer digitaler Geschäftsmodelle ansässig sind. Die Herausforderungen bestehen darin, den residualen Gewinn der Geschäftsbereiche zu bestimmen, für die die Nutzerbeteiligung wesentlicher Werttreiber ist. Denkbar sind pragmatische Lösungen, die sich in mechanischer Weise auf Formeln, durch die der Wert und die Nutzer näherungsweise bestimmt werden, und ein wirksames Streitbeilegungsverfahren stützen. 3. Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte

3.65 Steuerliche Präsenz im Marktstaat. Das Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte beschränkt sich auf die Zuordnung von Gewinnen, die aus der Nutzung dieser Werte im Marktstaat resultieren, lässt aber den Grundsatz des Fremdvergleichs im Übrigen unberührt.1 Insoweit bliebe es auch bei der Zuordnung von Gewinnen, die auf Routineleistungen oder Forschung und Technologie zurückzuführen sind. Gewinne, die aus der Nutzung immaterieller Marketingwerte resultieren, sind aber im Marktstaat unabhängig davon zu versteuern, welche Konzerneinheit über das rechtliche Eigentum verfügt oder DEMPE-Funktionen ausübt. Vielmehr wird unterstellt, dass das Unternehmen in Bezug auf immaterielle Marketingwerte eine steuerliche Präsenz im Marktstaat hat. 3.66 Modifizierte Gewinnzuordnungsmethode. Zur Verteilung des residualen Gewinns zwischen immateriellen Marketingwerten und anderen Gewinnbildungsfaktoren sind verschiedene Methoden denkbar. Eine Möglichkeit besteht in der Anwendung üblicher Verrechnungspreisgrundsätze mit anschließender Korrektur der sich ergebenden Gewinnzuordnung um die Beträge, die aufgrund der Nutzung immaterieller Marketingwerte den Marktstaaten zuzuordnen sind. Alternativ ist die Gewinnzuordnung auf der Grundlage einer modifizierten Gewinnaufteilungsmethode möglich, die insoweit grundsätzlich vier Schritte umfassen würde: 1 Vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, Tz. 46 ff., abrufbar unter https://doi.org/10.1787/9789 264310438-de.

90 Oestreicher

C. Implikationen für die Betriebsstättengewinnaufteilung

Rz. 3.69 Kap. 3

– Ermittlung der Routinevergütungen auf Basis einer Verrechnungspreisanalyse oder eines eher mechanischen Ansatzes, der z.B. definierte Vergütungen auf Basis von Kosten1 oder den Buchwerten der genutzten Wirtschaftsgüter zuordnet, – Verminderung des Transaktionserfolgs um die Routinevergütungen für Routinefunktionen, – Ermittlung der Gewinnanteile, die auf immaterielle Marketingwerte entfallen, in dem (mehr oder weniger) formale Ansätze auf Basis z.B. entstandener Kosten oder fester, vorab vereinbarter Prozentsätze zur Anwendung gebracht werden, – Verteilung dieser residualen Gewinnanteile nach Maßgabe vorab vereinbarter Aufteilungsmaßstäbe, zum Beispiel, die Umsätze, Verkäufe oder Nutzer im Marktstaat. Wirksame Streitbeilegungsverfahren. Um Doppelbesteuerungen möglichst aus- 3.67 zuschließen, soll auch das Konzept der Berücksichtigung immaterieller Marketingwerte mit einem wirksamen Streitbeilegungsverfahren kombiniert werden, dessen Anwendung auf Länder beschränkt werden könnte, die ein verpflichtendes Schiedsverfahren einführen.2 4. Einheitliches Konzept der OECD/G20 Mechanismus für die Zuordnung der Marktgewinne. Das einheitliche Konzept 3.68 beruht nach den Vorstellungen der OECD3 (siehe Rz. 3.47 f.) auf einer neuen Gewinnzuordnungsregel für die betroffenen Unternehmen, die davon unabhängig ist, ob eine Marketing- oder Vertriebsniederlassung (Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte) besteht oder Produkte mit Hilfe unabhängiger Vertreter vertrieben werden. Dieser Ansatz soll die gegenwärtigen Verrechnungspreisregeln und den Fremdvergleichsgrundsatz weitgehend beibehalten, dieses Prinzip aber um einen formelgestützten Mechanismus in Bezug auf Marktgewinne ergänzen. Dreistufiges Zuordnungskonzept. Der nach den Vorschlägen der OECD vereinfach- 3.69 te Mechanismus beruht auf einem dreistufigen Ansatz für die Zuordnung der Gewinne aus marktbezogenen Tätigkeiten. – Ein erster Teilbetrag bezieht sich auf das neue Besteuerungsrecht und ordnet den Marktstaaten vorab einen Teil des residualen Gewinns zu („Betrag A“). Hierzu 1 So für die Vergütung der Routinefunktionen auch Devereux, Residual Profit Allocation Proposal v. 14.7.2016, http://www.taxpolicycenter.org/sites/default/files/residual-profit-alloca tion-proposal_2.pdf.; Avi-Yonah/Clausing/Durst, Florida Tax Review 2009, 508 f. u. 540. 2 Vgl. OECD, Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018, Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, 2018, Tz. 52, abrufbar unter https://doi.org/10.1787/9789 264310438-de. 3 OECD, Public Consultation Document, Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One, Paris, Oktober 2019, Tz. 15, unter Bezug auf OECD, Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, OECD, Paris 2019, Tz. 24, 39.

Oestreicher 91

Kap. 3 Rz. 3.69 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

wird der residuale Gewinn des multinationalen Unternehmens näherungsweise in vereinfachter Form ermittelt (zum Beispiel ein festgelegter Anteil vom Umsatz). – Ein zweiter Teilbetrag bezieht sich auf grundlegende Marketing- und Vertriebsfunktionen, die im Marktstaat durchgeführt werden („Betrag B“). Die Vergütung dieser Tätigkeiten erfolgt in Form eines festgelegten Entgelts. – Ein dritter Teilbetrag ist für den Fall zu ermitteln, dass über grundlegende Marketing- und Vertriebsfunktionen hinausgehende Tätigkeiten erbracht werden („Betrag C“). Hierzu ist das Funktionsprofil des multinationalen Unternehmens im Marktstaat zu ermitteln. Alle Beträge werden durch einen verpflichtenden und effektiv wirksamen Streitbeilegungsmechanismus abgesichert.

D. Beurteilung 3.70 Wachsender Rechtfertigungsdruck. Die Entwicklungen auf Ebene der OECD und der Europäischen Kommission spiegeln die Herausforderungen wider, die durch Digitalisierung vor allem an der Schnittstelle zum Kunden oder den Nutzern digitaler Dienstleistungen entstanden sind. Die Nutzung von Webseiten oder Internetplattformen macht feste Geschäftseinrichtungen im Exportland zunehmend entbehrlich. Damit kommt die tradierte Zuordnung von Besteuerungsrechten auf Basis der wirtschaftlichen Zugehörigkeit („economic allegiance“), nach der die Besteuerungsansprüche – durch die Verteilungsnormen der DBA primär dem Staat zugewiesen werden, der die Einkünfte wirtschaftlich hervorgebracht hat,1 und – eine Existenz fester Geschäftseinrichtungen, die der Tätigkeit eines Unternehmens dienen (§ 12 Satz 1 AO), voraussetzt,2 unter wachsenden Rechtfertigungsdruck.

3.71 Beteiligung des Absatzmarktes an den Gewinnen des Unternehmens. Die Frage, ob im Rahmen der internationalen Gewinnzuordnung der Absatzmarkt zu berücksichtigen ist, wird nicht erst diskutiert, seit im Zusammenhang mit der vergangenen 1 Vgl. Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, 2000, S. 8 m.w.N. 2 Die mit BEPS eingeführte Orientierung am „Ort der Wertschöpfung“ zielt darauf ab, die zunehmend bedeutsameren Erträge aus immateriellen Werten räumlich einzugrenzen, nimmt aber in Kauf, dass der Begriff „Wertschöpfung“ weder klar definiert ist, noch deutlich macht, in welchem Zusammenhang er zu den Gewinnen steht, auf die sich die Besteuerung bezieht; die Orientierung am Ort der Wertschöpfung greift auch in den politischen Kompromiss ein, den die internationalen Staatengemeinschaft im vergangenen Jahrhundert gefunden hat, wenn die Zuordnung der primären (Quellen-)Besteuerungsrechte mit der Feststellung des Landes gleichgesetzt wird, das richtigerweise das alleinige Besteuerungsrecht hat, vgl. VanderWolk, TNI 2018, 197; Christians, TNI 2018, 1379; Christians/van Apeldoorn, Florida Tax Review 2018, 1. Schließlich wird übersehen, dass immaterielle Werte keinen materiellen Ort der Wertschöpfung haben können.

92 Oestreicher

D. Beurteilung

Rz. 3.71 Kap. 3

US-Steuerreform1 die Einführung einer „Destination-Based Cash-flow Tax“ (DBCFT) erwogen wurde.2 Zentraler Bestandteil der DBCFT ist, dass Exporte von der Besteuerung ausgenommen werden, während Importe der Besteuerung unterliegen („Border adjustment“). Die Steuer fällt danach im Zielland an und beseitigt die bestehenden Anreize, dass Produktionsfaktoren gezielt in Staaten angesiedelt werden, die sich durch eine niedrige Steuerbelastung auszeichnen.3 Die Beteiligung des Absatzmarkts am Unternehmensgewinn liegt auch den Forderungen vor allem der Entwicklungsund Schwellenländer zugrunde, die auf die Nachfrage der Konsumenten ihres Landes nach Gütern aus den Industriestaaten hinweisen und nicht nur im Rahmen konkreter Betriebsprüfungen einen regelmäßig höheren Anteil an dem sich aus dem Vertrieb in ihrem Land ergebenden Gewinn fordern. Im Übrigen bildet diese Beteiligung auch einen Kernbestandteil der Gewinnaufteilung nach einer Formel, die bei der Gewinnaufteilung den Faktor „Umsatz“ berücksichtigt, wie das nach den Vorschlägen für eine Common Consolidated Corporate Tax Base (CCCTB)4 und der Besteuerungspraxis in vielen US-amerikanischen Bundesstaaten5 der Fall ist. Sie beruht auf der neoklassischen Vorstellung, dass Preise und Gewinne durch Angebot und Nachfrage zustande kommen, Produktion nur insoweit sinnvoll ist, als kostendeckende Preise erzielt werden und ökonomische Renten entstehen, wenn die Abnehmer bereit sind, die Grenzkosten der Produktion übersteigende Preise zu zahlen. Im Einzelnen mag man trefflich darüber streiten, welcher Anteil am Gewinn auf die Preisbereitschaft der Nachfrage zurückzuführen ist, welche Bedeutung die Marktform oder immaterielle Werte haben, die den Wert der Güter oder Dienstleistungen in den Augen der Konsumenten erhöhen. Die Beteiligung des Absatzmarkts am Erfolg aus der Vermarktung von Gütern oder Dienstleistungen steht jedenfalls im Gegensatz zu den traditionellen Besteuerungsprinzipien, die die Besteuerungsrechte nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit dem Land zuweisen, dessen Unternehmen die Einkünfte durch ihre Tätigkeiten wirtschaftlich hervorgebracht haben. Zwar soll sich diese Zuordnung nach BEPS am „Ort der Wertschöpfung“ orientieren, was als Einladung verstanden werden kann, neue Formen der Wertschöpfung zu identifizieren und bei der Zuordnung der internationalen Besteuerungsrechte zu

1 Siehe zur US-Steuerreform ausführlich Ehlermann/Köhler, ISR 2018, 37 ff.; Jochimsen, ISR 2018, 91 ff. 2 Siehe Strategiepapier der Republikanischen Partei „A Better Way – Our Vision for a Confident America“ v. 24.6.2016, http://abetterway.speaker.gov; dazu auch das Sonderheft des Columbia Journal of Tax Law, Vol. 8, No. 2, 2017. 3 Vgl. Auerbach/Devereux, American Economic Journal: Economic Policy, 2018, 10(3), 69–94. 4 Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) v. 25.10.2016 (COM (2016) 683 final), abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cel lar:ff337b5c-9b7d-11e6-868c-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF. 5 Das Urteil South Dakota v. Wayfair Inc., No. 17-494, 2018, das sich auf die „Sales tax“ bezieht, dokumentiert hier, dass die Frage der Besteuerung durch einen Exportstaat, in dem mehr als 100.000 USD Umsatz auf der Basis von mehr als 200 Geschäftsvorgängen erzielt wurden, grundlegende Bedeutung hat.

Oestreicher 93

Kap. 3 Rz. 3.71 Betriebsstättenbegriffsausweitung und Gewinnaufteilung

berücksichtigen.1 Das traditionelle Verständnis der OECD ging aber bisher dahin, den Preis als ein Datum anzusehen und die Zuordnung nach den Beiträgen der Unternehmen zur Produktion der Güter und Dienstleistungen vorzunehmen.

3.72 Politische Lösung erforderlich. Zur Lösung des hiermit verbundenen Konflikts kann die Ökonomie nur wenig beitragen, zumal das physische Kriterium des Orts der Wertschöpfung kaum sinnvoll auf die Wertbeiträge immaterieller Werte anwendbar ist. Die Schwierigkeit einer Ortsbestimmung zeigt sich hier insbesondere im Zusammenhang mit digitalen Technologien sowie Investitionen in zwei- oder mehrseitigen Märkten, die sich durch geringe Grenzkosten, globale Reichweiten und nicht selten auch Monopolrenten auszeichnen. Hier mag zwar die Gewinnzuordnung auf der Basis von DEMPE-Funktionen hilfreich erscheinen; diese Funktionen erfassen aber weder alle Faktoren, die auf den Wert immaterieller Wirtschaftsgüter Einfluss haben, noch zeigen sie an, an welchem Ort die hiermit verbundenen Tätigkeiten zur Wertschöpfung beitragen; sie dokumentieren lediglich, wo immaterielle Werte „produziert“, nicht aber, wo sie wirksam werden. Weitere Ausdifferenzierungen dieses Kriteriums und die Entwicklung fiktiver Orte der Wertschöpfung wirken selektiv, sind nicht ausreichend bestimmt und tragen dazu bei, das bisher maßgebende Prinzip in seiner Anwendung auf digitale Geschäftsmodelle und das Problem der Zuordnung von Gewinnen aus dem Einsatz von immateriellen, vor allem marktbezogenen Wirtschaftsgütern zu überdehnen. Zudem muss man sehen, dass es sich bei der internationalen Gewinnzuordnung um ein Verteilungsproblem handelt, das im Verhältnis zu Marktstaaten nur politisch gelöst werden kann. Kommt man politisch zu dem Ergebnis, dass die Marktstaaten am Gewinn der Unternehmen zu größeren Anteilen zu beteiligen sind, sollte dies klar kommuniziert, multilateral einheitlich umgesetzt und mit wirksamen Mechanismen der Streitbeilegung versehen werden. 3.73 Komplexe Kriterien sind streitanfällig. Es ist aber Streit programmiert und dient primär der Sicherung eigener Bemessungsgrundlagen,2 wenn – wie im Vorschlag der Europäischen Kommission – die gedachten Tätigkeiten an digitalen Schnittstellen, die aufgrund der Anzahl der Nutzer, der Anzahl Verträge oder der Höhe erzielter Umsätze einseitig (für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union) zur digitalen Präsenz und Orten der Wertschöpfung werden, die dem Bereich der unternehmerischen Produktion zuzurechnen sind (s. Rz. 3.35 u. Rz. 3.59). 3.74 Marktbezogene Orte der Wertschöpfung nicht mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Einklang. Vergleichbares gilt für die Ansätze der US- und britischen Finanzverwaltung, die auf die eine Präsenz des Unternehmens im Marktstaat sogar völlig verzichten. Die „nachhaltige Nutzerbeziehung“, die aufgrund von digitalen Dienstleistungen geschaffen wird, mag – wie andere auf den Vertrieb bezogene immaterielle Wirtschaftsgüter („Marketing intangibles“) – einen wichtigen Werttreiber 1 Vgl. OECD, Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung: Aktionspunkte 8–10, Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt: Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris 2017, abrufbar unter https://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de. 2 So auch Christians, TNI 2018, 1379.

94 Oestreicher

D. Beurteilung

Rz. 3.76 Kap. 3

darstellen. Es erscheint aber willkürlich, in ihr einen wertvollen Bestandteil der Produktion im Marktstaat zu sehen, der eine Besteuerung im Quellenstaat rechtfertigt.1 Ergänzung des funktionsbezogenen Fremdvergleichs um neue Anknüpfungs- 3.75 punkte. Die Zuordnung von Besteuerungsrechten auf Basis einer digitalen oder wirtschaftlichen Anwesenheit ist mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs ebenfalls nicht in Einklang zu bringen. Eine mögliche Begründung für die Beteiligung der Marktstaaten am Unternehmensgewinn beruht auf der fiskalischen Äquivalenz. Will man dementsprechend im Rahmen der Besteuerung die Tatsache berücksichtigen, dass die Vermarktung digitaler Dienstleistungen eine entsprechende Infrastruktur voraussetzt, muss die Gewinnzuordnung nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs in Abweichung vom Status quo, i.e., der Besteuerung am Ort der Wertschöpfung, um ein neues Besteuerungsrecht der Marktstaaten ergänzt werden. Damit weisen die OECD/G20 im Rahmen ihres einheitlichen Konzepts einen politisch gangbaren Weg, die tradierte Form der Gewinnzuordnung nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs um eine Beteiligung der Marktstaaten am Gewinn der Unternehmen zu ergänzen. Pragmatische Lösungen erscheinen folgerichtig. Will man das Problem der inter- 3.76 nationalen Gewinnzuordnung reformieren, Missbrauch bekämpfen und vor allem auch neue Anknüpfungspunkte der Besteuerung schaffen, die den technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre insgesamt (und nicht nur in Bezug auf digitale Geschäftsmodelle) Rechnung tragen, erscheint es folgerichtig, dass auf internationaler Ebene pragmatische Lösungen vereinbart werden, die im inklusiven Rahmen („Inclusive Framework“) die Interessen der Entwicklungs- und Schwellenländer berücksichtigen. Diese pragmatische Lösung darf sich aber nicht auf einheitliche Gewinnzuordnungsregelungen für Marktgewinne (auf Marktstaaten) beschränken. Es muss auch die Anwendung der danach maßgebenden Regelungen international durchgesetzt und im Rahmen eines effektiven Streitbeilegungsmechanismus sichergestellt werden können, dass internationale Doppelbesteuerungen vermieden werden. Dieser Mechanismus muss auch die Abgrenzung der Marktgewinne von den verbleibenden Produktionsgewinnen einschließen. Für letztere Gewinnanteile hält die OECD am Prinzip des Fremdvergleichs und der Besteuerung am „Ort der Wertschöpfung“ fest, sodass insoweit auch das Konzept des AOA seine Bedeutung behalten dürfte. Auf dieses Konzept wird daher im zweiten Teil dieses Werkes intensiver eingegangen.

1 Becker/Englisch, Taxing Where Value is Created: What’s ‚User Involvement‘ Got to Do With It? v. 1.10.2018, abrufbar unter https://ssrn.com/abstract= 3258387 oder http://dx.doi.org/ 10.2139/ssrn.3258387.

Oestreicher 95

Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA Hinweis: Der Autor dankt seinem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Ass. iur. Stephan Faber, LMU München, sehr herzlich für seine vorzügliche Vor- und Zuarbeit bei der Erstellung dieses Beitrags.

A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA I. Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit bei der Unternehmensbesteuerung und Grenzen . . . . . . . . 4.1 II. Begrenzte Bindung an gesetzgeberische Grundentscheidungen . . . . . 4.5

III. Internationale Einflüsse auf die Ausgestaltung der nationalen Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 IV. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Umsetzung des AOA . . . . . . . . . 4.11 B. Verfassungsrechtliche Grundund Einzelfragen des AOA . . . . . . . 4.15

Literatur: Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983; Blumers, Betriebsstätten und Doppelbesteuerung, BB 2017, 1118; Böhmer, Das Trennungsprinzip im Körperschaftsteuerrecht – Grundsatz ohne Zukunft?, StuW 2012, 33, Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 2014; Crezelius, Fictio naturam imitatur, quantum potest: Über Fiktionen im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, in FS Meincke, 2015, S. 65; Danz, Das Subjektsteuerprinzip – Begriff, Rechtfertigung und Auswirkungen, FR 2018, 160; Drüen, Leitlinien des Unternehmenssteuerrechts, DStZ 2014, 564; Drüen, Das Unternehmenssteuerrecht unter verfassungsgerichtlicher Kontrolle, Ubg 2009, 23; Drüen, Verfassungs- und verfahrensrechtliche Grundlagen der Organschaft, in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Auflage 2019; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, 2008; Esterer, Der Betriebsstättenbegriff im DBA und seine schleichende Auflösung, in FG Wassermeyer, 2015, Kap. 20, S. 137; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Auflage 2015; Girlich/Müller, Betriebsstätte und Authorised OECD Approach, ISR 2015, 169; Haverkamp in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Auflage 2018; Gosch, „Sperrwirkungen“. Abkommensrecht und nationales Recht, allgemeines und spezielles Recht im Widerstreit, in FS Crezelius, 2018, S. 735; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Hey, Zur Geltung des Gebots der Folgerichtigkeit im Unternehmensteuerrecht – Zugleich Besprechung der Entscheidung des BVerfG zum Gebot von Jubiläumsrückstellungen vom 12.5.2009, DStR 2009, 2561; Hey, Besteuerung von Unternehmen und Individualsteuerprinzip, in Schön/Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Auflage 2018; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Auflage 2016; Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998; Jachmann, Besteuerung von Unternehmen als Gleichheitsproblem, DStJG 23 (2000), S. 9; Jahndorf, Folgerichtigkeit im Steuerrecht als Verfassungsgebot, StuW 2016, 256; Kaeser, Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtliche Probleme der Umsetzung des „Authorised OECD Approaches“ (AOA) ins deutsche Recht, in FS Endres, 2016, S. 179; Kirchhof, Steuerumgehung und Auslegungsmethoden, StuW 1983, 173; Kirchhof, Rückwirkung von Steuergesetzen, StuW 2000, 221, Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2007; Kraft/Dombrowski, Die Folgen der Einführung des AOA

Drüen 97

Kap. 4 Rz. 4.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA für den Steuerpflichtigen – Im Spannungsfeld zwischen internationaler Genese und nationaler Umsetzung, IWB 2015, 87; Kußmaul/Delarber/Müller, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung-Entwurf – Ein allgemeiner Überblick, IStR 2014, 466; Lang, Prinzipien und Systeme der Besteuerung von Einkommen, DStJG 24 (2001), S. 49; Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Auflage 2017; Lehner, Das Territorialitätsprinzip im Licht des Europarechts, in FS Wassermeyer, 2005, S. 241; Lehner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XI, 3. Auflage 2013; Link/Kredig, Grenzüberschreitende Arbeitnehmerbesteuerung bei Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen, SAM 2015, 22; Mellinghoff, Heranziehung von OECD-Musterabkommen und -Musterkommentar, in FG Wassermeyer, 2015, Kap. 6, S. 35 ff.; Mössner, Theorie und Praxis im internationalen Steuerrecht – einige Beispiele, in FS Frotscher, 2013, S. 461; Nientimp/Ludwig, Der Entwurf einer Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, IWB 2013, 638; Pahlke, Typusbegriff und Typisierung, DStR-Beihefter 2011, 66; Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013; Pezzer, Rechtfertigung und Rechtsnatur der Körperschaftsteuer, DStJG 20 (1997), S. 5; Ratschow, Prinzipien der Einkünfteermittlung – Subjektsteuerprinzip, DStJG 35 (2011), S. 35; Rau, Verfassungsdirigierte Prinzipen für das Unternehmenssteuerrecht, 2007; Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im internationalen Steuerrecht, in FS Tipke, 1995, S. 125; Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Auflage 2017; Schaumburg, Grenzüberschreitende Einkünftekorrektur bei Betriebsstätten, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte, ISR 2013, 197; Schnitger, Änderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013, IStR 2012, 633; Schön, Steuerpolitik 2008 – Das Ende der Illusionen?, DStR-Beihefter zu Heft 17/2008, 10; Schoss in Grotherr, Handbuch internationale Steuerplanung, 3. Auflage, S. 51, Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, DStJG 25 (2002), S. 73; Strahl, Die typisierende Betrachtungsweise im Steuerrecht, 1996; Strothenke/Holtrichter, Zuordnungsregeln im Entwurf einer Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) – Anmerkungen zum Entwurfsschreiben des BMF vom 5.8.2013, StuB 2013, 730; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Auflage 2000; Waldhoff in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Auflage 2007; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965; Wäger, Grenzüberschreitende Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in FS Haarmann, 2015, S. 949; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Vertragsstaaten, IStR 2012, 277; Wellmann, Die Gewinnallokation der Betriebsstätte nach AOA, in FG Wassermeyer, 2015, Kap. 32, S. 235; Wernsmann, Die Finanzverfassung als Rahmen der Besteuerung – Verfassungsrechtliche Ableitungen aus den Steuertypen des Grundgesetzes, StuW 2018, 100.

A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA I. Gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit bei der Unternehmensbesteuerung und Grenzen 4.1 AOA und Verfassungsfragen. Auf internationaler Ebene hat die steuerrechtliche Behandlung von Betriebsstätten und Tochtergesellschaften im Laufe der Jahre manchem Wandel unterlegen. Die ersten Völkerbundentwürfe eines Musterabkommens aus dem Jahre 1927 behandelten Tochtergesellschaften als Betriebsstätten ihrer Muttergesellschaften.1 Der aktuelle Stand sieht demgegenüber eine Wende um 180 Grad vor, indem nunmehr umgekehrt Betriebsstätten wie „virtuelle Kapitalgesellschaften“ be1 Schwenke/Greil in Wassermeyer, Art. 9 OECD-MA Rz. 2 (Stand: Mai 2004).

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A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.2 Kap. 4

handelt werden. Der seit einigen Jahren verfolgte neue Ansatz der OECD (Authorised OECD Approach, AOA) zur Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte führt zu einer konzeptionellen Verselbständigung der Betriebsstätte vom Stammhaus und ihrer Anerkennung als eigenständiges Gewinnzuordnungsobjekt ohne Rücksicht auf die rechtliche Unselbständigkeit.1 In einer international und supranational offenen Rechtsordnung darf sich der nationale Gesetzgeber internationalen Entwicklungen anschließen und sein Recht anpassen. Allein der internationale Trend oder Konsens befreit ihn aber nicht von den Vorgaben seiner Verfassungsordnung. Der deutsche Gesetzgeber hat mit § 1 Abs. 5 AStG n.F. den AOA mit der weitgehenden Selbständigkeitsfunktion von Betriebsstätten2 (Functionally Separate Entity Approach)3 im Jahre 2013 in deutsches Recht umgesetzt (vgl. Rz. 6.1 ff.).4 Die Implementierung des AOA in das nationale Recht hat – wie jede gesetzliche Neuerung im Steuerrecht – auch verfassungsrechtliche Kritik ausgelöst und konkrete Zweifel aufgeworfen.5 Dabei sind manche Verfassungszweifel mehr in den Raum geworfen als an präzisen Verfassungsmaßstäben festgemacht. Kein spezielles Verfassungsrecht für die Unternehmensbesteuerung. Um verfas- 4.2 sungsrechtliche Angriffspunkte und mögliche Impulse für eine verfassungskonforme Auslegung einzelner Regelungen identifizieren zu können, ist eingangs der verfassungsrechtliche Rahmen mit den einschlägigen Verfassungsmaßstäben aufzuzeigen. Dabei ist der Ausgangspunkt, dass das Grundgesetz keine speziellen Bestimmungen zum Recht der Unternehmensbesteuerung enthält. Das Unternehmenssteuerrecht ist im Grundsatz nicht verfassungsdeterminiert,6 sondern nur verfassungslimitiert.7 Der Verfassung lassen sich nur allgemeine Vorgaben für die Besteuerung von Unternehmen entnehmen. Neben rechtsstaatlichen Vorgaben (dazu Rz. 4.11 ff.) begrenzen und strukturieren finanzverfassungsrechtliche und grundrechtliche Verfassungsvorgaben die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers. Die in Art. 105 f. GG vorausgesetzten Steuertypen stecken den finanzverfassungsrechtlichen Rahmen ab und prägen die Ausgestaltung der einzelnen Steuern vor.8 Dabei ist die Finanzverfassung als finanzielle Rahmenordnung des föderalen Steuerstaats entwicklungsoffen und eröffnet typusgerechte Fortentwicklungen der traditionellen Steuerarten.9 Grundrecht1 Girlich/Müller, ISR 2015, 169. 2 Die gesetzliche Schreibweise variiert: § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG verwendet (wie § 2 Abs. Satz 3 GewStG) die Schreibweise „Betriebsstätte“, während § 12 Satz 1 AO im Rahmen der allgemeinen steuerlichen Begriffsbestimmungen die Schreibweise „Betriebstätte“ verwendet, wobei Ersterer in diesem Beitrag gefolgt wird, soweit es nicht um literarische Zitate handelt. 3 Dazu Haverkamp in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 5.74 ff. 4 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2802 (Stand: April 2017) m.w.N.; näher Schnitger, IStR 2012, 633. 5 Stellvertretend Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 127 ff., 170 ff. m.w.N.; Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183 ff.). 6 A.A. Rau, Verfassungsdirigierte Prinzipen für das Unternehmenssteuerrecht, 2007, S. 80 ff. 7 Drüen, GmbHR 2008, 393 (403). 8 Zuletzt Wernsmann, StuW 2018, 100 (101, 107). 9 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171.

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Kap. 4 Rz. 4.2 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

liche Ausgestaltungsdirektive ist neben den Freiheitsrechten (Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG)1 vor allem der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) als praxiswichtigste Vorgabe für den Steuergesetzgeber. Für seine bereichsspezifische Anwendung hat das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit tragende Bedeutung. Gerade die AOA-Umsetzung wird als Verstoß gegen die Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähigkeit gerügt.2 Da aber nicht jede leistungsfähigkeitswidrige Besteuerung zugleich einen Verfassungsverstoß auslöst, ist zunächst der Blick auf die Freiheiten des Steuergesetzgebers bei der Konkretisierung der Leistungsfähigkeit von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen zu richten (s. Rz. 4.3 ff.).

4.3 Leistungsfähigkeitsprinzip und legislative Konkretisierungen. Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit3 konturiert als zentraler Maßstab4 das Recht der Unternehmensbesteuerung. Allerdings beantwortet es nicht punktgenau Detailfragen des Unternehmenssteuerrechts.5 Es schreibt die Steuerlast nicht etwa quasiarithmetisch fest,6 sondern ist vielmehr als abstraktes Leitprinzip auf die gesetzgeberische Konkretisierung angelegt und angewiesen.7 Bei der Konkretisierung dieses „Fundamentalprinzips“8 hat sich der Gesetzgeber an den bereichsspezifischen tatsächlichen, speziell den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu orientieren.9 Dementsprechend ist der Gesetzgeber bei der Inhaltsbestimmung der Leistungsfähigkeit zwar nicht völlig frei, jedoch sichert ihm das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG einen weiten Entscheidungsspielraum bei Auswahl und Umfangsbestimmung des Steuergegenstands.10 Die Bestimmungsmacht darüber, welche Leistungsfähigkeit er bei wem, wie und wann besteuert, liegt demnach beim Gesetzgeber.11 Insbesondere bei der Besteuerung von Unternehmen steht der Gesetzgeber in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor einer Zuordnungsentscheidung.12 Es handelt sich dabei letztlich um eine Frage der Zurechnung von Indikatoren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit13, die der Gesetzgeber durch das Gesetz festzulegen hat. Die 1 Zu ihrer (nicht zu überschätzenden) Bedeutung zuletzt Jachmann-Michel/Vogel in Mangoldt/Stark/Klein7, Art. 105 GG Rz. 30 m.w.N. 2 Frühzeitig Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41). 3 Aus der reichhaltigen Literatur stellvertretend Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 169 ff.; Waldhoff in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V3, 2007, § 116 Rz. 100 ff. 4 Seiler in Maunz/Dürig, Art. 105 GG Rz. 67 (Stand: Mai 2015). 5 Übereinstimmend Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183). 6 Die Leistungsfähigkeit trifft keine absoluten Aussagen (näher Drüen in T/K, § 3 AO Rz. 43 [Stand: April 2016]). 7 Lang, DStJG 24 (2001), S. 49 (57). 8 Grundlegend Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 2000, S. 471 ff. 9 Seiler in Maunz/Dürig, Art. 105 GG Rz. 67 (Stand: Mai 2015). 10 Etwa BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 = FR 2008, 818 m. Anm. Keß. 11 Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.3. 12 Jachmann, DStJG 23 (2000), S. 9 (16 f.) spricht von einer Konkretisierung des Zurechnungssubjekts steuerlicher Leistungsfähigkeit; Lang, DStJG 24 (2001), S. 49 (58 ff.) und Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 51 sprechen davon, Unternehmen zum Zuordnungssubjekt steuerlicher Leistungsfähigkeit zu erklären. 13 Anknüpfungspunkt des Steuereingriffs ist ein Belastungsgrund als Indikator steuerlicher Leistungsfähigkeit (Jachmann, DStJG 23 [2000], S. 9 [18]).

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A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.4 Kap. 4

Finanzverfassung prägt die gesetzgeberische Entscheidung mit den Steuertypen der Einkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 106 Abs. 3 GG) nur grob vor.1 Außerhalb des Kreises natürlicher Personen kann ein Zurechnungsadressat von steuerlicher Leistungsfähigkeit grundsätzlich jede rechtlich2 oder tatsächlich wirtschaftlich verselbständigte Einheit sein.3 Als Träger wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit kann der Gesetzgeber im Bereich der Unternehmensbesteuerung verschiedene Ansatzpunkte als sachgerecht auswählen. Verfassungsrechtlich besteht kein Gebot einer unbedingten und uneingeschränkten Akzessorietät zum Zivilrecht (s. Rz. 4.6). Daher kann als Träger wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sowohl eine rechtliche als auch eine wirtschaftliche Einheit (Körperschaft), eine nur wirtschaftliche Einheit (Gewerbebetrieb)4 oder auch eine wirtschaftliche Einheit rechtlich selbständiger Einheiten (Konzern im Rahmen der steuerlichen Organschaft)5 gesetzlich bestimmt werden. Die Finanzverfassung gibt dabei den Kreis der Steuersubjekte bei der Einkommenund Körperschaftsteuer nicht punktgenau vor und steht einer Verselbständigung von Betriebsstätten als Untereinheiten eines Rechtssubjekts für Zwecke internationaler Gewinnzuordnung nicht entgegen. Verselbständigung vs. Zusammenfassung steuerlicher Zuordnungseinheiten. Bei 4.4 der den AOA prägenden uneingeschränkten Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte6 handelt es sich strukturell um ein der steuerlichen Organschaft systemlogisch verwandtes Phänomen: Im Fall der Organschaft wird die rechtliche Selbständigkeit der Glieder wegen ihrer wirtschaftlichen Einheit zu steuerlichen Zwecken relativiert, wobei die zivilrechtlichen Verhältnisse nicht vollständig ausgeblendet werden. Bei der steuerrechtlichen Verselbständigung der Betriebsstätte wird die rechtliche Einheit von Stammhaus und Betriebsstätte im Wege der Fiktion aufgeweicht, um trotz der rechtlichen Unselbständigkeit das wirtschaftliche Ergebnis der Betriebsstätte zu identifizieren und fassen zu können. Insoweit ist die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte7 die Umkehrung oder Inversion der steuerlichen Organschaft. Darum sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Organschaft8 unter umgekehrten Vorzeichen auch für Zulässigkeit und Grenzen der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte nach dem AOA maßgebend.

1 Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.2 u. 4.6. 2 Die rechtliche Selbständigkeit ist nicht notwendig eine Frage der Rechtsfähigkeit (Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 2000, S. 496). 3 Näher zur eigenständigen Leistungsfähigkeit von Körperschaften Pezzer, DStJG 20 (1997), S. 5 (13 f.). 4 Der Gewerbebetrieb ist als solcher Träger der gewerbesteuerlichen Leistungsfähigkeit (BFH v. 22.11.1994 – VIII R 44/92, BStBl. II 1995, 900 = FR 1995, 116 m. Anm. Schmidt). 5 Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.3 ff. 6 Wellmann in FG Wassermeyer, 2015, S. 235 ff. Rz. 3. 7 Haverkamp in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 5.2. 8 Näher Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.1 ff.

Drüen 101

Kap. 4 Rz. 4.5 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

II. Begrenzte Bindung an gesetzgeberische Grundentscheidungen 4.5 Einheit des Steuersubjekts und Selbständigkeitsfiktion. Im Ausgangspunkt beruht das derzeitige Recht der Einkommensbesteuerung auf dem Grundsatz der Individualbesteuerung1, wonach die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen2 besteuert wird.3 Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist vor Art. 3 Abs. 1 GG in der weiteren Ausgestaltung folgerichtig4 umzusetzen.5 Wenn sich der Gesetzgeber aber einmal für ein konkretes Besteuerungssubjekt entschieden hat, ist prinzipiell exakt dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit festzulegen, zu ermitteln und zu besteuern.6 Nach § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG ist die Betriebsstätte grundsätzlich7 wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu behandeln. Da der Gesetzgeber dadurch die rechtliche Einheitlichkeit des Steuersubjekts im Wege der Fiktion selbständiger Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (s. dazu Rz. 9.1 ff.) überwindet, stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Fiktion.8 Denn die gesetzliche Fiktion erstreckt die für einen Tatbestand gegebene Regel auf einen anderen Tatbestand.9 Die Fiktion steht dabei ihrer Natur nach immer in einem Spannungsverhältnis zur Realität. Gerade der AOA beruht auf wirklichkeitsfremden Fiktionen.10 Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung gesetzlicher Fiktionen weisen dabei Gemeinsamkeiten mit denen von gesetzlichen Typisierungen (s. Rz. 4.20) auf. Weder der Gleichheitssatz noch die Grundsätze der Folgerichtigkeit und der Verhältnismäßigkeit legen allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen für Fiktionen fest.11 Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Fiktionen ist viel1 Zum Grundsatz der Individualbesteuerung, auch zur Frage der Identität zum Subjektsteuerprinzip, Ratschow, DStJG 35 (2011), S. 35; Danz, FR 2018, 160; speziell mit Blick auf das Unternehmenssteuerrecht Hey, Besteuerung von Unternehmen und Individualsteuerprinzip, in Schön/Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 2010, S. 1. 2 Der Grundsatz der Individualbesteuerung ist nicht etwa auf natürliche Personen beschränkt, sondern gilt auch für den einzelnen Unternehmensträger, s. Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.3 u. 4.5; a.A. Staringer, DStJG 25 (2002), S. 73 (79). 3 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237 (243). 4 Sog. Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands, BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 Rz. 41; allgemein Jahndorf, StuW 2016, 256; näher zur Folgerichtigkeit im Unternehmenssteuerrecht Drüen, Ubg 2009, 23; Hey, DStR 2009, 2561. 5 Allgemein und speziell zur folgerichtigen Umsetzung des AOA Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 131–134 f. 6 Auf eine dahingehende Ausrichtung abstellend Ratschow, DStJG 35 (2011), S. 35 (48, 51 f.). 7 Näher zur Ausnahme nach Halbs. 2 „es sei denn […]“ Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/ B/S, § 1 AStG Rz. 2883 (Stand: April 2017); Wilmanns in Fuhrmann3, § 1 AStG Rz. 554. 8 Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 1.35, hält eine solche Sachverhaltsunterstellung für verfassungsrechtlich bedenklich. 9 Crezelius in FS Meincke, 2015, S. 65. 10 Kritisch Wassermeyer, IStR 2012, 277 (282). 11 Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998, S. 688 ff.

102 Drüen

A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.5 Kap. 4

mehr auf Ebene einer bereichsspezifischen Einzelanalyse zu beantworten.1 Die rechtlichen Grenzen für die Verwendung von Fiktionen sind jedenfalls überschritten, wenn mittels einer Fiktion eine Gleichstellung von Vorgängen oder Verhältnissen vorgenommen wird, ohne dass sie eine höhere Gemeinsamkeit verbindet.2 Durch die Annahme der uneingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte (Functionally Separate Entity Approach) gegenüber dem Stammhaus soll die Betriebsstättengewinnabgrenzung vom Stammhaus den Verrechnungspreisen unter rechtlich selbständigen Unternehmen angenähert werden.3 Die steuerrechtliche Separation der Betriebsstätte aus der Einheit des Unternehmens durch den AOA weicht von dem zivilrechtlich vorgeprägten Sachverhalt ab. Eine Betriebsstätte ist rechtlich integraler Bestandteil des Unternehmens und hat gegenüber dem Stammhaus und anderen Teilen des einheitlichen Unternehmens weder Rechte noch Pflichten.4 In Abweichung davon führt die Verselbständigung zur ertragsteuerrechtlichen Anerkennung interner quasi schuldrechtlicher Verträge (sog. „dealings“) zwischen Betriebsstätten und anderen Teilen des Unternehmens.5 Die Abweichung vom Zivilrecht ist für sich genommen verfassungsrechtlich zulässig (s. Rz. 4.6). Wegen der zivilrechtlich fehlenden Selbständigkeit beruht die Gewinnzurechnung von Einkünften zu Betriebsstätten auf einer steuerrechtlichen Fiktion.6 Die „gesetzlich kodifizierte Fiktion eines eigenständigen Unternehmens“7 durch § 1 Abs. 5 AStG führt zur Annahme fiktiver (fremdvergleichskonformer) Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen, ohne die Zivilrechtslage zu verändern.8 Dabei ist § 1 Abs. 5 AStG eine rein ertragsteuerrechtliche Fiktion, die nicht aufgrund der Annahme eines fiktiven Entgelts auch umsatzsteuerrechtliche Folgen trägt.9 Der AOA zur ertragsteuerrechtlichen Gewinnzuordnung fordert die Verselbständigung der Betriebsstätte mit einer Betriebsstättenbezogenen Gewinnermittlung und -aufteilung10 bis hin zur Aufstellung einer eigenständigen „Betriebsstättenbilanz“.11 Der einheitliche Rechtskreis des Unternehmensträgers wird rein ertragsteuerrechtlich aufgespalten. Der Gesetzgeber orientiert sich dabei an der wirtschaftlich-organisatorischen Verselbständigung der Betriebsstätte, deren Konturen durch die internationale Abgrenzung der Besteuerungsrechte noch an Schärfe gewinnen. An Betriebsstätten knüpft das Steuerrecht, gerade auch in internationalen Sachverhalten, schon immer 1 Ansatzpunkt ist „Gegenstand und Zweck der einzelnen Fiktionsnorm“ (Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998, S. 711). 2 Schneider, Gesetzgebung3, Rz. 374 unter Hinweis auf BVerfG v. 26.4.1978 – 1 BvL 29/76, BVerfGE 48, 227 zur unzulässigen Bemessung der Umlage nach dem Lohnfortzahlungsgesetz zum Ausgleich der durch das Gesetz veranlassten Arbeitgeberaufwendungen nach fiktiven, statt nach tatsächlich gezahlten Entgelten. 3 Hruschka in Schönfeld/Ditz2, Art. 5 (2014) OECD-MA Rz. 139 m.w.N. 4 Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 726. 5 Dazu Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 54. 6 Wäger in FS Haarmann, 2015, S. 949 (960); Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2881 (Stand: April 2017). 7 Wilmanns in Fuhrmann3, § 1 AStG Rz. 553. 8 Wäger in FS Haarmann, 2015, S. 949 (961 f.). 9 Wäger in FS Haarmann, 2015, S. 949 (962 f.). 10 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, Art. 1 AStG Rz. 2812 ff. (Stand: April 2017). 11 Wellmann in FG Wassermeyer, 2015, S. 235 ff. Rz. 7 u. 13.

Drüen 103

Kap. 4 Rz. 4.5 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

in vielfacher Hinsicht besondere Rechtsfolgen. Insoweit besteht eine hinreichende Fiktionsgrundlage (zur gebotenen Fiktionsfolgerichtigkeit s. noch Rz. 4.17) für die Verselbständigung und die Zuordnung von Gewinnen zur Betriebsstätte zur Abgrenzung der internationalen Besteuerungshoheiten (s. Rz. 4.8 f.). Die einst feste Zuordnungsgrundlage erodiert allerdings aufgrund der „Auflösungserscheinungen“ des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs1 durch Ausdehnung des Begriffs der Betriebsstätte unter Absenkung von Substanzanforderungen mit der Folge einer Multiplikation von Betriebsstätten.2 Gepaart mit dem AOA führt diese Tendenz zu erheblicher Rechts- und Planungsunsicherheit bei grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, die nur durch die Effektuierung internationaler Verständigungs- und Schiedsverfahren gelindert werden kann.3

4.6 Vorherigkeit nicht Vorrangigkeit des Zivilrechts. Die ertragsteuerrechtliche Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte etabliert trotz der zivilrechtlichen Einheit des Rechtsträgers ein territoriales Trennungsprinzip. Über das zivilrechtliche Trennungsprinzip, wonach als Ausdruck der Verselbständigung der Sphäre des Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern4 streng zwischen Gesellschaft als eigenständigem Rechtsträger und ihren Gesellschaftern zu unterscheiden ist,5 führt § 1 Abs. 5 AStG zu einer dem Zivilrecht fremden Binnentrennung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Diese vom Zivilrecht abweichend, rein ertragsteuerrechtliche Fiktion (s. Rz. 4.5) verstößt nicht gegen die Verfassung. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz begründet keine Bindung steuergesetzlicher Tatbestandsbildung an das Zivilrecht und an zivilrechtliche Rechtsformen.6 Das Steuerrecht ist kein bloßes Folgerecht des Zivilrechts. Zivilrecht und Steuerrecht sind vielmehr nebengeordnete, gleichrangige Rechtsgebiete, die denselben Sachverhalt aus einer anderen Perspektive und unter anderen Wertungsgesichtspunkten beurteilen.7 Folgerichtig hat das BVerfG seine frühere Forderung8 nach sachlich überzeugenden Gründen für eine steuerrechtliche Durchbrechung der zivilrechtlichen Ordnung dahingehend gewandelt, dass es „dem Gesetzgeber nicht verwehrt [ist], bei der Gestaltung von Steuertatbeständen auch an wirtschaftliche Sachverhalte anzuknüpfen“.9 Darum gilt zwar die Vorherigkeit des Zivilrechts10, nicht aber seine Vorrangigkeit.11 Der Steuergesetzge1 Treffend Esterer in FG Wassermeyer, 2015, S. 137 ff. Rz. 3 ff. 2 Stellvertretend Hruschka in Schönfeld/Ditz2, Art. 5 (2014) OECD-MA Rz. 12 m.w.N. zur „Entmaterialisierung“ des Betriebsstättenbegriffs. 3 Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 46 (Stand: April 2017). 4 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht8, Rz. 1.7; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 GmbHG Rz. 5 u. 11. 5 Selbst zur GbR inzwischen Sprau in Palandt78, § 705 BGB Rz. 24 m.w.N. 6 Nußberger in Sachs8, Art. 3 GG Rz. 146. 7 BVerfG v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992, 212 Rz. 9 = FR 1992, 270. 8 Zur grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Durchgriffs auf Gesellschaftervergütungen bei personenbezogenen Kapitalgesellschaften BVerfG v. 24.1.1962 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331, Leitsatz. 9 BVerfG v. 2.10.1968 – 1 BvF 3/65, BVerfGE 24, 174 Rz. 17. 10 Grundlegend zum Grundsatz der „Vorherigkeit der Anwendung des Zivilrechts“ Kirchhof, StuW 1983, 173 (180 ff.). 11 BVerfG v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992, 212 Rz. 9 = FR 1992, 270.

104 Drüen

A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.7 Kap. 4

ber kann von seiner Grundentscheidung auch trotz des Folgerichtigkeitsgebots abweichen, wenn es hierfür zureichende Gründe gibt.1 Gründe für das territoriale Trennungsprinzip bei Betriebsstätten. Sachgerechte 4.7 Gründe sind für den AOA die Aufteilung der Besteuerungszuständigkeiten zwischen verschiedenen Staaten (s. Rz. 4.8 f.) sowie die steuerliche Neutralität der grenzüberschreitenden Investitionsform (s. Rz. 4.10). Die Technik der Verselbständigung einzelner Teilsphären einheitlicher Rechtsträger ist dabei nicht neu: Eine vergleichbare Abweichung von der zivilrechtlichen Vorprägung durch die Anerkennung interner Pro-forma-Verträge ist im nationalen Bereich zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und ihren Betrieben gewerblicher Art (BgA) anerkannt.2 Wegen der nur partiellen Steuerpflicht der öffentlichen Hand (§ 4 KStG) wird der einheitliche Rechtskreis der juristischen Person des öffentlichen Rechts als Rechtsträger sphärenorientiert in den steuerrelevanten BgA und die nichtsteuerbare Sphäre aufgespalten und (zivilrechtlich unmögliche) Innentransaktionen werden für die zutreffende Sphärenabgrenzung steuerrechtlich zugrunde gelegt. Diesem bewährten Modell folgt die AOA-Umsetzung zu Gewähr der zutreffenden internationalen Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten. Das Erfordernis der territorialen Binnenabgrenzung innerhalb eines zivilrechtlichen Rechtsträgers ist hinreichender Sachgrund für die ertragsteuerrechtliche Verselbständigung der Betriebsstätte als Zuordnungssubjekt. Das territoriale Trennungsprinzip bewirkt zugleich eine folgerichtige Modifikation des zivilrechtlichen Realisationsprinzips (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB): Werden unternehmensinterne Leistungs- und Lieferbeziehungen innerhalb des Rechtsträgers (Innentransaktionen) für Zwecke der ertragsteuerrechtlichen Gewinnabgrenzung anerkannt und wie Außentransaktionen fremdvergleichskonform behandelt,3 so wird durch diese Fiktion zugleich das Realisationsprinzip modifiziert.4 An die Stelle des zivilrechtlichen, rechtsträgerbezogenen Realisationsbegriffs tritt ertragsteuerrechtlich eine rechtssphärenbezogene Definition des Realisationsprinzips. Danach gilt der Transfer zwischen den verselbständigten (territorialen) Steuersphären des Rechtsträgers folgerichtig als steuerrelevante Realisation. Darum sind am Realisationsprinzip ansetzende Verfassungszweifel an § 1 Abs. 5 AStG5 nicht durchgreifend6 (s. noch Rz. 4.16).

1 Einen rechtfertigenden „besonderen sachlichen Grund“, fordert das BVerfG zuletzt in seinem Urt. v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 Rz. 105, FR 2018, 427, DStR 2018, 1379. 2 Kroppen/Lieber in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 118/1 m.w.N. (Stand: Januar 2015). 3 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 54. 4 In der Sache übereinstimmend spricht Hruschka in Schönfeld/Ditz2, Art. 5 (2014) OECDMA Rz. 139 abkommensrechtlich von der „Verwandlung“ unternehmensinterner Vorgänge in einen „Realisationstatbestand“. 5 Schaumburg, ISR 2013, 197 (199). 6 Ähnlich Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183 f.).

Drüen 105

Kap. 4 Rz. 4.8 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

III. Internationale Einflüsse auf die Ausgestaltung der nationalen Besteuerung 4.8 Grenzen leistungsfähigkeitsgerechter Besteuerung grenzüberschreitenden Wirtschaftens. Bei internationalen Sachverhalten ist der staatliche Besteuerungszugriff den allgemeinen völkerrechtlichen Schranken für die nationale Hoheitsgewalt unterworfen. Während das Völkerrecht die Vornahme von Hoheitsakten prinzipiell auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt (Grundsatz der formellen Territorialität), verwehrt es dem innerstaatlichen Recht hingegen nicht, an im Ausland verwirklichte Sachverhalte anzuknüpfen (keine Pflicht zur materiellen Territorialität).1 Dementsprechend ist die Besteuerung von ausländischen Wirtschaftsvorgängen völkerrechtlich zulässig, wenn eine hinreichend enge Verbindung (sog. genuin link)2 zum besteuernden Staat besteht.3 Eine zulässige Ausgestaltung dieses Erfordernisses ist die territorial-äquivalenztheoretisch fundierte Steuerpflicht inländischer Einkünfte von steuerlich Auswärtigen, wie sie insbesondere der deutschen beschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 und § 2 KStG jeweils i.V.m. § 49 EStG zugrunde liegt.4 Das Leistungsfähigkeitsprinzip beansprucht seine Geltung dabei auch im grenzüberschreitenden Kontext.5 Bei seiner Anwendung sind jedoch die Unterschiede in der Reichweite des steuerlichen Zugriffs zu berücksichtigen und ihnen ist auch bei der Ausgestaltung der Besteuerung gebührend Rechnung zu tragen.6 Die Bezugsgröße des Steuerzugriffs bleibt zwar im Ausgangspunkt die Gesamtleistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und nicht etwa eine nach Territorialgesichtspunkten aufgespaltene Teilleistungsfähigkeit.7 Allerdings darf der Gesetzgeber bei der Gesamtleistungsfähigkeit zwischen in- und ausländischer Leistungsfähigkeit differenzieren.8 Überdies sind der Verwirklichung und der „Durchschlagskraft“ des Leistungsfähigkeitsprinzips bei grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener Steuerrechtsordnungen (s. Rz. 4.9) Grenzen gesetzt.9 Bei ausländischen Betriebsstätten führt das abkommensrechtliche Betriebsstättenprinzip regelmäßig zum Ausschluss des Besteuerungsrechts des Stammhausstaats. Die Besteuerung inländischer Betriebsstätteneinkünfte nimmt demgegenüber im Fall der nur beschränkten Steuerpflicht einen objektsteuerähnlichen Charakter an.10 Die durch die jeweiligen nationalen Besteuerungsrechte abgesteckte Grenze verläuft 1 Grundlegend Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 101 ff.; dazu auch Lehner, in FS Wassermeyer, 2005, S. 241 (242 ff.). 2 Zurückgehend auf die sog. „Lotus-Entscheidung“ des StIGH v. 7.7.1927, PCIJ, Ser. A, No. 10 (1927), S. 4. 3 Dazu Lehner in Vogel/Lehner6, Grundlagen Rz. 11. 4 Lehner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XI3, 2013, § 251 Rz. 19 f. 5 Zum räumlichen Anwendungsbereich des Leistungsfähigkeitsprinzips, Lehner in Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XI3, 2013, § 251 Rz. 15 ff. m.w.N. 6 Lehner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XI3, 2013, § 251 Rz. 15 ff. m.w.N. 7 Lehner/Waldhoff in K/S/M, § 1 EStG Rz. A 184 (Stand: Juli 2000). 8 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.58 f. 9 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 130 f. 10 BVerfG v. 24.9.1965 – 1 BvR 228/65, BVerfGE 19, 119 Rz. 16.

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A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.9 Kap. 4

damit regelmäßig durch eine Unternehmenseinheit und dient dabei als Anknüpfungspunkt für steuerliche Regelungen. Diese Gedanken liegen auch der Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG zugrunde.1 Sie können für die Beantwortung der Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Selbständigkeitsfiktion von Betriebsstätten fruchtbar gemacht werden (s. Rz. 4.15). Internationale Doppelbesteuerung und Leistungsfähigkeit. Im Zusammenhang 4.9 mit der Implementierung des AOA stellt sich erneut die Frage nach der verfassungsrechtlichen Einordnung der internationalen juristischen Doppelbesteuerung.2 Eine ungemilderte Doppelbesteuerung zeitigt negative Folgen für den internationalen Wirtschaftsverkehr, weil sie zur suboptimalen Allokation von Kapital führt und den zwischenstaatlichen Güteraustausch beeinträchtigt.3 Wirtschaftspolitische Vernunft spricht für die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Davon zu trennen ist indes die rechtliche Fragestellung der Zulässigkeit internationaler Doppelbesteuerung.4 Das geltende Völkerrecht kennt kein allgemeines Verbot der Doppelbesteuerung.5 Nach Lehner6 liegt dies in dem Umstand begründet, dass Doppelbesteuerung durch das Zusammenwirken mehrerer Gesetze der beteiligten Staaten hervorgerufen wird. Das Zusammenwirken dieser Steuergesetze folge dabei der Völkerrechtsgemäßheit des jeweiligen einzelstaatlichen Gesetzes. Sind die nationalen Steuergesetze völkerrechtgemäß, so sind sie es auch in ihrer Gesamtheit. Anderenfalls würde die Doppelbesteuerung um den Preis von Steuerfreiräumen vermieden. Das Besteuerungsrecht ist eines der „Kernrechte“ staatlicher Souveränität. Die Fiskalhoheit der einzelnen Staaten verträgt sich nicht mit einer Abstimmungspflicht der nationalen Steuergesetze, die aber zwangsläufige Folge des völkerrechtlichen Verbots der Doppelbesteuerung wäre. Demgegenüber plädiert Schaumburg für ein verfassungsrechtliches Verbot internationaler Doppelbesteuerung wegen Verstoßes gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.7 Indes müssen steuerpolitisch Gewünschtes und verfassungsrechtlich Vorgegebenes8 auch im deutschen internationalen Steuerrecht auseinandergehalten wer1 Näher zum Entstrickungsprinzip als Ultima-Ratio-Besteuerung Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 9 Rz. 450 u. 471. 2 Unter Doppelbesteuerung wird im Folgenden stets die internationale juristische Doppelbesteuerung verstanden. Von dieser ist die wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu unterscheiden. Erstere erfasst die Erhebung vergleichbarer Steuern für denselben Steuergegenstand und Zeitraum durch mehrere Staaten. Letztere meint die Besteuerung desselben Wirtschaftsvorgangs durch mehrere Staaten bei verschiedenen Steuerpflichtigen; ausführlich Lehner in Vogel/Lehner6, Grundlagen Rz. 2 u. 9. 3 Statt aller Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 1. 4 Dazu zusammenfassend Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz2, Systematik Rz. 8 ff. 5 Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 30; Kluge, Das Internationale Steuerrecht4, D Rz. 3, 10 f.; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2007, S. 177 m.w.N. 6 Lehner in Vogel/Lehner6, Grundlagen Rz. 14. 7 Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 17.8 ff.; näher Schaumburg in FS Tipke, 1995, S. 125 (143 ff.); nur referierend Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, 2008, S. 807 m.w.N. 8 Deutlich zur gebotenen Trennung Schön, DStR-Beihefter zu Heft 17/2008, 10 (14): „Es gibt auch steuerpolitische Torheiten unterhalb der Grenze zum Verfassungsbruch.“

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Kap. 4 Rz. 4.9 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

den. So sieht die ältere Rechtsprechung des BFH die Vermeidung der Doppelbesteuerung allein als eine im Ermessen des Staats stehende Frage der Zweckmäßigkeit.1 Unlängst hat der BFH nochmals bekräftigt, dass es keinen Rechtsgrundsatz gibt, dass eine Doppelbesteuerung schlechthin unzulässig ist.2 Für diese zurückhaltende Gegenposition ist anzuführen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip als abstraktes Leitprinzip der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf (s. Rz. 4.3). Insoweit ist auch die Frage zu stellen, ob es nicht an der grundsätzlichen Vergleichbarkeit des Falls der Erzielung aller Einkünfte im Inland mit der Erzielung der Einkünfte auch im Ausland fehlt. Überdies darf die Anleitung des Leistungsfähigkeitsprinzips bei der Frage der Abgrenzung der internationalen Besteuerungshoheiten und Herstellung internationaler Belastungsgleichheit nicht überschätzt werden.3 Ein allgemeiner verfassungskräftiger Anspruch der Vermeidung internationaler Doppelbesteuerung existiert nach vorzugswürdiger Ansicht nicht.4 Freiheitsrechtlich wirkt das Leistungsfähigkeitsprinzip allenfalls in Fällen einer Übermaßbesteuerung. Dabei nimmt das BVerfG keine fixen Grenzen an, sondern stellt auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip ab.5 Allenfalls eine Doppelbesteuerung, die zu Konfiskation führt, ist verfassungswidrig. Unterhalb dieser Grenze ist eine internationale Doppelbesteuerung verfassungsrechtlich hinzunehmen, bleibt aber gleichwohl wirtschafts- und steuerpolitisch verfehlt. Jedenfalls zwingt das Leistungsfähigkeitsprinzip den deutschen Gesetzgeber nicht, den Umfang seiner Besteuerung von einer ausländischen Steuerrechtsordnung abhängig zu machen, weil fehlende Leistungsfähigkeitskonformität Folge des Zusammentreffens der Besteuerung durch mehrere souveräne Staaten ist.6

4.10 Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung und Rechtsformneutralität bei grenzüberschreitenden Investitionen. Im Internationalen Steuerrecht hat die Frage nach der Rechtsformneutralität der Besteuerung eine besondere Relevanz. Denn im grenzüberschreitenden Kontext treten Verwerfungen in der steuerrechtlichen Behandlung konkurrierender Wirtschaftsakteure naturgemäß besonders deutlich zu Tage. Nach gängiger Lehrmeinung wird das Gebot einer rechtsformneutralen Besteuerung sowohl freiheits- als auch gleichheitsrechtlich verankert.7 Zum einen sichere es eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung. Auch die verfassungsrechtliche Garantie der freien Rechtsformwahl, als Teil der durch Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und auch Art. 2 Abs. 1 GG freiheitsrechtlich geschützten unternehmerischen Handlungs1 BFH v. 14.2.1975 – VI R 210/72, BStBl. II 1976, 497 (498), zum DBA-Österreich: „Es ist allein Sache der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, wie das ihr zustehende Besteuerungsrecht geregelt werden soll. Eine Doppelbesteuerung wird allein nach Maßgabe des Abkommens ausgeschlossen. Einen Rechtssatz, dass eine Doppelbesteuerung schlechthin unzulässig sei, gibt es nicht.“ 2 BFH v. 19.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746 Rz. 31 = FR 2014, 248. 3 Ebenso Mössner in FS Frotscher, 2013, S. 461 (477 f.). 4 Ebenso Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 130 f. 5 BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 Rz. 44 ff. = FR 2006, 635 m. Anm. Kanzler. 6 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 130 f. 7 Ausführlich zum Meinungsbild auch im Folgenden Drüen, GmbHR 2008, 393 (396 f.); Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, S. 545 ff. m.w.N.

108 Drüen

A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.10 Kap. 4

freiheit, wird als eine der Wurzeln genannt.1 Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen sich indes – trotz zahlreicher und immer wieder unternommener Anläufe2 – nicht zu einem verfassungsrechtlichen Gebot rechtsformneutraler Besteuerung verdichten.3 Insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG enthält kein allgemeines Verfassungsgebot der Rechtsformneutralität.4 Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung die rechtsformbedingten Unterschiede im Ertragsteuerrecht als verfassungsgemäß eingestuft.5 Das Prinzip der Rechtsformneutralität greift betriebs- und finanzwirtschaftliche Effizienz- und Neutralitätsgedanken auf und verfolgt deren Postulate einer entscheidungs-, wettbewerbs-, investitions- und finanzierungsneutralen Unternehmensbesteuerung.6 Diese Stoßrichtung nimmt der Gesetzgeber auch mit Blick auf § 1 Abs. 5 AStG für sich in Anspruch7, indem er Betriebsstätten mit Tochterkapitalgesellschaften als alternativer grenzüberschreitender Investitionsform hinsichtlich der Gewinnzuordnung gleichstellt. Dies ist kein Widerspruch zum nationalen System der rechtsformabhängigen Besteuerung, an dem er trotz jahrzehntelanger Kritik seitens der Steuerrechtswissenschaft unverändert festhält. Denn der Dualismus der Unternehmensbesteuerung bleibt unverändert und gebietsfremde Betriebsstätten von Kapital- und Personengesellschaften werden gleichbehandelt. Über die klassische Rechtsformorientierung hinaus sieht das Gesetz eine die Rechtsform negierende Behandlung von Betriebsstätten wie eine rechtlich verselbständigte Einheit des Unternehmens („virtuelle Kapitalgesellschaft“) vor. Diese rechtsformüberwindende Behandlung von Betriebsstätten ist trotz der Abweichung vom Zivilrecht mit Blick auf das besondere Regelungsbedürfnis internationaler Gewinnabgrenzung sachlich zulässig und von der Verfassung gedeckt. Bei grenzüberschreitenden Aktivitäten sind Betriebsstätte und Tochtergesellschaft, trotz ihrer unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen, miteinander konkurrierende Investitionsformen, zwischen denen ein Unternehmen nach der Organisationsfreiheit auswählen kann. Dabei bestehen zwischen der Betriebsstätte als unselbständiger Untergliederung des Einheitsunternehmens und der juristisch verselbständigten Tochterkapitalgesellschaft, für die gesellschafts- und steuerrechtlich in Deutschland das Trennungsprinzip gilt,8 relevante sachliche Unterschiede rechtlicher und faktischer Natur. Dem Steuerpflichtigen steht es frei, zwischen den alternativen Investitionsformen zu wählen und die damit jeweils einhergehenden Steuerrechtsfolgen zu tragen.9 International sind die 1 Hey, DStJG 24 (2001), S. 155 (171 f.); die Bedeutung der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG betonend Kirchhof, StuW 2000, 221 (230); Jachmann-Michel/Vogel in Mangoldt/ Stark/Klein7, Art. 105 GG Rz. 30. 2 Zusammenfassend Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, S. 545 ff. (559, 566). 3 Näher Drüen, GmbHR 2008, 393 (396 ff.). 4 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 Rz. 113. 5 Zuletzt BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 Rz. 112 ff., FR 2017, 577 m. Anm. Suchanek, DStR 2017, 1094. 6 Eingehend zu den einzelnen Neutralitätsaspekten Desens in H/H/R, Einf. KSt Rz. 55 ff. (Stand: August 2014); Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 13 Rz. 160 ff. 7 BR-Drucks. 302/12, 100. 8 Böhmer, StuW 2012, 33 m.w.N. 9 Zu den unterschiedlichen Vorgaben für „Betriebsstätten oder Tochterkapitalgesellschaft“ im Ausland näher Schoss in Grotherr, Handbuch internationale Steuerplanung3, S. 51, 64.

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Kap. 4 Rz. 4.10 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

beiden Investmentformen bedingt wechselseitig substituierbar.1 Aufgrund dieser Konkurrenzsituation hat sich der Gesetzgeber mit der Behandlung der Betriebsstätte als virtueller Kapitalgesellschaft für eine Gleichbehandlung dieser grenzüberschreitenden Investitionsformen entschieden. Dies ist für die internationale Gewinnabgrenzung sachgerecht und verfassungsrechtlich zulässig. Diese partielle rechtsformüberwindende Gleichbehandlung von Betriebsstätten steht insgesamt nicht im Widerspruch zum allgemeinen rechtsformorientierten Dualismus der Unternehmensbesteuerung. Vielmehr wird über diese hinaus ein territoriales Trennungsprinzip zwischen der Betriebsstätte und ihrem Rechtsträger etabliert (s. Rz. 4.7), ohne Rücksicht auf dessen Rechtsform.

IV. Rechtsstaatliche Vorgaben für die Umsetzung des AOA 4.11 Formelle Rechtstaatlichkeit. Zentrale Vorgaben formaler Rechtsstaatlichkeit im Steuerrecht sind der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung mit dem Prinzip der Bestimmtheit von Steuergesetzen und das Verbot rückwirkender Steuergesetze.2 Alle diese Verfassungsgrundsätze werden auch im Hinblick auf die deutsche AOA-Umsetzung diskutiert.3 4.12 Verfassungsrechtliches Konkretisierungsgebot. Verfassungsrechtliche Bedenken wegen unzureichender Bestimmtheit4 aufgrund der Verwendung unbestimmter Begriffe werden auch gegenüber § 1 Abs. 4 und 5 AStG geäußert.5 Dabei sollte § 1 Abs. 5 AStG nach der gesetzgeberischen Intention insbesondere dazu beitragen, die Gewinnabgrenzung für Betriebsstätten „klar“ zu regeln.6 Aus rechtsstaatlicher Sicht ist zunächst der Vorzug einer gesetzlichen Regelung zu betonen. Vor der Einführung von § 1 Abs. 5 AStG blieb es mangels konkreter gesetzlicher Regelung der Rechtsprechung überlassen, taugliche Kriterien für die Zuordnung von Betriebsstätteneinkünften aus dem allgemeinen Veranlassungsprinzip zu entwickeln.7 In der Rückschau auf diesen gesetzlich ungebundenen Zustand erscheint die Frage gerechtfertigt, ob der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 1 Abs. 5 AStG nicht lediglich einem verfassungsrecht1 Dies wurde auf europarechtliche Ebene im Rahmen der unionsrechtlichen Grundfreiheiten bereits in den 1980er Jahren erkannt: Zur grundfreiheitswidrigen Diskriminierung von Betriebsstätten ausländischer Stammhäuser gegenüber Tochtergesellschaften grundlegend EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 270/83, ECLI:EU:C:1986:37 – avoir fiscal; dazu und zum unionsrechtlichen Gebot einer rechtformneutralen Besteuerung Lehner/Reichold/Faber/ Schwenk in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht3, § 6 Rz. 49 m.w.N. 2 Zuletzt Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 93, 243 ff. u. 260 ff. 3 Stellvertretend Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 695 f. (Stand: Oktober 2013). 4 Zur Kritik frühzeitig Ditz in Schönfeld/Ditz, Art. 7 (2010) OECD-MA Rz. 15 m.w.N. 5 Kritisch Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (184 f.); Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECDMA Rz. 695 (Stand: Oktober 2013). 6 BT-Drucks. 17/10000, 66. 7 Überblick zur Rechtslage und den damaligen Lösungswegen der Rspr. vor Einführung des AOA bei Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 19 ff. und Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2806 (Stand: April 2017).

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A. Verfassungsrechtliche Maßstäbe für den AOA

Rz. 4.12 Kap. 4

lichen Gebot zur Konkretisierung der Betriebsstättenbesteuerung nachgekommen ist. Dessen verfassungsrechtliche Ausgangspunkte sind das Gebot der Gesetzesbestimmtheit als Ausfluss des Rechtstaatsprinzips und auch die Absicherung der Gewaltenteilung.1 Das Bestimmtheitserfordernis fordert vom Steuergesetzgeber zwar nicht, jede Einzelfrage zu regeln, er muss aber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer mit hinreichender Genauigkeit treffen.2 Für das Steuerrecht verdichtet sich diese Vorgabe hin zu einem Gebot der Tatbestandsklarheit, das die Schaffung vorhersehbarer und berechenbarer Steuertatbestände verlangt.3 Mit Blick auf die Mannigfaltigkeit der möglichen Gewinnabgrenzungsmethoden4 erschien durchaus fraglich, ob der Steuerpflichtige die ihm abverlangte Gewinnzuordnung wirklich noch aufgrund eigenen Wissens verlässlich vornehmen konnte.5 Grundsätzlich gibt es keine objektive internationale Gewinnabgrenzung und die positive Steuerungskraft der internationalen Leitlinien zur Verrechnungspreisbildung dürfen nicht überschätzt werden.6 Durch die AOA-Umsetzung hat der Gesetzgeber nunmehr zumindest die wesentlichen Grundentscheidungen getroffen und durch die Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 6 AStG den Weg für die weitere untergesetzliche Ausgestaltung durch administrative Rechtssetzung im Wege einer Rechtsverordnung nach Art. 80 GG eröffnet, die zudem durch interne Verwaltungsanweisungen ergänzt wird. Diese Regelungsdichte auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlicher (externer) Verbindlichkeit sind zwar unübersichtlich, aber gleichwohl im Sinne ergänzender Verwaltungssteuerung sachgerecht und bieten den Unternehmen auch Orientierungshilfen. Jedenfalls ist der verwirklichte „Top-down-Ansatz“ der Steuerung sowohl normenhierarchisch als auch hinsichtlich der demokratischen Verantwortung einem bloßen, wenn detaillierten BMF-Schreiben vorzugswürdig. Zudem wird die Praxis durch die gesetzgeberische Steuerung dem verfassungsrechtlichen Anspruch, den Unternehmenserfolg nicht nur leistungs- und realitätsgerecht zu ermitteln, sondern im Massenfallrecht zugleich leistbar und realisierbar umzusetzen,7 aufgrund der gesetzlichen Regelung eher gerecht werden können. Insoweit ist die gesetzliche Regelung primär Ausdruck der parlamentarischen Rechtssetzungsmacht wesentlicher Besteuerungsentscheidungen und sollte nicht nur Anlass zu verfassungsrechtlicher Sorge sein. Dabei darf bei der komplexen Materie der Konzernverrechnungspreise für Betriebsstätten die Forderung nach hinreichender Gesetzesbestimmtheit nicht überzogen werden. Der Steuerungskraft des Parlaments durch Gesetz sind Grenzen gesetzt. Darum ist auch wegen der weiteren Konkretisierungsmöglichkeit der in § 1 Abs. 5 AStG verwendeten Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung nicht davon auszugehen, dass das BVerfG gerade diese Vorschrift am Gebot der Gesetzesbestimmtheit 1 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I2, 2000, S. 137. 2 BVerfG v. 14.3.1967 – 1 BvR 334/61, BVerfGE 21, 209 Rz. 25. 3 Zum Gebot der Tatbestandsbestimmtheit und -klarheit eingehend Drüen in T/K, § 3 AO Rz. 40 (Stand: April 2016) m.w.N. 4 Zu diesem Maßstab BVerfG v. 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216 Rz. 94, BStBl. II 1999, 174, BStBl. II 1999, 182. 5 Für einen Überblick Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.1 ff. 6 Drüen, DStZ 2014, 564 (569). 7 Für diese Leitlinie plädierend Drüen, DStZ 2014, 564 (569).

Drüen 111

Kap. 4 Rz. 4.12 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

scheitern lässt. Allerdings ist wegen der begrifflichen Offenheit des § 1 AStG jede ausufernde und für den Steuerpflichtigen unvorhersehbare Auslegung zu vermeiden.1

4.13 Unklare Reichweite der Selbständigkeitsfiktion. Über den der Regelungsmaterie geschuldeten und hinnehmbaren Grad der gesetzlichen Offenheit hinaus (s. Rz. 4.12) enthält § 1 Abs. 5 AStG aber „hausgemachte“ Unklarheiten über die Reichweite der Selbständigkeitsfiktion. Bereits die abkommensrechtliche Reichweite der Selbständigkeitsfiktion nach Art. 7 OECD-MA 2008 vor Einführung des AOA war unklar und umstritten.2 Darum hat die Forderung nach Fiktionsklarheit im nationalen Recht besondere Bedeutung. Diese erfüllt aber § 1 Abs. 5 AStG nur unzureichend. Denn der Regelungsumfang des § 1 Abs. 5 AStG und die systematische Qualifikation als reine Korrekturvorschrift oder allgemeiner Gewinnabgrenzungsmaßstab sind unklar.3 Die verfassungsrechtliche Toleranz der mit der Norm verbundenen Unklarheiten setzt voraus, dass Auslegungsunsicherheiten nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen. Überdies sind auch verfassungsrechtliche Impulse auszumachen, normative Unsicherheiten und die Gefahr von Doppelbesteuerung durch die Effektuierung internationaler Verständigungs- und Schiedsverfahren zu minimieren (s. Rz. 4.5). 4.14 Rückwirkung des Gesetzes. Für die Rückwirkungsfrage wegen der z.T. als verfassungsrechtlich zweifelhaften Geltung von § 1 Abs. 5 AStG bereits für den VZ 20134 gelten auch bei der AOA-Umsetzung die allgemeinen Verfassungsmaßstäbe für eine unechte Rückwirkung von Steuergesetzen.5 Zur Anwendungserstreckung der AOAGrundsätze auf Alt-DBA s. Rz. 4.18.

B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA 4.15 Selbständigkeitsfiktion und Innentransaktionen. Mit der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte werden neue verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen. Eine Kernfrage lautet, ob Besteuerungsrechte grundsätzlich an rein fiktive Binnenleistungsbeziehungen innerhalb eines Rechtsträgers geknüpft werden können6 und eine darauf basierende „Sollgewinnbesteuerung“7 verfassungsrechtlich zulässig ist.8 Der Vorwurf der Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips bei Besteuerung fiktiver Einkünfte oh-

1 Zutreffend (zur Funktionsverlagerung) Micker, IStR 2010, 829 (830). 2 Näher Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 19 ff. m.w.N. 3 Vertiefend Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2812 ff. (Stand: April 2017). 4 Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (185 f.); Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 696 (Stand: Oktober 2013). 5 Zu den Voraussetzungen zuletzt Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 261 ff. 6 Kritisch insoweit Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (184); Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 694 (Stand: Oktober 2013). 7 Dass eine „Sollgewinnbesteuerung“ nicht dem Ertragsteuerrecht gänzlich fremd ist, belegt bereits die Rechtsprechung zur verhinderten Vermögensmehrung im Recht der verdeckten Gewinnausschüttung (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG). 8 Andresen, DB 2012, 879 (883).

112 Drüen

B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA

Rz. 4.16 Kap. 4

ne Liquidität zur Steuerzahlung steht im Raum.1 Die Antwort auf diese Frage ist Folgefrage des Gestaltungsspielraums des Steuergesetzgebers bei der Konkretisierung der Leistungsfähigkeit von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen (s. Rz. 4.3 ff.). Da zivilrechtlich im einheitlichen Unternehmen bei Innentransaktionen schuldrechtliche Beziehungen als Ausgangspunkt für die Bestimmung von Verrechnungspreisen fehlen, aber in gleicher Weise wie Geschäftsbeziehungen mit anderen Rechtsträgern bei der Gewinnzuordnung berücksichtigt werden sollen,2 ist die Anknüpfung an (fiktive) interne Leistungsbeziehungen zur territorialen Aufteilung der Unternehmenseinkünfte eine insgesamt folgerichtige Umsetzung des AOA.3 Die Anerkennung sog. „dealings“ steht zwar im Widerspruch zur Zivilrechtslage, nach der nur selbständige Rechtsträge durch Verträge Verrechnungspreise vereinbaren können,4 ist aber die notwendige Folge der Verselbständigung der Betriebsstätte. Innentransaktionen sind ein zulässiger und geeigneter Maßstab, um Wertschöpfungsbeiträge der verselbständigten Unternehmensteile am Gesamtgewinn zu bemessen und zuzuordnen.5 Dass § 1 Abs. 5 AStG dabei auch reine Innentransaktionen ohne Bezug zu späteren Einnahmen6 erfasst, ist zwar weitreichend, erübrigt aber vereinfachend weitere Differenzierungen und liegt noch innerhalb des legislativen Gestaltungsspielraums. § 1 Abs. 5 AStG und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die mit der Selbständig- 4.16 keitsfiktion der Betriebsstätte einhergehende Durchbrechung des Realisationsprinzips7 rechtfertigt allein nicht das Verdikt der Verfassungswidrigkeit.8 Das zeigen Parallelbeispiele wie die Entstrickungsbesteuerung aus § 4 Abs. 1 Sätze 3 ff. EStG.9 Auch wenn für das Realisationsprinzip10 im Kern verfassungsrechtlich fundierte Gründe sprechen11, so wird dieses rechtsträgerbezogene Rechtsprinzip im Wege der AOA-Umsetzung durch das territoriale Trennungsprinzip folgerichtig rechtssphärenbezogen modifiziert (s. Rz. 4.7). Die Besteuerung der Innentransaktionen kann für sich in Anspruch nehmen, eine Besteuerung zu sichern, die den international gleich-

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Dazu Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 128 ff. Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 726 u. 728. Ebenso Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 133. Dies betonend Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 1.36. Ebenso Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 133. Insoweit verfassungsrechtliche Kritik bei Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (184); Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 694 (Stand: Oktober 2013); ebenso, aber weitergehend Schaumburg, ISR 2013, 197 (200); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.67. Diese rügend Schaumburg, ISR 2013, 197 (199). A.A. Schaumburg, ISR 2013, 197 (199 f.); Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 392. Ebenso insoweit Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183 f.). Näher zum Realisationsprinzip und zum begrenzenden Entstrickungsprinzip Baldauf, Das innere System der einkommensteuerrechtlichen Gewinnrealisierung, 2009, S. 29 ff., 46, 112 f. u. 209 f. Dafür Drüen, DStZ 2014, 564 (569); insoweit zweifelnd Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179 (183).

Drüen 113

Kap. 4 Rz. 4.16 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

rangigen Investitionsalternativen gerecht wird (s. Rz. 4.10).1 Die Selbständigkeitsfiktion zieht auch verschiedene (scheinbare) Leistungsfähigkeitsparadoxa nach sich,2 die der Gesetzgeber aber sehenden Auges in Kauf genommen hat.3 Namentlich kann eine Betriebsstätte einen Gewinn erwirtschaften, während das Unternehmen insgesamt einen Verlust erleidet. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar. Zuletzt können die Summe der Einzelergebnisse der Betriebsstätten eines Unternehmens und das Gesamtergebnis des Unternehmens auseinanderfallen.4 Diese Phänomene sind im Internationalen Steuerrecht freilich nicht unbekannt. Sie treten stets auf, wenn es nach einer Verrechnungspreiskorrektur zu keiner Gegenberichtigung durch den anderen Staat kommt.5 Dieses Problem stellt sich gerade bei § 1 Abs. 5 AStG, der nur einseitig zuungunsten des Steuerpflichtigen wirkt6 und bei dem in Abkommensfällen in der Regel die Möglichkeit zur Gegenberichtigung fehlt.7 Dass eine Folgekorrektur durch Gegenberichtigung nicht geregelt ist,8 begründet für sich allerdings noch keinen Verstoß gegen das Folgerichtigkeitsgebot.9 Auch insoweit hat das Fehlen eines verfassungsrechtlichen Gebots zur Beseitigung der Doppelbesteuerung (s. Rz. 4.9) seine Wirkungen. Denn die Gegenberichtigung ist keine rein unilaterale Maßnahme, sondern wäre spiegelbildlich vom anderen Staat vorzunehmen. Dessen Unterlassen kann indes verfassungsrechtlich nicht dem deutschen Steuergesetzgeber zugerechnet werden. Vielmehr kann Deutschland auf die Verantwortung des anderen Staats verweisen.10 Diskrepanzen bei der Einkommenserhöhung nach § 1 Abs. 5 AStG beruhen nicht allein auf deutschem Staatshandeln, sondern vielmehr auf Unterschieden der nationalen Steuerrechtsordnungen hinsichtlich des Ob und Wann der steuerlichen Erfassung von Einkünften.11 Diese sind Ursache für die drohende Gefahr einer Doppelbesteuerung.12 Nach vorzugswürdiger Ansicht ist eine Doppelbesteuerung rechts- und wirtschaftspolitisch zu vermeiden, ohne dass aber insoweit eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht (s. Rz. 4.9). Überdies kann die gesetzgeberische Entscheidung für den AOA sogar insgesamt zur Beseitigung der Doppelbesteuerung beitragen, indem sie einen Gleichklang mit den Art. 7 Abs. 2 OECD-MA entspre-

1 Kroppen/Lieber in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 109 ff. (Stand: Januar 2015); Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 6 (Stand: August 2017). 2 Dazu Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 129. 3 Dazu und zum Folgenden BT-Drucks. 17/10000, 63 f. 4 Wilmanns in Fuhrmann3, § 1 AStG Rz. 532 u. 535; kritisch mit verfassungsrechtlichen Zweifeln Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.38. 5 Zu den Beseitigungsmöglichkeiten Hendricks in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 10.1 ff. 6 Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 755 f. 7 Schaumburg, ISR 2013, 197 (200); näher Schnitger, IStR 2012, 633 (634 f.). 8 Kritisch insoweit Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 693 (Stand: Oktober 2013). 9 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 133 f.; a.A. Blumers, BB 2017, 1118 (1122). 10 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 130. 11 Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 134. 12 Dazu Ditz in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 42, 2013, S. 109 (113 f.).

114 Drüen

B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA

Rz. 4.18 Kap. 4

chenden Regelungen in DBA herstellt.1 Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Irrelevanz von Doppelbesteuerungen ist allerdings die einseitige einkommenserhöhende Berücksichtigung fiktiver Aufwendungen inländischer Betriebsstätten und fiktiver Einnahmen ausländischer Betriebsstätten durch § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG im NichtDBA-Fall ein nicht durch Lenkungs- oder Vereinfachungszwecke gerechtfertigter Verstoß gegen das Gebot der folgerichtigen Umsetzung des AOA im Sinne einer strukturellen Belastungsgleichheit.2 Übersteigerter deutscher Fremdvergleich. Für verfassungsrechtliche Spannungen 4.17 sorgen allerdings die über § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auch auf die fiktiv verselbständigte Betriebsstätte zur Anwendung kommenden, Übersteigerungen des Fremdvergleichs nach dem AStG. Namentlich der hypothetische Fremdvergleich nach § 1 Abs. 3 Sätzen 5–8 AStG und im Besonderen die Fiktion doppelter Kenntnis der Beteiligten nach § 1 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 AStG sind nicht bloß die Umsetzung des internationalen Standard-Fremdvergleichs. Deutschland verwendet insoweit international weitgehend unbekannte und von den anerkannten Maßstäben abweichende Denkfiguren.3 Die völlige Informationstransparenz kehrt sich gerade von den Verhältnissen unter fremden Dritten ab4 und stützt sich in unverhältnismäßig übersteigerter Form auf einen Einheitsgedanken, den der Fremdvergleich gerade zu überwinden sucht.5 Darum mangelt es insoweit an der gebotenen Fiktionsfolgerichtigkeit.6 Dies ist indes ein allgemeiner verfassungsrechtlicher Kritikpunkt am „deutschen Fremdvergleichswesen“ mit dem „künstlichen Fremdvergleichsmaßstab“ des § 1 AStG7 und kein AOA-spezifisches Problem. Durch die AOA-Umsetzung wird freilich der allgemein fragwürdige deutsche Fremdvergleichsmaßstab auf Betriebsstätten erstreckt, sofern man die Transparenzfiktion insoweit für anwendbar hält.8 Treaty override und zeitliche Anwendung des AOA. Der in § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG 4.18 niedergelegte treaty override (s. dazu Rz. 6.94 ff.) ist zwar völkerrechtswidrig, aber nach Ansicht des BVerfG9 nicht verfassungswidrig. Art. 59 Abs. 1 GG weist den DBA als völkerrechtlichen Verträgen letztlich (nur) den Rang einfacher Bundesgeset-

1 Zur abkommensrechtlichen Selbständigkeitsfiktion Hemmelrath in Vogel/Lehner6, Art. 7 OECD-MA Rz. 201 ff. 2 Näher Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 144 ff. 3 Zur Kritik Rasch in G/K/G/K, Art. 9 OECD-MA Rz. 32 (Stand: Januar 2015) m.w.N. 4 Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 347 ff. (Stand: Juni 2015); Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2852 (Stand: April 2017). 5 Kritisch insoweit auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 8 ff. (Stand: März 2012). 6 Auch wenn der Grundsatz der Folgerichtigkeit keine allgemeine Schranke für den Einsatz von Gesetzesfiktionen ist, kann die einzelne Fiktionsnorm gegen das Folgerichtigkeitsgebot verstoßen, wenn die Abweichung vor dem durch das System geschützten Zweck nicht zu rechtfertigen ist (Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998, S. 698 f.). 7 Treffend jüngst Gosch in FS Crezelius, 2018, S. 735 (753). 8 Letzteres aufgrund eines fehlenden Rechtsgrundverweises verneinend Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2852 u. 2861 (Stand: April 2017). 9 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326.

Drüen 115

Kap. 4 Rz. 4.18 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

ze zu. Durch den nicht absolut wirkenden, sondern nur bedingten treaty override1 hat der Gesetzgeber zudem dem m.E. berechtigten Postulat des Vertragsbruchs nur als ultima ratio2 Genüge getan.3 Demgegenüber ist die von der Finanzverwaltung4 favorisierte Anwendung der AOA-Grundsätze auf alle Fälle, die einem mit Art. 7 OECD-MA 2008 oder 2010 konformen DBA unterfallen, verfassungsrechtlich fragwürdig.5 Dem liegt der Gedanke einer dynamischen Abkommensauslegung von DBA im Lichte des später veröffentlichten OECD-Betriebsstättenberichts zugrunde.6 Demgegenüber sprechen Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WÜRV)7 und die Gewaltenteilung8 dafür, die beim jeweiligen Vertragsschluss noch unbekannten AOA-Grundsätze nicht zur Abkommensauslegung heranzuziehen (sog. statische Auslegung).9 Darum ist der AOA auf vor der Aktualisierung des OECD-MK 2008 abgeschlossene Altabkommen nicht anzuwenden.10

4.19 Profiskalische Ausrichtung. Verfassungsrechtliche Bedenken werden auch hinsichtlich der Schlagseite des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zu Lasten des Steuerpflichtigen (s. dazu Rz. 6.5) vorgebracht.11 Dieser knüpft die Anwendung der Selbständigkeitsfiktion an die Minderung inländischer Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder die Erhöhung ausländischer Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. Diese profiskalische Ausrichtung gilt jedoch für § 1 AStG in seiner Gänze. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG setzt gleichfalls eine Minderung von Einkünften voraus. § 1 AStG soll es ermöglichen, die Bedingungen internationalen Geschäftsvorfälle fremdvergleichskonform auszutarieren, wenn sie von nahestehende Personen zu Lasten des innerstaatlichen Steueraufkommens ausgestaltet wurden.12 Auch der Grundsatz der Gesetzmäßig-

1 Im Gegensatz zum „absoluten treaty override“ (so Berner, Betriebsstättenbesteuerung nach dem AOA, 2016, S. 185, der allerdings von einer Verletzung des Gleichheitssatzes bei Anwendung von § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG auf Nicht-AOA-DBA ausgeht). 2 Drüen in T/K, § 2 AO Rz. 5b ff. m.w.N. (Stand: April 2017). 3 Kritisch Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 (91 f.). 4 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der VWG BsGa BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 425 ff. 5 Kritisch auch Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 741 ff. 6 Eine solche Interpretation entspreche dem „Sinn und Zweck“ des jeweiligen Artikels besser als der damalige OECD-MA, BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001 – 03, BStBl. I 2017, 182, Rz. 427. 7 Mit Blick auf den OECD-MA Lehner in Vogel/Lehner6, Grundlagen Rz. 127 u. 127c f. m.w.N. 8 Mit Blick auf den OECD-MK Mellinghoff in FG Wassermeyer, 2015, S. 35 ff. Rz. 27; Hemmelrath in Vogel/Lehner6, Art. 7 OECD-MA Rz. 14c; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, vor Art. 1 OECD-MA Rz. 63 (Stand: Oktober 2017). 9 Gegen eine dynamische Auslegung im Lichte einer nach Inkrafttreten des DBA erfolgten OECD-Verlautbarung auch BFH v. 25.11.2015 – I R 50/14, BStBl. II 2017, 247 Rz. 31 = FR 2016, 861 m. Anm. Wassermeyer; zudem BFH v. 10.6.2015 – I R 79/13, BStBl. II 2016, 326 Rz. 24 = FR 2016, 341. 10 Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (40); Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 (88 f.). 11 Hemmelrath in Vogel/Lehner6, Art. 7 OECD-MA Rz. 210; Hofacker in Haase3, § 1 AStG Rz. 390; Schnitger, IStR 2012, 633 (634). 12 Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 12.

116 Drüen

B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA

Rz. 4.20 Kap. 4

keit1 der Besteuerung verpflichtet nicht zu einer gesetzgeberischen Intervention zum gesetzmäßigen Vorteil des Steuerpflichtigen. Einer Verrechnungspreisgestaltung zugunsten des deutschen Fiskus werden nämlich die ökonomischen Interessen der Beteiligten und drohende Korrekturen des anderen Staats entgegenwirken, sodass insoweit kein Bedarf zum gesetzlichen Einschreiten besteht. Zudem entfaltet das Damoklesschwert des § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG mit seiner drohenden Zurückwerfung auf den verrechnungspreislichen Median eine gewisse general- und spezialpräventive Disziplinierungswirkung.2 Die Verrechnungspreisvereinbarungen werden sich vor dieser Drohkulisse eher im mittleren Bereich der vertretbaren Bandbreite bewegen. Dieser präventive Lenkungszweck ist dem Steuerrecht durchaus nicht fremd.3 Formelle Typisierungen. Kritik entzündet sich auch an widerleglichen tatsächlichen 4.20 Vermutungsregeln der BsGaV.4 Tatsächlichen Vermutungen kommen insbesondere in der Praxis gerichtlicher Beweiswürdigung eine hohe Bedeutung zu.5 Bei einer tatsächlichen Vermutung wird aufgrund feststehender Hilfstatsachen (Beweisanzeichen) mithilfe der allgemeinen Lebenserfahrung auf das Vorliegen nicht näher aufklärbarer, rechtlich erheblicher Tatsachen geschlossen.6 Diese richterliche Beweismaßabsenkung stößt mit Blick auf die zweifelhafte gesetzliche Legitimation auf berechtigte Bedenken.7 Stellt der über die gesetzliche Ermächtigung legitimierte8 Verordnungsgeber im Wege der formellen Typisierung9 eine solche tatsächliche Vermutung auf, ist diese an die verfassungsrechtlichen Vorgaben für gesetzliche Typisierungen10 zu messen. Solche sind nur dann zulässig, wenn und soweit der konkrete Gesetzestatbestand typisierungsfähig und typisierungsbedürftig ist.11 Bei der Ausgestaltung der Typisierung ist insbesondere zu beachten, dass die aus ihr erwachsenden Vorteile im angemessenen Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen und sie sich realitätsgerecht am Regelfall orientiert.12 Im Fall der formellen Typisierung führt die Widerlegbarkeit zu einer re1 Eingehend Seer in T/K, § 85 AO Rz. 6 ff. (Stand: Januar 2017). 2 In diese Richtung ebenfalls, wenn auch kritisch zu diesem Ansatz, Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 997 (Stand: November 2015). 3 So etwa beim, freilich unionsrechtlich determinierten, unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis nach § 14c UStG, BFH v. 18.1.2001 – V R 83/97, BFHE 194, 483 Rz. 40 zu § 14 Abs. 3 UStG 1980/91; bspw. auch bzgl. der zeitlichen Unvorhersehbarkeit der Außenprüfung BFH v. 2.10.1991 – X R 1/88, BStBl. II 1992, 274 Rz. 26. 4 Zu § 24 Abs. 4 und 5 BsGaV Tenberge, IWB 2017, 99 (105). 5 Wichtige Anwendungsbeispiele bei Seer in T/K, § 96 FGO Rz. 52 (Stand: Oktober 2011). 6 BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 Rz. 85 = FR 1990, 708. 7 Seer in T/K, § 96 FGO Rz. 59, 72 (Stand: Oktober 2011) m.w.N. 8 Zur Ermächtigung BT-Drucks. 17/10000, 66. 9 Bei der formellen Typisierung ist im Gegensatz zur materiellen die Vermutung widerleglich, eingehend zur Thematik Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 386 f. (Stand: Oktober 2011). 10 Zur Zulässigkeit von Typisierungen im Steuerrecht allgemein Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 389 ff. (Stand: Oktober 2011) m.w.N.; siehe zur typisierenden Betrachtungsweise Strahl, Die typisierende Betrachtungsweise im Steuerrecht, 1996. 11 Pahlke, DStR-Beih. 2011, 66 (71). 12 Zuletzt BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvL 11/14, DStR 2018, 791 Rz. 136 m.w.N.

Drüen 117

Kap. 4 Rz. 4.20 Verfassungsrechtliche Vorgaben für den AOA

gelmäßig niedrigeren Belastungswirkung. Die tatsächlichen Vermutungen der BsGaV greifen wirklichkeitsorientiert klar umrissene Tatsachen auf und ziehen daraus im Rahmen der Grenzen der allgemeinen Lebenserfahrung nachvollziehbare punktuelle Schlussfolgerungen. Die Erleichterungen in der rechtlichen Handhabung stehen insgesamt im rechten Maß zu den drohenden Belastungsmomenten.

4.21 Dotationskapital und Gleichbehandlung. Anlass für gleichheitsrechtliche Diskussionen1 bietet auch die Entscheidung der Finanzverwaltung, das Dotationskapital von in- und ausländischen Betriebsstätten einerseits nach der Kapitalaufteilungsmethode (§ 12 BsGaV), andererseits nach der Mindestkapitalausstattungsmethode (§ 13 BsGaV, s. dazu Rz. 8.24 ff.) zu ermitteln. Die Differenzierung wird rein fiskalisch begründet.2 Im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung wird allerdings schon die Frage einer relevanten Ungleichbehandlung zu stellen sein. Es erscheint fragwürdig, ob sich die Auslandsbetriebsstätte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen einerseits und der Inlandsbetriebsstätte eines beschränkt Steuerpflichtigen anderseits überhaupt wesentlich gleichen. Die Frage nach der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung stellt sich nur, wenn diese Ausgangsfrage bejaht wird. Ob diese verordnungsgeberische Differenzierung noch durch die Ermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG gedeckt ist, erscheint dagegen mehr als zweifelhaft (s. Rz. 4.22). 4.22 Hinreichend bestimmte Verordnungsermächtigung. Schließlich erscheint zweifelhaft, ob die BsGaV, insbesondere mit Blick auf die nach § 3 BsGaV verpflichtende Hilfs- und Nebenrechnung (s. dazu Rz. 7.7), von der Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 6 AStG hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsvorgaben des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG gedeckt ist.3 Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung in dem ermächtigenden Gesetz bestimmt werden. Dem Bestimmtheitserfordernis wird ausreichend Rechnung getragen, wenn sich Inhalt, Zweck und Ausmaß nach den allgemeinen Auslegungsregeln, insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Ermächtigungsnorm, ermitteln lassen.4 Die mit Blick auf die Komplexität und Vielschichtigkeit des Fremdvergleichsgrundsatzes an der Bestimmtheit von § 1 Abs. 6 AStG geäußerten Zweifel,5 werden

1 Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 466 (473); IDW, Stellungnahme v. 17.10.2013, 13; Strothenke/Holtrichter, StuB 2013, 730 (734); Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1112); Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 21.91. 2 Begründung zur BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 76 u. 80; kritisch Wellmann in FG Wassermeyer, 2015, S. 235 ff. Rz. 20. 3 Kritisch IDW, Stellungnahme v. 17.10.2013, 1 f.; Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 466 (473). 4 Zuletzt etwa BVerfG v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 Rz. 55; näher zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 54 ff. (Stand: Oktober 2011). 5 Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 211 (Stand: August 2017); allgemein die fehlende Bestimmtheit des § 1 Abs. 6 AStG rügend Ditz in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 42, 2013, S. 109 (139) und Nientimp/Ludwig, IWB 2013, 638 (639); kritisch bereits zur Vorgängerermächtigung § 1 Abs. 3 Satz 13 AStG a.F. Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 25.1 f. (Stand: März 2012).

118 Drüen

B. Verfassungsrechtliche Grund- und Einzelfragen des AOA

Rz. 4.22 Kap. 4

vor der insoweit großzügigen Rspr. des BVerfG1 wohl nicht durchdringen. Soweit sich die Ermächtigung generaliter auf die „Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes“ bezieht, kann auch insoweit zur Auslegung über die Gesetzesbegründung2 auf den OECD-Betriebsstättenbericht zurückgegriffen werden. Da die Gesetzesbegründung zudem die Aufstellung einer steuerlichen Hilfs- und Nebenrechnung nach den OECD-Grundsätzen explizit als beispielhaften Verordnungsgegenstand nennt, der eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes sicherstellen soll, ist der Bestimmtheitsgrundsatz auch insoweit gewahrt.3 Die Differenzierung in den Methoden zur Bestimmung des Dotationskapitals durch §§ 12 f. BsGaV entfernt sich hingegen, anders als in der Gesetzesbegründung4 vorgesehen, von den OECDGrundsätzen. Der OECD-Betriebsstättenbericht nennt die Mindestkapitalausstattungsmethode nicht als Standardmethode, sondern sieht in ihr eine spezielle Hilfsmethode für Banken5 und Versicherungen.6

1 2 3 4 5

Dazu näher und kritisch Drüen in T/K, § 4 AO Rz. 55 ff. (Stand: Oktober 2011). BT-Drucks. 17/10000, 66. BT-Drucks. 17/10000, 66. BT-Drucks. 17/10000, 66. Näher zum Dotationskapital für Bankbetriebsstätten Wilmanns in Fuhrmann3, § 1 AStG Rz. 607 ff.; eingehend Buchholz, Grenzüberschreitendes Kreditgeschäft durch Bankbetriebsstätten, 2014, S. 171 ff. 6 Link/Kredig, SAM 2015, 22 (26).

Drüen 119

Kapitel 5 AOA und der unionsrechtliche Rahmen A. Bedeutung des Unionsrechts . . . . 5.1

III. Kapitalverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . 5.26

B. Sekundärrecht

IV. Gleichheitsrechtlicher Schutz . . . . . 5.30

I. Mutter-Tochter-Richtlinie . . . . . . . . 5.6 II. Fusionsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 III. Zins- und Lizenzrichtlinie . . . . . . . . 5.10 IV. ATAD I und II . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12 V. Schiedsverfahrenskonvention und Streitbeilegungsrichtlinie . . . . . 5.19 C. Primärrecht I. Bedeutsame Grundfreiheiten . . . . . 5.21 II. Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . 5.22

V. Prinzip der freien Rechtsformwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.34 VI. Ausgewählte Fragen bei der unionsrechtlichen Besteuerung von Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.37 D. Beihilferecht I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 5.41 II. Ansatzpunkte für beihilferechtliche Verstöße bei der Besteuerung von Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . 5.43

Literatur: Buciek, Anmerkung zu BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, FR 2010, 896; Burgstaller/ Loukota, Der Steuerabzug beschränkt Steuerpflichtiger – Welche Konsequenzen hat der EuGH-Fall Gerritse?, SWI 2003, 244; Cordewener, Das EuGH-Urteil „Gerritse“ und seine Umsetzung durch das BMF-Schreiben vom 3.11.2003 – Steine statt Brot für die Besteuerungspraxis!, IStR 2004, 109; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, „Konvergenz“ des Gemeinschaftsrechts und „Kohärenz“ der direkten Steuern in der Rechtsprechung des EuGH, 2002; Cordewener/Dahlberg/Pistone/Reimer/Romano, ET 2004, 218; Dautzenberg, Anmerkung zu EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, FR 2000, 725; Dautzenberg, Anmerkung zu EuGH v. 28.4.1998 – C-118/96, FR 1998, 514; Dautzenberg, Anmerkung zu EuGH v. 29.4.1999 – C-311/97, FR 1998, 822; Dautzenberg, Anmerkung zu EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, FR 1997, 567; Dörr, Abschaffung oder Erweiterung der Organschaft?! Zu den möglichen Konsequenzen der Rechtssache „Marks and Spencer plc“, IStR 2004, 265; Dörr, Der Fall Marks and Spencer – europaweite Verlustberücksichtigung im Konzern?!, Der Konzern 2003, 604; Eilers/Schmidt, Diskriminierungsverbot gegenüber ausländischen EU-Kapitalgesellschaften nach dem EuGH-Urteil Saint Gobain vom 21.9.1999, DStR 1999, 1977; Grams/Molenaar, Zu den Schlussanträgen im Fall Gerritse, IStR 2003, 267; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Herzig/Wagner, Zukunft der Organschaft im EG-Binnenmarkt, DB 2005, 1; Kofler, Gerritse: Bruttobesteuerung beschränkt Steuerpflichtiger verstößt gegen die Dienstleistungsfreiheit, ÖStZ 2003, 266; Kofler/Schindler, „Dancing with Mr D“: The ECJ’s Denial of Most-FavouredNation Treatment in the „D“ case, ET 2005, 530; Linn, Die Beihilfeverfahren in Sachen Amazon, Apple, Fiat und Starbucks – Eine neue Dimension der Selektivität?, IStR 2015, 114; Mitschke, Anmerkung zu EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, IStR 2014, 111; Mitschke, Anmerkung zu EuGH v. 21.5.2015 – C-657/13, IStR 2015, 443; Musil, Anmerkung zu EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, FR 2012, 25; Musil, Anmerkung zu EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11, FR 2013, 370; Musil, Anmerkung zu EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, FR 2014, 466; Niemann, Neue Vorgaben zu Besteuerungsinkongruenzen im Zusammenhang mit Betriebsstätten („Branch Mismatch Arrangements“), IStR 2018, 52; Paetsch, Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt, 2004; Rainer, Anmerkung zu EuGH v. 18.7.2007 – C-231/05, IStR 2007, 635; Reuter/Klein, Erschüttert Gerritses Trommeln die deutsche Dividen-

Schnitger 121

Kap. 5 Rz. 5.1 AOA und der unionsrechtliche Rahmen denbesteuerung?, IStR 2003, 634; Scheunemann, Europaweite Verlustberücksichtigung im Konzern: Steine statt Brot durch die Schlussanträge des Generalanwalts Maduro vom 7.4.2005 im Fall Marks & Spencer?, IStR 2005, 303; Schnitger, Das Ende der Bruttobesteuerung beschränkt Steuerpflichtiger – Die Lehren der Rs. Gerritse, FR 2003, 745; Schnitger, Anmerkung zu EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, FR 2003, 84; Schnitger, Möglichkeit zur Präzisierung des europarechtlichen Prinzips der Rechtsformwahlfreiheit und Körperschaftsteuerguthaben für Betriebsstätten ausländischer Kapitalgesellschaften gemäß § 37 KStG – Vorlagenfrage an den EuGH in der Rs. CLT-UFA, IStR 2004, 821; Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, Anmerkungen zu den Vorgaben für die Hinzurechnungsbesteuerung nach der sog „Anti-BEPS-Richtlinie“, Systematische Würdigung der Implikationen für den deutschen Rechtskreis, IStR 2016, 960; Schön, Besteuerung im Binnenmarkt – die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern, IStR 2004, 289; Schuch, Gemeinschaftsrecht verschafft beschränkt Steuerpflichtigen Abkommensberechtigung, SWI 1999, 451; Seer, Beschränkte Steuerpflicht und Gemeinschaftsrecht, in Gassner/Lang/Lechner/Schuch/Staringer (Hrsg.), Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, 2004, S. 37; Seer/Kahler/Rüping/Thulfaut, Die Rechtsprechung des EuGH auf dem Gebiet der direkten Besteuerung in den Jahren 2003 und 2004, EWS 2005, 289; Stockmann, Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im deutschen internationalen Steuerrecht, 2000; Suhrbier-Hahn, Zum deutschen Verbot des Betriebsausgabenabzugs für Gebietsfremde, EuZW 2003, 464; von der Groeben/Schwarze/Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht – EUV, AEUV, GRC, 7. Auflage, 2015; Waterkamp-Faupel, Anmerkung zu EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, FR 1996, 666; Züger, Die Bedeutung von Diskriminierungsverboten für die Lösung von Zurechnungskonflikten bei Personengesellschaften, SWI 2001, 111.

A. Bedeutung des Unionsrechts 5.1 Eingeschränkte Harmonisierung. Der AEUV enthält anders als für die indirekten Steuern (Art. 113 AEUV) keinen ausdrücklichen Harmonisierungsauftrag für den Bereich der direkten Steuern durch sekundäres Gemeinschaftsrecht. Alle Richtlinien zur Harmonisierung des Ertragsteuerrechts basieren daher auf der allgemeinen Vorschrift des Art. 114 AEUV zur Errichtung eines Binnenmarkts. 5.2 Richtlinien im Bereich direkter Steuern. Selbst wenn die Bestrebungen zur Erreichung eines einheitlichen europäischen Steuersystems mitunter recht ambitioniert waren bzw. sind,1 wurden die direkten Steuern innerhalb des Gemeinschaftsgebiets lange Zeit kaum durch sekundärrechtliche Maßnahmen angeglichen. Namentlich waren bisher insbesondere die

1 Bericht des Steuer- und Finanzausschusses (Neumark-Bericht), 1962; Van den Tempel-Bericht (1970), RL-Vorschlag der Kommission v. 1.8.1975, ABl. EG 1975 Nr. C 253, 2 ff.; Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Parlament und den Rat über Leitlinien zur Unternehmensbesteuerung, BR-Drucks. 360/90; Kommission der Europäischen Gemeinschaft, Bericht des unabhängigen Sachverständigenausschusses zur Unternehmensbesteuerung (Ruding-Bericht), Luxemburg 1992; Mitteilung der Kommission v. 23.5.2001 zur Steuerpolitik in der Europäischen Union, ABl. EG 2001 Nr. C 284, 6 ff.

122 Schnitger

A. Bedeutung des Unionsrechts

Rz. 5.5 Kap. 5

– Mutter-Tochter-Richtlinie (vgl. Rz. 5.6 f.), – Fusionsrichtlinie (vgl. Rz. 5.8 f.) und – Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie (vgl. Rz. 5.10 f.). von Bedeutung. In jüngster Zeit zeigt sich auf europäischer Ebene jedoch in Folge des BEPS-Projekts ein verstärktes Bestreben zur Harmonisierung, wie etwa durch die: – Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken („Anti Tax Avoidance Directive“, „ATAD I“ bzw. „Anti-BEPS-Richtlinie“)1; – Änderungsrichtlinie zur ATAD bzgl. hybrider Gestaltungen mit Drittländern („ATAD II“)2; – Änderungsrichtlinie zur Amtshilferichtlinie bzgl. des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle3. Beachtlichkeit des Primärrechts. In Folge der eingeschränkten Harmonisierung der 5.3 direkten Steuern innerhalb der Gemeinschaft durch Sekundärrecht steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, ihr Steuerrecht autonom nach eigenen Vorstellungen auszugestalten. Dabei müssen jedoch die steuerlichen Regelungen der Mitgliedstaaten die durch das Primärrecht aufgestellten Vorgaben berücksichtigen.4 Grundfreiheiten und ihre Zielsetzung. Bedeutendster Bestandteil des für ertrag- 5.4 steuerliche Zwecke zu beachtenden Primärrechts sind die Grundfreiheiten. Diese haben zum Ziel, die Grundlagen zur Erreichung eines gemeinsamen Binnenmarkts zu schaffen, an denen sich ertragsteuerliche Vorschriften der Mitgliedstaaten messen lassen müssen. Beihilferecht. Das in den Art. 107 ff. AEUV geregelte Beihilferecht verbietet es den 5.5 Mitgliedstaaten, bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigungen zu gewähren, die den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen den Mit-

1 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 2 Änderungsrichtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1. 3 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates v. 25.5.2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/10/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustausches im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018 Nr. L 139, 1. 4 Vgl. EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 270/83, ECLI:EU:C:1986:37 Rz. 23 ff. – avoir fiscal; EuGH v. 28.1.1992 – C-204/90, ECLI:EU:C:1992:35 Rz. 10 ff. – Bachmann.

Schnitger 123

Kap. 5 Rz. 5.5 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

gliedstaaten beeinträchtigen.1 Damit dient das Beihilferecht ebenso wie die Grundfreiheiten des AEUV dazu, den rechtlichen Rahmen für einen einheitlichen Binnenmarkt zu setzen.

B. Sekundärrecht I. Mutter-Tochter-Richtlinie 5.6 Inhalt. Die Mutter-Tochter-Richtlinie 90/435/EWG2 bzw. mittlerweile 2011/96/EU3 (MTRL) hat zum Ziel, die steuerliche Mehrfachbelastung von Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat zu beseitigen. Hierzu ordnet Art. 5 MTRL einerseits an, dass der Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft keine Quellensteuern auf Gewinnausschüttungen erheben darf. Andererseits muss der Staat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, die Doppelbesteuerung in Bezug auf die Dividenden gem. Art. 4 Abs. 1 MTRL vermeiden, indem er entweder auf die Besteuerung verzichtet (Freistellungsmethode) oder die von der Tochtergesellschaft gezahlten Steuern auf die inländische Körperschaftsteuer anrechnet (indirekte Anrechnung). Voraussetzung für die Anwendung der Richtlinie ist gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a MTRL u.a. eine unmittelbare Beteiligung der Mutter- an der Tochtergesellschaft von mindestens 10 %. Weiterhin müssen die Unternehmen in der EU der Körperschaftsteuer unterliegen (Art. 2 Buchst. a Unterabs. iii MTRL), in einem EU-Mitgliedstaat steuerlich ansässig sein (Art. 2 Buchst. a Unterabs. ii MTRL) und eine der im Anhang zu der Richtlinie aufgelisteten Rechtsformen aufweisen (Art. 2 Buchst. a Unterabs. i MTRL). Darüber hinaus erlaubt die Richtlinie gem. Art. 3 Abs. 2 Buchst. b MTRL eine Einschränkung der Richtlinienvergünstigungen, wenn das betreffende Beteiligungsverhältnis nicht mindestens zwei Jahre besteht;4 diese Mindesthaltedauer kann allerdings auch nach der Dividendenausschüttung erfüllt werden.5 5.7 Bedeutung für Betriebsstätten. Nr. 9 der Erwägungsgründe der Richtlinie enthält (mittlerweile) den Grundsatz, dass Ausschüttungen von Gewinnen an eine Betriebsstätte einer Muttergesellschaft sowie deren Zufluss ebenso besteuert werden sollen, wie dies bei einer Beziehung zwischen Tochter- und Muttergesellschaft der Fall wäre. Dementsprechend ordnet Art. 4 Abs. 1 MTRL für den Betriebsstättenstaat die Ver1 Vgl. z.B. EuGH v. 8.11.2001 – C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598 Rz. 41 – Adria-Wien Pipeline u.a.; EuGH v. 6.9.2006 – C-88/03, ECLI:EU:C:2006:511 Rz. 54 – Portugal/Kommission; EuGH v. 15.11.2011 – verb. Rs. C-106/09 P u. C-107/09 P, ECLI:EU:C:2011:732 Rz. 75 – Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich – jeweils m.w.N. 2 V. 23.7.1990, ABl. EG 1990 Nr. L 225, 6. 3 V. 30.11.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8. 4 Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und in § 43b Abs. 2 Satz 4 EStG eine Mindesthaltedauer von zwölf Monaten vorgesehen. 5 Vgl. EuGH v. 17.10.1996 – verb. Rs. C-283/94, C-291/94 u. C-292/94, ECLI:EU:C:1996:387 – Denkavit.

124 Schnitger

B. Sekundärrecht

Rz. 5.9 Kap. 5

pflichtung zur Anwendung der Freistellungs- bzw. indirekten Anrechnungsmethode an. Dies gilt auch für den Fall, dass Mutter- und Tochtergesellschaft in demselben Mitgliedstaat ansässig sind, solange sich die Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Lediglich soweit Betriebsstätte und Tochtergesellschaft sich im selben Mitgliedstaat befinden, muss dieser betreffende Mitgliedstaat Ausschüttungen nicht gleichbehandeln. Als Betriebsstätte wird gem. Art. 2 Buchst. b MTRL jede feste Geschäftseinrichtung in einem Mitgliedstaat bezeichnet, durch die die Tätigkeit einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats ganz oder teilweise ausgeübt wird, sofern die Gewinne nach den jeweils geltenden DBA bzw. im Falle eines fehlenden DBA nach innerstaatlichem Recht steuerpflichtig sind. Etwaige in Mitgliedstaaten erhobene Quellensteuern auf Betriebsstätten (branch profit tax) werden durch die MTRL nicht angesprochen; hier bedarf es einer Anwendung der Grundfreiheiten, um deren Erhebung zu verhindern bzw. zu reduzieren (vgl. Rz. 5.21 ff.).

II. Fusionsrichtlinie Inhalt. Die Fusionsrichtlinie 2009/133/EG1 (FRL) über das gemeinsame Steuersys- 5.8 tem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat soll u.a. wettbewerbsneutrale Bedingungen für grenzüberschreitende Umwandlungen schaffen. Die Richtlinie ermöglicht steuerfreie grenzüberschreitende Transaktionen der oben genannten Vorgänge, indem die Besteuerung der stillen Reserven in dem Staat der übertragenden Gesellschaft bis zu deren tatsächlichen Realisierung aufgeschoben wird. Dementsprechend enthält Art. 4 Abs. 1 FRL den Grundsatz, dass die Fusion, Spaltung oder Abspaltung keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns ergeben darf. Das Vermögen wird dementsprechend gem. Art. 4 Abs. 4 FRL für Zwecke der Abschreibung oder späterer Wertsteigerungen oder Wertminderungen bei der übernehmenden Gesellschaft mit dem Wert, der dem Wertansatz bei der übertragenden Gesellschaft entspricht, fortgeführt (Buchwertfortführung) und damit etwaige vorhandene stille Reserven in der Bilanz übernommen. Zudem ordnet Art. 8 Abs. 1 FRL korrespondierend an, dass die Zuteilung von Anteilen der übernehmenden oder erwerbenden Gesellschaft an einen Gesellschafter der einbringenden oder erworbenen Gesellschaft gegen Anteile aufgrund einer Fusion, Spaltung oder des Austauschs der Anteile keine Besteuerung auslösen darf. Art. 8 Abs. 2 FRL enthält die gleiche Verpflichtung für den Fall der Abspaltung. Art. 8 Abs. 4 FRL sieht ebenso vor, dass der Gesellschafter die erworbenen Anteile mit dem Buchwert der hingegebenen Anteile fortführen muss. Bedeutung von Betriebsstätten. Die Betriebsstätte hat i.R. der Fusionsrichtlinie ei- 5.9 ne zentrale Bedeutung. Denn nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b FRL profitiert vom Buchwertansatz nur „übertragenes Aktiv- und Passivvermögen“, welches einer Betriebs1 Richtlinie 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009, ABl. EU 2009 Nr. L 310, 134.

Schnitger 125

Kap. 5 Rz. 5.9 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

stätte der übernehmenden Gesellschaft im Mitgliedstaat der übertragenden Gesellschaft nach der Umwandlung weiterhin zugerechnet wird. Mit anderen Worten erfolgt keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährung eines Buchwertansatzes, wenn Betriebsvermögen nicht in einer Betriebsstätte verhaftet bleibt. Folglich bleiben die Interessen des übertragenden Staats gewahrt, da auch nach Umwandlung das Besteuerungsrecht hinsichtlich der transferierten Wirtschaftsgüter für den Mitgliedstaat, in dem der Übertragende ansässig ist, erhalten bleiben muss. Für den Fall der Einbringung von Betriebsstätten geht Art. 10 Abs. 1 Satz 1 FRL davon aus, dass der Mitgliedstaat der einbringenden Gesellschaft grundsätzlich endgültig auf sein Besteuerungsrecht verzichtet. Dementsprechend können einerseits etwaige frühere grenzüberschreitend besteuerte Verluste nach Art. 10 Abs. 1 Satz 3 FRL wieder hinzugerechnet werden, soweit bisher noch keine Nachversteuerung vollzogen wurde. Andererseits erlaubt Art. 10 Abs. 2 FRL jedoch auch den Mitgliedstaaten, die die einbringende Gesellschaft mit dem Welteinkommen besteuern, einen durch die Umwandlung (eigentlich) entstehenden Umwandlungsgewinn zu besteuern, wenn dieser die ausländische Steuer anrechnet, welche im Fall eines Veräußerungsgewinns erhoben worden wäre (fiktive Steueranrechnung). Vergleichbare Bestimmungen finden sich hinsichtlich steuerlich transparenter Gesellschaften in Art. 11 FRL.

III. Zins- und Lizenzrichtlinie 5.10 Inhalt. Die Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie 2003/49/EG1 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ZLRL) hat zum Ziel, steuerliche Hindernisse in Verbindung mit der grenzüberschreitenden konzerninternen Zahlung von Zinsen und Lizenzgebühren zu beseitigen. Hierzu regelt die Richtlinie die Abschaffung von Quellensteuern auf Einkünfte in Form von Zinsen und Lizenzgebühren, die in einem Mitgliedstaat bei Zahlung an Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat anfallen. Die Voraussetzungen für die Anwendung der ZLRL sind mit denen der MTRL grundsätzlich in vielen Teilen vergleichbar (vgl. Art. 1 und 3 ZLRL sowie Rz. 5.6). Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen werden gem. Art. 3 Buchst. b ZLRL jedoch nur erfasst, wenn diese zwischen Mutter- und Tochterkapitalgesellschaft, Tochter- und Mutterkapitalgesellschaft oder zwischen unmittelbaren Schwesterkapitalgesellschaften geleistet werden, wobei jeweils eine unmittelbare Beteiligungsquote von mindestens 25 % bestehen muss. 5.11 Bedeutung für Betriebsstätten. In Art. 1 Abs. 1 ZLRL wird ausdrücklich festgeschrieben, dass die Verpflichtung zur Befreiung von Quellensteuern auch dann besteht, wenn der Nutzungsberechtigte der Zinsen oder Lizenzgebühren eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte eines Unternehmens eines Mitgliedstaats ist. Zudem regelt Art. 1 Abs. 3 ZLRL, dass eine Betriebsstätte als Zahler von Zinsen oder Lizenzgebühren gilt, soweit die Zahlung in dem Belegenheitsstaat der Betriebsstätte eine abzugsfähige Betriebsausgabe ist. Zahlungen von Zinsen und 1 Vgl. Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003, ABl. EU 2003 Nr. L 157, 49.

126 Schnitger

B. Sekundärrecht

Rz. 5.14 Kap. 5

Lizenzgebühren durch eine in einem Drittstaat belegene Betriebsstätte eines Unternehmens eines Mitgliedstaats werden hingegen gem. Art. 1 Abs. 8 ZLRL nicht von den Richtlinienvorgaben erfasst.

IV. ATAD I und II Mindeststandard. Mit der ATAD I1 wurde eine Richtlinie eingeführt, welche der 5.12 „Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken“ dient. Die Richtlinie hat damit grundsätzlich nicht zum Ziel, für die Steuerpflichtigen begünstigend zu wirken. Sie setzt stattdessen in verschiedenen Bereichen von den Mitgliedstaaten umzusetzende „Mindeststandards“ (Art. 3 ATAD). Die Richtlinie hat hierbei auch Bezugspunkte zur Besteuerung von Betriebsstätten. Am 10.12.2019 wurde ein Referentenentwurf für ein ATAD-Umsetzungsgesetz veröffentlicht.2 Regelungen zur Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Zinszahlungen („Zins- 5.13 schranke“). Art. 4 ATAD enthält Regelungen, die die Abzugsfähigkeit des Nettozinsaufwands vergleichbar zur Zinsschranke gem. § 4h EStG einschränken. Hiernach ist die Abzugsfähigkeit des Nettozinsaufwands auf 30 % der Erträge des Steuerpflichtigen vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) beschränkt. Zudem werden den Mitgliedstaaten Wahlrechte eingeräumt, Ausnahmen vom Abzugsverbot vorzusehen. Grundsätzlich gelten diese Regelungen gem. Art. 1 ATAD auch für Betriebsstätten, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, auch wenn das Stammhaus in einem Drittstaat ansässig ist. Das Bestehen einer Betriebsstätte schließt nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 3 ATAD weiterhin die Möglichkeit des uneingeschränkten Abzugs von Betriebsausgaben für ein „eigenständiges Unternehmen“ gem. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 ATAD aus. Steuerbefreite ausländische Betriebsstätteneinkünfte erhöhen zudem gem. Art. 4 Abs. 2 ATAD nicht das EBITDA als Rechengröße. Maßnahmen zur Wegzugsbesteuerung. In Art. 5 ATAD sind unter dem Titel „Über- 5.14 tragung von Vermögen und Wegzugsbesteuerung“ Vorgaben für eine Wegzugs- bzw. Entstrickungs- und Verstrickungsbesteuerung in den Mitgliedstaaten enthalten. Danach kommt es in den folgenden vier Konstellationen zu einer Besteuerung von in Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven: (1) Es werden vom Steuerpflichtigen Wirtschaftsgüter vom Stammhaus in eine in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland belegene Betriebsstätte überführt und der Mitgliedstaat des Stammhauses verliert das Besteuerungsrecht für die übertragenen Wirtschaftsgüter.

1 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 10.12.2019, derzeit abrufbar auf der Internetseite des BMF.

Schnitger 127

Kap. 5 Rz. 5.14 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

(2) Es werden vom Steuerpflichtigen Wirtschaftsgüter von der Betriebsstätte in das in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat belegene Stammhaus bzw. in die in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat belegene Betriebsstätte überführt und der Mitgliedstaat der übertragenden Betriebsstätte verliert das Besteuerungsrecht für die übertragenen Wirtschaftsgüter. (3) Es wird vom Steuerpflichtigen die Ansässigkeit in einen anderen Mitgliedstaat oder in ein Drittland verlegt; eine Besteuerung unterbleibt jedoch, soweit Wirtschaftsgüter weiterhin einer Betriebsstätte im vorherigen Sitzstaat steuerlich zuzurechnen sind. (4) Es wird vom Steuerpflichtigen die in seiner Betriebsstätte ausgeübte Geschäftstätigkeit von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat oder in einen Drittstaat übertragen; eine Besteuerung unterbleibt jedoch, soweit Wirtschaftsgüter weiterhin einer Betriebsstätte im vorherigen Betriebsstättenstaat steuerlich zuzurechnen sind. Weiterhin wird in Art. 5 Abs. 2 ATAD die Möglichkeit festgeschrieben, dass im Fall der Übertragung von Wirtschaftsgütern auf eine im EU- und EWR-Raum belegene Betriebsstätte und in bestimmten Fällen der Verlegung des Sitzes bzw. der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte die Zahlung der hierdurch entstandenen Steuer auf fünf jährliche Raten aufgeschoben werden kann, soweit mit dem betreffenden EWR-Staat aufgrund geschlossener Abkommen eine zu Richtlinie 2010/24/EU vergleichbare Vollstreckungshilfe besteht. Regelungen zur Verzinsung sowie Leistung von Sicherheiten im Fall des Steueraufschubs sind in Art. 5 Abs. 3 ATAD enthalten. Die weitere Zuordnung der Wirtschaftsgüter zu der Betriebsstätte ist zur Aufrechterhaltung des Steueraufschubs von grundlegender Bedeutung; andernfalls kann gem. Art. 5 Abs. 4 ATAD der Zahlungsaufschub beendet werden. Schließlich enthalten Art. 5 Abs. 5 und 6 ATAD Regelungen zum Wertansatz im aufnehmenden Betriebsstättenstaat zum Marktwert und Art. 5 Abs. 7 ATAD für die vorübergehende Überführung von Wirtschaftsgütern in spezifischen Fallkonstellationen.

5.15 Allgemeine Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch. In Art. 6 ATAD ist eine allgemeine Missbrauchsverhinderungsvorschrift enthalten, die Gestaltungen die Anerkennung versagt, deren wesentlicher Zweck im Erlangen eines steuerlichen Vorteils besteht und deren Ziel oder Zweck den ansonsten geltenden Steuerbestimmungen zuwiderläuft, sofern sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen vorgenommen wurden, die die wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Diese Vorschriften zur Verhinderung eines Missbrauchs sind gem. Art. 1 ATAD auch in Bezug auf Betriebsstätten, die in einem Mitgliedstaat belegen sind, anzuwenden, auch wenn das Stammhaus in einem Drittstaat ansässig ist. 5.16 Hinzurechnungsbesteuerung. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ATAD regelt als Grundtatbestand, wann die Hinzurechnungsbesteuerung greift, nämlich wenn

128 Schnitger

B. Sekundärrecht

Rz. 5.17 Kap. 5

– die Gewinne des beherrschten ausländischen Unternehmens im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen nicht der Steuer unterliegen oder steuerbefreit sind und – bestimmte Beteiligungsvoraussetzungen und eine Niedrigbesteuerung vorliegen. Ausländische Betriebsstätten können dabei als beherrschtes ausländisches Unternehmen qualifizieren. Der Begriff des „ausländischen Unternehmens“ umfasst also rechtsformneutral sowohl Unternehmen als auch Betriebsstätten, um eine Gleichbehandlung von beiden Niederlassungsformen zu erreichen. Zudem sollen gem. Art. 1 ATAD die Art. 7 und 8 ATAD für alle Steuerpflichtigen als Beteiligte gelten, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten körperschaftsteuerpflichtig sind. Dies umfasst die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten von Unternehmen, die steuerlich in einem Drittland ansässig sind.1 Es ist damit zu erwarten, dass auch die beschränkte Steuerpflicht in Form einer Betriebsstätte als Anknüpfungspunkt zukünftig ausreichen wird, um (entgegen dem bisherigen Erfordernis der unbeschränkten Steuerplicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG) die persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 7 ff. AStG nach Umsetzung der ATAD zu erfüllen.2 OECD-Aktionspunkt 2 – „Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrange- 5.17 ments“. Da der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 2 aus 20153 nur Qualifikationskonflikte betrifft, die durch den Einsatz hybrider Finanzinstrumente oder hybrider Gesellschaften entstehen, hat die OECD in 2017 einen Bericht zur Behandlung von Qualifikationskonflikten bei Betriebsstätten veröffentlicht.4 Hier nennt die OECD folgende Gestaltungen unter Einsatz von Betriebsstätten, die einen Qualifikationskonflikt bewirken können: (1) Unberücksichtigte Betriebsstätten-Strukturen (disregarded branch structures), (2) Umgeleitete Betriebsstätten-Zahlungen (diverted branch payments), (3) Fiktive Betriebsstätten-Zahlungen (deemed branch payments),

1 Vgl. auch Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 2 – Erwägungsgrund (4). 2 Weiterführend Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 ff. 3 OECD, Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen, Aktionspunkt 2 – Abschlussbericht 2015, abrufbar unter https://read.oecd-ilibrary.org/taxation/neutralisierung-der-effek te-hybrider-gestaltungen-aktionspunkt-2-abschlussbericht-2015_9789264263185-de# page1. 4 OECD (2017), Neutralising the Effects of Branch Mismatch Arrangements, Action 2 – Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, http://dx.doi.org/10.1787/9789264278790-en. Im Referentenentwurf vom 10.12.2019 für ein ATAD-Umsetzungsgesetz ist in § 7 Abs. 1 Satz 4 AStG-E die Anwendung auf beschränkt Steuerpflichtige vorgesehen (s. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie [ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG] v. 10.12.2019, derzeit abrufbar auf der Internetseite des BMF).

Schnitger 129

Kap. 5 Rz. 5.17 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

(4) DD-Betriebsstätten-Zahlungen (DD branch payments), (5) Importierte Betriebsstätten-Inkongruenzen (imported branch mismatches). Für diese Anwendungsfälle unterbreitet die OECD verschiedene Vorschläge zur Neutralisierung von Qualifikationskonflikten, welche je nach Kategorie eine Berücksichtigung der Einkünfte im Staat des Empfängers oder die Versagung des Betriebsausgabenabzugs im Staat des Zahlenden vorsehen.1

5.18 ATAD II. Auch auf europäischer Ebene gibt es in Form der ATAD II2 Vorgaben für die Mitgliedstaaten, welche unerwünschten Besteuerungsfolgen vorbeugen sollen, die aus einem Qualifikationskonflikt unter Einsatz von Betriebsstätten resultieren. Hier wird im Einzelnen unterschieden zwischen: – diverted branch payments (vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 Buchst. c ATAD II); – disregarded branch structures (vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 Buchst. d i.V.m. Unterabs. 3 Buchst. n ATAD II) und – deemed branch payments (vgl. Art. 2 Abs. 9 Unterabs. 1 Buchst. f ATAD II). Für diese Gestaltungen kommt die allgemeine Regelung für die Behandlung sog. Deduction/Non-Inclusion (sog. D/NI-Ergebnisse) zur Anwendung, wonach vorrangig im Staat des Zahlenden der Betriebsausgabenabzug zu versagen ist (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a ATAD II). Wendet der Staat des Zahlenden Art. 9 Abs. 2 Buchst. a ATAD II nicht an (z.B. weil es sich beim Betriebsstättenstaat um einen Drittstaat handelt), ist der Staat des Zahlungsempfängers verpflichtet, die Einkünfte nach der Abwehrregel des Art. 9 Abs. 2 Buchst. b ATAD II steuerlich zu berücksichtigen. Weiterhin sieht Art. 9 Abs. 5 ATAD II eine spezielle Regelung vor, welche den Ansässigkeitsstaat verpflichtet, Zahlungen steuerlich zu berücksichtigen, soweit eine hybride Gestaltung zu Einkünften einer unberücksichtigten Betriebsstätte führt, die im Stammhausstaat nicht der Besteuerung unterliegen würden. Im Referentenentwurf vom 10.12.2019 für ein ATAD-Umsetzungsgesetz3 ist die zentrale Norm zur Umsetzung der ATAD II § 4k EStG-E sowie die Ergänzungen von § 50d Abs. 9 EStG-E.

V. Schiedsverfahrenskonvention und Streitbeilegungsrichtlinie 5.19 Inhalt. Die Schiedsverfahrenskonvention4 (SchiedsÜ) ist ein multilaterales Abkommen, das sich automatisch um jeweils weitere fünf Jahre verlängert, falls kein Ein1 Vgl. weiterführend z.B. Niemann, IStR 2018, 52 ff. 2 Änderungsrichtlinie (EU) 2017/952 des Rates vom 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1. 3 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG) v. 10.12.2019, derzeit abrufbar auf der Internetseite des BMF. 4 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen RL 90/436/EWG v. 23.7.1990, ABl. EG 1990

130 Schnitger

C. Primärrecht

Rz. 5.21 Kap. 5

spruch erhoben wird (Art. 20 SchiedsÜ i.d.F. des Änderungsprotokolls aus 19991). Die Schiedsverfahrenskonvention soll einheitliche Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen innerhalb der EU gewährleisten, indem diese nicht vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichen dürfen (Art. 4 Abs. 1 SchiedsÜ). Soweit unterschiedliche Auslegungen über den Fremdvergleichsgrundsatz bestehen, kann ein Verständigungsverfahren gem. Art. 6 SchiedsÜ und nachfolgend ein Schlichtungsverfahren gem. Art. 7 SchiedsÜ eingeleitet werden. Die Streitbeilegungsrichtlinie2 ergänzt zudem den Rechtsschutz und sieht ein Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union vor. Bedeutung für Betriebsstätten. Nach Art. 4 Abs. 2 SchiedsÜ wird auch die Ge- 5.20 winnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vom Anwendungsbereich der Schiedsverfahrenskonvention erfasst. Dabei erfolgt eine Zurechnung der Gewinne zu der Betriebsstätte, „die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte und im Verkehr mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.“ Nach Nr. 7 der Präambel der Streitbeilegungsrichtlinie geht deren Anwendungsbereich „über denjenigen des Übereinkommens der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung [hinaus], der sich auf Streitigkeiten über Verrechnungspreise und über die Zuweisung von Gewinnen an Betriebsstätten beschränkt.“ Im Umkehrschluss ergibt sich, dass die Streitbeilegungsrichtlinie auch für Streitigkeiten über die Gewinnabgrenzung gilt.

C. Primärrecht I. Bedeutsame Grundfreiheiten Grundfreiheiten. Die unionsrechtliche Grundlage für die Gleichbehandlung grenz- 5.21 überschreitender und innerstaatlicher Sachverhalte stellen die Grundfreiheiten des AEUV dar. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Besteuerung von Betriebsstätten sind insbesondere von Bedeutung: – die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV (vgl. Rz. 5.22 ff.) und – der freie Kapital- und Zahlungsverkehr gem. Art. 63 AEUV (vgl. Rz. 5.26 ff.).

Nr. L 225, 10 – auch bezeichnet als EU-Schiedsübereinkommen, Schiedsabkommen bzw. Schiedsverfahrenskonvention. 1 Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 23.7.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, ABl. EG 1999 Nr. C 202, 1. 2 Richtlinie (EU) 2017/1852 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, ABl. EU 2017 Nr. L 265, 1.

Schnitger 131

Kap. 5 Rz. 5.22 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

II. Niederlassungsfreiheit 5.22 Gewährleistungsinhalt. Die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV erlaubt es den Unionsbürgern, in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Betätigung neu aufzunehmen (primäre Niederlassungsfreiheit). Daneben gewährleistet sie auch, dass Unternehmen eine Betriebsstätte oder feste Einrichtung (oder eine beherrschte Tochterkapitalgesellschaft) in einem anderen Mitgliedstaat ohne gleichheitsrechtliche Beschränkung errichten bzw. unterhalten dürfen (vgl. Rz. 5.23). 5.23 Schutz der festen Einrichtung. Zur Anwendung der Niederlassungsfreiheit muss in Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit für den Steuerpflichtigen eine „feste Einrichtung“ in einem anderen Staat bestehen, was abstrakt formuliert eine Integration des Wirtschaftsteilnehmers in eine nationale Volkswirtschaft bedeutet.1 Dies liegt im Fall einer „festen, dauerhaften Einrichtung“2 in einem anderen Mitgliedstaat vor (d.h., es ist sowohl ein zeitliches als auch ein örtliches Element erforderlich, um in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit zu gelangen). Inwieweit eine dauerhafte Einrichtung unionsrechtlich vorliegt, ist unter Berücksichtigung der „Häufigkeit, regelmäßige[n] Wiederkehr oder Kontinuität“ von Leistungen in einem anderen Staat im Einzelfall zu bestimmen.3 5.24 Abgrenzung zum Begriff der Betriebsstätte. Damit besteht eine hohe Ähnlichkeit zum steuerlichen Begriff der Betriebsstätte und in einer Vielzahl der Fälle sollten beide Begriffe identisch sein. Dennoch genügt der Betriebsstättenbegriff nicht in allen Fällen dem Erfordernis der wirtschaftlichen Integration im Aufnahmestaat. So wird z.B. die zeitlich begrenzte Durchführung von Bauprojekten nicht als dauerhafte Einrichtung angesehen,4 so dass die in § 12 Satz 2 Nr. 8 AO sowie Art. 5 Abs. 3 OECD-MA vorgesehenen Baubetriebsstätten oftmals nicht unter der Maßgabe der Niederlassungs-, sondern der Dienstleistungsfreiheit zu betrachten sind. Auch wird die Ausnahme bestimmter (Hilfs-)Funktionen gem. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA aufgrund des weiten Tatbestandsmerkmals für Zwecke der Niederlassungsfreiheit dem Vorliegen einer „festen Einrichtung“ im unionsrechtlichen Sinne nicht entgegenstehen. Schließlich können der abhängige Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA sowie der unabhängige Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 6 OECD-MA ebenso eine Niederlassung begründen.5 5.25 Ständiger Vertreter. Der ständige Vertreter gem. § 13 AO bzw. der abhängige Vertreter i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA (zu Änderungen des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA vgl. Rz. 2.86) kann eine feste Einrichtung i.S.d. Niederlassungsfreiheit begründen. Nach 1 EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Darmon v. 7.6.1988 – Rs. 81/87, ECLI:EU:C: 1988:286 Rz. 3 – Daily Mail; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Léger v. 20.6.1995 – C-55/94, ECLI:EU:C:1995:194 Rz. 19 – Gebhard. 2 EuGH v. 15.2.1996 – C-53/95, ECLI:EU:C:1996:58 Rz. 8 – Inasti/Kemmler. 3 EuGH v. 30.11.1995 – C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411 Rz. 27 – Gebhard. 4 Vgl. Tiedje in von der Groeben/Schwarze/Hatje7, Art. 49 AEUV Rz. 14 mit Hinweis auf EuGH v. 25.10.2001 – C-493/99, ECLI:EU:C:2001:578 – Kommission/Deutschland. 5 Vgl. EuGH v. 4.12.1986 – Rs. 205/84, ECLI:EU:C:1986:463 Rz. 21 – Kommission/Deutschland.

132 Schnitger

C. Primärrecht

Rz. 5.28 Kap. 5

Ansicht des EuGH ist es nicht bedeutsam, ob die Präsenz „lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, das von dem eigenen Personal des Unternehmens oder von einer Person geführt wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln“1. Für ein Unternehmen, welches unabhängige Vertreter einsetzt, ist hingegen nicht ohne Weiteres von einer Eröffnung des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit auszugehen.2

III. Kapitalverkehrsfreiheit Gewährleistungsinhalt. Die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit gem. Art. 63 5.26 AEUV hat die Verhinderung aller Beschränkungen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs, d.h. der aktiven Kapitalanlage und der passiven Kapitalaufnahme, zum Gegenstand.3 Keine Bereichsausnahme für das Steuerrecht gem. Art. 65 Abs. 1 Buchst. a 5.27 AEUV. Zwar sieht Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV vor, dass die Kapitalverkehrsfreiheit „nicht das Recht der Mitgliedstaaten [berührt], die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln“. Dennoch ist durch die Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift nur im Zusammenhang mit Art. 65 Abs. 3 AEUV gesehen werden kann, nach dem steuerliche Vorschriften weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch zur verschleierten Beschränkung des Kapitalverkehrs darstellen dürfen (d.h., es besteht keine Bereichsausnahme für das Steuerrecht).4 Definition des Kapitalverkehrs nach der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG. 5.28 Als Kapitalverkehr qualifiziert jede Übertragung von Geld- und Sachkapital zu Anlagezwecken. Die Rechtsprechung des EuGH5 stützt sich zur weiteren Konkretisierung der Definition des Kapitalverkehrs insbesondere auf den Anhang I der nicht abschließenden Nomenklatur von Kapitalverkehrsgeschäften der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG.6 Auf der Grundlage dieser Nomenklatur werden insbesondere auch Direktinvestitionen geschützt.

1 Vgl. EuGH v. 4.12.1986 – Rs. 205/84, ECLI:EU:C:1986:463 Rz. 21 – Kommission/Deutschland. 2 Vgl. EuGH v. 17.7.1997 – C-190/95, ECLI:EU:C:1997:374 Rz. 18 ff. – ARO Lease; EuGH v. 7.5.1998 – C-390/96, ECLI:EU:C:1998:206 Rz. 22 ff. – Lease Plan. 3 Vgl. zum Schutz der aktiven Kapitalanlage z.B. EuGH v. 7.9.2004 – C-319/02, ECLI:EU:C: 2004:484 Rz. 22 – Manninen. Zum Schutz der passiven Kapitalanlage vgl. EuGH v. 14.11.1995 – C-484/93, ECLI:EU:C:1995:379 Rz. 10 – Svensson und Gustavsson. 4 EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294 Rz. 44 f., FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg – Verkooijen. 5 Vgl. EuGH v. 14.12.1995 – C-163/94, C-165/94 u. C-250/94 – Sanz de Lera u.a., Slg. 1995, I-4821, Rz. 34; EuGH v. 6.6.2000 – C-35/98, ECLI:EU:C:2000:294 Rz. 27, FR 2000, 720 m. Anm. Dautzenberg – Verkooijen; EuGH v. 3.10.2006 – C-452/04, ECLI:EU:C:2006:631 Rz. 42 – Fidium Finanz AG. 6 RL 88/361/EWG v. 24.6.1998, ABl. EG 1988 Nr. Nr. L 178, 5 ff.

Schnitger 133

Kap. 5 Rz. 5.29 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

5.29 Schutz des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten. Die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 Abs. 1 AEUV schützt dem ausdrücklichen Wortlaut nach nicht nur den Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft, sondern auch den Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten.1 Der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit wird in Bezug auf die Besteuerung von Betriebsstätten jedoch regelmäßig dadurch eingeschränkt, dass die in territorialer Hinsicht enger gefasste Niederlassungs- die Kapitalverkehrsfreiheit verdrängt.2

IV. Gleichheitsrechtlicher Schutz 5.30 Diskriminierungsverbot. Die Grundfreiheiten des AEUV sehen zunächst ein Verbot der Diskriminierung von Steuerausländern im Quellenstaat vor („Inbound-Investments“). Dadurch werden ausländische Unionsbürger im Rahmen der Ausübung ihrer grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Betätigung vor einer ungleichen Besteuerung im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht durch einen anderen Mitgliedstaat geschützt. 5.31 Beschränkungsverbot (i.w.S.). Das Beschränkungsverbot (i.w.S.) sieht vor, dass Inländer bei der Ausübung der Grundfreiheiten seitens des Herkunftsstaats nicht in gleichheitsrechtlich unzulässiger Art und Weise steuerlich schlechter behandelt werden dürfen.3 Das heißt, insoweit wirkt das Beschränkungsverbot spiegelbildlich zum Diskriminierungsverbot in einer gleichheitsrechtlichen Ausgestaltung für die Wegzugs- und Exportfälle („Outbound-Investments“).4 5.32 Offene und versteckte Diskriminierungen. Das den Grundfreiheiten des AEUV innewohnende Diskriminierungsverbot verbietet zunächst eine Schlechterbehandlung in Abhängigkeit von der Staatsangehörigkeit (d.h. bei Kapitalgesellschaften in Abhängigkeit vom Sitz). Daneben ist in der Rechtsprechung aber bereits seit geraumer Zeit geklärt, dass die für steuerliche Zwecke bedeutsamere Unterscheidung nach anderen Kriterien, wie z.B. dem Wohnsitz oder dem Ort der Geschäftsleitung, gleichfalls als „versteckte“ Diskriminierung unionsrechtlich verboten ist, wenn hierdurch im Wesentlichen oder ganz überwiegend Staatsangehörige anderer Staaten von der steuerlichen Schlechterbehandlung betroffen sind.5 Dementsprechend ist ei-

1 Z.B. EuGH v. 12.12.2006 – C-446/04, ECLI:EU:C:2006:774 Rz. 166 ff. – Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation; EuGH v. 24.5.2007 – C-157/05, ECLI:EU:C: 2007:297 Rz. 99 ff. – Hölbock. 2 Vgl. EuGH v. 6.11.2007 – C-415/06, ECLI:EU:C:2007:651 – Stahlwerk Ergste. 3 Z.B. EuGH v. 13.4.2000 – C-251/98, ECLI:EU:C:2000:205 Rz. 29 f., FR 2000, 573 – Baars. 4 EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed v. 23.2.2006 – C-374/04, ECLI:EU:C: 2006:139 Rz. 36 – Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation. 5 EuGH v. 12.2.1974 – Rs. 152/73, ECLI:EU:C:1974:13 Rz. 11 – Sotgiu; EuGH v. 23.5.1996 – C-237/94, ECLI:EU:C:1996:206 Rz. 18 – O’Flynn; EuGH v. 8.5.1990 – C-175/88, ECLI: EU:C:1990:186 Rz. 14 – Biehl; EuGH v. 13.7.1993 – C-330/91, ECLI:EU:C:1993:303 Rz. 14 ff. – Commerzbank.

134 Schnitger

C. Primärrecht

Rz. 5.35 Kap. 5

ne Unterscheidung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des AEUV zu überprüfen.1 Bindung für Ansässigkeits- und Quellenstaaten. Da die Grundfreiheiten des AEUV 5.33 ein Diskriminierungsverbot enthalten (vgl. Rz. 5.30), richten sich diese unzweifelhaft auch an den Quellenstaat, wenn dieser gleichzeitig Aufnahmestaat ist. Dieser muss eine grundfreiheitsrechtskonforme Besteuerung gewährleisten.2 Daneben darf aber auch der Ansässigkeits- bzw. Herkunftsstaat die Ausübung grenzüberschreitender Betätigungen nicht über steuerliche Vorschriften in einer unzulässigen Art und Weise behindern.3 Schließlich dürfen aber auch Quellenstaaten, in denen sich ein Unionsbürger nicht unmittelbar niederlässt, keine diskriminierenden oder beschränkenden steuerlichen Vorschriften erlassen.4

V. Prinzip der freien Rechtsformwahl Ausrichtung. Das Prinzip der freien Rechtsformwahl erweitert die klassische Diskri- 5.34 minierungsprüfung, welche eigentlich einen Vergleich der Besteuerung grenzüberschreitender und innerstaatlicher Vorgänge vornimmt (vgl. Rz. 5.30 f.). Stattdessen hat das Prinzip der freien Rechtsformwahl den Vergleich der Besteuerung verschiedener grenzüberschreitender Niederlassungsformen, namentlich von Tochtergesellschaften und Betriebsstätten, zum Gegenstand. Daher wird terminologisch auch von einer Erweiterung der „vertikalen“ hin zu einer „horizontalen“ Vergleichspaarbildung gesprochen. Rechtsprechung. Das Prinzip der freien Rechtsformwahl wurde erstmals in den 5.35 Rechtssachen avoir fiscal5 und St.-Gobain6 in der Rechtsprechung erwähnt.7 Insbesondere im Vorfeld der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Marks & Spencer wurde die Möglichkeit eines horizontalen Vergleichs der Besteuerung ausländischer Tochterkapitalgesellschaften und Betriebsstätten in der Literatur diskutiert.8 Generalanwalt Maduro wendete sich dann in seinen Schlussanträgen in der Rechts1 EuGH v. 13.7.1993 – C-330/91, ECLI:EU:C:1993:303 Rz. 15 – Commerzbank; EuGH v. 12.4.1994 – C-1/93, ECLI:EU:C:1994:127 Rz. 15 – Halliburton. 2 EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 Rz. 35 – Saint-Gobain. 3 EuGH v. 16.7.1998 – C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 Rz. 35 – ICI; EuGH v. 16.7.1998 – EuGH v. 28.4.1998 – C-118/96, ECLI:EU:C:1998:170 Rz. 23 f., FR 1998, 514 m. Anm. Dautzenberg – Safir. 4 EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 Rz. 59 – Saint-Gobain; EuGH v. 5.11.2002 – C-466/98, ECLI:EU:C:2002:624 Rz. 46 und 50 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 5 Vgl. EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 270/83, ECLI:EU:C:1986:37 Rz. 22 – avoir fiscal. 6 Vgl. EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 Rz. 42 f. – Saint-Gobain. 7 Vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 832; Dörr, Der Konzern 2003, 604 (607); Cordewener/Dahlberg/Pistone/Reimer/Romano, ET 2004, 218 (230); Scheunemann, IStR 2005, 303 (304); Kofler/Schindler, ET 2005, 530 (531). 8 Vgl. Stockmann, Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im deutschen internationalen Steuerrecht, S. 210; Dörr, IStR 2004, 265 (271); Schnitger, IStR 2004, 821 (827); Paetsch,

Schnitger 135

Kap. 5 Rz. 5.35 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

sache Marks & Spencer gegen die Anwendung des Prinzips der freien Rechtsformwahl i.R. der Niederlassungsfreiheit, so dass man diesem eigentlich keine hohen Erfolgsaussichten mehr einräumen konnte.1 Sowohl Generalanwalt Léger2 in seinen Schlussanträgen als auch der EuGH3 in seinem Urteil in der Rechtssache CLT-UFA wendeten den horizontalen Prüfungsansatz des Prinzips der freien Rechtsformwahl in einem Inbound-Fall erneut an. Später nutzte der EuGH in der Rechtssache X Holding jedoch die Möglichkeit, klarzustellen, dass „sich Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat und gebietsfremde Tochtergesellschaften […] im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nicht in einer vergleichbaren Situation befinden […] und der Herkunftsmitgliedstaat somit nicht verpflichtet [ist], gebietsfremde Tochtergesellschaften ausländischen Betriebsstätten steuerlich gleichzustellen“.4

5.36 Keine Bedeutung. Ausgehend von der vorangehend beschriebenen Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass das Prinzip der freien Rechtsformwahl bei der unionsrechtlichen Beurteilung der Besteuerung ausländischer Betriebsstätten im Vergleich zu ausländischen Tochterkapitalgesellschaften keine besondere Bedeutung hat. Für die Beurteilung der Besteuerung inländischer Betriebsstätten im Vergleich zu der Besteuerung inländischer Tochterkapitalgesellschaften verbleibt es sodann bei der klassischen Diskriminierungsprüfung, die eine grundsätzliche Gleichbehandlung gebietet.

VI. Ausgewählte Fragen bei der unionsrechtlichen Besteuerung von Betriebsstätten 5.37 Ermittlung der sachlichen Bemessungsgrundlage und Steuersatz. In der Rechtsprechung zu Steuernormen, die die sachliche Steuerpflicht (also die Ermittlung der Einkünfte ohne Berücksichtigung persönlicher Merkmale, wie z.B. eines Grundfreibetrags) betrifft, nimmt der EuGH die Vergleichbarkeit von Betriebsstätten ausländischer Körperschaften mit inländischen Körperschaften sowie ein daraus folgendes Gleichbehandlungsgebot fast ausschließlich an. So wurde z.B. entschieden, dass auch Betriebsstätten innerstaatliche (Rechtssache avoir fiscal)5 oder grenzüberschreitende Schachtelprivilegien (Rechtssache Saint-Gobain)6 zu gewähren sind. Ebenso

1 2 3 4 5 6

Grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung im Europäischen Binnenmarkt, S. 106 f.; Herzig/Wagner, DB 2005, 1 (2). Vgl. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Maduro v. 7.4.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:201 Rz. 49 – Marks & Spencer. Vgl. EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Léger v. 14.4.2005 – C-253/03, ECLI:EU:C:2005:227 Rz. 75 – CLT-UFA. Vgl. EuGH v. 23.2.2006 – C-253/03, ECLI:EU:C:2006:129 Rz. 15, FR 2006, 590 – CLTUFA. Vgl. EuGH v. 25.2.2010 – C-337/08, ECLI:EU:C:2010:89 Rz. 40 – X Holding. Vgl. EuGH v. 28.1.1986 – Rs. 270/83, ECLI:EU:C:1986:37 Rz. 20 – avoir fiscal. EuGH v. 21.9.1999 – C-307/97, ECLI:EU:C:1999:438 Rz. 47 – Saint-Gobain. Hierzu auch Schuch, SWI 1999, 451; Eilers/Schmidt, DStR 1999, 1977 (1979); Züger, SWI 2001, 111 (117 f.).

136 Schnitger

C. Primärrecht

Rz. 5.38 Kap. 5

muss für Steuerausländer der Abzug von Betriebsausgaben (Rechtssache Gerritse)1 möglich sein, was jedoch bei der Besteuerung von Betriebsstätten regelmäßig der Fall ist. Weiterhin muss für beschränkt Steuerpflichtige der gleiche Steuersatz (Rechtssache Royal Bank of Scotland und Rechtssache Asscher)2 wie für Steuerinländer gelten. Entstrickungsbesteuerung bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine 5.38 ausländische Betriebsstätte. Im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte stellt sich die Frage, ob eine Entstrickungsbesteuerung einen unionsrechtswidrigen Eingriff in die Grundfreiheiten des AEUV bzw. die Niederlassungsfreiheit begründet. Die unionsrechtlichen Bedenken basieren hierbei insbesondere auf der vorgezogenen Besteuerung der stillen Reserven, die einen Liquiditätsnachteil begründet, welcher geeignet ist, einen unionsrechtswidrigen Eingriff in die Grundfreiheiten des AEUV zu begründen.3 Der EuGH hatte folglich in seiner früheren Rechtsprechung in der vorzeitigen Steuerfestsetzung einen nicht akzeptablen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit angenommen.4 Hiervon wich der EuGH in der Rechtssache N dann jedoch teilweise unter Berufung auf die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten ab.5 Zur Frage, ob auch eine vorzeitige Steuererhebung zulässig ist, äußerte sich der EuGH jedoch nicht. In der Rechtssache National Grid Indus6 sah der EuGH zudem eine vorzeitige Steuerfestsetzung nicht realisierter stiller Reserven als unionsrechtlich zulässig an, da die Festsetzung der Steuer für den Steuerpflichtigen noch keine Belastung darstelle. Da aber eine sofortige Einziehung der Steuer keine verhältniswahrende Maßnahme zur Erreichung der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsrechte sei, müsse Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit eingeräumt werden, die vorzeitige Erhebung der Steuer aufzuschieben. In der Rechtssache DMC Beteiligungsgesellschaft mbH wurde zudem festgestellt, dass die Möglichkeit zur Streckung der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns über einen Zeit1 Vgl. EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01, ECLI:EU:C:2003:340 Rz. 27 – Gerritse. Hierzu auch Grams/Molenaar, IStR 2003, 267 ff.; Suhrbier-Hahn, EuZW 2003, 464 f.; Burgstaller/Loukota, SWI 2003, 244 ff.; Cordewener, IStR 2004, 109 ff., Kofler, ÖStZ 2003, 266 ff.; Schnitger, FR 2003, 745 ff.; Seer in Gassner u.a. (Hrsg.) Die beschränkte Steuerpflicht im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht (2004), S. 37 (47 ff.); Reuter/Klein, IStR 2003, 634 ff.; Seer/Kahler/Rüping/Thulfaut, EWS 2005, 289 (291 ff.). 2 Vgl. EuGH v. 29.4.1999 – C-311/97, ECLI:EU:C:1999:216 Rz. 28 f., FR 1999, 822 m. Anm. Dautzenberg – Royal Bank of Scotland; EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C: 1996:251 Rz. 48, FR 1996, 666 m. Anm. Waterkamp-Faupel – Asscher. 3 Bereits EuGH v. 8.3.2001 – verb. Rs. C-397/98 u. C-410/98, ECLI:EU:C:2001:134 Rz. 52 ff. – Metallgesellschaft u.a.; EuGH v. 8.6.2004 – C-268/03, ECLI:EU:C:2004:342 Rz. 24 – De Baeck. Kritisch hingegen EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Maduro v. 7.4.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:201, FR 20065, 177 – Marks & Spencer, wonach ein Verlustvortrag bei ausländischen Tochterkapitalgesellschaften zur „Behebung“ eines Grundfreiheitsverstoßes ausreiche. 4 EuGH v. 21.11.2002 – C-436/00, ECLI:EU:C:2002:704 Rz. 38, FR 2003, 84 m. Anm. Schnitger – X und Y AB; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 Rz. 69, FR 2004, 659 – de Lasteyrie du Saillant. 5 EuGH v. 7.9.2006 – C-470/04, ECLI:EU:C:2006:525 Rz. 46, FR 2006, 1128 – N. 6 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 Rz. 81 ff., FR 2012, 25 m. Anm. Musil – National Grid Indus.

Schnitger 137

Kap. 5 Rz. 5.38 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

raum von fünf Jahren den unionsrechtlichen Anforderungen genügt.1 Dementsprechend sollte wohl auch die durch § 4g EStG eingeräumte Möglichkeit der auf fünf Jahre gestaffelten Steuererhebung als verhältniswahrende Maßnahme erachtet werden.2 Damit sollte die deutsche Entstrickungsbesteuerung unter Berücksichtigung des § 4g EStG den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen.

5.39 Finale ausländische Betriebsstättenverluste. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergab sich lange Zeit der Grundsatz, dass es unter bestimmten Konstellationen eine Verpflichtung zur Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste geben kann.3 Nach den Grundsätzen der Entscheidung in der Rechtssache Marks & Spencer konnte die fehlende Verlustberücksichtigung jedoch durch die Verhinderung der doppelten Verlustnutzung, Vermeidung der Steuerumgehung und Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gerechtfertigt sein.4 Lediglich finale Verluste waren danach zu berücksichtigen. Diese Rechtsprechung wurde trotz mehrfacher Versuche verschiedener Generalanwälte nicht grundlegend aufgegeben.5 Gleichwohl ergaben sich daraus faktische Einschränkungen, dass nur solche Verluste, die eine wirtschaftliche Finalität erleiden, berücksichtigt werden müssen.6 Eine rechtliche Finalität wurde z.B. bei der fehlenden Nutzung von Verlusten in Folge der zeitlichen Begrenzung eines Verlustvortrags gesehen.7 Eine wirtschaftliche Finalität liegt hingegen bei der Einstellung einer wirtschaftlichen Betätigung der Betriebsstätte vor. Nach der Rechtssache A Oy kann jedoch auch im Fall der Beendigung einer wirtschaftlichen Tätigkeit von einem Bestehen der Verluste ausgegangen werden, wenn diese bei Wiedereröffnung einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen im selben Staat weiter genutzt werden können.8 Zudem hat der EuGH in der Rechtssache Timac Agro9 eine Vergleichbarkeit grenzüberschreitender und innerstaatlicher Sachverhalte in Bezug auf die Nutzung ausländischer Betriebsstättenverluste abgelehnt, soweit 1 EuGH v. 23.1.2014 – C-164/12, ECLI:EU:C:2014:20 Rz. 52, FR 2014, 466 m. Anm. Musil – DMC. Vgl. zudem FG Düsseldorf v. 5.12.2013 – 8 K 3664/11 F, EFG 2014, 119, Ubg 2014, 395. 2 Mitschke IStR 2014, 111 (113); Mitschke, IStR 2015, 443 (444). A.A. noch Hemmelrath/ Kepper, IStR 2013, 37 (42). 3 Vgl. EuGH v. 21.2.2006 – C-152/03, ECLI:EU:C:2006:123, FR 2006, 466 – Ritter-Coulais; EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278, FR 2008, 831 – Lidl Belgium. 4 Vgl. EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03, ECLI:EU:C:2005:763 Rz. 43 ff. – Marks & Spencer. Später wurden diese Rechtfertigungsgründe auch isoliert angewendet und in der Rechtssache Lidl Belgium (EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278, FR 2008, 831 – Lidl Belgium) wurde diese Rechtsprechung auf die Betriebsstättenfälle übertragen. 5 Vgl. EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 19.7.2012 – C-123/11, ECLI: EU:C:2012:488 – A Oy; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 21.3.2013 – C-322/11, ECLI:EU:C:2013:183 – K; EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 23.10.2014 – C-172/13, ECLI:EU:C:2014:2321 – Kommission/Vereinigtes Königreich. 6 Vgl. EuGH v. 15.5.2008 – C-414/06, ECLI:EU:C:2008:278 Rz. 49, FR 2008, 831 – Lidl Belgium; BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065, FR 2010, 901. 7 Vgl. z.B. BFH v. 9.6.2010 – I R 100/09, BStBl. II 2010, 1065 unter 3.a), FR 2010, 901 m.w.N. 8 Vgl. EuGH v. 21.2.2013 – C-123/11, ECLI:EU:C:2012:488 Rz. 53, FR 2013, 370 m. Anm. Musil – A Oy. 9 Vgl. EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, ECLI:EU:C:2015:533 Rz. 65 – Timac Agro.

138 Schnitger

C. Primärrecht

Rz. 5.39 Kap. 5

die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Wege der Freistellungsmethode erfolgt. Unklar bleibt, inwieweit eine grundsätzlich mögliche Einschränkung der Freistellungsmethode, wie z.B. der Wechsel zur Anrechnungsmethode in Form des § 20 Abs. 2 AStG, § 50d Abs. 9 EStG sowie der abkommensrechtlichen Switch-over-Klauseln oder Subject-to-Tax-Klauseln, dazu führen kann, die Verpflichtung des Ansässigkeitsstaats zur Berücksichtigung ausländischer Verluste wieder zu reaktivieren. Zu einer Klärung hat hier das Verfahren in der Rechtssache Bevola und Jens W. Trock beigetragen, welches wohl so zu lesen ist, dass die Anwendung der Freistellungsmethode zur Vermeidung der juristischen Doppelbesteuerung doch nicht per se die Verpflichtung zur Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste ausschließt.1 Eine grundlegende Leitplanke zu der Frage, wann ein Mitgliedstaat von der Verpflichtung zur Berücksichtigung ausländischer Verluste befreit ist, hatte der EuGH bereits in der Rechtssache Futura Participations eingezogen.2 In dem zugrunde liegenden Verfahren bezog eine französische Gesellschaft Betriebsstätteneinkünfte aus Luxemburg. Neben dem eigentlichen Problem des Verfahrens, inwieweit eine Verlustnutzung von einer Erfüllung der Buchführungspflichten im Aufnahmestaat abhängig gemacht werden darf, musste sich der EuGH auch dazu äußern, ob eine Nichtberücksichtigung von Verlustvorträgen des Stammhauses im Betriebsstättenstaat unionsrechtlich problematisch ist. Der EuGH verneinte dies kurzer Hand in Folge der strikten Besteuerung von Steuerausländern im Quellenstaat nach dem steuerlichen Territorialitätsprinzip.3 Dies erschien auch insoweit nur folgerichtig, als der Betriebsstättenstaat für außerhalb seines Territoriums sich vollziehende Vorgänge im Gewinnfall grundsätzlich ebenso keinen Besteuerungsanspruch erhebt. Seit diesem Urteil ist daher geklärt, dass eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von ausländischen Verlusten durch einen Mitgliedstaat dann nicht besteht, wenn dieser seinen Besteuerungsanspruch auf das innerstaatliche Gebiet begrenzt.4 Insoweit hätte man auch meinen können, dass – bezogen auf den deutschen Rechtskreis – die Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste aus unionsrechtlichen Gründen für Zwecke der Gewerbesteuer bereits hätte ausscheiden müssen. Schließlich erfolgt hier ebenso eine Besteuerung ausschließlich bezogen auf den im Inland belegenen Gewerbebetrieb bzw. strikt nach dem Territorialitätsprinzip gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG. Dass der BFH in seiner Rechtsprechung gleichwohl eine Verpflichtung zur Berücksichtigung ausländischer Verluste für Zwecke der Gewerbesteuer annahm, war wohl ausschließlich in dem Abstellen des § 7 Satz 1 GewStG auf den für Zwecke des EStG oder KStG ermittelten Gewinn begründet (d.h. die Berücksichtigung war insoweit ein „Reflex“ des unionsrechtlichen Erfordernisses einer Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenfälle bei unbeschränkter Steuerpflicht).5 Ein unionsrechtliches Erfordernis für die Berücksichtigung der ausländischen Ver1 Vgl. EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, ECLI:EU:C:2018:424 – Bevola und Jens W. Trock. 2 Vgl. EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239, FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg – Futura Participations. 3 Vgl. EuGH v. 15.5.1997 – C-250/95, ECLI:EU:C:1997:239 Rz. 22, FR 1997, 567 m. Anm. Dautzenberg – Futura Participations. 4 Vgl. Schön, IStR 2004, 289 (294); Rainer, IStR 2007, 635. 5 Vgl. BFH v. 9.6.2010 – I R 107/09, BFH/NV, 1744, FR 2010, 896 m. Anm. Buciek.

Schnitger 139

Kap. 5 Rz. 5.39 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

luste im Rahmen der Gewerbesteuer ergab sich unter Zugrundelegung der in der Rechtssache Futura Participations entwickelten Grundsätze aber zugegebenermaßen nicht, auch wenn die jüngere Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Sofina1 Fragen hinsichtlich des Bestands dieses Grundsatzes aufwirft.

5.40 EU-Verstoß des innerstaatlichen AOA in Folge des tatbestandlichen Anknüpfens an § 1 Abs. 1 AStG? Die aus der Anwendung des AOA folgende Anpassung von Gewinnen scheint zunächst nicht dem Anwendungsbereich des Unionsrechts zugänglich zu sein (zu verfassungsrechtlichen Fragen vgl. Rz. 4.1 ff.). Zum einen sieht dieser (zumindest international) eine Anpassung der Gewinnverteilung zwischen Stammhaus- und Betriebsstättenstaat vor, die zu einer Erhöhung bzw. Reduzierung der Gewinne in den jeweiligen Staaten führen kann. Als solches dient der AOA dazu, den „richtigen“ fremdvergleichskonformen Gewinn zu ermitteln und steht insoweit im Einklang mit dem Grundsatz der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, der in der Rechtsprechung des EuGH u.a. auch in der Rechtssache SGI2 als Rechtfertigungsgrund entwickelt wurde. Gleichwohl wirft die innerstaatliche Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG unionsrechtliche Bedenken auf (vgl. Rz. 6.7).

D. Beihilferecht I. Anwendungsbereich 5.41 Steuern als Beihilfe. Als staatliche Beihilfe können nicht nur Subventionen wie Geld- und Sachleistungen aus staatlichen Mitteln qualifizieren. Auch Maßnahmen, welche zu einer Entlastung von normalerweise anfallenden Belastungen von Unternehmen führen, sind geeignet, eine unerlaubte Beihilfe zu begründen. Hierunter fallen insbesondere auch Steuern, die einem Unternehmen gewöhnlich auferlegt werden.3 5.42 Selektivität. Die Bestimmung der Selektivität einer begünstigenden Maßnahme unterscheidet regelmäßig beihilferechtlich problematische von beihilferechtlich unproblematischen Vorschriften. Denn das Bestehen einer Wettbewerbsverzerrung bedarf keines Nachweises bzw. es ist ausreichend, wenn eine Regelung geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.4 Die Prüfung der Selektivität einer Maßnahme erfolgt grundsätzlich in drei Schritten:5 1 Vgl EuGH v. 22.11.2018 – C-575/17, ECLI:EU:C:C:2018:943 – Sofina. 2 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, ECLI:EU:C:2010:26 Rz. 61 m.w.N. – SGI. 3 Vgl. EuGH v. 8.11.2001 – C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598 Rz. 38 – Adria-Wien Pipeline u.a.; EuGH v. 8.9.2011 – verb. Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550 Rz. 45 – Paint Graphos u.a. jeweils m.w.N. 4 Vgl. EuGH v. 29.4.2004 – C-372/97 – Italien/Kommission, ECLI:EU:C:2004:234 Rz. 44; EuGH v. 8.9.2011 – verb. Rs. C-78/08 bis C-80/08, ECLI:EU:C:2011:550 Rz. 78 – Paint Graphos u.a.; EuGH v. 14.1.2015 – C-518/13, ECLI:EU:C:2015:9 Rz. 65 – Eventech. 5 Vgl. EuGH v. 8.11.2001 – C-143/99, ECLI:EU:C:2001:598 Rz. 41 – Adria-Wien Pipeline u.a.

140 Schnitger

D. Beihilferecht

Rz. 5.45 Kap. 5

(1) Bestimmung des sog. Referenzrahmens; (2) Prüfung, ob eine steuerliche Maßnahme bestimmte Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, begünstigt; (3) Prüfung, ob die unterschiedliche steuerliche Behandlung durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt ist.

II. Ansatzpunkte für beihilferechtliche Verstöße bei der Besteuerung von Betriebsstätten Beihilfeformen. Steuerliche Beihilfen können verschiedenste Ausgestaltungen bei der Besteuerung von Betriebsstätten annehmen, wie z.B.:1

5.43

– Steuerabzüge, außergewöhnliche oder beschleunigte Abschreibungen2 oder die Bildung steuerfreier Rücklagen (also Maßnahmen, die zu einer Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage führen); – Steuerbefreiungen und Steuergutschriften (also Maßnahmen, die zu einer Minderung der zu zahlenden Steuer führen); – die Gewährung von Zahlungsaufschüben, die Aufhebung der Steuerschuld oder die ratierliche Abzahlung von Steuern (also Maßnahmen, die zu einem Liquiditätsvorteil in Folge einer späteren Zahlung von Steuern führen). Grundlagen für steuerliche Beihilfen. Eine steuerliche Beihilfe kann durch ver- 5.44 schiedene mitgliedstaatliche Maßnahmen begründet werden wie durch:3 – Steuergesetze und Verordnungen oder – Verwaltungsanweisungen (also Richtlinien und Erlasse) oder – begünstigende Verwaltungshandlungen in Einzelfällen. Allgemeine Maßnahmen vs. selektive Maßnahmen. Steuerliche Begünstigungen, 5.45 die allen Wirtschaftsteilnehmern im Gebiet eines Mitgliedstaats zugutekommen und bei denen den Verwaltungsbehörden keine Ermessensbefugnis bei der Gewährung zusteht, stellen hingegen grundsätzlich keine unerlaubte Beihilfe, sondern eine allgemeine Maßnahme dar. Falls die steuerliche Behandlung durch hinreichend klare und umfassende steuerliche Vorschriften geregelt ist, stellt sich folglich grundsätzlich in viel geringerem Umfang das Risiko einer steuerlichen Beihilfe, da den Verwaltungsbehörden in viel geringerem Umfang ein Entscheidungsspielraum bleibt. Die lange Zeit wenig stark auf Ebene der OECD vollzogene Harmonisierung der Gewinnab1 Vgl. Mitteilung Kommission v. 10.12.1998, ABl. EG 1998 Nr. C 384, 3 Rz. 9. 2 Soweit jedoch diese nur für bestimmte Wirtschaftsgüter gewährt werden, kann wieder eine Beihilfe vorliegen, vgl. Mitteilung der Kommission v. 19.5.2016, ABl. EU 2016 Nr. C 262, 1 Rz. 179. 3 Vgl. Mitteilung der Kommission v. 10.12.1998, ABl. EG 1998 Nr. C 384, 3 Rz. 10.

Schnitger 141

Kap. 5 Rz. 5.45 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

grenzung von Betriebsstätten mag daher auch einer der Gründe sein, wieso dieser Bereich in jüngerer Zeit vermehrt Ansatzpunkt für Diskussionen um die Gewährung steuerlicher Beihilfen durch die Mitgliedstaaten war (vgl. Rz. 5.47 f.). So gesehen trägt die Einführung des AOA im Fall der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten dazu bei, dass auch die Betriebsstättenbesteuerung weniger stark „beihilfegefährdet“ ist.

5.46 Zurechenbarkeit der Maßnahme und Qualifikationskonflikte. Damit eine Regelung als steuerliche Beihilfe qualifiziert, muss diese jedoch einem Mitgliedstaat zurechenbar sein. Das heißt, reine Qualifikationskonflikte zwischen den steuerlichen Regelungen der Mitgliedstaaten sollten m.E. noch keine beihilferechtlich relevante Vorteilsgewährung begründen, selbst wenn teilweise eine doppelte Nichtbesteuerung droht, solange die Besteuerungsmaßnahmen eines Mitgliedstaats nicht von grundlegenden Besteuerungsprinzipien abweichen. 5.47 Beihilfe durch fehlende Besteuerung von Betriebsstätten (Rechtssache McDonald’s). Die Frage der Gewährung einer steuerlichen Beihilfe ist in jüngster Zeit u.a. für Fälle gestellt worden, in denen eine Betriebsstätte in einem Staat steuerlich nicht erfasst wurde. Konkret ist hier das Verfahren gegen McDonald’s gemeint, in dem eine luxemburgische Kapitalgesellschaft aufgrund eines Steuervorbescheids keine Körperschaftsteuer für über eine Schweizer Betriebsstätte vereinnahmte Lizenzgebühren zahlen musste. Dies begründete sich damit, dass nach luxemburgischem Recht eine Zuordnung der Einkünfte zur ausländischen Betriebsstätte in den USA angenommen und entsprechend eine Steuerbefreiung der Betriebsstätteneinkünfte angenommen wurde.1 In den USA wurde ebenso keine Besteuerung der Einkünfte angenommen, da nach amerikanischem Steuerrecht die Anforderungen für eine territoriale Besteuerung („engaged in a trade or business“) nicht erfüllt waren. Da die USA als Drittstaat durch Unionsrecht nicht gebunden sind, fokussiert sich die Frage eines Verstoßes gegen das Beihilferecht auf die Besteuerung in Luxemburg. Nach erster Ansicht der Kommission kommt als Referenzsystem in diesem Fall die Besteuerung nach dem Welteinkommen in Betracht, welches Luxemburg durch die Auslegung des Art. 25 DBA Luxemburg-USA durch die luxemburgischen Behörden unterlaufe (die luxemburgischen Behörden werteten diese Vorschrift nicht als Subject-to-Tax-Klausel).2 Das Verfahren McDonald’s hebt sich dadurch hervor, dass die Kommission zu schwierigen Fragen der Abkommensauslegung Stellung nimmt. Allerdings verfolgt die Kommission letztlich das Verfahren nicht weiter.3 Dies ist insofern nachvollziehbar, da laut der Sachverhaltsbeschreibung die USA sich offenbar mangels eines innerstaatlichen Besteuerungstatbestands an der Besteuerung gehindert sahen (also offenbar eine Nichtbesteuerung aufgrund eines Qualifikationskonflikts vorlag, so dass es an der einem Staat zurechenbaren Maßnahme, die für die vorteilhafte Besteuerung auslösend ist, eigentlich fehlen dürfte; vgl. Rz. 5.46).

1 Vgl. ABl. EU 2016 Nr. C 258/03, 11 Rz. 26 ff. 2 Vgl. ABl. EU 2016 Nr. C 258/03, 11 Rz. 68–72 u. 81 ff. 3 Vgl. ABl. EU 2019 Nr. L 195, 20 Rz. 102.

142 Schnitger

D. Beihilferecht

Rz. 5.48 Kap. 5

Beihilfe durch unzutreffende Gewinnermittlung (Rechtssache Apple). Bis zur 5.48 Einführung des AOA zeichnete sich die Gewinnermittlung teilweise durch Unbestimmtheit aus. Von daher wundert es nicht, dass es hierzu ebenfalls beihilferechtliche Verfahren gibt. So betrifft das Verfahren gegen Apple Tax Rulings, in denen Verrechnungspreise und Gewinnabgrenzungen vereinbart wurden. Konkret ging es u.a. um die Bestimmung des Gewinns von Vertriebs- und Betriebsgesellschaften, welche teilweise in Irland nur Betriebsstätten unterhielten. Dabei wurde der Gewinn in Irland – für die Jahre 1991–2006 ausgehend von unterschiedlichen Prozentsätzen der operativen Kosten – anschließend ab dem Jahr 2007 mit einer Kombination von Gewinnmarge auf die operativen Kosten und einer Lizenz auf den Umsatz (mit weiter Bandbreite) bestimmt.1 Der daraus resultierende effektive Steuersatz wurde für das Jahr 2014 von der Kommission für die irischen Betriebsstätten i.H.v. 0,005 % angegeben (die dem Stammhaus zugewiesenen Gewinne wurden nach dem dort anwendbaren Steuerrecht nicht besteuert).2 Die Kommission führte eine Reihe von Gründen an, welche für die Gewährung einer Beihilfe in Folge des Abweichens vom Fremdvergleichsgrundsatz sprechen, wie z.B. die fehlende Verrechnungspreisdokumentation für die vereinbarte Kostenbasis, die Wahl einer der TNMM vergleichbaren Verrechnungspreismethode mit einer operativen Kostenbasis anstatt einer breiteren Kostenbasis, die Auswahl der Margensätze sowie der Margenreduktion ab einer bestimmten Kostengröße und die zeitliche Geltungsdauer des Rulings aus 1991 von 15 Jahren ohne zwischenzeitliche Anpassung entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten.3 Letztlich sei nach Ansicht der Kommission in dem Abweichen vom Fremdvergleich, welcher sich unmittelbar aus dem Primärrecht ergibt, die Gewährung eines beihilferechtlich unzulässigen selektiven Vorteils zu sehen.4 Der Ausgang des Verfahrens ist insofern von besonderer Bedeutung, da das irische Steuerrecht in den früheren Veranlagungszeiträumen keine detaillierten Vorschriften über die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus im grenzüberschreitenden Kontext vorsah. Dementsprechend wird in der Literatur das Vorgehen der Kommission zutreffend hinterfragt.5 Sollte der EuGH diesem Ansatz dennoch folgen, könnte sich bereits aus Art. 107 AEUV ein Ansatzpunkt für eine unmittelbare Anwendung des Fremdver-

1 Vgl. ABl. EU 2014 Nr. C 369, 22 Rz. 30–34. 2 Vgl. Pressemitteilung v. 30.8.2016, IP/16/2923. 3 Insbesondere im Detail zu entnehmen dem Eröffnungsbeschluss im ABl. EU 2014 Nr. C 369, 22 Rz. 58–69 sowie der Kommissionsentscheidung v. 30.8.2016, C (2016), 5605. 4 Vgl. zur Anwendung der OECD-Grundsätze als Referenzrahmen grundsätzlich Mitteilung der Kommission v. 19.5.2016, ABl. EU 2016 Nr. C 262, 1 Rz. 173. In der Kommissionsentscheidung v. 30.8.2016, C (2016), 5605 Rz. 250 f. u. 255 geht die Kommission jedoch davon aus, dass sich die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes unmittelbar aus den Vorgaben des Art. 107 AEUV ergibt. 5 Vgl. bereits Linn, IStR 2015, 114 (119).

Schnitger 143

Kap. 5 Rz. 5.48 AOA und der unionsrechtliche Rahmen

gleichsgrundsatzes ergeben (zur weitergehenden Frage der Anwendung des AOA insoweit vgl. Rz. 5.49).

5.49 AOA als Referenzsystem. Falls im Verfahren Apple der EuGH tatsächlich unmittelbar aus dem Primärrecht einen Bezugspunkt für unionsrechtlich konformes Verhalten herausliest, lässt sich auch nicht ausschließen, dass Gleiches für die mit dem AOA verbundenen Grundsätze gelten würde. Ansonsten sollten die aus dem AOA folgenden Besteuerungsgrundsätze aber dann als Referenzrahmen in den Mitgliedstaaten erwachsen, wenn diese in innerstaatliches Recht transformiert werden (wie im Fall Deutschlands geschehen). Die punktuelle Umsetzung i.R. von einzelnen DBA sollte hingegen noch nicht ausreichen, um den AOA zum Referenzsystem werden zu lassen.

144 Schnitger

2. Teil Gewinnabgrenzung nach dem AOA im Einzelnen Kapitel 6 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 B. Systematische Verortung . . . . . . 6.3 C. Verhältnis zu anderen Normen . 6.6 D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.14 II. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG . . . . . . . . 6.20 III. Zum Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.28 IV. Mit einer nahestehenden Person bzw. einer Betriebsstätte . . . . . . . . 6.31 V. Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder Erhöhung der Einkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.35

VII. Selbständigkeitsfiktion 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.48 2. Erster Schritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.51 3. Zweiter Schritt: Geschäftsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen) . . . . . . . . 6.75 VIII. Personengesellschaft . . . . . . . . . . . 6.78 E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG I. Entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG . . . . . . . . . . . . 6.81 II. Entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG . . . . . . . . . . . . 6.89 III. Sperrwirkung der DBA und treaty override gem. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.94

VI. Vereinbarung von nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Bedingungen . . . . . . 6.43 Literatur: Bernhardt (Hrsg.), Verrechnungspreise, 2. Auflage, 2017; Blümich (Hrsg.), Kommentar Außensteuergesetz; Ditz, Anmerkung zu BFH v. 11.10.2012, Sperrwirkung von Art. 6 Abs. 1 DBA-Niederlande gegenüber Sonderbedingungen bei beherrschenden Gesellschaftern, ISR 2013, 54; Ditz/Luckhaupt, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – Neues Gewinnermittlungsrecht für Betriebsstätten, ISR 2015, 1; Ditz/Quilitzsch, Die Änderungen im AStG durch das AmtshilfeRLUmsG – Quo vadis Außensteuergesetz?, DStR 2013, 1917; Flick/ Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Kommentar Außensteuerrecht; Fuhrmann (Hrsg.), Außensteuergesetz Kommentar, 3. Auflage, 2017; Gebhardt, Ist § 1 Abs. 5 S. 8 AStG-E i.d.F. des JStG 2013 ein Treaty Override?, BB 2012, 2353; Gosch, Betriebsstätte und AOA, ISR 2018, 404; Greinert/Metzner, Entwicklung des Fremdvergleichsgrundsatzes, Ubg 2014, 307; Haase (Hrsg.), Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Auflage, 2016; Heinsen, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) – Zehn wichtige Neuerungen, DB 2017, 86; Hemmelrath/Kepper, Die Bedeutung des „Authorized OECD Approach“ (AOA) für die deutsche Abkommenspraxis, IStR 2013, 37; Jacobs (Hrsg.), Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Auflage, 2016; Jacobsen (Hrsg.), Außensteuergesetz e-Kommentar; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle (Hrsg.), Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, 2019; Kahle/Mödinger, Die Neufassung des Art. 7 OECD-

Schnitger/Borchert 145

Kap. 6 Rz. 6.1 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG MA im Rahmen der Aktualisierung des OECD-MA 2010, IStR 2010, 757; Kessler/Arnold in Festgabe Wassermeyer, Doppelbesteuerung, 2015; Kraft, Kommentar Außensteuergesetz, 2. Auflage, 2019; Kraft/Dombrowski, Die praktische Umsetzung des „Authorized OECD Approach“ vor dem Hintergrund der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, FR 2014, 1105, Kraft/Dombrowski, Die Folgen der Einführung des AOA für den Steuerpflichtigen, IWB 2015, 87; Melhem/Dombrowski, Die unbestimmten Grenzen der Selbständigkeitsfiktion des AOA, IStR 2015, 912; Neumann-Tomm, Die bloße Einkünftekorrekturfunktion des § 1 Abs. 5 AStG, IStR 2015, 907; Nientimp/Schwarz/Stein, Einkünfteermittlung nach dem AOA – Plädoyer für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, IStR 2016, 487; Schnitger, Änderungen des § 1 AStG und Umsetzung des AOA durch das JStG 2013 IStR 2012, 633; Schnitger in Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger (Hrsg.), Deutsche Abkommenspolitik, ifst-Schrift Nr. 492; Rasch/Wenzel, Die Entstrickungsbesteuerung in der BsGaV und ihre europarechtliche Würdigung, ISR 2015, 128; Schnitger/Fehrenbacher (Hrsg.), Kommentar Körperschaftsteuer, 2. Auflage, 2018; Strunk/Kaminsky/Köhler (Hrsg.), Kommentar Außensteuergesetz – Doppelbesteuerungsabkommen; Vögele/Borstell/Engler (Hrsg.), Verrechnungspreise, 4. Auflage, 2015; von Goldacker, Gewinnverlagerung zwischen Schwesterbetriebsstätten – eine Analyse des AOA, BB 2013, 8787; Wassermeyer, Die abkommensrechtliche Aufteilung von Unternehmensgewinnen zwischen den beteiligten Vertragsstaaten, IStR 2012, 277; Wassermeyer/Baumhoff (Hrsg.), Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014; Wassermeyer/Richter/Schnittker (Hrsg.), Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, 2. Auflage, 2015.

A. Einführung 6.1 Hintergrund. Mit der Änderung des § 1 Abs. 5 AStG durch das AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.20131 wurde der in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 bereits vorgesehene „Authorised OECD Approach“ (nachfolgend AOA) in nationales Recht umgesetzt.2 Mit der BsGaV v. 13.10.20143 sowie den VWG BsGa v. 22.12.20164 liegt zudem der Dreiklang von Gesetz, Verordnung und Verwaltungsgrundsätzen zur Umsetzung des AOA vor, welcher die fremdvergleichskonforme Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. Ermittlung der Einkünfte gewährleisten soll. 6.2 Umsetzung in deutsches Recht. Nachfolgend wird die Umsetzung des AOA in deutsches Recht in Form des § 1 Abs. 5 AStG untersucht. Dabei werden die Regelungen des § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG im Rahmen der Vergleichsanalyse behandelt, um Unterschiede bei der Korrektur von Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen sowie zwischen Stammhaus und Betriebsstätte herauszuarbeiten (vgl. hierzu auch Rz. 2.60). Die unterschiedliche rechtliche Ausgangsbasis (rechtlich selbständige Rechtsträger vs. Einheitsunternehmen) muss hierbei im Auge behalten werden. Besonderer Fokus soll auf der Analyse des sog. Two-Step-Approaches liegen, welcher

1 BGBl. I 2013, 1809. 2 Vgl. dazu Ditz/Quilitzsch, DStR 2013, 1917 (1918 ff.); Schnitger, IStR 2012, 633 (633 ff.). 3 BGBl. I 2014, 1603, zuletzt geändert durch Art. 5 der Verordnung v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2360. 4 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 im Folgenden VWG BsGa.

146 Schnitger/Borchert

B. Systematische Verortung

Rz. 6.5 Kap. 6

zentral für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte unter dem AOA ist. Die Analyse und Würdigung der AOA-Umsetzung in § 1 Abs. 5 AStG berücksichtigt dabei folgende Aspekte: – die materiell-rechtliche Ausgestaltung der Vorschriften im deutschen Steuerrecht, – die Vereinbarkeit mit den Leitgedanken der Umsetzung des AOA nach internationalen Vorgaben und – weitergehende Fragen bei der Einkommensermittlung von Betriebsstätten.

B. Systematische Verortung Vorschrift zur Berichtigung von Einkünften. Die Umsetzung des AOA im deut- 6.3 schen Steuerrecht erfolgte in § 1 Abs. 5 AStG. Der AOA ist damit Teil der Vorschriften zur Berichtigung von Einkünften bei verbundenen Unternehmen. Wieso die Vorschrift eben hier und nicht bei den Vorschriften zur Ermittlung des Gewinns verortet ist, kann dabei als eine der großen Unbekannten und wohl bedeutendsten Fragen bei der Umsetzung des AOA im deutschen innerstaatlichen Steuerrecht gewertet werden. Schließlich ist im Kontrast hierzu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 eine Vorschrift zur Gewinnzurechnung bzw. Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten.1 Bestehende Fragen. Über die Gründe, wieso der AOA im innerstaatlichen Steuer- 6.4 recht nicht im Einklang mit dem Abkommensrecht als Vorschrift der Gewinnermittlung ausgestaltet wurde, soll hier nicht weitergehend spekuliert werden. Gleichwohl resultiert aus der systematischen Stellung eine Reihe von Fragen, die hier bereits genannt werden sollen: – Stellt der in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzte AOA eine Vorschrift zur allgemeinen Zurechnung von Wirtschaftsgütern, oder lediglich eine Einkünftekorrekturvorschrift dar (vgl. Rz. 6.82, 6.85)? – Begründet der in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzte AOA eine Vorschrift, welche auch bei der Qualifikation der Einkünfte zu beachten ist (vgl. Rz. 6.85)? Keine Minderung der Einkünfte. Bemerkenswert ist weiterhin, dass in § 1 Abs. 5 6.5 AStG der AOA als einseitig profiskalisch wirkende Korrekturvorschrift ausgestaltet ist, die nur zu einer Erhöhung der Einkünfte führt (vgl. hierzu auch Rz. 4.19). Eine spiegelbildlich mindernde Korrektur der Einkünfte inländischer Betriebsstätten, wie sie abkommensrechtlich in Art. 7 OECD-MA 2014 hinterlegt und zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auch erforderlich ist, hat der deutsche Gesetzgeber hin-

1 Vgl. Gosch, ISR 2018, 404 (406); Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle (Hrsg.), Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.9 u. 4.138 ff.

Schnitger/Borchert 147

Kap. 6 Rz. 6.5 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

gegen nicht eingeführt.1 Sie ergibt sich lediglich im Zusammenspiel des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG mit den jeweiligen DBA (vgl. hierzu Rz. 6.99 ff.). Dies wirft Fragen nach der Unionsrechtskonformität der Vorschrift auf (vgl. Rz. 5.40).

C. Verhältnis zu anderen Normen 6.6 Anwendung „unbeschadet anderer Vorschriften“. Bevor auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG im Einzelnen eingegangen werden soll, ist das Verhältnis der Norm zu anderen Vorschriften anzusprechen. So sieht § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vor, dass die Einkünfte „unbeschadet anderer Vorschriften“ nach dem Fremdvergleichsgrundsatz anzusetzen sind. Hiermit werden u.a. § 4 Abs. 1 Satz 3, 4 und 8 EStG, § 12 Abs. 1 KStG, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 16 Abs. 3 EStG erfasst.2 Der durch das UntStRefG (zu diesem Zeitpunkt Satz 3) eingeführte Satz 4 des § 1 Abs. 1 AStG macht diese Formulierung eigentlich überflüssig.3 Festgelegt wird hier, dass die Rechtsfolgen einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG neben den Rechtsfolgen anderer Vorschriften bei tatbestandlicher Erfüllung anzuwenden und die Rechtsfolgen z.B. der vGA vorrangig anzuwenden sind. Nur darüberhinausgehende Korrekturen werden von § 1 AStG erfasst. Problematisch ist dieses Vorrangverhältnis, wenn die Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes in den anderen Vorschriften abweichend zu § 1 AStG erfolgt.4 6.7 Auswirkungen der Unionsrechtswidrigkeit des § 1 Abs. 1 AStG. Die Anwendung des AOA als Vorschrift zur Gewinnabgrenzung wirft grundsätzlich keine unionsrechtlichen Bedenken auf (vgl. Rz. 5.40). Der EuGH hat in jüngerer Zeit in der Rechtssache Hornbach-Baumarkt5 aber entschieden, dass § 1 Abs. 1 AStG gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstößt. Die Vorschrift sieht nämlich eine Ungleichbehandlung grenzüberschreitender gegenüber innerstaatlicher Vorgänge vor (für Letztere kommt nämlich für die unentgeltliche Nutzungsüberlassung keine Korrektur als verdeckte Einlage mangels Einlagefähigkeit des Nutzungsvorteils in Betracht) und enthält zudem keine Ausnahme für den Nachweis wirtschaftlicher Gründe, welche sich aus der Stellung des Gesellschafters ergeben. Damit ist § 1 Abs. 1 AStG grundsätzlich nicht anwendbar, soweit die Vorschrift keine Möglichkeit des Nachweises derartiger wirtschaftlicher Gründe vorsieht.6 Fraglich ist nunmehr, inwieweit § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ebenso insoweit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen das Unionsrecht 1 A.A. Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 487 ff. 2 BMF v. 12.4.2005 – VI B 4 - S 134 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 5.3.3; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 20; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383. 3 Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 384. 4 Wassermeyer spricht insbesondere die Problematik an, dass sich der Fremdvergleichsgrundsatz des § 1 AStG inzwischen weit von einem international anerkannten Verständnis eines Fremdvergleichs entfernt hat und auch gegen die Niederlassungsfreiheit auf EU-Ebene verstößt, vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 385 f. 5 Vgl. EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt. 6 Zur zu engen Auslegung dieser Anforderungen vgl. BMF v. 6.12.2018 – IV B 5-S 1341/11/10004-09 – DOK 2018/0985275, BStBl. I 2018, 1305.

148 Schnitger/Borchert

C. Verhältnis zu anderen Normen

Rz. 6.9 Kap. 6

ausgesetzt ist, da die Vorschrift auf die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG verweist. Hier ergeben sich Ähnlichkeiten zu der Diskussion um die Anwendung des § 8 Abs. 2 AStG i.R. des § 20 Abs. 2 AStG. Denn obwohl der EuGH in der Rechtssache Columbus Container Service1 die Unionsrechtskonformität des § 20 Abs. 2 AStG feststellte, sah der BFH allein den Verweis der Vorschrift auf die §§ 7 ff. AStG als ausreichend an, damit die Unionsrechtswidrigkeit letztgenannter Vorschriften2 in den § 20 Abs. 2 AStG „importiert“ wurde.3 Dies spricht dafür, dass auch bei der Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG die Grundsätze der Rechtssache Hornbach-Baumarkt zu beachten sind, solange beide Vorschriften tatbestandlich miteinander verknüpft sind. Weitergehende Berichtigung von Einkünften. Aufgrund von § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG 6.8 kommt es zu einer Erhöhung der Einkünfte gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, wenn dies zu einer weitergehenden Berichtigung der Einkünfte führt.4 Hierdurch wird im Fall der Einkünftekorrektur zwischen verbundenen Unternehmen gewährleistet, dass § 1 AStG im Verhältnis zu anderen Korrekturvorschriften wie der vGA subsidiär wirkt bzw. hilfsweise zur Anwendung kommt, wenn nicht bereits andere Vorschriften eine Korrektur der Einkünfte dem Grund oder der Höhe nach gewährleisten. Bedeutung i.R. des AOA. § 1 Abs. 5 AStG ordnet die Anwendung der § 1 Abs. 1 6.9 Satz 1 und 4 AStG ebenso i.R. des innerstaatlichen AOA an. Es stellt sich allerdings die Frage, welche anderen Einkommensermittlungsvorschriften hier angesprochen werden. Denn die vGA sowie die verdeckte Einlage können mangels steuerlicher Subjektfähigkeit der Betriebsstätte zumindest für „Geschäftsvorfälle“ im Verhältnis zum Stammhaus nicht zur Anwendung kommen. Allenfalls soweit eine Einkommenskorrektur in Folge eines Geschäftsvorfalls mit einer anderen nahestehenden Person erfolgt, kann die in § 1 Abs. 1 Satz 1 und 4 AStG enthaltene Anordnung der vorrangigen Anwendung anderer Vorschriften Bedeutung haben. In diesem Fall stellt das erhöhte Einkommen die Grundlage für die Gewinnabgrenzung dar (welche ggf. gem. § 1 Abs. 5 AStG i.R.d. Anwendung des AOA erneut korrigiert werden kann): Beispiel: Die A-Ltd. unterhält ihr Stammhaus in einem ausländischen Staat und ihre Betriebsstätte in Deutschland, aus der Waren an die nahestehende B-GmbH zum Buchwert i.H.v. 100 verkauft werden; der gemeine Wert der Waren beträgt 200. Der Verkauf der Waren von der A-GmbH an die B-GmbH ist gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als vGA zu korrigieren, so dass eine Erhöhung des Einkommens um 100 erfolgt. Die Zuordnung des Einkommens erfolgt zwischen Stammhaus und Betriebsstätte i.R. der abkommensrechtlichen Gewinnabgrenzung gem. Art. 7 OECD-MA 2014. Denkbar ist jedoch, dass diese Zuordnung durch Art. 1 Abs. 5 AStG zur Umsetzung des AOA in Bezug auf die Zurechnung der Einkünfte zu modifizieren ist. 1 Vgl. EuGH v. 6.12.2017 – C-298/05, ECLI:EU:C:2007:754 Rz. 40 ff. – Columbus Container Services. 2 Zum damaligen Zeitpunkt enthielten die §§ 7 ff. AStG noch keinen unionsrechtlich gebotenen § 8 Abs. 2 AStG. 3 Vgl. BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774 unter 4.b), FR 2010, 393 m. Anm. Buciek. 4 BMF v. 12.4.2005 – VI B 4 - S 134 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 5.3.3; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 20; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 383.

Schnitger/Borchert 149

Kap. 6 Rz. 6.10 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.10 „Entstrickungsvorschriften“. Soweit man davon ausgeht, dass § 1 Abs. 5 AStG auch zu einer Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften führen kann (vgl. Rz. 6.82), stellt sich die Frage nach dem Anwendungsvorrang der Vorschrift im Verhältnis zu den „Entstrickungsvorschriften“ (also § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG). Denn in diesem Fall könnte die mittels § 1 Abs. 5 AStG vollzogene abweichende Zuordnung von Wirtschaftsgütern eine Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG auslösen. Zutreffend wird jedoch davon ausgegangen, dass in Folge des § 1 Abs. 1 AStG der § 1 Abs. 5 AStG rechtsfolgenseitig hinter die Vorschriften zur Entstrickungsbesteuerung zurücktritt und letztgenannte Vorschrift nur insoweit Bedeutung hat, als die Zurechnung nach dem Functionally Separate Entity Approach (FSEA) und dem allgemeinen Veranlassungszusammenhang unterschiedlich ausfällt bzw. § 1 Abs. 5 AStG zu einer höheren Einkommenskorrektur führt.1 6.11 Zusammenhang gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG. Fraglich ist, inwieweit § 1 Abs. 5 AStG ebenso Einfluss auf die Frage der Bestimmung des nach § 50 Abs. 1 Satz 1 AStG erforderlichen Zusammenhangs von Betriebsausgaben nimmt, um zu einer Minderung beschränkt steuerpflichtiger Einkünfte zu führen. Dies hängt davon ab, inwieweit dem § 1 Abs. 5 AStG die Wirkung zugesprochen wird, dass die Vorschrift zu einer (ggf. abweichenden) Zuordnung von Wirtschaftsgütern führt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies nicht der Fall (vgl. Rz. 6.82). In Folge der Sperrwirkung der DBA, welche durch die jüngsten Urteile des BFH2 auch nicht eingeschränkt ist, kann der AOA jedoch zu einer Einschränkung des Zusammenhangs kommen, wenn in einem DBA der AOA vorgesehen ist (vgl. hierzu Rz. 6.99 ff.). 6.12 Bestimmung ausländischer Einkünfte gem. § 34d EStG. Wenn man davon ausgeht, dass § 1 Abs. 5 AStG zu keiner (ggf. abweichenden) Zuordnung von Wirtschaftsgütern, sondern lediglich zu einer innerstaatlichen Erhöhung der inländischen Einkünfte führt (vgl. Rz. 6.82), hat die Vorschrift keine Auswirkung bei der Bestimmung des Umfangs der ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG. Die ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG können jedoch in Folge ihrer spezielleren Definition in den DBA durch den AOA beeinflusst werden,3 soweit dieser in einem DBA vorgesehen ist und die Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt. So geht auch die Finanzverwaltung davon aus, dass die ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG bei einem DBA, in dem der AOA umgesetzt und die Anrechnungsmethode vorgesehen ist, sich grundsätzlich nach den früheren Verwaltungsgrundsätzen zur Betriebsstättenbesteuerung richten. Der AOA kann danach nur zu einer Verringerung der ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG führen.4 6.13 Gewerbesteuer. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG ordnet rechtsfolgenseitig eine Erhöhung der Einkünfte an, so dass die Vorschrift ebenso zu einer Erhöhung des Ge1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 20; Oestreicher in Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 770; Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 (132). 2 BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261. 3 Vgl. Jochimsen/Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher2, § 26 KStG Rz. 93. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 23.

150 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.16 Kap. 6

werbeertrags gem. § 7 Satz 1 GewStG führt. In Folge der einseitigen Wirkungsweise der Vorschrift kann sich eine Reduktion des inländischen Gewerbeertrags nur aus der Anwendung von DBA, welche den AOA bereits vorsehen (vgl. Rz. 6.99 ff.), ergeben.

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG I. Überblick Anwendung in In- und Outbound-Fällen. § 1 Abs. 5 Satz 1 ff. AStG ist als Vor- 6.14 schrift zur Korrektur der Einkünfte von Betriebsstätten sowohl in Inbound- (d.h. für die Einkünfteermittlung der inländischen Betriebsstätten in Abgrenzung zum ausländischen Stammhaus) als auch in Outbound-Fällen (d.h. für die Einkünfteermittlung der inländischen Stammhausbetriebsstätte in Abgrenzung zur ausländischen Betriebsstätte) ausgestaltet. Dabei schreibt die Vorschrift zur Erreichung einer Gleichbehandlung mit inländischen verbundenen Unternehmen (vgl. hierzu unter Rz. 6.18) eine entsprechende Anwendung der Regelungen des § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG bei der Ermittlung der Betriebsstätteneinkünfte vor, sofern Geschäftsbeziehungen aufgrund von nicht fremdvergleichskonformen Verrechnungspreisen die Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte gemindert, oder jene einer ausländischen Betriebsstätte erhöht haben (hierzu weiterführend Rz. 6.89 ff.). Functionally Separate Entity Approach (FSEA). Um eine fremdvergleichskonfor- 6.15 me Betrachtung zu ermöglichen, wird in § 1 Abs. 5 Satz 2 und 3 AStG auf den auf Ebene der OECD entwickelten sog. „Functionally Separate Entity Approach“ (folgend FSEA, zur historischen Entwicklung vgl. Rz. 1.21 ff. sowie Rz. 2.2 ff.) zurückgegriffen. Dieser spiegelt sich in der Anwendung des sog. „Two-Step-Approach“ gem. § 1 Abs. 5 Satz 3, 4 AStG i.V.m. § 1 Abs. 1 BsGaV wider und erfordert – in einem ersten Schritt die Zuordnung der Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen); der Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt; der Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie auf Grund der ausgeübten Funktionen zugeordneten Vermögenswerte übernimmt sowie ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) (vgl. hierzu auch Rz. 2.21); – in einem zweiten Schritt auf Grundlage der vorangegangenen Zuordnung die Bestimmung der Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehungen (vgl. hierzu auch Rz. 2.22). Bedeutung für ständige Vertreter. Anwendung sollen diese Regelungen auch für 6.16 ständige Vertreter finden (§ 1 Abs. 5 Satz 5 AStG; vgl. hierzu weiterführend Rz. 11.5 ff.). Ausgenommen von den Regelungen sind gem. § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG jedoch Geschäftsbeziehungen zwischen Mitunternehmern und ihrer Mitunterneh-

Schnitger/Borchert 151

Kap. 6 Rz. 6.16 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

merschaft sowie zwischen Gesellschaftern und ihren Personengesellschaften (vgl. Rz. 6.78 ff.).

6.17 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV). Durch § 1 Abs. 6 AStG wurde das BMF dazu ermächtigt, eine Rechtsverordnung zu Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. § 1 Abs. 1, 3 und 5 AStG zu erlassen (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit siehe Rz. 4.22). Die auf der Grundlage erlassene BsGaV beinhaltet detaillierte Ausführungen zu – Zuordnungsregelungen bei Betriebsstätten gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 und 4 AStG (§§ 4 bis 18 BsGaV), – Sondervorschriften für die Behandlung von Bankbetriebsstätten (§§ 18–22 BsGaV), – Versicherungsbetriebsstätten (§§ 23–29 BsGaV), – Bau- und Montagebetriebsstätten (§§ 30–34 BsGaV) und – Förderbetriebsstätten (§§ 35–28 BsGaV) sowie – von ständigen Vertretern (§ 39 BsGaV). Anwendbar ist § 1 Abs. 5 AStG für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2012 begonnen haben. Die BsGaV in der Form v. 13.10.2014 ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2015 anwendbar, womit nach Maßgabe der FinVerw. jede Rückwirkung zuverlässig vermieden werden soll.1

6.18 Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Angesichts der Zielsetzung des AOA, eine weitgehende Gleichbehandlung von Geschäftsbeziehungen zwischen Konzerngesellschaften und Betriebsstätten zu erreichen, verwundert es nicht, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung des AOA innerhalb des § 1 AStG der Verweistechnik bedient. Gleichwohl enthält § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG weitere eigene Tatbestandsvoraussetzungen, was die Prüfung der Norm nicht erleichtert. So sind nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG die Abs. 1, 3 und 4 des § 1 AStG entsprechend anzuwenden, – wenn für eine Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG (vgl. Rz. 6.20 ff.) – die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise (welche der Aufteilung von Gewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte zugrunde gelegt wurden) nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen (vgl. Rz. 6.90 ff.), – und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert (vgl. Rz. 6.35 ff.) – oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden (vgl. Rz. 6.38 ff.).

1 BR-Drucks. 401/14, 142.

152 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.22 Kap. 6

Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AStG. Die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG erfordert, dass

6.19

– aus einer Geschäftsbeziehung (vgl. Rz. 6.20 ff.) – zum Ausland (vgl. Rz. 6.28 ff.) – mit einer nahestehenden Person (vgl. Rz. 6.31 ff.) – Einkünfte eines Steuerpflichtigen dadurch gemindert werden (vgl. Rz. 6.35 ff.), – dass er seiner Einkünfteermittlung andere Bedingungen, insbesondere Preise (Verrechnungspreise) zugrunde legt, als sie voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen vereinbart hätten (Fremdvergleichsgrundsatz; vgl. Rz. 6.90 ff.).

II. Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG Definition. In § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG wird auf die entsprechende Anwendung des 6.20 § 1 Abs. 4 AStG verwiesen, welcher die Definition der Geschäftsbeziehung enthält. Dieser Rechtsverweis ist eigentlich überflüssig, denn in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG fand im Zuge der Umsetzung des AOA eine Ergänzung zur Definition von Geschäftsbeziehungen statt, auf den § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG auch rekurriert. Diese sieht vor, dass unter Geschäftsbedingungen auch „Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen)“ fallen. Hiermit sind also die von der OECD im Rahmen des AOA als „dealings“ bezeichneten Vorgänge zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gemeint (im Detail vgl. Rz. 9.3 ff.).1 Geschäftsvorfälle. Eine Definition des Terminus des „Geschäftsvorfalls“ (bzw. „Ge- 6.21 schäftsvorfälle“) findet sich zunächst in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG. Hier werden Geschäftsvorfälle als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge“ bezeichnet. Auf diese Definition ist auch i.R. der Auslegung des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG zurückzugreifen. Denn zum einen werden hier die wirtschaftlichen Vorgänge zwischen Stammhaus und Betriebsstätten den Geschäftsvorfällen in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG gleichgestellt, wie auch der im Referentenentwurf noch vorgesehene Satz 3 beweist, der die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen den Geschäftsbeziehungen gleichstellte.2 Zum anderen wird der Klammerzusatz in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG als Definition des Terminus der „Geschäftsbeziehung“ zu lesen sein. Definition der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung in § 16 Abs. 1 6.22 BsGaV. Eine weitere Klarstellung erfährt der Begriff der „anzunehmenden schuldrecht-

1 Siehe dazu auch Ditz in Wassermeyer/Baumhoff (Hrsg.), Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 6.428; Niehaves in Haase3, Art. 7 OECD-MA Rz. 249. 2 Schnitger, IStR 2012, 633 (637).

Schnitger/Borchert 153

Kap. 6 Rz. 6.22 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

lichen Beziehung“ (vgl. hierzu auch Rz. 9.3 ff.) in § 16 Abs. 1 BsGaV.1 Hiernach liegen anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen vor, wenn wirtschaftliche Vorgänge festgestellt werden (vgl. Rz. 6.23), – die zu einer Änderung der Zuordnung nach den §§ 5–11 BsGaV zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen (bzw. dem Stammhaus) führen (vgl. Rz. 6.24), – die – wären die Betriebsstätten und das übrige Unternehmen (bzw. das Stammhaus) voneinander unabhängige Unternehmen – – durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt würden oder – zur Geltendmachung von Rechtspositionen führen würden.

6.23 Feststellung wirtschaftlicher Vorgänge. Welche Bedeutung das Erfordernis der „Feststellung“ von wirtschaftlichen Vorgängen hat, bleibt ungewiss. Besondere Bedeutung in Bezug auf die Feststellungslast des Steuerpflichtigen bzw. der Finanzverwaltung ergeben sich u.E. nicht. Gemeint ist hier wohl, dass wirtschaftliche Vorgänge vorliegen müssen. 6.24 Änderung der Zuordnung zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen. In Folge von § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV kann es nur mittels einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung zu einem Zuordnungswechsel zwischen Stammhaus und Betriebsstätte kommen.2 Was einem „Zuordnungswechsel“ unterliegt, ist gesetzlich nicht geregelt. Bezugsbasis ist hier wohl das Wirtschaftsgut, welches eines Zuordnungswechsels bedarf. Die Regelung folgt unmittelbar aus der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte; denn ein anderweitiger Transfer von Wirtschaftsgütern zwischen unabhängigen Unternehmen ohne schuldrechtliche Beziehung kann nur durch eine gesellschaftsrechtlich veranlasste verdeckte Einlage bzw. vGA erfolgen. Derartige verdeckte Einlagen und vGA haben jedoch im Verhältnis von Betriebsstätte und Stammhaus trotz der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte keine Bedeutung, wie § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV beweist. 6.25 Regelung schuldrechtlicher Vereinbarungen oder Geltendmachung von Positionen. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV hinterlässt viele Unklarheiten. Denn man fragt sich, wann wirtschaftliche Vorgänge zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, wären diese unabhängige Unternehmen, nicht durch schuldrechtliche Vereinbarungen geregelt werden. Das BMF nennt als Beispiele Tätigkeiten, die durch die Personalfunktion ausgeübt werden (fiktive Dienstleistung) und die Überlassung eines Vermögenswerts (fiktive Nutzungsüberlassung), welche aber vom dauerhaften Zu-

1 Es ist anzumerken, dass § 1 Abs. 6 BsGaV als Ermächtigungsgrundlage für die BsGaV explizit nur Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes i.S.d. Abs. 1, 3 und 5 regeln dürfte. Damit entbehrt § 16 BsGaV u.E. einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. 2 Im Fall des Zuordnungswechsels zwischen verschiedenen Betriebsstätten kommt es zunächst zu einer Übertragung des Wirtschaftsguts von der Betriebsstätte zum Stammhaus und anschließend zu einer Übertragung vom Stammhaus zu der anderen Betriebsstätte, VWG BsGa, Rz. 170.

154 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.27 Kap. 6

ordnungswechsel zu unterscheiden ist.1 Um die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen nicht dennoch im Einklang mit den Vorgaben zur OECD einzuschränken (vgl. Rz. 6.26), muss für den Einzelfall das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorgangs ausgeschlossen werden. Auch die in § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BsGaV geregelte Rechtsfolge, wonach anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen vorliegen, wenn wirtschaftliche Vorgänge zu Rechtspositionen führen, erschließt sich nicht unmittelbar. Nach Ansicht des BMF sind hiermit insbesondere Schadensersatz- und Gewährleistungsansprüche gemeint.2 Dies scheint insofern inkonsequent, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Bürgschaften zwischen Stammhaus und Betriebsstätte eigentlich nicht möglich sein sollen (vgl. Rz. 6.49). Vergleich zur Definition der „dealings“ nach Ansicht der OECD. Vergleicht man 6.26 den Begriff der Geschäftsvorfälle bzw. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG mit der Definition der dealings der OECD3, ergeben sich Unterschiede. Letztgenannte schreibt vor, dass genau zu hinterfragen ist, ob ein dealing zwischen Betriebsstätte und dem Stammhaus mit einer zwischen selbständigen Unternehmen geschlossenen Transaktion vergleichbar ist (vgl. hierzu auch Rz. 4.5). Anders formuliert führt nach Ansicht der OECD nicht jeder Vorgang zwischen Betriebsstätte und Stammhaus zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung.4 Der Regelungsinhalt der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG scheint damit weiter zu sein als der von der OECD entwickelte Begriff der dealings. § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG – Fiktion einer schuldrechtlichen Vereinbarung. In § 1 6.27 Abs. 4 Satz 2 AStG wird im Wege der Fiktion bestimmt, dass voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen hätten, wenn einem Geschäftsvorfall keine schuldrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt. Diese Regelung kann i.R. der Bestimmung der Geschäftsbeziehung gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG keine Bedeutung haben. Denn schuldrechtliche Vereinbarungen können im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte per se nicht existieren bzw. andernfalls lägen im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte immer anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen vor. Dementsprechend sollte auch die in § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG enthaltene Rückausnahme keine Bedeutung haben, wonach der Steuerpflichtige im Einzelfall das Nichtbestehen einer Geschäftsbeziehung glaubhaft machen kann.

1 VWG BsGa, Rz. 171. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 171. 3 OECD, Report on the attribution of profits to permanent establishments 2010 (Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten 2010) – folgend OECD-Betriebsstättenbericht 2010, http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-perma nent-establishments-german.pdf. 4 „This greater scrutiny means a threshold needs to be passed before a dealing is accepted as equivalent to a transaction that would have taken place between independent enterprises acting at arm’s length“, OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 35.

Schnitger/Borchert 155

Kap. 6 Rz. 6.28 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

III. Zum Ausland 6.28 Allgemeine Definition. Wann eine Geschäftsbeziehung zum Ausland vorliegt, wird in § 1 Abs. 1 AStG nicht definiert. Nach der h.M. in der Literatur ist das Tatbestandsmerkmal folglich nach dem Zweck des § 1 AStG (Verhinderung einer Einkünfteverlagerung ins Ausland) auszulegen; daher ist entscheidend, ob durch eine Geschäftsbeziehung Gewinne vom Inland ins Ausland verlagert werden.1 6.29 Grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung. Damit eine Geschäftsbeziehung zum Ausland vorliegt, muss diese grenzüberschreitend sein. Bei Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen stellen sich hier eine Reihe von Fragen (z.B. inwieweit eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung vorliegt, wenn beide Vertragspartner im Inland ansässig sind, einer der Vertragspartner das der Geschäftsbeziehung zugrunde liegende Wirtschaftsgut aber im Ausland nutzt2). Derartige Anwendungsfragen sollten sich i.R. der Auslegung des Tatbestandsmerkmals gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG nicht stellen; denn hier kann die zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung nur zwischen inländischem/ausländischem Stammhaus und ausländischer/inländischer Betriebsstätte bestehen. Eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung sollte damit regelmäßig für Zwecke der Anwendung des FSEA vorliegen. 6.30 Persönlicher Anwendungsbereich. Eine grenzüberschreitende Geschäftsbeziehung können sowohl unbeschränkt Steuerpflichtige (dann von dem inländischen Stammhaus zur ausländischen Betriebsstätte) als auch beschränkt Steuerpflichtige (dann von dem ausländischen Stammhaus zur inländischen Betriebsstätte) unterhalten.

IV. Mit einer nahestehenden Person bzw. einer Betriebsstätte 6.31 Nahestehende Person. § 1 Abs. 1 AStG sieht als Anwendungsvoraussetzung vor, dass die Geschäftsbeziehung mit einer nahestehenden Person bestehen muss. Person können dabei juristische oder natürliche Personen sein,3 sowie seit Einführung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG auch Personengesellschaften. Was zudem als „nahestehend“ zu verstehen ist, wird in § 1 Abs. 2 AStG geregelt. 6.32 Betriebsstätte als Äquivalenz zur nahestehenden Person. Da § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG eine entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG anordnet, muss die Betriebsstätte hier als Korrelat zur nahestehenden Person gesehen werden. 6.33 Keine Bedeutung des Erfordernisses eines Nahestehens für Betriebsstätten. Die Übertragung der in § 1 Abs. 2 AStG enthaltenen Tatbestandsmerkmale eines Nahestehens muss allerdings scheitern, da mangels Identität der Rechtsperson eine Be1 Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 32; Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 126; Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 73. 2 Vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 128 ff. 3 Vgl. Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 80, 162; Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 58.

156 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.36 Kap. 6

teiligungshöhe oder Ausübung eines Einflusses nicht geprüft werden kann. Wollte man die in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG enthaltene Selbständigkeitsfiktion hingegen in extenso anwenden, würde man regelmäßig von der Erfüllung des Erfordernisses eines Nahestehens ausgehen. § 1 Abs. 2 AStG dürfte damit keine Bedeutung für die Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG haben.1 Keine Bedeutung für Geschäftsbeziehungen zwischen Schwesterbetriebsstätten. 6.34 Da § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG nur auf Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und der Betriebsstätte abstellt, ist dem Wortlaut nach keine Korrektur von gedachten Geschäftsbeziehungen zwischen Schwesterbetriebsstätten denkbar.2 Das heißt, insoweit erfährt die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte bereits tatbestandlich eine Einschränkung (zu weitergehenden Einschränkungen vgl. Rz. 6.49). Dies ist auch insofern nachvollziehbar, als derartige Geschäftsbeziehungen allenfalls zu Verschiebungen von Einkünften zwischen verschiedenen ausländischen Betriebsstätten führen, für die sich der deutsche Gesetzgeber nicht interessieren sollte.

V. Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder Erhöhung der Einkünfte Grundsätzliches. Bei der Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG sind in Bezug auf 6.35 die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen bei der Bestimmung der Einkünfte folgende Varianten zu unterscheiden: – Minderung der Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen (vgl. Rz. 6.36), – Erhöhung der Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen (vgl. Rz. 6.38). Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen. § 1 6.36 Abs. 1 Satz 1 AStG stellt tatbestandlich ebenso wie § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG (letztgenannte Vorschrift jedoch nur als eine Alternative) auf die Minderung von Einkünften ab. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG spezifiziert darüber hinaus noch für Zwecke der Anwendung des AOA, dass es sich um die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen handeln muss. Diese Spezifizierung ergibt sich einerseits aus dem Umstand, dass der im innerstaatlichen Recht umgesetzte AOA grundsätzlich nur einseitig zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkt und rechtsfolgenseitig nicht zu einer Minderung inländischer Einkünfte führen kann. Andererseits trägt der Gesetzgeber damit dem Umstand Rechnung, dass für den mit einer inländischen Betriebsstätte beschränkt Steuerpflichtigen Prüfungsmaßstab für die Anwendung des AOA nur die inländischen (Betriebsstätten-)Einkünfte sein können (denn solche beschränkt Steuerpflichtigen erzielen keine ausländischen Einkünfte gem. § 34d EStG).

1 Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2854. 2 Vgl. von Goldacker, BB 2013, 87 (89) mit Hinweisen auf eine möglicherweise abweichende Regelung nach einigen DBA.

Schnitger/Borchert 157

Kap. 6 Rz. 6.37 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.37 Begriff der inländischen Einkünfte. Der Begriff der inländischen Einkünfte bestimmt sich nach den Grundsätzen des § 49 EStG.1 Das heißt, die Anwendung der Vorschrift setzt zunächst voraus, dass eine sachliche Steuerpflicht gem. § 49 EStG und damit beschränkt steuerpflichtige Einkünfte dem Grunde nach vorliegen. Weiterhin bestimmen sich die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte der Höhe nach entsprechend der allgemeinen Grundsätze des § 50 Abs. 1 EStG; d.h., hier sind die Einkünfte entsprechend dem allgemeinen Veranlassungszusammenhang zu bestimmen. 6.38 Erhöhung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sieht die tatbestandliche Einengung, dass eine Erhöhung ausländischer Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erforderlich ist, nicht vor. Diese Anforderung findet sich ausschließlich in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG. Es fragt sich, wieso der Gesetzgeber hier ein unterschiedliches Vorgehen wählt. Unseres Erachtens wird hiermit eine Ausweitung des Anwendungsbereichs verfolgt. Denn insbesondere für solche Fälle, in denen mit einem ausländischen Staat kein DBA bzw. ein DBA mit Anrechnungsmethode besteht, wird mit dieser Formulierung die Möglichkeit der Erhöhung von Einkünften gewährleistet (vgl. Rz. 6.41).2 6.39 Begriff der ausländischen Einkünfte. Der Begriff der ausländischen Einkünfte sollte sich im Nicht-DBA-Fall entsprechend § 34d EStG bestimmen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nur im Falle des Bestehens solcher ausländischen Einkünfte eine Anrechnungsverpflichtung anzunehmen ist, die zu einer Reduktion der inländischen Steuer führen kann (vgl. Rz. 6.41). Im DBA-Fall sollte sich der Begriff der ausländischen Einkünfte hingegen nach den Verteilungsnormen bestimmen, da diese in diesem Fall ebenso für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags (und damit die Reduzierung der inländischen Steuern) sowie der freizustellenden Einkünfte maßgeblich sind. 6.40 Mehrung der ausländischen Einkünfte bei Anwendung der Freistellungsmethode. Soweit mit einem ausländischen Staat die Freistellungsmethode vereinbart wurde, kann durch Anwendung des AOA sowohl eine Minderung der inländischen Einkünfte als auch eine Erhöhung der ausländischen Einkünfte vorliegen. Für Zwecke des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die Erhöhung der ausländischen Einkünfte maßgebend, welche die Höhe des Anteils der freizustellenden ausländischen Betriebsstätteneinkünfte bestimmt. 6.41 Mehrung der ausländischen Einkünfte bei Anwendung der Anrechnungsmethode. Auch soweit mit einem Staat ein DBA mit Anrechnungsmethode besteht, sollte § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG einschlägig sein, wenn eine Erhöhung der ausländischen Einkünfte vorliegt.3 Dies ist insoweit konsequent, als aus den höheren ausländischen 1 Kraft in Kraft2, § 1 AStG Rz. 67. 2 Vgl. zur Einschränkung des § 1 Abs. 1 AStG bei DBA mit Anrechnungsmethode Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 133. 3 In Bezug auf Geschäftsbeziehungen im Verhältnis zu ausländischen Anrechnungsbetriebsstätten wird i.R. des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG hingegen eine Anwendung verneint, vgl. Wassermeyer in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 133.

158 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.45 Kap. 6

Einkünften eine höhere Anrechnungsverpflichtung ausländischer Steuern folgt, welche die inländischen Steuern reduziert. Transaktionsbezogene Prüfung. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 5 6.42 Satz 1 AStG folgt, dass die Prüfung, ob eine Minderung der Einkünfte vorliegt „transaktionsbezogen“ für jede Geschäftsbeziehung gesondert zu vollziehen ist.1 Das heißt, eine Minderung der Einkünfte kann nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass für eine Geschäftsbeziehung eine Minderung der Einkünfte vorliegt, während für eine andere Geschäftsbeziehung eine Gewinnverteilung vereinbart wurde, die zu überhöhten inländischen Einkünften führt. Gleichwohl ist damit u.E. keine Aussage getroffen, inwieweit im Fall der vorherigen klaren Vereinbarung der Einräumung eines Vorteils und Inkaufnahme eines Nachteils die Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ausgeschlossen ist. Dieser im Bereich der Verrechnungspreise bekannte Grundsatz2 sollte u.E. auch i.R. der Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG Bedeutung haben (vgl. Rz. 6.47).

VI. Vereinbarung von nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechenden Bedingungen Kausales Erfordernis und Vergleichsmaßstab. Die Minderung der inländischen 6.43 beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte bzw. die Mehrung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen muss kausal durch eine nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Gewinnaufteilung ausgelöst werden. Der Fremdvergleichsgrundsatz wird damit als Vergleichsmaßstab definiert, an dem sich die Gewinnaufteilung messen lassen muss. Anwendungsvoraussetzung und Rechtsfolge. Die entsprechende Anwendung der 6.44 § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG kann nach § 1 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 AStG nur erfolgen, wenn die Verrechnungspreise nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Der Fremdvergleichsgrundsatz bestimmt sich in quantitativer Hinsicht jedoch erst durch die Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG. Der Fremdvergleichsgrundsatz ist damit zugleich Anwendungsvoraussetzung und Rechtsfolge für den FSEA. Ermittlung der Betriebsstätteneinkünfte ohne Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 6.45 AStG. Die tatbestandsmäßige Ausgestaltung des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG erfordert, dass zunächst die Betriebsstätteneinkünfte ohne Anwendung des AOA zu ermitteln sind; dabei sind außerbilanzielle Korrekturen (z.B. durch DBA) zu berücksichtigen.3 Diese Einkünfte stellen dann den Vergleichsmaßstab dar, um zu ermitteln, ob die steuerliche Bemessungsgrundlage bei Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes des AOA eine Einkommenserhöhung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG gebietet. 1 Vgl. Neumann-Tomm, IStR 2015, 907 (908). 2 Borstell in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Rz. C 91 ff.; Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 3.161 ff.; Bernhardt in Bernhardt, Verrechnungspreise, S. 86 ff. 3 Vgl. Neumann-Tomm, IStR 2015, 907.

Schnitger/Borchert 159

Kap. 6 Rz. 6.46 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.46 Insbesondere. Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ drückt aus, dass auch andere Bedingungen als nur die Verrechnungspreise zu einer Einkünfteminderung i.S.d. § 1 AStG führen können, z.B. Liefermodalitäten, Zahlungsziele oder Gewährleistungen.1 Da Betriebsstätten zivilrechtlich unselbständig sind, haben andere Bedingungen im Verhältnis zum Stammhaus bei der Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG i.R. der Einkünfteminderung keine besondere Bedeutung. 6.47 Vorteilsausgleich. Die Prüfung, ob eine Geschäftsbeziehung fremdvergleichskonform ist, erfolgt grundsätzlich transaktionsbezogen für jede Geschäftsbeziehung (vgl. Rz. 6.42). Soweit jedoch die Einkünfte aufgrund einer Geschäftsbeziehung nur deswegen vermindert sind, weil aufgrund einer anderen Geschäftsbeziehung überhöhte inländische Einkünfte entstehen („Vorteilsausgleich“), sollte eine Korrektur nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ausscheiden. Denn derartige Geschäftsbeziehungen hätte auch ein gewissenhafter Geschäftsführer der inländischen Betriebsstätte/des Stammhauses vereinbart. Dabei ist es u.E. auch nicht entscheidend, dass der Vorteilsausgleich im Vorhinein klar dokumentiert wird; denn diese erhöhten Anforderungen nach deutschem Steuerrecht stammen aus der Rechtsprechung zur Anwendung der vGA gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG beim beherrschenden Gesellschafter.2 Abkommensrechtlich kommt es für Art. 9 OECD-MA 2014 auf dieses Erfordernis nicht an. Insoweit hat die Änderung der Rechtsprechung des BFH in Bezug auf das Verhältnis von Art. 9 OECD-MA und § 1 AStG keine Bedeutung; Art. 9 OECD-MA entfaltet hier weiter Sperrwirkung.3 Dementsprechend kann nichts anderes für die Gewinnabgrenzung des Art. 7 OECD-MA gelten. Auch sind nach § 1 Abs. 1 AStG keine solchen erhöhten Anforderungen gesetzlich vorgesehen, um einen Ausgleich von Vor- und Nachteilen bei der Prüfung des Angemessenheitsgrundsatzes geltend zu machen.4

VII. Selbständigkeitsfiktion 1. Grundsatz

6.48 Zielsetzung. Bei der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes wird in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG angeordnet, dass die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln ist, obwohl ihr die Fähigkeit fehlt, selbst zivilrechtliche Verträge zu schließen. Mit dieser Selbständigkeitsfiktion (vgl. hierzu auch Rz. 4.5) wird das Ziel verfolgt, einen Gleichklang der Behandlung von Geschäftsbeziehungen zwischen Konzerngesellschaften sowie der Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten mit dem Stammhaus im § 1 AStG zu erreichen. Oder anders for1 Vgl. Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 36. 2 BFH v. 22.2.1989 – I R 9/85, BStBl. II 1989, 631 = FR 1989, 562; Kohlhepp in Schnitger/ Fehrenbacher2, § 8 KStG Rz. 393. 3 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046 = FR 2013, 415 m. Anm. Pezzer; Schnitger in Brunsbach/Endres/Lüdicke/Schnitger, ifst-Schrift Nr. 492, S. 92 ff.; Ditz, ISR 2013, 54 ff. 4 Bejahend: Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2705; Nientimp in Fuhrmann3, § 1 AStG Rz. 205.

160 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.50 Kap. 6

muliert dient die Selbständigkeitsfiktion dazu, dass die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus nach den gleichen Prinzipien wie die Bestimmung der Verrechnungspreise erfolgt (vgl. Rz. 7.2 ff.). Vollzogen wird diese Selbständigkeitsfiktion i.R. des sog. Two-Step-Approaches, der eine Funktions- und Vermögenswertzuordnung anhand definierter Kriterien anordnet, um anschließend Geschäftsbeziehungen zu fingieren (vgl. Rz. 6.50). Inwiefern eine solche doppelte Fiktion zielführend ist, um wirtschaftliche Realitäten abzubilden, scheint fraglich, soll aber hier nicht weiter erörtert werden. Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion. Allerdings erkennt der Gesetzgeber 6.49 an, dass eine vollständige Gleichbehandlung von Betriebsstätten und Konzerngesellschaften nicht möglich ist. So kommt die Selbständigkeitsfiktion in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG nicht zur Anwendung, wenn „die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen […] eine andere Behandlung [erfordert]“ (vgl. hierzu auch Rz. 9.4). Auch wenn sich Unsicherheiten bei der Auslegung dieser Einschränkung ergeben,1 wird hiermit offenbar der von der OECD2 vertretenen Ansicht Rechnung getragen, dass die rechtliche Unselbständigkeit einer Betriebsstätte auch für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht vollständig negiert werden kann. In welchen Fällen die Selbständigkeitsfiktion einzuschränken ist, wird gesetzlich zwar nicht definiert. Gleichwohl sollte hiervon auszugehen sein, – in Bezug auf Bürgschaften, sowohl in Form von internen als auch externen Garantien (da eine Betriebsstätte stets das gleiche Kreditrating wie das Unternehmen besitzt)3 und – in Bezug auf interne Darlehensbeziehungen, welche nur ausnahmsweise anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen darstellen (vgl. auch Rz. 8.76 ff.).4 Two-Step-Approach. Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängi- 6.50 ges Unternehmen zu behandeln, ist ein zweistufiger Ansatz in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG (sog. „Two-Step-Approach“) vorgeschrieben, der sich an die OECD-Grundsätze anlehnt.5 Ziel dieses Vorgehens ist die Identifizierung der maßgeblichen Werttreiber und Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (vgl. hierzu auch Rz. 7.25). Der Two-Step-Approach erfordert dabei eine – Analyse der Funktionen und Fakten, die zu einer Zuordnung von Funktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie des angemessenen Eigenkapitals führt (Funktionsanalyse; vgl. Rz. 6.51 ff.) sowie

1 Vgl. Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 (913). 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 9 ff. Hierzu Kahle/Mödinger, IStR 2010, 757 (759 ff.). 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 103; VWG BsGa, Rz. 177. 4 BR-Drucks. 302/12, 105 f. sowie § 17 Abs. 2 Satz 1 BsGaV: „Die Ausübung einer Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens ist eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung, die im Regelfall als Dienstleistung anzusehen ist und nicht als Zurverfügungstellung eigener finanzieller Mittel der Finanzierungsbetriebsstätte.“ 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 44 ff.

Schnitger/Borchert 161

Kap. 6 Rz. 6.50 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

– Bestimmung der Geschäftsbeziehungen und Verrechnungspreise für diese (vgl. Rz. 6.75 ff.). 2. Erster Schritt

6.51 Funktionsanalyse. Um eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln und damit dem FSEA Folge zu leisten, musste der Gesetzgeber einen Rahmen entwickeln, innerhalb dessen bestimmt wird, ob der fiktiv selbständigen Betriebsstätte Risiken, Vermögenswerte oder Kapital zugeordnet werden. Wenig überraschend folgt der deutsche Gesetzgeber hier den Vorgaben der OECD und zieht die Funktionsanalyse als Basis heran (vgl. hierzu ausführlich Rz. 2.12, 2.23 ff.). Insoweit ergibt sich im Grundsatz ein Gleichlauf zu Art. 9 OECDMA, der ebenso die Funktionsanalyse als Grundlage für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes heranzieht. Hiermit wird gleichzeitig die Grundlage dafür geschaffen, die OECD-Verrechnungspreisgrundsätze analog anzuwenden (zur Zielsetzung der analogen Anwendung des AOA vgl. Rz. 1.32). Als Funktionen sind insoweit Aktivitäten zu verstehen (vgl. Rz. 2.19). 6.52 Zuordnungskriterien. Die Zuordnungskriterien entsprechen den Vorgaben des abkommensrechtlichen AOA. Im Einzelnen sind zuzuordnen: – die Funktionen des Unternehmens, welche durch dessen Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen; vgl. Rz. 6.53 ff.), – die Vermögenswerte des Unternehmens, welche es zur Ausübung der zugeordneten Funktionen benötigt (vgl. Rz. 6.60 f.), – die Chancen und Risiken des Unternehmens, welche es auf Grund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt (vgl. Rz. 6.62 ff.), sowie – ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital (vgl. Rz. 6.65 ff.).

6.53 Zentralfunktion des Stammhauses. Die zuvor durch die Finanzverwaltung1 vertretene Zentralfunktion des Stammhauses beinhaltet die Annahme, dass zentrale Funktionen nur durch das Stammhaus und nicht durch die Betriebsstätte ausgeübt werden. Hierdurch wird Betriebsstätten die Eignung versagt, Finanzierungs-, Holdingoder Lizenzgeberfunktionen zu übernehmen.2 Der von der OECD entwickelte AOA sowie die damit verbundene Wertungsentscheidung, dass bei der Bestimmung der tatsächlichen Funktionsausübung auf die „significant people functions“ abzustellen ist, widerstreben einer solchen automatisierten Zuordnung bestimmter Wirtschaftsgüter zum Stammhaus.3 Gleiche Schlussfolgerung gilt für die Umsetzung des AOA in 1 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 2.4 „Zuordnung der Wirtschaftsgüter“, geändert durch BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888; Häck in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Art. 10 DBA Rz. 136. 2 Kessler/Arnold in FG Wassermeyer, 2015, S. 273. 3 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280).

162 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.56 Kap. 6

§ 1 Abs. 5 AStG, so dass die Zentralfunktion des Stammhauses auch insoweit aufgehoben wurde.1 Personalfunktionen. Zentraler Anknüpfungspunkt für die Gewinnabgrenzung sind 6.54 auch nach innerstaatlichem Recht die Personalfunktionen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es die Funktionen ausübenden maßgeblichen Personen sind, die einen Wertbeitrag leisten, der eine Gewinnzuordnung rechtfertigt. Präzisiert wird die Definition der Personalfunktion gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG durch § 2 Abs. 3 BsGaV. Demnach ist eine Personalfunktion (vgl. hierzu auch Rz. 7.73 ff. und Rz. 13.25) – eine Geschäftstätigkeit (vgl. Rz. 6.55), – die vom eigenen Personal des Unternehmens (vgl. Rz. 6.56) – für das Unternehmen ausgeübt wird (vgl. Rz. 6.58). Geschäftstätigkeiten. Der Begriff der Geschäftstätigkeit wird in § 2 Abs. 3 BsGaV 6.55 nicht ausdrücklich definiert. Stattdessen findet sich in § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV eine Aufzählung von „folgende[n] Geschäftstätigkeiten: 1. Nutzung, 2. Anschaffung, 3. Herstellung, 4. Verwaltung, 5. Veräußerung, 6. Weiterentwicklung, 7. Schutz, 8. Risikosteuerung und 9. die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen.“ Die Aufzählung ist nicht abschließend.2 Jedoch werden lediglich die aufgezählten Personalfunktionen in den jeweiligen Zuordnungsregelungen der §§ 4–11 BsGaVexplizit aufgegriffen. Aus der Aufzählung in § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lässt sich somit entnehmen, dass als Geschäftstätigkeit abstrakt jede Aktivität einer Person gefasst werden kann, welche mit dem Geschäftsbetrieb eines Unternehmens zusammenhängt. Eigenes Personal. Als eigenes Personal werden gem. § 2 Abs. 4 BsGaV natürliche Per- 6.56 sonen definiert, welche aufgrund gesellschaftsvertraglicher, arbeitsvertraglicher oder schuldrechtlicher Verpflichtungen für das Unternehmen tätig werden (vgl. hierzu auch Rz. 13.26). Fehlt es an einer vertraglichen Vereinbarung, wird gem. § 2 Abs. 4 Satz 3 BsGaV eine natürliche Person dennoch dem Unternehmen zugeordnet, wenn 1 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280); Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1114); Kessler/ Arnold in FG Wassermeyer, 2015, S. 277 f. 2 VWG BsGa, Rz. 34.

Schnitger/Borchert 163

Kap. 6 Rz. 6.56 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

diese Unternehmer, Gesellschafter oder nahestehende Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG ist. Letztere Erweiterung ist zu kritisieren, da Gesellschafter- und Gesellschaftsebene vermischt werden. Zudem ist nach ganz herrschender Rechtsprechung die unentgeltliche Leistungserbringung durch den Gesellschafter nicht einlagefähig.1 Es erscheint daher inkonsequent, dass die vertragslose (und damit entgeltlose) Erbringung einer Leistung durch einen Gesellschafter dennoch eine Personalfunktion sein kann, welche bei der Bestimmung von Gewinnen heranzuziehen ist.

6.57 Ausübung mehrerer Personalfunktionen. Zugeordnet werden lediglich Personalfunktionen, nicht hingegen das Personal selbst.2 Daraus folgt, dass eine Person mehrere Personalfunktionen ausüben kann, die auch verschiedenen Betriebsstätten zugeordnet werden können.3 Verschiedene Personen können dementsprechend ebenso eine Personalfunktion bzgl. eines Zuordnungsgegenstands in verschiedenen Betriebsstätten ausüben (vgl. hierzu auch Rz. 7.102). 6.58 Ausübung für das Unternehmen. Damit eine Personalfunktion vorliegt, muss eine Geschäftstätigkeit für das Unternehmen erbracht werden. Diese Anforderung scheint lediglich klarstellend zu sein und wohl sowieso nur für die Abgrenzung bei Geschäftstätigkeiten des Einzelunternehmens (Betriebs- vs. Privatvermögen) eine Bedeutung zu haben. 6.59 Maßgebliche Personalfunktionen. Eine Personalfunktion ist gem. § 2 Abs. 5 BsGaV für die Zuordnung von Vermögenswerten, von Chancen und Risiken oder von Geschäftsvorfällen maßgeblich, wenn der Ausübung dieser Personalfunktion im üblichen Geschäftsbetrieb im Verhältnis zu den Personalfunktionen, die in anderen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt werden, die größte Bedeutung für den jeweiligen Zuordnungsgegenstand zukommt. Ausgenommen werden Funktionen mit unterstützendem Charakter oder die Geschäftspolitik betreffende Funktionen. Die Bedeutung ist ausgehend von der Funktionsanalyse nach qualitativen Merkmalen zu bestimmen.4 Die Bestimmung, was maßgeblich ist, muss ausgehend von der Ausrichtung des Geschäftsbetriebs vorgenommen werden. Beispiel: Der Unternehmensgegenstand der A-GmbH ist die Erbringung gewerblicher Dienstleistungen im Bereich des Rechnungswesens. Die B-GmbH unterhält als Betrieb die Produktion von Kühlschränken. Bezogen auf die A-GmbH wird die Erbringung von buchhalterischen Tätigkeiten die größte Bedeutung haben; bezogen auf die B-GmbH wird diese Tätigkeit hingegen nur unterstützenden Charakter haben. 1 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = FR 1988, 160; BFH v. 19.5.2005 – IV R 3/04, BFH/NV 2005, 1784; BFH v. 11.4.2017 – IX R 4/16, BFH/NV 2017, 1309. 2 BR-Drucks. 401/14, 46; VWG BsGa, Rz. 35. 3 VWG BsGa, Rz. 36; als Beispiel führt die Verordnung ein Consultingunternehmen an, in welchem ein Mitarbeiter nacheinander in verschiedene Betriebsstätten reist und dort jeweils an mindestens 40 Tagen die jeweilige Personalfunktion ausübt. Diese seien dann auch jeweils der betreffenden Betriebsstätte zuzuordnen. 4 Nach u.E. unzutreffender Verwaltungsauffassung soll dabei die Hierarchiestufe des Entscheidungsträgers unmaßgeblich sein, vgl. VWG BsGa, Rz. 40.

164 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.61 Kap. 6

Vermögenswerte. Eine Legaldefinition von Vermögenswerten (vgl. hierzu auch 6.60 Rz. 7.113 ff.) enthält der Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG nicht.1 In § 2 Abs. 6 Satz 1 BsGaV werden Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile als Vermögenswerte definiert. § 2 Abs. 6 Satz 2 BsGaV nennt als Regelbeispiele von Vermögenswerten: – materielle Wirtschaftsgüter, – immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter, – Beteiligungen und – Finanzanlagen. Ob Vermögenswerte bilanzierbar sind, ist nach zutreffender Verwaltungsauffassung nicht entscheidend; denn die Bilanzierung von Vermögenswerten hat keinen Einfluss auf die Gewinnverteilung.2 Daneben werden auch Vorteile als Vermögenswerte genannt, um eine Zuordnung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte zu vollziehen, falls ein Wert nicht hinreichend konkretisiert ist und damit kein Wirtschaftsgut vorliegt. Daneben nennen die VWG BsGa auch Finanzinstrumente i.S.d. § 254 HGB, die keine Wirtschaftsgüter sind, aber der Sicherung von Vermögenswerten i.S.d. § 11 BsGaV dienen, als Vorteil.3 Zuordnung von Vermögenswerten. Für die Zuordnung der Vermögenswerte (vgl. 6.61 auch Rz. 7.96 ff.) ist die Zuordnung jeweils verschiedener Personalfunktionen bestimmend: – Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter = grundsätzliche Nutzung des Wirtschaftsguts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, siehe hierzu im Einzelnen Rz. 7.115 ff.); – Zuordnung immaterieller Wirtschaftsgüter = Schaffung oder Erwerb des Wirtschaftsguts (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, siehe hierzu im Einzelnen Rz. 7.127 ff.); – Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen oder ähnlichen Vermögenswerten = Nutzung der Beteiligungen, Finanzanlagen oder ähnlichen Vermögenswerten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, siehe hierzu im Einzelnen Rz. 7.139 ff.); – Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten = Schaffung oder Erwerb der sonstigen Vermögenswerte (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, siehe hierzu im Einzelnen Rz. 7.147 ff.). Soweit jedoch die Bedeutung einer anderen in dieser Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion im Vergleich zu den obigen Personalfunktionen eindeutig überwiegt, erfolgt eine Zuordnung zu dieser Betriebsstätte (§§ 5 Abs. 2 Satz 1, 6 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 2 Satz 1, 8 Abs. 2 Satz 1 BsGaV) (vgl. Rz. 7.8 ff.). 1 Zu möglichen Fragen aus der Verwendung der Definition vgl. Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (5). 2 VWG BsGa, Rz. 49. Vorteile können dabei als „für die Preisbestimmung von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Absatz 4 Nummer 2 AStG und die daraus entstehenden Einkünfte von erheblicher Bedeutung sein“ (ebenda, Rz. 50). 3 VWG BsGa, Rz. 50.

Schnitger/Borchert 165

Kap. 6 Rz. 6.62 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.62 Zuordnung von Chancen und Risiken nach der Zuordnung von Vermögenswerten. Ausgehend von der Zuordnung der Vermögenswerte erfolgt gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 BsGaV die Zuordnung der Chancen und Risiken (vgl. auch Rz. 7.162 ff.), welche jeweils mit diesen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen (vgl. hierzu auch Rz. 7.16 und Rz. 7.175). Dies impliziert, dass Chancen und Risiken von Vermögenswerten auch in jener Betriebsstätte entstehen, in welcher die entsprechenden Vermögenswerte dem fiktiven Eigentum zuzuordnen sind.1 Dabei kann diese Risikozuordnung im Einheitsunternehmen in Frage gestellt werden. Denn eine Betriebsstätte als nicht eigenständig rechtsfähiger Teil des Unternehmens kann im Außenverhältnis nicht getrennt vom Einheitsunternehmen auftreten, so dass das Risiko rechtlich vollständig im Einheitsunternehmen verbleibt. Die OECD erkennt dies in Bezug auf die fehlende Möglichkeit einer Bürgschaft zwischen Stammhaus und Betriebsstätte an (vgl. Rz. 6.49), weswegen die Zuordnung von Chancen und Risiken einerseits inkonsequent und andererseits allein auf der fiktiven Selbständigkeitsfiktion des FSEA beruht. 6.63 Zuordnung von Chancen und Risiken nach der Zuordnung von Geschäftsvorfällen. Neben der Zuordnung nach Vermögenswerten wird in § 10 Abs. 1 Satz 1 BsGaV auch eine Zuordnung von Chancen und Risiken in Abhängigkeit von Geschäftsvorfällen, mit denen sie in einem Zusammenhang stehen (vgl. hierzu auch Rz. 7.176), angesprochen. Gemeint sind hiermit solche Fallkonstellationen, in denen ein bestimmter Geschäftsvorfall, wie z.B. die fehlerhafte Bedienung einer Maschine,2 zur Konkretisierung des Risikos in Form eines Schadens führt. Die Zuordnung von Chancen und Risiken zu der Betriebsstätte erfolgt hier also nach dem Gedanken des Veranlassungsprinzips. 6.64 Zuordnung von Chancen und Risiken nach der Zuordnung von Personalfunktionen. Soweit bestimmte Chancen und Risiken nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall, sondern mit der Geschäftstätigkeit stehen, ordnet § 10 Abs. 2 Satz 1 BsGaV eine Zuordnung nach der Personalfunktion an. Auch hier ist die Zuordnung der Chancen und Risiken maßgeblich durch das Veranlassungsprinzip bestimmt. § 10 Abs. 2 Satz 2 BsGaV sieht zudem vor, dass für den Fall, dass Personalfunktionen in mehreren Betriebsstätten ausgeübt werden, die Chancen und Risiken der Betriebsstätte zugeordnet werden, der die größte Bedeutung für die Chancen und Risiken zukommt. Andere Personalfunktionen, auf denen nicht die Chancen und Risiken beruhen, können gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 BsGaV dennoch zu einer Zuordnung von Chancen und Risiken führen, wenn die Bedeutung dieser Personalfunktion überwiegt. § 10 Abs. 4 Satz 1 BsGaV enthält zudem eine Sonderregelung, wenn andere Personalfunktionen gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt werden und § 10 Abs. 5 BsGaV für den Fall, dass Chancen und Risiken nicht eindeutig zugeordnet werden können.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 117. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 117.

166 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.67 Kap. 6

Dotationskapital. Ausgehend von den zugeordneten Personalfunktionen, Wirt- 6.65 schaftsgütern sowie Chancen und Risiken ist ein angemessenes Eigenkapital (vgl. auch Rz. 8.1 ff.) zu bestimmen, um die Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken zu besichern.1 Das Dotationskapital dient als Ausgangsbasis für die Hilfs- und Nebenrechnung.2 Die Verordnung unterscheidet in der Methode zur Ermittlung des angemessenen Eigenkapitals zwischen inländischer und ausländischer Betriebsstätte. Dotationskapital inländischer Betriebsstätten nach der Kapitalaufteilungsme- 6.66 thode. § 12 Abs. 1 BsGaV ordnet für die Zuordnung von Dotationskapital inländischer Betriebsstätten von ausländischen Unternehmen die Kapitalaufteilungsmethode an. Hiernach ermittelt sich das anteilige Dotationskapital entsprechend dem Verhältnis der Vermögenswerte sowie den Chancen und Risiken der Betriebsstätte zu den gesamten Vermögenswerten sowie den Chancen und Risiken des Unternehmens (vgl. hierzu auch Rz. 8.3). Beispiel: Einer inländischen Betriebsstätte sind 30 % der gesamten Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken eines Unternehmens zuzuordnen. Wenn das Unternehmen über ein Eigenkapital i.H.v. 1.000 verfügt, ist der inländischen Betriebsstätte anteilig gem. § 12 Abs. 1 BsGaV ein Eigenkapital i.H.v. 300 (30 % des Eigenkapitals des Unternehmens) zuzurechnen.

Zweck der Zuordnung eines angemessenen Eigenkapitals ist es, eine Zuordnung von unangemessen hohen Verbindlichkeiten zur inländischen Betriebsstätte zu verhindern, um folglich einer überhöhten Zuordnung von Zinsaufwendungen zu inländischen Betriebsstätten entgegenzuwirken.3 Ermittlung des Dotationskapitals nach deutschem Steuerrecht. Die Höhe des Ei- 6.67 genkapitals des ausländischen Unternehmens ist entsprechend § 12 Abs. 2 Satz 1 BsGaV nach deutschem Steuerrecht zu bestimmen. Dies ist insofern nachvollziehbar, als die Ermittlung des Dotationskapitals für deutsche steuerliche Zwecke erfolgt. Gleichwohl liegt hier eine mögliche Quelle für Qualifikationskonflikte bei der Gewinnermittlung, die die Einleitung von Verständigungsverfahren erfordert, soweit die Ermittlung des Dotationskapitals nach ausländischem und deutschem Steuerrecht unterschiedlich ausfällt. § 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV bietet allerdings eine Vereinfachungsregel. Danach kann für die Ermittlung des gesamten Eigenkapitals auf die Bilanz des ausländischen Unternehmens zurückgegriffen werden, wenn das Unternehmen glaubhaft macht, dass das Eigenkapital nach ausländischem Steuerrecht nicht erheblich von dem nach deutschem Steuerrecht anzusetzenden Eigenkapital abweicht oder die Abweichungen durch Anpassungen ausgeglichen werden, so dass die Zuordnung des Eigenkapitals nicht erheblich abweicht. In welcher Form die Glaubhaftmachung erfolgen muss und was als eine erhebliche Abweichung qualifiziert, ist nicht geregelt. Nach Ansicht der Verwaltung liegt eine „erhebliche“ Abweichung nicht

1 BR-Drucks. 401/14, 75; Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1105 (1111); OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 28 f. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 129. 3 Vgl. implizit VWG BsGa, Rz. 129.

Schnitger/Borchert 167

Kap. 6 Rz. 6.67 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

vor, wenn diese nach überschlägiger Berechnung voraussichtlich weniger als 10 % des Eigenkapitals in der ausländischen Bilanz darstellt.1

6.68 Ermittlung des Dotationskapitals aufgrund fremdvergleichskonformer Vermögenswerte. Im Zuge der Ermittlung der Kapitalquote der Betriebsstätte sind die (sowohl bilanzierten als auch in der Bilanz sowie in der Hilfs- und Nebenrechnung nicht bilanzierten) Vermögenswerte2 grundsätzlich nach § 12 Abs. 3 Satz 1 BsGaV fremdvergleichskonform anzusetzen. Ein Ansatz zu Buchwerten oder vergleichbaren Werten nach ausländischem Recht ist nach § 12 Abs. 3 Satz 2 BsGaV zulässig, wenn diese Bewertung im Vergleich zu einem Ansatz zu Fremdvergleichspreisen nicht zu einer erheblich abweichenden Kapitalquote führt oder wenn die Abweichungen durch Anpassungen ausgeglichen wurden und daher die Kapitalquote nicht erheblich abweicht. Eine „erhebliche“ Abweichung liegt vor, wenn die Kapitalquote nach Fremdvergleichswerten um mehr als 10 % von der Kapitalquote nach Buchwerten abweicht.3 6.69 Tatsächlich ausgewiesenes Kapital. Einer inländischen Betriebsstätte ist weiterhin mindestens das in der inländischen Handelsbilanz der inländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesene Kapital nach § 12 Abs. 5 BsGaV zuzuordnen. Die Verwaltung begründet diese gesetzliche Regelung damit, dass in der Handelsbilanz sich die Entscheidung des ausländischen Unternehmens dokumentiere, seiner inländischen Betriebsstätte ein bestimmtes Dotationskapital zur Verfügung zu stellen, welches betriebswirtschaftlich erforderlich ist, um auf dem inländischen Markt wirtschaftlich tätig zu sein.4 Inwieweit hier jedoch tatsächlich eine solche Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Bestimmung des Dotationskapitals zwingend ist, erscheint fraglich. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Grundsätze des AOA für handelsbilanzielle Zwecke maßgeblich sind. 6.70 Unterjährige Veränderungen. Bei unterjährigen erheblichen Veränderungen des Dotationskapitals in Folge der Änderung der Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten oder Chancen und Risiken ist das zu Beginn des Wirtschaftsjahrs festgestellte Dotationskapital innerhalb des Wirtschaftsjahrs gem. § 12 Abs. 6 BsGaV anzupassen (vgl. hierzu auch Rz. 8.22). Anders als sonst interpretiert die Verwaltung den Terminus „erheblich“ in § 12 Abs. 6 BsGaV so, dass dieser ein Abweichen des Dotationskapitals um mehr als 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahrs erfordert, wenn die Abweichung mindestens 2 Mio. Euro beträgt.5 Diese unterschiedliche Auslegung des Terminus innerhalb der nämlichen Vorschrift erklärt sich aus dem Ziel, eine weitergehende Vereinfachung für nur unterjährige Änderungen des Dotationskapitals zu erreichen.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 134 mit Beispielen. Der Vereinfachungseffekt liegt insoweit in der von der Verwaltung anerkannten überschlägigen Berechnung zur Erfüllung der 10 %-Grenze. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 135. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 139. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 142. 5 VWG BsGa, Rz. 143.

168 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.71 Kap. 6

Weiterhin will die Verwaltung eine Verringerung des Dotationskapitals einer inländischen Betriebsstätte allerdings steuerlich nur dann anerkennen, wenn der Nachweis dazu geführt wird, dass das Unternehmen im Ausland die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen hat.1 Einen Anhaltspunkt für eine entsprechende Korrespondenz ist der BsGaV jedoch nicht zu entnehmen und kann sich wohl nur aus etwaigen Subject-to-Tax-Klauseln der DBA im Einzelfall ergeben. Weiterhin erfordert die Finanzverwaltung keine Anpassung des Dotationskapitals für das abgelaufene Wirtschaftsjahr, wenn – eine zum Ende des Wirtschaftsjahrs entstehende Über- oder Unterdotierung einer Betriebsstätte eines abgelaufenen Wirtschaftsjahres erst durch die Bestimmung des Dotationskapitals des neuen Wirtschaftsjahres sichtbar wird, – die Bestimmung des Dotationskapitals unverzüglich nach Ablauf des vorherigen Wirtschaftsjahres erfolgt und – das Dotationskapital unverzüglich für das neue Wirtschaftsjahr angepasst wird.2 Zumindest nach dem Wortlaut der Verwaltungsanweisung gilt diese Vereinfachungsregelung jedoch nicht, wenn eine Über- oder Unterdotierung am Anfang oder in der Mitte eines Wirtschaftsjahrs entsteht. Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten. Gemäß § 13 Abs. 1 BsGaV ist für 6.71 die Ermittlung des Dotationskapitals ausländischer Betriebsstätten von inländischen Unternehmen die Mindestkapitalausstattungsmethode (hierzu auch Rz. 8.24 f.) anzuwenden, wonach der ausländischen Betriebsstätte Dotationskapital grundsätzlich nur zu Beginn eines Wirtschaftsjahres zugeordnet werden kann, soweit das Unternehmen glaubhaft macht, dass diese Zuordnung aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist. Diese Glaubhaftmachung soll nach Verwaltungsauffassung auf Basis eines Vergleichs der Funktionen und Risiken der Betriebsstätte mit denen des übrigen Unternehmens und anhand von betriebswirtschaftlichen Kennziffern erfolgen, wobei ein vom ausländischen Betriebsstättenstaat gefordertes Dotationskapital als Indiz für die Angemessenheit herangezogen werden kann.3 Im Einzelfall kann ein höheres Dotationskapital gem. § 13 Abs. 2 Satz 1 BsGaV zugeordnet werden, wenn dies dem Fremdvergleichsgrundsatz „besser“ entspricht; wann dies der Fall ist, erscheint unklar. Der Betriebsstätte darf jedoch gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 BsGaV höchstens der Wert zugeordnet werden, welcher sich aus der Kapitalaufteilungsmethode nach § 12 Abs. 1–3 BsGaVergibt. Eine darüber hinausgehende Zuordnung von Dotationskapital ist gem. § 13 Abs. 3 BsGaV nur möglich, soweit außersteuerliche Vorschriften des Betriebsstättenstaats dies erfordern. Weiterhin ist nach § 13 Abs. 4 BsGaV jedoch maximal eine Zuordnung in Höhe des in der Handelsbilanz der Betriebsstätte ausgewiesenen Kapitals möglich.

1 VWG BsGa, Rz. 143. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 130, 143. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 144.

Schnitger/Borchert 169

Kap. 6 Rz. 6.72 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.72 Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Betriebsstätten. Die Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Betriebsstätten bei der Ermittlung des Dotationskapitals ist kritisch zu sehen und beweist die profiskalische Ausrichtung des in innerstaatliches Recht umgesetzten AOA. Hiermit soll ein zu geringes Dotationskapital inländischer Betriebsstätten bzw. eine zu geringe Zuweisung von Verbindlichkeiten mit den damit verbundenen Fremdkapitalzinsen zu der ausländischen Betriebsstätte vermieden werden.1 6.73 Zuordnung übriger Passivposten (siehe im Einzelnen Rz. 8.34 ff.). Nach der Zuordnung der Risiken und des Dotationskapitals sind die übrigen Passivposten, welche mit den Vermögenswerten einer Betriebsstätte im unmittelbaren Zusammenhang stehen, gem. § 14 Abs. 1 BsGaV ebenfalls dieser Betriebsstätte zuzuordnen (direkte Zuordnung). Falls die direkt zuordnungsfähigen Passivposten den Betrag übersteigen, der auf der Passivseite nach Zuordnung der Risiken und des Dotationskapitals verbleibt, sind die übrigen Passivposten gem. § 14 Abs. 2 BsGaV anteilig zu kürzen. Falls nach der direkten Zuordnung der übrigen Passivposten im Wege der direkten Zuordnung ein Fehlbetrag an Passivposten für die Betriebsstätte verbleibt, ordnet § 14 Abs. 3 BsGaV an, dass dieser Fehlbetrag mit den übrigen Passivposten des Unternehmens aufzufüllen ist (indirekte Zuordnung). 6.74 Finanzierungsaufwendungen. Eine Zurechnung der Finanzierungsaufwendungen erfolgt entweder im Wege der direkten Zuordnung zu den im Zusammenhang stehenden Passivposten gem. § 15 Abs. 1 BsGaV oder, falls dies nicht möglich ist, gem. § 15 Abs. 3 BsGaV im Wege der indirekten Zuordnung (weiterführend vgl. Rz. 8.64 ff.). 3. Zweiter Schritt: Geschäftsbeziehungen (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen)

6.75 Einleitung. In einem zweiten Schritt sind – die Art der Geschäftsbeziehungen und – ihre Verrechnungspreise zu bestimmen.

6.76 Geschäftsbeziehungen. Der Begriff der Geschäftsbeziehung wird in § 1 Abs. 1 AStG verwendet und bestimmt sich nach § 16 BsGaV (vgl. insoweit bereits Rz. 6.20 f.; zum Begriff der dealings vgl. Rz. 6.21). 6.77 Verrechnungspreise für die Geschäftsbeziehungen. Die Verrechnungspreise sind gem. § 1 Abs. 3 AStG i.V.m. § 16 Abs. 2 BsGaV anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes zu ermitteln und führen zu fiktiven Betriebseinnahmen und fiktiven Betriebsausgaben.

1 BR-Drucks. 401/14, 80.

170 Schnitger/Borchert

D. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.79 Kap. 6

VIII. Personengesellschaft Personengesellschaft und der AOA im Abkommensrecht. Personengesellschaften 6.78 werden von der OECD in ihren Ausführungen zur Gewinnaufteilung nach dem AOA ausgeklammert. Damit sind die Grundsätze des AOA nicht bei der abkommensrechtlichen Abgrenzung der Gewinne von Gesellschafter und Personengesellschaft anzuwenden. Dies überrascht insofern, als die Personengesellschaft dem Gesellschafter für abkommensrechtliche Zwecke eine Betriebsstätte vermittelt.1 Eine Erläuterung für diese Einschränkung des Anwendungsbereichs des AOA gibt die OECD nicht. Vermutlich ist jedoch Grund für dieses Vorgehen, dass zwischen Gesellschaft und Personengesellschaft rechtliche Vertragsbeziehungen bestehen können. Diese sind dann auch bei der Anwendung der Verteilungsartikel zu berücksichtigen, so dass keine Notwendigkeit für eine Anwendung der Selbständigkeitsfiktion des FSEA im Abkommensrecht besteht.2 Allenfalls unilaterale Sonderbestimmungen wie § 50d Abs. 10 EStG weichen diesen Grundsatz in unsystematischer Art und Weise auf. Folglich sind Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft nach Art. 9 OECD-MA hinsichtlich der Fremdüblichkeit zu prüfen, der nicht den sog. „significant people approach“ als Prinzip vorsieht. Infolge der Aktionspunkte 8–10 des BEPS-Projekts nähern sich jedoch die Prinzipien zur Bestimmung der Verrechnungspreise zumindest für immaterielle Wirtschaftsgüter („intangibles“) an.3 Diese sind nämlich nicht ausgehend von der rechtlichen Eigentumsstellung, sondern von den ausgeübten Funktionen sowie der Kontrolle von Risiken über Wirtschaftsgüter zu bestimmen, was zu einer Angleichung beider Verteilungsprinzipien führt.4 Personengesellschaften im innerstaatlichen AOA. Auch im innerstaatlichen Recht 6.79 folgt der deutsche Gesetzgeber dem von der OECD vorgegebenen Ansatz, Personengesellschaften vom AOA auszunehmen, wenn in § 1 Abs. 5 Satz 7 AStG sowohl die (vermögensverwaltenden) Personengesellschaften als auch die gewerblichen Mitunternehmerschaften ausdrücklich vom Anwendungsbereich des innerstaatlich umgesetzten AOA ausgeschlossen werden. Zugleich wurde im Zuge der Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht der persönliche Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1

1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.33; BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/ 0599097, BStBl. I 2014, 1258 Tz. 2.2.3. 2 Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BStBl. II 2014, 788 = FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke; BFH v. 8.11.2010 – I R 106/09, BStBl. II 2014, 759. = FR 2011, 290; ebenso Pohl in Blümich, § 1 AStG Rz. 204; kritisch Wassermeyer, IStR 2012, 277 (281). 3 Vgl. auch Greinert/Metzner, Ubg 2014, 307, (308, 311 f.). 4 Vgl. OECD, Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung, Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/ 10.1787/9789264274297-de. Denn die hiermit aufgestellten Kriterien zur Bestimmung der Verrechnungspreise hängen wiederum regelmäßig von der Verortung der handelnden Personen ab, welche die Funktionen und Kontrollen ausgehend von ihrer fachlichen Eignung ausführen.

Schnitger/Borchert 171

Kap. 6 Rz. 6.79 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

Satz 2 Halbs. 1 AStG erweitert, so dass entsprechend der früheren Verwaltungspraxis1 Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften als Steuerpflichtige i.S.d. § 1 AStG definiert werden. Zudem sieht § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG vor, dass Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften nahestehende Personen sein können, soweit diese die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AStG erfüllen.2 Die Korrektur der Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft richtet sich folgerichtig nach § 1 Abs. 1 AStG.

6.80 Bewertung der Bereichsausnahme für Personengesellschaften. Es bleiben Zweifel, ob es konsequent ist, Mitunternehmerschaften vom Anwendungsbereich des AOA auszuklammern. Zum einen ordnet der Gesetzgeber für Sondervergütungen aus gewerbesteuerlichen Gründen in § 15 Abs. 1 Satz 2 EStG an, dass diese zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören. Zum anderen wird für grenzüberschreitende Sachverhaltskonstellationen mittels § 50d Abs. 10 EStG im Wege eines treaty override unilateral dafür Sorge getragen, dass Sonderbetriebseinnahmen eines beschränkt Steuerpflichtigen auch abkommensrechtlich besteuert werden können. Die rechtliche Trennung von Mitunternehmer und Personengesellschaft wird für steuerliche Zwecke also an vielen Stellen wieder aufgehoben. Für vermögensverwaltende Personengesellschaften gilt diese Trennung in Folge der direkten Zurechnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO sowieso nicht. Die Ausklammerung der Grundsätze des AOA scheint folglich angesichts der zunehmenden steuerlichen Angleichung von Betriebsstätte und Personengesellschaft bzw. Mitunternehmerschaft zweifelhaft.

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG I. Entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG 6.81 Erhöhter Ansatz der Einkünfte entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz. Rechtsfolgenseitig ordnet § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG an, dass die Einkünfte so anzusetzen sind, dass diese dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Durch die tatbestandliche Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG, dass eine Minderung der Einkünfte vorliegen muss (vgl. Rz. 6.35 ff.) ergibt sich, dass die Vorschrift rechtsfolgenseitig nur zu einer Erhöhung der Einkünfte führen kann. Eine Minderung der Einkünfte folgt aus § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG hingegen nicht. 6.82 Zurechnung von Wirtschaftsgütern. Nach allgemeinen Grundsätzen sind entsprechend dem Prinzip der wirtschaftlichen Zugehörigkeit einer Betriebsstätte gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Wirtschaftsgüter (und damit verbunden auch Einkünfte) zuzurechnen, die mit ihren Aufgaben in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (sog.

1 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S-1340-11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 Tz. 1.4.3. So auch BR-Drucks. 302/12, 101. 2 Für eine Erfassung von Personengesellschaften als nahestehende Personen zudem bereits BMF v. 23.2.1983 – IV C 5-S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218 Tz. 1.3.2.2.

172 Schnitger/Borchert

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.82 Kap. 6

Veranlassungszusammenhang).1 Ob aufgrund des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG Einkünfte nicht nur zu erhöhen sind, sondern zudem auch eine Änderung der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte folgt, hat Bedeutung für die Verteilung von Chancen und Risiken (wie z.B. das Risiko eines Untergangs eines Wirtschaftsguts)2 zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, aber auch für eine Reihe von Folgefragen, wie z.B. die nach der Anwendung einer Entstrickungsbesteuerung (vgl. hierzu auch Rz. 10.50) oder die Möglichkeit einer Anrechnung ausländischer Steuern im NichtDBA-Fall (vgl. hierzu Rz. 6.10 und Rz. 6.12).3 Der Wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG spricht zunächst gegen die Annahme, dass die Vorschrift zu einer (abweichenden) Zuordnung von Wirtschaftsgütern führt. Sie knüpft tatbestandlich nur an die bestehenden Geschäftsbedingungen an, deren Verrechnungspreise nicht dem Fremdvergleichspreis entsprechen. Als Rechtsfolge wird durch die Verweisung auf die analoge Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG nur der (erhöhte) Ansatz inländischer Einkünfte angeordnet. Weitreichendere Rechtsfolgen wie eine Änderung der steuerlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern sind hingegen gesetzlich nicht vorgesehen.4 Zwar erkennt die Finanzverwaltung5 in der BsGaV die Grundlage für eine Zuordnung der Wirtschaftsgüter nach innerstaatlichem Recht durch den AOA an, was insbesondere aus den §§ 5 ff. BsGaV folgen könnte. Allerdings spricht § 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV dafür, dass § 1 Abs. 5 AStG (nur) „die steuerliche Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebsstätte eines Unternehmens“ betrifft.6 Zudem spricht die einseitige Wirkungsweise des § 1 Abs. 5 AStG bzw. die fehlende Möglichkeit, eine Minderung inländischer Betriebsstätteneinkünfte zu vollziehen, gegen die Annahme, dass die in dieser Vor1 Vgl. BFH v. 1.4.1987 – II R 186/80, BStBl. II 1987, 550; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 = FR 1996, 151. 2 Hierzu etwa Wassermeyer, IStR 2012, 277. 3 Nimmt man nämlich an, der § 1 Abs. 5 AStG führte nicht zu einer abweichenden Zuordnung von Wirtschaftsgütern, könnten etwaige ausländische Steuern, die ein Nicht-DBAStaat nach FSEA-Grundsätzen auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte erhebt, nämlich mangels ausreichend hoher ausländischer Betriebsstätteneinkünfte gem. § 34d EStG nicht angerechnet werden. 4 Vgl. auch Herbort, FR 2013, 781 (784 f.). Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG enthaltene Rechtsfolge, dass die zwischen voneinander unabhängigen Dritten „vereinbarten Bedingungen“ korrigiert werden müssen, spricht auch dafür. Zwar wird tatbestandlich in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG geregelt, dass die Verrechnungspreise ein Regelungsbeispiel für die „Bedingungen“ darstellen. Gleichwohl stellt die Zuordnung des Eigentums denklogisch den ersten Schritt dar, bevor die daraus folgende Geschäftsbeziehung hinsichtlich deren Fremdüblichkeit geprüft werden kann. A.A. z.B. Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128 ff.; Ditz/Luckhaupt, ISR 2016, 1 (6). 5 So offenbar BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 77 f. 6 Ebenso im Übrigen die Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung, die vorsehen, dass „eine Betriebsstätte für die Gewinnaufteilung im Verhältnis zu dem Unternehmen, zu dem sie gehört, weitgehend einem diesem nahe stehenden Unternehmen gleich gestellt [wird]. Zu diesem Zweck ist es erforderlich zu entscheiden, welche Funktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken des Unternehmens der Betriebsstätte zuzuordnen sind und welcher Anteil des Eigenkapitals des Unternehmens (Dotationskapital) der Betriebsstätte zuzuordnen ist […]“ [Hervorhebungen durch Verfasser], siehe VWG BsGa, Rz. 2.

Schnitger/Borchert 173

Kap. 6 Rz. 6.82 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

schrift niedergelegte Umsetzung des AOA in nationales Recht zu einer (abweichenden) Zuordnung von Wirtschaftsgütern führt.1 Man mag sich fragen, inwieweit vorangehend beschriebene Fragen nur theoretischer Natur sind. Denn auch wenn man davon ausgeht, dass die Vorschrift lediglich zu einer Erhöhung der Einkünfte führt, ordnet sie doch einheitlich eine Anhebung der inländischen steuerlichen Bemessungsgrundlage für laufende Einkünfte und Veräußerungsgewinne einer inländischen Betriebsstätte an, soweit eine erforderliche wirtschaftliche Zurechnung der Funktionen zu dieser erfolgt. Bedeutung hat die Unterscheidung jedoch insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen des AOA i.R. der Entstrickungsvorschriften bzw. auf die damit verbundene Frage der Bestimmung des Zeitpunkts der Besteuerung (hierzu vgl. Rz. 6.10). Denn wenn man der Auffassung folgt, dass § 1 Abs. 5 AStG keine abweichende Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Einkünften begründet, stellen sich keine Abgrenzungsfragen zu den Normen, welche eine Entstrickungsbesteuerung anordnen (da § 1 Abs. 5 AStG keine korrespondierende Minderung der Einkünfte anordnet).

6.83 Pagatorische Aufwendungen. Zudem ist fraglich, inwieweit in Folge des § 1 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AStG ein Verlust für die inländische Betriebsstätte eines Steuerausländers entstehen kann, der nicht auf Aufwendungen beruht, die im Außenverhältnis entstanden sind: Beispiel: Die A-Ltd. ist in einem ausländischen Staat ansässig, welcher mit Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, das den AOA bereits als Methode zur Gewinnabgrenzung enthält. In Deutschland unterhält die A-Ltd. eine Betriebsstätte, in der Einkünfte i.H.v. 0 erzielt werden. In Folge einer (fiktiven) Geschäftsbeziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (dealing) müsste jedoch unter Anwendung des FSEA dem ausländischen Stammhaus zusätzlich ein Gewinn i.H.v. + 100 zugerechnet werden, was einen inländischen Betriebsstättenverlust i.H.v. - 100 entstehen lassen würde.

Pagatorische Aufwendungen können bei der Gewinnermittlung gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht berücksichtigt werden. Daher sollte mangels Umsetzung des AOA in dieser Vorschrift kein Betriebsstättenverlust angesetzt werden können.

6.84 Aufwendungen vor Begründung einer Betriebsstätte (Vorlaufkosten). Nach Finanzverwaltungsansicht sollen Aufwendungen, welche vor der Begründung einer inländischen Betriebsstätte entstehen, aber in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit deren Errichtung entstehen, nicht dem Inland zugeordnet werden.2 Vorlaufkosten (vgl. hierzu auch Rz. 12.52) für ausländische Betriebsstätten, deren Einkünfte nach dem DBA steuerbefreit sind, sollen hingegen im Inland im Einklang

1 Eine Minderung inländischer Betriebsstätteneinkünfte kann nicht aus § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 AStG, sondern allenfalls aus den Art. 7 i.V.m. Art. 23 OECD-MA 2010 entsprechenden DBA folgen, die als unmittelbar anwendbare Vorschrift im Rahmen der Gewinnabgrenzung eine Freistellung von Einkünften gebieten, soweit diese nach innerstaatlichem Recht höher als nach dem Abkommensrecht sind. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 66.

174 Schnitger/Borchert

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.85 Kap. 6

mit der Rechtsprechung des BFH zum Veranlassungsprinzip1 nicht abzugsfähig sein.2 Diese Auffassung führt zwar nicht zu einer Gleichbehandlung von Tochterkapitalgesellschaften und Betriebsstätten; gleichwohl bedürfte es für eine abweichende Behandlung der gesetzlichen Einführung einer Minderung der Bemessungsgrundlage gem. § 1 Abs. 5 AStG.3 AOA als Norm zur Einkünftekorrektur. Unklar ist, welche weitergehende Qualität 6.85 die unter dem FSEA anzunehmenden schuldrechtlichen Geschäftsbeziehungen („dealings“) haben, wenn Einkünfte eines Unternehmens im Außenverhältnis vorliegen, die einer außerbilanziellen Korrektur (z.B. in Form von Steuerbefreiungen oder Abzugsverboten) unterliegen. Beispiel: Die A-Ltd. verwaltet als ausländische Holdinggesellschaft Beteiligungen an inländischen Gesellschaften und unterhält eine inländische Betriebsstätte. Aus ihren Beteiligungen bezieht sie ausschließlich Dividenden i.H.v. 1.000, die gem. § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei zu stellen sind (wobei die Fiktion nichtabzugsfähiger Betriebsausgaben gem. § 8b Abs. 5 KStG i.H.v. 5 % zu beachten ist). Die Beteiligungen sollen sowohl nach dem allgemeinen Veranlassungszusammenhang als auch nach AOA-Grundsätzen dem Stammhaus der A-Ltd. im ausländischen Staat zugerechnet werden. Daneben erbringt die im Inland belegene Betriebsstätte auch Dienstleistungen an das Stammhaus, welche zu anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (dealings) führen und i.H.v. 50 vergütet werden. Fraglich ist, ob die Einkünfte i.H.v. 50 der Steuerbefreiung gem. § 8b Abs. 1 KStG unterliegen.

Der Wortlaut der Vorschrift gibt keinen Aufschluss darüber, inwieweit der in nationales Recht umgesetzte AOA zu einer abweichenden Qualifikation von den einer anzunehmenden schuldrechtlichen Geschäftsbeziehung zugrunde liegenden Einkünften führt.4 Auch abkommensrechtlich folgt aus dem AOA lediglich, dass eine Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu vollziehen ist und keine Umqualifikation von Einkünften erfolgt. Da der AOA im innerstaatlichen Recht nicht Teil der Vorschriften der Gewinnermittlung ist, sondern in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG eingefügt wurde, verbleiben Unsicherheiten, inwieweit aufgrund der Vorschrift nicht doch weitreichendere Konsequenzen wie die Umqualifikation der Einkünfte resultieren. Dies würde jedoch bedeuten, dass auf Rechtsfolgenseite aufgrund der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen „neue“ Einkünfte entstehen und die in § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG enthaltene Selbständigkeitsfiktion für die Betriebsstätte dazu führt, dass eine eigenständige Leistungsbeziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte für das dealing vorliegt. Verfassungsrechtlich ist eine solche gesetzliche Fiktion möglich (vgl. weiterführend Rz. 4.5 ff.). Allerdings bedarf es dafür einer umfassenden Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion und einer klaren gesetzlichen Anordnung, die auch zu einer Umqualifikation der Einkünfte führt. Denn die steuerrechtliche Trennung der Betriebsstätte vom Stammhaus gem. AOA beruht nicht auf der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Niederlassungsformen und kann daher nur aus der steuergesetzlichen Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion folgen. 1 2 3 4

BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855. Vgl. VWG BsGa, Rz. 67. So aber Heinsen, DB 2017, 86. Offenlassend auch Wassermeyer, IStR 2012, 277 (280).

Schnitger/Borchert 175

Kap. 6 Rz. 6.86 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

6.86 Bezug zu zukünftigen im Außenverhältnis erzielten Einkünften. Schwierig ist weiterhin die Qualifikation der Einkünfte, wenn in dem betreffenden Veranlagungszeitraum, in dem ein „dealing“ vorliegt, keine außerbilanzielle Korrektur greift, sondern erst im folgenden Veranlagungszeitraum: Beispiel: Wie Beispiel in Rz. 6.85, das Stammhaus erzielt jedoch im Jahr 1 keine Dividendenerträge. Die Dividende i.H.v. 1.000 wird stattdessen erst im Jahr 2 ausgeschüttet. Gleichwohl ist für das Jahr 1 der Betriebsstätte ein Gewinn i.H.v. 50 zuzurechnen.

Es erscheint zunächst schwerlich vorstellbar, dass die gem. § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG zu erhöhenden Einkünfte § 8b Abs. 1 KStG unterfallen, da im Jahr 1 keine steuerfreien Dividendeneinkünfte erzielt werden.1 Dies würde bedeuten, dass die Steuerfreiheit der nach § 1 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AStG zu erhöhenden Einkünfte aufgrund einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung davon abhängt, in welchem Veranlagungszeitraum Dividendeneinkünfte anfallen. Daher könnte alternativ erwogen werden, die Vereinnahmung zukünftiger Dividenden als Ansatzpunkt i.R. eines erweiterten Veranlassungszusammenhangs über Veranlagungszeiträume hinweg heranzuziehen, um die Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG zu erlauben.2

6.87 AOA als Vorschrift zur Gewinnabgrenzung. Der AOA im Abkommensrecht ist hingegen eine Vorschrift zur Abgrenzung von Gewinnen; d.h. die Annahme von „dealings“ ändert nichts an der abkommensrechtlichen Qualifikation der Einkünfte.3 Dies folgt auch aus der von der OECD vertretenen Auffassung zur Qualität von als Lizenzzahlungen zu fingierenden „dealings“, wonach fiktive Lizenzzahlungen nur ein Mittel sind, die richtige Gewinnabgrenzung i.R.d. Art. 7 OECD-MA zu vollziehen. Aus der Fiktion lassen sich damit keine Schlussfolgerungen ziehen, dass durch den Betriebsstättenstaat abkommensrechtlich Quellensteuern auf „dealings“ erhoben werden dürfen.4 6.88 Ausgleichsposten nach § 4g EStG. Auch wenn fraglich ist, ob § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG eine Rechtsgrundlage für eine Zuordnung von Wirtschaftsgütern darstellt, wird in § 1 Abs. 5 Satz 6 AStG klargestellt, dass die Möglichkeit der Bildung des Ausgleichspostens gem. § 4g EStG erhalten bleibt. Dies betrifft die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer ausländischen Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat der EU und der damit verbundenen Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG. Nach der Gesetzesbegründung soll mit der Regelung die Besteuerung von noch nicht realisier1 Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 (644). 2 Dies erscheint insofern nicht vollständig fernliegend, als der BFH auch noch zu eröffnende Betriebsstätten i.R. des Veranlassungszusammenhangs als ausreichend erachtet hat, um mit der Gründung dieser Betriebsstätte zusammenhängende Aufwendungen als nicht abzugsfähig zu erklären. Vgl. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BStBl. II 2014, 703 = FR 2014, 855. 3 Ausdrücklich OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 173: „However, the authorised OECD approach is based on the premise that the internal dealings are postulated solely for the purposes of attributing the appropriate amount of profit to the PE.“ 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 203; sowie Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (38).

176 Schnitger/Borchert

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.91 Kap. 6

ten Gewinnen im Zuge der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen abgemildert werden.1

II. Entsprechende Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG Übersicht analog anwendbarer Vorschriften. § 1 Abs. 5 AStG ordnet rechtsfolgen- 6.89 seitig die Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG an, was im Einzelnen bedeutet, dass die Vorschriften über – die Verrechnungspreismethoden bei uneingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 Abs. 3 Satz 1 AStG; vgl. Rz. 6.90), – die Verrechnungspreismethoden bei eingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 Abs. 3 Satz 2 f. AStG; vgl. Rz. 6.91), – den hypothetischen Fremdvergleichspreis bei keinen eingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG; vgl. Rz. 6.92), – die Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG; vgl. Rz. 6.93) anzuwenden sind. Verrechnungspreismethoden bei uneingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 6.90 Abs. 3 Satz 1 AStG). Vorrangig sind nach § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG bei uneingeschränkt vergleichbaren Fremdvergleichswerten als Verrechnungspreismethoden die – Preisvergleichsmethode, – Wiederverkaufspreismethode und – Kostenaufschlagsmethode anzuwenden. Die Anwendung der Methoden erfolgt in Abhängigkeit von den ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgütern sowie den Chancen und Risiken. Problematisch bei der analogen Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ist, dass dieser eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit der Geschäfts- und Marktbedingungen erfordert.2 Zumindest in Bezug auf die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind jedoch der Selbständigkeitsfiktion Grenzen gesetzt, so dass sich die Frage stellt, inwieweit die uneingeschränkte Vergleichbarkeit vorliegt. Der Gesetzgeber scheint derartig feinsinnigen Unterscheidungen keine Bedeutung beizumessen, da die analoge Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ohne weitere Bedingungen vorgesehen ist, so dass die Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion letztlich i.R. des innerstaatlich umgesetzten AOA nicht maßgeblich sein sollte. Fremdvergleichspreise bei eingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 Abs. 3 6.91 Satz 2 f. AStG). Falls die Fremdvergleichswerte nicht uneingeschränkt vergleichbar sind, ordnet § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG an, dass die eingeschränkten Fremdvergleichswerte der geeigneten Verrechnungspreismethode zugrunde gelegt werden müssen. Beste1 BR-Drucks. 302/12, 104. 2 Vgl. Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 910.

Schnitger/Borchert 177

Kap. 6 Rz. 6.91 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

hen mehrere eingeschränkte Vergleichswerte, ist nach § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG eine Einengung der Bandbreite zu vollziehen. Durch die Anordnung einer analogen Anwendung werden die Probleme zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 3 Satz 2 AStG wie z.B. hinsichtlich der Frage, wann uneingeschränkte Vergleichswerte vorliegen,1 ebenso in § 1 Abs. 5 AStG transportiert.

6.92 Hypothetischer Fremdvergleichspreis bei uneingeschränkten Fremdvergleichswerten (§ 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG). Auch der hypothetische Fremdvergleichspreis gem. § 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG kann in dem Fall, dass keine eingeschränkten Fremdvergleichswerte vorliegen, angewendet werden. Hiernach ist ein Denkmodell anzuwenden, wonach gemessen an dem Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters Soll-Vergleichstatbestände auf Seite des leistungserbringenden und leistungsempfangenden Unternehmens verglichen werden. Dabei treibt das Erfordernis, einen Einigungsbereich festzulegen, die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte auf die Spitze, was jedoch durch den analogen Anwendungsbefehl des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG begründet ist. 6.93 Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG). Die Besteuerung von Transferpaketen i.R. der Funktionsverlagerungen findet nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG ebenso entsprechend für Betriebsstättensachverhalte Anwendung.2 Tatbestandsseitig erfordert die Vorschrift die Verlagerung einer Funktion einschließlich aller Chancen und Risiken sowie Wirtschaftsgüter und sonstiger Vorteile. Geht man davon aus, dass mittels § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG kein Zuordnungswechsel verbunden ist, richtet sich die Bestimmung der Verlagerung der Funktionen nach dem allgemeinen Veranlassungszusammenhang (weiterführend zur Funktionsverlagerung vgl. Rz. 7.83 ff.).

III. Sperrwirkung der DBA und treaty override gem. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG 6.94 Anwendbarkeit des § 1 AStG losgelöst von bestehenden DBA. § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG unterscheidet bei der Anwendung nicht zwischen Betriebsstätten in solchen Staaten, mit denen ein DBA nach dem alten Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA i.d.F. 2008 geschlossen wurde, und Betriebsstätten in solchen Staaten, mit denen der AOA (seit OECD-MA i.d.F. 2010) bereits im DBA verankert wurde.3 Tatsächlich führt der Fremdvergleichsgrundsatz gem. § 1 Abs. 1 AStG in allen grenzüberschreitenden Fällen unabhängig davon zur Erhöhung von Einkünften, ob im jeweiligen Fall ein DBA anwendbar ist oder nicht.4 6.95 Bestehen einer Betriebsstätte nach den DBA. Nach Verwaltungsauffassung ist § 1 Abs. 5 AStG gleichwohl nur dann anzuwenden, wenn nach dem jeweiligen DBA ei1 Vgl. Baumhoff/Liebchen in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 943. 2 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.437 ff. 3 Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (9). 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 8.

178 Schnitger/Borchert

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.97 Kap. 6

ne Betriebsstätte vorliegt.1 Das heißt, eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO ist für die Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG bei DBA-Sachverhalten nach zutreffender Auffassung nicht ausreichend, da andernfalls dem Quellenstaat bereits grundsätzlich kein Besteuerungsrecht zusteht. Im Nicht-DBA-Sachverhalt kann es hingegen naturgemäß nicht auf die Existenz einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte ankommen. Hier kann § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zu einer Erhöhung der Einkünfte einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens führen. Da § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG zudem nur profiskalisch zu einer Erhöhung inländischer Betriebsstätteneinkünfte führt, sollen die Verwaltungsgrundsätze für ausländische, in einem NichtDBA-Staat belegene Betriebsstätten eines unbeschränkt Steuerpflichtigen zur Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags gem. § 34c Abs. 1 EStG sowie § 26 KStG anwendbar sein, soweit die Anwendung der VWG BsGa nicht zu niedrigeren ausländischen Einkünften führt.2 Reduktion inländischer Einkünfte in Folge der Sperrwirkung von DBA. Soweit 6.96 nach den Grundsätzen des AOA eine Reduktion der inländischen Einkünfte geboten ist, folgt diese nicht aus § 1 Abs. 5 AStG. Hier kann sich nur aus der Sperrwirkung bestehender DBA eine Minderung des deutschen Besteuerungsanspruchs ergeben.3 Denn Art. 7 i.V.m. Art. 23 OECD-MA als unmittelbar anwendbare Vorschrift gebietet im Rahmen der Gewinnabgrenzung grundsätzlich eine Freistellung von Einkünften, soweit diese nach dem innerstaatlichen Recht höher als nach dem Abkommensrecht sind. Treaty override im Grundsatz. Gleichwohl beinhaltet § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG einen 6.97 „treaty override“4 (vgl. hierzu auch Rz. 4.18), der die Sperrwirkung der DBA in Bezug auf § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG unter die Bedingung stellt, dass – der Steuerpflichtige geltend macht (vgl. Rz. 6.98), – dass die Regelungen eines DBA den Regelungen des § 1 Abs. 5 Satz 1–7 AStG widersprechen (vgl. Rz. 6.99 ff.) – und der Steuerpflichtige nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend dem DBA ausübt (vgl. Rz. 6.104), und – deshalb die Anwendung des § 1 Abs. 5 Satz 1–7 AStG zu einer Doppelbesteuerung führt (hierzu Rz. 6.105). Der Umstand, dass in § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG vielfältige Einschränkungen für die Sperrwirkung der DBA vorgesehen sind, ist bedauerlich (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit vgl. Rz. 4.18). Denn umgekehrt sieht der deutsche Gesetzgeber keine

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 9. Vgl. VWG BsGa, Rz. 23. Vgl. VWG BsGa, Rz. 21. Hemmelrath/Kepper, IStR 2013, 37 (41); Schnitger, IStR 2012, 633 (641). Differenzierend allerdings Gebhardt, BB 2012, 2353 (2355), der in der Vorschrift auch ein Erfordernis zum Nachweis der Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Abkommensvorteilen sieht. Ähnlich Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 (89).

Schnitger/Borchert 179

Kap. 6 Rz. 6.97 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

Probleme darin, das deutsche Besteuerungsrecht nach den Grundsätzen des AOA weiter zu fassen, soweit dies abkommensrechtlich möglich ist.

6.98 Geltendmachen. Wann davon auszugehen ist, dass ein Steuerpflichtiger eine abkommenswidrige Besteuerung „geltend macht“, wird gesetzlich nicht geregelt. Nach allgemeinen Grundsätzen wird hiervon auszugehen sein, wenn eine Sperrwirkung der DBA in einer Steuererklärung oder mittels eines Änderungsantrags über die Angabe steuerfreier Einkünfte geltend gemacht wird.1 Das Erfordernis des „Geltendmachens“ durch den Steuerpflichtigen überrascht insofern, als nicht nur der Steuerpflichtige, sondern auch die Finanzverwaltung im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes gem. § 88 AO verpflichtet ist, DBA als unmittelbar anwendbare Normen zu beachten. Dem Wortlaut der Norm nach ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG danach nicht eröffnet, wenn der Steuerpflichtige mangels Kenntnis sich auf die Steuerbefreiung nach den DBA nicht beruft oder auf die Anwendung durch die Finanzverwaltung vertraut. 6.99 Widersprechende DBA-Regelungen. Bei der Prüfung, inwieweit DBA der Besteuerung nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG entgegenstehen, ist nach Abschluss der DBA wie folgt zu unterscheiden:2 – DBA, welche dem OECD-MA 2010 entsprechen (vgl. Rz. 6.100); – DBA, welche dem OECD-MA 2008 entsprechen und mit einem OECD-Mitgliedstaat abgeschlossen wurden (vgl. Rz. 6.101); – DBA, welche dem OECD-MA 2008 entsprechen und nicht mit einem OECDMitgliedstaat abgeschlossen wurden (vgl. Rz. 6.102); – DBA, welche vor dem OECD-MA 2008 abgeschlossen wurden (vgl. Rz. 6.103).

6.100 DBA entsprechend dem OECD-MA 2010. Soweit mit einem Staat ein DBA abgeschlossen wurde, welches dem OECD-MA 2010 entspricht, ist davon auszugehen,3 dass die abkommensrechtlichen Besteuerungsprinzipien nicht dem § 1 Abs. 5 Satz 1–7 AStG widersprechen. Dementsprechend ist in diesen Fällen die Einschränkung der Sperrwirkung durch den § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG losgelöst von dessen übrigen Tatbestandsvoraussetzungen ausgeschlossen, wie auch die Verwaltung anerkennt.4 Dies gewährleistet, dass der Steuerpflichtige nicht für alle Sachverhalte i.R. der Prüfung des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG eine „Schattenrechnung“ anstellen muss. Kommt es in Folge einer abweichenden Abkommensanwendung dennoch zu einer Doppelbesteuerung, ist ein Verständigungsverfahren durchzuführen.5

1 Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 (641); Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2895. 2 Hierzu auch Ditz/Luckhaupt, ISR 2015, 1 (9); Kraft/Dombrowski, IWB 2015, 87 (88). 3 In den VWG BsGa, Rz. 425 werden die DBA mit Liechtenstein, Luxemburg, Norwegen oder den USA exemplarisch genannt. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 425. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 426.

180 Schnitger/Borchert

E. Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 AStG

Rz. 6.104 Kap. 6

DBA entsprechend dem OECD-MA 2008 mit einem OECD-Mitgliedstaat. Soweit 6.101 zudem ein DBA besteht, welches dem OECD-MA 2008 entspricht, soll nach Verwaltungsauffassung ebenso „im Regelfall“ kein Qualifikationskonflikt zur Anwendung der AOA-Grundsätze und damit ein Problem der Doppelbesteuerung entstehen, soweit es sich um einen OECD-Mitgliedstaat handelt.1 Ob dem in der Praxis wirklich in allen Fällen so ist, mag bezweifelt werden. Schließlich war der Grund für die Neufassung des OECD-MA 2010 die Klarstellung über die Reichweite der Selbständigkeitsfiktion (vgl. Rz. 2.76 f.). Gleichwohl bedeutet dies im Umkehrschluss, dass § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG regelmäßig die Sperrwirkung der DBA nicht außer Kraft setzen und eine etwaige Doppelbesteuerung nur im Wege eines Verständigungsverfahrens vermieden werden kann.2 Etwas anderes gilt nach Verwaltungsauffassung jedoch, wenn ein immaterielles Wirtschaftsgut fiktiv zur Nutzung überlassen wird, da hier nach dem OECD-MK 2008 zur Verrechenbarkeit der Kosten der Höhe nach unterschiedliche Aussagen getroffen werden; hier sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG im Weiteren zu prüfen.3 DBA entsprechend dem OECD-MA 2008 mit einem Nicht-OECD-Mitgliedstaat. 6.102 Soweit ein DBA besteht, welches dem OECD-MA 2008 entspricht und welches nicht mit einem OECD-Mitgliedstaat abgeschlossen wurde, ist nach Verwaltungsauffassung davon auszugehen, dass der ausländische Staat die AOA-Grundsätze nicht anwendet.4 Konsequenz ist einerseits, dass die Sperrwirkung des AOA in diesen Fällen nur unter der Erfüllung der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG zur Anwendung kommt (vgl. weiterführend Rz. 6.104 f.). Andererseits kann es in Folge der einseitigen Wirkungsweise des AOA im innerstaatlichen Recht nicht zu einer Erhöhung des Kürzungsbetrags gem. § 9 Nr. 3 GewStG kommen (vgl. auch Rz. 6.13), was insbesondere für Fälle relevant ist, in denen kein DBA besteht.5 DBA vor dem OECD-MA 2008. Soweit ein DBA noch keine Gewinnabgrenzung 6.103 nach den Grundsätzen des AOA enthält, weil es vor dem OECD-MA 2008 abgeschlossen wurde, gilt Rz. 6.102 entsprechend. Nachweis des Steuerpflichtigen über die Ausübung des Besteuerungsrechts. Die 6.104 Gesetzesbegründung sowie die Verwaltungsgrundsätze nennen als Nachweismöglichkeit im Regelfall den entsprechenden ausländischen Steuerbescheid und „ergänzende Unterlagen“.6 Als ergänzende Unterlagen können dabei z.B. Fundstellen in der Literatur oder gutachterliche Stellungnahmen zur abkommensrechtlichen Gewinnabgrenzung nach ausländischer Lesart herangezogen werden.7 Der Gesetzes1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 427. Vgl. VWG BsGa, Rz. 428. Vgl. weiterführend VWG BsGa, Rz. 429. Vgl. VWG BsGa, Rz. 430. Vgl. analog VWG BsGa, Rz. 25 i.V.m. 22 f. wonach die früheren Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättenbesteuerung bei der Ermittlung des Kürzungsbetrags anzuwenden sind. 6 VWG BsGa, Rz. 429 u. 431; BR-Drucks. 302/12, 107. 7 Vgl. Schnitger, IStR 2012, 633 (642); Waldens/Sprenger in AStG e-Kommentar, § 1 AStG Rz. 190; Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2898.

Schnitger/Borchert 181

Kap. 6 Rz. 6.104 Die Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG

wortlaut des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG erfordert dabei den Nachweis durch den Steuerpflichtigen über die Ausübung des zugewiesenen Besteuerungsrechts durch den anderen Vertragsstaat. Da jedoch der Nachweismöglichkeit des Steuerpflichtigen naturgemäß Grenzen gesetzt sind, klärt nach Verwaltungsanweisung das zuständige Finanzamt, ob der andere Staat eine Besteuerung nach AOA-Grundsätzen vorsieht. Hierzu kann es sich auf offizielle öffentliche Äußerungen berufen oder eine entsprechende Anfrage an das für Verständigungsverfahren zuständige Referat im BZSt stellen.1 Die Sperrwirkung kommt dabei nach Verwaltungsauffassung nur dann zur Anwendung, wenn kumulativ 1. der andere Vertragsstaat eine vom AOA abweichende Auffassung zur Gewinnaufteilung anwendet, 2. diese Auffassung mit der deutschen Fassung zum Zeitpunkt des Abkommensabschlusses übereinstimmt und 3. die steuerliche Behandlung (nach der zum AOA abweichenden Grundsätze) zu keiner Doppelbesteuerung führt. Auch wenn die hier niedergelegten Grundsätze inhaltlich nachvollziehbar sind, können sie doch in der Praxis Schwierigkeiten (insbesondere in Bezug auf das unter 2. niedergelegte Erfordernis) bereiten. Sie sind weiterhin Zeugnis dafür, dass der deutsche Staat nur unter sehr eingegrenzten Umständen auf Besteuerungssubstrat verzichtet.

6.105 Entstehen einer Doppelbesteuerung. Soweit der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG zu prüfen ist (vgl. hierzu Rz. 6.99 ff.), muss für den Erhalt der Sperrwirkung der DBA die entstehende Doppelbesteuerung durch die unterschiedliche Gewinnaufteilung entsprechend des früheren Abkommensverständnisses sowie der nach den § 1 Abs. 5 Satz 1–7 AStG zu erhöhenden Einkünfte nachgewiesen werden. Das heißt, die Doppelbesteuerung muss auf diesem Unterschied beruhen. Eine Sperrwirkung der Abkommen greift nicht, wenn Qualifikationskonflikte nicht auf rechtlichen Unterschieden zwischen § 1 Abs. 5 Satz 1–7 AStG und dem betreffenden DBA, sondern auf anderen Unterschieden beruhen.2 Die betragsmäßigen Folgen aus dem Abweichen der Gewinnermittlung in Folge eines unterschiedlichen Abkommensverständnisses sind zudem nach Verwaltungsauffassung in der Steuererklärung der Höhe nach anzugeben.3

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 429, 431. 2 BR-Drucks. 302/12, 107; bei drohender Doppelbesteuerung außerhalb des § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG aufgrund der deutschen Einkünftekorrekturen ist auf das Verständigungsverfahren zurückzugreifen; BT-Drucks. 16/4841, 85; Kaminski in S/K/K, § 1 AStG Rz. 80. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 430.

182 Schnitger/Borchert

Kapitel 7 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung für inund ausländische Betriebsstätten über die Hilfs- und Nebenrechnung, Zuordnung von Personalfunktionen, Wirtschaftsgütern, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfällen A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Zuordnung des Vermögens 7.1

B. Gewinnermittlungskonzeption I. Zielsetzung des Regelabschnitts . . 7.20 II. Regelungsinhalt 1. Grundsätze der Zurechnung . . . . . 7.21 2. Erstellung von Hilfs- und Nebenrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.26 III. Kommentierung 1. Erstellung von Funktions- und Risikoanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . 7.30 2. Reichweite der Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.39 3. Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.44 IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . . 7.63 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 7.67 C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der Betriebsstättengewinnaufteilung

II. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichende Zuordnung . . . . . . . 3. Zuordnung in Zweifelsfällen . . . . . 4. Konsequenz der Zuordnung . . . . . 5. Zusammenfassender Überblick . . III. Kommentierung: Zuordnung im Einzelnen 1. Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuordnung von immateriellen Werten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . 5. Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens . . . . . . . .

7.100 7.103 7.110 7.112 7.113

7.115 7.127 7.139 7.147 7.150

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . . 7.156

I. Zielsetzung des Regelabschnitts . . 7.70 II. Regelungsinhalt (= Zuordnung von Personalfunktionen) . . . . . . . . 7.73 III. Kommentierung 1. Bedeutung der Personalfunktion . 2. Bestandteile der Personalfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erweiterte oder abweichende Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reallokation von Personalfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.96

7.74 7.77 7.80 7.83

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . . 7.86 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 7.93

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 7.159 E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte I. Zielsetzung des Regelabschnitts . . 7.162 II. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichende Zuordnung . . . . . . . 3. Zuordnung in Zweifelsfällen . . . . . 4. Konsequenzen der Zuordnung . . .

7.164 7.168 7.170 7.171

III. Kommentierung 1. Zuordnung von Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.173

Wellens/van der Ham 183

Kap. 7 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS 2. Zuordnung von Sicherungsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.179

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 7.192

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . . 7.184 Literatur: Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Hrsg.), Betriebsstätten-Handbuch – Gewinnermittlung und Besteuerung, 2. Auflage, Köln 2018; Andresen/Kiesel, Weiße Einkünfte begründen keinen Tatbestand der Steuerordnungswidrigkeit, DStR 2011, 745; Busch in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Hrsg.), Betriebsstätten-Handbuch – Gewinnermittlung und Besteuerung, 2. Auflage, Köln 2018; Busch, Die finale Fassung der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, DB 2014, 2490; Dombrowski/Sommer/Dahle, Die Pflicht zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung für Betriebsstätten – Praktische Im- und Komplikationen für den Steuerpflichtigen, IStR 2016, 109; Gosch, Betriebsstätte und AOA, ISR 2018, 404; Gosch, Über Entstrickungen – Stand des unnötig komplexen „Entstrickungssteuerrechts“ und absehbare Entwicklungen, IWB 2012, 779; Haverkamp, Zur finalen Fassung der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung, ISR 2017, 33; Hervé in Bernhardt (Hrsg.), Verrechnungspreise, 2. Auflage, Stuttgart 2017; Hilsebein/Kröner in Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, 147. EGL, 78. Auflage, Oktober 2019, Art. 7; Hruschka/Lüdemann, Das Veranlassungsprinzip als Maßstab zur innerstaatlichen Betriebsstättengewinnermittlung, IStR 2005, 76; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung – Deutsche Investitionen im Ausland, Ausländische Investitionen im Inland, 8. Auflage, München 2016; Kaeser in Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Stand: Januar 2020), Art. 7 OECD-MA (Stand: Oktober 2013); Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle (Hrsg.), Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, Herne 2019; Kroppen/van der Ham, Neue OECD-Richtlinien zur Gewinnaufteilung bei Vertreterbetriebsstätten – Verkannt, verrannt, was nun?, IWB 2017, 257; Kroppen/van der Ham, Recent Developments on Attribution of Profits to dependent Agent Permanent Establishments, in Transfer Pricing Developments around the World 2017, 2017; Kußmaul/Delarber/Müller, Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung-Entwurf – Ein allgemeiner Überblick, IStR 2014, 466; Melhem/Dombrowski, Die unbestimmten Grenzen der Selbstständigkeitsfiktion des AOA, IStR 2015, 912; OECD (2017), Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264274297-de; OECD (2017), OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/ tpg-2017-en; OECD (2018), OECD-Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/ 9789264304529-de; OECD (2018), Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264310438de; OECD (2014), Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten von 2010, http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establishmentsgerman.pdf; Roeder/Friedrich, Regelungsmängel der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, BB 2015, 1053; Schnorberger/Sassmann/Shekhovtsova, Betriebsstättengewinnermittlung nach dem OECD-Ansatz: Der Grundfall der Vertriebsbetriebsstätte, IStR 2014, 81; van der Ham in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft (Hrsg.), DBA-Kommentar, 41. EGL 2020, Art. 7 OECD-MA (Erscheinen im Sommer 2020) (zit.: Verfasser in G/K/G/K); van der Ham/Retzer, In der Kürze liegt die Würze? – BMF, Schreiben v. 17.12.2019 zu Betriebsstätten ohne Personalfunktionen, IWB 2020, 86; van der Ham/Wellens in Bernhardt (Hrsg.), Verrechnungspreise, 2. Auflage, Stuttgart 2017; Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/Ditz (Hrsg.), Be-

184 Wellens/van der Ham

A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für BS

Rz. 7.2 Kap. 7

triebsstätten-Handbuch – Gewinnermittlung und Besteuerung, 2. Auflage, Köln 2018; Wassermeyer in Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Stand: Januar 2020), Art. 7 OECD-MA (Stand: Oktober 2013).

A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für Betriebsstätten Allgemeines. Die Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung für in- und auslän- 7.1 dische Betriebsstätten1 wurde im Rahmen der Umsetzung des AOA durch das Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz2 für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, neu gefasst. In diesem Abschnitt wird diese unter Berücksichtigung der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) und der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa)3 beschrieben und kommentiert. Grundgedanke. Im Sinne des AOA stellt die Betriebsstätte eine fiktiv abgrenzbare 7.2 Einheit dar, die ertragsteuerlich grundsätzlich wie eine rechtlich selbständige Einheit behandelt werden soll.4 Zu diesem Zweck müssen die Gewinne des Stammhauses auf der einen Seite und die Gewinne der Betriebsstätte auf der anderen Seite unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bestimmt werden.5 Dies setzt jedoch voraus, dass eine konkrete Abgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte möglich ist. Daher bedarf es einer Konzeption, nach der die Gewinne auf der Ebene der Betriebsstätte separat ermittelt werden können. Dies kann als Abkehr von der auf dem allgemeinen Veranlassungsprinzip aufbauenden Gewinnermittlung6 des Ge-

1 Die OECD spricht in ihren Grundsätzen zum AOA davon, dass für Betriebsstätten eine Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung durchzuführen ist. Insofern ist von einer Betriebsstättengewinnermittlung zu sprechen, auch wenn die Verortung in § 1 Abs. 5 AStG fehlerhaft erscheint. Siehe hierzu Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA 2017 Rz. 702 f. Sofern dieser Konzeption gefolgt wird, so muss das von der Rechtsprechung entwickelte Konzept einer veranlassungsgetragenen Zuordnung und Aufteilung von Einkünften und Aufwendungen aufgegeben werden. Siehe hierzu auch Gosch, ISR 2018, 407. 2 Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie Änderungen steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 ff. 3 Grundsätze für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte und auf die Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes und der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/100001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 – im Folgenden VWG BsGa. 4 Die Umsetzung des AOA in der heutigen Form wurde im Jahr 2010 durch die Anpassung des Art. 7 OECD-MA 2010 sowie des OECD-MK 2010 zu Art. 7 OECD-MA 2010 eingeführt. 5 Vgl. hierzu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017. 6 Vgl. Gosch, ISR 2018, 404 f.; Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 76; BFH v. 4.7.1990 – GrS 2/88, GrS 3/88, BStBl. II 1990, 817 = FR 1990, 708; BFH v. 23.1.2001 – VIII R 48/98,

Wellens/van der Ham 185

Kap. 7 Rz. 7.2 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

samtunternehmens und der nachgelagerten bzw. indirekten Zuweisung von Gewinnen auf eine Betriebsstätte gesehen werden. Allerdings vermag die Umsetzung in einer Korrekturvorschrift nicht dazu führen, dass die indirekte Gewinnermittlung nun nicht mehr zulässig ist. Vielmehr eröffnet § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AStG die Ausnahme von der Regel der Selbständigkeit.1 Materiell-rechtlich wird die Korrektur durch § 1 Abs. 5 AStG aber einen Zustand kreieren, der einer eigenständigen Gewinnermittlung auf Ebene der Betriebsstätte gleichkommt.

7.3 Personalfunktion. Das Konzept fußt auf der Definition von Personalfunktionen in § 4 BsGaV als Leitmotiv der Gewinnermittlung. Diese Vorrangstellung der Personalfunktion ergibt sich allerdings nicht aus der gesetzlichen Regelung, da § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG eine gleichwertige Zuordnung der Personalfunktionen mit anderen Zuordnungsgegenständen vorsieht (vgl. hierzu auch Rz. 6.54). Allerdings regelt § 1 Abs. 2 BsGaV, dass alle weiteren Zuordnungsgegenstände „ausgehend von den maßgeblichen Personalfunktionen“ zuzuordnen sind2. Hierdurch vollzieht sich die Verselbständigung der Betriebsstätte, indem bestimmte Personalfunktionen oder Geschäftstätigkeiten definiert werden, die einer Betriebsstätte zugewiesen werden können. Das Zuordnungskriterium soll der Fremdvergleich sein, wobei letztlich auf der Basis einer Funktionsund Risikoanalyse (vgl. hierzu auch Rz. 9.7) nach Routine- bzw. Nicht-Routinetätigkeiten unterschieden wird. Jedoch ist diese Fiktion nicht vollständig, da bestimmte Eigenschaften der Betriebsstätte nicht zugestanden werden. So werden Darlehensbeziehungen zwischen Unternehmen und Betriebsstätte nicht uneingeschränkt anerkannt, wodurch die Selbständigkeitsfiktion nicht vollständig vollzogen wird.3 7.4 Gegenstände der Zuordnung. Aus den Personalfunktionen folgen im Weiteren die Zuordnungen von materiellen4 und immateriellen5 Werten, von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten6, von sonstigen Vermögenswerten7, von Geschäftsvorfällen des Unternehmens8, von Chancen und Risiken9, von Siche-

1 2

3 4 5 6 7 8 9

BStBl. II 2001, 395 = FR 2001, 590; BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149. Vgl. hierzu Melhem/Dombrowski, IStR 2015, 912 ff. Allerdings bleibt der Konflikt bestehen, da § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG scheinbar für alle Betriebsstättenfälle die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes vorschreibt. Es ist allerdings umstritten, inwieweit die BsGaV einen solchen Vorrang regeln kann, denn die Verordnung kann gem. § 1 Abs. 6 AStG Detailfragen zur Ausgestaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur im Rahmen der gesetzlichen Regelung formulieren. Da das Gesetz einen entsprechenden Vorrang nicht regelt, scheint die Verordnung in diesem Punkt die Ermächtigungsgrundlage zu überschreiten. Vgl. hierzu van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 352, vgl. van der Ham/Retzer, IWB 2020, 86. In der Literatur wird diskutiert, ob eine solche Durchbrechung sachgerecht ist bzw. ob auch Darlehensbeziehungen anzuerkennen sind. Vgl. hierzu Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.34. Siehe § 5 BsGaV. Siehe § 6 BsGaV. Siehe § 7 BsGaV. Siehe § 8 BsGaV. Siehe § 9 BsGaV. Siehe § 10 BsGaV.

186 Wellens/van der Ham

A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für BS

Rz. 7.7 Kap. 7

rungsgeschäften1, von Dotationskapital2, von Passivposten3 und von Finanzierungsaufwendungen4. Zuordnung zur Betriebsstätte. Ausgehend von der Ausübung bestimmter Personal- 7.5 funktionen und der Fragestellung, zu welchem Ort eine Geschäftstätigkeit die größte Nähe oder die engste Beziehung aufweist, können die Personalfunktionen einer bestimmten Betriebsstätte zugewiesen werden. Die Vermögenswerte folgen dieser Zuordnung. Schließlich ist auch noch die steuerliche Behandlung der Vermögenswerte nachzuweisen. Daher ist nicht nur bei Abgrenzungsfragen eine genaue Beschreibung/ Dokumentation erforderlich.5 Der Dokumentation bei Betriebsstätten kommt daher eine bedeutende Funktion zu (s. hierzu die Ausführungen in Rz. 7.26 ff.).

7.6 Die PF wird in einer BS ausgeübt.

Nein

Ja Die PF wird nicht nur kurzfristig ausgeübt Ja

Nein

PF hat sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der BS

Nein

Ja

Zuordnung der PF zur der Betriebsstätte, in der sie ausgeübt wird

Zuordnung der PF zur der Betriebsstätte, zu deren Geschäftstätigkeit sie den engsten Bezug aufweist

Kann die PF nicht eindeutig einer BS zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die § 4 Abs. 1 und 2 BsGaV nicht widerspricht.

Abb. 1: Zuordnung von Personalfunktionen

Hilfs- und Nebenrechnung. Sobald die Verknüpfung von Personalfunktionen und 7.7 Betriebsstätte erfolgt ist, kann basierend auf dem Leitmotiv entschieden werden, welche Aktiva und Passiva der Betriebsstätte zuzuweisen sind (vgl. hierzu auch 1 2 3 4 5

Siehe § 11 BsGaV. Siehe §§ 12 und 13 BsGaV. Siehe § 14 BsGaV. Siehe § 15 BsGaV. Siehe auch Haverkamp, ISR 2017, 37, der diesbezüglich auf die Unverhältnismäßigkeit der Nachweispflicht hinweist.

Wellens/van der Ham 187

Kap. 7 Rz. 7.7 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

Rz. 12.43). Auf dieser Basis kann dann eine Vermögensübersicht für die Betriebsstätte erstellt werden, die eine Art „Bilanz“ der Betriebsstätte darstellt. Weiterhin können auf dieser Basis die tatsächlichen Geschäftsvorfälle mit Dritten sowie die fiktiven Geschäftsbeziehungen (sog. „dealings“) der Betriebsstätte zugewiesen bzw. antizipiert werden. Aus der Kombination der zugewiesenen Vermögensgegenstände und der Geschäftsbeziehungen kann dann eine Art „Gewinn- und Verlustrechnung“ für die Betriebsstätte erstellt werden.1 Diese beiden Teile ergeben zusammen die sog. Hilfs- und Nebenrechnung, die für die Betriebsstätte nach § 3 BsGaV zu erstellen ist (vgl. hierzu auch Rz. 12.39 f.).

7.8 Materielle Vermögenswerte. Bei den materiellen Vermögenswerten ist nach § 5 Abs. 1 BsGaV die Nutzung durch die Betriebsstätte die maßgebliche Personalfunktion. Dies kann damit erklärt werden, dass durch die Nutzung ein enger Bezug zur Betriebsstätte entsteht, der eine eindeutige Zuordnung (vgl. hierzu auch Rz. 7.115) möglich macht. Sofern eine klare Zuordnung auf eine Betriebsstätte aufgrund häufiger Nutzungswechsel des materiellen Vermögenswerts nicht möglich ist, so entscheidet die überwiegende Nutzung. Durch diese Regelung wird vermieden, dass in diesen Fällen eine regelmäßige „Veräußerung“ mit einhergehender Besteuerung stiller Reserven angenommen werden muss. Weiterhin bietet § 5 Abs. 2 BsGaV eine Öffnungsklausel, wonach ein materieller Vermögenswert auch abweichend von der Nutzung zugeordnet werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Bedeutung einer anderen Personalfunktion (z.B. die Anschaffung, Herstellung oder Verwaltung des materiellen Vermögenswerts) im Einzelfall überwiegt und damit die Nutzung in den Hintergrund tritt.2 Allerdings muss dies sorgfältig dokumentiert werden. Mit BMFSchreiben vom 17.12.2019 zu funktionslosen Betriebsstätten3 stellt das BMF klar, dass materielle Vermögenswerte im Sonderfall der personalfunktionslosen Betriebsstätte auch auf Basis des Orts der Nutzung zugeordnet werden können (s. hierzu auch Rz. 12.44). 7.9 Immaterielle Vermögenswerte. Bei den immateriellen Vermögenswerten ist nach § 6 Abs. 1 BsGaV die Schaffung oder der Erwerb die maßgebliche Personalfunktion. Eine Ausnahme dieses Zuordnungsgrundsatzes (s. hierzu auch Rz. 7.127) greift nur, wenn die Bedeutung einer durch eine andere Betriebsstätte ausgeübte Personalfunktion eindeutig überwiegt. Die Begründung der Ausnahme liegt darin, dass im Rahmen der Schaffung eines immateriellen Wirtschaftsguts eine Personalfunktion aus verschiedenen Aktivitäten bestehen und an verschiedenen Orten durch unterschiedliche Betriebsstätten ausgeführt werden kann. Abweichend zu den materiellen Vermögenswerten wird im Bereich der Zuordnung immaterieller Vermögenswerte die Möglichkeit einer anteiligen Zuordnung ausdrücklich erwähnt (vgl. hierzu auch Rz. 12.44).

1 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 376. 2 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 386. 3 BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003 – DOK 2019/1018207, BStBl. I 2020, 84.

188 Wellens/van der Ham

A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für BS

Rz. 7.11 Kap. 7

7.10 (1) Zuordnung der Personalfunktion

Die maßgebliche Personalfunktion ist identifiziert.

(2) Funktionsteilung

Die Personalfunktion wird in einer oder mehreren BS oder dem Stammhaus ausgeführt.

In welcher BS ist die Personalfunktion bedeutender?

(3) Funktionskonkurrenz

Andere Personalfunktion(en) im Stammhaus oder anderen BS nutzen ebenfalls die Vermögenswerte.

Für welche BS bzw. Personalfunktion ist der Vermögenswert bedeutender?

Zweifelsfälle: Vorrang der Vermutungsregel

Betriebsstätte

In Abhängigkeit der Antworten: Zuweisung zu BS oder Stammhaus

Stammhaus

Abb. 2: Personalfunktion und Vermögenswerte

Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte. Bei der Zuordnung 7.11 (s. hierzu auch Rz. 7.139) von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten sind diese der Betriebsstätte nach einer funktionalen Betrachtungsweise basierend auf ihren Geschäftstätigkeiten zuzuordnen. Somit sind diese Vermögenswerte der Betriebsstätte nach § 7 Abs. 1 BsGaV zuzuordnen, die diese für die Ausübung ihrer Personalfunktion nutzt. Auch hierzu gibt es nach § 7 Abs. 2 BsGaV eine Öffnungsklausel, sofern die Bedeutung einer von einer anderen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig überwiegt. Als andere Personalfunktionen können insbesondere die Anschaffung, die Verwaltung, die Risikosteuerung oder die Veräußerung eines Vermögenswerts maßgeblich sein. Bezüglich einer Anschaffung ist zudem zu analysieren, aus welcher Personalfunktion die grundlegenden Mittel zur Anschaffung oder Entstehung fließen. Wellens/van der Ham 189

Kap. 7 Rz. 7.12 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.12 Sonstige Vermögenswerte. Alle anderen Vermögenswerte werden nach § 8 BsGaV der Betriebsstätte zugeordnet (s. hierzu auch Rz. 7.147), deren Personalfunktion maßgebend für die Schaffung oder den Erwerb des entsprechenden Vermögenswerts ist. Eine abweichende Zuordnung kommt auch hier in Betracht, wenn eine andere Personalfunktion (z.B. die Nutzung, die Verwaltung, die Risikosteuerung oder die Veräußerung des sonstigen Vermögenswerts) für den Vermögenswert von größerer Bedeutung ist. 7.13 Gleichzeitige Ausübung. Im Fall der gleichzeitigen Ausübung der Personalfunktion in verschiedenen Betriebsstätten finden die allgemein gültigen Regelungen Anwendung. Dementsprechend sind Vermögenswerte der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung zukommt. Eine Ausnahme hierzu stellen die immateriellen Vermögenswerte dar, die anteilig mehreren Betriebsstätten zugewiesen werden können (vgl. Rz. 7.9). 7.14 Tabelle 1: Zuordnungskriterien Zuordnungsgegenstand Materielle Vermögenswerte § 5 BsGaV

Anknüpfungspunkt der Zuordnung – Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts – Sofern das Wirtschaftsgut durch mehrere Betriebsstätten genutzt wird, so ist eine Zuordnungsentscheidung zu treffen. – Keine anteilige Zuordnung möglich

Immaterielle Vermögenswerte – Schaffung oder Erwerb eines immateriellen § 6 BsGaV Wirtschaftsguts – Sofern durch mehrere Betriebsstätten geschaffen, Zuordnung anhand größter Bedeutung Beteiligungen, Finanzanlagen – Zuordnung nach funktionalem Zusammenhang; und ähnliche Vermögenswerte – Sofern der funktionale Zusammenhang zu mehreren § 7 BsGaV Betriebsstätten besteht, Zuordnung anhand von überwiegendem funktionalem Zusammenhang Sonstige Vermögenswerte § 8 BsGaV

– Schaffung oder Erwerb oder Zurverfügungstellung grundlegender Mittel; – Sofern durch mehrere Betriebsstätten geschaffen, Zuordnung anhand größter Bedeutung

7.15 Weitere Zuordnung. Nachdem durch die Personalfunktionen festgelegt wurde, welche Vermögenswerte der Betriebsstätte zuzuweisen sind, kann dann – daraus abgeleitet – die Zuordnung von Chancen und Risiken (§ 9 BsGaV; vgl. hierzu auch Rz. 12.47), den Sicherungsgeschäften (§ 10 BsGaV) und den Geschäftsvorfällen (§ 11 BsGaV) erfolgen. 7.16 Chancen und Risiken (1). Die Zuordnung von Chancen und Risiken erfolgt über den unmittelbaren Zusammenhang zu einem Vermögenswert, der einer Betriebsstätte zugeordnet wurde (vgl. hierzu auch Rz. 8.34 ff.). Dies entspricht der Grundregel, dass Betriebsstätten neben dem „Eigentum“ an einem Vermögenswert gleicher190 Wellens/van der Ham

A. Einführung in die Konzeption der Gewinnaufteilung für BS

Rz. 7.19 Kap. 7

maßen auch das „Eigentum“ an den Chancen und Risiken zuzuordnen ist. In den Fällen, in denen Chancen und Risiken in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu einem Vermögenswert stehen, sind diese an die Betriebsstätte zu allokieren, die durch die Ausübung ihrer Personalfunktion für deren Entstehung verantwortlich ist. Bei einer gleichzeitigen Ausübung verschiedener Betriebsstätten erfolgt die Zuordnung nach den allgemein gültigen Regelungen, wonach die Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen sind, deren Personalfunktion die größte Bedeutung hat. Chancen und Risiken (2). Sofern die Chancen und Risiken in keinem unmittel- 7.17 baren Zusammenhang zu einem Vermögenswert stehen, so ist fraglich, wie diese zu identifizieren und zu bewerten sind. Hinsichtlich der übertragenen Chancen können die Grundsätze der Geschäftschancentheorie herangezogen werden. Hiernach müssen die Chancen soweit erstarkt sein, dass sie einen konkreten Geschäftsvorfall auslösen oder eine allgemeine Geschäftstätigkeit ermöglichen können. Diese sind somit bewert- und bilanzierbar. Hinsichtlich der Risiken stellt sich die Beurteilung nochmals schwerer dar. Sofern die Risiken erkennbar sind, so sind diese in Form von Verbindlichkeiten bzw. Rückstellungen zu erfassen und entsprechend zu bilanzieren (vgl. hierzu auch Rz. 2.27). Darüberhinausgehende Risiken lassen sich nur schwer identifizieren und damit auch nicht bewerten. Sicherungsgeschäfte. Bei den Sicherungsgeschäften soll eine Verknüpfung von 7.18 Grund- und Sicherungsgeschäft sichergestellt werden. Sofern die mit einem Vermögenswert zusammenhängenden Risiken durch ein Sicherungsgeschäft abgesichert werden, so sollen auch die Chancen und Risiken des anderen Vermögenswerts, der zur Absicherung verwendet wird, der Betriebsstätte zugewiesen werden. Diese Behandlung vermeidet ein Auseinanderfallen von Grund- und Sicherungsgeschäft, um dadurch entstehende Verrechnungspreisfragen im Hinblick auf die Zuordnung zu vermeiden.1 Geschäftsvorfälle. Schließlich werden auch die Geschäftsvorfälle und die damit ver- 7.19 bundenen Betriebseinnahmen bzw. -ausgaben der Betriebsstätte zugeordnet, deren Personalfunktion die Grundlage des Zustandekommens bildet. Eine anderweitige Zuordnung kommt nur dann in Betracht, wenn die Personalfunktion einer anderen Betriebsstätte eindeutig überwiegt. Sind mehrere Personalfunktionen verschiedener Betriebsstätten zum gleichen Zeitpunkt betroffen, greift auch hier das Prinzip der größten Bedeutung. Dieser Logik folgend, werden im Folgenden zunächst die Grundsätze der Gewinnermittlung für die Betriebsstätte dargestellt. In den weiteren Kapiteln wird diese dann bzgl. der Personalfunktion sowie der daraus resultierenden Zuordnung von Vermögenswerten, Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten, sonstigen Vermögenswerten, Geschäftsvorfällen des Unternehmens, Chancen und Risiken, Sicherungsgeschäften, Dotationskapital, Passivposten und von Finanzierungsaufwendungen näher erläutert.

1 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 405.

Wellens/van der Ham 191

Kap. 7 Rz. 7.20 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

B. Gewinnermittlungskonzeption I. Zielsetzung des Regelabschnitts 7.20 Vorgehen. In diesem Abschnitt wird die Gewinnabgrenzung als einheitlicher Vorgang der Hilfs- und Nebenrechnung dargestellt. Diese folgt den Festlegungen, wie sie in den weiteren Abschnitten intensiver dargestellt werden. Insofern orientiert sich diese Darstellung an dem Aufbau der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung. Wie jedoch bereits eingangs beschrieben wurde, kann eine Hilfs- und Nebenrechnung erst dann erstellt werden, wenn die Personalfunktionen bestimmt und die Aktiva, Passiva und die Geschäftsvorfälle zugewiesen sowie die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (dealings) identifiziert sind. Im Weiteren wird zunächst der Regelungsinhalt beschrieben und danach die Konformität der Gewinnermittlung mit den Vorschriften im AOA sowie mit dem Fremdvergleichsgrundsatz verglichen.

II. Regelungsinhalt 1. Grundsätze der Zurechnung

7.21 Allgemeine Vorschriften. Für die Gewinnermittlung sind die §§ 1–3 BsGaV heranzuziehen. Während in § 1 BsGaV die Maßstäbe für die Zurechnung von Einkünften beschrieben werden, enthält § 2 BsGaV die notwendigen Definitionen. § 3 BsGaV beschreibt die Berechnung als Hilfs- und Nebenrechnung. 7.22 Zurechnung von Einkünften. In § 1 der BsGaV wird die Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebsstätte definiert. Danach ist zunächst eine Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte durchzuführen. Auf dieser Grundlage sind die Personalfunktionen nach § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG festzustellen. Diese stellen das zentrale Element der Analyse dar. Daraus folgend werden die resultierenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfälle, Dotationskapital, Passivposten u.a. ermittelt. Erst dann ergeben sich die Geschäftsvorfälle und die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen der Betriebsstätte. 7.23 In § 1 BsGaV wird dies wie folgt dargestellt: § 1 Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebsstätte (1) 1Für die steuerliche Zurechnung von Einkünften zu einer Betriebsstätte eines Unternehmens nach § 1 Absatz 5 des Außensteuergesetzes ist eine Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (§ 12 der Abgabenordnung) als Teil der Geschäftstätigkeit des Unternehmens durchzuführen. 2Aufbauend auf der Funktions- und Risikoanalyse nach Satz 1 ist eine Vergleichbarkeitsanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte durchzuführen, um für die Geschäftsbeziehungen der Betriebsstätte im Sinne des § 1 Absatz 4 des Außensteuergesetzes Verrechnungspreise zu bestimmen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz (§ 1 Absatz 1 Satz 1 des Außensteuergesetzes) entsprechen.

192 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.24 Kap. 7

(2) Auf Grundlage der Funktions- und Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte 1. sind die Personalfunktionen (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Nummer 1 des Außensteuergesetzes), die der Betriebsstätte oder dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sind, festzustellen, insbesondere die maßgeblichen Personalfunktionen, 2. sind der Betriebsstätte, ausgehend von den maßgeblichen Personalfunktionen, Vermögenswerte (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Nummer 2 des Außensteuergesetzes) sowie Chancen und Risiken (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Nummer 3 des Außensteuergesetzes) zuzuordnen, 3. ist der Betriebsstätte, ausgehend von den ihr zugeordneten Vermögenswerten sowie von den ihr zugeordneten Chancen und Risiken, ein Dotationskapital (§ 1 Absatz 5 Satz 3 Nummer 4 des Außensteuergesetzes) zuzuordnen, 4. sind der Betriebsstätte Passivposten zuzuordnen, soweit dies auf Grund der Zuordnung von Vermögenswerten, von Chancen und Risiken sowie von Dotationskapital erforderlich ist, 5. sind der Betriebsstätte Geschäftsvorfälle des Unternehmens mit unabhängigen Dritten und mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes zuzuordnen und 6. sind die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen im Sinne des § 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 des Außensteuergesetzes zu bestimmen, die die Betriebsstätte zum übrigen Unternehmen unterhält.

Begriffsbestimmungen. In § 2 der BsGaV werden die Begrifflichkeiten bestimmt. 7.24 Hierin befindet sich in den Abs. 1 und 2 die Definition von In- und Ausland, wonach der Ort der Geschäftsleitung dafür maßgeblich ist, ob ein Unternehmen im In- oder Ausland belegen ist. In Abs. 3 wird die Personalfunktion exemplarisch beschrieben, wonach diese von einer Geschäftstätigkeit des eigenen Personals ausgeht. Abs. 4 beschreibt das Prinzip der Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie Geschäftsvorfällen. Letztlich werden in Abs. 5 die Vermögenswerte exemplarisch beschrieben. § 2 Begriffsbestimmungen (1) Für die Zwecke dieser Verordnung ist ein Unternehmen inländisch, wenn sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung im Inland befindet. (2) Für die Zwecke dieser Verordnung ist ein Unternehmen ausländisch, wenn sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung im Ausland befindet. (3) 1Eine Personalfunktion ist eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird. 2Personalfunktionen sind insbesondere folgende Geschäftstätigkeiten: 1. die Nutzung, 2. die Anschaffung, 3. die Herstellung, 4. die Verwaltung, 5. die Veräußerung, 6. die Weiterentwicklung, 7. der Schutz,

Wellens/van der Ham 193

Kap. 7 Rz. 7.24 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS 8. die Risikosteuerung und 9. die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen. (4) 1Eigenes Personal ist jede natürliche Person, die auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig wird. 2Eine natürliche Person gehört auch dann zum eigenen Personal des Unternehmens, wenn ein anderes Unternehmen sich vertraglich verpflichtet hat, die natürliche Person dem Unternehmen als Personal zu überlassen und sich die Verpflichtung auf die Überlassung beschränkt. 3Eine natürliche Person, die ohne jede vertragliche Vereinbarung für das Unternehmen tätig wird, gehört zum eigenen Personal des Unternehmens, wenn die natürliche Person 1. Unternehmer oder Gesellschafter des Unternehmens ist oder 2. dem Unternehmen oder den Gesellschaftern des Unternehmens im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes nahesteht. (5) 1Die Personalfunktion einer Betriebsstätte ist für die Zuordnung von Vermögenswerten, von Chancen und Risiken oder von Geschäftsvorfällen maßgeblich, wenn der Ausübung dieser Personalfunktion im üblichen Geschäftsbetrieb im Verhältnis zu den Personalfunktionen, die in anderen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt werden, die größte Bedeutung für den jeweiligen Zuordnungsgegenstand zukommt. 2Nicht maßgeblich sind insbesondere Personalfunktionen, die bezogen auf den Zuordnungsgegenstand 1. lediglich unterstützenden Charakter haben oder 2. ausschließlich die allgemeine Geschäftspolitik des Unternehmens betreffen. (6) 1Vermögenswerte im Sinne dieser Verordnung sind Wirtschaftsgüter und Vorteile. 2Zu den Vermögenswerten gehören insbesondere 1. materielle Wirtschaftsgüter, 2. immaterielle Werte einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter, 3. Beteiligungen und 4. Finanzanlagen.

7.25 Zweistufiger Ansatz. Aus den Darstellungen in den §§ 1 und 2 BsGaV wird das zweistufige Gewinnermittlungsverfahren für Betriebsstätten ersichtlich. Zunächst wird auf der Basis einer Funktions- und Risikoanalyse festgelegt, welche Aktiva und Passiva, Chancen und Risiken, aber auch welche Geschäftsvorfälle und anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (dealings) einer Betriebsstätte zuzuweisen sind (vgl. hierzu auch Rz. 9.2). In einem zweiten Schritt kann darauf aufbauend bestimmt werden, welchen Aufwand die Betriebsstätte aufgrund der zugewiesenen Aufgaben und Vermögenswerte trägt bzw. welche Erträge sie aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit inklusive der fiktiven dealings ziehen kann. Hierzu muss ein entsprechendes Zahlenwerk erstellt und gepflegt werden, das in den Hilfs- und Nebenrechnungen dargestellt wird. 2. Erstellung von Hilfs- und Nebenrechnungen

7.26 Hintergrund. Die Grundlagen, die mit § 2 BsGaV geschaffen wurden, müssen in ein einheitliches Muster der Rechnungslegung und Bilanzierung überführt werden, damit eine einheitliche und gleiche Gewinnermittlung erfolgt. Nach der Vorstellung der 194 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.27 Kap. 7

Verselbständigung der Betriebsstätte sollen diese auch entsprechend der Handhabe von rechtlich selbständigen Einheiten mit einer Art „Bilanz“ und „Gewinn- und Verlustrechnung“ ausgestattet werden. Rechtliche Grundlage. In § 3 der BsGaV findet sich zur Hilfs- und Nebenrechnung 7.27 folgende Darstellung: § 3 Hilfs- und Nebenrechnung (1) eine Betriebsstätte ist zum Beginn eines Wirtschaftsjahres eine Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen, während des Wirtschaftsjahres fortzuschreiben und zum Ende des Wirtschaftsjahres abzuschließen. 2Der Abschluss der Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet das Ergebnis der Betriebsstätte. 3Die Hilfs- und Nebenrechnung muss spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe einer Steuererklärung erstellt sein, 1. zu der das Unternehmen verpflichtet ist (§ 149 der Abgabenordnung) und 2. in der die Einkünfte der Betriebsstätte zu berücksichtigen sind. (2) 1Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet alle Bestandteile, die der Betriebsstätte auf Grund ihrer Personalfunktionen (§ 4) zuzuordnen sind. 2Dazu gehören a) die Vermögenswerte (§§ 5 bis 8), wenn sie von einem selbständigen Unternehmen in der steuerlichen Gewinnermittlung erfasst werden müssten, b) das Dotationskapital (§§ 12 und 13), c) die übrigen Passivposten (§ 14) sowie d) die mit den Bestandteilen im Sinne von Satz 1 zusammenhängenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. 3Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet auch fiktive Betriebseinnahmen und fiktive Betriebsausgaben, die auf Grund anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen entstehen (§§ 16 und 17). (3) In den Aufzeichnungen, die nach § 90 Absatz 3 Satz 4 der Abgabenordnung auf Anforderung zu erstellen und vorzulegen sind, sind auch darzulegen 1. die Gründe für die Zuordnung der Bestandteile, einschließlich der Gründe für die Zuordnung der Geschäftsvorfälle des Unternehmens (§ 9), der Chancen und Risiken (§ 10) und der Sicherungsgeschäfte (§ 11), sowie 2. die Gründe für das Vorliegen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen (§§ 16 und 17). (4) 1Wird eine Betriebsstätte begründet, so ist zu diesem Zeitpunkt die erste Hilfs- und Nebenrechnung für die Betriebsstätte zu erstellen. 2Wird eine Betriebsstätte beendet, so ist zu diesem Zeitpunkt die Hilfs- und Nebenrechnung abzuschließen. 3Der zum Zeitpunkt der Begründung oder der Beendigung einer Betriebsstätte anzunehmende Übergang von Vermögenswerten und Passivposten sowie von Chancen und Risiken zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen begründet anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen im Sinne des § 16. (5) 1Die Hilfs- und Nebenrechnung einer Betriebsstätte eines Unternehmens, das weder nach inländischem noch nach ausländischem Recht buchführungspflichtig ist und das auch tatsächlich keine Bücher führt, ist entsprechend einer Einnahmenüberschussrechnung im Sinne des § 4 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes zu erstellen. 2Zum Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsstätte ist eine Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen, die eine Aufstellung der Vermögenswerte enthält. 1Für

Wellens/van der Ham 195

Kap. 7 Rz. 7.28 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.28 Stichtage. Die Hilfs- und Nebenrechnung ist jeweils zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs aufzustellen, im Laufe des Wirtschaftsjahrs fortzuführen und schließlich zum Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen (vgl. hierzu auch Rz. 12.4). Allerdings wird nicht ausgeführt, dass die Hilfs- und Nebenrechnung tatsächlich auch jedes Jahr erstellt werden muss. Diese ist nämlich nach § 3 Abs. 1 BsGaV spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung zu erstellen. Auch wenn die gesetzlichen Mitwirkungspflichten keine zeitnahe Erstellung einer Dokumentation erfordern, ist es in der Praxis empfehlenswert, zusammen mit der Erstellung der Steuererklärung eine Erläuterung zur Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Für die konkreten Dokumentationspflichten verweist § 3 Abs. 3 BsGaV explizit auf § 90 Abs. 3 AO, die gegenwärtig nur vorsehen, dass die Dokumentation auf Anfrage der Betriebsprüfung zu erstellen ist. 7.29 Inhalte. In § 3 BsGaV werden die Inhalte einer Hilfs- und Nebenrechnung umrissen. Danach sind die Vermögenswerte, das Dotationskapital und die übrigen Passivposten bilanziell darzustellen. Weiterhin sind die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit Geschäftsvorfällen oder anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen stehen, im Rahmen einer Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen. Eine detaillierte Beschreibung, wie die Hilfs- und Nebenrechnung aussehen muss, erfolgt nicht.

III. Kommentierung 1. Erstellung von Funktions- und Risikoanalysen

7.30 Hintergrund. Hinsichtlich der Analyse der Personalfunktionen und aller weiterer Analysen bedient sich die BsGaV einem zentralen Element der Verrechnungspreisanalyse. Hier wird in § 1 Abs. 1 BsGaV von der Funktions- und Risikoanalyse gesprochen, die allerdings im Zusammenhang mit der Betriebsstätte nicht näher definiert wird. Insofern muss auf die Bestimmungen der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung1 zurückgegriffen werden. Dort wird in § 4 Abs. 1 Nr. 3 GAufzV beschrieben: 3. Funktions- und Risikoanalyse: a) Informationen über aa) die im Rahmen der Geschäftsbeziehungen ausgeübten Funktionen und übernommenen Risiken zu Beginn des Prüfungszeitraums sowie über die Veränderungen dieser Funktionen und Risiken innerhalb des Prüfungszeitraums. bb) die eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte, cc) die vereinbarten Vertragsbedingungen, dd) gewählte Geschäftsstrategien sowie ee) die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, 1 Vgl. Verordnung zu Art, Inhalt und Umfang von Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO (Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung – GAufzV).

196 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.33 Kap. 7

b) Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung der Wertschöpfungsbeiträge des Steuerpflichtigen; § 1 Absatz 3 Satz 4 ist zu beachten;

Ziel der Funktions- und Risikoanalyse. Unmittelbares Ziel der Funktions- und Ri- 7.31 sikoanalyse ist es, transaktions- oder transaktionsgruppenbezogen zu bestimmen, welche Funktionen ausgeübt werden, welche Risiken den verschiedenen Funktionen inne liegen und welche immateriellen Wirtschaftsgüter dabei zum Einsatz kommen bzw. entstehen und wem diese wirtschaftlich zuzuordnen sind. Hierbei wird in der aktuellen GAufzV auch unmittelbar auf Entscheidungskompetenz und Wertschöpfungsbeiträge verwiesen. Somit sind Funktionen und Risiken zu bestimmen, Personen zuzuweisen und anschließend die relativen Beiträge zur Wertschöpfung zu bestimmen. Mit anderen Worten, die Funktions- und Risikoanalyse bildet die Grundlage für die Ableitung angemessener Verrechnungspreise (vgl. hierzu auch Rz. 12.21).1 Funktionen. Funktionen sind dabei als Geschäftstätigkeiten zu verstehen,2 die von 7.32 bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens ausgeführt werden. So kann bspw. im Rahmen von Warentransaktionen die Entwicklung, der Einkauf, die Produktion oder der Vertrieb Funktionsblöcke darstellen, unter denen einzelne (Teil-)Funktionen ausgeführt werden.

7.33

Tabelle 2: Funktionen3 Forschung und Entwicklung – Grundlagenforschung – Festlegung von Entwicklungsfeldern und Budget – Produktentwicklung – Technische Lösungsentwicklung für Kundenprobleme

Einkauf

Produktion

Vertrieb

– Lieferantenanalyse, -auswahl und -management – Verhandlungen von Rahmenverträgen – Preis- und Rabattverhandlungen – Hedging von Rohstoffpreis- und Wechselkursrisiken im Einkauf – Bestellmanagement und Disposition

– Make-or-BuyEntscheidungen – Fertigung von Vor-, Zwischenund Endprodukten – Montage – Qualitätskontrolle – Kapazitätsmanagement – Investitionsplanung – Produktionsplanung – SCM (Supply Chain Management): Management der Schnittstellen zu Einkauf und Vertrieb

– Marktforschung – Festlegung von Vertriebskonzepten (z.B. Franchising) – strategisches und taktisches Marketing – Key-Account- und Customer-Relationship-Management – Kunden- und Projekt-Akquise – Konfiguration von Kundenlösungen – Preis- und Rabattverhandlungen – Kundenfinanzierung – Verkauf und Vertriebsabwicklung

1 Vgl. Hervé in Bernhardt, Verrechnungspreise2, S. 143. 2 Siehe hierzu auch die Definition in § 1 Abs. 1 FVerlV. 3 Vgl. hierzu Hervé in Bernhardt, Verrechnungspreise2, S. 144 ff.

Wellens/van der Ham 197

Kap. 7 Rz. 7.33 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS Forschung und Entwicklung

Einkauf

Produktion

Vertrieb – Lagerhaltung und Logistik – After Sales Services (Ersatzteilgeschäft, Wartung)

– SCM (Supply Chain Management): Einkauf, Zwischenlagerung und Lieferung an Werke

7.34 Risiken. Jede Ausübung unternehmerischer Funktionen ist mit Risiken verbunden. Risiken manifestieren sich in den Abweichungen von Erwartungswerten und schließlich in Soll-Ist-Abweichungen der GuV-Zahlen. Eine höhere Schwankungsbreite von Soll-Ist-Abweichungen ist somit Ausdruck eines höheren unternehmerischen Risikos. 7.35 Zusammenhang. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung von Risikoübernahmen für die Verrechnungspreisbildung können die Grundsätze der Kapitalmarkttheorie gleichermaßen angewendet werden. Ein risikoscheuer Investor wird im Vergleich zweier Anlageinvestitionen mit gleicher Verzinsung im Erwartungswert immer die Anlage mit dem niedrigeren Risiko wählen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein höheres Risiko immer nur dann akzeptiert wird, wenn dabei eine wertäquivalente Risikoprämie gezahlt wird. Das heißt, ein höheres Risiko führt aus Fremdvergleichssicht im Erwartungswert zu einem höheren Verrechnungspreis. Sind Risikoausprägungen messbar, so ist auch ein Einfluss auf die Verrechnungspreisbildung zu erwarten. 7.36 Tabelle 3: Risiken1 Forschung und Entwicklung

Einkauf

– Umsetzungsrisiko – langfristige Versor– Fehlentwicklungungssicherheit gen – kurzfristige Liefer– Designrisiko engpässe – Rohstoffpreisrisiken – Wechselkursrisiken – Qualitätsrisiken – Transportrisiken

Produktion – Qualitätsprobleme – – Produkthaftung – Produktionskosten – (z.B. Lohnkosten, – – Energiepreise) – Lieferengpässe bei – – mehrstufiger Produktion – – Kapazitätsauslastung – sonstige Produktions-ineffizienzen, die zu Abweichungen führen

1 Vgl. Hervé in Bernhardt, Verrechnungspreise2, S. 144 ff.

198 Wellens/van der Ham

Vertrieb Marktentwicklungen (Preis, Politik) Volumen Wechselkurs Lagerbestand Transport Lieferengpässe/Konventionalstrafen Forderungsausfall

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.40 Kap. 7

Klassifizierung von Funktionen. Als Folge der Funktions- und Risikoanalyse lassen 7.37 sich die vorgenannten Funktionen in Routine- und Nichtroutine klassifizieren. Nach dem Verständnis der deutschen Finanzverwaltung zeichnen sich Routinefunktionen dadurch aus, dass die betroffene Einheit bei der Funktionsausübung keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter einsetzt bzw. keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter kreiert und nur geringe ökonomische Risiken trägt, die aus Konzernsicht zu einer hohen Gewinnvolatilität und im Einzelfall auch zu Verlusten führen können.1 Funktionen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind dann per Umkehrschluss Nichtroutinefunktionen. Routinefunktionen stellen daher nicht die Kernwertschöpfungsleistung und damit die entscheidenden Erfolgsdeterminanten des Unternehmens dar. Diese können damit auch relativ einfach an fremde Dritte ausgelagert werden. Betriebsstätte. Für die Betriebsstätte wird somit anhand der Personen, die einer Be- 7.38 triebsstätte zuzuordnen sind,2 beschrieben, welche Funktionen und Risiken von diesen übernommen werden. Damit wird dann auch deutlich, wie die Betriebsstätte als Bestandteil der Wertschöpfungskette zu behandeln ist und welche Wertschöpfungsbeiträge dieser zuzuweisen sind. 2. Reichweite der Hilfs- und Nebenrechnung Nationale Auslegung. Um den Anforderungen der OECD gerecht zu werden, be- 7.39 stimmen die deutschen Vorschriften, dass ein Dokument für Zwecke der Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen ist. Die deutschen Regelungen sind in § 1 Abs. 5 AStG, der BsGaV und den VWG BsGa festgelegt. Allerdings reflektieren diese Vorschriften die deutsche Interpretation des AOA.3 Daher ist es nicht zwingend erforderlich, dass im Ausland nach gleichen Vorstellungen eine ähnliche Hilfs- und Nebenrechnung erstellt werden muss. Die Ausführungen im 4. Teil dieses Werks (s. Rz. 17.1 ff.– Rz. 22.1 ff.) zeigen, dass dies nicht in allen Ländern der Fall ist. In solchen Fällen ist der Anteil der Betriebsstätte am Gesamtgewinn durch Aufteilung bzw. durch Zuordnung von Aufwendungen und Erträgen zu ermitteln und nach § 90 Abs. 3 Satz 4 AO zu dokumentieren. Inländische Betriebsstätte. Bei einem ausländischen Unternehmen mit inländischer 7.40 Betriebsstätte ist dabei von Gewinnermittlung die Rede, d.h., die Gewinne können über die Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung im Inland ermittelt werden. Dabei unterliegen inländische Betriebsstätten grundsätzlich den Anforderungen zum Führen von Büchern und Aufzeichnungen nach §§ 140 ff. AO. Zumindest dann, 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4-S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.10.2 Buchst. a – VWG Verfahren. 2 § 2 Abs. 3 BsGaV spricht von eigenem Personal der Betriebsstätte. In diesem Zusammenhang kann in Frage gestellt werden, ob nicht im Rahmen einer funktionalen Betrachtung Funktionen, die von der Betriebsstätte beauftragt wurden, dieser auch zuzurechnen sind. 3 Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD MA sind nicht ‚self executing‘. Insofern bedarf es einer nationalen Umsetzung. Gleichermaßen müssen andere Staaten diese Grundsätze umsetzen. Diesbezüglich haben auch einige Staaten bewusst darauf verzichtet, so dass zwischenstaatliche Unterschiede auftreten.

Wellens/van der Ham 199

Kap. 7 Rz. 7.40 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

wenn sie von den Finanzbehörden zur Führung von Büchern nach § 141 Abs. 2 AO aufgefordert wurden. Sofern keine Bücher geführt wurden, so können die inländischen Einkünfte der Betriebsstätte nach § 162 Abs. 1 AO geschätzt werden (vgl. hierzu auch Rz. 12.49).1

7.41 Ausländische Betriebsstätte. Bei einem inländischen Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte hingegen ist von einer Gewinnaufteilung die Rede, da eine Hilfs- und Nebenrechnung nicht zwangsläufig vorliegen muss. In einem solchen Fall muss daher bei der Besteuerung des Stammhauses der Gewinn auf dieser Ebene ermittelt und dann anteilig der Betriebsstätte zugewiesen werden. Eine entsprechende Buchführung nach § 145 AO bzw. eine aussagekräftige Dokumentation ist zu erstellen (vgl. hierzu auch Rz. 12.49). 7.42 Mehrere Betriebsstätten. Grundsätzlich ist für jede Betriebsstätte – auch wenn mehrere Betriebsstätten in einem Staat vorliegen – eine eigene Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen.2 Allerdings ist es nach Ansicht der deutschen Finanzverwaltung auch zulässig, für mehrere Betriebsstätten in einem Staat eine zusammenfassende Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen.3 Allerdings kann es dabei zu Abgrenzungsfragen mit dem Ausland kommen, so dass eine getrennte Darstellung zu bevorzugen ist. 7.43 Vergleichbarkeitsanalyse. Neben der Anforderung an die Darstellung der Ergebnisrechnung der Betriebsstätte durch die Hilfs- und Nebenrechnung ergibt sich aus dem Verweis4 auf die OECD-Leitlinien weiterhin der Anspruch an die Vergleichbarkeitsanalyse. Ausmaß, Qualität und Inhalt hat sich ebenfalls an der GAufzV zu orientieren.5 Danach sind die Auswahl und Anwendung der Verrechnungspreismethoden darzustellen und zu begründen. 3. Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung

7.44 Aufbau. In der Hilfs- und Nebenrechnung („die Berechnung“) sind die Ergebnisse der Anwendung des AOA niederzuschreiben. Die Berechnung ist im Einklang mit der Erstellung der deutschen Steuererklärung für alle Geschäftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen,6 zu erstellen. Die Berechnung besteht aus einer bilanzähnlichen Tabelle, die alle zugeordneten Vermögenswerte7, das Dotationskapital und die Verbindlichkeiten enthält, und einer Tabelle, die einer Gewinn- und Verlustrechnung ähnlich ist und aus den Transaktionen mit Dritten sowie den Geschäften mit dem Stammhaus, anderen Gruppengesellschaften sowie weiteren Betriebsstätten beVgl. hierzu auch Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 1.18. Vgl. VWG BsGa, Rz. 56. In deren Rz. 57 finden sich Ausnahmen hierzu. Vgl. Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.41. Siehe BR-Drucks. 401/14, 44 (Begründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 BsGaV) und OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 39-42. 5 Vgl. Dombrowski/Sommer/Dahle, IStR 2016, 112. 6 Vgl. § 40 BsGaV. 7 Die Definition von Vermögenswerten bezieht sich konkret nicht auf nationale oder internationale Bilanzierungsstandards. Es ist damit unklar, was genau unter Werten zu verstehen ist. Siehe auch Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 469. 1 2 3 4

200 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.47 Kap. 7

steht. Zu jedem Einzelposten, der nach den Anforderungen der BsGaV zugerechnet wird, sind Erläuterungen zu geben.1 Format. In den VWG BsGa werden keine Beispiele für die Hilfs- und Nebenrech- 7.45 nung genannt. Daraus kann positiv abgeleitet werden, dass diese auch keinem vorgegebenen Format folgen muss. Allerdings kann eine Nähe zur klassischen Bilanz nicht verleugnet werden, so dass durchaus Anleihen aus den Vorschriften des HGB gezogen werden sollten. Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über mögliche Hilfs- und Nebenberechnungen, die für eine Betriebsstätte gem. BsGaV für jedes Jahr zu erstellen, weiterzuentwickeln und schließlich abzuschließen sind. § 3 Abs. 1 BsGaV besagt, dass die Hilfs- und Nebenrechnung zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs aufzustellen, im Laufe des Wirtschaftsjahrs weiterzuentwickeln und am Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen ist. Somit handelt es sich um eine einjährige Betrachtung. Ein Bilanzzusammenhang nach § 252 Abs. 1 HGB ist damit auch nicht zwingend.2

7.46

Tabelle 4: Bilanz der Betriebsstätte Pos. Aktiva

Pos. Passiva Lokale Währung

t

Lokale Währung

1

Materielle Vermögenswerte

3

(Dotations-)Kapital

2

Immaterielle Vermögenswerte (inkl. der zugehörigen Chancen)

4

Verbindlichkeiten

Summe

t

Summe

Vermögenswerte. In dieser Tabelle sind die Vermögenswerte der Betriebsstätte um- 7.47 fassend darzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass einer Betriebsstätte auch solche Werte zuzuordnen sind, die nicht bilanzierte bzw. bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter darstellen. Hierunter können bspw. noch nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter verstanden werden, die noch nicht durch ein Rechtsgeschäft im Außenverhältnis zu einem bilanzierbaren Wert gelangt sind. Laut Rz. 59 VWG BsGa kann dies bei selbst geschaffenen immateriellen Werten der Fall sein, sofern diese der Betriebsstätte zu-

1 Wie oben bereits beschrieben sind grundsätzlich auch die Chancen und Risiken aufzunehmen. Allerdings wird es in der Praxis schwierig sein, Chancen, die ohne Bezug zu einem Vermögenswert stehen, oder Risiken, die nicht bereits in einer Rückstellung bewertet sind, zu identifizieren. Daher wird auf einer weitergehenden Darstellung von Chancen und Risiken in der Hilfs- und Nebenrechnung verzichtet. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 51. So auch Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.41; Busch, DB 2014, 2496; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.188.

Wellens/van der Ham 201

Kap. 7 Rz. 7.47 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

zuordnen sind und dabei im Innenverhältnis ein fiktiver Erwerb nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV anzunehmen ist.1

7.48 Tabelle 5: Gewinn- und Verlustrechnung der Betriebsstätte Pos.

5

Umsatz

6

Cost of Goods Sold (COGS)

Januar–Dezember

Januar–Dezember

Lokale Währung

t

Rohgewinn Operative Kosten 7

Vertriebskosten

8

Verwaltungskosten

9

Sonstige operative Kosten Operatives Ergebnis

10

Finanzergebnis

11

Außerordentliches Ergebnis Gewinn vor Steuern

7.49 Gewinn- und Verlustrechnung. Die Gewinn- und Verlustrechnung einer Betriebsstätte beinhaltet dabei zum einen Elemente, die einer echten Ergebnisrechnung entsprechen, soweit sie sich auf die zugeordneten Geschäftsvorfälle bezieht. Diese folgen dem allgemeinen Veranlassungsprinzip und somit auch dem allgemeinen Fremdvergleichsgrundsatz. Darüber hinaus beinhaltet sie aber auch weitere Elemente, die sich aus den in § 1 Abs. 5 AStG angelegten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ergeben. Diese Innentransaktionen ergeben sich erst durch die Berücksichtigung der schuldrechtlich nicht vorhandenen Transaktionen, werden in der Gewinnund Verlustrechnung der Betriebsstätte aber so wie echte realisierte Geschäftstransaktionen behandelt (vgl. hierzu auch Rz. 12.49). 7.50 Weitere Bestandteile. Neben dieser übersichtsartigen Darstellung der Bilanz bzw. der Gewinn- und Verlustrechnung der Betriebsstätte sind weiterhin die wesentlichen Bestandteile näher zu beleuchten, um eine trennscharfe Zuordnung zu gewährleisten. Hierzu gehören: – Eine Beschreibung der einzelnen materiellen und immateriellen Vermögenswerte; hier sollte dargestellt werden, inwiefern § 5 BsGaV beachtet wurde bzw. ob Spezial-

1 Fraglich ist allerdings, ob solche Werte überhaupt in der Quasi-Bilanz der Betriebsstätte aufgeführt werden dürfen. Siehe hierzu auch Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.53.

202 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.54 Kap. 7

vorschriften (bspw. § 31 BsGaV zu Bau- und Montagebetriebsstätten) angewendet wurden. – Eine Darstellung des Kapitals (Dotationskapital); hier sollte insb. dargestellt werden, wie das Kapital gem. §§ 12 und 13 BsGaV bestimmt wurde bzw. inwiefern auf bestimmte Spezialvorschriften (bspw. §§ 19 und 20 BsGaV für Banken oder §§ 25 und 26 BsGaV für Versicherungen) eingegangen wurde. – Eine Beschreibung der Passivposten. Tabelle 6: Erstellung eines Anlagespiegels für materielle Vermögenswerte Materielle Vermögenswerte

Lokale Währung

v

7.51

Erläuterungen

Vermögenswert 1 Vermögenswert 2 Vermögenswert 3 Summe

Materielle Vermögenswerte. Die Tabelle sollte eine vollständige Übersicht über die 7.52 zugeordneten materiellen Vermögenswerte geben, sofern solche überhaupt vorhanden sind. Tabelle 7: Erstellung eines Anlagespiegels für immaterielle Vermögenswerte Immaterielle Vermögenswerte

Lokale Währung

v

Erläuterungen

Vermögenswert 1 Vermögenswert 2 Vermögenswert 3 Summe

Immaterielle Vermögenswerte. Die Tabelle sollte eine vollständige Übersicht über 7.53 alle immateriellen Vermögenswerte beinhalten, die im Zusammenhang mit der Ausübung der Personalfunktion stehen, sofern solche vorhanden sind. Ebenso sollte erläutert werden, warum jeder der oben aufgeführten Vermögenswerte der Betriebsstätte gemäß BsGaV bzw. der VWG BsGa zugeordnet wurde. Bilanz im Zeitverlauf. In vergleichbarer Form sollten auch die anderen Bestandteile 7.54 der Bilanz der Betriebsstätte dargestellt werden. Diese sind mit der Einrichtung der Betriebsstätte erstmals aufzuführen und dann fortzuentwickeln. Wenngleich ein Bilanzzusammenhang nach § 252 Abs. 1 HGB nicht zwingend ist, da die Hilfs- und Nebenrechnung nur jeweils für eine Periode zu erstellen ist, so macht es dennoch Sinn, über die Bestandsdauer der Betriebsstätte die ertragsteuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften gleichmäßig anzuwenden. Die Wertermittlung der zugewiesenen Vermögenswerte wird dadurch unter Anwendung der AfA-Vorschriften weiterent-

Wellens/van der Ham 203

Kap. 7 Rz. 7.54 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

wickelt. Der daraus resultierende Aufwand ist in der Quasi-Gewinn- und Verlustrechnung der Betriebsstätte entsprechend zu berücksichtigen.

7.55 Darstellung der GuV. Bei der Erstellung der Gewinn- und Verlustrechnung für die Betriebsstätte ist gleichermaßen vorzugehen. Die Umsätze, der Wareneinsatz, die Vertriebskosten, die Verwaltungskosten sowie alle weiteren Kosten und außerordentlichen Bestandteile sind einzeln und bezogen auf die Personalfunktion darzustellen. Hierzu finden sich einige Beispiele in den nachfolgenden Tabellen. 7.56 Tabelle 8: Umsätze Monat

Lokale Währung

v

Erläuterungen

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Summe

7.57 Ein- und Auskünfte. Zu den Umsätzen sollten detaillierte Berechnungen vorgelegt werden, wie diese der Betriebsstätte zugeordnet wurden und inwiefern die §§ 1 und 9 BsGaV beachtet wurden. Diese Darstellung dient der Dokumentation der Betriebsstätte (s. hierzu die Ausführungen in Rz. 7.26 ff.). Sofern Einkünfte aus einem Vertrag nicht der Person zugeordnet werden sollen, welche die relevante Personalfunktion ausgeführt hat, so muss an dieser Stelle sehr genau begründet werden, warum von der Zuordnung abgewichen wird.1 Der Hilfs- und Nebenrechnung kommt insoweit eine Dokumentationsfunktion zu, da sie neben den quantitativen Informationen auch qualitative Informationen transportiert. Sie ersetzt allerdings nicht die Dokumentationspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO.2

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 45. 2 Dazu van der Ham/Wellens in Verrechnungspreise2, S. 668.

204 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.59 Kap. 7

7.58

Tabelle 9: Wareneinsatz Monat

Lokale Währung

v

Erläuterungen

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Summe

7.59

Tabelle 10: Vertriebskosten Kostenarten

Lokale Währung

v

Lohn/Gehalt Lohnnebenkosten Pensionsverpflichtungen Reisekosten Versicherung Bewirtung Marketingkosten Abschreibungen Vertriebsnebenkosten Summe

Wellens/van der Ham 205

Kap. 7 Rz. 7.60 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.60 Tabelle 11: Verwaltungskosten Kostenarten

Lokale Währung

v

Lokale Währung

v

Lohn/Gehalt Lohnnebenkosten Infrastruktur (IT etc.) Allgemeine Verwaltungskosten Externe Kosten (z.B. Rechts- und Steuerberatung) Summe

7.61 Tabelle 12: Allgemeine Kosten Kostenarten Gebäude (Miete, Mietnebenkosten, lfd. Kosten) Fuhrpark (Leasing, lfd. Betriebskosten)

Summe

7.62 Bilanzielle Anforderungen. Zur Erhebung dieser quantitativen Informationen kann es hilfreich und angezeigt sein, für die Betriebsstätten eigene Buchungskreise anzulegen. Dies ist in der Regel eine gute Basis für die steuerliche Abgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, reicht jedoch regelmäßig nicht aus, die Anforderungen an den AOA gänzlich zu erfüllen. Dies liegt insb. darin begründet, dass der Bilanzzusammenhang nach § 252 Abs. 1 HGB bei der Betriebsstätte unterbrochen sein kann. Insofern muss zumindest ein Blick auf die Aktiva und Passiva der Betriebsstätte erfolgen, um eventuelle Abweichungen ermitteln zu können. Allerdings kann es diesbezüglich durchaus sinnvoll sein, die bilanziellen Anforderungen nach HGB auch an eine Betriebsstätte zu stellen, um hier tatsächliche Vergleichbarkeit herzustellen.

IV. Einklang mit dem AOA 7.63 Bedeutung. Die Pflicht zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung dient aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung der Systematisierung und Vereinheitlichung der Einkünfteermittlung der Betriebsstätte. In der Begründung zu § 3 BsGaV wird an mehreren Stellen auf die beabsichtigte Parallelität zur Besteuerung rechtlich selbständiger Unternehmen verwiesen. Die Hilfs- und Nebenrechnung sei dabei ähnlich einer Bilanz für rechtlich selbständige Unternehmen aufzustellen. Die Aufzeichnung der Zuordnungsgründe ist aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung bereits aufgrund der bisherigen Dokumentationspflichten i.S.d. § 90 Abs. 3 AO erforderlich ge206 Wellens/van der Ham

B. Gewinnermittlungskonzeption

Rz. 7.66 Kap. 7

wesen. Im Ergebnis dürfte hieraus jedoch eine erhebliche Erweiterung des Dokumentationsaufwands für Betriebsstätten resultieren. AOA und BsGaV. Die OECD hingegen definiert die Art der Gewinnermittlung für 7.64 die Betriebsstätte nicht explizit. Sie spricht jedoch in ihrer Konzeption von einer Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung für Betriebsstätten, die zweistufig (Zuordnungen und Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes) zu erfolgen hat. Die Hilfsund Nebenrechnung, wie sie sich in der BsGaV findet, ist somit die deutsche Umsetzung der Konzeption der OECD (vgl. hierzu auch Rz. 4.22). Diese geht in ihrer Form einen eigenen Weg, der zumindest im geforderten Detaillierungsgrad von dem abweicht, was in anderen Staaten gefordert wird. Inhaltlich unterscheiden sich die Umsetzungen jedoch nicht, sofern der AOA im jeweiligen Staat analog umgesetzt wurde (s. hierzu den 4. Teil dieses Werks Kapitel 17–22, Rz. 17.1 ff.–Rz. 22.1 ff.). Umsetzung in nationales Recht. In der Literatur wird diskutiert, ob eine Umset- 7.65 zung in § 1 Abs. 5 AStG überhaupt zu einer allgemeinen Gewinnermittlungsvorschrift führen kann. Ihre Umsetzung im AStG kann nur dazu führen, dass über eine Einkünftekorrektur die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen außerbilanziell korrigiert werden.1 Eine einheitliche Umsetzung im EStG als besondere Form der Gewinnermittlung wäre daher systemkonform gewesen.2 Allerdings kann die Besteuerung stiller Reserven ohne Außenrealisation sowie die Besteuerung hypothetischer Gewinne bei Dienstleistungen vollumfänglich bei der inländischen und ausländischen Betriebsstätte dann systematisch vertreten werden, wenn für Zwecke der Leistungsfähigkeit die Betriebsstätte zur selbständigen Person erklärt wird.3 Insofern vermag die Verortung des AOA im AStG falsch sein, in ihrer Wirkung kann sie nur als Gewinnermittlungsvorschrift funktionieren.4 Auch die Finanzverwaltung scheint von einer analogen Anwendung der steuerbilanziellen Bewertungsregeln und damit von einer Gewinnermittlung nach § 4 EStG auszugehen.5 Vergleichbarkeitsanalyse. Weiterhin werden keine konkreten Ausführungen zur Vergleichbarkeitsanalyse der „fiktiven“ Verrechnungspreise für die identifizierten anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen als Teil der Hilfs- und Nebenrech-

1 Lt. Gosch ist § 1 Abs. 5 AStG eine „lupenreine“ Einkünftekorrekturvorschrift. Das bedeutet, dass keine Gewinnermittlung, sondern lediglich eine außerbilanzielle Korrektur möglich ist. Siehe hierzu Gosch, ISR 2018, 407; Gosch, IWB 2012, 785. 2 Vgl. hierzu Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA 2017 Rz. 380. 3 Im Rahmen der Gewinnermittlung kann dies gem. § 4 Abs. 1 EStG bei inländischen Betriebsstätten mit Hilfe der (Entstrickungs-)Entnahme und der (Verstrickungs-)Einlage gelöst werden. 4 Jedoch kann die Anwendung des § 1 AStG nur zu einer Korrektur zu Lasten des inländischen Steuerpflichtigen führen. Eine gegenläufige Korrektur ist nicht möglich, müsste aber im Rahmen einer echten Gewinnermittlung theoretisch denkbar sein. 5 Siehe hierzu die Beispiele in den VWG BsGa, Rz. 62 u. 70. So auch Haverkamp, ISR 2017, 37.

Wellens/van der Ham 207

7.66

Kap. 7 Rz. 7.66 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

nung gemacht. Es kann vermutet werden, dass die Vorschriften aus den OECD-Leitlinien1 übertragen werden sollen.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 7.67 Rechtlich selbständige Einheit. Die Vorschriften über die Gewinnermittlung bei Betriebsstätten folgen der Logik einer stringenten Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Hierdurch wird die Betriebsstätte in eine Position gesetzt, die der einer rechtlich selbständigen Einheit entspricht. Es ergeben sich danach konzeptionell zunächst keine Unterschiede in der Gewinnermittlung zwischen Betriebsstätte und rechtlich selbständiger Einheit. 7.68 Auffassung. Die Gewinnermittlung steht somit im Einklang mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 1 und 3 AStG. Abweichungen sind insofern ersichtlich, als es Abweichungen zwischen verbundenen (Kapital-)Gesellschaften und Betriebsstätten gibt. Dies wird insbesondere bei der Finanzierung der Betriebsstätten deutlich (s. hierzu Rz. 8.58 ff.). 7.69 Fazit. Spätestens seit der Angleichung der Verrechnungspreisvorschriften im Rahmen von Art. 9 OECD-MA 2017 und der Überarbeitung der OECD-Leitlinien auf Basis der Empfehlungen des BEPS-Abschlussberichts zu den Aktionspunkten 8–102 sind kaum noch Unterschiede zwischen den Abgrenzungsgrundsätzen nach Art. 9 OECD-MA 2017 und Art. 7 OECD-MA 2017 auszumachen.3 Bezüglich der hier in Frage stehenden Zuordnungsgegengestände sind auch aus OECD-Perspektive keine Anhaltspunkte vorhanden, die ein Entgegenstehen zum Fremdvergleichsgrundsatz vermuten lassen.

C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der Betriebsstättengewinnaufteilung I. Zielsetzung des Regelabschnitts 7.70 Ausgangspunkt. In diesem Abschnitt wird der Grundstein für die erste Ebene der Gewinnermittlung bei Betriebsstätten gelegt. Ausgangspunkt für die Gewinnermitt1 OECD (2017), OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/tpg-2017-en; OECD (2018), OECD-Verrechnungspreisrichtlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264304529-de – im Folgenden OECD-Leitlinien 2017. 2 Vgl. OECD (2017), Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de. 3 Vgl. hierzu u.a. Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 264.

208 Wellens/van der Ham

C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der BS-Gewinnaufteilung

Rz. 7.73 Kap. 7

lung bei Betriebsstätten ist die Zuordnung der Personalfunktion. Diese kann auch als Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte verstanden werden und wird in § 4 Abs. 3 BsGaV beispielhaft beschrieben. Funktions- und Risikoanalyse. Hierfür ist es notwendig, dass eine Funktions- und 7.71 Risikoanalyse durchgeführt wird.1 Was sich dahinter verbirgt, kann unter Rückgriff auf die Verwaltungsgrundsätze Verfahren näher bestimmt werden (vgl. hierzu auch Rz. 2.21).2 Danach sind im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse die Funktionen, die Risiken und wesentlichen Wirtschaftsgüter, die im Rahmen bestimmter Transaktionen eingesetzt werden, zu beschreiben. Dies beinhaltet auch Hinweise auf Geschäftsstrategien, Preisvereinbarungen und Markt- und Wettbewerbsverhältnisse. Die Herangehensweise in den Verwaltungsgrundsätzen Verfahren dient jedoch der Unternehmenscharakterisierung und nicht der Ermittlung von Personalfunktionen. Insofern können hier Anleihen genommen werden. Eine genaue Beschreibung der Funktions- und Risikoanalyse für Zwecke der Gewinnermittlung bei Betriebsstätten existiert aber nicht. Weiteres Vorgehen. In diesem Abschnitt wird beschrieben, was in der BsGaV zur 7.72 Personalfunktion geregelt wird und inwieweit es hierbei zu Abweichungen vom AOA bzw. zum Fremdvergleichsgrundsatz kommt.

II. Regelungsinhalt (= Zuordnung von Personalfunktionen) Gesetzliche Grundlagen. In § 4 der BsGaV wird die Zuordnung von Personalfunk- 7.73 tionen wie folgt beschrieben: § 4 Zuordnung von Personalfunktionen Personalfunktion ist der Betriebsstätte zuzuordnen, in der die Personalfunktion (1) ausgeübt wird. 2Eine Personalfunktion ist einer Betriebsstätte jedoch nicht zuzuordnen, wenn die Personalfunktion 1. keinen sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte aufweist und 2. an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahres in dieser Betriebsstätte ausgeübt wird. (2) Wird eine Personalfunktion weder in der Betriebsstätte noch im übrigen Unternehmen ausgeübt oder liegt ein Fall des Absatzes 1 Satz 2 vor, so ist die Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuordnen, zu der die Personalfunktion sachlich den engsten Bezug aufweist. (3) Kann eine Personalfunktion nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 und 2 nicht widerspricht. 1Eine

1 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Rz. 3.4.11.4 – VWG Verfahren.

Wellens/van der Ham 209

Kap. 7 Rz. 7.73 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

In § 2 Abs. 3 BsGaV wird die Personalfunktion wie folgt definiert: (3) 1Eine Personalfunktion ist eine Geschäftstätigkeit, die von eigenem Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt wird. 2Personalfunktionen sind insbesondere folgende Geschäftstätigkeiten: 1. die Nutzung, 2. die Anschaffung, 3. die Herstellung, 4. die Verwaltung, 5. die Veräußerung, 6. die Weiterentwicklung, 7. der Schutz, 8. die Risikosteuerung und 9. die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen.

III. Kommentierung 1. Bedeutung der Personalfunktion

7.74 Grundlage. Die Personalfunktionen stellen gem. § 1 Abs. 2 BsGaV den Ausgangspunkt für die Gewinnermittlung dar.1 Insofern ist entscheidend, aufgrund welcher Überlegungen Personen der Betriebsstätte zugewiesen werden. Diese Überlegungen sind lt. § 3 Abs. 3 BsGaV entsprechend zu dokumentieren, wodurch der Dokumentation für Betriebsstätten ein großes Gewicht zukommt. 7.75 Tätigkeiten. Die Verselbständigung der Betriebsstätte erfolgt durch die Personalfunktion als solcher. Hiermit werden entsprechend § 2 Abs. 3 BsGaV die Tätigkeiten umrissen, die eine Betriebsstätte durch die Personalfunktionen ausführen kann. So werden Nutzung, Anschaffung, Herstellung, Verwaltung, Veräußerung, Weiterentwicklung, Schutz, Risikosteuerung oder die Nutzung von Chancen und Risiken genannt. Hierbei handelt es sich um eine nichtabschließende Aufzählung, so dass auch weitere Tätigkeiten durch die handelnden Personen die Betriebsstätte ‚verselbständigen‘ können. Wesentlich für die Personalfunktion ist, dass die entsprechende Person die wesentlichen operativen Entscheidungen für die Funktion trifft.2 7.76 Bedeutung. Insofern ist die Personalfunktion elementar. Ohne Personen, die entsprechende Tätigkeiten ausführen, kann es in der grundsätzlichen Logik des AOA keine Betriebsstätte geben, die dann wiederum durch die Tätigkeit selbständig wird. Im 1 Dies ist jedoch umstritten, denn § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG sieht keine Vorrangstellung der Personalfunktion im Rahmen der Zuordnungsübung vor. Vielmehr enthält die gesetzliche Regelung eine gleichwertige Aufzählung der verschiedenen Zuordnungsgegenstände. Die Vorrangstellung der Personalfunktion ist nur in der Verordnung geregelt, die ihre Ermächtigungsgrundlage nach § 1 Abs. 6 AStG in diesem Punkt klar überschreitet. Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 352, vgl. van der Ham/Retzer, IWB 2020, 86. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010 Teil I, Rz. 27.

210 Wellens/van der Ham

C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der BS-Gewinnaufteilung

Rz. 7.78 Kap. 7

Fall von personenlosen Betriebsstätten (z.B. Rohrleitung, Server, Windparks) kann mangels Personalfunktion keine solche zugeordnet werden. Gleichwohl dürfte nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs der personenlosen Betriebsstätte ein Gewinn zuzurechnen sein. Für Zwecke der Gewinnabgrenzung bei personenlosen Betriebsstätten ist daher alternativ auf den Ort der Nutzung des betriebsstättenbegründenden Vermögenswerts abzustellen.1 2. Bestandteile der Personalfunktion Ort. Gemäß § 4 BsGaV orientiert sich die Zuordnung der Personalfunktion zunächst 7.77 daran, wo eine entsprechende Personalfunktion physisch ausgeübt wird. Dadurch wird versucht, einen möglichst pragmatischen Ansatz zu schaffen. Dieser hat jedoch Grenzen, da eine Funktion nicht zwangsläufig nur an einem Ort ausgeführt wird.2 Hierbei ist zu unterscheiden, ob das Personal nur temporär an verschiedenen Orten weilt, z.B. bei Dienstreisen, oder ob dieses regelmäßig an mehreren Betriebsstätten parallel tätig wird. Bei Reisen sollte der gewöhnliche Dienstsitz den Ausschlag geben. Bei mehreren parallelen Arbeitsorten ist in Zweifelsfällen die Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuordnen, die aus sachlicher Perspektive den engsten Bezug zur Person aufweist. Daraus leitet sich ab, dass die Funktion grundsätzlich über einen längeren Zeitraum bzw. dauerhaft in der Betriebsstätte ausgeführt werden muss, der diese zugewiesen wird. § 4 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV führt auch eine zeitliche Komponente ein, wonach Personalfunktionen, die an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahrs in der Betriebsstätte ausgeführt werden, unter Umständen dieser nicht zuzuordnen sind. Sofern die Funktion also nur kurzfristig ausgeübt wird und auch sonst keinen sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte aufweist, so ist sie dieser auch nicht zuzuordnen. Personal. Für die Ausübung von Personalfunktionen ist eigenes Personal erforder- 7.78 lich. Diese erfüllen sodann die in § 2 Abs. 3 BsGaV aufgeführten Geschäftstätigkeiten. Nach § 2 Abs. 4 BsGaV ist eigenes Personal jede natürliche Person, die aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig wird. Arbeitsvertraglich gebundenes Personal umfasst alle Voll- und Teilzeitmitarbeiter eines Unternehmens unabhängig von der Natur des Arbeitsvertrags (befristet oder unbefristet). Für Zwecke der Betriebsstättengewinnaufteilung sind auch über einen Personalüberlassungsvertrag tätige Mitarbeiter als eigenes Personal des Unternehmens anzusehen. Die Tätigkeit der Gesellschafter für die Gesellschaft stellt den Hauptanwendungsfall für das Tätigwerden a. B. gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung dar. Darüber hinaus kann eine Person ohne jede vertragliche Vereinbarung für das Unternehmen zum eigenen Personal des Unternehmens zählen, wenn sie für das Unternehmen tätig wird und Unternehmer oder Gesellschafter des Unternehmens ist oder dem Unternehmen oder den Gesellschaf1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 75; Vgl. hierzu auch: BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003 – DOK 2019/1018207, BStBl. I 2020, 84, Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA 2017 Rz. 450 f., vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 317, vgl. van der Ham/Retzer, IWB 2020, 86. 2 Siehe auch Schnorberger/Sassmann/Shekhovtsova, IStR 2014, 83.

Wellens/van der Ham 211

Kap. 7 Rz. 7.78 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

tern des Unternehmens im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG nahesteht.1 Sofern Funktionen ausgelagert werden und durch fremdes Personal, z.B. im Rahmen von Dienstleistungsvereinbarungen erbracht werden, so sind diese zunächst nicht über die Personalfunktion zuzuweisen. Vielmehr handelt es sich dann um einen zuzuordnenden Geschäftsvorfall. Die Tätigkeit der Dienstleister kann jedoch den Personen zugeordnet werden, die für den Einkauf oder die Kontrolle/Überwachung der Dienstleistung verantwortlich sind.2 Es kann daher der Fall eintreten, dass mehrere Personen mit der Geschäftstätigkeit verbunden sind. Eine Aufteilung und entsprechende Dokumentation sind dabei zwingend. Allerdings erscheint die einengende Darstellung der Personalfunktion nur über eigenes Personal gerade bei Dienstleistungen nicht zielführend. Hier kann regelmäßig der Leistungsempfänger bestimmt werden, so dass auch klar abgegrenzt werden kann, ob die Dienstleistung für eine Betriebsstätte erbracht wird (vgl. hierzu auch Rz. 13.25 f.).3

7.79 Maßgeblichkeit. Für die Zuordnung von Vermögenswerten wird zunächst die für die jeweilige Vermögenskategorie im Grundsatz maßgebliche Personalfunktion definiert. Dies wird von dem Gedanken getragen, dass die jeweils als maßgeblich erachtete Personalfunktion für den Vermögenswert die größte Bedeutung entfaltet.4 Die Frage, wann eine in einer Betriebsstätte ausgeübte Personalfunktion als maßgeblich anzusehen ist (vgl. hierzu auch Rz. 13.29), muss für den Einzelfall untersucht und entschieden werden.5 Hierbei muss auf eine bestimmte Personalfunktion und deren konkreten Bezug zum Zuordnungsgestand abgestellt werden. Danach sind Personalfunktionen, die keinen oder nur einen unwesentlichen Bezug zum Zuordnungsgegenstand haben, unmaßgeblich. Somit ausgeschlossen sind nicht nur Personalfunktionen mit unterstützendem Charakter, sondern auch solche, die sich nur ganz allgemein mit der Unternehmenspolitik befassen, aber für den Zuordnungsgegenstand selbst nicht unmittelbar maßgeblich sind.6 3. Erweiterte oder abweichende Zuordnung

7.80 Funktionsaufteilung. Eine maßgebliche Personalfunktion kann auch von mehreren Personen (vgl. hierzu auch Rz. 13.28) in verschiedenen Unternehmensteilen oder Betriebsstätten gleichzeitig ausgeübt werden. In einem solchen Fall spricht man von der Funktionsaufteilung.7 Für die Zuordnung kommt es in solchen Fällen darauf an, welche Personalfunktion die für den Zuordnungsgegenstand größere wirtschaftliche Be1 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 382. 2 Vgl. § 9 BsGaV. Diese Einschätzung wird scheinbar auch durch die OECD unterstützt, da sie in diesem Zusammenhang auch von der Risikokontrollfunktion spricht. Siehe hierzu das abschließende Papier der OECD aus März 2018, siehe OECD (2018), Steuerliche Herausforderungen der Digitalisierung – Zwischenbericht 2018: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264310438-de, Rz. 385. 3 So auch Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.69. 4 Vgl. § 2 Abs. 5 BsGaV. Siehe auch Jacobs, Unternehmensbesteuerung8, S. 782. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 40. Siehe auch Haverkamp, ISR 2017, 34 f. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 40. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 42.

212 Wellens/van der Ham

C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der BS-Gewinnaufteilung

Rz. 7.83 Kap. 7

deutung entfaltet. Der Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung können sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zugrunde gelegt werden, wobei qualitativen Kriterien ein Vorrang eingeräumt werden soll.1 Nur wenn die Anwendung qualitativer Kriterien nicht zielführend wäre, können auch quantitative Erwägungen zum Tragen kommen. Wichtig ist, dass die Entscheidung dieser Bedeutungsfrage auf nachvollziehbaren, sachlich gerechtfertigten und überprüfbaren Gründen beruht.2 In der Praxis ergibt sich hier ein gewisser Deutungsfreiraum, den der Steuerpflichtige im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung interpretieren kann. Funktionskonkurrenz. Wenn verschiedene Personalfunktionen bzgl. eines be- 7.81 stimmten Zuordnungsgegenstands in verschiedenen Unternehmensteilen gleichzeitig ausgeübt werden, spricht man von der Funktionskonkurrenz.3 In solchen Fällen ist eine Zuordnung nach der jeweils anzuwendenden grundsätzlichen Zuordnungsregel vorzunehmen. Die Zuordnung zu einer anderen Personalfunktion kommt aber auch in diesen Fällen in Betracht, wenn diese andere Personalfunktion für die zuzuordnenden Vermögenswerte von größerer Bedeutung ist. Ähnlich wie bei der Funktionsaufteilung ist hierbei vorrangig nach qualitativen Merkmalen zu entscheiden. Quantitative Kriterien können nach Ansicht der Finanzverwaltung nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um qualitativ gleiche Personalfunktionen handelt. Denn qualitativ verschiedene Personalfunktionen lassen sich nach Ansicht der Finanzverwaltung nämlich nicht nach quantitativen Kriterien bewerten.4 Zuordnungsentscheidung. Wird jedoch in den Fällen der Funktionsaufteilung oder 7.82 der Personalfunktionskonkurrenz eine Zuordnungsentscheidung zugunsten des einen Unternehmensteils getroffen, wird das Wirken des anderen Unternehmensteils bzw. die Interaktionen der maßgeblichen und der anderen Personalfunktion oft zur Annahme einer schuldrechtlichen Beziehung zwischen den Unternehmensteilen führen, für die dann ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist. 4. Reallokation von Personalfunktionen Ausübungsort. Die Personalfunktion ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV zunächst 7.83 dem Ausübungsort der Tätigkeit zuzuordnen. Wie bereits dargestellt, kann die Personalfunktion auch örtlich flexibel sein. Die Anforderungen an das Personal, stärker mobil zu sein, oder auch die Möglichkeiten, Tätigkeiten über Dienstleistungen von fremdem Personal erbringen zu lassen, erschwert die Anbindung an das Kriterium „Ausübungsort“. Weiterhin kann das Personal auch versetzt werden bzw. nach Ausscheiden einer Person kann die entsprechende Personalfunktion durch eine andere Person in einem anderen Staat übernommen werden. Durch diese Veränderungen wird die Personalfunktion ggf. reallokiert. Hierbei muss untersucht werden, ob die

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 42. Vgl. Begründung zu § 2 Abs. 5 BsGaV; BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014. Vgl. VWG BsGa, Rz. 43. Vgl. VWG BsGa, Rz. 43. Nach Hilsebein/Kröner in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA 2017 Rz. 642 ff., kann eine Aufteilung auch anteilig auf mehrere Betriebsstätten möglich sein.

Wellens/van der Ham 213

Kap. 7 Rz. 7.83 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

Reallokation den Tatbestand der Funktionsverlagerung erfüllt (s. hierzu ausführlich Rz. 10.1 ff.).

7.84 Reallokation. Während bei der Funktionsverlagerung Aktivitäten, Personen, aber auch materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter in einem „Paket“ von einem Ort zu einem anderen bewegt werden müssen, liegt bei der Reallokation von Personalfunktionen zunächst nur ein Bestandteil der Funktionsverlagerung vor. Hier werden zunächst lediglich Personen bewusst oder zufällig reallokiert. Allerdings bedeutet die im AOA angelegte Verknüpfung von Personalfunktion auf der einen Seite und Vermögenswerten, Chancen und Risiken, Geschäftsvorfällen etc. auf der anderen Seite, dass die veränderte Personalfunktion diese verknüpften Bestandteile anzieht. Eine dauerhafte Überlassung von Vermögenswerten von einer Betriebsstätte an andere Einheiten ist mit den Regelungen des AOA nicht vereinbar.1 7.85 Ergebnis. Daraus folgt, dass die Reallokation zu einer Übertragung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen sowie den damit verbundenen Chancen und Risiken von einer abgebenden Betriebsstätte auf eine andere Betriebsstätte führen kann. Damit ist die Definition der Funktionsverlagerung, wie sie in der FVerlV dargestellt wird, grundsätzlich erfüllt.2

IV. Einklang mit dem AOA 7.86 Gewinnermittlung. In Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017 wird der Grundsatz bestimmt, nach dem Gewinne der Betriebsstätte zugerechnet werden. Hiernach ist der Fremdvergleichsgrundsatz Maßstab für die Gewinnermittlung. Hieraus folgt, dass nach einer Zuweisung gewinnrelevanter Aspekte der Gewinn in einer Betriebsstätte eine Folge hieraus ist. Während der Fremdvergleichsgrundsatz als solcher international weitestgehend Akzeptanz findet, so bestimmt dieser eben nicht die Regeln, nach welchen die Gewinnermittlung zu erfolgen hat. Die Rechtsvorschriften zur Gewinnermittlung werden vom jeweiligen Staat festgelegt.3 So hat der deutsche Gesetzgeber in der BsGaV die Hilfs- und Nebenrechnung als Maßstab definiert. Dieser steht grundsätzlich nicht im Widerspruch zu Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2017 oder einem abgeleiteten DBA, da hier die nationale Auslegung der Gewinnermittlung dargestellt wird.

1 Hierdurch werden die Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsstätten eingeschränkt, da ihnen in solchen Situationen das Mittel der Überlassung von Vermögenswerten verwehrt bleibt. Vgl. auch Roeder/Friedrich, BB 2015, 1057. 2 Der in § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV verankerten Definition folgt auch die Finanzverwaltung grundsätzlich, vgl. hierzu BMF v 13.10.2010 – IV B 5-S 1341/08/10003 – DOK 2010/ 0598886, BStBl. I 2010, 774 Rz. 19 – VWG Funktionsverlagerung. Gosch, ISR 2018, 410 f., führt aus, dass der Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. der fiktive Veräußerungsvorgang des § 12 Abs. 1 KStG systematisch vorrangig vor § 1 Abs. 5 AStG sind. § 1 Abs. 5 AStG ist jedoch als weitergehende Berichtigung partiell anwendbar. 3 Vgl. Andresen/Kiesel, DStR 2011, 745.

214 Wellens/van der Ham

C. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt der BS-Gewinnaufteilung

Rz. 7.91 Kap. 7

Funktion. Im AOA wird die Funktion als wesentliche Personalfunktion dargestellt. 7.87 Dabei werden keine Aussagen zum zeitlichen Element, jedoch Bestimmungen der Eigenschaft, in der die Funktion ausgeübt wird, und der wirtschaftlichen Charakteristika gemacht. Abweichungen finden sich in der nationalen Umsetzung dahingehend, dass hier ein sachlicher Bezug notwendig ist. Daraus folgen jedoch keine wesentlichen Abweichungen in der Umsetzung. Lediglich wird hier ein zusätzliches klarstellendes Element bei der Zuweisung eingefügt. Es gibt jedoch Aspekte, bei denen die Umsetzung in der BsGaV vom AOA abweicht. Wesentlichkeitsaspekt. Die Personalfunktion nach AOA beinhaltet einen Wesent- 7.88 lichkeitsaspekt.1 Die Definition in § 1 Abs. 5 AStG beinhaltet ‚nur‘ die Personalfunktion. Da jedoch die Wesentlichkeit im Zusammenhang mit der Personalfunktion nicht definiert ist, sollten sich hieraus keine Interpretationsunterschiede ergeben. Wirtschaftliches Eigentum. Bei der Zuordnung von Wirtschaftsgütern folgt der 7.89 AOA dem Konzept des wirtschaftlichen Eigentums. Eine solche Definition findet sich in § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV nicht, die stärker am Personal bzw. den daraus abgeleiteten Vermögenswerten orientiert sind. Diese sprachliche Abweichung muss jedoch nicht zu Abgrenzungsunterschieden führen. Risiko. Bei der Zuweisung von Risiken orientiert sich der AOA primär an der Per- 7.90 sonalfunktion, welche die Entscheidung über die Risikoübernahme trifft. Demgegenüber steht in der BsGaV das Risiko im Zusammenhang mit dem jeweiligen Vermögenswert, der derivativ über die Personalfunktion abgeleitet ist. Die OECD spricht in diesem Zusammenhang außerdem von Risikokontrollfunktionen, so dass die Tätigkeit der Risikokontrolle maßgeblich für die Zuweisung des Risikos sein sollte. Eine Trennung von Vermögenswert und Risiko könnte daher auch im Betriebsstättenfall auf Basis des AOA denkbar sein. Die Umsetzung in der BsGaV legt jedoch nahe, dass der deutsche Gesetzgeber eine mögliche Trennung nicht vorsieht. Bei Anwendung dieser engen Auslegung – und der Annahme, dass Vermögenswerte, Chancen und Risiken nur vollständig und nicht anteilig zugewiesen werden können – muss hinterfragt werden, ob eine Personalfunktion in unterschiedlichen Risikoausprägungen ausgeführt werden kann.2 Dotationskapital. Bei der Bestimmung des Dotationskapitals ergeben sich keine we- 7.91 sentlichen Unterschiede. Allerdings ist im AOA keine Methode vorgegeben. Daher erscheint es auch nicht gerechtfertigt, dass Darlehensverhältnisse zwischen Unternehmen und Betriebsstätte nicht oder nur eingeschränkt anerkannt werden, soweit für die Betriebsstätte das Rating des Stammhauses gleichermaßen Anwendung findet.3 1 Art. 7 Abs. 2 OECD-MA spricht von wesentlichen Personalfunktionen. 2 Siehe hierzu auch Schnorberger/Sassmann/Shekhovtsova, IStR 2014, 82 f., welche die Auffassung vertreten, dass eine Betriebsstätte nicht als funktionsschwacher, risikoarmer Vertreiber ausgestaltet werden kann. Dies kann sich u.E. aber allenfalls auf die Risikokomponente beziehen, da sich die Funktion am Personal orientiert und damit an der Entscheidungsbefugnis, die limitiert sein kann. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 151 ff.; auch Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.34.

Wellens/van der Ham 215

Kap. 7 Rz. 7.92 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.92 Nationale Unterschiede. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass andere Staaten die Gewinnermittlung abweichend definieren können, so dass letztlich unterschiedliche Gewinnhöhen aufgrund unterschiedlicher Ermittlung einer Steuer unterliegen können. Der von Deutschland gewählte Ansatz einer Hilfs- und Nebenrechnung wird international nicht gleichermaßen angewendet, so dass sich Unterschiede ergeben können. Mögliche Abgrenzungsfragen müssten dann bilateral oder multilateral abgestimmt werden. Allerdings richtet sich der Fremdvergleichsgrundsatz auf die Gewinnverteilung und damit darauf, welche (anteiligen) Gewinne einer Betriebsstätte zuzuweisen sind. Unterschiedliche Gewinnermittlungsverfahren dürften in der Abstimmung daher keine unterschiedlichen Verteilungen zur Folge haben.1

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 7.93 Rechtlich selbständige Einheit. Die Vorschriften über die Gewinnermittlung bei Betriebsstätten folgen der Logik einer stringenten Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. Hierdurch wird die Betriebsstätte in eine Position gesetzt, die der einer rechtlich selbständigen Einheit entspricht. Es ergeben sich danach konzeptionell zunächst keine Unterschiede in der Gewinnermittlung zwischen Betriebsstätte und rechtlich selbständiger Einheit. 7.94 Auffassung. Die Gewinnermittlung steht somit im Einklang mit den Grundsätzen des Fremdvergleichs gem. § 1 Abs. 1 und 3 AStG. Abweichungen sind insofern ersichtlich, als es Abweichungen zwischen verbundenen (Kapital-)Gesellschaften und Betriebsstätten gibt. Dies wird insbesondere bei der Finanzierung der Betriebsstätten deutlich (s. hierzu Rz. 8.58 ff.). 7.95 Fazit. Spätestens seit der Angleichung der Verrechnungspreisvorschriften im Rahmen von Art. 9 OECD-MA 2017 und der Überarbeitung der OECD-Leitlinien auf Basis der Empfehlungen des BEPS-Abschlussberichts zu den Aktionspunkten 8–102 sind kaum noch Unterschiede zwischen den Abgrenzungsgrundsätzen nach Art. 9 OECD-MA 2017 und Art. 7 OECD-MA 2017 auszumachen.3 Bezüglich der hier in Frage stehenden Zuordnungsgegengestände sind auch aus OECD-Perspektive keine Anhaltspunkte vorhanden, die ein Entgegenstehen zum Fremdvergleichsgrundsatz vermuten lassen.

1 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA 2017 Rz. 185. 2 Vgl. OECD (2017), Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de. 3 Vgl. hierzu u.a. Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 264.

216 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.100 Kap. 7

D. Zuordnung des Vermögens I. Zielsetzung Zielsetzung. Wie bereits in den vorherigen Abschnitten ausführlich beschrieben, zie- 7.96 len die Vorschriften in § 1 Abs. 5 AStG darauf ab, die Gewinnabgrenzungsvorschriften im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätten den Vorschriften für die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen anzugleichen.1 Zweistufiger Ansatz. Der für die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unter- 7.97 nehmen geltende Fremdvergleichsgrundsatz erfordert eine zweistufige Vorgehensweise. Hierfür ist zunächst eine gründliche Analyse der ausgeübten Funktionen und der verantworteten Risiken sowie der jeweils eingesetzten Wirtschaftsgüter durchzuführen, um dann anschließend mithilfe der geeignetsten Verrechnungspreismethode den jeweils angemessenen Preis für die relevanten Geschäftsbeziehungen zu bestimmen und somit die Gewinnabgrenzung herzustellen.2 Grundlage. Eine wesentliche Grundlage für die Ermittlung der Funktionen und Risi- 7.98 ken der Transaktionspartner bilden die zwischen den verbundenen Unternehmen für die relevante Geschäftsbeziehung abgeschlossenen, schuldrechtlichen Vereinbarungen. Solche schuldrechtlichen Verträge können jedoch zwischen zwei unselbständigen Teilen eines Unternehmens nicht geschlossen werden. Daher ist es im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zunächst notwendig, die von beiden Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen zu identifizieren.3 Anschließend sind u.a. die eingesetzten Vermögenswerte den beiden Unternehmensteilen auf Basis der dort verorteten, maßgeblichen Personalfunktionen zuzuordnen.4 Weiteres Vorgehen. Die Zuordnungsvorschriften für Vermögenswerte sind in den 7.99 §§ 5–8 BsGaV niedergelegt und sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. Dabei wird zunächst die grundsätzliche Zuordnungssystematik dargestellt. Anschließend werden die Zuordnungsregeln für einzelne Vermögenswerte detailliert beschrieben.

II. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik 1. Grundsatz Immaterielle Wirtschaftsgüter. Die Zuordnung des Vermögens erfolgt auf Basis der 7.100 jeweils maßgeblichen Personalfunktion. Für Zwecke der Betriebsstättengewinnaufteilung umfasst der Begriff Vermögen Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile.5 Hier-

1 2 3 4 5

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung des Allgemeinen Teils der BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 3 AStG. Vgl. § 1 Abs. 5 AStG. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung von § 2 Abs. 5 BsGaV. Vgl. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 2 Abs. 6 BsGaV.

Wellens/van der Ham 217

Kap. 7 Rz. 7.100 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

zu zählen insbesondere materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte (einschließlich immaterielle Wirtschaftsgüter), Beteiligungen und Finanzanlagen. Grundsätzlich müssen auch selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter zugeordnet werden, unabhängig davon, ob diese auch in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen sind.1 Entwickelt bspw. ein Unternehmensteil eine neue Technologie, so ist diese als selbst geschaffenes immaterielles Wirtschaftsgut in der Bilanz des Gesamtunternehmens nicht zu aktivieren. Nichtsdestotrotz ist es für die Gewinnabgrenzung zwischen zwei Unternehmensteilen relevant, welchem Unternehmensteil das immaterielle Wirtschaftsgut zuzuordnen ist, da dort ggf. zukünftige fiktive und reale Lizenzeinnahmen zu berücksichtigen wären.

7.101 Maßgeblichkeit. Für die Zuordnung wird zunächst die für die jeweilige Vermögenskategorie im Grundsatz maßgebliche Personalfunktion definiert. Dies wird von dem Gedanken getragen, dass die jeweils als maßgeblich erachtete Personalfunktion für den Vermögenswert die größte Bedeutung entfaltet.2 Die Frage, wann eine in einer Betriebsstätte ausgeübte Personalfunktion als maßgeblich anzusehen ist, muss für den Einzelfall untersucht und entschieden werden.3 Hierbei muss auf eine bestimmte Personalfunktion und deren konkreten Bezug zum Zuordnungsgestand abgestellt werden. Danach sind Personalfunktionen, die keinen oder nur einen unwesentlichen Bezug zum Zuordnungsgegenstand haben, unmaßgeblich. Somit ausgeschlossen sind nicht nur Personalfunktionen mit unterstützendem Charakter, sondern auch solche, die sich nur ganz allgemein mit der Unternehmenspolitik befassen, aber für den Zuordnungsgegenstand selbst nicht unmittelbar maßgeblich sind.4 7.102 Funktionsaufteilung. Eine maßgebliche Personalfunktion kann auch von mehreren Personen in verschiedenen Unternehmensteilen gleichzeitig ausgeübt werden. In einem solchen Fall spricht man von der Funktionsaufteilung.5 Für die Zuordnung kommt es in solchen Fällen darauf an, welche Personalfunktion die für den Zuordnungsgegenstand größere wirtschaftliche Bedeutung entfaltet. Der Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung können sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zugrunde gelegt werden, wobei qualitativen Kriterien ein Vorrang eingeräumt werden soll.6 Nur wenn die Anwendung qualitativer Kriterien nicht zielführend wäre, können auch quantitative Erwägungen zum Tragen kommen. Wichtig ist, dass die Entscheidung dieser Bedeutungsfrage auf nachvollziehbaren, sachlich gerechtfertigten und überprüfbaren Gründen beruht.7 In der Praxis ergibt sich hier eine gewisser Deutungsfreiraum, den der Steuerpflichtige im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung interpretieren kann.

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. VWG BsGa, Rz. 29. Vgl. § 2 Abs. 5 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 40. Vgl. VWG BsGa, Rz. 40. Vgl. VWG BsGa, Rz. 42. Vgl. VWG BsGa, Rz. 42. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung von § 2 Abs. 5 BsGaV.

218 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.105 Kap. 7

2. Abweichende Zuordnung Abweichende Zuordnung. Für jeden Vermögenswert ist neben der grundsätzlichen 7.103 Zuordnungsregel eine Öffnungsklausel vorgesehen. Sofern nämlich verschiedene, für den Vermögenswert relevante Personalfunktionen in unterschiedlichen Unternehmensteilen ausgeübt werden und eine andere Personalfunktion bzgl. des jeweiligen Vermögenswerts eine größere Bedeutung entfaltet, kann eine vom Grundsatz abweichende Zuordnung vorgenommen werden.1 Funktionskonkurrenz. Wenn verschiedene Personalfunktionen bzgl. eines be- 7.104 stimmten Zuordnungsgegenstands in verschiedenen Unternehmensteilen gleichzeitig ausgeübt, spricht man von der Funktionskonkurrenz (vgl. hierzu auch Rz. 11.9).2 In solchen Fällen ist eine Zuordnung nach der jeweils anzuwendenden grundsätzlichen Zuordnungsregel vorzunehmen. Die Zuordnung zu einer anderen Personalfunktion kommt aber auch in diesen Fällen in Betracht, wenn diese andere Personalfunktion für die zuzuordnenden Vermögenswerte von größerer Bedeutung ist. Ähnlich wie bei der Funktionsaufteilung ist hierbei vorrangig nach qualitativen Merkmalen zu entscheiden. Quantitative Kriterien können nach Ansicht der Finanzverwaltung nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um qualitative gleiche Personalfunktionen handelt. Denn qualitativ verschiedene Personalfunktionen lassen sich nach Ansicht der Finanzverwaltung nämlich nicht nach quantitativen Kriterien bewerten.3 Nachweis. Die Last des Nachweises für die Angemessenheit einer vom Grundsatz ab- 7.105 weichenden Zuordnung liegt beim Steuerpflichtigen. Wie dieser Nachweis in der Praxis jedoch erfolgen kann, bleibt offen. Die Finanzverwaltung schlägt zwar vor, dass dies mit einer Übersicht und einer Skala von 1 (kleine Bedeutung) bis 5 (große Bedeutung) erfolgen könnte,4 wie jedoch die Einschätzung im Rahmen dieser Skala sachgerecht und nachvollziehbar belegt werden kann, wird im Einzelfall zu ermitteln sein. Am Ende dürfte es hier bei einer subjektiven Einschätzung durch den Steuerpflichtigen bleiben. Eine abweichende Zuordnung wird den Fällen vorbehalten sein, in denen die Bedeutung der anderen Personalfunktion eindeutig überwiegt. Beispiel zur Personalfunktionskonkurrenz: Ein Unternehmen unterhält einen Firmenwagen-Pool. Die Versicherung eines neu angeschafften Firmenwagens erfolgt durch die Abteilung Treasury, die im deutschen Stammhaus tätig ist. Dies umfasst neben dem Abschluss auch die laufende Pflege des Versicherungsvertrags. Die technische Verantwortung für den neu angeschafften Firmenwagen obliegt der Fuhrparkleitung, der sich in der niederländischen Niederlassung des Unternehmens befindet. Dies umfasst die Wartung, die Pflege und allfällige Reparaturen des Wagens. Der Firmenwagen wird von verschiedenen Vertriebsmitarbeitern genutzt, die in der belgischen Niederlassung des Unternehmens angestellt sind.

1 2 3 4

Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 386. Vgl. VWG BsGa, Rz. 43. Vgl. VWG BsGa, Rz. 43. Vgl. VWG BsGa Rz. 42, 294.

Wellens/van der Ham 219

Kap. 7 Rz. 7.105 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS Lösung: Drei unterschiedliche Personalfunktionen (Versicherung, Wartung, Nutzung) werden gleichzeitig in drei verschiedenen Unternehmensteilen ausgeübt. Es liegt ein Fall der Funktionskonkurrenz vor. Die Zuordnung hat nach der grundsätzlichen Zuordnungsregel zu erfolgen, es sei denn, eine andere Personalfunktion ist von größerer Bedeutung. Somit muss der Steuerpflichtige zunächst eine Analyse der Bedeutung der verschiedenen Personalfunktionen für den neu angeschafften Firmenwagen durchführen. Hierfür wird folgende Übersicht erstellt. Um eine objektivierte Einschätzung treffen zu können, wurden alle drei verantwortlichen Personen bzgl. der Bedeutung der Personalfunktionen befragt. Dabei wurde eine Skala von 1 bis 5 verwendet.

7.106 Tabelle 14: Personalfunktion Personalfunktion

Leiter Treasury

Leiter Fuhrpark

Leiter Vertrieb

Durchschnitt

Versicherungsmanagement

4

1

1

2

Wartung etc.

4

4

2

3,3

Nutzung

4

3

5

4

7.107 Ergebnis. Im Ergebnis hat die Nutzung nach Ansicht der befragten Personen die größte Bedeutung für den zuzuordnenden Firmenwagen. Es ist somit eine Zuordnung zur belgischen Niederlassung als sachgerecht anzusehen. 7.108 Zuordnungsentscheidung. Wird jedoch in den Fällen der Funktionsaufteilung oder der Personalfunktionskonkurrenz eine Zuordnungsentscheidung zugunsten des einen Unternehmensteils getroffen, wird das Wirken des anderen Unternehmensteils bzw. die Interaktionen der maßgeblichen und der anderen Personalfunktion oft zur Annahme einer schuldrechtlichen Beziehung zwischen den Unternehmensteilen führen, für die dann ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist. 7.109 Fortsetzung des obigen Beispiels: Im obigen Beispiel wurde der Firmenwagen der belgischen Betriebsstätte zugeordnet. Das Wirken der Treasury-Abteilung sowie des Fuhrparks stellen jedoch anzunehmende schuldrechtliche Geschäftsbeziehungen zwischen dem deutschen bzw. dem niederländisch und dem belgischen Unternehmensteil dar. Hierfür sind angemessene Dienstleistungsentgelte zu ermitteln.

3. Zuordnung in Zweifelsfällen

7.110 Beurteilungsspielraum. Kann keine eindeutige Zuordnung erfolgen, steht dem Unternehmen ein Beurteilungsspielraum für die Zuordnung zur Verfügung. Allerdings muss die Zuordnung im Einklang mit den grundsätzlichen Zuordnungsregeln stehen. Das bedeutet z.B. in Fällen, in denen für eine Zuordnung eines Vermögenswerts nur zwei Unternehmensteile in Frage kommen, die Zuordnung nicht willkürlich zu einem dritten Unternehmsteil erfolgen kann.1 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung von § 4 Abs. 3 BsGaV.

220 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.112 Kap. 7

Resultat. In den meisten Fällen wird dies eine Zuordnung nach der Grundregel 7.111 nach sich ziehen. Bei immateriellen Werten ist außerdem eine anteilige Zuordnung möglich.1 4. Konsequenz der Zuordnung Konsequenzen. Die Zuordnung eines Vermögenswerts zu einem Unternehmensteil 7.112 bewirkt, dass dieser dort für Zwecke der Gewinnabgrenzung zu berücksichtigen ist. Eine Relevanz kann sich für folgende drei Bereiche ergeben: – Berücksichtigung von Betriebsausgaben: Wird z.B. ein materielles Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zugordnet, dann sind entsprechende Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der Abschreibung dieses Wirtschaftsguts oder Betriebseinnahmen, die aus dessen Veräußerung resultieren, der Betriebsstätte zuzurechnen. – Existenz von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen: Wird ein immaterielles Wirtschaftsgut bspw. dem Stammhaus zugeordnet und in der Betriebsstätte genutzt, führt dies zu einem fiktiven Geschäftsvorfall zwischen beiden Unternehmensteilen (einer sog. anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung), nämlich einer Nutzungsüberlassung, für den ein angemessenes, fiktives Entgelt festzusetzen ist. – Bestimmung der geeignetsten Verrechnungspreismethode: Bei der Bestimmung der angemessenen Verrechnungspreismethodik für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen kommt es insbesondere darauf an, welcher Unternehmensteil die wesentlichen materiellen und immateriellen Vermögenswerte einsetzt. Sind wesentliche immaterielle Werte wie ein Kundenstamm und spezielles technisches Know-how bspw. einer Vertriebsbetriebsstätte zuzuordnen, könnte die Anwendung einer zweiseitigen Verrechnungspreismethode (z.B. die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode) angezeigt sein, während bei einer Beistellung beider Werte möglicherweise eine einseitige Verrechnungspreismethode (z.B. die transaktionsbezogenen Nettomargenmethode) anzuwenden wäre. Die Zuordnungsentscheidung ist im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung gem. § 3 BsGaV niederzulegen (vgl. hierzu auch Rz. 11.11).

1 Vgl. § 4 Abs. 6 BsGaV.

Wellens/van der Ham 221

Kap. 7 Rz. 7.113 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

5. Zusammenfassender Überblick

7.113 Zuordnungssystematik. Die folgende Übersicht soll die allgemeine Zuordnungssystematik für die Zuordnung von Vermögenswerten zusammenfassend darstellen: 7.114 Ja

Maßgebliche Personalfunktion wird in der BS ausgeübt?

Nein

Funktionsteilung Ja

Nein

Andere Personalfunktion(en) wichtiger?

Ist die Personalfunktion in der BS bedeutender?

Funktionskonkurrenz (d.h. andere Personalfunktionen werden in der BS und im Stammhaus ausgeübt)?

Ja

Nein

Nein

Ja Zweifelsfälle: Vorrang der Vermutungsregel

Ist die andere Personalfunktion in der BS bedeutender?

Nein

Ja

Betriebsstätte

Stammhaus

Abb. 3: Zuordnungssystematik für Vermögenswerte

In den folgenden Abschnitten soll nun die Zuordnung für einzelne Vermögenskategorien (vgl. hierzu auch Rz. 13.30 und Rz. 13.36) beschrieben werden.

III. Kommentierung: Zuordnung im Einzelnen 1. Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern

7.115 Maßgebliche Personalfunktion. Gemäß § 5 Abs. 1 BsGaV ist die Nutzung die maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern. In § 5 BsGaV wird ausgeführt:

222 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.116 Kap. 7

§ 5 Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern die Zuordnung eines materiellen Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte ist des(1) sen Nutzung die maßgebliche Personalfunktion. 2Wird dasselbe materielle Wirtschaftsgut später auf Dauer in einer anderen Betriebsstätte genutzt, so ist es ab dem Zeitpunkt der Nutzungsänderung der anderen Betriebsstätte zuzuordnen. 3Ändert sich die Nutzung häufig, so ist ein materielles Wirtschaftsgut der Betriebsstätte zuzuordnen, für deren Geschäftstätigkeit es überwiegend genutzt wird. (2) 1Abweichend von Absatz 1 ist ein materielles Wirtschaftsgut nur dann einer anderen Betriebsstätte als derjenigen, in der das materielle Wirtschaftsgut genutzt wird, zuzuordnen, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 1 genannten Personalfunktion überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung des betreffenden materiellen Wirtschaftsguts stehen. 3Unbewegliches Vermögen, in dem die Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte ausgeübt wird, ist stets dieser Betriebsstätte zuzuordnen. (3) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so ist das materielle Wirtschaftsgut der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für das materielle Wirtschaftsgut zukommt. (4) Kann ein materielles Wirtschaftsgut nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 3 nicht widerspricht. 1Für

Nutzung. Die Nutzung (vgl. hierzu auch Rz. 2.34) eines materiellen Wirtschaftsguts 7.116 ist ein recht einfaches Zuordnungskriterium, welches in der Praxis in vielen Fällen eine eindeutige Zuordnung ermöglichen sollte.1 Die Nutzung manifestiert sich nach Ansicht der Finanzverwaltung durch dessen unmittelbaren Verbrauch und Werteverzehr.2 Hierbei ist in erster Linie die eigene Nutzung eines Wirtschaftsguts, aber auch dessen Vermietung und Verpachtung zu verstehen. Beispiel zur Nutzung: Ein deutsches Unternehmen mit einer Betriebsstätte in den Niederlanden besitzt dort zwei Grundstücke. Ein Grundstück beherbergt die Produktion des Unternehmens, das zweite Grundstück wird vermietet. Lösung: Beide Grundstücke stellen materielle Wirtschaftsgüter dar, für die deren Nutzung die für die Zuordnung maßgebliche Personalfunktion darstellt. Beide Grundstücke werden in der Betriebsstätte genutzt und sind dieser entsprechend zuzuordnen. Dabei ist es nicht von Belang, ob die Grundstücke selbst genutzt oder vermietet werden.

1 Personalfunktionslose Betriebsstätten (z.B. Rohrleitungen, Server, Windparks) stellen einen Sonderfall dar. Hier soll die Zuordnung gem. BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010 :003 – DOK 2019/1018207, BStBl. I 2020, 84, entweder a.B. des Konzepts der Personalfunktion (OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 66) oder nach dem Ort der Nutzung des betriebsstättenbegründenden Vermögenswerts (OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 75) erfolgen. Vgl. hierzu van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 317; van der Ham/Retzer, IWB 2020, 86. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 76.

Wellens/van der Ham 223

Kap. 7 Rz. 7.117 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.117 Aufteilung materieller Wirtschaftsgüter. Bei der Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern kann zwischen beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern unterschieden werden. Unbewegliche materielle Wirtschaftsgüter wie Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken werden aufgrund ihrer räumlichen Fixierung im jeweiligen Vertragsstaat der dort belegenen Betriebsstätte des Unternehmens zugeordnet.1 7.118 Bewegliche materielle Wirtschaftsgüter. Bewegliche materielle Wirtschaftsgüter können Sachanlagen (z.B. technische Anlagen und Maschinen, andere Anlagen, Anlagen im Bau sowie Betriebs- und Geschäftsausstattung) und Vorräte (z.B. Roh-, Hilfsund Betriebsstoffe, unfertige Erzeugnisse, fertige Erzeugnisse und Waren) umfassen. 7.119 Nutzungsprofile. Hinsichtlich der Zuordnung von beweglichen materiellen Wirtschaftsgütern sind folgende Nutzungsprofile zu unterscheiden: – ausschließliche Nutzung durch Personalfunktionen einer Betriebsstätte, – dauerhafte Nutzungsänderung, – temporäre Nutzungsänderung, – häufige Nutzungsänderung.

7.120 Zuordnung. Im Grundsatz sind materielle Wirtschaftsgüter, die ausschließlich vom Personal einer Betriebsstätte genutzt werden, dieser Betriebsstätte zuzuordnen (Grundregel). Bei einer dauerhaften Nutzungsänderung, z.B. bei einer Verbringung zu einem anderen Unternehmensteil innerhalb des Betrachtungszeitraums, sind materielle Wirtschaftsgüter bis zur Nutzungsänderung dem bisherigen Unternehmensteil und anschließend dem anderen Unternehmensteil zuzuordnen. Insofern ist von einem fiktiven Verkauf des materiellen Wirtschaftsguts auszugehen (vgl. hierzu auch Rz. 11.12 Beispiel 1).2 Beispiel 1 zur Zuordnung beweglicher materieller Wirtschaftsgüter: Eine Maschine wird in den ersten sechs Monaten eines Wirtschaftsjahrs in der deutschen Produktionsstätte eines Unternehmens genutzt. Im Juli wird die Maschine in die niederländische Produktionsstätte überführt und fortan dort dauerhaft zur Produktion eingesetzt. Lösung: In den ersten sechs Monaten des Wirtschaftsjahrs ist die Maschine dem deutschen Stammhaus zuzuordnen, da sie ausschließlich hier genutzt wird. Nach der Überführung an die niederländische Produktionsstätte ist die Maschine der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen. Die Überführung stellt eine fiktive Veräußerung der Maschine dar, für die ein angemessener Verrechnungspreis zu bestimmen ist. Die Möglichkeit, einen Ausgleichposten gem. § 4g EStG zu bilden, wird gem. § 1 Abs. 5 AStG nicht eingeschränkt.

1 Vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 BsGaV. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung von § 5 Abs. 1 Satz 2 BsGaV.

224 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.122 Kap. 7

Temporäre Nutzungsänderung. Temporäre Nutzungsänderungen führen nicht zu 7.121 einer geänderten Zuordnung, wenn die bisherige Personalfunktion weiterhin ausgeübt wird oder absehbar ist, dass die Nutzungsänderung nur einen überschaubaren Zeitraum umfasst bzw. vorrübergehend ist.1 In diesen Fällen bleibt es bei der ursprünglichen Zuordnung. Allerdings ist die zeitweise Nutzung des materiellen Wirtschaftsguts durch eine andere Personalfunktion als fiktiver Geschäftsvorfall – nämlich als Nutzungsüberlassung – zu charakterisieren. Beispiel 2 zur Zuordnung beweglicher materieller Wirtschaftsgüter: Ein Unternehmen verfügt in Deutschland und in den Niederlanden über zwei Produktionsstandorte. In Deutschland wird ein Gerät zur technischen Diagnostik vorgehalten, welches immer dann zum Einsatz kommt, wenn der automatische Produktionsprozess fehlerhaft abläuft. Bei einem Störfall in der niederländischen Produktionsstätte im Wirtschaftsjahr 01 kommt dieses Gerät kurzfristig zum Einsatz und wird hierfür von Deutschland in die Niederlande verbracht. Anschließend wird das Gerät wieder nach Deutschland zurückgeführt und in der niederländischen Betriebsstätte ein eigenes Gerät angeschafft. Lösung: Die nur vorübergehende Verbringung des Geräts in die niederländische Betriebsstätte führt nicht zu einer Zuordnungsänderung. Die Nutzungsüberlassung ist als fiktiver Geschäftsvorfall zu charakterisieren, für den ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist.

Häufige Nutzungsänderungen. Bei häufigen Nutzungsänderungen ist ein materiel- 7.122 les Wirtschaftsgut der Betriebsstätte zuzuordnen, für deren Geschäftstätigkeit es überwiegend genutzt wird.2 Nach Ansicht der Finanzverwaltung liegt eine häufige Nutzungsänderung dann vor, wenn die Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts mehr als zweimal im Kalenderjahr wechselt.3 Abwandlung 1 zu Beispiel 2 zur Zuordnung beweglicher materieller Wirtschaftsgüter: Das Gerät kommt im Laufe des Wirtschaftsjahrs dreimal in den Niederlanden zum Einsatz und wird anschließend immer wieder nach Deutschland zurückverbracht. Die Anschaffung eines eigenen Geräts in den Niederlanden ist nicht vorgesehen. Lösung: Die nur vorübergehende Verbringung des Geräts in die niederländische Betriebsstätte führt nicht zu einer Zuordnungsänderung. Das Gerät ist dem deutschen Stammhaus zuzuordnen, da es überwiegend in Deutschland zum Einsatz kommt. Die Nutzungsüberlassung ist als fiktiver Geschäftsvorfall zu charakterisieren, für den ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. 2 Vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 BsGaV. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 79.

Wellens/van der Ham 225

Kap. 7 Rz. 7.123 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.123 Abweichende Zuordnung. Eine vom Grundsatz abweichende Zuordnung materieller Wirtschaftsgüter ist möglich, wenn eine andere Personalfunktion für das zuzuordnende Wirtschaftsgut eine größere Bedeutung entfaltet (Öffnungsklausel). Dabei ist ein eindeutiges Überwiegen der Bedeutung der anderen Personalfunktion gegenüber der maßgeblichen Personalfunktion notwendig.1 7.124 Andere Personalfunktionen. Im Zusammenhang mit materiellen Wirtschaftsgütern sind andere Personalfunktionen insbesondere deren Anschaffung, Herstellung, Verwaltung oder Veräußerung. Beispiel zur abweichenden Zuordnung beweglicher materieller Wirtschaftsgüter: Ein traditionsreiches Unternehmen produziert im Wirtschaftsjahr 01 im deutschen Stammhaus Schuhe und andere Lederwaren. Das Unternehmen unterhält in den Niederlanden eine Betriebsstätte zum Vertrieb der Produkte in einem dortigen Outlet-Center. Im Wirtschaftsjahr 02 werden die im Vorjahr produzierten Waren an den im Outlet belegen Store geliefert und dort zunächst eingelagert. Im dritten Wirtschaftsjahr gehen die Waren dann dort in den Verkauf. Lösung: Im Wirtschaftsjahr 01 sind die Waren ausschließlich dem deutschen Stammhaus zuzuordnen, da sie hier produziert und für den späteren Verkauf gelagert werden. Eine hiervon abweichende Zuordnung ist zunächst nicht ersichtlich. Die dauerhafte Überführung der Waren in die Niederlande führt zu einer Nutzungsänderung, die eine entsprechende Zuordnungsänderung auslöst. Ab dem Überführungszeitpunkt sind die Waren nun der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen, da hier die Vermarktung stattfindet. Die Vermarktung stellt eine andere Personalfunktion dar, deren Bedeutung eindeutig überwiegt. Die Überführung stellt eine fiktive Veräußerung der Waren vom deutschen Stammhaus an die niederländische Betriebsstätte dar, für die ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist.

7.125 Personalfunktionskonkurrenz. Eine Funktionsaufteilung ist für materielle Wirtschaftsgüter nicht möglich, da sie aufgrund ihres materiellen Charakters und ihrer Örtlichkeit nur jeweils in einer Betriebsstätte genutzt werden können. Werden allerdings andere Personalfunktionen gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt, dann handelt es sich um eine Personalfunktionskonkurrenz. In diesen Fällen ist das materielle Wirtschaftsgut der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für das materielle Wirtschaftsgut zukommt.2 In Zweifelsfällen verfügt der Steuerpflichtige über einen gewissen Beurteilungsspielraum bzgl. der Zuordnung.3 Eine entsprechend vorgenommen Zuordnung muss aber sachgerecht sein und ausreichend begründet werden.4

1 2 3 4

Vgl. § 5 Abs. 2 BsGaV. Vgl. § 5 Abs. 3 BsGaV. Vgl. § 5 Abs. 4 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 84.

226 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.127 Kap. 7

Zuordnungssystematik. Die folgende Übersicht soll die Zuordnungsregeln für ma- 7.126 terielle Wirtschaftsgüter zusammenfassen:

Ja

Nutzung in der BS (Grundregel)

Ja Ja/Nein Nein

Dauerhafte Nutzungsänderung?

Nein

Dauerhafte Nutzung?

Andere Personalfunktion wichtiger?

Nein

Häufige Nutzungsänderung?

Ja

Nein Ja (nach Zuordnungsänderung)

Zweifelsfälle: Vorrang der Grundregel

Betriebsstätte

Stammhaus

Abb. 4: Zuordnungssystematik für materielle Vermögenswerte

Im folgenden Abschnitt sollen die Zuordnungsregeln für immaterielle Wirtschaftsgüter beschrieben werden. 2. Zuordnung von immateriellen Werten Immaterielle Wirtschaftsgüter. § 6 BsGaV regelt die Zuordnung von immateriellen 7.127 Werten. Dies umfasst grundsätzlich immaterielle Wirtschaftsgüter wie Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte, Lizenzen an solchen Rechten und Werten sowie einen Geschäfts- oder Firmenwert. Darüber hinaus sind hierbei jedoch grundsätzlich auch sonstige erfasst, die nicht zu einem Wirtschaftsgut erstarkt sind. Der Grund hierfür liegt darin, dass sonstige Vorteile bei der Ermittlung angemessener Verrechnungspreise durchaus von Bedeutung sein können.

Wellens/van der Ham 227

Kap. 7 Rz. 7.128 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.128 Gesetzliche Grundlage. § 6 BsGaV führt hierzu aus: § 6 Zuordnung von immateriellen Werten (1) die Zuordnung eines immateriellen Werts zu einer Betriebsstätte ist dessen Schaffung oder dessen Erwerb die maßgebliche Personalfunktion. 2Werden Personalfunktionen, durch deren Ausübung ein immaterieller Wert geschaffen oder erworben wird, gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt, so ist der immaterielle Wert der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für den immateriellen Wert zukommt. (2) 1Abweichend von Absatz 1 ist ein immaterieller Wert nur dann einer anderen Betriebsstätte als derjenigen, auf Grund deren Personalfunktion der immaterielle Wert geschaffen oder erworben wird, zuzuordnen, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 1 genannten Personalfunktion überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Nutzung, der Verwaltung, der Weiterentwicklung, dem Schutz oder der Veräußerung des immateriellen Werts stehen. (3) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so ist der immaterielle Wert der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für den immateriellen Wert zukommt. (4) 1Kann ein immaterieller Wert nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 3 nicht widerspricht. 2In diesen Fällen kann ein immaterieller Wert den Betriebsstätten, in denen auf Dauer die Personalfunktionen mit der größten Bedeutung ausgeübt werden, auch anteilig zugeordnet werden. 1Für

7.129 Maßgebliche Personalfunktion. Die Schaffung oder der Erwerb gelten als für die Zuordnung von immateriellen Werten maßgebliche Personalfunktion (Grundregel) (vgl. hierzu auch Rz. 2.35 ff.). 7.130 Schaffung. Mit der Schaffung ist regelmäßig die eigene „Herstellung“ immaterieller Werte gemeint. Dies umfasst verschiedenen Personalfunktionen, die in den Schaffungsprozess involviert sind, und reicht von der Planung über den eigentlichen Entwicklungsprozess bis hin zur kaufmännischen Begleitung des Schaffungsprozesses.1 7.131 Erwerb. Auch der Erwerb eines immateriellen Wertes ist begrifflich sehr weit gefasst. Hinzu zählen die initiale Idee, die Suche nach geeigneten Anbietern und Werten, der Auswahlprozess einschließlich der technischen und kaufmännischen Bewertung der Angebote, die Verhandlung mit den Anbietern und die Erwerbsentscheidung.2 7.132 Maßgeblichkeit. Relevant bei der Schaffung bzw. für den Erwerb ist die aktive, unternehmerische Entscheidung.3 Die reine formale Entscheidung über den Erwerb durch die Geschäftsführung wird jedoch regelmäßig nicht zur maßgeblichen Personalfunktion gereichen.4

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 86. Vgl. VWG BsGa, Rz. 87. Vgl. VWG BsGa, Rz. 88. Vgl. VWG BsGa, Rz. 89.

228 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.134 Kap. 7

Beispiel 1 zur Zuordnung von immateriellen Werten: Ein Unternehmen fertigt sämtliche Produkte an seinem deutschen Produktionsstandort. Dort ist auch die Produktentwicklung angesiedelt. Im Wirtschaftsjahr 01 gelingt die Entwicklung einer neuen Produktgeneration, die sofort in Produktion geht. Um die neuen Produkte besonders effizient fertigen zu können, erwirbt das Unternehmen unter Beteiligung der Produktionsleitung und der kaufmännischen Leitung ein neuartiges Fertigungsverfahren von einem externen Dritten. In den Niederlanden unterhält das Unternehmen seit vielen Jahren eine erfolgreiche Vertriebsbetriebsstätte mit einem großen Bestand an Stammkunden. Lösung: Die selbst geschaffene Produkttechnologie sowie das erworbene Fertigungsverfahren sind dem deutschen Stammhaus zuzuordnen, da hier die Personalfunktionen der Schaffung bzw. des Erwerbs verortet sind. Der Kundenstamm wurde durch Personalfunktionen der niederländischen Betriebsstätte selbst geschaffen und ist deshalb der Betriebsstätte zuzuordnen.

Zuordnung. Werden maßgebliche Personalfunktionen gleichzeitig in verschiedenen 7.133 Betriebsstätten ausgeübt, ist die Zuordnung zu der Betriebsstätte vorzunehmen, deren Personalfunktion die größere Bedeutung hat.1 Hierbei ist vorrangig auf qualitative Kriterien abzustellen, quantitative Kriterien können nur hilfsweise herangezogen werden, wenn qualitative Kriterien keine eindeutige Zuordnung ermöglichen (vgl. hierzu auch Rz. 11.12 Beispiel 2). Beispiel 2 zur Zuordnung von immateriellen Werten: Ein deutsches Unternehmen erwirbt eine neue Fertigungstechnologie von einem fremden Dritten. Die technische Analyse und Bewertung der Angebote wird durch das in Polen ansässige Produktions- und Entwicklungsteam durchgeführt. Die kaufmännische Analyse und Auswahl werden durch Personalfunktionen im Stammhaus übernommen. Bei den Verhandlungen und bei der abschließenden Entscheidung waren sowohl das technische als auch das kaufmännische Team gleichermaßen involviert. In der polnischen Betriebsstätte sind in diesem Zusammenhang 500 Arbeitsstunden angefallen, im Stammhaus waren es 300 Arbeitsstunden. Lösung: Sowohl im Stammhaus als auch in der Betriebsstätte werden Personalfunktionen im Zusammenhang mit dem Erwerb der Fertigungstechnologie ausgeübt. In einem ersten Schritt müssen somit die Beiträge der beiden Unternehmensteile nach qualitativen Kriterien gewichtet werden. Hierbei erscheint auf den ersten Blick nicht ersichtlich, ob und inwieweit der Beitrag eines Unternehmensteils in seiner Bedeutung überwiegt. Daher müssen hilfsweise quantitative Erwägungen herangezogen werden. Aufgrund des Gehaltsgefälles erscheint ein direkter Vergleich der Personalkosten, die mit dem Auswahlprozess in Zusammenhang stehen, als nicht sachgerecht. Alternativ kann daher auf die im Auswahl- und Erwerbsprozess angefallenen Arbeitsstunden abgestellt werden. Dies würde im vorliegenden Fall zu einer Zuordnung der erworbenen Fertigungstechnologie zur Betriebsstätte führen. Die Tätigkeiten des Stammhauses stellen einen fiktiven Geschäftsvorfall dar, für den eine angemessene Vergütung zu bestimmen wäre.

Abweichende Zuordnung. Eine von der Grundregel abweichende Zuordnung ist 7.134 möglich, wenn andere Personalfunktionen, wie bspw. die Nutzung, die Verwaltung,

1 Vgl. § 6 Abs. 1 BsGaV.

Wellens/van der Ham 229

Kap. 7 Rz. 7.134 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

die Weiterentwicklung, der Schutz oder die Veräußerung für den Zuordnungsgegenstand, eine größere Bedeutung haben.1

7.135 Problematik. In der Praxis ist es oft schwierig zu entscheiden, wann die Schaffung eines immateriellen Werts abgeschlossen ist. Üblich ist, dass bestehende Werte ständig weiterentwickelt werden und dass dabei nicht nur das ursprüngliche Entwicklungsteam, sondern auch die entsprechenden Anwender intensiv mitwirken. Das macht die richtige Zuordnung der immateriellen Werte im Einzelfall schwierig, da sich die Bedeutung der anderen Personalfunktionen im Zeitablauf auch verändern kann. 7.136 Personalfunktionskonkurrenz. Jedenfalls ist für den Fall der Personalfunktionskonkurrenz, d.h., dass verschiedene Personalfunktionen von verschiedenen Unternehmensteilen ausgeübt werden, eine Zuordnung anhand der überwiegenden Bedeutung einzelner Personalfunktionen vorzunehmen.2 Beispiel 3 zur Zuordnung von immateriellen Werten: Ein deutsches Unternehmen entwickelt im Stammhaus eine neue Fertigungstechnologie. Anschließend wird diese in der polnischen Produktionsbetriebsstätte eingesetzt, die als Eigenfertiger agiert. Alternative 1: Die Fertigungstechnologie wird bis zum Ende des Lebenszyklus unverändert in der Produktion genutzt. Es finden weder im Stammhaus noch in der Betriebsstätte Weiterentwicklungen statt. Alternative 2: Die deutsche Entwicklungsabteilung entwickelt die Technologie ständig weiter. Die Beiträge der polnischen Anwender zur Weiterentwicklung sind nachrangig. Alternative 3: Die werkseitig angesiedelte Entwicklungsabteilung übernimmt fortan die Weiterentwicklung der Fertigungstechnologie. Die Beiträge der deutschen Entwicklungsabteilung zur Weiterentwicklung sind nachrangig. Lösung: Die Fertigungstechnologie ist von Personalfunktionen des deutschen Stammhauses entwickelt worden und deshalb zunächst dem Stammhaus zuzurechnen. Alternative 1: In diesem Fall übt das Stammhaus keinerlei Funktionen im Zusammenhang mit der Fertigungstechnologie mehr aus. Deshalb kommt es nach dem Abschluss der Entwicklung zu einer Zuordnungsänderung zur polnischen Betriebsstätte.3 Diese stellt einen fiktiven Geschäftsvorfall dar, für den eine fiktiv fremdübliche Vergütung festzulegen wäre. Alternative 2: Sofern die Nutzung der Fertigungstechnologie gegenüber der (Weiter-)Entwicklung nicht überwiegt, bleibt es bei der ursprünglichen Zuordnung der Fertigungstechnologie zum Stammhaus. Die Nutzung durch die polnische Betriebsstätte ist als fiktiver Geschäftsvorfall zu charakterisieren, der fiktiv fremdüblich zu vergüten wäre. Alternative 3: In diesem Fall erscheint die Bedeutung der polnischen Personalfunktionen qualitativ gegenüber der ursprünglichen Entwicklung der Fertigungstechnologie zu überwiegen. Deshalb kann es zu einer Zuordnungsänderung zur polnischen Betriebsstätte kommen. Diese stellt einen fiktiven Geschäftsvorfall dar, für den eine fiktiv fremdübliche Vergütung festzulegen wäre.

1 Vgl. § 6 Abs. 2 BsGaV. 2 Vgl. § 6 Abs. 3 BsGaV. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 47.

230 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.139 Kap. 7

Beurteilungsspielraum. In Zweifelsfällen ist dem Steuerpflichtigen ein gewisser 7.137 Beurteilungsspielraum gegeben, der jedoch sachgerecht genutzt werden muss. Der Nachweis hierfür obliegt dem Steuerpflichtigen. Anders als bei materiellen Vermögenswerten ist bei immateriellen Werten eine anteilige Zuordnung möglich.1 Zuordnungssystematik. Die folgende Übersicht fasst die Zuordnungssystematik für immaterielle Werte zusammen:

Ja

Nein

Andere Personalfunktion wichtiger?

7.138

Nein

Schaffung/Erwerb in der BS (Grundregel)

Ja

Zweifelsfälle: Vorrang der Grundregel; anteilige Zuordnung

Stammhaus

Betriebsstätte

Abb. 5: Zuordnungssystematik für immaterielle Vermögenswerte

Im folgenden Abschnitt sollen die Zuordnungsregeln für Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte beschreiben werden. 3. Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten Begriffe. § 7 BsGaV regelt die Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und 7.139 ähnlichen Vermögenswerten. Der handelsrechtliche Begriff Finanzanlagen im Anlagevermögen umfasst insbesondere Anteile und Ausleihungen an verbundenen Unternehmen, Finanzbeteiligungen und Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, sowie Wertpapiere des Anlagevermögens und sonstige Ausleihungen. Daneben steht der handelsrechtliche Begriff der Wertpapiere des Umlaufvermögens, der wiederum Anteile an verbundenen Unternehmen und sonstige Wertpapiere umfasst. 1 Vgl. § 6 Abs. 4 BsGaV.

Wellens/van der Ham 231

Kap. 7 Rz. 7.140 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

7.140 Gesetzliche Grundlage. § 7 BsGaV führt hierzu aus: § 7 Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten (1) 1Für die Zuordnung einer Beteiligung, einer Finanzanlage oder eines ähnlichen Vermögenswerts zu einer Betriebsstätte ist die Nutzung der Beteiligung, der Finanzanlage oder des ähnlichen Vermögenswerts die maßgebliche Personalfunktion. 2Die Nutzung ergibt sich aus dem funktionalen Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte. 3Besteht der funktionale Zusammenhang gleichzeitig zur Geschäftstätigkeit verschiedener Betriebsstätten, so ist der Vermögenswert der Betriebsstätte zuzuordnen, zu der der überwiegende funktionale Zusammenhang besteht. (2) 1Abweichend von Absatz 1 ist ein Vermögenswert im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 nur dann einer anderen Betriebsstätte als derjenigen, in der der Vermögenswert im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 genutzt wird, zuzuordnen, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 1 genannten Personalfunktion überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, Verwaltung, Risikosteuerung oder Veräußerung eines Vermögenswerts im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 stehen. (3) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so ist ein Vermögenswert im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung zukommt. (4) Kann ein Vermögenswert im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 nicht eindeutig zugeordnet werden oder ändert sich der überwiegende funktionale Zusammenhang häufig, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 3 nicht widerspricht.

7.141 Ähnliche Vermögenswerte. Unklar bleibt, ob unter den Terminus „ähnliche Vermögenswerte“ auch Forderungen und sonstige Vermögengegenstände des Umlaufvermögens, Kassenbestände, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks sowie geleistete Anzahlungen des Anlage- und Umlaufvermögens zu subsumieren sind. Weder die Verordnungsbegründung zur BsGaV vom 28.8.2014 noch die VWG BsGa vom 22.12.2016 geben hierüber Aufschluss. 7.142 Maßgebliche Personalfunktion. Die maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung von Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnlichen Vermögenswerten ist deren Nutzung. Dabei ist auf einen funktonalen Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Unternehmensteile abzustellen (Grundregel). In den Fällen der Funktionsteilung, d.h., wenn ein funktionaler Zusammenhang zu verschiedenen Betriebsstätten besteht, erfolgt eine Zuordnung zu der Betriebsstätte, deren funktionaler Zusammenhang überwiegt.1 Beispiel zur Zuordnung von Beteiligungen: Ein deutsches Unternehmen produziert in einer polnischen Betriebsstätte Produkte für den europäischen Markt. Die polnische Produktionstätigkeit ist als Auftragsfertigung für das deutsche Stammhaus zu charakterisieren. Der Vertrieb nach Westeuropa (ca. 60 % des Umsatzes) erfolgt durch das deutsche Stammhaus, der Vertrieb im osteuropäischen Markt erfolgt durch eine in der Slowakei ansässige Tochtervertriebsgesellschaft. 1 Vgl. § 7 Abs. 1 BsGaV.

232 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.146 Kap. 7

Lösung: Die Beteiligung an der slowakischen Tochtervertriebsgesellschaft ist dem deutschen Stammhaus zuzuordnen. Zwar werden ausschließlich die Produkte der polnischen Produktionsstätte verkauft, allerdings operiert diese bzgl. ihrer Produktionstätigkeit im Auftrag des deutschen Stammhauses als verlängerte Werkbank. Daher besteht ein größerer funktionaler Zusammenhang zum Stammhaus. Abwandlung 1 des Beispiels zur Zuordnung von Beteiligungen: Die polnische Produktionstätigkeit ist als Eigenfertiger zu charakterisieren. Lösung: Die Beteiligung an der slowakischen Tochtervertriebsgesellschaft ist der polnischen Betriebsstätte zuzuordnen, da die Tochtervertriebsgesellschaft ausschließlich die Produkte der polnischen Betriebsstätte verkauft und somit ein enger funktionaler Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte besteht.

Abweichende Zuordnung. Eine von der Grundregel abweichende Zuordnung ist 7.143 möglich, wenn eine andere Personalfunktion für den Zuordnungsgegenstand eine größere Bedeutung entfaltet. Hierbei kann es sich insbesondere um Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung, Verwaltung, Risikosteuerung und Veräußerung des Zuordnungsgegenstands handeln.1 Klassisches Beispiele hierfür ist die Beteiligungsverwaltung, die in einzelnen Fällen eine größere Bedeutung haben kann als der funktionale Zusammenhang. Anschaffung. Bei der Anschaffung ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch auf 7.144 die Mittelbeschaffung abzustellen.2 Dies ist jedoch nicht sachgerecht, da Finanzierungs- und Mittelbeschaffungsaspekte allenfalls im Rahmen eines fiktiven Geschäftsvorfall zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Berücksichtigung finden können. Für die Frage der Zurechnung muss dies jedoch außen vor bleiben, da sonst die Finanzierungsneutralität nicht gewahrt ist.3 Fehlender funktionaler Zusammenhang. Eine abweichende Zuordnung kommt 7.145 auch dann in Betracht, wenn es, wie z.B. bei Wertpapieren, keinen funktionalen Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens gibt.4 Personalfunktionskonkurrenz. Werden verschiedene andere Personalfunktionen 7.146 von mehreren Betriebsstätten ausgeübt (Personalfunktionskonkurrenz), so hat die Zuordnung nach der überwiegenden Bedeutung der Personalfunktionen zu erfolgen.5 In Zweifelsfällen, z.B. wenn der funktionale Zusammenhang häufig wechselt, muss eine sachgerechte Zuordnung vorgenommen werden. Allerdings ist eine antei1 Vgl. § 7 Abs. 2 BsGaV. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 105. 3 Unter Finanzierungsneutralität wird hier verstanden, dass bei der Preisfindung unter fremden Dritten regelmäßig die Art der Finanzierung unbeachtlich bleiben muss. Der in VWG BsGa, Rz. 105 enthaltene Verweis auf eine entsprechende Vorschrift im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 läuft ins Leere, da die OECD keinerlei entsprechende Empfehlungen abgibt. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 106. 5 Vgl. § 7 Abs. 3 BsGaV.

Wellens/van der Ham 233

Kap. 7 Rz. 7.146 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

lige Zuordnung nach Ansicht der Finanzverwaltung nicht zulässig.1 Der Nachweis hierüber obliegt dem Steuerpflichtigen.2 4. Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten

7.147 Begriff. § 8 BsGaV enthält einen Auffangtatbestand für die Zuordnung von allen Vermögenswerten, die nicht bereits nach §§ 5–7 BsGaV zugeordnet werden konnten. Es ist allerdings nicht spezifiziert, welche Vermögenswerte konkret unter diese Regelungen fallen. Die Finanzverwaltung vermerkt lediglich, dass hierunter auch sonstige Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens fallen, soweit diese nicht nach §§ 5–7 BsGaV zugeordnet werden müssen.3 7.148 Gesetzliche Grundlage. In § 8 BsGaV wird hierzu ausgeführt: § 8 Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten (1) 1Für die Zuordnung eines nicht in den §§ 5 bis 7 genannten Vermögenswerts (sonstiger Vermögenswert) zu einer Betriebsstätte ist dessen Schaffung oder dessen Erwerb die maßgebliche Personalfunktion. 2Werden Personalfunktionen, durch deren Ausübung ein sonstiger Vermögenswert geschaffen oder erworben wird, gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt, so ist der sonstige Vermögenswert der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für diesen sonstigen Vermögenswert zukommt. (2) 1Abweichend von Absatz 1 ist ein sonstiger Vermögenswert nur dann einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen als derjenigen, auf Grund deren Personalfunktion der sonstige Vermögenswert entstanden ist oder erworben wurde, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 1 genannten Personalfunktionen überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Nutzung, Verwaltung, Risikosteuerung oder Veräußerung des betreffenden sonstigen Vermögenswerts stehen. (3) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so ist der sonstige Vermögenswert der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für diesen sonstigen Vermögenswert zukommt. (4) Kann ein sonstiger Vermögenswert nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 3 nicht widerspricht.

7.149 Maßgebliche Personalfunktion. Die für die Zuordnung von sonstigen Vermögenswerten maßgebliche Personalfunktion ist deren Schaffung oder Erwerb (Grundregel). Für den Fall der Funktionsteilung gilt grundsätzlich eine Zuordnung auf Basis der Personalfunktion mit der größeren Bedeutung.4 Eine abweichende Zuordnung ist möglich, wenn eine andere Personalfunktion größere Bedeutung hat (vgl. Rz. 7.103).5 1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 108. Vgl. § 7 Abs. 4 BsGaV. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014 zur Begründung von § 8 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Vgl. § 8 Abs. 1 BsGaV. Vgl. § 8 Abs. 2 BsGaV.

234 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.152 Kap. 7

Auch die Regelungen zur Personalfunktionskonkurrenz und zur Zuordnung in Zweifelsfragen folgen der allgemeinen Zuordnungssystematik (vgl. Rz. 7.110). 5. Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens Begriff. Gemäß § 9 BsGaV sind neben den Vermögenswerten auch die Geschäftsvor- 7.150 fälle des Unternehmens den Unternehmensteilen zuzuordnen (vgl. hierzu auch Rz. 2.40 und Rz. 11.15). Hierbei sind nicht nur die Geschäftsvorfälle mit fremden Dritten zu erfassen und zu beurteilen. Vielmehr betrifft dies auch sämtliche Geschäftsvorfälle des Unternehmens, das eine Betriebsstätte unterhält, mit nahestehenden Personen im In- und Ausland. Für Letztere gilt die Gewinnabgrenzungsvorschrift gem. § 1 Abs. 1 und 3 AStG.

7.151

Gesetzliche Grundlage. § 9 BsGaV führt hierzu aus: § 9 Zuordnung von Geschäftsvorfällen des Unternehmens (1) 1Für die Zuordnung eines Geschäftsvorfalls (§ 1 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 des Außensteuergesetzes), den das Unternehmen mit einem unabhängigen Dritten oder mit einer nahestehenden Person abgeschlossen hat, zu einer Betriebsstätte ist die Personalfunktion, auf der das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls beruht, die maßgebliche Personalfunktion. 2Üben verschiedene Betriebsstätten gleichzeitig jeweils eine Personalfunktion aus, auf der das Zustandekommen eines solchen Geschäftsvorfalls beruht, so ist der Geschäftsvorfall der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für den Geschäftsvorfall zukommt. (2) 1Abweichend von Absatz 1 ist ein Geschäftsvorfall nur dann einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen als derjenigen, auf Grund deren Personalfunktion der Geschäftsvorfall zustande gekommen ist, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 1 genannten Personalfunktion überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang mit der Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Geschäftsvorfall oder mit dessen Verwaltung oder mit dessen Risikosteuerung stehen. (3) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so ist der Geschäftsvorfall der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für den Geschäftsvorfall zukommt. (4) Kann ein Geschäftsvorfall nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 3 nicht widerspricht.

Vorgehensweise. In den letzten Jahren hat es auf internationaler Ebene intensive Dis- 7.152 kussionen darüber gegeben, ob im Fall der Existenz von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen zunächst die Gewinnabgrenzung zwischen den nahestehenden Personen und anschließend die Betriebsstättengewinnaufteilung zu erfolgen hat oder ob die umgekehrte Reihenfolge zwingend ist. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da beide Vorgehensweisen zum gleichen Ergebnis führen dürften.1 1 Vgl. u.a. Kroppen/van der Ham, Recent Developments on Attribution of Profits to dependent Agent Permanent Establishments, in Transfer Pricing Developments around the World 2017, 2017.

Wellens/van der Ham 235

Kap. 7 Rz. 7.152 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

Aus praktischen Erwägungen empfiehlt es sich jedoch, zunächst die Gewinnabgrenzung für die Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen durchzuführen.

7.153 Maßgebliche Personalfunktion. Die maßgebliche Personalfunktion für die Zuordnung von Geschäftsvorfällen ist die Personalfunktion, die für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortlich ist (Grundregel). Für den Fall der Funktionsteilung gilt wiederum der Bedeutungsüberhang. Beispiel 1 zur Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Ein deutsches Unternehmen betreibt eine niederländische Vertriebsbetriebsstätte und mietet hierfür entsprechende Geschäftsräume an. Für die Anmietung sind ausschließlich Personalfunktionen des Stammhauses verantwortlich. Lösung: Der Mietvertrag ist dem deutschen Stammhaus zuzurechnen, da die Personalfunktionen, die für das Zustandekommen des Vertrags verantwortlich sind, ausnahmslos im Stammhaus ansässig sind. Für eine abweichende Zuordnung liegen keine Anhaltspunkte vor. Beispiel 2 zur Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Ein deutsches Bauunternehmen begründet in den Niederlanden eine Bau- und Montagebetriebsstätte. Für das Projekt werden verschiedene niederländische Sub-Unternehmer bemüht, deren Auswahl und Beauftragung ausschließlich durch Personalfunktionen des Stammhauses erfolgt. Lösung: Der Verträge mit den niederländischen Sub-Unternehmen sind dem deutschen Stammhaus zuzurechnen, da die Personalfunktionen, die für das Zustandekommen der Verträge verantwortlich sind, ausnahmslos im Stammhaus ansässig sind. Für eine abweichende Zuordnung liegen keine Anhaltspunkte vor.

7.154 Abweichende Zuordnung. Eine von der Grundregel abweichende Zuordnung ist möglich, wenn andere Personalfunktionen für die zuzuordnenden Geschäftsvorfälle von größerer Bedeutung sind.1 Andere Personalfunktionen können in diesem Zusammenhang insbesondere die Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Geschäftsvorfall, dessen Verwaltung oder die in diesem Zusammenhang relevante Risikosteuerung sein. Abwandlung zu Beispiel 1 zur Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Die Niederlassungsleitung in den Niederlanden übernimmt die vollumfängliche Verantwortung für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Mietvertrag und verwaltet diesen auch entsprechend selbständig. Lösung: Der Mietvertrag ist der Betriebsstätte zuzurechnen. Die von der Grundregel abweichende Zuordnung ist gerechtfertigt, da die Personalfunktion des Niederlassungsleiters für den Mietvertrag von größerer Bedeutung ist. Beispiel 3 zur Zuordnung von Geschäftsvorfällen: Die Bauleitung vor Ort übernimmt die Steuerung der Sub-Unternehmer. Das inkludiert auch die technische und kaufmännische Überwachung der Tätigkeiten, die Sicherstellung der zeitgerechten Leistung und die abschließende Abnahme der Leistungen der Sub-Unternehmer. 1 Vgl. § 9 Abs. 2 BsGaV.

236 Wellens/van der Ham

D. Zuordnung des Vermögens

Rz. 7.157 Kap. 7

Lösung: Die Verträge mit den Sub-Unternehmern sind der Betriebsstätte zuzurechnen. Die von der Grundregel abweichende Zuordnung ist gerechtfertigt, da die Personalfunktion des Bauleiters für die Geschäftsbeziehungen zu den Sub-Unternehmern von größerer Bedeutung ist.

Personalfunktionskonkurrenz. Für den Fall der Personalfunktionskonkurrenz und 7.155 in Zweifelsfällen gelten die die Grundsätze der allgemeinen Zuordnungssystematik (vgl. Rz. 7.103 und Rz. 7.110).

IV. Einklang mit dem AOA Auffassung. Die deutschen Regelungen für die Zuordnung von Vermögenswerten 7.156 i.S.d. §§ 5–8 BsGaV sowie der Geschäftsvorfälle gem. § 9 BsGaV entsprechen grundsätzlich den Empfehlungen des OECD-Betriebsstättenberichts 20101 und stehen daher weitgehend im Einklang mit den Grundsätzen des AOA. Abweichungen. Nichtsdestotrotz ergeben sich verschiedene Abweichungen ins- 7.157 besondere bzgl. des Detaillierungsgrads der Vorschriften, die beispielhaft im Folgenden aufgeführt werden sollen: Tabelle 15: Zuordnungskriterien im Vergleich Zuordnungsgegenstand

Deutsche Regelung

OECD-Betriebsstättenbericht 2010

Materielle – Möglichkeit der Zuordnung auf Vermögenswerte Basis anderer Personalfunktio§ 5 BsGaV nen, insb. der Anschaffung, Herstellung oder Verwaltung, wenn diese Personalfunktionen in ihrer Bedeutung überwiegen – Keine anteilige Zuordnung möglich

– Alleiniges Abstellen auf die Nutzung (aktive Entscheidungskompetenz) – Anteilige Zuordnung nicht ausgeschlossen

Immaterielle Möglichkeit der Zuordnung auf Vermögenswerte Basis anderer Personalfunktionen, § 6 BsGaV insb. der Nutzung, wenn diese Personalfunktionen in ihrer Bedeutung überwiegen.

Alleiniges Abstellen auf Schaffung oder Erwerb (aktive Entscheidungskompetenz)

Beteiligungen, Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte § 7 BsGaV

Zuordnung nach funktionalem Zusammenhang oder anderer Personalfunktionen, sofern diese in ihrer Bedeutung überwiegen

Keine konkrete Zuordnungsvorschrift; Zuordnung am Beispiel der SPF2 (aktive Entscheidungskompetenz)

1 OECD (2014), Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten von 2010, http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establishmentsgerman.pdf, Rz. 19 f. – im Folgenden OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 2 SPF = Significant People Function.

Wellens/van der Ham 237

Kap. 7 Rz. 7.157 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS Zuordnungsgegenstand

Deutsche Regelung

OECD-Betriebsstättenbericht 2010

Zuordnung nach funktionalem Sonstige Vermögenswerte Zusammenhang oder anderer § 8 BsGaV Personalfunktionen, sofern diese in ihrer Bedeutung überwiegen

Keine konkrete Zuordnungsvorschrift; Zuordnung am Beispiel der SPF (aktive Entscheidungskompetenz)

Geschäftsvorfälle § 9 BsGaV

Keine konkrete Zuordnungsvorschrift; Zuordnung am Beispiel der SPF (aktive Entscheidungskompetenz)

Zuordnung nach dem Zustandekommen oder anderer Personalfunktionen, sofern diese in ihrer Bedeutung überwiegen

7.158 Empfehlung. Von den Empfehlungen des AOA abweichende bzw. detaillierte Vorschriften erhöhen grundsätzlich die Gefahr von internationalen Besteuerungskonflikten und von Doppelbesteuerung. Wünschenswert wäre daher, wenn die Finanzverwaltung im Fall von Abweichungen diese mit Augenmaß betrachtet. In letzter Konsequenz stehen dem Steuerpflichtigen aber die einschlägigen Verfahren zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Streitbelegung zur Verfügung.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 7.159 Unterschiede. Im Hinblick auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. hinsichtlich der Gewinnabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen nahestehenden Personen existieren systematische Unterschiede. Im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung erfolgt die Zuordnung von Vermögenswerten von Geschäftsvorfällen den Grundsätzen der BsGaV auf der Grundlage maßgeblicher Personalfunktionen. Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen werden Vermögenswerte dem rechtlichen bzw. wirtschaftlichen Eigentümer zugeordnet. Funktionen und Risiken im Zusammenhang mit Geschäftsvorfällen werden auf vertraglicher Grundlage geregelt. 7.160 Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. In einem zweiten Schritt kommt dann der Fremdvergleichsgrundsatz nach den Vorgaben des § 1 Abs. 5 bzw. Abs. 1 AStG zur Anwendung. Inwieweit dieser systematische Unterschied letztendlich auch zu einer unterschiedlichen Gewinnallokation auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes führt, ist fraglich. Letztlich müssen die ausgeübten Funktionen und die übernommenen bzw. zugeordneten Risiken angemessen vergütet werden. 7.161 Fazit. Spätestens seit der Angleichung der Verrechnungspreisvorschriften im Rahmen Art. 9 OECD-MA 2017 und der Überarbeitung der OECD-Leitlinien auf Basis der Empfehlungen des BEPS-Abschlussberichts zu den Aktionspunkten 8–101 sind

1 Vgl. OECD (2017), Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20

238 Wellens/van der Ham

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte

Rz. 7.165 Kap. 7

kaum noch Unterschiede zwischen den Abgrenzungsgrundsätzen nach Art. 9 OECDMA 2017 und Art. 7 OECD-MA 2017 auszumachen.1

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte I. Zielsetzung des Regelabschnitts Grundlage. Für Zwecke der Gewinnabgrenzung fingiert der AOA die Betriebsstätte 7.162 als selbständiges Unternehmen, welches mit seinem Stammhaus in anzunehmende schuldrechtliche Geschäftsbeziehungen eintritt. Dabei beruht die Gewinnabgrenzung auf einem zweistufigen Ansatz. In einem ersten Schritt sind im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse die in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen zu bestimmen. Diese bilden dann die Grundlage für die Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die Gewinnabgrenzung unter Anwendung von Verrechnungspreisvorschriften.2 So soll erreicht werden, dass die Gewinnabgrenzung zwischen unselbständigen Teilen eines Unternehmens den Grundsätzen der Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen angeglichen wird. Vorgehensweise. Die Identifizierung und Zuordnung von Chancen und Risiken 7.163 sowie Sicherungsgeschäften stellt somit einen integralen Bestandteil des ersten Schritts im Rahmen der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gem. § 1 Abs. 5 AStG dar. Im folgenden Abschnitt soll zunächst die grundsätzliche Zuordnungssystematik beschrieben werden. Anschließend erfolgt die detaillierte Darstellung für die einzelnen Zuordnungsgegenstände.

II. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik 1. Grundsatz Zuordnung. Bei der Zuordnung von Chancen und Risiken sowie Sicherungsgeschäf- 7.164 ten löst sich der Verordnungsgeber ein Stück weit von der Zuordnung auf Basis der maßgeblichen Personalfunktionen. Vielmehr erfolgt die Zuordnung im Grundsatz auf Basis des zugrunde liegenden Zuordnungsgegenstands (erste Grundregel).3 Voraussetzung. Hierbei kann es sich um einen zugrunde liegenden Vermögenswert i.S.d. §§ 5–8 BsGaV oder einen Geschäftsvorfall i.S.d. § 9 BsGaV handeln. Die Voraussetzung hierfür ist, dass die zuzuordnenden Chancen und Risiken sowie Siche-

Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de. 1 Vgl. hierzu u.a. Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 264. 2 § 1 Abs. 5 AStG. 3 § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 BsGaV.

Wellens/van der Ham 239

7.165

Kap. 7 Rz. 7.165 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

rungsgeschäfte mit dem Vermögenswert bzw. Geschäftsvorfall in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.

7.166 Andere Zuordnung. Sofern ein entsprechender Zusammenhang mit einem konkreten Vermögenswert oder Geschäftsvorfall nicht besteht, erfolgt die Zuordnung im Grundsatz auf Basis der Personalfunktion, die mit den Chancen und Risiken sowie Sicherungsgeschäften im Zusammenhang stehen (zweite Grundregel). 7.167 Funktionsteilung. Auch bei der Zuordnung von Chancen und Risiken sowie Sicherungsgeschäften kann eine Funktionsteilung vorliegen, wenn die entsprechende Personalfunktion gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt wird. In diesem Fall erfolgt die Zuordnung aufgrund der Personalfunktion, die für den Zuordnungsgegenstand die größere Bedeutung hat. 2. Abweichende Zuordnung

7.168 Abweichende Zuordnung. Wie bereits bei der Zuordnung der Vermögenswerte i.S.d. §§ 5–8 BsGaV ist für die Zuordnung von Chancen und Risiken sowie Sicherungsgeschäften eine Öffnungsklausel vorgesehen. Diese ermöglicht eine von der Grundregel abweichende Zuordnung, falls eine andere Personalfunktion für den Zuordnungsgegenstand eine größere Bedeutung hat oder die abweichende Zuordnung im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das besser dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht.1 7.169 Personalfunktionskonkurrenz. Für den Fall der Personalfunktionskonkurrenz, wenn also verschiedene, für den Zuordnungsgegenstand relevante Personalfunktionen in unterschiedlichen Betriebsstätten ausgeübt werden, hat auch hier eine Zuordnung nach der relativen Bedeutung der Personalfunktion für den Zuordnungsgegenstand zu erfolgen. 3. Zuordnung in Zweifelsfällen

7.170 Beurteilungsspielraum. In Zweifelsfällen wird dem Steuerpflichtigen ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden, der jedoch an Nachweispflichten gebunden ist. In jedem Fall ist die Zuordnung in diesen Fällen im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen vorzunehmen. Dies dürfte in den meisten Fällen zu einer Zuordnung nach der Grundregel führen. 4. Konsequenzen der Zuordnung

7.171 Chancen und Risiken. Die Zuordnung von Chancen und Risiken zu einem Unternehmensteil hat zur Konsequenz, dass sämtliche Vor- und Nachteile, die sich hieraus ergeben, insbesondere die Betriebsausgaben, die bei einem sich realisierenden Risiko drohen, diesem Unternehmensteil für Zwecke der Gewinnabgrenzung zuzuordnen

1 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 386.

240 Wellens/van der Ham

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte

Rz. 7.174 Kap. 7

sind. Das umfasst auch eventuelle Rückstellungen, die für entsprechende Risiken gebucht sind, sofern eine direkte Zuordnung gem. § 14 BsGaV möglich ist. Sicherungsgeschäfte. Die Zuordnung von Sicherungsgeschäften zu einem Unter- 7.172 nehmensteil führt dazu, dass sämtliche Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, insbesondere auch Veräußerungsgewinne und -verluste im Zusammenhang mit zu Sicherungszwecken dienenden Vermögenswerten diesem Unternehmensteil zuzuordnen sind.1

III. Kommentierung 1. Zuordnung von Chancen und Risiken Differenzierung. Bei Zuordnung der Chancen und Risiken ist gem. § 10 Abs. 1 und 7.173 2 BsGaV zwischen solchen Chancen und Risiken zu unterscheiden, die mit Vermögenswerten oder Geschäftsvorfällen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, und solchen, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit einem konkreten Vermögenswert oder Geschäftsvorfall haben (vgl. hierzu auch Rz. 11.14 ff.).

7.174

Gesetzliche Grundlage. § 10 BsGaV führt hierzu aus: § 10 Zuordnung von Chancen und Risiken (1) Stehen Chancen und Risiken im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Vermögenswert im Sinne der §§ 5 bis 8 oder mit einem Geschäftsvorfall im Sinne des § 9, so sind diese Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen, der auch der betreffende Vermögenswert oder Geschäftsvorfall zuzuordnen ist. (2) 1Beruhen Chancen und Risiken, die nicht mit einem Vermögenswert oder mit einem Geschäftsvorfall im unmittelbaren Zusammenhang stehen, auf der Personalfunktion einer Betriebsstätte, so ist diese Personalfunktion für die Zuordnung der Chancen und Risiken zu einer Betriebsstätte maßgeblich. 2Wird eine solche Personalfunktion gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt, so sind die betreffenden Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für diese Chancen und Risiken zukommt. (3) 1Abweichend von Absatz 2 sind Chancen und Risiken nur dann einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen als derjenigen, auf deren Personalfunktion die Chancen und Risiken beruhen, wenn die Bedeutung einer in dieser anderen Betriebsstätte ausgeübten anderen Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der in Absatz 2 genannten Personalfunktion überwiegt. 2Andere Personalfunktionen sind insbesondere solche, die im Zusammenhang stehen mit der Verwaltung, der Risikosteuerung oder der Realisation von Chancen und Risiken oder mit der Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen. (4) Werden andere Personalfunktionen im Sinne des Absatzes 3 Satz 1 gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten des Unternehmens ausgeübt, so sind die betreffenden Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen, deren anderer Personalfunktion die größte Bedeutung für die Chancen und Risiken zukommt.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 124.

Wellens/van der Ham 241

Kap. 7 Rz. 7.174 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS (5) Können Chancen und Risiken nicht eindeutig zugeordnet werden, so ist eine Zuordnung vorzunehmen, die den Absätzen 1 bis 4 nicht widerspricht.

7.175 Unmittelbarer Zusammenhang. Bei einem unmittelbaren Zusammenhang folgt die Zuordnung der Chancen und Risiken der Zuordnung der zugrunde liegenden Vermögenswerte oder Geschäftsvorfälle. Beispiel 1 zur Zuordnung von Chancen und Risiken: Ein deutsches Unternehmen verfügt über eine Betriebsstätte in den Niederlanden, um von dort aus Produkte im niederländischen Markt zu vertreiben. Hierfür wurde auch ein Geschäftsgrundstück erworben, welches der niederländischen Betriebsstätte zugeordnet worden ist. Im Wirtschaftsjahr 01 bricht im Erdgeschoss des Geschäftsgebäudes ein Feuer aus. Trotz schnellen Löschens des Feuers entstand erheblicher Sachschaden. Außerdem erlitt das Geschäftsgrundstück hierdurch eine erhebliche Wertminderung. Lösung: Die mit dem Gebäude im Zusammenhang stehenden Risiken sind der niederländischen Betriebsstätte zuzuordnen. Diese muss somit auch entstehende Schäden (hier: Wertminderungen) tragen. Beispiel 2 zur Zuordnung von Chancen und Risiken: Ein deutsches Unternehmen verfügt über eine Betriebsstätte in Belgien, um von dort aus Produkte im belgischen Markt zu vertreiben. Beim Verkauf von Produkten an einen belgischen Kunden wurde ein Zahlungsziel von 60 Tagen vereinbart und eine Forderung i.H.v. 100 gebucht. Die Forderung wurde der Vertriebsbetriebsstätte zugeordnet. Nach Ablauf der 60 Tage wurde der Mahnprozess in Gang gesetzt. Als der Mahnprozess nicht zum Erfolg führte, wurde die Forderung in voller Höhe wertberichtigt. Lösung: Die mit der Forderung im Zusammenhang stehenden Risiken sind der belgischen Betriebsstätte zuzuordnen. Diese muss somit die sich materialisierenden Risiken (hier: Uneinbringlichkeit) tragen.

7.176 Kein unmittelbarer Zusammenhang. Besteht kein unmittelbarer Zusammenhang der Chancen und Risiken mit einem konkreten Vermögenswert oder Geschäftsvorfall, muss die Zuordnung auf Basis der Personalfunktionen der Unternehmensteile erfolgen, die für das entsprechende Risiko verantwortlich sind (mittelbarer Zusammenhang).1 Relevant hierbei ist die Personalfunktion, die wichtige Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Risiko übernimmt. In Frage kommt hierfür das Risikomanagement, aber auch die Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Risiko eingegangen werden soll. Beispiel 3 zur Zuordnung von Chancen und Risiken: Ein Unternehmen produziert in Deutschland Medizintechnik und vertreibt diese u.a. auch in Russland über eine dort belegene Betriebsstätte. Hierfür verfügt das Unternehmen über eine entsprechende Zulassung durch die in Russland zuständige Behörde. Durch ein Dekret des Gesundheitsministeriums im März des Wirtschaftsjahrs 01 werden sämtliche Zulassungen für medizintechnische Produkte ausländischer Hersteller rückwirkend zum 1.1.01 als ungültig erklärt. Für das Unternehmen bedeutet dies ein aufwendiges Wiederzulassungsverfahren, welches durch den deutschen Leiter 1 Vgl. § 10 Abs. 3 BsGaV i.V.m. VWG BsGa, Rz. 118.

242 Wellens/van der Ham

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte

Rz. 7.179 Kap. 7

der Rechtsabteilung betrieben wurde und erst im Dezember 01 abgeschlossen wurde. In der Zwischenzeit konnten keine Produkte im russischen Markt abgesetzt werden. Lösung: Die Versagung der Zulassung stellt ein allgemeines Geschäftsrisiko dar, welches keinem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall konkret zuzurechnen ist. Da dieses Risiko ausschließlich von Personalfunktionen im Stammhaus verantwortet wird, ist dies dem Stammhaus zuzuordnen.

Abweichende Zuordnung. Eine von der Grundregel abweichende Zuordnung der 7.177 Chancen und Risiken ist dann möglich, wenn eine andere Personalfunktion, die in einer anderen Betriebsstätte ausgeübt wird, eine so große Bedeutung für den Zuordnungsgegenstand hat, dass eine Zuordnung zu einer anderen Betriebsstätte eindeutig notwendig wird.1 In der Regel sind das Personalfunktionen im Rahmen der Verwaltung, der Risikosteuerung oder der Realisation von Chancen und Risiken oder Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen.2 Abwandlung des Beispiels 2 zur Zuordnung von Chancen und Risiken: Das Forderungsmanagement und die Zahlungsüberwachung sowie das gesamte Mahnwesen wird von der Abteilung Treasury im Stammhaus des Unternehmens übernommen. Personalfunktionen der belgischen Vertriebsbetriebsstätte sind in diesen Prozess nur ausnahmsweise eingebunden. Lösung: Die mit der Forderung im Zusammenhang stehenden Risiken (hier Uneinbringlichkeit) sind dem deutschen Stammhaus zuzuordnen, da das hier ausgeübte Forderungsmanagement eindeutig bedeutender ist und somit eine von der Grundregel abweichende Zuordnung gerechtfertigt erscheint.

Dokumentation. Eine abweichende Zuordnung hat in der Hilfs- und Nebenrech- 7.178 nung nachvollziehbar zu erfolgen. 2. Zuordnung von Sicherungsgeschäften Unmittelbarer Zusammenhang. Bei der Zuordnung von Sicherungsgeschäften wird 7.179 zwischen einem unmittelbaren und einem mittelbaren Sicherungszusammenhang unterschieden. Ein unmittelbarerer Sicherungszusammenhang kann zwischen dem Sicherungsgeschäft und einem Vermögenwert i.S.d. §§ 5–8 BsGaV, einem Geschäftsvorfall i.S.d. § 9 BsGaV oder einer Personalfunktion bestehen. In diesen Fällen erfolgt eine Zuordnung im Einklang mit dem gesicherten Vermögenswert bzw. der gesicherten Personalfunktion (erste Grundregel).3 Beispiel 1 zur Zuordnung von Sicherungsgeschäften: Ein Unternehmen produziert in Deutschland Kfz-Anhänger und vertreibt diese u.a. über eine Vertriebsbetriebsstätte in Polen. Der Verkauf an polnische Kunden erfolgt in lokaler Währung. Für Fremdwährungsforderungen schließt das Unternehmen ein Währungssicherungsgeschäft ab. 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 120. 2 § 10 Abs. 3 BsGaV. 3 Vgl. § 11 Abs. 1 BsGaV.

Wellens/van der Ham 243

Kap. 7 Rz. 7.179 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS Lösung: Das Währungssicherungsgeschäft steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Fremdwährungsforderungen der polnischen Vertriebsbetriebsstätte und ist deshalb der Betriebsstätte zuzuordnen.

7.180 Kein unmittelbarer Zusammenhang. Werden jedoch Sicherungsgeschäfte abgeschlossen, die keinen direkten Zusammenhang mit einem Vermögenswert oder Geschäftsvorfall haben, oder in Fällen, in denen eine direkte Zurechnung der Sicherungsgeschäfte zu einzelnen Vermögenwerten bzw. Geschäftsvorfällen zu aufwendig erscheint, ist von einem mittelbaren Sicherungszusammenhang auszugehen. In diesen Fällen kann eine Aufteilung auf Basis eines sachgerechten Aufteilungsschlüssels vorgenommen werden (zweite Grundregel).1 7.181 Aufteilungsschlüssel. Welcher Aufteilungsschlüssel als geeignet angesehen werden kann, ist im Einzelfall zu entscheiden und hängt ganz entscheidend von der Art des Sicherungsgeschäfts ab. Bei Währungssicherungsgeschäften kommt bspw. der relative Anteil an den relevanten Vermögenswerten in Frage. Bei Versicherungen könnten die Prämienberechnung und Zuordnung des Versicherungsanbieters herangezogen werden, die häufig eine länderbezogene Betrachtung inkludiert. Beispiel 2 zur Zuordnung von Sicherungsgeschäften: Wie Beispiel 1 zu Zuordnung von Sicherungsgeschäften; allerdings sind einige Verkäufe insb. an polnische Key-Account-Kunden nicht der Vertriebsbetriebsstätte, sondern dem Stammhaus zuzuordnen. Das abgeschlossene Währungssicherungsgeschäft betrifft somit sowohl im Stammhaus als auch in der Betriebsstätte vorhandene Fremdwährungsforderungen, ohne dass eine konkrete Zuordnung möglich wäre. Lösung: Das Währungssicherungsgeschäft steht in einem mittelbaren Zusammenhang mit Fremdwährungsforderungen im Stammhaus und in der Betriebsstätte. Eine anteilige Zuordnung ist vorzunehmen. Als Aufteilungsschlüssel könnte im vorliegenden Fall der Anteil des durchschnittlichen Bestands an Fremdwährungsforderungen der Betriebsstätte im Verhältnis zum durchschnittlichen Gesamtbestand an Fremdwährungsforderungen gewählt werden.

7.182 Abweichende Zuordnung. Die Öffnungsklausel des § 11 Abs. 3 BsGaV sieht eine abweichende Zuordnung von Sicherungsgeschäften nur dann vor, wenn das Ergebnis bei abweichender Zuordnung besser dem Fremdvergleich entspricht. Den Nachweis hierüber muss der Steuerpflichtige führen. Abwandlung von Beispiel 1 zur Zuordnung von Sicherungsgeschäften: Das Währungssicherungsgeschäft wird von der Treasury-Abteilung des Stammhauses abgeschlossen, die hierfür auch vollumfänglich verantwortlich ist. Personalfunktionen der Vertriebsbetriebsstätte sind hier nicht involviert. Lösung: In diesem Fall wäre zu prüfen, ob das Währungssicherungsgeschäft aufgrund der von der Treasury-Abteilung übernommenen Verantwortung dem Stammhaus zuzuordnen wäre. Dies wäre dann zwingend, wenn dies dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen würde. 1 Vgl. § 11 Abs. 2 BsGaV.

244 Wellens/van der Ham

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte

Rz. 7.188 Kap. 7

Vermögenswerte zu Sicherungszwecken. Fraglich ist, wie mit Vermögenswerten zu 7.183 verfahren ist, die Sicherungszwecken dienen. Nach der Grundregel sind diese analog zu den Sicherungsgeschäften im Einklang mit dem Sicherungsgegenstand zuzuordnen. Dies ist gem. § 11 Abs. 4 BsGaV jedoch dann nicht der Fall, wenn diese Vermögenswerte zwar Risiken anderer Vermögenswerte bzw. Geschäftsvorfälle absichern, die Absicherung als solches aber nicht ihr Zweck ist. Die Zuordnung dieser Vermögenswerte hat dann nach den allgemeinen Regeln der §§ 5–8 BsGaV zu erfolgen.

IV. Einklang mit dem AOA AOA. Gemäß dem AOA sollen einer Betriebsstätte die Ergebnisse zugerechnet wer- 7.184 den, die sie nach dem Fremdvergleichsgrundsatz verdienen würde, wäre sie ein selbständiges Unternehmen.1 Hierfür ist ein zweistufiger Ansatz vorgesehen.2 In einem ersten Schritt muss eine umfängliche Analyse der Funktionen und Fakten erfolgen, um die Betriebsstätte angemessen als hypothetisch eigenständiges Unternehmen zu fingieren, welches im Rahmen von hypothetischen Geschäftsbeziehungen für bestimmte Funktionen verantwortlich ist, Vermögenswerte einsetzt und Risiken trägt. In einem zweiten Schritt ist der Betriebsstätte dann ein vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes angemessenes Ergebnis zuzurechnen. Ziel. Diese Vorgehensweise soll die Berechnung eines angemessenen Betriebsstätten- 7.185 ergebnisses unter Berücksichtigung sämtlicher realer Geschäftsbeziehungen des Unternehmensteils mit verbundenen und unverbundenen Personen sowie aller hypothetischen Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmensteilen ermöglichen.3 Bedeutung. Die Zuordnung von Chancen und Risiken bzw. Sicherungsgeschäften ist 7.186 somit grundsätzlich ein integraler Bestandteil des AOA. Sie wirkt sich nicht nur im Rahmen von Schritt 1 auf die Zuordnung von Dotationskapital aus, sondern auch im Schritt 2 im Rahmen der Ermittlung einer fremdüblichen Vergütung der Betriebsstätte für die dort ausgeübte Geschäftstätigkeit.4 Risiken. Die durchzuführende Funktions- und Risikoanalyse stellt zunächst auf Ri- 7.187 siken ab, die der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte inhärent sind und von den der Betriebsstätte zugeordneten signifikanten Personalfunktionen getragen werden. Außerdem sind sämtliche reale und fiktive Geschäftsbeziehungen zu berücksichtigen, die das Risiko selbst oder das Risikomanagement betreffen. Risikotragung bedeutet hierbei die Übernahme aller potentiellen Vor- und Nachteile im Zusammenhang mit den entsprechenden Risiken.5 Deutsche Anwendung. Insofern haben die Empfehlungen des OECD-Betriebsstät- 7.188 tenberichts 2010 zum AOA im Hinblick auf die Zuordnung von Chancen und Risi1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 8. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 10. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 10. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 26. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 21.

Wellens/van der Ham 245

Kap. 7 Rz. 7.188 Gewinn- und Unterschiedsbetragsermittlung in- und ausl. BS

ken bzw. Sicherungsgeschäften in den deutschen Regelungen weitgehend deckungsgleich Eingang gefunden.

7.189 Unterschiede. Unterschiede ergeben sich allenfalls im Detail. So stellt die OECD in ihren Empfehlungen bei der Zuordnung von Chancen und Risiken stärker auf die für das Risiko relevante Personalfunktion ab und erfordert hierfür ein aktives Entscheiden bzgl. der entsprechenden Risiken.1 Die deutschen Vorschriften hingegen fordern in der ersten Grundregel eine Zuordnung auf Basis der zugrunde liegenden Vermögenswerte bzw. Geschäftsvorfälle. Erst wenn ein solcher konkreter Zusammenhang nicht hergestellt werden kann, wird auf die Personalfunktionen der Betriebsstätte abgestellt.2 7.190 Praxis. In der Praxis dürfte dies jedoch in den meisten Fällen zum selben Ergebnis führen. Denn üblicherweise ist diejenige Personalfunktion, die für die Zuordnung des zugrunde liegenden Vermögenswerts maßgeblich ist, auch für die mit dem Vermögenswert verbundenen Risiken verantwortlich. Nimmt jedoch eine andere Personalfunktion die Verantwortung für ein Risiko wahr, so sehen die OECD-Empfehlungen eine Zuordnung zu der Betriebsstätte vor, in der diese andere Personalfunktion verortet ist. Analog ermöglichen aber auch die deutschen Vorschriften eine abweichende Zuordnung für den Fall, dass eine andere Personalfunktion größere Bedeutung für das zuzuordnende Risiko hat. 7.191 Sicherungsgeschäfte. Im Hinblick auf die Zuordnung von Sicherungsgeschäften enthält der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 keine spezielleren Empfehlungen. Die Zuordnung von Sicherungsgeschäften muss daher allgemeinen Grundsätzen folgen. Auch dürften sich in der Praxis keine großen Abweichungen zu den deutschen Regeln ergeben.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 7.192 Unterschiede. Im Hinblick auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. hinsichtlich der Gewinnabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen zwischen nahestehenden Personen existieren systematische Unterschiede. Im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung sind Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte nach den Grundsätzen der BsGaV zunächst auf der Grundlage maßgeblicher Personalfunktionen dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zuzuordnen. Bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen erfolgt die Zuordnung von Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäften auf vertraglicher Grundlage. Hier ist bspw. eine vertragliche Allokation von Risiken zu einem Geschäftspartner denkbar, ohne dass dieser Geschäftspartner entsprechende Risikomanagement-Funktionen ausüben muss.

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 24. 2 Vgl. § 10 Abs. 2 BsGaV.

246 Wellens/van der Ham

E. Chancen, Risiken und Sicherungsgeschäfte

Rz. 7.194 Kap. 7

Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes. In einem zweiten Schritt kommt 7.193 dann der Fremdvergleichsgrundsatz nach den Vorgaben des § 1 Abs. 5 bzw. Abs. 1 AStG zur Anwendung. Inwieweit dieser systematische Unterschied letztendlich auch zu einer unterschiedlichen Gewinnallokation auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes führt ist fraglich. Auch wenn in dem genannten Beispiel der vertraglichen Risikoallokation ein gewisser Unterschied denkbar wäre, so dürfte sich dieser jedoch nicht allzu umfangreich auswirken. Letztlich muss die ausgeübte Funktion des Risikomanagements angemessen vergütet werden. OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Emp- 7.194 fehlungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 (vgl. hierzu auch Rz. 1.24), die explizit vorsehen, dass die Personalfunktion der Risikokontrolle und das entsprechende Risiko nur einheitlich zugeordnet werden können.1 Somit ist eine Trennung von Funktion und Risiko unter dem AOA nicht möglich. Spätestens mit der Überarbeitung der OECD-Leitlinien infolge des BEPS-Projekts, insbesondere aufgrund der Empfehlungen des Abschlussberichts zu den BEPS-Aktionspunkten 8–10, hat das Risikokontrollprinzip auch in die Grundsätze zur Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz Eingang gefunden.2 Im Ergebnis dürften sich somit auch hier keine wesentlichen Abweichungen ergeben.

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 70. 2 Vgl. OECD (2017), Gewährleistung der Übereinstimmung zwischen Verrechnungspreisergebnissen und Wertschöpfung Aktionspunkte 8–10: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de.

Wellens/van der Ham 247

Kapitel 8 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und die Verrechnung der Finanzierungsfunktion A. Dotationskapital und übrige Passivposten I. Zielsetzung des Regelungsabschnittes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.1

II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . .

8.2

III. Kommentierung 1. Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen a) Funktions- und risikobezogene Kapitalaufteilungsmethode b) Höhe des Eigenkapitals des ausländischen Unternehmens . c) Bestimmung der Kapitalquote der inländischen Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unterkapitalisierung des ausländischen Unternehmens . . . . e) Untergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anpassung des Dotationskapitals einer inländischen Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen a) Mindestkapitalausstattungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmeregelung . . . . . . . . . . d) Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anpassung des Dotationskapitals einer ausländischen Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuordnung übriger Passivposten a) Direkte Methode . . . . . . . . . . . . b) Kürzung eines Überhangs an direkt zuordnungsfähigen übrigen Passivposten . . . . . . . . c) Indirekte Methode . . . . . . . . . .

2. Empfehlungen zur Höhe des Dotationskapitals . . . . . . . . . . . . . . 8.45 3. Verzicht auf Empfehlungen zu (übrigen) Passivposten . . . . . . . . . . 8.48 4. Vereinbarkeit der BsGaV mit den Empfehlungen der OECD . . . . . . . 8.50 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 8.57 B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

8.7 8.10 8.12 8.18 8.21 8.22

8.24 8.26 8.30 8.31 8.32 8.34 8.41 8.43

IV. Einklang mit dem AOA 1. Regelungstiefe im Bereich der Kapitalzuordnung . . . . . . . . . . . . . 8.44

I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.59 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 8.60 III. Kommentierung 1. Direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen . . . . . . . . . 2. Kürzung von Finanzierungsaufwendungen bei Überhang an übrigen Passivposten . . . . . . . . . . . 3. Indirekte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichende Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen . 4. Zuordnung von Finanzierungsaufwand für inländische Betriebsstätten nichtbilanzierender ausländischer Unternehmen . . . . . 5. Zuordnung von Finanzierungsaufwand für ausländische Betriebsstätten nichtbilanzierender inländischer Unternehmen . . . . . .

8.62 8.63 8.64 8.67

8.68

8.71

IV. Einklang mit dem AOA 1. Empfehlungen zur Zuordnung von Finanzierungsaufwand . . . . . . 8.73 2. Vereinbarkeit der BsGaV mit den Empfehlungen der OECD . . . . . . . 8.74 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 8.75 C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Oestreicher

249

Kap. 8 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.76

II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . .

8.77

III. Kommentierung 1. Definition der Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Indirekte Kostenverrechnung . . . . 4. Zuordnung von Vermögenswerten aus Liquiditätsüberhängen und Erträgen aus diesen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . .

8.78 8.80 8.83

5. Zuordnung von Passivposten . . . . 6. Entstehende Salden auf Verrechnungskonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abweichende Zuordnung von Vermögenswerten und Passivposten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8.92 8.96 8.97

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 8.100 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 8.101

8.85

Literatur: Andresen, Betriebsstättengewinnabgrenzung nach Abkommensrecht, in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch: Gewinnermittlung und Besteuerung inund ausländischer Betriebsstätten, 2. Auflage, Köln 2018, Rz. 5.1 ff. (zit.: Verfasser in W/A/D); Bärsch, Bestimmung fremdüblicher Darlehenszinsen bei Finanzierungsgesellschaften, IStR 2017, 622–633; Busch/Weynandt/Röckle, Praxisrelevante Revisionsfragen zum Urteil des FG Münster zur Fremdüblichkeit von Darlehenszinsen, IStR 2017, 531; Heinsen, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) – Zehn wichtige Neuerungen, DB 2017, 85; Endres/Oestreicher/van der Ham, Die neue Betriebsstättengewinnaufteilung – 5 Musterfälle zur Auslegung (Teil 2), PIStB 2014, 303; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung: Deutsche Investitionen im Ausland, Ausländische Investitionen im Inland, herausgegeben von Endres/Spengel, bearbeitet von Dieter Endres, Andreas Oestreicher, Andreas Schumacher und Christoph Spengel, 8. Auflage, München 2016; Horst in Schön/Konrad (Hrsg.), Fundamentals of International Transfer Pricing in Law and Economics, Heidelberg 2012, S. 159–183; Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA 2010; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, Herne 2019; Kraft/Dombrowski, Die praktische Umsetzung des „Authorized OECD Approach“ vor dem Hintergrund der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, FR 2014, 1105; Looks, Aufteilung der Unternehmensgewinne zwischen Stammhaus und Betriebsstätten, in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung: Inboundinvestitionen, Steuergestaltungen, Branchenbesonderheiten, 3. Auflage, München 2017, Rz. 725 ff.; Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung: Inboundinvestitionen, Steuergestaltungen, Branchenbesonderheiten, 3. Auflage, München 2017; Oestreicher, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung von Zinsterminkontrakten: das Prinzip der Einzelbewertung bei funktional verknüpften Finanzgeschäften, Düsseldorf 1992; Oestreicher/Hillmann, Zum Generalthema II: Bedeutung der OECD/G20 Empfehlungen für die Entwicklung der Vorschriften zu steuerlichen Verrechnungspreisen in Deutschland, IStR 2017, 647; Schmitz-Herscheidt, Kommentar zum Urteil des FG Münster vom 7.12.2016 – 13 K 4037/13 K, F – Verdeckte Gewinnausschüttung bei überhöhten Zinsen an eine im Ausland belegene Schwestergesellschaft, NWB 2017, 312; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch: Gewinnermittlung und Besteuerung in- und ausländischer Betriebsstätten, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D); Wehnert/Scholz/Köhler, Bestimmung fremdüblicher konzerninterner Zinssätze (Teil 1), GmbH-StB 2017, 219; Wilmanns/Lappe/Heidecke/Nolden/John, IStR 2020, 162–171.

250 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.2 Kap. 8

A. Dotationskapital und übrige Passivposten I. Zielsetzung des Regelungsabschnittes Besondere Vorschriften in Bezug auf die Kapitalzuordnung. Die Regelungen über 8.1 die Zuordnung von Dotationskapital und übrige Passivposten gestalten die Passivseite der „Betriebsstättenbilanz“ (Rz. 2.41). im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 BsGaV; dazu auch Rz. 7.7, 12.38 ff.). Ziel dieser Regelungen ist es, im Wesentlichen zu bestimmen, welche Bestandteile des Eigen- und Fremdkapitals, über das die rechtliche Einheit des Unternehmens zur Finanzierung ihrer Tätigkeiten verfügt, aus Sicht der internationalen Gewinnabgrenzung auf die Betriebsstätte dieses Unternehmens entfällt. Dabei geht es im Kern um die Frage, welcher Teil der mit Fremdkapital verbundenen Finanzierungskosten bestehenden Betriebsstätten zuzuordnen ist (vgl. Rz. 2.41). Die gesonderte Zuordnung des Kapitals macht deutlich, dass die Hilfs- und Nebenrechnung keiner Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Zuordnungsentscheidungen unterworfen ist und auch der für Buchführung und Bilanz dort übliche Bilanzenzusammenhang unbeachtlich ist.1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen das einer Betriebsstätte zugeordnete Kapital regulatorischen Bestimmungen unterworfen ist, soll die Hilfs- und Nebenrechnung vielmehr den Teil des Eigen- und Fremdkapitals der rechtlichen Einheit ausweisen, der aufgrund der in einer Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen sowie den danach zugeordneten Vermögenswerten, Chancen und Risiken auf die Betriebsstätte entfällt (Rz. 1.20). Dafür ist maßgebend, dass eine Betriebsstätte die Kreditwürdigkeit (das Rating) des übrigen Unternehmens teilt. Im Unterschied zu rechtlich selbständigen Unternehmen kann es bei einer rechtlichen Einheit (Betriebsstätte und übriges Unternehmen) weder Ratingdifferenzen geben noch die Notwendigkeit, dass die Betriebsstätte oder das übrige Unternehmen diese Kreditwürdigkeit garantieren (Rz. 2.42).

II. Regelungsinhalt Zuordnung von Eigen- und Fremdkapital. Um die Betriebsstätte wie ein eigen- 8.2 ständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, ist ihr das zur Finanzierung ihrer Tätigkeit erforderliche Eigen- und Fremdkapital zuzuordnen (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG, § 1 Abs. 2 Nr. 3, 4 BsGaV). Hierzu regelt die Betriebsstättengewinnabgrenzungsverordnung (BsGaV) in separaten Abschnitten das „Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen“, das „Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen“ und die „Zuordnung übriger Passivposten“ (§§ 12–14 BsGaV). Zur Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV) s. Rz. 8.58 ff. 1 Siehe dazu z.B. Heinsen, DB 2017, 86. Ob allerdings die „weitflächige“ Orientierung an der Buchführung dem Gegenstand der Hilfs- und Nebenrechnung gerecht wird, darf bezweifelt werden; weder sind in der Buchhaltung Chancen und Risiken auszuweisen, noch orientiert sich die Zuordnung des Dotationskapitals und der übrigen Passivposten an den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung.

Oestreicher

251

Kap. 8 Rz. 8.3 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

8.3 Inländische Betriebsstätten. Grundlage der Zuordnung des Dotationskapitals inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen ist die Regel, dass der Betriebsstätte das Eigenkapital zuzuordnen ist, das ihrem risikogewichteten Anteil am Marktwert des Unternehmensvermögens oder, wenn das ausländische Unternehmen zu einem „Konzern“ gehört und weitere Voraussetzungen gegeben sind, ihrem Anteil am konsolidierten Eigenkapital entspricht (Kapitalaufteilungsmethode) (vgl. Rz. 2.45). Einer inländischen Betriebsstätte ist aber mindestens das Eigenkapital zuzuordnen, das in einer inländischen Handelsbilanz dieser Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesen ist. 8.4 Ausländische Betriebsstätten. Ausländischen Betriebsstätten inländischer Unternehmen ist ein Dotationskapital dagegen nur zuzuordnen, soweit das Unternehmen glaubhaft macht, dass ein Dotationskapital in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist (Mindestkapitalausstattungsmethode) (vgl. Rz. 2.47). Die Obergrenze des danach bestimmten Dotationskapitals wird grundsätzlich durch das nach der Kapitalaufteilungsmethode ermittelte Dotationskapital bestimmt, es sei denn, nichtsteuerliche Vorschriften erfordern einen höheren Kapitalausweis – in jedem Fall aber maximal das in der ausländischen Handelsbilanz ausgewiesene Dotationskapital. 8.5 Übrige Passivposten. Daneben sind der Betriebsstätte eines Unternehmens die (falls erforderlich anteilig gekürzten) übrigen Passivposten des Unternehmens zuzuordnen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten, Chancen und Risiken stehen (direkte Zuordnung). Ein verbleibender Fehlbetrag ist mit übrigen Passivposten des Unternehmens aufzufüllen. Diese übrigen Passivposten des Unternehmens sind Passivposten, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten, Chancen und Risiken stehen (indirekte Zuordnung). 8.6 Rechtsgrundlagen. Mit diesen Regelungen zur Bestimmung des Dotationskapitals, der Zuordnung übriger Passivposten und der Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen macht das Bundesfinanzministerium von seiner Ermächtigung Gebrauch, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverordnung „Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes“ und „Einzelheiten zu dessen einheitlicher Anwendung“ zu regeln sowie Grundsätze zur Bestimmung des Dotationskapitals festzulegen (§ 1 Abs. 6 AStG).

III. Kommentierung 1. Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen a) Funktions- und risikobezogene Kapitalaufteilungsmethode

8.7 Begriff des Dotationskapitals. Der Begriff des Dotationskapitals wird in der BsGaV nicht definiert.1 Allgemein bezeichnet „Dotation“ die (ausreichende) Ausstattung 1 Vergleichbares gilt für BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/ 1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 129 ff. – Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnauf-

252 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.8 Kap. 8

mit Gütern oder finanzielle Zuwendungen. Im Zusammenhang mit der Betriebsstättengewinnabgrenzung ist unter Dotation die Zuordnung eines Anteils am Eigenkapital des Unternehmens zu verstehen, während Dotationskapital den Anteil am Eigenkapital meint, der einer Betriebsstätte zuzuordnen ist. Da die Abgrenzung von Eigenund Fremdkapital in regulatorischer Hinsicht von der Abgrenzung im Rahmen der Rechnungslegung abweichen kann, verwendet die OECD den Begriff des „free capital“1 und bezieht sich dabei auf Investments, deren Verzinsung im Staat der Betriebsstätte nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind. Damit vergleichbar beschränkt sich die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV) auf „übrige Passivposten“ (§ 14 BsGaV), so dass unter Dotationskapital das nicht zinstragende Eigenkapital zu verstehen ist. Beschränkung auf buchführende Gewerbetreibende. Inländischen Betriebsstätten 8.8 ausländischer Unternehmen ist grundsätzlich jener „Anteil am Eigenkapital des Unternehmens zuzuordnen, der ihrem Anteil an den Vermögenswerten sowie den Chancen und Risiken im Verhältnis zum übrigen Unternehmen entspricht (Kapitalaufteilungsmethode)“ (§ 12 Abs. 1 BsGaV). Voraussetzung ist aber, dass das ausländische Unternehmen nach ausländischem Recht buchführungspflichtig ist oder freiwillig Bücher führt. In der Begründung für diese Voraussetzung wird zum Ausdruck gebracht, dass die Regelungen zum Dotationskapital nur auf Betriebsstätten bilanzierender Unternehmen angewendet werden können, da nichtbilanzierende Unternehmen weder eine Bilanz erstellen, noch Eigenkapital ausweisen.2 Stattdessen soll der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, das nach ausländischem Recht nicht buchführungspflichtig ist und auch tatsächlich keine Bücher führt, ein Finanzierungsaufwand nur zuzuordnen sein, soweit dieser im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht (§ 15 Abs. 4 BsGaV). Diese Zuordnung beschränkt einseitig den Abzug von Finanzierungsaufwand zu Lasten der inländischen Bemessungsgrundlage, ist aber der Tatsache geschuldet, dass gegenüber nichtbilanzierenden Unternehmen keine „unverhältnismäßige Anforderungen gestellt werden“3, wenn auch die Wirtschaftsgüter des Anlage- und Umlaufvermögens unter Angabe der Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder des an deren Stelle tretenden Werts in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse aufzunehmen und weitere Bewertungsvorschriften zu beachten sind (§ 4 Abs. 5 BsGaV, § 4 Abs. 3, § 6 Abs. 7 EStG).

teilung (im Folgenden VWG BsGa); BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917 – VWG Dotationskapital; letzteres BMF-Schr. ist aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2015 verwirklicht werden. 1 Siehe hierzu etwa OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 105 f., http://www.oecd. org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establishments-german.pdf, im Englischen abrufbar unter https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/45689524.pdf. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14, 76 v. 28.8.2014, Verordnung des Bundesministeriums der Finanzen zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 des Außensteuergesetzes (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), Begründung zu § 12 Abs. 1 BsGaV. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14, 55 v. 28.8.2014, Begründung zu § 3 Abs. 5 BsGaV.

Oestreicher

253

Kap. 8 Rz. 8.9 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

8.9 Berücksichtigung der Chancen und Risiken. Das Dotationskapital ist grundsätzlich zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs festzustellen. Offen bleibt aber die Art und Weise, in der die Chancen und Risiken des Unternehmens bei der Kapitalaufteilung zu berücksichtigen sind. Da Chancen und Risiken lediglich dann selbständig bilanzierungsfähig sind, wenn sie sich in Form selbständiger Vermögenswerte1, Schulden oder Rückstellungen manifestiert haben, kann die Bilanz des Unternehmens insoweit nur „Ausgangspunkt für die Hilfs- und Nebenrechnung sein oder unter Berücksichtigung des Einzelfalls der Hilfs- und Nebenrechnung entsprechen.“2 Daher wird man die Vorschrift so lesen müssen, dass entweder die Bilanzansätze des Unternehmens dem Grunde nach um die nicht bilanzierungsfähigen Chancen und Risiken zu erweitern, oder aber die ausgewiesenen Vermögenswerte der Höhe nach so anzupassen sind, dass sich die Chancen und Risiken des Unternehmens darin reflektieren.3 Abs. 3 dieser Vorschrift unterstellt wohl die zweite Option, wenn davon die Rede ist, dass die Vermögenswerte mit Werten anzusetzen sind, „die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und die die Chancen und Risiken berücksichtigen“ (§ 12 Abs. 3 BsGaV). Diese Lösung kann aber nicht überzeugen, wenn sich die Chancen in einem Firmenwert manifestieren. Vergleichbares gilt für Risiken, die sich in nicht bilanziell ausgewiesenen Rückstellungen niederschlagen, wie das z.B. bei Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften der Fall ist.4 Man wird also davon ausgehen müssen, dass die Vermögenswerte bei der Bestimmung des Kapitalanteils um stille Reserven und Lasten, die in diesen Vermögenswerten ruhen, zu korrigieren sowie um darüber hinaus gehende, nicht bilanzierte Chancen und Risiken zu ergänzen sind. b) Höhe des Eigenkapitals des ausländischen Unternehmens

8.10 Ermittlung des Eigenkapitals nach deutschem Steuerrecht. Für die Zuordnung von Dotationskapital nach der Kapitalaufteilungsmethode (Rz. 2.45 ff.) ist die Höhe des Eigenkapitals des ausländischen Unternehmens nach deutschem Steuerrecht zu bestimmen. Diese Vorgabe steht im Einklang mit den allgemeinen Prinzipien der Einkommensermittlung, für die in Deutschland grundsätzlich das deutsche Steuerrecht maßgebend ist.5 Da sich dieses Eigenkapital bei buchführenden Unternehmen 1 Die Finanzverwaltung verwendet den Begriff der „Vermögenswerte“, definiert ihn aber nicht, sondern verweist lediglich auf den OECD-Betriebsstättenbericht, vgl. VWG BsGa, Rz. 58; insoweit muss man davon ausgehen, dass dieser Begriff einen im Vergleich zum „Wirtschaftsgut“ abweichenden Inhalt haben kann; zur Kritik im vergleichbaren Sachverhalt der Dokumentationspflicht für immaterielle „Werte“ s. Oestreicher/Hillmann, IStR 2017, 647. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 51, Begründung zu § 3 Abs. 1 BsGaV. 3 Ob man diese Vorgabe schon deshalb beiseiteschieben darf, da es „sinnvoller“ oder „einfacher“ ist, auf Buchwerte abzustellen (vgl. Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.144–4.148), darf bezweifelt werden, so auch Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 889; zur Vereinfachung s. unten Rz. 8.11. 4 Vgl. VWG BsGa, Rz. 135 ff. 5 Eine Ausnahme besteht nach den Grundsätzen der Finanzverwaltung für die Ermittlung der umlagefähigen Aufwendungen bei Umlageverträgen zwischen international verbundenen Unternehmen, vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122

254 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.11 Kap. 8

aus der Differenz zwischen dem Wert der Wirtschaftsgüter, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten ergibt, die nach den Vorgaben des Einkommensteuerrechts (insbesondere §§ 4–7k EStG) und anderer Steuergesetze zu ermitteln sind, ergibt sich, dass die Bilanzansätze des ausländischen Unternehmens in einem ersten Schritt auf die Vereinbarkeit mit den Vorschriften des deutschen Bilanzrechts (erste Gewinnermittlungsstufe) zu prüfen sind.1 Da weitere Vorgaben fehlen, wird man davon ausgehen dürfen, dass die Ermittlung des Eigenkapitals auf Basis der ausländischen Handelsbilanz vorgenommen werden kann, indem die maßgebenden „Ansätze und Beträge durch Zusätze oder Anmerkungen“ in Gestalt z.B. einer Mehr- oder WenigerRechnung den steuerlichen Vorschriften angepasst werden.2 Zwar ist diese Anpassung von Ansätzen und Beträgen gängige Praxis und im Rahmen der Gewinnermittlung weit verbreitet. Sie dürfte aber wesentlich aufwendiger sein, wenn die Bilanz auf ausländischem Recht beruht, und sollte von daher mit Augenmaß erfolgen dürfen, da sich der Zweck dieser Übung in der Ermittlung des Dotationskapitals erschöpft. Vereinfachte Ermittlung und Beweisführung. Dementsprechend erlaubt die BsGaV, 8.11 dass aus Vereinfachungsgründen „das eingezahlte Kapital zuzüglich der Rücklagen und Gewinnvorträge und abzüglich der Verlustvorträge entsprechend der ausländischen Bilanz des Unternehmens zugrunde gelegt werden“ kann (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Dazu hat das Unternehmen glaubhaft zu machen, dass das vereinfachend ermittelte Eigenkapital „nicht erheblich von dem nach deutschem Steuerrecht anzusetzen Eigenkapital abweicht“ (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BsGaV), oder Abweichungen durch Anpassungen so angeglichen werden, dass das Eigenkapital nicht erheblich von dem Wert abweicht, der sich bei genauer Berechnung ergibt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Steuerpflichtige zeigen kann, dass die Ansatz- und Bewertungsvorschriften, die bei der Aufstellung des ausländischen Abschlusses zu beachten waren, den steuerlichen Vorschriften in Deutschland im Wesentlichen entsprechen. Dabei ist das Beweismaß insoweit herabgesetzt, als diese Übereinstimmung lediglich glaubhaft zu machen ist. Um glaubhaft machen zu können, dass der vereinfacht ermittelte Wert nicht wesentlich vom Eigenkapital nach deutschem Steuerrecht abweicht, genügt es zu zeigen, dass in den Ansatz- und Bewertungsvorschriften keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Dabei ist die Voraussetzung der „erheblichen Abweichung“ quantitativ zu verstehen. Darzustellen ist, dass sich bestehende Unterschiede auf den Wert des Eigenkapitals nicht wesentlich auswirken. Haben bestehende Unterschiede größere Bedeutung, „ist es grundsätzlich erforderlich, die Bilanzpositionen nach ausländischem Recht zunächst auf entsprechende Wertansätze nach deutschem Recht anzupassen.“3 Bestehende Unterschiede müssen aber auch in dieser Alternative nicht vollständig eliminiert werden. Sie gelten als unerheblich, wenn die verbleiTz. 2.1 – Verwaltungsgrundsätze Umlageverträge, aufgehoben für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2018 beginnen, und ersetzt durch BMF v. 5.7.2018 – IV B 5-S 1341/0:003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743. 1 Sind mehrere Bilanzen verfügbar, ist die Bilanz zu verwenden, die einer deutschen Steuerbilanz am ehesten entspricht, vgl. VWG BsGa, Rz. 133. 2 Siehe zu diesem Punkt § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV. 3 VWG BsGa, Rz. 134; hiervon sind z.B. auch Vermögenswerte betroffen, die die nach deutschem Steuerrecht erforderlichen Merkmale eines Wirtschaftsguts nicht erfüllen.

Oestreicher

255

Kap. 8 Rz. 8.11 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

benden Abweichungen nach überschlägiger Berechnung voraussichtlich weniger als 10 % des Eigenkapitals in der ausländischen Bilanz (nach Durchführung erforderlicher Anpassungen) ausmachen. Die Finanzverwaltung kann die Nachweise des Steuerpflichtigen durch eigene Berechnungen widerlegen. Beispiel: Das ausländische Unternehmen R unterhält eine Betriebsstätte P in Deutschland. In seiner Handelsbilanz weist R ein Eigenkapital i.H.v. 1.000 aus. Aufgrund drohender Verluste ist bei R eine entsprechende Rückstellung i.H.v. 30 ausgewiesen. Daneben sind die Wertansätze der Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens aufgrund der Anwendung einer degressiven Abschreibungsmethode und der Rückstellungen für Pensionen im Hinblick auf die in der ausländischen Handelsbilanz zulässige Anwendung eines Kapitalisierungssatzes i.H.v. 4 % aus Sicht der deutschen Steuerbilanz zu gering ausgewiesen; der Unterschiedsbetrag im Vergleich zur Anwendung der linearen Abschreibungsmethode wird auf 20, der Unterschiedsbetrag, der sich aus der Anwendung des für das deutsche Steuerrecht maßgebenden Kapitalisierungszinssatzes i.H.v. 6 % ergibt, auf 330 geschätzt. Schließlich ist aufgrund einer aktuellen Bewertung des Unternehmens bekannt, dass der originäre Firmenwert des Unternehmens einen Wert i.H.v. 560 hat. Für den Ansatz dieses Firmenwerts besteht in der Bilanz nach ausländischem Handelsrecht ein Verbot. Lösung: Rückstellungen für drohende Verluste dürfen in der Steuerbilanz nicht gebildet werden; das Eigenkapital ist daher um 30 zu erhöhen. Ein originärer Firmenwert darf weder nach ausländischem Handelsrecht noch nach deutschem Steuerrecht aktiviert werden. = Eigenkapital nach ausländischem Handelsbilanzrecht 1.000 + Anpassungen aufgrund von Rückstellungen für drohende Verluste 30 = Eigenkapital nach deutschem Steuerbilanzrecht 1.030 Da in der Steuerbilanz weder Gegenstände des Anlagevermögens degressiv abgeschrieben, noch bei der Bewertung von Pensionsrückstellungen ein Kapitalisierungssatz i.H.v. 4 % angewendet werden dürfen, beträgt die verbleibende Bewertungsunsicherheit 350.1 Diese Unsicherheit beträgt mehr als 10 % (nach erforderlichen Anpassungen), so dass die Voraussetzungen für die vereinfachte Ermittlung des Eigenkapitals nicht erfüllt sind. Der bei R vorhandene Firmenwert spielt bei der Bestimmung des Eigenkapitals, das für die Zuordnung des Dotationskapitals maßgebend ist, keine Rolle.

c) Bestimmung der Kapitalquote der inländischen Betriebsstätte

8.12 Berücksichtigung von Chancen und Risiken. Der Anteil des Dotationskapitals, der auf die Betriebsstätte entfällt, ergibt sich nach der Kapitalaufteilungsmethode aus dem Verhältnis der Vermögenswerte sowie der Chancen und Risiken (Rz. 2.43), die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, zu den Vermögenswerten sowie den Chancen und Risiken des Unternehmens insgesamt. Dabei sind die Vermögenswerte mit Werten anzusetzen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen. Zudem sind alle Chancen und Risiken zu berücksichtigen. Soweit Letztere mit den Vermögenswerten im unmittelbaren Zusammenhang stehen, sind diese in den Fremdvergleichspreisen der Vermögenswerte enthalten; anderenfalls sind sie separat zu erfassen. Dies gilt auch dann, wenn diese Chancen und Risiken „weder in der Bilanz noch in der Hilfs1 Um diese Unsicherheiten quantifizieren zu können, ist eine überschlägige Abweichungsanalyse erforderlich, vgl. Looks, in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 887.

256 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.14 Kap. 8

und Nebenrechnung erfasst sind.“1 Zu diesen Chancen können z.B. selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens oder ein originärer Firmenwert gehören. Genauer wird dieser Begriff weder in der BsGaV noch in den entsprechenden Verwaltungsgrundsätzen definiert. Für Risiken findet sich im Verwaltungsdokument dagegen eine beispielhafte Aufzählung. Genannt werden Lager-, Ausfall-, Wechselkurs-, Zins-, Markt- und Haftungsrisiken.2 Entsprechende Risiken werden in der Steuerbilanz entweder durch eine Abschreibung von Aktiva oder eine Zuschreibung von Passiva (z.B. eine Fremdwährungsverbindlichkeit) erfasst. Um unverhältnismäßigen Aufwand zu vermeiden, ist nach der Finanzverwaltung „nicht zu beanstanden, dass Chancen und Risiken, die nicht einzelnen Vermögenswerten oder Geschäftsvorfällen zugeordnet werden können […], pauschal berücksichtigt werden.“3 Dabei hat derjenige diese Chancen und Risiken glaubhaft zu machen, der sich auf sie beruft. Misslungenes Beispiel der Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung macht ihre 8.13 Position durch folgendes Beispiel einer bilanziell ausgewiesenen Gewährleistungsrückstellung klar, die zum Teil auf das Unternehmen (U) und die Betriebsstätte (B) entfällt, sowie durch die Berücksichtigung von Kontaminierungsrisiken, die in der Bilanz des Unternehmens durch eine Rückstellung, und bei der Bestimmung der Kapitalquote durch eine Abwertung des Vermögenswerts erfasst wird. Beispiel: Betrachtet sei ein Unternehmen, dessen nicht der Betriebsstätte zuzuordnenden Vermögenswerte von 1.700 mit Kontaminierungsrisiken in Höhe von 200 verbunden sind. Daneben weist das Unternehmen nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter von 200 und eine Gewährleistungsrückstellung von 200 aus. Auf die Betriebsstätte entfallen jeweils 100 dieser „Chancen und Risiken“. U B = Bilanzierte Vermögenswerte 1.700 500 – Abwertung aufgrund von Kontaminierungsrisiken – 200 + Nicht bilanzierte immaterielle Wirtschaftsgüter 200 100 – Gewährleistungsrückstellungen – 200 – 100 = Ergebnis 1.500 500 Nach den Daten des Beispiels beträgt die Kapitalquote 500/1.500; bei einem Eigenkapital i.H.v. 1.200 beträgt das Dotationskapital der Betriebsstätte damit 400.

Offene Fragen. Unklar bleibt nach den Grundsätzen der Finanzverwaltung, inwie- 8.14 weit z.B. drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu berücksichtigen sind. Diese Rückstellungen können zwar Geschäftsvorfällen, nicht aber Vermögenswerten zugerechnet werden. Vergleichbares gilt für Zins- und Wechselkursrisiken im Zusam-

1 VWG BsGa, Rz. 137: Man wird hier davon ausgehen müssen, dass sich der Begriff Bilanz auf das Rechenwerk bezieht, das der Bestimmung des Dotationskapitals zugrunde liegt. Unabhängig davon ist die Aktivierung nach deutschem Steuerrecht auf „Wirtschaftsgüter“ beschränkt, während die Hilfs- und Nebenrechnung „Vermögenswerte“ enthält (§ 3 Abs. 2 BsGaV). 2 VWG BsGa, Rz. 118. 3 VWG BsGa, Rz. 136, das folgende (indirekte) Zitat sowie das Beispiel beziehen sich auf Rz. 137.

Oestreicher

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Kap. 8 Rz. 8.14 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

menhang mit Verbindlichkeiten. Davon unabhängig ist an dieser Lösung aber zweierlei interessant.

8.15 Widerspruch zu den Prinzipien der OECD. Da die „Risikopositionen“ (Kontaminierungsrisiken, Gewährleistungsrückstellungen) ein negatives Vorzeichen haben, reduzieren sie das auf das Unternehmen und die Betriebsstätte entfallende Dotationskapital. Sind die Gewährleistungsrückstellungen i.H.v. 200 vollständig der Betriebsstätte zuzuordnen, wird aber auch deutlich, dass ein damit einhergehendes Risiko das Dotationskapital der Betriebsstätte vermindert. Beträgt bei einer Kapitalquote von (500 + 100 – 200)/1.500 und einem Eigenkapital von 1.200 das Dotationskapital nur noch 320, stellt sich die Frage, wie die dieser Berechnung zugrunde liegende Logik mit den Prinzipien der OECD im Einklang steht, denen zufolge „ein höheres Risiko ein entsprechend höheres Eigenkapital bedingt“.1 8.16 Konsistente Lösung. Um diesen Prinzipien zu genügen, erscheint es notwendig, dass unterschieden wird zwischen – Aufwendungen, die das Eigenkapital bereits gemindert haben, da bilanziell durch Abschreibungen, Zuschreibungen oder Rückstellungen vorgesorgt wurde, und – Risiken, für die das nicht gilt, und die insoweit aus den Rücklagen oder Gewinnen zu finanzieren sind (s. hierzu die Kommentierung zu § 14 Abs. 1 BsGaV in Rz. 8.33). Um das Beispiel der Finanzverwaltung halbwegs zu retten, müssten die Ausgangsdatendahin geändert werden, dass für die Gewährleistungsrückstellungen, „die nicht einzelnen Vermögenswerten oder Geschäftsvorfällen zugeordnet werden können“, eine bilanzielle Vorsorge unterblieben ist2 (anderenfalls haben sie ohnehin den Charakter einer Verpflichtung, reflektieren also keine Risiken). Daneben müssten Gewährleistungsrisiken, für die bilanziell nicht vorgesorgt wurde, d.h. keine Rückstellungen gebildet wurden, aber bei der Bestimmung der Kapitalquote addiert (nicht subtrahiert) werden.

8.17 Vereinfachungsregelung. Aus Vereinfachungsgründen können Buchwerte oder damit vergleichbare Werte aus den Unterlagen des ausländischen Unternehmens angesetzt werden, wenn das Unternehmen glaubhaft macht, dass diese Bewertung zu einer Kapitalquote führt, die nicht erheblich von der Quote abweicht, die sich bei einer Bewertung zu Fremdvergleichswerten ergäbe, oder dass Abweichungen durch Anpassungen so ausgeglichen werden, dass das Ergebnis nicht erheblich von der Kapitalquote abweicht, die sich bei der Bewertung zu Fremdvergleichswerten ermitteln würde. Die erste Voraussetzung ist erfüllt, wenn gezeigt werden kann, dass sich die stillen 1 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 76, Begründung zu § 12 Abs. 1 BsGaV; kritisch auch Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 888; im Unterschied zu Looks wird hier aber die Auffassung vertreten, dass nicht bilanzierte Risiken (nicht Rückstellungen) bei der Kapitalquote zu Recht Berücksichtigung finden müssen – sie erfordern aber, wie Vermögenswerte, ein höheres Dotationskapital; a.A. hierzu Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 (2010) OECD-MA Rz. 506. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 135.

258 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.19 Kap. 8

Reserven oder stillen Lasten nach dem Verhältnis der Buchwerte auf Unternehmen und Betriebsstätte verteilen. Die zweite Voraussetzung verlangt, dass ungleich verteilte Reserven oder Lasten identifiziert und bei der Berechnung berücksichtigt werden. Dabei ist es nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zu beanstanden, wenn die Kapitalquote nach Buchwerten um bis zu 10 Prozentpunkte von der zutreffend ermittelten Kapitalquote nach Fremdvergleichswerten abweicht. Beträgt die Kapitalquote nach Buchwerten z.B. 25 %, ist dieser Wert für die Bestimmung des Dotationskapitals anzuerkennen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass auf die Betriebsstätte mehr als 35 % oder weniger als 15 % entfallen sollte. d) Unterkapitalisierung des ausländischen Unternehmens Bestimmung des Dotationskapitals auf Basis des konsolidierten Eigenkapitals. 8.18 Ist das ausländische Unternehmen „unterkapitalisiert“ (Rz. 2.50), hat die Kapitalaufteilungsmethode zur Folge, dass, gemessen an den Vermögenswerten, Chancen und Risiken, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, das Dotationskapital seiner inländischen Betriebsstätte zu gering ist. Macht die Finanzierung der Betriebsstätte deshalb hohe Darlehenszuordnungen erforderlich, können Finanzierungsaufwendungen das Betriebsstättenergebnis stark vermindern oder Verluste zur Folge haben. Ergibt sich vor diesem Hintergrund „ein Dotationskapital, das dauerhaft zu Ergebnissen führt, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht bereit wäre hinzunehmen“, und gehört das ausländische Unternehmen, dessen Teil die Betriebsstätte ist, zu einer Unternehmensgruppe, die einem Konzern im Sinne des Aktiengesetzes (§ 18 AktG) entspricht, so ist das Dotationskapital auf Basis des konsolidierten Eigenkapitals zu bestimmen (§ 12 Abs. 4 BsGaV). Voraussetzungen sind mithin (1) ein nach der Kapitalaufteilungsmethode zugewiesenes Dotationskapital, das inakzeptable Ergebnisse zur Folge hat, (2) Ergebnisse, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht bereit wäre hinzunehmen und (3) eine Konzernzugehörigkeit des ausländischen Unternehmens. Voraussetzungen. Die Regelung ist nur anwendbar, wenn das Dotationskapital nach 8.19 der Kapitalaufteilungsmethode (Rz. 2.46 ff.) bestimmt wird, nicht aber, wenn ein Mindestkapital (§ 12 Abs. 5 BsGaV) zuzuordnen ist. Offen bleibt aber sowohl nach der BsGaV als auch den Grundsätzen der Verwaltung, unter welchen Umständen von „Unterkapitalisierung“ (vgl. Rz. 2.50) auszugehen ist,1 die ein Staat nicht hinzunehmen braucht.2 Weder sind horizontale oder vertikale Kapitalstrukturkennziffern maßgebend, noch wird ein Vergleich des Nettozinsaufwands mit dem steuerlichen EBITDA bemüht. Der Hinweis auf den „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter“ legt aber nahe, dass diese erste Voraussetzung auf der Basis eines Fremdvergleichs (Rz. 1.17) zu prüfen ist. Zweite Voraussetzung ist, dass das geringe Dotations1 Diese Voraussetzung ergibt sich aus § 12 Abs. 4 BsGaV, wenn es heißt, dass das zugewiesene Dotationskapital dauerhaft zu Ergebnissen führt; vergleichbar damit setzen die VWG BsGa voraus, dass „aufgrund der Unterkapitalisierung“ mit negativen Gesamtergebnissen zu rechnen ist, vgl. VWG BsGa, Rz. 140 Satz 3. 2 Siehe den Hinweis auf den Bericht der OECD in BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 79, Begründung zu § 12 Abs. 1 BsGaV.

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Kap. 8 Rz. 8.19 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

kapital zu Ergebnissen führt, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht bereit wäre hinzunehmen. Das ist nach Auffassung der Finanzverwaltung der Fall, wenn bei der Betriebsstätte auf Basis einer betriebswirtschaftlichen Prognoserechnung nach Abzug der Zinsaufwendungen innerhalb von fünf Jahren nicht mit einem positiven Gesamtergebnis zu rechnen ist. Diese Voraussetzung erinnert an die Rechtsprechung zu Dauerverlusten, die der BFH in Bezug auf Verrechnungspreise für Lieferungen an Konzernvertriebsgesellschaften entwickelt hat.1 Sie erscheint schon deshalb nicht unkritisch, da das Funktionsprofil der Betriebsstätte nur sehr mittelbar (über den Anteil der Betriebsstätte an den Vermögenswerten, Chancen und Risiken) Berücksichtigung findet. Dritte Voraussetzung ist schließlich die Konzernzugehörigkeit des ausländischen Unternehmens im Sinne des Aktiengesetzes. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das ausländische, rechtlich selbständige Unternehmen als herrschendes oder abhängiges Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens oder als unabhängiges Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst ist. Sie schafft Anreize zur Gewinnverlagerung durch konzerninterne Gestaltung der Kapitalstruktur und bietet die Möglichkeit, auf das konsolidierte Eigenkapital und die hiermit verbundene, marktübliche Kapitalstruktur abzustellen. Gleichordnungskonzerne sind allerdings nicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet, so dass für Gleichordnungskonzerne die Pflicht zur Bestimmung des Dotationskapitals auf Basis des konsolidierten Eigenkapitals mit erheblichem Aufwand verbunden sein kann.

8.20 Anteil am konsolidierten Eigenkapital. Werden die genannten Voraussetzungen erfüllt, ist das Dotationskapital der Betriebsstätte nach dem Anteil der Betriebsstätte am konsolidierten Eigenkapital zu bestimmen. Zu diesem Zweck ist in einem ersten Schritt das konsolidierte Eigenkapital der Unternehmensgruppe nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln. Dabei kann auch hier das eingezahlte Kapital zzgl. der Gewinnvorträge und abzgl. der Verlustvorträge entsprechend der Konzernbilanz zugrunde gelegt werden, wenn dieses Eigenkapital nicht erheblich vom Eigenkapital abweicht, das nach deutschem Steuerrecht anzusetzen ist oder Abweichungen durch Anpassungen ausgeglichen werden (s. hierzu Rz. 8.11). Zur Bestimmung der Kapitalquote sind die Vermögenswerte der Betriebsstätte zu den Vermögenswerten des Konzerns auf konsolidierter Basis heranzuziehen. Dabei sind die Vermögenswerte grundsätzlich zu Werten anzusetzen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und darin nicht erfasste Chancen und Risiken zu berücksichtigen. Aus Vereinfachungsgründen kann auf die Buchwerte abgestellt werden, wenn das Ergebnis nicht wesentlich von der Kapitalquote abweicht, die sich beim Ansatz der Fremdvergleichswerte ergäben, oder Abweichungen durch Anpassungen ausgeglichen werden können (s. hierzu Rz. 8.12). In ihrer Begründung zur Betriebsstättengewinnabgrenzungsverordnung bezieht sich die Finanzverwaltung zwar auf das „konsolidierte Gesamtkapital“. Hier dürfte aber das gesamte Eigenkapital der Unternehmensgruppe gemeint sein. Schwieriger erscheint der Bezug auf das „konsolidierte Eigenkapital der Unterneh1 Vgl. BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = FR 1993, 375; BFH v. 15.5.2002 – I R 92/00, BFH/NV 2002, 1538 = FR 2002, 1175 m. Anm. Pezzer; BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154, BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.

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A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.22 Kap. 8

mensgruppe“. Zwar ist geregelt, dass „Unternehmensgruppe“ ist, wer einem Konzern im Sinne des Aktiengesetzes entspricht (§ 12 Abs. 4 BsGaV). Offen bleibt aber, welcher Konzernabschluss gegebenenfalls zugrunde zu legen ist, ob ein nach ausländischem Recht erstellter Konzernabschluss herangezogen werden kann und ob es für Zwecke einer Bestimmung der Kapitalquote zu akzeptieren ist, wenn im Einklang mit den jeweils zugrunde liegenden Rechnungslegungsvorschriften auf die Einbeziehung von Gruppengesellschaften verzichtet wird.1 Die weitgehenden Verweise auf korrespondierende Regelungen (§ 12 Abs. 4 Nr. 1, 2 BsGaV), der damit verbundene Vereinfachungsgedanke und die Zulässigkeit „überschlägiger Berechnungen“2 legen aber nahe, dass diese Fragen positiv zu beantworten sind. e) Untergrenze Tatsächlich ausgewiesenes Kapital. Erstellt das ausländische Unternehmen für sei- 8.21 ne inländische Betriebsstätte eine Handelsbilanz, darf das in dieser Bilanz ausgewiesene Eigenkapital bei der Zuordnung des Dotationskapitals nicht unterschritten werden. Die Finanzverwaltung sieht in dieser Zuordnung eines höheren Dotationskapitals – neben den hiermit verbundenen Vorteilen aus fiskalischer Sicht – eine bewusste Entscheidung des Unternehmens, die dieses im Interesse einer erfolgreichen Tätigkeit auf dem inländischen Markt aus betriebswirtschaftlichen Gründen getroffen hat. Daher ist ungeachtet der Regelungen über die Bestimmung des Dotationskapitals nach der Kapitalaufteilungsmethode oder im Fall der Unterkapitalisierung des ausländischen Unternehmens (§ 12 Abs. 1–4 BsGaV) mindestens das in der Handelsbilanz der inländischen Betriebsstätte tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zuzuordnen. f) Anpassung des Dotationskapitals einer inländischen Betriebsstätte Unterjährige Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Ändern sich die 8.22 wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb des Wirtschaftsjahrs, ist das Dotationskapital entsprechend anzupassen. Dies ist der Fall, wenn sich die Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten (vgl. Rz. 7.74 ff.), oder von Chancen und Risiken gegenüber den Verhältnissen zu Beginn des Wirtschaftsjahrs ändert und diese Änderung zu einer erheblichen Veränderung des zu Beginn des Wirtschaftsjahrs nach der Kapitalaufteilungsmethode ermittelten Dotationskapitals führt. Die sich ergebende Veränderung des Dotationskapitals ist erheblich, wenn das danach maßgebende Dotationskapital um mehr als 20 % vom Stand des Dotationskapitals zu Beginn des Wirtschaftsjahrs abweicht.3 Nach den Grundsätzen der Verwaltung kann eine unter1 Nach deutschem Handelsrecht darf unter bestimmten Voraussetzungen auf die Einbeziehung von Konzerngesellschaften verzichtet werden, s. dazu § 296 HGB. 2 Vgl. z.B. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 77, Begründung zu § 12 Abs. 2 BsGaV. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 80, Begründung zu § 12 Abs. 6 BsGaV, mit Hinweis auf BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917 Tz. 2.1.2 Buchst. c, aufgehoben für Steuertatbestände, die nach dem 31.12.2015 verwirklicht werden; VWG BsGa, Rz. 143; in ihren Verwaltungsgrundsätzen definiert die Finanzverwaltung das Kriterium der erheblichen Veränderung mit Bezug auf das Dotationskapital zu Beginn des folgenden

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Kap. 8 Rz. 8.22 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

jährige Anpassung aber unterbleiben, wenn sie erst gegen Ende des Jahrs eintritt und die Auswirkungen deshalb gering sind. Eine Verringerung des Dotationskapitals der inländischen Betriebsstätte ist nach der Finanzverwaltung nur anzuerkennen, wenn nachgewiesen wird, dass das ausländische Unternehmen im Ausland die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen hat.

8.23 Kein Bilanzenzusammenhang. Zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs ist das Dotationskapital nach der Kapitalaufteilungsmethode neu festzustellen, es erfolgt keine eigenständige Fortschreibung des Dotationskapitals um Betriebsstättengewinne oder -verluste, Einlagen oder Entnahmen, so dass im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung der Bilanzenzusammenhang insoweit durchbrochen ist. 2. Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen a) Mindestkapitalausstattungsmethode

8.24 Beschränkung auf ein Mindestkapital. Im Unterschied zum Dotationskapital inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen ist der ausländischen Betriebsstätte eines nach inländischem Recht buchführungspflichtigen oder tatsächlich Bücher führenden, inländischen Unternehmens zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs Dotationskapital nur zuzuordnen („Mindestkapital“ (vgl. Rz. 2.47)), soweit das Unternehmen glaubhaft macht, dass ein Dotationskapital in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist (§ 13 Abs. 1 BsGaV).1 Hierzu muss der Steuerpflichtige darlegen, dass diese Notwendigkeit überwiegend wahrscheinlich ist. Sie kann sich z.B. aus haftungsrechtlichen Zusammenhängen oder anderen Gründen ergeben, die mit Anforderungen an die Kapitalausstattung verbunden sind, da aufgrund des Funktions- und Risikoprofils der Betriebsstätte ein Markt- oder Schadenrisiko zu tragen ist.2 Wird dieses Mindestkapital nicht glaubhaft gemacht, kann ein Dotationskapital nicht zugeordnet werden; das Dotationskapital hat den Wert null.3 8.25 Zuordnung des maßgebenden Zinsaufwands. Die Mindestkapitalausstattung soll vermeiden, dass das Dotationskapital der ausländischen Betriebsstätte überhöht und Verbindlichkeiten unterzeichnet werden, da dies zur Folge hätte, dass der korrespondierende Zinsaufwand im übrigen Unternehmen (und damit auch im Inland) abgezogen würde. Die Beschränkung auf das Eigenkapital, das aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist, wird als „Mindestkapitalausstattungsmethode“ (Rz. 2.47) bezeichnet. Sie findet nur Anwendung auf Betriebsstätten bilanzierender

Wirtschaftsjahrs und setzt eine Abweichung von 30 % und mindestens 2 Mio. Euro voraus. 1 Zur Kritik s. Kraft/Dombrowski, FR 2014, 1112; Heinsen, DB 2017, 87. 2 Hinweise darauf geben z.B. in der Vergangenheit eingetretene oder für die Zukunft erwartete negative Zahlungssalden, vgl. Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.156. 3 Siehe hierzu auch die Beispiele in den VWG BsGa, Rz. 144; danach ist für die Finanzverwaltung ein Dotationskapital nicht erforderlich, wenn die Betriebsstätte einfache Dienstleistungen erbringt, keine Vermögenswerte finanziert oder nennenswerte Risiken trägt.

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A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.27 Kap. 8

Unternehmen, da nichtbilanzierende Unternehmen weder eine Bilanz erstellen, noch Eigenkapital ausweisen.1 Stattdessen soll der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens, das nach inländischem Recht nicht buchführungspflichtig ist und auch tatsächlich keine Bücher führt, ein Finanzierungsaufwand des inländischen Unternehmens nur zuzuordnen sein, wenn dieser im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht. Der ausländischen Betriebsstätte ist mindestens der Anteil des Finanzierungsaufwands zuzuordnen, der ihrem Anteil an den Außenumsätzen des Unternehmens entspricht (§ 15 Abs. 5 BsGaV; s. hierzu Rz. 8.72). Vergleichbares gilt für die im Folgenden dargestellten Methoden zur Bestimmung des Dotationskapitals. b) Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode Typisierende Annahme. Wenn es dem Fremdvergleich besser entspricht, kann der 8.26 Betriebsstätte ein über das Mindestkapital hinausgehendes Dotationskapital zugeordnet werden. Das Dotationskapital darf aber den Betrag nicht übersteigen, der sich nach der Kapitalaufteilungsmethode (Rz. 2.45 ff.) ergibt. Für die Berechnung dieses Höchstbetrags sind die für die Besteuerung maßgebenden Bilanzansätze zugrunde zu legen, wenn nicht der Ansatz anderer Werte dem Fremdvergleich besser entspricht (§ 13 Abs. 2 BsGaV). Nachweisrisiko liegt beim Steuerpflichtigen. Kann der Steuerpflichtige nachwei- 8.27 sen, dass die Mindestkapitalausstattung dem Fremdvergleich nicht ausreichend entspricht, darf er der ausländischen Betriebsstätte ein höheres Dotationskapital zuordnen. Diese „Ausnahme“ erscheint selbstverständlich, wenn man den Anspruch der Finanzverwaltung, mit der BsGaV den Grundsatz des Fremdvergleichs auf den Betriebsstättenkontext anzuwenden, ernst nimmt. Durch den Regel-Ausnahme-Zusammenhang von Mindestkapitalausstattungsmethode und Kapitalaufteilungsmethode wälzt die Finanzverwaltung aber das Nachweisrisiko auf den Steuerpflichtigen ab und nimmt in Kauf, dass es zu einer nicht fremdüblichen Kapitalzuordnung und Doppelbesteuerungen kommt. Unabhängig davon kann der Fremdvergleich in diesem Zusammenhang nur durch einen internen Vergleich des Dotationskapitals in Bezug auf die der Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerte Chancen und Risiken vollzogen werden. Hier räumt die Finanzverwaltung in ihren Verwaltungsgrundsätzen ein, dass das Unternehmen eine höhere Dotation auf Basis eines Vergleichs der Funktionen, Vermögenswerte und Risiken der Betriebsstätte mit denen des übrigen Unternehmens begründen und „anhand von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen“ belegen kann.2 Zwar geht die Finanzverwaltung auf diese Kennziffern nicht ein, denkbar sind aber z.B. horizontale Kapitalstrukturkennzahlen; ein externer Vergleich des Dotationskapitals mit dem Eigenkapital eines rechtlich selbständigen Unternehmens er-

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 76, Begründung zu § 12 Abs. 1 BsGaV. 2 VWG BsGa, Rz. 146, 148.

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263

Kap. 8 Rz. 8.27 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

scheint dagegen nicht zulässig, da die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für die Bestimmung des Dotationskapitals grundsätzlich ausgeschlossen wird.1

8.28 Begrenzung nach Maßgabe der Kapitalaufteilungsmethode. In jedem Fall ist die Zuordnung eines höheren Dotationskapitals nach oben durch den Betrag begrenzt, der sich aus der Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode auf das Eigenkapital des inländischen Unternehmens ergibt. Insoweit kommt dem Betrag, der sich nach der Kapitalaufteilungsmethode ergibt, die Funktion einer Obergrenze zu. Zur Bestimmung dieser Obergrenze ist der ausländischen Betriebsstätte zu Beginn eines Wirtschaftsjahrs derjenige Anteil am Eigenkapital des Unternehmens zuzuordnen, der ihrem Anteil an den Vermögenswerten sowie den Chancen und Risiken im Verhältnis zum übrigen Unternehmen entspricht (s. hierzu § 12 Abs. 1 BsGaV und Rz. 8.12). Maßgebend ist das Eigenkapital des (inländischen) Unternehmens nach deutschem Steuerrecht; die Möglichkeit der Vereinfachung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV) läuft hier insoweit leer. Im Unterschied zu der Bestimmung des Dotationskapitals inländischer Betriebsstätten ausländischer Unternehmen ist aber bei der Bestimmung der Kapitalquote (§ 12 Abs. 3 BsGaV) grundsätzlich auf die Buchwerte abzustellen. Das gilt hier in einer Art Umkehrung des Regel-Ausnahme-Zusammenhangs in Bezug auf den Ansatz der Marktwerte nur dann nicht, wenn der Ansatz „anderer Werte“ im Einzelfall zu einem Ergebnis der Betriebsstätte führt, das dem Fremdvergleich besser entspricht (§ 13 Abs. 2 Satz 3 BsGaV). In ihrem Anwendungsbeispiel macht die Finanzverwaltung klar, dass mit diesen anderen Werten die Fremdvergleichswerte der bilanzierten und nicht bilanzierten Wirtschaftsgüter gemeint sind. Beispiel: Das Unternehmen U weist in seiner Bilanz folgende Buchwerte aus und ermittelt zudem für U und die Betriebsstätte B die in Klammern stehenden Fremdvergleichswerte. U B + Grundstücke 100 (500) 0 (0) + Maschinelles Anlagevermögen 600 (600) 100 (100) + Immaterielles Vermögen 0 (400) 0 (400) + Umlaufvermögen 300 (300) 100 (100) = Gesamtvermögen 1.000 (1.800) 200 (600) Beträgt das Eigenkapital des Unternehmens 400, ergeben sich nach den Daten des Beispiels eine Kapitalquote auf Basis der Buchwerte i.H.v. 200/1.000 = 20 % und ein Dotationskapital i.H.v. 80. Legt man die Marktwerte des Vermögens zugrunde, ergeben sich eine Kapitalquote von 600/1.800 = 30 % und ein Dotationskapital i.H.v. 120. Dieser höhere Wert darf in der Betriebsstätte B auch dann ausgewiesen werden, wenn ein Mindestkapital i.H.v. z.B. 100 ermittelt wurde. Die Betriebsstätte hat aber glaubhaft zu machen, dass der höhere Betrag dem Fremdvergleichswert besser entspricht.

8.29 Berücksichtigung von Risiken. Auf die Berücksichtigung von Risiken geht die Finanzverwaltung nicht ein; sie sollten aber in gleicher Weise Berücksichtigung finden, wie das bei inländischen Betriebsstätten der Fall ist (s. hierzu Rz. 8.9, Rz. 8.12). 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 99 ff.; anders offensichtlich Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.157.

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A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.31 Kap. 8

c) Ausnahmeregelung Höheres Dotationskapital. Ein höheres Dotationskapital im Vergleich zum Auftei- 8.30 lungsbetrag nach der Kapitalaufteilungsmethode darf nur zugeordnet werden, wenn außersteuerliche ausländische Vorschriften dieses höhere Dotationskapital vorschreiben. Beispiele hierfür sind regulatorische Anforderungen an das Mindestkapital einer Bank oder Versicherung (vgl. Kap. 14 und 15, Rz. 14.1 ff. und Rz. 15.1 ff.) nach Maßgabe des ausländischen Banken- und Versicherungsaufsichtsrechts. Dieser Ansatz dürfte dem Grundsatz des Fremdvergleichs besser entsprechen, da die z.B. aufsichtsrechtlichen Regelungen von allen Marktteilnehmern zu beachten sind. Hintergrund dürfte zudem sein, dass internationale Steuerkonflikte vermieden werden, wenn die Notwendigkeit eines höheren Dotationskapitals im Ausland keine Berücksichtigung finden würde – eine Vorbedingung, auf die sowohl die Gesetzesbegründung als auch die Verwaltungsgrundsätze abstellen,1 ergibt sich aus der Rechtsverordnung nicht (§ 13 Abs. 3 BsGaV). Keine Rolle spielt, wenn das ausländische Steuerrecht ein höheres Dotationskapital fordert. Abweichende steuerliche Vorschriften des Auslands schränken das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik nicht ein, mögliche Konflikte sind auf Basis der Regelungen des maßgebenden DBA zu lösen. Beispiel: Im oben dargestellten Sachverhalt will das Unternehmen ein Dotationskapital i.H.v. 120 ansetzen. Ein im Betrag über den Wert von 120 hinausgehendes Dotationskapital ist (nur) anzuerkennen, wenn außersteuerliche Vorgaben im Ausland diesen höheren Betrag erforderlich machen.

d) Obergrenze Höchstwert. In allen Fällen ist der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen 8.31 Unternehmens maximal das Dotationskapital zuzuordnen, dass das Unternehmen in einer für die Betriebsstätte gegebenenfalls aufzustellenden Handelsbilanz ausgewiesen hat. Für die Finanzverwaltung gibt die Höhe des bilanziell ausgewiesenen Eigenkapitals Antwort auf die Frage, welches Eigenkapital aus betriebswirtschaftlicher Perspektive notwendig ist, um auf dem ausländischen Markt tätig zu sein. Es begrenzt sowohl die Höhe eines ausgewiesenen Mindestkapitals, des Höchstwerts nach der Kapitalaufteilungsmethode und einer bestehenden Kapitalanforderung nach außersteuerlichen Vorschriften. Beispiel: Im oben dargestellten Sachverhalt hat das Unternehmen in der für die Betriebsstätte erstellten Handelsbilanz ein Dotationskapital von 110 ausgewiesen. Wurde das Dotationskapital in der Handelsbilanz mit einem Wert i.H.v. 110 ausgewiesen, wird das steuerlich anzuerkennende Dotationskapital durch diesen Ausweis auf den Betrag i.H.v. 110 begrenzt.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 82, Begründung zu § 13 Abs. 3 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 149.

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Kap. 8 Rz. 8.32 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

e) Anpassung des Dotationskapitals einer ausländischen Betriebsstätte

8.32 Veränderungen innerhalb des Wirtschaftsjahres. Ändern sich, da Personalfunktionen, Vermögenswerte (vgl. hierzu Rz. 7.115 ff.) oder Chancen und Risiken (Rz. 7.173 ff.) anders zuzuordnen sind, innerhalb des Wirtschaftsjahrs die wirtschaftlichen Verhältnisse, ist das Dotationskapital entsprechend anzupassen, wenn die neuen Werte im Vergleich zu den Beträgen, die der Kapitalaufteilungsmethode zu Beginn des Wirtschaftsjahrs zugrunde zu legen waren, zu einer erheblichen Veränderung des Dotationskapitals führen. Die sich ergebende Veränderung des Dotationskapitals ist erheblich, wenn das danach maßgebende Dotationskapital um mehr als 20 % vom Stand des Dotationskapitals zu Beginn des Wirtschaftsjahrs abweicht.1 Nach den Grundsätzen der Verwaltung kann eine unterjährige Anpassung unterbleiben, wenn sie erst gegen Ende des Jahrs eintritt und die Auswirkungen deshalb gering sind. Eine Verringerung des Dotationskapitals der inländischen Betriebsstätte wird durch die Finanzverwaltung nur anerkannt, wenn nachgewiesen wird, dass das ausländische Unternehmen im Ausland die entsprechenden steuerlichen Konsequenzen gezogen hat.2 8.33 Kein Bilanzenzusammenhang. Zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs ist das Dotationskapital nach der Kapitalaufteilungsmethode neu festzustellen, es erfolgt keine eigenständige Fortschreibung des Dotationskapitals um Betriebsstättengewinne oder -verluste, Einlagen oder Entnahmen, so dass im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung (Rz. 12.38 ff.) der Bilanzenzusammenhang insoweit durchbrochen ist. 3. Zuordnung übriger Passivposten a) Direkte Methode

8.34 Unmittelbarer Zusammenhang mit Chancen und Risiken. Der Betriebsstätte direkt zuzuordnen sind „nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals“ (§ 14 Abs. 1 BsGaV) die übrigen Passivposten des Unternehmens, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Chancen und Risiken stehen. Voraussetzung ist, dass das Unternehmen nach in- oder ausländischem Recht buchführungspflichtig ist oder tatsächlich Bücher führt (s. zu dieser Voraussetzung die Ausführungen zu § 12 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 BsGaV unter Rz. 8.8 sowie Rz. 8.24). Übrige Passivposten sind nach der Begründung der BsGaV diejenigen Bestandteile der Passivseite der Hilfs- und Nebenrechnung, die nach Abzug der zu berücksichtigenden Risiken (siehe hierzu Rz. 8.15) und des Dotationskapitals verbleiben. Nicht zu den übrigen Passivposten

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 83, Begründung zu § 13 Abs. 5 BsGaV. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 151; in ihren Verwaltungsgrundsätzen definiert die Finanzverwaltung das Kriterium der erheblichen Veränderung mit Bezug auf das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs und setzt eine Abweichung von 30 % und mindestens 2 Mio. Euro voraus.

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A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.36 Kap. 8

gehören die in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken; Letztere sind der Betriebsstätte „vorrangig zuzuordnen (§§ 10, 12 und 13)“1. Widersprüchlicher Regelungsinhalt. Die Vorgaben dieses Abschnitts in Bezug auf 8.35 die vorrangige Zuordnung von Risiken erscheinen nicht klar. Dazu trägt bei, dass Unterabschnitt 3 der BsGaV auf „Dotationskapital, übrige Passivposten und Finanzierungsaufwendungen“ Bezug nimmt, explizit weder Chancen noch Risiken zu den Bestandteilen der Hilfs- und Nebenrechnung gehören (§ 3 Abs. 2 BsGaV)2 und die Begriffe Chancen und Risiken in der BsGaV inhaltlich unbestimmt bleiben. Letztere können mit Vermögenswerten im Zusammenhang stehen, aber auch losgelöst davon bestehen (§ 10 Abs. 1, 2 BsGaV). Zwar werden die Grundsätze der Finanzverwaltung in Bezug auf Risiken insoweit konkretisiert, als beispielhaft Lager-, Ausfall-, Wechselkurs-, Zins-, Markt-, Haftungsrisiken und ein drohender Schadenersatz genannt werden. Offen bleibt aber die mögliche Einordnung dieser Risiken aus bilanzieller Sicht.3 Inhaltlich nicht begründete Zuordnung von Risiken. Davon unabhängig erscheint 8.36 aber die von den übrigen Passivposten getrennte („nach der Zuordnung der […] Risiken und des Dotationskapitals“; § 14 Abs. 1, 2 BsGaV), vorrangige Zuordnung von Risiken auch inhaltlich nicht begründet. Im materiellen Sinn bedeutet Risiko die Gefahr, dass sich die für eine Entscheidung erheblichen Parameter gegenüber dem Plan oder im Hinblick auf eine bestehende Zielsetzung ungünstig entwickeln. Stellt man hierbei die mögliche Folge oder Wirkung des Risikos in den Vordergrund, besteht das Risiko in der möglichen Abweichung vom erwarteten Zielwert (Verlustgefahr), während Chancen günstige Abweichungen von einem Referenzwert sind.4 Im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung – und damit auch der Hilfs- und Nebenrechnung – wird die Berücksichtigung von Chancen und Risiken nach deutschem Steuerrecht durch das Realisations- und Imparitätsprinzip (Rz. 4.16 und Rz. 4.7) begrenzt. Danach dürfen Chancen erst berücksichtigt werden, wenn sie sich in Ansprüchen auf eine Gegenleistung verfestigt haben. Was Verlustgefahren betrifft, dürfen Wirtschaftsgüter mit dem Teilwert angesetzt werden, wenn dieser Wert aufgrund einer dauerhaften Wertminderung unter den Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 2 EStG). Umgekehrt dürfen Verbindlichkeiten mit dem höheren Teilwert angesetzt werden, wenn dieser Wert aufgrund einer dauerhaften Werterhöhung über dem Erfüllungsbetrag liegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG). Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften dürfen (mit Ausnahme in Bezug auf Ergebnisse aus der finanzwirtschaftlichen Absicherung mithilfe von Bewertungseinheiten) nicht gebildet werden (§ 5 Abs. 1a, 4a EStG). Damit können sich Chancen 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 83, Begründung zu § 14 Abs. 1 BsGaV, dort auch das folgende direkte Zitat; VWG BsGa, Rz. 152. 2 Risiken sind nur insoweit erfasst, als sie zu den Bestandteilen gehören, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunktionen zuzuordnen sind und die folgende Aufzählung nicht enumerativ ist. 3 Auf dieses Problem wurde bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung des Dotationskapitals hingewiesen, s. Rz. 8.12 ff. 4 Siehe hierzu Oestreicher, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung von Zinsterminkontrakten, Düsseldorf, 1992, S. 10 f.

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Kap. 8 Rz. 8.36 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

auch implizit nicht und Risiken nur im Rahmen eines niedrigeren Teilwerts in der Hilfs- und Nebenrechnung (Rz. 12.38 ff.) manifestieren.

8.37 Verpflichtungen sind keine Risiken, Risiken keine Verpflichtungen. Andere Rückstellungen1 werden auf Basis des Realisationsprinzips gebildet; sie sind keine Risiken, sondern bereits eingetretene Verpflichtungen. Voraussetzung ist, dass sie rechtlich entstanden oder wirtschaftlich verursacht sowie hinreichend konkretisiert sind; der Steuerpflichtige muss ernsthaft damit rechnen, aus dieser Verpflichtung in Anspruch genommen zu werden. Im Unterschied zu Verbindlichkeiten sind bei Rückstellungen zwar der Schuldgrund und die Höhe der Verpflichtung unsicher, so dass die die tatsächliche Auszahlung im Erfüllungszeitpunkt vom Betrag, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist, abweichen kann – die hiermit verbundenen Chancen und Risiken werden aber nicht bilanziert und damit auch nicht zu Lasten des Gewinns sowie des Eigenkapitals verrechnet. 8.38 Rückstellungen. Der Schuldencharakter von Rückstellungen zeigt sich auch in der Tatsache, dass Verpflichtungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist, anzusammeln sind, bis im Erfüllungszeitpunkt der Betrag einer noch unerfüllten Zahlungspflicht vollständig erreicht ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 3, 3a Buchst. d, § 6a EStG). Gleiches gilt bei unverzinslichen Verbindlichkeiten und Rückstellungen für die Verpflichtung, deren Barwert im Zeitablauf fortzuschreiben (§ 6 Abs. 1 Nr. 3, 3a Buchst. e EStG). 8.39 Gefahr der Doppelzählung. Schließlich spricht ein weiterer Grund gegen die vorrangige Zuordnung von Risiken. Werden diese bei der Bestimmung der Kapitalquote und des Dotationskapitals sachgerecht erfasst (s. hierzu Rz. 8.15), erhöhen sie das der Betriebsstätte zuzuordnende Eigenkapital und werden durch eine vorrangige Zuordnung bei der Aufstellung einer Betriebsstättenbilanz (Rz. 2.20) doppelt erfasst. 8.40 Schlussfolgerungen in Bezug auf auszuweisende Risiken. Nimmt man alles zusammen, lassen die hier vorgetragenen Überlegungen nur den Schluss zu, dass unter den „in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken“ (§ 14 Abs. 1, 2 BsGaV) die in der Bilanz des Unternehmens auszuweisenden Passivposten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken stehen (und für die nach deutschem Steuerrecht Rückstellungen zu bilden wären), zu verstehen sind.2 Die auf Ebene der BsGaV und der Finanzverwaltung erfolgte Gleichsetzung von auszuweisenden Risiken und Rückstellungen führt bei der Bestimmung der Kapitalquote und des Dotationskapitals zu Ergebnissen, die mit den Grundsätzen der 1 Siehe hierzu das Beispiel der vorrangig zugeordneten Gewährleistungsrückstellung in den VWG BsGa, Rz. 153. 2 Anders Andresen, der auch Rückstellungen den übrigen Passivposten zuordnet, eine anteilige Kürzung entsprechender Beträge aber für „nicht sinnvoll“ hält (also vorrangig zuordnen will), s. Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.167 f. u. 4.170; er geht zwar zu Recht davon aus, dass Risiken nicht in der Bilanz stehen, lässt aber offen, welche Positionen nach der BsGaV vorrangig zuzuordnen sind; ähnlich Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3262, 3264 (Stand: März 2018); unkritisch in Bezug auf „passivierte Risiken“ auch Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 895.

268 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.41 Kap. 8

OECD (siehe hierzu Rz. 2.1 ff.) nicht im Einklang stehen (s. dazu insbesondere das Beispiel unter Rz. 8.15) und bedeutet die vorrangige Zuordnung von auszuweisenden Passivposten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken stehen. Um dies deutlich zu machen, müssten in der BsGaV auf der Rechtsfolgenseite („sind nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals“) die „auszuweisenden Risiken“ durch die „auszuweisenden Passivposten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken stehen“ ersetzt und im anschließenden Relativsatz der entsprechende Bezug auf Passivposten, die mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken im Zusammenhang stehen („und Risiken“) gestrichen werden. Daneben wäre es hilfreich, wenn die Begriffe „Chancen“ und „Risiken“ (§§ 10 BsGaV) definiert und für die Hilfs- und Nebenrechnung klargestellt würde, dass zu den Bestandteilen der Hilfs- und Nebenrechnung (§ 3 Abs. 2 BsGaV) auch „Passivposten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken stehen“ gehören; sie sind der Betriebsstätte vorrangig zuzuordnen, sind aber kein Bestandteil der übrigen Passivposten (§ 14 Abs. 1 BsGaV).1 Beispiel: Das Unternehmen U betreibt in Staat B eine Betriebsstätte. Aufgrund bestehender Gewährleistungsansprüche wurde in der Bilanz der Betriebsstätte in B eine Gewährleistungsrückstellung gebildet. Aufgrund der Regelung in der BsGaV (§ 12 Abs. 1 BsGaV) ist die Gewährleistungsrückstellung vorrangig der Betriebsstätte zuzuordnen. Offen bleibt aber nach der BsGaV, wie zu verfahren ist, wenn das der Betriebsstätte zuzuordnende Dotationskapital und die Gewährleistungsrückstellung den Betrag ihrer Vermögenswerte übersteigen.2

b) Kürzung eines Überhangs an direkt zuordnungsfähigen übrigen Passivposten Anteilige Kürzung direkt zurechenbarer Passivposten. Übersteigt die Summe der 8.41 Passivposten, die der Betriebsstätte direkt zugeordnet werden könnten (direkt zuordnungsfähige Passivposten), den Betrag, der nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals für eine Zuordnung der Passivposten zur Betriebsstätte verbleibt, so sind diese direkt zuordnungsfähigen Passivposten anteilig zu kürzen. Der nach der Kürzung verbleibende Teil der direkt zuordnungsfähigen Passivposten ist der Betriebsstätte zuzuordnen. In Höhe des Kürzungsbetrags sind die übrigen Passivposten dem übrigen Unternehmen zuzuordnen.

1 Siehe hierzu sehr eindeutig BR-Drucks. 401/14, 83 v. 28.8.2014, Begründung zu § 14 Abs. 1 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 152. 2 Nach VWG BsGa, Rz. 153 (Fall 2) ist die entstehende Differenz durch Zuordnung von liquiden Mitteln zu schließen; diese Lösung erscheint wenigstens für den Fall nicht überzeugend, da der resultierende Zuordnungsbetrag den Bestand des Unternehmens an liquiden Mitteln übersteigt; unberücksichtigt bleibt aber auch, dass die damit verbundene Erhöhung des Betriebsstättenvermögens, insbesondere bei inländischen Betriebsstätten ausländischer Unternehmen, ein höheres Dotationskapital zur Folge haben müsste.

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269

Kap. 8 Rz. 8.42 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

8.42 Angemessene Finanzierung der Betriebsstätte mit Eigenkapital. Diese Regelung stellt klar, dass eine Zuordnung übriger Passivposten nur erfolgen kann, soweit nach Abzug des Dotationskapitals und der vorrangig zuzuordnenden „Risiken“1 Raum für die Zuordnung der übrigen Passivposten verbleibt. Sie soll verhindern, dass das Dotationskapital gekürzt werden muss, da der Betriebsstätte mehr Passivposten (Fremdkapital) zuzuordnen ist, als dies der Differenz zwischen Dotationskapital und Gesamtkapital entspricht. Zugleich stellt diese Regelung eine „angemessene“ Finanzierung der Betriebsstätte mit Eigenkapital sicher und führt im Ergebnis dazu, dass Zinsen, die auf das der Betriebsstätte direkt zuzuordnende (verzinsliche) Fremdkapital entfällt, nicht vollständig abzugsfähig sind.2 Sie stellt aber auch sicher, dass diese übrigen Passivposten um „Risiken“ gekürzt werden müssen, die der Betriebsstätte vorrangig zuzuordnen sind. Begreift man, wie hier, diese „Risiken“ im Sinne von „Passivposten, die mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken im Zusammenhang stehen“ (für die also bilanzrechtlich in aller Regel durch die Bildung von Rückstellungen vorgesorgt wird), wird deutlich, dass das nicht verzinsliche Kapital3 der Betriebsstätte um Beträge zu erhöhen ist, die zuvor im Rahmen der Bilanzierung zu Lasten des Eigenkapitals verrechnet wurden. c) Indirekte Methode

8.43 Zuordnung weiterer Passivposten. Verbleibt nach der Zuordnung des Dotationskapitals, der „Risiken“4 und der direkt zuordnungsfähigen Passivposten ein Fehlbetrag, ist das Kapital mit übrigen Passivposten des Unternehmens aufzufüllen. Diese Zuordnung weiterer Passivposten ist erforderlich, um die Finanzierungsmittel des Unternehmens konsistent auf die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen aufzuteilen. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob diese weiteren Finanzierungsmittel zur Finanzierung des Unternehmens allgemein oder zur Finanzierung spezifischer Vermögenswerte, die dem übrigen Unternehmen zugeordnet sind, aufgenommen wurden. Im letzteren Fall sind spiegelbildlich die dem übrigen Unternehmen direkt zuordnungsfähigen Passivposten anteilig zu kürzen, so dass nur die nach der Kürzung verbleibenden Teile der dem übrigen Unternehmen direkt zuordnungsfähigen Passivposten dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sind. Beispiel: Das Unternehmen U betreibt in Staat B eine Betriebsstätte. Dieser Betriebsstätte sind Anlagevermögen im Wert von 600, Umlaufvermögen im Wert von 400 und ein Dotationskapital i.H.v. 300 zuzuordnen. Aufgrund bestehender Gewährleistungsansprüche wurde in der Bilanz der Betriebsstätte in B eine Gewährleistungsrückstellung i.H.v. 200 gebildet. Zur Finanzierung des Anlagevermögens wurden zwei Darlehen i.H.v. je 300 (200) aufgenommen. Daneben weist das Unternehmen in seiner Bilanz eine Schuldverschreibung i.H.v. 900 aus.

1 Genauer sollte es sich um Passivposten handeln, die mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken im Zusammenhang stehen, s. dazu Rz. 8.39. 2 So auch BR-Drucks. 401/14, 83 f. v. 28.8.2014, Begründung zu § 14 Abs. 2 BsGaV. 3 Zwar sind Rückstellungen abzuzinsen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e, § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG); diese Abzinsung hat aber lediglich Auswirkung auf die Verteilung des Aufwands. 4 Genauer sollte es sich um Passivposten handeln, die mit den der Betriebsstätte zugeordneten Risiken im Zusammenhang stehen, s. dazu Rz. 8.40.

270 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.44 Kap. 8

Lösung Nach den Vorgaben der BsGaV ergeben sich für den Grundfall (und die Alternative) folgende übersteigenden Beträge (§ 14 Abs. 2 BsGaV) oder Fehlbeträge (§ 14 Abs. 3 BsGaV). Grundfall Alternative + Direkt zuordnungsfähige Passivposten 600 400 – Verbleibender Betrag + Gegenstände des Anlagevermögens 600 600 + Umlaufvermögen 400 400 = Summe der Vermögenswerte – Dotationskapital – Rückstellungen („Risiken“)

1.000 300 200

= Summe

1.000 300 200 500

500

= Übersteigender Betrag/Fehlbetrag 100 –100 Da im Grundfall die Höhe der direkt zuordnungsfähigen Passivposten „den Betrag, der nach der Zuordnung der […] Risiken und des Dotationskapitals für eine Zuordnung von Passivposten zur Betriebsstätte verbleibt“1 um 100 übersteigt, sind die direkt zuordnungsfähigen Passivposten um diesen Betrag anteilig zu kürzen. In der Alternative ergibt sich dagegen ein Fehlbetrag i.H.v. 100. Dieser Fehlbetrag ist mit übrigen Passivposten des Unternehmens (hier der Schuldverschreibung) aufzufüllen. Hieraus ergeben sich für die Betriebsstättenbilanz folgende Kapitalzuordnungen. Grundfall Alternative + Dotationskapital 300 300 + Gewährleistungsrückstellung 200 200 + Direkt zuordenbare übrige Passivposten + Darlehen 1 250 200 + Darlehen 2 250 200 + =

= Summe übrige Passivposten Indirekt zuordenbare übrige Passivposten (Anteil an Schuldverschreibung) Summe Passivposten

500

400

0

100

1.000

1.000

IV. Einklang mit dem AOA 1. Regelungstiefe im Bereich der Kapitalzuordnung Fehlende Tiefe der OECD-Leitlinien im Detail. Weichen die hier dargestellten Re- 8.44 gelungen aus deutscher Sicht von den Vorgaben ab, die im Ausland anzuwenden sind, drohen Doppelbesteuerungen. Um mögliche Doppelbesteuerungen zu vermeiden, entwickelte die OECD Leitlinien für die Aufteilung der Gewinne zwischen den Betriebsstätten eines Unternehmens, die sich auch auf das Dotationskapital („free capital“) und Finanzierungskosten („funding costs“) erstrecken.2 Wer in Bezug auf die Kapitalzuordnung klare Empfehlungen sucht, wird aber enttäuscht. Vielmehr er1 § 14 Abs. 2 Satz 1 BsGaV. 2 Siehe OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 107–158.

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271

Kap. 8 Rz. 8.44 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

wecken die entsprechenden Leitlinien den Eindruck, als beschränke sich der auf das Dotationskapital und die Finanzierungskosten bezogene Konsens unter den Mitgliedstaaten der OECD auf allgemeine Zuordnungsgrundsätze. Fakt ist jedenfalls, dass sich die OECD an dieser Stelle mit konkreten Vorgaben zurückhält. 2. Empfehlungen zur Höhe des Dotationskapitals

8.45 Allgemeine Grundsätze. Zu den allgemeinen Grundsätzen gehört, dass die Eigenkapitalausstattung einer Betriebsstätte mit den Funktionen dieser Betriebsstätte, den ihr zugeordneten Wirtschaftsgütern und den hiermit jeweils verbundenen Risiken im Einklang stehen soll (Rz. 2.81). Zu diesem Zweck ist das Dotationskapital nach den Empfehlungen der OECD in zwei Schritten zu bestimmen (Rz. 2.22). Notwendig ist danach erstens die Bewertung der einer Betriebsstätte zuzuordnenden Vermögenswerte und Risiken. In einem zweiten Schritt ist das Dotationskapital zu bestimmen, welches erforderlich ist, die übernommenen Risiken zu tragen und die Wirtschaftsgüter zu finanzieren.1 8.46 Abweichende Berücksichtigung von Risiken. Unternehmen, die in Bezug auf die Messung von Risiken keinen speziellen, insbesondere regulatorischen Anforderungen unterliegen, wie das vor allem innerhalb des finanziellen Sektors der Fall ist, besteht nach den Leitlinien der OECD (OECD-Leitlinien, Tz. 2.83) ein erster Ansatz darin, dass sich die Bestimmung des Dotationskapitals auf den Wert der Wirtschaftsgüter beschränkt, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Möglich ist hierbei eine Bewertung der Wirtschaftsgüter zum Buchwert, zu den historischen Anschaffungskosten oder dem aktuellen Marktwert. Der Bezug auf den Marktwert hat den Vorteil, dass Wertunterschiede aufgrund unterschiedlicher Anschaffungszeitpunkte ausgeglichen und die Risiken berücksichtigt werden, die sich auf den Wert der Wirtschaftsgüter auswirken können. Darüberhinausgehende Risiken bleiben aber unberücksichtigt. Unterliegt das Unternehmen erheblichen Geschäftsrisiken, sind für die OECD deshalb ergänzende Berechnungen erforderlich, die den Wert der übernommenen Risiken zum Ausdruck bringen (auch wenn diese Risiken nicht exakt bestimmt werden können). Das ist für die OECD der Fall, wenn die Geschäftstätigkeit erheblichen Marktrisiken ausgesetzt ist, für die ein unabhängiges Unternehmen Reserven bilden würde. Sie machen es notwendig, der Betriebsstätte ein höheres Dotationskapital (sic!) zuzuordnen, um die Betriebsstätte in die Lage zu versetzen, das damit verbundene unternehmerische Risiko zu tragen. 8.47 Kapitalzuordnung nach Maßgabe des Fremdvergleichs. Im zweiten Schritt ist auf dieser Basis die erforderliche Eigenkapitalausstattung festzulegen. Sie ist grundsätzlich nach Maßgabe des Fremdvergleichs (Rz. 2.10) zu bestimmen. Im Einzelnen diskutiert die OECD in diesem Zusammenhang verschiedene Verfahren. Da kein Verfahren allen Umständen gerecht werden kann, empfiehlt die OECD, mit der Kapitalzuordnung flexibel und pragmatisch umzugehen.2 Betrachtet werden das Kapitalaufteilungsverfahren, eine Zuordnung nach dem wirtschaftlich investierten Kapital, 1 Siehe dazu auch Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 (2010) OECD-MA Rz. 511–516. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 148.

272 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.49 Kap. 8

das insbesondere mögliche Entwicklungsrisiken berücksichtigt, und ein „Unterkapitalisierungsansatz“ (Rz. 2.50), der sich an den Kapitalstrukturen vergleichbarer Unternehmen orientiert, sie lehnt aber „Sicherheitsbereiche“ („safe harbour approach“) im Sinne eines Mindesteigenkapitals (Rz. 2.47) für Unternehmen, die regulatorischen Anforderungen unterliegen („quasi thin capitalisation/regulatory minimum capital approach“) ab. 3. Verzicht auf Empfehlungen zu (übrigen) Passivposten Fehlende Differenzierung. Die Zuordnung von Passivposten wird in den Empfeh- 8.48 lungen der OECD nicht im Einzelnen adressiert. Ausgangspunkt der OECD-Überlegungen ist die Feststellung, dass eine Betriebsstätte über ausreichende Finanzmittel verfügen muss. Dabei beschränkt sich die OECD auf die Differenzierung zwischen Dotationskapital und zinstragendem Fremdkapital (Betrag, auf den der Zinsabzug bezogen ist)1, macht aber deutlich, dass der Begriff dieser „Schulden“ weit zu fassen und auf alle Finanzinstrumente sowie damit verbundene Finanzierungskosten unabhängig davon anzuwenden ist, ob diese Finanzierungskosten steuerlich abzugsfähige Zinsausgaben sind. Bezug auf Finanzierungsrisiken. Die Zuordnung von zinstragendem Fremdkapital 8.49 und Berechnung der maßgebenden Zinsbelastung ist für die OECD nach verschiedenen Methoden möglich, sie schließt auch die Anerkennung von anzunehmenden schuldrechtlichen Finanzierungstransaktionen zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen („internal ‚interest‘ dealing“) ein.2 Erforderlich ist in diesem Fall allerdings, dass die Betriebsstätte oder das übrige Unternehmen eine Finanzierungsfunktion ausüben. Für alle anderen Fälle kommen nach den Empfehlungen der OECD zwei alternative Ansätze (Rz. 2.52) einer Zuordnung von Finanzierungskosten zur Betriebsstätte in Frage, die auch in Variationen denkbar sind. Nach der Rückverfolgungsmethode („tracing approach“ werden die Finanzierungsmittel einer Betriebsstätte zur Finanzierungsquelle zurückverfolgt. Danach ist zu prüfen, aus welcher Finanzierung durch Dritte das der Betriebsstätte zugeordnete Fremdkapital stammt. Der Betriebsstätte werden dann die Zinskosten zugerechnet, die das Unternehmen an den Kapitalgeber zu entrichten hat (weitergeleitetes Fremdkapital). Diese Zuordnung lässt sich nach den Empfehlungen der OECD durch eine Dokumentation der internen Weitergabe des Fremdkapitals untermauern. Nach der Aufteilungsmethode („fungibility approach“) wird unterstellt, dass Finanzierungsmittel, die eine der Betriebsstätten des Unternehmens aufnimmt, zur Finanzierung des gesamten Unternehmens beitragen, in beliebiger Funktion einsetzbar und auf verschiedene Weise verwendbar sind. Tatsächliche Finanzmittelbewertungen oder Zinsbelastungen bleiben bei diesem Ansatz unbeachtet. Die tatsächlichen Zinskosten, die das Unternehmen an dritte Kapitalgeber leistet, werden vielmehr anteilig der oder den Betriebsstätten zugeordnet. Für die OECD haben beide Methoden ihre Nachteile, sind aber akzeptiert und sollten in einer Weise eingesetzt werden, die es gewährleistet, dass 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 150. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 151; s. dazu auch Rz. 8.77 ff.

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273

Kap. 8 Rz. 8.49 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

die Betriebsstätten eine fremdübliche Zinsbelastung tragen sowie anzunehmende schuldrechtliche Finanzierungstransaktionen angemessen vergüten. 4. Vereinbarkeit der BsGaV mit den Empfehlungen der OECD

8.50 Regelungen nicht vollständig im Einklang. Vergleicht man die Regelungen der BsGaV mit den Empfehlungen der OECD, zeigt sich, dass die Regelungen der BsGaV nicht vollständig mit diesen Leitlinien im Einklang stehen. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Berücksichtigung von Risiken und die Anwendung der Mindestkapitalausstattungsmethode. Im Übrigen erscheinen die Vorgaben der BsGaV aber mit dem Ansatz der OECD (AOA) kompatibel. 8.51 Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode. Nach der BsGaV ist zur Bestimmung des Dotationskapitals grundsätzlich die Kapitalaufteilungsmethode (vgl. Rz. 2.45 ff.) anzuwenden; eine Ausnahme besteht, wenn die Anwendung dieser Methode dauerhaft zu Ergebnissen führt, die ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter nicht bereit wäre hinzunehmen – diese Voraussetzung ist für die Finanzverwaltung in aller Regel gegeben, wenn das Unternehmen unterkapitalisiert ist (§ 12 Abs. 1, 4; § 13 Abs. 2 BsGaV). Die Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode gehört zum Kanon der Empfehlungen, die die OECD zur Bestimmung des Dotationskapitals einer Betriebsstätte vorschlägt. Die OECD wirbt aber dafür, dass ihre Empfehlungen in der Praxis flexibel und pragmatisch angewendet werden. Fehlt diese Flexibilität, können „branchenspezifische“ Unterschiede zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen, die durch den Bezug auf die Funktionen, Vermögenswerte und Risiken der Betriebsstätte nicht abschließend erfasst sind, nicht vollständig berücksichtigt werden. 8.52 Berücksichtigung von Risiken durch BsGaV nicht sachgerecht. Übereinstimmung besteht aber wieder insoweit, als die Vermögenswerte grundsätzlich zu Marktwerten zu erfassen sind und zur Vereinfachung auf Buchwerte abgestellt werden darf (§ 12 Abs. 3; § 13 Abs. 2 BsGaV). In Bezug auf Risiken („economic capital allocation approach“) stellt die OECD jedoch auf signifikante Marktunsicherheiten ab und macht deutlich, dass es außerhalb des finanziellen Sektors gegenwärtig keine gut entwickelten Maßstäbe zur Messung dieser Unsicherheiten gibt. Risiken, für die bereits bilanziell Vorsorge getroffen wurde, werden im AOA nicht adressiert. Ein bei der Bestimmung des Dotationskapitals vorzunehmender Abzug bilanzieller Rückstellungen, wie das durch die Verwaltungsgrundsätze vorgesehen ist, steht jedenfalls mit dem AOA nicht im Einklang, erscheint aber auch kaum sachgerecht und führt zu ökonomisch widersinnigen Ergebnissen.1 8.53 Bei Unterkapitalisierung erscheint Verständigung möglich. Bei unterkapitalisierten Unternehmen ist nach der BsGaV die Kapitalquote auf konsolidierter Basis zu bestimmen (§ 12 Abs. 4 BsGaV). Der damit verbundene Bezug auf das konsolidierte Eigenkapital zeigt Parallelen zur Zinsschranke in Deutschland, findet sich aber nicht unter den Empfehlungen der OECD, so dass die internationale Kompatibilität

1 Vgl. hierzu Rz. 8.15 und insbesondere das dazu gebildete Beispiel.

274 Oestreicher

A. Dotationskapital und übrige Passivposten

Rz. 8.56 Kap. 8

dieser Regelung in Zweifel stehen kann.1 Andererseits wird das Problem der Unterkapitalisierung auch auf Ebene der OECD diskutiert und durch Bezug auf einen „Unterkapitalisierungsansatz“, der auf fremdübliche Kapitalstrukturen für Unternehmen, die unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen gleiche oder ähnliche Tätigkeiten ausführen, zu lösen versucht. Vor diesem Hintergrund sollten lösungsorientierte Finanzbehörden bei unterkapitalisierten Unternehmen eine internationale Verständigung finden können. Ebenso dürfte der Bezug auf das in der Handelsbilanz ausgewiesene Kapital (§ 12 Abs. 5, § 13 Abs. 4 BsGaV) international verhandlungsfähig sein. Mindestkapitalausstattung. Die Mindestkapitalausstattungsmethode (§ 13 Abs. 1 8.54 BsGaV) (Rz. 2.47) erscheint dagegen mit den Empfehlungen der OECD nicht vollständig im Einklang zu stehen. Zwar ist die Zuordnung von Eigenkapital zur Betriebsstätte weder betriebswirtschaftlich noch rechtlich erforderlich. Für steuerliche Zwecke ist für die OECD aber die Zuordnung eines angemessenen Dotationskapitals notwendig. Diese Zuordnung von Eigenkapital wird bei ausländischen Betriebsstätten inländischer Unternehmen nur erreicht, wenn „flexibel auf nachgewiesene funktionale Gegebenheiten der Betriebsstätte Rücksicht“2 genommen wird und die Notwendigkeit eines Dotationskapitals z.B. „anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen“ dargestellt und begründet werden kann.3 Diese Hürde ist zwar nicht besonders hoch, erscheint aber sachlich nicht begründet und ist mit dem AOA nicht vereinbar.4 Ebenso wenig entspricht es dem „flexiblen und pragmatischen Ansatz“ der OECD, wenn die Zuordnung von Dotationskapital auf das Ergebnis der Kapitalaufteilungsmethode begrenzt wird (§ 13 Abs. 2 BsGaV). Schrankenwerte. Der Vorrang eines regulatorischen Mindestkapitals und eines hö- 8.55 heren, in der Handelsbilanz ausgewiesenen Kapitals erscheint dagegen den Empfehlungen der OECD nicht entgegenzustehen; die Ablehnung eines „quasi thin capitalisation/regulatory minimum capital“ richtet sich gegen die Anerkennung eines Sicherheitsbereichs. Berücksichtigung von Risiken. In Bezug auf die Zuordnung von (übrigen) Passiv- 8.56 posten übt die Finanzverwaltung im Rahmen der BsGaV den Spielraum aus, der sich nach den Empfehlungen der OECD ergibt, und schreibt primär die Anwendung der Rückverfolgungsmethode vor (§ 14 Abs. 1 BsGaV). In Bezug auf die Berücksichtigung von „Risiken“ liegt aber ganz offensichtlich ein Missverständnis vor. Die OECD empfiehlt, wesentliche Risiken bei der Bestimmung des Dotationskapitals zu berücksichtigen;5 die Gleichsetzung von Risiken und Rückstellungen, wie das die BsGaV vorsieht, bewirkt aber das Gegenteil, so dass der Abzug von Rückstellungen bei der Bestimmung der Kapitalquote zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen kann. Andererseits kann man in der bei der Zusammensetzung der Passivposten vorrangigen Berücksichtigung von Rückstellungen eine Korrektur des durch Bu1 So auch Heinsen, DB 2017, 87 sowie Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3217 (Stand: März 2018). 2 BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 81, Begründung zu § 13 Abs. 2 BsGaV. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 146. 4 Vgl. Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3202 (Stand: März 2018). 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 117.

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275

Kap. 8 Rz. 8.56 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

chung von Aufwand reduzierten Dotationskapitals sehen, so dass die Berücksichtigung von Rückstellungen insoweit auch die Höhe der übrigen Passiva limitiert, was man im Ergebnis mit den Empfehlungen der OECD im Einklang sehen kann.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 8.57 Grundsatz der Finanzierungsfreiheit. Die Beurteilung der Frage, ob die Regelungen der BsGaV zum Dotationskapital und der Zuordnung von (übrigen) Passiva mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs im Einklang stehen (vgl Rz. 2.53 ff.), ist nicht einfach zu beantworten, da sich das Problem der Kapitalzuordnung bei rechtlich selbständigen Unternehmen so nicht stellt. Zwar kann im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine Vereinbarung auf betrieblichen oder gesellschaftsrechtlichen Gründen beruht (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 AStG).1 Bei rechtlich selbständigen Unternehmen ist aber die freie Entscheidung über die Kapitalstruktur („Finanzierungsfreiheit“) ein steuerlich allgemein akzeptierter Grundsatz,2 wenn auch eine Unterkapitalisierung zur Folge haben kann, dass ein Unternehmen in den Augen der OECD finanziell nicht in der Lage ist, Risiken zu übernehmen (und entsprechende Gewinne zu erwirtschaften),3 die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens herabgesetzt ist4 oder der Betriebsausgabenabzug für Zinsaufwendungen begrenzt wird (§ 4h EStG, § 8a KStG). Rechtlich selbständige Unternehmen bestimmen auf Basis des ihr zugeführten Eigenkapitals grundsätzlich selbst, ob sie Fremdkapital aufnehmen, wie viele Finanzierungsmittel erforderlich sind und ob sie sich an den Markt oder den Gesellschafter wenden. Im Unterschied zu übrigen Betriebsteilen sind Verträge mit Gesellschaftern möglich und auch steuerlich wirksam. 8.58 Anwendung des Fremdvergleichs auf Betriebsstätten. Damit erscheint der Vergleich mit der Kapitalstruktur eines rechtlich selbständigen Unternehmens im hypothetischen Fall, dass die Betriebsstätte in der Form eines rechtlich selbständigen Unternehmens betrieben wird, nicht sehr zielführend.5 Die OECD legt auch einen anderen Maßstab an. Für sie steht die Zuordnung des Dotationskapitals mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang, wenn das Dotationskapital mit der Höhe des Eigenkapitals selbständiger Unternehmen, die im Gastland gleiche oder ähnliche Tätigkeiten unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausüben, vergleichbar ist. 1 Zur Entwicklung dieser Vorschrift s. z.B. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 659; nach einem aktuellen Urteil des EuGH können aber – entgegen der gesetzlichen Regelung, die eine klare, im Vorhinein getroffene Festlegung durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung fordert – auch wirtschaftliche Gründe die Überlassung von Kapital durch die Muttergesellschaft unter nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen, vgl. EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366 – Hornbach-Baumarkt. 2 Vgl. z.B. BFH v. 25.2.2009 – IX R 26/08, BStBl. II 2009, 658. 3 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.64, 1.98. 4 Vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Actions 8–10, Financial transactions, 3 July–7 September 2018, Rz. 66, https://www.oec d.org/tax/beps/BEPS-actions-8-10-transfer-pricing-financial-transactions-discussion-draft2018.pdf. 5 Anders offensichtlich Heinsen, DB 2017, 87.

276 Oestreicher

B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

Rz. 8.59 Kap. 8

Dieser Maßstab ergibt sich, indem man die Eigenkapitalquote der insoweit vergleichbaren Unternehmen auf das notwendige Gesamtkapital anwendet und berücksichtigt, dass nach dem AOA die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen die gleiche Kreditwürdigkeit haben. Er zeigt zwar, dass der Betriebsstätte auch dann ein Dotationskapital zuzuordnen wäre, wenn das Unternehmen insgesamt fremdfinanziert ist, so dass sich bei unterkapitalisierten Unternehmen der Bezug auf den Anteil am konsolidierten Eigenkapital (§ 12 Abs. 4 BsGaV) dem Grunde nach rechtfertigt. Im Einzelnen ist dieser Maßstab jedoch nur wenig praktikabel, da bei der Bestimmung des insoweit fremdüblichen Dotationskapitals die Auswirkungen aller übrigen Größen, die auf die Höhe des Eigenkapitals Einfluss haben (insbesondere die Risikoeinstellung der Anteilseigner, aber auch die Struktur der Cashflows, die Branche oder das Marktumfeld) zu berücksichtigen wären. In Bezug auf das Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen zeigt sich aber, dass vor allem die „Mindestkapitalausstattungsmethode“ mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs nicht in Einklang zu bringen ist.

B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts Ermittlung der Finanzierungskosten. Die Regelungen über die Zuordnung von Fi- 8.59 nanzierungsaufwendungen schließen sich den Bestimmungen über die Zuordnung übriger Passivposten inhaltlich an, bilden aber den logischen Ausgangspunkt der Berücksichtigung von Finanzierungsentgelten im Rahmen der Betriebsstättengewinnaufteilung (Rz. 3.47 ff.). Im Kern geht es um die Ermittlung der Finanzierungskosten, die bei einheitlicher Kreditwürdigkeit der rechtlichen Einheit im Hinblick auf die für die Betriebsstätte identifizierten Personalfunktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Dabei haben grundsätzlich die Dotationskapitalanforderungen, die sich aus der Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Chancen und Risiken ergeben,1 Vorrang vor dem durch Mitarbeiter im Namen der Betriebsstätte (oder des übrigen Unternehmens) oder dem für Zwecke der Betriebsstätte (oder das übrige Unternehmen) aufgenommenen Fremdkapital. Dieser Vorrang des angemessenen Dotationskapitals bleibt auch für den Fall maßgebend, dass die Finanzierungsfunktion in einer Finanzierungsbetriebsstätte gebündelt wird (§ 17 BsGaV, s. zur Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens Rz. 8.76 ff.). Er hat zur Folge, dass die Maßgeblichkeit einer handelsrechtlichen Zuordnungsentscheidung aufgehoben und auch der für Buchführung und Bilanz dort übliche Bilanzenzusammenhang für die Hilfs- und Nebenrechnung (Rz. 12.38 ff.) unbeachtlich ist.

1 Eine Ausnahme besteht für die Zuordnung von Dotationskapital ausländischer Betriebsstätten inländischer Unternehmen nach der Mindestkapitalausstattungsmethode (§ 13 Abs. 1 BsGaV), s. Rz. 8.23.

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Kap. 8 Rz. 8.60 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

II. Regelungsinhalt 8.60 Ausgangspunkt. Die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen setzt voraus, dass Höhe und Zusammensetzung des Fremdkapitals von Betriebsstätte und übrigem Unternehmen bekannt sind. Dabei bestimmt sich die Höhe des Fremdkapitals der Betriebsstätte aus der Differenz von Bilanzsumme und Dotationskapital der Betriebsstätte. 8.61 Zuordnungsgrundsätze. Für die Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen ist maßgebend, ob die Passivposten, mit denen die Finanzierungsaufwendungen im Zusammenhang stehen, der Betriebsstätte direkt oder indirekt zuzuordnen sind. Finanzierungsaufwendungen, die mit direkt der Betriebsstätte zuzurechnenden Passivposten im Zusammenhang stehen, sind der Betriebsstätte direkt zuzuordnen (§ 15 Abs. 1 BsGaV). Müssen diese direkt zuzuordnenden Passivposten anteilig gekürzt werden, sind die entsprechenden Finanzierungsaufwendungen nach dem Verhältnis der zuordnungsfähigen Passiva und den Passiva, die der Betriebsstätte direkt zugeordnet werden könnten (§ 15 Abs. 2 BsGaV), zu vermindern. Anderes gilt, wenn die direkte Zuordnung der Passiva nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Finanzierungsaufwendungen nach dem Verhältnis der Passivposten, die der Betriebsstätte indirekt zuzuordnen sind, zu den Passivposten, die dem übrigen Unternehmen indirekt zuzuordnen sind, anteilig zuzurechnen (§ 15 Abs. 3 BsGaV). Abweichungen sind aber möglich, wenn eine andere Zuordnung aufgrund von Pauschalierungen oder insbesondere im Zusammenhang mit Bankbetriebsstätten dem Grundsatz des Fremdvergleichs besser entspricht.1 Der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, das keine Bücher führt, ist ein Finanzierungsaufwand grundsätzlich nur insoweit zuzuordnen, als dieser Aufwand im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht (§ 15 Abs. 4 BsGaV). Bei ausländischen Betriebsstätten nicht Bücher führender inländischer Unternehmen ist mindestens der Anteil des Finanzierungsaufwands zuzuordnen, der deren Anteil an den Außenumsätzen des inländischen Unternehmens entspricht (§ 15 Abs. 5 BsGaV).

III. Kommentierung 1. Direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

8.62 Bezug auf die direkte Zuordnung der übrigen Passivposten. Die Regelungen über die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen beziehen sich auf die korrespondierenden Bestimmungen über die Zuordnung übriger Passiva, die damit mittelbar auch die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen zur Betriebsstätte beschränken. Finanzierungsaufwendungen eines Unternehmens sind danach nur insoweit der Betriebsstätte direkt zuzuordnen, als die Passivposten, die die entsprechenden Finanzierungsaufwendungen mit sich bringen, der Betriebsstätte nach den Vorgaben über die Zuordnung übriger Passivposten direkt zuzuordnen sind (§ 15 Abs. 1; § 14 Abs. 1 1 Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 85, Begründung zu § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV.

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B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

Rz. 8.63 Kap. 8

BsGaV). Im Unterschied zur Regelung der Zuordnung von Passivposten, die zwischen „Risiken“ und „übrigen Passivposten“ unterscheidet, ist aber bei der Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen nur allgemein von „Passivposten“ die Rede, so dass auch die Finanzierungsaufwendungen, die mit „Risiken“ (Rückstellungen) im Zusammenhang stehen, direkt zuzuordnen sind. Zwar gehen auf diesen Punkt weder die Begründung zur BsGaV1 noch die Verwaltungsgrundsätze ein.2 Für diese Auslegung spricht aber auch die Tatsache, dass ein Zinsanteil in Rückstellungen (Innen-)Finanzierungsaufwand darstellt, die „Betriebsstättenrisiken“ ihrem vollen Betrage nach (einschließlich Zinsanteil) der Betriebsstätte zuzuordnen sind und der Verweis auf Abs. 1 insgesamt erfolgt. 2. Kürzung von Finanzierungsaufwendungen bei Überhang an übrigen Passivposten Proportionale Verminderung. Finanzierungsaufwendungen, die mit direkt zuord- 8.63 nungsfähigen Passivposten im unmittelbaren Zusammenhang stehen, sind in dem Maße anteilig zu kürzen, wie das bei den direkt zuordnungsfähigen Passivposten selbst der Fall ist. Diese Regel nimmt auf „direkt zuordnungsfähige Passivposten nach § 14 Absatz 2“ (§ 15 Abs. 2 BsGaV) Bezug, so dass sich die Kürzung auf den Betrag der „übrigen Passivposten“ beschränkt. Sie ist in Bezug auf „den Betrag, der nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals für eine Zuordnung von Passivposten zur Betriebsstätte verbleibt“ (§ 14 Abs. 2 Satz 1 BsGaV), unabhängig davon, welche Vermögenswerte finanziert werden oder Vertragsbedingungen (Betrag, Laufzeit und Verzinsung) vereinbart sind, proportional vorzunehmen. Beispiel: Das Unternehmen U betreibt in Staat B eine Betriebsstätte. Zur Finanzierung des Anlagevermögens dieser Betriebsstätte wurden zwei Darlehen unterschiedlicher Laufzeit i.H.v. je 300 aufgenommen, die mit 5 und 6 % zu verzinsen sind. Die Summe dieser beiden Darlehensbeträge übersteigt „den Betrag, der nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals für eine Zuordnung von Passivposten zur Betriebsstätte verbleibt“ um den Betrag i.H.v. 100. Die Darlehensbeträge sind um je 50 zu kürzen, so dass der Betriebsstätte folgender Finanzierungsaufwand zuzuordnen ist: + Zinsen aus Darlehen (250 × 0,05) 12,5 + Zinsen aus Darlehen (250 × 0,06) 15,0 = Finanzierungsaufwand Betriebsstätte 27,5 Der übersteigende Zinsaufwand i.H.v. 300 × 0,05 + 300 × 0,06 abzgl. 27,5 = 5,5 ist im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung des übrigen Unternehmens zu berücksichtigen.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 84, Begründung zu § 15 Abs. 1 BsGaV. 2 Letztere beschränken sich auf das Beispiel einer Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen für ein Bankdarlehen, vgl. VWG BsGa, Rz. 155.

Oestreicher

279

Kap. 8 Rz. 8.64 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

3. Indirekte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen a) Grundsatz

8.64 Bezug auf die indirekte Zuordnung der übrigen Passivposten. Soweit eine direkte Zuordnung (vgl. Rz. 6.73 und 6.74) von Finanzierungsaufwendungen des Unternehmens zur Betriebsstätte nicht möglich ist oder einen unverhältnismäßig hohen Aufwand verursachen würde, sind der Betriebsstätte diese Finanzierungsaufwendungen entsprechend der indirekten Zuordnung (vgl. Rz. 6.73 und 6.74) der Passivposten anteilig zuzuordnen. Die erste Voraussetzung („nicht möglich“) ist für Finanzierungsaufwendungen in Bezug auf Passivposten, die der Finanzierung des Unternehmens allgemein dienen, erfüllt. Sie trifft aber auch auf Finanzierungsaufwendungen in Bezug auf Fremdkapital zu, das zur Finanzierung der Vermögenswerte des übrigen Unternehmens aufgenommen wurde, dort aber anteilig zu kürzen sind, da die Summe der übrigen Passivposten, die dem übrigen Unternehmen direkt zugeordnet werden können, den Betrag übersteigt, der nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung (Rz. 12.38 ff.) auszuweisenden „Risiken“ und des Dotationskapitals für eine Zuordnung von Passivposten zum übrigen Unternehmen verbleibt. Die zweite Voraussetzung („hoher Aufwand“) ist erfüllt, wenn die Identifikation der Passivposten, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, übermäßig aufwendig ist, da z.B. der Zusammenhang zwischen den Vermögenswerten und ihrer Finanzierung nicht offensichtlich ist oder leicht nachvollzogen werden kann, Finanzierungen konsolidiert wurden oder die Anzahl Transaktionen hoch ist. In diesen Fällen bestimmen sich die zuzuordnenden Finanzierungsaufwendungen nach dem sich zu Beginn des Wirtschaftsjahrs ergebenden Verhältnis der übrigen Passivposten, die der Betriebsstätte indirekt zuzuordnen sind, zu den übrigen Passivposten des Unternehmens (§ 15 Abs. 3 Satz 2; § 14 Abs. 3 BsGaV). Dieser Bezug auf die (gesamten) übrigen Passivposten des Unternehmens erscheint nicht sachgerecht, da auf diese Weise die Aufteilung der Finanzierungsaufwendungen in Bezug auf indirekt zuzuordnende Passivposten entweder asymmetrisch oder unvollständig auf die Betriebsstätte und das übrige Unternehmen vorgenommen wird. Beispiel: Die übrigen Passivposten eines Unternehmens zeichnen sich durch folgende Beträge und damit verbundenem Zinsaufwand aus. Passivposten Zinsaufwand + Direkt der Betriebsstätte zuzuordnende übrige 1.000 Passivposten damit verbundener Zinsaufwand 60 + Indirekt zuzuordnende übrige Passivposten 600 (davon indirekt der Betriebsstätte zuzuordnen: 300) damit verbundener Zinsaufwand 30 + Direkt dem übrigen Unternehmen zuzuordnende übrige 1.400 Passivposten damit verbundener Zinsaufwand 70 = Übrige Passivposten des Unternehmens 3.000 160 Ordnet man mit der BsGaV der Betriebsstätte aus der indirekten Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen einen Zinsanteil i.H.v. 300/3.000 × 30 zu, ergibt sich ein Anteil an diesen Finanzierungsaufwendungen von 3. Da die übrigen Finanzierungsaufwendungen direkt zu-

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B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

Rz. 8.67 Kap. 8

zuordnen sind, wäre bei vollständiger Aufteilung der Zinsaufwendungen für indirekt zuzuordnende übrige Passivposten dem übrigen Unternehmen (bei gleichem Finanzierungsanteil) ein Zinsaufwand von 27 zuzuordnen.

Lösung analog der Verwaltungsgrundsätze. Das kann so nicht gemeint sein, zumal 8.65 sich die Finanzverwaltung im Rahmen eines Beispiels in ihren Verwaltungsgrundsätzen auf übrige Passivposten bezieht, „die konkret keinen Vermögenswerten zugeordnet werden können“.1 Aus diesem Beispiel kann zwar die Lesart der Finanzverwaltung nicht abschließend bestimmt werden, da sich die Passivposten dort insgesamt aus indirekt zuzuordnenden übrigen Passivposten zusammensetzen. Ein Bezug auf die indirekt zuzuordnenden übrigen Passivposten (Rz. 6.73 und 6.74) des Unternehmens würde im Beispiel oben jedoch zu einer Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen zur Betriebsstätte i.H.v. 300/600 × 30 = 15 führen; dieser Betrag entspräche dem Anteil der Betriebsstätte an den nicht direkt zuzuordnenden übrigen Passivposten des Unternehmens. Weitere Bestimmungsfaktoren des Zuordnungsergebnisses. Unabhängig davon 8.66 ist zu berücksichtigen, dass die indirekte Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen von der Höhe des ermittelten Dotationskapitals abhängig ist. Einfluss darauf hat nicht nur der Bezug auf ausländische Rechnungslegungsgrundsätze (§ 12 Abs. 2 BsGaV). Bedeutsam ist auch, ob die Bestimmung der Kapitalquote auf Basis von Buchwerten oder Marktwerten vorgenommen oder das Dotationskapital auf konsolidierter Grundlage ermittelt wird (§ 12 Abs. 3, 4 BsGaV). Je nach der Höhe des vorrangig zuzuordnenden Dotationskapitals können der Betriebsstätte mehr oder weniger Finanzierungsaufwendungen indirekt zuzuordnen oder sogar direkt zuzuordnende Aufwendungen zu kürzen sein.2 b) Abweichende Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen Tatsächliche Verhältnisse können Differenzierung erforderlich machen. Der An- 8.67 teil an den Finanzierungsaufwendungen für indirekt zuzuordnende übrige Passivposten ist abweichend zu bestimmen, „wenn dies im Einzelfall zu einem Ergebnis der Betriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht“ (§ 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV). Offen bleibt, welche Alternativen bestehen, um ein Ergebnis der Betriebsstätte zu ermitteln, das dem Fremdvergleichsgrundsatz (Rz. 2.10) besser entspricht. Unklar ist selbst, wie stark die Abweichung sein muss, damit das Ergebnis „besser“ wird. Rein mathematisch wird diese Voraussetzung bereits erfüllt, wenn das Ergebnis um 1 Euro näher am maßgebenden Fremdvergleichswert (Rz. 6.89) liegt. Die Begründung macht aber deutlich, dass die allgemeine Verhältnisrechnung auf Basis der Kapitalbestände zu Beginn des Wirtschaftsjahrs nicht sachgerecht ist, wenn die tatsächlichen Verhältnisse eine genauere Differenzierung erforderlich machen.3 Das 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 158. 2 Siehe hierzu Endres/Oestreicher/van der Ham, PIStB 2014, 307 f. 3 Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 85, Begründung zu § 15 Abs. 3 Satz 3 BsGaV; ein Vergleich mit der Kapitalstruktur vergleichbarer Unternehmen (s. Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.177) ist hier weder gemeint, noch wäre dies im Zusammenhang mit der Zuordnung von Finanzierungsaufwand systematisch zu rechtfertigen.

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Kap. 8 Rz. 8.67 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

ist z.B. der Fall, wenn das Dotationskapital unterjährig anzupassen ist, so dass der Anteil der indirekt der Betriebsstätte zuzuordnenden übrigen Passivposten an den indirekt zuzuordnenden übrigen Passivposten des Unternehmens steigen oder sinken kann und damit auch der Anteil an den entsprechenden Finanzierungsaufwendungen zu- oder abnehmen sollte. Hier sollte es dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen, wenn der Anteilsberechnung die durchschnittlich der Betriebsstätte indirekt zuzuordnenden Passivposten zugrunde gelegt oder, so auch das Beispiel in den Verwaltungsgrundsätzen,1 mehrere Anteile für die jeweils unterjährigen Zeitabschnitte, die sich durch unterschiedlich hohes Dotationskapital auszeichnen, ermittelt werden. Eine abweichende Bestimmung kann nach der Begründung der BsGaV aber auch dann sachgerecht sein, wenn die Berechnung im Bereich von Bankbetriebsstätten (vgl. hierzu Rz. 14.1 ff.) aus regulatorischen Gründen auf der Grundlage der jeweiligen Marktzinssätze oder tatsächlichen Refinanzierungsaufwendungen unter Berücksichtigung von Laufzeit, Währung und anderen, im Einzelfall relevanten Faktoren erforderlich ist. In diesem Fall wäre eine Differenzierung der Verhältnisrechnung nach den Bestimmungsfaktoren für die Höhe der Finanzierungsaufwendungen erforderlich, um eine Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen nach Maßgabe spezifischer Kapitalanforderungen vornehmen zu können. 4. Zuordnung von Finanzierungsaufwand für inländische Betriebsstätten nichtbilanzierender ausländischer Unternehmen

8.68 Unmittelbarer Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit. Die Regelungen zum Dotationskapital und zu übrigen Passivposten können nach der BsGaV nur auf Betriebsstätten bilanzierender Unternehmen angewendet werden, da nichtbilanzierende Unternehmen weder eine Bilanz noch ein Eigenkapital ausweisen.2 Daher sind für Unternehmen, die weder buchführungspflichtig sind, noch Bücher freiwillig führen, ergänzende Regelungen für die Zuordnung von Finanzierungsaufwand erforderlich. Die BsGaV bestimmt hierzu, dass der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens ein Finanzierungsaufwand nur zuzuordnen ist, soweit dies im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht (§ 15 Abs. 4 BsGaV). Diese Regelung soll die Zuordnung eines überhöhten Finanzierungsaufwands verhindern.3 Sie setzt zudem voraus, „dass der Betriebsstätte ein Ergebnis aus ihrer Geschäftstätigkeit verbleibt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht“ (§ 15 Abs. 4 Satz 2 BsGaV).4 8.69 Zusammenhang mit den Ausgaben der Betriebsstätte. Der Nachweis eines unmittelbaren Zusammenhangs mit „der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte“ ist nicht auf die Finanzierung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken der Betriebsstätte, beschränkt. Vielmehr stellt die Regelung auf die Tätigkeit der Betriebsstätte ab, die sich zwar, je nach Funktion der Betriebsstätte, auf Produktionsanlagen, Verwaltungsver1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 160. Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 76, Begründung zu § 12 Abs. 1 BsGaV. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 86, Begründung zu § 15 Abs. 4 Satz 1 BsGaV. Zur Kritik siehe Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3297 (Stand: März 2018).

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B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

Rz. 8.71 Kap. 8

mögen oder die Ausstattung einer Vertriebseinheit stützen kann, aber auch operative Ausgaben hat, so dass letztlich alle betrieblich veranlassten Finanzierungsbedarfe mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte (vgl. Rz. 7.1 ff.) im unmittelbaren Zusammenhang stehen. Die Kernfrage ist hier, welcher Anteil dieser Finanzierungsbedarfe mit Eigenkapital zu finanzieren ist, wie hoch das Fremdkapital sein darf und welche Finanzierungsmittel zur Finanzierung des Kapitalbedarfs der Betriebsstätte zu verwenden sind. Wer zu diesem Punkt eine Erläuterung der Finanzverwaltung erwartet, wird aber enttäuscht. Weder die Begründung zur BsGaV noch die Verwaltungsgrundsätze der Finanzverwaltung geben eine Interpretationshilfe. Offensichtlich ist lediglich, dass die Finanzverwaltung die Zuordnung von Finanzierungsaufwand bei inländischen Betriebsstätten ausländischer Unternehmen restriktiver handhaben will als die Zuordnung von Finanzierungsaufwand bei ausländischen Betriebsstätten. Eine „fiskalische Interpretation“ des Fremdvergleichs in Bezug auf die Zuordnung des Finanzierungsaufwands dürfte bei Existenz eines DBA aber an der Sperrwirkung von Art. 7 scheitern.1 Nutzung von Aufteilungsmaßstäben. Wird berücksichtigt, dass die Regelung für 8.70 nichtbilanzierende Unternehmen eine Vereinfachung bringen soll,2 darf die Lösung dieser Fragen bei nicht bilanzierenden Unternehmen nicht restriktiver oder komplizierter ausfallen, als dies bei Unternehmen, die Bücher führen, der Fall ist. Nahe liegt daher, die Regelung so zu verstehen, dass der Finanzierungsaufwand des Unternehmens nach einem objektiven Maßstab, der die Geschäftstätigkeit des Unternehmens reflektiert, auf Betriebsstätte und übriges Unternehmen aufgeteilt wird. Hierfür dürften in erster Linie die Außenumsätze bedeutsam sein, wie das für ausländische Betriebsstätten inländischer Unternehmen der Fall ist (§ 15 Abs. 5 BsGaV). Dabei mögen Differenzierungen notwendig sein, wenn die pauschale Aufteilung den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht wird, da die Betriebsstätte z.B. hohe Investitionskosten (direkt zuzuordnende Vermögenswerte) oder primär kurzfristige Finanzierungsbedarfe hat oder Anforderungen in Bezug auf die Währung bestehen. 5. Zuordnung von Finanzierungsaufwand für ausländische Betriebsstätten nichtbilanzierender inländischer Unternehmen Maßgeblichkeit des unmittelbaren Zusammenhangs mit der Geschäftstätigkeit. 8.71 Im Unterschied zur Regelung für inländische Betriebsstätten ausländischer Unternehmen sieht die BsGaV für ausländische Betriebsstätten inländischer Unternehmen vor, dass ein Finanzierungsaufwand des inländischen Unternehmens zuzuordnen ist, wenn dieser im unmittelbaren Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte steht. Ferner ist der ausländischen Betriebsstätte mindestens der Anteil des Finanzierungsaufwands zuzuordnen, der ihrem Anteil an den Außenumsätzen des inländischen Unternehmens entspricht. Anderes gilt, wenn dies im Einzelfall zu

1 Vgl. BFH v. 20.12.2012 – I R 75/12, juris; BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 = FR 2015, 954; BFH v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. 2 Unternehmen, die keine Bücher führen, sind von der Aufstellung einer vollständigen Hilfsund Nebenrechnung befreit (§ 3 Abs. 5 BsGaV).

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283

Kap. 8 Rz. 8.71 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

einem Ergebnis der Betriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht (§ 15 Abs. 5 BsGaV).

8.72 Keine Beschränkung auf das unmittelbar der Betriebsstätte dienende Vermögen. Auch hier bleibt nach der Regelung der BsGaV und ihrer Begründung1 unklar, wie die Einschränkung auf den „unmittelbaren Zusammenhang“ zu verstehen ist, da letztlich alle betrieblich veranlassten Finanzierungsbedarfe mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte im unmittelbaren Zusammenhang stehen. Aus einem entsprechenden Beispiel in den Verwaltungsgrundsätzen mag man ableiten, dass (entgegen dem Wortlaut) auf die Finanzierung des unmittelbar der Betriebsstätte dienenden Vermögens abzustellen ist.2 Mehr Klarheit schafft aber auch dieses Beispiel nicht, da die Beschränkung auf die Finanzierung des unmittelbar der Betriebsstätte dienenden Vermögens aufgrund von § 15 Abs. 5 Satz 2 BsGaV im zweiten Schritt aufgehoben wird. Maßgebend ist danach mindestens der Anteil des Finanzierungsaufwands, der ihrem Anteil an den Außenumsätzen des inländischen Unternehmens entspricht. Zudem ist eine abweichende Bestimmung notwendig, wenn die pauschale Aufteilung den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht wird (§ 15 Abs. 5 Sätze 2, 3; § 15 Abs. 3 BsGaV), da die Betriebsstätte z.B. hohe Investitionskosten (direkt zuzuordnende Vermögenswerte), primär kurzfristige Finanzierungsbedarfe hat oder Anforderungen in Bezug auf die Währung bestehen. Beispiel: Das Unternehmen A hat für seine Betriebsstätte in B ein Darlehen zur Anschaffung einer Produktionsanlage aufgenommen, das mit Zinskosten i.H.v. 50 verbunden ist. Die gesamten Finanzierungsaufwendungen des Unternehmens betragen 1.000. Auf B entfallen 20 % der weltweiten Außenumsätze. Nach der Mindestregelung ist der Betriebsstätte ein Finanzierungsaufwand von wenigstens 1.000 × 20 % = 200 zuzuordnen. Ist die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte besonders kapitalintensiv, wäre zu prüfen, ob die Zuordnung eines abweichenden Finanzierungsaufwands dem Fremdvergleich besser entspricht.3 Betragen z.B. die Kosten der Finanzierung von Anlagevermögen der Betriebsstätte 200, während diese Kosten im übrigen Unternehmen insgesamt 400 betragen, würde es dem Fremdvergleich besser entsprechen, wenn der Betriebsstätte z.B. 0,5 × 200/400 + 0,5 × 200/1.000 = 0,35 oder 35 % des gesamten Finanzierungsaufwands zugeordnet werden.

IV. Einklang mit dem AOA 1. Empfehlungen zur Zuordnung von Finanzierungsaufwand

8.73 Alternative Zuordnungsmethoden. Neben der Anerkennung von anzunehmenden schuldrechtlichen Finanzierungstransaktionen zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen („internal ‚interest‘ dealing“),4 kommen nach den Empfehlun1 Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 86, Begründung zu § 15 Abs. 5 Satz 1 BsGaV. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 162. 3 Siehe hierzu auch das Beispiel bei Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.181. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 151; s. dazu auch die Ausführungen in Rz. 8.76 ff.

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B. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen

Rz. 8.74 Kap. 8

gen der OECD zwei alternative Ansätze einer Zuordnung von Finanzierungskosten zur Betriebsstätte in Frage, die auch in Variationen denkbar sind. Nach der Rückverfolgungsmethode („tracing approach“ (Rz. 2.52)) werden die Finanzierungsmittel einer Betriebsstätte zur Finanzierungsquelle zurückverfolgt. Danach ist zu prüfen, aus welcher Finanzierung durch Dritte das der Betriebsstätte zugeordnete Fremdkapital stammt. Der Betriebsstätte werden dann die Zinskosten zugerechnet, die das Unternehmen an den Kapitalgeber zu entrichten hat (weitergeleitetes Fremdkapital). Diese Zuordnung lässt sich nach den Empfehlungen der OECD durch eine Dokumentation der internen Weitergabe des Fremdkapitals untermauern. Nach der Aufteilungsmethode („fungibility approach“ (Rz. 2.52)) wird unterstellt, dass Finanzierungsmittel, die eine der Betriebsstätten des Unternehmens aufnimmt, zur Finanzierung des gesamten Unternehmens beitragen, in beliebiger Funktion einsetzbar und auf verschiedene Weise verwendbar sind. Tatsächliche Finanzmittelbewertungen oder Zinsbelastungen bleiben bei diesem Ansatz unbeachtet. Die tatsächlichen Zinskosten, die das Unternehmen an dritte Kapitalgeber leistet, werden vielmehr anteilig der oder den Betriebsstätten zugeordnet. Für die OECD haben beide Methoden ihre Nachteile, sind aber akzeptiert und sollten in einer Weise eingesetzt werden, die es gewährleistet, dass die Betriebsstätten eine fremdübliche Zinsbelastung tragen sowie anzunehmende schuldrechtliche Finanzierungstransaktionen angemessen vergüten. 2. Vereinbarkeit der BsGaV mit den Empfehlungen der OECD Vergleichbare Regelungen in Bezug auf die Zuordnung von Finanzierungsauf- 8.74 wendungen. Wird berücksichtigt, dass sich die Höhe des Fremdkapitals der Betriebsstätte aus der Differenz von Bilanzsumme und Dotationskapital der Betriebsstätte bestimmt, ergibt sich, dass sich die unterschiedlichen Vorgaben in Bezug auf die Bestimmung des Dotationskapitals auf die Zuordnung der Finanzierungskosten auswirken und zu Unterschieden im Zuordnungsergebnis führen kann (siehe Rz. 8.49 ff.). Die auf das Fremdkapital bezogene Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen nach den Regelungen der BsGaV steht aber mit den Leitlinien der OECD grundsätzlich im Einklang. Vorrang hat in Deutschland zwar die direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (Rückverfolgungsmethode). Diese Methode ist aber durch die OECD akzeptiert und wird in Deutschland, soweit eine direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen des Unternehmens zur Betriebsstätte nicht möglich oder unverhältnismäßig aufwendig ist, um die ebenfalls anerkannte Methode der indirekten Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen (Aufteilungsmethode (Rz. 2.45 ff.)) ergänzt. Letztere Methode genießt den Vorrang in Bezug auf Betriebsstätten, die keine Bücher führen. Im Übrigen sind die Finanzierungskosten nach der BsGaV abweichend zuzuordnen, wenn dies im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleich besser entspricht. Die fiskalisch motivierte Differenzierung zwischen der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens und der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens dürfte aber mit den Empfehlungen der OECD nicht in Einklang zu bringen sein.

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285

Kap. 8 Rz. 8.75 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 8.75 Vereinfachungsregelungen können abweichende Ergebnisse bewirken. Rechtlich selbständige Unternehmen bestimmen auf Basis des ihr zugeführten Eigenkapitals grundsätzlich selbst, ob sie Fremdkapital aufnehmen, wie viele Finanzierungsmittel erforderlich sind und ob sie sich an den Markt oder den Gesellschafter wenden. Im Unterschied zu übrigen Betriebsteilen sind Verträge mit Gesellschaftern möglich und auch steuerlich wirksam, so dass die Beurteilung der Frage, ob die Zuordnung von Finanzierungsaufwand nach den Regelungen der BsGaV mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs (Rz. 2.10) im Einklang steht, am Ergebnis zu messen ist. Dabei ist, um diese Frage nicht mit einer Diskussion über die Kapitalstruktur zu vermischen, davon auszugehen, dass die Höhe des Dotationskapital und der übrigen Passivposten gegeben ist. Zu beurteilen ist damit, ob ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer die Finanzierungskosten in gleicher Weise zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen aufgeteilt hätte. Da dies für die Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen für das direkt der Betriebsstätte zuzuordnende Fremdkapital außer Frage steht, reduziert sich das Problem auf die Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen in Bezug auf die indirekt zuzuordnenden Passivposten. Hier sind die Regelungen der BsGaV grundsätzlich durch Vereinfachungen geprägt, die zwischen fremden Dritten nicht üblich erscheinen. Öffnungsklauseln erlauben zwar Ergebnisse, die dem Fremdvergleichsgrundsatz „besser“ entsprechen. Die Annahme, dass Betriebsstätte und übriges Unternehmen eine einheitliche Kreditwürdigkeit haben, lässt es aber nicht zu, dass die Unterschiede im Verhältnis zu rechtlich selbständigen Unternehmen vollständig beseitigt werden können. Nicht mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu vereinbaren ist in jedem Fall, dass die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen bei nicht Bücher führenden Unternehmen davon abhängig ist, ob diese Zuordnung zur inländischen Betriebsstätte eines ausländischen oder zur ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens erfolgt.

C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts 8.76 Sonderbestimmungen für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen. Der Regelungsabschnitt über die Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens (§ 17 BsGaV) steht im Ausnahmeverhältnis zum Grundsatz, der anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen im Finanzierungsbereich prinzipiell ausschließt. Er soll den Regelungskomplex über die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen um Vorgaben zur Behandlung der Finanzierungsfunktion ergänzen (§ 16 Abs. 1 bis 6 BsGaV) und die Annahme schuldrechtlicher Beziehungen zwischen Betriebsstätte und übrigem Unternehmen im Bereich der Finanzierung für den Sonderfall regeln (siehe zum Regelfall Rz. 10.1 ff.),1 dass die Personalfunktionen (siehe hierzu all1 Siehe hierzu auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.387 ff.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.77 Kap. 8

gemein Rz. 7.74 ff.) einer „Finanzierungsbetriebsstätte“, die „Zuordnung der Vermögenswerte und Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte erfordern“ (§ 16 Abs. 7 BsGaV). Für den Regelfall hat danach die Finanzierungsfunktion in den Augen des Erlassgebers den Charakter einer Dienstleistung, die nach einem kostenorientierten Entgelt zu vergüten ist. Dieser Charakter schließt es grundsätzlich aus, dass der Finanzierungsfunktion jene Passivposten und Vermögenswerte zuzuordnen sind, die aus der Aufnahme und Weitergabe des externen Fremdkapitals oder einer externen Anlage von Liquiditätsüberhängen resultieren, und soll nach der Begründung zur BsGaV auch Vereinfachungen im Zusammenhang mit der Zuordnung von Dotationskapital, übrigen Passivposten, Finanzierungsaufwendungen und Finanzierungserträgen mit sich bringen.1 Eine davon abweichende Zuordnung von Vermögenswerten, Passivposten und – damit verbunden – einer Finanzierungsmarge sei nur zu rechtfertigen, wenn in der Finanzierungsbetriebsstätte entsprechende Personalfunktionen ausgeübt werden, für die ein kostenorientiertes Entgelt mit dem Grundsatz des Fremdvergleichs nicht im Einklang stünde.

II. Regelungsinhalt Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen mit Dienstleistungscharakter. Der 8.77 Regelungsinhalt in Bezug auf die „Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens“ ist in § 17 BsGaV sieben Absätze gegliedert, die in einem Regel-Ausnahme-Zusammenhang stehen. § 17 Abs. 1 BsGaV definiert zunächst den Begriff der Finanzierungsbetriebsstätte legal und gibt Beispiele für das die Finanzierungstätigkeit zentral beschreibende Definitionselement „Liquiditätssteuerung“. § 17 Abs. 2 BsGaV macht deutlich, dass die Ausübung einer Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung (asB) ist, die im Regelfall eine Dienstleistung, die nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode (Rz. 2.61) zu vergüten ist (und keine Überlassung eigener Finanzierungsmittel der Finanzierungsbetriebsstätte) darstellt. Können die Kosten für entsprechende Dienstleistungen einer Finanzierungsbetriebsstätte nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohem Aufwand direkt ermittelt werden, ist es zulässig, das Dienstleistungsentgelt indirekt (auf Basis anteiliger Kosten zzgl. eines Gewinnaufschlags) zu ermitteln (§ 17 Abs. 3 BsGaV). Parallel dazu macht § 17 Abs. 4 BsGaV deutlich, dass Vermögenswerte, die Grundlage für eine externe Anlage von Liquiditätsüberhängen sind oder die auf Grund der externen Anlage von Liquiditätsüberhängen entstehen, und Erträge aus diesen Vermögenswerten, nicht der Finanzierungsbetriebsstätte, sondern „jeweils den anderen Betriebsstätten“ direkt oder anteilig zuzuordnen sind. Vergleichbar damit sind Passivposten und Finanzierungsaufwendungen nach Maßgabe der Regelungen über die Zuordnung der übrigen Passivposten und der Finanzierungsaufwendungen (§§ 14, 15 BsGaV) zuzuordnen (§ 17 Abs. 5 BsGaV). Positive Salden, die aufgrund der Finanzierungsfunktion entstehen, gelten weder als Finanzanlagen noch als ähnliche oder sonstige Vermögens1 Siehe BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 91, Begründung zu § 17 Abs. 2 Satz 1 BsGaV; dazu Rz. 8. 1 ff. u. Rz. 8.66 ff.

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Kap. 8 Rz. 8.77 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

werte (§ 17 Abs. 6 BsGaV). Anderes gilt, wenn in der Finanzierungsbetriebsstätte Personalfunktionen ausgeübt werden, die eine Zuordnung der Vermögenswerte und Passivposten zur Betriebsstätte notwendig machen (siehe hierzu allgemein Rz. 9.5 ff.) und die Anwendung einer nicht kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu einem Ergebnis für die Finanzierungsfunktion führt, die dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht (§ 17 Abs. 7 BsGaV).

III. Kommentierung 1. Definition der Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

8.78 Maßnahmen der Kapitalanlage und Betriebsstättenfinanzierung. Die Finanzierungsfunktion (die außerhalb des AOA dem Stammhaus zugerechnet wurde, siehe dazu Rz. 6.53) innerhalb eines Unternehmens umfasst die Liquiditätssteuerung durch eine Betriebsstätte für eine oder mehrere andere Betriebsstätten desselben Unternehmens. Zu dieser „Liquiditätssteuerung“ gehören insbesondere die Mittelbeschaffung, die Mittelzuweisung und die externe Anlage von Liquiditätsüberhängen (§ 17 Abs. 1 BsGaV). Damit lässt sich die „Finanzierungsfunktion“ mit der Ausführung von Aufgaben, die in größeren Unternehmen in aller Regel durch das „Treasury Department“ übernommen werden, gleichsetzen. Sie umfasst insbesondere die Deckung eines allgemeinen oder speziellen Kapitalbedarfs durch Aufnahme externen Fremdkapitals und die Anlage von Finanzierungsmitteln, die für geplante Investitionsausgaben zur Verfügung stehen sollen, bestehende Verpflichtungen absichern müssen oder (wenigstens vorübergehend) frei verfügbar sind, bezieht sich aber auf das Verhältnis zwischen der „Finanzierungsbetriebsstätte“ (Rz. 8.97) und eine oder mehrere andere Betriebsstätten desselben Unternehmens. Wird diese Funktion im Verhältnis zu verbundenen Unternehmen ausgeübt, liegen Finanzierungstransaktionen vor (§ 9 Abs. 1 BsGaV), die nach den allgemeinen Regelungen des Fremdvergleichsgrundsatzes zu verrechnen sind. Unabhängig davon bezeichnet „Finanzierungsbetriebsstätte“ die Betriebsstätte, in der die Liquiditätssteuerung ausgeübt wird. Die Definition dieses Begriffs durch einen Klammerzusatz dürfte der sprachlichen Vereinfachung dienen. Nicht erforderlich ist jedenfalls, dass eine geschäftliche Einrichtung auf die Liquiditätssteuerung für eine oder mehrere andere Betriebsstätten des Unternehmens beschränkt ist, um die Rechtsfolgen einer Finanzierungsbetriebsstätte auszulösen.1 Die Finanzierungsfunktion kann andere Aufgaben einer Betriebsstätte ergänzen. Übt eine Betriebsstätte die Finanzierungsfunktion im Verhältnis zu anderen Betriebsstätten aus, ist sie insoweit Finanzierungsbetriebsstätte. Nicht eindeutig ist allerdings der Bezug auf „eine oder mehrere andere Betriebsstätten desselben Unternehmens“ (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV); diese eine oder mehrere andere Betriebsstätten desselben Unternehmens werden im Rahmen der Rechtsverordnung üblicherweise unter dem Begriff des „übrigen Unternehmens“2 zusammen1 Dies ergibt sich mittelbar auch aus der Begründung zur BsGaV, wenn dort von „Kosten der Finanzierungsbetriebsstätte, die von der jeweiligen Betriebsstätte verursacht werden“, die Rede ist, vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 92, Begründung zu § 17 Abs. 3 Satz 2 BsGaV. 2 Siehe bspw. § 16 Abs. 1 Satz 1 BsGaV.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.81 Kap. 8

gefasst. Möglich ist daher, dass der Bezug auf einzelne Betriebsstätten den Gegenstand der Finanzierungsbetriebsstätte auf anzunehmende Leistungen für genau identifizierte Betriebsstätten beschränken will. Finanzierung des Unternehmens. Andererseits ist denkbar, dass die für die Finan- 8.79 zierung zuständigen Personen finanzielle Mittel für das Unternehmen insgesamt aufnehmen. Wird dieser Fall vom Begriff der Finanzierungsbetriebsstätte nicht erfasst, bliebe offen, welche Betriebsstätte die Verwaltungskosten für Finanzierungsmaßnahmen zu tragen hätte, die das Unternehmen insgesamt betreffen. Daher liegt es nahe, den Begriff der Finanzierungsbetriebsstätte auch auf diesen Fall anzuwenden. 2. Dienstleistung Tätigkeit im Auftrag der Betriebsstätten des übrigen Unternehmens. Die Aus- 8.80 übung der Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens hat zur Folge, dass zwischen der „Finanzierungsbetriebsstätte“ und der oder den Betriebsstätte(n) (dem übrigen Unternehmen), die entsprechende Leistungen empfangen, schuldrechtliche Beziehungen anzunehmen sind. Diese asB sind in der Regel als Dienstleistungen zu qualifizieren, für die der Verrechnungspreis nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu bestimmen ist (§ 17 Abs. 2 BsGaV). Hat diese Personalfunktion die Form einer Dienstleistung, wird die Finanzierungsbetriebsstätte „im Auftrag“ tätig. Weder nimmt sie die Mittel zur Finanzierung in ihrem Namen auf, noch stellt sie eigene finanzielle Mittel zur Verfügung, so dass ihr aufgrund ihrer Finanzierungsfunktion grundsätzlich weder Finanzanlagen und ähnliche Vermögenswerte noch übrige Passivposten zuzuordnen sind. Anleihen, Darlehen oder andere Verbindlichkeiten aus der Aufnahme von Fremdkapital werden den die finanziellen Mittel nutzenden Betriebsstätten in Abhängigkeit der zu finanzierenden Vermögenswerte, Chancen und Risiken direkt oder indirekt zugeordnet, für die Zuordnung von Finanzanlagen und ähnlicher Vermögenswerte ist die Geschäftstätigkeit entscheidend, mit der diese Vermögenswerte funktional im Zusammenhang stehen (§§ 7, 14 BsGaV). Vergleichbar damit sind auch die Finanzierungsaufwendungen und Finanzierungserträge grundsätzlich den Betriebsstätten zuzuordnen, die das Fremdkapital verwenden oder Liquidität anlegen (§ 16 Abs. 2, § 17 BsGaV). Anderes gilt nur, wenn die Finanzierungsbetriebsstätte im Hinblick auf entstehende Vermögenswerte und Passivposten sowie auf die damit im Zusammenhang stehenden Chancen und Risiken Personalfunktionen (vgl. Rz. 7.1 ff.) ausübt, die eine Zuordnung der Vermögenswerte und Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte erfordern (§ 17 Abs. 7 BsGaV). Anwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode. Die Dienst- 8.81 leistungen der Finanzierungsbetriebsstätte sind auf Basis einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode (vgl. Rz. 2.61) zu vergüten. Möglich ist danach die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode oder der transaktionsorientierten Nettomargenmethode auf Kostenbasis.1 Die Methodenwahl wird im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen von der Existenz und Verfügbarkeit einschlägiger Fremd1 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.39 ff., 2.98 ff.

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289

Kap. 8 Rz. 8.81 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

vergleichsdaten zu treffen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen des externen Margenvergleichs vielfach keine transaktionsorientierten Aufschlagsätze für Dienstleistungen ermittelt werden können und die Möglichkeiten einer Identifikation von Bruttogewinnaufschlagsätzen abhängig ist von der Berichtsstruktur, nach der Fremdvergleichsdaten offengelegt oder in Datenbanken präsentiert werden. Aus Gründen der Datenverfügbarkeit sollte daher im Rahmen des externen Margenvergleichs vielfach nur die Nettomargenmethode (Rz. 7.112) auf Basis von Jahresabschlussinformationen in Frage kommen können. Andererseits macht die Begründung deutlich, dass für die Anwendung der Methoden nur die jeweils „erforderlichen“ Kosten der Finanzierungsbetriebsstätte zu berücksichtigen sind.1 „Nicht erforderlich sind Kosten, die dadurch entstehen, dass die Finanzierungsbetriebsstätte eine Fehlmaßnahme durchführt, die sie selbst zu verantworten hat. Solche Kosten müssen der Finanzierungsbetriebsstätte zugeordnet werden und können nicht mit einem Aufschlag verrechnet werden“ (siehe hierzu Rz. 8.84). Dies setzt im Grunde voraus, dass auch in den Vergleichsdaten hinreichend genau zwischen erforderlichen und nicht erforderlichen Kosten unterschieden werden kann. Daneben ordnet die BsGaV der Finanzierungsbetriebsstätte insoweit auch ein Verlustrisiko zu.2 Vergleichbar damit dürfen Finanzierungsaufwendungen und Finanzierungserträge des Unternehmens, die durch die Tätigkeit der Finanzierungsbetriebsstätte verursacht werden, die Kostenbasis nicht beeinflussen (§ 17 Abs. 2 Satz 3 BsGaV). Diese Kosten sind den Betriebsstäten zuzuordnen, die die Finanzierungsfunktion nutzen, da diesen Betriebsstätten die entsprechenden Vermögenswerte und Bestandteile der übrigen Passiva zuzuordnen sind. Ausscheiden müssen aber auch eine Zuordnung der Finanzierungsaufwendungen und Finanzierungserträge, die mit der Tätigkeit der Finanzierungsbetriebsstätte nicht in Zusammenhang stehen, und „allgemeine Verwaltungsoder Geschäftskosten, die aufgrund von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens entstehen“.3 Zuzuordnen sind danach in erster Linie die Personalkosten, weitere direkte Kosten sowie bei Anwendung der Nettomargenmethode auf Kostenbasis auch Teile der allgemeinen Verwaltungskosten, die mit den eigenen Personalfunktionen (Rz. 2.24 ff.) der Finanzierungsbetriebsstätte im Zusammenhang stehen.

8.82 Herausforderungen in Bezug auf die Ermittlung von Verrechnungspreisen. Wird berücksichtigt, dass eine funktionsbezogene Aufgliederung allgemeiner Verwaltungskosten nicht sehr verbreitet und die Ermittlung spezifischer Aufschlagsätze mit besonderen Anforderungen an die Beschaffenheit der Fremdvergleichsdaten verbunden ist, leuchtet die durch die BsGaV vorgenommene Beschränkung auf die Bestimmung des Entgelts nach einer kostenorientierten Methode nicht völlig ein. Dies gilt umso mehr, als sich Fehlmaßnahmen bei möglichen Vergleichsunternehmen auf Basis von Jahresabschlussdaten nur insoweit identifizieren lassen, als sie (insbesondere im Form eines außerordentlichen Ergebnisses) separat ausgewiesen sind. Die kostenorientierte Verrechnungspreisermittlung (vgl. Rz. 7.112) mag zwar im Kontext der Finanzierungsbetriebsstätte einfach und pragmatisch sein, da zur Bestimmung der Verrech1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 91, Begründung zu § 17 Abs. 2 Satz 2 BsGaV; dort auch das nachfolgende Zitat. 2 Ebenso Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3354 (Stand: März 2018). 3 VWG BsGa, Rz. 183.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.84 Kap. 8

nungspreise im Wesentlichen die der Finanzierungsbetriebsstätte direkt zuzuordnenden Personalkosten um einen Gewinnaufschlag zu erhöhen sind. Daneben ist sie vor allem auch bei der Verrechnung von Konzerndienstleistungen üblich. Es ist aber weder die Bestimmung des im Einzelfall zutreffenden Aufschlagsatzes ohne weiteres möglich, wenn ausreichend differenzierte Vergleichsdaten fehlen, noch steht die methodische Beschränkung auf eine kostenorientierte Bestimmung der Verrechnungspreise mit der gesetzlichen Vorschrift (§ 1 AStG) und dem Grundsatz des Fremdvergleichs (Rz. 3.68) im Einklang. Sie dürfte von daher auch bei der Lösung entsprechender Verrechnungspreiskonflikte kaum durchzuhalten sein. 3. Indirekte Kostenverrechnung Aufteilung der Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags. Die indirekte Kosten- 8.83 verrechnung lässt Ausnahmen von der transaktionsorientierten Verrechnungspreisermittlung für den Fall zu, dass eine direkte Ermittlung der Kosten, die für die einzelnen Finanzierungsvorgänge jeweils entstanden sind, nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die für einen Rechnungsabschnitt maßgebenden Vergütungen der Finanzierungsfunktion auf Basis der „erforderlichen“ Kosten der Finanzierungsbetriebsstätte zu ermitteln, um einen angemessenen Aufschlag zu erhöhen und „verursachungsgerecht“ auf die anderen Betriebsstätten, die die Finanzierungsfunktion nutzen, aufzuteilen. Dabei dürfen die erforderlichen Kosten je nach anwendbarer Verrechnungspreismethode (Kostenaufschlagsmethode oder kostenorientierte Nettogewinnmethode) auch Teile der allgemeinen Verwaltungskosten enthalten, jedoch keine Fehlmaßnahmekosten einschließen. Form und Inhalt dieser Aufteilung bleiben offen, die Begründung macht aber deutlich, dass der Aufteilungsschlüssel nach anderen als den Kriterien, die für die Verteilung des Finanzierungsaufwands und der Finanzierungserträge anzuwenden sind (diese orientieren sich an den Finanzanlagen, sonstigen Vermögenswerten und den direkt oder indirekt zuzuordnenden Passivposten), festzulegen ist. Maßgebend ist vielmehr ein tätigkeitsbezogener Aufteilungsschlüssel, „der auf die Inanspruchnahme der Finanzierungsbetriebsstätte durch die nutzenden Betriebsstätten [des übrigen Unternehmens] abstellt.“1 Wird berücksichtigt, dass die Tätigkeiten der Finanzierungsbetriebsstätte durch das ihr zuzuordnende Personal erbracht werden, liegen zeitbezogene Aufteilungsfaktoren (z.B. die Anzahl der Arbeitsstunden) oder korrespondierende Maßgrößen nahe. In diesem Sinne kommt hier für die Finanzverwaltung z.B. das Kriterium „Häufigkeit der Inanspruchnahme“ in Betracht.2 Kostenorientierte Verrechnungspreismethode. Methodisch ist die indirekte Kos- 8.84 tenverrechnung eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode. Sie unterscheidet sich von der Kostenaufschlagsmethode und der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode auf Kostenbasis dadurch, dass der Verrechnungswert auf der Grundlage einer proportionalen Aufteilung der Dienstleistungskosten, die innerhalb eines Rechnungsabschnitts entstehen, abschnittsbezogen ermittelt wird – ein Vorgehen, 1 BR-Drucks. 401/14, 92 v. 28.8.2014, Begründung zu § 17 Abs. 3 BsGaV [Einschub nicht im Original]. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 185.

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Kap. 8 Rz. 8.84 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

das auch im Zusammenhang mit der Verrechnung von Konzerndienstleistungen anerkannt und verbreitet ist. Zur Bestimmung der abschnittsbezogenen Verrechnungswerte sind die abschnittsbezogenen Kosten um einen Gewinnaufschlag zu erhöhen, der es der Finanzierungsbetriebsstätte unter Berücksichtigung ihrer Chancen und Risiken (Rz. 6.55) in der Totalperiode möglich macht, einen marktüblichen Gewinn zu erzielen und die Kosten einer Fehlmaßnahme tragen zu können (siehe Rz. 8.81). 4. Zuordnung von Vermögenswerten aus Liquiditätsüberhängen und Erträgen aus diesen Vermögenswerten

8.85 Verwaltung des Vermögens der Betriebsstätten des übrigen Unternehmens. Übt die Finanzierungsbetriebsstätte ihre Finanzierungsfunktion in Form einer Dienstleistung aus, ist sie im Auftrag der von ihr finanziell verwalteten Betriebsstätten tätig und „schuldet“ die Aufgabe der Liquiditätssteuerung (§ 17 Abs. 1 BsGaV). Diese Aufgabe hat die Beschaffung und Zuweisung von Mitteln sowie die externe Anlage von Liquiditätsüberschüssen zum Gegenstand und bezieht sich auf Vermögenswerte, die den anzunehmenden „Auftraggebern“ zuzuordnen sind. Sie setzt weder eine interne Überlassung des verwalteten Vermögens voraus, noch begründet sie wirtschaftliches Eigentum daran. Daher sind diese Vermögenswerte nicht der Finanzierungsbetriebsstätte, sondern den Betriebsstätten, für die die Finanzierungsbetriebsstätte tätig wird, zuzuordnen. Vergleichbares gilt für die Vermögenswerte, die aufgrund der externen Anlage externer Liquiditätsüberschüsse entstehen, und die Erträge aus diesen Vermögenswerten. 8.86 Anteilige Zuordnung bei Verwaltung auf konsolidierter Basis. Werden im Rahmen der Liquiditätssteuerung die Liquiditätssalden verschiedener Betriebsstätten aus Gründen der Arbeitseffizienz sowie im Interesse einer Erzielung von Koordinationsund Synergieerfolgen auf konsolidierter Basis verwaltet, ist eine direkte Zuordnung der Vermögenswerte und Erträge, die aufgrund der Finanzierungsfunktion entstehen, zu den anderen Betriebsstätten entweder nicht möglich oder unverhältnismäßig aufwendig. In diesem Fall „sind diese Vermögenswerte und deren Erträge den anderen Betriebsstätten anteilig zuzuordnen“ (§ 17 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). Diese Anteilsrechnung soll praktikable und weniger komplexe Lösungen ermöglichen.1 Dabei ist für die Aufteilung die Herkunft der Liquiditätsüberhänge entscheidend (§ 17 Abs. 4 Satz 3 BsGaV). 8.87 Aufteilung nach der Herkunft der Finanzierungsmittel. Diese Aufteilung nach der Herkunft der Finanzierungsmittel beschränkt sich jedoch auf den Fall, dass Überschüsse extern anzulegen sind.

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 92, Begründung zu § 17 Abs. 4 Satz 2 BsGaV.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.90 Kap. 8

Beispiel: Zeitraum

1.1./31.3. 1.4./30.6. 1.7./31.9. 1.10./31.12.

Entstandene Vermögenswerte

Summe

+300 –300

+450 –450

+200 –200

+550 –550

+1.500 –1.500

Liquiditätsüberschuss Betriebsstätte A

+1.000

+4.950 +50 (1/6)

+1.750 +250 (5/9)

+3.900 +100 (2/4)

+200 (4/11)

+600

Liquiditätsüberschuss Betriebsstätte B

+3.000

+850 +150 (3/6)

+450 +50 (1/9)

+4.975 +25 (1/8)

+250 (5/11)

+475

Liquiditätsüberschuss Betriebsstätte C

+2.000

+2.900 +100 (2/6)

+1.350 +150 (3/9)

+1.925 +75 (3/8)

+100 (2/11)

+425

Summe

+6.000

+9.000

+4.000

11.000

550

Erträge

+300

+450

+200

+550

+1.500

Entstehende Vermögenswerte

+300

+450

+200

+550

+1.500

Zuordnung der Liquiditätsüberschüsse. Das Beispiel dokumentiert in Bezug auf 8.88 angenommene Liquiditätsüberschüsse und Erträge die Aufteilung der entstehenden Vermögenswerte und Erträge durch Fortschreibung und Addition über den Zeitraum von einem Jahr für den Fall, dass die Abrechnungen pro Quartal erfolgen. Danach ergibt sich für Liquiditätsüberschüsse von 1.000, 3.000 und 2.000 in den Betriebsstätten A, B und C im Zeitraum 1.1. bis 31.3. für die in diesem Quartal erwirtschafteten Vermögenswerte und Erträge von 300 eine Aufteilung i.H.v. 50, 150 und 100, wenn dieser Aufteilung die Herkunft dieser Liquiditätsüberhänge zugrunde gelegt wird (1.000/6.000, 3.000/6.000 und 2.000/6.000). Insgesamt entfallen auf die Betriebsstätten A, B und C über den hier dargestellten Zeitraum von einem Jahr Vermögenswerte und Erträge i.H.v. 600, 475 und 425, die auf wechselnde Liquiditätssalden zurückzuführen sind. Externe Deckung eines Fehlbetrags. Anderes gilt, wenn eine Betriebsstätte Liquidi- 8.89 tätsfehlbeträge hat, die aus Überschüssen im übrigen Unternehmen gedeckt werden. Wird z.B. angenommen, Betriebsstätte B hat aufgrund von Zahlungsverpflichtungen im ersten Quartal einen kurzfristigen Liquiditätsbedarf i.H.v. 3.000, besteht zwar eine Alternative darin, dass B diesen Liquiditätsbedarf extern deckt, was für den Fall einer „erheblichen Veränderung“ mit einer Anpassung des Dotationskapitals (§ 12 Abs. 6, § 13 Abs. 5 BsGaV), der übrigen Passivposten und der Finanzierungsaufwendungen verbunden wäre. Interne Deckung eines Fehlbetrags. Denkbar und wirtschaftlich vorteilhafter mag 8.90 andererseits die Deckung des Liquiditätsbedarfs durch Zuweisung der finanziellen Mittel, die aus den Überschüssen der Betriebsstätten A und C resultieren (für die Oestreicher

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Kap. 8 Rz. 8.90 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

aus Vereinfachungsgründen Laufzeitenkongruenz unterstellt wird), sein. Werden diese Mittel intern weitergegeben, entstehen insoweit keine externen, gegebenenfalls aufteilbaren Erträge. Anzunehmen wären schuldrechtliche Beziehungen zwischen den drei Betriebsstätten und fiktive Erträge (vgl. Rz. 4.15). Diese setzen allerdings voraus, dass die finanziellen Mittel „nachweislich für bestimmte Zwecke im übrigen Unternehmen genutzt werden“ (§ 16 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BsGaV). Wird dies bei einem Liquiditätsbedarf aufgrund besonderer Zahlungsverpflichtungen (hier der Betriebsstätte B) bejaht, gelten die Zuweisungen entsprechender Mittel durch die Finanzierungsbetriebsstätte (die insoweit die Finanzierungsfunktion ausübt) als Zurverfügungstellung finanzieller Mittel zwischen „der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen“ (hier der Betriebsstätten A und C an das übrige Unternehmen B), die spätestens mit dem Ende des laufenden Wirtschaftsjahrs oder einer Anpassung des Dotationskapitals enden (§ 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV). Die Vergütung wäre aus Zinssätzen in Bezug auf kurzfristige Darlehensverhältnissen zwischen Parteien gleicher Bonität abzuleiten.1

8.91 Erforderliche Nachweise. Bedingung ist aber, dass die aus Liquiditätsüberschüssen entstandenen Mittel für bestimmte Zwecke genutzt werden. Zudem muss glaubhaft gemacht werden, dass voneinander unabhängige Dritte für die Überlassung des Liquiditätsüberschusses einen Darlehensvertrag vereinbart hätten.2 Das mag für die Verwendung eines Überschusses zum Zwecke der Anschaffung eines Vermögenswerts problemlos gelingen, wird aber vor allem bei Cash-Pool-Transaktionen schwieriger, da derartige Transaktionen zwischen fremden Dritten nicht zu beobachten sind. Gelingt der Nachweis nicht, scheiden asB in Bezug auf die Nutzung finanzieller Mittel aus (§ 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Es entfielen aber insoweit auch externe Erträge und damit verbundene Vermögenswerte. 5. Zuordnung von Passivposten

8.92 Zusammenhang mit den Vermögenswerten, Chancen und Risiken. Passivposten, die aufgrund der Finanzierungsfunktion für das Unternehmen entstehen, sind den anderen Betriebsstätten zuzuordnen (§ 17 Abs. 5 BsGaV). Maßgebend ist der Grundsatz für die direkte Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen. Bezug genommen wird hier auf Passivposten, die einer Betriebsstätte direkt zuzuordnen sind (§ 15 Abs. 1, § 14 Abs. 1 BsGaV). Diese direkte Zuordnung orientiert sich am unmittelbaren Zusammenhang der Passivposten mit den einer Betriebsstätte zugeordneten Vermögenswerten sowie den ihr zugeordneten Chancen und Risiken (Rz. 6.62). Betrachtet man diese Regelung genauer, zeigt sich, dass sich diese Zuordnungsvorschrift 1 Offenbleiben muss hier, inwieweit die sich aus der internen Nutzung von Liquiditätsüberschüssen ergebenden Koordinations- und Synergievorteile bei der Bestimmung dieser Zinssätze zu berücksichtigen ist, s. dazu Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 717; zur aktuellen Diskussion s. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Actions 8–10, Financial transactions, 3 July–7 September 2018, Paris 2018, Rz. 94–131 u. Rz. 24–30, https://www.oecd.org/tax/beps/BEPS-actions-8-10-trans fer-pricing-financial-transactions-discussion-draft-2018.pdf. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 176.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.96 Kap. 8

nicht überschneidungsfrei in das Konzept der Zuordnung von übrigen Passivposten einfügt. Zudem wird unterstellt, dass die Finanzierungsfunktion für eine oder mehrere, im Einzelnen jedoch identifizierte Betriebsstätten ausgeübt wird. Zuordnung übersteigt Kapitalbedarf. Denkbar ist erstens, dass die Finanzierungs- 8.93 betriebsstätte „im Auftrag“ einer Betriebsstätte finanzielle Mittel aufnimmt, die den Vermögenswerten dieser Betriebsstätte direkt zuzuordnen sind. Nach der oben zitierten Regelung über die Zuordnung von Passivposten wäre eine entsprechende Darlehensverpflichtung dieser Betriebsstätte zuzuordnen. Übersteigt allerdings die Summe der Passivposten, die der Betriebsstätte direkt zugeordnet werden können, den Betrag, der nach der Zuordnung der in der Hilfs- und Nebenrechnung (Rz. 12.38 ff.) auszuweisenden Risiken und des Dotationskapitals für eine Zuordnung von Passivposten zur Betriebsstätte verbleibt, sind nach der korrespondierenden Regelung über die Zuordnung übriger Passivposten diese direkt zuordnungsfähigen Passivposten anteilig zu kürzen (§ 14 Abs. 2 BsGaV). Um diesen Widerspruch zu vermeiden, wird man die Verordnung wohl so lesen müssen, dass diese Passivposten, die durch die Finanzierungsfunktion entstehen, „soweit möglich direkt und verursachungsgerecht den Betriebsstätten zuzuordnen“1 sind. In keinem Fall sind diese Passivposten aber in der Finanzierungsbetriebsstätte auszuweisen. Aufnahme finanzieller Mittel für das Unternehmen insgesamt. Denkbar ist zwei- 8.94 tens, dass die finanziellen Mittel für das Unternehmen insgesamt aufgenommen werden. Hier mag zwar eingewendet werden, dass die Voraussetzungen einer Finanzierungsbetriebsstätte nicht erfüllt sind, wenn die Finanzierungsfunktion nicht für eine oder mehrere andere, im Einzelnen aber genau bestimmte Betriebsstätten ausgeübt wird (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV), so dass an dieser Stelle nichts geregelt werden muss. Offen bliebe in diesem Fall aber, welche Betriebsstätte die Kosten für Finanzierungsmaßnahmen zu tragen hätte, die das Unternehmen insgesamt betrifft. Daher liegt es nahe, den Begriff der Finanzierungsbetriebsstätte auch auf diesen Fall auszudehnen. Eine Zuordnung von Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte käme aber auch in diesem Fall grundsätzlich nicht in Betracht. Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen. Nicht in Betracht kommt grund- 8.95 sätzlich auch die Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen zur Finanzierungsbetriebsstätte (zur Ausnahme s. § 17 Abs. 7 BsGaV). Diese Zuordnung von Finanzierungsaufwendungen erfolgt grundsätzlich direkt. Die indirekte Zuordnung ist aber zulässig und dürfte praktisch die Regel sein (§ 17 Abs. 5 Satz 2 BsGaV).2 6. Entstehende Salden auf Verrechnungskonten Vermögenswerte der Betriebsstätten des übrigen Unternehmens. Werden die Gut- 8.96 haben und Ausleihungen der Betriebsstätten auf internen Verrechnungskonten der Finanzierungsbetriebsstätte gebucht, können dort (temporär) positive Salden entstehen. Zwar stehen diese Salden und Verrechnungskonten mit der Finanzierungsfunk1 VWG BsGa, Rz. 188. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 188.

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295

Kap. 8 Rz. 8.96 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

tion im Zusammenhang, so dass sie der Finanzierungsbetriebsstätte zuzuordnen sind. Sie sind aber das Ergebnis interner Gegenbuchungen und gelten, da diese pro forma dokumentierten Werte bereits in den Betriebsstätten ausgewiesen sind, die über die jeweils zugrundeliegenden Guthaben verfügen, nicht als Vermögenswerte (§ 17 Abs. 6 BsGaV). Sie sind, da entstehende Zinsen bei den Betriebsstätten erfasst werden, die über die entsprechenden Guthaben verfügen, weder zu verzinsen, noch sind sie in der Hilfs- und Nebenrechnung auszuweisen. 7. Abweichende Zuordnung von Vermögenswerten und Passivposten

8.97 Funktionsstarke Finanzierungsbetriebsstätte. Gehen die Aufgaben der Finanzierungsbetriebsstätte über die Erfüllung reiner Dienstleistungen hinaus, sind die dargestellten Grundsätze zur Gewinnabgrenzung in Bezug auf die Finanzierungsfunktion im Unternehmen nicht anzuwenden. Dies ist der Fall, wenn – die Finanzierungsbetriebsstätte im Hinblick auf entstehende Vermögenswerte und Passivposten sowie auf die damit im Zusammenhang stehenden Chancen und Risiken Personalfunktionen (vgl. Rz. 7.1 ff.) ausübt, die eine Zuordnung der Vermögenswerte und Passivposten zur Finanzierungsbetriebsstätte erfordern und – eine nicht kostenorientierte Verrechnungspreismethode zu einem Ergebnis für die Finanzierungsfunktion führt, das dem Fremdvergleich besser entspricht (§ 17 Abs. 7 BsGaV).

8.98 Zuordnung von Personalfunktionen, Vermögenswerten, Passivposten und Gewinnen. Für diesen Fall hat nicht nur der Begriff der „Finanzierungsbetriebsstätte“ einen anderen Inhalt. Es sind auch die Dienstleistungs- und Kostenverrechnung durch eine eigenständige Gewinnzuordnung zu ersetzen, die sich am Aufgabenspektrum und den hiermit verbundenen Vermögenswerten der Finanzierungsbetriebsstätte orientiert. Beschränken sich die Aufgaben der Finanzierungsbetriebsstätte auf die interne Steuerung der Liquidität bei vorübergehender Anlage kurzfristiger Liquiditätssalden und eine Durchleitung finanzieller Mittel (§ 17 Abs. 1 BsGaV), ist es weder sinnvoll, dieser Personalfunktion Vermögenswerte und Passivposten zuzuordnen, noch ist es im Hinblick auf die Annahme eines gleichen Kreditratings (Rz. 2.42) innerhalb des einheitlichen Unternehmens möglich, eine Marge zuzuweisen.1 Betreibt im Gegensatz dazu die Finanzierungsbetriebsstätte das Finanzmanagement des Unternehmens im Sinne einer eigenverantwortlichen „Treasury-Funktion“2, sind ihr die finanziellen Mittel, ein Handelsportfolio oder Sicherungsgeschäfte zuzuordnen, mit der Folge, dass zwischen der Finanzierungsbetriebsstätte und den Betriebsstätten, die die Finanzierungsfunktion in Anspruch nehmen, interne Darlehensbeziehungen 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 159. 2 Zu den Aufgaben einer Treasury-Funktion gehören nach dem Diskussionsentwurf der OECD in Bezug auf die Gewinnabgrenzung bei Finanzierungstransaktionen sowohl die Vergabe konzerninterner Darlehen als auch Cash Pooling und Hedging, vgl. OECD, Base Erosion and Profit Shifting (BEPS), Public Discussion Draft, BEPS Actions 8–10, Financial transactions, 3 July–7 September 2018, Paris 2018, Rz. 37–131, https://www.oecd.org/tax/beps/ BEPS-actions-8-10-transfer-pricing-financial-transactions-discussion-draft-2018.pdf.

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C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.100 Kap. 8

möglich werden und gegebenenfalls Zinsen zu berechnen sind (§ 16 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV). Ebenso wären der Finanzierungsbetriebsstätte mögliche Handelserfolge zuzuordnen. Ist die Finanzierungsbetriebsstätte eigenverantwortlich tätig, kann sie entweder über einen Zinsaufschlag oder separat vergütet werden. Es steht ihr aber kein risikobezogener Zinsaufschlag für die interne Weiterleitung von Kapital zu, da alle Betriebsstätten des Unternehmens einheitliche Kreditwürdigkeit haben. Entstehende Darlehensbeziehungen enden spätestens mit dem Ende des Wirtschaftsjahrs oder einer notwendigen Anpassung des Dotationskapitals (§ 16 Abs. 3 Satz 3, § 12 Abs. 6, § 13 Abs. 5 BsGaV). Abgrenzungskriterien und Höhe des Zinssatzes für unternehmensinterne Darle- 8.99 hen. Die Abgrenzung zwischen Dienstleistung und eigenverantwortlicher Finanzierungsfunktion wird in der Praxis anhand der wahrgenommenen Aufgaben, organisatorischen Zuständigkeiten, Vollmachten, Budgets, Expertise, Kompetenzen und Verantwortung vorzunehmen sein. Daneben mögen die Höhe der Kapitalausstattung nach Handelsrecht oder ein Haftungskapital die Bedeutung der Aufgaben unterstreichen. Bei der Bestimmung der Zinssätze für unternehmensinterne Darlehen ist in jedem Fall zu berücksichtigen, dass eine Betriebsstätte im Regelfall dasselbe Kreditrating (Rz. 2.42) hat wie das Unternehmen, zu dem sie gehört.1 In Frage kommen aber im Wesentlichen der Bezug auf marktübliche Zinsen für vergleichbare Transaktionen (und das Unternehmensrating), interne Vergleichspreise im Verhältnis zu verbundenen Unternehmen oder Refinanzierungskosten, die um einen Aufschlag zur Deckung der Finanzierungskosten und Gewinnerzielung, nicht aber für ein Kreditrisiko zu erhöhen wären.2

IV. Einklang mit dem AOA Funktionsprofil und Vergütung. Die unternehmensinterne Finanzierungsfunktion 8.100 ist auch nach dem Bericht der OECD zu berücksichtigen und separat zu vergüten.3 Im Unterschied zur BsGaV, für die diese Finanzierungsfunktion im Sinne einer wiederlegbaren Vermutung grundsätzlich in Form einer Dienstleistung durchgeführt wird und kostenorientiert zu vergüten ist, sind die Vergütung der Finanzierungsfunktion („treasury dealings“) und mögliche Darlehensbeziehungen nach den Empfehlungen der OECD grundsätzlich vom Funktionsprofil der Finanzierungsbetriebsstätte abhängig.4 Dieser Unterschied mag inhaltlich nicht ins Gewicht fallen, er spielt aber insoweit eine Rolle, als die Finanzverwaltung die Abweichung vom Grundsatz, dass die Finanzierungsbetriebsstätte eine Dienstleistung ausübt, an Nachweispflich1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 94, Begründung zu § 17 Abs. 7 Satz 4 BsGaV, mit Hinweis auf OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 33 u. 90, dazu aber auch Rz. 159. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 153. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 159 ff. 4 Hieraus wird man aber kaum diametrale Differenzen ableiten können, wie das bei Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 900, der Fall ist, zumal auch die Empfehlungen der OECD hervorheben, dass für den Regelfall ein kostenorientiertes Entgelt sachgerecht ist.

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Kap. 8 Rz. 8.100 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

ten knüpft.1 Im Übrigen sind die Regelungen der BsGaV detaillierter, lassen Vereinfachungen in Bezug auf die Bestimmung der Kostenbasis zu und ziehen Konsequenzen für die Zuordnung von Vermögenswerten und Passivposten. Diese Regelungen haben aber primär klarstellenden Charakter oder dienen einer pragmatischen Handhabung in der Unternehmenspraxis, so dass die Regelungen der BsGaV mit dem AOA im Einklang stehen können.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 8.101 Abweichende Bestimmungen. Der Vergleich mit der Verrechnung von Transaktionen zwischen fremden Dritten fällt differenzierter aus. Maßgebend hierfür ist zum einen der Grundsatz, dass eine Betriebsstätte und das Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, ein einheitliches Kreditrating haben.2 Er bewirkt, dass bei der Bestimmung entsprechenden Darlehenszinses kein Aufschlag für das Kreditrisiko zu berücksichtigen ist. Zwischen Marktpartnern kann davon nicht generell ausgegangen werden, es ist auch bei verbundenen Unternehmen, und hier insbesondere im Verhältnis von Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft, regelmäßig nicht der Fall.3 Eine zweite Abweichung besteht darin, dass die Nutzung finanzieller Mittel des Unternehmens durch eine Betriebsstätte grundsätzlich nicht zu verrechnen ist (§ 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Dies hat zur Folge, dass unternehmensinterne Darlehensbeziehungen auf Ausnahmefälle begrenzt bleiben. Dieser Verzicht dient aber in erster Linie der Vereinfachung. Beschränkt sich die Finanzierungsfunktion bei konzerninternen Finanzierungsgesellschaften auf eine Dienstleistung, entspricht es dem Grundsatz des Fremdvergleichs, wenn diese Dienstleistung nach einem kostenorientierten Entgelt vergütet wird.4 8.102 Konzerninterne Darlehensverhältnisse. Von Ausnahmefällen abgesehen werden konzerninterne Darlehensverhältnisse anerkannt und haben auch zur Folge, dass zwischen Darlehensnehmer und Darlehensgeber Zinsen verrechnet werden. In Bezug auf die Frage, wie für Darlehensverhältnisse der maßgebende Verrechnungspreis zu bestimmen ist, hat die OECD inzwischen im Rahmen ihrer Verrechnungspreisleitlinien für Finanzierungsvorgänge ihren Konsens gefunden, der grundsätzlich auch durch 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 191. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14, 94 v. 28.8.2014, Begründung zu § 17Abs. 7 Satz 4 BsGaV mit Hinweis auf OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 33 u. 90, dazu aber auch Rz. 159. 3 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS Actions 4, 8–10, OECD, Paris, 2020, Rz. 10.89, www.oecd.org/tax/beps/transferpricing-guidance-on-financial-transactions-inclusive-framework-on-beps-actions-4-810.htm – OECD-Leitlinien 2020, Tz. 10.89. 4 Vgl. bereits BT-Drucks. 16/6290 v. 4.9.2007, 93, Begründung zu § 8 Abs. 2 Satz 5 AStG, ebenso OECD, Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS Actions 4, 8–10, OECD, Paris, 2020, Rz. 10.100, www.oecd.org/tax/beps/transferpricing-guidance-on-financial-transactions-inclusive-framework-on-beps-actions-4-810.htm – OECD-Leitlinien 2020, Tz. 10.100; in diesem Sinne auch OECD-Leitlinien 2017, Tz. 7.34.

298 Oestreicher

C. Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens

Rz. 8.102 Kap. 8

die deutsche Finanzverwaltung anerkannt ist.1 Weit verbreitet sind danach datenbankgestützte Fremdvergleichsanalysen, die auf Kreditratingmodellen der international führenden Ratingunternehmen beruhen. Eine Alternative besteht in der Anwendung einer kostenorientierten Methode, nach der sich der Zinssatz aus den Refinanzierungszinsen des Darlehensgebers zuzüglich Verwaltungskosten, einer Risikoprämie und eines Gewinnaufschlags, d.h. den marginalen Kapitalkosten des Darlehensgebers zusammensetzt („Cost-of-Funds-Methode“).2 Andererseits sei nach dem Entwurf des BMF zu berücksichtigen, dass Finanzierungsfunktionen vornehmlich von den strategisch und operativ tätigen Spitzeneinheiten ausgeübt und verantwortet werden. Dies müsse zur Folge haben, dass ein deutsches Unternehmen („der Steuerpflichtige“) grundsätzlich keinen Zinssatz, der die Rate übersteigt, zu dem sich die multinationale Unternehmensgruppe gegenüber fremden Dritten finanzieren könnte, für eine grenzüberschreitende Finanzierung durch eine nahestehende Person entrichten darf (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 AStG-E). Im Gegensatz zu der vom BMF vorgetragenen Logik dürfte typisch sein, dass multinationale Unternehmensgruppen eine im Vergleich zu den einzelnen Konzerngesellschaften höhere Kreditwürdigkeit haben, wenn auch für strategisch bedeutsame Konzerngesellschaften Ausnahmen bestehen mögen.3 Es erscheint offensichtlich, dass diese Regelung das Gegenteil einer Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse fordert und, in Abkehr von der über viele Jahre für richtig gehaltenen Auslegung, die Verbundbeziehung zum Bestandteil des Fremdvergleichs macht.4 In diesem Sinne 1 Siehe die Begründung zu § 1a AStG-E nach dem überarbeiteten Referentenentwurf des BMF, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsetzungsgesetz), Bearbeitungsstand vom 24.3.2020, S. 75, dieser Entwurf wurde an die Verbände zirkuliert, der ursprüngliche Entwurf vom 10.12.2019 ist derzeit abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorha ben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/ATADUmsG/ 0-Gesetz.html; FG Münster v. 7.12.2016 – 13 K 4037/13 K, F, EFG 2017, 334 (Rev. BFH I R 4/17); dazu Busch/Weynandt/Röckle, IStR 2017, 531–536; Bärsch, IStR 2017, 622–633, Schmitz-Herscheidt, NWB 2017, 312–313; Wehnert/Scholz/Köhler, GmbH-StB 2017, 219–223; OECD, Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS Actions 4, 8–10, OECD, Paris, 2020, www.oecd.org/tax/beps/transfer-pric ing-guidance-on-financial-transactions-inclusive-framework-on-beps-actions-4-8-10.htm – OECD-Leitlinien 2020, Tz. 10.51 ff. 2 Zu diesem Ansatz und einigen Limitationen siehe OECD, Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS Actions 4, 8–10, OECD, Paris, 2020, Tz. 10.97 ff.; www.oecd.org/tax/beps/transfer-pricing-guidance-on-financial-transactions-inc lusive-framework-on-beps-actions-4-8-10.htm – OECD-Leitlinien 2020, Tz. 10.97. 3 Vgl. OECD, Transfer Pricing Guidance on Financial Transactions: Inclusive Framework on BEPS Actions 4, 8–10, OECD, Paris, 2020 – OECD-Leitlinien 2020, Tz. 10.82. 4 Siehe BMF, Begründung zu Art. 5 Nr. 2, § 1a AStG-E, 77; zum begründungsgleichen Vorentwurf mit Hinweis auf die Entscheidung in der Rechtssache GE Capital, siehe GE Capital Inc v The Queen, 2009, TCC 563; 2010 F.C.A. 344, kritisch auch Wilmanns/Lappe/Heidecke/Nolden/John, IStR 2020, 167; zur Beweisführung in der Rechtssache GE Capital siehe Horst, Credit Ratings and the Debt-related Costs for a Subsidiary of a Multinational Firm, in Schön/Konrad (Hrsg.), Fundamentals of International Transfer Pricing in Law and Economics, 2012, S. 159 ff., insbesondere auch S. 181.

Oestreicher

299

Kap. 8 Rz. 8.102 Dotationskapital, Finanzierungsaufwendungen und -funktion

weist auch der BFH in seiner jüngeren Rechtsprechung darauf hin, dass der Konzernrückhalt bei der Bestimmung des Zinssatzes nicht zu berücksichtigen ist. Zwar bleibt nach dem Gesetzentwurf der Ansatz des Werts, der „dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht“, möglich (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 AStG-E); er ist aber wohl „auf deutsche Weise“ zu interpretieren und nur zulässig, wenn der Steuerpflichtige diesen Wert nachweist, d.h. höheren Aufwand zum Nachweis eines ökonomisch nicht in Frage stehenden Zusammenhangs in Kauf nimmt.

300 Oestreicher

Kapitel 9 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 B. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 C. Kommentierung

I. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 II. Reichweite der Möglichkeit von dealings anhand von Beispielen . . . . . 9.9

Literatur: Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D); Hagemann, Die Zuordnung vor- oder nachgelagerter Einkünfte zu Betriebsstätten im Abkommensrecht, DB 2016, 1217; Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, Herne 2019; Kahle/Mödinger, Die Neufassung des Art. 7 OECD-MA im Rahmen der Aktualisierung des OECD-MA 2010, IStR 2010, 757; Oppel, Die Anwendung des Multilateralen Instruments (MLI), ISR 2019, 321; Roeder/Friedrich, Regelungsmängel der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, BB 2015, 1053; Schnitger, Grundsätzliche Überlegungen zur Anwendung des AOA (insbesondere) nach innerstaatlichem Recht, StuW 2019, 195; Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Auflage, Köln 2019; Schoppe/Popat, Lagerung, Einkauf und Ausstellung als Betriebsstätten ab 2017, BB 2016, 1113; van der Ham/Retzer, Vertreterbetriebsstätte: Gewinnaufteilung bei Vertreterbetriebsstätten – Ein Vergleich der im Entwurf vorliegenden OECD-Empfehlungen mit den VWG BsGa vom 22.12.2016, ISR 2017, 133; Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D).

A. Zielsetzung Grundlage. Bei der Verfolgung des Grundsatzes des § 1 Abs. 5 AStG, die Gewinnab- 9.1 grenzungsvorschriften im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätten den Vorschriften für die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen anzugleichen (siehe Rz. 7.2), ist es notwendig, Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zu fingieren, da eine schuldrechtliche Beziehung innerhalb einer Rechtseinheit rechtlich nicht möglich ist.1 Im Gegensatz zu Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen rechtlichen Einheiten, können anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (zu den Besonderheiten im Rahmen der Finanzierungsfunktion siehe Rz. 8.76) keine Forderungen und Verbindlichkeiten begründen, so dass man im Allgemeinen von Innentransaktionen spricht.2 Die Zielsetzung des § 1 Abs. 5 AStG ist es sicherzustellen, dass derartige Innentransaktionen wie Lieferungen und Leistungen gegenüber einem Dritten behandelt werden.

1 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 164 – im Folgenden VWG BsGa. 2 Wassermeyer in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 1.4.

Renz 301

Kap. 9 Rz. 9.1 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Mit der Einbeziehung der „anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung“ (nachfolgend kurz „asB“) in die Definition des Begriffs „Geschäftsbeziehung“ in § 1 Abs. 4 AStG1 sind sämtliche Regelungen in Bezug auf Geschäftsbeziehungen, wie die Auswahl von Verrechnungspreismethoden, die Bestimmung der Angemessenheit der Verrechnungspreise und auch die damit verbundenen Dokumentationspflichten, auch auf Betriebsstättensachverhalte anzuwenden. Für Zwecke der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ist demnach zu prüfen, ob einzelne oder mehrerer zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte (Outbound-Fall) bzw. zwischen ausländischem Stammhaus und inländischer Betriebsstätte (Inbound-Fall) vorliegen.2

B. Regelungsinhalt 9.2 Functionally Separate Entity Approach (FSEA). Wie bereits ausgeführt ist die Idee der asB, eine schuldrechtliche Beziehung zu fingieren, wie sie basierend auf einer Funktions- und Risikoanalyse (Rz. 7.71) vorliegen würde, wenn es sich bei Stammhaus und Betriebsstätte um rechtlich selbständige Einheiten handeln würde. Der nationale Gesetzgeber greift damit auf den von der OECD entwickelten „Functionally Separate Entity Approach“ (im Folgenden FSEA) zurück.3 Basis für die Bestimmung einer asB ist es, der Betriebsstätte anhand der ausgeübten Personalfunktionen die entsprechenden Vermögenswerte (materielle wie immaterielle Vermögenswerte) und die daran anknüpfenden Chancen und Risiken sowie in einem letzten Schritt das Dotationskapital zuzuordnen.4 Dabei sollen asB gewählt werden, welche den jeweils ausgeübten Personalfunktionen und übernommenen Risiken am besten entsprechen.5 Bezüglich Zuordnungsfragen wird auf die detaillierten Ausführungen in Kapitel 7 (Rz. 7.1 ff.) verwiesen. 9.3 Fallgestaltungen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen. Den Ausführungen der VWG BsGa folgend können grundsätzlich alle Arten von Geschäftsbeziehungen fingiert werden. Eine Einschränkung gibt es lediglich in Bezug auf Darlehensverhältnisse.6 Voraussetzung ist lediglich, dass ein wirtschaftlicher Vorgang vorliegt, welcher im Regelfall eine Personalfunktion (Rz. 7.73 ff.) betrifft und für den anzunehmen ist, dass rechtliche selbständige Unternehmen eine schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen hätten.7 Gemäß VWG BsGa liegt eine asB i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG vor, wenn

1 Siehe § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG. 2 § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG. 3 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2–3 AStG sowie VWG BsGa, Rz. 164. Weitere Ausführungen hierzu unter Rz. 9.8. 4 Vgl. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 164. 6 Vgl. § 15 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 174 f. sowie weitere Ausführungen unter Rz. 9.4. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 165.

302 Renz

B. Regelungsinhalt

Rz. 9.3 Kap. 9

– sich Personalfunktionen in Bezug auf Vermögenswerte ändern und dadurch ein fiktiver Verkauf bzw. eine fiktive Nutzungsüberlassung dieser Vermögenswerte anzunehmen ist (vgl. z.B. § 3 Abs. 4 BsGaV in Bezug auf die im Rahmen einer Begründung oder Beendigung einer Betriebsstätte stattfindenden Zuordnungsänderungen), – Dienstleistungen durch Personen des Stammhauses an eine Betriebsstätte oder durch Personen der Betriebsstätte an das Stammhaus oder eine andere Betriebsstätte erbracht werden (§§ 5–11 BsGaV) oder – voneinander unabhängige Dritte Rechtspositionen geltend machen (§ 1 Abs. 4 Satz 2 AStG).1 Für asB sind Verrechnungspreise anzusetzen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz (Rz. 2.10) entsprechen. Typische Fallgestaltungen für die Bildung von asB sind damit: – allgemeine Entstrickungstatbestände, also z.B. die Überführung eines materiellen Wirtschaftsguts vom inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte bzw. von einer inländischen Betriebsstätte ins ausländische Stammhaus; – allgemeine Verstrickungstatbestände, also z.B. die Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem Ausland ins Inland (vom ausländischen Stammhaus in die inländische Betriebsstätte bzw. von der ausländischen Betriebsstätte ins inländische Stammhaus); – Ent- oder Verstrickungstatbestände im Zusammenhang mit immateriellen Wirtschaftsgütern, also z.B. Entwicklung eines IWG durch das Stammhaus, welches im Anschluss ausschließlich durch das Personal der Betriebsstätte genutzt wird; – Produktionsfunktionen (fiktive Veräußerung der hergestellten Produkte von der ausländischen Produktionsbetriebsstätte an das Stammhaus oder von der inländischen Produktionsbetriebsstätte an das ausländische Stammhaus; – Vertriebsfunktionen (fiktive Veräußerung von Produkten für Zwecke des Weiterverkaufs an Dritte von einem ausländischen Stammhaus an eine inländische Vertriebsbetriebsstätte bzw. von einem inländischen Stammhaus an eine ausländische Vertriebsbetriebsstätte) im Fall funktionsstarker Vertriebsbetriebsstätten;2 – Nutzungsüberlassungen von materiellen Wirtschaftsgütern (Vermietung, Leasing) oder immateriellen Wirtschaftsgütern (Lizenzierung); – Erbringung von Dienstleistungen (z.B. Auftragsforschungsleistungen, Lohnfertigung, Einkaufsleistungen, Verwaltungsleistungen etc.). Wie bereits ausgeführt, erfolgte die Umsetzung des AOA im deutschen Steuerrecht in § 1 Abs. 5 AStG und damit als Teil der Vorschriften zur Berichtigung von Einkünften bei verbundenen Unternehmen und nicht als Teil der Vorschriften zur Gewinnermittlung. Auch im Abkommensrecht ist der AOA eine Vorschrift zur Abgrenzung von Gewinnen, so dass die Annahme von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 166. 2 Vgl. hierzu ausführlich Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 6.242.

Renz 303

Kap. 9 Rz. 9.3 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

an der abkommensrechtlichen Qualifikation der Einkünfte nichts ändert (s. auch Rz. 6.87 am Beispiel von fiktiven Lizenzzahlungen). Vor diesem Hintergrund kann die Frage aufgeworfen werden, ob die Regelungen des AOA überhaupt Basis für eine Entstrickungsbesteuerung aufgrund einer dauerhaften Überführung eines Wirtschaftsguts vom Stammhaus in die Betriebsstätte oder umgekehrt sein können und damit die Frage beantwortet wird, ob ein fiktiver Verkauf eines Wirtschaftsguts zwischen Stammhaus und Betriebsstätte überhaupt Gegenstand einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung (Rz. 4.15) sein kann.1 Nach der wohl herrschenden Literatur-2 und Finanzverwaltungsmeinung3 und auch der Rechtsprechung4 soll dies möglich sein. In den nachfolgenden Ausführungen wird vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass fiktive Verkäufe zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgrund von Zuordnungsänderungen grundsätzlich möglich sein sollen. Die Ausführungen in Rz. 9.14 sowie der Beitrag von Schnitger zeigen, dass diese Sichtweise durchaus fragwürdig ist.5

9.4 Reichweitenbegrenzung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen. Wie bereits ausgeführt, gibt es für die dem AOA zugrunde liegende Selbständigkeitsfiktion (Rz. 1.18) Grenzen, so dass nicht jeder Konstellation, die zwischen rechtlich selbständigen Unternehmen zu einer schuldrechtlichen Beziehung führen kann, auch der Weg einer asB zwischen Stammhaus und Betriebsstätte offensteht (s. hierzu Rz. 6.49 „Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion“). Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die OECD erkennen, dass der FSEA nicht durchgängig eingehalten werden kann. So deutet § 1 Abs. 5 Satz 2 AStG an, dass es Fälle geben kann, in denen die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen eine andere Behandlung erfordern kann als die eines eigenständigen und unabhängigen Unternehmens. Auch die OECD führt aus, dass den faktischen Unterschieden zwischen einer Betriebsstätte und einem rechtlichen selbständigen Unternehmen Rechnung zu tragen ist und nennt u.a. das Beispiel der Bürgschaften, welche nach dem AOA zu keiner asB führen können, da Stammhaus und Betriebsstätte ein einheitliches Kreditrating (Rz. 2.42) besitzen, während dieses bei einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft auseinanderfallen kann.6 Gemäß § 17 Abs. 3 BsGaV liegt darüber hinaus kein Fall einer asB für die Nutzung von finanziellen Mitteln des Stammhauses durch die Betriebsstätte vor, soweit es sich um keine Finanzierungsfunktion i.S.d. § 17 BsGaV handelt, oder aufgrund der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte im laufenden Wirtschaftsjahr finanzielle Mittel entstehen, die nachweislich für bestimmte Zwecke im übrigen Unternehmen genutzt werden. In diesem Fall gilt die Zurverfügungstellung finanzieller Mittel zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen als asB, welche 1 2 3 4 5 6

Ausführlich hierzu Schnitger, StuW 2019, 195 ff. Vgl. Kaeser in FS Endres, 2016, S. 179, a.A. Schnitger, StuW 2019, 195 f. m.w.N. Vgl. VWG BsGa, Rz. 46, 77, 81 u. 169. Vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464, FR 2008, 1149. Vgl. Schnitger, StuW 2019, 195 ff. Vgl. Bericht über die Zurechnung von Gewinnen zu Betriebsstätten v. 22.7.2010, Teil I, Rz. 55 u. 103, http://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/attributes-of-profits-permanent-es tablishments-german.pdf – im Folgenden OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Hierzu auch Kahle/Mödinger, IStR 2010, 761.

304 Renz

C. Kommentierung

Rz. 9.6 Kap. 9

entweder mit Ende des Wirtschaftsjahrs oder durch Anpassung des Dotationskapitals nach § 12 Abs. 6 oder § 13 Abs. 5 BsGaV endet.1 Soweit ein Fall des § 17 BsGaV (Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens) vorliegt, ist für die asB eine Dienstleistung anzunehmen, für die der Verrechnungspreis nach der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln ist.2 Eine Darlehensbeziehung, wie sie zwischen verbundenen Unternehmen bestehen kann, scheidet dagegen im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte in aller Regel aus (zu Ausnahmen hierzu s. unten Rz. 9.13 zu „Treasury Leistungen“). Eine weitere Einschränkung könnte im Fall von Vermietungsleistungen zu erkennen sein, da nach den Regeln der BsGaV bei einer dauerhaften Nutzung durch das Personal der Betriebsstätte regelmäßig von der Zuordnung des Wirtschaftsguts zur Betriebsstätte auszugehen ist (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Wechselt die Nutzung des Wirtschaftsguts auf Dauer, ist von einer fiktiven Veräußerung des Wirtschaftsguts (z.B. einer Maschine) auszugehen. Somit dürfte der Weg einer zwischen rechtlich selbständigen Einheiten regelmäßig möglichen Vermietung (z.B. in Form von Leasing) im Fall von Betriebsstätten verschlossen bleiben.3

C. Kommentierung I. Die Personalfunktion als Ausgangspunkt Personalfunktion. Den Ausführungen der VWG BsGa zufolge ist diejenige schuld- 9.5 rechtliche Beziehung anzunehmen, die den jeweils ausgeübten Personalfunktionen (vgl. Rz. 7.1 ff.) und übernommenen Risiken am besten entspricht.4 Voraussetzung dabei soll ein tatsächliches und identifizierbares Ereignis im Sinne eines wirtschaftlichen Vorgangs sein, welcher die ausgeübte Personalfunktion betrifft.5 Die Notwendigkeit, eine genaue Analyse dahingehend vorzunehmen, welche Personen welche Aufgaben im Unternehmen haben, gewinnt daher unter dem AOA erheblich an Bedeutung und erfüllt im Betriebsstättenkontext dieselbe Funktion wie bei international verbundenen Unternehmen.6 Definition der Personalfunktion. Wie bereits in Rz. 6.1 ff. ausgeführt, ist eine Per- 9.6 sonalfunktion gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 AStG i.V.m. § 2 Abs. 3 BsGaV eine Geschäftstätigkeit, die vom eigenen Personal des Unternehmens, für das Unternehmen

1 2 3 4 5

Vgl. § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV. Vgl. § 17 Abs. 2 BsGaV. Vgl. VWG BsGa, Rz. 77 sowie Roeder/Friedrich, BB 2015, 1057 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 164. Vgl. VWG BsGa, Rz. 165 sowie OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 35; siehe dazu auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.375 ff. 6 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 13.

Renz 305

Kap. 9 Rz. 9.6 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

ausgeübt wird.1 Die Personalfunktion stellt damit den Ausgangspunkt dar, welche asB dem Grunde nach vorliegen könnte. Personalfunktionen können grundsätzlich aus allen Bereichen innerhalb einer Wertschöpfungskette kommen, beginnend bei der Forschung & Entwicklung, über Einkauf und Produktion bis hin zu den Vertriebs- und Verwaltungsbereichen. Als Geschäftstätigkeiten einer Personalfunktion nennt die BsGaV in § 2 Abs. 3 Satz 2 die Nutzung, Anschaffung, Herstellung, Verwaltung, Veräußerung, Weiterentwicklung, den Schutz, die Risikosteuerung und die Entscheidung, Änderungen hinsichtlich von Chancen und Risiken vorzunehmen.

9.7 Funktionsanalyse als Basis. Eine asB liegt immer dann vor, wenn die Personalfunktion ein Ereignis auslöst, für das zwischen unabhängigen Unternehmen eine schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen oder eine Rechtsposition geltend gemacht worden wäre. Für die Frage, welche asB für den konkreten Fall in Frage kommt, ist daher eine Funktionsanalyse (Rz. 7.30 ff.) durchzuführen, in der analysiert wird, welche Personalfunktionen wo (Stammhaus oder Betriebsstätte) in den verschiedenen Funktionsbereichen des Unternehmens ausgeübt werden, um dann anhand der in Kapitel 7 (Rz. 7.115 ff.) beschriebenen Zuordnungskriterien zu entscheiden, welche materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter bzw. Chancen und Risiken der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Die OECD betont in diesem Zusammenhang, dass sowohl die wesentlichen Personalfunktionen für die Risikoübernahme und das wirtschaftliche Eigentum als auch andere von der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen zu analysieren sind.2 Ebenso sei zu beachten, dass die Funktionen, die nicht zu den wesentlichen Funktionen im Sinne von Risikoübernahme und wirtschaftlichem Eigentum zählen, nicht schon per se als geringwertig zu erachten seien.3 Die OECD weist zurecht darauf hin, dass zwar der Ausgangspunkt für die Evaluierung einer potentiellen „wirtschaftlichen Beziehung“ die Rechnungslegungsunterlagen und die internen Aufzeichnungen der Betriebsstätte bilden, aus denen das Bestehen einer asB hervorgeht, allerdings letztlich auf Grund einer Funktions- und Sachverhaltsanalyse die Feststellung getroffen werden muss, ob eine asB vorliegt.4 Neben der Analyse, welche wesentlichen Funktionen durch welches Personal ausgeübt werden, gilt es darüber hinaus zu bestimmen, ob auf Grund der „wirtschaftlichen Beziehung“ wirtschaftlich erhebliche Übertragungen von Risiken, Verpflichtungen und Vorteilen erfolgt sind.5 Da im Verhältnis von Stammhaus zu Betriebsstätte keine „Vertragsbedingungen“ analysieren werden können, sind Hinweise aus Korrespondenz und Kommunikation zwischen Stammhaus und Betriebsstätten zu analysieren und zu dokumentieren (z.B. aus den Rechnungslegungsunterlagen). Darüber hinaus empfiehlt die OECD eine Dokumentation (hierzu mehr in Rz. 12.1 f.) zu erstellen, aus der hervorgeht, ob das tatsächliche Verhalten der Beteiligten den „Bedingungen der wirtschaftlichen Beziehung“ entspricht und mit den für 1 Vgl. ausführlich zu den Begriffen „Geschäftstätigkeit“, „Eigenes Personal“ sowie „Ausübung für das Unternehmen“ Rz. 6.55 ff. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 17. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 17. 4 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 177. 5 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 178.

306 Renz

C. Kommentierung

Rz. 9.8 Kap. 9

die Beziehungen zwischen unabhängigen Unternehmen üblicherweise geltenden wirtschaftlichen Prinzipien in Einklang steht. Die OECD betont hierbei, dass insbesondere im Fall einer Betriebsstätte eine solche Analyse noch bedeutender ist, da die Bedingungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gerade nicht vertraglich bindend vereinbart werden können.1 Da die Beweislast in aller Regel den Steuerpflichtigen trifft, ermutigt die OECD die Steuerpflichtigen, neben den Rechnungslegungsunterlagen auch eine entsprechende Dokumentation zu erstellen, in denen neben einer Funktionsanalyse auch dargestellt wird, ob durch die wirtschaftliche Beziehung wirtschaftlich erhebliche Risiken, Verpflichtungen und Vorteile übertragen werden. Insbesondere der Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern (vgl. Rz. 7.37 ff.) kommt bei der Funktionsanalyse eine entscheidende Rolle zu, da diese häufig maßgeblich für die Frage sind, ob in der Betriebsstätte lediglich Routinefunktionen (z.B. eine Dienstleistung) ausgeübt werden oder aufgrund der in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen (wesentliche) immaterielle Wirtschaftsgüter dieser zuzuordnen sind und folglich für die fremdübliche Bildung der asB zu berücksichtigen sind – mit allen daraus resultierenden Folgen für die Ergebnisverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Maßgebliche Personalfunktionen. Die Qualifikation und geografische Verortung 9.8 der sog. „maßgeblichen Personalfunktionen“ (oder im OECD-Jargon auch „Significant People Functions“ bzw. für den Bereich der Banken und Versicherungen (siehe hierzu Kap. 14 und 15, Rz. 14.1 ff. und Rz. 15.1 ff.) „Key Entrepreneurial Risk Taking (KERT) Functions“ genannt) kommt eine zentrale Bedeutung für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken zu.2 Ergänzend zu einer Funktionsanalyse im Rahmen von Verrechnungspreisen zwischen rechtlich selbständigen Einheiten ist es für die Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums3 von Vermögensgegenständen sowie die Zuordnung der Risikoübernahme notwendig, die dafür wesentlichen Personalfunktionen zu identifizieren.4 Ob eine Personalfunktion als maßgeblich anzusehen ist, ist anhand des jeweils vorliegenden Einzelfalls zu entscheiden.5 Hierbei kommt es den Ausführungen der VWG BsGa zufolge nicht darauf an, auf welcher Hierarchiestufe formal eine Entscheidung getroffen wird, sondern auf den konkreten Bezug der Personalfunktion zum jeweiligen Zuordnungsgegenstand.6 So ist es z.B. für die Frage der Risikozuordnung entscheidend, welche Personalfunktion das jeweilige 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 180. 2 Vgl. § 2 Abs. 5 BsGaV; VWG BsGa, Rz. 39 sowie OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 15 f. 3 Den Ausführungen des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 zufolge ist der Begriff des „wirtschaftlichen“ Eigentums im Kontext der Betriebsstättengewinnermittlung entsprechend dem Eigentum bei rechtlich selbständigen Einheiten anzuwenden, mit den sich daraus ergebenden Vor- und Nachteilen. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Rz. 14 i.V.m. dortiger Fn. 4. 4 Vgl. für Zuordnungsfragen von Vermögensgegenständen ausführlich Rz. 7.115 ff., für die Zuordnung von Chancen und Risiken Rz. 7.173 ff. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 40 sowie OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 16. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 40.

Renz 307

Kap. 9 Rz. 9.8 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Risikomanagement und die Risikokontrolle (Rz. 7.187) durchführt und verantwortet. Als nicht maßgeblich sind den Ausführungen der VWG BsGa zufolge Personalfunktionen, die bezogen auf den Zuordnungsgegenstand lediglich unterstützenden Charakter haben, ausschließlich die allgemeine Geschäftspolitik des Unternehmens (Strategiefunktionen) betreffen oder lediglich formal durch Personal einer Betriebsstätte (oder des Stammhauses) ausgeübt werden.1 Die in einer Funktionsanalyse identifizierten maßgeblichen Personalfunktionen und die darauf aufbauende Zuordnung von Vermögensgegenständen, Chancen und Risiken bilden demnach sowohl aus Sicht der OECD als auch aus Sicht der deutschen Regelungen den Ausgangspunkt für die Bildung der asB.

II. Reichweite der Möglichkeit von dealings anhand von Beispielen 9.9 Fallkonstellationen. Wie bereits oben ausgeführt, werden in den VWG BsGa2 eine Reihe von Fallkonstellationen genannt, welche zu asB führen können. Bezogen auf laufende Geschäftsvorfälle und kategorisiert nach der Art der Tätigkeit werden im Weiteren Beispielsfälle für folgende Bereiche beschrieben: – Vertriebsfunktionen, – Produktionsfunktionen, – Nutzungsüberlassungen, – Dienstleistungen. Darüber hinaus kann es, zumindest nach der wohl h.M., zu einmaligen Geschäftsvorfällen in Form von Entstrickungsvorgängen kommen, die entweder in einer Zuordnungsänderung von materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgütern begründet sind oder durch Funktionsverlagerungsvorgänge.3 Letzteres wird ausführlich in Kapitel 10 (Rz. 10.13 ff.) beschrieben, so dass an dieser Stelle lediglich auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen wird. Weitere Fragestellungen in Bezug auf asB können im Zusammenhang mit der Zuordnung von vor- oder nachgelagerten Einkünften zur Betriebsstätte entstehen, auf welche in den nachfolgenden Ausführungen lediglich kurz eingegangen wird.

9.10 Vertriebsfunktionen. Vertriebsfunktionen durch eine Betriebsstätte können in unterschiedlichen funktionalen Ausprägungen vorkommen. Wird die Vertriebsfunktion durch eine feste Geschäftseinrichtung im Betriebsstättenstaat ausgeübt, kann die asB je nach Funktions- und Risikoprofil den fiktiven Verkauf der zu vertreibenden Waren 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 40. 2 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 76 ff. u. 168 sowie Busch, DB 2016, 912. 3 Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Rz. 9.3 m.w.N. Danach erscheint es zumindest strittig, dass der in § 1 Abs. 5 AStG in innerstaatliches Recht umgesetzte AOA Entstrickungstatbestände begründen kann und nicht lediglich als ein Instrument zur sachgerechten Gewinnaufteilung dient, da § 1 AStG lediglich eine Einkünftekorrekturnorm und keine Einkünfteermittlungsvorschrift darstellt.

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C. Kommentierung

Rz. 9.10 Kap. 9

vom Stammhaus an die Betriebsstätte zum Gegenstand haben und der fremdübliche Verrechnungspreis für die asB auf Basis der Wiederverkaufspreismethode oder der transaktionsbezogenen Nettomargenmethode (TNMM) bestimmt werden. Beispiel 1: Vertriebsbetriebsstätte mit fester Geschäftseinrichtung: Unternehmen A im Staat A entwickelt und produziert Produkte, welche über den Fachhandel vertrieben werden. In Polen unterhält es für den Vertrieb der Produkte ein Vertriebsbüro mit 10 Angestellten, welches für die lokale Marktbearbeitung (lokales Marketing, Identifizierung und Akquisition von Kunden, Vertragsverhandlungen, Bearbeitung von Gewährleistungsfällen etc.) verantwortlich ist und hierfür ein lokales Verkaufsbüro und ein Warenlager unterhält. Das Warenlager wird durch die lokal in Polen tätigen Mitarbeiter betrieben. Lösung: Basierend auf einer Funktionsanalyse sind der Betriebsstätte insbesondere der Kundenstamm und der lokale Warenbestand zuzuordnen, da die wesentlichen Personalfunktionen in Bezug auf die Akquisition und Betreuung der Kunden sowie die Kontrolle über Vorratsbestandsrisiken und Forderungsausfallrisiken von Angestellten der Betriebsstätte ausgeübt werden. Für die asB ist somit ein Verkauf der zu vertreibenden Produkte vom Stammhaus an die Vertriebsbetriebsstätte zu fingieren. Zur Bestimmung der fremdüblichen Preise für die jeweiligen asB ist auf die hierfür international anerkannten Verrechnungspreismethoden, welche zwischen rechtlich eigenständigen Einheiten Anwendung finden, zurückzugreifen. Für den vorliegenden Fall kommen (unter der Annahme, dass die Preisvergleichsmethode mangels verfügbarer Preisvergleichsdaten) hier am ehesten die Wiederverkaufspreismethode oder die transaktionsbezogene Nettomargenmethode („TNMM“) in Frage.

Die Höhe der Verrechnungspreise für die asB bestimmt sich ebenfalls nach den für rechtlich selbständige Rechtseinheiten aufgestellten allgemeinen Verrechnungspreisregelungen (Rz. 7.112), so dass in der Praxis in der Regel auf eine hierfür zu erstellende Datenbankstudie (für oben genanntes Beispiel entsprechend für den Bereich Vertrieb) zurückzugreifen sein dürfte. Den Ausführungen der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren folgend, dürfte es für den oben beschriebenen Fall nicht ausgeschlossen sein, dass die deutsche Finanzverwaltung lediglich die Wiederverkaufspreismethode zulassen wird, da die TNMM nach deren Ansicht nur auf Routinetätigkeiten anzuwenden ist und für den Fall, dass auf die Standardmethoden wegen des Fehlens oder der Mängel von Fremdvergleichsdaten nicht zurückgegriffen werden kann.1 Die Einschränkung der Anwendbarkeit der TNMM ist nicht durch die Sichtweise der OECD gedeckt. Mit der Veröffentlichung der OECD-Leitlinien 2010 erfolgte die Einführung des Grundsatzes der am besten geeigneten Verrechnungspreismethode („most appropriate transfer pricing method“), welche eine Aufweichung im Hinblick auf einen klaren Vorrang der traditionellen transaktionsbezogenen Standardmethoden (Preisvergleichsmethode, Wiederverkaufspreismethode und Kostenaufschlagsmethode) vor den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden wie der geschäftsvorfallbezogenen Nettomargenmethode (Transactional Net Margin Method – „TNMM“) und der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnverteilungsmethode (Transactional Profit Split Method – „PSM“) darstellt. Für die Auswahl der am besten geeigneten Methode sind lt. OECD – neben 1 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.3 Buchst. b – Verwaltungsgrundsätze Verfahren.

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Kap. 9 Rz. 9.10 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Stärken und Schwächen der jeweiligen Methode an sich – wesentliche Kriterien die Angemessenheit der Methode im Hinblick auf die Art der konkreten Transaktion, die Verfügbarkeit verlässlicher Fremdvergleichsdaten sowie die Möglichkeit, potentielle Anpassungsrechnungen durchführen zu können. Für den Fall, dass die Preisvergleichsmethode anwendbar ist, ist diese allerdings auch nach Auffassung der OECD nach wie vor allen anderen Methoden vorzuziehen. Die traditionellen transaktionsbezogenen Methoden sind darüber hinaus den transaktionsbezogenen Gewinnmethoden dann vorzuziehen, wenn beide Methoden gleich gut geeignet erscheinen.1 Einen Zwang, mehrere Methoden anzuwenden, gibt es nach wie vor nicht.2 Als Ausfluss der BEPS-Initiative wurden u.a. die Kriterien für die Begründung einer sog. Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 20173 neu formuliert. Im Ergebnis führt der neue Wortlaut zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte (dazu Rz. 3.50 ff., Rz. 11.1 ff.), da nicht mehr allein die (faktische) Vollmacht des Vertreters im Namen des Vertretenen Verträge abzuschließen erforderlich ist, sondern es bereits ausreichend sein soll, dass der Vertreter eine wesentliche Rolle im Zusammenhang mit dem Abschluss von Verträgen einnimmt, sofern diese üblicherweise ohne signifikante Änderungen vom vertretenen Unternehmen geschlossen werden und entweder (a) im Namen des vertretenen Unternehmens sind oder (b) zur Übertragung des Eigentums oder der Nutzungsüberlassung an Gegenständen vom vertretenen Unternehmen führen oder (c) in der Erbringung von Dienstleistungen durch das vertretene Unternehmen resultieren.4 Ob und inwieweit dieser neue Wortlaut den Weg in die von Deutschland abgeschlossenen bzw. neu abzuschließenden DBA findet, bleibt zwar abzuwarten,5 dennoch dürfte international die Anzahl der Vertreterbetriebsstätten zunehmen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden einige Konstellationen in Bezug auf Vertreterbetriebsstätten dargestellt.6 Beispiel 2: Vertreterbetriebsstätte (Standardfall)7: Unternehmen X (X) in Staat A beauftragt eine nahestehende Person, die Kapitalgesellschaft Y (Y) mit Sitz und Geschäftsleitung in Staat B, dort Waren, die X produziert, namens und im Auftrag von X zu verkaufen. Eigenes Personal von X ist nicht im Staat B tätig. Y erhält für ihre Vertriebs- und Marketingfunk1 Vgl. OECD (2011), OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2010, OECD Publishing, Tz. 2.2, abrufbar unter http://dx.doi. org/10.1787/9789264125483-de – im Folgenden OECD-Leitlinien 2010. 2 Vgl. OECD-Leitlinien 2010, Tz. 2.11. 3 Vgl. OECD-MA 2017 v. 21.11.2017, abrufbar in englischer Version unter http://dx.doi. org/10.1787/mtc_cond-2017-en. Siehe zur inoffiziellen deutschen Übersetzung Schönfeld/ Ditz, DBA2 – jeweils vor den kommentierten Artikeln des OECD-MA 2017. 4 Vgl. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2017. 5 Vgl. hierzu auch van der Ham/Retzer, ISR 2017, 133 f. Demzufolge wird derzeit davon ausgegangen, dass Deutschland im Rahmen des Multilateralen Instruments (MLI) die anvisierten Maßnahmen in Art. 12 MLI, in welchem die Übernahme der neuen OECD-Definition zur Vertreterbetriebsstätte geregelt ist, insgesamt nicht unterschreiben wird. Siehe ausführlich zum MLI und dessen Anwendung Oppel, ISR 2019, 321 ff. 6 Eine sehr ausführliche Darstellung findet sich bei van der Ham/Retzer, ISR 2017, 131–140. 7 In Anlehnung an den in VWG BsGa, Rz. 421 genannten Beispielsfall.

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C. Kommentierung

Rz. 9.10 Kap. 9

tion (Kundenakquisition, Auftragsannahme und -bearbeitung, Umsetzung der von X vorgegebenen Marketing- und Werbemaßnahmen) hierfür eine angemessene fremdübliche Vermittlungsprovision. Den Regelungen des zwischen Staat A und Staat B geltenden DBA zufolge begründet X im Staat B eine Vertreterbetriebsstätte. Lösung: Bei konsequenter Anwendung des Grundsatzes der Zuordnung von Wirtschaftsgütern bzw. den damit zusammenhängenden Risiken, kann es für den vorliegenden Fall mangels Personalfunktion in der Betriebsstätte zu keinem Gewinn oder Verlust kommen (Nullsummentheorie) und letztlich auch nicht zu einer entsprechenden asB.

Der oben vertretene Lösungsvorschlag widerspricht allerdings insofern der Sichtweise der deutschen Finanzverwaltung, als den Regelungen des § 39 Abs. 2 BsGaV folgend alle Personalfunktionen, die vom Personal des ständigen Vertreters (im obigen Beispielsfall: Y) für das vertretene Unternehmen (im Beispielsfall: X) ausgeübt werden, als eigene Personalfunktion des Vertretenen zu behandeln sind. Die asB wäre in diesem Fall wohl ein fiktiver Provisionsertrag, welchem ein entsprechender Aufwand in Form der Weitergabe dieses Ertrags an Y gegenübersteht.1 Im Ergebnis verbliebe auch bei diesem Lösungsweg ein Betriebsstättenergebnis von null. Beispiel 3: Vertreterbetriebsstätte (erweitertes Funktions- und Risikoprofil): Der Ausgangsfall2 entspricht Fall 2. Allerdings unterhält X im Staat B bei Y ein eigenes Lager für die Waren, die bis zur Veräußerung im Eigentum von X bleiben. Personal von Y kümmert sich um den Vorratsbestand, trifft entsprechende Entscheidungen bzgl. Lagerhaltung, bestimmt die Höhe der Bestände und ist für das Management der Vorratsrisiken verantwortlich. Darüber hinaus werden Kundenforderungen im Hinblick auf Zahlungskonditionen, Überprüfung der Kreditfähigkeit sowie des Zahlungseingangs durch Y verantwortet. Eigenes Personal von X übt keine Funktionen hinsichtlich des Lagers in Staat B aus. Lösung: An der Tatsache, dass die Vertreterbetriebsstätte über kein eigenes Personal verfügt, hat sich gegenüber Fall 2 nichts geändert, so dass man zunächst auch in diesem Fall mangels Personalfunktion in der Betriebsstätte der Nullsummentheorie folgen könnte und auch hier nicht zu einer entsprechenden asB käme. In diesem Fall wäre allerdings dem Unternehmen Ydurch die Übernahme der zusätzlichen Funktionen und (der OECD-Sichtweise folgend) den Y zuzuordnenden Risiken ein zusätzlicher funktions- und risikoadäquater Gewinn zuzugestehen.

Sowohl die OECD als auch die deutsche Finanzverwaltung würden den Fall allerdings anders lösen: – OECD-Sichtweise: Den Ausführungen in Tz. 1.71 ff. und Tz. 1.98 OECD-Leitlinien 2017 folgend wären Y (unter der Annahme, Y würde über die finanzielle Kapazität zur Übernahme dieser Risiken verfügen) entgegen der vertraglichen Vereinbarung Vorratsbestands- und Forderungsausfallrisiken zuzuordnen, während X als zivilrechtlichem Eigentümer der Vorräte und der Forderungen lediglich ein entsprechender Finanzierungsertrag zustehen würde. Die OECD weist darauf hin, dass üblicherweise im Rahmen einer typischen Handelsvertretervereinbarung das 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 422 sowie van der Ham/Retzer, ISR 2017, 136. 2 In Anlehnung an den von van der Ham/Retzer, ISR 2017, 137 beschriebenem Fall, der dort ausführlich diskutiert wird.

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Kap. 9 Rz. 9.10 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Eigentum an den Gütern zu keinem Zeitpunkt auf das vertretende Unternehmen (hier: Y) übergeht und immer im Eigentum des nicht ansässigen Unternehmens (hier: X) verbleibt und Letzteres somit auch das grundsätzliche Lagerrisiko trägt. Eine fremdvergleichskonforme Provision würde folgerichtig auch keinen Vergütungsbestandteil für die Übernahme dieser Risiken beinhalten.1 In Bezug auf die Vertreterbetriebsstätte stellt sich allerdings die Frage, ob irgendein Teil der Vergütung für die Übernahme des Lagerrisikos der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet werden sollte. Ausgehend von dem oben geschilderten Fall, dass sämtliches Personal, welches für die Übernahme und/oder das anschließende Management des Lagerrisikos beim vertretenden Unternehmen Y beschäftigt ist und diese Funktionen im Auftrag des nicht ansässigen Unternehmens X ausübt, hat nach Ansicht der OECD zur Folge, dass das „wirtschaftliche Eigentum“ an den Lagerbeständen und die Vergütung für die Übernahme des damit verbundenen Lagerrisikos fiktiv der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen sind.2 Die Frage, welche asB für diese zusätzlichen Funktionen und Risiken anzusetzen wären, beantwortet die OECD nicht. Eine theoretisch denkbare Alternative, eine Einkaufs-/Verkaufstransaktion entsprechend eines Eigenhändlermodells anzunehmen, könnte die Frage aufwerfen, ob dann überhaupt noch von einer Vertreterbetriebsstätte auszugehen ist.3 Für den Fall, dass man die Sichtweise der OECD-Leitlinien 2017 derart interpretiert, dass die Vorratsbestands- und Forderungsausfallrisiken Y zuzuordnen wären, wird in der Literatur diskutiert, dass eine Re-Charakterisierung dahingehend vorzunehmen ist, dass Y wie ein Eigenhändler zu behandeln ist.4 Der dort vertretenen Meinung, dass in diesem Fall die Voraussetzungen einer Vertreterbetriebsstätte ggf. wegfallen könnten, da Eigenhändlermodelle von der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte ausgenommen sind,5 kann insoweit nicht gefolgt werden. Zum einen erscheint für den vorliegenden Fall zweifelhaft, ob eine Recharakterisierung aufgrund der Zuweisung der Risiken überhaupt so weitgehend sein kann, dass auf Ebene von Y der Ein- und Verkauf der Waren fingiert wird, zum anderen ist fraglich, ob sich an der Qualifikation als Vertreterbetriebsstätte dadurch etwas ändern kann. So lässt auch die OECD offen, wie eine solche Umqualifizierung auszusehen hätte und führt aus, dass in aller Regel an dem tatsächlich getätigten Geschäftsvorfall festzuhalten ist, und legt die Hürde für dessen Nichtanerkennung entsprechend hoch.6 Im Ergebnis dürften die zusätzlich von Y übernommenen Funktionen und der damit ggf. verbundenen Zuordnung von Risiken daher lediglich einen Einfluss auf die Höhe der angemessenen Vergütung für Y haben, nicht jedoch zu einer fiktiven Re-charakterisierung des Geschäftsmodells führen. 1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 241. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 243. So wohl die Ansicht von van der Ham/Retzer, ISR 2017, 137. Vgl. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 138. Vgl. OECD (2018), Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstättenstatus, Aktionspunkt 7: Abschlussbericht 2015, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), OECD Publishing, Paris, abrufbar unter http://dx.doi.org/ 10.1787/9789264287334-de; Art. 5 Rz. 32.12 OECD-MK 2017. 6 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.119–1.128, abrufbar unter https://doi.org/10.1787/ 9789264304529-de.

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C. Kommentierung

Rz. 9.10 Kap. 9

– Vor dem Hintergrund, dass die OECD in ihrem Betriebsstättenbericht 2010 das wirtschaftliche Eigentum an den Lagerbeständen und die Vergütung für die Übernahme des damit verbundenen Lagerrisikos der Vertreterbetriebsstätte zuordnen würde,1 dürfte in Bezug auf die Frage einer potentiellen asB eine fiktive Übertragung der zu vertreibenden Wirtschaftsgüter vom Stammhaus auf die Vertreterbetriebsstätte, die am ehesten OECD-konforme Lösung sein. Die Vertreterbetriebsstätte wäre demnach wie ein Eigenhändler zu behandeln, welchem die Umsatzerlöse einerseits und die Kosten der für den Verkauf bestimmten Waren (Cost of goods sold, oder kurz „COGS“) andererseits zuzurechnen wären. Darüber hinaus wären der Vertreterbetriebsstätte die Kosten, welche Unternehmen X für die fremdübliche Vergütung der von Unternehmen Y übernommenen Funktionen und Risiken (inkl. der Lager- und Forderungsausfallrisiken) entstehen, zuzuordnen sein. Im Ergebnis verbliebe bei der Vertreterbetriebsstätte ein Finanzierungsertrag für ihre Vorfinanzierungsfunktion, der ihr als rechtlicher Eigentümer der Vorräte und der Forderungen nach Sichtweise der OECD zustehen würde. Die asB wäre in diesem Fall ein fiktiver Verkauf der Waren vom Stammhaus an die Betriebsstätte, für welche ein Verrechnungspreis entweder auf Basis der Wiederverkaufspreisemethode oder auf Basis der TNMM zu bilden wäre. – Sichtweise der Finanzverwaltung: Den Ausführungen in § 39 Abs. 2 der BsGaV folgend, sind für den folgenden Fall sämtliche Personalfunktionen des Unternehmens Y, welche dies für das Unternehmen X im Auftrag ausübt, der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen. Die Finanzverwaltung folgt damit einer eher zivilrechtlichen Sichtweise und führt in Rz. 423 VWG BsGa aus, dass eine etwaige Risikoprämie aus der Ausübung der von Y übernommenen Risikomanagementund -kontrollfunktionen nicht dem vertretenden Unternehmen Y, sondern der Vertreterbetriebsstätte des Unternehmen X, welches das Risiko zivilrechtlich trägt, zuzuordnen ist. Y würde insofern lediglich ein Dienstleistungsentgelt für die Verwaltung der Risiken zustehen.2 In Bezug auf eine asB lässt die Finanzverwaltung (soweit ersichtlich) offen, wie eine Lösung für den vorliegenden Fall aussehen könnte. Den Ausführungen von van der Ham/Retzer zufolge, wäre eine fiktive Provision für das gegenüber dem Stammhaus erbrachte „dealing“ zuzuordnen, welche neben der eigentlichen Vertriebsfunktion auch eine angemessene Risikoprämie beinhalten müsste. Diese müssten in Summe höher sein als diejenige, welche an Y zu entrichten wäre.3 Zum gleichen Ergebnis sollte man kommen, wenn als asB nicht eine Provision, sondern der Ein- und Verkauf der Waren fingiert wird (s. hierzu die oben unter „OECD-Sichtweise“ gemachten Ausführungen). Vor dem Hintergrund, dass die Finanzverwaltung Kosten aus der Abschreibung oder dem Verlust von Lagerbeständen der Vertreterbetriebsstätte zuordnet,4 wäre die Behandlung der Vertreterbetriebsstätte vergleichbar mit einem Eigenhändler eine wohl konsistentere Lösung. Im Gegensatz zu der oben unter „OECD-Sichtweise“ beschriebenen Lösung wäre hier auch die Risikoprämie aus der Übernahme der 1 2 3 4

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 243. Vgl. VWG BsGa, Rz. 423. Vgl. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 137. Vgl. VWG BsGa, Rz. 423 – Lösung zu Fortsetzung des Falls in dortiger Rz. 421.

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Kap. 9 Rz. 9.10 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Lager- und Forderungsausfallrisiken der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen und nicht in Form eines erhöhten Entgelts Unternehmen Y zu entschädigen. In Summe dürfte das in Staat B zu versteuernde Einkommen dasselbe bleiben, allerdings mit unterschiedlicher Allokation auf das Unternehmen Y und die Vertreterbetriebsstätte von X im Staat B.1

9.11 Produktionsfunktionen. Auch Produktionsfunktionen können bei Betriebsstätten in unterschiedlichen funktionalen Ausprägungen vorkommen (zur Verlagerung von Produktionsfunktionen siehe Rz. 10.24). Theoretisch denkbar ist hierbei die komplette Palette, beginnend mit dem funktionsstärksten Eigenproduzenten, über den Lizenz- oder Vollproduzenten, einem klassischen Auftragsfertiger bis hin zu einem Lohnfertiger als funktionsschwächster Ausprägung einer Produktionsfunktion.2 In der Praxis dürften die beiden zuletzt genannten Formen diejenigen sein, welche am ehesten anzutreffen sind. Eine Produktionsbetriebsstätte, welche funktional so stark ausgeprägt ist, dass sie wie beim Eigenproduzenten die volle Wertschöpfungskette abdeckt oder beim Lizenzfertiger, ebenfalls mit Ausnahme der Entwicklungsfunktion, nahezu alle Funktionen innerhalb einer Wertschöpfungskette übernimmt, dürfte in der Praxis selten anzutreffen sein. Wie schon bei den Vertriebsfunktionen spielt die Allokation von Risiken für die Bestimmung der asB und der dieser zugrunde zulegenden Verrechnungspreismethode (Rz. 7.43 ff.) auch bei Produktionsfunktionen eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Im Bereich Produktion sind insbesondere Lagerrisiken für Produktionsmaterialien und Vorprodukten (Komponenten), Preisänderungsrisiken auf dem Beschaffungsmarkt, Kapazitätsauslastungsrisiken, Ausschussrisiken sowie Produkthaftungs- und Garantierisiken zu nennen. Wie bereits in Kapitel 7, Rz. 7.164 ff. ausgeführt, orientiert sich die Zuordnung von Risiken (und Chancen) entweder an Vermögenswerten (z.B. einer der Betriebsstätte zugordneten Maschine), an Geschäftsvorfällen3 (z.B. ein von der lokalen Betriebsstätte für den Transport der Waren zum Kunden beauftragtes Logistikunternehmen) oder an der Geschäftstätigkeit4, bei welcher dann letztendlich wieder die Risikozuordnung auf Basis der Personalfunktion erfolgt. Potentielle Varianten von asB in einer Produktionsbetriebsstätte sollen anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht werden. Beispiel 1: Auftragsfertigung: Die deutsche D AG entwickelt und produziert Autoelektronikteile, welche an internationale Automobilhersteller (OEMs) verkauft werden. In Ungarn unterhält die D AG einen Produktionsstandort welcher für die in Ungarn ansässigen Werke der OEMs Autoelektronikteile fertigt. Eine Funktions- und Risikoanalyse ergibt folgendes Bild: Stammhaus: Die wesentlichen Personalfunktionen im Hinblick auf die Entwicklung der Produkte und der Produktionsverfahren, die Auswahl der Lieferanten für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe 1 GL.A. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 138. 2 Zur Abgrenzung der unterschiedlichen Formen von Fertigungsleistungen wird auf Renz/ Wilmanns, Internationale Verrechnungspreise2, S. 253 ff. verwiesen. 3 Vgl. § 10 Abs. 1 BsGaV. 4 Vgl. § 10 Abs. 2 BsGaV.

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C. Kommentierung

Rz. 9.11 Kap. 9

sowie von Vorprodukten und die Kundenakquisition (inkl. Vertragsverhandlungen) befinden sich im Stammhaus. Die mittel- und langfristigen Produktionskapazitäten werden durch Personal des Stammhauses überwacht und verantwortet, sämtliche Produktionsprozesse inkl. Qualitätskontrollen erfolgen ebenfalls auf Basis von Vorgaben, welche durch Personal des Stammhauses erarbeitet wurden. Dem Stammhaus sind sämtliche wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter wie Patente, Produktionsverfahren, Markenrechte, Kundenstamm etc. zuzuordnen. Ihr sind auch Preisänderungsrisiken auf dem Beschaffungsmarkt, Kapazitätsauslastungsrisiken sowie Produkthaftungs- und Garantierisiken zuzuordnen. Betriebsstätte: Die operative Durchführung der Produktion, des dafür erforderlichen Einkaufs von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie die Organisation der Auslieferung an die Kunden (inkl. der Beauftragung von Logistikunternehmen) findet durch Personal der Betriebsstätte in Ungarn statt. Der für die Herstellung der Produkte erforderliche Maschinenpark befindet sich dauerhaft am Produktionsstandort in Ungarn und wird dort genutzt und gewartet, so dass dieser der Betriebsstätte zuzuordnen ist. Risiken im Hinblick auf die Produktion von Ausschuss oder aufgrund der Nichteinhaltung zentraler Qualitätsvorgaben verursachte Produktmängel sind der lokalen Betriebsstätte in Ungarn zuzuordnen. Lösung: Die Tätigkeiten in der Betriebsstätte können als Auftragsfertigung qualifiziert werden, so dass als asB ein Verkauf der hergestellten Produkte von der Betriebsstätte an das Stammhaus zu fingieren ist. Zur Bestimmung der fremdüblichen Preise für die jeweiligen asB ist auch hier auf die international anerkannten Verrechnungspreismethoden zurückzugreifen. Für den vorliegenden Fall kommen hier am ehesten die Kostenaufschlagsmethode oder die TNMM in Frage. Die Höhe eines fremdüblichen Gewinnaufschlags kann mittels einer Datenbankstudie ermittelt werden.

Für die Frage, welche Kosten als Basis für einen fremdüblichen Gewinnaufschlag zur Ermittlung der asB heranzuziehen sind, ist wiederum auf die Zuordnungskriterien zu verweisen. Für den vorliegenden Fall dürften zunächst alle die der Betriebsstätte unmittelbar entstehenden Kosten für Personal, Gebäude, Energiekosten etc. zuzuordnen sein. Darüber hinaus sind die Abschreibung der Maschinen sowie die von der Betriebsstätte beschafften Materialien in die Kostenbasis einzubeziehen. Soweit vom Stammhaus gefertigte Komponenten in die lokale Betriebsstätte geliefert werden, um dort in das Endprodukt verbaut zu werden, könnte eine zusätzliche asB, nämlich der Verkauf der Komponenten, vorliegen. Ob auch diese Komponenten als Teil der Kostenbemessungsgrundlage für die Anwendung des Gewinnaufschlags einzubeziehen sind, ist strittig. Zumindest besteht das Risiko, dass im vorliegenden Fall die deutsche Finanzbehörde die Meinung vertritt, dass es nicht fremdüblich erscheint, einen Gewinnaufschlag auf eine Komponente zu erheben, welche durch das Stammhaus hergestellt wurde, da insoweit ein Gewinnanteil der Betriebsstätte zugeordnet wird, welcher aus einer am Stammhaus erbrachten Wertschöpfung resultiert. Eine im Hinblick auf die Nutzung der Produktionsanlagen denkbare Abwandlung dahingehend, dass diese der Betriebsstätte dauerhaft zur Nutzung überlassen werden (mit der Folge einer theoretisch möglichen asB „Vermietung“) oder beigestellt werden, ist, wie bereits oben ausgeführt, nach den Regeln der BSGaV nicht möglich, da bei einer dauerhaften Nutzung durch das Personal der Betriebsstätte regelmäßig

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Kap. 9 Rz. 9.11 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

von einer fiktiven Veräußerung der Produktionsanlagen ausgegangen wird.1 Insofern wird in der Literatur zu Recht festgestellt, dass in diesem Punkt gerade keine Gleichstellung der Transaktionsmöglichkeiten zwischen verbundenen Unternehmen und denen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erfolgt, was bekanntermaßen ja als eines der wichtigsten Ziele des AOA proklamiert wird.2 Beispiel 2: Lohnfertigung: Die deutsche X GmbH (X)3 entwickelt, produziert und vertreibt am Standort in Deutschland Erzeugnisse für die chemische Industrie. Sie hat in Dänemark eine Produktionsbetriebsstätte Y welche ausschließlich Erzeugnisse für X fertigt. Am Standort der Geschäftsleitung von X in Deutschland wird darüber entschieden, – – – –

welche Maschinen für Y angeschafft werden, wie und wann diese gewartet werden, ob sie weiterverwertet oder verschrottet werden, welches Material von Y verwendet wird und bei wem dieses zu welchen Konditionen eingekauft wird. Sämtliche Erzeugnisse werden von Personal in Deutschland weiterverwertet oder vermarktet. Lösung: Den Ausführungen der VWG BsGa folgend sind sowohl die Maschinen als auch das verwendete Produktionsmaterial und die hergestellten Erzeugnisse dem Stammhaus zuzuordnen, da die vom Stammhaus ausgeübten Personalfunktionen gegenüber der reinen Nutzung in qualitativer Hinsicht überwiegen (vgl. § 5 Abs. 1 BsGaV). Die Tätigkeiten in der Betriebsstätte können somit als fiktive Lohnfertigung qualifiziert werden. Zur Bestimmung der fremdüblichen Preise für die jeweiligen asB ist auch hier auf die international anerkannten Verrechnungspreismethoden zurückzugreifen. Für den vorliegenden Fall kommen hier am ehesten die Kostenaufschlagsmethode oder wiederum die TNMM in Frage. Da es sich allerdings um eine Lohnfertigung handelt und weder die Maschinen noch die Produktionsmaterialien der Betriebsstätte zuzuordnen sind, dürften lediglich die Personalkosten und sonstige lokal entstehende Kosten (z.B. für Raumkosten, Energie, Verwaltung etc.) in die Kostenbasis einzubeziehen sein. Im Vergleich zu dem in Beispiel 1 beschriebenem Auftragsfertigungsfall dürfte damit in Summe ein geringeres Ergebnis im Betriebsstättenstaat entstehen.

Vor dem Hintergrund, dass weder der Gesetzestext noch die Begründung Hinweise darauf enthalten, wann davon ausgegangen werden kann, dass Personalfunktionen in qualitativer Hinsicht gegenüber dem primären Kriterium der Nutzung überwiegen, dürfte eine abweichende Zuordnung regelmäßig ein gewisses Streitpotential bergen.

9.12 Nutzungsüberlassung. Nutzungsüberlassungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte (siehe hierzu auch Rz. 10.51) kommen in der Regel nur in besonderen Konstellationen vor. Wie oben ausgeführt, führt eine dauerhafte Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts oder eines immateriellen Vermögenswerts durch eine Betriebsstätte (oder dem Stammhaus) in der Regel zu einer entsprechenden Zuordnung dieses Ver-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 77 sowie Roeder/Friedrich, BB 2015, 1057 f. 2 Vgl. Roeder/Friedrich, BB 2015, 1057 f. 3 Dieser Fall ist an jenen in VWG BsGa, Rz. 80 angelehnt.

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C. Kommentierung

Rz. 9.12 Kap. 9

mögenswerts dorthin, wo dieser genutzt wird.1 Ein dauerhaft zur Nutzung überlassener Vermögenswert wird daher, wie bereits oben unter Rz. 9.3 ausgeführt, nicht in Form einer theoretisch möglichen asB „Vermietung“ gelöst, sondern als eine fiktive Veräußerung behandelt.2 Als mögliche verbleibende Anwendungsfälle nennen die VWG BsGa folgende Konstellationen: – Vorübergehende Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts3, – Häufiger Nutzungswechsel eines materiellen Wirtschaftsguts4, – Mitnutzung eines immateriellen Vermögenswerts5 und – Abgrenzungsfälle bei immateriellen Vermögensgegenständen.6 Beispiel 1: Vorübergehende Nutzungsüberlassung: Ein Unternehmen verfügt in Deutschland und in Österreich über einen After-Sales-Service für industrielle Heizungsanlagen. Die Wartung wird mit Hilfe entsprechend ausgestatteter Kleintransporter durchgeführt. Da sämtliche dieser Servicefahrzeuge in Österreich ausgefallen sind, werden zwei Fahrzeuge aus dem Fuhrpark des deutschen Stammhauses vorübergehend der österreichischen Betriebsstätte zur Nutzung überlassen. Nach Reparatur der Fahrzeuge in Österreich werden die Fahrzeuge des deutschen Stammhauses wieder nach Deutschland zurückgeführt. Lösung: Die nur vorübergehende Überlassung der Fahrzeuge an die österreichische Betriebsstätte führt nicht zu einer Zuordnungsänderung. Die Nutzungsüberlassung ist als asB zu charakterisieren, für den ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist. Die Ermittlung könnte im vorliegenden Fall entweder auf Basis der Kostenaufschlagsmethode oder für den Fall, dass fremdüblich Mietpreise für vergleichbare Nutzfahrzeuge ermittelt werden können, auf Basis der Preisvergleichsmethode erfolgen.

Für den Fall, dass die Nutzung eines materiellen Wirtschaftsguts häufig wechselt (die VWG BsGa sprechen hier von mehr als zweimal pro Geschäftsjahr), soll eine Zuordnung dorthin erfolgen, wo das Wirtschaftsgut anhand von Prognosen überwiegend genutzt wird.7 Beispiel 2: Häufiger Nutzungswechsel: In Abwandlung zu Beispiel 1 sollen die Servicefahrzeuge nicht nur in Österreich, sondern auch in den Betriebsstätten in Ungarn und Tschechien genutzt werden. Aufgrund des hohen Bedarfs in Österreich sollen sie aber auf Dauer überwiegend von der Betriebsstätte in Österreich genutzt werden. Lösung: Da die Fahrzeuge überwiegend in der österreichischen Betriebsstätte genutzt werden, kommt es zunächst zu einer Zuordnungsänderung vom deutschen Stammhaus zur österreichischen 1 2 3 4 5 6 7

So auch die OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 75. Vgl. VWG BsGa, Rz. 77; Roeder/Friedrich, BB 2015, 1057 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 78. Vgl. VWG BsGa, Rz. 79. Vgl. VWG BsGa, Rz. 29. Vgl. VWG BsGa, Rz. 94. Vgl. VWG BsGa, Rz. 79.

Renz 317

Kap. 9 Rz. 9.12 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen Betriebsstätte (fiktiver Veräußerungsvorgang). Die jeweilige kurzfristige Nutzung durch die Betriebsstätten in Ungarn und Tschechien stellen Nutzungsüberlassungen dar, für die ein angemessener Verrechnungspreis zu ermitteln ist. Die asB „Vermietung“ stellen dementsprechend Einnahmen in der österreichischen Betriebsstätte und Mietaufwendungen in den Betriebsstätten in Ungarn bzw. Tschechien dar. Soweit auch das deutsche Stammhaus die Fahrzeuge noch gelegentlich nutzt, ist auch eine asB „Vermietung“ von der österreichischen Betriebsstätte an das deutsche Stammhaus zu berücksichtigen. Bezüglich der Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises gelten die zu Beispiel 1 gemachten Ausführungen.

Wie bereits in Kapitel 7 Rz. 7.127 ff. ausgeführt, sind im Fall von immateriellen Vermögenswerten grundsätzlich die für die Schaffung oder den Erwerb der immateriellen Wirtschaftsgüter maßgeblichen Personalfunktionen entscheidend für die Zuordnung. Werden diese gleichzeitig in verschiedenen Betriebsstätten ausgeübt, ist die Zuordnung zu der Betriebsstätte vorzunehmen, deren Personalfunktion die größere Bedeutung hat, wobei in erster Linie auf qualitative Kriterien abzustellen ist und quantitative Kriterien allenfalls hilfsweise herangezogen werden können, wenn qualitative Kriterien keine eindeutige Zuordnung ermöglichen.1 Fallen die Zuordnung des immateriellen Wirtschaftsguts und dessen Nutzung auseinander, kann es zu einer asB in Form einer fiktiven Nutzungsüberlassung (also einer fiktiven Lizenz) kommen. Beispiel 3: Mitnutzung eines immateriellen Vermögenswerts: Ein deutsches Unternehmen entwickelt im Stammhaus eine neues Patent zur Herstellung von Präzisionsschleifmaschinen. Dieses Patent wird sowohl im deutschen Stammhaus als auch in der tschechischen Produktionsbetriebsstätte eingesetzt, welche als Eigenfertiger die Produkte für den osteuropäischen Markt herstellt und vertreibt. Sämtliche Entwicklungsaktivitäten zur Erhaltung, Weiterentwicklung, zum Schutz und Einsatz des Patents finden im Stammhaus statt. Lösung: Das Patent ist von Personalfunktionen des deutschen Stammhauses entwickelt worden und deshalb dem Stammhaus zuzurechnen. Die Nutzung des Patents ist gegenüber der (Weiter-)Entwicklung nachrangig, so dass es dadurch zu keiner Änderung der ursprünglichen Zuordnung des Patents zum Stammhaus kommt. Die Nutzung durch die polnische Betriebsstätte ist als asB (fiktive Lizenzvergabe) zu charakterisieren, welche fremdüblich zu vergüten ist. Die Ermittlung einer fremdüblichen fiktiven Lizenzgebühr hat dabei nach den allgemein anerkannten Kriterien zu erfolgen (z.B. auf Basis der Preisvergleichsmethode, anerkannter Bewertungsmethoden etc.).

Im Fall einer fiktiven Lizenzgebühr ist zu beachten, dass es sich um keine „echte“ „Lizenzgebühr“ handelt und es zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auch nicht zu einer tatsächliche Zahlung kommt oder ein formeller Lizenzvertrag existiert, sondern es lediglich ein Vehikel darstellt, um eine fremdübliche Vergütung zu ermitteln, die für die Nutzung des immateriellen Werts hätte bezahlt werden müssen, wenn der Eigentümer des immateriellen Vermögenswerts ein selbständiges und unabhängiges Unternehmen wäre. Die Berücksichtigung der fiktiven Lizenzgebühr ist demnach auch nur für die Zurechnung der Gewinne zur Betriebsstätte gem. Art. 7 OECD-MA relevant und hat keine Folgen im Hinblick auf eine mögliche Quellensteuer.2

1 Vgl. § 6 Abs. 1 BsGaV sowie Rz. 7.132 ff. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 203.

318 Renz

C. Kommentierung

Rz. 9.13 Kap. 9

Beispiel 4: Abgrenzung Erwerb und Nutzung eines immateriellen Vermögenswertes: Ein deutsches Unternehmen erwirbt eine neues Patent. Dieses Patent wird ausschließlich in der tschechischen Produktionsbetriebsstätte genutzt. In den Erwerbsvorgang waren ausschließlich Mitarbeiter des Stammhauses involviert. Nach Erwerb übt das Stammhaus weitere Personalfunktionen bzgl. Verwertung, Schutz und Verwaltung des Patents aus, während die tschechische Produktionsbetriebsstätte lediglich das Patent in der lokalen Produktion einsetzt. Lösung: Das Patent ist von Personal des deutschen Stammhauses erworben worden und deshalb dem Stammhaus zuzurechnen (Vermutungsregel des § 6 Abs. 1 BsGaV). Eine abweichende Zuordnung gem. § 6 Abs. 2 BsGaV findet nicht statt, da die Bedeutung der Nutzung durch die Produktionsbetriebsstätte gegenüber dem Erwerb und der weiteren Verwertung nicht eindeutig überwiegt (bzw. es vermutlich nicht gelingen wird, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen). Die Nutzung des Patents durch die polnische Betriebsstätte stellt wiederum einen wirtschaftlichen Vorgang dar, welcher in Form einer fiktiven Lizenzvergabe als asB zu behandeln und entsprechend fremdüblich zu vergüten ist (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 16 Abs. 2 BsGaV).1

Problematisch können die Fälle sein, in denen zunächst eine bestimmte Zuordnung stattgefunden hat (z.B. bei Vorliegen der in Beispiel 4 genannten Voraussetzungen) und die Voraussetzungen dafür zu einem späteren Zeitpunkt wegfallen, so dass es theoretisch zu einer Zuordnungsänderung kommen könnte und einer damit verbundenen Entstrickung. Die VWG BsGa sehen in solchen Fällen in der Regelung des § 6 Abs. 4 BsGaV ein Wahlrecht vor, welches dahingehend genutzt werden kann, dass im Zweifel die Zuordnung so gewählt werden kann, dass ein Realisationsvorgang mit der Folge der Aufdeckung stiller Reserven vermieden werden kann.2 Allerdings, so der Wortlaut des § 6 Abs. 4 BsGaV, darf das Wahlrecht nicht in der Weise ausgeübt werden, dass es einer Zuordnung der Abs. 1–3 des § 6 Abs. 4 BsGaV widerspricht. Dienstleistungen. In der Praxis dürften Dienstleistungen zwischen Stammhaus und 9.13 Betriebsstätte wohl als eine der am häufigsten vorkommenden asB gelten. Die VWG BsGa nennen dementsprechend eine ganze Reihe von Dienstleistungsbeispielen, wie etwa: – Forschungs- bzw. Auftragsforschungsleistungen3, – Lohnfertigung4, – Einkaufsleistungen5, – Schulungsleistungen6 oder – Treasury-Leistungen, kurz- und langfristige Darlehen (siehe hierzu Rz. 8.78 ff.)7. 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 95. Vgl. VWG BsGa, Rz. 99. Vgl. VWG BsGa, Rz. 90. Vgl. VWG BsGa, Rz. 80 sowie den unter Produktionsfunktion weiter oben bereits diskutierten Fall (s. Rz. 9.11). 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 366. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 391 u. 410. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 176, 180, 191 u. 230.

Renz 319

Kap. 9 Rz. 9.13 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

In Bezug auf die Bildung asB werden in den nachfolgenden Ausführungen einige praktische Anwendungsfälle vorgestellt. Beispiel 1: Forschungs- und Auftragsforschungsleistungen: Die deutsche Pfiffikus GmbH (PG) unterhält in Österreich eine Forschungs- und Entwicklungsbetriebsstätte AT (AT). An der Entwicklung eines bestimmten immateriellen Werts (IP) arbeiten gemeinsam zwei Entwicklungsteams. Eines der Teams arbeitet in Deutschland (Personalkosten 100), das andere in Österreich (Personalkosten 40). Die maßgeblichen Entscheidungen, die mit der Entwicklung des immateriellen Werts verbundenen Risiken, insbesondere die finanziellen Risiken, sowie das Management der Entwicklung des immateriellen Werts zu übernehmen, werden gemeinsam von Personal in Deutschland und Österreich getroffen. Sowohl das Team in Deutschland als auch das in Österreich sind an den unternehmerischen Entscheidungen, die mit der Entwicklung des immateriellen Werts verbundenen Risiken, insbesondere bzgl. der Übernahme der finanziellen Risiken, in Zusammenhang stehen, sowie am Management der Entwicklung des immateriellen Werts beteiligt. Leiter und disziplinarischer Vorgesetzter der beiden Entwicklungsteams ist Dr. Smart, welcher nach Aussagen der Geschäftsleitung der PG ausschlagegebend für die erfolgreiche Entwicklung des IPs war. Dr. Smart ist in Deutschland tätig. Lösung: Unter der Annahme, dass für den vorliegenden Fall sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht die in Deutschland ausgeübten Personalfunktionen im Hinblick auf die Schaffung des immateriellen Werts überwiegen, ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BsGaV das IP dem Stammhaus der PG zuzuordnen. Die in der AT in Österreich erbrachten Forschungs- und Entwicklungsleistungen (fiktive Dienstleistung, § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV) sind dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechend zu vergüten (§ 16 Abs. 2 BsGaV). Im Hinblick auf die Höhe der Dienstleistungsvergütung und der anzuwenden Verrechnungspreismethode ist zu untersuchen, wie hoch der Wertschöpfungsbeitrag der AT an der Entwicklung des IPs war. Im Hinblick auf die Zuordnung von Chancen und Risiken, wie z.B. denen einer erfolgreichen (oder eben erfolglosen) Vermarktung des IPs, dürfte für den vorliegenden Fall die erste Grundregel zur Anwendung kommen,1 also eine Zuordnung auf Basis des zugrunde liegenden Zuordnungsgegenstands (hier dem IP), welches dem Stammhaus zuzuordnen ist.

Für die Fragen einer geeigneten Verrechnungspreismethode für die asB im oben beschriebenen Beispielsfall hat vor dem Hintergrund, dass sowohl das IP also auch die aus der Entwicklung resultierenden Chancen und Risiken dem Stammhaus zugeordnet werden, eine fiktive Dienstleistungsverrechnung auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu erfolgen. Da auch wesentliche Entwicklungsleistungen in der Betriebsstätte AT erbracht werden, ist diese Tatsache bei der Bestimmung des Gewinnaufschlags zu berücksichtigen. Aufgrund der Tatsache, dass auch im Hinblick auf laufende Entwicklungsrisiken das Management dieser Risiken gemeinsam durch das Personal im Stammhaus in Deutschland und in der Betriebsstätte AT gefällt sowie Risiken überwacht und kontrolliert werden, ist dies bei der Bemessung des Gewinnaufschlags einerseits und bei der Übernahme von Kosten im Fall des Eintritts von Risiken andererseits angemessen zu berücksichtigen.

1 Vgl. §§ 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 BsGaV.

320 Renz

C. Kommentierung

Rz. 9.13 Kap. 9

Auch wenn es zwischen Stammhaus und Betriebsstätte keine vertraglichen Regelungen geben kann, empfiehlt es sich, zu Dokumentationszwecken eine interne Richtlinie oder einen Pro-forma-Vertrag zu erstellen, der Verantwortlichkeiten, Risikoübernahme und die Vorgehensweise für die Bestimmung der Gewinnallokation festlegt. Beispiel 2: Lohnfertigung: In Bezug auf Lohnfertigungsleistungen wird auf das im Bereich Produktion dargestellte Beispiel unter Rz. 9.11 verwiesen. Beispiel 3: Einkaufsleistungen: Siehe auch Beispiel 1 unter Produktion. Die deutsche D AG entwickelt und produziert Autoelektronikteile, welche an internationale Automobilhersteller (OEMs) verkauft werden. In Ungarn unterhält die D AG einen Produktionsstandort, welcher für die in Ungarn ansässigen Werke der OEMs Autoelektronikteile fertigt. Zusätzlich zu den oben genannten Funktionen der Betriebsstätte ist diese nicht nur für den Einkauf von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen im Rahmen der eigenen Produktion tätig, sondern beschäftigt einen Mitarbeiter, welcher organisatorisch dem Zentraleinkauf des Stammhauses zugeordnet ist und in seiner Funktion als sog. Lead Buyer für ein bestimmtes Material entsprechende Bezugsquellen prüft und Kontakte zu den entsprechenden Lieferanten aufbaut. Die D AG schließt mit diesen Lieferanten ggf. Rahmenverträge ab, auf dessen Basis die einzelnen Produktionsstandorte weltweit die Materialien beziehen. Der Zentraleinkauf der D AG wird auf Basis der Kostenaufschlagsmethode an die jeweiligen Produktionsgesellschaften verrechnet. Lösung: Die Tätigkeiten des Lead Buyer in der Betriebsstätte können als Einkaufsdienstleistung qualifiziert werden, so dass als asB eine Dienstleistungsverrechnung von der Betriebsstätte an das Stammhaus zu fingieren ist. Zur Bestimmung der fremdüblichen Preise für die jeweiligen asB ist auch hier auf die international anerkannten Verrechnungspreismethoden zurückzugreifen. Für den vorliegenden Fall kommen hier am ehesten die Kostenaufschlagsmethode oder die TNMM in Frage. Die Höhe eines fremdüblichen Gewinnaufschlags kann mittels einer Datenbankstudie ermittelt werden.

Eine mögliche Abwandlung des Falls könnte in der Form vorliegen, dass der in der Betriebsstätte tätige Mitarbeiter nicht nur die Bezugsquellen und die Kontaktaufnahme zu den Lieferanten herstellt, sondern auch die wesentlichen Vertragsverhandlungen mit diesen durchführt und den entsprechenden Rahmenvertrag für die D AGGruppe unterschreibt. In solchen Fällen wäre darüber hinaus zu prüfen, ob durch den Abschluss des Rahmenvertrags eine Betriebsstätte in Ungarn für die jeweiligen Produktionsgesellschaften begründet wird.1 Beispiel 4: Schulungsleistungen: Weiter ausgehend von Beispiel 1 unter Produktion. Mitarbeiter der Produktionsbetriebsstätte in Ungarn führen für das übrige Unternehmen vor Ort in Ungarn Schulungen für Mitarbeiter des Stammhauses der D AG hinsichtlich produktionstechnischer Fragen durch. Lösung: Die Schulungsmaßnahmen stellen eine fiktive Dienstleistung dar, für welche die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden ist.

1 Vgl. hierzu auch Schoppe/Popat, BB 2016, 1114 f.

Renz 321

Kap. 9 Rz. 9.13 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Da es sich bei Schulungsmaßnahmen um sog. „Low Value Adding Services“ im Sinne der OECD handeln dürfte,1 kann vereinfachend ein Gewinnaufschlag von 5 % angewandt werden, welcher nicht durch eine entsprechende Vergleichsstudie zu begründen ist.2 Beispiel 5: Treasury-Leistungen: Die D AG3 hat in Luxemburg eine Finanzierungsbetriebsstätte Lux. Eigenes Personal von Lux organisiert die Kreditaufnahme für den Erwerb von Vermögensgegenständen im Stammhaus. Lösung: Die Tätigkeiten der Finanzierungsbetriebsstätte entsprechen denen in § 17 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Dementsprechend sind die aufgenommenen Kredite nicht der Betriebsstätte, sondern dem Stammhaus zuzuordnen. In der Folge ist die in der Finanzierungsbetriebsstätte ausgeübte Finanzierungsfunktion nicht als Zurverfügungstellung eigener Mittel anzusehen, sondern als fiktive Dienstleistung, für welche die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden ist.

Eine davon abweichende Beurteilung könnte allenfalls dann erfolgen, wenn die unter § 17 Abs. 7 BsGaV genannten Kriterien erfüllt sind. Danach gilt, dass eine von § 17 Abs. 2–6 BsGaV abweichende Zuordnung von Vermögenswerten und Passivposten vorzunehmen ist, „wenn im Einzelfall die Zuordnung zur Finanzierungsbetriebsstätte aus funktionalen Gründen, insbesondere wegen der wirtschaftlichen Substanz der Personalfunktionen, die im Hinblick auf entstehende Vermögenswerte und Passivposten sowie auf die damit zusammenhängenden Chancen und Risiken ausgeübt werden, sachgerecht ist und die entsprechend anzuwendende Verrechnungspreismethode zu einem Ergebnis führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.“4 In der Praxis dürfte es relativ wenig Fälle geben, in denen die Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere dürfte es schwierig sein, anhand von Unterlagen glaubhaft zu machen, dass voneinander unabhängige Dritte in vergleichbarer Situation die betreffenden Vermögenswerte und Passivposten übertragen hätten, wie dies in den VWG BsGa gefordert wird.5 Einen potentiellen Anwendungsfall zeigt die in den VWG BsGa unter Rz. 191 beschriebene Fallvariante – Finanzierungsrisiko. Im konkreten Fall stellen ausländische Vertriebs- und Produktionsbetriebsstätten der Geschäftsleitungsbetriebsstätte ihre Liquiditätsüberschüsse zur Verfügung, die diese in Handelsportfolios investieren, in welchen unterschiedliche Finanzprodukte, wie z.B. Zinsinstrumente (Anleihen und auf Zinsen gerichtete Derivate) und Aktieninstrumente (Aktien und auf Aktien gerichtete Derivate) miteinander verknüpft werden. Während die ausländischen Vertriebs- und Produktionsbetriebsstätten lediglich entscheiden, der Geschäftsleitungsbetriebsstätte die Liquiditätsüberschüsse zur Verfügung zu stellen, steuert die Geschäftsleitungsbetriebsstätte das Risikomanagement dieser Portfolios und entscheidet selbständig, in welche Produkte im Rahmen der Risikosteuerung investiert wird, und auch das Handelsergebnis wird in das Portfolio, das der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugeordnet wird, reinvestiert. In dieser besonde1 2 3 4 5

Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 7.45 f. Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 7.61. In Anlehnung an das Beispiel unter VWG BsGa, Rz. 180. Vgl. VWG BsGa, Rz. 190. Vgl. VWG BsGa, Rz. 191.

322 Renz

C. Kommentierung

Rz. 9.14 Kap. 9

ren Fallkonstellation erkennen die VWG BsGa an, dass das Handelsportfolio und damit die liquiden Mittel der Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen sind. Allerdings auch nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass das Personal der Geschäftsleitungsbetriebsstätte die maßgeblichen Entscheidungen im Hinblick auf die entstehenden Vermögenswerte und die mit dem Handel verbundenen Chancen und Risiken ohne Beteiligung der anderen Betriebsstätten trifft und die Entscheidung, ihr die Liquiditätsüberschüsse zu überlassen, jeweils in den ausländischen Betriebsstätten getroffen wird.1 Sollte dieser Nachweis gelingen, wäre in Bezug auf die Überlassung der liquiden Mittel ein fiktives kurzfristiges Darlehen anzunehmen und es wären zwischen Geschäftsleistungsbetriebsstätte und den ausländischen Betriebsstätten fiktive Zinsen zu berücksichtigen.2 Entstrickungsvorgänge. Wie oben ausgeführt, kann es neben den laufenden fiktiven 9.14 Geschäftsvorfällen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte auch aufgrund einmaliger Vorgänge zu asB kommen. Bezüglich der hierzu geführten kontroversen Diskussion in der Literatur wird auf die weiteren Ausführungen oben unter Rz. 9.3 verwiesen. Der häufigste Fall im Kontext einer Betriebsstätte sind Fälle, in denen materielle oder immaterielle Wirtschaftsgüter vom Stammhaus auf die Betriebsstätte oder umgekehrt von der Betriebsstätte auf das Stammhaus übergehen, da es zu einer Änderung der Zuordnung dieser Wirtschaftsgüter kam. Diese Zuordnungsänderung kann durch eine Veränderung der maßgeblichen Personalfunktion, der Nutzung oder aus der Verlagerung kompletter Bereiche (z.B. Funktionsverlagerungsvorgängen) resultieren. Beispiel 1: Entstrickung von immateriellen Werten aufgrund Zuordnungsänderung: Ein deutsches Unternehmen3 entwickelt im Stammhaus eine neue Fertigungstechnologie. Anschließend wird diese in der polnischen Produktionsbetriebsstätte eingesetzt, die als Eigenfertiger agiert. Die Fertigungstechnologie wird bis zum Ende des Lebenszyklus unverändert in der Produktion genutzt. Es finden weder im Stammhaus noch in der Betriebsstätte Weiterentwicklungen statt. Da es sich um ein selbstentwickeltes immaterielles Wirtschaftsgut handelt, ist der Buchwert 0. Lösung: Wie bereits in Kapitel 7 (siehe Rz. 7.136) ausgeführt, ist die Fertigungstechnologie aufgrund der Tatsache, dass sie von Personalfunktionen des deutschen Stammhauses entwickelt wurden, zunächst dem Stammhaus zuzurechnen. Da in der Folge das Stammhaus keinerlei Funktionen im Zusammenhang mit der Fertigungstechnologie mehr ausübt, kommt es nach dem Abschluss der Entwicklung zwingend zu einer Zuordnungsänderung zur polnischen Betriebsstätte.4 Diese stellt einen fiktiven Geschäftsvorfall dar, für den eine fiktiv fremdübliche Vergütung festzulegen wäre, welche anhand der allgemein gültigen Verrechnungspreismethoden unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes festzulegen ist.

1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 191. Vgl. § 16 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BsGaV. Entnommen von Bsp. 3 zur Zuordnung von immateriellen Werten (s. Rz. 7.136 ff.). Vgl. VWG BsGa, Rz. 47.

Renz 323

Kap. 9 Rz. 9.14 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen

Die Überführung des im obigen Beispiel genannten immateriellen Wirtschaftsguts führt zu einem entsprechenden Anschaffungsvorgang auf Ebene der Betriebsstätte, welcher in der Hilfs- und Nebenrechnung entsprechend aufzuzeichnen ist. Das immaterielle Wirtschaftsgut ist in Höhe des ermittelten Fremdvergleichspreises zu aktivieren und entsprechend den allgemeinen Regeln abzuschreiben. Auf Ebene des Stammhauses ist ein entsprechender fiktiver Veräußerungsgewinn sofort zu versteuern. Allerdings besteht die Möglichkeit, auf Antrag im Rahmen der deutschen Steuererklärung einen Ausgleichsposten gem. § 4g EStG zu bilden, welcher über 5 Jahre linear aufzulösen ist. Dessen Anwendung ist auf die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und auf Betriebsstätten in einem Mitgliedstaat der EU beschränkt.1 Beide Voraussetzungen wären im Fall des obigen Beispiels erfüllt. Auch in Zusammenhang mit der Beendigung einer Betriebsstätte kann es zu einer Zuordnungsänderung kommen, da z.B. eine Maschine die bisher in der Betriebsstätte genutzt wird, im Rahmen der Schließung dieser zurück ins Stammhaus verbracht und dort weiter genutzt wird. Beispiel 2: Entstrickung aufgrund Schließung der Betriebsstätte: Das deutsche Unternehmen D-AG hat in Frankreich eine Produktionsbetriebsstätte, welche im Rahmen einer Auftragsfertigung Waren für das Stammhaus in Deutschland hergestellt hat. In der Produktionsbetriebsstätte befanden sich mehrere Fertigungsmaschinen. Aufgrund wirtschaftlicher Probleme wird die Produktionsbetriebsstätte beendet. Lösung: Mit Beendigung der Produktionsbetriebsstätte kommt es zu fiktiven Veräußerungsvorgängen von Vermögenswerten der Betriebsstätte an das Stammhaus, für welche auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes entsprechende fiktive Veräußerungspreise anzusetzen sind.

Nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung gilt dies unabhängig davon, ob die Maschinen in Frankreich verbleiben, da Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte, die zu einem Zeitpunkt anfallen, zu dem die Betriebsstätte nicht mehr besteht, immer den Einkünften des Stammhauses zuzurechnen sind.2 Diese Sichtweise folgt den Regelungen gem. § 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV, wonach die zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle und Vermögenswerte zum Zeitpunkt der Beendigung der Betriebsstätte als fiktive Veräußerungsvorgänge an das Stammhaus gelten. Bezogen auf das obige Beispiel wären Einkünfte aus einer nach Beendigung der Betriebsstätte erfolgten (echten) Veräußerung der in Frankreich verbliebenen Maschinen demnach ausschließlich dem Stammhaus zuzurechnen.3 Insbesondere in Fällen, in denen in der Betriebsstätte noch Personal vorhanden ist, welches die Schließung begleitet (inklusive z.B. des Verkaufs von materiellen Wirtschaftsgütern), dürften diese Geschäftsvorfälle noch der Betriebsstätte zuzuordnen sein, mit der Folge, dass entsprechende Veräußerungsgewinne oder -verluste der Betriebsstätte zuzuordnen wären. 1 Vgl. § 4g Abs. 1 Satz 1 EStG. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 69. 3 Kritisch hierzu Hagemann, DB 2016, 1223 ff., der nach Abkommensrecht eine Zuordnung der Einkünfte zum ehemaligen Betriebsstättenstaat bejaht, auch wenn die Betriebsstätte nicht mehr existiert.

324 Renz

Kapitel 10 Betriebsstätten im Spannungsfeld von Funktionsverlagerungen A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung – Unterschiede und Gemeinsamkeiten I. Zeitliche Abfolge der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 II. Unterscheidung zwischen Dauerbetriebsstätte und temporärer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.10 III. Regelungen zur Funktionsverlagerung im deutschen Recht 1. Die Regelungen zu Funktionsverlagerungen im AStG und weiteren Rechtsquellen . . . . . . . . . 10.13

2. Erscheinungsformen von Funktionsverlagerungen bei Betriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.29 IV. Bewertung eines Transferpakets 1. Der hypothetische Fremdvergleich als Ausgangspunkt für die Bewertung von Funktionsverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.34 2. Escape- bzw. Öffnungsklauseln . . 10.38 3. Nachträgliche Preisanpassungen . 10.42 C. Drohende Doppelbesteuerung bei Funktionsverlagerungen . . . . 10.48

Literatur: Baumhoff, Praxisprobleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen, WPg 2012, 396; Baumhoff/Ditz/Greinert, Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach der Funktionsverlagerungsverordnung vom 12.8.2008, DStR 2008, 1945; Borstell/Schäperclaus, Was ist eigentlich eine Funktion?, IStR 2008, 275; Brüninghaus/Bodenmüller, Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung, DStR 2009, 1285; Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, AStG Kommentar (zit.: Verfasser in F/W/B/S); Frischmuth, Wann genau liegt eine Funktionsverlagerung nach der FVerlV vor?, StuB 2008, 864; Kahle/ Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, Herne 2019; Kessler/Probst, Die Funktionsverlagerung in das Inland, IStR 2017, 253; Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise; Margerie, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2016; Menninger/Wellens, Grundsätzliche Bewertungsfragen im Zusammenhang mit der Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 3 AStG, DB 2012, 10; Oestreicher/Hundeshagen, Bewertung von Transferpaketen bei Funktionsverlagerungen, DB 2008, 1637, 1693; Oestreicher/Hundeshagen, Weder Wirtschaftsgut noch Unternehmen – die Bewertung von Transferpaketen anlässlich der grenzüberschreitenden Verlagerung von Unternehmensfunktionen, IStR 2009, 145, Oestreicher/Hundeshagen, Ertragswertorientierte Gesamtbewertung von Transferpaketen, Ubg 2009, 830; Oestreicher/Wilcke, Die Einzelbewertung des Firmenwerts – Verrechnungspreise in Fällen einer Funktionsverlagerung nach dem Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften, Ubg 2010, 225; Oestreicher/Wilcke, Die Berichtigung von Einkünften wegen abweichender Gewinne, DB 2010, 467; Vogel/Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), 6. Auflage 2015; Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Auflage 2015; Wassermeyer/ Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014; Wellens, Fremdvergleichsgrundsatz nach OECD und deutschem Recht, IStR 2010, 156.

Wellens 325

Kap. 10 Rz. 10.1 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

A. Einleitung 10.1 Begrifflichkeit. Funktionsverlagerungen sind notwendige Ereignisse in multinationalen Unternehmen, um neuen Markt- und Wettbewerbssituationen begegnen zu können. Die damit zusammenhängenden Umstrukturierungen sind dabei grundsätzlich das Resultat betriebswirtschaftlicher Überlegungen. Die Umsetzung einer bestimmten Strategie und insbesondere die Hebung von Synergien kann eine Veränderung der Funktion und/oder der Risikoposition einer einzelnen Konzerngesellschaft oder einer Betriebsstätte (z.B. im Bereich Produktion und/oder Vertrieb) nach sich ziehen. Die betriebswirtschaftlich sinnvolle Restrukturierung führt nachgelagert u.U. zu steuerlichen Konsequenzen durch die Verlagerung von Tätigkeiten, Verantwortlichkeiten oder der Risikokontrolle (vgl. Rz. 7.1 ff.). Selbstverständlich darf dabei nicht übersehen werden, dass Restrukturierungen auch (zumindest partiell) steuerlich motiviert sein können.1 Jedoch kann ein Steuerpflichtiger grundsätzlich eine steuerlich vorteilhafte Struktur wählen und ist nicht verpflichtet, steuerliche Nachteile bei einer Strukturierung in Kauf zu nehmen. Im Rahmen dieser Beschreibung wird vereinfachend davon ausgegangen, dass eine Funktionsverlagerung (Rz. 7.84) grundsätzlich nicht steuermissbräuchlich ist. 10.2 Gewinnpotential. Eine universelle Definition für steuerlich relevante Umstrukturierungen gibt es nicht. Hierbei spielt die Zentralisierung von Unternehmensfunktionen über Unternehmensbereiche hinweg eine große Rolle. Insbesondere dadurch können Synergieeffekte bei der Erstellung immaterieller Wirtschaftsgüter, durch die Schaffung größerer Produktionsstandorte, der Einrichtung optimierter Vertriebsstrukturen oder des Aufbaus eines einheitlichen und optimierten organisatorischen Rahmens bis hin zu Shared-Services-Organisationen geschaffen werden. Funktionsverlagerungen sind also unternehmerische Normalität. Damit verbunden ist jedoch auch häufig, dass den verlagerten Funktionen ein unternehmerisches Gewinnpotential innewohnt bzw. mit den übertragenen Wirtschaftsgütern ein unternehmerischer Mehrwert (Firmenwert) verknüpft ist. 10.3 Gesetzgebung. Der deutsche Gesetzgeber hat durch die Gesetzgebung zu Funktionsverlagerungen diese Veränderungen als steuerlich relevanten Sachverhalt definiert, damit das durch die Veränderungen berührte Steuersubstrat einer Besteuerung in Deutschland zugeführt werden kann. Die Regelung zur Funktionsverlagerung findet sich unter der Korrekturnorm des § 1 AStG. Danach können Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland und nahestehenden Personen auf ein unter fremden Dritten übliches Niveau berichtigt werden, wenn sie zuvor dadurch gemindert worden sind, dass der Steuerpflichtige seiner Einkünfteermittlung z.B. fremdunübliche (Verrechnungs-)Preise zugrunde gelegt hatte, d.h. solche, wie sie 1 Die Zulässigkeit steuerlich motivierter Veränderungen wird durch die allgemeine Missbrauchsnorm im § 42 AO begrenzt. Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO liegt ein Missbrauch vor, „wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt.“ Siehe auch Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 1.28.

326 Wellens

A. Einleitung

Rz. 10.5 Kap. 10

voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder vergleichbaren Verhältnissen nicht vereinbart hätten. Hypothetischer Fremdvergleich. Kommt es innerhalb einer solchen Geschäftsbezie- 10.4 hung zu einer sog. Funktionsverlagerung, ist der für diesen Vorgang fremdübliche Verrechnungspreis gem. § 1 Abs. 3 AStG regelmäßig1 im Wege eines sog. hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG zu bestimmen. Dies geschieht durch Ermittlung und Heranziehung eines den wirtschaftlichen Wert dieser Funktionsverlagerung abbildenden sog. Transferpakets, d.h. einer Zusammenfassung der Werte für die übertragenen Funktion(en) und die hiermit zusammenhängenden Chancen und Risiken einschließlich der Werte der in diesem Zusammenhang übertragenen bzw. überlassenen Wirtschaftsgüter, der Vorteile und der erbrachten Dienstleistungen.2 Weicht das Ergebnis dieses hypothetischen Fremdvergleichs signifikant vom Wert tatsächlich geflossener Kompensationsleistungen ab, liegt ein fremdunüblicher Verrechnungspreis i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG vor, so dass die Möglichkeit einer Einkünftekorrektur gegeben ist. Restrukturierung im internationalen Kontext. Neben dem dargestellten nationalen 10.5 Recht beschäftigt sich ebenfalls die OECD im Kapitel IX der OECD-Leitlinien 2017 mit den Grundsätzen der Funktionsverlagerung.3 Hierbei handelt es sich zwar lediglich um international definierte Grundsätze, die zunächst für das nationale Recht 1 Mangels uneingeschränkt oder eingeschränkt vergleichbarer Fremdvergleichswerte i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 ff. AStG. Vgl. auch Wellens, IStR 2010, 156. 2 Vgl. auch BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774 Rz. 6 i.V.m. Rz. 62 ff. – Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen in Fällen von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen (Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung) – im Folgenden VWG FVerl. Zur Definition des Begriffs „Transferpaket“ vgl. § 1 Abs. 3 FVerlV. 3 Chapter IX OECD Transfer Pricing Guidelines 2017/OECD-Leitlinien 2017, Tz. 9.1–9.4, http://dx.doi.org/10.1787/tpg-2017-en, in deutscher Version unter https://doi.org/10.1787/ 9789264304529-de: „9.1 There is no legal or universally accepted definition of business restructuring. In the context of this chapter, business restructuring refers to the cross-border reorganisation of the commercial or financial relations between associated enterprises, including the termination or substantial renegotiation of existing arrangements. Relationships with third parties (e.g. suppliers, sub-contractors, customers) may be a reason for the restructuring or be affected by it. 9.2 Business restructurings may often involve the centralisation of intangibles, risks, or functions with the profit potential attached to them. […] 9.3 There are also business restructurings whereby more intangibles or risks are allocated to operational entities (e.g. to manufacturers or distributors). Business restructurings can also consist of the rationalisation, specialisation or de-specialisation of operations (manufacturing sites and/or processes, research and development activities, sales, services), including the downsizing or closing of operations. The arm’s length principle and guidance in this chapter apply in the same way to all types of transactions comprising a business restructuring, irrespective of whether they lead to a more centralised or less centralised business model. 9.4 Some of the reasons reported by business for restructuring include the wish to maximise synergies and economies of scale, to streamline the management of business lines and to improve the efficiency of the supply chain, taking advantage of the development of web-based technologies that has facilitated the emergence of global organisations. Furthermore, business restruc-

Wellens 327

Kap. 10 Rz. 10.5 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

nicht bindend sind. Jedoch sind die Grundsätze in vielen Staaten direkt oder indirekt in nationales Recht überführt worden und stellen so einen international anerkannten Standard dar. Wenngleich es Unterschiede bei der Definition und Behandlung von Funktionsverlagerungen gibt, so erscheint es grundsätzlich konsensfähig, dass bestimmte (funktionale) Änderungen steuerlich relevant sein können.

10.6 Unterschied AOA und Umstrukturierung. Vor diesem Hintergrund ist nun die Errichtung und Auflösung von Betriebsstätten (vgl. Rz. 1.1 ff.) zu betrachten. Sowohl bei der Funktionsverlagerung bzw. der Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit als auch beim AOA werden ähnliche Begrifflichkeiten benutzt, wenn davon gesprochen wird, dass Funktionen und Wirtschaftsgüter anhand der physischen Präsenz von Personen allokiert werden. Die Begrifflichkeiten des AOA entstammen in diesem Zusammenhang aber nicht den Überlegungen zur Funktionsverlagerung. Vielmehr wollten die Autoren des AOA – insbesondere bei der erstmaligen Einrichtung von Betriebsstätten – einen sinnvollen Maßstab finden, um darauf aufbauend Gewinne abgrenzen zu können. Allerdings kann gerade die Nähe der Begrifflichkeiten – von Funktionsverlagerung und AOA – bei der Einrichtung, dem laufenden Betrieb und der Schließung von Betriebsstätten dazu führen, dass bei der Betriebsstätte Funk-

turings may be needed to preserve profitability or limit losses, e.g. in the event of an over-capacity situation or in a downturn economy.“ „9.1 Für den Begriff der Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit gibt es keine gesetzlich verankerte oder allgemein anerkannte Definition. Im Sinnzusammenhang dieses Kapitels bezieht sich Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit auf die grenzüberschreitende Reorganisation der kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen zwischen verbundenen Unternehmen, einschließlich der Auflösung oder wesentlichen Neuverhandlung bestehender Vereinbarungen. Beziehungen zu fremden Dritten (z.B. Zulieferfirmen, Unterauftragnehmer, Kunden) können ein Grund für die Umstrukturierung sein oder durch sie beeinflusst werden. 9.2 Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit beinhalten häufig die Zentralisierung von immateriellen Werten, Risiken oder Funktionen einschließlich des an sie geknüpften Gewinnpotenzials. […] 9.3 Es gibt auch Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit, in deren Zuge operativen Konzerneinheiten (z.B. Fertigungs- oder Vertriebsunternehmen) mehr immaterielle Werte oder Risiken zugeteilt werden. Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit können auch in der Rationalisierung, Spezialisierung oder Entspezialisierung von Tätigkeitsbereichen (Fertigungsstätten und/ oder -verfahren, FuE-Aktivitäten, Verkauf, Dienstleistungen) bestehen, einschließlich der Verkleinerung oder Schließung von Geschäftsbereichen. Der Fremdvergleichsgrundsatz und die Leitlinien dieses Kapitels gelten gleichermaßen für alle Arten von Geschäftsvorfällen, die eine Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit ausmachen, unabhängig davon ob sie zu einem stärker zentralisierten oder weniger zentralisierten Geschäftsmodell führen. 9.4 Zu den Gründen, die Unternehmen für eine Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit anführen, zählt der Wunsch, Synergieeffekte und Skalenvorteile zu maximieren, das Management von Geschäftsbereichen zu rationalisieren und die Effizienz der Wertschöpfungskette zu erhöhen, wozu die Vorteile der internetbasierten Technologien genutzt werden, die die Entwicklung weltweit operierender Organisationen erleichtert haben. Darüber hinaus können Umstrukturierungen der Geschäftstätigkeit erforderlich sein, um beispielsweise bei bestehenden Überkapazitäten oder während eines Konjunkturabschwungs die Rentabilität zu sichern oder die Verluste zu begrenzen.“

328 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.8 Kap. 10

tionsverlagerungstatbestände ausgelöst werden. Folgende Fragestellungen könnten dabei relevant sein: – Wie gelangen die Funktionen, die Chancen und Risiken und letztlich das Gewinnpotential einer Betriebsstätte bei der erstmaligen Einrichtung dorthin? – Was passiert im laufenden Betrieb, wenn bspw. eine Personalfunktion (siehe hierzu Rz. 7.74 ff.) wieder zum Stammhaus oder in eine andere Betriebsstätte „wandert“? – Was passiert, wenn Aufgaben (der Betriebsstätte) abgeschlossen und daraus folgend die Betriebsstätte wieder aufgelöst wird? Ungewollte Restrukturierung. Bei diesen Ereignissen muss über Funktionsverlage- 10.7 rungssachverhalte nachgedacht werden, wenngleich diese jenseits betriebswirtschaftlicher Restrukturierungsüberlegungen durch schlichtes operatives Verhalten ausgelöst werden. Es kann demnach insbesondere der Fall eintreten, dass eine Umstrukturierung gar nicht beabsichtigt, durch das Ausscheiden oder die Umbesetzung einer Position jedoch ausgelöst wird. Die steuerlichen Auswirkungen sind identisch, unabhängig davon, ob eine Restrukturierung gewollt oder ungewollt eintritt. Im Nachfolgenden sollen das „Problem“ aus rechtlicher Sicht kategorisiert, die steuerlichen Folgen skizziert und einige typische Anwendungsfälle dargestellt werden.

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung – Unterschiede und Gemeinsamkeiten I. Zeitliche Abfolge der Gesetzgebung Intention des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat in der zeitlichen Abfolge zunächst 10.8 die Funktionsverlagerung (Rz. 6.93) in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG durch das Unternehmenssteuerreformgesetz vom 14.8.20071 eingeführt. Die wesentliche Intention des Gesetzgebers für die Regelungen der Funktionsverlagerung war laut Begründung zum Entwurf des Unternehmenssteuerreformgesetzes 20082, die Besteuerung in Deutschland geschaffener Werte sicherzustellen, wenn immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile (Know-how, patentiertes oder nicht patentiertes technisches Wissen, Markenrechte und -namen, Kundenstamm usw.) ins Ausland verlagert werden. Die Bedeutung von Auslandsinvestitionen und in diesem Zusammenhang auch die Verlagerung von Funktionen in das Ausland wurden grundsätzlich als systemimmanent anerkannt. Durch die Regelung sollte aber verhindert werden, dass immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile, die in Deutschland erstellt wurden, ohne angemessene Besteuerung bzw. Entstrickung (Rz. 6.10) im Ausland genutzt werden. In der Begründung heißt es dazu:3 1 BGBl. I 2007, 1912; neu gefasst mit Wirkung vom VZ 2008 durch Gesetz v. 8.4.2010, BGBl. I 2010, 1809. 2 Vgl. Entwurf eines Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008, BT-Drucks. 16/4841, 84 f. 3 BT-Drucks. 16/4841, 84 f.

Wellens 329

Kap. 10 Rz. 10.8 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen „Wie die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, geht es bei Funktionsverlagerungen in erster Linie um Vertrieb und Produktion; Forschungs- und Entwicklungsabteilungen werden dagegen erfahrungsgemäß eher selten verlagert. In Zusammenhang mit Vertriebs- und Produktionsverlagerungen werden dagegen häufig immaterielle Wirtschaftsgüter wie Know-how, patentiertes oder nicht patentiertes technisches Wissen, Markenrechte und -namen, Kundenstamm usw. übertragen oder überlassen. Eine Lizenzierung immaterieller Wirtschaftsgüter wird schon derzeit häufig praktiziert und es entspricht internationalen Grundsätzen (OECD), den Verrechnungspreis im Ertragswertverfahren, d. h. auf Basis der voraussichtlichen Erträge aus dem überlassenen Wirtschaftsgut, zu bestimmen. Diesen Grundsätzen folgen viele Länder, auch die EU-Mitgliedstaaten. Das Ertragswertverfahren ist auch für Funktionsverlagerungen, die häufig immaterielle Wirtschaftsgüter umfassen, anzuwenden, sofern die zukünftigen Gewinne auf vorherige Inlandsinvestitionen, die im Regelfall auch im Inland die Ertragsbesteuerung gemindert haben, zurückzuführen sind.“

10.9 Nationale Umsetzung. In der zeitlichen Abfolge danach hat der Gesetzgeber am 26.6.20131 den Betriebsstättenbericht der OECD, in dem die international entwickelten Grundsätze des AOA dargelegt sind, in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzt. Dadurch erhalten Betriebsstätten im Wesentlichen die Position rechtlich selbständiger Einheiten (Rz. 7.93), wodurch es zunächst auch scheinbar folgerichtig erscheint, dass die Regelungen zur Funktionsverlagerung auf Betriebsstätten anzuwenden sind.2 Die Gesetzesbegründung zur Einführung des AOA nimmt hierzu nicht gesondert Stellung.

II. Unterscheidung zwischen Dauerbetriebsstätte und temporärer Betriebsstätte 10.10 Unterschiedliche Arten von Betriebsstätten. Wenngleich der AOA zeitlich später eingeführt wurde, so erscheint es dennoch fraglich, ob sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung des AOA mit allen denkbaren Konsequenzen auseinandergesetzt hat. Hätte er dies getan, so wäre zu bedenken gewesen, dass Betriebsstätten – eben anders als rechtlich selbständige Einheiten – häufig gerade daher gewählt werden, um das Errichten und Auflösen einer Präsenz in einem Land möglichst leicht zu gestalten.3 Insofern ist zu unterscheiden zwischen Dauerbetriebsstätten und temporären Betriebsstätten. Die Dauerbetriebsstätten kommen dabei der rechtlich selbständigen Einheit nahe, da sie für längere Zeit bzw. auf Dauer eingerichtet werden. Dennoch werden aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen gerade keine rechtlichen Einheiten, sondern eben Betriebsstätten (Niederlassungen) begründet.4 Diese sind räumlich fixiert, funktional definiert und zeitlich grundsätzlich nicht begrenzt. Im Bereich des Global 1 BGBl. I 2010, 1809. 2 Vor Einführung des AOA konnte es keine grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen zwischen Betriebsstätten bzw. Stammhaus und Betriebsstätte geben, da insb. keine zwei Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 2 FVerlV vorlagen. Dennoch waren auch die allgemeinen Vorschriften der Ver- bzw. Entstrickung anzuwenden. Siehe hierzu Margerie, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2016, S. 213 ff. 3 In einigen Fällen (Industrien) werden Betriebsstäten als sinnvolle Gestaltung gewählt, auch wenn diese auf Dauer eingerichtet werden sollen. 4 Diese sind insb. in den Bereichen der Finanz- oder Versicherungswirtschaft zu finden. Siehe hierzu auch Rz. 14.2, 15.12, 15.21.

330 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.12 Kap. 10

Tradings bspw. kann durch die Abgrenzungsmöglichkeiten hierüber agiert werden. Hiervon zu unterscheiden sind die temporären Betriebsstätten, die zwar ebenfalls räumlich fixiert und funktional abgegrenzt sind, jedoch eben nur zeitlich begrenzt aufgesetzt werden. Bau- und Montagebetriebsstätten dienen bspw. der Erfüllung eines Bau- und Montagevertrags, sofern eine zeitliche Dimension überschritten wird.1 Nach Beendigung der Maßnahme wird die Betriebsstätte wieder „abgebaut“ (s. auch Rz. 10.31). AOA und Dauerbetriebsstätte. Diese Unterscheidung wird auch im OECD-Be- 10.11 triebsstättenbericht zumindest implizit deutlich. Die für den AOA dargelegten Grundsätze für die Betriebsstättengewinnabgrenzung stellen im Wesentlichen auf Dauerbetriebsstätten ab. Diese führen regelmäßig Aktivitäten aus, die auf Produktion oder Vertrieb gerichtet sind. Daher ist die Allokation von Personalfunktionen (Rz. 7.84) und der damit verbundenen Wirtschaftsgüter über einen längeren Zeitraum stabil. Veränderungen treten selten auf und, sofern diese vorliegen, liegen diesen regelmäßig Planungen zugrunde. Es sind also wirtschaftlich abgrenzbare Betriebsteile auf die Betriebsstätte ausgegliedert. Dies entspricht in dieser Diktion auch den Grundsätzen der Funktionsverlagerung, wonach zusammenhängende Unternehmensteile, die einem steuerlichen Teilbetrieb zumindest nahekommen, zu betrachten sind. Hieraus folgen regelmäßig auf Dauer angelegte und damit leicht(er) identifizierbare (fiktive) Geschäftsvorfälle (vgl. Rz. 2.56). Die dargestellte Gesetzesbegründung zu Funktionsverlagerungen spricht gerade von Verlagerungen bei Produktion und Vertrieb (s. auch Rz. 10.8). Die Anwendung der Grundsätze für Funktionsverlagerungen erscheint bei Dauerbetriebsstätten daher grundsätzlich sachgerecht. AOA und temporäre Betriebsstätte. Die Anwendung von Funktionsverlagerungs- 10.12 maßstäben auf Betriebsstätten mit temporärem Charakter führt demgegenüber zu gravierenden Problemen. Wie oben dargestellt sollen bei diesen Gestaltungen die Strukturen nur kurzfristig stabil bleiben. Sofern Mitarbeiter bspw. nur kurzfristig in einer Betriebsstätte eingesetzt werden und dann weiterziehen sollen, führt die Verknüpfung von Person mit Funktion (und nachfolgend mit materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern) dazu, dass Funktionen i.S.d. Funktionsverlagerungsgesetzgebung teilweise unbeabsichtigt oder mehrfach verlagert werden könnten. Dies steht zwar nicht im Widerspruch zur o.g. Gesetzesbegründung zur Funktionsverlagerung. Allerdings sollten die Regelungen zur Funktionsverlagerung gerade Ausnahmetatbestände und eben keine Regeltatbestände zum Inhalt haben.2 Das scheint bei temporären Betriebsstätten jedoch der Fall zu sein. Hieraus wird deutlich, dass bei der Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG die Funktionsverlagerung nicht ausreichend reflektiert wurde. Es scheint wahrscheinlich, dass die Folgen aus der Funktionsverlagerung nicht billigend in Kauf genommen, sondern schlichtweg nicht bedacht wurden.

1 In der Regel ist die 12-Monats-Frist lt. Art. 5 OECD-MA maßgebend. Siehe Görl in Vogel/ Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 74. 2 Siehe hierzu auch die Ausführungen zur Funktionsverlagerung im deutschen Recht unter Rz. 10.13 ff.

Wellens 331

Kap. 10 Rz. 10.13 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

III. Regelungen zur Funktionsverlagerung im deutschen Recht 1. Die Regelungen zu Funktionsverlagerungen im AStG und weiteren Rechtsquellen

10.13 Umsetzung der Funktionsverlagerung. Im Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 wurden mit § 1 Abs. 3 Satz 9 und 10 AStG die gesetzlichen Regelungen zur Funktionsverlagerung geschaffen. Diese wurden ergänzt durch den hypothetischen Fremdvergleich in § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG und die (nachträgliche) Preisanpassung in § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG. Mit der Funktionsverlagerungsverordnung1 (FVerlV) vom 12.8.2008 und den Verwaltungsgrundsätzen Funktionsverlagerung2 (VWG FVerl) vom 13.10.2010 wurde die gesetzliche Vorschrift präzisiert bzw. von der Finanzverwaltung interpretiert. 10.14 Funktionsverlagerung. Der Begriff „Funktionsverlagerung“ wird in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG durch das Gesetz definiert. Hiernach ist unter der Funktionsverlagerung die Verlagerung (einer Funktion)3 einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken (Rz. 7.164 ff.) und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile zu verstehen. Hieraus ergibt sich für die Analyse der Funktionsverlagerung, dass zunächst eine Funktion vorliegen muss, die der Verlagerung unterliegt und die als Einheit (Transferpaket) zu bewerten ist. Diese Begriffe (Funktion, Verlagerung sowie Transferpaket) lassen sich aus dem Gesetz, der Funktionsverlagerungsverordnung sowie den Verwaltungsgrundsätzen nicht zweifelsfrei ableiten.4 Für die Anwendung auf die Betriebsstättensituation ist es jedoch erforderlich, dass die Interpretationsansätze mit den tatsächlichen Gegebenheiten von Betriebsstätten verglichen werden. Dies erfolgt in den nachfolgenden Abschnitten. 10.15 Funktion. Eine Funktion wird in § 1 Abs. 1 FVerlV als eine Geschäftstätigkeit definiert, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht. Darunter fallen betriebliche Kernfunktionen wie Produktion und Vertrieb, aber auch Finanzierungs- und Nebenfunktionen (wie Logistik, Einkauf, Verwaltung). 10.16 Tätigkeit. Maßgebendes Charakteristikum einer „Funktion“ ist also ihre Eigenschaft als „Tätigkeit“, d.h. die tatsächliche Ausübung von (bestimmten) Aktivitäten.5 Dem entspricht es, dass § 1 Abs. 2 FVerlV für die Verwirklichung einer Funktionsverlagerung u.a. voraussetzt, dass die Ausübung der Funktion beim abgebenden Unter1 FVerlV v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1680. 2 BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 – DOK 2010/0598886, BStBl. I 2010, 774 – VWG FVerl. 3 Vgl. auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 47 und Borstell in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, ABC der Verrechnungspreise, „Funktionsverlagerung“, S. 16. 4 Vgl. Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1205. 5 Eine tätigkeitsbezogene Interpretation befürworten i.E. auch Borstell/Wehnert in Vögele/ Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Rz. R 66 und Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 44. Im Gegensatz hierzu definiert (im Wesentlichen nur) die Finanzverwaltung den Begriff in tätigkeits- und objektbezogener Art und Weise, vgl. VWG FVerl, Rz. 16.

332 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.19 Kap. 10

nehmen aufgegeben werden muss. Daneben muss eine „Funktion“ laut § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV ein organischer Teil des Unternehmens sein, ohne aber zwingend selbst die Kriterien für einen Teilbetrieb im steuerlichen Sinne erfüllen zu müssen.1 Es sollte sich jedoch um eine in sich geschlossene Einheit mit beträchtlicher Bedeutung für das Gesamtunternehmen handeln.2 In der Praxis dürfte ein Teilbetrieb basierend auf der BFH-Rechtsprechung3 auch nur in sehr seltenen Fällen vorliegen. Eigenständigkeit der Funktion. Nach Maßgabe der Verordnungsbegründung soll 10.17 zum Verständnis des Begriffs „Funktion“ auf Aspekte zurückgegriffen werden, wie sie auch betriebswirtschaftlichen Überlegungen entsprechen. Eine Funktion muss daher über eine gewisse Eigenständigkeit (Rz. 2.11) verfügen, damit ihr bestimmte Aufwendungen und Erträge zugeordnet werden können.4 Insofern ist es charakteristisch für eine Funktion, dass ihr unmittelbar ein Gewinnpotential zuzurechnen ist.5 Die Funktion als „organischer Teil des Unternehmens“ muss aus sich heraus „lebensfähig“ sein und eine gewisse Autonomie besitzen.6 Diese Merkmale – sowie etwaige Veränderungen am verbliebenen Gewinnpotential des „Rest-Unternehmens“ – müssen infolgedessen mit vertretbarem Aufwand sowie mit hinreichender Zuordnungsgenauigkeit durch segmentierte Ergebnisrechnungen bestimmbar sein.7 Eigenständigkeit der Betriebsstätte. Dem Erfordernis einer gewissen Eigenständig- 10.18 keit nach außen, wie es in § 1 Abs. 1 Satz 1 FVerlV zur Funktionsverlagerung dargestellt wird, entspricht auch die Definition für die Betriebsstätte (Rz. 1.1 ff.). Auch diese ist mit einer gewissen Eigenständigkeit ausgestattet und bietet (abgrenzbare) Leistungen am Markt an andere Marktteilnehmer an. Weiterhin ist die Betriebsstätte nach AOA mit einer segmentierten Ergebnisrechnung (Rz. 7.43 und 7.49) auszustatten, damit die Eigenständigkeit auch ergebnismäßig dargestellt werden kann. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Definitionen von Funktion und Betriebsstätte kompatibel sind und daher nichts gegen die grundsätzliche Anwendung der Funktionsverlagerung bei Betriebsstätten spricht. Verlagerungsgegenstand. Allerdings steht bei der Funktionsverlagerung im Vorder- 10.19 grund, den Verlagerungsgegenstand sachgerecht einzugrenzen. Es sollte eben nicht zu

1 2 3 4

§ 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV. So im Grundsatz auch VWG FVerl, Rz. 14. So Borstell/Wehnert in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Rz. R 23. Vgl. hierzu BFH v. 22.10.2015 – IV R 17/12, BFH/NV 2016, 209. Vgl. die Begründung zu § 1 Abs. 1 Satz 2 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10; so auch VWG FVerl, Rz. 18 sowie Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 43 und Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286. Vgl. auch Ditz/ Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1210 sowie Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 280; Frischmuth, StuB 2008, 867. 5 Hierauf als einen der maßgeblichen Faktoren für die Beurteilung von Funktionsverlagerungen stellen auch Ditz/Greinert ab. Vgl. hierzu Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1207. Ebenso Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650 und Borstell/Wehnert in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Rz. R 199. 6 Vgl. Borstell/Wehnert in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Rz. R 30. 7 So Brüninghaus/Bodenmüller, DStR 2009, 1286.

Wellens 333

Kap. 10 Rz. 10.19 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

einer ausufernden Anwendung der Funktionsverlagerung kommen.1 So wird in der Begründung zu § 1 Abs. 7 Satz 2 FVerlV2 explizit ausgeführt, dass Vorgänge, die zwar formal den Tatbestand einer Funktionsverlagerung realisieren, aber entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz tatsächlich anders abgewickelt werden3 und deshalb von voneinander unabhängigen Dritten nicht als Funktionsverlagerung angesehen würden, nicht in den Anwendungsbereich der Funktionsverlagerungsvorschriften fallen sollen. Insofern kann in Zweifel gezogen werden, dass Betriebsstättenbegründungen und auch -auflösungen als funktionsverlagerndes Ereignis angesehen werden sollten.4

10.20 Verlagerung nach AStG. Dass Tatbestandsmerkmal der „Verlagerung“ impliziert, dass Aktivitäten, Personen, aber auch materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter von einem Ort zu einem anderen bewegt werden müssen. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber mit dem Merkmal „Verlagerung einer Funktion“ nur deren „(vollständige) Einstellung“ an einem Ort und der Fortführung der gleichen Funktion an einem anderen Ort gemeint haben kann.5 10.21 Verlagerung nach Funktionsverlagerungsverordnung. Die Funktionsverlagerungsverordnung definiert den Begriff der Verlagerung in § 1 Abs. 2 FVerlV abweichend vom Gesetzestext. Hiernach ist für die Realisierung einer Verlagerung notwendig, dass es zu einer Übertragung (siehe auch Rz. 7.83 ff.) oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen sowie den damit verbundenen Chancen und Risiken von einem abgebendem Unternehmen auf ein anderes, nahestehendes Unternehmen (sog. übernehmendes Unternehmen) gekommen sein muss, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher vom abgebenden Unternehmen ausgeübt worden ist und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das abgebende Unternehmen eingeschränkt wird.6 10.22 Einstellung der Tätigkeit beim abgebenden Unternehmen. Eine Übertragung oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen sowie den damit verbundenen Chancen und Risiken muss also darauf gerichtet sein, dass das übernehmende Unternehmen künftig eine Funktion ausübt, welche bisher in dieser Form vom abgebenden Unternehmen ausgeübt worden ist. Gleichzeitig muss dieser Vor1 Vgl. die Begründung des Verordnungsgebers zu § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10; so auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 40.1 u. 44 m.w.N. sowie ferner Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. Kritisch im Hinblick auf eine „Atomisierung“ des Funktionsbegriffs Baumhoff, WPg 2012, 398; Borstell/Schäperclaus, IStR 2008, 276; Frischmuth, StuB2008, 866; Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1207. 2 BR-Drucks. 352/08, 14 f. 3 Als Beispiel werden hier insbesondere die fristgerechte Kündigung eines Vertrags und das Auslaufen einer Vertragsbeziehung genannt, BR-Drucks. 352/08, 15. 4 Siehe auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.437. 5 Vgl. hierzu auch die Interpretation von Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.44. 6 Der durch § 1 Abs. 2 Satz 1 FVerlV gegebenen Definition folgt auch die Finanzverwaltung grundsätzlich, vgl. hierzu VWG FVerl, Rz. 19.

334 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.26 Kap. 10

gang ursächlich für die Einschränkung der Funktion beim abgebenden Unternehmen sein. Dabei kommt es darauf an, dass die Ausübung einer ganz bestimmten Funktion durch Übertragungsvorgänge oder Nutzungsüberlassungen eingeschränkt und aufgrund dessen in qualitativ gleichwertiger Art und Weise im Ausland begonnen worden ist.1 Insofern wird im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Geschäftstätigkeit bzw. die in Frage stehenden Aktivitäten beim abgebenden Unternehmen gänzlich eingestellt werden.2 Funktionsverdopplung oder -abschmelzung bei der Betriebsstätte. Im Hinblick 10.23 auf die Betriebsstättensituation ist die Verlagerung dahingehend zu interpretieren, dass mit der Einrichtung der Betriebsstätte die entsprechenden Aktivitäten, die fortan von der Betriebsstätte ausgeführt werden, nicht mehr im Stammhaus ausgeführt werden dürfen. Sofern es sich also um abgrenzbare Tätigkeiten handelt, die ausschließlich durch die Betriebsstätte ausgeführt werden, kann durch Einrichtung eine Verlagerung ausgelöst werden. Gleiches gilt bei der Aufgabe der Betriebsstätte, sofern die Aktivitäten wieder durch das Stammhaus getragen werden. Allerdings stellt sich die Situation anders dar, sofern die Tätigkeiten der Betriebsstätte eine Dublette fortgeführter Tätigkeiten im Stammhaus darstellen. Dabei ist dann zu untersuchen, ob es sich lediglich um eine Funktionsverdopplung oder eben doch tatsächlich um eine Funktionsabschmelzung handelt. Produktion. Bei der Produktionsfunktion (Rz. 9.11) wäre bspw. danach zu unter- 10.24 scheiden, ob die Herstellung bestimmter Produkte im Stammhaus eingestellt wird, während eine vergleichbare Produktion (neuerer) Produkte fortgeführt wird. Ebenfalls wäre zu untersuchen, ob die Betriebsstätte die Produktion als Lohnfertiger oder als verlängerte Werkbank ausführt. Während im ersten Fall (Weiterführung der Produktion) eine Verlagerung im engeren Sinne nicht vorliegt, ist im zweiten Fall (Lohnfertiger bzw. verlängerte Werkbank) eine Verlagerung gegeben. Hierbei ist dann wie unten zu prüfen, ob einer solchen Verlagerung ein Wert im Transferpaket beizumessen ist. Vertrieb. Beim Vertrieb (Rz. 9.10) ist die Unterscheidung in erster Linie nach dem 10.25 jeweils bearbeiteten Markt vorzunehmen. Insofern gibt das Stammhaus für einen jeweils definierten Markt bestimmte Aktivitäten auf. Vergleichbare Aktivitäten werden u.U. weiterhin für andere Märkte ausgeführt. Allerdings erscheint in solchen Fällen eine Verlagerung durchaus angezeigt. Transferpaket. Das Transferpaket umfasst die Gesamtheit der übergehenden Funk- 10.26 tion einschließlich der mit dieser Funktion zusammenhängenden Chancen und Risiken sowie die Wirtschaftsgüter und Vorteile, die das verlagernde Unternehmen dem

1 Vgl. hierzu auch § 1 Abs. 6 Satz 1 FVerlV („[…] zu keiner Einschränkung der Ausübung der betreffenden Funktion […] kommt“) [Hervorhebung nicht im Original]. 2 Vgl. auch Ditz/Greinert in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 7.44; ferner Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1213; Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 47 u. 52; Kahle, DK 2007, 648.

Wellens 335

Kap. 10 Rz. 10.26 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

übernehmenden Unternehmen überträgt.1 Hierin enthalten ist auch der auf die jeweiligen Wirtschaftsgüter entfallende Anteil des Firmenwerts.

10.27 Gewinnpotential. Laut VWG FVerl ist für die Verrechnungspreisbestimmung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs insbesondere der zukünftig zu erwartende finanzielle Nutzen (Gewinnpotential) aus dem Transferpaket (bzw. aus den immateriellen Wirtschaftsgütern) maßgebend, der sich aufgrund einer betriebswirtschaftlichen Bewertung nach einem kapitalwertorientierten Verfahren ergibt, das national (z.B. nach IDW S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen2 oder IDW S 5: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte3) oder international (z.B. nach ISO 10668: Brand valuation – requirements for monetary brand valuations4) anerkannt ist. Welcher Bewertungsstandard und damit auch welche Bewertungsmethoden aus Sicht der Verwaltungsgrundsätze anzuwenden sind, hängt von der betreffenden Fallgestaltung ab. Sind von der Funktionsverlagerung vor allem immaterielle Wirtschaftsgüter betroffen, scheint die Anwendung des IDW S 5 bzw. für Marken auch der ISO 10668 angezeigt. Stellt sich dagegen eine Funktionsverlagerung als Verlagerung eines Unternehmens oder eines Teilbetriebs dar, der über eine eigene Lebensfähigkeit verfügt, ist eine Orientierung am IDW S 1 eher sachgerecht.5 10.28 Betriebsstätte als Teilbetrieb. Angewendet auf die Betriebsstättensituation bedeutet dies, dass regelmäßig eine Orientierung am Maßstab des IDW S 1 erfolgen sollte, da sich die Betriebsstätte in der Definition des AOA eher als Teilbetrieb darstellt. Das hat jedoch zur Folge, dass bei der Bestimmung des Transferpakets von einer Fortführung der Betriebsstätte6 auszugehen ist, so dass bei der Wertbestimmung eine ewige Rente anzunehmen wäre. Dies kann zu (sehr) hohen Werten des Transferpakets führen, was die Anwendung dieser Regelungen auf die Betriebsstätte erschwert. Außerdem bleibt die Problematik der temporären Betriebsstätte bestehen, wonach gerade nicht von einer Fortführung des Geschäftsbetriebs auszugehen ist. Hiernach wäre speziell bei temporären Betriebsstätten die Anwendung der Funktionsverlagerungsgrundsätze abzulehnen oder diese zumindest zeitlich zu begrenzen. 2. Erscheinungsformen von Funktionsverlagerungen bei Betriebsstätten

10.29 Errichtung einer Betriebsstätte. In der Grundkonstellation überträgt ein deutsches Stammhaus eine oder mehrere betriebliche Funktionen an eine ausländische Betriebsstätte. Diese Funktion bzw. Funktionen gehen in einem oder mehreren Transferpaketen (Rz. 6.93) auf. Hierin befinden sich die funktional zugehörigen materiel1 § 1 Abs. 3 FVerlV. 2 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008), Fachnachrichten IDW Nr. 7/2008, S. 271–292. 3 Vgl. IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5 i.d.F. 2011), Fachnachrichten IDW Nr. 7/2011, S. 467–484. 4 Vgl. ISO 10668: Brand valuation – requirements for monetary brand valuations, Genf 2010. 5 Siehe VWG FVerl, Rz. 89. Weiterhin Menninger/Wellens, DB 2012, 10 ff. 6 Anwendung des Going-Concern-Prinzips; siehe auch IDW S 1.

336 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.30 Kap. 10

len und immateriellen Wirtschaftsgüter sowie die unternehmerischen Chancen und Risiken der Funktion(en). Das Transferpaket wird in seiner Gesamtheit anhand seiner Gewinnpotentiale bewertet. Die Bewertung berücksichtigt sowohl die Sicht des verlagernden Unternehmens als auch die Sicht des übernehmenden Unternehmens. Die Gewinnpotentiale bilden dann die Bemessungsgrundlage für ertragsteuerliche Zwecke. Erscheinungsformen. Grundsätzlich gibt es verschiedene Erscheinungsformen der 10.30 Funktionsverlagerung. Diese sind die Funktionsausgliederung, die Funktionsabspaltung, die Funktionsausweitung, die Funktionsabschmelzung und die Funktionsverdoppelung. Letztere spielt jedoch aus steuerlicher Sicht keine Rolle, da hierbei der Grundsatz der Verlagerung im Sinne der Aufgabe der Funktion nicht erfüllt ist. Bei der Übertragung der Erscheinungsformen auf Betriebsstättenfälle ergeben sich nunmehr folgende Konstellationen: Funktionsausgliederung: Hierbei werden bestimmte Tätigkeiten vollständig eingestellt und auf eine Betriebsstätte ausgelagert. Damit übernimmt die Betriebsstätte vollständig bestimmte Funktionen und das damit verbundene Gewinnpotential, z.B. Verlagerung der gesamten Produktion. Fälle, in denen die Produktionsfunktion oder eine andere Funktion vollständig auf eine Betriebsstätte übertragen wird, sind in der Praxis selten zu finden. Funktionsabspaltung: Hierbei wird lediglich eine (Teil-)Funktion auf eine Betriebsstätte übertragen, z.B. Auslagerung der Produktion einer bestimmten Baureihe oder Verlagerung bestimmter konzerninterner Dienstleistungen. Auch diese Form der Funktionsverlagerung auf eine Betriebsstätte ist in der Praxis eher selten. Funktionsverdopplung: Hierbei wird eine identische Tätigkeit ebenfalls bei der Betriebsstätte aufgenommen, ohne dass die Tätigkeit im Inland reduziert oder aufgegeben wird. Funktionsausweitung: Hierbei werden die Tätigkeiten der Betriebsstätte aufgewertet, indem bspw. aus einem Auftrags- oder Lohnfertiger ein Eigenproduzent gemacht wird. Die eigentlichen Aufgaben der Produktion werden dabei nicht erweitert; es werden hierzu jedoch weitere Rechte benötigt, welche die Betriebsstätte vorher nicht hatte. Damit steigt das Gewinnpotential in der Betriebsstätte. Ein solcher Fall kann auch bei Betriebsstätten eintreten, wenn z.B. die Vertriebsverantwortung durch Personen in der Betriebsstätte erweitert wird. Funktionsabschmelzung: Hierbei liegt gerade der umgekehrte Fall vor. Die Betriebsstätte wird abgeschmolzen, d.h. die Funktionen werden reduziert, indem bspw. aus einem Eigenhändler ein Kommissionär gemacht wird. Ebenso sinkt das damit verbundene Gewinnpotential. Ein solcher Fall kann auch bei Betriebsstätten eintreten, wenn z.B. die Person mit Vertriebsverantwortung in das Stammhaus zurückkehrt oder eine andere Person in einer anderen Betriebsstätte die Verantwortung übernimmt.

Wellens 337

Kap. 10 Rz. 10.30 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

Diese Erscheinungsformen lassen sich grafisch wie folgt darstellen: Inland vorher

Ausland nachher

vorher

nachher

Ausgliederung (Verlagerung der gesamten Funktion Abspaltung (Verlagerung einer Teilfunktion) Ausweitung (Ausweitung einer Teilfunktion im Ausland) Abschmelzung (Verminderung einer Funktion im Inland) Verdopplung (Aufbau der Gleichen Funktion im Ausland) Verteilung der Entscheidungskompetenz sowie der Gewinnchancen und Verlustrisiken

Abb.: Erscheinungsformen der Funktionsverlagerung

10.31 Abweichende Fallkonstellationen. Wie oben bereits dargestellt, ergibt sich eine gewisse Übereinstimmung von Funktionsverlagerungsgrundsätzen und Dauerbetriebsstätten. Allerdings gibt es viele Betriebsstättenkonstellationen, bei denen die Tätigkeiten entweder zeitlich oder inhaltlich begrenzt ausgeführt werden. Das bedeutet, dass in bestimmten Betriebsstätten primär bzw. ausschließlich unterstützende oder vorbereitende Tätigkeiten ausgeführt werden. Dies können bspw. Montagebetriebsstätten für die Einrichtung von Produktionsanlagen, Repräsentationsbetriebsstätten für die Vorbereitung von Vertriebstätigkeiten oder sonstige unterstützende Betriebsstätten für Lager, Einkauf o.Ä. sein. In solchen Fällen können nach obiger Darstellung dennoch Funktionsverlagerungstatbestände ausgelöst werden, sofern basierend auf Art. 7 OECD-MA dem Betriebsstättenstaat ein Besteuerungsrecht eingeräumt wird (dazu Rz. 1.2 ff.). Funktionsverlagerungen in einem temporären Kontext sind daher problematisch, weil die Funktionen nicht dauerhaft einem anderen Staat zuzuweisen sind und nach Abschluss der Tätigkeiten zurück zum Stammhaus oder zu einer anderen Betriebsstätte ziehen. Es sind demnach Transferpakete

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B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.34 Kap. 10

(mehrfach) zu bestimmen und die Dokumentation entsprechend1 zu erstellen (dazu Rz. 12.1 ff.). Die steuerlichen Folgen der Funktionsverlagerung treten jedoch nur temporär ein. Schließlich ist bei der Rück- oder Weiterverlagerung zu beurteilen, ob in der Betriebsstätte ein (neuer) Wert geschaffen wurde, der dann ebenfalls separat zu bewerten ist. Notwendigkeit der Einschränkung von Funktionsverlagerungstatbeständen. Dies 10.32 muss nochmals vor dem Hintergrund der Intention des Gesetzgebers beurteilt werden. Wie bereits ausgeführt, stellt die Funktionsverlagerung auf die abschließende Aufgabe von Aktivitäten beim abgebenden und die vollumfängliche Aufnahme derselben Tätigkeiten beim aufnehmenden Unternehmen ab. Aufgrund der Tatsache, dass es nicht zu einer ausufernden Anwendung der Funktionsverlagerung kommen sollte2, sollte über eine Einschränkung der Funktionsverlagerungstatbestände bei temporären Betriebsstätten nachgedacht werden. Die vorrübergehende Einschränkung von Funktionen und die spätere Wiederaufnahme, d.h. die temporäre Einrichtung von Betriebsstätten, sollte nicht zu den Funktionsverlagerungstatbeständen gehören. Daher sollten Funktionsverlagerungen bei (bestimmten) Betriebsstätten unter bestimmten Voraussetzungen als Ausnahmetatbestand definiert werden. Dies wurde bislang vom Gesetzgeber – insbesondere bei Einführung des AOA – versäumt. BEPS-Initiative. Kritisch zu sehen sind in diesem Zusammenhang auch die neuen 10.33 Entwicklungen im Zusammenhang mit Aktionspunkt 7 der BEPS-Initiative (Rz. 3.10). Hiernach wird die Betriebsstättenqualifikation tendenziell eher ausgeweitet, so dass zukünftig umso mehr Aktivitäten zu einer Besteuerung im Betriebsstättenstaat führen sollten. Darüber werden wohl auch signifikante digitale Präsenzen zu Betriebsstätten erhoben. Damit zusammenhängend können zukünftig auch die Funktionsverlagerungstatbestände weiter zunehmen.

IV. Bewertung eines Transferpakets 1. Der hypothetische Fremdvergleich als Ausgangspunkt für die Bewertung von Funktionsverlagerungen Hypothetischer Fremdvergleich. Bei Funktionsverlagerungen erscheint die Anwen- 10.34 dung des hypothetischen Fremdvergleichs geboten, da in der Regel keine zumindest eingeschränkt vergleichbaren Transaktionen zwischen fremden Dritten vorliegen dürften.3 § 1 Abs. 3 Sätze 5–8 AStG, die ebenfalls durch die Unternehmenssteuer1 In Deutschland stellen diese Vorgänge außergewöhnliche Geschäftsvorfälle dar, die zeitnah zu dokumentieren sind. Die Dokumentationsvorschriften der jeweiligen betroffenen Staaten sind zu berücksichtigen. 2 Vgl. die Begründung des Verordnungsgebers zu § 1 Abs. 7 Satz 1 FVerlV, BR-Drucks. 352/08, 10; so auch Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, FVerl Rz. 40.1 u. Rz. 44 m.w.N. sowie ferner Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946. 3 VWG FVerl, Rz. 62 ff.; zur Verrechnungspreisermittlung auf der Grundlage des hypothetischen Fremdvergleichs siehe Oestreicher/Hundeshagen, DB 2008, 1637 (1693); Oestreicher/

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Kap. 10 Rz. 10.34 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

reform 2008 neu in das Gesetz eingeführt wurden, regeln die Fälle, in denen für einen Verrechnungspreis keine (auch eingeschränkt) vergleichbaren Fremdvergleichswerte festgestellt werden können. In solchen Fällen hat der Steuerpflichtige den hypothetischen Fremdvergleich durchzuführen. Dafür greift der Gesetzgeber auf die Figur des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zurück und will für die Verrechnungspreisbestimmung sowohl die Perspektive des (Geschäftsleiters des) Leistenden als auch die des (Geschäftsleiters des) Leistungsempfängers berücksichtigen.

10.35 Gewinnerwartungen. Für Steuerpflichtige bedeutet dies, dass – auf der Basis einer Funktionsanalyse (Rz. 2.12 ff.) sowie innerbetrieblicher Planrechnungen – die Gewinnerwartungen beider nahestehenden Personen aus dem Gegenstand der Geschäftsbeziehung ermittelt werden müssen. Der Gesetzgeber „erläutert“ den Begriff der Gewinnerwartungen durch den weiteren Begriff von „Gewinnpotenzialen“. Gemeint ist wohl, dass Ertragswertbetrachtungen durchgeführt werden müssen. 10.36 Transferpaket. Weiterhin spricht das Gesetz von einem Transferpaket als Ganzem. Hierunter ist zu verstehen, dass gerade eine Bewertungsvereinfachung geschaffen werden soll. Allerdings ist darunter nicht zu verstehen, dass die Behandlung von Funktionsverlagerungen der Behandlung von Gesamt- oder Teilunternehmensveräußerungen entspricht.1 Vielmehr muss sich die Bewertung – wie oben bereits dargestellt – nach dem wesentlichen Inhalt des Transferpakets orientieren. Eine Veräußerung eines Gesamt- oder Teilunternehmens entspricht gerade nicht dem notwendigen Regelungsinhalt der Funktionsverlagerungsgesetzgebung. Hierfür wären die allgemeinen Veräußerungs- bzw. Entstrickungsregeln (siehe Rz. 9.14) ausreichend. 10.37 Einigungsbereich. Die beiden Werte, die sich aus vorstehenden Überlegungen ergeben (d.h. die Preisvorstellungen des Leistenden einerseits und die des Leistungsempfängers andererseits), ergeben einen „Einigungsbereich“, d.h. ein Spektrum von Preisen, das man annähernd mit der Bandbreite i.S.d. traditionellen Verrechnungspreisterminologie vergleichen könnte. Innerhalb des Einigungsbereichs soll dann der Preis angesetzt werden, der „dem Fremdvergleichsgrundsatz mit der höchsten Wahrscheinlichkeit entspricht“.2 Das Gesetz legt allerdings den Mittelwert des Einigungsbereichs als zutreffenden Preis fest, solange kein anderer Wert glaubhaft gemacht wird. Es bleibt im Gesetz offen, was und unter Berücksichtigung welcher Gesichtspunkte und in welchem Detaillierungsgrad ein Steuerpflichtiger glaubhaft machen muss, wenn er von dem Mittelwert abweichen will.

Hundeshagen, IStR 2009, 145, Oestreicher/Hundeshagen, Ubg 2009, 830. Konzeptionell gilt der hypothetische Fremdvergleich allerdings nach wie vor als nachrangig, s. VWG FVerl, Rz. 61. Denkbar wäre ein tatsächlicher Fremdvergleich im Zusammenhang mit Hilfsfunktionen wie EDV, Buchhaltung, Transport. Vgl. hierzu auch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1948. 1 A.A. insb. Kessler/Probst, IStR 2017, 253. 2 § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG.

340 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.40 Kap. 10

2. Escape- bzw. Öffnungsklauseln Einzelbewertung. Die Bewertung eines Transferpakets hat grundsätzlich als Ganzes 10.38 zu erfolgen. Hieraus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass eine Funktionsverlagerung (Rz. 6.93) immer nur aus einem Transferpaket besteht. Vielmehr können im Rahmen eines einheitlichen Vorgangs durchaus mehrere Funktionen übertragen werden, die jeweils im Ganzen im Rahmen der Transferpaketbestimmung bewertet werden. Darüber hinaus kann eine Einzelbewertung der übergehenden Wirtschaftsgüter dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft machen kann, dass – keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter übertragen oder zur Nutzung überlassen wurden oder – die Summe der Einzelwerte dem Fremdvergleichsgrundsatz, gemessen an der Preisbestimmung für das Transferpaket als Ganzes, entspricht oder – der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass zumindest ein wesentliches immaterielles Wirtschaftsgut Gegenstand der Funktionsverlagerung war, und er es genau bezeichnet.1 Man könnte unterstellen, dass die vom Gesetz in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG zugelassenen Einzelbewertungen als „Escape-Klauseln“ (bzw. „Öffnungsklauseln“2) anzusehen seien, deren Sinn es auch wäre, Steuerpflichtigen in „kleineren Fällen“ von Funktionsverlagerungen Erleichterungen einzuräumen. Angesichts des Wortlauts erscheint es allerdings sehr fraglich, ob sich die Klausel in Betriebsprüfungen tatsächlich als brauchbare Basis erweisen wird, um einen Wertansatz auf Basis des Gesamtwerts eines Transferpakets zu vermeiden. Wesentlichkeit. Eine Definition der Wesentlichkeitsgrenze für immaterielle Wirt- 10.39 schaftsgüter und Vorteile erfolgt in § 1 Abs. 5 FVerlV. Danach sind immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile als wesentlich anzusehen, wenn sie für die verlagerte Funktion erforderlich und wenn ihr Fremdvergleichspreis insgesamt mehr als 25 % des Gesamtwerts eines Transferpakets beträgt.3 Damit dürfte der ersten Escape-Klausel in allen „interessanten“ Fällen, bei denen in aller Regel überwiegend immaterielle Wirtschaftsgüter betroffen sind, kaum Bedeutung zukommen. Einzelpreisbestimmung. Die zweite Escape-Klausel erlaubt eine Einzelbewertung 10.40 bei Glaubhaftmachung durch den Steuerpflichtigen, dass das Gesamtergebnis der Einzelpreisbestimmungen dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Jedoch wird durch § 2 Abs. 3 FVerlV konkretisiert, dass dem Fremdvergleichsgrundsatz nach Auffassung der Finanzverwaltung nur entsprochen wird, wenn die Summe der Einzelpreise innerhalb des Einigungsbereichs liegt, der sich aus der Bewertung des Transferpakets ergibt. Für die Praxis bedeutet diese Alternative somit, dass eine Bestimmung des Einigungsbereichs des Transferpakets nicht unterbleiben kann und daher in jedem Fall (aufwendige) Gesamtbewertungen erforderlich werden. Preisober- und 1 § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG mit drei Alternativen; zur Diskussion siehe Oestreicher/Wilcke, Ubg 2010, 225 ff. 2 So die Terminologie in den VWG FVerl, Rz. 69 ff. 3 VWG FVerl, Rz. 71 u. 38 f.

Wellens 341

Kap. 10 Rz. 10.40 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

Preisuntergrenze müssen trotz Einzelbewertung ermittelt werden. Folglich handelt es sich auch insoweit nicht um eine wirkliche Escape-Klausel. Vielmehr stellt die beschriebene zweite Alternative lediglich eine Möglichkeit dar, glaubhaft zu machen, dass für steuerliche Zwecke vom Mittelwert zwischen Preisober- und -untergrenze abgewichen werden kann.1

10.41 Teilbetriebsähnliche Funktion. Die Bedeutung der dritten Escape-Klausel, die im Frühjahr 2010 in das Gesetz eingefügt wurde, ist nicht ganz klar. Gesetzgeberischer Wille war wohl, die Einbeziehung von geschäftswertbildenden Faktoren (Firmenwert, Goodwill) bei der Bewertung von Funktionsverlagerungen nur dann zu fordern, wenn mindestens eine teilbetriebsähnliche Funktion ins Ausland übertragen wird. Eine entsprechende gesetzgeberische Intention kommt jedoch im Wortlaut der Vorschrift nicht wirklich zum Ausdruck. Die VWG FVerl enthalten weiterführende Ausführungen zu dieser dritten Escape-Klausel, die allerdings auch keine abschließende Klarheit über die Interpretation der Finanzverwaltung geben.2 3. Nachträgliche Preisanpassungen

10.42 Preisanpassungen. Mit der Zulassung einseitiger, nachträglicher Preisanpassungen in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG, die durch die Finanzbehörden durchgeführt werden können, hat der Gesetzgeber einen in der bisherigen deutschen Verrechnungspreissystematik unbekannten Mechanismus eingeführt. Die Finanzverwaltung kann zum Nachteil des Steuerpflichtigen Verrechnungspreisanpassungen bei konzerninternen Transaktionen, die wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile betreffen, durchführen. Eine Anpassung ist vorzunehmen, wenn die tatsächliche Gewinnentwicklung nach der Transaktion erheblich von der Gewinnentwicklung abweicht, die der ursprünglichen Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegt wurde. In diesen Fällen kann die Anpassung innerhalb von zehn Jahren nach dem Geschäftsabschluss erfolgen. Nach § 10 FVerlV liegt dabei eine „erhebliche Abweichung“ i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 12 AStG vor, wenn ein Verrechnungspreis auf der Grundlage der tatsächlichen Gewinnentwicklung außerhalb des ursprünglichen Einigungsbereichs liegt.3 10.43 Erhebliche Abweichung. Eine Anpassung bei einer erheblichen Abweichung kann durch den Unterschiedsbetrag erfolgen, der entweder zwischen ursprünglichem und neu ermitteltem Verrechnungspreis oder zwischen dem ursprünglichen Verrechnungspreis und dem Mittelwert zwischen dem neuen Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens und dem ursprünglichen Mindestpreis des verlagernden Unternehmens besteht.4 10.44 Isolierung von Ertragsströmen. In der Praxis wird eine Anwendung der Regelung auf diverse Probleme stoßen. Bei Funktionsverlagerungen wird es z.B. kaum möglich 1 2 3 4

VWG FVerl, Rz. 72 f.; dazu Oestreicher/Wilcke, DB 2010, 467. VWG FVerl, Rz. 74–81. Ergänzend VWG FVerl, Rz. 135 ff. § 11 FVerlV.

342 Wellens

B. Funktionsverlagerung- und Betriebsstättengesetzgebung

Rz. 10.47 Kap. 10

sein, Ertragsströme, die den ursprünglich übertragenen immateriellen Wirtschaftsgütern bzw. den verlagerten Funktionen zuzuordnen waren, über einen Zeitraum von zehn Jahren nachzuverfolgen und von anderen Ertragsströmen zu isolieren. Wenn ein Produktionsbetrieb ins Ausland verlagert wird und in eine ausländische Gesellschaft, die bereits eine vergleichbare Produktion betreibt, eingegliedert wird, können (und sollen natürlich auch betriebswirtschaftliche) Synergieeffekte entstehen. Durch solche Synergieeffekte sowie technische Weiterentwicklungen wird man im Zeitablauf kaum die Ertragsströme identifizieren können, die allein der ursprünglich übertragenen Produktion zuzuordnen sind, um diese dann mit den Ertragsströmen zu vergleichen, die der ursprünglichen Verrechnungspreisbestimmung zugrunde gelegt worden waren. Kaufpreisanpassungen in Kaufverträgen. In Unternehmenskaufverträgen zwi- 10.45 schen fremden Dritten werden zwar z.T. Klauseln vereinbart, die Kaufpreisanpassungen in Abhängigkeit von zukünftigen Ergebnisentwicklungen ermöglichen. In der Praxis haben solche sog. Earn-out-Klauseln aber in aller Regel eine maximale Laufzeit von zwei bis drei Jahren, da sich längere Laufzeiten als nicht handhabbar herausgestellt haben. Der Gesetzgeber hätte sich sinnvollerweise an diesen Praxiserfahrungen orientieren und – wenn überhaupt – einen deutlich kürzeren Anpassungszeitraum vorsehen sollen. Letzteres insbesondere auch deshalb, weil sich durch Betriebsprüfungszyklen u.U. noch deutlich längere Anpassungszeiträume ergeben können. Vertragliche Kaufpreisanpassung. Steuerpflichtige können die Anwendung der ge- 10.46 setzlichen Anpassungsregelungen in § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG allerdings dadurch ausschließen, dass sie bei der ursprünglichen Transaktion zwischen nahestehenden Personen vertraglich einen Preisanpassungsmechanismus vereinbaren. Klare Gestaltungsempfehlung – und -notwendigkeit – ist daher bei langfristigen konzerninternen Vereinbarungen, die immaterielle Werte umfassen, dass von vornherein (fremdübliche) Anpassungsregeln vertraglich vereinbart werden, die eine Korrektur zu Lasten, aber auch zu Gunsten des deutschen Steuerpflichtigen erlauben und einen deutlich verkürzten Anpassungszeitraum vorsehen; Letzterer sollte sich an Verträgen zwischen fremden Dritten (Rz. 2.60) orientieren.1 Lizenzvereinbarungen. Die Funktionsverlagerungsverordnung geht in § 9 FVerlV 10.47 im Übrigen davon aus, dass Lizenzvereinbarungen als vertragliche Preisanpassungsklauseln zu verstehen sind.2 Daher sollte eine nachträgliche Preisanpassung im Rahmen einer Betriebsprüfung (Rz. 12.13) von Lizenzvereinbarungen z.B. auch dann ausgeschlossen sein, wenn sich bei einer Umsatzlizenz die Betriebsgewinne anders entwickeln als bei Festlegung des Lizenzsatzes ursprünglich angenommen.

1 VWG FVerl, Rz. 137. 2 VWG FVerl, Rz. 136.

Wellens 343

Kap. 10 Rz. 10.48 Betriebsstätten und Funktionsverlagerungen

C. Drohende Doppelbesteuerung bei Funktionsverlagerungen 10.48 Doppelbesteuerung bei Funktionsverlagerungen. Die Anwendung der Regelungen zu Funktionsverlagerungen kann zu Doppelbesteuerungsproblemen (vgl. Rz. 1.1 ff.) führen. Bei einer Verlagerung von Funktionen in eine Betriebsstätte muss zunächst geklärt werden, inwiefern der aufnehmende Staat bei der Betriebsstätte eine den deutschen Regeln vergleichbare Hilfs- oder Nebenrechnung (vgl. Rz. 12.4 ff.) aufstellen lässt. Nur dann kann sichergestellt werden, dass das Transferpaket bilanziell erfasst und damit einer Abschreibung unterliegen kann. Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, ob der aufnehmende Staat eine Funktionsverlagerung überhaupt sieht und bereits aus diesen Gründen einen Steuerabzug einer diesbezüglichen Zahlung versagt. 10.49 Goodwill. Beispielhaft sei dies im Hinblick auf Zahlungen für Goodwill erläutert, dem aufgrund der Transferpaketbewertung eine entscheidende Rolle zukommen dürfte: Sofern der Empfängerstaat eine Aktivierung des entsprechenden Goodwills und dessen steuerliche Abschreibung zulässt, ergibt sich eine Steuerbelastung zumindest aus der Timing-Differenz zwischen der Sofortbesteuerung in Deutschland einerseits und dem Abschreibungszeitraum im Ausland andererseits. Erlaubt der Empfängerstaat zwar die Aktivierung von Goodwill, versagt er aber die steuerliche Abschreibung, entsteht eine Doppelbesteuerung. Diese Doppelbesteuerung wird nur dadurch aufgehoben, dass der Goodwill zu einem späteren Zeitpunkt wieder rückübertragen oder weiterübertragen wird und damit zu einem späteren Zeitpunkt der Abschreibung unterliegt. Die Timing-Differenz würde dadurch noch vergrößert. Erlaubt der ausländische Staat überhaupt keine Aktivierung des Goodwills (des Gewinnpotentials), für dessen Übertragung nach deutschem Recht eine Ausgleichszahlung zu leisten ist, entsteht eine dauerhafte Doppelbesteuerung. 10.50 Anwendung von Entstrickung und Verstrickung (zur unionsrechtlichen Problematik siehe Rz. 5.38). Eine vergleichbare Doppelbesteuerungsproblematik würde sich auch ergeben, sofern nicht das Konzept der Funktionsverlagerung (Rz. 6.93), sondern die allgemeinen Entstrickungs- bzw. Verstrickungskonzepte angewendet würden. Auch in einem solchen Fall wäre es notwendig, dass die deutschen bzw. ausländischen Regelungen korrespondieren, um damit wertgleiche Aktivierung und entsprechende Abschreibungen zu ermöglichen. Da jedoch die nationalen Regelungen international nicht abgestimmt sind, dürfte es auch in einer solchen Konstellation zu einer möglichen Doppelbesteuerung führen.1 Insbesondere bei einer temporären Betriebsstätte mit vorübergehender Funktionsverlagerung – wie es in bestimmten Konstellationen nicht unüblich ist – sollte eine Übertragung der immateriellen Werte eigentlich vermieden werden, da hierdurch der Wert des Transferpakets im Zeitpunkt des Übergangs steuerlich zu realisieren ist. Es kommt zu einer Besteuerung des Transferpakets im Inland bei Übertragung in das Ausland und zu einer weiteren Besteue1 Vgl. hierzu auch Margerie, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2016, S. 230 ff.; zum Nebeneinander von Entstrickung und Funktionsverlagerung siehe Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 4.438 f.

344 Wellens

C. Drohende Doppelbesteuerung bei Funktionsverlagerungen

Rz. 10.51 Kap. 10

rung im Ausland bei Rückübertragung, vorausgesetzt der ausländische Staat kennt eine vergleichbare Regelung zur Funktionsverlagerung. Eventuell sind jeweils Abschreibungen auf das Transferpaket im Inland oder Ausland möglich. Nutzungsüberlassung. Um diesen Effekt zu vermeiden, sollte es hilfreich und sinn- 10.51 voll sein, bei den immateriellen Wirtschaftsgütern lediglich von einer Nutzungsüberlassung auszugehen. Hierdurch würde eine Übertragung dieser Wirtschaftsgüter im Rahmen der Einrichtung einer Betriebsstätte vermieden. Daher käme es nicht zu Abgrenzungsproblemen oder gar einer mehrfachen Berücksichtigung. Allerdings ist die notwendige Voraussetzung hierfür, dass das wirtschaftliche Eigentum an der Funktion bzw. den zugrundeliegenden Werten nicht übertragen, sondern lediglich zur Nutzung überlassen wird. Nach § 6 BsGaV ist für die Zuordnung eines immateriellen Werts zu einer Betriebsstätte die Schaffung oder der Erwerb durch die Personalfunktion (Rz. 6.54) maßgebend. Ist die Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuweisen, so ist auch der Wert dieser zuzuweisen. Ausnahmen hierzu sind gem. § 6 Abs. 4 BsGaV nur dann möglich, wenn der Wert nicht eindeutig zugeordnet werden kann. In einem solchen Fall kann dieser auch nur anteilig zugeordnet werden. Fraglich bleibt daher, ob eine Nutzungsüberlassung von einem Stammhaus an eine Betriebsstätte überhaupt möglich ist, wenn der Wert eindeutig der Personalfunktion der Betriebsstätte zuzuweisen ist. Grundsätzlich sollte es auf diesen Regelungen basierend möglich sein, bei Funktionsverlagerungen eine Sofortversteuerung zu vermeiden. In der Praxis muss aber ein erhebliches Augenmerk darauf gelegt werden, dass man – sofern eine Lizenzierung angestrebt wird – auf Grundlage des verwirklichten Sachverhalts und der zugrunde liegenden konzerninternen Verträge tatsächlich argumentieren kann, dass das wirtschaftliche Eigentum nicht auf die ausländische Betriebsstätte übergegangen, sondern bei dem deutschen „Lizenzgeber“ verblieben ist.

Wellens 345

Kapitel 11 Besonderheiten der Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Vertreterbetriebsstätten A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 B. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik

C. Kommentierung I. Besondere Zuordnungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.12

I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5

II. Konsequenzen der Zuordnung . . . 11.19

II. Abweichende Zuordnung . . . . . . . 11.8

D. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 11.22

III. Zuordnung in Zweifelsfällen . . . . . 11.10

E. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 11.27

IV. Konsequenz der Zuordnung . . . . . 11.11

Literatur: Bendlinger, Die „neue“ Vetreterbetriebsstätte – Leitlinien der OECD zur Gewinnzuteilung an den abhängigen Vertreter, IStR 2016, 914; Ditz/Bärsch, Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten nach dem AOA – ein Plädoyer für die Nullsummentheorie, IStR 2013, 411; Heinsen, Die neuen Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) – Zehn wichtige Neuerungen, DB 2017, 85; Kelterborn/Konken, Praxiserfahrungen im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung, BB 2017, 2847; Kroppen in Lüdicke/ Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung internationaler Unternehmen – Festschrift für Dieter Endres zum 60. Geburtstag, München 2016; Kroppen/van der Ham, Neue OECD-Richtlinien zur Gewinnaufteilung bei Vertreterbetriebsstätten – Verkannt, verrannt, was nun?, IWB 2017, 257; OECD (2018), Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.3.2018, BEPS Action 7, www.oecd.org/tax/beps/additional-guidance-at tribution-of-profits-to-a-permanent-establishment-under-beps-action7.htm; OECD (2018), OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264304529-de; OECD (2017), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.6.2017, http://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/bepsdiscussion-draft-additional-guidance-attribution-of-profits-to-permanent-establishments.pdf; OECD (2016), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 4.7.2016, http://www.oecd.org/tax/transferpricing/BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-permanent-establishments.pdf; Tenberge, Zuordnung von Risikoprämien zu einer Vertreterbetriebsstätte, IWB 2016, 742; van der Ham in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft (Hrsg.), DBA-Kommentar, Art. 7 OECDMA (Erscheinen im Sommer 2020) (zit.: Verfasser in G/K/G/K); van der Ham/Retzer, Vertreterbetriebsstätte: Gewinnaufteilung bei Vertreterbetriebsstätten – Ein Vergleich der im Entwurf vorliegenden OECD-Empfehlungen mit den VWG BsGa vom 22.12.2016, ISR 2017, 131; van der Ham/Retzer, BEPS Aktion Nr. 7 zu Betriebsstätten und die Auswirkungen auf die Betriebsstättengewinnabgrenzung, IStR 2016, 749.

A. Zielsetzung Definition. Ein ständiger Vertreter nach § 13 AO ist eine Person, die nachhaltig die 11.1 Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. van der Ham/Retzer 347

Kap. 11 Rz. 11.1 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten

Die Tätigkeit eines ständigen Vertreters führt häufig zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte des vertretenen Unternehmens i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA 2017 (s. hierzu auch Rz. 2.67 und Rz. 3.47 ff.).1

11.2 Steuersubjekt und -objekt. Dabei kann es sich bei der Person des Vertreters um einen Mitarbeiter des vertretenen Unternehmens handeln oder um eine (externe) natürliche oder juristische Person, die entsprechende Tätigkeiten im Auftrag des vertretenen Unternehmens ausübt. Ist das Unternehmen im anderen Vertragsstaat ansässig und wird im Fall eines vorliegenden DBA die Rolle des ständigen Vertreters von einem rechtlich selbständigen Unternehmen im Inland ausgeübt, stehen dem Quellenstaat regelmäßig die Besteuerungsrechte im Hinblick auf zwei Steuerpflichtige zu (s. hierzu auch Rz. 2.87):2 – Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des im Quellenstaat ansässigen und unbeschränkt steuerpflichtigen Vertreters sowie – das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des im anderen Vertragsstaat ansässigen Unternehmens, die der Vertreterbetriebsstätte zuzurechnen sind.

11.3 Gewinnabgrenzung. Nach § 39 Abs. 1 BsGaV sind die Gewinnabgrenzungsvorschriften der BsGaV sinngemäß auch auf ständige Vertreter i.S.d. § 13 AO anzuwenden (wenngleich dies aus dem Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 5 AStG nicht unmittelbar hervorgeht3). Die Regelung des § 39 BsGaV soll somit für Zwecke der internationalen Gewinnabgrenzung zu einer Gleichbehandlung von Betriebsstätten i.S.d. § 12 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA und ständigen Vertretern i.S.d. § 13 AO bzw. Vertreterbetriebsstätten i.S.d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA beitragen (s. hierzu auch Rz. 2.69).4 11.4 Vorgehensweise. Die Gewinnabgrenzung für Vertreterbetriebsstätten erfolgt daher grundsätzlich wie für klassische Geschäftseinrichtungsbetriebsstätten anhand der bereits in vorherigen Abschnitten (vgl. Rz. 6.50 ff.) dargelegten zweistufigen Vorgehensweise (s. hierzu auch Rz. 2.21 f.). Aus der besonderen Stellung eines ständigen Vertreters, bei dem eine Vertreterbetriebsstätte des Auftraggebers fingiert wird, ohne dass der Auftraggeber sich physisch vor Ort befindet, ergeben sich aber einige Abweichungen und Besonderheiten, die in den folgenden Abschnitten näher beleuchtet werden sollen.

1 Hierzu auch van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 171. 2 Vgl. Bendlinger, IStR 2016, 919; vgl. Ditz/Bärsch, IStR 2013, 412. 3 So spricht § 1 Abs. 5 AStG ausschließlich von „Betriebsstätte“, welche in § 12 AO legal definiert wird und nach deutschem Recht den „ständigen Vertreter“ streng genommen nicht mit umfasst. Dies wird bspw. an der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG deutlich, welche nur im Inland unterhaltene „Betriebsstätten“ der Gewerbesteuerpflicht unterwirft, nicht jedoch im Inland tätige „ständige Vertreter“. 4 Vgl. BMF v. 22.12.20196 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 418 – im Folgenden VWG BsGa.

348 van der Ham/Retzer

B. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik

Rz. 11.7 Kap. 11

B. Regelungsinhalt: Zuordnungssystematik I. Grundsatz Anwendung. Die in §§ 5–8 BsGaV niedergelegten Zuordnungsvorschriften für Ver- 11.5 mögenswerte sind gem. § 39 Abs. 1 BsGaV grundsätzlich analog auf Vertreterbetriebsstätten anzuwenden. Die Zuordnung von Vermögenswerten erfolgt somit auch bei Vertreterbetriebsstätten auf Basis der jeweils maßgeblichen Personalfunktion (s. hierzu auch Rz. 7.3 und Rz. 7.5). Rechtlich eigenständiges Unternehmen. Besonderheiten ergeben sich hierbei je- 11.6 doch, wenn die Vertreterbetriebsstätte durch ein rechtlich eigenständiges Unternehmen (z.B. eine Tochterkapitalgesellschaft) in einem anderen Staat begründet wird. In diesem Fall verfügt das vertretene Unternehmen regelmäßig nicht über eigenes Personal im anderen Staat, so dass nach den §§ 5 ff. BsGaV grundsätzlich keine Vermögenswerte, keine Chancen und Risiken oder Geschäftsvorfälle zugeordnet werden könnten. Gleiches würde im Outboundfall für die Zuordnung von ausländischen Einkünften i.S.d. § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG bzw. im Inboundfall für die Zuordnung von Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gelten.1 Aus diesem Grund sieht § 39 Abs. 2 BsGaVeine Sonderregelung vor, wonach alle vom Personal des ständigen Vertreters für das vertretene Unternehmen ausgeübten Personalfunktionen (s. hierzu auch Rz. 2.24) für Zwecke der Gewinnabgrenzung Letzterem zugeordnet werden. In diesen Fällen ist es somit nicht erforderlich, dass eigenes Personal des Vertretenen i.S.d. § 2 Abs. 3 BsGaV im anderen Staat tätig ist.2 Personalfunktionen. Auf Basis der ausgeübten oder als eigene zu behandelnde Personalfunktionen (s. hierzu auch Rz. 7.3 und Rz. 9.3) sind gem. § 1 Abs. 2 BsGaV der Vertreterbetriebsstätte – Vermögenswerte (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 AStG); – Chancen und Risiken (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 AStG); – Dotationskapital (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG); – Passivposten, soweit dies auf Grund der Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie Dotationskapital erforderlich ist; – Geschäftsvorfälle des Unternehmens mit unabhängigen Dritten und mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sowie – die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG, welche die Vertreterbetriebsstätte zum übrigen Unternehmen unterhält, zuzuordnen.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 421. 2 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 355.

van der Ham/Retzer 349

11.7

Kap. 11 Rz. 11.7 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten

Vermögenswerte umfassen neben materiellen Wirtschaftsgütern insbesondere auch immaterielle Werte (einschließlich immaterieller Wirtschaftsgüter), Beteiligungen und Finanzanlagen (s. hierzu auch Rz. 7.4 und Rz. 7.75).1

II. Abweichende Zuordnung 11.8 Öffnungsklausel. Wie in Kapitel 7 umfassend erläutert, ist für die Zuordnung von Vermögenswerten sowie Chancen und Risiken eine Öffnungsklausel vorgesehen.2 Diese ermöglicht eine von der Grundregel abweichende Zuordnung, falls eine andere Personalfunktion für den Zuordnungsgegenstand eine größere Bedeutung hat oder die abweichende Zuordnung im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das besser dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (s. hierzu auch Rz. 7.103). 11.9 Personalfunktionskonkurrenz. Für den Fall der Personalfunktionskonkurrenz hat auch hier eine Zuordnung nach der relativen Bedeutung der Personalfunktion für den Zuordnungsgegenstand zu erfolgen (s. hierzu auch Rz. 7.81).3

III. Zuordnung in Zweifelsfällen 11.10 Beurteilungsspielraum. In Zweifelsfällen wird dem Steuerpflichtigen ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden, der jedoch an Nachweispflichten gebunden ist. Allerdings muss die Zuordnung im Einklang mit den grundsätzlichen Zuordnungsregeln stehen. In den meisten Fällen wird dies eine Zuordnung nach der Grundregel nach sich ziehen. Bei immateriellen Werten ist außerdem eine anteilige Zuordnung möglich (s. hierzu auch Rz. 7.110).4

IV. Konsequenz der Zuordnung 11.11 Konsequenzen. Hinsichtlich der Zuordnung ergeben sich bei Vertreterbetriebsstätten ähnliche Konsequenzen wie bei anderen Betriebsstätten. So bewirkt die Zuordnung eines Vermögenswerts zur Vertreterbetriebsstätte, dass dieser dort für Zwecke der Gewinnabgrenzung zu berücksichtigen ist, mit folgenden Auswirkungen (s. hierzu auch Rz. 7.112): – Berücksichtigung von Betriebsausgaben: Wird z.B. ein sonstiger Vermögenswert einer Vertreterbetriebsstätte zugeordnet, dann sind entsprechende Betriebsausgaben im Zusammenhang mit diesem Vermögenswert (z.B. Wertberichtigungen auf Forderungen) oder Betriebseinnahmen (z.B. Erlös aus der Veräußerung) der Vertreterbetriebsstätte zuzurechnen. 1 2 3 4

Vgl. § 1 Abs. 5 AStG i.V.m. § 2 Abs. 6 BsGaV. Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 386. Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 387. Vgl. § 39 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 BsGaV.

350 van der Ham/Retzer

C. Kommentierung

Rz. 11.12 Kap. 11

– Existenz von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen: Ist der ständige Vertreter z.B. für das Forderungsmanagement verantwortlich und wird deshalb eine entsprechende Forderung der Vertreterbetriebsstätte zugeordnet, dann ist der Forderungsverkauf als fiktiver Geschäftsvorfall zu beurteilen, für den ein angemessenes, fiktives Entgelt festzusetzen ist. – Bestimmung der geeignetsten Verrechnungspreismethode: Bei der Bestimmung der angemessenen Verrechnungspreismethodik für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen kommt es insbesondere darauf an, ob, und wenn ja inwieweit, die Vertreterbetriebsstätte fiktiv wesentliche materielle und immaterielle Vermögenswerte einsetzt. Sind wesentliche immaterielle Werte wie ein Kundenstamm bspw. der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen, kann das erheblichen Einfluss auf die Vergleichsanalyse und die Auswahl der geeignetsten Verrechnungspreismethode haben. Die Zuordnungsentscheidung ist im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung (s. hierzu auch Rz. 7.27) gem. § 3 BsGaV niederzulegen.

C. Kommentierung I. Besondere Zuordnungsregelungen Grundsatz. Für die Zuordnung wird zunächst die für die jeweilige Vermögenskate- 11.12 gorie im Grundsatz maßgebliche Personalfunktion (s. hierzu auch Rz. 7.129) definiert.1 Hierunter ist gem. § 2 Abs. 5 BsGaV diejenige Personalfunktion zu verstehen, die für den Vermögenswert die größte Bedeutung entfaltet (s. hierzu auch Rz. 7.128). Beispiel 1: Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Sellco schließt im Namen und auf Rechnung von Prima Verträge ab. Sellco trifft dabei unter anderen die wesentlichen Entscheidungen bzgl. Lagerhaltung sowie die Bestimmung der Höhe von Vorratsbeständen. Lösung: Die von Sellco im Hinblick auf die Vorräte ausgeübten wesentlichen Personalfunktionen sind der Vertreterbetriebsstätte von Prima zuzurechnen,2 so dass dieser folgerichtig auch der Vorratsbestand einschließlich der mit diesem zusammenhängenden Risiken zuzuordnen sind. Beispiel 2: Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Sellco schließt im Namen und auf Rechnung von Prima Verträge ab. Sellco tritt dabei als direkter Ansprechpartner gegenüber den lokalen Kunden auf, entwickelt eigenständig lokale Marketingkampagnen und unterliegt bzgl. der Verhandlung von Vertragskonditionen keinen Vorgaben seitens Prima. 1 Hierzu Kroppen/van der Ham, IWB 2017, 261 f. 2 Vgl. Kelterborn/Konken, BB 2017, 2849.

van der Ham/Retzer 351

Kap. 11 Rz. 11.12 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten Lösung: Da Sellco die wesentlichen Personalfunktionen im Hinblick auf die lokalen Kundenbeziehungen ausübt, sind diese der Vertreterbetriebsstätte von Prima fiktiv zuzuordnen. Darüber hinaus könnten der Vertreterbetriebsstätte aufgrund der von Sellco entwickelten Marketingkampagnen ggf. lokale Markenrechte zuzurechnen sein.

11.13 Ausnahmen. Aufgrund der besonderen Situation von Vertreterbetriebsstätten kann es allerdings auch Situationen geben, in denen der Vertreterbetriebsstätte keine Vermögenwerte zuzurechnen sind. Das ist immer dann der Fall, wenn keine für die Zuordnung von materiellen oder immateriellen Vermögenswerten maßgeblichen Personalfunktionen der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Beispiel 3: Keine Zuordnung von Wirtschaftsgütern: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Sellco schließt im Namen und auf Rechnung von Prima Verträge ab. Sämtliche strategischen Entscheidungen (z.B.: Festlegung von Vertriebsstrategien, Verkaufszielen, Preisgestaltungen, Marketingkampagnen, Höhe von Vorratsbeständen sowie Überprüfung der Kreditfähigkeit von Kunden und Forderungseintreibung) werden von Prima getroffen, wohingegen Sellco im Wesentlichen mit der Umsetzung der zentralen Strategien und der lokalen Kundenakquisition betraut ist. Lösung: Der Vertreterbetriebsstätte von Prima sind mangels wesentlicher Personalfunktionen keine Wirtschaftsgüter bzw. damit zusammenhängenden Chancen und Risiken zuzuordnen. Folgerichtig ergeben sich auch kein Dotationskapital und keine sonstigen Passiva.

11.14 Chancen und Risiken/Passiva. Im nächsten Schritt sind der Vertreterbetriebsstätte Chancen und Risiken (siehe hierzu allgemein Rz. 7.173 ff.) zuzuordnen. Dies erfolgt nach den allgemeinen Zuordnungsregelungen gem. § 10 BsGaV. Beispiel 4: Zuordnung von Chancen und Risiken1: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Die im anderen Vertragsstaat ansässige Prima unterhält bei der Sellco im Quellenstaat ein eigenes Warenlager. Die Waren bleiben bis zur Veräußerung im Eigentum der Prima. Das Personal der Sellco kümmert sich um das Warenlager, fordert Waren bei der Prima an, um sie im Warenlager einzulagern und dann auszuliefern. Eigenes Personal der Prima übt hingegen keine Personalfunktion hinsichtlich des Warenlagers aus. Aufgrund eines Unwetters entsteht ein Schaden von 1.000 am Gebäude und von 500 an den eingelagerten Waren. Lösung: Die von Sellco im Hinblick auf die Vorräte ausgeübten wesentlichen Personalfunktionen sind der Vertreterbetriebsstätte von Prima fiktiv zuzurechnen. Der Vertreterbetriebsstätte von Prima sind im vorliegenden Fall folglich sämtliche mit dem Warenlager zusammenhängenden Risiken und mithin die aus deren Materialisierung erwachsenden Aufwendungen (hier: 1.500) zuzurechnen.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 423.

352 van der Ham/Retzer

C. Kommentierung

Rz. 11.14 Kap. 11

Ist die Zuordnung der Vermögenswerte, der Chancen und Risiken und der Geschäftsvorfälle abgeschlossen, sind der Vertreterbetriebsstätte nun nach allgemeinen Grundsätzen Dotationskapital und sonstige Passive zuzuordnen. Beispiel 5: Zuordnung von Dotationskapital1 – (s. hierzu im Einzelnen Rz. 8.7 ff.): Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Am 1.1. des Wirtschaftsjahrs beträgt das Eigenkapital der Prima 1.000. Die Vermögenswerte der Prima belaufen sich auf 2.000, auf die durch die Aktivitäten der Sellco begründete Vertreterbetriebsstätte entfallen davon 500. Nennenswerte Rückstellungen hat die Prima nicht gebildet. Es sind keine immateriellen Werte vorhanden. Bewertungsunterschiede zwischen den beiden Vertragsstaaten bestehen nicht. Lösung: Das Dotationskapital der Vertreterbetriebsstätte am 1.1. des Wirtschaftsjahrs ermittelt sich im Wege der Kapitalaufteilungsmethode wie folgt: Der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnendes Vermögen

500

Gesamtvermögen von Prima

2.000

Eigenkapital von Prima

1.000

Anteil des der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnenden Vermögens Dotationskapital der Vertreterbetriebsstätte

25 % (500/2.000) 250 (25 % × 1.000)

Es ergeben sich somit keine Besonderheiten zur Zuordnung bei Geschäftseinrichtungsbetriebsstätten. Beispiel 6: Zuordnung übriger Passivposten2 – (s. hierzu im Einzelnen Rz. 8.34 ff.): Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Der Vertreterbetriebsstätte sind Wirtschaftsgüter zuzuordnen, deren Erwerb zu 100 % mittels Bankdarlehen der Prima fremdfinanziert wurde. Lösung: Zunächst ist der Vertreterbetriebsstätte das Bankdarlehen zu 100 % direkt zuzuordnen, da es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erwerb der jeweiligen Wirtschaftsgüter steht. Übersteigen die direkt zuordenbaren Passivposten den Betrag, der auf der Passivseite nach Zuordnung des Dotationskapitals übrigbliebe, wäre der Überhang dem Stammhaus von Prima zuzuordnen. Im Ergebnis handelt es sich bei den übrigen Passivposten folglich um eine Residualgröße. Verbliebe hingegen ein Fehlbetrag an Passivposten bei der Vertreterbetriebsstätte, wäre dieser im Rahmen der indirekten Methode mit den übrigen Passivposten von Prima aufzufüllen. Es ergeben sich mithin auch insoweit keine Besonderheiten zur Zuordnung bei Geschäftseinrichtungsbetriebsstätten.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 129. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 152 ff.

van der Ham/Retzer 353

Kap. 11 Rz. 11.15 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten

11.15 Geschäftsvorfälle. Grundsätzlich ergeben sich auch bei der Zuordnung von Geschäftsvorfällen (s. hierzu auch Rz. 7.150 f.) mit fremden Dritten bzw. nahestehenden Unternehmen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG keine Besonderheiten. Beispiel 7: Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen: Sachverhalt wie Beispiel 3. Lösung Zwischen Prima und seiner Vertreterbetriebsstätte liegt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 16 Abs. 1 BsGaV in Form einer Handelsvertretung vor. Hierfür ist fiktiv ein angemessenes Entgelt festzulegen.

11.16 Finanzierungstransaktionen. Grundsätzlich gelten für Zwecke der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Vertreterbetriebsstätte auch die allgemeinen Einschränkungen des § 16 Abs. 3 BsGaV. Folglich liegt keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vor, wenn eine Vertreterbetriebsstätte zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit Mittel verwendet, die dem Stammhaus zuzurechnen sind. Eine gewisse Komplexität entsteht jedoch dann, wenn die Vertreterbetriebsstätte durch ein als ständiger Vertreter agierendes, rechtlich selbständiges Unternehmen begründet wird und zwischen dem Unternehmen und dem Vertreter Finanzierungstransaktionen stattfinden. Beispiel 8: Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen im Fall eines Darlehens zwischen Unternehmen und Vertreter: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Zur Ausweitung ihres Geschäftsbetriebs möchte Sellco ein Darlehen bei Prima aufnehmen. Für die Darlehenshingabe verrechnet Prima an Sellco einen angemessenen Zins. Auf Ebene der Prima werden somit Zinseinnahmen generiert, bei Sellco entsteht korrespondierend Zinsaufwand. Lösung: Zunächst einmal ist fraglich, ob es sich bei der Mittelaufnahme durch den Handelsvertreter um eine Personalfunktion i.S.d. § 39 Abs. 2 BsGaV handelt, die der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen wäre. Nach § 39 Abs. 2 BsGaV sind allerdings nur solche Personalfunktionen, die vom Personal des ständigen Vertreters für den Vertretenen ausgeübt werden, als eigene Personalfunktionen des Vertretenen zu behandeln. Da die Mittelaufnahme der Sellco jedoch nicht für die Prima erfolgt, kann es hier nicht zu einer entsprechenden Zuordnung der Personalfunktionen der Sellco zur Vertreterbetriebsstätte der Prima kommen. Da es sich bei einer durch die Aktivitäten eines rechtlich eigenständigen Unternehmens (hier: Sellco) für das vertretene Unternehmen (hier: Prima) begründeten Vertreterbetriebsstätte de facto um ein rein steuerliches Konstrukt handelt und regelmäßig kein eigenes Personal des vertretenen Unternehmens im Quellenstaat tätig wird, können der Vertreterbetriebsstätte auch keine Personalfunktionen bzw. Geschäftsaktivitäten des vertretenen Unternehmens (hier: Prima) zugeordnet werden. Mangels Personalfunktionen auf Ebene der Vertreterbetriebsstätte der Prima kann mithin der Zinsertrag aus dem Geschäftsvorfall zwischen Prima und Sellco (Vergabe eines Darlehens) ausschließlich dem Stammhaus zugeordnet werden, welches durch die Unterzeichnung des Darlehensvertrags für dessen Zustandekommen verantwortlich ist (§ 9 Abs. 1 BsGaV). Zudem kann es auch grundsätzlich für solche Situationen nicht zu einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung zwischen dem Stammhaus und der Vertreterbetriebsstätte kommen, da es auf Ebene der Vertreterbetriebsstätte an einer entsprechenden Personalfunktion mangelt. Darüber hinaus liegt ohnehin gem. § 16 Abs. 3 BsGaV zwischen

354 van der Ham/Retzer

C. Kommentierung

Rz. 11.17 Kap. 11

Prima und seiner Vertreterbetriebsstätte keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung in Form eines Darlehens vor, da § 16 Abs. 3 BsGaV dies für Finanzierungen ausschließt. Demzufolge kann es auch zu keiner Zuordnung von Zinsaufwand bzw. Zinsertrag zur Vertreterbetriebsstätte kommen. Es wäre allenfalls darüber nachzudenken, ob die Mittelbeschaffung durch die zentrale Finanzierungsfunktion der Sellco eine fiktive Finanzierungsdienstleistung i.S.d. § 17 Abs. 2 BsGaV darstellt. In diesem Fall wäre für Zwecke der Gewinnabgrenzung ein angemessenes Dienstleistungsentgelt zu erfassen. Allerdings dürfte dies auch mangels entsprechender Personalfunktion bei der Vertreterbetriebsstätte scheitern.

Garantiegestellung. Komplex gestaltet sich die Gewinnabgrenzung auch im Falle ei- 11.17 ner Garantiegestellung durch das Unternehmen an den rechtlich selbständigen Vertreter. Beispiel 9: Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen im Falle einer Bürgschaftsgestellung durch das Unternehmen1: Das im Quellenstaat ansässige Unternehmen Sellco übt als ständiger Vertreter Vertriebsaktivitäten für seine im anderen Vertragsstaat ansässige Muttergesellschaft Prima aus, welche die betreffenden Produkte herstellt. Zur Ausweitung ihres Geschäftsbetriebs möchte Sellco ein Darlehen bei einer externen Bank aufnehmen. Aufgrund der schlechten Bonität von Sellco, stimmt diese einer Darlehensvergabe jedoch nur unter der Bedingung zu, dass seitens Prima eine Bürgschaftserklärung abgegeben wird, mit der sich diese gegenüber der Bank verpflichtet, bei einem Zahlungsausfall von Sellco für die Restverbindlichkeiten einzustehen. Hinsichtlich der von Prima ausgesprochenen Bürgschaftserklärung zugunsten der Sellco liegt ein entgeltlicher Geschäftsvorfall in Form einer Garantiegestellung vor. Schließlich würde ein fremder Dritter keine Bürgschaftserklärung abgeben, ohne eine gewisse Gegenleistung für die damit verbundenen Risiken und administrativen Aufwendungen zu erhalten. Unter fremden Dritten ist daher davon auszugehen, dass die Garantiegestellung nur gegen eine fremdübliche Garantiegebühr erfolgt wäre. Lösung: Die Bürgschaftserklärung gegenüber der Bank ist als Geschäftsvorfall i.S.d. § 9 BsGaV anzusehen. Dieser ist nach unserer Auffassung dem Stammhaus von Prima zuzuordnen, da die Bürgschaftserklärung von Personal der Prima abgegeben wird, welches somit für das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls verantwortlich ist (§ 9 Abs. 1 BsGaV). Eine davon abweichende Zuordnung zur Vertreterbetriebsstätte nach § 9 Abs. 2 BsGaV scheidet u.E. aus, da Prima annahmegemäß über kein Personal im Quellenstaat verfügt und Personal der Sellco keine (maßgeblichen) Funktionen im Zusammenhang mit der Bürgschaft ausübt. Mithin sind auch die mit der Bürgschaft verbundenen Chancen und Risiken vollständig dem Stammhaus zuzurechnen (§ 10 Abs. 1 BsGaV), welches die Garantiegebühr vereinnahmt und im Fall einer Materialisierung die entsprechenden Aufwendungen tragen müsste. Vor dem Hintergrund der von Personal der Prima ausgesprochenen Bürgschaftserklärung stellt sich außerdem die Frage, ob zusätzlich zu dem entgeltlichen Geschäftsvorfall zwischen dem Unternehmen und seinem Vertreter (d.h. Garantiegestellung gegen eine fremdübliche Garantiegebühr) zwischen dem Stammhaus und dessen Vertreterbetriebsstätte eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.v. §§ 16, 17 BsGaV in Form einer fiktiven Garantiedienstleistung unterstellt werden muss. Dies ist jedoch u.E. auszuschließen, denn hierfür wäre es in einem ersten Schritt notwendig, der Vertreterbetriebsstätte die Personalfunktionen zuzuordnen, die die Sellco im Zusammenhang mit der Garantiedienstleistung der Prima ausübt. Eine solche Zuordnung wird jedoch von § 39 Abs. BsGaV blockiert, da hiernach nur solche Personalfunktionen der Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen wären, die die Sellco für die Prima 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 112 ff.

van der Ham/Retzer 355

Kap. 11 Rz. 11.17 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten ausübt. Hierunter fallen die Personalfunktionen der Sellco im Zusammenhang mit der Entgegennahme der Garantiedienstleistung gerade nicht.

11.18 Fazit. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Zuordnungsregeln und die Regeln für die Bestimmung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen (siehe allgemein Rz. 9.5 ff.) für Vertreterbetriebsstätten gleichermaßen zur Anwendung kommen. Insbesondere im Fall von rechtlich selbständigen Vertretern ergeben sich jedoch einige Besonderheiten, die zu einer höheren Komplexität der Gewinnabgrenzung führen.

II. Konsequenzen der Zuordnung 11.19 Vertreterbetriebsstätte ist Gewinn oder Verlust zuzurechnen. Die Zuordnung von Vermögenswerten sowie damit zusammenhängenden Risiken beeinflussen maßgeblich den auf die Vertreterbetriebsstätte zu allokierenden Gewinn. Sofern bspw. der Vertreter Risiken verwaltet, die rechtlich allein das vertretene Unternehmen zu tragen hat, ist der Vertreterbetriebsstätte eine angemessene Risikoprämie zuzuordnen. Dem Vertreter steht dagegen nur ein Dienstleistungsentgelt für die Verwaltung der Risiken zu, da dieser das Risiko zivilrechtlich nicht trägt (s. hierzu auch Rz. 3.51).1 Beispiel 10: Im zuvor dargestellten Beispiel 1 sind der Vertreterbetriebsstätte der Vorratsbestand von Prima (welcher von Sellco gemanagt wird) einschließlich der damit zusammenhängenden Risiken zuzuordnen. Folgerichtig steht dieser unter Fremdvergleichsgesichtspunkten eine angemessene Risikoprämie zu. Die Tätigkeiten von Sellco sind dagegen auf Basis eines Dienstleistungsentgelts zu vergüten (welches der Vertreterbetriebsstätte als Aufwand und gleichzeitig als fiktiver Ertrag aus dem erbrachten „dealing“ gegenüber dem Stammhaus zuzurechnen ist). Abhängig davon, inwieweit sich die übernommenen Vorratsbestandsrisiken tatsächlich materialisieren, erzielt die Vertreterbetriebsstätte im Ergebnis mithin einen Gewinn oder Verlust.

11.20 Vertreterbetriebsstätte ist kein Gewinn oder Verlust zuzurechnen. In vielen Fällen wird jedoch einer durch ein rechtlich eigenständiges Unternehmen begründeten Vertreterbetriebsstätte (auch trotz der fiktiven Zurechnung der Personalfunktionen des Vertreters) kein Ergebnis zurechenbar sein, welches über das Ergebnis des Vertreters selbst hinausgeht (s. hierzu auch Rz. 3.51). Dies ergibt sich daraus, dass der für die Vertreterbetriebsstätte entstehende Ertrag im Regelfall vollständig an den Vertreter weitergegeben werden muss (sog. „Null-Summen-Theorie“) (s. hierzu auch Rz. 3.52).2 Beispiel 11: Im zuvor dargestellten Beispiel 3 sind der Vertreterbetriebsstätte mangels wesentlicher Personalfunktionen keine Wirtschaftsgüter bzw. damit zusammenhängenden Chancen und Risiken zuzuordnen. Mithin kann diese im Ergebnis keinen Gewinn oder Verlust erzielen. In der Hilfs- und Nebenrechnung sind als Aufwand lediglich die der Vertreterbetriebsstätte nach § 9 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 2 BsGaV zuzuordnende Provision der Sellco sowie als (fikti-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 423; kritisch Tenberge, IWB 2016, 743 f. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 422; hierzu van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 523 ff.

356 van der Ham/Retzer

D. Einklang mit dem AOA

Rz. 11.23 Kap. 11

ver) Ertrag aus dem „dealing“ gegenüber dem Stammhaus eine fremdübliche Vertreterprovision in gleicher Höhe (§ 16 Abs. 1, 2 BsGaV) auszuweisen.

Arbeitnehmer als ständiger Vertreter. Anders gestaltet sich der Fall, wenn ein Ar- 11.21 beitnehmer als ständiger Vertreter für ein Unternehmen tätig ist. In dieser Konstellation kann für die Vertreterbetriebsstätte ein abgrenzbarer Gewinn bzw. Verlust entstehen, wenn die Aufwendungen für den Vertreter selbst höher oder niedriger sind als der der Vertreterbetriebsstätte aus gegenüber dem Stammhaus erbrachten „dealings“ fiktiv zuzurechnende Ertrag.1 Beispiel 12: Die Funktions- und Risikoverteilung soll grundsätzlich der im zuvor dargestellten Beispiel 1 entsprechen, wobei die Vertriebsaktivitäten im Quellenstaat nicht durch eine Tochtergesellschaft, sondern einen Arbeitnehmer von Prima ausgeübt werden, welcher für seine Tätigkeiten ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt bekommt. Lösung: Wegen der vom Arbeitnehmer im Hinblick auf die Vorräte ausgeübten wesentlichen Personalfunktionen ist der (durch die Aktivitäten des Arbeitnehmers begründeten) Vertreterbetriebsstätte folgerichtig der Vorratsbestand einschließlich der mit diesem zusammenhängenden Risiken sowie ein zur Übernahme dieser Risiken angemessenes Dotationskapital zuzuordnen. Zudem ist der vom Arbeitnehmer genutzte Dienstwagen in der Hilfs- und Nebenrechnung der Vertreterbetriebsstätte auszuweisen. Als Aufwand sind dieser somit operative Kosten (u.a. Personalkosten und Abschreibung des Firmenwagens) und Kosten aus dem Eintritt der vom Arbeitnehmer gemanagten Risiken zuzuordnen. Als (fiktiver) Ertrag ergibt sich aus dem „dealing“ gegenüber dem Stammhaus eine fremdübliche Vertreterprovision, welche das erweiterte Funktions- und Risikoprofil der Vertreterbetriebsstätte angemessen vergütet (diese sollte somit u.a. eine Risikoprämie beinhalten2).

D. Einklang mit dem AOA Grundsatz. Die deutschen Regelungen für die Gewinnabgrenzung bei ständigen Ver- 11.22 tretern entsprechen grundsätzlich den Empfehlungen der OECD und stehen daher weitgehend im Einklang mit den Grundsätzen des AOA. Abweichende deutsche Auffassung. Entgegen der Auffassung der OECD stellt die 11.23 deutsche Finanzverwaltung im Hinblick auf die Zuordnung von Risiken (sowie den damit korrespondierenden Chancen) sehr viel stärker auf die zivilrechtlichen Verhältnisse ab.3 Dies ist im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach ein zivilrechtlich wirksamer Vertrag im Grundsatz auch für steuerliche Zwecke anzuerkennen ist, sofern kein Fall eines Gestaltungsmissbrauchs vorliegt.4 Als Folge 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 419 sowie Heinsen, DB 2017, 89. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 423 (welche zwar eine durch ein verbundenes Unternehmen begründete Vertreterbetriebsstätte beschreibt, aber im Hinblick auf die Ermittlung der Vertreterprovision ebenfalls Rückschlüsse auf den hier relevanten Fall erlaubt). Siehe ebenfalls Heinsen, DB 2017, 89. 3 Vgl. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 136. 4 Vgl. BFH v. 11.5.1999 – VIII R 70/95, BFH/NV 2000, 18; BFH v. 28.10.1964 – I 198/62-U, BStBl. III 1965, 119; Kroppen in FS Endres, 2016, S. 202.

van der Ham/Retzer 357

Kap. 11 Rz. 11.23 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten

dessen werden die betreffenden Chancen und Risiken des Unternehmens der Vertreterbetriebsstätte und nicht dem (rechtlich eigenständigen) Vertreter zugeordnet (s. hierzu auch Rz. 3.53).1 Beispiel 13: Im zuvor dargestellten Beispiel 1 wären Aufwendungen aus dem Eintritt der von Sellco verantworteten Vorratsbestandsrisiken nach Auffassung der OECD direkt Sellco zuzuordnen, wofür dieser im Gegenzug eine angemessene Risikoprämie zusteht. Der Vertreterbetriebsstätte stünde folgerichtig kein oder nur noch ein sehr geringes Ergebnis zu. Davon abweichend wären nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung die Vorratsbestandsrisiken (sowie als Gegenleistung dafür eine angemessene Risikoprämie) nicht Sellco, sondern der Vertreterbetriebsstätte von Prima zuzuordnen, wodurch diese im Ergebnis (abhängig von der Materialisierung der übernommenen Risiken) einen Gewinn oder Verlust erzielen kann.

11.24 Zuordnung von Umsätzen und COGS. Ein weiterer Unterschied ergibt sich teilweise bei der Hilfs- und Nebenrechnung. Während die OECD in ihren Diskussionsentwürfen vom 4.7.20162 und vom 22.6.20173 offenbar einen Ausweis von Umsatzerlösen und Bezugspreisen („COGS“) präferiert (s. hierzu auch Rz. 7.48 f.), sind nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung lediglich operative Kosten, ggf. Aufwendungen aus der Materialisierung von Risiken (soweit von der Vertreterbetriebsstätte gemanagt), ein fiktiver Ertrag aus dem gegenüber dem Stammhaus erbrachten „dealing“ (§ 16 Abs. 2 i.V.m. § 39 Abs. 2 BsGaV) sowie – bei rechtlich eigenständigen Vertretern – ein Aufwand in Höhe der an den Vertreter zu entrichtenden Provision (§ 9 Abs. 1 i.V.m. § 39 Abs. 2 BsGaV) auszuweisen. Wenngleich das finale OECD-Papier zur Post-BEPS Betriebsstättengewinnaufteilung sich sehr deutlich von den vorherigen Entwürfen unterscheidet,4 wird an dem grundlegenden Zuordnungsprinzip bzgl. der Zuordnung von Umsätzen und COGS festgehalten. Beispiel 14: Im zuvor dargestellten Beispiel 1 wären in der Hilfs- und Nebenrechnung der Vertreterbetriebsstätte nach Auffassung der OECD die Außenumsätze gegenüber den Kunden, die an Sellco zu leistende Vertreterprovision sowie die Einkaufskosten der veräußerten Produkte (COGS) auszuweisen, wobei die COGS als Ausgleichsgröße so berechnet werden, dass der Vertreterbetriebsstätte ein angemessener Gewinn verbleibt.

1 Vgl. hierzu bspw. VWG BsGa, Rz. 423, wonach der Vertreterbetriebsstätte für vom (rechtlich eigenständigen) Vertreter verwaltete Risiken eine angemessene Risikoprämie zuzuordnen ist. 2 Vgl. OECD (2016), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 4.7.2016, http://www.oecd.org/ tax/transfer-pricing/BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-permanent-es tablishments.pdf. 3 Vgl. OECD (2017), Public Discussion Draft on BEPS Action 7: Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.6.2017, http://www.oecd. org/tax/transfer-pricing/beps-discussion-draft-additional-guidance-attribution-of-profitsto-permanent-establishments.pdf. 4 Vgl. OECD (2018), Additional Guidance on the Attribution of Profits to permanent Establishments, BEPS Action 7, Ergänzende Leitlinien v. 22.3.2018 zu Art. 7 OECD-MA, www. oecd.org/tax/beps/additional-guidance-attribution-of-profits-to-a-permanent-establish ment-under-bepsaction7.htm.

358 van der Ham/Retzer

E. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz

Rz. 11.30 Kap. 11

Eingeständnis der OECD. Allerdings eröffnet die OECD in ihrem Abschlusspapier 11.25 grundsätzlich die Möglichkeit, eine stärkere Orientierung an zivilrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen. Sie stellt jedoch klar, dass keine doppelte Zuordnung von Gewinnen erfolgen darf. Besteuerungskonflikte. Von den Empfehlungen des AOA abweichende bzw. de- 11.26 taillierte Vorschriften erhöhen grundsätzlich die Gefahr von internationalen Besteuerungskonflikten (s. hierzu auch Rz. 7.158). Wünschenswert wäre daher, dass die deutschen Vorgaben zur Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten mit den OECD-Empfehlungen abgestimmt sind, um zukünftige Doppelbesteuerungsrisiken zu vermeiden. Diese Abstimmung ist bisher nicht erreicht, so dass in diesem Bereich weiterer Handlungsbedarf besteht.1

E. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Grundsatz. Die deutschen Vorschriften über die Ergebnisabgrenzung bei Vertreter- 11.27 betriebsstätten stehen grundsätzlich im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz gem. § 1 Abs. 1 AStG. Umqualifizierung von Verträgen. Hinzuweisen sei jedoch auf die ständige Recht- 11.28 sprechung des BFH, welche im Vergleich zur OECD-Auffassung der zivilrechtlichen Gestaltung sehr viel größeres Gewicht beimisst und eine Umqualifizierung von Verträgen nur in Ausnahmefällen ermöglicht (insbesondere bei Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs).2 Abweichende Risikoallokation. Somit dürfte die von der OECD vorgesehene Um- 11.29 qualifizierung der vertraglichen Risikoallokation3 aus deutscher Sicht in vielen Fällen ins Leere laufen. Sofern also bspw. Verträge über den Verkauf von Produkten zwischen Prinzipal und Endkunden geschlossen werden, die Risikokontrollfunktion (z.B. Forderungsmanagement) sowie die finanzielle Kapazität zur Risikoübernahme jedoch beim Vertreter liegen, so wären die entsprechenden Risiken (z.B. Wertminderung oder Ausfall von Forderungen) nach OECD-Auffassung im Grundsatz dem Vertreter, nach deutscher Rechtsprechung jedoch grundsätzlich dem vertretenen Unternehmen (aufgrund dessen zivilrechtlicher Übernahme der Risiken) zuzuordnen. Abweichende Gewinnzuordnung. Im Ergebnis sind somit Aufwendungen aus dem 11.30 Eintritt von Risiken sowie die angemessene Risikoprämie entgegen der OECD-Auffassung nicht dem (rechtlich eigenständigen) Vertreter, sondern der Vertreterbe-

1 Vgl. van der Ham/Retzer, ISR 2017, 140. 2 Vgl. BFH v. 11.5.1999 – VIII R 70/95, BFH/NV 2000, 18; BFH v. 28.10.1964 – I 198/62-U, BStBl. III 1965, 119; Kroppen in FS Endres, 2016, S. 202. 3 Vgl. OECD (2018), OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017 – OECD-Leitlinien 2017, Tz. 1.98, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264304529-de.

van der Ham/Retzer 359

Kap. 11 Rz. 11.30 Besonderheiten des AOA bei Vertreterbetriebsstätten

triebsstätte des Unternehmens zuzurechnen, wodurch auf diese mithin ein Gewinn bzw. Verlust allokiert werden kann.1

11.31 Folgewirkung von Art. 9 auf Art. 7. Unter der Prämisse, dass der (rechtlich eigenständige) Vertreter bereits fremdüblich vergütet wurde und Wirtschaftsgüter, Chancen und Risiken sowie Erträge und Aufwendungen insgesamt jeweils nur einmal zugeordnet werden können, sollte der Vertreterbetriebsstätte jedoch im Regelfall kein Gewinn bzw. Verlust zuordenbar sein. Aufgrund der oben dargestellten – von der OECD Auffassung divergierenden – deutschen Sichtweise im Hinblick auf die Reallokation zivilrechtlicher Risiken, kann es jedoch dazu kommen, dass der Vertreter – trotz Übernahme der relevanten Risikokontrollfunktionen – keine entsprechenden Aufwendungen und Erträge zugeordnet bekommt, so dass darin (zumindest bei wirtschaftlicher Argumentationsweise) eine Abweichung der deutschen Vorgaben vom Fremdvergleichsgrundsatz gesehen werden könnte. Der gesamte im Quellenstaat zu versteuernde Gewinn unterscheidet sich jedoch nicht zwischen beiden Sichtweisen – vielmehr sind nur Differenzen bei der Gewinnabgrenzung nach Art. 9 OECD-MA 2017 festzustellen, welche wiederum Folgewirkungen auf die Gewinnabgrenzung bei (durch rechtlich eigenständige Unternehmen begründeten) Vertreterbetriebsstätten nach Art. 7 OECD-MA 2017 haben (s. hierzu auch Rz. 2.69).2

1 Vgl. van der Ham/Retzer, IStR 2016, 735. 2 Vgl. van der Ham in G/K/G/K, Art. 7 OECD-MA Rz. 527.

360 van der Ham/Retzer

Kapitel 12 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung A. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 B. Regelungsinhalt I. Dokumentationsvorschriften . . . . 12.2 II. Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . 12.4 III. Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 C. Kommentierung I. Dokumentationsvorschriften 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.10 2. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation (Local File) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.18

3. Stammdokumentation . . . . . . . . . . 12.28 4. Länderbezogener Bericht (sog. Country-by-Country Reporting) . 12.31 II. Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . 1. Zweck der Hilfs- und Nebenrechnung und Zeitpunkt der Erstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beginn und Ende einer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12.38 12.39 12.43 12.51

Literatur: Busch in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018, Rz. 13.1 ff. (zit.: Verfasser in W/A/D); Geier/Friedrich, Die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, DB 2016, 1773; Hagemann, Die Zuordnung vor- oder nachgelagerter Einkünfte zu Betriebsstätten im Abkommensrecht, DB 2016, 1217; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Auflage, München 2016, S. 764 ff.; Kahle/Kindich, Die finalen Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung als (vorläufiger) Abschluss der Umsetzung des „Authorised OECD Approach“, GmbHR 2017, 341; Nientimp/Schwarz/Stein, Einkünfteermittlung nach dem AOA – Plädoyer für eine einheitliche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, IStR 2016, 487; Renz/Wilmanns, Internationale Verrechnungspreise – Handbuch für Praktiker, 2013.

A. Zielsetzung Allgemeines. Auch im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen 12.1 und den damit verbundenen Dokumentationsanforderungen (s. hierzu auch Rz. 2.70) war es die Zielsetzung im Rahmen der Umsetzung des AOA in das innerstaatliche deutsche Recht, die Vorschriften im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte den Vorschriften für die Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen in weiten Teilen gleichzustellen. Diese Zielsetzung wurde zum einen dadurch erreicht, dass die in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung („GAufzV“) konkretisierten Dokumentationserfordernisse vollumfassend auch für Betriebsstätten gelten. So wird in § 1 Abs. 1 Satz 1 GAufzV ausdrücklich auf Aufzeichnungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG verwiesen, welcher sowohl Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen als auch anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte umfasst.1 Zum anderen wurde die Pflicht zur Aufstellung einer Hilfs- und Neben1 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 GAufzV v. 12.7.2017, BGBl. I 2017, 2367.

Renz 361

Kap. 12 Rz. 12.1 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

rechnung (s. hierzu auch Rz. 7.26 ff.) in § 3 BsGaV eingeführt, was als ergänzendes Instrument für die Ermittlung der steuerlichen Ergebnisberechnung der Betriebsstätte dienen soll. Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet dabei im Wesentlichen die Ergebnisse der Anwendung des § 1 Abs. 5 Sätze 3 und 4 AStG, also der Anwendung des im AStG definierten zweistufigen Prozesses zur Behandlung von Betriebsstätten wie eigenständige unabhängige Unternehmen und damit insbesondere die Bestimmung von Verrechnungspreisen gem. § 1 Abs. 1 AStG für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG.1

B. Regelungsinhalt I. Dokumentationsvorschriften 12.2 Dokumentationsanforderungen. Am 19.7.2017 wurde die Neufassung der GAufzV veröffentlicht und damit die neuen Dokumentationsanforderungen der OECD (s. hierzu auch Rz. 2.70) auch in innerstaatliches deutsches Recht umgesetzt und konkretisiert. In Bezug auf Betriebsstätten sind neben den in § 1 GAufzV genannten allgemeinen Grundsätzen insbesondere die unter § 2 GAufzV genannten konkreten Anweisungen über Art, Inhalt und Umfang der Aufzeichnungen zu beachten. Wie bereits ausgeführt, gelten die Regelungen der GAufzV auch in Bezug auf Betriebsstätten, so dass sämtliche anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Betriebsstätten und deren Stammhaus insbesondere im Hinblick auf die folgenden Aspekte zu dokumentieren sind: – Funktionsanalyse, insb. Darstellung und Zuordnung der wesentlichen Personalfunktionen und der darauf basierenden Gründe für die Zuordnung von materiellen und immateriellen Werten sowie von Geschäftsvorfällen des Unternehmens (vgl. § 3 Abs. 3 BsGaV); – Darstellung sowie Begründung für das Vorliegen anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen: – Art und Umfang (z.B. Dienstleistung, Vertriebstätigkeit, Auftragsfertigungstätigkeit etc. inklusive Nennung der Beträge), – Auflistung und Zuordnung wesentlicher immaterieller Werte, die im Rahmen der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen eine Rolle spielen; – Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung der jeweiligen Wertschöpfungsbeiträge; – Verrechnungspreisanalyse – Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung sowie Aufzeichnungen der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen,

1 Vgl. zur Konzeption der Gewinnaufteilung für Betriebsstätten auch Rz. 7.20 ff. sowie Rz. 6.50 ff. zum „two-step-approach“ im Rahmen der Umsetzung des AOA im AStG.

362 Renz

B. Regelungsinhalt

Rz. 12.6 Kap. 12

– Darstellung, Begründung der Auswahl und Geeignetheit der angewandten Verrechnungspreismethode sowie Unterlagen über die Berechnungen bei Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode, – Begründung und Vorlage von Nachweisen im Hinblick auf die Angemessenheit des (fiktiven) Verrechnungspreises der Höhe nach (Datenbankanalysen, interne oder externe Fremdvergleiche etc.). Anwendung GAufzV bei Betriebsstätten. Auch wenn die konkreten Inhalte der 12.3 GAufzV, des dazu ergangenen BMF-Schreibens Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (VWG-Verf.)1 und auch die in Kapitel 5 der OECD-Leitlinien 2017 gemachten Ausführungen in erster Linie auf Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen abstellen, können und sollten sie als Anhaltspunkt für die Dokumentation anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen verwendet werden.

II. Hilfs- und Nebenrechnung Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung. Gemäß § 3 Abs. 1 BsGaV ist zum Be- 12.4 ginn eines Wirtschaftsjahrs eine Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen, während des Wirtschaftsjahrs fortzuschreiben und zum Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen. Diese Vorschrift gilt gem. § 40 BsGaV erstmalig für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen2 (s. hierzu auch Rz. 7.44) und zwar sowohl für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens als auch für die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens. Für den Fall, dass ein Unternehmen in einem Staat mehrere Betriebsstätten hat, ist für jede Betriebsstätte eine gesonderte Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen. Zuordnung Bilanzpositionen. In der Hilfs- und Nebenrechnung ist in Ergänzung 12.5 zur Handels-/Steuerbilanz eine ggf. abweichende Zuordnung einzelner Bilanzpositionen für steuerliche Zwecke auf Stammhaus und Betriebsstätten nach Maßgabe der §§ 4–17 BsGaV vorzunehmen. In der Verrechnungspreisdokumentation, also den auf Anforderung vorzulegenden Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO, sind die Zuordnungsgründe für Vermögenswerte, Geschäftsvorfälle, Chancen/Risiken, Dotationskapital und Sicherungsgeschäfte sowie Gründe für das Vorliegen von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen darzulegen (vgl. § 3 Abs. 3 BsGaV). Begründung und Beendigung einer Betriebsstätte. Wird eine Betriebsstätte ge- 12.6 gründet, so ist zu diesem Zeitpunkt die erste Hilfs- und Nebenrechnung für die Betriebsstätte zu erstellen. Entsprechend ist in dem Fall, in dem eine Betriebsstätte geschlossen wird, zu diesem Zeitpunkt die Hilfs- und Nebenrechnung abzuschließen (vgl. § 3 Abs. 4 BsGaV). Der jeweilige Übergang von Vermögenswerten und Passivposten sowie von Chancen und Risiken zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen zum Zeitpunkt der Begründung bzw. zur Beendigung der Betriebsstätte stellen jeweils anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen dar. 1 BMF v. 12.4.2005 – IV B4 S - 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 – im Folgenden VWG-Verf. 2 Vgl. § 40 BsGaV.

Renz 363

Kap. 12 Rz. 12.7 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

III. Anzeigepflicht 12.7 Anzeigepflichten. Um steuerpflichtige wirtschaftliche Vorgänge zu erfassen, regelt § 138 AO gewisse Anzeigepflichten, welche sich auch auf die Eröffnung, Verlegung oder Beendigung bzw. Aufgabe von Betriebsstätten beziehen. 12.8 Formalia. Dies gilt sowohl für inländische Betriebsstätten eines ausländischen Unternehmens (vgl. § 138 Abs. 1 AO) als auch für eine ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens (vgl. § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Die Anzeige hat jeweils nach amtlichem Vordruck beim jeweils zuständigen Finanzamt zu erfolgen. Bei inländischen Betriebsstätten hat dies innerhalb eines Monats nach dem meldepflichtigen Ereignis (also der Eröffnung, Verlegung oder Aufgabe der Betriebsstätte) zu erfolgen. Im Fall von ausländischen Betriebsstätten hat die Mitteilung nach § 138 Abs. 2 AO zusammen mit der Einkommensteuer- oder Körperschaftsteuererklärung für den Besteuerungszeitraum, in dem der mitzuteilende Sachverhalt verwirklicht wurde, spätestens jedoch bis zum Ablauf von 14 Monaten nach Ablauf dieses Besteuerungszeitraums zu erfolgen (vgl. § 138 Abs. 4 AO). 12.9 Länderbezogener Bericht. Darüber hinaus muss gem. § 138a AO jedes Unternehmen mit Sitz der Konzernleitung in Deutschland und einem Konzernumsatz von mind. 750 Mio. Euro einen länderbezogenen Bericht abgeben. Auf Details hierzu, insbesondere in Bezug auf Betriebsstätten, wird nachfolgend in diesem Kapitel noch eingegangen.

C. Kommentierung I. Dokumentationsvorschriften 1. Grundsätze

12.10 Anknüpfungsmerkmal und Anwendungszeitpunkt. Die Dokumentationsvorschriften für reine Innentransaktionen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte waren dem Gesetzeswortlaut nach bis zur Einführung des AOA in innerstaatliches Recht nicht anwendbar. Wie zutreffend in der Literatur festgestellt,1 ist § 90 Abs. 3 Satz 4 AO a.F. so formuliert, dass dadurch lediglich das persönliche Anknüpfungsmerkmal um steuerpflichtige (in- und ausländische) Unternehmen erweitert wird, die für die inländische Besteuerung Gewinne (oder Verluste) zwischen inländischem Unternehmen und ihrer ausländischen Betriebsstätte bzw. zwischen ausländischen Unternehmen und ihrer inländischen Betriebsstätte aufteilen. Dem Wortlaut folgend, sind demnach lediglich auch die Geschäftsbeziehungen der Betriebsstätte mit nahestehenden Personen aufzuzeichnen, jedoch nicht Innentransaktionen, da es sich bei einem Unternehmen und seiner Betriebsstätten zum einen um keine nahestehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG handelt und es sich zum anderen bei Innentransaktionen um keine Geschäftsbeziehungen i.S.v. § 1 Abs. 3 1 Vgl. Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.97.

364 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.14 Kap. 12

AStG a.F. handelte, da Betriebsstätte und Stammhaus keine schuldrechtlichen Beziehungen miteinander eingehen können. Erweiterung des Anwendungsbereichs. Erst durch die Erweiterung des Begriffs „Ge- 12.11 schäftsbeziehungen“ in § 1 Abs. 4 AStG n.F. um anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (siehe hierzu Rz. 9.5 ff.) wurde demnach der Anwendungsbereich des § 90 Abs. 3 AO und der hierzu ergangenen GAufzV auf Innentransaktionen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte erweitert. Erweiterung der Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften. Mit der Ein- 12.12 führung des AOA und der hiermit verknüpften Ausdehnung des Begriffs der Geschäftsbeziehungen auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen wurden die deutschen Verrechnungspreisdokumentationsvorschriften vollumfänglich auf Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ausgedehnt. Form der Dokumentation und Aufbewahrung. Grundsätzlich ist die Dokumenta- 12.13 tion schriftlich in Papierform oder elektronisch zu erstellen (§ 2 Abs. 1 GAufzV). Sie ist ordnungsmäßig zu führen und grundsätzlich zehn Jahre aufzubewahren, ggf. länger, wenn die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist (§ 147 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 147 Abs. 3 AO). Der Meinung der Finanzverwaltung folgend sind der Finanzverwaltung Zugriffsrechte auf elektronisch erstellte Aufzeichnungen und die ihnen zugrunde liegenden EDV-Systeme einzuräumen. Allerdings ist das Zugriffsrecht der Betriebsprüfung nach § 147 Abs. 6 AO auf Finanzbuchhaltungssysteme beschränkt und auch die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) gehen ebenfalls von Rechnungserstellungsprogrammen aus. Hieraus folgt, dass die Verrechnungspreisdokumentation zunächst nicht zwingend in den Anwendungsbereich der GDPdU und des § 147 AO fällt. Bei Betrachtung des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO, worunter alle Unterlagen fallen, die zum Verständnis und zur Überprüfung gesetzlich geforderter Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind, ergibt sich allerdings etwas anderes. Damit wären auch solche Unterlagen erfasst, für die neben ihrer steuerlichen Relevanz eine Aufzeichnungspflicht besteht. § 147 Abs. 6 AO setzt voraus, dass die Daten nach § 147 Abs. 1 AO auch aufbewahrungspflichtig sind. Dabei sind Unterlagen, die aufzuzeichnen sind, auch aufzubewahren und umgekehrt. Dadurch, dass die Erstellung einer Verrechnungspreisdokumentation von § 90 Abs. 3 AO verlangt wird und der Steuerpflichtige die Geschäftsbeziehungen zum Ausland aufzeichnen muss, besteht somit auch grundsätzlich eine Aufbewahrungspflicht.1 Sprache. Grundsätzlich ist die gesamte Verrechnungspreisdokumentation in deut- 12.14 scher Sprache zu erstellen und die im Rahmen einer Verrechnungspreisdokumentation vorzulegenden Dokumente auf Anforderung der Finanzbehörden ins Deutsche zu übersetzen (§ 87 Abs. 2 AO). Auf Antrag des Steuerpflichtigen kann die Finanzbehörde hierbei aber Ausnahmen zulassen. In der Praxis wird einem Antrag auf Erstellung der Dokumentation in englischer Sprache häufig stattgegeben, wenn der Steuerpflichtige sich bereit erklärt, auf Anforderung Teile der Dokumentation in die 1 Vgl. Renz/Wilmanns, Internationale Verrechnungspreise – Handbuch für Praktiker, 2013, S. 394 f.

Renz 365

Kap. 12 Rz. 12.14 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

deutsche Sprache zu übersetzen. Der Antrag ist spätestens und unverzüglich nach Anforderung der Dokumentation durch die Finanzbehörde zu stellen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die von den Steuerbehörden im Einzelfall angeforderten Übersetzungen auf ein notwendiges Maß zu beschränken sind. So können z.B. aus umfangreichen Vertragswerken, Benchmarkstudien o.Ä. nur wesentliche Teile angefordert werden.1 Auch die OECD hat sich dafür ausgesprochen, die Vorlage der Dokumentation in einer weitverbreiteten Sprache zuzulassen, um die mit der Übersetzung der Unterlagen verbundenen Zeit- und Kostenaufwände zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund legt sie den Staaten nahe, eine weitverbreitete Sprache (das dürfte in aller Regel Englisch sein) zuzulassen, sofern dies den Nutzen der Unterlagen nicht beeinträchtigt.2

12.15 Gruppenbildung bei anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Soweit Geschäftsvorfälle sachlich oder zeitlich miteinander verbunden sind, ist es gem. § 2 Abs. 3 GAufzV zulässig, einzelne Geschäftsvorfälle zu einer Gruppe zusammenzufassen. Die OECD-Leitlinien 2017 nennen hier unter Tz. 3.9 folgende Beispiele: – langfristige Verträge über Warenlieferungen und Dienstleistungen, – Rechte auf Nutzung immaterieller Vermögenswerte, – Preisgestaltungen bei einer Palette eng miteinander verbundener Produkte (z.B. in einem Sortiment), wo eine gesonderte Preisermittlung für jedes einzelne Produkt oder jeden einzelnen Geschäftsvorfall nicht praktikabel wäre (Palettenbetrachtung), – Kombination von Herstell-Lizenz und Lieferung wichtiger Komponenten, – Durchleitungsfunktionen, – Kombination von Geschäftsvorfällen im Rahmen eines Portfolioansatzes.

12.16 Voraussetzung. Den Ausführungen der GAufzV folgend, ist wesentliche Voraussetzung für eine Gruppenbildung, dass die Geschäftsvorfälle, gemessen an den ausgeübten Funktionen, den eingesetzten Wirtschaftsgütern und den übernommenen Risiken, wirtschaftlich grundsätzlich vergleichbar sind (s. hierzu auch Rz. 7.43 und Rz. 2.60), die Gruppenbildung nach vorher festgelegten und nachvollziehbaren Regeln vorgenommen wurde oder die Zusammenfassung auch bei Geschäftsvorfällen zwischen fremden Dritten üblich ist (vgl. § 2 Abs. 3 GAufzV). 12.17 Beispiele der OECD. Die von der OECD genannten Beispiele können ohne Weiteres auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen übertragen werden. So können bei einer Vertriebsbetriebsstätte fiktive Warenlieferungen des Stammhauses an die Vertriebsbetriebsstätte unter Beachtung der Vergleichbarkeitsvorgaben der GAufzV zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Gleiches gilt für Dienstleistungs- oder Auftragsfertigungsbetriebsstätten.

1 VWG-Verf., Rz. 3.2.5. 2 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 5.39.

366 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.20 Kap. 12

2. Landesspezifische, unternehmensbezogene Dokumentation (Local File) Local File. Im Rahmen der sog. Local Files hat eine detaillierte Analyse der einzelnen 12.18 Geschäftsvorfälle zu erfolgen, um insbesondere die Angemessenheit der zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bestehenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sowie der Geschäftsvorfälle des Unternehmens mit nahestehenden Personen, welche der Betriebsstätte ggf. zuzuordnen sind, zu dokumentieren. Gemäß § 4 Abs. 1 GAufzV muss ein Local File insbesondere Aufzeichnungen zu den nachfolgend dargestellten Informationen beinhalten.

12.19

Allgemeine Informationen. – Beteiligungsverhältnisse zwischen dem Steuerpflichtigen und nahestehenden Personen mit denen er Geschäftsbeziehungen unterhält: Hierbei ist auf die Beteiligungsverhältnisse der rechtlichen Einheit abzustellen. Soweit diese im Ausland über Betriebsstätten verfügt, sind diese bei der Darstellung der Beteiligungsverhältnisse entsprechend kenntlich zu machen. – Organisatorische und operative Konzernstruktur sowie deren Veränderungen: Hierbei ist sowohl auf die organisatorische bzw. operative Einbindung des dokumentationspflichtigen Unternehmens als auch seiner Betriebsstätte einzugehen. – Beschreibung der Managementstruktur sowie der Organisationsstruktur (Organigramm) des inländischen Steuerpflichtigen: Im Betriebsstättenkontext sind hierbei insbesondere auch die Berichtslinien von Mitarbeitern der Betriebsstätte innerhalb der Gruppe und zum Stammhaus zu beschreiben. – Beschreibung der Tätigkeitsbereiche und der Geschäftsstrategie sowie deren Veränderungen: Die Beschreibung sollte hierbei zunächst auf die Tätigkeitsbereiche der rechtlichen Einheit eingehen, aber auch die in der Betriebsstätte ausgeübten Aktivitäten beschreiben.

12.20

Geschäftsbeziehungen. – Beschreibung der einzelnen Geschäftsbeziehungen insb. Art und Umfang sowie die zugrunde liegenden Verträge und ihre Veränderungen: Soweit es sich um Innentransaktionen handelt, kann anstatt auf die zugrunde liegenden Verträge (die es in diesem Fall regelmäßig nicht geben kann) auf interne Richtlinien oder andere interne Papiere verwiesen werden, welche Hinweise für die Ermittlung von Einkünften von Stammhaus bzw. Betriebsstätte geben. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 3 Satz GAufzV explizit darauf hinweist, dass Verrechnungspreisrichtlinien als Bestandteil der Verrechnungspreisdokumentation verwendet werden können und soweit solche Verrechnungspreisrichtlinien die Preisermittlung regeln. Soweit diese tatsächlich befolgt werden, kann auf geschäftsfallbezogene Einzelaufzeichnungen verzichtet werden. Der Umfang der Geschäftsbeziehungen wird in der Regel in einer Renz 367

Kap. 12 Rz. 12.20 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

Transaktionsmatrix dargestellt, welche sowohl Transaktionen des Unternehmens mit verbundenen Unternehmen enthält als auch die Volumina der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. – Auflistung der wesentlichen immateriellen Werte, die sich im (wirtschaftlichen) Eigentum des Steuerpflichtigen befinden und die er im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen nutzt oder zur Nutzung überlasst: Für Zwecke der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ist in diesem Zusammenhang auch die Zuordnung der wesentlichen immateriellen Werte zum Stammhaus und zur Betriebsstätte zu nennen.

12.21 Funktions- und Risikoanalyse. – Informationen über ausgeübte Funktionen und übernommene Risiken sowie deren Veränderungen (s. hierzu auch Rz. 7.31 und Rz. 7.71): Im Bereich der Betriebsstätten ist insbesondere eine detaillierte Analyse der Personalfunktionen vorzunehmen (s. hierzu auch Rz. 7.74 und Rz. 7.115), da diese in der Regel als Ausgangspunkt für die Bildung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen anzusehen sind (s. hierzu Rz. 7.153 ff.). Im Rahmen der Dokumentation sind die Begründung für die Zuordnung von Personalfunktionen, die daran anknüpfenden Zuordnungen von Wirtschaftsgütern (materielle wie immaterielle) sowie von Chancen und Risiken wesentliche Bestandteile. – Eingesetzte Vermögenswerte: Wie bereits oben ausgeführt, sind die eingesetzten Vermögenswerte und hierbei insbesondere die immateriellen Vermögenswerte (s. hierzu auch Rz. 7.9) in Bezug auf die jeweilige Geschäftsbeziehung zu nennen und darzustellen, wem diese Werte gehören. Bei anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen ist darzustellen und zu begründen, wem die eingesetzten Vermögenswerte zuzuordnen sind. – Gewählte Geschäftsstrategien sowie bedeutende Markt- und Wettbewerbsverhältnisse: Diese Informationen spielen insbesondere für die Fremdvergleichsanalyse in den Fällen eine wesentliche Rolle, in denen besondere Markt- und Wettbewerbsverhältnisse einen Einfluss auf die Verrechnungspreisbildung haben und z.B. die Angemessenheit von niedrigen Margen oder Verlusten bzw. von überdurchschnittlich hohen Ergebnissen erklärt werden müssen. – Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung des Wertschöpfungsbeitrags: Auch wenn sich wesentliche Bestandteile einer Wertschöpfungsbeitragsrechnung bereits aus der Funktions- und Risikoanalyse und der dazugehörigen Angemessenheitsdokumentation ergeben, sind zusätzliche Aspekte zu beachten. Eine Wertschöpfungsbeitragsanalyse umfasst alle Aktivitäten der Konzerngesellschaften, welche mit der Entwicklung und Herstellung von Produkten bzw. der Erbringung von Dienstleistungen sowie dem Vertrieb an Kunden in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Um nun aus einer gesellschaftsübergreifenden Wertschöp368 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.22 Kap. 12

fungsanalyse die jeweiligen Beiträge der einzelnen Konzerneinheiten zu identifizieren, sind zunächst die für die Wertschöpfung im Konzern relevanten Geschäftsprozesse zu identifizieren (Schritt 1), die relative Bedeutung der einzelnen Prozesse für die Gesamtwertschöpfung zu bestimmen (Schritt 2) und der Beitrag der jeweiligen Konzerngesellschaften zu den einzelnen Geschäftsprozessen zu ermitteln (Schritt 3).1 Die Ermittlung der relativen Bedeutung der einzelnen Geschäftsprozesse, welche im zweiten Schritt vorzunehmen ist, hat nach Ansicht der Finanzverwaltung so weit wie möglich nach objektiven Kriterien zu erfolgen. So gilt mit Wirkung für alle Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2016 begonnen haben, gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV Folgendes: „Hat der Steuerpflichtige die von ihm und den ihm nahestehenden Personen ausgeübten Funktionen, übernommenen Risiken und eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte in ihrer Bedeutung für einen Geschäftsvorfall gewichtet, muss diese Gewichtung widerspruchsfrei sein; in solchen Fällen müssen für jeden am Geschäftsvorfall Beteiligten die ausgeübten Funktionen und das Ausmaß der tatsächlich eingesetzten wesentlichen Vermögenswerte quantitativ nachvollziehbar dargestellt werden.“ Der Gesetzesbegründung2 zufolge soll durch § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV verdeutlicht werden, dass „im Rahmen einer Funktions- und Risikoanalyse, eine vorgenommene Gewichtung und in diesem Zusammenhang vorgenommene Verteilung von Funktionen und Risiken darzustellen und zu erläutern sind. Werden Verrechnungspreise insbesondere anhand der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode bzw. mittels einer Wertschöpfungsbeitragsanalyse bestimmt, dann sollte neben der Beschreibung auch eine für die Finanzbehörde verifizierbare numerische Gewichtung vorgenommen werden. Durch diese Aufzeichnungen soll in quantitativer Hinsicht nachvollziehbar sein, welcher der Beteiligten an einem Geschäftsvorfall welche Funktionen tatsächlich in welchem Umfang ausgeübt und welche Risiken dieser tatsächlich in welchem Ausmaß übernommen hat. Eine rein subjektive und nicht nachvollziehbare Einschätzung der für die Beurteilung eines Geschäftsvorfalls relevanten Funktionen und Risiken soll dementsprechend ausgeschlossen werden.“

12.22

Charakterisierung. – Charakterisierung der beteiligten Parteien (insb. Abgrenzung Routine- vs. Mittelunternehmen bei Vertriebs- und Fertigungsfunktionen): Die VWG-Verf. geben in Tz. 3.4.10.2 hierbei drei Typen von Unternehmen vor, denen eine Gesellschaft zugeordnet werden kann: – Routineunternehmen. Unternehmen, die lediglich Routinefunktionen ausüben; – Strategieträger/Entrepreneur. Unternehmen, die über wesentliche und immaterielle Wirtschaftsgüter verfügen, die wesentliche Funktionen ausüben und das wesentliche Unternehmensrisiko tragen;

1 Vgl. hierzu auch Renz/Wilmanns, Internationale Verrechnungspreise – Handbuch für Praktiker, 2013, S. 186 ff. 2 Vgl. GAufzV v. 23.5.2017, Begründung zu § 1 Abs. 3 Satz 4, BR-Drucks. 404/17, 13.

Renz 369

Kap. 12 Rz. 12.22 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

– Mittelunternehmen. Unternehmen, die mehr als nur Routinefunktionen ausüben, aber keine besonderen Risiken tragen. – Eine Charakterisierung ist grundsätzlich anhand der konkreten Transaktion zu bemessen, so dass eine rechtliche Einheit bei verschiedenen Transaktionen unterschiedlich charakterisiert werden kann. In der Praxis wird häufig der Fall anzutreffen sein, dass eine rechtliche Einheit nur einem der drei Typen zuzuordnen ist. Auch in Bezug auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen einer Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen sollte eine Charakterisierung vorgenommen werden, da sie häufig die Angemessenheit der vereinbarten Verrechnungspreise dem Grunde und der Höhe nach unterstützt.

12.23 Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung. – Zeitpunkt der Verrechnungspreisbestimmung und der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen: Diese durch die Formulierung des § 90 Abs. 3 AO in § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a–b GAufzV mit GAufzV vom 12.7.20171 aufgenommene Vorgabe unterstreicht, dass die deutsche Finanzverwaltung dem sog. „Price Setting Approach“ folgt und damit einer Sichtweise, welche den zum Zeitpunkt der Verrechnungspreislegung (ex ante) verfügbaren Informationen und Dokumenten eine bedeutendere Rolle im Hinblick auf ein fremdübliches Verhalten zukommen lässt als eine nachträgliche Überprüfung der tatsächlich erzielten Ergebnisse („Outcome Testing Approach“). Auch wenn, wie in der Begründung zur finalen Fassung der neuen GAufzV der Verordnungsgeber ausgeführt, es sich hierbei lediglich um eine Dokumentationsanforderung handelt und keine Aussage zur Akzeptanz des vom Steuerpflichtigen gewählten Zeitpunkts getroffen werden soll, ist zu befürchten, dass dies in der Betriebsprüfungspraxis anders gelebt wird.2

12.24 Methodenwahl. – Darstellung der angewandten Methode und Begründung der Angemessenheit der ausgewählten Methode: Für die vom Unternehmen verwendete Methode muss beschrieben werden, wie der Preisbildungsprozess erfolgt und warum die verwendete Verrechnungspreismethode nach Ansicht des Unternehmens angemessen ist. Bezüglich der Angemessenheit der verwendeten Methode kann dabei häufig auf entsprechende Ausführungen der OECD oder auch der deutschen Finanzverwaltung verwiesen werden, welche in Abhängigkeit der jeweiligen Transaktion die jeweils zu favorisierenden Verrechnungspreismethoden nennen. So wird von der OECD z.B. für Auftragsfertigungsleistungen oder konzerninterne Dienstleistungen die Kostenaufschlagsmethode oder bei Vertriebsleistungen die Wiederverkaufspreismethode als angemessen erachtet (s. hierzu auch Rz. 2.61).3 1 GAufzV v. 12.7.2017, BGBl. I 2367. 2 Vgl. hierzu auch Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.142. 3 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 2.27 für die Wiederverkaufspreismethode und Tz. 2.45 für die Kostenaufschlagsmethode.

370 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.26 Kap. 12

– Unterlagen über die Berechnungen bei der Anwendung der gewählten Methode: Auch wenn die Ausführungen diesbezüglich nicht ganz klar sind, ist davon auszugehen, dass es ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige eine schematische Darstellung in Bezug auf die Kalkulation der Verrechnungspreise für eine entsprechende Transaktionsgruppe vorlegt.

12.25

Angemessenheit der Verrechnungspreise. – Angemessenheit des vereinbarten Verrechnungspreises: In der Angemessenheitsdokumentation gilt es entsprechende Aufzeichnungen vorzulegen, welche belegen, dass der Steuerpflichtige bei Geschäftsbeziehungen mit verbundenen Unternehmen den Fremdvergleichsgrundsatz gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG bzw. Art. 9 OECD-MA befolgt hat. Dies gilt für alle Geschäftsbeziehungen, sowohl denen zwischen verbundenen Unternehmen als auch für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Hierfür sind vergleichbare (interne oder externe) Geschäftsvorfälle aufzulisten und zu beschreiben (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. f GAufzV). Dies soll der Beurteilung, ob und inwieweit diese Geschäftsvorfälle tatsächlich vergleichbar sind, dienen. – Nutzung von Datenbanken Insbesondere für den Fall eines Margenvergleichs, wie z.B. bei Anwendung der TNMM1, werden häufig Datenbankstudien erstellt. In diesen Fällen ist der Steuerpflichtige gem. § 4 Abs. 3 GAufzV verpflichtet, die von ihm verwendete Suchstrategie, die verwendeten Suchkriterien, das Suchergebnis und den außerhalb der Datenbank durchgeführten Selektionsprozess umfassend offenzulegen. Dabei soll der Suchprozess nachvollziehbar und zum Zeitpunkt der Außenprüfung prüfbar sein. Auch die Konfiguration der Datenbank, mit welcher der konkrete Suchprozess durchgeführt wurde, muss hierbei vollständig dokumentiert werden.

12.26

Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle gem. § 3 GAufzV. – Außergewöhnliche Geschäftsvorfälle i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO sind zeitnah (d.h. innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs, in dem sich der Geschäftsvorfall ereignet hat) zu dokumentieren. – Als außergewöhnliche Geschäftsvorfälle gelten insbesondere: – Vermögensübertragungen im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen, – wesentliche Funktions- und Risikoänderungen im Unternehmen, – Geschäftsvorfälle im Zusammenhang mit einer für die Verrechnungspreisbildung erheblichen Änderung der Geschäftsstrategie, – Abschluss und Änderung langfristiger Verträge von besonderem Gewicht, die sich erheblich auf die Höhe der Einkünfte aus den Geschäftsbeziehungen mit Nahestehenden auswirken, – Abschlüsse von Umlageverträgen. 1 Transaktionsbezogene Nettomargenmethode.

Renz 371

Kap. 12 Rz. 12.26 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

– Im Rahmen der Dokumentation sind insbesondere die wirtschaftlichen Hintergründe des Geschäftsvorfalls zu beschreiben und u.a. darzustellen, ob im Rahmen des außerordentlichen Geschäftsvorfalls wertvolle immaterielle Wirtschaftsgüter übertragen wurden. In diesem Zusammenhang ist auch die Angemessenheit einer dafür vereinbarten Entschädigung zu dokumentieren oder zu begründen, warum ggf. keine separate Entschädigung vereinbart wurde.

12.27 Weitere Aufzeichnungen in Einzelfällen gem. § 4 Abs. 2 GAufzV. – Informationen über Sonderumstände (wie z.B. Maßnahmen zum Vorteilsausgleich) – Beteiligung an Kostenumlagen im Konzern (Verträge ggf. in Verbindung mit Anhängen, Anlagen und Zusatzvereinbarungen, Unterlagen über die Anwendung des Aufteilungsschlüssels und über den zu erwartenden Nutzen für alle Beteiligten sowie Unterlagen über Art und Umfang der Rechnungskontrolle, über die Anpassung an veränderte Verhältnisse, über die Zugriffsberechtigung auf die Unterlagen des leistungserbringenden Unternehmens und über die Zuordnung von Rechten); – Informationen über beantragte oder abgeschlossene Verständigungs- oder Schiedsverfahren anderer Staaten sowie über unilaterale Verrechnungspreiszusagen und sonstige steuerliche Vorabzusagen ausländischer Steuerverwaltungen, die die Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen berühren; – Aufzeichnungen über Preisanpassungen beim Steuerpflichtigen, auch wenn diese die Folge von Verrechnungspreiskorrekturen oder Vorabzusagen ausländischer Steuerbehörden bei nahestehenden Personen sind; – Aufzeichnung über die Ursachen von Verlusten und Vorkehrungen zur Beseitigung derselben (wenn aus Geschäftsbeziehungen mit Nahestehenden steuerliche Verluste in mehr als drei aufeinanderfolgenden Wirtschaftsjahren ausgewiesen werden); – in Fällen von Funktions- und Risikoveränderungen im Rahmen außergewöhnlicher Geschäftsvorfälle (s. auch die Ausführungen oben, Rz. 12.21), sind Aufzeichnungen über Forschungsvorhaben und laufende Forschungstätigkeiten vorzulegen, die im Zusammenhang mit einer Funktionsänderung stehen können und in den drei Jahren vor Durchführung der Funktionsänderung stattfanden oder abgeschlossen worden sind. Dabei sollen die Aufzeichnungen zumindest Angaben über den genauen Gegenstand der Forschungen und die insgesamt jeweils zuzuordnenden Kosten enthalten. Diese Dokumentationspflichten sollen allerdings nur dann gelten, wenn ein Steuerpflichtiger regelmäßig Forschung und Entwicklung betreibt und bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen Unterlagen über seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erstellt, aus denen die genannten Aufzeichnungen abgeleitet werden können. Damit ist klargestellt, dass diesbezüglich nicht extra für steuerliche Zwecke eine Dokumentation erstellt werden muss, sondern lediglich Aufzeichnungen vorzulegen sind, wenn diese ohnehin bereits aus anderen Gründen erstellt wurden.

372 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.33 Kap. 12

3. Stammdokumentation Anknüpfungsmerkmal. Zur Erstellung einer Stammdokumentation sind gem. § 90 12.28 Abs. 3 Satz 3 AO nur solche Unternehmen verpflichtet, welche Teil einer multinationalen Unternehmensgruppe sind und deren Umsatz im vorangegangenen Wirtschaftsjahr mindestens 100 Mio. Euro betragen hat. Inhalt der Stammdokumentation. Die Anforderungen der GAufzV bzgl. der 12.29 Stammdokumentation sind identisch mit den Vorgaben der OECD und sollen insbesondere Ausführungen zum Organisationsaufbau, der Beschreibung der Geschäftstätigkeit des Konzerns oder des Unternehmensbereiches, Informationen zu immateriellen Wirtschaftsgütern, den konzerninternen Finanztätigkeiten sowie zur Finanzlage und Steuerposition des Konzerns umfassen.1 Stammdokumentation durch Konzernleitung. Die Stammdokumentation ist re- 12.30 gelmäßig an zentraler Stelle durch die Konzernleitung vorzunehmen, da diese für alle Landesgesellschaften einheitlich zu erfolgen hat. Insofern ist eine zusätzliche Bearbeitung oder Anpassung durch eine lokale Landesgesellschaft oder eine lokale Betriebsstätte nicht sinnvoll.2 4. Länderbezogener Bericht (sog. Country-by-Country Reporting) Größenkriterien für Abgabepflicht. Gemäß § 138a AO muss jedes Unternehmen 12.31 mit Sitz der Konzernleitung in Deutschland und einem Konzernumsatz von mind. 750 Mio. Euro einen länderbezogenen Bericht abgeben. Wesentlicher Inhalt des CbCR. Die OECD-Leitlinien 2017 enthalten in Anhang III 12.32 zu Kapitel V ein Musterformular, welches einen Überblick über die Inhalte des CbCR gibt. A. Musterformular für den länderbezogenen Bericht Tabelle 1 Übersicht über die Aufteilung der Erträge, Steuern und Geschäftstätigkeiten nach Steuerhoheitsgebieten Name des multinationalen Konzerns: Betrachtetes Wirtschaftsjahr: Währung der angegebenen Beträge: Steuerhoheitsgebiet

Umsatzerlöse Fremde Unternehmen

Verbundene Unternehmen

Beschäf- Materielle EinbeVorsteuer- Entrichtete Zu Ausgegewinn Ertragsteuer entrichtende wiesenes haltener tigtenzahl VermöInsgesamt (-verlust) genswerte (ohne Ertragsteuern Kapital Gewinn (ohne Perioden(periodenflüssige abgrenzung) gerecht Mittel) abgegrenzt)

Abb. 1: Musterformular für länderbezogenen Bericht

Betriebsstättendaten je Steuerhoheitsgebiet. In Bezug auf Betriebsstätten sollen 12.33 den Ausführungen der OECD folgend grundsätzlich die Betriebsstättendaten für das 1 Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Anlage I zu Kap. V sowie Anlage zu § 5 GAufzV. 2 Detaillierte Ausführungen zur Stammdokumentation finden sich auch bei Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.154–13.168.

Renz 373

Kap. 12 Rz. 12.33 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

Steuerhoheitsgebiet geliefert werden, in dem sich die Betriebsstätte befindet, und nicht für den Staat, in welchem die rechtliche Einheit, zu der die Betriebsstätte gehört, steuerlich ansässig ist. Umgekehrt sind bei den rechtlichen Einheiten, welche in anderen Steuerhoheitsgebieten über Betriebsstätten verfügen, die Betriebsstättendaten herauszunehmen. Vereinzelt gibt es hierzu allerdings Abweichungen, welche in den folgenden Ausführungen entsprechend erwähnt werden.

12.34 Kennzahlen. Die in § 138a AO genannten Kennzahlen entsprechen im Wesentlichen den Vorgaben der OECD. Lediglich in Bezug auf das ausgewiesene Kapital (die OECD spricht hier von „Gezeichnetem Kapital“, während gem. § 138a AO das gesamte „Eigenkapital“ auszuweisen ist) gibt es geringfügige Abweichungen. In Bezug auf Betriebsstätten sollte das ausgewiesene Kapital von der juristischen Person angegeben werden, zu der die jeweils betrachtete Betriebsstätte gehört, es sei denn, im Betriebsstättenstaat bestünde eine aufsichtsrechtliche Mindestkapitalanforderung (s. hierzu auch Rz. 2.47). Bezüglich der entrichteten Ertragsteuern auf Cash Basis („Income Tax Paid on Cash Basis)“ gibt es ebenfalls kleinere Unterschiede. Nach dem von der OECD verwendeten Begriff dürften wohl auch Steuernachzahlungen für Vorjahre enthalten sein, während § 138a AO zusätzlich die in dem für das Berichtsjahr bezahlten und zurückgestellten Steuern erfasst haben möchte, so dass erkennbar ist, welche aperiodischen Steuernachzahlungen angefallen sind. 12.35 Meldeadressaten. Bei Betriebsstätten sind einbehaltene Gewinne vollumfänglich bei der rechtlichen Einheit zu melden, zu der die Betriebsstätte gehört, und nicht anteilig im Betriebsstättenstaat. In Bezug auf die zu meldenden Mitarbeiterzahlen gehen sowohl die OECD als auch § 138 AO von Vollzeitäquivalenten der jeweiligen Berichtseinheiten aus. Leiharbeitskräfte können dabei als Mitarbeiter des Konzerns betrachtet werden. Im Hinblick auf entsendete Mitarbeiter ist nicht näher definiert, welcher Einheit diese zuzurechnen sind. Der berichtspflichtige Konzern sollte sich insofern auf eine Definition einigen und diese ggf. in Tabelle 3 beschreiben, welche insbesondere für solche ergänzenden Erläuterungen durch die OECD vorgesehen ist. Gleiches gilt für die Wahl auf Basis welcher Rechnungslegungsgrundsätze (HGB, IFRS, US-GAAP etc.) die zu berichtenden Kennzahlen gemeldet werden. Einer der Kernkritikpunkte an der Aussagekraft des CbCR liegt in der Tatsache, dass die Kennzahlen in Tabelle 1 Angaben kumuliert pro Steuerhoheitsgebiet enthalten, so dass insbesondere bei Konzernen, welche über mehrere Gesellschaften in einem Land verfügen, die Aussagekraft äußerst gering sein dürfte. 12.36 Übermittlungsfrist und Angaben in der Steuererklärung. Die Übermittlung des CbCR an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) hat spätestens ein Jahr nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs zu erfolgen, für das der Bericht zu erstellen ist, und erstmalig für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2015 beginnen. Soweit eine deutsche Tochtergesellschaft Teil eines multinationalen Konzerns ist, welcher nach den Vorgaben des § 138a AO zur Abgabe eines CbCR verpflichtet wäre (sog. „einbezogene inländische Konzerngesellschaft“ gem. § 138a Abs. 4 Satz 1 AO), hat diese das CbCR an das BZSt zu übermitteln, wenn das BZSt kein CbCR erhalten hat. Kann die inländische Tochtergesellschaft die Einreichung nicht oder nicht fristgerecht gewährleisten, so hat sie das BZSt innerhalb der oben genannten Frist zu informieren. 374 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.40 Kap. 12

Notification. Darüber hinaus müssen innerhalb der Steuererklärungen Angaben da- 12.37 zu gemacht werden, ob das inländische Unternehmen eine Konzernobergesellschaft ist, welche zur Abgabe des CbCR verpflichtet ist, oder eine beauftragte Gesellschaft, welche im Auftrag einer Konzernobergesellschaft eines anderen Landes das CbCR einreicht, oder eine einbezogene inländische Konzerngesellschaft eines Konzerns mit ausländischer Konzernobergesellschaft. Diese Pflicht zur sog. „Notification“ gibt es auch in den meisten anderen Staaten, welche das CbCR eingeführt haben.

II. Hilfs- und Nebenrechnung Allgemeines. Für eine Betriebsstätte ist gem. § 3 BsGaV eine sog. Hilfs- und Ne- 12.38 benrechnung (s. hierzu auch Rz. 7.26 ff.) zu erstellen. Die Aufzeichnungen sind zu Beginn des jeweiligen Wirtschaftsjahrs zu erstellen, über das Jahr hinweg fortzuschreiben und mit dem Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen („Aufzeichnungszeitraum“). Gemäß § 3 Abs. 2 BsGaV muss die Hilfs- und Nebenrechnung alle Bestandteile enthalten, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunktion zuzuordnen sind. Die Hilfs- und Nebenrechnung beinhaltet insbesondere das Betriebsstättenergebnis für den Aufzeichnungszeitraum, welches nach dem einschlägigen DBA in der Regel unter Progressionsvorbehalt freizustellen ist. 1. Zweck der Hilfs- und Nebenrechnung und Zeitpunkt der Erstellung Zweck der Hilfs- und Nebenrechnung. Der Begründung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 BsGaV 12.39 zufolge dient die Hilfs- und Nebenrechnung in erster Linie dazu, Grundlage für die Berechnung des steuerlichen Ergebnisses der Betriebsstätte zu sein, ähnlich wie die Bilanz für rechtlich selbständige Unternehmen.1 Wie bereits ausgeführt, wird in der Hilfs- und Nebenrechnung letztlich das Ergebnis der Anwendung des in § 1 Abs. 5 AStG in innerstaatliches Recht überführten AOA niedergeschrieben und hierbei in erster Linie die damit verbundene Bestimmung der Verrechnungspreise für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (s. hierzu auch Rz. 9.5 ff.) aufgezeichnet (vgl. hierzu auch Rz. 7.1 ff.). Abgrenzung zu Aufzeichnungen. Es handelt sich bei einer Hilfs- und Nebenrech- 12.40 nung nicht um Aufzeichnungen i.S.v. § 90 Abs. 3 AO i.V.m. §§ 1 bis 8 GAufzV, welche erst auf Verlangen der Finanzverwaltung zu erstellen sind. Die Hilfs- und Nebenrechnung dient insoweit nur den quantitativen Zuordnungsentscheidungen (s. hierzu auch Rz. 7.14) des Steuerpflichtigen. Die qualitative Beurteilung der Zuordnungsentscheidung und die Dokumentation der Angemessenheit der für die jeweiligen anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen angewandten Verrechnungspreise hat in der Regel in den Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO zu erfolgen (s. hierzu die oben im Abschnitt „Dokumentationsvorschriften“ gemachten Ausführungen).2 In der Hilfs- und Nebenrechnung wird demnach eine quantitative Auftei1 Vgl. Begründung zu § 3 Abs. 1 Satz 2 BsGaV, BR-Drucks. 401/14 v. 28.4.2014, 51. 2 Vgl. auch Geier/Friedrich, DB 2016, 1777, wo ausgeführt wird, dass grundsätzlich die Erstellung eines qualitativen Teils der Verrechnungspreisdokumentation gem. § 90 Abs. 3

Renz 375

Kap. 12 Rz. 12.40 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

lung der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zwischen dem Stammhaus des einen Staats und seiner Betriebsstätte (bzw. seinen Betriebsstätten) in dem oder den anderen Staat(en) für Zwecke der steuerlichen Gewinnabgrenzung vorgenommen. Der Zusammenhang zwischen der Hilfs- und Nebenrechnung mit der Steuer- und Handelsbilanz kann wie folgt veranschaulicht werden:

1 Betriebsstättenbuchführung • Systematische Trennung der Geschäftsvorfälle über alle Betriebsstätten hinweg. • Erleichtert die Arbeit, da Abgrenzungsfragen im Erstellungsprozess der Bilanzen und GuV bereits beantwortet werden müssen.

2 Handelsbilanz

• Ausgangspunkt zur Ermittlung der Einkünfte einer inoder ausländischen Betriebsstätte wird in aller Regel die Handelsbilanz des Unternehmens nach in- oder ausländischem Recht sein.

3 Steuerliche Überleitung

4 Hilfs- und Nebenrechnung

• Die Handelsbilanz des Unternehmens wird, zumindest in Deutschland, ergänzt um steuerliche Vorschriften, z.B. i.S.d. § 60 (2) EStDV (quantitativer Teil der Hilfs- und Nebenrechnung).

• Bilanzzusammenhang wird ausgeschlossen.

Zusammen Steuerbilanz

• Dokumentation der Zuordnungsentscheidungen. • Begründung der Zuordnungsentscheidungen sollte nach § 90 Abs. 3 AO i.V.m. § 1 GAufzV erfolgen (qualitativer Teil der Hilfs- und Nebenrechnung).

Abb. 2: Zusammenhang zwischen der Hilfs- und Nebenrechnung mit der Steuer- und Handelsbilanz

Wie in Abb. 2 dargestellt, tritt die Pflicht zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung neben die Buchführungs- und Bilanzierungspflicht.

12.41 Ermittlung des steuerlichen Betriebsstättenergebnisses. Die Hilfs- und Nebenrechnung ist jedes Jahr neu zu Beginn des Wirtschaftsjahrs aufzustellen, während des Wirtschaftsjahrs fortzuschreiben und am Ende des Wirtschaftsjahrs abzuschließen (vgl. § 3 Abs. 1 BsGaV). Insofern handelt es sich bei der Hilfs- und Nebenrechnung um keine klassische Bilanz, sondern um ein Instrument zur Ermittlung des Betriebsstättenergebnisses für steuerliche Zwecke. Durch die jährliche auf Basis der Funktions- und Risikoanalyse (s. hierzu auch Rz. 7.31 ff., Rz. 7.71) vorzunehmende Bestimmung des Dotationskapitals und einer potentiellen anteiligen Kürzung der Passivposten kann ein Bilanzzusammenhang zumindest für bestimmte Passivposten nicht gelten.1 Die Verpflichtung, Bücher zu führen, wird demnach auch nicht im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung verlangt. Ausgangspunkt der Ermittlung AO vorbehalten bleiben sollte, es aber empfehlenswert erscheint einzelfallbezogen zu prüfen, ob qualitative Erläuterungen auch in der Hilfs- und Nebenrechnung vorzunehmen sind. 1 Vgl. Busch in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 13.41.

376 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.43 Kap. 12

der Einkünfte einer in- oder ausländischen Betriebsstätte ist damit zunächst die sich aus Handelsbilanz und steuerlicher Überleitung ergebende Steuerbilanz.1 Um allerdings das Ergebnis der Betriebsstätte unter Annahme der Selbständigkeitsfiktion ermitteln zu können, bedarf es der in der Hilfs- und Nebenrechnung geforderten Darstellung, in welcher das Vermögen, das Kapital und die übrigen Passivposten in der Form ausgewiesen werden, die diesen Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsgedanken widerspiegeln.2 Unternehmen, welche für ihre Betriebsstätte eine Buchführung erstellen, können diese in der Regel als Ausgangspunkt für die Erstellung der Hilfsund Nebenrechnung verwenden. Dies gilt sowohl für ausländische Unternehmen, welche mit ihrer inländischen Betriebsstätte buchführungspflichtig sind bzw. freiwillig Bücher führen als auch für ein inländisches Unternehmen, welches aufgrund ausländischen Rechts für seine ausländische Betriebsstätte buchführungspflichtig ist oder freiwillig Bücher führt und die Ergebnisse der ausländischen Buchführung für die deutsche Besteuerung gem. § 146 Abs. 2 Satz 3 AO übernimmt.3 Erstellungszeitpunkt. Die Hilfs- und Nebenrechnung muss spätestens zum Zeit- 12.42 punkt der Abgabe der Steuererklärung erstellt sein, in welcher die Einkünfte der Betriebsstätte zu berücksichtigen sind. Im Fall eines inländischen Unternehmens mit einer ausländischen Betriebsstätte ist dies die Steuererklärung des inländischen Unternehmens, in welchem die Betriebsstätteneinkünfte aus der steuerlichen Bemessungsgrundlage des inländischen Unternehmens auszunehmen sind. Im Fall einer inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens ist das ausländische Unternehmen mit den Einkünften der Betriebsstätte gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG beschränkt steuerpflichtig, so dass das ausländische Unternehmen hierfür eine Steuererklärung einzureichen hat.4 In diesem Fall muss die Hilfs- und Nebenrechnung spätestens zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Steuererklärung erstellt sein. 2. Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung Bestandteile. Um eine dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Einkünfte- 12.43 ermittlung sicherzustellen, beinhaltet die Hilfs- und Nebenrechnung gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 BsGaV alle Bestandteile, die der Betriebsstätte aufgrund ihrer Personalfunktionen (s. hierzu auch Rz. 7.3 ff.) zuzuordnen sind, und damit alle Vermögenswerte (§§ 5–8 BsGaV), Geschäftsvorfälle (§ 9 BsGaV), das Dotationskapital (§§ 12, 13 BsGaV), die übrigen Passivposten (§ 14 BsGaV) und auch die entsprechenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben des Unternehmens, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind. § 3 Abs. 2 Satz 2 BsGaV nennt zwar die damit zusammenhängenden Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV) nicht explizit. Vor dem Hintergrund, dass diese aber entweder einer der vorgenannten Positionen (Vermögenswerten oder Geschäfts1 Vgl. zur Buchführungspflicht und der Gewinnermittlung nach nationalem Recht Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 764 ff. 2 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 817. 3 Vgl. BMF v. 22.12.2006 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 53 f. – im Folgenden VWG BsGa. 4 Auch für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens sind insoweit die inländischen Bilanzierungsregeln für die Hilfs- und Nebenrechnung maßgebend.

Renz 377

Kap. 12 Rz. 12.43 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

vorfällen) zuzuordnen sind oder der jeweils maßgeblich ausgeübten Personalfunktion, sind auch diese implizit Bestandteil der Hilfs- und Nebenrechnung.

12.44 Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern und immateriellen Werten. In der Hilfs- und Nebenrechnung sind die der Betriebsstätte zuzuordnenden materiellen Wirtschaftsgüter zu nennen und der Wert zu Beginn des Aufzeichnungszeitraums, deren Veränderung während des Zeitraums (z.B. deren Verminderung aufgrund von Abschreibungen oder Teilwertberichtigungen) und deren daraus resultierenden Werte zum Ende des Aufzeichnungszeitraums darzustellen. Soweit Wirtschaftsgüter während des Aufzeichnungszeitraums neu der Betriebsstätte zuzuordnen sind (z.B. durch eine Zuordnungsänderung oder durch Erwerb von Wirtschaftsgütern), sind diese entsprechend zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt dem Grunde nach für immaterielle Werte. In Bezug auf selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter ist allerdings zu beachten, dass es sein kann, dass diese bisher nicht aktiviert wurden. So gilt gem. § 5 Abs. 2 EStG ein steuerbilanzielles Aktivierungsverbot. Ein selbstgeschaffener immaterieller Wert, der bisher weder in der Bilanz noch in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen war, wird dann Bestandteil der Hilfs- und Nebenrechnung, wenn wegen einer Änderung der Zuordnung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ein fiktiver Erwerb i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV anzunehmen wäre.1 Die Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung hat dabei keine Auswirkung auf die Erfassung einer Entstrickung gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG, wonach für den Fall, dass ein Zuordnungswechsel eines Vermögenswerts vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte erfolgt, dieser Vermögenswert für Zwecke der inländischen Steuerbilanz als entnommen gilt.2 Auch im umgekehrten Fall einer Verstrickung können Vermögenswerte, die vom Stammhaus eines ausländischen Unternehmens in seine inländischen Betriebsstätte überführt werden, sowohl in der Hilfsund Nebenrechnung als auch in einer parallel zu erstellenden Steuerbilanz zu erfassen sein.3 12.45 Zuordnung von Geschäftsvorfällen. In der Hilfs- und Nebenrechnung sind entsprechende Erlöse und Aufwendungen aufzuzeichnen, welche mit den einer Betriebsstätte zugeordneten Geschäftsvorfällen in Zusammenhang stehen.4 12.46 Fiktive Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aufgrund anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen. Den Ausführungen der VWG BsGa folgend sind auch die fiktiven Einnahmen und Betriebsausgaben in der Hilfs- und Nebenrechnung zu erfassen, welche aufgrund der zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bestehenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen bestehen. So sind entsprechende fiktive Dienstleistungsverrechnungen der Betriebsstätte an das Stammhaus als Einnahmen der Betriebsstätte zu erfassen oder entsprechende fiktive Verrechnungen des 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 59. 2 Vgl. Begründung zur BsGaV, Besonderer Teil, BR-Drucks. 401/14 v. 28.4.2014, 51 sowie Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 816 m.w.N. zur Diskussion über den Anwendungsbereich der Entstrickungsbesteuerung. 3 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 817. 4 Weitere Details hierzu s. auch bei Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 818.

378 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.49 Kap. 12

Stammhauses an die Betriebsstätte entsprechend als fiktive Betriebsausgaben der Betriebsstätte zu berücksichtigen. In Fällen, in denen aufgrund einer Zuordnungsänderung Deutschland das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts entzogen oder beschränkt wird und somit ein Fall einer Entstrickung aufgrund einer fiktiven Entnahme nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG bzw. einer fiktiven Veräußerung nach § 12 Abs. 1 KStG vorliegt, welcher in der inländischen Steuerbilanz des Unternehmens im Wege einer Aufstockung zu erfassen ist, sind entsprechende Ansätze in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte erforderlich, um eine sachgerechte Ermittlung der Betriebsstätteneinkünfte sicherzustellen.1 Zuordnung von Chancen und Risiken. Wie bereits ausgeführt, werden weder 12.47 Chancen noch Risiken (s. Rz. 7.16 f.) als Bestandteil der Hilfs- und Nebenrechnung in § 3 Abs. 2 BsGaV explizit genannt. Gemäß § 3 Abs. 3 BsGaV ist allerdings die Zuordnung von Chancen und Risiken im Rahmen der Dokumentation gem. § 90 Abs. 3 AO zu begründen. Darüber hinaus spiegeln sich Chancen und Risiken im Rahmen der in der Hilfs- und Nebenrechnung aufzuzeichnenden anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen wieder, da sie für die Ermittlung eines angemessenen Verrechnungspreises regelmäßig in Betracht zu ziehen sind. Auch Vermögenswerte (s. Rz. 7.47) sind gem. § 12 Abs. 3 Satz 1 BsGaV mit Werten anzusetzen, die dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, inklusive der Berücksichtigung der diesen unmittelbar zuordenbaren Chancen und Risiken.2 Soweit sie nicht einzelnen Vermögenswerten oder Geschäftsvorfällen zuzuordnen sind, ist es nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zu beanstanden, diese pauschal zu berücksichtigen (z.B. in Form von pauschalen Rückstellungsbildungen wie einer Gewährleistungsrückstellung).3 Wie bereits in Kapitel 8 (s. Rz. 8.34 ff.) ausgeführt, erscheint die vorrangige Zuordnung von Risiken nicht klar und, u.a., die Berücksichtigung in Form von (pauschalen) Rückstellungen nicht begründet, da es sich bei Rückstellungen um keine Risiken handelt, sondern um bereits eingetretene Verpflichtungen (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 8, Rz. 8.36 ff.). Zuordnung von Dotationskapital und übrigen Passivposten. Ebenfalls Teil der Hilfs- 12.48 und Nebenrechnung ist die quantitative Bestimmung des Dotationskapitals (s. hierzu Rz. 8.7 ff.) und die Zuordnung der übrigen Passivposten (s. hierzu Rz. 8.34 ff.).4 Die Ergebnisse aus der Zuordnung von Dotationskapital und übrigen Passivposten betreffen damit die Passivseite der im Rahmen der Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellenden Betriebsstättenbilanz (vgl. § 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 BsGaV). Betriebsstättenbilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Die Hilfs- und Neben- 12.49 rechnung dient einer Ermittlung der Betriebsstätteneinkünfte und ist zum Beginn eines Wirtschaftsjahrs aufzustellen, während des Wirtschaftsjahrs entsprechend den 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 62. Vgl. VWG BsGa, Rz. 136. Vgl. VWG BsGa, Rz. 136. Details zur Zuordnung von Dotationskapital und übrigen Passivposten können Kapitel 7 (Rz. 7.1 ff.) entnommen werden.

Renz 379

Kap. 12 Rz. 12.49 Dokumentationserfordernisse, Hilfs- und Nebenrechnung

inländischen Bilanzierungsregeln fortzuschreiben und zum Ende eines Wirtschaftsjahrs abzuschließen. Ist ein ausländisches Unternehmen für seine inländische Betriebsstätte buchführungspflichtig (oder führt es freiwillig Bücher), so können die Buchführungsunterlagen den VWG BsGa zufolge Ausgangspunkt für die Hilfs- und Nebenrechnung sein oder unter Berücksichtigung des Einzelfalls der Hilfs- und Nebenrechnung entsprechen.1 Entsprechendes gilt für eine ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmers, wenn für diese eine Bilanz zu erstellen ist oder eine Bilanz freiwillig erstellt wird. Auch hier kann diese Bilanz Ausgangspunkt für die Hilfs- und Nebenrechnung sein.2 Auch wenn die Hilfs- und Nebenrechnung weder eine Vermögensübersicht noch eine Bilanz im steuerrechtlichen Sinne darstellt3 und vom Verordnungsgeber keine konkrete Form vorgegeben und daher vom Steuerpflichtigen wohl frei wählbar ist,4 dürfte sich die Erstellung einer Art BetriebsstättenBilanz und -Gewinn- und Verlustrechnung häufig anbieten.5 Im Ergebnis ist das Betriebsstättenergebnis auf Basis dieser fiktiven Betriebsstättenbilanz zum Beginn und zum Ende des Wirtschaftsjahrs und auf Basis der fiktiven Betriebsstätten-GuV zu ermitteln. Weitere Einzelheiten zur Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung inklusive Beispielen zu Bilanz und GuV finden sich in Kapitel 7 (Rz. 7.44 ff.).

12.50 Einnahmenüberschussrechnung. Soweit das Unternehmen weder nach inländischem noch nach ausländischem Recht buchführungspflichtig ist und auch tatsächlich keine Bücher führt, ist eine Einnahmenüberschussrechnung i.S.d. § 4 Abs. 3 EStG zu erstellen. 3. Beginn und Ende einer Betriebsstätte

12.51 Begründung einer Betriebsstätte. Eine Hilfs- und Nebenrechnung ist erstmals zum Zeitpunkt der Begründung einer Betriebsstätte aufzustellen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 BsGaV). Dies gilt auch für den Fall, in dem die Begründung einer Betriebsstätte zunächst nicht erkannt wird, wie es z.B. bei einer Vertreterbetriebsstätte (s. hierzu auch Rz. 3.50 ff., Rz. 11.1 ff.) in der Praxis oftmals vorkommen kann. Soweit die Begründung einer Betriebsstätte nicht erkannt wird, soll den VWG BsGa zufolge der Finanzbehörde eine Schätzungsbefugnis gem. § 162 AO eingeräumt werden.6 Dies kann allerdings nur dann gelten, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und die Finanzbehörde aus diesem Grund die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann. 12.52 Vorlaufkosten. Aufwendungen, welche vor der Begründung einer Betriebsstätte entstanden sind, aber sowohl in einem zeitlichen als auch in einem sachlichen Zusam1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 53. Vgl. Begründung zu § 3 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14 v. 28.4.2014, 51. Vgl. Kahle/Kindich, GmbHR 2017, 341–347. Vgl. Busch, DB 2016, 911 (915). Vgl. Greier/Friederich, DB 2016, 1777 und Nientimp/Schwarz/Stein, IStR 2016, 489 sowie Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 764 zur Abgrenzung zur Buchführungspflicht nach § 238 ff. HGB, § 141 AO. 6 Siehe VWG BsGa, Rz. 65.

380 Renz

C. Kommentierung

Rz. 12.53 Kap. 12

menhang mit ihrem Entstehen und im Hinblick auf die Tätigkeiten der Betriebsstätte in Zusammenhang stehen (Vorlaufkosten), seien den VWG BsGa zufolge grundsätzlich dem Stammhaus zuzuordnen, da einer Betriebsstätte vor ihrem Entstehen keine Personalfunktionen zugeordnet werden können.1 Diese Sichtweise erscheint zumindest strittig. So wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass zum einen ein spezifischer Zeitbezug der Personalfunktion nicht erkennbar ist und andererseits Personalfunktionen nicht zwingend der Betriebsstätte zugeordnet sein müssten, in der sie ausgeübt werden.2 Auch vor dem Hintergrund der weiteren Ausführungen der VWG BsGa, dass solche Vorlaufkosten, sofern sie der Erzielung von im Inland nach DBA-Regelungen freigestellten Betriebsstätteneinkünften dienen, dem Veranlassungsprinzip gem. § 4 Abs. 4 EStG folgend, auf Ebene des Stammhauses im Inland nicht abzugsfähig seien, erweckt Zweifel an der Sichtweise des BMF. So würden in diesem Fall Ausgaben entstehen, welche weder in der Betriebsstätte noch im Stammhaus steuerlich abzugsfähig wären. Allerdings sieht das BMF die Möglichkeit einer Verrechnung der Gründungskosten im Rahmen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung. Zumindest könnte Rz. 67 letzter Satz VWG BsGa dahingehend interpretiert werden. In diesem Fall wären die Gründungskosten im Stammhaus zunächst abzugsfähig, würden dann zu Einnahmen auf Basis der anzunehmenden Schuldrechtlichen Beziehung „Weiterbelastung von Gründungskosten“ führen und entsprechend zu einem fiktiven Aufwand in der Betriebsstätte. Beendigung der Betriebsstätte. Bei Beendigung der Betriebsstätte, ist die Hilfs- und 12.53 Nebenrechnung zu diesem Zeitpunkt abzuschließen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). Vermögenswerte und Passivposten, welche sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Betriebsstätte befinden (bzw. dieser zuzuordnen waren), gelten als fiktiv an das Stammhaus veräußert (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV), und ein daraus sich ergebender fiktiver Veräußerungserlös ist in der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte zu erfassen (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 BsGaV). Dieser Sichtweise folgend, sollen alle im Nachgang zur Beendigung der Betriebsstätte entstehenden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben dem Stammhaus zuzuordnen sein, da die zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle und Vermögenswerte mit Beendigung der Betriebsstätte als fiktiv an das Stammhaus veräußert gelten (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV).3

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 66. 2 Vgl. Hagemann, DB 2016, 1223 mit weiteren Ausführungen. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 69.

Renz 381

3. Teil AOA und industriespezifische Eigenheiten Kapitel 13 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau A. Besonderheiten der Bau- und Montagebetriebsstätte I. OECD Betriebsstättenbericht 2010 – Authorised OECD Approach (AOA) 1. Feste Geschäftseinrichtungen . . . . 13.1 2. Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 II. Sonderregelungen der VWG Betriebsstätten vom 24.12.1999 . . . 13.5 B. Sonderregelungen der BsGaV und der VWG BsGa für Bauund Montagebetriebsstätten I. Allgemeines 1. Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. „Multifunktionsbetriebsstätte“ . . . 4. Abgrenzung Anschluss- und Folgevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. ARGE und Konsortium . . . . . . . . .

13.7 13.9 13.15 13.17 13.19

II. Besondere Zuordnungsregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten (§ 31 BsGaV) 1. Zuordnung v. Personalfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.24

2. Zuordnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, Vermögenswerten sowie Chancen und Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.30 3. Zuordnung des Bau- und Montagevertrags . . . . . . . . . . . . . . . 13.37 III. Verrechnungspreismethoden und Gewinnermittlung 1. Abgrenzung Routine- und „komplexe“ Betriebsstätte . . . . . . . 2. Die Routinebetriebsstätte (§ 32 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kostenbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berücksichtigung von Subunternehmern . . . . . . . bb) Fehlmaßnahmen . . . . . . . . cc) Vorlaufkosten . . . . . . . . . . . b) Gewinnaufschlag . . . . . . . . . . . . c) Laufende Abrechnung . . . . . . . d) Hilfs- und Nebenrechnung . . . 3. Komplexe Betriebsstätten (§ 33 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.42 13.51 13.53 13.59 13.64 13.68 13.71 13.73 13.76 13.79

IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.85 C. Abschließendes Beispiel zur Gewinnermittlung anhand der Funktions- und Risikoanalyse . . 13.86

Literatur: Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts, 3. Auflage, Wien 2016; Bendlinger, Paradigmenwechsel bei der Auslegung des Betriebsstättenbegriffs im DBA-Recht durch die OECD, SWI 2006, 358; Bendlinger, Internationale Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff, SWI 2011, 251; Bendlinger, Hilfsbetriebsstätten in BEPS-Action 7, SWI 2016, 188 (196); Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, Neue Tendenzen der OECD zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs und deren Beurteilung aus Sicht des Maschinen- und Anlagenbaus, IStR 2004, 145; Bendlinger/Reinhold/Sennewald, Das deutsch-indische DBA und dessen Anwendung auf den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, IStR 2013, 453; Blümich, EStG, KStG, GewStG, Kommentar, Loseblatt, München; Ditz, Gewinnermittlung bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach den VWG BsGa, ISR 2017, 163; Ditz/

Sennewald 383

Kap. 13 Rz. 13.1 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Bärsch, Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten nach dem AOA – ein Plädoyer für die Nullsummentheorie, IStR 2013, 411; Freudenberg/Stein/Trost, Gewinnabgrenzung bei Bau- und Montagebetriebsstätten – Umsetzung aus Sicht der Beratungspraxis, ISR 2016, 159; Görl, Steuerberaterjahrbuch 2004/2005, Köln 2005; Hentschel/Kraft, Funktionsverlagerungen in anstehenden Außenprüfungen – eine Bestandsaufnahme potentieller Streitfragen, IStR 2015, 193; Kahle/Kindich, Erfolgs- und Vermögensabgrenzung bei Bau- und Montagebetriebsstätten nach den Sonderregelungen der BsGaV, Ubg 2015, 595; Lüdicke, Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, 2018; Naumann, Seminar E: Gewinnaufteilungsmethoden und der Fremdvergleichsgrundsatz, IStR 2013, 616; Neumann-Tomm, Der Gewinn von Bau- und Montagebetriebsstätten nach der BsGaV, IWB 5/2015, 166; Neumann-Tomm, Die unentgeltliche Beistellung in der BsGaV, IStR 2014, 806; Oestreicher/van der Ham/ Andresen, Die Neuregelung der Betriebsstättengewinnaufteilung in zwölf Fällen – zugleich eine Stellungnahme zum Entwurf der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, IStRBeihefter 2014, 1; Remberg, Steuerberaterjahrbuch 2005/2006, Köln 2006; Seeleitner/Krinninger/Grimm, Verschärfung der steuerlichen Herausforderungen durch den Authorised OECD Approach (AOA) bei Bau- und Montagebetriebsstätten?, IStR 2013, 220; Seeleitner/Sennewald/Müller, Praktische Fragestellungen bei der Anwendung des AOA auf Bau- und Montagebetriebsstätten, IStR 2017, 1013; Sennewald/Geberth, BMF veröffentlicht Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung, DB 2017, Heft 1, 31–33; Stein, Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsfunktionen in multinationalen Konzernen, Diss., Ulm 2014; Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt, Köln; Vogel/Lehner, DBA, 6. Auflage, München 2015; Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 4. Auflage, München 2015; Wassermeyer, Doppelbesteuerung – Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, Loseblatt, München; Wassermeyer, Die BFHRechtsprechung zur Betriebsstättenbesteuerung vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV, IStR 2015, 38; Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D); Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Köln 2014; Wassermeyer/Lang/Schuch, Doppelbesteuerung, Wien 2004; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Auflage, München 2015.

A. Besonderheiten der Bau- und Montagebetriebsstätte I. OECD Betriebsstättenbericht 2010 – Authorised OECD Approach (AOA) 1. Feste Geschäftseinrichtungen

13.1 Dauerbetriebsstätten im Fokus. Die im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 für den AOA dargelegten Grundsätze für die Betriebsstättengewinnabgrenzung fokussieren sich auf sog. feste Einrichtungen bzw. Dauerbetriebsstätten, wie sie etwa im Bereich der Banken-, Finanz- und Versicherungsindustrie oder bei Handels- und Vertriebsunternehmen üblich sind. In diesen Branchen wird u.a. aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen anstatt einer Tochtergesellschaft wissentlich und willentlich eine Niederlassung für die Ausübung der Geschäftsaktivitäten im anderen Staat gegründet. Oftmals werden in diesen Fällen wirtschaftlich abgrenzbare Betriebsteile auf die Betriebsstätte ausgegliedert. Demzufolge bestehen auf Dauer angelegte und leichter identifizierbare fiktive schuldrechtliche Beziehungen i.S.d. §§ 16, 32 und 33 BsGaV

384 Sennewald

A. Besonderheiten der Bau- und Montagebetriebsstätte

Rz. 13.3 Kap. 13

üblicherweise zwischen dem übrigen Unternehmen und der Betriebsstätte (bspw. Darlehensvergabe zur Kapitalausstattung etc.). 2. Bau- und Montagebetriebsstätten Temporärer Charakter. Im Gegensatz zu diesen örtlich und zeitlich verfestigten Be- 13.2 triebsstätten i.S.d. Art. 5 Abs. 1 und 2 OECD-MA weisen Bau- und Montagebetriebsstätten die Besonderheit auf, dass diese von nur vorübergehender Natur sind. Bauund Montagebetriebsstätten entstehen aufgrund der Erfüllung eines Bau- und Montagevertrags allein durch Überschreitung der im jeweiligen DBA festgelegten Betriebsstättenschonfrist (12 Monate laut OECD-MA)1 und enden nach Beendigung der Bau- und Montagearbeiten bzw. frühestens mit der Abnahme des funktionsfähigen Gewerks.2 Es handelt sich also um eine nur zeitlich begrenzte Anwesenheit im Projektstaat gerade ohne Nutzung einer festen Einrichtung. Im Gegensatz zu den Dauerbetriebsstätten sind der Bau- und Montagebetriebsstätte, außer der Geschäftsbeziehung zum übrigen Unternehmen (in Form des Bau- und Montagevertrags), keine bzw. nur wenige Geschäftsbeziehungen zuzuordnen.3 Enge Verzahnung. Die Leistungen des übrigen Unternehmens und der Bau- und 13.3 Montagebetriebsstätte bleiben immer besonders eng verflochten,4 denn die Errichtung einer Anlage ist stets durch einen fließenden Entwicklungsprozess geprägt, der im Stammhaus (Planung, Engineering) beginnt, auf der Baustelle fortgesetzt wird und mit der Abnahme durch den Kunden seine Beendigung findet. Während der Projektabwicklungsphase sind erfahrungsgemäß umfangreiche Abstimmungsarbeiten nötig, bspw. wenn Anpassungen aufgrund von Fehlplanungen oder Zusatzaufträge5 des Kunden durchzuführen sind. Diese starke Verzahnung6 des Leistungsaustauschs wird noch dadurch verstärkt, dass aufgrund geänderter Marktverhältnisse tendenziell immer seltener vollumfängliche Turnkey-Verträge an einen Generalunternehmer vergeben werden. Turnkey-Verträge sind dadurch gekennzeichnet, dass vom Generalunternehmer ein schlüsselfertiges Gewerk geschuldet wird, dieser also die Gesamtleistung von Engineering, Planung über Materialeinkauf bis zur Bau- und Montageausführung einschl. der Inbetriebnahme erbringt. Dagegen beschränkt sich die Auftragsvergabe häufig nur noch auf die Planungs- und Engineeringleistungen, die Materiallieferungen und die Überwachung der Montage- und Inbetriebnahme, wobei die eigentlichen Bau- und Montagearbeiten von anderen Auftragnehmern bzw. durch den Kunden selbst durchgeführt werden. Die meist sehr hoch pönalisierte TurnkeyVerantwortung verbleibt in diesen Fällen dennoch beim Generalunternehmer. Zur er1 Für eine Übersicht der Fristen deutscher DBA siehe Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECDMA Rz. 74. 2 Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 134; BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 37 (Stand: Oktober 2019). 3 Vgl. Begründung zu § 30 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 124 f. 4 Vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.294. 5 Sog. Change oder Variation Orders. 6 Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts3, S. 366.

Sennewald 385

Kap. 13 Rz. 13.3 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

folgreichen Vertragsabwicklung bedarf es daher einer hohen Koordinations- und Integrationsleistung hinsichtlich der verschiedenen, durch andere Beteiligte zu erbringende Gewerke. Eine Identifizierung und (Einzel-)Bewertung von fingierten „dealings“ erscheint deshalb nahezu ausgeschlossen. Erfolgt die Gewinnermittlung für Dauerbetriebsstätten üblicherweise (auch) aus einem betriebswirtschaftlichen Interesse, ist für das Bau- und Montageunternehmen allein das Gesamtprojektergebnis von Bedeutung. Die aufwendige Betriebsstättengewinnermittlung wird somit ausschließlich zur Erfüllung steuerlicher Vorgaben durchgeführt.1

13.4 Gewinnabgrenzungsprobleme bei Bau- und Montagebetriebsstätten. Obschon auch die OECD die besondere Komplexität der Gewinnermittlung von Bau- und Montagebetriebsstätten2 und die daraus resultierenden praktischen Probleme (bspw. hinsichtlich der Allokation von Liefergewinnen, der Frage der Besteuerung von Ingenieurs- und Planungsleistungen sowie von Unterstützungsleistungen des übrigen Unternehmens für die Durchführung der Bau- und Montagearbeiten3) selbst thematisiert, sollen dennoch die allgemeinen Regelungen des AOA insofern Anwendung finden. Im OECD-MK wird hinsichtlich der Anwendung des AOA auf die Bauund Montagebetriebsstätten lediglich klargestellt, dass nur Gewinne aus Aktivitäten, die durch die Betriebsstätte erbracht werden, dieser zugerechnet werden dürfen.4 Diese Auffassung ist nicht neu und findet sich bereits im Protokoll zu diversen deutschen DBA.5 So regeIt bspw. das Protokoll zu Art. 7 DBA Deutschland-Indien nach Abschn. 1 Buchst. a den Ausschluss der Liefergewinnbesteuerung, während Buchst. b klarstellt, dass Einkünfte aus im Ansässigkeitsstaat erbrachten Planungs-, Projekt-, Bau- oder Forschungstätigkeiten sowie aus technischen Dienstleistungen im Betriebsstättenstaat nicht besteuert werden dürfen. Diese Präzisierungen haben aber eine in der Praxis auftretende Vielzahl von Doppelbesteuerungsfällen nicht verhindern können.6 Auf eine Lösung dieser Problematik, etwa durch Einführung von international anerkannten, branchenspezifischen Gewinnermittlungsregelungen für die Bau- und Montageindustrie, verzichtet die OECD im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 im Gegensatz zum Vorgehen im Bereich der Banken- und Versicherungswirtschaft dennoch.7 Dass der OECD-Betriebsstättenbericht ausschließlich die Frage der Ergebnisabgrenzung behandelt und hinsichtlich der Bepreisung der „dealings“ (anzunehmende schuldrechtlichen Beziehung) auf die allgemeinen OECDLeitlinien verweist,8 wonach „die am besten geeignete Methode für den Einzelfall zu 1 Seeleitner/Krinninger/Grimm, IStR 2013, 220. Zur Betriebsstättengewinnermittlung siehe auch Rz. 7.21 ff. 2 Im Folgenden: Montagebetriebsstätte. 3 Art. 7 Rz. 35 ff. OECD-MK (2017). 4 Art. 7 Rz. 36 f. OECD-MK (2017). 5 So z.B. Protokoll zum DBA Deutschland-Indonesien (zu Art. 7) Abschn. 2; Protokoll zum DBA Deutschland-Indien (zu Art. 7) Abschn. 1 sowie Protokoll zum DBA Deutschland-Vietnam (zu Art. 7) Abschn. 2. 6 Bendlinger/Reinhold/Sennewald, IStR 2013, 453; 1 AAR Ruling No. 981 of 2010; Ansaldo Energia SPA v. ITAT [2009] 310 ITR 237 (Mad). 7 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II und III. 8 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 41.

386 Sennewald

A. Besonderheiten der Bau- und Montagebetriebsstätte

Rz. 13.6 Kap. 13

wählen sei“,1 wird ebenfalls keinen Beitrag zu einer international einheitlichen Betriebsstättenbesteuerung liefern.

II. Sonderregelungen der VWG Betriebsstätten vom 24.12.1999 Die Routinebetriebsstätte als Subunternehmer. Bereits vor der Einführung des 13.5 AOA hat die deutsche Finanzverwaltung in den VWG Betriebsstätten2 anerkannt, dass sowohl zur Vermeidung unnötiger Komplexitäten in der Abwicklung als auch unzutreffender Gewinnallokationen Sonderregelungen für Montagebetriebsstätten3 unerlässlich sind. Zur Auflösung dieser Schwierigkeiten wurde die Fiktion, dass die Montagebetriebsstätte als Unterauftragnehmer des Stammhauses4 (Generalunternehmer) anzusehen sei, für Routinebetriebsstätten als brauchbarer Ansatz identifiziert.5 Für die von der Routinebetriebsstätte erbrachte Dienstleistung in Form der Bau- und Montagearbeiten war der Betriebsstättengewinn mit Hilfe der Kostenaufschlagsmethode zu ermitteln. Hinsichtlich des Gewinnaufschlags wurden 5–10 % als fremdüblich angesehen, soweit ein Fremdvergleichspreis nicht feststellbar war.6 In die Kostenbasis waren direkte, aber auch im großen Umfang indirekte Kosten7 einzubeziehen (s. Rz. 13.53 ff.). Komplexe Leistungsbeziehungen. Sofern aber zwischen Stammhaus und Montage- 13.6 betriebsstätte komplexe Leistungsbeziehungen vorlagen, waren Gewinnaufteilungsmethoden für die (indirekte) Gewinnermittlung zu nutzen.8 Als Standardmethode hatte sich in der Bau- und Montageindustrie die Kostenschlüsselmethode etabliert.9 Allerdings waren im Einzelfall auch andere Aufteilungsmethoden, wie bspw. die Um-

1 OECD v. 22.6.2010, Review of comparability and of profit methods: Revision of Chapter I–III of the Transfer Pricing Guidelines, Chapter 2, Part 1, Tz. 2.1–2.10, abrufbar unter https://www.oecd.org/ctp/transfer-pricing/45763692.pdf. 2 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, überarbeitet durch BMF v. 20.11.2000 – IV B 4 - S 1300 - 222/00, BStBl. I 2000, 1509 und BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 S 1341/07/10004 – DOK 2009/0421117, BStBl. I 2009, 888 (im Folgenden VWG Betriebsstätten); BMF v. 20.6.2013 – IV B 2 - S 1300/09/10006 – DOK 2013/0539717, BStBl. I 2013, 980. 3 Vgl. VWG Betriebsstätten, Tz. 1.2.1.2 u. 4.3. 4 Mit Implementierung des AOA in innerstaatliches deutsches Recht wird seitens der Finanzverwaltung eine geänderte Terminologie eingeführt. Sprach man in den VWG Betriebsstätten noch vom Stammhaus, wird nunmehr in der BsGaV sowie den VWG BsGa der Terminus „übriges Unternehmen“ verwendet. 5 VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.6. 6 VWG Betriebsstätten, Tz. 3.1 u. 3.1.2. 7 So z.B. Geschäftsführungs- und allgemeine Verwaltungsaufwendungen, VWG Betriebsstätten, Tz. 3.4.1. 8 VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.6. 9 Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts3, S. 364; Remberg, StbJb. 2005/2006, S. 179 ff.

Sennewald 387

Kap. 13 Rz. 13.6 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

satz- oder Risikoschlüsselmethode, denkbar, soweit die hieraus resultierenden Ergebnisse dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprachen.1

B. Sonderregelungen der BsGaV und der VWG BsGa für Bau- und Montagebetriebsstätten I. Allgemeines 1. Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht

13.7 Rechtsentwicklung. Als einer der ersten (und bis dato auch wenigen) OECD-Staaten wurde von Deutschland der AOA durch das JStG 2013 in § 1 Abs. 5 AStG eingeführt (zur Umsetzung des AOA in nationales Recht siehe auch Rz. 1.27 ff.). In der Folge wurden in Ausübung der Ermächtigungsklausel des § 1 Abs. 6 AStG weitergehende Einzelheiten zur deutschen Interpretation des AOA in der am 13.10.2014 ergangenen Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) geregelt.2 Darauf folgend wurden am 22.12.2016 die Verwaltungsgrundsätze zur Betriebsstättengewinnaufteilung (VWG BsGa) veröffentlicht.3 Das stattliche 186 Seiten umfassende BMF-Schreiben konkretisiert die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 5 AStG und der BsGaV auf die Einkünftezuordnung von in- und ausländischen Betriebsstätten aus Sicht der Finanzverwaltung und bildet zudem den Abschluss der äußerst aufwendigen Umsetzung des AOA in innerstaatliches Recht. 13.8 Besondere Regelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten. Bereits mit der BsGaV wurden die im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 leider fehlenden besonderen Regelungen zur Gewinnaufteilung bei Bau- und Montagebetriebsstätten geschaffen. Die im Abschn. 4 der BsGaV enthaltenen Vorschriften der §§ 30–34 BsGaV beinhalten besondere Zuordnungsregelungen für Wirtschaftsgüter und Vermögenswerte, Klarstellungen zu den anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, Konkretisierungen zur Abgrenzung von Routine- und komplexen Betriebsstätten sowie die daraus folgenden anzuwendenden Verrechnungspreismethoden und besondere Übergangsregelungen (s. hierzu Rz. 7.150 ff.). 2. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich

13.9 Sachlicher Anwendungsbereich. § 30 BsGaV stellt klar, dass die Vorschriften der §§ 30–34 BsGaV speziell auf Bau- und Montagebetriebsstätten Anwendung finden und insoweit dem in den §§ 1–17 BsGaV enthaltenen allgemeinen Teil vorgehen, als

1 Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2000) Rz. 200 u. 201. 2 Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten nach § 1 Abs. 5 AStG (Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV), BGBl. I 2014, 1603, zuletzt geändert durch Artikel 5 der Verordnung v. 12.07.2017, BGBl. I 2017, 2360. 3 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 (im Folgenden VWG BsGa).

388 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.13 Kap. 13

hierin abweichende Regelungen enthalten sind. Abschn. 4 der BsGaV hat somit „LexSpecialis“-Charakter.1 Definition der Bau- und Montagebetriebsstätte. Der Begriff der Bau- und Monta- 13.10 gebetriebsstätte wird in § 30 Satz 1 BsGaV definiert. Demnach sind dies Betriebsstätten, die „zur Durchführung eines einzelnen Bau- und Montagevertrags entstehen und nach Abschluss dieses Vertrages enden.“ Diese Definition stellt lediglich klar, für welche Art der Betriebsstätten der Anwendungsbereich des Abschn. 4 der BsGaV eröffnet ist. Dem Grundgedanken folgend sollen dies nur Betriebsstätten mit temporärem Charakter, nicht jedoch verfestigte bzw. Dauerbetriebsstätten sein. Begründung der Betriebsstätte. Hinsichtlich der Frage der Begründung einer Bau- 13.11 und Montagebetriebsstätte wird zum einen auf § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA sowie zum anderen auf die VWG Betriebsstätten verwiesen, die insoweit noch Gültigkeit haben.2 Funktionsgleiche Betriebsstätten. Obwohl in der BsGaV noch nicht vorgesehen, 13.12 enthalten die VWG BsGa eine klarstellende Regelung, wonach auch Betriebsstätten, die keine Bau- und Montagebetriebsstätten i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA sind, in den Anwendungsbereich der Sonderregelungen gem. §§ 30 ff. BsGaV fallen können, wenn diese ein vergleichbares Funktions- und Risikoprofil haben.3 Der Anwendungsbereich ist aber nur dann eröffnet, wenn diese Betriebsstätten – im Wesentlichen nur eine Geschäftsbeziehung (fiktive Dienstleistung) zum übrigen Unternehmen haben und – lediglich Routinetätigkeiten ausüben.4 Regelungshintergrund. Die Regelung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass in 13.13 praxi vermehrt Fälle vorkommen, in denen der Kunde die Bau- oder Montagearbeiten selbst übernimmt und das Bau- und Montageunternehmen5 nur noch Planungs-, Überwachungs- und Inbetriebnahmetätigkeiten vertraglich schuldet. Diese Tätigkeiten sind Sonderformen der klassischen Montage und umfassen u.a. die Koordination, Überwachung und Inbetriebnahme einer ordnungsgemäßen Bauausführung oder Montage zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des von einem Dritten oder aufgrund eines eigenen Bau- und Montageauftrags zu erstellenden Werks. Nach dem

1 Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159. 2 VWG BsGa, Rz. 348 sowie Begründung zur BsGaV zu § 30 Satz 1, BR-Drucks. 401/14, 124 f. 3 VWG BsGa, Rz. 357. 4 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 (im Folgenden VWG-Verfahren). 5 Nach § 30 Satz 2 BsGaV gilt als Bau- und Montageunternehmen jedes Unternehmen, zu dem eine Bau- und Montagebetriebsstätte gehört, unabhängig davon, ob die Bau- und Montagetätigkeit einen wesentlichen Teil oder den Hauptteil der Geschäftstätigkeit des Unternehmens ausmacht.

Sennewald 389

Kap. 13 Rz. 13.13 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

deutschen Verständnis1 führen reine Planungs-, Überwachungs- und Inbetriebnahmetätigkeiten nicht zu einer Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO bzw. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA, sondern fallen allenfalls in den Anwendungsbereich der festen Geschäftseinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA bzw., soweit in dem jeweils einschlägigen DBA enthalten,2 der Dienstleistungsbetriebsstätte. Der Charakter dieser Geschäftsaktivitäten entspricht aber weitestgehend der Definition einer Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV.3 Eine abweichende Behandlung ist daher nicht sachgerecht. Dies gilt ferner auch für betriebsstättenbegründende Wartungs- und Reparaturverträge4 sowie Beratungs- und sonstige technische Dienstleistungen. Trotz dieser Klarstellung kann es im Einzelfall dennoch zu Abgrenzungsproblemen kommen. Insbesondere bei Langzeitwartungsverträgen kann sich die Vertragslaufzeit im Ausnahmefall auf 25 teils sogar 40 Jahre belaufen. Insofern ist fraglich, ob hier nicht doch ausnahmsweise eine Dauerbetriebsstätte anzunehmen wäre, obschon auch diese Betriebsstätten „zur Durchführung eines einzelnen (Dienstleistungs-)Vertrags entstehen und nach Abschluss dieses Vertrags enden“ (s. Rz. 13.10), so dass nach der hier vertretenen Auffassung nicht die Vertragslaufzeit, sondern die Funktionsgleichheit als das entscheidende Kriterium zu werten ist.5

13.14 Zeitlicher Anwendungsbereich. Abweichend von der allgemeinen Anwendungsregelung des § 40 BsGaV enthält § 34 BsGaV eine großzügige Übergangsregelung. Diese soll insbesondere bei bereits vor dem 1.1.20136 bestandenen Bau- und Montagebetriebsstätten eine u.U. kostenintensive Umstellung für den Steuerpflichtigen verhindern. Nach § 34 Abs. 1 BsGaV soll demnach grundsätzlich für diese (Alt-)Betriebsstätten die bis dato angewendete Gewinnermittlungsmethode bis zu deren Beendigung genutzt werden dürfen, soweit die Gewinnermittlung auf Basis der bisher seitens der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze (der VWG Betriebsstätten) erfolgte. Dies gilt im Übrigen auch für einen nach dem 1.1.2013 abgeschlossenen Anschlussvertrag (s. Rz. 13.17), so dass die bisherige Gewinnermittlungsmethode einheitlich für das Gesamtprojekt angewendet werden kann.7 Darüber hinausgehend 1 Siehe den Vorbehalt Deutschlands in Art. 5 Rz. 172 OECD-MK 2017: „Germany […] takes the view that business activities limited to on-site planning and supervision over a construction project can only constitute a permanent establishment if they meet the requirements specified in paragraph 1 of Article 5.“ Dies entspricht im Übrigen der in den VWG Betriebsstätten geäußerten Auffassung der Finanzverwaltung (s. VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.2). 2 Vgl. bspw. Art. 5 Abs. 3 Buchst. b DBA Deutschland-China und DBA Deutschland-Türkei. 3 Funktions- und risikoarme Betriebsstätte, die nur aufgrund des Kundenvertrags entsteht und nach dem Abschluss der Tätigkeiten endet; siehe zu Betriebsstätte ohne Personalfunktion (sog. funktionslose Betriebsstätten) explizit BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/ 19/10010:003 – DOK 2019/1018207, BStBl. II 2020, 84. 4 VWG BsGa, Rz. 357; Seeleitner/Sennewald/Müller, IStR 2017, 1014. 5 Die Verwaltung hat in diesem Zusammenhang ein konkretisierendes Beispiel aufgenommen, wonach ein Wartungsvertrag mit einer Laufzeit v. 5 Jahren als (noch) in den Anwendungsbereich fallend angesehen wird (VWG BsGa, Rz. 357, Fall – funktionsähnliche Betriebsstätte). 6 Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 1 Abs. 5 AStG. 7 VWG BsGa, Rz. 383 (Fall 1).

390 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.16 Kap. 13

kann für in den Jahren 2013 und 2014 begründete Bau- und Montagebetriebsstätten hinsichtlich der Gewinnabgrenzung auch dann noch von einer Umstellung auf den AOA abgesehen werden, wenn die Betriebsstättenkalkulation auf Grundlage der bislang von den Finanzbehörden anerkannten steuerlichen Grundsätze erfolgte und eine Umstellung auf den AOA der bisherigen Gewinnabgrenzung die Grundlage entziehen würde. Selbiges soll entsprechend bei Bau- und Montagebetriebsstätten gelten, die zwar nach dem 31.12.2014, aber vor dem Ablauf des abweichenden Wirtschaftsjahrs 2014/2015, entstanden sind. Beispiel 1: Abweichendes Wirtschaftsjahr: Die M-AG erhält den Auftrag ein Kraftwerk in Vietnam zu errichten. Hierdurch begründet sie im September 2015 eine Bau- und Montagebetriebsstätte i.S.d. § 30 BsGaV. Die M-AG hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1.10.–30.9. Die Betriebsstätte ist zwar nach dem 31.12.2014, aber vor Ablauf des abweichenden Wirtschaftsjahrs 2014/2015 (30.9.2015) entstanden. Daher kann die M-AG nach § 34 Abs. 2 BsGaV noch die bisher von der Finanzverwaltung anerkannten Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung anwenden.

3. „Multifunktionsbetriebsstätte“ Isolierte Betrachtungsweise. Mangels Tochtergesellschaften verfügen gerade auch 13.15 mittelständische Bau- und Montageunternehmen oftmals über feste Geschäftseinrichtungen, die im anderen Staat eine Betriebsstätte i.S.d. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA begründen. Diese Einrichtungen werden u.a. zur Wahrnehmung von Vertriebsaktivitäten gegründet. Wird nunmehr zur Abwicklung eines Bau- und Montagevertrags eine Montagebetriebsstätte im selben Staat begründet, deren steuerpflichtiges Einkommen ggf. nach dem nationalen Steuer- bzw. Verfahrensrecht sogar zusammen mit den Gewinnen aus den Vertriebsaktivitäten der festen Geschäftseinrichtung in einer konsolidierten Betriebsstättensteuererklärung erfasst werden muss, stellt sich die Frage, ob für Zwecke der Steuerfreistellung in Deutschland die andere Geschäftstätigkeit auf die Bau- und Montagebetriebsstätte dergestalt abfärbt, dass für sämtliche Tätigkeiten die Einkünfte nach den allgemeinen Regeln der §§ 1–17 zu ermitteln wären. In der Begründung zu § 30 Satz 1 BsGaV sowie Rz. 344 der VWG BsGa wird dies abgelehnt und stattdessen zutreffend einer isolierten Betrachtungsweise gefolgt. Denn auch der Betriebsstättenstaat wird eine separate Gewinnermittlung je nach Geschäftsaktivität fordern. Des Weiteren kann die rein verfahrensrechtliche Regelung, dass sämtliche in einem Staat erzielte Betriebsstättengewinne in einer Steuererklärung konsolidiert zu berichten sind, keinen Einfluss auf die materiell-rechtliche Gewinnermittlung der jeweiligen Geschäftsaktivitäten haben. Rechtsfolgen für die Gewinnermittlung. Übt eine Bau- und Montagebetriebsstätte 13.16 auch eine andere Geschäftstätigkeit aus, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erledigung des Bau- und Montagevertrags steht, führt die isolierte Betrachtungsweise dazu, dass die Einkünfte aus der anderen Geschäftstätigkeit nach den allgemeinen Regeln der §§ 1–17 BsGaV zu ermitteln sind. Dies bedeutet auch, dass soweit neben einer eigenständig zu beurteilenden Bau- und Montagebetriebsstätte (zusätzlich) eine feste Geschäftseinrichtung des Bau- und MontageunternehSennewald 391

Kap. 13 Rz. 13.16 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

mens (§ 12 Satz 1 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA) besteht, die die Arbeiten der verschiedenen Bau- und Montagebetriebsstätten koordiniert, der Gewinn (nur) der festen Geschäftseinrichtung nach den allgemeinen Regeln zu ermitteln (§§ 1–17 BsGaV) ist.1 4. Abgrenzung Anschluss- und Folgevertrag

13.17 Begriffsbestimmung. Soweit ein Bau- und Montageunternehmen bereits über eine Bau- und Montagebetriebsstätte in einem Staat verfügt und einen weiteren Bau- und Montagevertrag im selben Staat abschließt, ist zu prüfen, ob dieser weitere Vertrag zu einer neuen und selbständig zu beurteilenden Bau- und Montagebetriebsstätte führt (Folgevertrag) oder ob dieser (als Anschlussvertrag) ein Teil der bereits bestehenden Betriebsstätte ist. 13.18 Zuordnung zur Betriebsstätte. Ein Anschlussvertrag ist nach Rz. 343 VWG BsGa dann gegeben, wenn ein örtlicher und sachlicher Zusammenhang mit einer vorher bereits existierenden Bau- und Montagebetriebsstätte (z.B. Gesamtprojekt mit demselben Kunden) besteht. Liegt kein derartiger Zusammenhang vor, ist im Umkehrschluss ein Folgevertrag anzunehmen. Dieser Ansatz steht auch im Einklang mit der h.M. hinsichtlich der Berechnung der Betriebsstättenschonfrist des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA bei zeitlich nebeneinander bzw. aufeinanderfolgenden Bauausführungen.2 Dennoch kann die Abgrenzung im konkreten Einzelfall für den Steuerpflichtigen schwierig sein: Beispiel 2: Folgevertrag: Das inländische Unternehmen X erhält den Auftrag vom Kunden C, mehrere Magnetresonanztomographen (MRT) an sein Krankenhaus im Staat Y zu liefern, zu installieren und in Betrieb zunehmen. Die Räumlichkeiten des Krankenhauses müssen dafür umfangreich umgebaut, Wände eingerissen und Fundamente gegossen werden. Sämtliche Bautätigkeiten führt Unternehmen X mit eigenem Personal durch. Die Bau- und Montagearbeiten überschreiten die maßgebliche Montagebetriebsstättenschonfrist von 6 Monaten gemäß DBA zwischen Staat D und Staat Y. Zwei Monate nach Abschluss der Bauarbeiten vergibt Kunde C einen weiteren Auftrag an X für die Lieferung, den Aufbau und die Inbetriebnahme von zwei Röntgengeräten in einem völlig abgetrennten anderen Bereich des Krankenhauses. Für den Aufbau und die Inbetriebnahme sind keinerlei Veränderungen an den Räumlichkeiten vorzunehmen. Es muss lediglich ein Verbindungskabel zwischen zwei Räumen verlegt werden. Die Tätigkeiten im Staat Y belaufen sich auf lediglich 2 Wochen. Es kann durchaus strittig sein, ob es sich hinsichtlich der Lieferung und des Einbaus der Röntgengeräte um einen Anschlussvertrag handelt. Zwar besteht ein örtlicher Zusammenhang, wenn man das Krankenhaus als einen einheitlichen Ort beurteilt. Auch ist der Kunde in beiden Fällen derselbe. Allerdings erfolgt die Investitionsentscheidung zwei Monate nach Abschluss des ersten Bau- und Montagevertrags. Zudem betrifft der nachfolgende Vertrag einen separaten Bereich des Krankenhauses sowie eine andere Technologie, so dass dieser als Folgevertrag zu qualifizieren und nicht in die bereits bestehende Bau- und Montagebetriebsstätte einzubeziehen ist. 1 VWG BsGa, Rz. 344. 2 Art. 5 Rz. 51 Satz 3 OECD-MK 2017; Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 99 u. 100; a.A. BFH v. 16.12.1998 – I R 74/98, BStBl. II 1999, 365 = FR 1999, 662 zu § 12 Satz 2 Nr. 8 AO.

392 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.21 Kap. 13

5. ARGE und Konsortium Formen der Zusammenarbeit. Die erfolgreiche Realisierung großer Bauvorhaben 13.19 bedarf häufig der Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen. Zum einen, weil für Turnkey-Verträge ein Unternehmen nicht immer alle erforderlichen Kompetenzbereiche (wie z.B. Montage, Planung, Engineering, Tiefbauarbeiten etc.) abdecken kann. Zum anderen wünschen die Kunden aus haftungsrechtlichen Gründen (gesamtschuldnerische Haftung) den Zusammenschluss der Auftragnehmer. Die hierbei gängigsten Formen der Zusammenarbeit stellen die Arbeitsgemeinschaft (ARGE)1 und das (offene) Konsortium dar. Begriffsbestimmung. Der Begriff ARGE ist gesetzlich nicht normiert. Allgemein 13.20 wird unter der ARGE der Zusammenschluss von Unternehmern zum Zweck der gemeinsamen Ausführung eines Auftrags verstanden.2 Anwendbare Vorschriften. Regelmäßig liegt im Fall der ARGE eine Mitunterneh- 13.21 merschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vor, wobei die Bezeichnung für die Annahme einer Mitunternehmerschaft unerheblich ist.3 Für eine ARGE, deren alleiniger Zweck in der Erfüllung eines einzigen Werkvertrags (§ 631 BGB) oder Werklieferungsvertrags (§ 651 Abs. 1 S. 1 BGB) besteht, ist weder eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchzuführen (§ 180 Abs. 4 AO), noch ist eine solche gem. § 2a GewStG gewerbesteuerpflichtig. Im Ergebnis ist damit für ertragsteuerliche Zwecke die Besteuerung bei den Gesellschaftern (ARGE-Partnern) vorzunehmen. Im Bereich der Bauindustrie schließt üblicherweise die ARGE den Bau- und Montagevertrag mit dem Auftraggeber. In diesem Fall tritt die ARGE als Außengesellschaft in Erscheinung (Außen-ARGE).4 Soweit die ARGE hierbei für die Durchführung der Bauarbeiten Baugeräte, Baufahrzeuge, Kräne etc. von ihren Partnern bezieht, tritt die ARGE mit diesen in schuldrechtliche Beziehungen ein (Miete, Kauf). Wird die ARGE zur Durchführung des Bau- und Montagevertrags durch die ARGEPartner tätig, können ggf. neben der Bau- und Montagebetriebsstätte der ARGE auch für die ARGE-Partner (zusätzliche) Betriebsstätten entstehen.5

1 Winnefeld in Winnefeld, Bilanz-Handbuch5, Kap. L, Rz. 184. 2 Drüen in Blümich, § 2a Rz. 15 GewStG (Stand: August 2019). 3 Vielmehr sind die Vertragsbedingungen, die die Zusammenarbeit zwischen den Partnern regeln, maßgeblich. So auch OECD, The application of the OECD Model Tax Conventions to Partnerships, Issues in International Taxation No. 6, Paris 1999, Rz. 81. 4 Winnefeld in Winnefeld, Bilanz-Handbuch5, Kap. L, Rz. 184. 5 VWG BsGa, Rz. 345; Hierzu ist anzumerken, dass die ARGE regelmäßig nicht als Person des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA angesehen wird. Allerdings ist für die Frage der Betriebsstättenbegründung die Fristüberschreitung nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA auf Ebene der ARGE und nicht der ARGE-Partner zu beantworten, so dass die Gesamtanwesenheitsdauer aller ARGE-Partner für die Fristberechnung maßgeblich ist. Dies kann dazu führen, dass auch für die ARGE-Partner eine (anteilige) Betriebsstätte angenommen wird, wenn dieser isoliert betrachtet die Betriebsstättenfrist aufgrund seiner eigenen Anwesenheitsdauer nicht überschreitet (vgl. Art. 5 Rz. 56 OECD-MK 2017); Wassermeyer/Lang/ Schuch, Doppelbesteuerung, Rz. 145 zu. Dieser Umstand muss im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung eine entsprechende Reflexion finden.

Sennewald 393

Kap. 13 Rz. 13.22 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

13.22 Vereinfachungsregelung. Die deutsche Finanzverwaltung will zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen zwischen der Anwendung von § 1 Abs. 1 AStG und der Anwendung von § 1 Abs. 5 AStG aus Vereinfachungsgründen nicht beanstanden, dass abweichend vom Grundverständnis der Bau- und Montagevertrag nicht der ARGE, sondern den ARGE-Partnern unmittelbar zugeordnet wird, wenn durch diese Vereinfachung keine internationalen Besteuerungskonflikte mit anderen Staaten entstehen.1 Es wird bei Anwendung dieser Vereinfachungsregel jedoch unterstellt, dass jeder ARGE-Partner selbst eine eigene Bau- und Montagebetriebsstätte unterhält, deren Gewinn nach §§ 30 ff. BsGaV und insbesondere nach § 32 BsGaV zu ermitteln ist. Der Verweis auf § 32 BsGaV impliziert, dass die Vereinfachungsregel also nur bei Routinebetriebsstätten Anwendung finden soll. 13.23 Unterschied zum Konsortium. Demgegenüber bilden die im Bereich der Montageindustrie häufig genutzten Konsortialstrukturen keine Mitunternehmerschaft nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.2 Denn anders als bei der Außen-ARGE schließen hier die Konsortialpartner mit dem Auftraggeber direkte Verträge über bestimmte Teilabschnitte eines Vorhabens. Es bestehen dann unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und den jeweiligen einzelnen Mitgliedern, so dass die Konsortialpartner direkt hinsichtlich der selbst erbrachten Lieferungen und Leistungen verantwortlich sind.3 Es wird daher keine gemeinsame Zweckverfolgung hinsichtlich des Projekts angenommen. Es erfolgt auch keine Aufteilung eines etwaigen Gewinns oder Verlusts des Gesamtprojekts zwischen den Konsortialpartnern.4 Vielmehr sind sowohl die erzielten Umsatzerlöse als auch die erforderlichen Sach- und Personalaufwendungen für diese Leistungen dem jeweiligen Konsortialpartner direkt und vollständig zuzurechnen. Die Schlussfolgerung der Rz. 346 BsGa, der Bau- und Montagevertrag sei im Regelfall nicht dem Konsortium, sondern den Konsortialpartnern zuzuordnen, ist somit folgerichtig. Diesem Gedankengang folgend muss für jeden Konsortialpartner separat (und nicht für das Konsortium) geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine Bau- und Montagebetriebsstätte erfüllt sind und inwieweit dieser ein Gewinn oder Verlust zuzurechnen ist.5

1 2 3 4

VWG BsGa, Rz. 345. VWG BsGa, Rz. 346. Winnefeld in Winnefeld, Bilanz-Handbuch5, Kap. L, Rz. 185. Daran ändert auch die Vereinbarung einer gesamtschuldnerischen Haftung nichts, wird doch hierdurch nur sichergestellt, dass sich der Auftraggeber zwar im Schadensfall an jeden Konsortialpartner halten kann, im Endergebnis aber aufgrund des Ausgleichs im Innenverhältnis nur der Konsortialpartner dafür die finanziellen Konsequenzen tragen muss, der den Schaden auch tatsächlich verursacht hat. 5 VWG BsGa, Rz. 346.

394 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.25 Kap. 13

II. Besondere Zuordnungsregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten (§ 31 BsGaV) 1. Zuordnung v. Personalfunktionen Zweistufiger Ansatz. Auch für die Gewinnabgrenzung von Bau- und Montagebe- 13.24 triebsstätten ist dem zweistufigen Ansatz zu folgen, wonach – in einem ersten Schritt die Identifikation von wesentlichen Personalfunktionen (s. hierzu Rz. 7.70 ff.) (sog. „significant people functions“) auf Basis einer Funktionsanalyse mit anschließender Zuordnung von Risiken, Wirtschaftsgütern und Eigenkapital und – in einem zweiten Schritt die Annahme und fremdvergleichskonforme Abrechnung (wie unter selbständigen Unternehmen) von fiktiven internen Leistungsbeziehungen/Transaktionen (sog. „dealings“) auf Basis von erkennbaren wirtschaftlichen Vorgängen (z.B. Verrechnung von Mieten) erfolgen muss. Identifikation der wesentlichen Personalfunktionen. Zunächst müssen die maß- 13.25 geblichen Personalfunktionen nach § 4 BsGaV anhand einer Funktionsanalyse identifiziert und entweder dem übrigen Unternehmen oder der Betriebsstätte zugeordnet werden. Bei dem Ausdruck „Funktion“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der weder im Gesetz noch in der Verordnung definiert wird.1 § 2 BsGaV erläutert lediglich beispielhaft, was unter dem Begriff der Personalfunktion zu verstehen ist. So sind dies nach § 2 Abs. 3 BsGaV Geschäftstätigkeiten, die vom eigenen Personal des Unternehmens für das Unternehmen ausgeübt werden. Unter die weit zu fassende Begrifflichkeit der Personalfunktion fallen u.a. Geschäftstätigkeiten wie Nutzung, Anschaffung, Herstellung, Verwaltung und die Veräußerung etc. Die Aufzählung der Geschäftstätigkeiten ist nicht abschließend2 und nur unzureichend konkretisiert. Daher müssen diese, um eine Zuordnung der maßgeblichen Personalfunktion vornehmen zu können, mit Hilfe einer Funktions- und Risikoanalyse ermittelt werden. Hierfür ist es sinnvoll, die genannten maßgeblichen Geschäftstätigkeiten in präzisierende Untertätigkeiten aufzuspalten. Je detaillierter das Aufbrechen der Funktionen und Tätigkeiten erfolgt, umso genauer kann die Bewertung erfolgen. Bauplanung/Engineering – – – –

Basic Data Basic Engineering Detailed Engineering Auswahl geeigneter Subunternehmer, Projektpartner und Lieferanten

Auftragsgewinnung – Angebotserstellung auf Grundlage des Engineering – Vertragsverhandlungen

1 Siehe u.a. Hentschel/Kraft, IStR 2015, 193 (193 f.); Stein, Verlagerung von Forschungsund Entwicklungsfunktionen in multinationalen Konzernen, S. 78–83. 2 Vgl. Begründung zu § 2 Abs. 3 Satz 2 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 46.

Sennewald 395

Kap. 13 Rz. 13.25 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Baufinanzierung und -versicherung – Versicherung des Projekts (bspw. Exportkreditversicherung, Hermes-Deckung) – Finanzierung des Projekts (KfW, Weltbank, eigene Finanzierungsunterstützung für den Kunden) Bauausführung und Montage – – – –

Montagearbeiten Inbetriebnahme Überwachung der Subunternehmer Projektmanagement (kaufmännisch und technisch) – Probebetrieb/Abnahmetests – Nacharbeiten

Materialbeschaffung – – – – –

Beauftragung von Lieferanten Lieferantenmanagement Herstellung von selbst produzierten Teilen Lagerung Transportmanagement After Sales Management

– Entwicklung von Schulungsmaterial – Durchführung von Kundenschulungen – Abarbeitung von Mängelrügen (sog. List of Open Points) nach Abnahme, Gewährleistungsfällen – Wartungsverträge (sog. Extended Warranty)

Abb. 1: Beispiel für eine Aufgliederung von Geschäftstätigkeiten bei Bau- und Montagebetriebsstätten

13.26 Eigenes Personal. Die Auslegung des Ausdrucks „eigenes Personal“ war während des Verordnungsgebungsverfahrens umstritten. Zunächst wurde hierunter nur jede natürliche Person, die auf Grund einer gesellschaftsvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit dem Unternehmen für das Unternehmen tätig wird, verstanden (§ 2 Abs. 4 Satz 1 BsGaV). Diese Auslegung wäre jedoch zu kurz gegriffen und hätte in vielen Fällen zu einem erheblichen und unsachgerechten Verlust an Steuerfreistellungs- bzw. Anrechnungsvolumen in Deutschland geführt. Vor allem im Bereich der Bau- und Montageindustrie ist es üblich, und aufgrund von in vielen Fällen nur in bestimmten Ländern lokalisierten Experten unerlässlich, Konzernmitarbeiter an die die Bau- und Montagearbeiten ausführende Gesellschaft im Wege der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung zu verleihen.1 Diese damit zusammenhängenden Personalkosten wären mit dem ursprünglich angedachten Wortlaut unberücksichtigt geblieben. Die endgültige Fassung der BsGaV erfährt aber nunmehr in § 2 Abs. 4 Satz 2 BsGaV eine Klarstellung, wonach „eine natürliche Person […] auch dann zum eigenen Personal des Unternehmens [gehört], wenn ein anderes Unternehmen sich vertraglich verpflichtet hat, die natürliche Person dem Unternehmen als Personal zu überlassen und sich die Verpflichtung auf die Überlassung beschränkt.“ Weiterhin sind separat beauftragte Subunternehmer nicht als eigenes Personal i.S.d. Begriffs der Personalfunktion anzusehen (s. Rz. 13.59). 13.27 Zuordnungskriterien. Nach § 4 Abs. 1 BsGaV erfolgt die Zuordnungsentscheidung bzgl. der Personalfunktion zu der Betriebsstätte, in der die Personalfunktion ausgeübt wird. Eine Zuordnung zur Betriebsstätte muss dann jedoch unterbleiben, wenn es an einem sachlichen Bezug zur Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte mangelt und die

1 Vgl. BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341 - 20/01, BStBl. I 2001, 796 (VWG-Arbeitnehmerentsendung); BMF v. 3.5.2018 – IV B 2 – S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643 Rz. 128 ff.; Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, Art. 15 OECD-MA Rz. 117.

396 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.29 Kap. 13

Personalfunktion an weniger als 30 Tagen innerhalb eines Wirtschaftsjahrs in dieser Betriebsstätte ausgeübt wird. Beispiel 3: Arbeitnehmerentsendung: Das Montageunternehmen A errichtet im Staat B ein schlüsselfertiges Kraftwerk und begründet damit eine Bau- und Montagebetriebsstätte. Hierfür setzt A 50 eigene Mitarbeiter auf der Betriebsstätte für Montagetätigkeiten ein. Aufgrund mehrerer gleichzeitiger Bauvorhaben müssen die Mitarbeiter häufig rotiert werden, so dass 20 Mitarbeiter weniger als 30 Tage pro Wirtschaftsjahr auf dieser Betriebsstätte tätig werden. Zudem entleiht A von dem im Staat C ansässigen Konzernunternehmen X 10 Mitarbeiter im Wege der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung. Unternehmen A kann der Betriebsstätte das dort für Montagearbeiten tätig werdende eigene Personal zuordnen. Hierzu zählen zum einen die bei A angestellten Mitarbeiter (§ 2 Abs. 4 Satz 1 BsGaV), aber auch die von X überlassenen Mitarbeiter nach § 2 Abs. 4 Satz 2 und 3 BsGaV. Auch berücksichtigt werden dürfen die nur kurzfristig (unter 30 Arbeitstagen) auf der Betriebsstätte tätigen Mitarbeiter (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BsGaV). Diese Personalfunktionen haben aufgrund der Montagetätigkeiten einen sachlichen Bezug (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BsGaV) zur Betriebsstätte. Die Anwesenheitsdauer ist daher unerheblich. Der Personalaufwand für alle 60 Mitarbeiter ist mithin der Betriebsstätte zuzuordnen.

Funktionsaufteilung. Wird die maßgebliche Personalfunktion von unterschiedli- 13.28 chen Personen in verschiedenen Betriebsstätten gleichzeitig ausgeübt, liegt eine sog. Funktionsaufteilung vor. Die Aufteilung soll grundsätzlich nach qualitativen Kriterien (d.h. in welcher Betriebsstätte der bedeutendste Teil der maßgeblichen Personalfunktion ausgeübt wird) erfolgen. Nur soweit die Ausübung der maßgeblichen Personalfunktion in verschiedenen Betriebsstätten qualitativ gleichwertig ist, kann ausnahmsweise nach quantitativen Gesichtspunkten1 entschieden werden. Die vorgenommene Zuordnung muss vom Steuerpflichtigen nachvollziehbar dokumentiert werden. Maßgeblichkeit der Personalfunktion. Die weitere Frage, ob eine Personalfunktion 13.29 als maßgeblich anzusehen ist, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls und dem konkreten Bezug der Personalfunktion zum Zuordnungsgegenstand ab. Jedenfalls nicht entscheidend ist hierbei die Hierarchiestufe im Bau- und Montageunternehmen.2 Personalfunktionen mit lediglich unterstützendem Charakter bzw. Personal mit Strategiefunktionen (allgemeine Geschäftspolitik) sind ebenfalls nicht als maßgeblich zu qualifizieren. Beispiel 4: Maßgebliche Personalfunktion: Die M-AG hat in Italien eine Betriebsstätte in der Form einer festen Geschäftseinrichtung (Art. 5 Abs. 1 DBA Deutschland-Italien). Der Mitarbeiter A der M-AG nimmt dort an einem vom Betriebsstättenpersonal durchgeführten „Lessons Learned“-Workshop teil. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse soll A in einem neu akquirierten Bau- und Montageprojekt in Norwegen einsetzen. Die Teilnahme von A an dem Workshop führt aufgrund des fehlenden sachlichen Zusammenhangs gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV nicht zur Annahme einer Personalfunktion der italienischen Betriebsstätte. Die anteiligen Personalkosten sind daher nicht der Betriebsstätte in

1 VWG BsGa, Rz. 42; gilt entsprechend für immaterielle Werte, s. ebenda, Rz. 90. 2 VWG BsGa, Rz. 40.

Sennewald 397

Kap. 13 Rz. 13.29 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Italien zuzuordnen. Folglich wird A auch nicht nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. c DBA Deutschland-Italien in Italien lohnsteuerpflichtig.

2. Zuordnung von materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern, Vermögenswerten sowie Chancen und Risiken

13.30 Abweichende Zuordnungsregelung. Nach den allgemeinen Zuordnungsregelungen für materielle Wirtschaftsgüter des § 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV soll allein die Nutzung die maßgebende Personalfunktion sein. Für Bau- und Montagebetriebsstätten sieht § 31 Abs. 1 BsGaV eine hiervon abweichende Regelung vor. Der Verordnungsgeber begründet die Notwendigkeit hierfür damit, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte aufgrund ihres temporären Charakters regelmäßig keine materiellen Wirtschaftsgüter anschafft bzw. diese nicht dauerhaft (bis zum Verbrauch) nutzt.1 Vielmehr erfolgt die Anschaffung bzw. Herstellung durch die maßgeblichen Personalfunktionen des übrigen Unternehmens. 13.31 Zusätzliche Voraussetzungen. § 31 Abs. 1 BsGaV ordnet daher konsequent als weitere Voraussetzung für die Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern zur Bauund Montagebetriebsstätte an, dass neben der Nutzung zusätzlich auch Personalfunktionen ausgeübt werden müssen, die im Zusammenhang mit der Anschaffung, der Herstellung, der Veräußerung oder der Verwertung des materiellen Wirtschaftsguts stehen und diese Funktionen andere im Zusammenhang mit den Wirtschaftsgütern ausgeübte Funktionen des übrigen Unternehmens eindeutig überwiegen.2 13.32 Unentgeltliche Beistellung. Können diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, ist das materielle Wirtschaftsgut (weiterhin) dem übrigen Unternehmen zuzuordnen. Es wird dann fingiert, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte das materielle Wirtschaftsgut lediglich zur Erfüllung der gegenüber dem übrigen Unternehmen zu erbringenden Dienstleistung (Erledigung der Bau- und Montagearbeiten) nutzt. Daraus folgend wird ein Eigeninteresse des übrigen Unternehmens an der erfolgreichen Erledigung der Bau- und Montagearbeiten durch die Betriebsstätte unterstellt. Die Nutzungsüberlassung des materiellen Wirtschaftsguts soll daher folgerichtig weder einen fiktiven Verkauf noch eine Vermietung an die Betriebsstätte darstellen, sondern als „unentgeltlich beigestellt“ gelten (§ 31 Abs. 2 BsGaV). 13.33 Keine Entstrickung. Mit der Fiktion der unentgeltlichen Beistellung erreicht der Verordnungsgeber, dass in einer Vielzahl von Fällen materielle Wirtschaftsgüter nicht der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen sind, was letztlich zu einer Minderung des in Deutschland freizustellenden Betriebsstättengewinns führt.3 Hierdurch 1 Begründung zu § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 125 f. 2 Mangels Definition ist in diesem Kontext unklar, wann ein „eindeutiges Überwiegen“ gegeben ist. Der Steuerpflichtige ist daher gehalten, eine überzeugende Argumentation über die Funktions- und Risikoanalyse zu dokumentieren. 3 Soweit der Betriebsstättenstaat eine Zuordnung zur Betriebsstätte vornehmen würde, erhöhen sich bei der Kostenaufschlagsmethode die Kostenbasis und damit der zu versteuernde Gewinn entsprechend.

398 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.35 Kap. 13

wird aber andererseits auch eine Entstrickung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG1 infolge eines Verlusts des deutschen Besteuerungsrechts vermieden. Unentgeltliche Beistellung als pragmatische Lösung. Zwar geht die Schaffung des 13.34 (nicht weiter definierten) Instituts der unentgeltlichen Beistellung nicht mit dem Grundgedanken des AOA konform, nach dem sämtliche dealings zwischen übrigem Unternehmen und Betriebsstätte identifiziert und fremdüblich bepreist werden müssen. Zudem führen die Nutzung einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe sowie die partielle Abkehr vom Fremdvergleichsgrundsatz letztlich zu Rechtsunsicherheiten und erhöhen das Risiko der Doppelbesteuerung, sollte der Betriebsstättenstaat den Fremdvergleich und den AOA davon abweichend interpretieren. Dennoch muss dieser rechtstheoretisch berechtigten Kritik aus Sicht der Praxis entgegengehalten werden, dass dem Steuerpflichtigen hiermit die enorm aufwendige Erfassung, Bewertung und Dokumentation unzähliger „dealings“ erspart wird. Die Anwendung der allgemeinen Zuordnungsregelung würde bedeuten, dass der Steuerpflichtige jedes einzelne in der Betriebsstätte genutzte Wirtschaftsgut in einem zusätzlichen Inventar aufnehmen und die gemeinen Werte, Anschaffungskosten sowie die Abschreibungen und Nutzungsdauern ermitteln müsste. Bedenkt man in diesem Zusammenhang auch, dass die Wirtschaftsgüter nach Beendigung der Betriebsstätte im Regelfall von dieser nicht veräußert, sondern künftig wieder von dem übrigen Unternehmen genutzt werden, wären eine erneute Zuordnungsänderung sowie weitere fiktive (Rück-)Veräußerungen mit allen Konsequenzen zu berücksichtigen. Abschließend bleibt daher festzuhalten, dass die Annahme einer unentgeltlichen Beistellung in § 31 Abs. 2 BsGaV trotz einiger Unschärfen2 eine für viele Fälle geeignete und pragmatische Lösung darstellt, die aber durch ein erhöhtes Doppelbesteuerungsrisiko erkauft wird. Kein Eigeninteresse bei komplexer Betriebsstätte. Das Institut der unentgeltlichen 13.35 Beistellung kann denklogisch nur für Betriebsstätten mit einem geringen Funktionsund Risikoprofil gerechtfertigt werden, bei denen eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode Anwendung findet. Bei einer Betriebsstätte mit einem stärker ausgeprägten Funktions- und Risikoprofil lässt sich das angenommene Eigeninteresse an der unentgeltlichen Überlassung durch das übrige Unternehmen unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes nicht mehr begründen. In diesem Fall ist die Nutzungsüberlassung fremdüblich zu vergüten.3 Dies gilt im Ausnahmefall auch für Routinebetriebsstätten, in denen die Wirtschaftsgüter dauerhaft, bis zum wirtschaftlichen Verbrauch, genutzt werden.4

1 Und somit eine Aufdeckung stiller Reserven. Siehe hierzu Rz. 9.9 und Rz. 10.50. 2 Zustimmend: Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159; Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (599); wohl ablehnend Neumann-Tomm, IWB 5/2015, 166; Neumann-Tomm, IStR 2014, 806. 3 Insbesondere im Fall der komplexen Betriebsstätte nach § 33 Abs. 1 BsGaV (so auch Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159; Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595 (599); vgl. § 31 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. 4 Vgl. Begründung zu § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 125 f.

Sennewald 399

Kap. 13 Rz. 13.35 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Beispiel 5: Unentgeltliche Beistellung: Die D-GmbH wird damit beauftragt einen Tunnel in Österreich zu bauen. Aufgrund der Dauer der Bauarbeiten begründet die D-GmbH in Österreich eine Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO sowie Art. 5 Abs. 3 DBA Deutschland-Österreich. Für die Bautätigkeiten nehmen die aus Deutschland entsandten Ingenieure diverse Spezialwerkzeuge und Laptops mit. Zudem wird ein Tunnelbohrer (angeschafft von der D-GmbH) auf die Baustelle transportiert. Nach Abschluss der Bohrarbeiten erfolgt aus Kostengründen keine Rückführung des Tunnelbohrers nach Deutschland, vielmehr wird dieser im Tunnel eingemauert. Die Spezialwerkzeuge und die Laptops gelten als aus der Bau- und Montagebetriebsstätte unentgeltlich beigestellt, da hier keine über die Nutzung hinausgehenden Personalfunktionen ausgeübt werden (§ 31 Abs. 2 BsGaV). Hinsichtlich des Tunnelbohrers ist jedoch eine fiktive Veräußerung an die Bau- und Montagebetriebsstätte anzunehmen, da dieser dauerhaft bis zum wirtschaftlichen Verbrauch genutzt wird.1 Es liegt somit ein Entstrickungsfall i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. § 12 Abs. 1 KStG vor. Für die aufzudeckenden stillen Reserven gilt § 4g EStG. Der Tunnelbohrer ist in der Betriebsstätte zu aktivieren und entsprechend abzuschreiben.

13.36 Andere Vermögenswerte. Für andere Vermögenswerte wie immaterielle Wirtschaftsgüter, sonstige Vermögenswerte sowie Chancen und Risiken i.S.d. §§ 6–8 BsGaV sollen die vorgenannten besonderen Zuordnungsregelungen für materielle Wirtschaftsgüter entsprechende Anwendung finden (§ 31 Abs. 3 BsGaV). 3. Zuordnung des Bau- und Montagevertrags

13.37 Zuordnung zum übrigen Unternehmen. Für die Frage der Zuordnung des Bauund Montagevertrags stellt § 31 Abs. 4 Satz 1 BsGaV die Grundregel auf, dass dieser dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sei. Diese Annahme fußt auf der Überlegung, dass zum Zeitpunkt der Geschäftsanbahnung bzw. Kundenverhandlungen sowie des Vertragsabschlusses die Bau- und Montagebetriebsstätte regelmäßig noch nicht besteht und somit die wesentlichen Personalfunktionen in Bezug auf den Bauund Montagevertrag nach § 9 Abs. 1 BsGaV dem übrigen Unternehmen zuzuordnen seien.2 Dieses Verständnis deckt sich mit dem Regelfall in dem die Bau- und Montagebetriebsstätte von dem übrigen Unternehmen unterbeauftragt wird und ist daher systematisch zutreffend. 13.38 Abweichende Zuordnung zur Betriebsstätte. Abweichend zur Grundregel lässt § 31 Abs. 4 Satz 2 BsGaV die Zuordnung zur Bau- und Montagebetriebsstätte zu, wenn diese als das „eigentliche“ Bau- und Montageunternehmen (Entrepreneur) anzusehen ist.3 Dies gilt entsprechend auch für Anschlussverträge.4 § 31 Abs. 4 Satz 2 BsGaV lässt die Zuordnung zur Betriebsstätte zu, wenn 1 2 3 4

Begründung zu § 31 Abs. 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 125 f. So auch Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beihefter 2014, 1 (24). VWG BsGa, Rz. 354. VWG BsGa, Rz. 343 u. 354. Soweit die wesentlichen Personalfunktionen in Bezug auf den Vertragsabschluss (und der nachfolgenden Erfüllung) eines Anschlussvertrags der Bauund Montagebetriebsstätte zuzuordnen sind, muss eine (unmittelbare) Zuordnung zur Betriebsstätte erfolgen. Eine Zuordnung zunächst zum übrigen Unternehmen und einer an-

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B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.41 Kap. 13

– die bedeutsamsten Beiträge zur Wertschöpfung, die für die Erfüllung des Bauund Montagevertrags notwendig sind, durch Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte erbracht werden (§ 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BsGaV)1 oder – auf Grundlage des verwirklichten Sachverhalts aus funktionalen Gründen davon auszugehen ist, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte den Vertrag vom übrigen Unternehmen übernommen hätte, wenn sie ein selbständiges Bau- und Montageunternehmen wäre (§ 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BsGaV). Praktischer Anwendungsbereich. Aufgrund der genannten Voraussetzungen redu- 13.39 ziert sich der mögliche Anwendungsbereich von § 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 und 2 BsGaV in praxi auf die (Ausnahme-)Fälle, in denen der Schwerpunkt des gesamten Auftrags in der Bauausführung- oder Montage besteht bzw. Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte auch wesentliche Teile des Engineering erbringen. Das Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte muss also dem eines (Co-)Entrepreneurs entsprechen. Fiktive Veräußerung. In beiden Fällen wird eine fiktive Veräußerung nach § 16 13.40 Abs. 1 BsGaV des Bau- und Montagevertrags von dem übrigen Unternehmen an die Bau- und Montagebetriebsstätte angenommen, für die nach § 16 Abs. 2 BsGaV ein fremdvergleichsüblicher Veräußerungspreis anzusetzen ist. Es bleibt also im ersten Schritt dabei, dass der Vertrag (zunächst) dem übrigen Unternehmen zugeordnet wird und erst in einem zweiten Schritt (im Wege der fiktiven Veräußerung) eine Zuordnungsänderung zur Bau- und Montagebetriebsstätte erfolgt.2 Dienstleistungen des übrigen Unternehmens. Erfolgt die Zuordnung zur Bau- 13.41 und Montagebetriebsstätte, so erbringt das übrige Unternehmen nunmehr die gem. § 16 Abs. 2 BsGaV nach dem Fremdvergleich zu vergütenden Dienstleistungen gegenüber der Bau- und Montagebetriebsstätte.3 Allerdings lässt der Verordnungsgeber offen, welche Dienstleistungen hiermit konkret gemeint sind. Erfolgt die Zuordnung des Bau- und Montagevertrags zum übrigen Unternehmen, ist der Unterauftrag zur Durchführung der Bau- und Montagearbeiten grundsätzlich die einzige schuldrechtliche Beziehung. Für eine abweichende, also getrennte Behandlung der Unterstützungsleistungen des übrigen Unternehmens (wie bspw. Planungsleistungen, Visabeschaffung, Schulungen des Kunden) für den umgekehrten Fall ist kein Raum. Vielmehr ist hier ein Leistungsbündel anzunehmen, das als einheitliche fiktive Dienstleistung zu bepreisen und abzurechnen ist (§ 32 Abs. 2 BsGaV). Eine Atomisierung und damit getrennte Verrechnung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn eine gesonderte Bemessung der Vergütung einzelner Leistungsbestandteile dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechen würde (bspw. bei erheblicher Abweichung des Verrechnungspreises im Fall der Einzelvergütung und besonderen Schwierigkei-

schließenden fiktiven Veräußerung ist m.E. nicht sachgerecht, da die Betriebsstätte zum Abschlusszeitpunkt bereits besteht. 1 Vgl. auch Begründung zu § 31 Abs. 4 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 127. 2 Vgl. Begründung zu § 31 Abs. 4 Satz 2 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 127. 3 VWG BsGa, Rz. 354.

Sennewald 401

Kap. 13 Rz. 13.41 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

ten bei der Bestimmung eines einheitlichen Kostenaufschlagssatzes).1 Hinsichtlich der anzuwendenden Verrechnungspreismethode ist im Fall des § 31 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BsGaV zweifelhaft, inwieweit der Anwendungsbereich für eine kostenorientierte Methode (§ 32 Abs. 1 BsGaV) überhaupt noch eröffnet ist, gerade weil die bedeutsamsten Beiträge zur Wertschöpfung durch Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte erfolgen. Es wird hier regelmäßig die Frage zu beantworten sein, ob nicht bereits eine komplexe Betriebsstätte vorliegt (s. Rz. 13.45) und somit eine Gewinnaufteilung nach § 33 Abs. 1 BsGaV zu erfolgen hat. Dem Steuerpflichtigen ist anzuraten, die Wahl der Gewinnermittlungsmethode anhand einer im Vorhinein erstellten, detaillierten Funktions- und Risikoanalyse ausführlich zu begründen.

III. Verrechnungspreismethoden und Gewinnermittlung 1. Abgrenzung Routine- und „komplexe“ Betriebsstätte

13.42 Wahl der Verrechnungspreismethode. Für die Entscheidung, welche Verrechnungspreismethode zur Betriebsstättengewinnermittlung anzuwenden ist, muss unterschieden werden, ob die Bau- und Montagebetriebsstätte lediglich eine Routinefunktion ausübt, oder es sich um eine sog. „komplexe“ Betriebsstätte handelt. 13.43 Grundsatz. Wie bereits eingangs geschildert, stellt § 32 Abs. 1 BsGaV den Grundsatz auf, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte durch die Erfüllung der Bau- und Montagearbeiten ein lediglich (risikoarmes) Routinefunktionsprofil besitzt. Die Bauund Montagebetriebsstätte wird in diesem Fall als Subunternehmer des übrigen Unternehmens angesehen,2 dessen fiktive Dienstleistung in Form der Bau- und Montagearbeiten die mithin einzige3 anzunehmende schuldrechtliche Beziehung darstellt (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV). Die Erbringung der Bau- und Montagearbeiten soll auch dann als Routinetätigkeit anzusehen sein, wenn diese technisch schwierig und anspruchsvoll sind, während die eigentliche Wertschöpfung im übrigen Unternehmen erfolgt.4 13.44 Bewertungskonflikt. Dieser Ansatz ist grundsätzlich kritisch zu sehen, da anspruchsvolle technische Dienstleistungen durchaus einen wesentlichen Wertschöpfungsbeitrag leisten können und somit im Einzelfall einer Einordnung als Routinetätigkeit widersprechen würden. Dies birgt das Risiko einer hiervon abweichenden Interpretation ausländischer Fisken. Demnach könnten ausländische Finanzbehörden aufgrund des wertschöpfenden Charakters dieser Tätigkeiten eine höhere Gewinnzuteilung fordern (bspw. durch Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode), als sie sich aus der Anwendung der Kostenaufschlagsmethode ergibt. Eine Doppelbesteuerung ist hier die mögliche Folge. Dennoch wird nach den Vorgaben der BsGaV von einer Routinetätigkeit auszugehen sein, soweit sich aus der Funktions- und Risikoanalyse für das entsprechende Bau- und Montageprojekt ergibt, dass die Betriebs1 2 3 4

VWG BsGa, Rz. 363. So auch das bisherige Verständnis der VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.6. Begründung zu § 32 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 128. VWG BsGa, Rz. 356.

402 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.46 Kap. 13

stätte lediglich technische Dienstleistungen in Form von Bautätigkeiten und der Montage sowie Inbetriebnahme von technischen Anlagen und Einrichtungen erbringt. Diese Dienstleistungen tragen zwar einen wesentlichen Teil zu der Wertschöpfungskette des Unternehmens bei, haben jedoch keine einzigartige oder herausragende Funktion oder beinhalten besondere Risiken. Selbst wenn sie von hochqualifizierten und erfahrenen Spezialisten sowohl von eigenem Personal als auch durch Subunternehmer erbracht werden, stellen sie üblicherweise (noch) eine Routinefunktion dar. Des Weiteren sind diesen Dienstleistungen sind keine besonderen Werte des Anlagevermögens oder immaterieller Wirtschaftsgüter zuzuordnen. Sämtliche Personalfunktionen in Bezug auf wesentliche Planungen sowie strategische Entscheidungen werden von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens getroffen, während die der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnenden Personalfunktionen nur die vordefinierten und beschränkten Funktionen ausführen, so dass die Strategieführerschaft dem übrigen Unternehmen zuzuordnen ist. Voraussetzungen der komplexen Betriebsstätte. Davon abweichend sind unter 13.45 den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BsGaV die Verrechnungspreise im Verhältnis der Bau- und Montagebetriebsstätte zum übrigen Unternehmen nach einer zweiseitigen Gewinnaufteilungsmethode zu ermitteln (sog. komplexe Bau- und Montagebetriebsstätte). Grundsätzlich müssen hierfür die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung von Gewinnaufteilungsmethoden1 erfüllt sein.2 Der Verordnungsgeber leitet aus diesen ab, dass aufgrund der jeweils ausgeübten maßgeblichen Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte einerseits und dem übrigen Unternehmen andererseits vergleichbare Chancen und Risiken zuzuordnen sein müssen, und demnach sowohl bei der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch dem übrigen Unternehmen ein (Co-)Entrepreneur-Status vorliegen muss (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV).

Komplexität

Gleichwertige Funktionen. In Bezug auf das Vorliegen gleichwertiger Funktionen 13.46 i.S.d. § 33 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV stellt das BMF vor allem auf das Engineering ab.3 Im Maschinen- und Anlagebau umfasst das Engineering üblicherweise drei Komplexitätsstufen: 1. Stufe: Basic Data 2. Stufe: Basic Engineering 3. Stufe: Detail Engineering

Abb. 2: Komplexitätsgrad des Engineering

1 Vgl. OECD (2018), OECD-Verrechnungspreisleitlinien für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen 2017, Tz. 2.114 ff., https://doi.org/10.1787/9789264304529-de (im Folgenden: OECD-Leitlinien 2017). 2 Begründung zu § 33 Abs. 1 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 130. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 371 u. Rz. 356 Fall 2.

Sennewald 403

Kap. 13 Rz. 13.46 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

Unter Detail-Engineering wird im Regelfall die gewerkspezifische Auslegung und Erstellung der Konstruktionsunterlagen (in Abstimmung mit dem Kunden), die Erstellung von technischen Datenblättern, Pflichten- und Lastenheften und der detaillierten Kostenkalkulation, die Vorbereitung technischer und kaufmännischer Anfrageunterlagen, die Einholung und Auswertung von Angeboten sowie der technische Angebotsvergleich verstanden. Zur Ausführung dieser Ingenieursleistungen bedarf es Personalfunktionen mit besonderem Know-how. Des Weiteren zeigt sich in praxi häufig, dass Fehler im Detail-Engineering wesentlich zu Verzögerungen und erheblichen, nicht kalkulierten Mehrkosten (bspw. Mengenfehler, d.h. zu wenig Beton, Stahl, falsche Filtergrößen, Fehleinschätzung der Bodenbeschaffenheit – Sand statt Fels – etc.) in Projekten beitragen. Dem Detail-Engineering kommt somit in Bezug auf die Gesamtwertschöpfung und dem Projekterfolg eine erhebliche Bedeutung zu. Die Schlussfolgerung der Verwaltung, dass ein (Co-)Entrepreneurstatus vorliegen soll, soweit Teile des (Detail-)Engineerings sowohl von Personalfunktionen der Betriebsstätte als auch des übrigen Unternehmens erbracht werden, ist daher sachgerecht. Für die Annahme eines vergleichbaren Funktions- und Risikoprofils ist es unerheblich, ob diese Funktionsverteilung im Vorhinein so geplant war oder es aufgrund einer Planungsänderung erst im Laufe des Projekts zu wesentlichen Planungsund Engineeringtätigkeiten durch die Personalfunktionen der Betriebsstätte kommt.1

13.47 Einzigartige immaterielle Werte. Alternativ soll eine komplexe Bau- und Montagebetriebsstätte auch dann gegeben sein, wenn sowohl von dieser als auch vom übrigen Unternehmen einzigartige immaterielle Werte verwendet werden, die selbst entwickelt oder erworben wurden (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV). Das in der Rz. 372 VWG BsGa zur zweiten Alternative des § 33 Abs. 1 BsGaV aufzeigte Beispiel behandelt die Entwicklung einer neuartigen Technologie bzw. einzigartigem neuen Know-hows durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens und der Bauund Montagebetriebsstätte. Derartige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten werden üblicherweise im übrigen Unternehmen entweder projektunabhängig durchgeführt oder zumindest vor der finalen Angebotsabgabe abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt ist aber regelmäßig die Bau- und Montagebetriebsstätte noch nicht gegründet bzw. existent, so dass der Anwendungsbereich dieser Regelung in praxi auf wenige Einzelfälle beschränkt bleiben wird.2 13.48 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Methodenwahl. Neben den Beispielen, wann aus Sicht des BMF eine komplexe Betriebsstätte positiv vorliegen soll, enthalten die VWG BsGa auch ein Beispiel zur Negativabgrenzung.3 Dieses fokussiert sich auf den Problembereich der Erarbeitung umfangreicher technischer Lösungen im Fall von erheblichen Schwierigkeiten in der Abwicklung des Bauvorhabens. Der Entwurf der VWG BsGa v. 18.3.2016 sah noch einen u.U. folgenreichen (rückwirkenden) Wechsel der Verrechnungspreismethode im Fall der technisch aufwendigen Beseitigung von

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 356 Fall 2. 2 Vgl. Kaeser in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2010) Rz. 592; Seeleitner/Sennewald/Müller, IStR 2017, 1015. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 356 Fall 1 u. Rz. 380.

404 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.49 Kap. 13

Fehlmaßnahmen, die während der Bauausführung auftreten, vor. In der endgültigen Fassung wird nunmehr klargestellt, dass grundsätzlich nur das Funktions- und Risikoprofil zum Zeitpunkt der Betriebsstättenbegründung1 für die Einordnung als Routine- oder komplexe Betriebsstätte entscheidend ist. Lediglich im Fall der Planungsänderung ist ggf. ein Methodenwechsel bei entsprechender Änderung des Funktions- und Risikoprofils (rückwirkend) für die gesamte Dauer der Bau- und Montagebetriebsstätte durchzuführen. Dies gilt sowohl für Betriebsstätten, die ursprünglich eine Routinefunktion ausgeübt haben, als auch für komplexe Betriebsstätten.2 Praktische Abgrenzungsprobleme. In praxi wird die Abgrenzung zwischen „noch“- 13.49 Routinefunktion und „schon“ komplexe Betriebsstätte schwierig sein. Dennoch legen die BsGaV und die VWG BsGa keine klaren Vorgaben fest, wann eine Betriebsstätte nicht mehr als Routinefunktion einzustufen ist.3 Die erläuternden und konkretisierenden Beispiele der VWG BsGa können hier allenfalls eine kleine Orientierung bieten. Freudenberg/Stein/Trost4 möchten die Abgrenzung entsprechend den Hinweisen zur Unternehmenscharakterisierung in den VWG-Verfahren5 und unter Anwendung v. Tz. 2.114 ff. der OECD-Leitlinien 2017 vornehmen. Demnach würden die Voraussetzungen für eine Routinebetriebsstätte nicht mehr erfüllt sein, wenn das übrige Unternehmen und die Betriebsstätte hoch integrierte Tätigkeiten ausüben oder wertvolle immaterielle Werte im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeiten einsetzen. Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 BsGaV gibt einer derart weiten Auslegung jedoch keinen Raum, schränkt er doch die Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode auf Fälle der paritätischen Chancen- und Risikoaufteilung ein (Rz. 13.45). Hieraus wird auch deutlich, dass die deutsche Umsetzung des AOA nur unzureichend im Einklang mit den OECD-Leitlinien erfolgt. Beispiel 6: Keine Routinefunktion: Die inländische M-AG wird für den Bau einer Bahnlinie in Mexiko beauftragt. Neben der Verlegung der Gleise und der Installation der Signalanlagen liefert die M-AG auch auf mexikanische Verhältnisse angepasste Züge. Aufgrund der Dauer der Bau- und Montagearbeiten von mehr als 6 Monaten begründet die M-AG in Mexiko eine Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 DBA Deutschland-Mexiko. Die Umrüstung der aus Deutschland gelieferten Zug-Prototypen auf die spezifischen mexikanischen Anforderungen (Spurbreite, klimatische Bedingungen etc.) wird durch deutsche Spezialisten, die zur Bau- und Montagebetriebsstätte entsandt werden, erbracht. Die für die Umrüstung erforderlichen Planungs- und Engineeringarbeiten erfolgen ebenfalls durch Personalfunktionen der Betriebsstätte. Aufgrund der hohen Wertschöpfungsbeiträge und umfangreichen Planungs- und Engineeringleistungen durch die Spezialisten der Bau- und Montagebetriebsstätte ist es nicht sachgerecht, die Betriebsstätte als Routineunternehmen mit geringer Risikotragung zu qualifizieren.

1 D.h. unmittelbar vor Beginn der ersten die Betriebsstättenfrist auslösenden Tätigkeiten; vgl. Seeleitner/Sennewald/Müller, IStR 2017, 1014. 2 VWG BsGa, Rz. 380 u. 381. 3 So auch Kahle/Kindich, Ubg 2015, 595. 4 Freudenberg/Stein/Trost, ISR 2016, 159. 5 VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2.

Sennewald 405

Kap. 13 Rz. 13.49 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Folglich ist in diesem Fall die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode i.S.d. § 33 BsGaV anzuwenden. Beispiel 7: Fehlmaßnahmen: In Abwandlung des Sachverhalts in Beispiel 6 werden die wesentlichen Planungs- und Engineeringleistungen von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens erbracht. Selbiges gilt für die Erstellung der Pläne für die Umrüstung der Züge, wobei die Umrüstungsarbeiten weiterhin durch Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte erbracht werden. Während der Umrüstarbeiten wird vom Baustellenpersonal festgestellt, dass die Züge den klimatischen Anforderungen nicht standhalten. Hitzebedingte Zugsausfälle sind die Folge. Daraufhin wird eine Task Force aus Deutschland zur Vorort-Fehleranalyse nach Mexiko entsandt. Nach der Bestandsaufnahme kehren die Spezialisten zur Anpassung der Baupläne zurück nach Deutschland. Zur Verhinderung von Projektverzögerungen werden für die Nacharbeiten vor Ort weitere Mitarbeiter zur Baustelle entsandt. Aufgrund der hohen Wertschöpfungsbeiträge und umfangreichen Planungs- und Engineeringleistungen durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens ist die Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 32 Abs. 1 BsGaV als Routineunternehmen zu qualifizieren. Dies ändert sich auch nicht durch die umfangreichen und ggf. technisch aufwendigen Nachbesserungsarbeiten an den Zügen. Denn die Anpassung der Baupläne findet weiterhin durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens statt.1 Zur Frage der Zuordnung der aufgrund der Nachbesserungsarbeiten entstehenden Zusatzkosten gelten die Regelungen für Fehlmaßnahmen (s. Rz. 13.64 f.).2

13.50 Dokumentation der Methodenwahl. Zur Vermeidung von bösen Überraschungen bei der Betriebsprüfung ist es für Unternehmen von entscheidender Bedeutung, vorab anhand einer detaillierten Funktions- und Risikoanalyse festzustellen, welche Form der Betriebsstätte vorliegt und anschließend die getroffene Entscheidung nachvollziehbar, ausführlich und zeitnah zu dokumentieren (s. zur Gewinnermittlung Rz. 7.31 und zur Dokumentation Rz. 12.10 ff.). Die Bestimmung des jeweiligen Beitrags des übrigen Unternehmens und der Betriebsstätte zu einer maßgeblichen Personalfunktion muss anhand einer differenzierten Wertschöpfungsbeitragsanalyse erfolgen. In praxi hat sich gezeigt, dass es hilfreich ist, die Bedeutung einzelner ausgeübter Unterfunktionen für eine maßgebliche Personalfunktion sowohl anhand von Ertrags- und Kostenaspekten als auch von qualitativen Kriterien zu quantifizieren. Dies ermöglicht eine objektivere und nachvollziehbare Bewertung. Sinnvoll ist es dabei die Geschäftsaktivitäten zu gewichten und eine Aufteilung der Wertschöpfungsbeiträge zwischen der Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen anhand der Aufgaben, Verantwortlichkeiten und der Risikotragung vorzunehmen (s. Beispiel Rz. 13.86). 2. Die Routinebetriebsstätte (§ 32 BsGaV)

13.51 Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. Ist die Bau- und Montagebetriebsstätte anhand der Auswertung der Funktions- und Risikoanalyse als Routineunternehmen zu qualifizieren, gilt die Mitwirkung an der Erfüllung des vom übrigen Unternehmen abgeschlossenen Bau- und Montagevertrags als fiktive Dienstleistung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 2 BsGaV (Subunternehmervertrag) gegenüber dem übrigen 1 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 356 (Fall 1). 2 VWG BsGa, Rz. 360.

406 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.54 Kap. 13

Unternehmen (Rz. 9.13). Dieser Subunternehmervertrag ist die einzige anzunehmende schuldrechtliche Beziehung und umfasst grundsätzlich alle (gleichartigen) von der Betriebsstätte erbrachten Leistungen (§ 32 Abs. 2 BsGaV).1 Anzuwendende Verrechnungspreismethode. In diesem Fall ist der Verrechnungs- 13.52 preis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung durch eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode zu bestimmen.2 Zu den kostenorientierten Verrechnungspreismethoden gehören insbesondere die Kostenaufschlagsmethode3 und die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode, wenn ihre Anwendung sich an den Kosten orientiert.4 Die Anwendung dieser Methoden ist aufgrund des risiko- und funktionsarmen Profils der Bau- und Montagebetriebsstätte sachgerecht und erlaubt der Betriebsstätte, bei einem üblichen Geschäftsverlauf ihre Kosten zu decken und einen stabilen, aber geringen Gewinn zu erwirtschaften.5 Im Fall von Fehlmaßnahmen der Personalfunktionen kann im Ausnahmefall auch ein Betriebsstättenverlust erzielt werden (s. Rz. 13.65). Dieses Verständnis entspricht auch der bisherigen Verwaltungsauffassung in den VWG Betriebsstätten6 und hält dem Fremdvergleich stand. a) Kostenbasis Einzubeziehende Kosten. Für die Ermittlung des Betriebsstättengewinns müssen zu- 13.53 nächst die der Betriebsstätte zurechenbaren Kosten (Kostenbasis) und im Anschluss der hierauf anzuwendende fremdübliche Gewinnaufschlag bestimmt werden. In der Kostenbasis sind sämtliche unmittelbar durch die Personalfunktionen der Betriebsstätte verursachten Kosten zu berücksichtigen. Dies sind nach § 32 Abs. 1 Satz 3 BsGaV insbesondere die Personalkosten der nach § 4 BsGaV der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnenden Personalfunktionen. Exemplarisch werden die unmittelbaren Kosten für die eigene Montagetätigkeit, die Bauüberwachung sowie die Integration von Subunternehmern durch eigenes Personal genannt. Kosten für in der Bau- und Montagebetriebsstätte genutzte materielle Wirtschaftsgüter und sonstige Vermögenswerte werden regelmäßig aufgrund der Fiktion der unentgeltlichen Beistellung durch das übrige Unternehmen nicht angesetzt werden können (s. Rz. 13.32). Dies gilt (zunächst) auch für die Subunternehmerkosten (s. Rz. 13.59 ff. u. Rz. 13.24). Vollkostenansatz. Nach der Verordnungsbegründung sind die Vollkosten der Personalfunktionen anzusetzen.7 Die Vollkosten umfassen nach der h.M.8 die (Personal-)Einzelkosten sowie angemessene Teile der (Personal-)Gemeinkosten. In die Per1 2 3 4 5 6 7 8

VWG BsGa, Rz. 356. Vgl. § 32 Abs. 1 Satz 2 BsGaV. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 2.45 ff. Vgl. OECD-Leitlinien 2017, Tz. 2.98 ff.; Begründung zu § 32 Abs. 1 Satz 2 BsGaV, BRDrucks. 401/14, 128. Vgl. VWG-Verfahren, Tz. 3.4.10.2. VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.6. Begründung zu § 32 Abs. 1 Satz 3 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 128 f.; Winnefeld in Winnefeld, Bilanz-Handbuch5, Kap. L, Rz. 184. So z.B. Vögele/Raab in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Kap. D Rz. 297 ff.

Sennewald 407

13.54

Kap. 13 Rz. 13.54 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

sonaleinzelkosten sind insbesondere die Löhne und Gehälter, Sozialabgaben sowie die Reise- und Unterkunftskosten einzubeziehen. Zu den Gemeinkosten gehören bspw. die Kosten der betreuenden Personalabteilung, Gesundheitsuntersuchung, Visabeschaffung etc. Der Wortlaut in Rz. 358 der VWG BsGa, wonach (nur) „alle direkten Kosten der Personalfunktionen“ zu berücksichtigen seien, kann im Vergleich zu dem in der Verordnung verwendeten Begriff der „Vollkosten“ nicht als einschränkend verstanden werden. Folgt man dem Fremdvergleichsgrundsatz, muss die Bauund Montagebetriebsstätte, wäre sie ein selbständiges Unternehmen, eine Kostenkalkulation anhand ihrer Vollkosten (d.h. unter Einbeziehung der Einzel- und Gemeinkosten inkl. der Verwaltungs- und Vertriebskosten) vornehmen.1 Anderenfalls würde das Unternehmen nicht kostendeckend arbeiten.2

13.55 Mittelbare Kosten. In diesem Zusammenhang ist die Regelung der Rz. 362 VWG BsGa, wonach mittelbare Kosten nicht zur Kostenbasis gehören sollen, jedenfalls missverständlich. Als mittelbare Kosten werden exemplarisch Verwaltungs- oder Geschäftskosten3 genannt.4 Welche konkreten Kosten die Finanzverwaltung darunter versteht, bleibt mangels weitergehender Erläuterung offen. Die unmittelbar mit den Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte zusammenhängenden Gemeinkosten können damit jedenfalls nicht gemeint sein. Allenfalls vorstellbar wären bspw. Konzernumlagen für Zentralfunktionen oder sog. technical expenses (z.B. Planungsleistungen durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens für die von Baustellenpersonal ausgeführten Montagearbeiten oder Koordinierungsaufgaben für lokal beschaffte Zulieferungen). Die Verwaltungsauffassung, dass im Fall der Kostenschlüsselmethode unter Berücksichtigung der Kosten der maßgeblichen Personalfunktionen der Betriebsstätte ausschließlich die direkten Kosten und dem übrigen Unternehmen die entsprechenden Gemeinkosten zuzuordnen seien, ist mit der gleichen Begründung abzulehnen (Rz. 13.83).5 13.56 „Beigestellte“ Dienstleistungen. Dienstleistungen von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens, die zwar im Zusammenhang mit dem Bau- und Montagevertrag erbracht werden und auch im Zusammenhang mit der Dienstleistung der Bauund Montagebetriebsstätte stehen, gelten gem. § 32 Abs. 4 BsGaV als nicht gegenüber der Bau- und Montagebetriebsstätte erbracht. Gerechtfertigt wird dies damit, 1 In den OECD-Leitlinien 2010, Tz. 2.43 weist die OECD darauf hin, dass ein Unternehmen im Zeitablauf grundsätzlich die eigenen Betriebskosten decken können muss. So auch Bendlinger, SWI 2016, 188 (196); Ditz, ISR 2017, 163 sowie wohl im Ergebnis auch Seeleitner/Krinninger/Grimm, IStR 2013, 220. 2 Zum Grundsatz der Vollkostenrechnung vgl. auch Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, Rz. 5.64. 3 Die Einbeziehung von Geschäftsführungs- und allgemeinen Verwaltungsaufwendungen des Stammhauses in die Betriebsstätte war nach bisheriger Verwaltungsauffassung (VWG Betriebsstätten, Tz. 3.4.1) unstrittig zulässig, soweit (i) die Aufwendungen durch eine Leistung des Stammhauses gegenüber der Betriebsstätte ausgelöst sind oder (ii) den Aufwendungen eine Dienstleistung von Dritten gegenüber dem Stammhaus zugrunde liegt, die auch der Betriebsstätte dient. 4 VWG BsGa, Rz. 362. 5 VWG BsGa, Rz. 377 (Fall 1).

408 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.59 Kap. 13

dass die Dienstleistungen (ähnlich wie bei den materiellen Wirtschaftsgütern) im Eigeninteresse des übrigen Unternehmens als geleistet und somit als der Betriebsstätte unentgeltlich beigestellt gelten. Eine derartige Dienstleistung kann bspw. in der Überlassung von Software zur Nutzung durch das Baustellenpersonal bestehen. Dies erlaubt eine pragmatische Lösung und verhindert eine Atomisierung des Bau- und Montagevertrags in viele einzelne Geschäftsvorfälle, ist aber rechtstheoretisch zu kritisieren (Rz. 13.34). Weitere durch die Betriebsstätte verursachte Kosten. Soweit durch die Ausübung 13.57 von Personalfunktionen der Bau- und Montagebetriebsstätte weitere Kosten verursacht werden, gehören diese ebenfalls in die Kostenbasis, wenn der zugrunde liegende Vertrag nach § 9 BsGaV der Bau- und Montagebetriebsstätte zuzuordnen ist (so z.B. von Baustellenpersonal selbst beschafftes Material oder die Einschaltung von Subunternehmern (Rz. 13.59).1 Gewährleistungskosten. Die voraussichtlichen Kosten für Gewährleistungsaktivitä- 13.58 ten nach Abnahme des funktionsfähigen Gewerks2 sind bei dem übrigen Unternehmen zu berücksichtigen, denn nach der h.M.3 endet damit die Bau- und Montagebetriebsstätte.4 aa) Berücksichtigung von Subunternehmern Zuordnung zum übrigen Unternehmen als Regel. Im heutigen Bau- und Monta- 13.59 gegeschäft werden häufig neben eigenen Mitarbeitern auch Subunternehmer zur erfolgreichen Abwicklung eines Bau- und Montagevertrags benötigt. Vielfach erbringen diese Subunternehmer auch die eigentlichen Bau- und Montagearbeiten, so dass die eigenen Mitarbeiter des Bau- und Montageunternehmens (Generalunternehmer) nur die Überwachung des Subunternehmers sowie die Integration in das Gesamtgewerk durchführen.5 Der Frage der Zuordnung von Subunternehmerkosten kommt daher für die Gewinnabgrenzung eine entscheidende Bedeutung zu. Da nach § 2 Abs. 4 BsGaV die Zuordnung der Subunternehmer als Personalfunktion der Betriebsstätte ausscheidet,6 wurde im Rahmen des Verordnungsgebungsverfahrens die Mög1 VWG BsGa, Rz. 359. 2 Der Beginn der Gewährleistungsphase (und damit der Abnahme) wird regelmäßig mit dem Provisional Acceptance Certificate (PAC) dokumentiert und endet mit Übergabe des Final Acceptance Certificate (FAC). 3 Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 134; BFH v. 21.4.1999 – I R 99/97, BStBl. II 1999, 694 = FR 1999, 1197 m. Anm. Kempermann; Drüen in T/K, § 12 AO Rz. 37 (Stand: Oktober 2019). 4 Wohl a.A. Ditz, ISR 2017, 163 der die Rückstellungen für Gewährleistungen bei der Bauund Montagebetriebsstätte möchte, da sie die Kosten für Mängel, die aus ihren ausgeübten Personalfunktionen resultieren, selber tragen muss. Soweit hier Kosten für Fehlmaßnahmen während der Projektabwicklungsphase gemeint sind, ist dem allerdings zuzustimmen. 5 Vgl. Seeleitner/Sennewald/Müller, IStR 2017, 1018. 6 Begründung zu § 2 Abs. 4 Satz 1 BsGaV: „Personal anderer Unternehmen, die für das zuerst genannte Unternehmen Leistungen jeder Art erbringen […] ist dagegen kein eigenes Personal des Unternehmens“, BR-Drucks. 401/14, 45 f.; siehe auch Rz. 13.26.

Sennewald 409

Kap. 13 Rz. 13.59 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

lichkeit der Kostenzuordnung zur Betriebsstätte sehr kontrovers diskutiert. Seitens des Verordnungsgebers wurde die Zuordnung zur Betriebsstätte mit der nicht ganz abwegigen Begründung abgelehnt, dass die Auswahl, Ausschreibung und Beauftragung von (lokal tätigen) Subunternehmern in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens erfolgt. Dies auch schon deshalb, weil zum Zeitpunkt der Beauftragung der Subunternehmer die Bau- und Montagebetriebsstätte noch nicht besteht. Wäre nach der ursprünglichen Intention des Verordnungsgebers die Zuordnung des Subunternehmers ausschließlich nach der maßgeblichen Personalfunktion im Hinblick auf das Zustandekommen des Geschäftsvorfalls zu entscheiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 BsGaV), könnte nur in den seltenen Fällen, in denen Personalfunktionen der Betriebsstätte Subunternehmer erst während der Projektausführungsphase selbst auswählen und beauftragen, eine Allokation zur Betriebsstätte erfolgen.

13.60 Abweichende Behandlung des Betriebsstättenstaats. Dieses Ergebnis ist aber unter zwei Gesichtspunkten abzulehnen. Die Nichteinbeziehung der Subunternehmerkosten in die Kostenbasis der Betriebsstätte führt einerseits zu einer Reduzierung des Freistellungsvolumens bzw. des Anrechnungsbetrags im Ansässigkeitsstaat. Dies ist insofern problematisch, als der Betriebsstättenstaat dieser Interpretation des AOA wohl nicht folgen wird, knüpft die Besteuerung im Ausland doch üblicherweise an den Ort der Wertschöpfung an, so dass damit zu rechnen ist, dass derartige Kosten im Ausland sehr wohl in die Kostenbasis der Betriebsstätte mit einzubeziehen sind. Als Konsequenz würde eine erhebliche Doppelbesteuerung drohen.1 13.61 Überwachung als maßgebende Personalfunktion. Andererseits verkennt der Verordnungsgeber,2 dass die Wertschöpfung aufgrund der Überwachung und Integration der Subunternehmerleistungen von Personalfunktionen der Betriebsstätte in praxi oftmals höher zu bewerten ist als die Einkaufsleistung des übrigen Unternehmens. Gerade bei Turnkey-Aufträgen ist die Integration verschiedener Gewerke, die zum Teil durch eigenes Personal, aber auch durch Subunternehmer errichtet werden, maßgeblich für den Projekterfolg.3 13.62 Totaldelegation als Hilfsargument. Die von Neumann-Tomm vertretene Auffassung,4 die Kosten der Subunternehmerleistungen seien (im Fall der sog. Totaldelegation5) allein schon deswegen der Betriebsstätte zuzuordnen, weil die Anwesenheitszeiten des Subunternehmers für Zwecke der Betriebsstättenfristberechnung dem 1 So auch Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (170 f.). 2 Vgl. Begründung zu § 32 Abs. 1 Satz 3 BsGaV (BR-Drucks. 401/14, 128 f.), wonach nur die Kosten der Personalfunktionen der Betriebsstätte für die Überwachung/Integration von Subunternehmern in die Kostenbasis einzubeziehen waren und ausnahmsweise nur im Fall der eigenständigen Einschaltung von Subunternehmern durch die Betriebsstätte die Kosten der Subunternehmer in die Kostenbasis der Betriebsstätte einzubeziehen sind. 3 So auch Seeleitner/Krinninger/Grimm, IStR 2013, 220. 4 Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (170 f.). 5 Im Fall der Totaldelegation werden sämtliche im Land der Anlagenerrichtung zu erbringenden Tätigkeiten vom Generalunternehmer an Subunternehmer unterbeauftragt. Der Generalunternehmer wird nicht mit eigenem Personal tätig.

410 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.63 Kap. 13

Generalunternehmer zugerechnet würden,1 kann allenfalls als Hilfsargument im internationalen Kontext greifen. Die deutsche Finanzverwaltung vermag dieses Argument jedoch nicht zu überzeugen. Im Gegensatz zur h.M. der OECD2 (und UN-) Staaten erfolgt aus deutscher Sicht eben keine Berücksichtigung der Anwesenheitszeiten des Subunternehmers im Rahmen der Berechnung der Betriebsstättenfrist.3 Mithin wird bereits die Begründung einer Bau- und Montagebetriebsstätte in diesem Fall aus deutscher Sicht zu verneinen sein. Zuordnung zur Betriebsstätte. Die hinsichtlich dieses Problembereichs vielfach ge- 13.63 äußerte Kritik4, wurde im Rahmen der VWG BsGa aufgegriffen.5 In analoger Anwendung des § 9 Abs. 2 BsGaV soll nunmehr eine Zuordnung zur Betriebsstätte erfolgen können, wenn die Bedeutung der in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktion eindeutig gegenüber der Bedeutung der vom übrigen Unternehmen ausgeübten maßgeblichen Personalfunktion hinsichtlich des Zustandekommens des Geschäftsvorfalls nach § 9 Abs. 1 BsGaV überwiegt. Das wird angenommen, wenn die Koordinierung und Überwachung der Tätigkeit des Subunternehmers durch Personalfunktionen der Betriebsstätte einen für den Erfolg des Auftrags wichtigen Leistungsbeitrag darstellt und deren Bedeutung gegenüber der von dem übrigen Unternehmen ausgeübten Einkaufsfunktion eindeutig überwiegt.6 Mit dieser Regelung verbleibt im Fall der Totaldelegation das aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung zutreffende Ergebnis, dass mangels der Betriebsstätte zuordenbarer Personalfunktionen konsequenterweise auch die Subunternehmerkosten im übrigen Unternehmen verbleiben, so dass ein Betriebsstättengewinn von „null“ zu ermitteln ist. Beispiel 8: Subunternehmer: Die inländische D-GmbH errichtet ein schlüsselfertiges Kraftwerk in Südkorea. Die Bau- und Montage- sowie die Erdarbeiten sollen entsprechend der Ausschreibungsbedingungen von lokal ansässigen Subunternehmern erbracht werden. Die Montage- und Inbetriebnahmeüberwachung erfolgt durch eigenes Personal der D-GmbH. Für den Projekterfolg ist die Integration der einzelnen von unterschiedlichen Subunternehmern erbrachten Gewerke zu dem Gesamtgewerk von maßgeblicher Bedeutung. Während der Planungsphase werden die potentiellen Subunternehmer in einem vordefinierten Bieterverfahren von Personal der D-GmbH in Deutschland ausgewählt und anschließend beauftragt. Mit Beginn der Bautätigkeiten entsendet die D-GmbH ihre Spezialisten zur Baustelle, die während der Projektabwicklungsphase die Tätigkeiten der Subunternehmer überwachen und koordinieren.

1 So z.B. der norwegische Supreme Court, s. Bendlinger, SWI 2011, 255. 2 Siehe Vorschlag zur Neufassung des Art. 5 Rz. 19 OECD-MK: OECD, Revised Proposals concerning the Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment), 19.10.2012 to 31.10.2013. 3 Vgl. VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.2; zustimmend: Görl, StbJb. 2004/2005, S. 81 (88); Bendlinger, SWI 2006, 358 (360); Bendlinger/Görl/Paaßen/Remberg, IStR 2004, 145 (156). 4 So z.B. Seeleitner/Krinninger/Grimm, IStR 2013, 220 f. 5 VWG BsGa, Rz. 359. 6 VWG BsGa, Rz. 359 (Fall 2). Siehe hierzu auch Rz. 7.105.

Sennewald 411

Kap. 13 Rz. 13.63 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Die Koordinierungs- und Überwachungstätigkeit durch die Personalfunktionen der Betriebsstätte (in Form der von der D-GmbH entsandten Spezialisten) stellt einen für den Erfolg des Auftrags wichtigen Leistungsbeitrag dar. Die Leistungen der Subunternehmer und der dazugehörigen Kosten sind nach § 9 Abs. 2 BsGaV der Betriebsstätte zuzuordnen, da die Bedeutung laufender Koordination und Überwachung durch eigenes Personal der Betriebsstätte von weit überwiegender Bedeutung ist.

bb) Fehlmaßnahmen

13.64 Zuordnung nach Verursachung. Unter dem nicht definierten Begriff der Fehlmaßnahmen sind sämtliche ungeplanten Mehrkosten (sog. Non Conformance Costs1), die während der Abwicklung des Bau- und Montagevertrags entstehen, zu fassen. Für die Zuordnung dieser Kosten soll nach den VWG BsGa das Verursachungsprinzip maßgebend sein.2 13.65 Verursachung durch Betriebsstätte. Soweit die Fehlmaßnahmen von Betriebsstättenpersonal verursacht wurden (bspw. fehlerhafte Montage von Teilen), sind die damit zusammenhängenden Kosten von der Bau- und Montagebetriebsstätte zu tragen. Die Fehlmaßnahmen sind nicht durch das übrige Unternehmen zu vergüten und stellen auch keinen Teil der Kostenbasis für die Anwendung der Kostenaufschlagsmethode dar. Vielmehr sind die Risiken der Betriebsstätte, die aus dem Bauund Montagevertrag resultieren, mit dem Gewinnaufschlag abgegolten.3 Als Konsequenz kann somit auch eine Routinebetriebsstätte Verluste erzielen, die auf die Mehrkosten aus der Beseitigung von Fehlmaßnahmen zurückzuführen sind. 13.66 Verursachung durch das übrige Unternehmen. Sind die Fehlmaßnahmen jedoch von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens verursacht, muss die Betriebsstätte eine zusätzliche Vergütung erhalten. Daher sind in diesem Fall etwaige der Betriebsstätte entstehenden Zusatzkosten (bspw. Ein- und Ausbau der von übrigen Unternehmen gelieferten defekten Teile, Fehlplanungen) in die Kostenbasis einzubeziehen, wodurch sich der Betriebsstättengewinn erhöht. 13.67 Analyse der Fehlerursache. Die für die Zuordnungsentscheidung durchzuführende (Root-Cause-)Analyse kann im Einzelfall beliebig schwierig sein. Für derartige Fehleranalysen sind aber im Bereich des Projektmanagements im Anlagenbau vielfältige Tools entwickelt worden, die auch für steuerliche Zwecke zur Dokumentation und Verteidigung der Zuordnungsentscheidung genutzt werden können.

1 Unter Non Conformance Costs sind grundsätzlich alle Abweichungen zwischen Vor- und Nachkalkulation von Kundenprojekten zu verstehen. 2 VWG BsGa, Rz. 360. 3 VWG BsGa, Rz. 360.

412 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.68 Kap. 13

Die 5-W-Analyse Critical Event Lösung des critical events anhand des ermittelten root causes

WARUM ? − direkte Ursache WARUM ? − erweiterte Ursache WARUM ? − Organisationsebene WARUM ? − Systemebene

WARUM ? − Root Cause

Root Cause zur Identifizierung des Problems

Abb.3: Ermittlung der Fehlerursache anhand der 5-W-Analyse

In der Projektmanagement-Praxis hat sich die 5-W-Analyse1 zur Identifizierung der Ursache eines Problems bewährt. Die Ergebnisse dieser Analyse können durchaus zur Dokumentierung der Zuordnungsentscheidung hinsichtlich der Fehlmaßnahmen auch für steuerliche Zwecke herangezogen werden. cc) Vorlaufkosten Zuordnung zur Betriebsstätte als Grundregel. Nach Auffassung der Verwaltung 13.68 sind Vorlaufkosten, also Kosten im Zusammenhang mit der beabsichtigten Gründung einer Betriebsstätte, grundsätzlich dem Betriebsstättenstaat zuzuordnen. Dies würde aus dem Veranlassungsprinzip des § 4 Abs. 4 EStG folgen und solle entsprechend auch im Fall der gescheiterten Betriebsstättenbegründung gelten,2 was zur Folge hat, dass sich diese Kosten weder im Ansässigkeits- noch im Betriebsstättenstaat steuermindernd auswirken können. Dieser Ansatz widerspricht eindeutig dem DBA-Recht.3 So fordert das dem Art. 7 und 14 OECD-MA inhärente Territorialprinzip, dass Erlöse und Aufwendungen einer Betriebsstätte nur dann zuzuordnen sind, wenn diese auch tatsächlich besteht. Wird eine solche aber letztlich nicht begründet, müssen die (vergeblichen) Gründungskosten auch im Ansässigkeitsstaat (sprich im übrigen Unternehmen) verbleiben.4 1 2 3 4

Siehe z.B. http://www.syncos.com/uploads/media/5-Why-Methode.pdf. VWG BsGa, Rz. 67. Wassermeyer, IStR 2015, 38 f. So auch Bendlinger, Die Betriebsstätte in der Praxis des internationalen Steuerrechts3, S. 292.

Sennewald 413

Kap. 13 Rz. 13.69 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

13.69 Zuordnung zum übrigen Unternehmen als Ausnahme. Die Verwaltung will eine Zuordnung zum übrigen Unternehmen aber nur dann zulassen, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, dass die Vorlaufkosten der Erbringung von schuldrechtlichen Beziehungen dienten und für das übrige Unternehmen zu steuerpflichtigen Einkünften (im Ansässigkeitsstaat) geführt hätten. 13.70 Besondere Zuordnungsregel bei Montagebetriebsstätten. Davon abweichend ist bei Bau- und Montagebetriebsstätten die Zuordnung (immer) zum übrigen Unternehmen vorzunehmen. Diese abweichende Behandlung wird damit gerechtfertigt, dass der Vertragsabschluss im Regelfall durch Personalfunktionen des übrigen Unternehmens und zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Bau- und Montagebetriebsstätte noch nicht gegründet ist. Die Vorlaufkosten würden nicht der Erzielung von im Ansässigkeitsstaat des Bau- und Montageunternehmens abkommensrechtlichen freizustellenden Einkünften dienen, so dass ein Veranlassungszusammenhang mit steuerpflichtigen Einkünften bestehe und damit ein Betriebsausgabenabzug im übrigen Unternehmen möglich sei.1 Da aber auch die Dauerbetriebsstätte regelmäßig der Durchführung einer unternehmerischen Betätigung des Gesamtunternehmens im Betriebsstättenstaat und folglich auch der Erzielung von steuerpflichtigen Einkünften im Ansässigkeitsstaat dienen wird, ist diese Ungleichbehandlung nicht nachvollziehbar. Für den Ansatz, die Vorlaufkosten seien im Fall der gescheiterten Betriebsstättenbegründung dem Betriebsstättenstaat zuzuordnen, erscheinen allenfalls fiskalische Gründe plausibel. b) Gewinnaufschlag

13.71 Ermittlung des Gewinnaufschlags. Nachdem neben der Zuordnung der maßgeblichen Personalfunktion auch die Kostenbasis feststeht, gilt es nun, in einem letzten Schritt der Betriebsstättengewinnermittlung einen fremdvergleichskonformen Gewinnaufschlag zu bestimmen. Die bisherige Verwaltungsauffassung sah einen Nichtbeanstandungskorridor von 5–10 % bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode für den Fall vor, dass ein Fremdvergleichspreis nicht zu ermitteln war.2 Eine hiervon abweichende Regelung ist (mangels konkreter Thematisierung) weder in der BsGaV noch in den VWG BsGa verankert, so dass dieser aufwandsarme und auch oft sachgerechte Ansatz fortgelten müsste.3 Andererseits kann dieser Rahmen nur eine Orientierung bieten und darf nicht starr angewendet werden. In jedem Fall müssen bei der Festlegung des Gewinnaufschlags immer die Umstände des Einzelfalls (d.h. 1 VWG BsGa, Rz. 367. 2 VWG Betriebsstätten, Tz. 3.1.2. 3 Nach den VWG BsGa, Rz. 460 sind die VWG Betriebsstätten anzuwenden, soweit sie von § 1 Abs. 5 AStG, den Regelungen der BsGaV, der VWG BsGa und den Regelungen der DBA nicht überlagert werden. Bemerkenswert ist, dass die Finanzverwaltung diese Grundaussage insoweit einschränkt, als dies nur gelten soll, wenn eine aus der innerstaatlichen Implementierung des AOA resultierende Reduzierung des Steuerfreistellungs- bzw. Anrechnungspotentials in Deutschland damit nicht verhindert wird. Im Endergebnis ist aufgrund der allgemeinen Formulierungen in den VWG BsGa, Rz. 460 ff. unklar, welche Teile der VWG Betriebsstätten konkret weitergelten sollen (so auch u.a. Stellungnahme der Spitzenverbände – 8er Bande – v. 13.5.2016).

414 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.74 Kap. 13

Ausübung der Funktionen, Risikotragung, eingesetzte Vermögenswerte etc.) entsprechende Berücksichtigung finden.1 Alternativ kann das Bau- und Montageunternehmen den Gewinnaufschlag anhand des inneren Betriebsvergleichs unter Berücksichtigung der letztjährigen Gewinnmargen (wobei auf das Ergebnis des Bau- und Montageteils abzustellen ist) ermitteln oder auf die Ergebnisse von Datenbankenanalysen zurückgreifen,2 soweit diese Methoden unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes zutreffendere Ergebnisse liefern. Divergierende Erwartungshaltungen. Versuche der deutschen Finanzverwaltung, 13.72 davon abweichende, noch niedrigere Gewinnaufschlagssätze mit dem Verweis auf das angeblich so geringe Funktions- und Risikoprofil der Bau- und Montagebetriebsstätte durchzusetzen, sind strikt abzulehnen und schaden der exportorientierten deutschen Wirtschaft. Zum einen sind für Projekte im Nicht-Europäischen Ausland Gewinnaufschlagssätze jenseits von 10 % längst schmerzhafte Realität (bspw. China, Indien sowie Ägypten etc.3). Zum anderen schränkt der Verordnungsgeber das Freistellungs- bzw. Anrechnungsvolumen durch eine im Vergleich zum Ausland geringe Kostenbasis noch zusätzlich ein (Rz. 13.55). c) Laufende Abrechnung Completed-Contract-Methode. Im Fall von mehrjährigen Bau- und Montagepro- 13.73 jekten wird der Gewinn nach handelsrechtlichen Grundsätzen (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 266 Abs. 2 HGB) mit der (Teil-)Abnahme des Werks realisiert (sog. Completed-Contract-Methode). Dies gilt über den Maßgeblichkeitsgrundsatz nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG für die steuerliche Gewinnermittlung entsprechend. Als Folge dessen sind die bis dahin angefallenen Kosten als halbfertige Arbeiten zu aktivieren. Kontinuierliche Abrechnung. Dazu im Widerspruch soll die Bau- und Montage- 13.74 betriebsstätte unabhängig von der Abnahme eines Bauprojekts bzw. eines Projektabschnitts einen Gewinn erwirtschaften und die gegenüber dem übrigen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen laufend bzw. zeitnah abrechnen (§ 32 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Dies führt im Endeffekt dazu, dass das Bau- und Montageunternehmen in Deutschland bis zur (Teil-)Abnahme keine Gewinne aus dem Gesamtprojekt versteuert, aber aufgrund der laufenden Abrechnung der Betriebsstätte Steuerfreistellungen geltend machen kann. Zum Zeitpunkt der Abnahme des Projekts muss nunmehr das Bau- und Montageunternehmen den gesamten Projektgewinn kumuliert versteuern, erhält aber keine korrespondierende Steuerfreistellung auf den entsprechenden Betriebsstättengewinn. Die Regelung führt folglich zu einer unnötigen Phasenverschiebung, die je nach Einzelfall zu erheblichen Nachteilen des Steuerpflichtigen führen kann. Ist die Anrechnungsmethode (im Nicht-DBA Fall) anzuwenden, wirkt sich die1 Ditz, ISR 2017, 163. 2 So auch OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 183 u. 232; Ditz/Bärsch, IStR 2013, 411; zur Kritik der Finanzverwaltung an Benchmark-Studies vgl. Naumann, IStR 2013, 616. 3 Zu Indien s. Bendlinger/Reinhold/Sennewald, IStR 2013, 453 (455); zu China Seeleitner/ Krinninger/Grimm, IStR 2013, 220 f.

Sennewald 415

Kap. 13 Rz. 13.74 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

se Phasenverschiebung ggf. auch nachteilig auf den Anrechnungshöchstbetrag des § 34c Abs. 1 EStG bzw. § 26 KStG aus.

13.75 Öffnungsklausel. § 33 Abs. 3 Satz 2 BsGaV enthält allerdings eine Öffnungsklausel, die eine Abweichung von dem Postulat der laufenden Abrechnung erlaubt, wenn ein anderer Abrechnungsmodus „zu einem Ergebnis, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht“, führt. Dies soll bspw. der Fall sein, wenn es branchenüblich ist, dass auch Subunternehmer gegenüber dem Generalunternehmer anhand von Meilensteinen1 abrechnen.2 Beispiel 9: Laufende Abrechnung3: Die H-AG erhält den Auftrag mehrere Ferienhäuser in Dänemark zu errichten. Die Bauzeit beträgt drei Jahre, so dass eine Bau- und Montagebetriebsstätte begründet wird (Art. 5 Abs. 3 DBA Deutschland-Dänemark, § 12 Satz 2 Nr. 8 AO, § 30 BsGaV). Nach § 32 Abs. 3 Satz 1 BsGaV stellt die Betriebsstätte ihre Leistungen dem übrigen Unternehmen jährlich fiktiv in Rechnung. Der Gesamtgewinn aus dem Auftrag beläuft sich bei der H-AG auf 200. Der dänischen Betriebsstätte entstehen jährliche Kosten i.H.v. 150, die mit einem Gewinnaufschlag i.H.v. 10 % vergütet werden. 2017

2018

2019

Summe

0

0

200

200

Einkünfte der BS

+15

+15

+15

45

Einkünfte des übrigen Unternehmens

–15

–15

+185

155

Freigestellter Gewinn der dänischen BS

+15

+15

+15

45

Steuerlicher Gewinn der H-AG

Der Bau- und Montagebetriebsstätte wird in den Jahren 2017–2019 ein kumulierter Gewinn i.H.v. 45 und dem übrigen Unternehmen ein kumulierter Gewinn i.H.v. 155 zugeordnet.

d) Hilfs- und Nebenrechnung

13.76 Aufstellungspflicht. Die §§ 30–34 BsGaV enthalten keine von der allgemeinen Vorschrift des § 3 BsGaV zur Hilfs- und Nebenrechnung (s. hierzu die Ausführungen in Rz. 7.30 ff.) abweichende Regelung. Demnach besteht die Verpflichtung zur Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung auch für die Bau- und Montagebetriebsstätte fort. 13.77 Vereinfachungsregelungen. Die Verwaltung greift in den VWG BsGa dennoch die teils erhebliche Kritik insbesondere hinsichtlich der für Bau- und Montagebetriebsstätten als (unnötig) aufwendig empfundenen Ermittlung des Dotationskapitals auf und schafft sachgerechte Vereinfachungen.4 So wird für die inländischen Betriebsstätten ausländischer Unternehmen klargestellt, dass im Fall einer Routinebetriebsstätte, 1 Sog. „Milestone payments“, nach denen ein bestimmter Prozentsatz der vereinbarten Vergütung fällig wird, wenn ein bestimmtes Gewerk (bspw. Basic Engineering) fertigstellt worden ist. 2 VWG BsGa, Rz. 365. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 364. 4 VWG BsGa, Rz. 368 u. 369.

416 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.80 Kap. 13

der keine Vermögenswerte, Geschäftsvorfälle i.S.d. § 9 BsGaV sowie Verbindlichkeiten zuzuordnen sind, die Mindestkapitalmethode des § 13 BsGaV angewendet werden kann. Diese Methode ist für ausländische Betriebsstätten inländischer Unternehmen (aus wohl fiskalischen Gründen) ohnehin anzuwenden. Soweit die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, wird bei Anwendung der Mindestkapitalmethode regelmäßig kein Dotationskapital auszuweisen sein. Ableitung aus Projektkalkulation. Ferner wird auch präzisiert, dass zumindest bei 13.78 risiko- (und funktions-)armen Routinebetriebsstätten die Hilfs- und Nebenrechnung aus der ohnehin erforderlichen Projektkalkulation abgeleitet werden kann, soweit daraus eindeutig die genaue Bemessungsgrundlage und der verwendete Gewinnaufschlag ableitbar ist.1 Diese Vereinfachungsregelung ist durchaus zu begrüßen, da hiermit administrativer Doppelaufwand vermieden wird. Den Steuerabteilungen von Bau- und Montageunternehmen ist in diesem Zusammenhang aber eine Überprüfung der vom Vertrieb genutzten Kalkulationsvorlagen wärmstens zu empfehlen. Es ist sicher sinnvoll, zusammen mit den Vertriebsmitarbeitern an Mustervorlagen zu arbeiten, die allen Interessen gerecht werden können. 3. Komplexe Betriebsstätten (§ 33 BsGaV) Anwendungsbereich. Abweichend von der Grundregel des § 32 BsGaV ist der Ver- 13.79 rechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen dem übrigen Unternehmen und der Bau- und Montagebetriebsstätte bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BsGaV nicht nach einer kostenorientierten, sondern einer geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode zu ermitteln (Rz. 13.45). Es handelt sich hierbei also nicht um ein Wahlrecht. Aufgrund der hohen Anforderungen an das Vorliegen einer komplexen Betriebsstätte, wird sich die Anwendung auf Ausnahmefälle beschränken. Mag man in der Vergangenheit schon von komplexen Leistungsbeziehungen2 ausgegangen sein, wenn hohe Integrationsleistungen aufgrund verschiedener Gewerke auf der Baustelle vonnöten waren, ist nunmehr eine Routinebetriebsstätte selbst dann noch gegeben, wenn die Bau- oder Montagearbeiten technisch aufwendig und schwierig sind (Rz. 13.43).3 Die bisher von Anlagenbauunternehmen häufig genutzte Kostenschlüsselmethode wird somit künftig von der Kostenaufschlagsmethode als Regelmethode abgelöst werden. Kostenschlüsselmethode als Standardmethode. Soweit aber für die Gewinnermitt- 13.80 lung eine Gewinnaufteilungsmethode anzuwenden ist, legt der Verordnungsgeber die Kostenschlüsselmethode als Standardmethode fest (§ 33 Abs. 2 BsGaV). Dies ist auch sachgerecht, denn die Kostenschlüsselmethode fand auch deshalb eine so verbreitete Anwendung, weil diese auch betriebswirtschaftlich gerechtfertigt ist, als die von den Personalfunktionen verursachten Kosten mit der entsprechenden dahinterstehenden Wertschöpfung korrelieren.4 1 2 3 4

VWG BsGa, Rz. 369. VWG Betriebsstätten, Tz. 4.3.6. VWG BsGa, Rz. 356. Ditz, ISR 2017, 163.

Sennewald 417

Kap. 13 Rz. 13.81 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

13.81 Bestimmung der Leistungsbeiträge. Zur Gewinnaufteilung nach der Kostenschlüsselmethode ist zunächst der Umfang der geleisteten Beiträge anhand der Kosten1 der maßgeblichen Personalfunktionen2, die jeweils von der Bau- und Montagebetriebsstätte als auch dem übrigen Unternehmen ausgeübt werden, zu errechnen. Sämtliche vor Entstehung der Bau- und Montagebetriebsstätte erbrachten Leistungsbeiträge sind dem übrigen Unternehmen zuzuweisen.3 13.82 Berücksichtigungsfähige Kosten. Zur Ermittlung des Kostenschlüssels müssen in einem ersten Schritt alle Kosten, die mit dem Projekt im Zusammenhang stehen, unabhängig von deren Entstehungszeitpunkt, berücksichtigt werden (z.B. Akquisitionskosten, Ausschreibungskosten, Kosten für Engineering sowie Forschung und Entwicklung). Ferner ist ein angemessener Teil an den Forschungs- und Entwicklungskosten der eingesetzten immateriellen Werte sowie der vergeblichen Akquisitionskosten anderer gescheiterter Bau- und Montageaufträge anzusetzen (§ 33 Abs. 2 Satz 3 BsGaV). Unklar ist in diesem Zusammenhang, bis zu welchem Zeitpunkt der Steuerpflichtige für die Kostenermittlung zurückgehen muss. Neumann-Tomm sieht hier eine „natürliche“ Grenze von zehn Jahren, die sich aus den Aufbewahrungsfristen (§ 147 Abs. 3 AO) ableiten lassen soll.4 Zudem bleibt offen, was der Verordnungsgeber als angemessenen Teil ansieht. Dieser in praxi kaum handhabbaren Regelung begegnet die Verwaltung damit, dass sowohl die Akquisitions- als auch die Forschungs- und Entwicklungskosten pauschaliert ermittelt werden können.5 Anhand welcher konkreten Kriterien die Pauschalierung erfolgen soll, bleibt aber ungeklärt. Damit verpasst die Verwaltung die Möglichkeit, mit der gut gemeinten Vereinfachungsregelung Rechtssicherheit zu schaffen. Der Steuerpflichtige ist somit gezwungen, seinen Pauschalierungsansatz in einer Dokumentation ausführlich zu begründen, um für eine Betriebsprüfung gewappnet zu sein. 13.83 Zuordnung nur der direkten Kosten zur Betriebsstätte. Bei der Anwendung der Gewinnaufteilung anhand des Kostenschlüssels sind der Betriebsstätte nach Verwaltungsauffassung nur die direkten Kosten der maßgeblichen Personalfunktionen zuzuordnen. Damit sind die vorgenannten Kosten für vergebliche Akquisitionen und Forschung- und Entwicklung, aber auch sonstige Overheadkosten (wie allgemeine Verwaltung sowie Vertriebskosten) ausschließlich dem übrigen Unternehmen zuzuordnen, da es der Betriebsstätte insofern an maßgeblichen Personalfunktionen

1 Diese Art der Gewinnaufteilung wird vom Verordnungsgeber als die einfachste Methode zur Ermittlung eines Aufteilungsschlüssels erachtet, da zumindest die laufenden Kosten häufig projektbezogen in der Kosten- und Leistungsrechnung des Bau- und Montageunternehmens vorliegend seien. 2 Kosten für nicht maßgebliche Personalfunktionen (wie z.B. Kantine, Fahrdienste etc.) dürfen nicht in den Aufteilungsschlüssen einfließen, auch wenn sie zur Ermittlung des Projektergebnisses heranzuziehen sind (VWG BsGa, Rz. 376). Hiervon kann allerdings abgewichen werden, wenn eine Kostenaufteilung unter Berücksichtigung aller Kosten dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entsprechend würde (VWG BsGa, Rz. 378). 3 VWG BsGa, Rz. 377. 4 Neumann-Tomm, IWB 2015, 166 (172). 5 VWG BsGa, Rz. 377.

418 Sennewald

Rz. 13.83 Kap. 13

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

mangeln soll.1 Im Ergebnis erreicht die Verwaltung damit eine nicht sachgerechte Erhöhung der Kosten des übrigen Unternehmens und folglich eine Verschiebung des Gewinnanteils zugunsten desselben. Beispiel 10: Vergleichsrechnung Kostenschlüsselmethode: Gewinnermittlung Kostenschlüsselmethode Inland Kosten Direkte Kosten maßgebl. Personalfunktionen

Übriges Unternehmen

Betriebsstätte

1000

450

+ Aufschlag vergebl. Akquisition (4 %)

40

+ F&E-Anteil (5 %)

50

+ sonstige Verwaltungskosten (10 %)

100

+ Vertriebskosten (15 %)

150

= Kostenanteil Aufteilungsschlüssel

1340

450

74,86 %

25,14 %

Gesamtgewinn

250,00

Freizustellender Betriebsstättengewinn

62,85

Gewinnermittlung Kostenschlüsselmethode Ausland Übriges Unternehmen

Betriebsstätte

1000

450

+ Aufschlag vergebl. Akquisition (4 %)

40

18

+ F&E-Anteil (5 %)

50

22,5

Kosten Direkte Kosten maßgebl. Personalfunktionen

+ sonstige Verwaltungskosten (10 %)

100

45

+ Vertriebskosten (15 %)

150

67,5

= Kostenanteil Aufteilungsschlüssel Gesamtgewinn Zu versteuernder Betriebsstättengewinn

1340

603

68,97 %

31,03 % 250,00 77,59

Aufgrund der unterschiedlichen in den Aufteilungsschlüssel einzubeziehenden Kosten ergibt sich eine Doppelbesteuerung für das inländische Bau- und Montageunternehmen i.H.v. 14,74 (entspricht 5,9 % des Gesamtgewinns). 1 VWG BsGa, Rz. 377 (Fall 1).

Sennewald 419

Kap. 13 Rz. 13.84 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

13.84 Öffnungsklausel für alternative Aufteilungsschlüssel. Die Öffnungsklausel des § 33 Abs. 2 Satz 4 BsGaV ermöglicht dem Steuerpflichtigen die Anwendung einer alternativen Gewinnaufteilungsmethode, soweit das Ergebnis dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Die alternative Gewinnaufteilungsmethode muss zudem rechnerisch nachvollziehbar sein und der Systematik einer zweiseitigen Gewinnaufteilungsmethode entsprechen. Diese hohen Voraussetzungen an die Anwendung einer alternativen Aufteilungsmethode sind nicht sachgerecht und auch nicht praktikabel, denn es ist unklar, wie der Steuerpflichtige das Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen nachweisen soll.1 Als mögliche alternative Methoden werden ausdrücklich die Residualgewinnaufteilungsmethode2 sowie die Aufteilung anhand von Wertschöpfungsbeiträgen und der Vollkosten genannt.3 Allerdings sind auch weiterhin andere Aufteilungsschlüssel, wie bspw. Umsatz und Risiko4 denkbar. Gegebenenfalls müssen aber einzelne Parameter der alternativen Aufteilungsmethoden unter entsprechender Berücksichtigung der in § 33 BsGaV niedergelegten Grundsätze korrigiert werden.5

IV. Fazit 13.85 Fazit. Die in der BsGaV und den VWG BsGa verankerten Sonderregelungen für Bauund Montagebetriebsstätten sind aufgrund ihrer besonderen Charakteristika eine unverzichtbare Ergänzung zu den allgemeinen Regelungen des AOA i.S.d. OECD-Betriebsstättenberichts. Es wurden für die Praxis teils sehr pragmatische Vereinfachungsregelungen, wie bspw. das Institut der unentgeltlichen Beistellung, geschaffen. Diese Regelungen gehen jedoch zu Lasten einer rechtstheoretisch adäquaten Umsetzung des AOA, wodurch in einigen Fällen deutlich vom Fremdvergleichsgrundsatz abgewichen wird. Zudem enthalten die Sonderregelungen diverse unscharf formulierte und einer unterschiedlichen Auslegung zugängigen Begriffe, wodurch dem Steuerpflichtigen – positiv gesprochen – ein Gestaltungsspielraum ermöglicht werden soll. Dieser Spielraum kann sich jedoch im Betriebsprüfungsfall in Rechtsunsicherheiten und Streitanfälligkeit umkehren. Insbesondere mit Blick auf die eigenwillige Definition der Kostenbasis wird deutlich, dass der Verordnungsgeber den Fremdvergleichsgrundsatz hinter seinen fiskalischen Interessen zurückstellt. Das Steuerfreistellungs- bzw. Anrechnungsvolumen der im Ausland tätigen deutschen Maschinen- und Anlagenbauer wird damit unnötig eingeschränkt. Als Konsequenz werden der von einer großen Anzahl von Doppelbesteuerungsfällen ohnehin schon schwer gebeutelten deutschen Exportwirtschaft noch zusätzliche Wettbewerbsnachteile beschert.

1 2 3 4 5

So auch Ditz, ISR 2017, 163. Begründung zu § 33 Abs. 2 Satz 4 BsGaV, BR-Drucks. 401/14, 131. VWG BsGa, Rz. 378. Wassermeyer in Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA (2000) Rz. 200 u. 201. VWG BsGa, Rz. 379; so z.B. das Herausrechnen von Vertriebs- und F&E-Aufwendungen bei der Wertschöpfungsbeitragsanalyse der Betriebsstätte etc.

420 Sennewald

B. Sonderregelungen für Bau- und Montagebetriebsstätten

Rz. 13.85 Kap. 13

Diese negativen Implikationen werden noch dadurch potenziert, dass, obgleich § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG eine Nachweismöglichkeit des Steuerpflichtigen für Fälle vorsieht, in denen der andere (auch OECD-)Staat den AOA nicht anwendet bzw. anders interpretiert, die Verwaltung ihm diese Nachweismöglichkeit durch die Anwendungsregelungen der VWG BsGa insoweit aber wieder entzieht, als es sich um OECD-Staaten handelt. Demnach wird für OECD-Staaten unwiderlegbar unterstellt, dass diese den AOA (analog der deutschen Interpretation) umgesetzt haben.1 Im Endergebnis verweist die Finanzverwaltung die Steuerpflichtigen damit in diesen Fällen unmittelbar auf das Verständigungsverfahren bzw. lässt sie in die Doppelbesteuerung laufen.2 Diese Regelung ist umso erstaunlicher, als die OECD kürzlich selbst zu der Erkenntnis gelangt ist, dass der AOA gerade auch in den OECD-Staaten nur teilweise bzw. unzureichend umgesetzt sei.3 Es kann daher unterstellt werden, dass die Regelung wider besseres Wissen aufgenommen wurde und die Finanzverwaltung sich durchaus bewusst ist, dass die wenigsten Steuerpflichtigen den Weg des Verständigungsverfahrens aufgrund der hohen Verfahrenskosten und des vielfach mangelnden Einigungszwangsbeschreiten werden. Das hehre Ziel, Doppelbesteuerungsfälle, die aus der Anwendung des AOA resultieren, weitgehend vermeiden zu wollen,4 wird folglich ad absurdum geführt. Vor dem Hintergrund des am 5.10.2015 veröffentlichten Reports zum BEPS-Aktionspunkt 75 und der damit verbundenen erheblichen Absenkung der Schwelle zur Betriebsstättenbegründung hätte man sich vom deutschen Verordnungsgeber sowie der Verwaltung mehr Weitblick und wirtschaftliches Feingefühl erhofft. Denn mit der anzunehmenden stark ansteigenden Zahl von Betriebsstätten, kommt der Frage der Betriebsstättengewinnallokation nach dem AOA eine entscheidende Bedeutung zu: einerseits um für den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit zu schaffen und andererseits, um einen zu erwartenden dramatischen Anstieg von Doppelbesteuerungsfällen6 entgegen zu wirken. Eine mit dem internationalen Verständnis harmonisierte innerstaatliche Umsetzung des AOA wäre somit umso wichtiger gewesen. Die im BEPS-Aktionspunkt 7 vorgeschlagenen Verschärfungen im Bereich der Bauund Montagebetriebsstätte („splitting-up of contracts“), nach denen bei Vorliegen 1 VWG BsGa, Rz. 426 u. 428. 2 Sennewald/Geberth, DB 2017, 31–33. 3 OECD, Discussion Draft BEPS ACTION 7 Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Ergänzende Leitlinien für die Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 4.7.2016, Tz. 15, https://www.oecd.org/tax/transfer-pricing/BEPS-dis cussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-permanent-establishments.pdf; zudem hat sich eine Vielzahl von Ländern (so bspw. Brasilien, China, Indien und Neuseeland, ebenda Rz. 15, Fn. 5) sowie die UN gegen eine Umsetzung des AOA entschieden (vgl. Art. 7 Rz. 1 UN-MK 2017). 4 Vgl. z.B. VWG BsGa, Rz. 194, 281 u. 341. 5 OECD (2015), Preventing the Artificial Avoidance of Permanent Establishment Status, Action 7, Final Report, Rz. 16–18, abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/9789264241220en = OECD (2018), Verhinderung der künstlichen Umgehung des Betriebsstättenstatus, Aktionspunkt 7: Abschlussbericht 2015, Rz. 16–18, abrufbar unter http://dx.doi.org/ 10.1787/9789264287334-de. 6 Vgl. Sennewald in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 46, 2018, S. 198.

Sennewald 421

Kap. 13 Rz. 13.85 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau

aller Tatbestandsvoraussetzungen des neuen Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 20171 eine unmittelbare Zusammenrechnung der Tätigkeitsdauer von eng verbundenen Unternehmen für die Frage der Überschreitung der Betriebsstättenschonfrist erfolgen soll, führt sowohl national als auch international zu vielen offenen Fragen, auch bzgl. der Betriebsstättengewinnermittlung. Die OECD verweist in diesem Zusammenhang schlicht auf den OECD-Betriebsstättenbericht 20102 und hält weitere Erläuterungen, die zumindest auf OECD-Ebene Leitplanken hätten schaffen können, für redundant. Erfreulicherweise hat sich Deutschland im Rahmen des am 7.6.2017 unterschriebenen Multilateralen Instruments (MLI) zur Umsetzung der BEPS-Maßnahmen in bilaterale DBA dazu entschieden, u.a. den Änderungen in Art. 5 Abs. 3 OECD-MA nicht zu folgen. Insofern bleibt zu hoffen, dass diese Regelung nicht durch die Hintertür in bilateralen DBA-Verhandlungen dennoch weitergehenden Einfluss in deutsche DBA findet und das seit dem 1.1.2017 in Kraft getretene DBA Deutschland-Australien3 ein „Betriebsunfall“ bleibt.

C. Abschließendes Beispiel zur Gewinnermittlung anhand der Funktions- und Risikoanalyse 13.86 Beispiel 11: Funktions- und Risikoanalyse eines international tätigen Anlagenbauunternehmens: Ausgangsfall – Errichtung eines Gas- und Dampfkraftwerks Die D-GmbH wird von einem Kunden in Japan beauftragt, ein Gas- und Dampfkraftwerk zu errichten. Die Dauer der Bau- und Montagearbeiten beträgt 33 Monate, wodurch die maßgebliche Betriebsstättenfrist des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO und Art. 5 Abs. 3 DBA Deutschland-Japan überschritten und eine Bau- und Montagebetriebsstätte begründet wird. Die Bauund Montagearbeiten werden von eigenen Mitarbeitern der D-GmbH, aber auch von diversen Subunternehmern durchgeführt. Die wesentlichen Materiallieferungen erfolgen von der D-GmbH (großteils in Eigenproduktion) aus Deutschland.

1 „Für den alleinigen Zweck der Feststellung, ob der Zwölfmonatszeitraum des Art. 5 Abs. 3 überschritten ist, werden a) wenn ein Unternehmen eines Vertragsstaats im anderen Staat Aktivitäten im Zusammenhang mit einer dort durchgeführten Bauausführung oder Montage ausübt und diese Aktivitäten innerhalb eines Zeitraums von weniger als zwölf Monaten durchgeführt werden und b) zusammenhängende Tätigkeiten, die jeweils 30 Tage überschreiten, auf der gleichen Baustelle oder im Zusammenhang mit dem gleichen Bau- und Montageprojekt während verschiedener Zeiträume von einem oder mehreren mit dem erstgenannten Unternehmen eng verbundenen Unternehmen ausgeübt werden, diese Zeiträume zu dem Tätigkeitszeitraum des erstgenannten Unternehmens hinzugerechnet“ (inoffizielle deutsche Übersetzung von Art. 5 Rz. 52 Satz 4 OECD-MK 2017). 2 OECD, Discussion Draft BEPS ACTION 7 Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, Ergänzende Leitlinien für die Zuordnung von Gewinnen auf Betriebsstätten v. 4.7.2016, Tz. 9, abrufbar unter https://www.oecd.org/tax/transfer-pric ing/BEPS-discussion-draft-on-the-attribution-of-profits-to-permanent-establishments.pdf. 3 Siehe http://www.financeminister.gov.au/media-release/2015/11/13/new-tax-treaty-signedgermany.

422 Sennewald

C. Gewinnermittlungsbeispiel durch F&R-Analyse

Rz. 13.86 Kap. 13

Um den Betriebsstättengewinn ermitteln zu können, müssen zunächst die maßgeblichen Personalfunktionen zum übrigen Unternehmen und der Betriebsstätte zugeordnet werden. Das kann unter Berücksichtigung der nachfolgenden Funktionsund Risikoanalyse erfolgen. Hieraus kann auch abgeleitet werden, ob die Betriebsstätte eine Routinefunktion ausübt und somit für die Gewinnermittlung die Kostenaufschlagsmethode (§ 32 Abs. 1 BsGaV) zur Anwendung kommen muss, oder eine Gewinnaufteilung aufgrund der Annahme einer komplexen Betriebsstätte (§ 33 Abs. 1 BsGaV) zu erfolgen hat. Die projektspezifische Funktions- und Risikomatrix ist in der Praxis von den jeweiligen Vertriebskaufleuten zu befüllen und dient der Dokumentation der für den Projekterfolg maßgeblichen Funktionen und Risiken und deren Verteilung auf das übrige Unternehmen und die Betriebsstätte. In einem ersten Schritt müssen also die Funktionen identifiziert und entsprechend verteilt werden. Danach sind die Funktionen unter Berücksichtigung der damit zusammenhängenden Risiken zu gewichten. Es ist sinnvoll, die Zuordnungsentscheidung und die Gewichtung kurz zu begründen. Funktions- und Risikoanalyse eines international tätigen Anlagenbauunternehmens Verteilung der wesentlichen Funktionen/Risiken anhand der „maßgeblichen Personalfunktion“ Risikogewichtung Funktionszuordnung Angebotsphase1

üU in %

Risikoverteilung

BS üU Ver- BS Verin % teilung teilung

Anmerkungen

35 %

Marketing

10

100

0

10

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Forschung

10

100

0

10

0

Zentrale Funktion des üU

Auftragsakquisition

10

100

0

10

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Vertragsverhandlung

30

100

0

30

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Erarbeitung des Angebots

15

100

0

15

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Vertragsprüfung rechtlich/steuerlich

5

100

0

5

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

1 Die Fehleranalyse der in den vergangenen 5 Jahren realisierten Projekte der D-GmbH ergab, dass durchschnittlich 35 % aller Projektrisiken der Angebotsphase zuzuordnen waren. Mangels Existenz der Betriebsstätte zum Zeitpunkt der Angebotserstellung sind sämtliche Personalfunktionen in dem übrigen Unternehmen zu allokieren.

Sennewald 423

Kap. 13 Rz. 13.86 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Risikogewichtung Funktionszuordnung

üU in %

Risikoverteilung

BS üU Ver- BS Verin % teilung teilung

Anmerkungen

Bürgschaften/Haftungen

5

100

0

5

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Projektfinanzierung

5

100

0

5

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Versicherungen

5

100

0

5

0

Zentrale Funktion des üU

Präsentation des Angebots

3

100

0

3

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Vertragsabschluss

2

100

0

2

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen

Summe

100

100

0

100

0

Anteil üU/BS

35

35

0

üU = übriges Unternehmen BS = Betriebsstätte Risikogewichtung Funktionszuordnung Projektabwicklungsphase1

üU in %

Risikoverteilung

BS üU Ver- BS Verin % teilung teilung

Anmerkungen

55 %

technische Prozesse und Verfahren

15

100

0

15

0

Ausschließlich dem üU zuzuordnen (Engineering)

Planung und Konstruktion

5

90

10

4,5

0,5

Überwiegend Personal üU, kl. Anpassungen durch BS

Material- und Komponentenbeschaffung

8

75

25

6

2

Zulieferungen durch üU, kleinere Zukäufe durch BS

Fertigung von Schlüsselkomponenten

20

100

0

20

0

Fertigung im üU

1 Aus der Fehleranalyse von vorangegangenen Projekten zeigte sich, dass sich der überwiegende Teil der Projektrisiken in der Projektabwicklungsphase (inkl. Engineering) materialisierte. Der Durchschnittswert ergab eine Risikoquote i.H.v. 55 %.

424 Sennewald

C. Gewinnermittlungsbeispiel durch F&R-Analyse Risikogewichtung Funktionszuordnung

üU in %

Rz. 13.86 Kap. 13

Risikoverteilung

BS üU Ver- BS Verin % teilung teilung

Anmerkungen

Lieferung zur Baustelle, Transportabwicklung

5

80

20

4

1

Ausfuhr bis Bestimmungshafen üU; bis Baustelle BS

IT

1

100

0

1

0

von üU erbracht und Remoteleistungen

Montageleistungen

10

0

100

0

10

Ausschließlich durch Personalfunktionen der BS

Kosten lokal tätige Subunternehmer

10

0

100

0

10

Überwachung/ Koordination ausschl. durch BS

Werkzeuge

2

100

0

2

0

Werkzeuge werden von üU unentgelt. beigestellt

Beauftragung, Überwachung Subu.

10

30

70

3

7

Beauftragung erfolgt durch üU, Überwachung durch BS

Claim Management

2

80

20

1,6

0,4

Erfolgt von Personal uÜ in enger Abstimmung mit BS

Betriebsstättenbuchführung

2

50

50

1

1

Durch Personal üU in Abstimmung mit local accountant

Projektmanagement

10

60

40

6

4

Projektleitung sowohl durch Personal uÜ als auch BS

Summe

100

100

0

64,1

35,9

Anteil üU/BS

55

35,25

19,75

Sennewald 425

Kap. 13 Rz. 13.86 Die Anwendung des AOA im Maschinen- und Anlagebau Risikogewichtung Funktionszuordnung

üU in %

Risikoverteilung

BS üU Ver- BS Verin % teilung teilung

Anmerkungen

Gewährleistungsphase1

10 %

Abarbeitung von GWLFällen nach Abnahme

90

100

0

90

0

BS nach PAC beendet, erfolgt durch Personal d. üU

Rechtsberatung (z.B. Streitfragen Abnahme)

10

100

0

10

0

Durch eigene Rechtsabteilung des üU mit ext. RA

Summe

100

100

0

100

0

Anteil üU/BS

10

10

0

Aufteilung des Projektergebnisses anhand der F&R-Analyse Verteilung Funktionen

Gewichtung

üU

BS

Angebotsphase

35

35,00

0,00

Projektabwicklungsphase

55

35,25

19,75

Gewährleistungsphase

10

10,00

0,00

100

80,25

19,75

Summe

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die (gewichteten) Funktionen und Risiken zu 80,25 % auf das übrige Unternehmen und zu 19,75 % auf die Betriebsstätte verteilen. Daraus kann ferner abgeleitet werden, dass sich die von der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen im Wesentlichen auf die Bauausführung selbst beschränken. Der weit überwiegende Teil des Engineering und Projektmanagements wird von Personalfunktionen des übrigen Unternehmens ausgeübt. Aus der Funktions- und Risikoanalyse kann geschlussfolgert werden, dass die Bau- und Montagebetriebsstätte der D-GmbH in Japan lediglich eine risikoarme Routinefunktion ausübt. Die Gewinnermittlung ist mithin nach § 32 Abs. 1 BsGaV auf Basis einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode (regelmäßig die Kostenaufschlagsmethode) zu ermitteln. Die Aufteilung der Funktionen und Risiken in der F&R-Matrix kann auch der Ermittlung der Kostenbasis der Betriebsstätte im Fall der Kostenaufschlagsmethode dienen. So können die aus der innerbetrieblichen Kosten- und Leistungsrechnung abgeleiteten (und ggf. um die nach § 32 BsGaV nicht berücksichtigungsfähigen kor1 Da zum Zeitpunkt des Beginns der Gewährleistungsphase (also nach Abnahme – PAC) die Betriebsstätte als beendet gilt (s. Rz. 13.58), sind die Personalfunktionen dem übrigen Unternehmen zuzuordnen.

426 Sennewald

C. Gewinnermittlungsbeispiel durch F&R-Analyse

Rz. 13.86 Kap. 13

rigierten) Kosten der jeweiligen Personalfunktionen unter Anwendung des ermittelten Anteils der Betriebsstätte errechnet werden. Die Erkenntnisse der F&R-Analyse sind maßgebend für die Höhe des auf die Kosten aufzuschlagenden prozentualen Gewinns. Sollte in einem alternativen Fall aufgrund der ausgeübten Funktionen der Betriebsstätte eine komplexe Betriebsstätte anzunehmen sein, erfolgt die Gewinnermittlung nach einer Gewinnaufteilungsmethode (§ 33 Abs. 1 BsGaV). In diesem Fall kann das ermittelte Verhältnis aus den gewichteten Funktionen und Risiken für den entsprechenden Kostenschlüssel genutzt werden.

Sennewald 427

Kapitel 14 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten A. Verhältnis zum allgemeinen Teil der BsGaV . . . . . . . . . . . . . . .

14.1

B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift . . . . . II. Kommentierung 1. Betriebsstätte eines Kreditinstituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts . . . . . . . . 3. Bankgeschäfte im Sinne des KWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Andere Tätigkeiten der Betriebsstätte eines Kreditinstituts . 5. Gründung einer Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schließung einer Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14.4

14.6 14.12 14.16 14.22 14.24 14.27

III. Vergleich AOA . . . . . . . . . . . . . . . 14.30 C. Besondere Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift . . . . . 14.31 II. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion . . . . . 2. Zuordnung von Vermögenswerten auf Grund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion (§ 19 Abs. 1 BsGaV) . . . . . . a) Vermögenswerte des Kreditgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögenswerte des Handelsgeschäfts . . . . . . . . . . . c) Andere Vermögenswerte eines Kreditinstituts . . . . . . . . 3. Zuordnung von Vermögenswerten in Fällen einer Aufteilung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion (§ 19 Abs. 2 BsGaV) . . . . . . . . . . . a) Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . .

14.33 14.40

b) Handelsgeschäft . . . . . . . . . . . . 4. Zuordnung von Vermögenswerten auf Grund der Kundenbeziehung (§ 19 Abs. 3 BsGaV) . 5. Spätere Änderung einer zutreffenden Zuordnung (§ 19 Abs. 4 BsGaV) . . . . . . . . . . . a) Zuordnung zur Kundenbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderung unter Beachtung des Fremdvergleichs . . . . . . . . c) Faktische Änderung der Zuordnung eines Vermögenswerts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen in Bezug auf die Vermögenswerte einer Bankbetriebsstätte (§ 19 Abs. 5 BsGaV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Fiktive Darlehensbeziehungen als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Bankbetriebsstätten a) Allgemeines zur Anerkennung von fiktiven Darlehensverhältnissen . . . . . . . . . . b) Einlagesammelstellen . . . . . . . c) Sachgerechte Ermittlung des anzusetzenden Zinses . . . .

14.68 14.70 14.76 14.82 14.86 14.94

14.97

14.102 14.109 14.113

III. Vergleich AOA . . . . . . . . . . . . . . . 14.115 14.45 14.50 14.55 14.58

14.60 14.66

D. Dotationskapital einer inländischen Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift . . . . . 14.118 II. Kommentierung 1. Verhältnis zu § 12 BsGaV . . . . . . 2. Regelfall: Kapitalaufteilungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikogewichtete Positionsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufzuteilendes Kapital . . . . . . 3. Ansatz eines niedrigeren Dotationskapitals im Ausnahmefall . . .

14.119 14.122 14.124 14.126 14.128

Bender 429

Kap. 14 Rz. 14.1 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten 4. Vereinfachungsregelungen für inländische Bankbetriebsstätten (§ 20 Abs. 3 BsGaV) . . . . . . . . . . 5. Ermittlung des Dotationskapitals bei Unterkapitalisierung des ausländischen Kreditinstituts (§ 20 Abs. 4 BsGaV) . . . . . . . . . . 6. Anpassung des Dotationskapitals einer inländischen Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Dotationskapital einer inländischen Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts . . . .

14.132

14.135 14.138

III. Vergleich AOA . . . . . . . . . . . . . . . 14.170 14.143

III. Vergleich AOA . . . . . . . . . . . . . . . 14.145 E. Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift . . . . 14.147 II. Kommentierung 1. Verhältnis zu § 13 BsGaV . . . . . . 2. Regelfall: Mindestkapitalausstattungsmethode . . . . . . . . . . . . . 3. Ansatz eines höheren Dotationskapitals im Ausnahmefall . . . 4. Auswirkung des ausländischen Aufsichtsrechts auf die Ermittlung des Dotationskapitals einer ausländischen Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5. Ermittlung des Dotationskapitals bei Unterkapitalisierung des inländischen Kreditinstituts (§ 21 Abs. 4 BsGaV) . . . . . . . . . . . 14.161 6. Anpassung des Dotationskapitals einer ausländischen Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.164 7. Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts . . 14.168

14.148 14.151 14.154

14.157

F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift . . . . . 14.171 II. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . 1. Zuordnung von Vermögenswerten aus dem globalen Handel von Finanzinstrumenten . . . . . . . 2. Aufteilung der Handelsergebnisse a) Aufteilungsmaßstab im Fall einer Funktionsaufteilung . . . b) Zuordnung der Handelsbestände zu einer Bankbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . 3. Anzuwendende Verrechnungspreismethoden . . . . . . . . . . . . . . .

14.172 14.174

14.178 14.183 14.187

III. Vergleich AOA . . . . . . . . . . . . . . . 14.191

Literatur: Andresen, Banken: Einkünfteabgrenzung für das Einlagengeschäft inländischer Betriebsstätten unter Berücksichtigung des AOA (Authorised OECD Approaches), ISR 2013, 320; Busch, Die finale Fassung der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, DB 2014, 2490; Engelen/Tcherveniachki, Die Besteuerung von Bankbetriebsstätten nach den VWG BsGa – Teil I; IWB 2018, 89; Engelen/Tcherveniachki, Die Besteuerung von Bankbetriebsstätten nach den VWG BsGa – Teil II; IWB 2018, 129; Greier/Friedrich, Die Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, DB 2016, 1773; Köhler/Scholz, Finanzierung von Bankbetriebsstätten unter der BsGaV, RdF 2016, 228; Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 3401–3500; Roeder/Friedrich, Regelungsmängel der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, BB 2015, 1053; Schmitt/ Persch/Jung, Sonderregelungen für Banken im Entwurf der Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung – Abweichungen vom OECD-Betriebsstättenbericht, IWB 2016, 440.

A. Verhältnis zum allgemeinen Teil der BsGaV 14.1 Besonderheiten. Der zweite Teil der BsGaV (§§ 18–22 BsGaV) enthält Bestimmungen, die den Besonderheiten einer Bankbetriebsstätte Rechnung tragen sollen. Die 430 Bender

B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV)

Rz. 14.5 Kap. 14

Regelungen der §§ 18–22 BsGaV verdrängen die Bestimmungen des allgemeinen Teils der BsGaV (§§ 1–17 BsGaV) nur insoweit, als sie ausdrücklich eine abweichende Regelung enthalten (§ 18 BsGaV). Rechtsgrundlage. Hieraus folgt, dass auch für Bankbetriebsstätten der Anwendungs- 14.2 bereich der BsGaV durch § 1 Abs. 5 AStG vorgegeben wird.1 Unterhält ein Kreditinstitut mit Sitz im Staat A im DBA-Staat B eine Niederlassung, die ausschließlich der Marktbeobachtung im Staat B dient, handelt es sich hierbei zwar um eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO, in der Regel jedoch nicht um eine DBA-Betriebsstätte (Art. 5 Abs. 4 Buchst. d OECD-MA 2005). Die BsGaV findet weder in ihrem allgemeinen noch im zweiten Teil Anwendung auf diese Bankniederlassung im Staat B. Begriffsbestimmungen. Da die §§ 18–22 BsGaV keine Besonderheit hinsichtlich des 14.3 Regelungsinhalts der §§ 2 und 3 BsGaV enthalten, gelten diese Vorschriften uneingeschränkt für Bankbetriebsstätten, d.h., die Begriffsbestimmungen des § 2 BsGaV sind auch bei Bankbetriebsstätten anzuwenden und auch für Bankbetriebsstätten ist eine Hilfs- und Nebenrechnung i.S.d. § 3 BsGaV zu erstellen.

B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift Definition. § 18 BsGaV dient der Abgrenzung des für Bankbetriebsstätten gelten- 14.4 den zweiten Teils der BsGaV vom allgemeinen Teil. Er enthält daher die als Abgrenzungskriterien dienenden Begriffe des Kredit- bzw. Finanzdienstleistungsinstituts, der Bankbetriebsstätte und der Bankgeschäfte, auf die der zweite Teil der BsGaV Anwendung finden soll. Hiermit soll erreicht werden, dass auf die Besteuerung von Betriebsstättensachverhalten im Bereich der Kreditwirtschaft, die im grenzüberschreitenden Geschäft traditionell stark über Betriebsstätten engagiert ist, sachgerechte Lösungen angewandt werden können, die die Ansätze des allgemeinen Teils dort anpassen, wo es die Geschäftsmodelle der Kreditwirtschaft verlangen. Abgrenzung. Soweit es keine Unterschiede zwischen den Geschäftsmodellen der Kre- 14.5 ditwirtschaft und denen der Unternehmen außerhalb des Finanzsektors gibt, sieht § 18 BsGaV folgerichtig die Anwendung des allgemeinen Teils des BsGaV auch auf Bankbetriebsstätten vor.

1 Vgl. insoweit BMF v. 22.12.2016 – IV B 5-S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 5 ff. – im Folgenden VWG BsGa.

Bender 431

Kap. 14 Rz. 14.6 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

II. Kommentierung 1. Betriebsstätte eines Kreditinstituts

14.6 Definition. Eine Bankbetriebsstätte i.S.d. zweiten Teils der BsGaV ist dann anzunehmen, wenn eine Betriebsstätte Teil eines Kreditinstituts ist und Bankgeschäfte betreibt (§ 18 BsGaV). Für die Definition des Kreditinstituts ist auf § 1 Abs. 1 des Kreditwesengesetzes (KWG) abzustellen, wenn es sich um ein inländisches Unternehmen nach § 2 Abs. 1 BsGaV handelt, oder, im Fall eines ausländischen Unternehmens (§ 2 Abs. 2 BsGaV), auf das ausländische Bankenaufsichtsrecht. 14.7 Verweis auf KWG. Nach der Definition des § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG sind Kreditinstitute Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Da der Begriff der Bankgeschäfte selbst wiederum Tatbestandsmerkmal in § 18 BsGaV ist (s. Rz. 14.16 ff.), kann der Verweis auf § 1 Abs. 1 KWG nur so verstanden werden, dass hier auf die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 KWG Bezug genommen wird („gewerbsmäßig“ oder „in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert“). Eine Bankbetriebsstätte kann daher nur dann vorliegen, wenn das Unternehmen Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreibt, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Diese Einschränkung ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung, da zu den Bankgeschäften auch solche Transaktionen gehören, die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zumindest gelegentlich auch von anderen Unternehmen bewirkt werden, z.B. die Gewährung von Gelddarlehen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG). Gewerbsmäßig werden Bankgeschäfte betrieben, wenn angestrebt wird, durch wiederholtes Tätigwerden eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu schaffen. Für die Frage, wann ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb vorliegt, ist auf die zu § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG ergangene Verwaltungsauffassung1 hinzuweisen. Die gelegentliche darlehensweise Vergabe in einer Betriebsstätte eines Produktionsunternehmens vorhandener Geldmittel führt damit nicht dazu, dass diese Betriebsstätte als Bankbetriebsstätte i.S.d. §§ 18 ff. BsGaV gilt. 14.8 Umfang Bankgeschäfte. Darauf hinzuweisen ist jedoch, dass § 18 BsGaV seinem Wortlaut nach nicht voraussetzt, dass die Bankbetriebsstätte selbst die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreibt, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Es genügt, dass diese Voraussetzung vom gesamten Unternehmen erfüllt wird. Hieraus folgt, dass z.B. die gelegentliche darlehensweise Vergabe vorhandener Geldmittel im Unternehmen durch die Betriebsstätte eines Kreditinstituts, welches ansonsten lediglich IT-Leistungen erbringt, dazu führt, dass diese Betriebsstätte als Bankbetriebsstätte i.S.d. §§ 18 ff. BsGaV gilt. 14.9 Ausländische Bankbetriebsstätte. Für die vorstehenden Ausführungen geltend entsprechend für Betriebsstätten eines ausländischen Kreditinstituts, da § 18 BsGaV 1 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 Tz. 8.1.3.5.

432 Bender

B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV)

Rz. 14.16 Kap. 14

darauf abstellt, dass die Betriebsstätte Teil eines vergleichbaren Unternehmens im Sinne des ausländischen Bankaufsichtsrechts ist. Banklizenz. Der Begriff des Kreditinstitutes wird durch den Verweis auf § 1 Abs. 1 14.10 KWG bzw. das ausländische Bankaufsichtsrecht nicht davon abhängig gemacht, ob eine behördliche Erlaubnis zum Betrieb von Bankgeschäften im In- oder Ausland vorliegt, wie sie z.B. im Fall eines inländischen Kreditinstitutes von § 32 KWG vorgesehen ist. Von einer Bankbetriebsstätte im Sinne des zweiten Abschnitts der BsGaV ist daher auch dann auszugehen, wenn ein Unternehmen unter Verstoß gegen die jeweiligen aufsichtsrechtlichen Regelungen ohne behördliche Erlaubnis Bankgeschäfte erbringt. Umfang Bankgeschäfte. Im Fall eines Kreditinstituts erweitern die VWG BsGa in 14.11 Rz. 193 den Begriff der Bankgeschäfte über den Katalog des § 1 Abs. 1 KWG hinaus. Der steuerliche Begriff der Bankgeschäfte ist daher weiter zu fassen als der aufsichtsrechtliche (s. Rz. 14.18). 2. Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts Allgemeines. Die begriffliche Unterscheidung des deutschen Aufsichtsrechts in § 1 14.12 Abs. 1 und Abs. 1a KWG zwischen einem Kreditinstitut und einem Finanzdienstleistungsinstitut wird in § 18 BsGaV übernommen. Für die Definition des Finanzdienstleistungsinstituts ist auf § 1 Abs. 1a des Kreditwesengesetzes (KWG) abzustellen, wenn es sich um ein inländisches Unternehmen nach § 2 Abs. 1 BsGaV handelt, oder im Fall eines ausländischen Unternehmens (§ 2 Abs. 2 BsGaV) auf das ausländische Bankenaufsichtsrecht. Definition. Finanzdienstleistungsinstitute sind demnach Unternehmen, die Finanz- 14.13 dienstleistungen für andere gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert und die keine Kreditinstitute sind. Geschäftsbetrieb. Hinsichtlich der Begriffe „gewerbsmäßig“ und „in kaufmännische 14.14 Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb“ sowie zur Notwendigkeit einer behördlichen Erlaubnis gelten die obigen Ausführungen zu Kreditinstituten (s. Rz. 14.7) entsprechend. Bankbetriebsstätteneigenschaft. Da Finanzdienstleistungsinstitute gerade keine 14.15 Bankgeschäfte erbringen, ist die Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts regelmäßig keine Bankbetriebsstätte i.S.d. §§ 18 ff. BsGaV. Dieses Verständnis des Zusammenspiels von BsGaV und KWG wird gestützt durch die gleichlautende Aussage in Rz. 192 der VWG BsGa. 3. Bankgeschäfte im Sinne des KWG Definition. Der in § 18 Nr. 2 BsGaV verwendete Begriff der „Bankgeschäfte“ ist dort 14.16 nicht weiter definiert. Wegen des Verweises in § 18 Nr. 1 BsGaV auf § 1 Abs. 1 KWG Bender 433

Kap. 14 Rz. 14.16 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

ist es naheliegend, die in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG enthaltene abschließende Aufzählung der aufsichtsrechtlichen Bankgeschäfte auf die BsGaV zu übertragen.

14.17 Tätigkeitenkatalog. Somit sind die folgenden Tätigkeiten als Bankgeschäfte anzusehen: – das Einlagengeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG, – das Pfandbriefgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a KWG, – das Kreditgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG, – das Diskontgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 KWG, – das Finanzkommissionsgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG, – das Depotgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KWG, – die Eingehung der Verpflichtung, zuvor veräußerte Darlehensforderungen vor Fälligkeit zurück zu erwerben, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 KWG, – das Garantiegeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 KWG, – das Scheckeinzugs-, Wechseleinzugs- und Reisescheckgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 KWG, – das Emissionsgeschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG, – das E-Geld-Geschäft, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 11 KWG, – die Tätigkeit als zentrale Gegenpartei i.S.v. § 1 Abs. 31 KWG, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 KWG.

14.18 Weitere Tätigkeiten. Die VWG BsGa erweitern in Rz. 193 den Begriff der Bankgeschäfte über den Katalog des § 1 Abs. 1 KWG hinaus. Der steuerliche Begriff der Bankgeschäfte ist daher weiter zu fassen als der aufsichtsrechtliche. Hierzu gehören auch – Finanzdienstleistungen i.S.d. § 1 Abs. 1a KWG, die von einem Kreditinstitut i.S.d. § 1 Abs. 1 KWG erbracht werden und – die Anlage von Vermögen in Wertpapieren, Beteiligungen und anderen Vermögenswerten durch ein Kreditinstitut, wenn eine bankübliche Kapitalanlage unter Beachtung des Grundsatzes der Risikostreuung vorliegt.

14.19 Katalog der Finanzdienstleistungen. Der aufsichtsrechtliche Begriff der Finanzdienstleistung umfasst die folgenden Tätigkeiten, die, wenn sie von einem Kreditinstitut ausgeführt werden, zu den Bankgeschäften i.S.d. § 18 Nr. 2 BsGaV zählen: – die Anlagevermittlung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 KWG, – die Anlageberatung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1a KWG, – der Betrieb eines multilateralen Handelssystems, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1b KWG, – das Platzierungsgeschäft, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1c KWG,

434 Bender

B. Definition der Bankbetriebsstätte (§ 18 BsGaV)

Rz. 14.23 Kap. 14

– die Abschlussvermittlung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 KWG, – die Finanzportfolioverwaltung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG, – der Eigenhandel, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG, – die Drittstaateneinlagenvermittlung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 5 KWG, – das Sortengeschäft, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 7 KWG, – das Factoring, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 9 KWG, – das Finanzierungsleasing, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 10 KWG, – die Anlageverwaltung, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 11 KWG, – das eingeschränkte Verwahrgeschäft, § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 12 KWG, – unter bestimmten Voraussetzungen das Eigengeschäft, § 1 Abs. 1a Satz 3 KWG. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen. Die vorstehend dargestellten Bank- 14.20 geschäfte und Finanzdienstleistungen eines Kreditinstituts gehören wegen der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte auch dann zu den Bankgeschäften i.S.d. § 18 BsGaV, wenn es sich um anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen (s. hierzu auch Rz. 9.1 ff.) nach § 16 BsGaV handelt. Vermögensanlage eines Kreditinstitutes. Auch die Anlage von Vermögen in Wert- 14.21 papieren, Beteiligungen und anderen Vermögenswerten durch ein Kreditinstitut gehört zu den Bankgeschäften i.S.d. § 18 Nr. 2 BsGaV, wenn eine bankübliche Kapitalanlage unter Beachtung des Grundsatzes der Risikostreuung vorliegt. Hier führen die VWG BsGa1 eine Erweiterung des Begriffs der Bankgeschäfte ein, die sich an der im BMF-Schreiben v. 14.5.20042 enthaltenen Regelung orientiert und so der Praxis der Vermögensanlage von Kreditinstituten Rechnung trägt. 4. Andere Tätigkeiten der Betriebsstätte eines Kreditinstituts Abgrenzung. Übt die Betriebsstätte eines Kreditinstituts neben den oben dargestell- 14.22 ten Bankgeschäften weitere Tätigkeiten aus, gilt sie zwar insgesamt als Bankbetriebsstätte im Sinne des zweiten Teils der BsGaV, auf die übrigen Tätigkeiten findet jedoch nur der allgemeine Teil Anwendung mit Ausnahme der §§ 12 bzw. 13 BsGaV.3 Hieraus folgt, dass das Dotationskapital einer inländischen Bankbetriebsstätte stets nach § 20 BsGaV, das Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte stets nach § 21 BsGaV zu ermitteln ist, auch wenn in der Betriebsstätte Tätigkeiten erbracht werden, die keine Bankgeschäfte darstellen. Keine Bankbetriebsstätte. Hat ein Kreditinstitut eine Betriebsstätte, die keine Bank- 14.23 geschäfte erbringt, und folglich keine Bankbetriebsstätte im Sinne der BsGaV dar1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 193. 2 Vgl. BMF v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 Tz. 8.1.3.4. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 194.

Bender 435

Kap. 14 Rz. 14.23 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

stellt, findet auf diese stets der allgemeine Teil der BsGaVAnwendung.1 In diesem Fall ist auch das Dotationskapital nach §§ 12 bzw. 13 BsGaV zu ermitteln (s. Rz. 14.120). Im Fall einer inländischen Betriebsstätte ist dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt, für die Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode das aufzuteilende Kapital nach Maßgabe der Rz. 233 ff. VWG BsGa zu ermitteln.2 5. Gründung einer Bankbetriebsstätte

14.24 Allgemeines. Die BsGaV und die VWG BsGa enthalten keine Regelung der Frage, ab wann eine Betriebsstätte eines Kreditinstituts als Bankbetriebsstätte im Sinne der BsGaV zu behandeln ist. 14.25 Betriebsstättengründung. Insbesondere bei Gründung einer Betriebsstätte werden nicht sofort Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungsgeschäfte i.S.d. § 1 KWG im Rahmen eines eingerichteten Geschäftsbetriebs ausgeübt werden können. Um eine konsistente Behandlung einer Betriebsstätte zu erreichen, sollte die Qualifikation als Bankbetriebsstätte auf den Zeitpunkt der Betriebsstättengründung zurückwirken können, so dass auch in der Gründungsphase die besonderen Regelungen für Bankbetriebsstätten Anwendung finden. Dies betrifft insbesondere die Ermittlung des Dotationskapitals. 14.26 Gescheiterte Gründung. Für den Fall der gescheiterten Gründung einer Bankbetriebsstätte, z.B. weil im Betriebsstättenstaat eine notwendige Banklizenz nicht erteilt wird, und zu keinem Zeitpunkt Bankgeschäfte i.S.d. § 18 Nr. 2 BsGaV erbracht werden, erscheint die vorgenannte Billigkeitslösung nicht angebracht. Hier findet ausschließlich der allgemeine Teil der BsGaVAnwendung. 6. Schließung einer Bankbetriebsstätte

14.27 Allgemeines. Ebenso wie für den oben besprochenen Fall der Betriebsstättengründung enthalten BsGaV und VWG BsGa keine Regelung der Frage, wie lang die Betriebsstätte eines Kreditinstituts als Bankbetriebsstätte im Sinne der BsGaV zu behandeln ist. 14.28 Schließung. Bei Aufgabe einer Betriebsstätte wird oftmals auch nach Rückgabe der Banklizenz im Betriebsstättenstaat noch eine feste Einrichtung beibehalten werden müssen, um schwebende Geschäfte vor Ort weiter betreuen zu können. Solange in der Betriebsstätte Funktionen in Bezug auf Bankgeschäfte erbracht werden, ist zweifellos von einer Bankbetriebsstätte i.S.d. § 18 BsGaV auszugehen. 14.29 Bankbetriebsstätte. Ist diese Betriebsstätte lediglich mit der Abwicklung der ihr zugeordneten Vermögenswerte beschäftigt, spricht nichts dagegen, dies als die letzten Tätigkeiten einer Bankbetriebsstätte zu verstehen und auch hierauf noch den zweiten

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 195. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 196.

436 Bender

C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.33 Kap. 14

Teil der BsGaV anzuwenden. Dies betrifft insbesondere die Ermittlung des Dotationskapitals.

III. Vergleich AOA Regelungen. Der zweite Teil der BsGaV greift den Ansatz der OECD in ihrem Be- 14.30 triebsstättenbericht 20101 auf, die sich durch die Besonderheiten des Bankgeschäfts veranlasst sah, bestimmt Aspekte der Geschäftstätigkeit im Finanzsektor in eigenen Teilen des Berichts darzustellen. Der zweite2 und dritte Teil3 des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 geht ausführlich auf Besonderheiten des Finanzsektors ein. Diese Besonderheiten haben auch den Verordnungsgeber bewogen, im deutschen Konzept der Umsetzung des AOA der Kreditwirtschaft einen eigenen Teil der BsGaV einzuräumen.

C. Besondere Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift Zuordnungsregeln. Schwerpunkt des Anwendungsbereichs des § 19 BsGaV ist die 14.31 Implementierung besonderer Zuordnungsregeln für die Vermögenswerte einer Bankbetriebsstätte. Damit gliedert sich diese Norm in den Ansatz der BsGaV ein, zunächst über eine Zuordnung von Vermögenswerten zu einer sachgerechten Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten zu gelangen. In diesem Zusammenhang regelt § 19 BsGaV nicht nur die erstmalige Zuordnung von Vermögenswerten, er betrifft auch die spätere Übertragung der Vermögenswerte zwischen Bankbetriebsstätten. Verrechnungspreise. In seinen beiden letzten Absätzen wendet sich die Vorschrift 14.32 anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Bankbetriebsstätten i.S.d. § 16 BsGaV zu. Die Vergütung dieser Personalfunktionen hat ausdrücklich unter Beachtung des Fremdvergleichs zu erfolgen.

II. Kommentierung Inhalt. § 19 der BsGaV ist mit „Besondere Zuordnungsregelungen für Bank- 14.33 betriebsstätten“ überschrieben, enthält aber darüber hinaus noch Regelungen zur Behandlung anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen bei Bankbetriebsstätten. 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/transferpricing/attributes-of-profits-permanent-establishments-german.pdf. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II: Besondere Erwägungen zur Anwendung des AOA auf Betriebsstätten von Banken. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III: Besondere Erwägungen zur Anwendung des AOA auf Betriebsstätten von im Global Trading tätigen Unternehmen.

Bender 437

Kap. 14 Rz. 14.34 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

14.34 Abgrenzung. Hinsichtlich der Anwendung der Zuordnungsregeln ist zu beachten, dass der Anwendungsvorrang des zweiten Teils der BsGaV nach der in Rz. 194 der VWG BsGa dargelegten Systematik nur auf solche Vermögenswerte Anwendung findet, für die dies ausdrücklich angeordnet wird. Für die übrigen Vermögenswerte einer Bankbetriebsstätte gelten die allgemeinen Zuordnungsregeln der BsGaV. 14.35 Bankgeschäfte. § 19 Abs. 1 BsGaV schränkt den Anwendungsbereich der besonderen Zuordnungsregeln auf Vermögenswerte ein, die Gegenstand von Bankgeschäften i.S.d. § 1 KWG bzw. von Finanzdienstleistungen i.S.d. § 1a KWG sind (zur Definition der Bankgeschäfte vgl. Rz. 14.16, zur Definition der Finanzdienstleistungen vgl. Rz. 14.19). Wegen der in § 18 BsGaV enthaltenen grundsätzlichen Aussage, dass der zweite Teil der BsGaV auf Bankgeschäfte eines Kreditinstituts Anwendung findet (vgl. Rz. 14.6), müssen die in Rede stehenden Bank- bzw. Finanzdienstleistungsgeschäfte durch ein Kreditinstitut i.S.d. § 18 BsGaV ausgeübt werden. 14.36 Anknüpfung an § 18 BsGaV. Trotz des unmittelbaren Verweises auf Bankgeschäfte i.S.d. § 1 KWG und nicht auf solche i.S.d. § 18 Nr. 2 BsGaV erscheint es sachgerecht, auch an dieser Stelle den Begriff der Bankgeschäfte auch um die Vermögensanlage eines Kreditinstituts in Wertpapieren, Beteiligungen und anderen Vermögenswerten zu erweitern, wie dies bereits in Rz. 193 der VWG BsGa für die Auslegung des § 18 BsGaV angeordnet ist. 14.37 Auslegungsfragen. Nicht weiter erläutert wird, wann ein Vermögenswert Gegenstand von Bank- bzw. Finanzdienstleistungsgeschäften ist. Da die Formulierung nicht an anderer Stelle in einer Vorschrift Verwendung findet, kann sie nur aus sich heraus ausgelegt werden. Ein Vermögenswert ist zumindest dann Gegenstand der vorgenannten Geschäfte, wenn er durch diese Geschäfte geschaffen wird, durch diese Geschäfte verwaltet wird oder diese Geschäfte auf die Übertragung eines Vermögenswerts auf einen anderen Eigentümer gerichtet sind. 14.38 Begrenzung auf Aktivgeschäft. Soweit Bank- oder Finanzdienstleistungsgeschäfte i.S.d. KWG nicht zu Vermögenswerten beim Kreditinstitut führen, finden die Zuordnungsregeln des § 19 BsGaV keine Anwendung, da deren Anwendungsbereich auf (aktive) Vermögenswerte beschränkt ist. Dies gilt für alle Geschäfte, die entweder zu Verbindlichkeiten führen (wie z.B. das Einlagegeschäft) oder die bilanzunwirksam bleiben (wie z.B. das Garantiegeschäft). 14.39 Begriffsbestimmung. Gleiches gilt für das Sachanlagevermögen einer Bankbetriebsstätte, da diese Vermögenswerte zum einen, nach der vorstehend angebotenen Definition, nicht Gegenstand von Bank- bzw. Finanzdienstleistungsgeschäften sind und nur lediglich zur Ausführung dieser Geschäfte genutzt werden. Zum anderen setzen die VWG BsGa1 den Begriff der Vermögenswerte des Bankgeschäfts mit dem der finanziellen Vermögenswerte gleich, unter den die Betriebsausstattung des Kreditinstituts nicht gefasst werden kann. Im Folgenden wird daher der Begriff des „finanziellen Vermögenswerts“ verwendet. Die VWG BsGa lehnen diesen Begriff erkennbar an den 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 198.

438 Bender

C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.43 Kap. 14

von der OECD in Teil II des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 durchgängig verwendeten Begriff des „financial assets“ an. 1. Begriff der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion Begriffsbestimmung. Zentrales Kriterium für die Zuordnung finanzieller Vermö- 14.40 genswerte i.S.d. Rz. 198 der VWG BsGa ist die sog. unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Hierbei handelt es nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BsGaV um die Personalfunktion (§ 2 Abs. 3 BsGaV), deren Ausübung dazu führt, dass die mit dem Vermögenswert zusammenhängenden Chancen und Risiken für das Unternehmen entstehen. Anknüpfung an OECD. Hier knüpft die BsGaV eng an den Begriff der KERT- 14.41 Funktion („key entrepreneurial risk-taking function“), den die OECD in ihrem OECD-Betriebsstättenbericht 20101 als für die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten („financial assets“) von Unternehmen der Finanzbranche („financial enterprises“) an die Stelle der Personalfunktion („significant peoples function“) setzt.2 Begründung. Grund für diese grundsätzliche Unterscheidung ist die Einschätzung 14.42 der OECD, die von der BsGaV3 im Zuge der Umsetzung des AOA übernommen wird, dass die Zuordnung eines Vermögenswerts zu einer Bankbetriebsstätte erfordert, dass dieser sämtliche Chancen und Risiken zuzuordnen sind, die mit einem Vermögensgegenstand zusammenhängen. Dies sind zum einen die Chancen und Risiken, die sich aus dem Vermögensgegenstand selbst ergeben, als auch die Chancen und Risiken, die sich aus der unternehmerischen Verwendung des Vermögensgegenstands ergeben. Abgrenzung. Zu beachten ist, dass die Verwendung des Begriffs „KERT-Function“ 14.43 durch die OECD und „unternehmerische Risikoübernahmefunktion“ durch die BsGaV voneinander abweichen. Dies kann möglicherweise in Diskussionen über die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten bei Bankbetriebsstätten zu Verwirrung führen: Die OECD kennt durchaus mehrere denkbare KERT-Functions.4 Die BsGaV möchte dagegen nur eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion annehmen.5 Außerdem ergibt sich durch die in § 19 Abs. 2 Satz 2 BsGaV verwendete Definition der unternehmerischen Risikofunktion unter Bezugnahme auf das Entstehen von Chancen und Risiken und die in § 19 Abs. 2 Satz 3 BsGaV enthaltene Beschränkung auf Funktionen, die bis zum Entstehen des Vermögenswerts erbracht werden, dass solche Funktionen, die im Hinblick auf das Risikomanagement bestehender finanzieller Vermögenswerte erbracht werden, zwar eine KERT-Function sein können, aber keine unternehmerische Risikoübernahmefunktion.6 1 2 3 4 5 6

Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil I, Rz. 8 u. Part II. Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 198 ff. Vgl. VWG BsGa, Rz. 199. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 50. Vgl. hierzu auch § 19 Abs. 2 Satz 2 BsGaV. Diese Auslegung wird durch VWG BsGa, Rz. 200 gestützt.

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Kap. 14 Rz. 14.44 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

14.44 Einschränkungen. Die VWG BsGa sehen weiter vor, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nur eine Personalfunktion sein kann, die in Bezug auf konkrete finanzielle Vermögenswerte erbracht wird. Daher haben strategische Entscheidungen eines Unternehmens, wie z.B. die Festlegung bestimmter Rahmenvorgaben für die unternehmerischen Risikoübernahmefunktionen (Festlegung von Limits etc.), selbst nie die Qualität einer unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Gleiches gilt für die bloße Überprüfung der Einhaltung dieser Rahmenbedingungen durch unternehmensinterne Abteilungen oder Gremien. Wird in einem solchen Gremium eine Entscheidung in Bezug auf einem konkreten finanziellen Vermögenswert getroffen, die über die Überprüfung unternehmensintern bestehender Rahmenbedingungen hinausgeht, z.B. in einem Kreditkomitee eine Entscheidung über die Vergabe eines individuellen Kredits, so kann dies durchaus die unternehmerische Risikofunktion sein. Da in diesem Fall durch Rz. 208 VWG BsGa höhere Dokumentationsanforderungen an die Anerkennung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion gestellt werden, sollte der Steuerpflichtige eine Zuordnungsentscheidung auf Basis einer Gremienentscheidung durch eine ausreichende Dokumentation der Tatsachen, die dafür sprechen, hierin die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu sehen, unterfüttern. Zu Recht weisen die VWG BsGa1 darauf hin, dass eine solche Zuordnung unter vergleichbaren Umständen für gleichartige finanzielle Vermögenswerte nur konsistent und nach gleichen Grundsätzen erfolgen kann, was durch den Steuerpflichtigen nachzuweisen ist. Werden nicht sämtliche finanzielle Vermögenswerte, über die ein solches Gremium in vergleichbarer Weise entschieden hat, der Bankbetriebsstätte zugeordnet, bei der das Gremium angesiedelt ist, wird die deutsche Finanzverwaltung diese Vorgehensweise sicherlich hinterfragen. 2. Zuordnung von Vermögenswerten auf Grund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion (§ 19 Abs. 1 BsGaV)

14.45 Abgrenzung zu § 22 BsGaV. Für finanzielle Vermögenswerte gibt § 19 BsGaV die Zuordnung auf Grund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion vor. Zu beachten ist, dass im Anwendungsbereich des § 22 BsGaV, also beim globalen Handel mit Finanzinstrumenten, eine speziellere Vorschrift existiert, die damit § 19 BsGaV vorgeht.2 Für den Rechtsanwender empfiehlt es sich daher zunächst zu überprüfen, ob die zuzuordnenden Vermögenswerte dem globalen Handel mit Finanzinstrumenten i.S.d. § 22 BsGaV zuzurechnen sind. 14.46 Übernahme der OECD-Kommentierung. Zur Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion enthalten die VWG BsGa weitere Hinweise.3 Entsprechend dem Aufbau des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 in dessen Teil II mit Überlegungen zum Kreditgeschäft und dessen Teil III mit Ausführungen zum globalen Handel mit Finanzinstrumenten finden sich in den VWG BsGa weitere Ausführungen zur Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Kre1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 208. 2 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 272. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 200 ff.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.50 Kap. 14

dit- und im Handelsgeschäft. Andere Geschäftsfelder eines Kreditinstituts werden nicht ausdrücklich angesprochen. Konkretisierung der Regelung. Allen Geschäftsfeldern ist gemeinsam, dass, wie 14.47 oben dargelegt (s. Rz. 14.43), nur die Funktion betrachtet werden dürfen, die bis zum Entstehen des finanziellen Vermögenswerts erbracht werden. Danach erbrachte Funktionen haben keinen Einfluss auf die Zuordnungsroutine des § 19 BsGaV in Bezug auf die erstmalige Zuordnung eines Vermögenswerts. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei den nach dem Entstehen des finanziellen Vermögenswerts erbrachten Funktionen um eine KERT-Funktion i.S.d. OECD-Betriebsstättenberichts 2010 handelt. Unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 BsGaV (s. Rz. 14.76) können sie allerdings eine Zuordnungsänderung rechtfertigen. Wesen der Regelung. § 19 Abs. 2 Satz 3 BsGaV stellt fest, dass der Betriebsstätte, die 14.48 die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf einen Vermögenswert ausübt, dieser Vermögenswert sowie die mit diesem Vermögenswert zusammenhängenden Chancen und Risiken zuzuordnen sind. Diese Regelung übernimmt für den Bereich der Bankbetriebsstätte die im allgemeinen Teil der BsGaV befindliche Vorschrift des § 10 Abs. 1 BsGaV, wonach Chancen und Risiken in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Vermögenswert i.S.d. §§ 5–8 BsGaV der Betriebsstätte zuzuordnen sind, zu der der Vermögenswert gehört. Hieraus folgt, dass unrealisierte und realisierte Wertverluste eines finanziellen Vermögenswerts sowie die Ergebnisse aus einer Zuschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG oder Veräußerungsgewinne, die mit einem finanziellen Vermögenswert erzielt werden, zu dem Ergebnis der Bankbetriebsstätte gehören, in der die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf den Vermögensgegenstand ausgeübt wird. Verbot der Aufteilung. Aus dieser Regelung folgt auch, dass die BsGaV es nicht zu- 14.49 lässt, finanzielle Vermögenswerte quotal mehreren Bankbetriebsstätten zuzuordnen. Wegen der für den globalen Handel mit Finanzinstrumenten geltenden Ausnahme wird auf Rz. 14.178 verwiesen. a) Vermögenswerte des Kreditgeschäfts Wesentliche Personalfunktionen. Unter Bezugnahme auf den OECD-Betriebs- 14.50 stättenbericht 20101 identifizieren die VWG BsGa2 verschiedene Personalfunktionen, die für die Schaffung bzw. für die Verwaltung eines Kredits von Bedeutung sind. Durch die Beschränkung auf die bis zum Entstehen des finanziellen Vermögenswerts (hier der Kreditforderung) erbrachten Funktionen identifizieren die VWG BsGa Sales/Trading als regelmäßige unternehmerische Risikoübernahmefunktion.3 Zu dieser Personalfunktion rechnen die VWG BsGa vor allem das Aushandeln der Vertragsbedingungen, die Bewertung der Risiken (Kreditausfall-, Währungs-, Markt-

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 6. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 203 u. 204. 3 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 209.

Bender 441

Kap. 14 Rz. 14.50 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

und andere Risiken) sowie die Entscheidung über die Kreditvergabe und über deren Bedingungen (z.B. Preisbestimmung).

14.51 Andere Personalfunktionen als unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Hierbei handelt es sich um eine Vermutung, die bei einem Übergewicht einer anderen Personalfunktion über Sales/Trading durch den Steuerpflichtigen entkräftet werden kann. Es empfiehlt sich jedoch bei einem solchen Szenario, die Tatsachen, die aus Sicht des Steuerpflichtigen zu einer abweichenden Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion führen, sorgfältig zu dokumentieren. 14.52 Automatisierte Verfahren. Da Kreditinstitute in der Praxis immer mehr dazu übergehen, Prozesse im innerbetrieblichen Ablauf von Bank- oder Finanzdienstleistungsgeschäften, z.B. im sog. Retailbanking, zu standardisieren und zu automatisieren, können auch Teile der Sales/Trading-Funktion automatisiert ablaufen. Die VWG BsGa nehmen zu solchen Verfahren Stellung.1 Automatisiert ablaufende Verfahren stellen keine Personalfunktion i.S.d. § 2 Abs. 3 BsGaV dar und können daher nie die unternehmerische Risikoübernahmefunktion sein. Personalfunktionen, die in Bezug auf die automatisiert ablaufenden Prozesse erbracht werden, beziehen sich nicht auf einen konkreten finanziellen Vermögenswert, und scheiden somit ebenfalls als unternehmerische Risikoübernahmefunktion aus. Dies betrifft sowohl die Entscheidung, Prozesse zu automatisieren, als auch Entwicklung und Wartung eines IT-gestützten Entscheidungsprozesses.2 14.53 Zuordnungsregeln bei teilweise automatisierten Kreditvergabeprozessen. In diesen Fällen ist nach den VWG BsGa für die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zu differenzieren: Verlangt der ansonsten automatisierte Prozess nach einer individuellen Kreditentscheidung durch das Personal einer Betriebsstätte, ist hierin die unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu sehen.3 Da keine Anforderungen an die Qualität dieser Kreditentscheidung gestellt sind, gilt dies auch, wenn eine Bestätigung einer systemseitig erstellten Kreditentscheidung durch Personal einer Betriebsstätte verlangt ist. In diesem Fall sollte allerdings seitens des Steuerpflichtigen ausreichend dokumentiert werden können, dass diese Bestätigung mit einer Überprüfung des im automatisierten Prozess erstellten Vorschlags für eine Kreditentscheidung durch qualifiziertes Personal einhergeht, welches den Vorschlag des Systems im Einzelfall auch überstimmen können sollte. 14.54 Zuordnungsregeln bei vollständig automatisierten Kreditvergabeprozessen. Ist der gesamte Sales/Trading-Prozess standardisiert und automatisiert, so dass eine individuelle Kreditentscheidung unterbleibt, ersetzt Rz. 210 VWG BsGa die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf eine konkrete Kreditvergabe durch die Entscheidung, den standardisierten Kredit in einem bestimmten Markt anzubieten. Die so herausgegebenen Kredite sind der Betriebsstätte zuzuordnen, in der die Entscheidung getroffen wurde, diese Kredite anzubieten. 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 209–212. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 209. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 211.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.58 Kap. 14

b) Vermögenswerte des Handelsgeschäfts Begriffsbestimmung. Die VWG BsGa1 verwenden den Begriff des Handelsgeschäfts 14.55 eines Kreditinstituts, womit ausdrücklich an den dritten Teil des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 angeknüpft wird. Zu dem in den VWG BsGa verwendeten Begriff der Handelsgeschäfte gehört der Eigenhandel eines Kreditinstituts (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 4 KWG) und das Eigengeschäft (§ 1 Abs. 1a Satz 3 KWG). Damit will die Definition der VWG BsGa die gesamten in eigenem Namen betriebenen Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts in Bezug auf Finanzinstrumente i.S.d. KWG erfassen. Dies wird durch den ebenfalls in den VWG BsGa2 enthaltenen Verweis auf die aufsichtsrechtliche Definition des Handelsgeschäfts gestützt. Die Mindestanforderungen an das Risikomanagement3 führen aus, dass Geschäfte, mit denen eine Kreditinstitut im eigenen Namen und auf eigene Rechnung finanzielle Vermögenswerte erwirbt oder veräußert, Handelsgeschäfte i.S.d. Bankenaufsichtsrechts sind. Abgrenzung. Geschäfte, die in fremdem Namen und für fremde Rechnung durch- 14.56 geführt werden (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 2 KWG), stellen keine Handelsgeschäfte i.S.d. VWG BsGa dar.4 Wesentliche Personalfunktion. Unter Bezugnahme auf den OECD-Betriebsstätten- 14.57 bericht 20105 identifizieren die VWG BsGa6 verschiedene Personalfunktionen, die für die Übernahme und die Verwaltung von Risiken aus Handelsgeschäften von Bedeutung sind. Durch die Beschränkung auf die bis zum Entstehen des finanziellen Vermögenswerts erbrachten Funktionen identifizieren die VWG BsGa Trading & Day-to-Day-Risk-Management als regelmäßige unternehmerische Risikoübernahmefunktion.7 c) Andere Vermögenswerte eines Kreditinstituts Allgemeines. Wegen der engen Bindung der VWG BsGa an den Aufbau des OECD- 14.58 Betriebsstättenberichts 2010 im Bereich der Definition der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion wird ausdrücklich nur auf das Kredit- und das Handelsgeschäft eines Kreditinstituts eingegangen. Konkrete Ausführungen zur Zuordnung anderer Vermögenswerte eines Kreditinstitutes, die nach § 19 BsGaV auf Basis der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zu erfolgen hat, fehlen. Hier ist daher im Einzelfall zu entscheiden. Durch den Steuerpflichtigen ist jeweils die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nach den o.a. Grundsätzen zu bestimmen (Rz. 14.40), wobei auch hier nur die bis zum Entstehen des Vermögenswerts erbrachten Personalfunktionen betrachtet werden dürfen (§ 19 Abs. 2 Satz 3 BsGaV). 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 201. 2 VWG BsGa, Rz. 201. 3 MaRisk, BaFin-Rundschreiben 10/2012 v. 14.12.2012 – BA 54-FR 2210-2012/0002, AT 2.3, Rz. 3. 4 Vgl. auch VWG BsGa, Rz. 201. 5 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Rz. 39. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 206. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 207.

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Kap. 14 Rz. 14.58 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

An Hand der so bestimmten unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist der jeweilige Vermögenswert zuzuordnen. Diese Zuordnung und damit auch die hierfür entscheidende unternehmerische Risikoübernahmefunktion sind in der Hilfs- und Nebenrechnung aufzuzeichnen.

14.59 Zuordnung Vermögensanlage. Vermögenswerte, die der banküblichen Vermögensanlage dienen, sind entsprechend der Ausführungen zum Handelsgeschäft auf Basis der Trading-Funktion zuzuordnen, da die mit diesen Vermögenswerten zusammenhängenden Risiken durch die Kaufentscheidung eingegangen werden. 3. Zuordnung von Vermögenswerten in Fällen einer Aufteilung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion (§ 19 Abs. 2 BsGaV)

14.60 Allgemeines. Während vorstehend der Fall dargestellt wurde, dass nur eine Personalfunktion als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu beurteilen ist, können komplexere Entscheidungsprozesse in einem Kreditinstitut dazu führen, dass sich mehrere Personalfunktionen als unternehmerische Risikoübernahmefunktion qualifizieren. Soweit diese parallel bis zum Entstehen des finanziellen Vermögenswerts ausgeübt werden, bedarf es einer Lösung für die Zuordnung des Vermögenswerts. 14.61 Grundsatz. Ausdrücklich sieht die BsGaV für diesen Fall eine einheitliche Zuordnung des Vermögenswerts zu einer der in Betracht kommenden Betriebsstätten vor. Dem Ansatz einer Aufteilung des Vermögenswerts wird eine Absage erteilt. § 19 Abs. 2 Satz 1 BsGaV sieht hier die Zuordnung zu der Betriebsstätte vor, deren Personalfunktion die größte Bedeutung zukommt. 14.62 Zuordnungskonflikte. Für die Bestimmung, welcher Personalfunktion die größte Bedeutung beizumessen ist, stellen die VWG BsGa1 fest, dass vorrangig auf qualitative Kriterien abzustellen ist. Solange der Beitrag einer unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zum Entstehen des finanziellen Vermögenswerts erkennbar überwiegt, ist dieser der Vermögenswert zuzuordnen. Die Verwendung des Worts „vorrangig“ lässt jedoch auch erkennen, dass die Finanzverwaltung andere Kriterien, z.B. quantitative, zulässt. Dies kann jedoch nur solche Gestaltungen betreffen, in denen die Bedeutung der ausgeübten Personalfunktionen für das Entstehen des finanziellen Vermögenswerts unter qualitativen Gesichtspunkten gleichwertig ist. 14.63 Dokumentation. Für die Praxis ist dem Steuerpflichtigen zu empfehlen, die Gründe, die für seine Zuordnungsentscheidung ausschlaggebend waren, aufzuzeichnen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch die VWG BsGa2 im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 2 Satz 1 BsGaV eine ausdrückliche Aufforderung zur Aufzeichnung der Zuordnungsentscheidung und ihrer Begründung enthalten. Diese Begründung sollte dann ausführlicher ausfallen, wenn andere als qualitative Kriterien herangezogen wurden.

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 213. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 213.

444 Bender

C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.67 Kap. 14

Anforderungen an die Zuordnungssystematik. Die VWG BsGa sehen darüber hi- 14.64 naus vor, dass die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten unter vergleichbaren Umständen für gleichartige finanzielle Vermögenswerte konsistent und nach gleichen Grundsätzen erfolgen muss.1 Obwohl sich die VWG BsGa in Rz. 215 eigentlich mit Vermögenswerten des Kreditgeschäfts beschäftigen, muss dieser Grundsatz auch auf andere Geschäftsfelder des Bankgeschäfts ausgedehnt werden. Verstößt der Steuerpflichtige gegen diese Vorgabe, läuft er Gefahr, dass die Finanzverwaltung für einen Teil seiner finanziellen Vermögenswerte die Zuordnung in Frage stellen könnte. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn er von dem im Kredit- und Handelsgeschäft durch die VWG BsGa angeordneten Regelfall der Zuordnungsentscheidung abgewichen ist. Hinweise bei Funktionsteilung. Für die Praxis enthalten die VWG BsGa allerdings 14.65 für das Kredit- und das Handelsgeschäft weitergehende Ausführungen, wie in Fällen einer Funktionsteilung der Sales/Trading-Funktion (Kreditgeschäft) bzw. der Trading & Day-to-Day-Risk-Management-Funktion (Handelsgeschäft) zu verfahren ist:2 a) Kreditgeschäft Regelfall. Wird die Sales/Trading-Funktion in mehreren Bankbetriebsstätten aus- 14.66 geübt, treffen die VWG BsGa die Aussage, dass im Regelfall diejenige Personalfunktion, auf die das Aushandeln der Vertragsbedingungen mit dem Kunden entfällt, die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ist.3 Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass für die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion Personalfunktionen in Bezug auf den formalen Vertragsabschluss irrelevant sind. Die VWG BsGa stellen damit auf ein qualitatives Element ab, in dem die Finanzverwaltung den Teil des Sales/Trading-Prozesses identifiziert, dem – zumindest im Regelfall – die größte Bedeutung für das Zustandekommen eines Kreditvertrags beigemessen wird. Durch die Verwendung des Begriffs „Regelfall“ wird deutlich, dass auch andere Konstellationen denkbar sind. Dem Steuerpflichtigen ist allerdings zu raten, die Fakten, die zu einer abweichenden Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion führen, besonders sorgfältig zu dokumentieren. Ausnahmen. Für den Fall, dass die in einer Betriebsstätte ausgehandelten Vertrags- 14.67 bedingungen einer Zustimmung durch Mitarbeiter einer anderen Betriebsstätte bedürfen, kann diese Personalfunktion die Bedeutung der Personalfunktion, auf die das Aushandeln der Vertragsbedingungen entfällt, überwiegen. Hier weisen die VWG BsGa4 darauf hin, dass dies eine erneute eigene Kreditprüfung, eine Weisung für die weitere Verhandlung mit dem Kunden und inhaltlich die abschließende Kreditentscheidung durch diese Bankbetriebsstätte voraussetzt. Die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist stets auf Basis der konkreten Umstände des jeweiligen Kreditinstituts für einen bestimmten finanziellen Vermögens1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 215. Vgl. VWG BsGa, Rz. 215 f. Vgl. VWG BsGa, Rz. 215. Vgl. VWG BsGa, Rz. 215.

Bender 445

Kap. 14 Rz. 14.67 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

wert vorzunehmen. Da es sich auch hier um eine Abweichung vom Regelfall (s. Rz. 14.66) handelt, ist hier der ausdrückliche Hinweis auf die Aufnahme einer eindeutigen Zuordnungsentscheidung in die Hilfs- und Nebenrechnung sowie auf die Dokumentation der hierfür entscheidenden Gründe enthalten. b) Handelsgeschäft

14.68 Regelfall. Für den Fall, dass im Handelsgeschäft die Funktion des Trading & Dayto-Day-Risk-Management in verschiedenen Bankbetriebsstätten ausgeübt wird, legen die VWG BsGa1 fest, dass im Regelfall diejenige Personalfunktion, durch die über den Abschluss einer Handelstransaktion und deren Bedingungen entschieden wird, die größte Bedeutung hat und damit die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ist. Auch hier stützt sich die Finanzverwaltung auf das qualitative Element bei der Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Da die VWG BsGa ausdrücklich einen Regelfall beschreiben, sind Ausnahmen möglich. Auch hier ist der Steuerpflichtige gut beraten, eine eindeutige Zuordnungsentscheidung in die Hilfs- und Nebenrechnung aufzunehmen sowie die Dokumentation der hierfür entscheidenden Gründe vorzuhalten. 14.69 Abgrenzung. Für den globalen Handel mit Finanzinstrumenten gehen die Regelungen des § 22 BsGaV denen des § 19 BsGaV vor. Insoweit ist die Zuordnungsentscheidung für finanzielle Vermögenswerte nach den dort getroffenen Bestimmungen zu treffen. 4. Zuordnung von Vermögenswerten auf Grund der Kundenbeziehung (§ 19 Abs. 3 BsGaV)

14.70 Allgemeines. § 19 Abs. 3 BsGaV enthält eine Auffangregelung für die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten, wenn die in § 19 Abs. 2 BsGaV angeordnete Zuordnung zur Betriebsstätte, deren Personalfunktion die größte Bedeutung für das Entstehen des Vermögenswerts zukommt, im Einzelfall nicht möglich ist. Es kann sich nur um Sachverhalte handeln, in denen keiner der ausgeübten Personalfunktionen ein Übergewicht beizumessen ist. In diesem Zusammenhang verweisen die VWG BsGa darauf, dass der Hauptanwendungsfall der Regelung komplexe Entscheidungsvorgänge im Kreditgeschäft sind.2 14.71 Abgrenzung. Jedoch sollte der Hinweis auf komplexe Entscheidungsvorgänge, bei denen mehrere Bankbetriebsstätten in die Gewährung und Genehmigung eines Kredits eingebunden sind, nicht dahingehend missverstanden werden, dass in diesen Fällen stets eine Zuordnung auf Grund der Kundenbeziehung zu erfolgen habe. Vielmehr setzt die Anwendung der Regelung in allen Fällen voraus, dass eine Zuordnung des finanziellen Vermögenswerts nach § 19 Abs. 1 oder 2 BsGaV nicht möglich ist. Die Gründe, die gegen eine Zuordnung nach den vorgenannten Vorschriften spre-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 216. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 217.

446 Bender

C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.76 Kap. 14

chen, sollten vom Steuerpflichtigen als Teil der Zuordnungsentscheidung aufgezeichnet werden. Definition. Die BsGaV enthält keine weitergehende Definition des Begriffes der 14.72 Kundenbeziehung. Nach den VWG BsGa gehört eine Kundenbeziehung zu der Bankbetriebsstätte, in der die folgenden Personalfunktionen ausgeübt werden:1 Betreuung des Kunden, Pflege der Kundenbeziehung, Akquisition von Neukunden usw. Die Aufzählung ist nicht abschließend („usw.“). Anwendungsbereich. Die VWG BsGa weisen zu Recht daraufhin, dass das Merkmal 14.73 der Kundenbeziehung nur für solche finanziellen Vermögenswerte als Zuordnungsmerkmal tauglich ist, für die die Beziehung zu einem konkreten Kunden tatsächlich im Bankbetrieb Bedeutung hat.2 Dies sei insbesondere im Kreditgeschäft, nicht jedoch im Handelsgeschäft der Fall. Öffnungsklausel. Da die Zuordnung auf Grund der Kundenbeziehung in Einzelfäl- 14.74 len zu einer nicht sachgerechten Zuordnung führen könnte, enthält § 19 Abs. 3 Satz 2 BsGaV eine weitere Öffnungsklausel, in dem eine von § 19 Abs. 3 Satz 1 BsGaV abweichende Zuordnung zuglassen wird. Diese Öffnungsklausel steht allerdings unter der Voraussetzung, dass dies im Einzelfall zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Die VWG BsGa führen hierzu weiter aus, dass die Inanspruchnahme der Öffnungsklausel nur dann möglich ist, wenn dies angesichts der ausgeübten Personalfunktionen sowie der Chancen und Risiken zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das im Einzelfall aus Sicht der beiden gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.3 Dokumentation. Da es sich um Einzelfallentscheidungen handeln wird, ist die Fest- 14.75 legung allgemeingültiger Grundsätze, wann ein Fall des § 19 Abs. 3 Satz 2 BsGaV vorliegt, nur schwer möglich. Steuerpflichtigen, die eine Zuordnung auf dieser Basis vornehmen, ist jedoch zu raten, die Zuordnungsgründe sehr sorgfältig zu dokumentieren. Dies umfasst, nach den Ausführungen in den VWG BsGa, insbesondere die Verteilung und Bedeutung der Personalfunktionen, Chancen und Risiken und deren Auswirkungen auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes.4 Darüber hinaus enthalten die VWG BsGa die Aufforderung, im Anwendungsbereich des § 19 Abs. 3 Satz 2 BsGaV gleichartige finanzielle Vermögenswerte konsistent und nach gleichen Grundsätzen zuzuordnen.5 5. Spätere Änderung einer zutreffenden Zuordnung (§ 19 Abs. 4 BsGaV) Allgemeines. Die Abs. 1–3 des § 19 BsGaV regeln die unterschiedlichen Tatbestän- 14.76 de, die über die erstmalige Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts entschei1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 218. Vgl. VWG BsGa, Rz. 217. Vgl. VWG BsGa, Rz. 219. Vgl. VWG BsGa, Rz. 219. Vgl. VWG BsGa, Rz. 220.

Bender 447

Kap. 14 Rz. 14.76 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

den. § 19 Abs. 4 BsGaV nimmt dagegen zu der Frage Stellung, in welchen Fällen die BsGaV eine Änderung dieser Zuordnung steuerlich akzeptiert. Insofern ist § 19 Abs. 4 BsGaV als eine besondere Ausprägung der ansonsten in § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV geregelten (allgemeinen) Zuordnungsänderung zu verstehen.

14.77 Voraussetzung. Wie § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV setzt jede Zuordnungsänderung in Bezug auf einen finanziellen Vermögenswert voraus, dass es einen wirtschaftlichen Vorgang gibt, der die Zuordnungsänderung auslöst und begründet. Die VWG BsGa verweisen für die Auslegung des Begriffs „wirtschaftliche Vorgänge“ in § 16 Abs. 1 BsGaV auf § 1 Abs. 4 AStG.1 14.78 Einschränkung. Die VWG BsGa sprechen ausdrücklich davon, dass die Änderung der Zuordnung nur in Ausnahmefällen möglich sein soll.2 Die Finanzverwaltung wird die von § 19 Abs. 4 BsGaV eingeräumte Möglichkeit der Übertragung eines finanziellen Vermögenswerts nur akzeptieren, wenn ausreichende Gründe vorgetragen werden können. Der Steuerpflichtige, der eine Zuordnungsänderung vornehmen möchte, sollte daher die Gründe, die aus seiner Sicht für eine solche Maßnahme sprechen, ausreichend dokumentieren. 14.79 Übertragungsvorgang. Wird ein finanzieller Vermögenswert übertragen, stellt die Übertragung selbst eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung i.S.d. § 16 BsGaV in der Form eines fiktiven Kaufvertrags dar. Dieser ist entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz gem. § 16 Abs. 2 BsGaV zu vergüten.3 Ein finanzieller Vermögenswert ist daher im Übertragungszeitpunkt zu bewerten und zum gefundenen Zeitwert zu übertragen. Es handelt sich ausweislich der VWG BsGa stets um einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall i.S.d. § 90 Abs. 3 Satz 3 AO.4 Die nötigen Aufzeichnungen sind daher zeitnah zum Übertragungsvorgang zu erstellen. 14.80 Abgrenzung zu § 16 BsGaV. § 19 Abs. 4 BsGaV schränkt § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV dahingehend ein, dass er die Zuordnung im Fall eines finanziellen Vermögenswerts von einer Bankbetriebsstätte zu einer anderen nur unter den in § 19 Abs. 4 BsGaV genannten Alternativen – Zuordnung zur Kundenbeziehung und Beachtung des Fremdvergleiches – zulässt. Daneben sind allerdings Sachverhalte denkbar, in denen sich die Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts ändern muss, ohne dass es sich um eine der in § 19 Abs. 4 BsGaV genannten Alternativen handelt. 14.81 Wahlrecht. Die in § 19 Abs. 4 BsGaV gewählte Formulierung „darf nur geändert werden“ macht deutlich, dass die Zuordnungsänderung grundsätzlich allein durch den Steuerpflichtigen erfolgen kann. Ihm steht ein Wahlrecht zu. Übt er dieses nicht aus, kann dies durch die Finanzverwaltung nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenzug steht es der Finanzverwaltung zu, sowohl die erstmalige Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts als auch dessen spätere Zuordnungsänderung durch den Steuerpflichtigen inhaltlich zu überprüfen und, sofern die Zuordnungsentscheidung nicht 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 169. Vgl. VWG BsGa, Rz. 221. Vgl. VWG BsGa, Rz. 221. Vgl. VWG BsGa, Rz. 227.

448 Bender

C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.86 Kap. 14

im Einklang mit den Grundsätzen der BsGaV getroffen wurde, eine sachgerechte Zuordnung an deren Stelle zu setzen. a) Zuordnung zur Kundenbeziehung Voraussetzungen. Nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 BsGaV darf die Änderung eines finanziellen 14.82 Vermögenswerts vorgenommen werden, wenn sie dazu führt, dass der Vermögenswert der Bankbetriebsstätte zugeordnet wird, zu der die betreffende Kundenbeziehung besteht, und in der Bankbetriebsstätte, der der Vermögenswert zugeordnet war, keine Personalfunktionen im Hinblick auf den Vermögenswert mehr ausgeübt werden. Weitere Voraussetzung ist auch hier, dass ein wirtschaftlicher Vorgang als auslösendes Ereignis die Zuordnungsänderung begründet. Begriffsbestimmung. Die Regelung rückt die Bedeutung der Kundenbeziehung er- 14.83 neut in den Vordergrund. Da der Begriff in den VWG BsGa nicht anderweitig definiert wird, ist davon auszugehen, dass er mit der bereits in § 19 Abs. 3 BsGaV verwandten Kundenbeziehung identisch ist. Daher kann für die Bestimmung der Bankbetriebsstätte, zu der die Kundenbeziehung gehört, auf die Grundsätze in Rz. 218 VWG BsGa zurückgegriffen werden (s. Rz. 14.72). Zeitpunkt. Die VWG BsGa halten in einem Beispiel fest, dass die Zuordnungsände- 14.84 rung nur in dem Zeitpunkt des wirtschaftlichen Vorgangs möglich ist.1 Unterlässt der Steuerpflichtige die Zuordnungsänderung in diesem Zeitpunkt, ist das Wahlrecht aus § 19 Abs. 4 BsGaV in Bezug auf diesen wirtschaftlichen Vorgang für die Zukunft verbraucht. Praxishinweise. Die VWG BsGa2 enthalten den ausdrücklichen Hinweis, dass die 14.85 Zuordnungsänderung für jeden finanziellen Vermögenswert gesondert getroffen werden kann. Allerdings verweist Rz. 227 VWG BsGa3 auch auf die an verschiedenen Stellen in den VWG BsGa enthaltene Regel, gleichartige Vermögenswerte nach gleichen Grundsätzen zu behandeln. Auf die besonderen Dokumentationspflichten wird in den VWG BsGa ebenfalls hingewiesen.4 b) Änderung unter Beachtung des Fremdvergleichs Grundsatz. Nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV darf die Zuordnung eines finanziellen 14.86 Vermögenswerts vorgenommen werden, wenn die Zuordnung im Einzelfall zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Diese sehr offene Formulierung der BsGaV wird durch die VWG BsGa ausdrücklich auf Sachverhalte einer Änderung der Zuordnung zu einer Bankbetriebsstätte verengt, in der das Risikomanagement bezogen auf einen finanziellen Vermögenswert ausgeübt wird. 1 2 3 4

Vgl. VWG BsGa, Rz. 222. Vgl. VWG BsGa, Rz. 223. Vgl. VWG BsGa, Rz. 227. Vgl. VWG BsGa, Rz. 223.

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Kap. 14 Rz. 14.87 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

14.87 Einschränkung. Die VWG BsGa1 führen hierzu aus, dass die Änderung einer ursprünglich sachgerechten Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts nur in Betracht kommt, wenn die verbleibende Risikoübernahmefunktion ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr von der Bankbetriebsstätte durchgeführt wird, der der finanzielle Vermögenswert ursprünglich zu Recht zugeordnet war, sondern von einer anderen Bankbetriebsstätte. Gleichzeit muss dieses konkrete Risikomanagement in der anderen Betriebsstätte die Bedeutung der Personalfunktion, die zur ursprünglichen Zuordnung geführt hat, eindeutig überwiegen. Als Beispiel für dieses Überwiegen führen die VWG BsGa Fälle von Leistungsstörungen an. 14.88 Voraussetzungen. Auch diese Variante der Zuordnungsänderung verlangt einen wirtschaftlichen Vorgang, der die Zuordnungsänderung begründet. Auf Grund der Einschränkung der VWG BsGa2, die den Fremdvergleich nur in Fällen von Leistungsstörungen besser erfüllt sehen, muss der wirtschaftliche Vorgang hier im Übergang des konkreten Risikomanagements bei gleichzeitiger Leistungsstörung liegen. Allerdings muss es sich um ein Risikomanagement bezogen auf einen konkreten finanziellen Vermögenswert handeln.3 Ein Risikomanagement i.S.d. § 25a KWG bezieht sich regelmäßig nicht auf konkrete Vermögenswerte und kann daher eine Zuordnungsänderung nicht begründen. 14.89 Qualitative Anforderungen. Ein in den VWG BsGa4 enthaltenes Beispiel gibt weitere Anhaltspunkte für die aus Sicht der Finanzverwaltung nötigen Voraussetzungen, um eine Zuordnungsänderung nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV zu rechtfertigen. Die Personalfunktion Risikomanagement muss die Personalfunktion, die für die ursprüngliche Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts entscheidend war, qualitativ überwiegen. In diesem Zusammenhang erfolgt ein Hinweis auf Rz. 43 der VWG BsGa, die bereits an anderer Stelle (Konkurrenz von Personalfunktionen) das qualitative Entscheidungsmerkmal aufgegriffen hat. Für die Praxis ist zu raten, dass Steuerpflichtige, die von § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV Gebrauch machen wollen, analog der Aussage in Rz. 43 VWG BsGa, die Gründe, die zum qualitativen Übergewicht des Risikomanagements führen, sorgfältig aufzeichnen. 14.90 Zeitpunkt. Auch hier gilt, dass die Zuordnungsänderung nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV lediglich im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Vorgangs vorgenommen werden kann.5 Unterbleibt die Zuordnungsänderung, ist sie in zukünftigen Veranlagungszeiträumen mit dieser Begründung nicht mehr möglich. 14.91 Praxishinweise. Da die Zuordnungsänderung nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaV nach Ansicht der Finanzverwaltung regelmäßig mit Leistungsstörungen einhergehen wird, ist es hier für die Praxis von besonderer Bedeutung, den genauen wirtschaftlichen Zeitpunkt zu bestimmen und zu dokumentieren, der Anlass der Zuordnungsänderung ist. In einem zweiten Schritt ist dann der Zeitwert des finanziellen Vermögens1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 224. Vgl. VWG BsGa, Rz. 224. Vgl. VWG BsGa, Rz. 225. Vgl. VWG BsGa, Rz. 225. Vgl. das Beispiel in VWG BsGa, Rz. 225.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.95 Kap. 14

werts im Übertragungszeitpunkt zu bestimmen und aufzuzeichnen. Unrealisierte Verluste des finanziellen Vermögenswerts, die bis zum Übertragungszeitpunkt entstanden sind, mindern das Ergebnis der Betriebsstätte, der der finanzielle Vermögenswert bislang zugeordnet war. Abgrenzungsfragen. Die VWG BsGa1 verweisen auf den Umstand, dass die Veräuße- 14.92 rung eines finanziellen Vermögenswerts, der einer Bankbetriebsstätte zugeordnet ist, durch eine andere Bankbetriebsstätte nicht zu einer (vorherigen) Übertragung des finanziellen Vermögenswerts auf die andere Bankbetriebsstätte führt. Solche Konstellationen werden in der Praxis im Rahmen eines zentralisierten Risikomanagements vorkommen, in der Bankbetriebsstätte A im Rahmen des Risikomanagements von Vermögenswerten der Bankbetriebsstätte B auch deren Veräußerung veranlassen kann. Eine Übertragung des finanziellen Vermögenswerts kann sich jedoch bereits vor der Veräußerung auf Basis der oben dargestellten Grundsätze zu § 19 Abs. 4 Nr. 2 BsGaVergeben.2 Konsistenz der praktizierten Systematik. Auch für die Anwendung des § 19 Abs. 4 14.93 Nr. 2 BsGaV gilt, dass gleichartige finanzielle Vermögenswerte konsistent und nach gleichen Grundsätzen einer möglichen Zuordnungsänderung unterworfen werden sollen. Da aus Sicht der Finanzverwaltung nur leistungsgestörte finanzielle Vermögenswerte überhaupt einer Zuordnungsänderung zugänglich sind, kann sich diese Aufforderung folglich auch nur auf diese Gruppe der finanziellen Vermögenswerte beziehen. Eine steuerliche Anerkennung einer Zuordnungsänderung kann nicht mit der Begründung versagt werden, der Steuerpflichtige habe finanzielle Vermögenswerte mit positiven Zeitwerten in der Bankbetriebsstätte der ursprünglichen Zuordnung belassen und diejenigen mit negativen Zeitwerten auf die Bankbetriebsstätte der Risikomanagementfunktion übertragen. c) Faktische Änderung der Zuordnung eines Vermögenswerts Erweiterung der Zuordnungsänderungen. Die beiden Alternativen des § 19 Abs. 4 14.94 BsGaV stellen zwar im Regelfall, wegen ihrer Einschränkung des § 16 BsGaV, die einzigen Möglichkeiten dar, erfolgte Zuordnungen mit steuerlicher Wirkung zu ändern. Daneben gibt es allerdings weitere Tatbestände, die eine Zuordnungsänderung mit steuerlicher Wirkung zulassen. Beendigung der Bankbetriebsstätte. Große Bedeutung in der Praxis dürfte die Be- 14.95 endigung einer Bankbetriebsstätte haben. In diesem Fall müssen die im Beendigungszeitpunkt noch nicht veräußerten finanziellen Vermögenswerte zwingend auf das übrige Unternehmen übertragen werden3. Auch hier erfolgt die Übertragung zum aktuellen Zeitwert, so dass eine Bewertung der Vermögenswerte zu erfolgen hat. Es handelt sich um einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall, so dass die Aufzeichnun-

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 226. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 226. 3 Vgl. § 3 Abs. 4 Satz 3 BsGaV.

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Kap. 14 Rz. 14.95 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

gen zeitnah zu erfolgen haben (§ 90 Abs. 3 Satz 3 AO). Die ermittelten unrealisierten Verluste mindern das Ergebnis der zu schließenden Bankbetriebsstätte.

14.96 Beendigung Sicherungszusammenhang. Eine weitere Fallgestaltung, die zur Übertragung eines finanziellen Vermögenswerts führt, ohne dass die Voraussetzungen des § 19 Abs. 4 BsGaV zu prüfen sind, ist die Beendigung eines Sicherungszusammenhangs i.S.d. § 11 BsGaV. Nach dem Aufbau der BsGaV geht auch für finanzielle Vermögenswerte die Zuordnungsregel des § 11 BsGaV als speziellere Norm dem § 19 BsGaV vor. Ist ein finanzieller Vermögenswert als Sicherungsgeschäft eingesetzt, wird er, unabhängig davon, wo die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf diesen Vermögenswert ausgeübt wird, zunächst der Bankbetriebsstätte zugeordnet, der auch das abgesicherte Geschäft zugeordnet ist. Endet der Sicherungszusammenhang jedoch z.B. mit der Beendigung des abgesicherten Geschäfts, tritt § 11 BsGaV wieder hinter § 19 BsGaV zurück. Der finanzielle Vermögenswert ist nunmehr dort zuzuordnen, wo die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausgeübt wurde, es sei denn, die Zuordnung zu einer anderen Bankbetriebsstätte entspräche dem Fremdvergleichsgrundsatz besser. Die Lösung des Beispiels in Rz. 127 der VWG BsGa äußert sich in vergleichbarer Weise. Auch in diesem Szenario hat eine Übertragung des finanziellen Vermögenswerts zum Zeitwert zu erfolgen. 6. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen in Bezug auf die Vermögenswerte einer Bankbetriebsstätte (§ 19 Abs. 5 BsGaV)

14.97 Grundsätzliches. § 19 BsGaV ist zwar mit „Besondere Zuordnungsregelungen“ überschrieben,1 § 19 Abs. 5 BsGaV enthält aber keine Zuordnungsregelung, sondern geht, wie der nachfolgende Abs. 6 auch, auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen bei Bankbetriebsstätten ein. 14.98 Verrechnungspreisansatz. § 19 Abs. 5 Satz 1 BsGaV enthält die recht allgemein gehaltene Aussage, dass jede Personalfunktion, die eine Betriebsstätte in Bezug auf einen Vermögenswert erbringt, der einer anderen Bankbetriebsstätte zugeordnet ist, Gegenstand einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nach § 16 BsGaV ist, die nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten ist. Die BsGaV bezeichnet diese Personalfunktionen der anderen Betriebsstätte als unterstützende Personalfunktionen und führt als mögliche Konstellationen Personalfunktionen an, die 1. dazu dienen, die eigentliche unternehmerische Risikoübernahmefunktion auszuüben, 2. die nachfolgende Verwaltung des Vermögenswerts umfassen oder 3. andere Hilfsfunktionen sind.

14.99 Beispiele für Bankbetriebsstätten. Verschiedentlich nennen die VWG BsGa selbst Beispiele für solche unterstützenden Personalfunktionen: 1 Die Überschrift der Tz. 2.19.5 der VWG BsGa lautet auch „Zuordnung zu einer Betriebsstätte bei Funktionsaufteilung (§ 19 Absatz 5 BsGaV)“.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.102 Kap. 14

– Nutzung eines automatisierten Prüfungssystems,1 – diejenige Personalfunktion, denen bei Funktionsaufteilung der finanzielle Vermögenswert nicht zugeordnet wird,2 – Risikomanagement ohne Zuordnungsänderung,3 – Kapitalbeschaffung als fiktive Dienstleistung.4 Praxishinweise. In der Praxis wird ein breites Spektrum von Personalfunktionen 14.100 anzutreffen sein, die eine unterstützende Personalfunktion i.S.d. § 19 Abs. 5 BsGaV darstellen. Dieses wird von bloßen Routinefunktionen reichen, die entsprechend der Formulierung des § 19 Abs. 5 BsGaV nicht zwingend von einer Bankbetriebsstätte ausgeübt werden müssen (z.B. IT-Leistungen), bis hin zu Leistungen, die selbst die Qualität einer unternehmerischen Risikoübernahmefunktion haben. Der zutreffende Verrechnungspreis kann nur im Einzelfall auf Basis der ausgeübten Funktionen und der übernommenen Chancen und Risiken bestimmt werden, wobei auch im Fall einer Bankbetriebsstätte grundsätzlich alle Verrechnungspreismethoden anwendbar sind.5 Gerade in Fällen komplexer Entscheidungsabläufe, bei sehr bankspezifischen Personalfunktionen oder bei Funktionsaufteilungen sollte in der Praxis große Sorgfalt auf eine zutreffende Beschreibung des Inhalts der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung und darauf aufbauend auf die Bestimmung des Verrechnungspreises gelegt werden. Ebenso sorgfältig sollte in diesen Fällen die nach § 90 Abs. 3 AO und der GAufzV vorzulegenden Dokumentationen erstellt werden. Konzept der unterstützenden Personalfunktion. Da es sich um Leistungen in Be- 14.101 zug auf einen finanziellen Vermögenswert handelt, der einer bestimmten Bankbetriebsstätte zugeordnet ist, ist diese Bankbetriebsstätte die Empfängerin der unterstützenden Personalfunktion. Die sachgerechte Vergütung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung mindert das Ergebnis dieser Bankbetriebsstätte. 7. Fiktive Darlehensbeziehungen als anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Bankbetriebsstätten a) Allgemeines zur Anerkennung von fiktiven Darlehensverhältnissen Allgemeines. Auch im Fall eines Kreditinstituts sieht die Systematik der BsGaV 14.102 grundsätzlich vor, dass die Zuordnung von Fremdkapital und des zugehörigen Zinsaufwands zu einer Bankbetriebsstätte auf Basis der §§ 14, 15 BsGaVerfolgt. § 19 Abs. 6 BsGaV enthält, wie bereits Abs. 5 der Vorschrift, keine Zuordnungsregeln, sondern nimmt zu Besonderheiten bei anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen in Form von unternehmensinternen Darlehnsverträgen Stellung, die zu einer Durchbrechung des in § 14 BsGaV angeordneten Grundsatzes zur Zuord1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 212. Vgl. VWG BsGa, Rz. 214. Vgl. VWG BsGa, Rz. 222 u. 225. Vgl. VWG BsGa, Rz. 231. Vgl. VWG BsGa, Rz. 172.

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Kap. 14 Rz. 14.102 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

nung von Fremdkapital führen. Zu solchen Verträgen legt § 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV grundsätzlich fest, dass eine Nutzung finanzieller Mittel des übrigen Unternehmens durch eine Betriebsstätte keine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung darstellt. Die Aussage des § 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV gilt in dieser Allgemeinheit auch für Kreditinstitute, da § 16 Abs. 3 Satz 1 BsGaV durch § 19 Abs. 6 BsGaV nicht abbedungen wird. Vom Verbot der Annahme einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung kennt § 16 Abs. 3 Satz 2 BsGaV zwei Ausnahmen: 1. wenn § 17 anzuwenden ist oder 2. wenn auf Grund der Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte im laufenden Wirtschaftsjahr finanzielle Mittel der Betriebsstätte entstehen, die nachweislich für bestimmte Zwecke im übrigen Unternehmen genutzt werden. In der ersten Alternative besteht die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung in der in § 17 Abs. 2 BsGaV beschriebenen Finanzierungsfunktion; es kommt insoweit nicht zu steuerlich anzuerkennenden unternehmensinternen Darlehensverhältnissen. In der zweiten Alternative kommt es zu unternehmensinternen Darlehensverhältnissen (§ 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV spricht insoweit von der Zurverfügungstellung finanzieller Mittel), deren Laufzeit jedoch nach § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV eine Einschränkung erfährt: Steuerlich ist diese Mittelüberlassung am Ende des Wirtschaftsjahrs, spätestens jedoch mit einer Anpassung des Dotationskapitals beendet.

14.103 Verhältnis zu § 16 BsGaV. § 19 Abs. 6 BsGaV knüpft an § 16 Abs. 3 BsGaV an und führt zu einer Verlängerung der steuerlich anzuerkennenden Laufzeiten für solche „Darlehen“. Ausgangspunkt für die Annahme unternehmensinterner Darlehnsverhältnisse müssen daher auch im Fall einer Bankbetriebsstätte finanzielle Mittel sein, die auf Grund der Geschäftstätigkeit einer Betriebsstätte im laufenden Wirtschaftsjahr in dieser Betriebsstätte entstehen und die nachweislich für bestimmte Zwecke im übrigen Unternehmen genutzt werden. Die Rz. 175 ff. VWG BsGa enthalten keine Einschränkungen hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „Geschäftstätigkeit“. Im Fall einer Bankbetriebsstätte ist hierunter die gesamte gewerbliche Tätigkeit zu fassen. Insbesondere gehören hierzu sämtliche Bankgeschäfte i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG und sämtliche Finanzdienstleistungen nach § 1 Abs. 1a Satz 2 KWG. Dies betrifft besonders das Einlagegeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG): Durch das Einlagegeschäft in einer Bankbetriebsstätte hereingenommene Kundengelder sind durch die Geschäftstätigkeit dieser Betriebsstätte entstanden. 14.104 Voraussetzungen. Weiterhin setzt die Annahme eines unternehmensinternen Darlehensverhältnisses voraus, dass nachgewiesen werden kann, dass diese finanziellen Mittel für bestimmte Zwecke im übrigen Unternehmen genutzt werden. Die gängige Poolfinanzierungspraxis eines Kreditinstituts1 macht es nahezu unmöglich, den bestimmten Zweck zu ermitteln, für den finanzielle Mittel in einem Kreditinstitut genutzt werden. Da in diesem Fall allerdings auch § 19 Abs. 6 BsGaV leerlaufen würde, ist davon auszugehen, dass im Fall eines Kreditinstituts der in § 16 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 1 Vgl. z.B. BFH v. 11.10.2012 – I R 66/11, BStBl. II 2013, 676 = FR 2013, 501 m. Anm. Prinz.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.107 Kap. 14

BsGaV enthaltene Nachweis auf die Nutzung durch das übrige Unternehmen beschränkt ist. Dieser Nachweis kann z.B. dadurch geführt werden, dass die Zurverfügungstellung der finanziellen Mittel an das übrige Unternehmen durch entsprechende Buchungsbelege nachvollzogen werden kann. Anwendungsfälle. Für die weitere Prüfung einer unternehmensinternen Darlehens- 14.105 beziehung ist zu unterscheiden, ob es sich bei der Bankbetriebsstätte, die die finanziellen Mittel überlässt, um eine Finanzierungsbetriebsstätte handelt oder nicht. Handelt es sich um eine Finanzierungsbetriebsstätte, setzt die Anerkennung eines unternehmensinternen Darlehensverhältnisses, auch im Fall eines Kreditinstituts, grundsätzlich die Prüfung des § 17 Abs. 7 BsGaV voraus. Handelt es sich nicht um eine Finanzierungsbetriebsstätte, kann auf die Bankbetriebsstätte, die die finanziellen Mittel überlässt, unmittelbar § 19 Abs. 6 BsGaV Anwendung finden. Anwendung auf Bankbetriebsstätten. Im Fall einer Bankbetriebsstätte kann die 14.106 Überlassung finanzieller Mittel auch über die in § 16 Abs. 3 Satz 3 BsGaV genannten zeitlichen Grenzen hinaus anerkennt werden, wenn 1. das Kreditinstitut nachweist, dass die über § 16 Abs. 3 hinausgehende Dauer im Zusammenhang mit der Geschäftspolitik des Kreditinstituts und auf Grund der Personalfunktionen, die im Zusammenhang mit der Zurverfügungstellung und der Entgegennahme von finanziellen Mitteln ausgeübt werden, sachgerecht ist, und 2. die über § 16 Abs. 3 hinausgehende Dauer im Einzelfall zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Auch hier verwendet die BsGaV eine sehr offene Formulierung, die durch die VWG BsGa1 auch nicht weiter eingeschränkt wird. Für die Praxis ist deshalb davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung unternehmensinterne Darlehensverhältnisse regelmäßig anerkennen wird, sofern der Steuerpflichtige eine in sich schlüssige Dokumentation des Zusammenspiels der Geschäftspolitik des Kreditinstituts und der jeweils ausgeübten Personalfunktionen sowie des Einflusses dieser Faktoren auf die Laufzeit einer Mittelüberlassung vorlegen kann, die auch erkennen lässt, weshalb bezogen auf den konkreten Einzelfall die Annahme einer längerfristigen Mittelüberlassung dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht (wegen der Einlagensammelstelle s. Rz. 14.109). Einordnung in die Systematik der BsGaV. Für die Praxis ist allerdings darauf hin- 14.107 zuweisen, dass § 19 Abs. 6 BsGaV auf Grund der Systematik der BsGaV nicht unterschätzt werden sollte: Auch bei Bankbetriebsstätten gilt die Regel, dass einer Betriebsstätte zunächst die Aktiva zugeordnet und danach die „Passivseite“ der Hilfsund Nebenrechnung nach der Zuordnung von passivierungsfähigen Risiken (Rückstellungen) mit Dotationskapital und Fremdmitteln „aufgefüllt“ wird. Können einer Bankbetriebsstätte keine Aktiva zugeordnet werden, dürfen ihr keine Passiva zugerechnet werden. Der umgekehrte Ansatz, dass einer Bankbetriebsstätte, die das Einlagengeschäft betreibt, diese Mittel „passivisch“ zugeordnet werden, woraus „akti1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 229 ff.

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Kap. 14 Rz. 14.107 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

visch“ in der Hilfs- und Nebenrechnung die Anerkennung interner Darlehen folgt, verkennt die Systematik der BsGaV und ist daher abzulehnen.

14.108 Verhältnis zu § 17 BsGaV. Handelt es sich bei der Bankbetriebsstätte, die die finanziellen Mittel an das übrige Unternehmen überlässt, um eine Finanzierungsbetriebsstätte i.S.d. § 17 BsGaV, setzt die Anerkennung unternehmensinterner Darlehen darüber hinaus die Prüfung des § 17 Abs. 7 BsGaV voraus.1 Ist nach den in § 17 Abs. 7 und den VWG BsGa beschriebenen Kriterien von einer Überlassung finanzieller Mittel der Finanzierungs(bank)betriebsstätte an das übrige Unternehmen auszugehen, gilt für diese zunächst § 16 Abs. 3 Satz 2 BsGaV.2 Im nächsten Schritt kann sich die anzuerkennende Laufzeit dieser Mittelüberlassung durch § 19 Abs. 6 BsGaV für eine Finanzierungs(bank)betriebsstätte verlängern. Für die Praxis erscheint es ratsam, die von § 17 Abs. 7 und § 19 Abs. 6 BsGaV geforderten Nachweise, auch wegen ihrer inhaltlichen Nähe, zusammengefasst zu dokumentieren. b) Einlagesammelstellen

14.109 Sonderfall. Lediglich im Fall einer Bankbetriebsstätte, deren Zweck lediglich darin besteht, Einlagen von Kunden anzunehmen, die vom übrigen Unternehmen für Bankgeschäfte genutzt werden, schließen die VWG BsGa die Annahme einer unternehmensinternen Darlehensbeziehung zwischen der Bankbetriebsstätte und dem übrigen Unternehmen aus, da das Funktions- und Risikoprofil der Betriebsstätte dagegen spreche.3 Die VWG BsGa gehen stattdessen von einer fiktiven Dienstleistung dieser Bankbetriebsstätte an das übrige Unternehmen aus. 14.110 Abgrenzungskriterien. Für die Frage, ob der in Rz. 231 VWG BsGa dargestellte Fall vorliegt, ist nach Rz. 232 VWG BsGa darauf abzustellen, ob die hereingenommenen Kundengelder den Finanzbedarf der Bankbetriebsstätte dauerhaft übersteigen (dauerhafter Liquiditätsüberhang). Der dauerhafte Liquiditätsüberhang ist dem übrigen Unternehmen zuzuordnen, insoweit steht der Bankbetriebsstätte ein Entgelt für die Kapitalbeschaffung zu. Allerdings ist der Begriff „dauerhaft“ in den VWG BsGa nicht weiter definiert. Als dauerhaft ist in jedem Fall eine Überlassung anzusehen, die über das Ende des laufenden Wirtschaftsjahrs hinaus anhält. 14.111 Rückausnahme. Die VWG BsGa ermöglichen es dem Steuerpflichtigen, den Nachweis zu führen, dass Liquiditätsüberhang der eigenen Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte dienen sollte. Gelingt der Nachweis, ist ein fiktives Darlehensverhältnis zum übrigen Unternehmen anzuerkennen.4 Die VWG BsGa verweisen in diesem Zusammenhang auf die Personalausstattung der Bankbetriebsstätte. Es ist auch vorstellbar, den Nachweis mit Unterlagen aus dem Bereich der strategischen Unternehmensplanung in Bezug auf die Bankbetriebsstätte zu führen. Voraussetzung ist jedoch, dass diese Planungen hinreichend konkret sind. 1 2 3 4

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die VWG BsGa, Rz. 190 f. So auch die Abwandlung des Beispiels in VWG BsGa, Rz. 191. Vgl. VWG BsGa, Rz. 231. Vgl. VWG BsGa, Rz. 232.

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C. Zuordnungsregeln für Bankbetriebsstätten (§ 19 BsGaV)

Rz. 14.114 Kap. 14

Dienstleistungsentgelt. Ist nach den dargestellten Grundsätzen eine fiktive Dienst- 14.112 leistung bzgl. der Kapitalbeschaffung anzunehmen, ist sie nach dem Fremdvergleichsgrundsatz angemessen zu vergüten. Hierfür sind die übernommenen Funktionen, Chancen und Risiken zu beachten. Liegt der von der Bankbetriebsstätte für die angenommenen Kundengelder gezahlte Zins unter dem, den das übrige Unternehmen ansonsten zahlen müsste, z.B. weil das Zinsniveau im Staat der Bankbetriebsstätte unter dem im Staat des übrigen Unternehmens liegt, kann es sachgerecht sein, diesen Vorteil in die Vergütung der fiktiven Dienstleistung einfließen zu lassen. Auf die Bedeutung der nach § 90 Abs. 3 und der GAufzV zu erstellenden Unterlagen ist in den Fällen solcher fiktiver (Bank-)Dienstleistungen nachdrücklich hinzuweisen. c) Sachgerechte Ermittlung des anzusetzenden Zinses Verrechnungspreisermittlung. Für den Fall, dass ein unternehmensinternes Darle- 14.113 hen dem Grunde nach anerkannt werden kann, ist hierfür ein Zins zu verrechnen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Die VWG BsGa führen dabei als Faktoren, die bei der Bestimmung eines sachgerechten Zinssatzes zu berücksichtigen sind, die Kreditwürdigkeit des Kreditinstituts sowie die Währung und die Laufzeit der Mittelüberlassung an.1 Die Laufzeit für das kreditinstitutsinterne Darlehen muss, so die VWG BsGa, mit der kreditinstitutsexternen Mittelverwendung übereinstimmen. Der unternehmensinternen Mittelüberlassung muss somit ein Zins zugrunde gelegt werden, der für jede Mittelüberlassung individuell im Zeitpunkt der Mittelüberlassung zu bestimmen ist. Darüber hinaus muss ggf. der Aufwand für die Refinanzierung berücksichtigt werden. Die Faktoren, die zur Bestimmung der kreditinstitutsinternen Verzinsung verwendet wurden, sind nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO zeitnah aufzuzeichnen. Zinssatzbestimmung. Bei der Ermittlung des Zinssatzes ist ausgehend vom markt- 14.114 üblichen laufzeitadäquaten Zinssatz in der jeweiligen Währung eine Anpassung an die Bonität des Kreditinstituts vorzunehmen, zu dem die Bankbetriebsstätte gehört. Der so ermittelte Zins ist im nächsten Schritt mit den für die Refinanzierung des Kreditinstituts in diesem Zeitpunkt tatsächlich aufgewandten Zinsen zu vergleichen. Ergibt sich eine Unterdeckung, kann ein Aufschlag auf den ermittelten Zins notwendig werden. Zudem muss der Bankbetriebsstätte, die den unternehmensinternen Kredit gewährt, ein angemessener Gewinn verbleiben. Sofern das nach BTR 3.1 Tz. 5 und 6 der Mindestanforderungen an das Risikomanagement2 vom Kreditinstitut einzurich1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 230. 2 Vgl. Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk, Rundschreiben 09/2017 (BA) v. 27.10.2017, BTR 3.1, Tz. 5, abrufbar unter https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroef fentlichungen/DE/Rundschreiben/2017/rs_1709_marisk_ba.html: „Das Institut hat ein geeignetes Verrechnungssystem zur verursachungsgerechten internen Verrechnung der jeweiligen Liquiditätskosten, -nutzen und -risiken einzurichten. Die Ausgestaltung des Verrechnungssystems ist abhängig von Art, Umfang, Komplexität und Risikogehalt der Geschäftsaktivitäten sowie der Refinanzierungsstruktur des Instituts. Das Verrechnungssystem ist von der Geschäftsleitung zu genehmigen.“ Tz. 6: „Große Institute mit komplexen Geschäftsaktivitäten haben ein Liquiditätstransferpreissystem zur verursachungsgerechten internen Verrechnung der jeweiligen Liquiditätskosten, -nutzen und -risiken zu etablieren. Die ermittelten Transferpreise sind im

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Kap. 14 Rz. 14.114 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

tende interne Verrechnungssystem für Liquiditätskosten den zu beachtenden steuerlichen Vorgaben entspricht, kann für die Betriebsstättengewinnabgrenzung auf dieses Kostenverrechnungssystem aufgesetzt werden.

III. Vergleich AOA 14.115 KERT-Ansatz der OECD. § 19 BsGaV greift weitestgehend die Ansätze auf, die sich bereits im zweiten Teil des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 („Teil II: Besondere Erwägungen zur Anwendung des AOA auf Betriebsstätten von Banken“) finden. Wie die OECD sieht auch § 19 BsGaV für die Zuordnung finanzieller Vermögenswerte bei Bankbetriebsstätten die Notwendigkeit, auf die besonderen Gegebenheiten bei Kreditinstituten Rücksicht zu nehmen und die Risikoübernahmefunktion stärker zu gewichten. Damit wird dem OECD-Ansatz der KERT-Function ausdrücklich gefolgt. Die BsGaV weicht allerdings insoweit von diesem Ansatz ab, als die OECD mehrere KERT-Functions für denkbar hält und sogar eine quotale Zuordnung eines finanziellen Vermögenswerts zulässt, die BsGaV jedoch nur eine einzige unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Hier sind Konflikte mit Staaten, die den AOA anders auslegen, angelegt. 14.116 Übertragung financial assets. Während der OECD-Betriebsstättenbericht 20101 den Kreditinstituten keine ausdrücklichen Einschränkungen auferlegt, unter welchen Voraussetzungen die Übertragung eines existierenden finanziellen Vermögenswerts steuerlich anerkannt werden kann, schränkt § 19 Abs. 4 BsGaV die Möglichkeiten, finanzielle Vermögenswerte mit steuerlicher Wirkung zu übertragen, deutlich ein. Auch hier können Besteuerungskonflikte mit anderen Staaten, die den AOA anders auslegen, nicht völlig ausgeschlossen werden. 14.117 Verrechnungspreisbestimmung für dealings. Die OECD beschreibt den zweiten Schritt des AOA, nach der Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten, in einer Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die dealings zwischen Betriebsstätte und dem übrigen Unternehmen. Diese Vorgehensweise deckt sich mit der in § 19 Abs. 5 und 6 BsGaV angelegten Vergütung der von anderen Teilen des Unternehmens erbrachten Funktionen auf Basis des Fremdvergleichs.

Rahmen der Ertrags- und Risikosteuerung zu berücksichtigen, indem die Verrechnung möglichst auf Transaktionsebene erfolgt. Dies gilt für bilanzwirksame und außerbilanzielle Geschäftsaktivitäten. Die Aspekte Haltedauer und Marktliquidität der Vermögensgegenstände sind bei der Ermittlung der jeweiligen Transferpreise zu berücksichtigen. Für unsichere Zahlungsströme sind geeignete Annahmen zu treffen. Das Liquiditätstransferpreissystem hat auch die Kosten für vorzuhaltende Liquiditätsreserven zu verrechnen.“ 1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 184 ff.

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D. Dotationskapital inländ. Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV)

Rz. 14.121 Kap. 14

D. Dotationskapital einer inländischen Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift Grundsatz. Nachdem einer inländischen Bankbetriebsstätte zunächst nach Maßgabe 14.118 des § 19 BsGaV finanzielle Vermögenswerte zugeordnet wurden, ist dieser in einem weiteren Schritt ein angemessener Teil des Eigenkapitals (s. Rz. 8.24 ff.) des Kreditinstituts zuzuweisen. Dies begrenzt den Zinsaufwand, der zu Lasten des inländischen Ergebnisses in Abzug gebracht werden kann, und trägt gleichzeitig der für ein Kreditinstitut typischen aufsichtsrechtlichen Verbindung von Risiko- und Kapitalallokation Rechnung.

II. Kommentierung 1. Verhältnis zu § 12 BsGaV Abgrenzung. § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG stellt ausdrücklich klar, dass bei der Ge- 14.119 winnabgrenzung einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens bzw. der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens der Betriebsstätte jeweils ein angemessener Teil des Eigenkapitals zugeordnet werden muss. Dieser Teil des Eigenkapitals wird als Dotationskapital bezeichnet. Folglich sieht der allgemeine Teil der BsGaV in § 12 BsGaV für die inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens verbindliche Regelungen für die Bestimmung des angemessenen Dotationskapitals vor. Besonderheiten. Da der zweite Teil der BsGaV in § 20 BsGaV spezielle Bestimmun- 14.120 gen für die Ermittlung des Dotationskapitals einer inländischen Bankbetriebsstätte enthält, ist § 12 BsGaV auf eine Bankbetriebsstätte nicht anwendbar (§ 18 BsGaV). Nur soweit § 20 BsGaV sich ausdrücklich auf Regelungen des § 12 BsGaV bezieht, erlangt diese Vorschrift (mittelbar) für eine Bankbetriebsstätte Bedeutung. Ist die inländische Betriebsstätte eines Kreditinstituts keine Bankbetriebsstätte (vgl. Rz. 14.23), findet auf diese Betriebsstätte § 20 BsGaV keine Anwendung; hier ist das Dotationskapital nach § 12 BsGaV zu bestimmen. Allerdings kann gem. Rz. 196 VWG BsGa in diesem Fall der Kapitalaufteilungsmethode das nach Rz. 233 ff. VWG BsGa ermittelte Eigenkapital zugrunde gelegt werden (vgl. Rz. 14.122). Hintergrund. Der Ansatz eines angemessenen Eigenkapitals in einer Betriebsstätte 14.121 dient der Begrenzung der Fremdkapitalausstattung dieser Betriebsstätte und damit der Begrenzung des Zinsaufwands, der zu Lasten des Betriebsstättenergebnisses abgezogen wird. Während die VWG Dotationskapital1 Regelungen für die Ermittlung einer Zinsberichtigung enthielten, ist dies weder in § 12 BsGaV noch in § 20 BsGaV der Fall. Dies folgt aus der Systematik der BsGaV, die diese Begrenzung des Zinsaufwands 1 BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917 Tz. 2.4 (nicht mehr anwendbar für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, siehe VWG BsGa, Rz. 464).

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Kap. 14 Rz. 14.121 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

auf die in den §§ 14, 15 BsGaV normierte Fremdkapitalausstattung der Betriebsstätte verlagert. Der Ansatz eines Dotationskapitals mindert die der Betriebsstätte direkt oder indirekt zugeordneten Verbindlichkeiten (§ 14 BsGaV) und damit im nächsten Schritt auch den zugeordneten Zinsaufwand (§ 15 BsGaV). Wird der Kapitalbedarf der inländischen Bankbetriebsstätte durch interne Darlehen nach § 19 Abs. 6 BsGaV gedeckt (s. Rz. 14.102), sind auch diese Darlehen der Höhe nach erst nach Ansatz eines angemessenen Dotationskapitals anzuerkennen. In analoger Anwendung der in Rz. 156 VWG BsGa vorgestellten Berechnungsweise sind alle internen Darlehen um das anteilige angemessene Dotationskapital zu mindern. 2. Regelfall: Kapitalaufteilungsmethode

14.122 Grundsatz. Der Regelfall der Ermittlung des Dotationskapitals der inländischen Bankbetriebsstätte eines ausländischen Kreditinstituts ist die sog. Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten (§ 20 Abs. 1 BsGaV). Ihr ist dabei ein Anteil am Eigenkapital des ausländischen Kreditinstituts zuzuordnen, der ihrem Anteil an der Summe der risikogewichteten Positionsbeträge des ausländischen Kreditinstituts im Sinne des ausländischen Bankenaufsichtsrechts entspricht. 14.123 Aufsichtsrecht. Die Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten ist damit die an die aufsichtsrechtlichen Besonderheiten eines Kreditinstituts angepasste Variante der in § 12 Abs. 1 BsGaV geregelten Kapitalaufteilungsmethode. Sie verteilt das aufsichtsrechtliche Eigenkapital des ausländischen Kreditinstituts unter Bezugnahme auf die risikogewichteten Positionsbeträge1. Das deutsche Steuerrecht greift hier auf die bankaufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen des Ansässigkeitsstaats zurück, um so den Fremdvergleichsgrundsatz zu beachten und gleichzeitig einen einfachen und transparenten Ansatz zu verfolgen.2 a) Risikogewichtete Positionsbeiträge

14.124 Aufteilungsmaßstab. Die risikogewichteten Positionsbeträge des ausländischen Kreditinstituts sind auf Basis des ausländischen Bankenaufsichtsrechts für das gesamte Kreditinstitut (inkl. der inländischen Betriebsstätte) als Nenner des Bruchs und für die inländische Bankbetriebsstätte zu ermitteln und aufzuzeichnen. Insbesondere bei Kreditinstituten aus Drittstaaten sollte der Steuerpflichtige in der Lage sein, im Fall einer Betriebsprüfung etwaige Besonderheiten des ausländischen Aufsichtsrechts bzgl. der Ermittlung der Positionsbeträge erläutern zu können. Dem Steuerpflichtigen sollte es möglich sein, die Ermittlung der risikogewichteten Positionsbeträge in Zähler und Nenner des Bruchs aus der Hilfs- und Nebenrechnung der Bankbetriebsstätte bzw. aus der Bilanz des Kreditinstituts herzuleiten. Da zumindest die Zahlen für die risikogewichteten Positionsbeträge des gesamten Kreditinstituts regelmäßig im übrigen Unternehmen ermittelt werden dürften, sollten die Verantwortlichen in 1 Zum Begriff der risikogewichteten Positionsbeträge vgl. Art. 92 ff. VO (EU) Nr. 575/2013, ABl. EU 2013 Nr. L 176, 1. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 233.

460 Bender

D. Dotationskapital inländ. Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV)

Rz. 14.128 Kap. 14

der inländischen Betriebsstätte diese frühzeitig soweit aufbereiten, als im Zuge einer späteren Außenprüfung auftretende Fragen geklärt werden können. Praxishinweise. Gegenstand der Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten 14.125 können im Zähler des Bruchs nur solche Positionsbeträge sein, die auf finanzielle Vermögenswerte oder Risiken entfallen, die der Bankbetriebsstätte auch tatsächlich zugeordnet sind.1 Risikogewichtete Positionsbeträge, die auf anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zum übrigen Unternehmen entfallen, sind für die Berechnung außer Acht zu lassen.2 b) Aufzuteilendes Kapital Eigenkapitalermittlung. Im Rahmen der Kapitalaufteilungsmethode für Bankbe- 14.126 triebsstätten wird der unter Rz. 14.124 f. auf Basis der risikogewichteten Positionsbeträge ermittelte Bruch auf das Eigenkapital des Kreditinstituts angewandt. Das Eigenkapital im Sinne dieser Vorschrift ist dabei der nach dem Bankenaufsichtsrecht des Ansässigkeitsstaats bestimmte Betrag.3 Da das aufsichtsrechtliche Eigenkapital des Kreditinstituts regelmäßig im übrigen Unternehmen ermittelt werden dürfte, sollten die Verantwortlichen in der inländischen Betriebsstätte die Berechnung frühzeitig soweit aufbereiten, als im Zuge einer späteren Außenprüfung auftretende Fragen zu klären sind. Regelfall. Grundsätzlich bestimmt sich das zu berücksichtigende Eigenkapital nach 14.127 den Bestimmungen des Ansässigkeitsstaats. Die VWG BsGa gehen jedoch davon aus, dass sich das Eigenkapital eines ausländischen Kreditinstituts im Regelfall aus dem gezeichneten Kapital (Nennkapital), den einbehaltenen Gewinnen und den offenen Rücklagen zusammensetzt (bankenaufsichtsrechtliches Kernkapital). Zum Eigenkapital gehört auch ein nach ausländischem Recht gebildeter Fonds für allgemeine Bankrisiken oder eine vergleichbare Form der Risikovorsorge. Diese Beträge können der ausländischen Handelsbilanz entnommen werden.4 Wird das aufsichtsrechtliche Eigenkapital im Ansässigkeitsstaat auf Konzernbasis ermittelt, enthalten die VWG BsGa eine Vereinfachungsregelung.5 3. Ansatz eines niedrigeren Dotationskapitals im Ausnahmefall Ausnahmefall. In Fällen, in denen es im Einzelfall für die inländische Bankbetriebs- 14.128 stätte nach der Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten zu einem unangemessen hohen Dotationskapital käme, enthält § 20 Abs. 2 BsGaV eine Öffnungsklausel. Ihre Anwendung nach § 20 Abs. 2 BsGaV setzt allerdings voraus, dass

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 233. Vgl. VWG BsGa, Rz. 235. Vgl. VWG BsGa, Rz. 233. Vgl. VWG BsGa, Rz. 234. Vgl. VWG BsGa, Rz. 236.

Bender 461

Kap. 14 Rz. 14.128 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

1. jeder niedrigere Ansatz begründet wird und 2. das geringere Dotationskapital zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das im Einzelfall aus der Sicht der beiden gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.

14.129 Dokumentationspflicht. Jede Abweichung von der Kapitalaufteilungsmethode ist durch den Steuerpflichtigen zu begründen.1 Dies betrifft auch die Fälle, in denen ein Dotationskapital angesetzt wird, dass unter dem nach der Kapitalaufteilungsmethode ermittelten Betrag aber noch über der nach der Mindestkapitalausstattungsmethode zu bestimmenden Untergrenze für das Dotationskapital liegt. Die Begründung ist um den Nachweis zu ergänzen, dass das niedrigere Dotationskapital dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. 14.130 Untergrenze. Das nach der Mindestkapitalausstattungsmethode bestimmte Kapital stellt dabei die Untergrenze der Dotationskapitalausstattung einer inländischen Bankbetriebsstätte dar. Der Mindestbetrag bestimmt sich danach, welches Eigenkapital (Kernkapital) ein vergleichbares inländisches Kreditinstitut nach inländischem Bankenaufsichtsrecht auszuweisen hätte, zzgl. eines Zuschlags von 0,5 % der Summe der (kreditinstitutsexternen) risikogewichteten Positionsbeträge der Bankbetriebsstätte. Die risikogewichteten Positionsbeträge i.S.d. § 20 BsGaV entsprechen dem Gesamtforderungsbetrag i.S.d. Art. 92 Abs. 3 VO (EU) Nr. 575/2013 (ABl. EU 2013 Nr. L 176, 1).2 Die VWG BsGa erlauben den Ansatz eines anderen Zuschlags, wenn dieser dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht.3 Macht das Unternehmen geltend, dass ein anderer Zuschlag anzusetzen ist, hat es die Berechnung und die Begründung dafür mit der Hilfs- und Nebenrechnung nach § 3 BsGaV vorzulegen. 14.131 Handelsbilanzausweis. Eine weitere Untergrenze des Dotationskapitals ergibt sich aus § 20 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 5 BsGaV, denn auch einer inländischen Bankbetriebsstätte ist stets mindestens das in einer inländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zuzuordnen.4 4. Vereinfachungsregelungen für inländische Bankbetriebsstätten (§ 20 Abs. 3 BsGaV)

14.132 Grundsatz. Für kleine inländische Bankbetriebsstätten sieht § 20 Abs. 3 BsGaV eine Vereinfachungsregelung für die Dotationskapitalermittlung vor. Ein ausländisches Kreditinstitut kann sie in Anspruch nehmen, wenn 1. die Summe der Aktivposten der Hilfs- und Nebenrechnung der inländischen Bankbetriebsstätte weniger als 1 Mrd. Euro beträgt und

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 238. Vgl. VWG BsGa, Rz. 240. Vgl. VWG BsGa, Rz. 241. Vgl. VWG BsGa, Rz. 255.

462 Bender

D. Dotationskapital inländ. Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV)

Rz. 14.135 Kap. 14

2. für die inländische Bankbetriebsstätte ein Dotationskapital i.H.v. mindestens 3 % der Summe der Aktivposten der Hilfs- und Nebenrechnung ausgewiesen wird, mindestens aber 5 Mio. Euro. Hauptanwendungsfall. Nach den VWG BsGa1 ist diese Regelung insbesondere in 14.133 Fällen der Neugründung einer inländischen Bankbetriebsstätte anzuwenden, so dass im Veranlagungszeitraum der Gründung in der Hilfs- und Nebenrechnung ein Dotationskapital i.H.v. 3 % der Summe der Aktivposten, mindestens aber von 5 Mio. Euro auszuweisen ist. Erleichterungen für kleine Bankbetriebsstätten. Weiterer Anwendungsfall der Ver- 14.134 einfachungsregelung sind kleine inländische Bankbetriebsstätten eines ausländischen Kreditinstituts, deren Summe der Aktivposten in der Hilfs- und Nebenrechnung 1 Mrd. Euro nicht übersteigt. Die VWG BsGa2 lassen hier für diese Fälle auch zu, dass statt der Summe der Aktivposten in der Hilfs- und Nebenrechnung die Summe aus der Bilanzstatistischen Meldung an die Deutsche Bundesbank (BISTA-Meldung), die die Zahlen der inländischen Bankbetriebsstätten auf den letzten Bilanzstichtag vor Beginn des Wirtschaftsjahrs enthält, zugrunde gelegt werden. Als Dotationskapital sind 3 % dieser Summe zuzuordnen. Diese in den VWG BsGa eingeräumte Vereinfachungsregelung gilt ausschließlich für die Bestimmung des Dotationskapitals und befreit diese inländischen Bankbetriebsstätten nicht von der Pflicht, eine Hilfs- und Nebenrechnung aufzustellen.3 5. Ermittlung des Dotationskapitals bei Unterkapitalisierung des ausländischen Kreditinstituts (§ 20 Abs. 4 BsGaV) Waiver-Regelung. Die Regelungen für die Bestimmung des angemessenen Dotati- 14.135 onskapitals einer inländischen Bankbetriebsstätte knüpfen eng an die bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften zur Eigenkapitalausstattung eines Kreditinstituts an. Dies beruht auf der Überlegung, dass die aufsichtsrechtliche Eigenkapitalausstattung einen Fremdvergleich für die Dotationskapitalermittlung einer Bankbetriebsstätte zulässt. Lässt der Sitzstaat (EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat) eines ausländischen Kreditinstituts, zu dem die Bankbetriebsstätte gehört, durch eine Regelung entsprechend § 2a KWG4 Erleichterungen bei der Eigenkapitalallokation zu, ist es bankenaufsichtsrechtlich möglich, dass das notwendige Kernkapital nicht in jedem einzelnen Kreditinstitut vorgehalten, sondern dass hierfür auf die Kreditinstitutsgruppe abgestellt wird. Die VWG BsGa verweisen darauf, dass eine Übernahme der bankenaufsichtsrechtlichen Erleichterungen zu Ergebnissen der Besteuerung von inländischen Bankbetriebsstätten führen könnte, die dem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechen.5 § 20 Abs. 4 BsGaV ordnet daher in Fällen, in denen das ausländische Bankenaufsichtsrecht eine Unterkapitalisierung des Kreditinstituts erlaubt, unter bestimmten Be1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 242. Vgl. VWG BsGa, Rz. 243. Vgl. VWG BsGa, Rz. 243. Waiver-Regelung, s. auch Art. 7 VO (EU) Nr. 575/2013, ABl. EU 2013 Nr. L 176, 1 (28). Vgl. VWG BsGa, Rz. 245.

Bender 463

Kap. 14 Rz. 14.135 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

dingungen eine modifizierte Berechnung des Dotationskapitals von inländischen Bankbetriebsstätten an, um den Erfordernissen des Fremdvergleichsgrundsatzes nachkommen zu können.

14.136 Abwandlung der Berechnung. Greift die Waiver-Regelung in § 20 Abs. 4 Satz 2 BsGaV, kommt es zu folgender Modifikation der Kapitalaufteilungsmethode in § 20 Abs. 1 BsGaV: Das aufsichtsrechtliche Kernkapital des Kreditinstituts wird ersetzt durch das bankenaufsichtsrechtliche Kernkapital der Kreditinstitutsgruppe (§ 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BsGaV). Als Aufteilungsmaßstab des modifizierten Kernkapitals sind die risikogewichteten Positionsbeträge der inländischen Bankbetriebsstätte in Verhältnis zur Summe der risikogewichteten Positionsbeträge der Kreditinstitutsgruppe zu setzen (§ 20 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BsGaV). Gruppeninterne Positionsbeträge sind dabei aus dem Nenner des Bruchs auszunehmen. Die nötigen Berechnungsgrundlagen (risikogewichtete Positionsbeträge und aufsichtsrechtliches Eigenkapital der Kreditinstitutsgruppe) sollten schlüssig aus dem Konzernabschluss oder anderen Unterlagen hergeleitet werden können. 14.137 Rückausnahmen. Die modifizierte Berechnung ist nicht durchzuführen, wenn alternativ eine der beiden in § 20 Abs. 4 Satz 1 BsGaV genannten Voraussetzungen erfüllt ist. Dies ist dann der Fall, wenn das ausländische Kreditinstitut 1. die Regelung nicht anwendet oder 2. nachweist, dass seine Eigenkapitalausstattung nach dem anzuwendenden Bankenaufsichtsrecht auch dann ausreichen würde, wenn es die Regelung nicht anwenden würde. In diesem Fall ist die Kapitalaufteilungsmethode, wie in § 20 Abs. 1 BsGaV beschrieben, der Dotationskapitalermittlung zugrunde zu legen. Für die Praxis ist daher im Fall einer inländischen Bankbetriebsstätte eines Kreditinstituts aus einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat zu raten, der Dotationskapitalermittlung und damit der Hilfsund Nebenrechnung Erläuterungen darüber beizufügen, ob das Kreditinstitut die Waiver-Regelung des Sitzstaats in Anspruch genommen und wie sich dieser Umstand auf die Eigenkapitalausstattung des Kreditinstituts ausgewirkt hat. Wurde die WaiverRegelung in Anspruch genommen und möchte die Bankbetriebsstätte den Nachweis nach § 20 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BsGaV führen, ist eine Schattenrechnung für die Ermittlung des aufsichtsrechtlich benötigten Kapitals ohne Berücksichtigung der WaiverRegelung nötig. Die nötigen Berechnungsgrundlagen des Kreditinstituts (risikogewichtete Positionsbeträge und aufsichtsrechtliches Eigenkapital) sollten schlüssig aus dem Jahresabschluss hergeleitet werden können. 6. Anpassung des Dotationskapitals einer inländischen Bankbetriebsstätte

14.138 Anpassungsbedarf. Das Dotationskapital einer Bankbetriebsstätte ist grundsätzlich zu Beginn des Wirtschaftsjahrs zu ermitteln und in dieser Höhe der Ermittlung des Betriebsstättenergebnisses für das betreffende Wirtschaftsjahr zugrunde zu legen. § 20 Abs. 5 BsGaV legt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die unterjährige Anpassung des Dotationskapitals fest. 464 Bender

D. Dotationskapital inländ. Bankbetriebsstätte (§ 20 BsGaV)

Rz. 14.142 Kap. 14

Aufsichtsrecht. Zu den Gründen für eine solche Anpassung gehört die unterjährige 14.139 Änderung der deutschen aufsichtsrechtlichen Vorschriften, die über die Mindestkapitalausstattungsmethode das Dotationskapital beeinflussen können. § 20 Abs. 5 Satz 1 BsGaV und die VWG BsGa1 legen insoweit eine Neuberechnung fest. Eine solche Berechnung macht in der Praxis jedoch nur dann Sinn, wenn das Dotationskapital nicht nach der Kapitalaufteilungsmethode des § 20 Abs. 1 BsGaV ermittelt wurde, die nicht durch das deutsche Aufsichtsrecht beeinflusst werden kann. Vereinfachungsregeln. Da § 20 Abs. 5 Satz 2 BsGaV die sinngemäße Anwendung 14.140 des § 12 BsGaV anordnet, sind auf für Bankbetriebsstätte in § 12 BsGaV enthaltene Vereinfachungsregelungen auf Bankbetriebsstätten anzuwenden. Dies betrifft insbesondere § 12 Abs. 2 Satz 2 BsGaV (Berechnung des Eigenkapitals des Unternehmens) und § 12 Abs. 3 Satz 2 BsGaV.2 Die Inanspruchnahme dieser Regelungen durch eine Bankbetriebsstätte setzt allerdings voraus, dass die in § 12 Abs. 2 bzw. 3 BsGaV näher bezeichneten Nachweise geführt werden können. Der Nachweis muss auch erkennen lassen, dass das auf Basis der Vereinfachungsregelung ermittelte Dotationskapital nicht wesentlich von dem auf Basis der Kapitalaufteilungsmethode berechneten abweicht. Nichtbeanstandungsregelung. Die entsprechende Anwendung der Regelungen des 14.141 § 12 BsGaV umfasst auch die zeitlich begrenzte Nichtbeanstandung der Über- oder Unterdotierung einer inländischen Bankbetriebsstätte.3 Voraussetzung für die Nichtbeanstandung ist, dass die zum Ende des Vorjahrs entstandene Über- bzw. Unterdotierung unverzüglich beseitigt wird, nachdem das Unternehmen sie erkannt hat oder erkennen musste. Die Berechnungen, die die Über- bzw. Unterdotierung erkennbar gemacht haben, und die Buchung, die Über- bzw. Unterdotierung beseitigt, sind in der Hilfs- und Nebenrechnung aufzuzeichnen. Änderung des Kapitalbedarfs. Ein weiterer Grund für die Anpassung des Dotati- 14.142 onskapitals ergibt sich aus § 12 Abs. 6 BsGaV4 und besteht in einer erheblichen Veränderung des Dotationskapitals. Eine solche Veränderung ist erheblich, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs um mehr als 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahrs abweicht, allerdings nur dann, wenn die Abweichung mindestens 2 Mio. Euro beträgt. Indikator für eine erhebliche Veränderung des Dotationskapitals ist insbesondere die Veränderung der jeweils der inländischen Bankbetriebsstätte zuzuordnenden Summe der risikogewichteten Positionsbeträge. Die Pflicht zur Überprüfung einer unterjährigen Anpassung des Dotationskapitals wegen einer erheblichen Veränderung besteht auch dann, wenn die Bankbetriebsstätte die Vereinfachungsregelung nach § 20 Abs. 3 BsGaV in Anspruch nimmt (s. Rz. 14.134). Nach den VWG BsGa ist für die Prüfung einer unterjährigen

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 250. Berechnung der Quote der Betriebsstätte, vgl. VWG BsGa, Rz. 251. Vgl. VWG BsGa, Rz. 252. Vgl. VWG BsGa, Rz. 253.

Bender 465

Kap. 14 Rz. 14.142 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

Anpassung des Dotationskapitals auf den Durchschnitt der Werte laut den BISTAMeldungen des laufenden Jahrs abzustellen.1 7. Dotationskapital einer inländischen Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts

14.143 Abgrenzung. § 20 Abs. 6 BsGaV legt fest, dass die Abs. 1–5 nicht für inländische Betriebsstätten ausländischer Finanzdienstleistungsinstitute gelten, die keinen bankenaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen unterliegen. Das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Finanzdienstleistungsinstituts wird stets nach § 12 BsGaVermittelt. 14.144 Übereinstimmung mit § 18 BsGaV. Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus § 18 BsGaV, da § 20 BsGaV nur auf Bankbetriebsstätten Anwendung findet. Die Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts stellt jedoch keine Bankbetriebsstätte i.S.d. BsGaV dar (vgl. Rz. 14.12). § 20 BsGaV kann daher, auch ohne die ausdrückliche Aussage in § 20 Abs. 6 BsGaV, auf diese Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts keine Anwendung finden.

III. Vergleich AOA 14.145 OECD-konformer Ansatz. Im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 nehmen die Ausführungen zur angemessenen Kapitalausstattung einer Bankbetriebsstätte breiten Raum ein.2 Dies ergibt sich bereits aus der von den Aufsichtsbehörden geforderten Notwendigkeit der Ausstattung einer Bank mit Eigenkapital. Die BsGaV greift mit der Kapitalaufteilungsmethode einen autorisierten Ansatz auf und nutzt, wie von der OECD erlaubt, den Quasi-Unterkapitalisierungsansatz als Safe-Harbour-Regelung.3 14.146 Eigenkapitalbestandteile. Der deutsche Ansatz beschränkt die Dotationskapitalberechnungen auf das sog. Tier 1-Kapital und lässt die aufsichtsrechtlich als Eigenkapital behandelten Tier 2-Bestandteile außer Acht, die nach dem Ansatz der BsGaV über die Verteilung des Fremdkapitalaufwandes nach § 15 BsGaV zu berücksichtigen sind. Die OECD lässt auch die Einbeziehung dieses Fremdkapitals in die Dotationskapitalermittlung zu.4 Geht ein anderer Staat in Bezug auf die aufsichtsrechtlichen Kapitalbestandteile anders vor, können sich in Bezug auf den Abzug von Zinsaufwand im gesamten Kreditinstitut unsachgemäße Ergebnisse einstellen.

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Vgl. VWG BsGa, Rz. 254. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 84 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 114 ff. Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil II, Rz. 116 ff.

466 Bender

E. Dotationskapital ausl. Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV)

Rz. 14.150 Kap. 14

E. Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift Grundsatz. Vergleichbar zu § 20 BsGaV (s. Rz. 14.118) regelt § 21 BsGaV die Eigen- 14.147 kapitalausstattung einer ausländischen Bankbetriebsstätte (hierzu grundlegend Rz. 8.24 ff.), nachdem dieser zuvor nach Maßgabe des § 19 BsGaV finanzielle Vermögenswerte zugeordnet wurden. Dies begrenzt mittelbar den Zinsaufwand, der zu Lasten des inländischen Ergebnisses in Abzug gebracht werden kann, da dem inländischen Teil des Kreditinstituts der Teil des Eigenkapitals verbleiben soll, der über die angemessene Dotationskapitalausstattung der ausländischen Bankbetriebsstätte hinausgeht. Wie § 20 BsGaV trägt die Regelung gleichzeitig der für ein Kreditinstitut typischen aufsichtsrechtlichen Verbindung von Risiko- und Kapitalallokation Rechnung.

II. Kommentierung 1. Verhältnis zu § 13 BsGaV Grundsatz. Auch im Fall der ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Kredit- 14.148 instituts sieht § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG vor, dass dieser bei der Gewinnabgrenzung ein angemessener Teil des Eigenkapitals zugeordnet werden muss. Folglich sieht der allgemeine Teil der BsGaV in § 13 BsGaV für die ausländische Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens verbindliche Regelungen für die Bestimmung des angemessenen Dotationskapitals vor. Abgrenzung. Da der zweite Teil der BsGaV in § 21 BsGaV spezielle Bestimmungen 14.149 für die Ermittlung des Dotationskapitals einer ausländischen Bankbetriebsstätte enthält, ist § 13 BsGaV ähnlich wie § 12 BsGaV auf eine Bankbetriebsstätte nicht anwendbar (§ 18 BsGaV). Nur soweit § 21 BsGaV sich ausdrücklich auf Regelung des § 13 BsGaV bezieht, erlangt diese Vorschrift (mittelbar) für eine Bankbetriebsstätte Bedeutung. Systematik. Ist die ausländische Betriebsstätte eines Kreditinstituts keine Bank- 14.150 betriebsstätte (vgl. Rz. 14.7 und 14.23), findet auf diese Betriebsstätte § 21 BsGaV keine Anwendung; hier ist das Dotationskapital nach § 13 BsGaV zu bestimmen. Die in den VWG BsGa1 im Fall der Kapitalaufteilungsmethode eingeräumte Vereinfachungsregelung (vgl. Rz. 14.23) ist im Fall einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Kreditinstituts nicht anzuwenden. Wie § 20 BsGaV enthält auch § 21 BsGaV keine Regelungen zur Ermittlung der Zinskorrektur, dies erfolgt im Rahmen der Berechnung zu §§ 14, 15 bzw. 19 Abs. 6 BsGaV; auf die Ausführungen zu § 20 BsGaV wird verwiesen (vgl. Rz. 14.121).

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 196.

Bender 467

Kap. 14 Rz. 14.151 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

2. Regelfall: Mindestkapitalausstattungsmethode

14.151 Verhältnis zu § 13 BsGaV. Nach der Formulierung des § 21 Abs. 1 BsGaV ist auch einer ausländischen Bankbetriebsstätte ein nach den Grundsätzen des § 13 Abs. 1 BsGaV bemessenes Dotationskapital zuzuweisen. Dieser geht davon aus, dass einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens Dotationskapital nur zuzuordnen ist, soweit das Unternehmen glaubhaft macht, dass ein Dotationskapital in dieser Höhe aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist. Ohne die Glaubhaftmachung solcher betriebswirtschaftlichen Gründe wäre daher auch im Fall einer ausländischen Bankbetriebsstätte grundsätzlich keine Dotierung möglich. 14.152 Ausländisches Aufsichtsrecht. Enthält das anzuwendende ausländische Bankenaufsichtsrecht jedoch zwingende Regelungen zur Mindestkapitalausstattung, die die ausländische Bankbetriebsstätte einhalten müsste, wenn sie ein selbständiges ausländisches Kreditinstitut wäre, kann der Ansatz des Dotationskapitals nach § 13 Abs. 1 BsGaV überschritten werden. Diese Möglichkeit, eine Bankbetriebsstätte auf Basis des ausländischen Aufsichtsrechts zu dotieren, bezeichnet § 21 Abs. 1 Satz 1 BsGaV als Mindestkapitalausstattungsmethode für Bankbetriebsstätten. Das inländische Kreditinstitut hat die Gründe für den Ansatz eines höheren Dotationskapitals als nach § 13 Abs. 1 nachzuweisen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Während für die Anwendung des § 13 Abs. 1 BsGaVein Glaubhaftmachen der betriebswirtschaftlichen Gründe genügt, ist im Bereich des § 21 Abs. 1 BsGaV ein Nachweis gefordert. Hier sollte in der Praxis im Rahmen der Dotationskapitalermittlung aufgezeichnet werden, welche konkreten Eigenkapitalanforderungen das ausländische Aufsichtsrecht in Bezug auf die fiktiv als selbständig behandelte Bankbetriebsstätte vorsieht. Für die Mindestkapitalausstattungsmethode im Einzelnen vgl. Rz. 14.130, wobei an die Stelle der Vorschriften des deutschen Bankenaufsichtsrechts die des Betriebsstättenstaats treten. Die VWG Dotationskapital1 stellten für die Anwendung der Mindestkapitalausstattungsmethode auf eine ausländische Bankbetriebsstätte noch auf die Vorschriften des deutschen Aufsichtsrechts ab. Dieser Ansatz ist durch die BsGaV aufgegeben worden. 14.153 Untergrenze. Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung handelt es sich bei dem auf Basis der Mindestkapitalausstattungsmethode ermittelten Dotationskapital um die Untergrenze der Dotation der ausländischen Bankbetriebsstätte (Rz. 258 VWG BsGa). Für die Regelungen des § 20 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 5 BsGaV, nach der der Eigenkapitalausweis in einer inländischen Handelsbilanz die Untergrenze der Datierung einer inländischen Bankbetriebsstätte darstellt, findet sich im Fall einer ausländischen Bankbetriebsstätte keine Entsprechung. 3. Ansatz eines höheren Dotationskapitals im Ausnahmefall

14.154 Ausnahmeregelung. § 21 Abs. 2 BsGaV erlaubt den Ansatz eines Dotationskapitals, dass über den nach der Mindestkapitalausstattungsmethode für Bankbetriebsstätten 1 Vgl. BMF v. 29.9.2004 – IV B 4 - S 1300 - 296/04, BStBl. I 2004, 917 (nicht mehr anwendbar für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, siehe VWG BsGa, Rz. 464).

468 Bender

E. Dotationskapital ausl. Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV)

Rz. 14.158 Kap. 14

ermittelten Betrag hinausgeht. Dies setzt allerdings voraus, dass das höhere Dotationskapital zu einem Ergebnis der Bankbetriebsstätte führt, das im Einzelfall aus der Sicht der beiden gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Dokumentationspflicht. Im Fall einer Abweichung von der Mindestkapitalausstat- 14.155 tungsmethode sind die Gründe durch den Steuerpflichtigen zu nachzuweisen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 BsGaV und Rz. 259 VWG BsGa). Dies betrifft auch die Fälle, in denen ein Dotationskapital angesetzt wird, dass über der nach der Mindestkapitalausstattungsmethode bestimmten Untergrenze für das Dotationskapital aber noch unter der nach der Kapitalaufteilungsmethode zu ermittelnden Obergrenze liegt. Die Begründung ist um den Nachweis zu ergänzen, dass das höhere Dotationskapital dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Obergrenze. Das nach der Kapitalaufteilungsmethode bestimmte Kapital stellt dabei 14.156 die Obergrenze der Dotationskapitalausstattung einer inländischen Bankbetriebsstätte dar (§ 21 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Die VWG BsGa stellen in diesem Fall klar, dass es sich hier nicht um eine Anwendung der Kapitalaufteilungsmethode auf die ausländische Bankbetriebsstätte handelt.1 Diese Methode wird lediglich herangezogen, um die nach aufsichtsrechtlichen Erwägungen bestimmte Eigenkapitalausstattung der Bankbetriebsstätte der Höhe nach zu begrenzen. Wegen der Kapitalaufteilungsmethode in Einzelnen wird durch § 21 Abs. 2 Satz 2 BsGaV an § 20 Abs. 1 BsGaV angeknüpft. Daher kann an dieser Stelle auf Rz. 14.122 ff. verwiesen werden.2 4. Auswirkung des ausländischen Aufsichtsrechts auf die Ermittlung des Dotationskapitals einer ausländischen Bankbetriebsstätte Überschreiten der Obergrenze. Ein höheres Dotationskapital als das nach der Ka- 14.157 pitalaufteilungsmethode ermittelte darf der ausländischen Bankbetriebsstätte nur zugeordnet werden, soweit dies das ausländische Bankenaufsichtsrecht für ausländische selbständige Kreditinstitute erfordert und das inländische Kreditinstitut den entsprechenden Regelungen für seine ausländische Bankbetriebsstätte folgt (§ 21 Abs. 3 BsGaV). Begründung. Die VWG BsGa erlauben dem Kreditinstitut mit Verweis auf den 14.158 Fremdvergleichsgrundsatz, den das ausländische Bankenaufsichtsrecht hier gewährleistet, sogar ein Dotationskapital anzusetzen, das den Betrag, der sich nach der Kapitalaufteilungsmethode für Bankbetriebsstätten ergibt, überschreitet.3 Voraussetzung einer solchen Überschreitung ist allerdings ausdrücklich, dass dadurch ein internationaler Besteuerungskonflikt vermieden wird. Das inländische Kreditinstitut sollte in einem solchen Fall die konkreten Anforderungen der ausländischen Bankenaufsicht an die Bankbetriebsstätte frühzeitig und für die deutsche Finanzverwaltung nachvollziehbar aufzeichnen. 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 261. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 261. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 262.

Bender 469

Kap. 14 Rz. 14.159 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

14.159 Begrenzung des Ansatzes. Allerdings sieht die BsGaV in diesen Fällen auch vor, dass dem übrigen Unternehmen eine angemessene Eigenkapitalausstattung verbleibt (§ 21 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Bei der Prüfung der Angemessenheit ist auf die Eigenkapitalanforderungen des deutschen Aufsichtsrechts abzustellen. In die Prüfung sind neben der inländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte alle übrigen Betriebsstätten (auch solche, die keine Bankbetriebsstätten sind) einzubeziehen. Damit reduziert sich ein nach § 21 Abs. 3 Satz 1 BsGaV ermitteltes Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte stets in dem Umfang, wie die Mindestkapitalausstattungsmethode auf Basis des deutschen Bankenaufsichtsrechts für das übrige Unternehmen nicht gewährleistet wäre.1 Diese Schattenrechnung für das übrige Unternehmen ist durch den Steuerpflichtigen zur Hilfs- und Nebenrechnung für die jeweilige Betriebsstätte zu nehmen. 14.160 Praxishinweis. Unterhält ein inländisches Kreditinstitut mehrere ausländische Bankbetriebsstätten, für die eine Dotierung auf Basis der Öffnungsklausel des § 21 Abs. 3 Satz 1 BsGaV in Frage kommt, ist die Schattenrechnung nach § 21 Abs. 3 Satz 2 BsGaV für jede dieser Betriebsstätten gesondert vorzunehmen. In dieser Schattenrechnung sind die jeweils anderen Betriebsstätten, die nach § 21 Abs. 3 Satz 1 BsGaV dotiert werden sollen, im übrigen Unternehmen zu berücksichtigen. Auch für sie ist im Rahmen der Schattenrechnung ein Dotationskapital nach der Mindestkapitalausstattungsmethode basierend auf dem deutschen Bankenaufsichtsrecht zu ermitteln. 5. Ermittlung des Dotationskapitals bei Unterkapitalisierung des inländischen Kreditinstituts (§ 21 Abs. 4 BsGaV)

14.161 Waiver-Regelung. Das Bankenaufsichtsrecht erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen, dass ein inländisches Kreditinstitut unterkapitalisiert ist. Denkbar sind hier zwei Fallgestaltungen, die in § 21 Abs. 4 Satz 1 BsGaV genannt sind. Entweder gehört das Kreditinstitut zu einer inländischen Institutsgruppe nach § 2a KWG oder zu einer ausländischen Institutsgruppe, auf die eine vergleichbare Regelung eines anderen Staats der EU oder des EWR anzuwenden ist. Beide Fälle können dazu führen, dass das inländische Kreditinstitut weniger Kernkapital vorhält, als es ohne diese sog. Waiver-Regelung benötigen würde. In diesem Fällen kann die Dotationskapitalermittlung auf Basis der BsGaV eine Anpassung des Dotationskapitals der ausländischen Bankbetriebsstätte vorsehen.2 14.162 Auswirkung. Bleibt die Eigenkapitalausstattung des Kreditinstituts hinter derjenigen zurück, die ein Kreditinstitut benötigen würde, das die Waiver-Regelung nicht in Anspruch nimmt, so kann einer ausländischen Bankbetriebsstätte dieses Kreditinstituts ein Mindestdotationskapital nur zugeordnet werden, soweit dem übrigen Unternehmen ein Kernkapital verbleibt, das nach bankenaufsichtsrechtlichen Grundsätzen für die Summe der risikogewichteten Positionsbeträge des übrigen Unternehmens erforderlich wäre. Diese Regelung ist mit § 21 Abs. 3 Satz 2 BsGaV vergleichbar, auf die 1 Auf die beispielhafte Berechnung in VWG BsGa, Rz. 263 wird verwiesen. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 264 ff.

470 Bender

E. Dotationskapital ausl. Bankbetriebsstätte (§ 21 BsGaV)

Rz. 14.167 Kap. 14

Ausführungen zu Rz. 14.159 wird daher verwiesen. Unterhält ein betroffenes Kreditinstitut mehrere Bankbetriebsstätten in unterschiedlichen Staaten, kann diese Berechnung auf den inländischen Teil des Unternehmens begrenzt werden. Praxishinweis. Einem betroffenen Kreditinstitut ist für die Praxis zu raten, stets eine 14.163 Ermittlung vorzunehmen, wie hoch die Eigenkapitalanforderungen für den inländischen Teil des Kreditinstituts auf Basis des deutschen Bankenaufsichtsrechts sind. Das Ergebnis der Berechnung sollte aufgezeichnet werden und zu der Hilfs- und Nebenrechnung aller ausländischen Bankbetriebsstätten genommen werden. Die Verwendung des Worts „soweit“ macht deutlich, dass für die ausländischen Bankbetriebsstätten eine Kappung des möglichen Dotationskapitals durch den Eigenkapitalbedarf des inländischen Unternehmensteils zum Tragen kommt. 6. Anpassung des Dotationskapitals einer ausländischen Bankbetriebsstätte Anpassungsbedarf. Das Dotationskapital einer ausländischen Bankbetriebsstätte ist 14.164 grundsätzlich zu Beginn des Wirtschaftsjahrs zu ermitteln und in dieser Höhe der Ermittlung des Betriebsstättenergebnisses für das betreffende Wirtschaftsjahr zugrunde zu legen. § 21 Abs. 5 BsGaV legt allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die unterjährige Anpassung des Dotationskapitals fest. Aufsichtsrecht. Zu den Gründen für eine solche Anpassung gehört die unterjährige 14.165 Änderung der ausländischen aufsichtsrechtlichen Vorschriften, die über die Mindestkapitalausstattungsmethode das Dotationskapital beeinflussen können. § 21 Abs. 5 Satz 1 BsGaV und Rz. 267 VWG BsGa legen insoweit eine Neuberechnung fest. Änderung des Kapitalbedarfs. § 21 Abs. 5 Satz 2 BsGaV ordnet die sinngemäße An- 14.166 wendung des § 13 BsGaV an. Ein weiterer Grund für die Anpassung des Dotationskapitals ergibt sich so aus § 13 Abs. 5 BsGaV1 (Rz. 269 VWG BsGa) und besteht in einer erheblichen Veränderung des Dotationskapitals. Eine solche Veränderung ist erheblich, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahrs um mehr als 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahrs abweicht, allerdings nur dann, wenn die Abweichung mindestens 2 Mio. Euro beträgt. Indikator für eine erhebliche Veränderung des Dotationskapitals ist insbesondere die Veränderung der jeweils der inländischen Bankbetriebsstätte zuzuordnenden Summe der risikogewichteten Positionsbeträge. Nichtbeanstandungsregel. Die in § 21 Abs. 5 Satz 2 BsGaV angeordnete sinngemäße 14.167 Anwendung des § 13 BsGaV führt dazu, dass auch die zeitlich begrenzte Nichtbeanstandung der Über- oder Unterdotierung für eine ausländische Bankbetriebsstätte Anwendung findet.2 Voraussetzung für die Nichtbeanstandung ist, dass die zum Ende des Vorjahrs entstandene Über- bzw. Unterdotierung unverzüglich beseitigt wird, nachdem das Unternehmen sie erkannt hat oder erkennen musste. Die Berechnungen, die die Über- bzw. Unterdotierung erkennbar gemacht haben, und die Buchung, 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 270. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 270.

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Kap. 14 Rz. 14.167 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

die Über- bzw. Unterdotierung beseitigt, sind in der Hilfs- und Nebenrechnung aufzuzeichnen. 7. Dotationskapital einer ausländischen Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts

14.168 Abgrenzung. § 21 Abs. 6 BsGaV legt fest, dass die Abs. 1–5 nicht für ausländische Betriebsstätten inländischer Finanzdienstleistungsinstitute gelten, die keinen bankenaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen unterliegen. Das Dotationskapital der ausländischen Betriebsstätten eines inländischen Finanzdienstleistungsinstitutes wird stets nach § 13 BsGaVermittelt. 14.169 Verhältnis zu § 18 BsGaV. Dieses Ergebnis ergibt sich bereits aus § 18 BsGaV, da § 21 BsGaV nur auf Bankbetriebsstätten Anwendung findet. Die Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstitutes stellt jedoch keine Bankbetriebsstätte im Sinne des BsGaV dar (Rz. 14.12). § 21 BsGaV kann daher, auch ohne die ausdrückliche Aussage in § 21 Abs. 6 BsGaV, auf diese Betriebsstätte eines Finanzdienstleistungsinstituts keine Anwendung finden.

III. Vergleich AOA 14.170 OECD-Regeln. Auf die Ausführungen in Rz. 14.145 f. wird verwiesen.

F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV) I. Zielsetzung der Vorschrift 14.171 Ziel. Mit § 22 BsGaV soll die Zuordnung von finanziellen Vermögenswerten auch in solchen Fällen gewährleistet werden, in denen die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im Rahmen von komplexen Handelsaktivitäten von Finanzunternehmen in mehreren Bankbetriebsstätten erbracht wird. Außerdem bietet die Vorschrift Lösungen für die Bestimmung des Verrechnungspreises, mit dem die unternehmerischen Risikoübernahmefunktionen in diesen Fällen entgolten werden können.

II. Kommentierung 14.172 Inhalt. Die Regelung des § 22 BsGaV betrifft die Zuordnung von Vermögenswerten in speziellen Bereichen des Handelsgeschäfts eines Kreditinstituts. Als besondere Zuordnungsvorschrift für diesen Bereich geht § 22 BsGaV grundsätzlich § 19 BsGaV vor.1 In diesem Sinne äußert sich auch Rz. 272 VWG BsGa. Hier wird darauf hingewiesen, dass, sofern der 2. Teil der BsGaV keine besonderen Regelungen enthalten 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 261.

472 Bender

F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV)

Rz. 14.175 Kap. 14

sollte, in einem konkreten Einzelfall wegen § 18 BsGaV auch die §§ 4–11 BsGaV Anwendung finden können. Anwendungsbereich. Grundsätzlich ist § 22 BsGaV auf Zuordnungsfragen im Be- 14.173 reich des globalen Handels mit Finanzinstrumenten beschränkt. Hierbei handelt es sich nach der Legaldefinition in § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV um einen Handel mit Finanzinstrumenten rund um die Uhr auf Märkten der ganzen Welt. Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts, die nicht in dieser Weise gestaltet sind, sind daher nicht nach § 22 BsGaV zu beurteilen, sondern nach § 19 BsGaV. Es spricht jedoch nichts dagegen, Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts, denen zwar eines der in § 22 Abs. 1 Satz 1 BsGaV genannten Elemente fehlt, die z.B. nicht rund um die Uhr gehandelt werden, die aber gleichwohl eine Komplexität aufweisen, die mit dem globalen Handeln mit Finanzinstrumenten vergleichbar ist, ebenfalls nach den in § 22 BsGaV niedergelegten Grundsätzen zu beurteilen, solange das so gefundene Ergebnis sachgerecht ist. In diesem Zusammenhang ist auch auf die VWG BsGa hinzuweisen, welche die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Restgewinnaufteilungsmethode auf die für Kunden betriebenen Handelsgeschäfte ausdehnt.1 1. Zuordnung von Vermögenswerten aus dem globalen Handel von Finanzinstrumenten Begriffe. Konkret betrifft § 22 BsGaV den globalen Handel mit Finanzinstrumenten 14.174 i.S.d. § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG durch ein Finanzinstitut. Der Begriff des Finanzinstituts ist in der BsGaV ansonsten nicht verwendet, so dass er grundsätzlich einer Auslegung bedarf. An dieser Stelle ist auf die VWG BsGa hinzuweisen, die ihn offensichtlich mit dem des Kreditinstituts gleichsetzen.2 Definition Finanzinstrumente. Durch den Verweis auf § 1 Abs. 11 Satz 1 KWG wer- 14.175 den die folgenden Finanzinstrumente in den Anwendungsbereich des § 22 BsGaV einbezogen: 1. Aktien und andere Anteile an in- oder ausländischen juristischen Personen, Personengesellschaften und sonstigen Unternehmen, soweit sie Aktien vergleichbar sind, sowie Zertifikate, die Aktien oder Aktien vergleichbare Anteile vertreten, 2. Vermögensanlagen i.S.d. § 1 Abs. 2 des Vermögensanlagengesetzes mit Ausnahme von Anteilen an einer Genossenschaft i.S.d. § 1 des Genossenschaftsgesetzes, 3. Schuldtitel, insbesondere Genussscheine, Inhaberschuldverschreibungen, Orderschuldverschreibungen und diesen Schuldtiteln vergleichbare Rechte, die ihrer Art nach auf den Kapitalmärkten handelbar sind, mit Ausnahme von Zahlungsinstrumenten, sowie Zertifikate, die diese Schuldtitel vertreten, 4. sonstige Rechte, die zum Erwerb oder zur Veräußerung von Rechten nach § 1 Abs. 11 Satz 1 Nr. 1 und 3 KWG berechtigen oder zu einer Barzahlung führen, die

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 278. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 272.

Bender 473

Kap. 14 Rz. 14.175 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

in Abhängigkeit von solchen Rechten, von Währungen, Zinssätzen oder anderen Erträgen, von Waren, Indices oder Messgrößen bestimmt wird, 5. Anteile an Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs, 6. Geldmarktinstrumente, 7. Devisen oder Rechnungseinheiten, 8. Derivate, 9. Berechtigungen nach § 3 Nr. 3 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes, Emissionsreduktionseinheiten nach § 2 Nr. 20 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes und zertifizierte Emissionsreduktionen nach § 2 Nr. 21 des Projekt-Mechanismen-Gesetzes, soweit diese jeweils im Emissionshandelsregister gehalten werden dürfen (Emissionszertifikate). Diese Aufzählung ist abschließend.

14.176 Aufzählung Aktivitäten. § 22 Abs. 1 Satz 2 BsGaV enthält eine Aufzählung von beispielhaften Aktivitäten eines Kreditinstituts, die die BsGaV zum global Handel rechnet. Hierzu gehören danach 1. die globale Emission und der globale Vertrieb von Finanzinstrumenten, 2. die Tätigkeit als Market Maker i.S.d. § 23 Abs. 4 des Wertpapierhandelsgesetzes für physische Wertpapiere, 3. die Tätigkeit an den Aktien- und Rohstoffbörsen, 4. die Entwicklung neuer Finanzinstrumente. Aus der Formulierung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BsGaV („insbesondere“) ist erkennbar, dass diese Aufzählung nicht abschließend ist.1

14.177 Zuordnungsregel. Die zu den globalen Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts hinzuzurechnenden Vermögenswerte sind nach § 19 BsGaV, d.h. auf Basis der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion, zuzuordnen. Wie oben dargelegt (s. Rz. 14.55) ist dies üblicherweise die Trading & Day-to-Day-Risk-Management-Funktion. Auf die entsprechenden Ausführungen zu § 19 BsGaV wird verwiesen. 2. Aufteilung der Handelsergebnisse a) Aufteilungsmaßstab im Fall einer Funktionsaufteilung

14.178 Funktionsaufteilung als Regelfall. Während § 22 Abs. 1 BsGaV für eindeutige Fälle der Zuordnung von Vermögenswerten des globalen Handels auf § 19 BsGaV verweist, bedarf es für komplexe Formen der Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts, die regelmäßig mit Funktionsaufteilungen bezogen auf die unternehmerische Risikoübernahmefunktion einhergehen werden, Lösungen, die eine sachgerechte Zuordnung der Vermögenswerte sicherstellen. § 22 Abs. 2 BsGaV geht auf diese Fälle ein, in de1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 273.

474 Bender

F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV)

Rz. 14.183 Kap. 14

nen die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in mehreren Bankbetriebsstätten ausgeübt wird. Lösungsansätze. Hier sind grundsätzlich zwei unterschiedliche Fallgestaltungen zu 14.179 unterscheiden: Ist es trotz der anzutreffenden Funktionsaufteilung möglich, die Vermögenswerte des globalen Handels eindeutig nach den zu § 19 Abs. 2 BsGaV herausgearbeiteten Kriterien einer Bankbetriebsstätte zuzuordnen, ist diese Zuordnung der Besteuerung zugrunde zu legen. Scheitert eine eindeutige Zuordnung auf Basis dieser Kriterien oder ist sie nur mit unzumutbarem Aufwand für den Steuerpflichtigen durchzuführen, hat die Zuordnung nach einer besonderen Regel in § 22 Abs. 2 BsGaV zu erfolgen. Besondere Zuordnungsregel. In diesem Fall sind die aus den Finanzinstrumenten 14.180 steuerlich realisierten und nicht realisierten Ergebnisse auf die Bankbetriebsstätten, die am globalen Handel beteiligt sind, nach einem sachgerechten Aufteilungsschlüssel aufzuteilen. Der Hinweis auf die realisierten und nicht realisierten Ergebnisse ergibt sich aus dem Umstand, dass Handels- und Steuerrecht in diesem Bereich unter bestimmten Voraussetzungen nicht nur realisierte, sondern auch nicht realisierte Wertveränderungen aus den Handelsbeständen gewinnwirksam erfassen können (§ 254 HGB bzw. § 5 Abs. 1a, § 6 Abs. 1 Nr. 2b EStG). Diese Bilanzierungsvorschriften sind bei der Aufteilung der Handelsergebnisse auf die beteiligten Bankbetriebsstätten zu beachten. Der sachgerechte Aufteilungsschlüssel ist dabei im Einzelfall durch das Kreditinstitut zu bilden. Für die Praxis ist in diesen Fällen anzuraten, die Beweggründe, die zur Bildung des verwendeten Schlüssels geführt haben, nachvollziehbar aufzuzeichnen. Folge. Die Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV führt somit entgegen den Zuord- 14.181 nungsregeln in §§ 5–11 und 19 BsGaV und der ausdrücklichen Aussage in Rz. 45 VWG BsGa zu einer anteiligen Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte zu den jeweiligen Bankbetriebsstätten. Teilnehmende Bankbetriebsstätten. Da § 22 Abs. 2 BsGaV für Fälle der Funktions- 14.182 aufteilung gilt, können an der Aufteilung der realisierten und unrealisierten Ergebnisse jedoch nur solche Bankbetriebsstätten teilnehmen, die auch tatsächlich Teile der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion erbringen. Andere (Bank-)Betriebsstätten, die Leistungen erbringen, die nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion in Bezug auf den globalen Handel mit Finanzinstrumenten zu qualifizieren sind, sind hierfür angemessen zu vergüten.1 b) Zuordnung der Handelsbestände zu einer Bankbetriebsstätte Vereinfachungsregelung. § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV sieht grundsätzlich die anteilige 14.183 Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte vor. Stattdessen kann der Steuerpflichtige aber auch ein Gewinnermittlungssystem praktizieren, dass die Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte zu einer Bankbetriebsstätte beinhaltet, bei der zentral die 1 In diesem Sinne äußert sich auch das erste Beispiel in VWG BsGa, Rz. 274.

Bender 475

Kap. 14 Rz. 14.183 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

Verbuchung der Handelsbestände des Kreditinstituts erfolgt, die Teil des globalen Handels sind. Auch die VWG BsGa verweisen auf die von verschiedenen Kreditinstituten verwendete Vorgehensweise, die Handelsbestände einer sog. Booking Location zuzuordnen.1

14.184 Booking Location. Diese Vorgehensweise muss wegen der Vereinfachungsregelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 BsGaV auch für steuerliche Zwecke nicht aufgegeben werden: Eine anteilige Zuordnung der Handelsbestände ist nicht nötig, wenn die Zuordnung zu einer Booking Location in der Hilfs- und Nebenrechnung aller Bankbetriebsstätten aufgezeichnet wird, die bei einer Zuordnung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV einen Anteil der finanziellen Vermögenswerte ausweisen würden (§ 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BsGaV). 14.185 Betroffene Betriebsstätten. Darüber hinaus darf eine von § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV abweichende Zuordnung das Ergebnis der Bankbetriebsstätten nicht beeinflussen, die am globalen Handel teilnehmen (§ 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BsGaV). Da das Ergebnis derjenigen Bankbetriebsstätten, deren Leistungsbeitrag nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion im globalen Handel qualifiziert, in § 22 Abs. 3 BsGaV geregelt ist, können die am globalen Handel teilnehmenden Bankbetriebsstätten des § 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BsGaV nur solche sein, deren Leistungsbeiträge Teil der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sind. Trotz der Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte zu einer Bankbetriebsstätte fordert die BsGaV somit die Aufteilung der realisierten und unrealisierten Ergebnisse auf die jeweiligen Bankbetriebsstätten nach dem in § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV genannten sachgerechten Schüssel. 14.186 Dotationskapitalermittlung. Da die Zuordnung der finanziellen Vermögenswerte zu einer Bankbetriebsstätte zwar aus Sicht des Kreditinstituts eine pragmatische Vorgehensweise in Bezug auf die anfallenden Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit den Handelsbeständen sein mag, so würde sie doch bezogen auf die Ermittlung des Dotationskapitals aller Bankbetriebsstätten, die am globalen Handel teilnehmen, zu falschen Ergebnissen führen. § 22 Abs. 2 Satz 2 BsGaV sieht daher ausdrücklich für Zwecke der Dotationskapitalermittlung eine anteilige Zuordnung der Chancen und Risiken der finanziellen Vermögenswerte zu den Bankbetriebsstätten vor, die eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion im globalen Handel erbringen. Wegen des Verweises auf § 20 und 21 BsGaV gilt diese Regelung im In- und Outboundfall. Die Aufteilung hat entsprechend § 22 Abs. 2 Satz 1 BsGaV zu erfolgen. Das Kreditinstitut hat daher im Einzelfall einen sachgerechten Aufteilungsschlüssel zu bestimmen. Die Gründe, die für die Findung des Schlüssels maßgebend waren, sollten aufgezeichnet werden. Kreditinstitute, die eine Bankbetriebsstätte als Booking Location verwenden, haben daher in die Dotationskapitalermittlung aller Bankbetriebsstätten, die eine unternehmerische Risikoübernahmefunktion im globalen Handel erbringen, die anteiligen Chancen und Risiken der finanziellen Vermögenswerte des globalen Handelsgeschäfts einfließen zu lassen. Diese Berechnung ist mit der Dotationskapitalermittlung aufzuzeichnen. 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 275.

476 Bender

F. Globaler Handel mit Finanzinstrumenten (§ 22 BsGaV)

Rz. 14.190 Kap. 14

3. Anzuwendende Verrechnungspreismethoden Verrechnungspreismethode. Die BsGaV äußert sich nur an wenigen Stellen explizit 14.187 zur Verrechnungspreismethode, die für bestimmte anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen Anwendung finden soll. In § 22 Abs. 3 BsGaV wird für anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Bankbetriebsstätten, die die unternehmerische Risikoübernahmefunktion im globalen Handel mit Finanzinstrumenten betreffen, die Anwendung der geschäftsvorfallbezogene Restgewinnaufteilungsmethode angeordnet, es sei denn, im Einzelfall führt die Anwendung einer anderen Methode zu einem Ergebnis, das dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht. Die VWG BsGa begründen dies damit, dass die Restgewinnaufteilungsmethode (Residual Profit Split) am besten geeignet sei, den funktionalen Verhältnissen des globalen Handels mit Finanzinstrumenten gerecht zu werden.1 Dokumentationserfordernis. Den VWG BsGa ist grundsätzlich darin zuzustimmen, 14.188 dass gerade Fälle der Funktionsaufteilung bzgl. der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion für Handelsaktivitäten eines Kreditinstituts zu komplexen Sachverhalten führen werden, die nicht oder nur schwer mit den Standardverrechnungspreismethoden verlässlich abgebildet werden können. Gleichwohl ist auch die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Restgewinnaufteilungsmethode durch eine Verrechnungspreisdokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO zu unterlegen (s. zur Dokumentation Rz. 12.1 ff.). Öffnungsklausel. Führt die Anwendung einer anderen Verrechnungspreismetho- 14.189 de zu einem Ergebnis, dass dem Fremdvergleichsgrundsatz besser entspricht, ist diese anzuwenden. Die VWG BsGa bilden in Rz. 276 ein Beispiel, wonach Handelsaktivitäten einer Bankbetriebsstätte, die in gleicher Weise auch an Kunden erbracht werden, auf Basis der Preisvergleichsmethode vergütet werden. Auch hier hat das Kreditinstitut seine Methodenwahl und das gefundene Ergebnis durch eine Verrechnungspreisdokumentation nach § 90 Abs. 3 AO zu dokumentieren. Unterstützende Personalfunktionen. Die BsGaV spricht in § 22 Abs. 3 BsGaV des- 14.190 halb vom Restgewinn, da zu Lasten dieses Gewinns zunächst die von Betriebsstätten des Kreditinstituts an das übrige Unternehmen erbrachten Leistungen, die das globale Handelsgeschäft unterstützen, zu vergüten sind. Bei diesen anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen handelt es sich begrifflich um unterstützende Personalfunktionen i.S.d. § 19 Abs. 5 BsGaV (s. Rz. 14.97). Auch im Fall von unterstützenden Personalfunktionen im globalen Handel gilt grundsätzlich, dass alle Verrechnungspreismethoden Anwendung finden können. Die Wahl der zutreffenden Methode hängt entscheidend von den Chancen und Risiken der jeweiligen Funktion ab. Eine Verrechnungspreisdokumentation i.S.d. § 90 Abs. 3 AO für jede dieser unterstützenden Personalfunktionen ist zwingend erforderlich.2

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 276. 2 Verwiesen wird auf VWG BsGa, Rz. 277.

Bender 477

Kap. 14 Rz. 14.191 Die Anwendung des AOA auf Bankbetriebsstätten

III. Vergleich AOA 14.191 Vergleich AOA. Der dritte Teil des OECD-Betriebsstättenberichts 20101 („Teil III: Besondere Erwägungen zur Anwendung des AOA auf Betriebsstätten von im Global Trading tätigen Unternehmen“) geht ausführlich auf den globalen Handel mit Finanzinstrumenten ein. Der AOA deckt die in § 22 BsGaV angebotenen Zuordnungsalternativen ab, die in Fällen einer Funktionsteilung bzgl. der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zum Tragen kommen. Auch die von § 22 BsGaV regelmäßig geforderte Restgewinnaufteilungsmethode steht im Einklang mit dem AOA.2 Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 stellt die übrigen Funktionsbeiträge im globalen Handel ausführlicher dar, als dies bei der BsGaV der Fall ist. Die BsGaV geht jedoch wie der AOA davon aus, dass diese Tätigkeiten auf Basis einer Funktions- und Risikoanalyse zu Lasten der Bankbetriebsstätten zu vergüten sind, in denen die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausgeübt werden.

1 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III. 2 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil III, Rz. 262 ff.

478 Bender

Kapitel 15 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 III. Kommentierung 1. Erstversicherungsgeschäft a) Unternehmerische Risikoübernahmefunktion . . . . . . . . . b) Zuordnungsregeln aufgrund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion . . . . . . . c) Gesplittete unternehmerische Risikoübernahmefunktion . . . 2. Rückversicherungsgeschäft . . . . . . 3. Ergänzende Zuordnungsregeln a) Zuordnungsregeln zur inländischen Betriebsstätte bei Hauptbevollmächtigtem im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuordnungsregeln zur ausländischen Betriebsstätte bei Hauptbevollmächtigtem im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

d) Verteilung der unrealisierten Gewinne/Verluste . . . . . . . . . . . 2. Öffnungsklausel a) Relevanz der Öffnungsklausel . b) Mindestkapitalisierungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rolle des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts . . . . . . . . . . . .

15.38 15.39 15.40 15.42

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 15.43 15.12 15.15 15.17 15.19

15.21

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 15.45 C. Dotation ausländischer Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.47 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 15.48 III. 1. 2. 3.

Kommentierung Mindestkapitalisierungsmethode . 15.52 Öffnungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . 15.54 Rolle des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts . . . . . . . . . . . . 15.57

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 15.58 15.23

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 15.25 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . 15.27 B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.28 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 15.29 III. Kommentierung 1. Modifizierte Kapitalaufteilungsmethode a) Verwendung unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards . . 15.33 b) Verwendung alternativer Verteilungsschlüssel . . . . . . . . . 15.35 c) Definition der zu verteilenden Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . 15.36

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 15.59 D. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.60 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 15.61 III. Kommentierung 1. Vorrang der direkten Zuordnung . 15.63 2. Behandlung von Steuerattributen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.64 3. Entstrickungsregelungen . . . . . . . . 15.65 IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 15.66 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 15.67 E. Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens

Mayr/Ringer 479

Kap. 15 Rz. 15.1 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.68 II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . 15.69

IV. Einklang mit dem AOA . . . . . . . . 15.73 V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . 15.74

III. Kommentierung . . . . . . . . . . . . . . 15.70 Literatur: Andresen/Tenberge in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018, Kap.11 (zit. Verfasser in W/A/D); Busch, Die Bestimmung des Dotationskapitals bei Versicherungsbetriebsstätten gemäß BsGaV, IStR 2014, 757; Greinert/Karnath, Praktische Fragen bei der Bestimmung des Dotationskapitals von Versicherungsbetriebsstätten, DStR 2017, 1196; Oestreicher/van der Ham/Andresen, Die Neuregelung der Betriebsstättengewinnaufteilung in zwölf Fällen – zugleich eine Stellungnahme zum Entwurf der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung, IStR-Beih. 2014, 1.

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts 15.1 Spezialregeln. Der Regelungsabschnitt definiert die für Versicherungsbetriebsstätten gültigen besonderen Regelungen zur Zuordnung von Vermögenswerten, die durch den Abschluss eines Versicherungsvertrags entstehen. Diese von den allgemeinen Regelungen abweichenden Spezialregeln sind notwendig, da sich die Wertschöpfungskette von Versicherungsunternehmen und die damit verbundenen Funktionen und Risiken grundsätzlich von anderen Unternehmen unterscheiden, so dass die allgemeinen Regelungen für Versicherungsbetriebsstätten nicht sinnvoll angewandt werden können. 15.2 Risikoübernahmefunktion. So gilt es, bei Versicherungsbetriebsstätten sowohl für das versicherungstechnische Ergebnis als auch für die Kapitalanlagen (und den damit verbundenen Kapitalerträgen) sinnvolle Zuordnungsregeln zu definieren, da das Betriebsstättenergebnis in der Regel von diesen beiden Ergebniskomponenten bestimmt wird. Deshalb soll über das Konzept der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion (OECD: „KERT Function“) ein klares Zuordnungskonzept geschaffen werden, um Qualifikationskonflikte und daraus folgende Doppelbesteuerung zu vermeiden. Allein die unternehmerische Risikoübernahmefunktion ist entscheidend für die Zuordnung des Versicherungsgeschäfts und der daraus entstehenden Vermögenswerte sowie der damit verbundenen Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben und Chancen/Risiken. Folglich sind Definition, Analyse, Zuordnung und Dokumentation wesentlich für die Ergebnisermittlung der Betriebsstätten, da alle wichtigen Folgefragen (insbesondere Dotation und Zuordnung von Einkünften) davon abhängen.

II. Regelungsinhalt 15.3 Erstversicherungsgeschäft. § 24 Abs. 1 BsGaV regelt die Zuordnung von Vermögenswerten im Erstversicherungsgeschäft, die durch den Abschluss eines Versiche480 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.6 Kap. 15

rungsvertrags entstehen. Hierfür entscheidend ist die Übernahme der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Sinne des Zeichnungsprozesses, der sich in die folgenden Teilprozesse gliedert: – Festlegung der Zeichnungsstrategie, – Risikoklassifizierung und Risikoauswahl, – Preisgestaltung, – Analyse der Risikoweitergabe und – Annahme der versicherten Risiken. Zeichnungsprozess. Tz. 2.24.1 der VWG BsGaV konkretisiert hierzu, dass über den 15.4 Zeichnungsprozess sämtliche mit dem Vermögenswert zusammenhängenden Chancen und Risiken zugeordnet werden, d.h. sowohl Chancen und Risiken des Vermögenswerts selbst als auch Chancen und Risiken aus dessen unternehmerischen Verwendung.1 Außerdem gibt es eine hilfreiche Definition der Teilprozesse des Zeichnungsprozesses. Ebenso wird die Relevanz des jeweiligen Teilprozesses für bestimmte Versicherungszweige erläutert.2 Für die Personalfunktion des Zeichnungsprozesses bleibt ausgelagertes Personal grundsätzlich unberücksichtigt. Wenn eine Betriebsstätte zwar kein eigenes Personal hat, das Versicherungsgeschäft einschließlich unternehmerischer Risikoübernahmefunktion aber im Betriebsstättenstaat durch Personal eines nahestehenden Unternehmens betrieben wird, werden die Versicherungsverträge dennoch der Betriebsstätte zugeordnet. Dies gilt aber nur, wenn die Versicherungsverträge im Namen und für Rechnung der Versicherungsbetriebsstätte abgeschlossen werden.3 Zuordnungsentscheidung. § 24 Abs. 2 BsGaV stellt klar, dass die Ausübung des 15.5 Zeichnungsprozesses nicht nur für die Zuordnung des Versicherungsvertrags entscheidend ist, sondern auch für die Zuordnung der damit verbundenen Vermögenswerte, Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sowie Chancen und Risiken. Dies bestätigen die VWG BsGaV.4 Gesplitteter Zeichnungsprozess. § 24 Abs. 3 BsGaV beschreibt das Vorgehen bei der 15.6 Zuordnungsfrage, wenn der Zeichnungsprozess und damit die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in verschiedenen Betriebsstätten stattfinden (gesplitteter Zeichnungsprozess). In diesem Fall ist das Versicherungsgeschäft der Betriebsstätte zuzuordnen, deren Personalfunktion im Zeichnungsprozess die größte Bedeutung hat. Das Versicherungsgeschäft wird also einer Betriebsstätte zugeordnet und nicht zwischen den am Zeichnungsprozess beteiligten Betriebsstätten aufgeteilt. Dabei kommt es nur auf die Personalfunktionen an, die bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags ausgeübt werden. 1 BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 283 f. – im Folgenden VWG BsGaV. 2 VWG BsGaV, Rz. 285 f. 3 VWG BsGaV, Rz. 288 f. 4 VWG BsGaV, Rz. 290.

Mayr/Ringer 481

Kap. 15 Rz. 15.7 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

15.7 Teilprozesse. Tz. 2.24.3 der VWG BsGaV führt für den Fall eines gesplitteten Zeichnungsprozesses aus, dass die Funktions- und Sachverhaltsanalyse die Bedeutung der Teilprozesse im Rahmen des Zeichnungsprozesses bis zur Annahme des versicherten Risikos beschreiben und bewerten muss. Insbesondere die Teilprozesse, die eine aktive unternehmerische Entscheidung für die Risikoübernahme erfordern, sollen anhand eines Scoring-Modells herausgearbeitet werden, so dass diese entsprechend höher gewichtet werden können, wenn die Risikoübernahmefunktion einer Betriebsstätte zugeordnet wird. Faktoren, die die Bedeutung bzw. Gewichtung des Teilprozesses beeinflussen, hängen von der Art des Versicherungsgeschäfts bzw. dem Geschäftsmodell des Versicherers ab.1 Beispielhaft werden folgende Faktoren aufgeführt:2 – Finanzkraft des Versicherungsunternehmens, – Versicherungsaufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen in Bezug auf die maximale Risikokapazität, – fachliche Kompetenzen und Fähigkeiten des Personals, – Verfügbarkeit und Kosten einer Rückversicherung durch unverbundene Dritte sowie – strategische Geschäftsziele des Versicherungsunternehmens.

15.8 Personalkosten. Nach erfolgter qualitativer Gewichtung der Zeichnungs-Teilprozesse und deren Zuordnung zu den beteiligten Betriebsstätten wird das Versicherungsgeschäft der Betriebsstätte zugeschlagen, die im Zeichnungsprozess die größte Bedeutung hat. Falls sich hieraus keine eindeutige Zuordnung ergibt, dienen ausnahmsweise die entstandenen Personalkosten als geeignete Aufteilungsmaßstab.3 15.9 Rückversicherung. § 24 Abs. 4 BsGaV regelt die Zuordnung von Vermögenswerten im Rückversicherungsgeschäft. Im Unterschied zum Erstversicherungsgeschäft gilt die Personalfunktion der Risikoklassifizierung und der Risikoauswahl als die unternehmerische Risikoübernahmefunktion (widerlegbare Vermutung). Tz. 2.24.2 der VWG BsGaV begründet die abweichende Definition der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Rückversicherungsgeschäft damit, dass es sich bei Rückversicherungsverträgen in der Regel um individuelle Deckungszusagen handelt, die in der Risikoklassifizierung und Risikoauswahl bestimmte zentrale Funktionen nötig machen (z.B. Grundlagenforschung). Diese zentralen Funktionen wiederum erfordern eine umfangreiche Geschäftsausstattung mit hoch qualifizierten Mitarbeitern, so dass darin die entscheidende Funktion für die Zuordnung der Verträge liegt.4 15.10 Inländische Betriebsstätten. § 24 Abs. 5 BsGaV enthält ergänzende Zuordnungsregeln für inländische Betriebsstätten ausländischer Versicherungsunternehmen, wonach widerlegbar vermutet wird, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion durch den bestellten Hauptbevollmächtigten im Inland ausgeübt wird. Die1 2 3 4

VWG BsGaV, Rz. 291 f. VWG BsGaV, Rz. 293. VWG BsGaV, Rz. 294 f. VWG BsGaV, Rz. 298 f.

482 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.11 Kap. 15

se Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn zum einen nachgewiesen werden kann, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion nicht in der inländischen Betriebsstätte erbracht wird und zum anderen der Sachverhalt der inländischen und der ausländischen Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt wird. Tz. 2.24.5 der VWG BsGaV führt ergänzend aus, dass folgende Nachweise notwendig sind, um die Vermutung zu widerlegen: – Nachweis, welche Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses mit Bezug zum Versicherungsvertrag in der inländischen Niederlassung ausgeübt werden und welche im übrigen Versicherungsunternehmen;1 – Nachweis, dass den in der inländischen Niederlassung ausgeübten Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses nicht die größte Bedeutung für den Abschluss des Versicherungsvertrags zukommt;2 – Nachweis, dass die Ausgliederung einer Personalfunktion des Zeichnungsprozesses aus der inländischen Niederlassung ohne Beteiligung des Hauptbevollmächtigten erfolgt ist aufgrund einer aktiven unternehmerischen Entscheidung;3 – Nachweis, wo stattdessen und von wem die entsprechende unternehmerische Risikoübernahmefunktion ausgeübt wird;4 – Vorlage des Geschäftsplans nach § 9 Abs. 2 und 3 VAG sowie die in § 9 Abs. 4 VAG genannten Angaben und Unterlagen bei ausländischen Versicherungsunternehmen mit Sitz im Drittstaat bzw. bei ausländischen Versicherungsunternehmen mit Sitz in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat nach ausländischem Versicherungsaufsichtsrecht ein Tätigkeitsbericht; – Nachweis, dass der Sachverhalt der deutschen und der ausländischen Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt wurde; notwendige Angaben sind in den VWG BsGaV dargestellt.5 Ausländische Betriebsstätten. § 24 Abs. 6 BsGaV enthält ergänzende Zuordnungs- 15.11 regeln für ausländische Betriebsstätten inländischer Versicherungsunternehmen, wonach grundsätzlich allein die unternehmerische Risikoübernahmefunktion für die Zuordnungsentscheidung relevant ist. Dabei ist der Teilprozess der Annahme des versicherten Risikos nicht ausreichend für eine Zuordnung zur ausländischen Betriebsstätte. Die ausländische Betriebsstätte muss wenigstens eine der Personalfunktionen „Produktmanagement und Produktentwicklung“, „Verkauf und Marketing“ oder „Risikomanagement und Rückversicherung“ zusätzlich wahrnehmen und die Bedeutung der in der ausländischen Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen müssen überwiegen. Tz. 2.24.6 der VWG BsGaV erklärt hierzu, dass die

1 2 3 4 5

VWG BsGaV, Rz. 305. VWG BsGaV, Rz. 306. VWG BsGaV, Rz. 306. VWG BsGaV, Rz. 306. VWG BsGaV, Rz. 307 f.

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Kap. 15 Rz. 15.11 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

bloße Unterschrift in der ausländischen Betriebsstätte nicht ausreichend für die Zuordnung des Versicherungsgeschäfts ist.1

III. Kommentierung 1. Erstversicherungsgeschäft a) Unternehmerische Risikoübernahmefunktion

15.12 Eigentümer. Die Betriebsstätte, die die unternehmerische Risikoübernahmefunktion des Zeichnungsprozesses wahrnimmt, ist grundsätzlich der wirtschaftliche Eigentümer des Versicherungsgeschäfts, so dass die Versicherungsrisiken und insbesondere Prämien, Schäden sowie versicherungstechnische Rückstellungen dieser Betriebsstätte zuzuordnen sind. Folglich sind auch die Wirtschaftsgüter und das entsprechende Kapitalanlageergebnis bei dieser Betriebsstätte zu verorten. Es herrscht daher Einheitlichkeit mit der aufsichtsrechtlichen Regulierung, wonach die Zeichnungsbefugnis ebenfalls bei der lokalen Niederlassung liegen muss. Die sonstigen Funktionen außerhalb der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion haben keinen Einfluss auf die Zuordnung der Verträge zwischen Stammhaus und Betriebsstätten. Insoweit hat der Gesetzgeber hier eine begrüßenswerte Regelung geschaffen, die für Rechtssicherheit bei der Zuordnungsfrage sorgt. 15.13 Zeichnungsprozess. Positiv zu werten ist weiter die Beschreibung des Zeichnungsprozesses bzw. der damit verbundenen Teilprozesse in den VWG BsGaV. Die darin enthaltenen Erläuterungen pro Teilprozess erlauben es dem Steuerpflichtigen, eine sachlich richtige Zuordnungsentscheidung zu treffen und die relevanten Aspekte gezielt zu dokumentieren. Die Beschreibungen entsprechen den AOA-Vorgaben von Seiten der OECD. Unter der Annahme, dass sich die ausländischen Steuerbehörden ebenfalls an die OECD-Vorgaben halten, sollte es daher zu keinen Streitigkeiten bei der Definition der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion kommen. 15.14 Ausgliederungen. Soweit allerdings Schritte des Zeichnungsprozesses ausgegliedert werden, d.h. durch unabhängige Dritte oder durch nahestehende Unternehmen erbracht werden, sind diese für die Bestimmung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion nicht heranzuziehen.2 Dies führt dazu, dass Funktionen für die Zuordnung der Versicherungsverträge irrelevant sind, die aufgrund einer Entscheidung des Unternehmens von Dienstleistern erbracht werden. Dadurch schränkt die Finanzverwaltung die unternehmerische Entscheidungsfreiheit bei der Vergabe von Outsourcing-Aufträgen ein. Dies kann wegen der immer bedeutsamer werdenden Kooperationen zwischen Unternehmen und Dienstleistern nicht gewollt sein. Analog zum AOA sollten ausgelagerte Teilprozesse, die ein Dienstleister für das Unternehmen erbringt, ebenfalls in die Zuordnungsentscheidung einbezogen werden.3

1 VWG BsGaV, Rz. 310. 2 VWG BsGaV, Rz. 288. 3 Zustimmend Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.226.

484 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.16 Kap. 15

b) Zuordnungsregeln aufgrund der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion Aufteilung. Ein Versicherungsvertrag ist vollumfänglich der Betriebsstätte zuzuord- 15.15 nen, deren Personalfunktionen im Rahmen des Zeichnungsprozesses bis zum Abschluss des Versicherungsvertrags die größte Bedeutung hat. Wenn also der Zeichnungsprozess über mehrere Betriebsstätten verteilt ist, erfolgt keine Aufteilung des Versicherungsvertrags und der damit verbundenen Vermögensgegenstände, sondern er wird der Betriebsstätte mit der größten Bedeutung im Zeichnungsprozess zugeordnet. Diese Regelung ist zu begrüßen, da auf diese Weise die Zuordnungsentscheidung nachvollziehbar und eindeutig gefällt werden kann. Zudem kann der Steuerpflichtige dieses Vorgehen leichter verwalten und kontrollieren, als wenn die Versicherungsverträge über mehrere Betriebsstätten verteilt würden. Die einheitliche Zuordnung auf Ebene des einzelnen Vertrags je nach Ausübung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion ist weniger streitanfällig, als wenn eine Aufteilung der vertragsbezogenen technischen Ergebnisse erfolgen müsste. Beispiel 1: Zustimmungsvorbehalt des Stammhauses Sachverhalt: Eine Betriebsstätte eines Versicherungsunternehmens führt den Zeichnungsprozess für Versicherungen eigenständig durch. Die Richtlinien des Stammhauses an die Betriebsstätte sehen vor, dass bei Überschreiten bestimmter Versicherungssummen das Stammhaus einen Zustimmungsvorbehalt oder ein Vetorecht z.B. durch den Vorstand hat. Dieser Zustimmungsvorbehalt wird ausgeübt, ohne dass eine umfangreiche originäre Vertragsprüfung mit eigenem Stammhauspersonal vorgenommen wird. Ergebnis nach BsGaV: Die unternehmerische Risikoübernahmefunktion des Zeichnungsprozesses liegt in der Betriebsstätte. Die Personalfunktionen im Stammhauses rechtfertigen keine Aufteilung des Versicherungsvertrags. Entsprechend erfolgt eine Zuordnung des Geschäfts zur Betriebsstätte. Kritik: Das Ergebnis nach BsGaV ist sachgerecht. Eine Atomisierung der Versicherungsverträge als Konsequenz einer Aufteilung des versicherungstechnischen Ergebnisses ist abzulehnen.

Dealings. Zeichnungsteilprozesse, die sich nicht als unternehmerische Risikoüber- 15.16 nahmefunktion qualifizieren (unterstützende Personalfunktionen), sind zu vergüten (§ 24 Abs. 7, § 19 Abs. 5 BsGaV). Da diese Teilprozesse nicht über eine (teilweise) Zuordnung der Versicherungsverträge vergütet werden, muss die Vergütung über eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung („dealings“, hierzu auch Rz. 9.1 ff.) stattfinden. Daneben sind alle anderen Personalfunktionen entlang der VersicherungsWertschöpfungskette (z.B. Geschäftsentwicklung, Vertrieb, Risikomanagement und -bewertung, Kapitalanlage, Schadensbearbeitung, sonstige Unterstützungsfunktionen) als „wirtschaftliche Vorgänge“ fremdvergleichskonform zu verrechnen im Sinne von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Die BsGaV benennt hierfür als Regelfall eine kostenbasierte Vergütung.1 Es sollte dabei aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Teile des Zeichnungsprozesses, die nicht als unternehmerische Risikoübernahmefunktion zu vergüten sind, sowie die anderen Personalfunktionen per se sich als „Low-Value-Funktionen“ qualifizieren. Vielmehr sollte ein Verständnis der Teile des Zeichnungsprozesses, die nicht als unternehmerische Risikoübernahme1 VWG BsGaV, Rz. 312.

Mayr/Ringer 485

Kap. 15 Rz. 15.16 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

funktion zu vergüten sind, sowie der erbrachten anderen Personalfunktionen entwickelt werden. Schließlich sollte je nach Wertigkeit der Teilprozesse bzw. Personalfunktionen eine geeignete Vergütung bestimmt werden. Beispiel 2: Globale Versicherungsprogramme Sachverhalt: Ein global tätiges Unternehmen schließt mit dem Stammhaus eines Versicherungsunternehmens eine global gültige Versicherung für Fabrikgebäude ab. Der Zeichnungsprozess findet vollumfänglich im Stammhaus statt. Die Betriebsstätten übernehmen die lokale Kundenbetreuung und kümmern sich im Schadensfall um die lokale Schadensabwicklung. Die unternehmerische Risikoübernahmefunktion des Zeichnungsprozesses liegt im Stammhaus. Entsprechend erfolgt eine Zuordnung des Versicherungsgeschäfts zum Stammhaus. Ergebnis nach BsGaV: Die Personalfunktionen der Betriebsstätten sind adäquat zu vergüten. Die BsGaV sieht eine kostenbasierte Vergütung als Regelfall vor. Kritik: Grundsätzlich ist die Regelung der BsGaV sinnvoll, da die Aussagen zur kostenbasierten Vergütung Rechtssicherheit bieten und die kostenbasierte Vergütung die Volatilität und das Volumen der Verrechnungen verringert. Allerdings leisten im vorliegenden Fall die Betriebsstätten einen erheblichen Wertbeitrag, so dass alternativ eine kommissionsähnliche Vergütung (z.B. Prozentsatz der Prämie) angemessen sein kann.

c) Gesplittete unternehmerische Risikoübernahmefunktion

15.17 Qualitative Gewichtung. Für den Fall, dass mehrere Betriebsstätten des Versicherungsunternehmens am Zeichnungsprozess mitwirken, soll eine qualitative Gewichtung der Teilprozesse erfolgen, um anschließend anhand eines Scoring-Modells die unternehmerische Risikoübernahmefunktion einer Betriebsstätte zuzuordnen. Die VWG BsGaV definieren hierfür die Faktoren, welche die Gewichtung der einzelnen Teilprozesse beeinflussen.1 Allerdings wäre eine Klarstellung wünschenswert, inwieweit diese Faktoren die einzelnen Teilprozesse aus Sicht der Finanzverwaltung konkret beeinflussen. So sollte ein Teilprozess, der hohe „fachliche Kompetenzen und Fähigkeiten des Personals“ erfordert, relativ hoch gewichtet werden, da damit eine hohe Wertschöpfung einhergeht. Auch sollte klar sein, dass enge versicherungsrechtliche Rahmenbedingen in Bezug auf die maximale Risikokapazität die Gewichtung des Teilprozesses „Analyse der Risikoweitergabe“ positiv beeinflussen, weil enge versicherungsrechtliche Rahmenbedingen die Analyse der Risikoweitergabe bedeutsamer machen. Dies gilt auch bei geringer „Verfügbarkeit einer Rückversicherung durch unverbundene Dritte“, da ein geringes Angebot an Rückversicherung die „Analyse der Risikoweitergabe“ schwieriger und aufwendiger werden lässt. Soweit das Versicherungsunternehmen im Rahmen der strategischen Vorgaben bereits enge Vorgaben zum Zeichnungsprozess macht (z.B. durch konkrete Empfehlungen zum Risikoappetit oder Vorgaben zur Preisgestaltung), die den Handlungsspielraum der lokalen Einheiten nicht unerheblich einschränken, sollte der Teilprozess „strategische Geschäftsziele des Versicherungsunternehmens“ hoch gewichtet werden. Auch auf welche Weise die „Finanzkraft des Unternehmens“ in die Gewichtung der Teilprozesse eingehen soll, ist nicht ersichtlich. Insgesamt liefern die in den VWG BsGaV definierten Faktoren dem Steuerpflichtigen Interpretations- und Gestaltungsspielraum, so dass 1 VWG BsGaV, Rz. 293.

486 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.20 Kap. 15

er abhängig vom Sachverhalt flexibel gewichten kann. Dabei ist wichtig, dass die Entscheidung ausführlich dokumentiert und begründet wird.1 Quantitative Gewichtung. Bei fehlender Eindeutigkeit sollen als Zuordnungskrite- 15.18 rium die jeweils im Zeichnungsprozess verausgabten Personalkosten (quantitative Gewichtung) der am Zeichnungsprozess beteiligen Betriebsstätten verwendet werden. Damit wird der Betriebsstätte mit den höchsten Personalkosten das Versicherungsgeschäft zugeordnet. Dieses Vorgehen kann zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen, da bei unterschiedlicher Lohnkostenstruktur der betroffenen Länder automatisch eine vollumfänglich im Niedriglohnland angesiedelte Zeichnungsfunktion weniger wertgeschätzt wird als eine vergleichbare Funktion im Hochlohnland. Dieser Aspekt sollte bei Verwendung der Personalkosten als Zuordnungskriterium berücksichtigt und z.B. über Verwendung von Lohnkostenindizes ausgeglichen werden können.2 2. Rückversicherungsgeschäft Personalfunktion. Abweichend vom Erstversicherungsgeschäft schränken die deut- 15.19 schen Regeln die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in der Rückversicherung ein, nämlich auf die Personalfunktion der Risikoklassifizierung und der Risikoauswahl. Die Begründung, dass eine Rückversicherung in der Regel individuelle Deckungszusagen einschließt, die besondere Qualifikationen in der Risikoklassifizierung und der Risikoauswahl erfordern, kann nicht nachvollzogen werden. Zum einen gibt es auch in der Rückversicherung standardisierte Produkte, wenn z.B. über Quotenrückversicherung Teile eines Erstversicherungsportfolios rückversichert werden und die Bepreisung der Rückversicherung über eine quotale Aufteilung des versicherungstechnischen Ergebnisses stattfindet. Hierzu sind weder besondere Risikogrundlagenforschung noch das Führen langjähriger Statistiken notwendig. Zum anderen gibt es auch in der Erstversicherung hoch komplexe Produkte, ohne dass der Verordnungsgeber die Notwendigkeit einer Einschränkung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sieht. Die Schwierigkeit der vorgegebenen Gewichtung zeigt sich zudem in dem Verweis auf die erforderliche Qualifikation der Beteiligten. So ist in der Rückversicherung davon auszugehen, dass alle am Zeichnungsprozess beteiligten Personen akademisch ausgebildet sind, so dass dies kein Grund für die Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion sein sollte. Dokumentation. Zwar hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, andere Personal- 15.20 funktionen als unternehmerische Risikoübernahmefunktion festzulegen (widerlegbare Vermutung), soweit diese eine überwiegende Bedeutung einnehmen. Allerdings regelt der Gesetzgeber nicht, welche Argumentation und Dokumentation für den Nachweis notwendig sind, dass die Risikoauswahl- und -klassifizierung nicht die unternehmerische Risikoübernahmefunktion sind und stattdessen andere Bestandteile 1 Die in diesem Abschnitt gemachten Aussagen zur qualitativen Gewichtung beziehen sich auf das Erstversicherungsgeschäft. Die Zuordnungsentscheidung bzgl. Rückversicherungsgeschäft wird separat diskutiert. 2 Vgl. Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.223.

Mayr/Ringer 487

Kap. 15 Rz. 15.20 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

des Zeichnungsprozesses entscheidend für die Zuordnung des Rückversicherungsvertrags sind. In diesem Fall sollte der Nachweis genügen, dass ausreichend Substanz in der Rückversicherungsbetriebsstätte vorhanden ist, um wesentliche Teile des in § 24 Abs. 1 BsGaV genannten Zeichnungsprozesses abzudecken, so dass Risikoauswahl und -klassifizierung nicht die einzig entscheidenden Teilprozesse sind. Soweit also eine Rückversicherungsbetriebsstätte einen Geschäftsbetrieb nachweist, in dem wesentliche Personalfunktionen im Sinne des Zeichnungsprozesses analog § 24 Abs. 1 BsGaV ausgeübt werden, sie also die entsprechenden Zeichnungsrechte besitzen und ausüben, sollte davon ausgegangen werden, dass die unternehmerische Risikoübernahmefunktion in dieser Rückversicherungsbetriebsstätte angesiedelt ist, selbst wenn – isoliert betrachtet – die Risikoauswahl und -klassifizierung nicht oder nicht ausschließlich in der Betriebsstätte durchgeführt werden. 3. Ergänzende Zuordnungsregeln a) Zuordnungsregeln zur inländischen Betriebsstätte bei Hauptbevollmächtigtem im Inland

15.21 Hauptbevollmächtigter. Mit der Anknüpfung an die aufsichtsrechtliche Bestellung des Hauptbevollmächtigten stellt die BsGaV die Form über den Inhalt. Diese Regelung bezieht sich auf die aufsichtsrechtliche (gesetzliche) Zuweisung der Vertretungsmacht das Hauptbevollmächtigten und kann deshalb im Widerspruch zur tatsächlichen Allokation der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion stehen. Es ist kein ökonomisch sinnvoller Grund erkennbar, warum bei inländischen Niederlassungen steuerlich auf eine aufsichtsrechtliche Regelung abzustellen ist. Vielmehr steht diese Regelung im klaren Widerspruch zur Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätten, die sich nicht an aufsichtsrechtlichen Regeln orientiert, sondern an den wahrgenommenen Funktionen und den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Zwar ist die Zuordnungsregel nach § 24 Abs. 5 BsGaV widerlegbar. Allerdings ist dies an erhebliche Nachweispflichten geknüpft, die auch im Hinblick auf die von der OECD getroffenen Vorgaben unverhältnismäßig erscheinen. Stattdessen sollten analog den OECD-Kriterien die wirtschaftlichen Gegebenheiten bzw. die tatsächlich wahrgenommenen Funktionen im Rahmen des Zeichnungsprozesses maßgeblich sein und die Basis für die Zuordnungsentscheidung liefern. Beispiel 3: Inländischer Hauptbevollmächtigter Sachverhalt: Ein Versicherungsunternehmen mit Sitz im Ausland hat im Inland eine Niederlassung, für die ein Hauptbevollmächtigter gem. § 110a Abs. 4 Nr. 4 i.V.m. § 106 Abs. 3 VAG bestellt ist. Von der Niederlassung werden Wohngebäude- und Hausratsversicherungen abgeschlossen. Das Stammhaus übernimmt wesentliche Teile des Zeichnungsprozesses für die Wohngebäude- und Hausratsversicherungen und trifft dabei insbesondere die Zeichnungsentscheidung. Ergebnis nach BsGaV: Die besondere Zuordnungsregelung des § 24 Abs. 5 BsGaV gilt für die Wohngebäude- und Hausratsversicherung. Die Wohngebäude- und Hausratsversicherungen sind der inländischen Niederlassung zuzuordnen. Kritik: Obwohl das ausländische Stammhaus wesentliche Teile des Zeichnungsprozesses übernimmt, werden laut § 24 Abs. 5 BsGaV die Versicherungsverträge grundsätzlich der inländischen Niederlassung zugerechnet. Der Steuerpflichtige kann dies zwar mit Hilfe aufwen-

488 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.23 Kap. 15

diger Nachweise widerlegen. Eine AOA-konforme Regelung, wonach die Zuordnungsentscheidung anhand der Risikoübernahmefunktion erfolgt, wäre jedoch die sinnvolle Lösung gewesen.

Aufsichtsrecht. Das Beispiel verdeutlicht, dass die aufsichtsrechtliche Zuordnungs- 15.22 regelung des § 24 Abs. 5 BsGaV die Zuordnungsregelungen des § 24 Abs. 1–3 BsGaV überlagert, so dass es nicht mehr auf die Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion im Sinne des Zeichnungsprozesses ankommt. Sämtliche Wohngebäude- und Hausratsversicherungsverträge werden dem Inland zugeordnet, selbst wenn das ausländische Stammhaus wesentliche Teile des Zeichnungsprozesses übernimmt. Die Regelungen des § 24 Abs. 1-3 BsGaV sind in diesem Fall überflüssig. Eine abweichende Zuordnung kann nur vorgenommen werden, wenn die in den VWG BsGaV geforderten Nachweise erbracht werden. Diese dürften den Steuerpflichtigen jedoch mit nicht nachvollziehbaren Anforderungen und erheblichem Zusatzaufwand konfrontieren. b) Zuordnungsregeln zur ausländischen Betriebsstätte bei Hauptbevollmächtigtem im Ausland Mindestanforderungen. Diese Spezialregel stellt bestimmte Mindestanforderun- 15.23 gen an die Zuordnung des Versicherungsvertrags zur ausländischen Betriebsstätte. Im Gegensatz zur inländischen Betriebsstätte ist nicht die Bestellung eines Hauptbevollmächtigten in der ausländischen Betriebsstätte der Anknüpfungspunkt für die Zuordnungsentscheidung, sondern im Einklang mit § 24 Abs. 1–3 BsGaV die unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Die im Rahmen des Zeichnungsprozesses ausgeübten Personalfunktionen müssen im Ausland überwiegen, um das Versicherungsgeschäft dem Ausland zuzuordnen. Weiter soll es nicht ausreichen, wenn lediglich die „Annahme des versicherten Risikos“ im Ausland erfolgt, so dass darüber hinaus wenigstens eine weitere konkrete Personalfunktion im Ausland wahrgenommen werden muss. Dies ist laut VWG BsGaV so zu interpretieren, dass der formale Akt der Unterschrift nicht ausreichend für die Zuordnung ist, wenn keine weiteren Personalfunktionen des Zeichnungsprozesses im Ausland stattfinden.1 Diese Regelung ist im Einklang mit der OECD-Vorgabe, wonach „rubber stamping“ für die Zuordnungsentscheidung nicht ausreichend ist.2 Beispiel 4: Reiseversicherung Sachverhalt: Reiseversicherungen werden als standardisierte Produkte über Terminals an Flughäfen vertrieben. Ergebnis nach BsGaV: Da es sich um standardisierte Produkte handelt, ist die reine Annahme des Risikos am Terminal nicht ausreichend für die Zuordnung der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion. Stattdessen müssen weitere Personalfunktionen (z.B. Produktmanagement und Produktentwicklung, Verkauf und Marketing, Risikomanagement und Rückversicherung) in die Zuordnungsentscheidung einbezogen werden.3 Kritik: Das Ergebnis nach BsGaV ist sachgerecht. 1 VWG BsGaV, Rz. 310. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 194. 3 Zustimmend Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.215.

Mayr/Ringer 489

Kap. 15 Rz. 15.24 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

15.24 Unterschrift. Diese Regelung sollte für den Steuerpflichtigen keine Probleme verursachen, weil die Zuordnung analog der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion erfolgt. Die Klarstellung, dass die reine Unterschrift nicht allein entscheidend für die Zuordnung sein kann, ist verständlich. Nicht nachvollziehbar bleibt allerdings der Unterschied zur Behandlung inländischer Betriebsstätten, wonach aufsichtsrechtliche Kriterien (§ 24 Abs. 5 BsGaV) eine entscheidende Rolle spielen, während es bei ausländischen Betriebsstätten auf die wirtschaftliche Sichtweise ankommt.

IV. Einklang mit dem AOA 15.25 Abweichungen vom AOA. Grundsätzlich ist die Anpassung der deutschen Regeln bei der Zuordnung des Versicherungsvertrags auf OECD-Standards positiv zu sehen, um möglichst deutsche Sonderwege und die damit verbundenen negativen Konsequenzen zu vermeiden. Allerdings stehen folgende Punkte des deutschen Regelwerks nicht im Einklang mit dem AOA: – Der AOA definiert die unternehmerische Risikoübernahmefunktion bei Versicherungen grundsätzlich als etwas, das das aktive Treffen von Entscheidungen erfordert.1 Dieser Aspekt wird in den deutschen Regeln nur unzureichend erwähnt. Zwar sollen bei Funktionsaufteilung die Teilprozesse des Zeichnungsprozesses qualitativ bzw. quantitativ gewichtet werden. Dabei sollen insbesondere die Personalfunktionen eine wichtige Rolle spielen, die das aktive Treffen von Entscheidungen erfordern. Inwieweit aber das aktive Treffen von Entscheidungen die Zuordnungsentscheidung grundsätzlich beeinflusst, bleibt in den deutschen Vorgaben in § 24 Abs. 1 BsGaV ungeregelt. – Ausgegliederte Funktionen sind laut den deutschen Regelungen irrelevant für die unternehmerische Risikoübernahmefunktion und spielen damit für die Zuordnungsentscheidung keine Rolle.2 Demgegenüber unterscheidet der AOA bei der Analyse der „KERT Function“ nicht zwischen eigenem und fremdem Personal, so dass sich daraus grundsätzlich keine Konsequenzen für die Zuordnungsentscheidung des AOA ergeben. Diese Abweichung der deutschen Regeln vom OECDStandard wird zu Qualifikationskonflikten führen. Ein Gleichlauf zwischen dem AOA und den deutschen Vorgaben wäre wünschenswert gewesen. – Die Zuordnungsregelungen bei geteilter unternehmerischer Risikoübernahmefunktion (§ 24 Abs. 3 BsGaV) stehen nicht im Einklang mit dem AOA. Der AOA ordnet bei geteilter „KERT Function“ das versicherungstechnische Ergebnis sowie das Kapitalanlagenergebnis anteilig den beteiligten Betriebsstätten zu. Die deutschen Regeln aber sehen eine einheitliche unternehmerische Risikoübernahmefunktion anhand qualitativer oder quantitativer Gewichtung vor.3 Die deutsche Regelung ist zu begrüßen, weil sie wegen der Zuordnung des versicherungstechnischen Ergebnisses zu nur einer Einheit auch die Verbuchung und Administration 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 68. 2 Vgl. VWG BsGaV, Rz. 288. 3 Vgl. OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 108.

490 Mayr/Ringer

A. Besondere Zuordnungsregeln für Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.27 Kap. 15

der Versicherungsverträge erleichtert.1 Um Qualifikationskonflikte zu vermeiden, muss allerdings unter dem deutschen Regelwerk zwingend mit Hilfe von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen der Wertbeitrag aller beteiligten Betriebsstätten fremdvergleichskonform vergütet werden. Nur unter dieser Voraussetzung kommen AOA und die deutschen Regeln zum selben Ergebnis. – Die Zuordnungsregelungen bei der Rückversicherung (§ 24 Abs. 4 BsGaV) stehen im Widerspruch zum AOA. Die OECD nimmt auch bei der Rückversicherung einen Zeichnungsprozess als unternehmerische Risikoübernahmefunktion an. Im Gegensatz dazu wertet die deutsche Finanzverwaltung den Teilprozess der Risikoklassifizierung und -auswahl als entscheidendes Kriterium für die Zuordnung des Versicherungsvertrags. Soweit andere Staaten der OECD-Definition folgen, ist mit Qualifikationskonflikten bei der Zuordnung von Rückversicherungsverträgen zu rechnen. Diese müssen im Rahmen von Verständigungs- und/oder Schiedsverfahren beseitigt werden. – Die besonderen Zuordnungsregelungen nach aufsichtsrechtlichen Kriterien (§ 24 Abs. 5 BsGaV) stehen im Widerspruch zum AOA und sollten ersatzlos gestrichen werden.2 Während der AOA die Zuordnung der Versicherungsverträge nach wirtschaftlichen Kriterien einheitlich für Inbound- und Outbound-Fälle vornimmt, stellen die deutschen Regelungen auf das Aufsichtsrecht ab, so dass mit Qualifikationskonflikten bei der Zuordnung der Versicherungsverträge gerechnet werden muss. Soweit der Steuerpflichtige aufgrund fehlender Nachweise nicht auf die Öffnungsklausel zugreifen kann, steht er vor der Wahl, entweder die deutschen Regeln zu befolgen (und die Zuordnungsentscheidung nach aufsichtsrechtlichen Kriterien zu treffen) oder im Einklang mit dem AOA zu handeln (und die Zuordnungsentscheidung analog der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion vorzunehmen). Soweit die ausländischen Behörden dem AOA folgen, wird es mit Sicherheit zu einer Anpassung im Rahmen der in- oder ausländischen Betriebsprüfung kommen, unabhängig davon, welche Entscheidung der Steuerpflichtige trifft. Konfliktfälle. Konfliktfälle wegen der genannten Abweichungen zum AOA sind un- 15.26 vermeidlich. Es bleibt zu hoffen, dass die aus diesen Abweichungen resultierenden Doppelbesteuerungsfälle im Rahmen von Verständigungsverfahren beseitigt werden können.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Selbständigkeitsfiktion. Positiv zu werten ist die starke Orientierung der deutschen 15.27 Regeln an ausgeübten Personalfunktionen und damit an wirtschaftlichen Realitäten, die zu einer klaren Gewinnabgrenzung führt. Die konsequente Umsetzung der Selbständigkeitsfiktion ist ebenfalls grundsätzlich positiv zu beurteilen und spiegelt den Fremdvergleichsgrundsatz wider. Der wesentlichste Kritikpunkt an den deutschen Regeln besteht in den besonderen Zuordnungsregelungen nach aufsichtsrechtlichen 1 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.214. 2 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.237.

Mayr/Ringer 491

Kap. 15 Rz. 15.27 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

Kriterien, wodurch ausländische und inländische Betriebsstätten ungleich behandelt werden. Es widerspricht dem „Separate legal entity approach“ des AOA, wenn anstelle der tatsächlich übernommenen Funktionen eine aufsichtsrechtliche Regelung für die Zuordnungsentscheidung relevant ist. Diese Regelung ist nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar, da die Regeln für inländische und ausländische Betriebsstätten unterschiedlich und durch das Abstellen auf eine aufsichtsrechtliche Regelung widersprüchlich formuliert sind.1 Zuordnungskonflikte sind unausweichlich. Der Gesetzgeber hätte auf die Formulierung der besonderen Zuordnungsregelungen nach aufsichtsrechtlichen Kriterien verzichten sollen.

B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts 15.28 Kapitalausstattung. Dieser Regelungsabschnitt zielt darauf ab, die inländische Versicherungsbetriebsstätte mit einer angemessenen Kapitalausstattung zu dotieren (s. grds. zum Dotationskapital Rz. 8.1 ff.). Diese nur für Versicherungen gültigen Spezialregeln sind notwendig, da die Erträge aus Kapitalanlagen bei Versicherern neben dem versicherungstechnischen Ergebnis die Haupteinnahmequelle bilden und die Höhe des Kapitalanlageergebnisses pro Betriebsstätte wesentlich von der Höhe des zugeordneten Dotationskapitals abhängt. Warum die deutsche Finanzverwaltung jeweils eigenständige und voneinander abweichende Regeln für inländische (§ 25 BsGaV) und ausländische (§ 26 BsGaV) Versicherungsbetriebsstätten (s. hierzu auch Rz. 15.23 ff.) formuliert ist nicht nachvollziehbar.

II. Regelungsinhalt 15.29 Modifizierte Kapitalaufteilungsmethode. Die Verteilung des Kapitals auf die Versicherungsbetriebsstätten erfolgt für inländische Betriebsstätten in zwei Stufen analog der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode (§ 25 Abs. 1 und 2 BsGaV): – Im ersten Schritt muss zur inländischen Betriebsstätte ein Anteil an den Vermögenswerten des Gesamtunternehmens zugeordnet werden, der dem Verhältnis der versicherungstechnischen Rückstellungen für Versicherungsverträge der inländischen Betriebsstätte zu den versicherungstechnischen Rückstellungen des Gesamtunternehmens entspricht. Ausgangspunkt sind dabei die Vermögenswerte, die dem Unternehmen zur Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals auf Grundlage der Handelsbilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens zur Verfügung stehen.2 Eine exakte Definition der rele-

1 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.237. 2 VWG BsGaV, Rz. 314.

492 Mayr/Ringer

B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.33 Kap. 15

vanten Vermögenswerte erfolgt in den VWG BsGaV.1 Andere Aufteilungsschlüssel neben den Rückstellungen sind unzulässig.2 – Im zweiten Schritt sind davon die nach deutschem Handelsrecht ermittelten versicherungstechnischen Rückstellungen und versicherungstechnischen Verbindlichkeiten abzuziehen. Diese sind so zu ermitteln, als ob die Versicherungsbetriebsstätte ein selbständiges Unternehmen wäre. Die Residualgröße ist das der inländischen Betriebsstätte zuzuordnende Dotationskapital. Mindestkapitalisierungsmethode. Ein geringeres Dotationskapital als nach der 15.30 modifizierten Kapitalaufteilungsmethode darf der inländischen Betriebsstätte nur zugeordnet werden, wenn dies dem Fremdvergleich besser entspricht (§ 25 Abs. 3 BsGaV). Dabei ist zu beachten, dass der inländischen Betriebsstätte mindestens ein Dotationskapital zugewiesen muss, als wäre sie ein rechtlich selbständiges Versicherungsunternehmen (Mindestkapitalisierungsmethode bei Versicherungsbetriebsstätten). Soweit der inländischen Betriebsstätte weniger Dotationskapital zugewiesen wird als unter § 25 Abs. 2 BsGaV gefordert, sind die zugeordneten Vermögenswerte analog § 25 Abs. 2 BsGaV anzupassen. Handelsbilanz. Ergänzend führen die VWG BsGaV aus, dass ungeachtet der Rege- 15.31 lung in § 25 Abs. 1–4 BsGaV mindestens das Kapital als Dotationskapital zugeordnet werden muss, das in einer inländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesen ist.3 Anpassungen. Die Anpassungsregeln in § 25 Abs. 5 und 6 BsGaV stellen klar, dass 15.32 im Fall einer abweichenden Zuordnung von Dotationskapital auch eine Anpassung der Vermögensgegenstände erfolgen muss.4 Unterjährige Anpassungen des Dotationskapitals sind vorzunehmen, soweit dies das inländische Versicherungsaufsichtsrecht erfordert. Zudem ist eine Anpassung notwendig, wenn es unterjährig zu Abweichungen von mehr als 30 % des Dotationskapitals zu Beginn des Wirtschaftsjahrs kommt (mindestens 2 Mio. Euro).

III. Kommentierung 1. Modifizierte Kapitalaufteilungsmethode a) Verwendung unterschiedlicher Rechnungslegungsstandards Regelungsstandards. Der Gesetzgeber verwendet bei der Berechnung des Dotations- 15.33 kapitals der inländischen Betriebsstätte unterschiedliche Rechnungslegungsstandards:

1 2 3 4

VWG BsGaV, Rz. 315. VWG BsGaV, Rz. 318. VWG BsGaV, Rz. 323. VWG BsGaV, Rz. 321.

Mayr/Ringer 493

Kap. 15 Rz. 15.33 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

– Die Definition der verteilungsfähigen Vermögenswerte erfolgt analog Art. 6 der Richtlinie des Rats vom 19.12.1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen1 (RL 91/674/EWG).2 – Die Verteilung der Vermögenswerte erfolgt auf der Grundlage der in der handelsrechtlichen Bilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens bzw. der vom ausländischen Versicherungsunternehmen gebildeten Rückstellungen.3 – Die Kalkulation des Dotationskapitals als Differenzbetrachtung erfolgt nach deutschem Handelsrecht.4

15.34 Komplexität. Das ausländische Versicherungsunternehmen steht vor der Herausforderung, sämtliche Betriebsstätten im Ausland (inklusive Deutschland) adäquat mit Kapitalanlagen und Dotationskapital auszustatten (s. zur Kapitalaufteilungsmethode Rz. 8.7 ff.). Wenn die Betriebsstättenjurisdiktionen (inklusive Deutschland) dabei auf Rechengrößen bestehen, die nicht flächendeckend für alle Betriebsstätten vorliegen und für Definition, Verteilung und Kalkulation gar unterschiedliche Standards vorgeben, ist diese Aufgabe nicht zu bewerkstelligen. Die einzig sinnvoll zu verwendende Rechenbasis sollte daher das Handelsrecht des ausländischen Versicherungsunternehmens sein, so dass auf dieser Grundlage alle Rechenschritte erfolgen können. Die von Deutschland vorgeschlagene Mischung wird zwangsläufig zu Problemen führen und erzeugt eine unnötige Komplexität. Am Ende kann das Versicherungsunternehmen höchstens die dem Unternehmen tatsächlich zur Verfügung stehenden Vermögensgegenstände verteilen. Dies ist nur möglich, wenn die Verteilung nach einem in sämtlichen Dimensionen einheitlichen Maßstab erfolgt. b) Verwendung alternativer Verteilungsschlüssel

15.35 Verteilungsschlüssel. Die Aufteilung der Vermögenswerte erfolgt ausschließlich anhand der versicherungstechnischen Rückstellungen.5 Dies kann zu unangemessenen Ergebnissen führen, da die Rückstellungen nicht unbedingt das übernommene Risiko widerspiegeln (insbesondere wenn die Betriebsstätten in unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig sind). In der Praxis können andere Verteilungsschlüssel besser geeignet sein, um eine adäquate Verteilung der Vermögenswerte zu erreichen. Alternative risikobasierte Schlüssel sollten in jedem Fall in Betracht einbezogen werden, wie z.B. eine solvabilitätsbasierte oder prämienbasierte Schlüsselung.6 Dies bestätigt auch die OECD.7 Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum der Steuerpflichti-

1 2 3 4 5

RL 91/674/EWG, ABl. EG 1991 Nr. L 374, 7. VWG BsGaV, Rz. 315. VWG BsGaV, Rz. 314 f. VWG BsGaV, Rz. 318. Zwar ist über die Öffnungsklausel ein alternativer Allokationsschlüssel möglich, jedoch ist dies an erhöhte Nachweispflichten geknüpft. 6 Vgl. Busch, IStR 2014, 757 (760). 7 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 149–152.

494 Mayr/Ringer

B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.36 Kap. 15

ge auf die versicherungstechnischen Rückstellungen als Aufteilungsschlüssel eingeschränkt wird.1 Beispiel 5: Naturkatastrophen Sachverhalt: Die Versicherung von Naturkatastrophen führt zu hohen Risiken verbunden mit hoher Kapitalhinterlegung. Ergebnis nach BsGaV: Die Aufteilung der Vermögenswerte erfolgt anhand der versicherungstechnischen Rückstellungen. Kritik: Bei derartigen Risiken entspricht die Verteilung der Vermögensgegenstände anhand der Rückstellungen nicht der Risikotragung im Unternehmen. Grundsätzlich wird das Risiko einer Versicherung durch Kapitalhinterlegung reflektiert, so dass z.B. ein Solvency-II-basierter Schlüssel zulässig sein sollte.

c) Definition der zu verteilenden Vermögenswerte Beteiligungen. Die VWG BsGaV beschreiben beispielhaft, dass auch Anteile an 15.36 verbundenen Unternehmen/Beteiligungen und Sachvermögen (z.B. Grundbesitz für den Verwaltungssitz) als verteilungsfähige Vermögenswerte auf die Betriebsstätten aufzuteilen sind.2 Demnach sind die Beteiligungen und Sachvermögen nicht vorab dem Stammhaus bzw. einer Betriebsstätte anhand des funktionalen Zusammenhangs zuzuordnen. Dies hat zur Folge, dass Beteiligungen und Sachvermögen einer oder mehreren Betriebsstätten zugewiesen werden, die keinerlei Bezug zu diesen Vermögensgegenständen aufweisen. Auch vor dem Hintergrund, dass eine Beteiligung in den meisten Fällen einen übergeordneten, strategischen Zweck erfüllen soll, ist eine Zuordnung anhand des funktionalen Zusammenhangs analog den allgemeinen Regeln der BsGaV sinnvoll. Durch eine Vorab-Zuordnung der Beteiligungen bzw. des Sachvermögens stehen diese bei der Verteilung der Vermögenswerte anhand des gewählten Verteilungsschlüssels nicht mehr zur Verfügung.3 Beispiel 6: Versicherungsunternehmen mit Beteiligung Sachverhalt: Ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in Frankreich und einer Betriebsstätte in Deutschland verfügt über Vermögenswerte i.H.v. 200. Darin enthalten ist eine Beteiligung i.H.v. 50, die nicht zur Bedeckung versicherungstechnischer Risiken anerkannt ist. Stammhaus und Betriebsstätte weisen versicherungstechnische Rückstellungen i.H.v. je 50 auf. Ergebnis nach BsGaV: Eine Schlüsselung der Vermögenwerte anhand der versicherungstechnischen Rückstellungen ergibt je 100 Vermögenswerte für Stammhaus und Betriebsstätte. Kritik: Die Beteiligung weist einen funktionalen Zusammenhang zum Stammhaus auf, so dass die Beteiligung vorab dem Stammhaus zugeordnet werden sollte. Die restlichen Vermögenswerte i.H.v. 150 sind dann anhand der versicherungstechnischen Rückstellungen zu verteilen. Das Stammhaus erhält insgesamt Vermögensgegenstände i.H.v. 125 (50 Beteiligung, 75 andere Vermögensgegenstände) und die Betriebsstätte erhält insgesamt Vermögensgegenstände i.H.v. 75.

1 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.270. 2 VWG BsGaV, Rz. 315. 3 Vgl. Busch, IStR 2014, 757 (761) sowie Greinert/Karnath, DStR 2017, 1199.

Mayr/Ringer 495

Kap. 15 Rz. 15.37 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

15.37 Vorab-Zuordnung. Problematisch ist die Situation, wenn Anteile an verbundenen Unternehmen/Beteiligungen und Sachvermögen zur Bedeckung versicherungstechnischer Risiken nach den aufsichtsrechtlichen Regeln des Stammhauses anerkannt sind bzw. das Versicherungsunternehmen diese zur Bedeckung heranzieht. Dann kann die Vorab-Zuordnung (im Beispiel zum Stammhaus) dieser Vermögenswerte zur Unter- bzw. Überkapitalisierung der jeweiligen Einheiten führen. Soweit also derartige Vermögensgegenstände bedeckungsfähig sind bzw. zur Bedeckung herangezogen werden, sollte keine Vorab-Zuordnung erfolgen, sondern diese bei der Verteilung der Vermögenswerte zur Verfügung stehen. d) Verteilung der unrealisierten Gewinne/Verluste

15.38 Unrealisierte Gewinne. Wenn die Vermögenswerte nach dem Handelsrecht des Stammhauses definiert und verteilt werden und das Handelsrecht des Stammhauses die Kapitalanlagen zu Marktwerten bewertet, für steuerliche Zwecke jedoch zu Buchwerten bilanziert wird, erfolgt über die Verteilung der Vermögenswerte eine Verteilung der unrealisierten Gewinne bzw. Verluste auf die Betriebsstätten. Die BsGaV regelt nicht, ob die Verteilung der unrealisierten Gewinne bzw. Verluste zur Besteuerung ebendieser führt. Dabei sollte die Besteuerung der unrealisierten Gewinne/Verluste grundsätzlich erst bei Realisation erfolgen. 2. Öffnungsklausel a) Relevanz der Öffnungsklausel

15.39 Alternative Methoden. Die Öffnungsklausel relativiert die in § 25 Abs. 1–2 BsGaV gemachten Vorgaben und gibt dem Steuerpflichtigen auf den ersten Blick die Freiheiten bei der Dotation der inländischen Betriebsstätten, die auch der AOA vorsieht. So ist es dem Steuerpflichtigen grundsätzlich möglich, über alternative Methoden eine abweichende Dotierung der inländischen Betriebsstätte vorzunehmen und sogar eine geringere Dotierung zu bestimmen. Damit erlaubt die Öffnungsklausel sowohl die Anwendung einer von der OECD anerkannten Methode (z.B. Fremdvergleichsmethode) als auch die Wahl alternativer Verteilungsschlüssel im Rahmen der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode (z.B. Prämien oder Solvency II). Allerdings erfordert dies einen Nachweis, dass diese Dotierung im Verhältnis zum übrigen Unternehmen dem Fremdvergleich besser entspricht. Diese Vorgabe ist wenig konkret. Leider schweigen auch die VWG BsGaV dazu, wie ein Nachweis konkret auszusehen hat. Allerdings stellt die OECD zur Begründung alternativer Verteilungsschlüssel hilfreiche Argumente zur Verfügung. Zum Beispiel bewirkt der Rückstellungsschlüssel im Einzelfall nicht sachgerechte Ergebnisse, wenn die Betriebsstätten unterschiedliche Versicherungszweige bedienen.1 Soweit diese Nachteile auf den konkreten Sachverhalt zutreffen bzw. bei alternativen Verteilungsschlüsseln nicht bestehen, sollte dies als Nachweis i.S.d. VWG BsGaV ausreichend sein. Schwieriger dürfte der Nachweis für die Wahl einer alternativen Methode (z.B. Fremdvergleichsmethode) anstelle der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode fallen, da verlässliche Daten 1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 144–148.

496 Mayr/Ringer

B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.40 Kap. 15

über die Kapitalsituation unabhängiger und gegenüber der Betriebsstätte vergleichbarer Versicherungsunternehmen kaum zur Verfügung stehen. Schließlich sollte der Steuerpflichtige bei Nutzung der Öffnungsklausel die Argumente und Überlegungen, die hinter der gewählten Logik stehen, ausführlich dokumentieren. b) Mindestkapitalisierungsmethode Kritik Mindestkapitalisierung. Auf den zweiten Blick schränkt § 25 Abs. 3 BsGaV 15.40 die begrüßenswerten Freiheiten allerdings erheblich ein, wenn auf ein Konzept zurückgegriffen wird, das die OECD ausdrücklich abgelehnt hat. Der inländischen Betriebsstätte soll mindestens das Dotationskapital zugewiesen werden, das sie nach deutschem Aufsichtsrecht aufweisen müsste, wenn sie ein rechtlich selbständiges Unternehmen wäre. Diese Einschränkung ist aus folgenden Gründen abzulehnen: – Die OECD formuliert als Prinzip der Kapitalallokation den Grundsatz gleicher Partizipation aller Betriebsstätten an der Kapitalstärke des Gesamtunternehmens.1 Wenn einer einzelnen Betriebsstätte über die Verwendung einer Mindestkapitalregelung übermäßig Kapital zugewiesen wird, so geht dies zu Lasten der Kapitalausstattung aller anderen Betriebsstätten. Die Kapitalisierung sollte stattdessen nach einer für alle Betriebsstättenstaaten gültigen und damit einheitlichen Logik erfolgen und kann nicht auf das jeweils national gültige Mindestkapital abstellen. Schließlich kann das Gesamtunternehmen nur das tatsächlich zur Verfügung stehende Kapital verteilen, das ggf. geringer ist als die Summe der national gültigen Mindestkapitalanforderungen. – Die deutschen Regelungen zur Mindestkapitalisierungsmethode unterstellen, dass die inländische Betriebsstätte für die Besteuerung als eigenständiges Versicherungsunternehmen zu behandeln und entsprechend zu kapitalisieren ist. Hier kommt die Selbständigkeitsfiktion an ihre Grenzen. Eine derartige Kapitalanforderung gibt es versicherungsaufsichtsrechtlich eben gerade nicht. Im Gesamtunternehmen ist regelmäßig weniger Kapital vorhanden, als wenn die Betriebsstätten als eigenständige Versicherungsunternehmen agieren würden. Damit ist bei Verwendung der Mindestkapitalisierungsmethode der Kapitalbedarf regelmäßig höher, als wenn das Gesamtunternehmen kapitalisiert wird. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Kapitalbasis eines Betriebsstättenkonzerns eben nicht die Summe aus den Tochtergesellschaften ist, sondern ein Betriebsstättenkonzern braucht aufgrund von Diversifikationseffekten insgesamt weniger Gesamtkapital. – Die Mindestkapitalisierungsmethode führt bei unterschiedlichen Bilanzierungsregeln in den beteiligten Betriebsstättenstaaten zu nicht sachgerechten Ergebnissen. Beispielsweise hätte eine inländische Betriebsstätte Kapital für die Bedeckung einer Schwankungsrückstellung vorzuhalten, die das Gesamtunternehmen mit Stammhaus im Ausland gegebenenfalls nicht zu bilanzieren und damit nicht zu bedecken hat. Eine Zuweisung von Kapital zur Bedeckung der Schwankungsreserve

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 122.

Mayr/Ringer 497

Kap. 15 Rz. 15.40 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

führt daher zwangsläufig zur ungerechtfertigten Reduzierung des Kapitals der anderen Betriebsstätten.1 – Die Verwendung der Mindestkapitalisierungsmethode zur Bestimmung der Kapitaluntergrenze führt dazu, dass für inländische Betriebsstätten in jedem Fall das aufsichtsrechtliche Mindestkapital berechnet werden muss. In dieser hypothetischen Berechnung muss das Mindestkapital so berechnet werden, als wenn die Betriebsstätte ein rechtlich selbständiges Unternehmen wäre. Nur so kann festgestellt werden, ob die Kapitalisierungsuntergrenze greift. Dies stellt den Steuerpflichtigen vor die Schwierigkeit, dass diese Kapitalgrößen bisher nicht flächendeckend pro Betriebsstätte vorliegen. Insbesondere unter Solvency II verursacht eine solche Berechnung erheblichen zusätzlichen Aufwand für die Unternehmen.

15.41 Untergrenze. Vertretbar wäre allenfalls gewesen, wenn die Mindestkapitalisierung als Untergrenze für die Anwendung der Öffnungsklausel i.S.d. § 25 Abs. 3 BsGaV bestimmt worden wäre. Dann könnte der Steuerpflichtige über die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode eine ökonomisch sinnvolle Verteilung des Dotationskapitals ermitteln (unter Einschränkung der in Rz. 15.33 ff. erläuterten Kritikpunkte).2 Dies ist aber laut Rz. 320 der VWG BsGaV ausdrücklich nicht der Fall. Beispiel 7: Mindestkapitalisierung Sachverhalt: Ein französischer Industrieversicherer unterhält eine Betriebsstätte in Deutschland. Das Unternehmen muss eine Gesamtmindestkapitalanforderung von 150 erfüllen. Das französische Stammhaus und die deutsche Betriebsstätte weisen ein identisches Funktionsund Risikoprofil auf, so dass je Einheit ein Mindestkapital von 75 vorgehalten werden muss. Insgesamt steht dem Unternehmen lediglich Kapital von 140 zur Verfügung. Ergebnis nach BsGaV: Bei Anwendung der Mindestkapitalisierungsmethode ist die deutsche Betriebsstätte mit 75 zu kapitalisieren, während das Kapital des Stammhauses auf 65 reduziert wird. Diese Methode lässt die deutsche Betriebsstätte überproportional und damit auf Kosten des französischen Stammhauses am Gesamtkapital partizipieren. Dieses Ergebnis ist nicht sachgerecht. Kritik: Stammhaus und Betriebsstätte sollten unabhängig von lokalen Mindestkapitalanforderungen anhand der ökonomischen Realitäten kapitalisiert werden. Dies ergibt eine Aufteilung i.H.v. 70 für die Betriebsstätte und 70 für das Stammhaus. Beide Einheiten sollten in adäquatem Maß an der Unterkapitalisierung partizipieren.

3. Rolle des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts

15.42 Handelsbilanz. Die VWG BsGaV führen zudem aus, dass ungeachtet der Regelung in § 25 Abs. 1–4 BsGaV mindestens das in einer inländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zugeordnet werden darf. Der Steuerpflichtige muss demnach darauf achten, dass die für steuerliche Zwecke ermittelte Kapitalzuordnung auch tatsächlich in der Handelsbilanz der inländischen Betriebsstätte ausgewiesen wird, um nicht von dieser Mindestregelung überrascht zu werden.

1 Zustimmend auch Andresen/Tenberge, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.268. 2 Busch, IStR 2014, 757 (759).

498 Mayr/Ringer

B. Dotation inländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.45 Kap. 15

IV. Einklang mit dem AOA Abweichungen vom AOA. Grundsätzlich ist die deutsche Regelung, wonach die mo- 15.43 difizierte Kapitalaufteilungsmethode als Standardmethode zur Kapitalisierung der inländischen Betriebsstätten verwendet wird, im Einklang mit dem AOA. Allerdings weicht das deutsche Regelwerk in folgenden wesentlichen Punkten vom AOA ab: – Das deutsche Regelwerk erlaubt die Aufteilung der Vermögenswerte nur nach versicherungstechnischen Rückstellungen. Zwar ist über die Öffnungsklausel ein alternativer Zuordnungsschlüssel möglich, jedoch ist dies an erhöhte Nachweispflichten geknüpft. Der AOA ermöglicht hingegen generell verschiedene Allokationsschlüssel (z.B. Rückstellungen, Prämien, regulatorische Größen), so dass abhängig vom Sachverhalt der sinnvollste Mechanismus gewählt werden kann.1 Insbesondere Solvency II bietet sich als Schlüssel an, da diese Größe das relative Risiko des gezeichneten Geschäfts am besten widerspiegelt und einen sinnvollen Maßstab über verschiedene Versicherungszweige hinweg bietet. – Die deutschen Vorschriften beziehen Anteile an verbundenen Unternehmen/Beteiligungen und Sachvermögen in die zu verteilenden Vermögenswerte ein. Der AOA sieht hingegen vor, dass Beteiligungen bzw. die mit deren Erwerb verbundene „Kriegskasse“ nicht über den allgemeinen Allokationsmechanismus, sondern stattdessen anhand des funktionalen Zusammenhangs zugeordnet werden.2 Eine separate Zuordnung dieser Nicht-Kapitalanlagen ist sinnvoll, da der Sinn und Zweck nicht darin besteht, Kapitalanlageergebnis zu erzielen, sondern diese Wirtschaftsgüter strategische Bedeutung für das Gesamtunternehmen haben. – Die Anwendung der Mindestkapitalisierungsmethode entspricht nicht dem AOA. Diese Methode ermittelt lediglich eine Mindestsumme an zuzuordnenden Vermögensgegenständen und kann allenfalls als vereinfachte Orientierungsgröße benutzt werden. Für eine adäquate Aufteilung des vorhandenen Kapitals ist sie ungeeignet.3 Konfliktfälle. Auch hier gilt, dass es aufgrund dieser Abweichungen vom AOA zu 15.44 Konfliktfällen kommen wird, wenn ausländische Staaten dem AOA konsequent folgen. Es bleibt zu hoffen, dass die aus diesen Abweichungen resultierenden Doppelbesteuerungsfälle im Rahmen von Verständigungsverfahren beseitigt werden können.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Aufsichtsrecht. Dem Fremdvergleich entsprechend fordert der AOA, dass alle Betriebsstätten in einem adäquaten Maß an der Gesamtkapitalausstattung des Versicherungsunternehmens partizipieren. Die in § 25 Abs. 3 BsGaV getroffene Regelung, wo1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 144–150. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 126. 3 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 160; zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.271.

Mayr/Ringer 499

15.45

Kap. 15 Rz. 15.45 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

nach die inländische Betriebsstätte wenigstens mit dem aufsichtsrechtlichen Mindestkapitel auszustatten ist, erfüllt diesen Anspruch nicht und entspricht damit nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz (kritisch hierzu Rz. 8.30). Die isolierte Betrachtung einer einzelnen Betriebsstätte führt zwangsläufig zu Zuordnungskonflikten gegenüber dem Rest des Versicherungsunternehmens, da das übermäßige Zuordnen von Kapital zu einer Betriebsstätte mit einer Verringerung des verfügbaren Kapitals für das restliche Unternehmen verbunden ist.

15.46 Unterschiede. Zudem sehen die deutschen Regelungen unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Kapitalisierung von ausländischen Betriebsstätten im Vergleich zu inländischen Betriebsstätten vor. Diese unterschiedliche Würdigung gleicher Sachverhalte widerspricht dem Fremdvergleich und wird im nächsten Abschnitt (s. Rz. 15.47 ff.) ausführlich erörtert.1

C. Dotation ausländischer Versicherungsbetriebsstätten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts 15.47 Kapitalausstattung. Dieser Regelungsabschnitt beschreibt, wie die ausländische Versicherungsbetriebsstätte mit einer angemessenen Kapitalausstattung zu dotieren ist. Der deutsche Gesetzgeber regelt die Dotierung ausländischer Betriebsstätten abweichend von der Dotierung inländischer Betriebsstätten. Zwar existieren Öffnungsklauseln, die bei Vorlage entsprechender Nachweise und unter Beachtung gewisser Oberund Untergrenzen ein einheitliches Ergebnis für in- und ausländische Betriebsstätten herstellen sollten. Allerdings ist es nicht nachvollziehbar, warum die Grundregel für in- und ausländische Betriebsstätten abweichen.

II. Regelungsinhalt 15.48 Mindestkapitalisierung. Im Fall ausländischer Betriebsstätten eines inländischen Versicherungsunternehmens gilt gem. § 26 Abs. 1 BsGaV die Mindestkapitalisierungsmethode als die Regelmethode. So ist der ausländischen Betriebsstätte nur Dotationskapital zuzuordnen, soweit dies aus betriebswirtschaftlichen Gründen erforderlich ist (§ 26 Abs. 1 BsGaV verweist hier auf die allgemeine Regelung des § 13 Abs. 1 BsGaV) bzw. aufsichtsrechtliche Regelungen des Auslands eingehalten werden müssen, wenn die Betriebsstätte ein selbständiges ausländisches Versicherungsunternehmen wäre. Den Nachweis hierzu muss das inländische Versicherungsunternehmen führen, insbesondere in welcher Höhe ein vergleichbares ausländisches Versicherungsunternehmen mit Eigenkapital ausgestattet sein müsste und in welcher Höhe die ausländische Betriebsstätte mit Dotationskapital ausgestattet wurde.2 1 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.261 u. Rz. 11.275 sowie Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR-Beih. 2014, 22 f. 2 VWG BsGaV, Rz. 325.

500 Mayr/Ringer

C. Dotation ausländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.53 Kap. 15

Fremdvergleich. Ein höheres Dotationskapital als nach der Mindestkapitalisierungs- 15.49 methode darf nach § 26 Abs. 2 BsGaV der ausländischen Betriebsstätte nur zugeordnet werden, wenn dies dem Fremdvergleich besser entspricht. Dabei ist zu beachten, dass der ausländischen Betriebsstätte höchstens ein Dotationskapital zugewiesen werden darf, das sich aus der Anwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 BsGaVergibt. Die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode liefert somit die Obergrenze für die Zuordnung.1 Ausnahme. § 26 Abs. 3 Satz 1 BsGaV definiert die Ausnahme von der Anwendung 15.50 der Obergrenze, wenn das ausländische Versicherungsaufsichtsrecht eine höhere Dotation der ausländischen Betriebsstätte erfordert. Allerdings schränkt der Gesetzgeber diese Ausnahme wiederum in § 26 Abs. 3 Satz 2 BsGaVein, da die Ausnahmeregelung nur greift, wenn dem übrigen Unternehmen so viel Kapital verbleibt, wie es nach inländischem Aufsichtsrecht erforderlich wäre. Ergänzend führen die VWG BsGaV aus, dass ungeachtet der Regelung in § 26 Abs. 1–3 BsGaV höchstens das in einer ausländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zugeordnet werden darf.2 Anpassungen. § 26 Abs. 4 BsGaV stellt klar, dass unterjährige Anpassungen des Do- 15.51 tationskapitals vorzunehmen sind, soweit dies das ausländische Versicherungsaufsichtsrecht erfordert. Zudem ist eine Anpassung notwendig, wenn es unterjährig zu Abweichungen von mehr als 30 % des Dotationskapitals zu Beginn des Wirtschaftsjahrs kommt (mindestens 2 Mio. Euro).

III. Kommentierung 1. Mindestkapitalisierungsmethode Kritik Mindestkapitalisierung. Die Verwendung der Mindestkapitalisierungsme- 15.52 thode (s. zur Mindestkapitalausstattung Rz. 8.24 ff.) als Regelmethode ist aus den bereits erläuterten Gründen nicht sachgerecht. Die ausländischen Steuerbehörden werden zu Recht eine ökonomisch sinnvolle Beteiligung der ausländischen Betriebsstätte am Gesamtkapital des Versicherungsunternehmens fordern, was aber den deutschen Vorgaben des § 26 Abs. 1 BsGaV widerspricht und zwangsläufig zum Disput führen wird. Schlechterstellung. Zudem muss kritisiert werden, dass die BsGaV inländische und 15.53 ausländische Versicherungsbetriebsstätten grundsätzlich unterschiedlich behandelt, wenn die inländischen Versicherungsbetriebsstätten über die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode zu kapitalisieren sind, während bei ausländischen Versicherungsbetriebsstätten die Mindestkapitalisierungsmethode Verwendung findet. Der deutsche Fiskus beabsichtigt offensichtlich, im Inbound-Fall an der Kapitalstärke ausländischer Versicherungsunternehmen zu partizipieren bzw. davon zu profitieren. Jedoch wird im Outbound-Fall den ausländischen Betriebsstätten dies nicht zugestanden. Die da1 VWG BsGaV, Rz. 326 f. 2 VWG BsGaV, Rz. 331.

Mayr/Ringer 501

Kap. 15 Rz. 15.53 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

mit verbundene Schlechterstellung der ausländischen Betriebsstätte ist nicht nachvollziehbar und unionsrechtlich bedenklich. 2. Öffnungsklausel

15.54 Nachweispflichten. Die Öffnungsklausel relativiert die Bedeutung der Mindestkapitalisierungsmethode als Regelmethode. Zwar ist die Verwendung einer alternativen Methode und die damit in der Regel verbundene Erhöhung der Kapitalallokation bei den ausländischen Betriebsstätten an erhöhte Nachweispflichten geknüpft. Allerdings sollte der Verweis auf die mit der Mindestkapitalisierungsmethode verbundenen Nachteile und Kritikpunkte bereits ausreichen, um eine alternative Methode (z.B. modifizierte Kapitalaufteilungsmethode oder Fremdvergleichsmethode) verwenden zu können. Zwar formulieren die VWG BsGaV explizit, dass es sich bei der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode um keine für die Bestimmung des Dotationskapitals für ausländische Betriebsstätten anzuwendende Methode handelt.1 Diese Einschränkung kann aber nicht gelten, wenn die in der Öffnungsklausel geforderten Nachweispflichten erbracht werden und die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode zu Ergebnissen führt, die dem Fremdvergleich besser entsprechen. 15.55 Komplexität. Zudem beinhaltet die Öffnungsklausel die Definition einer Obergrenze des auf ausländische Betriebsstätten verteilbaren Kapitals und die weitergehende Definition einer Ausnahme davon. Dies erzeugt für den Steuerpflichtigen unnötige Komplexität und führt zu administrativem Zusatzaufwand. Beispiel 8: Fremdvergleichsmethode Sachverhalt: Ein Steuerpflichtiger verwendet die AOA-konforme Fremdvergleichsmethode, um Kapital zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufzuteilen. Ergebnis nach BsGaV: Der Steuerpflichtige führt bereits den Nachweis, dass die Fremdvergleichsmethode zu Ergebnissen führt, die dem Fremdvergleich besser entsprechen als die Mindestkapitalisierungsmethode. Gleichwohl ist er verpflichtet, zusätzlich die Kapitalallokation nach der modifizieren Kapitalaufteilungsmethode zu bestimmen, um zu testen, ob die Obergrenze des § 26 Abs. 2 Satz 2 BsGaV überschritten wird. Sofern die Obergrenze überschritten wird und dieses Überschreiten vom ausländischen Aufsichtsrecht gefordert wird, muss darüber hinaus nach der Mindestkapitalisierungsmethode bestimmt werden, dass dem inländischen Stammhaus wenigstens das aufsichtsrechtliche Mindestkapital verbleibt (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Kritik: In dieser Konstellation muss der Steuerpflichtige drei Rechenwerke (Fremdvergleichsmethode, modifizierte Kapitalaufteilungsmethode, Mindestkapitalisierungsmethode) erstellen, um die getroffene Kapitalallokation zu rechtfertigen. Dieser Aufwand ist vor dem Hintergrund, dass eine AOA-konforme Methode gewählt wurde, nicht zu rechtfertigen.

15.56 Inland versus Ausland. Die Regelungen des § 26 Abs. 1–3 BsGaV zur Kapitalisierung ausländischer Betriebsstätten hätten viel besser durch eine analoge Anwendung des § 25 Abs. 1–3 BsGaV ersetzt werden können, so dass die Kapitalisierung der ausländischen Betriebsstätten spiegelbildlich zur Kapitalisierung der inländischen Be1 VWG BsGaV, Rz. 327.

502 Mayr/Ringer

C. Dotation ausländischer Versicherungsbetriebsstätten

Rz. 15.59 Kap. 15

triebsstätten erfolgt. Zwar wären dann die unter Rz. 15.52 ff. formulierten Kritikpunkte auch für die ausländischen Betriebsstätten zutreffend, aber immerhin läge keine gezielte Diskriminierung der ausländischen Betriebsstätten mehr vor. 3. Rolle des ausländischen Versicherungsaufsichtsrechts Handelsbilanz. Die VWG BsGaV führen zudem aus, dass ungeachtet der Regelung 15.57 in § 26 Abs. 1–3 BsGaV höchstens das in einer ausländischen Handelsbilanz tatsächlich ausgewiesene Kapital als Dotationskapital zugeordnet werden darf. Der Steuerpflichtige muss demnach darauf achten, dass die ermittelte Kapitalzuordnung auch tatsächlich in der Handelsbilanz der ausländischen Betriebsstätte ausgewiesen wird. Eine rein steuerliche Betrachtung ohne Berücksichtigung der für steuerliche Zwecke ermittelten Kapitalisierung in der ausländischen Handelsbilanz reicht aus deutscher Sicht nicht aus. Auch mit dieser Regelung diskriminiert der Gesetzgeber die ausländischen Betriebsstätten, wenn für inländische Betriebsstätten eine Mindestregelung (s. Rz. 15.30) definiert ist, während für ausländische Betriebsstätten das Kapital der Handelsbilanz eine Höchstgrenze darstellt.

IV. Einklang mit dem AOA Abweichungen vom AOA. Die Beschreibung der Mindestkapitalisierungsmethode 15.58 als Regelmethode ist nicht im Einklang mit dem AOA, der die Kapitalisierung der Betriebsstätten anhand einer ökonomisch sinnvollen und damit auf dem Fremdvergleich fußende Methodik vornimmt, anstelle auf aufsichtsrechtliche Mindestgrößen abzustellen (s. hierzu auch Rz. 8.30). Bei Anwendung der Öffnungsklausel, die in der Regel zur Verwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode führt, gelten die in § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV formulierten Regeln. Demzufolge gibt es auch für ausländische Betriebsstätten die unter Rz. 15.43 gemachten Abweichungen zum AOA bei Verwendung der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Ungleichbehandlung. Die Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer 15.59 Betriebsstätten steht im Widerspruch zum Fremdvergleichsgrundsatz. Insbesondere die Mindestkapitalisierungsmethode, die in § 26 Abs. 1 BsGaV als Regelmethode für die Kapitalisierung ausländischer Betriebsstätten beschrieben ist, ist grundsätzlich nicht mit dem Fremdvergleichsgrundsatz vereinbar. Dies folgt daraus, dass bei der Mindestkapitalisierungsmethode die Dotation der ausländischen Betriebsstätten sich weder aus Fremdvergleichsdaten noch über einen ökonomisch sinnvollen Allokationsmechanismus ableitet.

Mayr/Ringer 503

Kap. 15 Rz. 15.60 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

D. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts 15.60 Einkünftezuordnung. Dieser Regelungsabschnitt formuliert die Prinzipien, wonach die Einkünfte aus den nach §§ 25, 26 BsGaV zugeordneten Vermögenswerten auf die Versicherungsbetriebsstätten zugeordnet werden. Dabei sollen grundsätzlich die Einkünfte aus den Vermögenswerten der Betriebsstätte ebenfalls der Betriebsstätte zugerechnet werden, so dass ebendiese Einkünfte auf Ebene der Betriebsstätte besteuert werden können. Nachdem das versicherungstechnische Ergebnis anhand der unternehmerischen Risikoübernahmefunktion zugeordnet wurde (§ 24 BsGaV) und die Betriebsstätten mit Eigenkapital dotiert wurden (§ 25 BsGaV und § 26 BsGaV), ist dies der letzte Schritt in der Einkünftezuordnung (s. zur Gewinnermittlung auch Rz. 7.47 ff.).

II. Regelungsinhalt 15.61 Direkte Zuordnung. § 27 Abs. 1 BsGaV definiert die direkte Zuordnung von Einkünften als die Regelmethode. So sind die Einkünfte aus Vermögenswerten einer Betriebsstätte zuzuordnen, wenn diese Vermögenswerte einen der folgenden Zwecke erfüllen: – Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen, – Bedeckung der übrigen versicherungstechnischen Verbindlichkeiten oder – Bedeckung des Dotationskapitals.

15.62 Indirekte Zuordnung. Nur falls eine direkte Zuordnung nicht möglich ist, erfolgt eine indirekte Zuordnung der Erträge auf Basis der durchschnittlichen Kapitalanlagerendite (§ 27 Abs. 2 BsGaV). Die VWG BsGaV bestätigen dieses Vorgehen.

III. Kommentierung 1. Vorrang der direkten Zuordnung

15.63 Vorrang. Einkünfte sind laut § 27 Abs. 1 BsGaV direkt der Betriebsstätte zuzuordnen, so dass eine indirekte Allokation nur anzuwenden ist, wenn eine direkte Allokation nicht möglich ist. Häufig ist jedoch aus betriebswirtschaftlichen Gründen eine direkte Allokation mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden, wenn der Anlagenmix pro Betriebsstätte berechnet und angepasst werden muss. Zudem sind Anpassungen der Einzelportfolios mit erhöhten Transaktions- und Verwaltungskosten verbunden, außerdem ist ein großes Gesamtportfolio leichter und effizienter zu steuern als einzelne Investment-Portfolien auf Betriebsstätten-Ebene. Auch der Umstand, dass die OECD die direkte und die indirekte Zuordnung alternativ und gleichberechtigt nebeneinander einordnet, spricht dafür, dass der direkten Zuordnung kein Vor504 Mayr/Ringer

D. Zuordnung von Einkünften aus Vermögenswerten

Rz. 15.64 Kap. 15

rang bei der Verwendung eingeräumt werden sollte. Es sollte vielmehr in der Entscheidungsgewalt des Unternehmens bleiben, seine Kapitalanlagen zentral zu verwalten, um ggf. von Skaleneffekten und anderen Vorteilen zu profitieren. Praxisrelevant wird zudem die Mischung aus direkter und Indirekter Zuordnung sein. Beispiel 9: Mischung aus direkter und indirekter Zuordnung von Einkünften Sachverhalt: Ein Versicherungsunternehmen bestehend aus Stammhaus in Deutschland und Betriebsstätte in Frankreich verfügt über einen Asset-Mix, der ausschließlich aus Beteiligungen und Kapitalanlagen besteht. Die Beteiligungen sind aufgrund des funktionalen Zusammenhangs (s. Rz. 15.36) dem Stammhaus zuzuordnen. Für alle Kapitalanlagen wird die durchschnittliche Kapitalanlagerendite auf Grundlage des HGB berechnet. Aus Effizienzgründen hält das Stammhaus alle Kapitalanlagen. Ergebnis nach BsGaV: Die Kapitalanlagen sind bevorzugt der Betriebsstätte und dem Stammhaus direkt zuzuordnen. Nur falls eine direkte Zuordnung nicht möglich ist, kann eine indirekte Zuordnung erfolgen. Kritik: Die betriebswirtschaftliche Entscheidung, alle Kapitalanlagen im Stammhaus zu halten, sollte nicht in Frage gestellt werden. Die Betriebsstätte könnte stattdessen im Rahmen der indirekten Zuordnung eine Forderung gegenüber dem Stammhaus einbuchen, um die Betriebsstätte ausreichend zu dotieren. Entsprechend könnte das Stammhaus eine Verbindlichkeit in selber Höhe bilanzieren. Die Forderung der Betriebsstätte sollte dann in Höhe der durchschnittlichen Kapitalanlagerendite verzinst werden, so dass der Zinsertrag bei der Betriebsstätte verbucht und versteuert wird.

2. Behandlung von Steuerattributen Ineffizienzen. Zudem ist darauf zu achten, dass es bei der Verwendung der indirek- 15.64 ten Methode nicht zu steuerlichen Ineffizienzen kommt. Die VWG BsGaV regeln, dass die Zuordnung von Einkünften keine weiterreichenden Folgen, z.B. für die Anrechnung von Steuern, hat. Dies bedeutet, dass bei indirekter Zuordnung von Kapitaleinkünften die auf diese Einkünfte anfallenden außerbilanziellen Korrekturen vollumfänglich beim Eigentümer des Asset-Pools (in der Regel das Stammhaus) vorgenommen werden, auch wenn Teile der Erträge auf Betriebsstätten allokiert werden. Relevant ist dies insbesondere bei der Anrechnung von ausländischen Steuern und freigestellten Dividenden (DBA-Schachteldividenden; Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG): – Soweit die Kapitalanlagen im Stammhaus gehalten werden und das Stammhaus der rechtliche Eigentümer der Kapitalanlagen ist, werden die Steuerbescheinigungen auf die Adresse des Stammhauses lauten. Die Anrechnung von Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG und die Anrechnung von ausländischer Quellensteuer nach § 34c Abs. 1 oder 2 EStG ist demnach vollumfänglich im Stammhaus vorzunehmen. Der Umstand, dass über die Vorgaben der BsGaV die Kapitalanlageerträge den ausländischen Betriebsstätten zugeordnet werden, ist hierfür nicht schädlich. Schließlich regeln die VWG BsGaV ausdrücklich, dass die Zuordnung von Einkünften keine weiterreichenden Folgen hat, z.B. für die Anrechnung von Steuern.1 1 VWG BsGaV, Rz. 338.

Mayr/Ringer 505

Kap. 15 Rz. 15.64 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen

– Soweit die Kapitalanlagen im Stammhaus gehalten werden, werden steuerfreie Dividenden im Stammhaus vereinnahmt. Die auf diese Dividendeneinkünfte anfallenden außerbilanziellen Korrekturen (Dividendenfreistellung z.B. in Deutschland) sollten demnach auf Ebene des Stammhauses vorgenommen werden. Der Umstand, dass über die Vorgaben der BsGaV die Kapitalanlageerträge den ausländischen Betriebsstätten zugeordnet werden, ist nicht schädlich. Laut VWG BsGaV hat die Zuordnung der Einkünfte auf die Betriebsstätten keine weiterreichenden Folgen.1 Beispiel 10: Quellensteueranrechnung Sachverhalt: Das Stammhaus eines Versicherungsunternehmens befindet sich im Ausland. Es unterhält eine Betriebsstätte in Deutschland. Das Stammhaus verwaltet alle Kapitalanlagen für das Gesamtunternehmen. Die Einkünfte werden i.S.d. § 27 Abs. 2 BsGaV über die durchschnittliche Kapitalanlagerendite indirekt der Betriebsstätte zugeordnet. Die Steuerbescheinigungen für Quellensteuer lauten auf den Namen des ausländischen Versicherungsunternehmens. Ergebnis nach BsGaV: Die Regelungen der BsGaV haben keine weiterreichenden Folgen für die Anrechnung von Steuern. Die Steuern sind im Stammhaus anzurechnen Kritik: Das Ergebnis nach BsGaV ist sachgerecht.

3. Entstrickungsregelungen

15.65 Entstrickung. Die BsGaV enthält außerdem keine Aussage zu den steuerlichen Konsequenzen, wenn ein Wechsel von der direkten Allokation zur indirekten Allokation (oder umgekehrt) der Einkünfte stattfindet. So könnten die lokalen Steuerbehörden es als Entstrickungstatbestand behandeln, wenn beim Übergang von der direkten zur indirekten Allokation Kapitalanlagen in ein zentrales Anlage-Portfolio überführt werden. Wünschenswert wäre die Regelung gewesen, dass bei einem Methodenwechsel nicht die allgemeinen Entstrickungsregelungen zur Anwendung kommen, da wirtschaftlich keine Überführung von Vermögenswerten passiert. Schließlich bleiben die Erträge weiterhin auf die Betriebsstätten allokiert und nur der dahinterstehende Mechanismus wird angepasst, so dass der Methodenwechsel keinen gewinnrealisierenden Tatbestand darstellt. Unter der Annahme, dass sowohl die direkte als auch die indirekte Methode zu fremdüblichen Ergebnissen führen, wird das lokale Besteuerungsrecht durch die geänderte Methode nicht beschränkt.

IV. Einklang mit dem AOA 15.66 Abweichungen vom AOA. Der AOA erkennt sowohl die direkte als auch die indirekte Zuordnung der Erträge an. Je nach Sachverhalt können beide Methoden und ggf. die Kombination aus beiden Methoden zu sachgerechten Ergebnissen führen.2 Im Gegensatz dazu bevorzugen die deutschen Regelungen aus nicht nachvollziehbaren Gründen die Verwendung der direkten Methode. 1 Das gleiche Prinzip gilt bei DBA-Erträgen, wenn z.B. steuerfreie Immobilienerträge vereinnahmt werden. 2 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 167–170.

506 Mayr/Ringer

E. Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens

Rz. 15.71 Kap. 15

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz Methoden. Sowohl die direkte als auch die indirekte Zuordnung der Erträge führen 15.67 zu fremdüblichen Ergebnissen. Abhängig vom Sachverhalt gilt es, die geeignetste Methode oder eine Kombination aus den beiden Methoden zu wählen.

E. Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens I. Zielsetzung des Regelungsabschnitts Dealings. Gegenstand dieses Regelungsabschnitts ist die Frage, unter welchen Vo- 15.68 raussetzungen eine Rückversicherungsbeziehung innerhalb eines Versicherungsunternehmens (z.B. zwischen Stammhaus und Betriebsstätte) als schuldrechtliche Beziehung anzuerkennen ist, so dass das versicherungstechnische Risiko auf die rückversichernde Einheit übergeht. Diese Entscheidung ist von Bedeutung, da bei Übergang des versicherungstechnischen Risikos eine Reihe von Folgefragen (Dotation, Zuordnung von Kapitalanlageerträgen) zu beantworten sind.

II. Regelungsinhalt Rückversicherung. Rückversicherungen innerhalb eines Versicherungsunterneh- 15.69 mens werden nach § 28 BsGaV nicht als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Die VWG BsGaV stellen zudem klar, dass im Unterschied dazu der Versicherungsbetriebsstätte sehr wohl ein Versicherungsvertrag zugeordnet werden kann, der mit einem verbundenen Unternehmen oder einem unverbundenen Unternehmen abgeschlossen wurde.1

III. Kommentierung AOA. Grundsätzlich ist die Regelung zur Rückversicherung innerhalb des Versiche- 15.70 rungsunternehmens begrüßenswert, da diese Vorgabe aus dem AOA abgeleitet ist und damit den international gültigen Prinzipien entspricht. Zuordnung. Positiv ist die Regelung, dass die Zuordnung eines Rückversicherungs- 15.71 vertrags mit anderen rechtlichen Einheiten zu einer Betriebsstätte möglich ist, wenn die Betriebsstätte die unternehmerische Risikoübernahmefunktion übernimmt. Beispiel 11: Fronting Sachverhalt: Die Versicherungsbetriebsstätte rückversichert bestimmte Risiken an ein verbundenes Unternehmen. Im nächsten Schritt retrozediert das verbundene Unternehmen diese Risiken an das Stammhaus der Versicherungsbetriebsstätte. Das verbundene Unternehmen 1 VWG BsGaV, Rz. 339.

Mayr/Ringer 507

Kap. 15 Rz. 15.71 Die Anwendung des AOA auf Versicherungen wird für die erbrachten Leistungen über eine Fronting-Commission fremdüblich vergütet. Das Stammhaus erbringt die für die Zuordnung des Rückversicherungsgeschäfts erforderliche unternehmerische Risikoübernahmefunktion. Ergebnis nach BsGaV: Die Rückversicherungsbeziehungen sind anzuerkennen, da die Transaktionen zwischen rechtlichen Einheiten stattfinden. Es kommt zu keinerlei Rückversicherungsbeziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Kritik: Das Ergebnis nach BsGaV ist sachgerecht.

15.72 Zentrale Rückversicherung. Darüber hinaus muss es möglich sein, dass zentral eingekaufte Rückversicherungsdeckungen, die z.B. das Stammhaus für das ganze Versicherungsunternehmen extern einkauft, auf die betroffenen Versicherungsbetriebsstätten allokiert werden. In diesem Fall schließt das Stammhaus den Rückversicherungsvertag ab. Da jedoch das ganze Versicherungsunternehmen von der Rückversicherungsdeckung profitiert, müssen die Kosten dafür adäquat auf die einzelnen Versicherungsbetriebsstätten verteilt werden. Die Allokation dieser gepoolten Deckungen sollte entweder direkt anhand der abgedeckten Risiken pro Betriebsstätte oder über risikoadäquate Verrechnungsschlüssel erfolgen.

IV. Einklang mit dem AOA 15.73 Abweichungen vom AOA. Der AOA erkennt Rückversicherungsbeziehungen innerhalb eines Versicherungsunternehmens analog der deutschen Regelung nicht an. Nur der bei Abschluss des Versicherungsvertrags ausgeübte Zeichnungsprozess qualifiziert sich als „KERT Function“ (= unternehmerische Risikoübernahmefunktion), so dass eine nachgelagerte Risikomanagement-Funktion im Sinne der Rückversicherung nicht ausreichend für einen Übergang der „KERT Function“ und damit des versicherungstechnischen Ergebnisses ist.1 Der AOA entspricht damit der Regelung nach der BsGaV.

V. Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz 15.74 Fremdvergleichsgrundsatzkonformität. Grundsätzlich sollte eine fremdvergleichskonforme Verrechnung aller wirtschaftlichen Vorgänge (Geschäftsvorfälle) i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG im Rahmen der Selbständigkeitsfiktion erfolgen. Aber dieses Prinzip wird wegen rechtlicher und tatsächlicher Unselbständigkeit der Betriebsstätten zum Teil eingeschränkt. Daher sieht die deutsche Regelung (und auch der AOA) keine Fiktion von Rückversicherungsbeziehungen vor. Eine zwingende Begründung für diese Einschränkung ist nicht erkennbar und stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber Tochtergesellschaften dar.2

1 OECD-Betriebsstättenbericht 2010, Teil IV, Rz. 177–179. 2 Zustimmend auch Andresen/Tenberge in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.291.

508 Mayr/Ringer

Kapitel 16 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten A. Zielsetzung der Spezialregelungen zu Förderbetriebsstätten . . . 16.1 B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte I. Phasen der Bodenschatzsuche und -förderung 1. Abgrenzungsrelevanz . . . . . . . . . . . 2. Projektverfolgung und Akquisition (Phase 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prospektion und Exploration (Phase 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entwicklung und Förderung (Phase 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16.7 16.8 16.9 16.10

II. Auswirkungen der Abgrenzung 1. Abkommensrechtliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.11 2. Nationale Behandlung . . . . . . . . . . 16.17 3. Implikationen für die BsGaV . . . . 16.20 C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

I. Zuordnungsentscheidung (Schritt 1 des AOA) 1. Zuordnungsregeln . . . . . . . . . . . . . 2. Explorationsrecht a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Zuordnungsregeln . 3. Zuordnung von Vermögenswerten nach § 36 Abs. 4 Satz 1 BsGaV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuordnung von Vermögenswerten nach § 36 Abs. 1 BsGaV sowie § 36 Abs. 4 Satz 2 BsGaV . . . . 5. Weitere Zuordnungsregeln . . . . . .

16.27 16.32 16.35 16.44 16.47 16.52

II. Einkünftezurechnung (Schritt 2 des AOA) 1. Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nach § 16 BsGaV . . . . . . . . . . . . . . . 16.53 2. Verrechnungspreisermittlung . . . . 16.59 3. Verrechnungspreisermittlung in besonderen Fällen . . . . . . . . . . . 16.68 III. Übergangsregelungen . . . . . . . . . . 16.71

Literatur: Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D); Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, BetriebsstättenHandbuch, 2. Auflage, Köln 2018 (zit.: Verfasser in W/A/D); Ditz, ISR 2016, S. 341–348; Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkungen auf die Gewinnabgrenzung, Diss., Köln 2015; Frotscher, Internationales Steuerrecht, 4. Auflage, München 2015; Görl in Vogel/Lehner, DBA-Kommentar, 6. Auflage, München 2015; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 5. Auflage, Heidelberg 2017; Heinsen in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Auflage, München 2017; Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Auflage, München 2016; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten, 2. Auflage, Herne 2019; Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 573; Leonhardt/Tcherveniachki in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG (Stand: November 2019) (zit.: Verfasser in F/W/B/S); Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Auflage, München 2017; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung, 3. Auflage, München 2017; Margerie, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, Diss., Köln 2016; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO Kommentar, § 12 AO (Stand: November 2019) (zit.: Verfasser in H/H/Sp.); Neumann-Tomm, IStR 2014, 806; Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 1; Rasch/Wenzel, ISR 2015, 128; Ringwald, PIStB 2016, 326; Schoss in Baumhoff/Dücker/Köhler, Besteuerung, Prüfung und Rechnungslegung der Unternehmen, FS für Norbert Krawitz, Wiesbaden 2010; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 5 OECD-MA (Stand: Oktober 2019).

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 509

Kap. 16 Rz. 16.1 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

A. Zielsetzung der Spezialregelungen zu Förderbetriebsstätten 16.1 Selbständigkeitsfiktion. Im Zuge der Transformation des Authorised OECD Approach (AOA) in nationales Recht im Rahmen von § 1 Abs. 5 AStG hat sich der Gesetzgeber zur Annahme der fiktiven uneingeschränkten Selbständigkeit der Betriebsstätte für steuerliche Zwecke bekannt.1 Da sowohl national gem. § 12 AO als auch international gem. Art. 5 OECD-MA 2017 nicht ein Idealtyp der Betriebsstätte vorliegt, sondern gem. den steuerlich relevanten Vorschriften lediglich eine beispielhafte Aufzählung erfolgt, innerhalb derer insbesondere eine Betriebsstätte vorliegen soll, ist auch § 1 Abs. 5 AStG hinsichtlich der Aufteilung des Betriebsstättengewinns vor diesem Hintergrund zu würdigen. Auch der Gesetzgeber ist sich dessen bewusst gewesen. 16.2 BSGaV. Um die nach dem AOA gebotene zweistufige Vorgehensweise im Zuge der Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sachgerecht vornehmen zu können und letztlich den Gesetzestext nicht zu kleinteilig zu gestalten respektive diesen zu überlasten, hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, das BMF als Verordnungsgeber heranzuziehen.2 Das daraus resultierende Produkt (die Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung – BsGaV) behandelt zum einen die grundsätzlichen Zuordnungsregelungen für Personalfunktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken sowie Dotationskapital und zum anderen die zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen. Darüber hinaus beschäftigt sich die BsGaV mit Besonderheiten ausgewählter tätigkeitsorientierter Betriebsstättentypen (s. hierzu auch die Ausführungen in Rz. 7.20 ff.). 16.3 Förderbetriebsstätte. Die §§ 35–38 BsGaV enthalten Sondervorschriften bzgl. der sog. Förderbetriebsstätten, die der Verordnungsgeber als gesondert regelungswürdig ansieht. Der Begriff der Förderbetriebsstätte tauchte dabei in dieser Form bisher weder in nationalen noch internationalen Regelungen auf, so dass es sich um eine Neukreation handelt, die sich jedoch letztlich in das bestehende System der Betriebsstättenklassifizierung einreihen lässt. Ähnlich wie Bau- und Montagebetriebsstätten sollen bzw. können Förderbetriebsstätten lediglich auf absehbare Zeit betrieben werden,3 weshalb zumindest teilweise auf die Ausführungen zu den Bau- und Montagebetriebsstätten zurückgegriffen wird (s. hierzu auch grds. Rz. 13.1 ff.). Von der Bauund Montagebetriebsstätte abweichend bildet jedoch nicht der Bau- und Montagevertrag den elementaren Anknüpfungspunkt für die Zuweisung der anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung, sondern das sog. Explorationsrecht.4 1 Vgl. Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkungen auf die Gewinnabgrenzung, S. 187. Vgl. kritisch Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht5, Rz. 446c; Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 2881 (Stand: November 2019). 2 Vgl. § 1 Abs. 6 AStG. Kritisch hinsichtlich des Umfangs der Verordnungsermächtigung Margerie, Gewinnermittlung und Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, S. 261 ff. m.w.N. 3 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.450. 4 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.450.

510 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte

Rz. 16.7 Kap. 16

Explorationsrecht. Der besondere Abschnitt zu den Förderbetriebsstätten regelt die 16.4 Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten, die Bodenschätze zu Tage fördern, und somit einem Unternehmen, das sich dem Abbau selbiger verschrieben hat, zugehörig sind. Für das Fingieren einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung im Verhältnis zwischen Stammhaus und zugehöriger Betriebsstätte bildet das Explorationsrecht, folglich das Recht auf Durchführung der Suche und Förderung von Bodenschätzen, die vom Verordnungsgeber gewählte Basis. Regelungsaufbau. Analog zur Vorgehensweise in den übrigen Abschnitten zur Be- 16.5 handlung von speziellen Betriebsstätten gliedert sich der Aufbau der Vorschriften zur Förderbetriebsstätte im fünften Abschnitt der BsGaV. Ausgehend von den Begriffsdefinitionen des förderspezifischen Stammhauses, der zugehörigen Förderbetriebsstätte und des Explorationsrechts in § 35 BsGaV differenziert § 36 BsGaV – auch um internationale Besteuerungskonflikte zu vermeiden1 – verschiedene Zuordnungsregelungen bzgl. des Explorationsrechts. Diese haben mitunter auch Auswirkungen auf die Zuordnung von Vermögenswerten. § 37 BsGaV behandelt anschließend die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Förderbetriebsstätte und enthält Regelungen zur anzuwendenden Verrechnungspreismethode bzw. Regelungen zum anzusetzenden Fremdvergleichspreis in bestimmten Fällen. Des Weiteren sollen die Übergangsregelungen des § 38 BsGaV den unter die Regelung der Förderbetriebsstätten fallenden Stammhäusern einen gewissen Bestandsschutz gewährleisten, so dass der AOA auf zu qualifizierende Altfälle nicht zwingend zur Anwendung gelangen muss; gleichzeitig wird dadurch der zeitliche Anwendungsbereich der Normen abgegrenzt. Nationaler Alleingang. Darüber hinaus erweisen sich die Vorschriften als nationaler 16.6 Alleingang, auf den der Verordnungsgeber bestanden hat, um steuerliche Streitigkeiten mit anderen Staaten zu vermeiden. Explizite Regelungen zu Förderbetriebsstätten fehlen jedenfalls im OECD-Betriebsstättenbericht 2010.2

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte I. Phasen der Bodenschatzsuche und -förderung 1. Abgrenzungsrelevanz Prozessunterteilung. Das Aufsuchen und Fördern von Bodenschätzen, wie bspw. 16.7 Erdöl oder Erdgas, wird in der internationalen Wirtschaftsentwicklung zunehmend bedeutender. Als Grund für diese Entwicklung ist die hohe Nachfrage nach nicht regenerativen Bodenschätzen anzusehen.3 Tätigkeiten im Rahmen einer Exploration werden grundsätzlich von Unternehmen in rohstofffördernden Industriezweigen so1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133; Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 29. 3 Vgl. Ditz, ISR 2016, 341.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 511

Kap. 16 Rz. 16.7 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

wie von Unternehmen, die auf Explorationen spezialisiert sind, durchgeführt.1 Für diese sog. Explorationsbetriebsstätten sind im OECD-MA 2017 keine expliziten Regelungen zu finden.2 Die deutsche Finanzverwaltung wiederum sieht eine Einteilung des Prozesses einer Exploration und Bodenschatzförderung in drei Phasen vor, welche möglicherweise zum Vorliegen einer Betriebsstätte führen können. Diese hat die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben über die Verwaltungsgrundsätze für Betriebsstätten vom 24.12.1999 aufgenommen.3 In der Praxis stellt sich oft die Frage, durch welche Tätigkeiten oder Sachverhalte eine Betriebsstätte vorliegt. Die drei Phasen werden im Folgenden weiter definiert und hinsichtlich einer möglichen Betriebsstättenbegründung analysiert. 2. Projektverfolgung und Akquisition (Phase 1)

16.8 Länderanalyse. Die erste Phase besteht lediglich aus der Projektverfolgung oder der Akquisition. Hier werden dementsprechend die jeweiligen Länder auf Grundlage ihrer geologischen, wirtschaftlichen und politischen Natur hin untersucht. Ziel dieser Analysen ist die Identifikation möglicher aussichtsreicher Rohstoffvorkommen. Ende dieser Phase ist im günstigsten Fall der Abschluss eines Explorationsvertrags.4 3. Prospektion und Exploration (Phase 2)

16.9 Gebietsanalyse. Im Zuge der Prospektion und Exploration findet die Untersuchung eines konkreten Gebiets statt, welches in der Phase der Projektverfolgung und Akquisition als aussichtsreich identifiziert wurde.5 Hier werden vorerst ausführliche geologische Analysen und seismische Messungen durchgeführt. Im Falle von positiven Ergebnissen werden nachfolgend Explorationsbohrungen vorgenommen. Sollte bei den Bohrungen ein Rohstoffvorkommen entdeckt werden, wird im nächsten Schritt geprüft, ob die entdeckten Reserven profitabel gefördert und transportiert werden können. Die Explorationsphase endet mit Eintritt der wirtschaftlichen Fündigkeit.6 Das bedeutet, wenn feststeht, dass das Rohstoffvorkommen wirtschaftlich ausgebeutet werden kann.7 4. Entwicklung und Förderung (Phase 3)

16.10 Förderungsbeginn. Im Rahmen der abschließenden Phase (Entwicklung und Förderung) werden die entsprechenden Förder-, Aufbereitungs- und Transportanlagen aufgebaut. In einem weiteren Schritt wird mit der Förderung und dem Abbau der Bo-

1 Vgl. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85 (Stand: Oktober 2019). 2 Vgl. Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 69. 3 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7. 4 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7. 5 Vgl. Ditz, ISR 2016, 341; vgl. auch Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 575. 6 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7. 7 Vgl. Ditz, ISR 2016, 342.

512 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte

Rz. 16.12 Kap. 16

denschätze begonnen.1 Spätestens mit Beginn dieser Phase müssen alle Genehmigungen erteilt und alle Abbaurechte erworben worden sein, die für die Förderung der Bodenschätze erforderlich sind.2

II. Auswirkungen der Abgrenzung 1. Abkommensrechtliche Behandlung Differenzierung. Wird der Unterscheidung nach den zuvor eingeteilten Phasen ge- 16.11 folgt, so lässt sich in Abhängigkeit von deren Vorliegen eine abkommensrechtliche Differenzierung hinsichtlich der Erfüllung eines Betriebsstättentatbestands vornehmen. In Frage steht hierbei die Errichtung einer Stätte zur Ausbeutung von Bodenschätzen gem. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017, einer Bau- oder Montagebetriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017 oder einer festen Geschäftseinrichtung gem. Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017, die Tätigkeiten ausführt, die lediglich vorbereitender Art sind oder als Hilfstätigkeiten zu qualifizieren sind. Betriebsstättenausschluss. Die erstmalige Projektverfolgung und Akquisition 16.12 (Phase 1) führt ihrem Inhalt nach entsprechend den abkommensrechtlichen Regelungen regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte. Die im Rahmen dieser Phase ausgeführten Tätigkeiten erfordern grundsätzlich keine von Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2017 geforderte feste Geschäftseinrichtung. Sollte im Einzelfall dennoch eine feste Geschäftseinrichtung vorhanden sein, so liegt durch das ausführende Unternehmen regelmäßig eine Tätigkeit i.S.v. Hilfs- oder Vorbereitungstätigkeiten nach Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017 vor, die bei positivem Verlauf zu einem Übergang in Phase 2 bzw. Phase 3 führen und ebenso keine Betriebsstätte begründen. Auch eine Subsumtion unter Art. 5 Abs. 4 Buchst. d oder Buchst. f OECD-MA 2017 hinsichtlich der reinen Informationsbeschaffung bzw. der sich insgesamt ergebenden Tätigkeiten der festen Geschäftseinrichtung führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Die Ausbeutung von Bodenschätzen hat in diesem Stadium noch nicht begonnen, so dass auch eine Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017 ausscheidet. Ebenso liegen keine Bau- oder Montagetätigkeiten in diesem Stadium vor, so dass auch keine Bau- und Montagebetriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017 angenommen wird. § 1 Abs. 5 AStG findet demnach keine Anwendung, da es an dem notwendigen Kriterium des Vorliegens einer Betriebsstätte mangelt. Die entstandenen Aufwendungen sind auf Ebene des Stammhauses abzugsfähig. Etwaig entstandene oder angeschaffte Wirtschaftsgüter sind ebenfalls nach den allgemeinen Vorschriften dem Stammhaus zuzuordnen. Im Rahmen von Phase 1 entfällt somit eine Gewinnaufteilung respektive eine gesonderte Gewinnermittlung.3 Abb. 1 zeigt die Zusammenhänge demonstrativ auf.

1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7. 2 Vgl. Ditz, ISR 2016, 342. 3 Vgl. Ditz, ISR 2016, 342; Schoss in FS Krawitz, S. 419.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 513

Kap. 16 Rz. 16.12 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten Projektverfolgung und Akquisition

Keine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2017

Keine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017

Keine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017

Hilfsweise keine Betriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 4 Buchst. d, e oder f OECD-MA 2017

Abb. 1: Vorliegen einer Betriebsstätte in der Projektverfolgungs- und Akquisitionsphase Beispiel 1: Die deutsche Erdgas AG erhofft sich, im ägäischen Meer an der Förderung von Erdgas beteiligen zu können. Im Zuge erster Einschätzungen der Durchführbarkeit dieses Vorhabens wird im Stammhaus eine eigene Projektgruppe aus verschiedenen Spezialisten zusammengestellt, die die rechtliche, wirtschaftliche und politische Lage, das Klima und die Wetterlagen analysieren sowie bereits vorhandene bathymetrische Karten der Ägäis auswerten sollen. Darüber hinaus sollen erste Kontakte zu griechischen und türkischen Behörden vor Ort geknüpft werden. Da die Projektgruppe ausschließlich in Deutschland tätig wird, kommt es zu keiner Betriebsstättenbegründung.

16.13 Betriebsstättenbegründung. Auch im Zuge der Prospektion und der Exploration (Phase 2) muss nicht zwingend eine Betriebsstätte nach Abkommensrecht vorliegen. Die Begrifflichkeit der Ausbeutung von Bodenschätzen umfasst hierbei selbst nicht die Erforschung von solchen Vorkommen.1 Demnach kann in dieser Phase keine Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017 vorliegen.2 Tätigkeiten in der Prospektions- und Explorationsphase können vornehmlich unter dem Tatbestand einer Bauausführung oder Montage nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017 zu erfassen sein,3 da die im Rahmen der Prospektion und Exploration durchgeführten Arbeiten, z.B. Erd- und Baggerarbeiten sowie das Verlegen von Rohrleitungen und die Errichtung der Infrastruktur zur Ausbeutung der Bodenschätze, eben unter deren Anwendungsbereich fallen. Zur finalen Begründung einer derartigen Betriebsstätte müssen die relevanten Tätigkeiten länger als 12 Monate andauern. Durch die Mustervorgaben der OECD sind somit die folgenden Möglichkeiten zur Behandlung von Explorationstätigkeiten zu differenzieren:4 – im Verhältnis zum Stammhaus entsteht keine Betriebsstätte in dem Staat, in dem die Explorationstätigkeit ausgeführt wird;

1 Art. 5 Rz. 15 OECD-MK 2017; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 81 (Stand: Oktober 2019). 2 Vgl. Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 45; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1530. 3 Vgl. Art. 5 Rz. 15 OECD-MK 2017; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85 (Stand: Oktober 2019). Ungeachtet dessen besteht weiterhin die Möglichkeit einer Betriebsstättenbegründung nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2017. Siehe auch Rz. 13.11 ff. 4 Vgl. Art. 5 Rz. 15 OECD-MK 2017.

514 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte

Rz. 16.15 Kap. 16

– im Verhältnis zum Stammhaus entsteht eine Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2017; – im Verhältnis zum Stammhaus entsteht eine Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017. Explizite Regelungen. Hierbei ist jedoch darauf zu achten, ob das spezifische DBA 16.14 nicht eine explizite Regelung zur Zuweisung der Einkünfte aus einer Erforschungstätigkeit enthält. Die OECD hat gerade vor dem Hintergrund divergierender Ansichten bzgl. solcher Erforschungstätigkeiten kein Muster vorgegeben, sondern überlässt dies vollends den bilateralen Verhandlungen der vertragsschließenden Staaten.1 Insofern kann vorab konstatiert werden, dass hinsichtlich der Behandlung von Explorationstätigkeiten keine gleichmäßigen, sondern in Ausnahmefällen individuelle Regelungen in den einzelnen DBA bestehen können.2 Explorationsdifferenzierung. Abkommensrechtlich ist bzgl. der Explorationsphase 16.15 eine Differenzierung vorzunehmen. Die Prospektion bzw. die Exploration von Bodenschätzen durch ein deutsches Unternehmen im Ausland, das diese Tätigkeiten selbst durchführt und nach erfolgreichem Abschluss der Explorationsaktivitäten die Bodenschätze nutzen will, fällt unter den Katalog der Hilfs- oder vorbereitenden Tätigkeiten gem. Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017;3 die Erforschung stellt nur ein Mittel zur Zweckerreichung der Förderung dar. Auf die Dauer der Tätigkeit – auch wenn diese länger als 12 Monate ausgeübt wird – kommt es dann nicht mehr an.4 Wird hingegen für Dritte exploriert, z.B. im Rahmen der Tätigkeit eines auf Explorationen spezialisierten Unternehmens, stellt die Explorationstätigkeit einen Hauptzweck des Unternehmens dar, der nicht mehr als Hilfs- oder vorbereitende Tätigkeit charakterisiert werden kann.5 Der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017 greift in dieser Konstellation somit nicht. Das ausführende Unternehmen erbringt gegenüber dem Auftraggeber im Rahmen der Explorationstätigkeiten eine spezialisierte Dienstleistung, die jedoch nicht zur Begründung einer Betriebsstätte nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017 führen kann, da das ausführende Unternehmen keine Ausbeutung von Bodenschätzen durchführt und auch nicht durchführen wird. Vielmehr erfolgt die Betriebsstättenqualifikation anhand 1 Vgl. Art. 5 Rz. 15 OECD-MK 2017; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1530. 2 Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 574; Schoss in FS Krawitz, S. 419. Explizite Vorschriften zur Begründung einer Explorationsbetriebsstätte sind in folgenden DBA enthalten: Bulgarien, Dänemark, Großbritannien, Indien, Irland, Kanada, Kasachstan, Litauen, Mauritius, Niederlande, Norwegen, Simbabwe, Sri Lanka, Ukraine, Vereinigte Arabische Emirate. Vgl. zur Zusammenstellung Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1530. 3 Vgl. BMF v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 389 – im Folgenden VWG BsGa. 4 Vgl. Ditz, ISR 2016, 343. 5 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7.1.2; Görl in Vogel/Lehner6, Art. 5 OECD-MA Rz. 69; Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 574; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1536; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85 (Stand: Oktober 2019).

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 515

Kap. 16 Rz. 16.15 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

von Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. b oder Buchst. c bzw. Abs. 3 OECD-MA 2017.1 Die Betriebsstättenbegründung richtet sich demnach in der Explorationsphase auch an der Einstufung als Haupttätigkeit oder Hilfs- bzw. vorbereitende Tätigkeit aus. Die nachfolgende Abb. 22 gibt die grundsätzliche Einordung in der Explorationsphase im Rahmen des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs wieder. Prospektion und Exploration

Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA 2017

Keine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017

Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 3 OECD-MA 2017

Exploration durch das eigene Unternehmen

Exploration durch Dritten

Keine Betriebsstätte gem. Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017

Betriebsstätte des Dritten i.S.v. Art. 5 Abs. 1 oder Abs. 3 OECD-MA 2017

Abb. 2: Vorliegen einer Betriebsstätte in der Prospektions- und Explorationsphase Beispiel 2: Aufgrund der aus den Analysen gewonnenen Erkenntnisse und des positiven Abschlusses über die Vereinbarung eines Explorationsrechts mit der zuständigen griechischen Organisation entsendet die Erdgas AG ein Expertenteam auf die griechischen Kykladen, das geologische Bohrungen und seismische Messungen am Meeresgrund durchführen, die Aktualität der bathymetrischen Karten bestätigen und das genaue Muster der Meeresströmungen feststellen soll. Die ausführlichen Untersuchungen dauern über einen Zeitraum von 13 Monaten an. Da die Untersuchungen mit entsprechend spezialisiertem vor Ort zu installierendem Großgerät durchgeführt werden, könnte es sich grundsätzlich um eine Bau- und Montagebetriebsstätte in Griechenland gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b DBA-Griechenland handeln, da die Dauer der Untersuchungen einen Zeitraum von 12 Monaten übersteigt. Da die Prospektion und Exploration durch die Erdgas AG selbst mit dem Ziel durchgeführt werden, Erdgas aus der Ägäis zu fördern, handelt es sich jedoch um jeweils feste Geschäftseinrichtungen, mit deren Hilfe Tätigkeiten ausgeübt werden, die sich lediglich als Vorbereitung zur späteren Erdgasförderung qualifizieren (Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c DBA-Griechenland).

16.16 Betriebsstättenbeginn. Die Gewinnung von Bodenschätzen führt nach abkommensrechtlichem Verständnis gem. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017 zur Begründung einer Betriebsstätte, wenn es sich um ein Bergwerk, ein Öl- oder Gasvorkommen, einen Steinbruch oder eine andere Stätte zur Ausbeutung von Bodenschätzen handelt. Erst mit Beginn der Fördertätigkeit (Phase 3) der Einrichtungen liegt abkommensrechtlich eine Betriebsstätte i.S.v. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017 1 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1536 f. 2 Vgl. dazu auch die Darstellung bei Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 574.

516 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte

Rz. 16.18 Kap. 16

vor. Das OECD-MA 2017 stellt in dieser Hinsicht gerade auf die Ausbeutung von Bodenschätzen – i.S. einer sehr weiten Begriffsauslegung – mit Hilfe von mobilen oder immobilen Stätten ab.1 Die originäre Erforschung der Bodenschätze oder damit in Zusammenhang stehende Tätigkeiten fallen nicht hierunter. Die Betriebsstätte fängt für das ausbeutende bzw. fördernde Unternehmen aus steuerrechtlicher Sicht erst ab diesem Zeitpunkt an zu bestehen; im Vorfeld der tatsächlich stattfindenden Ausbeutung liegt bzgl. der Prospektion und Exploration in Bezug zum ausbeutenden Unternehmen keine abhängige Betriebsstätte – auch keine Bau- und Montagebetriebsstätte – vor. Handelt es sich um eine inländische Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens, so unterliegt diese der beschränkten Steuerpflicht im Inland; umgekehrt verliert Deutschland sein Besteuerungsrecht bei Vorliegen einer ausländischen Betriebsstätte eines inländischen Unternehmens.2 Beispiel 3: Die Erdgas AG beginnt nach Abschluss der Untersuchungen gezielt in markierten Gewässergebieten mit dem Aufbau von ausgewählten Offshore-Plattformen, die an Meerestiefe, Strömung und Größe der Gasfelder angepasst wurden. Die Erdgas AG geht zu diesem Zeitpunkt bereits unstreitig von einer wirtschaftlichen Fündigkeit des Gases aus. Direkt nach Fertigstellung einer jeden Plattform beginnt das der Plattform zugewiesene Personal mit dem Ablassen der Bohrmeißel und der Förderung des Erdgases in die Lagertanks der Plattform. Die selbst durchgeführte Errichtung der Offshore-Plattformen stellt eine vorbereitende Tätigkeit zur anschließenden Förderung des Erdgases dar, die gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c DBA-Griechenland nicht zur Begründung einer (Bau- und Montage-)Betriebsstätte führt. Erst mit Beginn der Aufnahme der Bohrungen, aus denen die konkrete und auf Dauer angelegte Förderung des Erdgases resultiert, entsteht im abkommensrechtlichen Sinn eine Stätte zur Ausbeutung von Bodenschätzen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b DBA-Griechenland.

2. Nationale Behandlung Begriffsgrundlagen. Ähnlich der abkommensrechtlichen Definition der Betriebs- 16.17 stätte verlangt auch § 12 Satz 1 AO in nationaler Hinsicht eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die zur Tätigkeit des Unternehmens dient, um eine ebensolche zu begründen. Im Zuge der erstmaligen Projektverfolgung und Akquisition (Phase 1) lässt sich – wie bereits vor dem Hintergrund des OECD-MA 2017– konstatieren, dass die geforderte feste Geschäftseinrichtung bzw. Anlage regelmäßig nicht vorliegen wird, da die entsprechenden Arbeiten im Inland bzw. im Ansässigkeitsstaat des jeweiligen Unternehmens durchgeführt werden. Auch wird in dieser Phase insbesondere keine Betriebsstätte gem. § 12 Satz 2 Nr. 7 bzw. Nr. 8 AO vorliegen, da noch kein Abbau und keine Gewinnung von Bodenschätzen erfolgt bzw. keine Bauausführungen oder Montagen getätigt werden. Aus nationaler Sicht erfolgt dementsprechend auch keine Gewinnabgrenzung oder gesonderte Gewinnermittlung. Betriebsstättenbegründung. Erst bei Eintritt in die Prospektions- und Explorati- 16.18 onsphase (Phase 2) tritt der Betriebsstättentatbestand des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO in Erscheinung. Eine solche Explorationstätigkeit kann dann zur Begründung einer Bau1 Vgl. Art. 5 Rz. 14 OECD-MK 2017; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 81 (Stand: Oktober 2019). 2 Vgl. Ditz, ISR 2016, 344.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 517

Kap. 16 Rz. 16.18 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

ausführung oder Montage nach § 12 Satz 2 Nr. 8 AO führen, wenn eine einzelne Exploration, mehrere zeitlich nebeneinander durchgeführte Explorationen oder mehrere ohne Unterbrechung aufeinanderfolgende Explorationen länger als sechs Monate andauern.1 Einzelne Maßnahmen, wie z.B. Probebohrungen, seismische Messungen oder Vorerkundungen, können dagegen nicht alleinig den Betriebsstättentatbestand erfüllen, da diese keine feste Geschäftseinrichtung begründen. Eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 2 Nr. 7 AO entsteht insofern nicht.2 Anders als im Abkommensrecht ergibt sich darüber hinaus eine Betriebsstätte bereits sechs Monate vor der dort angegebenen Zeitspanne von 12 Monaten. Ebenso greift rein national kein Ausnahmetatbestand i.S.v. Tätigkeiten, die lediglich einen Hilfs- oder Vorbereitungscharakter aufweisen. Nationale und internationale Vorschriften können somit im Rahmen der Prospektions- und Explorationsphase mitunter voneinander abweichen.

16.19 Abkommensübereinstimmung. Mit Deklarierung der wirtschaftlichen Fündigkeit erfolgt regelmäßig der Aufbau der zur Förderung benötigten Anlagen und schließlich die Förderung an sich (Phase 3). Die Anlagenerrichtung kann dabei zur Begründung einer Bau- und Montagebetriebsstätte gem. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO führen, wenn ein Zeitraum von sechs Monaten überschritten wird. Im Gegensatz zum Abkommensrecht kann somit bereits eine zu berücksichtigende Betriebsstätte vorliegen. Die Aufnahme der tatsächlichen Förderung stellt gleichzeitig den Zeitpunkt dar, in dem der Betriebsstättentatbestand des § 12 Satz 2 Nr. 7 AO verwirklicht wird, mithin die tatsächliche Gewinnung von Bodenschätzen ausgeübt wird. Abkommensrecht und nationale Regelung stimmen an dieser Stelle regelmäßig überein. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass auch ein Gleichklang hinsichtlich des inhaltlichen Umfangs der Stätten der Gewinnung bzw. Ausbeutung von Bodenschätzen vorherrscht.3 3. Implikationen für die BsGaV

16.20 Begriffserläuterungen. Die BsGaV behandelt in § 35 BsGaV zunächst die definitorische Klarstellung der Förderbetriebsstätte, eines Bergbau-, Erdöl- und Erdgasunternehmens sowie des Explorationsrechts. Darüber hinaus wird bestimmt, dass grundsätzlich die allgemeinen Regelungen der §§ 1–17 BsGaV zur Anwendung gelangen sollen, soweit im Abschnitt zu den Förderbetriebsstätten nichts anderes geregelt wird. Tab. 1 gibt den Aufbau der einleitenden Vorschrift schematisch wieder. § 35 Abs. 1 BsGaV

– Definition Förderbetriebsstätte – Grundsätzliche Anwendung der allgemeinen Regelungen – Definition Bergbau-, Erdöl- und Erdgasunternehmen

§ 35 Abs. 2 BsGaV

Definition Explorationsrecht

Tab. 1: Aufbau von § 35 BsGaV

1 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7.1.1. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 389. 3 Vgl. Ditz, ISR 2016, 344; Heinsen in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 165.

518 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

B. Charakterisierung einer Förderbetriebsstätte

Rz. 16.23 Kap. 16

Legaldefinition. Anders als im Text des OECD-MA 2017 und der nationalen Be- 16.21 triebsstättenregelung kodifiziert – und im Gegensatz zum OECD-Betriebsstättenbericht 20101 – führt die BsGaV die Legaldefinition der sog. Förderbetriebsstätte an. § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV beschreibt dahingehend „eine Betriebsstätte, die Bodenschätze fördert und nach Abschluss der Förderung endet“2, als Förderbetriebsstätte. Zur Begründung einer solchen Betriebsstätte muss demnach bereits eine Fördertätigkeit durch die Betriebsstätte gewährleistet sein. Die Aufnahme solcher Fördertätigkeiten stellt damit grundsätzlich das Ende der Prospektions- und Explorationsphase (Phase 2) dar. Das Stammhaus der Betriebsstätte geht somit schon von einer wirtschaftlichen Fündigkeit aus.3 Betriebsstättentatbestand. Gemäß den abkommensrechtlichen und nationalen Re- 16.22 gelungen handelt es sich hier um eine Betriebsstätte i.S.v. § 12 Satz 2 Nr. 7 AO bzw. Art. 5 Abs. 2 Buchst. f OECD-MA 2017. Trotz sprachlicher Abweichung zwischen Abkommensrecht und nationalem Recht und der fehlenden Angabe als explizite Förderbetriebsstätte ist in allen Fällen von demselben Betriebsstättentatbestand auszugehen. Lag aufgrund der Explorationstätigkeit (Phase 2) bisher eine Bau- und Montagebetriebsstätte gem. § 12 Satz 2 Nr. 8 AO vor, so endet diese. Stand bisher Art. 5 Abs. 4 Buchst. e OECD-MA 2017 der Annahme einer Betriebsstätte aufgrund einer vorbereitenden Tätigkeit oder Hilfstätigkeit entgegen, so sind bei Aufnahme der Fördertätigkeit diese Ausnahmetatbestände nicht mehr gegeben.4 Phasenübergang. Als problematisch erweist sich dabei der konkrete Zeitpunkt des 16.23 Beginns der Fördertätigkeit und damit der Eintritt in Phase 3. Zwar endet Phase 2 mit dem Aufbau der Förder- und Aufbereitungsanlagen, da von der oben beschriebenen wirtschaftlichen Fündigkeit ausgegangen wird. Der Aufbau an sich stellt jedoch nicht bereits die aktive Aufnahme der Förderung dar, so dass eigentlich eine Interimsphase zwischen Phase 2 und Phase 3 angenommen werden müsste. Für die Annahme einer Betriebsstätte in einer solchen Interimsphase käme – bei Erfüllung der Voraussetzungen – lediglich eine Bau- und Montagebetriebsstätte in Frage, wobei auch hier von einer bloß vorbereitenden Tätigkeit auszugehen ist.5 Die Finanzverwaltung stellt ausschließlich auf die wirtschaftliche Fündigkeit respektive Förderbarkeit als auslösendes Moment ab. Diese soll den Übergangspunkt von Phase 2 zu Phase 3 markieren.6 Es kann nachvollzogen werden, dass diese Annahme durch die Finanzverwaltung aus Vereinfachungsgründen getroffen worden ist, geht das Stammhaus doch nun tatsächlich von einer erfolgreichen Förderung aus. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass contra legem noch keine Gewinnung respektive Ausbeutung 1 OECD-Betriebsstättenbericht v. 22.7.2010, abrufbar unter http://www.oecd.org/ctp/trans fer-pricing/attributes-of-profits-permanent-establishments-german.pdf. 2 § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. 3 Vgl. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7 u. Tz. 4.7.2; VWG BsGa, Rz. 388. 4 Vgl. Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Art. 5 OECD-MA Rz. 85 (Stand: Oktober 2019). 5 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1533; Musil in H/H/Sp., § 12 AO Rz. 33 (Stand: November 2019). 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 388 u. Rz. 395.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 519

Kap. 16 Rz. 16.23 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

von Bodenschätzen stattfindet.1 Eine lediglich zeitliche Verzögerung der Errichtungsarbeiten hinsichtlich der Förder- und Aufbereitungsanlagen könnte der Annahme einer Förderbetriebsstätte allerdings entgegenstehen, so dass eine Bau- und Montagebetriebsstätte vorliegen könnte, die aber erneut die zitierten vorbereitenden Tätigkeiten ausführt. Um hier eine einheitliche Abgrenzung zu erreichen, sollen diese rein zeitlichen Verzögerungen nach Ansicht der Finanzverwaltung keine Auswirkungen auf die von Anfang an vorliegende Begründung einer Förderbetriebsstätte haben.2

16.24 Stammhausqualifizierung. Wird eine Förderbetriebsstätte begründet, so handelt es sich gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 BsGaV bei dem Unternehmen respektive Stammhaus, dem diese spezielle Betriebsstätte gehört, entweder um ein Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen. Eine Qualifizierung als ein solches Unternehmen soll unabhängig davon sein, ob die Fördertätigkeit der Betriebsstätte einen wesentlichen Bestandteil oder gar den Hauptteil der unternehmerischen Aktivität des Stammhauses darstellt.3 Im Zuge der rein terminologischen Begriffsabgrenzung4 kommt es mithin nur darauf an, ob überhaupt eine Förderbetriebsstätte dem Stammhaus zugehörig ist. Liegt ein Konsortium vor, also ein Zusammenschluss mehrerer rechtlich und wirtschaftlich selbständig bleibender Unternehmen, das für Zwecke der gemeinsamen Förderung der Bodenschätze errichtet worden ist, ist jedem Konsortialunternehmen die begründete Förderbetriebsstätte anteilig zuzurechnen. Das jeweilige Konsortialunternehmen – und nicht das Konsortium in seiner Gänze – stellt dann ein Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen dar. Eine als einheitlich anzusehende Förderbetriebsstätte im Verhältnis zum übergeordneten Stammhaus liegt nur für den Fall vor, dass das Konsortium auch die gemeinsame Vermarktung der geförderten Ressourcen übernimmt und dadurch eine Mitunternehmerschaft begründet.5 16.25 Beendigung. Da die Förderung von Bodenschätzen aufgrund der Begrenztheit der zu fördernden Ressourcen bereits vorab unter zeitlichen Aspekten nur auf eine bestimmte Dauer angelegt ist,6 wurde in § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV folgerichtig berücksichtigt, dass die Beendigung der Förderung auch gleichzeitig das auslösende Moment zur Beendigung der Annahme einer Förderbetriebsstätte darstellt. Daneben erkennt die Finanzverwaltung auch eine Beendigung der Förderbetriebsstätte ab dem Zeitpunkt an, zu dem die wirtschaftliche Fündigkeit nachträglich abgesprochen wird, weil das Explorationsrecht unter Wirtschaftlichkeitsaspekten nicht ausgenutzt werden kann.7 16.26 Begriffsproblematik. Bezüglich des Inhalts des Förderbetriebsstättenbegriffs forcierte die Finanzverwaltung zunächst unklare Angaben. So betitelte die Entwurfsfas1 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1546. Auch die Verordnungsbegründung stellt hinsichtlich Entstehung und Beendigung auf die Grundsätze nach § 12 AO bzw. DBA ab; vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 132 f. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 390. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 386. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.457. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 393. 6 Vgl. Ringwald, PIStB 2016, 326. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 390.

520 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.28 Kap. 16

sung der BsGaV diese speziellen Betriebsstätten als sog. Explorationsbetriebsstätten. Mithin war nicht umrissen, ob nun bereits auch explizit Explorationen im Rahmen der nationalen Umsetzung des AOA als Betriebsstätten berücksichtigt werden sollten.1 Der Verordnungsgeber klärte dies jedoch mit der vorliegenden finalen Fassung der BsGaV auf und bestätigte richtigerweise seine bisherige Auffassung bzgl. des Abstellens auf die Fördertätigkeit und nicht bereits auch auf die Explorationsmaßnahmen.2 Grundlegend ist die differenzierte Betrachtung der Finanzverwaltung für den Fall der Fördertätigkeit der Betriebsstätte zu begrüßen, nationale Sonderregelungen bergen allerdings die Gefahr von Doppelbesteuerungskonflikten,3 insbesondere, wenn der Entstehungszeitpunkt der Förderbetriebsstätte nach Verwaltungsauffassung vom Abkommensverständnis und der nationalen Kodifikation abweicht.4

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten I. Zuordnungsentscheidung (Schritt 1 des AOA) 1. Zuordnungsregeln Allgemeine Zuordnungsregeln (zu den allg. Gewinnabgrenzungsfragen s. Rz. 7.1 ff.). 16.27 Damit die Förderbetriebsstätte wie ein eigenständiges Unternehmen berücksichtigt werden kann, müssen auch dieser gem. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG in einem ersten Schritt Personalfunktionen, Vermögenswerte, Chancen und Risiken sowie ein Dotationskapital zugeordnet werden. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV sollen die allgemeinen Regelungen des §§ 1–17 BsGaV auch grundsätzlich für die Förderbetriebsstätten gelten, solange die Förderbetriebsstätte besteht und keine abweichende Regelung im Abschnitt zur Förderbetriebsstätte in der BsGaV vorliegt. Gleichzeitig soll dadurch erreicht werden, dass andere Geschäftstätigkeiten, die zwar durch die Förderbetriebsstätte ausgeführt werden, aber in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Fördertätigkeit stehen, ebenso weiterhin nach den allgemeinen Regelungen zu behandeln sind.5 Diese fallen demnach nicht unter die spezielleren Normen zu den Förderbetriebsstätten. Besondere Zuordnungsregeln. Die besonderen Regelungen gem. § 36 BsGaV betref- 16.28 fen die Zuordnung des Explorationsrechts und unterscheiden drei verschiedene Fälle der Zuordnung. Gemäß § 36 Abs. 1 BsGaV (1. Fall) wird das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zugeordnet, wenn dort die Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung des Explorationsrechts ausgeübt werden oder der Vertrieb oder die Verwertung der gewonnen Bodenschätze dort erfolgt.6 Eine 1 Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 574 f. 2 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.458. 3 Vgl. Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 25 f.; Stellungnahme BStBK v. 16.10.2013, 9; Stellungnahme IDW v. 17.10.2013, 15. 4 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1546. 5 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133; VWG BsGa, Rz. 391. 6 Vgl. dazu auch Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1569.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 521

Kap. 16 Rz. 16.28 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

Personalfunktion ist dabei der Förderbetriebsstätte regelmäßig zuzuordnen, wenn diese gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BsGaV auch dort ausgeübt wird. Als maßgebliche Personalfunktionen, die zuordnungswürdig sind, kommen im Zusammenhang mit Förderbetriebsstätten u.a. in Betracht: – Anschaffung, Herstellung, Nutzung, Verwaltung und Veräußerung des Explorationsrechts; – Förderung und Veräußerung der gewonnenen Bodenschätze; – Anschaffung, Herstellung, Nutzung, Verwaltung, Veräußerung, Schutz und Weiterentwicklung der Förderanlagen; – Anschaffung, Herstellung, Nutzung, Verwaltung und Veräußerung von Fahrzeugen, Maschinen und Werkzeugen zur Förderung; – Anschaffung, Herstellung, Nutzung, Verwaltung, Veräußerung, Weiterentwicklung von Bohrverfahren; – Risikosteuerung durch und Weiterbildung von Personal; – Entscheidungen über den Umfang, die Dauer und die Intensität der Förderung.

16.29 Zuordnungsbesonderheiten. Kann das Explorationsrecht nach Abs. 1 hingegen nicht der Förderbetriebsstätte zugeordnet werden, so ist es dem übrigen Unternehmen zuzuordnen und gilt gem. § 36 Abs. 2 BsGaV der Förderbetriebsstätte als unentgeltlich beigestellt (2. Fall). Abweichend hiervon ist hingegen gem. § 36 Abs. 3 BsGaV (3. Fall) das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zum Zeitpunkt der Aufnahme der Fördertätigkeit zuzuordnen, wenn das Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen nachweist, dass der Staat, in dem die Förderbetriebsstätte liegt, ebenfalls von dieser Zuordnung ausgeht. 16.30 Vermögenswerte I. Die Zuordnung der sonstigen Vermögenswerte hängt von der Zuordnung des Explorationsrechts ab. § 36 Abs. 4 Satz 1 BsGaV behandelt explizit die Zuordnung von Vermögenswerten – die mit der Fördertätigkeit in Verbindung stehen – in Abhängigkeit von der Zuordnung des Explorationsrechts (Rz. 16.35). Im Wesentlichen bedeutet dies, dass sich die Zuordnung der Vermögenswerte im Fall der Zuordnung des Explorationsrechts zum sog. übrigen Unternehmen (also nicht zur Förderbetriebsstätte) nach § 31 Abs. 1–3 BsGaV (Bau- und Montagebetriebsstätte) sinngemäß ergibt. 16.31 Vermögenswerte II. Hingegen richtet sich die Zuordnung der Vermögenswerte gem. § 36 Abs. 4 Satz 2 BsGaV weiterhin nach den allgemeinen Regelungen, wenn das Explorationsrecht gem. § 36 Abs. 3 BsGaV1 wiederum der Förderbetriebsstätte zu1 Dieser lautet: „1Abweichend von Absatz 2 ist das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zum Zeitpunkt der Aufnahme der Fördertätigkeit zuzuordnen, wenn das Bergbauunternehmen oder das Erdöl- oder Erdgasunternehmen nachweist, dass der Staat, in dem die Förderbetriebsstätte liegt, ebenfalls von dieser Zuordnung ausgeht. 2Die Zuordnung ist beizubehalten, solange der Staat, in dem die Förderbetriebsstätte liegt, von der entsprechenden Zuordnung des Explorationsrechts ausgeht.“

522 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.33 Kap. 16

geordnet wird. Da ausweislich der Verweistechnik1 und der Angaben der entsprechenden Vorschriften lediglich Vermögenswerte angesprochen werden, ergeben sich für Förderbetriebsstätten keine Besonderheiten im Rahmen der Zuordnung von Personalfunktionen. Diese richtet sich folglich ausschließlich nach § 4 BsGaV. 2. Explorationsrecht a) Begriff Definition. Von besonderer Bedeutung im Verhältnis zwischen Stammhaus und För- 16.32 derbetriebsstätte ist die Zuordnung des sog. Explorationsrechts. Dieses ist als zentraler Zuordnungsgegenstand anzusehen, da ohne das regelmäßig entgeltlich erworbene Recht auf Exploration bzw. die damit einhergehende Förderung der Bodenschätze, z.B. Genehmigung, Konzession, Lizenz, keine entsprechende unternehmerische Tätigkeit durchgeführt werden kann.2 § 35 Abs. 2 BsGaV definiert das Explorationsrecht dahingehend auch als „Recht, Bodenschätze zu suchen oder zu fördern.“ Gemäß dem expliziten Wortlaut der Vorschrift ist es demnach nicht zwingend erforderlich, dass das Suchen und Fördern der Bodenschätze gemeinsam in einem Recht gebündelt sein müssen. Vielmehr können beide auch getrennt voneinander vereinbart werden und müssten – entgegen der zuvor durchgeführten Begriffsdefinition der Exploration3 – jeweils ein eigenständiges Explorationsrecht darstellen.4 Dieser Auffassung schließt sich die Finanzverwaltung grundlegend an, indem sie – der Praxis folgend – akzeptiert, wenn einzelne Rechte, die eine örtlich getrennte Suche oder Förderung beinhalten, in einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen dem Stammhaus als Rechtenehmer und in der Regel dem ausländischen Staat als Rechtegeber vereinbart werden.5 Verwaltungsbegriff. Die Finanzverwaltung führt in ihren Erläuterungen aus, dass 16.33 diese Zusammenfassung der einzelnen Rechte über besondere Vereinbarungen zwischen Förderstaat und Stammhaus in einem einzigen Explorationsrecht mündet.6 Laut Finanzverwaltung entsteht dahingehend ein Explorationsrecht, wenn ein sog. Production Sharing Agreement (PSA), ein sog. Production Sharing Contract (PSC) oder ein sog. Exploration and Production Sharing Agreement (EPSA) abgeschlossen wird; etwaige steuerliche Modifikationen des Steuerrechts des Förderstaats durch die individuellen Vereinbarungen sind gegebenenfalls zu beachten. Hierbei wird davon

1 § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1–3 i.V.m. §§ 5–8 BsGaV und § 36 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. §§ 5–8 BsGaV. 2 Vgl. Jacobs/Endres/Spengel, Internationale Unternehmensbesteuerung8, S. 794; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.450; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1571. 3 Vgl. dazu auch Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1569, Fn. 404. 4 Vgl. dazu auch BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 133. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 394. 6 In diesem Zusammenhang wird lediglich auf Erdöl- und Erdgasunternehmen Bezug genommen, die entsprechende Konzessionen zur Förderung von Erdöl und Erdgas erwerben wollen.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 523

Kap. 16 Rz. 16.33 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

ausgegangen, dass der als zivilrechtlich bzw. öffentlich-rechtlich einzustufende Vertrag folgenden Inhalt besitzt: – der Förderstaat erteilt einem oder mehreren Unternehmen die Erlaubnis, die in seinem Eigentum stehenden Bodenschätze mittels einer oder mehrerer Konzessionen zu erkunden; – im Erfolgsfall – mithin bei wirtschaftlicher Fündigkeit – ist das bzw. sind die Unternehmen dazu verpflichtet, die laufende Produktion mit dem Förderstaat nach einer festgelegten Schlüsselgröße aufzuteilen.1

16.34 Immaterielles Wirtschaftsgut. Das Explorationsrecht verkörpert somit als immaterielles Wirtschaftsgut die Erfolgsaussichten des fördernden Unternehmens bzgl. der Ausbeutung der Bodenschatzvorkommen vermindert um die Erfolgspartizipation des Förderstaats. b) Besondere Zuordnungsregeln

16.35 Zuordnungsbesonderheiten. Aufgrund der herausragenden gewinnrelevanten Bedeutung des Explorationsrechts für das fördernde Unternehmen und der damit verbundenen Gewinnaufteilung zwischen Stammhaus und Förderbetriebsstätte ist es erforderlich, dass eine entsprechende Berücksichtigung des Explorationsrechts im Rahmen der Zuordnungsregeln stattfindet.2 § 36 BsGaV kodifiziert diesbzgl. besondere Zuordnungsregeln für das Explorationsrecht. Neben der Regelvermutung, dass das Explorationsrecht dem übrigen Unternehmen zuzuordnen ist, kann nur ausnahmsweise von einer Zuordnung zur Förderbetriebsstätte ausgegangen werden. Gleichzeitig regelt die Vorschrift auch die Zuordnung bei abweichender Behandlung im Förderstaat und die Zuordnung der Vermögenswerte in Abhängigkeit der getroffenen Zuordnungsentscheidung für das Explorationsrecht. Die grundlegende Struktur von § 36 BsGaV gibt die folgende Tab. 2 wieder. § 36 Abs. 1 BsGaV

Vermuteter Ausnahmefall Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte

§ 36 Abs. 2 BsGaV

Vermuteter Regelfall Zuordnung des Explorationsrechts zum übrigen Unternehmen

§ 36 Abs. 3 BsGaV

Besonderer Fall Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte

§ 36 Abs. 4 BsGaV

Zuordnung von Vermögenswerten – Anwendung von § 31 Abs. 1–3 BsGaV oder – Anwendung von §§ 5–8 BsGaV in Abhängigkeit von der Zuordnung des Explorationsrechts

Tab. 2: Aufbau von § 36 BsGaV

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 387. 2 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1569.

524 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.37 Kap. 16

Ausnahmefall. Bereits die Formulierung in § 36 Abs. 1 Satz 1 BsGaV lässt erkennen, 16.36 dass das Explorationsrecht „nur“ im Ausnahmefall der Förderbetriebsstätte zuzuordnen sein soll.1 Zwar wird dieses für die Ausübung der Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte auch dort genutzt. Allerdings ist zu beachten, dass das Explorationsrecht wohl regelmäßig bereits vor der Begründung der Förderbetriebsstätte durch das Stammhaus erworben wird, da es einen essentiellen Bestandteil zur Durchführung der Erkundungstätigkeiten vor Ort darstellt.2 Ein solcher vermuteter Ausnahmefall, also eine Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte, soll gegeben sein, wenn – die der Förderbetriebsstätte zugeordneten Personalfunktionen auch gleichzeitig für die Herstellung oder die Anschaffung3 verantwortlich sind oder – die geförderten Bodenschätze durch die Förderbetriebsstätte selbst verwertet oder vertrieben werden.4 Zusatzvoraussetzung. Eine letztliche Zuordnung darf gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 BsGaV 16.37 jedoch nur erfolgen, wenn die Personalfunktionen in der Förderbetriebsstätte bzgl. des Explorationsrechts so ausgeübt werden, dass sie entsprechende andere Personalfunktionen, die im übrigen Unternehmen ausgeübt werden, eindeutig überwiegen. Wird stattdessen nach der Begründung lediglich die Förderung der Bodenschätze durch die Förderbetriebsstätte wahrgenommen, so stellt die bloße Nutzung des Explorationsrechts nicht die entscheidende Personalfunktion für die Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte dar.5 Die Zuordnung folgt somit nicht dem Nutzungszusammenhang. Die Finanzverwaltung erkennt hier in der Tätigkeit der Förderbetriebsstätte lediglich eine Erfüllung einer fiktiven Dienstleistung gegenüber dem übrigen Unternehmen.6 Die Eindeutigkeit des Überwiegens der in Rede stehenden Personalfunktionen wird im Rahmen der BsGaV nicht geklärt.7 Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt ein eindeutiges Überwiegen der Personalfunktionen gegenüber dem übrigen Unternehmen in folgenden Fällen jedenfalls nicht vor: 1 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1571. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 134; VWG BsGa, Rz. 395. 3 Die Anschaffung eines Explorationsrechts durch Aufbringen einer Gegenleistung, z.B. einmalige Geldzahlung, Zahlungen aus der Verwertung, wird den Regelfall darstellen. Die Herstellung bildet eher den Ausnahmefall ab, wie etwa durch bloße Registrierung zur Ausführung der Exploration und Förderung, vgl. dazu auch VWG BsGa, Rz. 397. Vgl. des Weiteren Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3709 f. (Stand: November 2019). Die Regelung hat auch klarstellende Wirkung, da sich eine Zuordnung des Explorationsrechts bei maßgebender Ausübung der Personalfunktion durch die Förderbetriebsstätte bei Erwerb des selbigen bereits aus den allgemeinen Vorschriften nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ergeben würde. Vgl. dazu Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 578 (Fn. 60); Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1572. 4 Nach Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1573, wird dies nur bei besonders großen und umfangreichen Vorkommen der Fall sein. 5 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 134; VWG BsGa, Rz. 396. Vgl. dazu auch das Beispiel bei Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 28. 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 398. Siehe auch Rz. 9.13. 7 Vgl. dazu auch Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.414.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 525

Kap. 16 Rz. 16.37 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

– sporadische Inanspruchnahme des Personals der Förderbetriebsstätte beim Anschaffungsvorgang durch logistische Hilfestellung; – (bloße) Unterzeichnung des Erwerbsvertrags durch Geschäftsführer der Förderbetriebsstätte; – Teilnahme des Geschäftsführers der Förderbetriebsstätte an einer Ausschreibung zum Erwerb eines weiteren Explorationsrechts in enger Absprache mit Personal des übrigen Unternehmens.1

16.38 Regelfall. Sollten die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 BsGaV nicht angesprochen werden, so ist das Explorationsrecht dem übrigen Unternehmen nach § 36 Abs. 2 BsGaV zuzuordnen. Für diesen vermuteten Regelfall gilt das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte als beigestellt. Zwar würde zwischen fremden Dritten grundsätzlich ein Entgelt für die Nutzung des Explorationsrechts vereinbart werden,2 dennoch argumentiert die Finanzverwaltung dahingehend, dass die Beistellung aufgrund der Dienstleistung der Förderbetriebsstätte für das nutznießende übrige Unternehmen durchgeführt wird und daher als unentgeltlich erfolgt fingiert wird.3 Gleichzeitig soll dadurch erreicht werden, dass die Voraussetzungen einer Entstrickung gem. § 4 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 EStG nicht erfüllt werden, indem die bisherige Zuordnung zum übrigen Unternehmen aufgehoben wird und eine Neuzuteilung auf die Förderbetriebsstätte stattfindet.4 16.39 Explorationsrechtgewährende. Des Weiteren soll keinesfalls derjenige, der das Explorationsrecht gewährt, z.B. der ausländische Staat bzw. dessen ausführende Organe, einen Teil des Konsortiums oder einer Mitunternehmerschaft darstellen.5 16.40 Ausweichvorschrift. Liegt für die Zuordnung des Explorationsrechts der vermutete Regelfall des § 36 Abs. 2 BsGaV zugrunde, erfolgt demnach eine primäre Zuordnung des Explorationsrechts zum übrigen Unternehmen. Es besteht jedoch weiterhin die wahlweise Möglichkeit einer Zuordnung zur Förderbetriebsstätte gem. § 36 Abs. 3 BsGaV. Dies gilt nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BsGaV aber nur für den Fall, dass der Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte das Explorationsrecht selbiger zuordnet und das Stammhaus auch gleichzeitig einen Nachweis über diese Zuordnung erbringen 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 398. 2 Vom theoretischen Standpunkt aus müsste eine Einzelbetrachtung eines jeden (fiktiven) Geschäftsvorfalls erfolgen. Aus Praktikabilitätsgründen und steuerpolitischen Erwägungen wird jedoch eine Gesamtbetrachtung der gegenseitigen Leistungsbeziehungen zwischen übrigem Unternehmen und Förderbetriebsstätte angenommen, wobei auch keine gegenseitige Leistungsverrechnung erfolgt. Vgl. dazu auch Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 578 ff.; Neumann-Tomm, IStR 2014, 806 ff. m.w.N. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 134; Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.462; Rasch/Wenzel, ISR 2015, 131; VWG BsGa, Rz. 399. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 134; VWG BsGa, Rz. 399. Vgl. dazu auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Tz. 4.7.2. Siehe hierzu auch Rz. 9.9 und Rz. 10.50. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 393.

526 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.41 Kap. 16

kann. Durch diese Ausweichvorschrift soll gewährleistet werden, dass eine abweichende Zuordnung durch den Staat, in dem die Förderbetriebsstätte gelegen ist, nicht dazu führt, dass sich ein internationaler Steuerkonflikt ergibt, der in einer Doppelbesteuerung mündet.1 Ein solcher kann sich aus bergrechtlichen Gegebenheiten im Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte herleiten.2 Hinsichtlich der Belastbarkeit des Nachweises soll es nach der Verordnungsbegründung ausreichen, wenn die Zuordnung im PSA festgehalten wird.3 Die Finanzverwaltung gibt darüber hinaus an, dass unter Umständen eine Kopie inklusive einer auszugsweisen Übersetzung vorzulegen ist.4 Als Alternative kann jedoch auch die Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers beigebracht werden.5 Der Grund für die Zuordnung kann sich zwar aus bergrechtlichen Gegebenheiten entwickeln. Umstritten ist aber, ob dies auch als einfacher Nachweis ausreicht. Vielmehr sollte sich an den genannten Vorgaben orientiert werden. Hilfsweise könnten bereits auch Kopien von Steuererklärungen und Steuerbescheiden sowie Bestätigungen von Finanzbehörden des Belegenheitsstaats ausreichend sein.6 Beispiel 4: Die Erdgas AG hat mit der zuständigen griechischen Organisation ein individuelles PSA abgeschlossen, nach dem Griechenland bei wirtschaftlicher Fündigkeit von Erdgasvorkommen 33,33 % der Förderungsmenge zustehen. Griechenland übt sein Besteuerungsrecht hinsichtlich der Offshore-Plattform ab dem Zeitpunkt der Förderung aus; die Offshore-Plattform als Förderbetriebsstätte ist auch Griechenland zuzurechnen. Das Explorationsrecht wird durch Griechenland der Offshore-Plattform zugeordnet. Damit von deutscher Seite aus ebenfalls von einer entsprechenden Zuordnung ausgegangen werden kann, legt die Erdgas AG der zuständigen deutschen Finanzbehörde das vereinbarte PSA vor, das in deutscher, englischer und griechischer Sprache abgeschlossen worden ist. Ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der Fördertätigkeit erfolgt somit auch aus deutscher Sicht eine Zuordnung des Explorationsrechts zur Offshore-Plattform.

Zuordnungsdauer. Hinsichtlich der Dauer der Zuordnung ergeben sich Probleme. 16.41 So ist gem. dem Wortlaut der Verordnung das Explorationsrecht für steuerliche Zwecke der Förderbetriebsstätte ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der Fördertätigkeit zuzuordnen. Wie bereits aufgezeigt wurde, steht dies in Einklang mit dem nationalen und abkommensrechtlichen Verständnis.7 Auch hier ist die Verwaltungsauffassung konträr und führt – in ihrer Auffassung konsequent – an, dass das Explorationsrecht gem. § 36 Abs. 3 BsGaV initial „zum Zeitpunkt des Beginns der Errichtung der Produktionsanlagen (…) der Förderbetriebsstätte zuzuordnen“8 ist. Hinsichtlich des Endes des Zuordnungszeitraums gibt § 36 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lediglich klarstellend9 an,

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135; Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.414. 2 Vgl. Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 28. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135. 4 Mit Verweis auf BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.2.5. 5 Vgl. VWG BsGa, Rz. 401. 6 Vgl. Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1578. 7 Vgl. dazu auch Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 28. 8 VWG BsGa, Rz. 400. 9 Vgl. Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 577.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 527

Kap. 16 Rz. 16.41 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

dass die Zuordnung – unabhängig von den übrigen Regelungen1 – bis zu einer Umwidmung von Seiten des Belegenheitsstaats der Förderbetriebsstätte beizubehalten ist. Da sich die Finanzverwaltung bzgl. der Frage eines kontinuierlichen Nachweises nicht geäußert hat und ein solcher auch nicht unmittelbar aus der Verordnung zu entnehmen ist, sollte es bei einem einmaligen Nachweis bleiben.2 Nichtsdestotrotz ist ein Wechsel der Zuordnung bzgl. des Explorationsrechts durch den Belegenheitsstaat anzuzeigen. Eine Zuordnungsänderung bleibt also weiterhin möglich. Die Entscheidungsstruktur zur Zuordnung des Explorationsrechts gibt Abb. 3 zusammenfassend wieder. Personalfunktion in Zusammenhang mit Anschaffung oder Herstellung

oder

Bedeutung des Vertriebs oder der Verwertung der gewonnenen Bodenschätze in der Förderbetriebsstätte überwiegt gegenüber Personalfunktionen des übrigen Unternehmens

ja

Zuordnung zur Förderbetriebsstätte gem. § 36 Abs. 1 BsGaV

nein

unentgeltliche Beistellung zur Förderbetriebsstätte

Zuordnung zur Förderbetriebsstätte gem. § 36 Abs. 3 BsGaV, bis Belegenheitsstaat von einer anderen Zuordnung ausgeht

ja

Zuordnung zum übrigen Unternehmen gem. § 36 Abs. 2 BsGaV

Nachweis, dass Belegenheitsstaat Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zuordnet nein Zuordnung zum übrigen Unternehmen gem. § 36 Abs. 2 BsGaV

Abb. 3: Zuordnung des Explorationsrechts

16.42 Zuordnungsauswirkungen. Die Zuordnung des Explorationsrechts hat des Weiteren auch Auswirkungen auf die Zuordnung der Vermögenswerte. § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV führt aus, dass grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften über die Zuordnung zur Anwendung gelangen, sollte im Regelungsabschnitt zu den Förderbetriebsstätten nichts anderes geregelt sein. § 36 Abs. 4 BsGaV macht nun davon Gebrauch und ordnet eine spezifische Zuordnung an. Ist das Explorationsrecht nach § 36 1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135; VWG BsGa, Rz. 401. 2 Vgl. ähnlich Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1579.

528 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.44 Kap. 16

Abs. 2 BsGaV regelmäßig dem übrigen Unternehmen zuzuordnen, so ergibt sich gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 eine Zuordnung von Vermögenswerten zu einer Förderbetriebsstätte in sinngem. Anwendung der Regelungen zur Bau- und Montagebetriebsstätte nach § 31 Abs. 1–3 BsGaV.1 Dieser Regelung entsprechend sind materielle Wirtschaftsgüter, immaterielle Werte, Beteiligungen/Finanzanlagen/ähnliche Vermögenswerte und sonstige Vermögenswerte (§§ 5–8 BsGaV) zuzuordnen. Bei Kategorisierung der Förderbetriebsstätte als Routinedienstleister sind ihr grundlegend keine besonders werthaltigen Vermögenswerte zuzuordnen, was über die inhaltlich gleichgelagerten Regelungen zur Bau- und Montagebetriebsstätte erreicht werden soll.2 Erfolgt die Zuordnung des Explorationsrechts allerdings in den Fällen des § 36 Abs. 1 und Abs. 3 BsGaV zur Förderbetriebsstätte, so gelten explizit und unmittelbar die allgemeinen Regelungen des §§ 5–8 BsGaV. Bei Letzterem handelt es sich lediglich um eine Klarstellung, da ansonsten die allgemeinen Regelungen bereits über § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV zur Anwendung gelangen würden.3 Die Zuordnung der Vermögenswerte trägt dabei dem durch das Explorationsrecht zugeordneten Förderrisiko Rechnung.4 Verrechnungspreise. Die in Anbetracht der Zuordnung des Explorationsrechts und 16.43 der Vermögenswerte vorgenommene Kategorisierung der Förderbetriebsstätte als – regelmäßiger – Routinedienstleister oder als – ausnahmsweise – das Förderrisiko tragende Betriebsstätte impliziert auch eine entsprechende Berücksichtigung der zugrunde zu legenden Verrechnungspreise für die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Stammhaus und Förderbetriebsstätte. Der Zuordnung des Explorationsrechts kommt daher eine herausragende Stellung zu, die sich final in der Gewinnaufteilung niederschlägt, deren letztliche Regelungen für die Förderbetriebsstätte in § 37 BsGaV kodifiziert sind. Insbesondere ist hierbei auch der entsprechende Wechsel der Explorationsrechtszuordnung im Zuge der Verrechnungspreisermittlung zu berücksichtigen. 3. Zuordnung von Vermögenswerten nach § 36 Abs. 4 Satz 1 BsGaV Routinefunktion. Soll die Zuordnung von Vermögenswerten nach § 36 Abs. 4 Satz 1 16.44 BsGaV erfolgen, so ist die Regelung des § 31 Abs. 1–3 BsGaV über die Bau- und Montagebetriebsstätten heranzuziehen. Für diesen Fall wurde der Förderbetriebsstätte das Explorationsrecht nicht zugeordnet, so dass dieser auch keine besonderen werthaltigen Vermögenswerte zuzuordnen sind. Es wird vermutet, dass die Förderbetriebsstätte Routinefunktionen (Förderung) gegenüber dem übrigen Unternehmen

1 Vgl. Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.415. Siehe hierzu auch die Ausführung zu Bau- und Montagebetriebsstätten in Rz. 13.30 ff. 2 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135; Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.415. 3 Vgl. VWG BsGa, Rz. 403. 4 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136. Vgl. dazu auch Ditz in W/A/D, BetriebsstättenHandbuch2, Rz. 11.416; Ludwig in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 1574; Oestreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 29.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 529

Kap. 16 Rz. 16.44 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

ausübt.1 Da auch Bau- und Montagebetriebsstätten häufig eine derartige Routinefunktion unterstellt wird, erfolgt eine entsprechende Anwendung der dortigen Regelungen zur Zuordnung der Vermögenswerte.2 Der schematische Aufbau der relevanten Zuordnungsvorschriften des § 31 BsGaV ergibt sich aus der nachfolgenden Tab. 3. § 31 Abs. 1 BsGaV

Zuordnung des materiellen Wirtschaftsguts zur Förderbetriebsstätte

§ 31 Abs. 2 BsGaV

Zuordnung des materiellen Wirtschaftsguts zum übrigen Unternehmen

§ 31 Abs. 3 BsGaV

Sinngemäße Anwendung auf Vermögenswerte nach §§ 6–8 BsGaV

Tab. 3: Relevanter Aufbau von § 31 BsGaV

16.45 Zuordnungsvoraussetzungen. Die grundsätzliche Zuordnung eines materiellen Wirtschaftsguts zur Förderbetriebsstätte setzt dabei nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BsGaV zunächst voraus, dass zumindest in dieser die Nutzung desselbigen erfolgt; dies entspricht insofern der allgemeinen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV. Die nutzungsbezogene Zuordnung eines materiellen Wirtschaftsguts zur Förderbetriebsstätte soll im Besonderen aber nur dann gelten, wenn in dieser auch die entsprechenden Personalfunktionen zur Herstellung, Anschaffung, Veräußerung oder Verwertung ausgeübt werden. Darüber hinaus muss nach § 31 Abs. 1 Satz 2 BsGaV gewährleistet sein, dass die letztgenannten auf das materielle Wirtschaftsgut bezogenen Personalfunktionen gegenüber denjenigen überwiegen, die im übrigen Unternehmen ausgeübt werden. Somit sind also hohe Hürden zu nehmen, um der Förderbetriebsstätte Vermögenswerte zuzuordnen. In der Praxis erfolgt meist die Nutzung des Explorationsrechts sowie die Ausübung der wesentlichen Personalfunktionen durch das Stammhaus, so dass häufig eine Zuordnung der Vermögenswerte zum Stammhaus erfolgt. Kann aufgrund der Nichterfüllung der vorgenannten Voraussetzungen das materielle Wirtschaftsgut nicht der Förderbetriebsstätte zugeordnet werden, ist es gem. § 31 Abs. 2 BsGaV dem übrigen Unternehmen zuzuordnen und gilt der Förderbetriebsstätte – im Interesse des Unternehmens zur Förderdienstleistung3 – als unentgeltlich beigestellt. Die unentgeltliche Beistellung erfolgt zwecks Vermeidung einer Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 EStG und einer fiktiven Veräußerung bzw. entgeltlichen Nutzungsüberlassung i.S.d. § 16 Abs. 1 BsGaV,4 insbesondere bei mehrfacher Nutzung von materiellen Wirtschaftsgütern für verschiedene Förderbetriebsstätten.5

1 2 3 4 5

Vgl. dazu auch Ditz in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 11.416. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135; VWG BsGa, Rz. 402. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 126. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 126. Vgl. dazu sinngemäß Froitzheim, Steuerliche Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte und deren Auswirkung auf die Gewinnabgrenzung, S. 262. Siehe auch Rz. 6.10 f.

530 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.46 Kap. 16

Beispiel 5: Die Offshore-Plattformen der Erdgas AG bilden unzweifelhaft Förderbetriebsstätten ab. Auf den Offshore-Plattformen selbst werden zusätzliche Pumpen installiert, um eine Kapazitätserweiterung der Erdgasförderung gewährleisten zu können. In diesem Zuge werden auch die vorhandenen Tanksysteme in ihrem Fassungsvermögen erweitert. Um den dadurch gesteigerten Energiebedarf zu decken, erfolgt der Aufbau eines zusätzlichen Stromaggregats. Auf dem Oberdeck erfolgt des Weiteren die Errichtung eines Wohnmoduls für die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte. Damit sich das vor Ort tätige Personal vollständig auf die Bohrungen fokussieren kann, erfolgen die gesamte Planung und der Einkauf im Zusammenhang mit der Erweiterung in der zentralen Planungsabteilung der Erdgas AG. Die Installation wird durch Personal des Stammhauses durchgeführt. Der Leiter der Offshore-Plattform bereitet lediglich mit einem Mitarbeiter die entsprechenden Räumlichkeiten vor, um eine reibungslose Installation zu gewährleisten und passt dahingehend auch die Aktivitäten auf der Offshore-Plattform an. Die Planung und der Einkauf sowie die Installation der materiellen Wirtschaftsgüter werden durch Personalfunktionen durchgeführt, die dem Stammhaus zuzuordnen sind; die Vorbereitung der Plattform und die Aktivitätsplanung sind bzgl. der Erweiterung von untergeordneter Bedeutung. Die materiellen Wirtschaftsgüter sind somit – trotz Nutzung durch die Förderbetriebsstätte – dem übrigen Unternehmen der Erdgas AG zuzuordnen, da die Personalfunktionen, die mit der Anschaffung betraut sind, in der zentralen Planungsabteilung des Stammhauses der Erdgas AG liegen.

Zuordnung anderer Vermögenswerte. Die vorherigen Aussagen gelten gem. § 31 16.46 Abs. 3 i.V.m. §§ 6–8 BsGaV auch für die Zuordnung von immateriellen Werten, Beteiligungen/Finanzanlagen/ähnlichen Vermögenswerten und sonstigen Vermögenswerten, so dass auch hier eine alleinige Nutzung nicht ausreichend ist.1 Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass es im Rahmen der Zuordnung des Explorationsrechts zum übrigen Unternehmen regelmäßig ebenfalls zu einer Zuordnung der Vermögenswerte zum übrigen Unternehmen kommt. Die nachfolgende Abb. 42 gibt die Zuordnung der Vermögenswerte noch einmal grafisch wieder.

Nutzung des Vermögenswerts

und

Personalfunktion in Zusammenhang mit Anschaffung, Herstellung, Veräußerung oder Verwertung

ja

Zuordnung zur Förderbetriebsstätte gem. § 31 Abs. 1 BsGaV (i.V.m. Abs. 3)

und

Jeweilige Personalfunktion überwiegt gegenüber der des übrigen Unternehmens nein

unentgeltliche Beistellung zur Förderbetriebsstätte

Zuordnung zum übrigen Unternehmen gem. § 31 Abs. 2 BsGaV (i.V.m. Abs. 3)

Abb. 4: Zuordnung der Vermögenswerte nach § 36 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1–3 BsGaV 1 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.383. 2 Vgl. dazu auch die Darstellung bei Kußmaul/Delarber/Müller, IStR 2014, 577.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 531

Kap. 16 Rz. 16.47 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

4. Zuordnung von Vermögenswerten nach § 36 Abs. 1 BsGaV sowie § 36 Abs. 4 Satz 2 BsGaV

16.47 Regelzuordnung. Erfolgt die Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte aus § 36 Abs. 1 BsGaV bzw. § 36 Abs. 3 BsGaV, so richtet sich die Zuordnung der Vermögenswerte beiderseits nach den allgemeinen Regelungen des §§ 5–8 BsGaV. Im ersten Fall erfolgt der Verweis über § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV, im zweiten Fall über § 36 Abs. 4 Satz 2 BsGaV. Die Zuordnung der Vermögenswerte ergibt sich sodann unmittelbar aus den Vorschriften des §§ 5–8 BsGaV. Insofern bestehen dann hinsichtlich der Zuordnung keine Besonderheiten zu anderen Betriebsstätten (s. bzgl. der Zuordnung auch Rz. 7.115 ff.). 16.48 Materielle Wirtschaftsgüter. Die materiellen Wirtschaftsgüter sind gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BsGaV grundsätzlich der Förderbetriebsstätte zuzuordnen, wenn diese auch dort tatsächlich genutzt werden; es liegt damit eine Zuwendung zur nutzungsabhängigen Zuordnung vor. Beispielhaft können als materielle Wirtschaftsgüter einer Förderbetriebsstätte etwa Bohrmaschinen, Bohrtürme, Krane, Bagger, Lastkraftwagen, Förderanlagen, Unterkünfte, Plattformen, Pumpen, Generatoren, Werkzeuge und dergleichen angesehen werden. 16.49 Immaterielle Vermögenswerte. Für die Frage der Zuordnung eines immateriellen Vermögenswerts zur Förderbetriebsstätte oder zum übrigen Unternehmen stellt § 6 Abs. 1 Satz 1 BsGaV nicht auf die Nutzung ab, sondern auf die Personalfunktion, die für die Schaffung oder den Erwerb zuständig ist. Dadurch werden immaterielle Vermögenswerte im Regelfall wohl dem übrigen Unternehmen zuzuordnen sein, da diese in der Regel vom Stammhaus entwickelt oder angeschafft worden sind. Als solche immateriellen Vermögenswerte lassen sich z.B. Messtechniken, Bohrverfahren, Aufbereitungsverfahren, spezielle Lagertechniken und generell Patente, Lizenzen (außer Explorationsrecht), Kundenstamm, Marken, Know-how und Geschäftswert fassen. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 und die BsGaV neben den originären Personalfunktionen, die zu Schaffung oder Erwerb führen, auch weitere Personalfunktionen in diesem Zusammenhang mit einbeziehen.1 16.50 Beteiligungen. Bei Beteiligungen und Finanzanlagen sowie ähnlichen Vermögenswerten sind an erster Stelle Beteiligungen an Vertriebsgesellschaften zu nennen, die die geförderten Bodenschätze für die Förderbetriebsstätte vertreiben oder vermarkten.2 Des Weiteren kommen aber auch Beteiligungen an Gesellschaften in Frage, die in Zusammenhang mit der Fördertätigkeit an sich stehen. Auch bei diesen Vermögenswerten ergibt sich eine nutzungsabhängige Zuordnung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BsGaV; da ein unmittelbarer Gebrauch nicht möglich ist, ergibt sich die Nutzung gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 BsGaV aus dem funktionalen Zusammenhang mit der Fördertätigkeit.3

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 86 ff. m.w.N. Vgl. dazu auch Andresen in W/A/D, BetriebsstättenHandbuch2, Rz. 4.99. 2 Vgl. Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 821. 3 Vgl. dazu auch Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 820.

532 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.53 Kap. 16

Auffangnorm. Sollte ein Vermögenswert nicht unter die zuvor genannten zu fassen 16.51 sein, erfasst diese die Auffangnorm des § 8 BsGaV. Diese betitelten sonstigen Vermögenswerte werden gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 BsGaV grundsätzlich der Förderbetriebsstätte oder dem übrigen Unternehmen in Abhängigkeit von denjenigen Personalfunktionen zugeordnet, die für deren Schaffung oder Erwerb zuständig sind. Insbesondere handelt es sich bei diesen um Forderungen und Finanzmittel.1 Hier ergibt sich im Rahmen der Förderbetriebsstätte insbesondere dann eine gewisse Relevanz, wenn die Förderbetriebsstätten z.B. auch den Vertrieb der gewonnenen Bodenschätze übernehmen. Die vereinnahmten Zahlungen aus den entstandenen Forderungen sind hierbei identisch zu behandeln und der Förderbetriebsstätte bei entsprechender Vertriebsübernahme grundsätzlich zuzuordnen.2 5. Weitere Zuordnungsregeln Anwendbarkeit. Da § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV die §§ 1–17 BsGaV grundsätzlich zur 16.52 Anwendung gelangen lässt und der Abschnitt zu den Förderbetriebsstätten nur explizite Regelungen zu den §§ 5–8 BsGaV vorsieht bzw. diese teilweise ersetzt, finden insbesondere die übrigen Vorschriften der §§ 9–17 BsGaV über die Zuordnung spezifischer Bestandteile der Hilfs- und Nebenrechnung weiterhin Anwendung. Bezüglich der Förderbetriebsstätten ergeben sich somit keine Besonderheiten hinsichtlich der Zuordnung von Geschäftsvorfällen (§ 9 BsGaV), von Chancen und Risiken (§ 10 BsGaV), von Sicherungsgeschäften (§ 11 BsGaV), des Dotationskapitals (§ 12 und § 13 BsGaV), der übrigen Passivposten (§ 14 BsGaV) sowie von Finanzierungsaufwendungen (§ 15 BsGaV), die über die dort genannten Zuordnungsvorschriften hinausgehen würden (s. hierzu Rz. 7.151 ff.).

II. Einkünftezurechnung (Schritt 2 des AOA) 1. Vorliegen einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung nach § 16 BsGaV Schuldrechtliche Beziehung. Grundsätzlich ist das Vorliegen einer schuldrecht- 16.53 lichen Beziehung in § 16 BsGaV geregelt (zu den asB s. grds. Rz. 9.1 ff.). Die Gesetzesbegründung nennt hierzu einige beispielhafte Erläuterungen, ohne eine abschließende Aufzählung zu nennen. Hierbei sind u.a. folgende Sachverhalte genannt: – von einer Betriebsstätte werden unterstützende Personalfunktionen für Vermögenswerte oder Risiken ausgeübt, die einer anderen Betriebsstätte zugeordnet sind, oder sie übt sonstige unterstützende Personalfunktionen aus („Dienstleistung“); – ein Vermögenswert, welcher einer anderen Betriebsstätte zugeordnet ist, wird durch eine andere Betriebsstätte genutzt („Nutzungsüberlassung“);

1 Vgl. dazu Looks in Looks/Heinsen, Betriebsstättenbesteuerung3, Rz. 830 f. 2 Vgl. dazu Andresen in W/A/D, Betriebsstätten-Handbuch2, Rz. 4.116.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 533

Kap. 16 Rz. 16.53 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

– ein Vermögenswert, welcher einer Betriebsstätte zugeordnet war, ist aufgrund veränderter Personalfunktionen einer anderen Betriebsstätte zuzuordnen („Veräußerung“, „Übertragung“).1 Nachfolgend werden die beispielhaften Sachverhalte bzgl. des Vorliegens von anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen bei Förderbetriebsstätten dargestellt und erläutert.

16.54 Dienstleistungsfiktion. Wie bereits ausgeführt, erfolgt die Tätigkeit einer Förderbetriebsstätte grundsätzlich unter Nutzung eines Explorationsrechts, das von einem Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen erworben wurde. Wird von dem vermuteten Regelfall der Zuordnung eines Explorationsrechts ausgegangen, nämlich der Zuordnung zum Stammhaus, gilt die Mitwirkung einer Förderbetriebsstätte an der Nutzung eines Explorationsrechts als fiktive Dienstleistung (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1 BsGaV).2 Grundlage für die Tätigkeiten ist eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung. Hierfür ist widerlegbar zu vermuten, dass die Förderbetriebsstätte für das übrige Unternehmen eine Dienstleistung erbringt. Dies gilt, wenn sich die Aktivitäten der Förderbetriebsstätte grundsätzlich auf die Förderung von Bodenschätzen beziehen und alle anderen Geschäftstätigkeiten durch das übrige Unternehmen ausgeübt werden.3 Hintergrund hierfür ist, dass die Förderbetriebsstätte in einem solchen Fall als Routineunternehmen zu qualifizieren ist. Alle werthaltigen immateriellen Vermögenswerte, dementsprechend auch das Explorationsrecht, werden dem übrigen Unternehmen zugeordnet.4 Bergbau-, Erdölbzw. Erdgasunternehmen Deutschland Ausland

Förderdienstleistung

Förderbetriebsstätte

Abb. 5: Regelfall der Förderbetriebsstätte

1 2 3 4

Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 88. Vgl. VWG BsGa, Rz. 404. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136. Vgl. Ditz, ISR 2016, 346.

534 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

Explorationsrecht

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.57 Kap. 16

Beispiel 6: Die deutsche Erdgas AG unterhält im ägäischen Meer eine Offshore-Plattform zur Förderung von Erdgas. Aufgrund von Art. 5 Abs. 2 Buchst. f DBA-Griechenland (sowie § 12 AO) wird durch die Offshore-Plattform eine Betriebsstätte ab dem Zeitpunkt der Förderung in Griechenland begründet. Griechenland übt dementsprechend auch das Besteuerungsrecht aus. Das notwendige Explorationsrecht hat die deutsche Erdgas AG vor der Begründung der Betriebsstätte erworben und es ist dem Stammhaus in Deutschland zweifelsfrei zugeordnet. Auch die für die Erdgasförderung errichtete Offshore-Plattform sowie die benötigten Pumpen und zusätzlichen Anlagen und Maschinen sind dem deutschen Stammhaus zugeordnet, obwohl sie in der Betriebsstätte genutzt werden. Die Personalfunktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung der Vermögenswerte befinden sich im deutschen Stammhaus. Das geförderte Erdgas wird durch die deutsche Erdgas AG verwertet und vertrieben. Das Explorationsrecht sowie alle anderen Vermögenswerte gelten der Förderbetriebsstätte durch das deutsche Stammhaus als unentgeltlich beigestellt. Die Förderbetriebsstätte übt im Rahmen ihrer Fördertätigkeit lediglich eine Dienstleistung aus. Grundlage für diese Dienstleistung ist eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV.

Stammhauszuordnung. Wie vorher bereits diskutiert, sind jegliche wesentlichen 16.55 Vermögenswerte sowie das Explorationsrecht im vermuteten Regelfall dem übrigen Unternehmen (Stammhaus) zugeordnet. Allerdings kann sich hiervon im Zuge des sog. Ausnahmefalls auch eine Abweichung ergeben. Förderbetriebsstättenzuordnung. Eine Voraussetzung für die Zuordnung des Ex- 16.56 plorationsrechts zur Förderbetriebsstätte ist, dass in der Betriebsstätte die Personalfunktionen bzgl. der Herstellung oder Anschaffung des Explorationsrechts ausgeübt werden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BsGaV). Die Personalfunktionen in diesem Zusammenhang haben gegenüber denen durch das Stammhaus ausgeübten Funktionen zu überwiegen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 BsGaV). Des Weiteren kann das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zuzuordnen sein, wenn der Vertrieb oder die Verwertung der geförderten Bodenschätze in der Betriebsstätte vorgenommen wird (§ 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BsGaV). Weiterhin besagt der Gesetzestext, dass das Explorationsrecht der Förderbetriebsstätte zum Zeitpunkt des Beginns der Fördertätigkeit zuzuordnen ist, wenn das Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen nachweist, dass der Belegenheitsstaat der Betriebsstätte ebenfalls von dieser Zuordnung ausgeht (§ 36 Abs. 3 Satz 1 BsGaV). Veräußerungsfiktion. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BsGaV entsteht eine Förderbetriebs- 16.57 stätte mit Beginn der Fördertätigkeit. Ein Explorationsrecht wird allerdings in der Regel schon vorher von einem Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen angeschafft. Es kommt also zu einer Zuordnungsänderung, die eine fiktive Veräußerung des Explorationsrechts an die Förderbetriebsstätte darstellt (§ 37 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Die fiktive Veräußerung des Explorationsrechts an die Förderbetriebsstätte ist ebenfalls als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anzusehen.1

1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 410.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 535

Kap. 16 Rz. 16.57 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten Bergbau-, Erdölbzw. Erdgasunternehmen

Explorationsrecht

Deutschland Ausland Förderbetriebsstätte

Zuordnungsänderung (fiktive Veräußerung)

Abb. 6: Zuordnungsänderung des Explorationsrechts Beispiel 7: Die deutsche Erdgas AG unterhält für das ägäische Meer vor Griechenland zwei Explorationsrechte (E 1 und E 2) für die Analyse von zwei Bereichen des Meeresgrunds über einen Zeitraum von 12 und 15 Monaten. Grundlage dieser Explorationsrechte sind zwei mit Griechenland rechtswirksam abgeschlossene PSA. Ein Expertenteam des deutschen Stammhauses führt geologische und seismische Messungen am Meeresgrund durch. Der vorher festgelegte Zeitraum der Analysen von 12 Monaten des E 1 wird auch tatsächlich eingehalten und die Messungen sind abgeschlossen. Die wirtschaftliche Fündigkeit ist eingetreten, da ein Erdgasvorkommen entdeckt wurde und dieses Vorkommen auch tatsächlich profitabel gefördert werden kann. Es werden die benötigte Bohranlage und weitere Anlagen und Maschinen vom deutschen Stammhaus nach Griechenland befördert und errichtet und es wird mit der Erdgasförderung begonnen. Zu diesem Zeitpunkt wird in Griechenland eine Betriebsstätte zur Ausbeutung von Bodenschätzen nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b DBA-Griechenland begründet. Weiterhin ist zu diesem Zeitpunkt das Explorationsrecht E 1 gem. § 36 Abs. 3 Satz 1 BsGaV der Förderbetriebsstätte zuzuordnen. Voraussetzung ist, dass die Erdgas AG nachweist, dass der griechische Staat ebenfalls von dieser Zuordnung ausgeht. Diese Zuordnungsänderung ist nach wohl h.M. als fiktive Veräußerung des Explorationsrechts vom Stammhaus an die Betriebsstätte anzusehen. Dies entspricht einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV.

16.58 Unterstützende Tätigkeiten. Auch nach einer Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte erbringt das Stammhaus regelmäßig unterstützende Dienstleistungen für die Betriebsstätte. Häufig sind dies Tätigkeiten im verwaltenden Bereich. Darunter können Tätigkeiten im Rahmen der Geschäftsführung, Personalverwaltung oder auch Buchhaltungstätigkeiten fallen. Diese Tätigkeiten sind dann ebenfalls als fiktive Dienstleistung zu erfassen.1 Auch hier liegt eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 BsGaV vor. Beispiel 8: Bei der deutschen Erdgas AG ist die Explorationsphase in Griechenland abgeschlossen und es wurde mit der Förderung von Erdgas begonnen. Daher wird ab diesem Zeitpunkt eine Betriebsstätte zur Ausbeutung von Bodenschätzen nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b DBA-Griechenland begründet. Auch die Zuordnung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte hat stattgefunden, da die Erdgas AG begründen konnte, dass auch der 1 Vgl. VWG BsGa, Rz. 411.

536 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.60 Kap. 16

griechische Staat von dieser Zuordnung ausgeht. Auch nach Beginn der Fördertätigkeit erhält die Betriebsstätte Unterstützung vom Stammhaus in Deutschland. Die auf der Offshore-Plattform tätigen Angestellten werden von der Personalabteilung der Erdgas AG hinsichtlich ihrer Gehaltsabrechnungen betreut. Auch die erforderlichen Buchhaltungstätigkeiten für die Betriebsstätte werden von der Abteilung Rechnungswesen der Erdgas AG durchgeführt. Sowohl die Tätigkeiten im Rahmen der Personalverwaltung als auch die Buchhaltungstätigkeiten, die das Stammhaus für die Betriebsstätte erbringt, entsprechen anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BsGaV.

2. Verrechnungspreisermittlung Fremdvergleichsgrundsatz. Gemäß § 16 Abs. 2 BsGaV sind anzunehmende schuld- 16.59 rechtliche Beziehungen unter Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes1 zu vergüten, wodurch sich fiktive Betriebseinnahmen und -ausgaben im Rahmen der Gewinnaufteilung für die Betriebsstätte ergeben. Die Methodenwahl hinsichtlich der Verrechnungspreisermittlung ist in Anbetracht des vorliegenden Sachverhalts zu bestimmen. Hier ist zwischen dem Regelfall und Ausnahmefall bzgl. der Zuordnung der Vermögenswerte zu unterscheiden. Ermittlungsmethoden. Wie vorher bereits diskutiert sind die Tätigkeiten einer För- 16.60 derbetriebsstätte, bei Zuordnung des Explorationsrechts zum Stammhaus, in der Regel als Dienstleistung anzusehen. Hierbei ist von einer Routinetätigkeit auszugehen, wenn die Förderbetriebsstätte lediglich die Förderung der Bodenschätze ausführt, während die eigentliche Wertschöpfung im Stammhaus stattfindet und ihr keine Vermögenswerte zugeordnet wurden. Dies ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch der Fall, wenn die Fördertätigkeit an sich eine technisch schwierige und anspruchsvolle Aufgabe ist.2 Dies entspricht dem sog. Regelfall. Die Vergütung der Dienstleistung ist nach § 37 Abs. 1 Satz 2 BsGaV nach einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode vorzunehmen. In Frage kommen hierfür die Kostenaufschlagsmethode sowie die kostenorientierte geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode.3 Beispiel 9: Die deutsche Erdgas AG begründet durch eine Offshore-Plattform zur Erdgasförderung eine Förderbetriebsstätte in Griechenland. Das entsprechende Explorationsrecht sowie die Offshore-Plattform wie auch notwendige Pumpen und weitere wesentliche Vermögenswerte sind zweifelsfrei dem übrigen Unternehmen zugeordnet. Auch die Verwertung und die Veräußerung des Erdgases werden durch das Stammhaus in Deutschland durchgeführt. Die Betriebsstätte übt lediglich die eigentliche Fördertätigkeit aus, welche als Dienstleistung gegenüber dem Stammhaus anzusehen ist. Da die Förderbetriebsstätte keine wesentlichen Vermögenswerte besitzt, lediglich eingeschränkte Funktionen ausübt und damit auch nur geringe Risiken trägt, ist diese als Routineunternehmen anzusehen. Nach § 16 Abs. 2 BsGaV ist für diese anzunehmende schuldrechtliche Beziehung ein Verrechnungspreis anzusetzen, der dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Für die Ermittlung des Verrechnungspreises ist gem. § 37 Abs. 1 Satz 2 BsGaV eine kostenorientierte Verrechnungspreismethode anzuwenden. In 1 Fremdvergleichsgrundsatz nach § 1 Abs. 1 AStG. Siehe auch Rz. 7.20. 2 Vgl. VWG BsGa, Rz. 412. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 136 i.V.m. OECD-Leitlinien 2010, Tz. 2.39 ff., Tz. 2.92 ff., Letztere abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/9789264125483-de.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 537

Kap. 16 Rz. 16.60 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten Betracht kommt hier die Kostenaufschlagsmethode mit einem angemessenen Gewinnaufschlag.

16.61 Kostenbasis. Bei der Ermittlung der Kostenbasis bei Anwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode sind insbesondere die Personalkosten zu berücksichtigen, die unmittelbar durch die Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte verursacht werden. Dies wären alle direkten Kosten der zur Förderbetriebsstätte zugeordneten Personalfunktionen. Als Beispiele sind hier Bruttolöhne, Sozialabgaben oder Reisekosten zu nennen (§ 37 Abs. 1 Satz 3 BsGaV).1 Auch weitere Kosten, wie bspw. für die Materialbeschaffung, die durch die Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte verursacht werden, sind in die Kostenbasis einzubeziehen, wenn der entsprechende Vertrag auch der Förderbetriebsstätte zuzuordnen ist.2 16.62 Verlusterwirtschaftung. Sollten der Förderbetriebsstätte durch ihre Personalfunktionen Fehler unterlaufen und dadurch Kosten entstehen, sind diese nach Ansicht der Finanzverwaltung von ihr zu tragen. Dabei werden die entstandenen Kosten nicht vergütet. Die VWG BsGa führen hierzu aus, dass das zu tragende Risiko einer Förderbetriebsstätte durch den Gewinnaufschlag abgegolten ist, wodurch entstandene Kosten durch Fehler der Personalfunktionen der Förderbetriebsstätte nicht zur Kostenbasis hinzugerechnet werden.3 Von der Finanzverwaltung wird es dementsprechend geduldet, dass eine Förderbetriebsstätte, die als Routineunternehmen zu klassifizieren ist, auch Verluste erwirtschaftet. Dies steht allerdings dem BMF-Schr. v. 12.4.2005 entgegen. Hierin führt die Finanzverwaltung aus, dass Routineunternehmen „keine Verluste, sondern regelmäßig geringe aber relativ stabile Gewinne“4 erzielen. Weiterhin ist auch hier zu beachten, inwieweit der Belegenheitsstaat Verluste der Förderbetriebsstätte anerkennt, wodurch sich ein erhebliches Risiko einer möglichen Doppelbesteuerung ergibt.5 16.63 Fehlmaßnahmen. Sollten dem übrigen Unternehmen wiederum durch seine Personalfunktionen Fehler unterlaufen, wodurch Kosten für die Förderbetriebsstätte entstehen, darf der Gewinn dieser nicht beeinflusst werden. Die durch die Fehlmaßnahmen entstandenen Kosten sind bei der Ermittlung der Kostenbasis zu berücksichtigen und der Förderbetriebsstätte folglich zu erstatten.6 Mittelbare Kosten, wie bspw. allgemeine Verwaltungs- oder Geschäftskosten, die durch Personalfunktionen des Stammhauses verursacht werden, sind bei der Ermittlung der Kostenbasis nach Meinung der Finanzverwaltung nicht zu berücksichtigen.7 16.64 Aufschlagsbandbreiten. Informationen über eine angemessene Bandbreite für Gewinnaufschläge bei der Kostenaufschlagsmethode oder für Nettomargen für die kos1 2 3 4 5

Vgl. VWG BsGa, Rz. 405. Vgl. VWG BsGa, Rz. 406. Vgl. VWG BsGa, Rz. 407. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 Tz. 3.4.10.2 Buchst. a. Vgl. Ditz, ISR 2016, 346 f.; Leonhardt/Tcherveniachki in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 3716 ff. (Stand: November 2019). 6 Vgl. VWG BsGa, Rz. 408. 7 Vgl. VWG BsGa, Rz. 409.

538 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.66 Kap. 16

tenorientierte geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode sind weder in der BsGaV noch in den entsprechenden BMF-Schr. zu finden. Für die Ermittlung der jeweiligen Bandbreiten sollten grundsätzlich Datenbankstudien herangezogen werden.1 Beispiel 10: Für das vorherige aufgezeigte Beispiel liegt folgende Projektkalkulation vor: Kosten Betrag Personalkosten im Stammhaus 10.000.000 t in der Betriebsstätte 8.000.000 t Materialkosten 20.000.000 t Summe 38.000.000 v Erlös aus der Veräußerung des Erdgases 48.000.000 t Für die Verrechnungspreisermittlung wird hier die Kostenaufschlagsmethode angewendet. Als Kostenbasis sind hier die Personalkosten anzusehen. Das Material wurde in diesem Fall vom Stammhaus angeschafft und der Förderbetriebsstätte unentgeltlich beigestellt. Es wird von einem angemessenen Gewinnaufschlag von 10 % auf die Differenz zwischen Erlös und Kosten ausgegangen. Dadurch ergibt sich für die Betriebsstätte folgendes Ergebnis: 10.000.000 t × 10 % = 1.000.000 t.

Besteuerung. Das Ergebnis hieraus ist, dass die Besteuerung des eigentlichen Werts 16.65 der geförderten Bodenschätze im Stammhaus stattfindet. Problematisch ist, dass möglicherweise der Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte diesem Ergebnis nicht zustimmt. Dafür hat der Gesetzgeber die abweichende Zuordnungsregelung des Explorationsrechts zur Förderbetriebsstätte in den Verordnungstext aufgenommen.2 Vergütungshöhe. Sollten der Förderbetriebsstätte das Explorationsrecht sowie weite- 16.66 re Vermögenswerte zugeordnet werden, ist die Förderbetriebsstätte nicht mehr als Routineunternehmen anzusehen. Dies ist als vermuteter Ausnahmefall anzusehen. Diese Zuordnung ist entsprechend in der Funktions- und Risikoanalyse zu berücksichtigen (§ 37 Abs. 4 BsGaV). Die Förderbetriebsstätte verfügt über werthaltige Vermögenswerte, wie z.B. das Explorationsrecht, und übt wesentliche Personalfunktionen, wie bspw. den Vertrieb oder die Verwertung der geförderten Bodenschätze, aus. Außerdem trägt sie erhebliche Risiken, wie z.B. das Förderrisiko.3 Der Förderbetriebsstätte steht in diesem Fall eine höhere Vergütung als einem Routineunternehmen zu.4 Diesbezüglich sind in den Sonderregelungen zu den Förderbetriebsstätten keine Vorschriften zu finden. Ob dafür auf die Vorschriften für Bau- und Montagebetriebsstätten nach § 33 BsGaV zurückgegriffen werden kann, ist nicht geklärt. In der Fachliteratur wird diese Möglichkeit jedoch ausdrücklich in Erwägung gezogen.5

1 Vgl. hierzu auch Ditz, ISR 2016, 347. 2 Vgl. Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.472. 3 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 135 f. 4 Vgl. Ostreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 28 f. 5 Vgl. Ostreicher/van der Ham/Andresen, IStR 2014, Beih. zu Heft 4, 29; vgl. auch Kahle/Kindich in Lübbehüsen/Kahle, Brennpunkte der Besteuerung von Betriebsstätten2, Rz. 5.470.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 539

Kap. 16 Rz. 16.67 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten

16.67 Gewinnaufteilungsmethode. In diesem Fall ist der Verrechnungspreis für die anzunehmende schuldrechtliche Beziehung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV anhand einer Gewinnaufteilungsmethode zu bestimmen. Der Aufteilungsschlüssel zur Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode ist nach § 33 Abs. 2 Satz 1 BsGaV anhand der jeweiligen Beiträge, die von Stammhaus und Betriebsstätte geleistet werden, zu bestimmen. Grundlage hierfür können gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 BsGaV die Kosten der maßgeblichen Personalfunktionen sein, die jeweils von Stammhaus und Betriebsstätte ausgeübt werden. Diese sind in der Regel die am einfachsten zu quantifizierenden Aufteilungsschlüssel, geben jedoch nicht zweifelsfrei die tatsächlichen Wertbeiträge der Beteiligten wieder. Hier können über Gewichtung der Kosten oder die Ergänzung von weiteren Aufteilungsschlüsseln, z.B. Vermögenwerte, Anzahl der Arbeitnehmer, Investitionsvolumen, Aufteilungsschlüssel definiert werden, die zutreffender die Wertbeiträge der Beteiligten widerspiegeln. Beispiel 11: Die deutsche Erdgas AG unterhält in Griechenland eine Offshore-Plattform zur Förderung von Erdgas, wodurch auch eine Betriebsstätte begründet wird. Das Explorationsrecht ist dem übrigen Unternehmen zugeordnet. Die Erdgas AG konnte anhand des geschlossenen PSA nachweisen, dass Griechenland von der Zuordnung des Explorationsrechts zur Betriebsstätte ausgeht. Weiterhin sind ihr auch die entsprechenden weiteren Vermögenswerte wie die Offshore-Plattform, Pumpen sowie weitere Anlagen und Maschinen zugeordnet. Das geförderte Erdgas wird direkt in der Bohranlage verwertet und von dort aus sowohl an griechische als auch deutsche Kunden veräußert. Die Förderbetriebsstätte ist dementsprechend nicht mehr als Routineunternehmen anzusehen, da sie wesentliche Vermögenswerte besitzt, wertschöpfende Funktionen ausübt und damit auch entsprechende Risiken wie das Mengen- oder Preisrisiko sowie das Förderrisiko trägt. Die Förderbetriebsstätte ist daher im vorliegenden Fall höher zu vergüten. Da hierzu keine Regelung in den Sondervorschriften zu den Förderbetriebsstätten in der BsGaV zu finden ist, sollte auf die Vorschriften für Bau- und Montagebetriebsstätten zurückgegriffen werden. Demnach sind Verrechnungspreise für eine Betriebsstätte mit einem ausgeprägterem Funktions- und Risikoprofil gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 BsGaV nach einer Gewinnaufteilungsmethode zu bestimmen. Grundlage für den zu ermittelnden Aufteilungsschlüssel können die Kosten, die jeweils durch die Personalfunktion des Stammhauses und der Förderbetriebsstätte verursacht werden, sein (§ 33 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Für das vorherige aufgezeigte Beispiel liegt folgende Projektkalkulation vor: Kosten Betrag Personalkosten im Stammhaus 10.000.000 t in der Betriebsstätte 10.000.000 t Materialkosten 20.000.000 t Summe 40.000.000 v Erlös aus der Veräußerung des Erdgases 50.000.000 t Demnach ist der Verrechnungspreis nach einer Gewinnaufteilungsmethode zu ermitteln. Der Gewinn ist anhand der Kosten der maßgeblichen Personalfunktionen aufzuteilen (§ 33 Abs. 2 Satz 2 BsGaV). Demnach ergibt sich ein Aufteilungsschlüssel von 50 %. Danach ergibt sich für die Förderbetriebsstätte ein Ergebnis von 5.000.000 t.

540 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

C. Gewinnabgrenzung nach dem AOA bei Förderbetriebsstätten

Rz. 16.70 Kap. 16

3. Verrechnungspreisermittlung in besonderen Fällen Zuordnungsänderung. Wie im vorherigen Unterkapitel diskutiert kann es zu einer 16.68 Zuordnungsänderung des Explorationsrechts nach § 36 Abs. 3 BsGaV zwischen Stammhaus und Förderbetriebsstätte kommen, die als fiktive Veräußerung anzusehen ist. Hier liegt ebenfalls eine anzunehmende schuldrechtliche Beziehung vor, für die ein Verrechnungspreis anzusetzen ist, der dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen muss (§ 37 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 2 Satz 1 BsGaV). Hierfür ist im Regelfall der hypothetische Fremdvergleich1 anzuwenden. Berücksichtigt werden sollen hierbei die Ertragsaussichten aus der Ausbeutung des Explorationsrechts aus Sicht der Förderbetriebsstätte sowie des Stammhauses, die als fiktive Vertragspartner anzusehen sind.2 Hieraus ergibt sich eine Bandbreite. Sonderregelung. Da damit zu rechnen ist, dass der Belegenheitsstaat der Förder- 16.69 betriebsstätte einem entsprechend hohen Verrechnungspreis für das Explorationsrecht kritisch gegenübersteht, besteht nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BsGaV die Möglichkeit, einen niedrigeren Preis als nach der Ermittlung des hypothetischen Fremdvergleichs anzusetzen. Diese Sonderregelung wurde eingeführt, da die Gefahr besteht, dass der Staat, in dem die Förderbetriebsstätte liegt, dieser zwar das Explorationsrecht zuordnet, aber andererseits einen Fremdvergleichspreis auf Grundlage der Ertragsaussichten der fündigen Exploration nicht anerkennt.3 Dadurch wird das Risiko einer daraus resultierenden möglichen Doppelbesteuerung gemindert. Als Voraussetzungen für den Ansatz eines niedrigeren Verrechnungspreises sind aufgezeigt, dass das Unternehmen zum einen nachweist, dass dadurch eine Doppelbesteuerung vermieden wird, und zum anderen einen Betrag in mindestens der Höhe ansetzt, der den Aufwendungen entspricht, die im Unternehmen im Hinblick auf das Explorationsrecht bis zum Zeitpunkt der Änderung der Zuordnung entstanden sind (§ 37 Abs. 3 Satz 2 BsGaV). Damit kann eine Übertragung des Explorationsrechts in Höhe der Kosten vorgenommen werden, die grundsätzlich weit unter dem Marktwert liegen.4 Nachweisgestaltung. Konkrete Hinweise, wie der geforderte Nachweis zur Vermei- 16.70 dung einer Doppelbesteuerung zu führen ist, finden sich in den Vorschriften nicht. In der Verordnungsbegründung ist jedoch angegeben, dass die jeweilige Besteuerung bzw. die entsprechende Belastung im Belegenheitsstaat der Förderbetriebsstätte, bspw. anhand des PSA, das zwischen dem Bergbau-, Erdöl- bzw. Erdgasunternehmen und dem Belegenheitsstaat geschlossen wurde, aufzuzeigen und nachzuweisen ist.5 Die nachfolgende Tab. 4 zeigt abschließend die anwendbaren Vorschriften und Verrechnungspreismethoden der einzelnen Fälle.

1 2 3 4 5

§ 1 Abs. 3 Satz 5 ff. AStG. Vgl. VWG BsGa, Rz. 410. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 348. Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht4, Rz. 524. Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 348.

Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült 541

Kap. 16 Rz. 16.70 Die Anwendung des AOA auf Förderbetriebsstätten § 37 Abs. 1 BsGaV Kostenorientierte Verrechnungspreismethode

Vermuteter Regelfall Förderbetriebsstätte als Routineunternehmen

§ 33 Abs. 1 und 2 BsGaV Gewinnaufteilungsmethode

Vermuteter Ausnahmefall Förderbetriebsstätte kein Routineunternehmen

§ 37 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 37 Abs. 3 BsGaV Hypothetischer Fremdvergleich

Besonderer Fall Zuordnungsänderung des Explorationsrechts

Tab. 4: Anwendbare Vorschriften und Verrechnungspreismethoden

III. Übergangsregelungen 16.71 Alte Förderbetriebsstätten. In der BsGaV ist eine Übergangsregelung für Förderbetriebsstätten vorgesehen, die schon vor Implementierung der neuen Grundsätze begründet wurden. Für Förderbetriebsstätten, die bereits vor dem 1.1.2013 begründet wurden, besteht die Möglichkeit für das Bergbau-, Erdöl- oder Erdgasunternehmen, die Einkünfte nach den bisher vorgesehenen Grundsätzen zu ermitteln. Dies gilt bis zur Beendigung der Förderbetriebsstätte (§ 38 Abs. 1 BsGaV). Hierdurch sollen mögliche Umstellungsschwierigkeiten verhindert werden.1 Außerdem ist dies nach § 38 Abs. 2 BsGaV auch für Betriebsstätten, bei denen das Explorationsrecht in den Jahren 2013 oder 2014 angeschafft oder hergestellt wurde, anzuwenden. Voraussetzungen hierfür sind, dass das Unternehmen begründet, die bisherigen Grundsätze für die Kalkulation angewendet zu haben, und nachweist, dass die Regelungen der neuen Verordnung seinen Ermittlungen die Basis entziehen (§ 38 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BsGaV). Ein Hinweis darauf, wie dieser Nachweis erbracht werden soll, ist in der Verordnung nicht aufgezeigt. Hier ist anzumerken, dass sich durch die Anwendung der BsGaV i.V.m. § 1 Abs. 5 AStG bei Gesamtbetrachtung von Stammhaus und Förderbetriebsstätte lediglich das Ergebnis einer anderen Gewinnaufteilung ergibt. Der gesamte Gewinn ändert sich hierdurch nicht. Des Weiteren ist anzunehmen, dass Unternehmen ihre internen Planungen und Kalkulationen grundsätzlich nicht auf Grundlage einer steuerlichen Gewinnabgrenzung vornehmen.2

1 Vgl. BR-Drucks. 401/14 v. 28.8.2014, 140. 2 Vgl. Ditz, ISR 2016, 348.

542 Fiehler/Kußmaul/Müller/Bült

4. Teil Anwendung des AOA in ausgewählten Ländern Kapitel 17 Afrika A. Ghana I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.8

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 17.33 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 17.38 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.43 C. Südafrika

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 17.11

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.45

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 17.16

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.48

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.21

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.52

B. Simbabwe I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.23 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.26 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.30

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 17.55 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 17.60 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.65

A. Ghana I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Ghana als eine feste Ge- 17.1 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das nationale Recht in Ghana listet Tatbestände auf, die eine Betriebsstättenbegründung zur Folge haben. Dazu gehören: – ein Ort, an dem eine ausländische Person Geschäfte tätigt oder eine andere Person Geschäfte für das ausländische Unternehmen ausführt, 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 543

Kap. 17 Rz. 17.1 Afrika

– ein Ort, an dem eine Person betriebliche Ausrüstungen oder umfangreiche Maschinen nutzt oder installiert, – ein Ort, an dem eine Person Bau- und Montagetätigkeiten ausführt, die mindestens 90 Tage dauern, einschließlich eines Ortes, an dem eine Person die Aufsichtstätigkeit der Bau- und Montagebetriebsstätte durchführt. Zudem wird eine Betriebsstätte durch die Erbringung von Dienstleistungen in Ghana begründet. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art stellen keine Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte dar.

17.2 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und Funktionen ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Zudem sind Tätigkeiten wie die Durchführung von Versicherungsgeschäften, die Erhebung von Versicherungsprämien sowie die Versicherung inländischer Risiken durch einen Agenten als Vertreterbetriebsstätte anzusehen. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art stellen keine Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte dar. Ein unabhängiger Vertreter begründet hingegen keine Betriebsstätte. 17.3 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und in den DBA. Ghana erwartet, dass durch die Einführung des Multilateralen Instruments (MLI) keine Änderungen in die DBA aufgenommen werden. Wenn die Regierung Ghanas dennoch entscheiden sollte, Änderungen in die bestehenden DBA einzuarbeiten, so soll eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen. Bisher hat Ghana keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 17.4 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Ghana eine Betriebsstätte, umfasst der Gewinn der Betriebsstätte grundsätzlich die Einnahmen und Aufwendungen, die in Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten inklusive der zugeordneten Wirtschaftsgüter und Verbindlichkeiten erzielt werden. Eine Betriebsstätte wird aber nicht nur auf Basis ihrer direkten Erträge und Aufwendungen besteuert, sondern auch auf Basis der Gewinne aus Tätigkeiten, die in Bezug zur Betriebsstätte stehen, aber außerhalb Ghanas durchgeführt werden („Force of Attraction Rule“). Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 17.5 AOA. Der AOA wird in Ghana nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in Ghana eingeführt wird.

544 Wellens/Hillmann

A. Ghana

Rz. 17.9 Kap. 17

Dealings. Folglich konstruiert oder erkennt Ghana keine anzunehmenden schuld- 17.6 rechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen wie Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern werden im Wesentlichen ignoriert. Es besteht allein die Möglichkeit, der Betriebsstätte angemessene Teile der Erträge und Aufwendungen des Stammhauses zuzuordnen oder die Zuordnung der Erträge und Aufwendungen anhand der „Force of Attraction“-Regelungen durchzuführen. Finden hingegen Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und einem anderen eigenständigen Unternehmen des Konzerns oder einem fremden Dritten statt, ist die Vergütung unter Anwendung der Verrechnungspreisregelungen zu bestimmen. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nach nationalen Regelungen nicht vorgesehen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Ghana ergibt sich zum 17.7 einen aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zusätzlich müssen Betriebsstätten eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus transferiert wird, zahlen. Diese Quellensteuerbelastung kann aber durch das anzuwendende DBA reduziert werden. Außerdem fallen Zollgebühren an. Quellensteuern sind u.a. für das Angebot von Gütern und Dienstleistungen einer ausländischen Person über eine Betriebsstätte in Ghana zu entrichten. Darüber hinaus sind Zins- und Lizenzzahlungen Anknüpfungspunkte für Quellensteuern. Die Höhe der Steuerbelastung variiert und ist von dem jeweils anzuwendenden DBA abhängig.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird selten 17.8 einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt zudem regelmäßig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 17.9 stätte führen. Das OECD-MA dient in Ghana als Leitlinie für die Ausgestaltung der DBA, wenngleich Ghana kein Mitglied der OECD ist. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen aufgrund der Anlehnung Ghanas an die Auffassung der OECD grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, Wellens/Hillmann 545

Kap. 17 Rz. 17.9 Afrika

– Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Ghana und – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

17.10 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstätte führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede Tätigkeit, die den Verkauf von Waren oder die Übertragung von Eigentum umfasst, als Einnahme in Ghana realisiert wird, wodurch eine Geschäftstätigkeit in Ghana angenommen wird, die zu einer Betriebsstättenbegründung führt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 17.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Ghana Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Eine Bau- und Montagebetriebsstätte wird bereits begründet, wenn die Aktivität mindestens 90 Tage andauert. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 17.4 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). 17.12 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 17.4 ff.). Bankenaufsichtsregelungen werden bei der Ge546 Wellens/Hillmann

A. Ghana

Rz. 17.17 Kap. 17

winnermittlung nicht berücksichtigt. Eine Bank sollte in Ghana eher als rechtlich selbständiges Unternehmen errichtet werden. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 17.13 wie in Rz. 17.4 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen sowie Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 17.14 richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 17.4 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 17.15 ren in Ghana besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Eine Vertreterbetriebsstätte ist ein Ort, an dem eine Person als Vertreter Funktionen im Auftrag eines ausländischen Unternehmens ausführt. Dazu zählen ebenso Versicherungsgeschäfte wie die Erhebung von Prämien und Versicherung von Risiken in Ghana. Eine Vertreterbetriebsstätte liegt jedoch nicht vor, wenn ein unabhängiger Vertreter mit eigener Rechtspersönlichkeit ordentlichen Geschäften nachgeht. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art stellen keine Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte dar. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach nationalem Recht in Ghana in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 17.4 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt zunächst beim Justiz- 17.16 ministerium. In diesem Zusammenhang müssen u.a. Angaben zur Geschäftstätigkeit, Adresse, Gründungsdatum, Namen und Adressen der lokalen Manager der Betriebsstätte gemacht werden. Zudem müssen der Gesellschaftsvertrag des Stammhauses sowie die Vollmacht des lokalen Managers eingereicht werden. Im Anschluss muss eine Betriebsstätte bei der Steuerbehörde registriert werden, um die Steuerregistrierungsnummer zu erhalten. Die Registrierung dauert insgesamt zwischen einer und vier Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für direkte und indi- 17.17 rekte Steuern erstellen. Die Steuererklärung für die Körperschaftsteuer und der Nachweis des monatlichen Lohnsteuerabzugs erfolgen jährlich, während die Umsatzsteuererklärung und Steuerklärungen für Quellensteuern monatlich anzufertigen sind. Die Abgabe der Steuererklärung erfolgt vier Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums, kann aber bei Zustimmung der Finanzbehörde um zwei Monate verlängert werden. Das ausländische Unternehmen muss keine zusätzliche Steuerklärung abgeben.

Wellens/Hillmann 547

Kap. 17 Rz. 17.18 Afrika

17.18 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach den nationalen Vorschriften mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. 17.19 Verrechnungspreisdokumentation. Ferner muss die Betriebsstätte jährlich eine Verrechnungspreisdokumentation anfertigen, die eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette enthält. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Die in 2012 eingeführten Verrechnungspreisregelungen verlangen, dass eine Betriebsstätte, die Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen ausübt, eine zeitgleiche Dokumentation dieser Geschäftsbeziehungen anfertigt, auf deren Basis ein jährlicher Verrechnungspreisbericht („Return on Transfer Pricing“) zu erstellen ist, der zusammen mit der Steuererklärung für die Körperschaftsteuer einzureichen ist. 17.20 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht, erfolgt eine Strafe i.H.v. 500 GHS. Zusätzlich sind 10 GHS für jeden Tag bis zur endgültigen Einreichung zu entrichten. Für ausstehende Steuerzahlungen muss eine Zinsstrafe von monatlich 125 % des Zinssatzes der Zentralbank gezahlt werden. Wenn die Steuervorauszahlungen weniger als 90 % der tatsächlichen Steuerschuld entsprechen, fällt die Zinsstrafe auf den Unterschiedsbetrag zwischen 90 % der tatsächlichen Steuerschuld und den bisher gezahlten Steuern an.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 17.21 Tax Rulings. Das Steuerrecht in Ghana enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzufordern, wenngleich die Finanzbehörde in der Regel nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung erteilt. Grundsätzlich wird in Ghana dennoch dazu geraten, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf den Betriebsstättenstatus eines ausländischen Unternehmens einzuholen. Dazu sollten alle Informationen zu den Tätigkeiten des ausländischen Unternehmens in Ghana bereitgestellt werden. 17.22 Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in Ghana grundsätzlich nicht möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde abzuschließen.

548 Wellens/Hillmann

B. Simbabwe

Rz. 17.26 Kap. 17

B. Simbabwe I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Simbabwe als eine feste Ge- 17.23 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 17.24 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Simbabwe die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen und diese Vollmacht auch gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2017. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 17.25 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition in den DBA. Die Vorschläge des Aktionspunkts 7 wurden aber bereits im nationalen Recht implementiert. Seit Januar 2017 umfasst das nationale Recht in Simbabwe erstmalig Vorschriften zu Betriebsstätten, die vorher nur in den DBA enthalten waren. Im Wesentlichen wurden die Vorschläge der OECD zu den unschädlichen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art und der Vertreterbetriebsstätte aufgenommen. Simbabwe erwartet, dass durch die Einführung des MLI alle DBA mit Simbabwe geändert werden. Zudem werden die optionalen Module des MLI so implementiert, dass Simbabwe möglichst hohe Steuereinnahmen generieren kann.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Simbabwe eine 17.26 Betriebsstätte, wird die Betriebsstätte auf Basis ihrer inländischen Einkünfte besteuert (Quellenprinzip). Dazu muss das ausländische Unternehmen die Einnahmen und Aufwendungen, die in Bezug zur lokalen Betriebsstätte stehen, ermitteln und auf dieser Basis das zu versteuernde Einkommen der Betriebsstätte berechnen. Neben der Zuordnung der direkten Erträge und Aufwendungen können auch angemessene Teile der Aufwendungen des Stammhauses der Betriebsstätte zugeordnet werden. Zur Be1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 549

Kap. 17 Rz. 17.26 Afrika

stimmung der Gewinne einer Betriebsstätte kann somit auf die indirekte Methode zur Ermittlung der Betriebsstättengewinnermittlung zurückgegriffen werden. In diesem Zusammenhang kann ein mit der Finanzverwaltung vereinbarter Prozentsatz der Umsätze dem zu versteuernden Einkommen gleichgesetzt werden. Die Anwendung der Methode variiert abhängig von der Branche, wird jedoch in der Praxis kaum verwendet.

17.27 AOA. Der AOA wird in Simbabwe nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht kodifiziert, noch in den DBA implementiert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in Simbabwe eingeführt wird. 17.28 Dealings. Folglich konstruiert oder erkennt Simbabwe keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen ignoriert. Es besteht allein die Möglichkeit, der Betriebsstätte angemessene Teile der Aufwendungen des Stammhauses zuzuordnen. Finden hingegen Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und einem anderen eigenständigen Unternehmen des Konzerns oder einem fremden Dritten statt, ist die Vergütung unter Anwendung der Verrechnungspreisregelungen zu bestimmen. Zudem kann eine Quellensteuerpflicht aufgrund der Transaktion entstehen. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen, da sie als Zweigstelle des Unternehmens keinen Kapitalanforderungen unterliegt. 17.29 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Simbabwe ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem kann eine Quellensteuer für die zugeordneten Aufwendungen des Stammhauses anfallen, deren Höhe vom jeweils anzuwendenden DBA abhängt.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 17.30 Betriebsprüfung. Die Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung berücksichtigt im Allgemeinen die Vorgaben des jeweils anzuwendenden DBA. Generell ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Finanzverwaltung wenig kompromissbereit vorgeht. Zudem ist darauf zu achten, dass die Bestimmungen zu den Devisenkontrollen befolgt werden. 17.31 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereiten550 Wellens/Hillmann

B. Simbabwe

Rz. 17.33 Kap. 17

der Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Simbabwe, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Beispiele, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische 17.32 Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Koordination der Aktivitäten zwischen Stammhaus und Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 17.33 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Simbabwe Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn wird entweder zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung oder zum vereinbarten Zeitpunkt laut Vertrag realisiert, abhängig davon, welcher Zeitpunkt früher eintritt. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 17.26 ff. beschrieben.

Wellens/Hillmann 551

Kap. 17 Rz. 17.34 Afrika

17.34 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 17.26 ff.). Bankenaufsichtsregelungen werden bei der Gewinnermittlung nicht berücksichtigt. 17.35 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 17.26 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen sowie Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt. 17.36 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 17.26 ff.). 17.37 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Simbabwe besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich in Einklang mit der Definition der Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 OECD-MA 2017 stehen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach nationalem Recht in Simbabwe in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen (s. Rz. 17.26 ff.).

V. Steuerverwaltung 17.38 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei dem nationalen Justizministerium, der Finanzverwaltung und der Investmentbehörde. Dazu muss zunächst ein Antrag bei der Investmentbehörde gestellt werden, um eine Investitionslizenz zu erhalten. Im Anschluss muss die Genehmigung beim Justizministerium eingeholt werden, um die Betriebsstätte zu gründen. Im letzten Schritt muss die Registrierung bei der Finanzverwaltung erfolgen. Die Registrierung dauert insgesamt in der Regel zwischen acht und zehn Wochen. 17.39 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für direkte und indirekte Steuern erstellen. Die Steuererklärung für die Körperschaftsteuer ist quartalsweise und vier Monate nach dem Veranlagungsjahr abzugeben. Das ausländische Unternehmen muss keine zusätzliche Steuerklärung abgeben. Die Quellensteuererklärung ist monatlich einzureichen, während die Umsatzsteuererklärung abhängig vom Umsatz entweder monatlich oder jeden zweiten Monat abzugeben ist. 17.40 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. 17.41 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung einzureichen. Sie enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeüb552 Wellens/Hillmann

C. Südafrika

Rz. 17.45 Kap. 17

ten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung bzw. fehlende Einreichung von Steuererklärungen und 17.42 Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn weniger als die tatsächliche Steuer deklariert wird, beginnt die Strafe bei 100 % des Unterschiedsbetrags zwischen der deklarierten und tatsächlichen Steuer. Zusätzlich ist ein Zins i.H.v. 10 % pro Jahr zu entrichten. Die Strafe kann mit Zustimmung der Finanzbehörde reduziert werden. Wird die Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht, fällt eine Strafzahlung von 30 USD pro Tag an, die auf höchstens 5.400 USD pro Steuererklärung begrenzt ist.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht in Simbabwe enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 17.43 Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde gibt jedoch in der Regel nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Grundsätzlich wird in Simbabwe davon abgeraten, eine verbindliche Auskunft einzuholen, da die Erfolgswahrscheinlichkeiten eher gering sind. Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Simbabwe möglich, Vorabverständi- 17.44 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird aber in Simbabwe davon abgeraten, Vorabverständigungsverfahren zu beantragen, da auch hier die Erfolgswahrscheinlichkeiten eher gering sind.

C. Südafrika I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Südafrika als eine feste Ge- 17.45 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 553

Kap. 17 Rz. 17.46 Afrika

17.46 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Südafrika die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen und diese Vollmacht auch gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014. 17.47 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und in den DBA. Südafrika erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Südafrika hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 17.48 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Südafrika eine Betriebsstätte, ermittelt sich der Gewinn der Betriebsstätte im ersten Schritt durch die Bestimmung der Bruttoeinnahmen nach dem Quellenprinzip. Berücksichtigt werden alle Einnahmen, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Von diesen Einnahmen werden im zweiten Schritt alle Aufwendungen, die in Zusammenhang mit den Einnahmen stehen, abgezogen. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 17.49 AOA. Der AOA wird in Südafrika nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert. 17.50 Dealings. Folglich konstruiert oder erkennt Südafrika keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Fiktive Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden im Wesentlichen ignoriert, da die Betriebsstätte und das Stammhaus als eine Einheit betrachtet werden. Finden hingegen Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte oder dem Stammhaus und einem eigenständigen Unternehmen des Konzerns oder fremden Dritten statt, können die fremdvergleichskonformen Erträge und Aufwendungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte aufgeteilt werden. Die Zuordnung der Erträge und Aufwendungen zur Betriebsstätte basiert auf den ausgeführten Tätigkeiten. Der Transfer von Wirtschaftsgütern zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus wird als anzunehmender Verkauf oder Kauf behandelt und unterliegt der Kapitalertragsteuer 554 Wellens/Hillmann

C. Südafrika

Rz. 17.54 Kap. 17

i.H.v. derzeit 22,4 %. Die Bemessungsgrundlage ist der Marktwert der Güter. Tatsächliche Kosten sind nur im Rahmen der Körperschaftsteuer abzuziehen. Der Transfer von Waren und anderen Wirtschaftsgütern an eigenständige Unternehmen des Konzerns oder fremde Dritte wird nach dem Fremdvergleichsgrundsatz vergütet. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Südafrika ergibt sich 17.51 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem sind Quellensteuern auf Lizenzen und Zinsen zu zahlen. Die Höhe der Quellensteuersätze hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Die Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird regel- 17.52 mäßig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt zudem grundsätzlich den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Gegenüber ausländischen Unternehmen ist die Finanzbehörde generell aggressiv. In Betriebsprüfungen stellen regelmäßig Dienstleistungen, die im Inland angeboten werden, sowie Vertragsverhandlungen und Vertragsabschlüsse im Zusammenhang mit Vertreterbetriebsstätten einen Schwerpunkt der Prüfung dar. Daher wird in Südafrika dazu geraten, eine lokale Tochtergesellschaft anstelle einer Betriebsstätte zu errichten. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 17.53 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Südafrika, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Beispiele, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische 17.54 Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen,

Wellens/Hillmann 555

Kap. 17 Rz. 17.54 Afrika

– Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 17.55 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Südafrika Besonderheiten, die aber im Einklang mit der Definition in Art. 5 OECD-MA 2014 stehen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 17.48 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bauund Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). 17.56 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regelungen (s. Rz. 17.48 ff.). Die Ermittlung des Finanzvermögens und der Verbindlichkeiten folgt den Vorgaben der IFRS. Bankenaufsichtsregelungen sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. 17.57 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 17.48 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen wie auch Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt. 17.58 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 17.48 ff.). 17.59 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Südafrika besondere Vorschriften, die sich an den Vorgaben des Art. 5 OECD-MA 2014 orientieren. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach südafrikanischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 17.48 ff.).

556 Wellens/Hillmann

C. Südafrika

Rz. 17.64 Kap. 17

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der jeweiligen Steu- 17.60 erbehörde. Es besteht die Pflicht, sich innerhalb von 60 Tagen nach der Gründung einer Betriebsstätte in Südafrika zu registrieren. Sie dauert in der Regel zwischen zwei und acht Wochen. In der Praxis ist es üblich, dass zusätzlich eine Registrierung im Handelsregister bei der „Companies and Intellectual Property Commission“ erfolgt. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für direkte und indi- 17.61 rekte Steuern erstellen. Dazu muss sie zunächst vorläufige Körperschaftsteuererklärungen und Vorauszahlungen Mitte des Jahres und am Ende des Veranlagungsjahres erbringen. Die endgültige Steuererklärung für die Körperschaftsteuer muss innerhalb von 12 Monaten nach dem Veranlagungszeitraum eingereicht werden. Das ausländische Unternehmen muss keine zusätzliche Steuerklärung abgeben. Die Umsatzsteuererklärung ist abhängig von der Höhe der Umsätze entweder monatlich oder alle zwei Monate abzugeben. Die Quellensteuererklärung ist am Ende des Monats, der auf den Monat der Zahlung folgt, einzureichen. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 17.62 mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Er ist zusammen mit der Steuererklärung bei der Steuerbehörde einzureichen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 17.63 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen. Es ist wahrscheinlich, dass in naher Zukunft eine jährliche Einreichung der Verrechnungspreisdokumentation eingeführt wird. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Im Wesentlichen entsprechen die Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation den Vorschlägen der OECD im Rahmen des BEPS-Aktionspunkts 13 zum Master- und Local-File-Ansatz. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen füh- 17.64 ren grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn weniger als die tatsächliche Steuer deklariert wird, erfolgt eine Strafe von bis zu 200 % auf den Unterschiedsbetrag zwischen deklarierter und tatsächlicher Steuer. Das Strafmaß ist abhängig von den Umständen des Steuerpflichtigen. Während rund 50 % der unbezahlten Steuern als Strafzahlung bei unbegründeter Falschangabe einer Position erhoben werden, führt eine vorsätzliche Steuerhinterziehung zu einer Strafzahlung i.H.v. 200 % des UnWellens/Hillmann 557

Kap. 17 Rz. 17.64 Afrika

terschiedsbetrags zwischen deklarierter und tatsächlicher Steuer. Für verspätete Steuerzahlungen existieren abhängig von der Steuerart verschiedene Strafzahlungen. Zudem können Zinsstrafen in Höhe von jährlich 10,5 % der ausstehenden Steuerzahlungen anfallen. Der Zinssatz ist variabel und richtet sich nach dem lokalen Basiszinssatz.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 17.65 Tax Rulings. Das Steuerrecht in Südafrika enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) zu beantragen, um Sicherheit über die Interpretation und Anwendung steuerlicher Vorschriften zu erlangen. Eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung einzuholen, ist allerdings nicht möglich. 17.66 Advance Pricing Agreements. In Südafrika besteht zudem nicht die Möglichkeit, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der Finanzbehörde zu führen.

558 Wellens/Hillmann

Kapitel 18 Asiatisch-pazifischer Raum C. Japan

A. Australien I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.45

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.48

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.8

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.53

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 18.11

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 18.56

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 18.16

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 18.61

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.21

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.66

B. China

D. Südkorea

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.23

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.68

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.26

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.71

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.30

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.75

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 18.33

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 18.78

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 18.38

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 18.83

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.43

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.88

A. Australien I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Australien als eine Geschäfts- 18.1 einrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Abweichend zur Betriebsstättendefinition der OECD umfasst das nationale Recht Australiens keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände. Zudem setzt eine Betriebsstättenbegründung in Australien nicht explizit voraus, dass eine „feste“ Geschäftseinrichtung

1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 559

Kap. 18 Rz. 18.1 Asiatisch-pazifischer Raum

vorliegen muss, wenngleich diese Unterscheidung in der Praxis von untergeordneter Bedeutung ist.

18.2 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Australien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte ist die „Abhängigkeit“ des Vertreters keine ausdrückliche Voraussetzung für die Betriebsstättenbegründung nach australischem Recht. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art sind keine Ausnahmetatbestände zur Begründung einer Betriebsstätte. 18.3 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht. Die Vorschläge des Aktionspunkts 7 wurden aber bereits im DBA Deutschland-Australien, das im November 2015 unterzeichnet wurde, berücksichtigt. Im Wesentlichen wurden in das DBA die Vorschläge der OECD zu den unschädlichen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die geänderte Definition der Bau- und Montagebetriebsstätte sowie der Vertreterbetriebsstätte aufgenommen. Australien erwartet zudem, dass durch die Einführung des Multilateralen Instruments (MLI) einige DBA mit Australien geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Australien hat eine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung („Multinational Anti-Avoidance Law“).

II. Besteuerung 18.4 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Australien eine Betriebsstätte, wird der Gewinn der Betriebsstätte durch eine Zuordnung von Erträgen und Aufwendungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes ermittelt. Die Betriebsstätte wird nur als eingeschränkt selbständige Einheit betrachtet („Relevant Business Activity Approach“). Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 18.5 AOA. Der AOA wird in Australien nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert. 18.6 Dealings. Daher konstruiert und erkennt Australien grundsätzlich keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen ignoriert. Finden hingegen Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentrans560 Wellens/Hillmann

A. Australien

Rz. 18.9 Kap. 18

fer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und einem anderen eigenständigen Unternehmen des Konzerns oder einem fremden Dritten statt, können die Erträge und Aufwendungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte aufgeteilt werden. Die Aufteilung des Ergebnisses erfolgt auf Basis einer Funktionsanalyse unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Australien ergibt sich 18.7 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem sind Quellensteuern auf Lizenzen und Zinsen, die einer Betriebsstätte zugeordnet werden, zu zahlen. Die Höhe der Quellensteuersätze hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird oft ei- 18.8 ner Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Es wird in Australien empfohlen, Ungewissheiten und Fragen in Bezug auf Betriebsstätten sorgfältig zu überprüfen und die Position des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den Betriebsstättenstatus und die Gewinnzuordnung zu dokumentieren. Diese detaillierten Nachweise sind notwendig, um zu belegen, dass nicht eine künstliche Vermeidung der Betriebsstättenbegründung vorliegt, auf die das nationale Anti-Missbrauchsgesetz Anwendung findet. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 18.9 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Australien, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Aktivitäten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind. In diesem Zusammenhang sind u.a. die Anzahl der Mitarbeiter in der australischen Betriebsstätte, die physischen Räum-

Wellens/Hillmann 561

Kap. 18 Rz. 18.9 Asiatisch-pazifischer Raum

lichkeiten, die Entscheidungsbefugnis in Australien sowie die erteilten Aufträge von Bedeutung.

18.10 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 18.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Australien Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine spezifische Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Australien hat zudem landesspezifische Modifikationen im Zusammenhang mit Bau- und Montagebetriebsstätten in ihren DBA implementiert. Ferner kann eine Quellensteuer auf Bau- und Montagetätigkeiten i.H.v. 5 % anfallen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt wie in Rz. 18.4 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Es ist grundsätzlich möglich, zwischen den beiden Methoden zu wählen, vorausgesetzt die Methoden sind in den Bilanzierungsregeln enthalten und die ausgewählte Methode wird konsistent angewendet. 18.12 Bankenbetriebsstätte. Im Rahmen der Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte liegt eine besondere Regelung vor, die eine Anerkennung von Darlehensbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus ermöglicht (Taxation Ruling

562 Wellens/Hillmann

A. Australien

Rz. 18.17 Kap. 18

2005/11). Bankenaufsichtsregelungen sind bei der Bestimmung der Kapitalausstattung der Betriebsstätte zu berücksichtigen. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 18.13 wie in Rz. 18.4 ff. ermittelt. Die Versicherungsaufsichtsregeln sind als Minimum bei der Bestimmung der Kapitalausstattung zu berücksichtigen. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht anerkannt. Es ist aber im Zusammenhang mit Rückversicherungen für die Gewinnzuordnung notwendig, eine Risikoanalyse durchzuführen und den unternehmerischen Hauptrisikoträger („Key Entrepreneurial Risk Taker“ oder „KERT“) zu identifizieren. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 18.14 richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 18.4 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 18.15 ren in Australien Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Im australischen Recht wird die ausdrückliche Voraussetzung eines abhängigen Vertreters zur Begründung einer Betriebsstätte nicht erfasst. Zudem enthält das nationale Recht keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die ausgeführt werden können, ohne eine Betriebsstätte zu begründen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach australischem Recht in Anlehnung an die OECD grundsätzlich abgelehnt, wenngleich es in der Vergangenheit einige Fälle gab, in denen die „Nullsummentheorie“ angewendet und von der Finanzverwaltung akzeptiert wurde. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen (s. Rz. 18.4 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt im australischen Han- 18.16 delsregister („Australian Securities and Investment Commission“), um eine Geschäftsregistrierungsnummer („Australian Registered Business Number“) zu erhalten. Zudem muss die Betriebsstätte bei der australischen Steuerbehörde registriert werden, damit ihr eine Steueridentifikationsnummer („Tax File Number“) zugeordnet wird. Zur Registrierung müssen u.a. die Gründungsdokumente der ausländischen Gesellschaft sowie Identifikationsdokumente zu allen Geschäftsführern des Stammhauses der Betriebsstätte beglaubigt und auf Englisch eingereicht werden. Die Registrierung dauert in der Regel vier Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss jährlich eine Steuererklärung erstellen. Zu- 18.17 dem muss eine Erklärung über die Geschäftstätigkeiten abgegeben werden, die auch Angaben zu indirekten Steuern und der einbehaltenen Lohnsteuer enthält („Business Activity Statement“). Weiterhin sind eine Erklärung über die an Arbeitnehmer zur Verfügung gestellten geldwerten Vorteile, eine Lohnsteuererklärung und Pensionsauflistungen einzureichen. Die Umsatzsteuer- und Quellensteuererklärungen sind abhängig vom Umsatz wöchentlich, monatlich, quartalsweise oder jährlich einzureichen. Wellens/Hillmann 563

Kap. 18 Rz. 18.18 Asiatisch-pazifischer Raum

18.18 Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte in Australien ist grundsätzlich verpflichtet, einen Jahresabschluss mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Eine Betriebsstätte kann von der Berichtspflicht befreit werden, wenn das ausländische Unternehmen einen konsolidierten Abschluss beim australischen Handelsregister einreicht. Weiterhin muss eine Betriebsstäte grundsätzlich keinen Jahresabschluss anfertigen, wenn sie nicht Teil einer „großen Gruppe“ ist. Diese Größenklassifizierung wird erreicht, wenn das ausländische Stammhaus zwei der drei folgenden Kriterien erfüllt: – konsolidierter Umsatz von 25 Mio. AUD oder mehr, – konsolidierte Aktiva am Ende des Wirtschaftsjahres von 12,5 Mio. AUD oder mehr, – 50 oder mehr Mitarbeiter.

18.19 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation sollte jedoch angefertigt werden, um die Verhandlungsposition in der Betriebsprüfung zu stärken und mögliche Strafen aufgrund von Anpassungen abzuwenden. Sie muss grundsätzlich auf Nachfrage der Finanzverwaltung eingereicht werden. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Australien hat die OECDDokumentationsvorschläge zum Master- und Local-File sowie zum Country-byCountry Reporting bereits in nationales Recht implementiert. Für eine australische Betriebsstätte, die Teil eines konsolidierten Konzerns ist, müssen diese drei Dokumentationen zwölf Monate nach dem Ende des Veranlagungszeitraums eingereicht werden. 18.20 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung im Zusammenhang mit der Betriebsstätte eines Unternehmens, das einen konsolidierten Umsatz von mehr als 1 Mrd. AUD erzielt („Significant Global Entity“), nicht fristgereicht eingereicht, erfolgt eine Strafe i.H.v. 105.000 bis zu 525.000 AUD. Wenn weniger als die tatsächliche Steuer deklariert wird, fällt eine Strafe von bis zu 50 % des Unterschiedsbetrags zwischen der deklarierten und tatsächlichen Steuer an. Zudem sind auf ausstehende Steuerzahlungen jährlich Zinsen i.H.v. 4,78 % zu zahlen.

564 Wellens/Hillmann

B. China

Rz. 18.24 Kap. 18

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht Australiens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 18.21 Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erteilt regelmäßig eine Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung, wenngleich verbindliche Auskünfte in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte leichter zu erhalten sind als in Bezug auf die Gewinnzuordnung zu Betriebsstätten. Grundsätzlich wird in Australien dazu geraten, eine verbindliche Auskunft im Hinblick auf die Begründung einer Betriebsstätte einzuholen, um die Unsicherheit über den Betriebsstättenstatus zu reduzieren. Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Australien möglich, Vorabverständi- 18.22 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Es ist grundsätzlich zu empfehlen, ein Vorabverständigungsverfahren zu führen. Unsicherheiten über die Zuordnung von Gewinnen zu einer Betriebsstätte sollten eher durch ein Vorabverständigungsverfahren als durch eine verbindliche Auskunft reduziert werden. Die australische Steuerbehörde erwartet im Allgemeinen, dass ein Vorabverständigungsverfahren in Bezug auf eine Betriebsstätte alle Aktivitäten dieser Betriebsstätte abdeckt.

B. China I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in China als eine feste Ge- 18.23 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das chinesische Recht enthält abweichend von der Definition der OECD keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. Das Ausführen dieser Tätigkeiten im Inland begründet grundsätzlich eine Betriebsstätte. Zudem enthält das nationale Recht nicht den Begriff Betriebsstätte, sondern umfasst nur die Begriffe „Geschäftseinrichtung“ und „Ort“. Der Begriff Betriebsstätte wird aber in DBA zwischen China und anderen Ländern sowie in Rundschreiben der Finanzverwaltung über die Begründung von Betriebsstätten in Bezug auf DBA verwendet („Circular 403“). Die Definition basiert im Wesentlichen auf den UN- und OECD-MA. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 18.24 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in China die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD enthalten die nationalen Regelungen in China keine Vorschriften zum un1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 565

Kap. 18 Rz. 18.24 Asiatisch-pazifischer Raum

abhängigen Vertreter sowie zu Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die der Vertreter ohne Begründung einer Betriebsstätte ausüben könnte.

18.25 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht. Die Vorschläge des Aktionspunkts 7 wurden aber bereits im DBA China-Chile, das im Mai 2015 unterzeichnet wurde, berücksichtigt. Im Wesentlichen wurden in das DBA die Vorschläge der OECD zur Definition der Vertreterbetriebsstätte und der Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art aufgenommen. China hat sich bereits innerstaatlich mit den Themen der BEPS-Initiative auseinandergesetzt und vertritt eine ähnliche Auffassung wie die OECD. Aus diesem Grund erwartet China, dass durch die Einführung des MLI bestimmte Module – z.B. zu Kommissionären, unabhängigen Vertretern, der Aufteilung von Verträgen sowie der Definition nahestehender Personen – übernommen werden. Im Rahmen der Missbrauchsbekämpfung wurde in China ein nationales Rundschreiben für Zwecke der DBA veröffentlicht, dass eine Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung enthält („Circular 75“).

II. Besteuerung 18.26 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in China eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird. Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns ist es erforderlich, vollständige und korrekte Bücher zu führen und das Funktions- und Risikoprofil der Betriebsstätte zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund, dass die chinesische Finanzverwaltung bisher keine Richtlinie zur Anwendung der Funktionsund Risikoanalyse veröffentlicht hat und Betriebsstätten nicht immer in der Lage sind, ihren Gewinn korrekt zu ermitteln, weil die Buchführung unvollständig oder fehlerhaft ist, werden in China bevorzugt Methoden zur Schätzung des steuerpflichtigen Gewinns angewendet („Deemed Profit Method“). Dabei wird der Gewinn auf Basis der Kosten, Aufwendungen oder Umsätze unter Verwendung geschätzter Gewinnraten bestimmt. Die geschätzten Gewinnraten sind von der Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte abhängig und betragen 15–30 % für Bauprojekte und Beratungsleistungen, 30–50 % für Managementdienstleistungen und mindestens 15 % für andere Aktivitäten und Dienstleistungen. In der Praxis erfolgt die Besteuerung regelmäßig nicht auf Basis der tatsächlichen Buchführung, sondern unter Verwendung der aufgelisteten Schätzverfahren. 18.27 Indirekte Gewinnermittlungsmethode. Bei Dienstleistungsbetriebsstätten ist eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung möglich. Erbringt die Betriebsstätte sowohl in China als auch im Ausland Dienstleistungen, ist sie verpflichtet, die Einkünfte entsprechend der Standorte, an denen Dienstleistungen erbracht wurden, aufzutei566 Wellens/Hillmann

B. China

Rz. 18.31 Kap. 18

len. In China unterliegen nur die inländischen Dienstleistungseinkünfte der Körperschaftsteuer. Die Betriebsstätte muss Nachweise über die Verteilung der Einkünfte erbringen, wenn die chinesische Finanzbehörde Zweifel an der Angemessenheit und den tatsächlichen Gegebenheiten der Aufteilung hat. Die Finanzbehörde hat die Möglichkeit, die Verteilung der Einkünfte anhand des Arbeitsvolumens, der Zeit, der Kosten oder anderer Faktoren neu zu bestimmen. In extremen Fällen, wenn bspw. eine Betriebsstätte keine Nachweise für die Verteilung der Einkünfte erbringen kann, werden die gesamten Dienstleistungen als inländische Einkünfte angenommen und unterliegen der chinesischen Körperschaftsteuer. AOA. Der AOA wird in China nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht 18.28 noch in den DBA implementiert. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in China ergibt sich aus 18.29 der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. In Abhängigkeit vom jeweiligen DBA können zusätzlich Quellensteuern anfallen.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird oft 18.30 einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt zudem häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Es wird in China grundsätzlich empfohlen, Vorgespräche mit der Steuerbehörde zu führen. Zur Nutzung von Vorteilen aus DBA muss ein Steuerpflichtiger eine Selbstbewertung über die Berechtigung der Nutzung dieser Vorteile durchführen und damit zusammenhängende Nachweise der zuständigen Finanzbehörde zukommen lassen. Daher ist es wichtig, zuerst die Position der Finanzbehörde zu verstehen. Zudem ist es wichtig, die Koordination der Steuerzahlungen zu klären. Nicht steueransässige Unternehmen können in manchen Fällen Schwierigkeiten bei der Registrierung in der zuständigen Finanzbehörde haben, weil z.B. die Aufzeichnungen für die Unternehmenseintragung unvollständig sind. In diesen Fällen, in denen praktisch eine Betriebsstätte begründet ist, aber die Registrierung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, kann die chinesische Finanzbehörde aus Vereinfachungsgründen den chinesischen Auftraggeber/Kunden des nicht steueransässigen Unternehmens auffordern, als Abzugsverpflichteter die chinesischen Steuern im Namen des ausländischen Unternehmens zu zahlen. Dies sollte vorher mit dem chinesischen Auftraggeber/Kunden abgestimmt werden. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 18.31 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind:

Wellens/Hillmann 567

Kap. 18 Rz. 18.31 Asiatisch-pazifischer Raum

– Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in China sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

18.32 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Verhandeln und Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 18.33 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in China Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt wie in Rz. 18.26 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). 18.34 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 18.26 ff.). Bankenaufsichtsregelungen sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. 18.35 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 18.26 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt. Rückversicherungen werden als Dienstleistung behandelt, für die die indirekte Methode der Gewinnermittlung anzuwenden ist (s. Rz. 18.26 ff.). 568 Wellens/Hillmann

B. China

Rz. 18.40 Kap. 18

Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 18.26 ff.).

18.36

Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren 18.37 in China besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte abweichen. Das chinesische Recht enthält keine Ausnahmetatbestände für unabhängige Vertreter, Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) ist nach chinesischem Recht entgegen der Auffassung der OECD grundsätzlich möglich. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 18.26 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt zunächst bei der lokalen 18.38 chinesischen Industrie- und Handelskammer. In diesem Zusammenhang sind u.a. ein Ernennungsschreiben des Managers der Betriebsstätte, dessen Lebenslauf und Vollmacht, eine Bescheinigung über die Kreditwürdigkeit sowie ein Antragsschreiben für das Handelsministerium („MOC“) und die Industrie- und Handelskammer („ABIC“) abzugeben. Im Anschluss muss eine Betriebsstätte bei der zuständigen Steuerbehörde registriert werden. Dazu werden u.a. Unterlagen wie Geschäftslizenzen und andere Geschäftsgenehmigungsbescheinigungen, einschlägige Verträge, Satzungen und Vereinbarungen sowie Informationen und Bescheinigungen über den gesetzlichen Vertreter in China benötigt. Die Registrierung dauert in der Regel zwei bis drei Wochen. In der Praxis kann es schwierig sein, die Registrierung bei der Industrieund Handelskammer und Steuerbehörde durchzuführen. In diesen Fällen kann die chinesische Steuerverwaltung die chinesischen Auftraggeber/Kunden des ausländischen Unternehmens verpflichten, die Steuern im Namen des ausländischen Unternehmens zu zahlen (s. Rz. 18.30). Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschafts- 18.39 steuer erstellen. Sie ist fünf Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums einzureichen. Wenn in China Bau- und Montageprojekte oder andere Ingenieurprojekte durchgeführt werden, müssen zudem eine Dokumentation über die Ingenieurtätigkeiten angefertigt sowie Angaben zu ausländischen Mitarbeitern, die an dem Ingenieurprojekt mitarbeiten, getätigt werden. Führen Aktivitäten eines ausländischen Unternehmens in China aufgrund des DBA nicht zur Begründung einer Betriebsstätte, kann es notwendig sein, ein Formular zur vorteilhaften Nutzung von DBA für nicht ansässige Unternehmen auszufüllen und Nachweise, die eine Nichtbegründung der Betriebsstätte belegen, der Finanzverwaltung zukommen zulassen. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte in China ist grundsätzlich verpflich- 18.40 tet, einen Jahresabschluss nach nationalem Recht zu erstellen. Dieser ist zusammen mit der Steuererklärung einzureichen. Eine gesetzliche Vorschrift zur Anfertigung einer zusätzlichen Hilfs- und Nebenrechnung ist nicht gegeben.

Wellens/Hillmann 569

Kap. 18 Rz. 18.41 Asiatisch-pazifischer Raum

18.41 Verrechnungspreisdokumentation. Ferner muss die Betriebsstätte grundsätzlich zusammen mit der Steuererklärung eine Verrechnungspreisdokumentation anfertigen und einreichen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter sowie Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode sowie die Berechnungen anhand dieser Methode aufgeführt werden. 18.42 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn weniger als die tatsächliche Steuer deklariert oder die Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht wird, fällt eine Strafe von 50–500 % auf die nicht bezahlte Steuer an. Zudem sind auf die ausstehenden Steuerzahlungen täglich Zinsen i.H.v. 0,05 % zu zahlen.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 18.43 Tax Rulings. Das Steuerrecht in China enthält keine Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung einzuholen. 18.44 Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in China möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird aber in China eher davon abgeraten, Vorabverständigungsverfahren zu führen, da die chinesische Finanzbehörde in vielen Fällen eine Schätzung des Gewinns der Betriebsstätte für körperschaftsteuerliche Zwecke vornimmt („Deemed Profit Method“). Zudem ist in der Praxis noch kein Fall bekannt, in dem ein Vorabverständigungsverfahren in Bezug auf Betriebsstätten geführt wurde.

C. Japan I. Betriebsstättenbegriff – Definition 18.45 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Japan als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

570 Wellens/Hillmann

C. Japan

Rz. 18.50 Kap. 18

dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Die Definition der Betriebsstätte folgt im Wesentlichen den Vorgaben der OECD in Art. 5 OECD-MA 2014. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 18.46 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Japan die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte wird nach japanischem Recht ebenfalls dann eine Betriebsstätte begründet, wenn eine Person eine wichtige Rolle bei der Akquirierung von Aufträgen oder beim Abschluss von Vertragsverhandlungen innehat. Weiterhin wird eine Betriebsstätte begründet, wenn eine Person einen Bestand an Wirtschaftsgütern im Inland hält (Lager), um bei Bedarf der Kunden des ausländischen Unternehmens diese Wirtschaftsgüter auszuliefern. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 18.47 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und in den DBA. Japan erwartet, dass durch die Einführung des MLI vorerst keine Veränderungen entstehen. Es bleibt abzuwarten, welche Regelungen Japan in nationales Recht implementieren wird. Japan hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Japan eine Be- 18.48 triebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist grundsätzlich nicht möglich. AOA im nationalen Recht. Der AOA wurde 2014 im nationalen Recht kodifiziert und ist effektiv seit April 2016 anzuwenden. Die nationalen Vorschriften zum AOA folgen im Wesentlichen dem Vorschlag der OECD.

18.49

AOA im DBA. Der AOA wird grundsätzlich auch in den DBA von Japan aufgegrif- 18.50 fen. Erstmalig wurde er 2006 in das DBA Japan-Vereinigtes Königreich implementiert. Die Umsetzung des AOA in den DBA folgt ebenfalls dem Vorschlag der OECD.

Wellens/Hillmann 571

Kap. 18 Rz. 18.51 Asiatisch-pazifischer Raum

18.51 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen zum AOA erkennt Japan anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Garantien werden nicht als dealing anerkannt. Der Anteil des Eigenkapitals, der einer Betriebsstätte zugeordnet wird, entspricht ihrem Anteil an den Vermögenswerten im Verhältnis zum übrigen Unternehmen (Kapitalaufteilungsmethode). 18.52 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Japan ergibt sich zum einen aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem sind u.a. Kommunalsteuern und weitere Zuschlagsteuern zu zahlen. Eine Quellensteuer ist ebenfalls u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen, die keine anzunehmende schuldrechtliche Vertragsbeziehung darstellen, zu entrichten. Der Quellensteuersatz hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 18.53 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt grundsätzlich den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Die Steuerbehörde führt oft Interviews mit den lokalen Kunden, um zu identifizieren, inwieweit das ausländische Unternehmen in den Verkaufsaktivitäten mit japanischen Kunden involviert ist. In diesem Zusammenhang ist daher darauf zu achten, dass nicht nur der Vertragsabschluss an sich, sondern auch die wesentlichen operativen Tätigkeiten, die zum Abschluss führen, außerhalb Japans stattfinden, damit keine Betriebsstätte im Inland begründet wird. Es wird daher empfohlen, die lokalen Mitarbeiter auf die Interviews mit den Betriebsprüfern vorzubereiten. 18.54 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Japan,

572 Wellens/Hillmann

C. Japan

Rz. 18.57 Kap. 18

– Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Es ist zu berücksichtigen, dass abhängig von den Umständen eine oder mehrere der aufgelisteten Tätigkeiten in Zusammenhang mit anderen Tätigkeiten als Nachweis für die Begründung einer Betriebsstätte genutzt werden können. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 18.55 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 18.56 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Japan Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Nach nationalem Recht führt auch die Erbringung von Dienstleistungen für die Leitung und Überwachung von Bau- und Montagetätigkeiten zur Begründung einer Betriebsstätte. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Es ist grundsätzlich möglich, zwischen den beiden Methoden zu wählen, wenngleich für Bauund Montageverträge, die eine Vertragsdauer über ein Jahr und ein Vertragsvolumen von 1 Mrd. japanischer Yen zum Gegenstand haben, nur eine Teilgewinnrealisierung abhängig vom Grad der Fertigstellung anzuwenden ist. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet 18.57 sich nach den Vorgaben des AOA. Bankenaufsichtsregelungen sind bei der Bestimmung der Kapitalausstattung der Betriebsstätte zu berücksichtigen. Geschäftstätig-

Wellens/Hillmann 573

Kap. 18 Rz. 18.57 Asiatisch-pazifischer Raum

keiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

18.58 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn einer Versicherungsbetriebsstätte wird nach den Vorgaben des AOA ermittelt. Versicherungsaufsichtsregeln zur Kapitalausstattung sind bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden im Allgemeinen als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden jedoch nicht als dealing erfasst. 18.59 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 18.60 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Japan besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte abweichen. Eine Vertreterbetriebsstätte wird nach nationalem Recht bereits begründet, wenn eine Person eine bedeutende Rolle bei der Akquirierung von Aufträgen oder beim Abschluss von Vertragsverhandlungen innehat. Weiterhin wird eine Vertreterbetriebsstätte begründet, wenn eine Person einen Bestand an Wirtschaftsgütern im Inland hält, um bei Bedarf der Kunden des ausländischen Prinzipals diese Wirtschaftsgüter auszuliefern. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach japanischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt vielmehr nach den Grundsätzen des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung 18.61 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt nur bei der nationalen Steuerbehörde. In diesem Zusammenhang sind u.a. Angaben zur Adresse, dem Gründungsdatum sowie den Geschäftsaktivitäten zu machen. Es sind grundsätzlich dieselben Dokumente einzureichen wie bei der Begründung einer rechtlich selbständigen Tochtergesellschaft. Da eine Betriebsstätte in Japan ein steuerliches Konzept darstellt, ist keine weitere Registrierung notwendig. 18.62 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer erstellen. Sie muss zwei Monate nach Ende des Veranlagungsjahres abgegeben werden. Der Steuerpflichtige hat die Möglichkeit, einen Antrag für eine Verlängerung der Abgabefrist der Steuererklärung oder auf einen „Blue Form Status“ zu stellen. Durch das „Blue Form“-Steuererklärungssystem wird eine bessere, einheitlichere und systematischere Berichterstattung von steuerpflichtigen Unternehmen beabsichtigt. Für die Umsetzung dieser Berichtspflichten werden 574 Wellens/Hillmann

C. Japan

Rz. 18.67 Kap. 18

den Steuerpflichtigen steuerliche Vorteile und eine bevorzugte steuerliche Behandlung angeboten. Unterliegt eine Zahlung der Quellensteuer, muss die Betriebsstätte die Quellensteuerzahlung bis zum zehnten Tag des Folgemonats der quellensteuerpflichtigen Zahlung leisten. Die Steuerzahlung sollte zusammen mit einer Erklärung zur Einkommensteuer („Statement of Collected Income Tax“) eingereicht werden. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 18.63 nach den nationalen Vorschriften mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 18.64 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Japan hat die OECD-Dokumentationsvorschläge zum Master- und Local-File sowie zum Country-by-Country Reporting bereits in nationales Recht implementiert. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und 18.65 Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht, erfolgt eine Strafe i.H.v. 15 % der Steuerschuld. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächlich zu zahlenden Steuern oder reicht der Steuerpflichtige keine Steuererklärung ein, wird auf die nicht gezahlte Steuer eine Strafzahlung i.H.v. 15 % erhoben. Zudem sind auf die ausstehenden Steuerzahlungen jährlich Zinsen i.H.v. 2,1 % zu zahlen.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht in Japan enthält keine Möglichkeit, eine verbindliche 18.66 Auskunft (Tax Ruling) in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung einzuholen. Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in Japan möglich, Vorabver- 18.67 ständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird in Japan dazu geraten, Vorabverständigungsverfahren zu führen, da sie eine geeignete Möglichkeit sind, Steuerrisiken großer dealings zu reduzieren. Wellens/Hillmann 575

Kap. 18 Rz. 18.68 Asiatisch-pazifischer Raum

D. Südkorea I. Betriebsstättenbegriff – Definition 18.68 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Südkorea als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Die Definition der Betriebsstätte nach nationalem Recht weicht von der Betriebsstättendefinition der OECD ab. Der Betriebsstättenbegriff nach südkoreanischem Recht umfasst auch Dienstleistungsbetriebsstätten und weist einige Unterschiede im Hinblick auf die Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art auf. Die Nutzung von Einrichtungen für die Lieferung von Waren stellt z.B. keine Hilfstätigkeit oder Tätigkeit vorbereitender Art dar und führt grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung. Zudem begründet die kombinierte Ausübung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art eine Betriebsstätte. 18.69 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Südkorea die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte, wird nach südkoreanischem Recht keine besondere Unterscheidung zwischen einem abhängigen und unabhängigen Vertreter vorgenommen. Zudem ist die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art grundsätzlich kein Ausnahmetatbestand für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte. 18.70 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Südkorea erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA mit Südkorea geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. In Südkorea wurde bekannt gegeben, dass nur die Art. 6 und 7 MLI zur Vermeidung des Abkommensmissbrauchs sowie die Art. 16 und 17 MLI zur Verbesserung der Streitbeilegungsverfahren übernommen werden. Im Rahmen der Missbrauchsbekämpfung hat Südkorea bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

576 Wellens/Hillmann

D. Südkorea

Rz. 18.75 Kap. 18

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Im Rahmen der Gewinnermittlung einer Betriebsstätte existie- 18.71 ren keine speziellen nationalen Vorschriften. Nach den allgemeinen Grundsätzen des südkoreanischen Steuerrechts sind die Gewinne einer Betriebsstätte nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu ermitteln. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Südkorea eine Betriebsstätte, wird grundsätzlich das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Die Finanzverwaltung richtet sich grundsätzlich nach den Vorgaben der OECD. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird in Südkorea angewendet, wenngleich er nicht im nationalen 18.72 Recht explizit kodifiziert ist. Zudem wird der AOA grundsätzlich auch in den DBA umgesetzt. Dealings. Im Rahmen der Anwendung des AOA erkennt Südkorea anzunehmende 18.73 schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Für die Eigenkapitalausstattung einer Betriebsstätte liegen keine Regelungen nach südkoreanischem Recht vor. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Südkorea ergibt sich 18.74 zum einen aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer mit einem progressiven Steuersatz. Zusätzlich ist eine kommunale Einkommensteuer auf die körperschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage zu zahlen. Abhängig vom DBA kann auch eine Niederlassungssteuer anfallen. Die Bemessungsgrundlage für die Niederlassungssteuer ist der zu versteuernde Gewinn der Betriebsstätte abzgl. der zu zahlenden Körperschaftsteuer korrigiert um die Veränderung der Kapitalausstattung der Betriebsstätte sowie weiterer Modifikationen. Zudem ist eine Quellensteuer u.a. für Lizenzzahlungen zu entrichten. Der Quellensteuersatz hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird sehr 18.75 häufig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwenWellens/Hillmann 577

Kap. 18 Rz. 18.75 Asiatisch-pazifischer Raum

denden DBA. Es ist für den Steuerpflichtigen empfehlenswert, potentielle Probleme in Bezug auf Betriebsstätten frühzeitig zu identifizieren, um die Risiken in einer Betriebsprüfung zu reduzieren. Die Betriebsprüfer führen auch Interviews mit dem Personal im Rahmen der Betriebsprüfung durch.

18.76 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Südkorea sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

18.77 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten.

578 Wellens/Hillmann

D. Südkorea

Rz. 18.83 Kap. 18

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte 18.78 ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Südkorea Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Nach nationalem Recht wird eine Bau- und Montagebetriebsstätte bereits begründet, wenn die Tätigkeit mehr als sechs Monate andauert. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich 18.79 nach den Vorgaben des AOA. Bankenaufsichtsregeln sind bei der Bestimmung der Kapitalausstattung zu berücksichtigen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn einer Versicherungsbetriebsstätte wird 18.80 nach den Vorgaben des AOA ermittelt. Versicherungsaufsichtsregeln zur Kapitalausstattung einer Betriebsstätte sind bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden ebenfalls als dealing erfasst. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

18.81

Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 18.82 ren in Südkorea besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte abweichen. Die Vertreterbetriebsstätte ist nach nationalem Recht grundsätzlich weiter gefasst als nach der Definition in Art. 5 OECD-MA 2017. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach südkoreanischem Recht in Anlehnung an die OECD grundsätzlich abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt vielmehr nach den Grundsätzen des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die rechtliche Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt beim südko- 18.83 reanischen Gericht, während die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke bei der natioWellens/Hillmann 579

Kap. 18 Rz. 18.83 Asiatisch-pazifischer Raum

nalen Steuerbehörde registriert werden muss. Zudem muss eine Bankanmeldung durchgeführt werden. Weiterhin bestehen verschiedene Meldepflichten in Zusammenhang mit Devisenbestimmungen. Die Registrierung dauert in der Regel vier Wochen.

18.84 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Quellensteuer erstellen. Sie muss drei Monate nach Ende des Veranlagungsjahres abgegeben werden. 18.85 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach den nationalen Vorschriften mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. 18.86 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nur für große Unternehmen vorgeschrieben, die abhängig von der Größe ein Master-, Local-File und Country-by-Country Reporting basierend auf den Vorschlägen der OECD erstellen und innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Veranlagungszeitraums einreichen müssen. Die übrigen Unternehmen haben die Verrechnungspreisdokumentation grundsätzlich auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. 18.87 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht oder deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächlich zuzahlenden Steuern, erfolgt eine Zinsstrafe i.H.v. 10,95 % pro Jahr bezogen auf die Tage der ausstehenden Steuerzahlung. Reicht der Steuerpflichtige keine Steuererklärung ein, fallen als Strafe der maximale Wert aus 20 % des körperschaftsteuerlichen Einkommens und 0,07 % der Umsätze an.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 18.88 Tax Rulings. Das Steuerrecht Südkoreas enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde gibt regelmäßig Auskünfte in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte, während Auskünfte in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte seltener gegeben werden. Grundsätzlich wird in Südkorea dazu geraten, eine verbindliche Auskunft einzuholen, um Sicherheit über die Interpretation steuerlicher Regelungen zu erhalten.

580 Wellens/Hillmann

D. Südkorea

Rz. 18.89 Kap. 18

Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Südkorea möglich, Vorabverständi- 18.89 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bilateral geführt werden. Grundsätzlich wird in Südkorea dazu geraten, Vorabverständigungsverfahren zu führen, um potentielle Verrechnungspreisrisiken zu verringern.

Wellens/Hillmann 581

Kapitel 19 Europa A. Belgien

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.74

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.1

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.4

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.77 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.82

19.8

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.11 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.16 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.21 B. Finnland I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.23 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.26 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.30 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.33 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.36 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.41 C. Frankreich I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.43 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.47 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.52 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.55 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.60 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.65 D. Italien I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.67 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.70

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.87 E. Niederlande I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.89 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.92 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.97 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.100 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.105 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.110 F. Polen I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.112 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.115 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.119 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.122 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.127 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.132 G. Russland I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.134 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.137 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.142 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.145

Wellens/Hillmann 583

Kap. 19 Rz. 19.1 Europa V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.150 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.155 H. Spanien I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.157 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.160 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.165 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.168 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.173 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.178 I. Schweden I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.180 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.183 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.187 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.190 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.195

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.200 J. Schweiz I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.202 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.205 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.209 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.212 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.217 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.222 K. Tschechische Republik I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.224 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.227 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.231 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 19.234 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 19.239 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.244

A. Belgien I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.1 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Belgien als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Als Betriebsstätte sind u.a. Büros, Produktionsstätten, Werkstätten, Minen, Steinbrüche sowie andere Stätten zur Gewinnung natürlicher Ressourcen anzusehen. Entgegen der Definition der OECD sind im nationalen Recht Belgiens keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände aufgelistet. Eine Ausübung dieser Tätigkeiten führt nach den nationalen Vorschriften grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung. Zudem umfassen die nationalen Regelungen auch Dienstleistungsbetriebsstätten. Erbringt ein ausländisches Unternehmen Dienstleistungen in Zusammenhang mit einem oder 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

584 Wellens/Hillmann

A. Belgien

Rz. 19.4 Kap. 19

mehreren Aufträgen für einen Zeitraum von mehr als 30 Tagen innerhalb von zwölf Monaten durch eine oder mehrere Personen in Belgien, wird für diese Aktivitäten eine belgische Dienstleistungsbetriebsstätte begründet. Zur Vermeidung von Missbrauch in Bezug auf den Zeitraum zur Begründung einer Dienstleistungsbetriebsstätte enthält das nationale Recht eine Anti-Missbrauchsregelung. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 19.2 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD wird in Belgien eine Vertreterbetriebsstätte auch dann begründet, wenn der ständige Vertreter in Belgien keine Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durchführt. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt, der mit Kunden im eigenen Namen und auf eigene Rechnung agiert. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.3 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Obwohl die belgische Finanzverwaltung noch keine offizielle Stellungnahme zum BEPS-Aktionspunkt 7 und dem Multilateralen Instrument (MLI) abgegeben hat, versuchen die belgischen Steuerbehörden bereits, die Regelungen des BEPS-Aktionspunkts 7 in der Praxis anzuwenden. Es wird erwartet, dass bezogen auf das MLI die Regelungen zur Fragmentierung von Verträgen und Aktivitäten sowie zu den Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art (Art. 13, Option B MLI) von den belgischen Steuerbehörden aufgenommen werden, während eine Umsetzung der Regelungen zu den Kommissionärsstrukturen noch unklar ist. Im Zusammenhang mit der Missbrauchsbekämpfung hat Belgien bisher keine allgemeine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Belgien eine Be- 19.4 triebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird. In Belgien existieren keine spezifischen Vorschriften für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu Betriebsstätten. Die Finanzverwaltung akzeptiert generell die Zuteilung der Wirtschaftsgüter basierend auf der Buchführung der Betriebsstätte, solange diese Aufzeichnungen den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Entsprechen die Aufzeichnungen hingegen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, wird der Gewinn der Betriebsstätte auf Basis eines Vergleichs mit einem ähnlichen Unternehmen oder pauschal bestimmt. In Anlehnung an Art. 7 Abs. 4 OECD-MA 2008 besteht in einigen belgischen DBA die Möglichkeit, den Gewinn einer Betriebsstätte durch eine indirekte Methode zu bestimmen. Diese Methode wird Wellens/Hillmann 585

Kap. 19 Rz. 19.4 Europa

aber von der belgischen Finanzverwaltung als unzureichend erachtet und sollte möglichst nicht angewendet werden. Die indirekte Methode kann nur verwendet werden, wenn eine Betriebsstätte und das Stammhaus ähnliche Tätigkeiten durchführen und eine direkte Methode nicht anwendbar ist. Zudem kann der Gewinn bei Versicherungsgesellschaften indirekt ermittelt werden. Der anzuwendende Verteilungsschlüssel sollte durch eine verbindliche Auskunft bestätigt werden.

19.5 AOA. Der AOA wird in Belgien praktiziert, auch wenn er nicht im nationalen Recht kodifiziert ist. Die belgische Finanzverwaltung hat Verwaltungsverordnungen erlassen, die eine Umsetzung der OECD-Prinzipien und damit eine implizite Anwendung des AOA fordern. Der AOA ist zudem bereits in einigen DBA enthalten und entspricht im Wesentlichen dem Vorschlag der OECD. 19.6 Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Belgien anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte nur eingeschränkt an. Damit setzt Belgien die Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte nur bedingt um. Bei der Vergütung von Dienstleistungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte ist eine Unterscheidung der Dienstleistungen hinsichtlich ihres Bezugs zum Kerngeschäft der Betriebsstätte zu treffen. Erhält eine belgische Betriebsstätte eine Dienstleistung vom ausländischen Stammhaus, die zum Kerngeschäft der Betriebsstätte zählt, ist der Abzug einer fremdüblichen fiktiven Zahlung an das Stammhaus möglich. Andernfalls wird nur ein Abzug der tatsächlichen Kosten ohne fremdübliche Vergütung akzeptiert. Erbringt die inländische Betriebsstätte hingegen eine Dienstleistung im Rahmen ihres Kerngeschäfts an das Stammhaus, sind die entstandenen Kosten durch einen fremdüblichen Aufschlag zu vergüten. Gehört die Dienstleistung nicht zum Kerngeschäft der Betriebsstätte, wird generell nur eine Vergütung in Höhe der entstandenen Kosten akzeptiert. Im Rahmen von Lizenzgeschäften zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte wird ein Fremdvergleichsentgelt nur bezahlt, wenn eine Übertragung des immateriellen Wirtschaftsguts zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte stattfindet. Wenn eine belgische Betriebsstätte dem Stammhaus ein Recht zur Nutzung des immateriellen Wirtschaftsguts zur Verfügung stellt, werden die fiktiven Lizenzzahlungen nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage der Betriebsstätte einbezogen, da keine Übertragung des belgischen immateriellen Wirtschaftsguts erfolgte. Dementsprechend wird auch keine Lizenzzahlung einer Betriebsstätte an ihr Stammhaus für steuerliche Zwecke anerkannt, wenn die Betriebsstätte von ihrem Stammhaus ein Nutzungsrecht für das immaterielle Wirtschaftsgut erlangt. Finanzgeschäfte zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte werden mit Ausnahme von Finanzinstituten nicht steuerlich berücksichtigt. Das Stammhaus kann hingegen der Betriebsstätte den Teil der Zinsen zuordnen, der z.B. aus Darlehen anfällt, die für Tätigkeiten der Betriebsstätte aufgenommen wurden. Garantien sowie die zeitliche Überlassung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte werden nicht steuerlich berücksichtigt. Im Zusammenhang mit der Übertragung von Wirtschaftsgütern von der Betriebsstätte auf das Stammhaus wird der Unterschiedsbetrag zwischen dem Markt- und Buchwert in die steuerliche Bemessungsgrundlage der Betriebsstätte einbezogen. Überträgt das Stammhaus ein Wirtschaftsgut auf die Betriebsstätte, aktiviert die Betriebsstätte das Wirtschaftsgut zum Marktwert. Das Ei586 Wellens/Hillmann

A. Belgien

Rz. 19.10 Kap. 19

genkapital, das einer Betriebsstätte vom Stammhaus zugeordnet wird, sollte ausreichen, um die Aktivitäten sowie die Wirtschaftsgüter und Risiken der Betriebsstätte zu finanzieren. Da Belgien im Allgemeinen dem Bericht der OECD zur Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten aus dem Jahr 2010 folgt, sind die von der OECD vorgeschlagenen Kapitalzuordnungsmethoden grundsätzlich anwendbar. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Belgien ergibt sich aus 19.7 der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem sind in Abhängigkeit vom anzuwendenden DBA Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird häu- 19.8 fig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Zur Vermeidung möglicher Diskussionen mit der Finanzverwaltung wird es den Steuerpflichtigen in Belgien empfohlen, vor der Betriebsprüfung direkt Kontakt mit den Steuerbehörden aufzunehmen, um möglicherweise auch ohne Nennung der eigenen Namen ihren jeweiligen Fall zu besprechen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.9 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Belgien, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der belgische Betriebsstättenbegriff weiter gefasst ist als die Definition der Betriebsstätte in den DBA. Deshalb ist es zu empfehlen, die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten unter Einbezug des jeweiligen DBA zu überprüfen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.10 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung insbesondere im Hinblick auf die Maßnahmen des BEPS-Aktionspunkts 7 führen können, sind: Wellens/Hillmann 587

Kap. 19 Rz. 19.10 Europa

– Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten unter Einbezug des anzuwendenden DBA zu überprüfen sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Belgien Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das belgische Recht sieht vor, dass eine Bauund Montagebetriebsstätte bereits begründet wird, wenn die Tätigkeit zusammenhängend mehr als 30 Tage andauert. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung nur eingeschränkt anerkannt (s. Rz. 19.4 ff.).

588 Wellens/Hillmann

A. Belgien

Rz. 19.16 Kap. 19

Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich 19.12 nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Belgien verlangt in diesem Zusammenhang Mindestkapitalanforderungen für eine Bankenbetriebsstätte. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung eingeschränkt anerkannt (s. Rz. 19.4 ff.). Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von 19.13 Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Belgien verlangt ebenfalls bei Versicherungsbetriebsstätten eine Mindestkapitalanforderung. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung eingeschränkt anerkannt (s. Rz. 19.4 ff.). Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 19.14 richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung eingeschränkt anerkannt (s. Rz. 19.4 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 19.15 ren in Belgien besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Nach dem belgischen Gesetz wird eine Vertreterbetriebsstätte auch dann begründet, wenn der ständige Vertreter keine Vollmacht hat, im Namen des ausländischen Unternehmens Verträge abzuschließen. Das Gesetz enthält zudem keine Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art sowie Vorschriften über eine Nachhaltigkeit der Tätigkeit oder Präsenz eines Vertreters. Der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte wird durch die Anwendung des AOA ermittelt. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach belgischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung eingeschränkt anerkannt (s. Rz. 19.4 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Gründung einer Zweigniederlassung in Belgien erfordert eine 19.16 Registrierung in der belgischen Unternehmensdatenbank („KBO“) sowie eine Beantragung der Umsatzsteueridentifikationsnummer. Im Rahmen der Registrierung sind u.a. beglaubigte Dokumente wie ein unterschriebener Beschluss der Geschäftsführung des Stammhauses über die Absicht, in Belgien eine Zweigniederlassung zu gründen, eine Kopie des Gesellschaftsvertrags und Handelsregisterauszugs des Stammhauses, eine Kopie des letzten geprüften Jahresabschlusses oder gegebenenfalls konsolidierten Konzernabschlusses des Stammhauses sowie persönliche Angaben zum gesetzlichen Vertreter, der für die Zweigniederlassung ernannt wird, beim örtlichen Handelsgericht einzureichen. Zudem sollte ein belgisches Bankkonto auf den Wellens/Hillmann 589

Kap. 19 Rz. 19.16 Europa

Namen der belgischen Niederlassung eröffnet werden. Der Registrierungsprozess dauert in der Regel vier Wochen. Eine Betriebsstätte, die nicht als Zweigniederlassung registriert wird, muss nur bei der belgischen Unternehmensdatenbank („KBO“) eingetragen werden. Durch diese Eintragung wird automatisch die Sozialversicherungsund Umsatzsteueranmeldung vollzogen. Im Vergleich zur rechtlichen Registrierung einer Zweigniederlassung fällt im Rahmen der Anmeldung einer Betriebsstätte ein geringerer Verwaltungsaufwand an.

19.17 Steuererklärung. Das ausländische Stammhaus muss für die Betriebsstätte eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie sollte sechs Monate nach Ende des Veranlagungsjahres eingereicht werden, wenngleich eine Verlängerung bis Ende September möglich ist. Zudem sind Steuervorauszahlungen pro Quartal zu leisten. Wenn die Betriebsstätte auch der Umsatzsteuer unterliegt, ist abhängig von der Höhe des Umsatzes eine monatliche oder vierteljährliche Umsatzsteuererklärung zu erstellen. Eine Quellensteuererklärung ist 15 Tage nach der quellensteuerpflichtigen Zahlung anzufertigen. 19.18 Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen eigenständigen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz aufzustellen und der Steuererklärung beizufügen. Eine zusätzliche Anfertigung einer Hilfs- und Nebenrechnung ist nicht erforderlich. Es besteht keine Veröffentlichungspflicht für den Jahresabschluss einer belgischen Betriebsstätte. 19.19 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode sowie die Berechnungen anhand dieser Methode. Zudem müssen auch Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen aufgeführt werden. Belgien hat im Wesentlichen die OECD-Dokumentationsvorschläge zum Master- und Local-File sowie zum Country-by-Country Reporting in nationales Recht implementiert. Während das Local-File grundsätzlich zusammen mit der Steuererklärung einzureichen ist, kann die Frist zur Abgabe des Master-Files und Country-by-Country Reportings bis zu 12 Monate nach Ende des betreffenden Geschäftsjahres betragen. 19.20 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht, unvollständig oder gar nicht eingereicht, kann die belgische Steuerbehörde eine Reihe von Strafzahlungen verhängen, die alternativ oder kumulativ anfallen können. Die Steuerbehörden haben u.a. die Möglichkeit, die Bemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen selber festzulegen. Außerdem können Verwaltungsstrafen i.H.v. 50–1.250 Euro für jeden Verstoß gegen das Gesetz anfallen. Ferner sind Aufschläge auf die zu zahlende Körperschaftsteuer i.H.v. 10–200 % möglich. Zudem ist monatlich eine Zinsstrafe i.H.v. 2–7 % auf ausstehende Steuerzahlungen zu leisten. 590 Wellens/Hillmann

B. Finnland

Rz. 19.25 Kap. 19

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht Belgiens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 19.21 Auskunft (Tax Ruling) einzufordern. Die Finanzbehörde erlässt häufig ein Ruling in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Es wird in Belgien empfohlen, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf Betriebsstätten einzuholen, um Rechtssicherheit hinsichtlich des Betriebsstättenstatus und der Fremdüblichkeit der Gewinnzuordnung bei einer Betriebsstätte zu erhalten. Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Belgien möglich, Vorabverständi- 19.22 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu treffen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. In Belgien wird zu einem Vorabverständigungsverfahren geraten, um z.B. die Methode zur Vergütung der dealings sowie die korrekte Anwendung des AOA festzulegen.

B. Finnland I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Finnland als eine feste Ge- 19.23 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 19.24 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Finnland die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.25 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Finnland erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige seiner DBA geändert werden. Dennoch hat Finnland einen Vorbehalt gegen die Betriebsstättendefinition im MLI eingelegt. Es hält sich die Möglichkeit offen, seine DBA durch bilaterale Verhandlungen zu ändern. 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 591

Kap. 19 Rz. 19.25 Europa

Finnland hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 19.26 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Finnland eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 19.27 AOA. Der AOA wird in Finnland praktiziert, wenngleich er nicht im nationalen Recht kodifiziert ist. Die finnische Finanzverwaltung hat im Jahr 2017 ein Anwendungsschreiben zur Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten veröffentlicht, das Bezug auf die Berichte der OECD und die Anwendung des AOA nimmt. Zudem wird für die Umsetzung des AOA auf ein Urteil des obersten Verwaltungsgerichts verwiesen, das die Anwendung des AOA in Finnland bestätigt hat. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Anleitungen zur Umsetzung des AOA sehr komplex sind und viele Detailregelungen enthalten. Der AOA ist ebenfalls in den DBA implementiert, die den Art. 7 OECD-MA aus dem Jahr 2010 enthalten. 19.28 Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Finnland anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Für die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte können die von der OECD vorgeschlagenen Methoden verwendet werden. 19.29 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Finnland ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Dienstleistungen, Zins- und Lizenzzahlungen zu zahlen. Der Quellensteuersatz hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 19.30 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andau592 Wellens/Hillmann

B. Finnland

Rz. 19.32 Kap. 19

ert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt regelmäßig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Die finnische Finanzverwaltung legt einen besonderen Fokus auf Zinsaufwendungen, die sowohl bei der Betriebsstätte als auch dem Stammhaus berücksichtigt werden könnten. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.31 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Finnland sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die aufgezählten Tätigkeiten eine Betriebsstätte begründen können, wenn sie die Haupttätigkeit des ausländischen Unternehmens sind. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.32 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Wellens/Hillmann 593

Kap. 19 Rz. 19.32 Europa

Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle aufgelisteten Tätigkeiten eine Betriebsstätte begründen können, solange sie durch eine feste Geschäftseinrichtung oder einen ständigen Vertreter ausgeübt werden und keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art darstellen.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.33 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Finnland Besonderheiten, die aber in Einklang mit der Definition der OECD sind. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.34 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Finnland besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich in Einklang mit der Definition der OECD stehen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) ist nach finnischem Recht entgegen der Auffassung der OECD anwendbar. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den Grundsätzen des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.35 Andere Betriebsstätten-Sondertatbestände. Die Gewinnermittlung bei anderen Betriebsstätten-Sondertatbeständen, wie z.B. Banken-, Versicherungs- und Explorationsbetriebsstätten, richtet sich grundsätzlich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens sind in diesem Zusammenhang als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anzuerkennen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Anleitungen zur Umsetzung des AOA aus der finnischen Rechtsprechung und von der finnischen Finanzbehörde sehr komplex sind und viele Detailregelungen enthalten, die im Einzelnen berücksichtigt werden müssen.

V. Steuerverwaltung 19.36 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt zunächst beim finnischen Handelsregister. Dazu muss das ausländische Stammhaus eine Gründungsmitteilung für ihre Betriebsstätte beim Handelsregister vorlegen. Hat das ausländische Unternehmen seinen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums, wird eine Genehmigung des finnischen Patent- und Registrierungsamtes zur Registrierung einer Betriebsstätte benötigt. Im Zusammenhang mit der Gründungsmitteilung sind u.a. folgende Informationen und Dokumente beglaubigt und auf Finnisch vorzulegen: Name der Betriebsstätte, der den Firmennamen des ausländischen Unternehmens enthalten muss, Adresse der Betriebsstätte, Geschäftszweig und Tätigkeiten der 594 Wellens/Hillmann

B. Finnland

Rz. 19.40 Kap. 19

Betriebsstätte, Name und Rechtsform des ausländischen Stammhauses, Handelsregisterauszug des ausländischen Stammhauses, Gründungsurkunde sowie Gesellschaftsvertrag des ausländischen Stammhauses und Angaben zu den Vertretern in Finnland und deren Vollmachten. Im Anschluss muss die Betriebsstätte bei der Steuerbehörde registriert werden. In diesem Zusammenhang erfolgt auch die Registrierung für die Umsatzsteuer und Arbeitnehmer, wenn Löhne und Gehälter an die Mitarbeiter auszuzahlen sind. Der gesamte Registrierungsprozess dauert in der Regel vier Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaft- 19.37 steuer erstellen, unabhängig davon, ob der Betriebsstätte Einkommen zugerechnet wurde. Sie ist vier Monate nach dem Ende des Veranlagungsjahres einzureichen. Zudem muss eine Betriebsstätte Steuererklärungen für die Umsatzsteuer und Quellensteuer erstellen. Die Steuererklärungen sind anderthalb Monate nach der steuerlichen Periode zu erstellen, die abhängig von der Höhe der Transaktionen und Größe des Unternehmens einen Monat, ein Quartal oder Jahr umfassen kann. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist nicht verpflichtet, einen Jahres- 19.38 abschluss nach dem nationalen Gesetz zu erstellen. Es ist hingegen ausreichend, wenn sie eine Hilfs- und Nebenrechnung anfertigt. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.39 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen. Sie enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und 19.40 Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn eine Steuererklärung erst auf Nachfrage der Steuerbehörde erstellt wird, ist eine Strafzahlung i.H.v. 800 Euro fällig. Fertigt der Steuerpflichtige keine Steuererklärung an, wird die steuerliche Bemessungsgrundlage geschätzt und mit einem Strafzuschlag von bis zu 30 % versehen. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerlast, kann ebenfalls ein Strafzuschlag von bis zu 30 % auf den Unterschiedsbetrag zwischen tatsächlicher und deklarierter Steuerzahlung anfallen. Zudem ist eine Zinsstrafe i.H.v. 7 % auf die ausstehenden Steuerzahlungen zu leisten.

Wellens/Hillmann 595

Kap. 19 Rz. 19.41 Europa

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.41 Tax Rulings. Das Steuerrecht Finnlands enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde gibt regelmäßig ein Ruling in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte, während eine verbindliche Auskunft in Bezug auf deren Gewinnzuordnung seltener gegeben wird. Es wird generell empfohlen, eine verbindliche Auskunft einzuholen, da die institutionellen Rahmenbedingungen und das Richterrecht in Finnland auf einem hohen Niveau sind. Dennoch erlässt die finnische Finanzverwaltung zunehmend weniger verbindliche Vorbescheide in Zusammenhang mit Verrechnungspreisangelegenheiten, wie z.B. die Festlegung des Zinsniveaus für eine Transaktion. 19.42 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Finnland möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Es wird in Finnland empfohlen, Vorabverständigungsverfahren zu führen, um Unsicherheiten bei Verrechnungspreisangelegenheiten zu reduzieren.

C. Frankreich I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.43 Betriebsstättendefinition. In Frankreich ist keine spezifische Definition einer Betriebsstätte1 im nationalen Recht vorhanden. Die Definition wird vielmehr aus der Rechtsprechung abgeleitet, die sich in ihren Ausführungen zur Betriebsstätte auf die gewöhnliche Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit in Frankreich bezieht. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung ist ein ausländisches Unternehmen in Frankreich steuerpflichtig, wenn es eine Niederlassung in Frankreich besitzt. Entgegen den Vorgaben der OECD sind keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte im nationalen Recht enthalten oder von der Rechtsprechung adressiert. 19.44 Vertreterbetriebsstätte. Auf Basis der Rechtsprechung wird eine Betriebsstätte auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Frankreich die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt. Abweichend von den Vorschriften der OECD existieren nach nationalem Recht keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. Ein Ausführen dieser Tätigkeiten durch einen abhängigen Vertreter führt grundsätzlich zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte. Wird keine Niederlassung im Inland gegründet und ist kein 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

596 Wellens/Hillmann

C. Frankreich

Rz. 19.48 Kap. 19

abhängiger Vertreter in Frankreich für das ausländische Unternehmen tätig, kann das ausländische Stammhaus nach der französischen Rechtsprechung dennoch in Frankreich der Besteuerung unterliegen, wenn es in Geschäftsbeziehungen engagiert ist, die in Frankreich als „vollständiger Zyklus gewerblicher Aktivitäten“ angesehen werden. Ein Beispiel dafür ist der Kauf von Produkten, die im Anschluss verkauft werden. Betriebsstättendefinition in DBA. Nach dem Recht der DBA wird hingegen eine 19.45 Betriebsstätte in Frankreich regelmäßig als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Zudem führen die Tätigkeiten eines abhängigen Vertreters im Inland zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.46 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Frankreich erwartet, dass durch die Einführung des MLI mehrere DBA geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile erfolgen wird. Die französische Regierung betrachtet das nationale System zur Vermeidung von Doppelbesteuerung und doppelter Nichtbesteuerung als effizient, weshalb sie nicht beabsichtigt, die Art. 3, 4 und 5 MLI in Bezug auf hybride Gesellschaften einzuführen. Frankreich hat eine administrative nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung. Wenn die Gründung einer Betriebsstätte absichtlich nicht bekannt gegeben wird, ist dies als Betrug zu bewerten.

II. Besteuerung Direkte Gewinnermittlungsmethode. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in 19.47 Frankreich eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Indirekte Gewinnermittlungsmethode. Nach den Verwaltungsanweisungen kann 19.48 eine indirekte Gewinnermittlung durchgeführt werden, wenn die direkte Methode nicht anwendbar ist. Im Rahmen der indirekten Gewinnermittlung existieren zwei anzuwendende Methoden. Einerseits kann der gesamte Gewinn des ausländischen Unternehmens proportional dem Stammhaus und der Betriebsstätte unter Anwendung eines Aufteilungsschlüssels zugeteilt werden. Der anzuwendende Aufteilungsschlüssel kann z.B. auf Basis der Aufwendungen, Umsätze, Wirtschaftsgüter, des Personalaufwands oder der Menge der verkauften Güter in Frankreich gewählt werden, wenngleich in der Praxis häufig der Umsatz vor allem für die Aufteilung der Kosten des Stammhauses genutzt wird. Andererseits kann eine indirekte Gewinnzuteilung auf Basis von vergleichbaren Unternehmen durchgeführt werden. Dabei wird der GeWellens/Hillmann 597

Kap. 19 Rz. 19.48 Europa

winn anhand des Gewinns, Einkommens oder der Margen, die ein vergleichbares Unternehmen realisiert hat, aufgeteilt.

19.49 AOA. Der AOA wird in Frankreich praktiziert, wenngleich er weder im nationalen Recht kodifiziert, noch in den DBA implementiert ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft im nationalen Recht oder in den DBA eingeführt wird. Wenn im Bereich der Verrechnungspreise keine nationalen Regelungen vorhanden sind, ist auf die OECD-Richtlinien zurückzugreifen. Dies bedeutet, wenn keine spezifische nationale Regelung zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte in Frankreich vorliegt, wird der AOA nach dem Vorschlag der OECD als Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte angewendet. Dabei wird die Betriebsstätte wie ein eigenständiges Unternehmen betrachtet. Die Vergütung erfolgt auf Basis des Fremdvergleichs unter Berücksichtigung der Funktionen, Wirtschaftsgüter und Risiken, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind. 19.50 Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Frankreich anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Ein Urteil des obersten französischen Verwaltungsgerichts bestätigt, dass eine Betriebsstätte als eigenständiges Unternehmen zu betrachten ist und alle Geschäftsbeziehungen dieser Betriebsstätte auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten sind. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Für die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte existiert keine spezifische Regelung, wenngleich bei der Zuordnung der Zinsen ein vorgeschriebenes Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital zu beachten ist, um eine übermäßige Anhäufung von Fremdkapital bei der Betriebsstätte zu vermeiden („Thin Capitalisation Rule“). Diese Beschränkung ist bei Banken und anderen spezifischen Geschäftsbereichen, wie z.B. Cash-Pools und Leasingtätigkeiten, nicht anzuwenden. 19.51 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Frankreich ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zusätzlich müssen Betriebsstätten, deren Stammhaus außerhalb der EU gelegen ist, eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus überwiesen wird, bezahlen. Daneben sind Quellensteuern u.a. für Zinsen und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 19.52 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird oft einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. In der Praxis ist zu beobachten, dass die französische Finanzverwaltung ein Unter598 Wellens/Hillmann

C. Frankreich

Rz. 19.54 Kap. 19

nehmen nochmals prüft, wenn das Unternehmen eine nicht angemeldete Betriebsstätte besitzt. Dabei wird der Betriebsstätte der Gewinn zugeordnet, der sich anhand der Verrechnungspreisregelungen, die auch bei Tochtergesellschaften anzuwenden sind, unter Berücksichtigung der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Risiken ergibt. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.53 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Frankreich sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten unter Einbezug des jeweiligen DBA zu überprüfen sind. Ferner sollte eine Funktions- und Risikoanalyse durchgeführt werden, die der Ermittlung des Betriebsstättenstatus dienen kann. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.54 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher,

Wellens/Hillmann 599

Kap. 19 Rz. 19.54 Europa

– administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede Aktivität auf Basis des anzuwendenden DBA zu prüfen ist. Die Begründung einer Betriebsstätte nach nationalem Recht kann durch die Ausnahmetatbestände eines DBA aufgehoben werden.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.55 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Frankreich Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.56 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich grundsätzlich nach den Vorgaben des AOA, wenngleich abweichend von der Auffassung der OECD die ausländische Bank die Betriebsstätte unbeschränkt durch Eigenoder Fremdkapital finanzieren kann, solange die Vergütung der Geschäftsbeziehungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz erfolgt. Nach der Rechtsprechung sind im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte keine Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.57 Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden ebenfalls als dealing erfasst. 19.58 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.59 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Frankreich Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die ausgeführt werden können, ohne eine Betriebsstätte zu begründen. Der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte wird durch die Anwendung des AOA ermittelt. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird 600 Wellens/Hillmann

C. Frankreich

Rz. 19.63 Kap. 19

nach französischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt beim Zentrum zur Re- 19.60 gistrierung von Unternehmen („Centre de Formalités des Entreprises“) oder direkt im Register des Handelsgerichts („Greffe du Tribunal du Commerce“), um die Eintragung in das Handelsregister zu erwirken. Zudem muss eine Betriebsstätte bei der nationalen Steuerbehörde und Sozialversicherungsbehörde gemeldet werden. Die Aufgabe des Zentrums zur Registrierung von Unternehmen ist die Zusammenstellung aller notwendigen Dokumente und deren Weiterleitung an die relevanten Behörden. Zu den einzureichenden Dokumenten gehören u.a. eine Kopie der übersetzten Satzung sowie ein übersetzter Handelsregisterauszug des Stammhauses, eine beglaubigte Kopie der Entscheidung, eine Betriebsstätte in Frankreich zu gründen, eine Kopie der Ernennung der Manager und des Mietvertrags oder der Eigentumsurkunde des Geschäftssitzes der Betriebsstätte, persönliche Angaben zu den Managern sowie ein ausgefülltes Formular zu den Aktivitäten und dem Beginn der Tätigkeiten der Betriebsstätte („M0-Form“). Der Registrierungsprozess nimmt einige Wochen in Anspruch. Steuererklärung. Das ausländische Unternehmen muss für die Aktivitäten seiner 19.61 Betriebsstätte in Frankreich eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist vier Monate nach Ende des Veranlagungsjahres einzureichen. Zudem ist eine Umsatzsteuererklärung grundsätzlich pro Monat abzugeben. Die Quellensteuererklärung muss bis zum 15. des Monats, der auf das Quartal der Zahlung folgt, angefertigt werden. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist nicht verpflichtet, einen Jahres- 19.62 abschluss nach dem nationalen Gesetz zu erstellen, da sie keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Das ausländische Unternehmen fällt nicht unter die Vorschriften des französischen Handelsrechts und muss aus diesem Grund ebenfalls keinen Jahresabschluss anfertigen und einreichen. Da das ausländische Unternehmen aber eine Steuererklärung für die Betriebsstätte anfertigen muss, ist es in der Praxis üblich, eigenständige Bücher für die Betriebsstätte z.B. unter Verwendung einer Hilfs- und Nebenrechnung zu führen. Diese Aufzeichnungen sollten als Nachweis zur Berechnung der Steuerbelastung zusammen mit der Steuererklärung eingereicht werden. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.63 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung spätestens 30 Tage nach der Anfrage bereitzustellen. Sie enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen inklusive eines Organigramms des Unternehmensaufbaus sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Wellens/Hillmann 601

Kap. 19 Rz. 19.63 Europa

Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden.

19.64 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn eine Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht wird, fällt eine Strafzahlung i.H.v. 10 % auf die zu zahlende Steuer an. Erhält der Steuerpflichtige eine Aufforderung von der Steuerbehörde zur Einreichung der Steuererklärung und kommt er dieser Aufforderung nicht innerhalb von 30 Tagen nach, erhöht sich die Strafzahlung auf 40 %. Die Strafe kann zudem auf 80 % steigen, wenn Betrug festgestellt wird. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als den tatsächlichen Steueraufwand, kann eine Strafe i.H.v. 40 % auf den Unterschiedsbetrag zwischen deklarierter und tatsächlicher Steuer zu zahlen sein. Diese Strafe erhöht sich ebenfalls auf 80 % im Fall von Betrug. Wenn die Verrechnungspreisdokumentation auf Anfrage der Finanzverwaltung nicht oder nur unvollständig eingereicht wird, beträgt die geringste Strafe 10.000 Euro, kann aber auf den höheren Wert aus 0,5 % der Transaktionen mit nahestehenden Personen, für die die Dokumentation nicht vorhanden oder nur unvollständig ist, und 5 % der Verrechnungspreisanpassungen steigen. Zudem ist eine monatliche Zinsstrafe i.H.v. 0,4 % auf ausstehende Steuerzahlungen zu leisten.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.65 Tax Rulings. Das Steuerrecht Frankreichs enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde gibt regelmäßig ein Ruling in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte, wenngleich eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte seltener gegeben wird. Das Verfahren wird in der Praxis jedoch nur selten von Steuerpflichtigen verwendet. 19.66 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Frankreich möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Vorabverständigungsverfahren werden in der Praxis ebenfalls nur wenig genutzt.

602 Wellens/Hillmann

D. Italien

Rz. 19.70 Kap. 19

D. Italien I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Italien als eine feste Ge- 19.67 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Als Betriebsstätte sind auch Minen, Öl- und Gasvorkommen, Steinbrüche sowie andere Stätten zur Gewinnung natürlicher Ressourcen auch in Gebieten außerhalb der italienischen Hoheitsgewässer anzusehen, wenn Italien berechtigt ist, diese Ressourcen abzubauen. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 19.68 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Italien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Davon ausgenommen sind Verträge über den Kauf von Waren im Namen des ausländischen Unternehmens. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt zudem nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Weiterhin wird eine Vertreterbetriebsstätte nicht begründet, wenn das ausländische Unternehmen Aktivitäten im Inland durch einen Schiffsvermittler oder Schiffsmakler ausführt, der die Befugnis über die operative und kaufmännische Leitung der Schiffe des Unternehmens innehat. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.69 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Da die italienische Finanzbehörde der Auffassung der OECD folgt, ist aber zu erwarten, dass die Prinzipien des BEPS-Aktionspunkts 7 in Zukunft angewendet werden. Italien erwartet, dass durch die Einführung des MLI alle DBA mit Italien geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Im Zusammenhang mit der Missbrauchsbekämpfung hat Italien bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Italien eine Be- 19.70 triebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 603

Kap. 19 Rz. 19.70 Europa

Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Für steuerliche Zwecke ist der Betriebsstätte Kapital auf Basis der OECD-Prinzipien zuzuordnen. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich.

19.71 AOA. Der AOA ist seit 2016 in das nationale Steuerrecht von Italien implementiert und folgt in der Ausgestaltung dem Vorschlag der OECD. Der AOA wird grundsätzlich auch in den DBA von Italien aufgegriffen. Erstmalig wurde er im DBA zwischen Italien und Hongkong implementiert. Die Vorschriften zum AOA in den DBA stimmen ebenfalls mit dem Vorschlag der OECD überein. 19.72 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen zum AOA erkennt Italien anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. In Bezug auf die Zuordnung des Kapitals zu einer Betriebsstätte können grundsätzlich alle von der OECD vorgeschlagenen Aufteilungsmethoden angewendet werden, wenngleich die präferierte Methode die Kapitalaufteilungsmethode ist. Dabei entspricht der Anteil des Eigenkapitals, der einer Betriebsstätte zugeordnet wird, ihrem Anteil an den Vermögenswerten im Verhältnis zum übrigen Unternehmen. 19.73 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Italien ergibt aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer (IRES). Zusätzlich fällt eine Regionalsteuer (IRAP) an, deren Höhe abhängig von der Branche und Region variiert. Eine Quellensteuer ist u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 19.74 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird häufig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt generell den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Im Rahmen von Betriebsprüfungen werden häufig Inspektionen, Interviews mit Mandanten und Interviews mit den Mitarbeitern durchgeführt sowie Informationsanfragen gestellt, um Betriebsstättentatbestände zu untersuchen. Ferner stehen Geschäftsumstrukturierungen, Kommissionärsstrukturen sowie die Fragmentierung von Tätigkeiten im Fokus der Finanzverwaltung. Deshalb wird in Italien empfohlen, eine genaue Funktionsanalyse und Analyse der tatsächlichen Umstände für die 604 Wellens/Hillmann

D. Italien

Rz. 19.77 Kap. 19

Betriebsstätte durchzuführen, die eine Übereinstimmung mit den Vorschlägen des BEPS-Aktionspunkts 7 aufzeigt. Darüber hinaus ist es ratsam, ein Vorabverständigungsverfahren in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung zu beantragen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.75 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Italien sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.76 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 19.77 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Italien Besonderheiten, die von den Vorgaben der OECD abweichen. Das italienische Recht sieht vor, dass eine Bauund Montagetätigkeit bereits begründet wird, wenn die Tätigkeit mehr als drei Monate andauert. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenWellens/Hillmann 605

Kap. 19 Rz. 19.77 Europa

übergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

19.78 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.79 Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden ebenfalls als dealing erfasst. 19.80 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.81 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Italien besondere Vorschriften, die von der Definition OECD abweichen. Nach dem italienischen Gesetz wird eine Vertreterbetriebsstätte begründet, wenn ein allgemeiner Kommissionär, Vermittler oder jeder sonstige Zwischenhändler, der nicht unabhängig ist, in Italien die Vollmacht hat, im Namen des ausländischen Unternehmens Verträge abzuschließen, und dies auch für gewöhnlich tut. Davon ausgenommen sind Verträge für den Kauf von Waren im Namen des ausländischen Unternehmens. Weiterhin liegt eine Vertreterbetriebsstätte nicht vor, wenn das ausländische Unternehmen Aktivitäten im Inland durch einen Schiffsvermittler oder Schiffsmakler ausführt, der die Befugnis über die operative und kaufmännische Leitung der Schiffe des Unternehmens innehat. Der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte wird durch die Anwendung des AOA ermittelt, wenngleich die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) im italienischem Recht entgegen der Auffassung der OECD möglich ist. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

606 Wellens/Hillmann

D. Italien

Rz. 19.86 Kap. 19

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der italienischen 19.82 Handelskammer und der italienischen Finanzbehörde. In diesem Zusammenhang sind u.a. Unterlagen wie eine Kopie des Beschlusses der Geschäftsführung des ausländischen Unternehmens über die Betriebsstättengründung in Italien und die Ernennung des Geschäftsführers der Betriebsstätte, eine Kopie des Gesellschaftsvertrags sowie eine Kopie des Handelsregisterauszugs des ausländischen Unternehmens einzureichen. Die Dokumente müssen in italienischer Sprache verfasst und beglaubigt sein. Die Registrierung dauert in der Regel drei Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für direkte und indi- 19.83 rekte Steuern erstellen. Die Steuererklärungen für die Körperschaftsteuer (IRES) und Regionalsteuer (IRAP) sind neun Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums einzureichen. Die Abgabe der Umsatzsteuererklärung erfolgt im April. Für die Veranlagung der Quellensteuern sind zwei Steuererklärungen anzufertigen. Einerseits muss die „Comunicazione Certificazione Unica“ im März und das „Modello 770“ im Juli nach dem Ende des Veranlagungsjahres eingereicht werden. Das ausländische Unternehmen muss keine zusätzliche Steuerklärung abgeben. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 19.84 nach dem nationalen Gesetz aufzustellen. Im Rahmen der Gewinnzuordnung kann die Aufstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung nützlich sein, ist aber nicht zwingend notwendig. Zusätzlich ist der Jahresabschluss des Stammhauses nach den Rechnungslegungsvorschriften des Ansässigkeitsstaats bei der italienischen Handelskammer einzureichen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.85 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung spätestens zehn Tage nach der Anfrage bereitzustellen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen sowie wesentliche Wirtschaftsgüter. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen 19.86 grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht eingereicht, kann eine Strafzahlung zwischen 120 und 240 % der ausstehenden Steuern erfolgen. Wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert, beträgt die Strafzahlung zwischen 90 und 180 % der tatsächlichen höheren Steuer. Die Strafen können durch eine Selbstanzeige reduziert werden. Zahlt der Steuerpflichtige seine Steuern verspätet, werden 30 % der ausstehenden Steuerzahlungen als Strafzahlung

Wellens/Hillmann 607

Kap. 19 Rz. 19.86 Europa

erhoben. Zudem ist eine Zinsstrafe i.H.v. jährlich 3,5 % auf die ausstehenden Steuerzahlungen zu leisten.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.87 Tax Rulings. Das Steuerrecht Italiens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde gibt in der Regel ein Ruling in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Es wird in Italien empfohlen, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Existenz einer Betriebsstätte und die Methoden zur Gewinnzuordnung einzuholen. 19.88 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Italien möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. In Italien wird zu einem Vorabverständigungsverfahren geraten, um z.B. die Methode zur Vergütung der dealings abzustimmen.

E. Niederlande I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.89 Betriebsstättendefinition. Die nationalen Vorschriften der Niederlande enthalten keine Definition einer Betriebsstätte1. Die Definition wird vielmehr aus der Rechtsprechung abgeleitet und ist in einer unilateralen Verordnung über die Vermeidung von Doppelbesteuerung aus dem Jahr 2001 („DTAD“) für Fälle, in denen die Niederlande kein Steuerabkommen mit dem Ansässigkeitsstaat des ausländischen Unternehmens hat, enthalten. Demnach wird eine Betriebsstätte in den Niederlanden als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. 19.90 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in den Niederlanden die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit dem Art. 5 OECD-MA 2014. 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

608 Wellens/Hillmann

E. Niederlande

Rz. 19.95 Kap. 19

BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.91 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Die niederländische Regierung befürwortet aber, dass die neue Betriebsstättendefinition Teil des überarbeiteten OECD-MA 2017 ist, auf dessen Grundlage zukünftige Verhandlungen über DBA zu führen sind. Daneben hat die niederländische Regierung erklärt, dass sie die Absicht hat, im Rahmen des MLI alle bestehenden DBA neu zu verhandeln. In diesem Zusammenhang haben die Niederlande aber einen Vorbehalt gegen Art. 14 MLI zur Aufspaltung von Geschäftstätigkeiten und Verträgen geäußert. In Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung haben die Niederlande bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in den Niederlanden 19.92 eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Durch die Anwendung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte („Functionally Separate Entity Approach“) folgen die Niederlande den Empfehlungen der OECD. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist grundsätzlich nicht möglich. AOA im nationalen Recht. Der AOA ist nicht im nationalen Gesetz kodifiziert, wird 19.93 aber auf Basis eines Dekrets des niederländischen Staatssekretärs zur Gewinnermittlung bei Betriebsstätten angewendet. Das Dekret verweist auf die Empfehlungen der OECD, die zur Anwendung des AOA herangezogen werden sollen. AOA in DBA. Der AOA wird grundsätzlich auch in den DBA der Niederlande auf- 19.94 gegriffen. Zur Auslegung und Anwendung existierender DBA verwenden die niederländischen Steuerbehörden einen dynamischen Ansatz. Im Zeitpunkt der OECDVeröffentlichung zum AOA hat der niederländische Staatssekretär seine Absicht verkündet, den überarbeiteten Art. 7 OECD-MA 2010 in allen zukünftigen Vertragsverhandlungen in Bezug auf DBA zu berücksichtigen. Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennen die Niederlande anzu- 19.95 nehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte nur eingeschränkt an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte sowie gewöhnlicher Warentransfer. Alle dealings sind grundsätzlich nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Werden geringwertige Dienstleistungen oder Dienstleistungen unterstützender Art ausgeführt, ist eine Vergütung ohne Gewinnaufschlag möglich. Lizenzgebühren werden berücksichtigt, wenn wesentliche PerWellens/Hillmann 609

Kap. 19 Rz. 19.95 Europa

sonalfunktionen in Bezug auf die aktiven Entscheidungen über den immateriellen Vermögenswert involviert sind. Garantien, der Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern werden nicht als dealings anerkannt. Das niederländische Dekret sieht vor, dass der Anteil des Eigenkapitals, der einer Betriebsstätte zugeordnet wird, nach der Kapitalaufteilungsmethode zu ermitteln ist, bei der die Eigenkapitalzuordnung anhand der Wirtschaftsgüter und damit verbundenen Risiken im Verhältnis zum übrigen Unternehmen vorgenommen wird. In diesem Zusammenhang wird unterstellt, dass die Betriebsstätte dieselbe Kreditwürdigkeit wie das Stammhaus besitzt. Im Anschluss an die Kapitalzuteilung erfolgt auf Basis des sich ergebenden Fremdkapitals die Zuordnung der Zinsaufwendungen als Anteil des gesamten Zinsaufwands des Unternehmens („Fungibility Method“).

19.96 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in den Niederlanden ergibt aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Eine Quellensteuerpflicht für Zinsoder Lizenzzahlungen besteht generell nicht.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 19.97 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt sehr häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Ihr Fokus liegt regelmäßig auf der Gesamttätigkeit des Unternehmens und der fremdüblichen Vergütung der Transaktionen und dealings. 19.98 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in den Niederlanden, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

19.99 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind:

610 Wellens/Hillmann

E. Niederlande

Rz. 19.101 Kap. 19

– Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind. Die OECD-Leitlinien zur Betriebsstättenbegründung können zur Auslegung der niederländischen Vorschriften herangezogen werden.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 19.100 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in den Niederlanden Besonderheiten, die grundsätzlich in Einklang mit den Vorgaben der OECD sind. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich 19.101 nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der BeWellens/Hillmann 611

Kap. 19 Rz. 19.101 Europa

triebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

19.102 Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Bei der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als dealing anerkannt. Rückversicherungen zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus werden ebenso als anzunehmende schuldrechtliche Vertragsbeziehung erfasst. 19.103 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.104 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in den Niederlanden besondere Vorschriften, die aber von der Definition der OECD nicht abweichen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach niederländischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte wird grundsätzlich durch die Anwendung des AOA ermittelt. Nach dem niederländischen Dekret besteht aber in der Regel keine Notwendigkeit, Gewinne einem abhängigen Vertreter eines ausländischen Unternehmens zuzuordnen, wenn der abhängige Vertreter eine fremdübliche Vergütung für ausgeübte Dienstleistungen im Rahmen seines eigenen Unternehmens erhält. Wenn das ausländische Unternehmen hingegen wesentliche Personalfunktionen durch die eigenen Mitarbeiter in der Vertreterbetriebsstätte ausübt, ist ein Gewinn der Betriebsstätte zuzuordnen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung 19.105 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt beim niederländischen Handelsregister („Kamer van Koophandel“). Dadurch wird die Betriebsstätte automatisch bei der Finanzbehörde für die Körperschaftsteuer, Lohnsteuer und Umsatzsteuer angemeldet („Belastingdienst“). Im Rahmen der Registrierung müssen u.a. ein Nachweis über die Registrierung des ausländischen Unternehmens im Sitzstaat, eine Kopie der Gründungsurkunde und des Gesellschaftsvertrags sowie eine Betätigung der Amtsinhaberschaft mit einer Übersicht der bestellten Geschäftsführer des ausländischen Unternehmens eingereicht werden. 19.106 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist fünf Monate nach Ende des Geschäftsjahres einzureichen. Abhängig von der Geschäftstätigkeit kann zusätzlich noch eine Umsatzsteuererklärung oder Erklärung über den Lohnsteuereinbehalt anzufertigen sein. Die Abgabe 612 Wellens/Hillmann

E. Niederlande

Rz. 19.110 Kap. 19

der Umsatzsteuererklärung erfolgt entweder Ende des Monats, der auf das Quartal oder den Monat der Veranlagung folgt, oder Ende März bei einer jährlichen Veranlagung. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist grundsätzlich nicht verpflichtet, 19.107 einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz aufzustellen. Es ist in der Regel ausreichend, wenn eine Kopie des Jahresabschlusses des Stammhauses eingereicht wird. Für Zwecke der Gewinnzuordnung ist es jedoch notwendig, eine Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.108 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen und sollte deshalb zeitgleich mit der Steuererklärung angefertigt werden. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen füh- 19.109 ren grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht angefertigt, kann eine Strafzahlung von 5.278 Euro bis zu 100 % der nicht deklarierten Steuerzahlung anfallen. Zusätzlich können strafrechtliche Konsequenzen wie weitere Strafzahlungen oder eine Inhaftierung verhängt werden. Wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert, beträgt die Strafzahlung von 5.278 Euro bis zu 100 % des Unterschiedsbetrags zwischen tatsächlicher und deklarierter Steuerzahlung. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht, fällt eine Strafzahlung von 2.639 Euro an, die bei wiederholt verspäteter Einreichung auf 5.270 Euro erhöht werden kann. Auf verspätete Steuerzahlungen wird eine Zinsstrafe erhoben. Der Zinssatz wird jährlich von der Finanzbehörde festgelegt und beträgt 8 %.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht der Niederlande enthält die Möglichkeit, eine verbind- 19.110 liche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erteilt in der Regel ein Ruling in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte, wenngleich häufiger eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten erteilt wird. Es wird grundsätzlich in den Niederlanden empfohlen, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Existenz und Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte einzuholen. Wellens/Hillmann 613

Kap. 19 Rz. 19.111 Europa

19.111 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in den Niederlanden möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. In den Niederlanden wird zu einem Vorabverständigungsverfahren geraten, um den Umfang der Gewinne, die einer Betriebsstätte zuzuordnen sind, festzulegen.

F. Polen I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.112 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Polen als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Im nationalen Recht Polens sind entgegen der Vorgaben der OECD keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art verankert. Die Ausführung dieser Tätigkeiten im Inland kann nach nationalem Recht eine Betriebsstätte begründen. 19.113 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Polen die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD enthalten die nationalen Regelungen in Polen keine Vorschriften zum unabhängigen Vertreter sowie zu Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die der Vertreter ohne Begründung einer Betriebsstätte ausüben könnte. 19.114 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Polen wird keine nationalen Änderungen im Rahmen der BEPS-Initiative durchführen, sondern wartet auf das MLI, um die Änderungen in die DBA zu implementieren. Das polnische Finanzministerium will die Vorgaben des MLI so weit wie möglich in den DBA umsetzen. Polen hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 19.115 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Polen eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenstän1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

614 Wellens/Hillmann

F. Polen

Rz. 19.120 Kap. 19

dige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Eine indirekte Methode zur Ermittlung der Gewinne einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird von der polnischen Finanzverwaltung praktiziert, ist aber nicht im nationalen Gesetz kodifiziert und nur in wenigen DBA implementiert.

19.116

Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Polen anzunehmende 19.117 schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Für die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte können die von der OECD vorgeschlagenen Methoden verwendet werden. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Polen ergibt sich aus 19.118 der Körperschaftsteuer. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen sowie bestimmte Dienstleistungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird selten 19.119 einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt selten den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Die polnischen Finanzbehörden verzichten auf Geldstrafen oder andere Strafmaße für die fehlende Registrierung einer Betriebsstätte, wenn die verantwortliche Person für die Anmeldung der Betriebsstätte die Finanzbehörde über die fehlende Registrierung informiert. Aus diesem Grund ist es grundsätzlich empfehlenswert, den Kontakt zur Finanzverwaltung zu suchen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.120 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele dafür sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen,

Wellens/Hillmann 615

Kap. 19 Rz. 19.120 Europa

– Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Polen, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen, – Teilnahme an Ausstellungen und Messen, – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist auf die jeweilige Ausgestaltung des anzuwendenden DBA zu achten. Zudem sollten die Entwicklungen zum MLI beobachtet werden. Es ist möglich, dass durch die Einführung des MLI die Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art neu definiert werden.

19.121 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Engagement in Werbetätigkeiten sowie – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Ausgestaltung des anzuwendenden DBA zu berücksichtigen.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.122 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften Polens Besonderheiten, die grundsätzlich in Einklang mit der Definition der OECD sind. Die Ermittlung des Gewinns er616 Wellens/Hillmann

F. Polen

Rz. 19.127 Kap. 19

folgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich 19.123 nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von 19.124 Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Bei der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als dealing anerkannt. Rückversicherungen zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus werden ebenso als anzunehmende schuldrechtliche Vertragsbeziehung erfasst. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 19.125 richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 19.126 ren in Polen besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Die Definition der Betriebsstätte nach dem nationalen Recht in Polen umfasst weder den unabhängigen Vertreter noch Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte. Der Gewinn einer Vertreterbetriebsstätte wird grundsätzlich nach dem AOA ermittelt, wenngleich die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) entgegen der Auffassung der OECD möglich ist. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Steu- 19.127 erbehörde („Urzad Skarbowy“), um die Steueridentifikationsnummer zu erhalten. Dazu muss ein Anmeldeformular ausgefüllt werden. Die Registrierung dauert in der Regel eine Woche. Wenn die Betriebsstätte zudem als Zweigniederlassung registriert werden soll, muss eine Eintragung beim Handelsregister durchgeführt werden.

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Kap. 19 Rz. 19.128 Europa

19.128 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist drei Monate nach dem Ende des Veranlagungsjahres bei der Steuerbehörde einzureichen. Zudem ist in der Regel monatlich eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Eine Quellensteuererklärung ist am Ende des Geschäftsjahres anzufertigen. 19.129 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. 19.130 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung, z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung, spätestens sieben Tage nach der Anfrage bereitzustellen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. 19.131 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Werden die Steuerzahlungen nicht fristgereicht geleistet, erfolgt eine Zinsstrafe i.H.v. aktuell 8 % pro Jahr. Eine Erhöhung des Körperschaftsteuersatzes auf 50 % tritt ein, wenn keine Verrechnungspreisdokumentation auf Anfrage der Finanzverwaltung angefertigt wird. Zudem wird das Einkommen durch die Finanzbehörde bemessen, wenn der Steuerpflichtige keinen Jahresabschluss einreicht.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.132 Tax Rulings. Das Steuerrecht Polens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte, da diese Frage aus Sicht der Finanzverwaltung fallabhängig im Rahmen einer steuerlichen Prüfung untersucht werden sollte. Eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten wird hingegen nicht erteilt. Aufgrund dieser mangelnden Auskünfte der Finanzverwaltung ist es in Polen nicht zu empfehlen, eine verbindliche Auskunft einzuholen. 19.133 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Polen möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt 618 Wellens/Hillmann

G. Russland

Rz. 19.136 Kap. 19

werden. Es wird grundsätzlich in Polen empfohlen, ein Vorabverständigungsverfahren zu führen, wenn komplexe Geschäftsbeziehungen vorliegen oder der Umfang der Geschäftsbeziehungen von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen ist. Das Verfahren dauert zwischen einem und zwei Jahren. Die Gebühr beträgt bis zu 45.000 Euro pro Transaktion.

G. Russland I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Russland als eine feste Ge- 19.134 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Zu den festen Geschäftseinrichtungen gehören z.B. ein Geschäft, Büro, eine Agentur oder anderes Vermittlungsbüro. Geschäftstätigkeiten, die in Russland ausgeführt werden, wie z.B. die Verwertung natürlicher Ressourcen sowie des Mineralreichtums, die Durchführung von Bau- und Montagetätigkeiten, Instandsetzungen sowie Instandhaltungen von Anlagen und Spielautomaten, der Verkauf von Waren aus Lagerhäusern in Russland, die im Besitz des ausländischen Unternehmens sind oder von diesem gemietet wurden, die Erbringen sonstiger Arbeiten und Dienstleistungen sowie die Tätigkeit auf See zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen, begründen grundsätzlich eine Betriebsstätte. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird, wenn diese Tätigkeiten nicht die Kerntätigkeit des ausländischen Unternehmens sind. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 19.135 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Russland die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.136 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Russland erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA mit Russland geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass vor allem die optionalen Gegen1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 619

Kap. 19 Rz. 19.136 Europa

maßnahmen zur künstlichen Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung aufgenommen werden. Russland hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 19.137 Direkte Gewinnermittlungsmethode. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Russland eine Betriebsstätte, kann ihr Einkommen nach der direkten oder indirekten Methode ermittelt werden. Unter Anwendung der direkten Methode wird das Einkommen, das der Betriebsstätte basierend auf den Funktionen, Wirtschaftsgütern und Risiken zuzuordnen ist, besteuert. Zur Berechnung des Einkommens werden von den Einnahmen der Betriebsstätte ihre Aufwendungen sowie die Aufwendungen des Stammhauses, die in Verbindung mit den Tätigkeiten der Betriebsstätte stehen, abgezogen. Die Zuordnung der anteiligen Kosten des Stammhauses ist aber nur durch die Anwendung von DBA möglich. Dennoch enthält weder das nationale Recht noch das jeweils anzuwendende DBA eine genaue Vorschrift, in welcher Höhe der Betriebsstätte ein Gewinn zugeordnet wird. Diese Unsicherheit ermöglicht Raum für Interpretationen. Die russische Finanzverwaltung kann somit versuchen, einen erheblichen Teil der Gewinne des ausländischen Unternehmens der Betriebsstätte basierend auf den verfügbaren Informationen des Steuerpflichtigen und Daten über vergleichbare Steuerpflichtige zuzuordnen. 19.138 Indirekte Gewinnermittlungsmethode. Die indirekte Methode („Deemed Profit Method“) wird angewendet, wenn ein ausländisches Unternehmen Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art zugunsten Dritter kostenlos durchführt. In diesen Fällen ergibt sich die Bemessungsgrundlage aus 20 % der Kosten, die im Rahmen solcher Tätigkeiten zugunsten Dritter entstanden sind. 19.139 AOA. Der AOA wird in Russland nicht angewendet. Er ist weder in nationalem Recht noch in den DBA implementiert. 19.140 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Russland keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden im Wesentlichen ignoriert. Transaktionen mit eigenständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis der Verrechnungspreisregelungen vergütet. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. 19.141 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Russland ergibt sich aus der zu entrichtenden Gewinnsteuer. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

620 Wellens/Hillmann

G. Russland

Rz. 19.144 Kap. 19

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird häu- 19.142 fig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Dennoch zeigen die praktischen Erfahrungen mit den russischen Finanzbehörden, dass u.a. die Identifikation des Betriebsstättenstatus, wenn keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art oder Tätigkeiten zugunsten Dritter und nicht zugunsten des Stammhauses durchgeführt werden, der Abzug von Aufwendungen, die beim Stammhaus oder im Zusammenhang mit internen Transaktionen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus entstanden sind, sowie die Identifikation des Betriebsstättenstatus eines Vertreters Problembereiche im Zusammenhang mit Betriebsstätten darstellen und regelmäßig von der Finanzverwaltung adressiert werden. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.143 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte, wenn sie nicht die Kerntätigkeit des ausländischen Unternehmens sind. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Russland, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen, – Teilnahme an Ausstellungen und Messen, Lagerung von Waren eines ausländischen Unternehmens zum Zweck der Warenpräsentation und Auslieferung, – feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich dem Kauf von Waren durch das ausländische Unternehmen dient, – feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich der Erhebung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen für Werbetätigkeiten dient sowie – Unterzeichnung von Verträgen im Namen des Unternehmens, wenn die Vertragsunterzeichnung in Einklang mit den ausführlichen schriftlichen Anweisungen des ausländischen Unternehmens vollzogen wird. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.144 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind:

Wellens/Hillmann 621

Kap. 19 Rz. 19.144 Europa

– Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dazu gehören auch Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die das Kerngeschäft des ausländischen Unternehmens sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.145 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Russland Besonderheiten, die von den Vorgaben der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Mindestdauer für die Durchführung von Bau- und Montagetätigkeiten, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Bau- und Montagetätigkeiten auf russischem Gebiet umfassen u.a. den Neubau, Wiederaufbau, technische Umrüstung und Reparaturen vorhandener unbeweglicher Gegenstände wie Luft- und Seefahrzeuge sowie Weltraumobjekte, Montagen, Reparaturen, Rekonstruktion und Wiederaufbau von Bauwerken, einschließlich Bohrer – auch schwimmender Bohrer – sowie Maschinen und Anlagen, deren Inbetriebnahme eine Montage auf Fundament oder Befestigung auf Bauelementen eines Gebäudes oder einer Schwimmeinrichtung erfordert. Der Beginn einer Bau- und Montagebetriebsstätte ist der frühere Zeitpunkt aus dem tatsächlichen Beginn der Arbeiten und der Unterzeichnung des Vertrags zur Übergabe der Baustelle an den Auftragnehmer oder Subunternehmer. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 19.137 ff. beschrieben. 19.146 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 19.137 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. 19.147 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 19.137 ff. ermittelt. Sowohl Versicherungsaufsichtsregeln als auch Rückver622 Wellens/Hillmann

G. Russland

Rz. 19.153 Kap. 19

sicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus sind im Rahmen der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 19.148 richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 19.137 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 19.149 ren in Russland besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich nicht von der Definition der OECD abweichen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach russischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 19.137 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Für die Registrierung einer Betriebsstätte wird eine Zulassung von 19.150 der nationalen Steuerbehörde benötigt. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens sind u.a. folgende Unterlagen einzureichen: Gründungsunterlagen sowie Handelsregisterauszug des ausländischen Unternehmens, Steuerbescheinigung aus dem Ansässigkeitsstaat des Stammhauses, Handlungsvollmacht für den Leiter der Betriebsstätte, Dokument über die Entscheidung, in Russland eine Betriebsstätte zu gründen und eine Bescheinigung über die Steueranmeldung in Russland, wenn das ausländische Unternehmen bereits in anderen Regionen der Russischen Föderation für steuerliche Zwecke registriert ist. Nach Beendigung des Zulassungsverfahrens erfolgt eine Eintragung in das Staatsregister („State Register of Accredited Foreign Representatives Offices/Branches“). Die Registrierung dauert ungefähr eine bis zwei Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Gewinnsteu- 19.151 er erstellen. Sie ist bis Ende März nach dem Veranlagungsjahr einzureichen. Innerhalb der Steuererklärung sind Angaben zur Quellensteuer zu tätigen. Zudem ist pro Quartal eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte muss keinen Jahresabschluss nach 19.152 dem nationalen Gesetz oder eine Hilfs- und Nebenrechnung erstellen, wenn das ausländische Stammhaus Bücher nach den Vorschriften seines Ansässigkeitsstaats führt, die nicht entgegen der Vorschriften der IFRS sind. In der einzureichenden Steuererklärung sind die finanziellen Positionen in Form der Wirtschaftsgüter und Schulden der Betriebsstätte einzutragen. In der Praxis führen jedoch die meisten Betriebsstätten eigene Bücher, um die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer, Grundsteuer und Gewinnsteuer zu berechnen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.153 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung innerhalb von 30 Tagen bereitzustellen. Zusammen mit der Steuererklärung muss die Betriebsstätte hingegen einen jährlichen Aktivitätsbericht einWellens/Hillmann 623

Kap. 19 Rz. 19.153 Europa

reichen, der allgemeine Informationen über die Geschäftsbeziehungen sowie den Umfang der Geschäftsbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und nahestehenden Personen, Informationen über die Bankkonten und den Finanzierungsbetrag der Betriebsstätte sowie die Steuerregistrierung enthält. Zusätzlich ist es in einigen Regionen, wie z.B. Moskau, üblich, weitere Erklärungen mit detaillierteren Informationen über die Betriebsstättentätigkeit, Aufwendungen der Betriebsstätte und Verträge den Steuerbehörden zur Verfügung zu stellen.

19.154 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Versäumt ein ausländisches Unternehmen die Registrierung einer Betriebsstätte innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Geschäftstätigkeit, kann eine Geldbuße i.H.v. 10 % der Einnahmen aus der Tätigkeit der Betriebsstätte, während sie noch nicht registriert war, erhoben werden. Wird eine Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht, erfolgt eine monatliche Strafzahlung i.H.v. 5 % auf die unbezahlte Steuer. Diese Strafe ist auf maximal 30 % der unbezahlten Steuer begrenzt, muss aber mindestens 1.000 RUB betragen. Wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert, ist eine Strafe i.H.v. 20 % der unbezahlten Steuer fällig. Bei wiederholtem oder vorsätzlichem Vorgehen erhöht sich die Strafzahlung auf 40 %. Zusätzlich sind Strafzinsen für jeden Tag der ausstehenden Steuerzahlungen zu leisten. Der Zinssatz ist ein Dreihundertstel des effektiven Refinanzierungszinssatzes der russischen Zentralbank, der momentan 9,25 % beträgt.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.155 Tax Rulings. Das Steuerrecht Russlands enthält keine Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Der Steuerpflichtige kann aber einen Antrag bei der russischen Finanzverwaltung auf Klärung der Rechtslage einreichen und erhält daraufhin eine allgemeine Klarstellung zur eingereichten Problembeschreibung. Diese Klarstellung der Finanzverwaltung ist allerdings weder bindend, noch werden spezifische Umstände des Steuerpflichtigen berücksichtigt. Dennoch können diese Anfragen beim Finanzministerium im Fall zu gering deklarierter Steuern den Steuerpflichtigen von Strafgebühren und Verspätungszinszahlungen entbinden. 19.156 Advance Pricing Agreements. Zudem besteht in Russland grundsätzlich nicht die Möglichkeit, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu treffen. Eine verbindliche Vorabzusage steht nur „großen“ russischen Unternehmen zur Verfügung.

624 Wellens/Hillmann

H. Spanien

Rz. 19.160 Kap. 19

H. Spanien I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Spanien als eine feste Ge- 19.157 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Als Betriebsstätte sind u.a. Hauptniederlassungen, Zweigniederlassungen, Büros, Produktionsstätten, Werkstätten, Lagerhallen, Geschäfte und sonstige Betriebe sowie Minen, Erdöl- und Gasvorkommen, Steinbrüche, Bauernhöfe, Wald, Viehbestand und andere Stätten zur Gewinnung natürlicher Ressourcen anzusehen. Entgegen der Definition der OECD sind im nationalen Recht Spaniens keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art aufgelistet. Eine Ausübung dieser Tätigkeiten führt nach den nationalen Vorschriften grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 19.158 Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Spanien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD wird nach spanischem Recht eine Vertreterbetriebsstätte auch dann begründet, wenn der ständige Vertreter in Spanien nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art ausführt. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.159 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition in den DBA. Die Vorschläge des Aktionspunkts 7 werden aber zum Teil bereits seit 2014 im Rahmen der nationalen Rechtsprechung berücksichtigt. Spanien erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA mit Spanien geändert werden und eine strikte Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Im Zusammenhang mit der Missbrauchsbekämpfung hat Spanien bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Direkte Gewinnermittlungsmethode. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in 19.160 Spanien eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird. Das steuerpflichtige Einkommen 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 625

Kap. 19 Rz. 19.160 Europa

einer Betriebsstätte umfasst das Einkommen aus den Tätigkeiten der Betriebsstätte, das Einkommen aus den Wirtschaftsgütern, die einer Betriebsstätte zugeordnet werden, sowie Gewinne und Verluste aus der Übertragung von Wirtschaftsgütern einer Betriebsstätte. Ein angemessener Teil der gesamten Aufwendungen des Stammhauses, die in Zusammenhang mit der Betriebsstätte angefallen sind, ist abzugsfähig. Nicht abzugsfähig sind hingegen Lizenzgebühren, Zinsen und Provisionen, die an das Stammhaus oder andere Teile des Unternehmens gezahlt werden. Die Zinszahlungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind nur bei Bankbetriebsstätten zu berücksichtigen.

19.161 Indirekte Gewinnermittlungsmethode. Neben der direkten Methode ist in Spanien eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte anzuwenden, wenn eine Betriebsstätte nach nationalem Recht keinen aktiven Handel betreibt. Dieser Fall tritt ein, wenn eine Betriebsstätte keine Verkäufe an Dritte, sondern nur Aktivitäten zugunsten des Stammhauses oder anderer Teile des Unternehmens durchführt. Die Aktivitäten werden zunächst mit Hilfe der nach spanischem Recht zugelassenen Verrechnungspreismethoden, die denen der OECD entsprechen, vergütet. Wenn diese Gewinnermittlung nicht möglich ist, wird das Einkommen einer Betriebsstätte als Anteil der Gesamtkosten bestimmt, die durch die Aktivitäten der Betriebsstätte entstanden sind. Der Aufteilungsschlüssel wird durch die spanische Finanzbehörde festgelegt und beträgt momentan 25 %. 19.162 AOA. Der AOA wird in Spanien grundsätzlich praktiziert, auch wenn er weder im nationalen Recht kodifiziert, noch in den DBA implementiert ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in Spanien eingeführt wird. Ein in 2014 in Kraft getretenes Gesetz ermöglicht, dass dealings zwischen einer Betriebsstätte und anderen Teilen des Unternehmens anerkannt werden, wenn das anzuwendende DBA eine Anerkennung der dealings enthält. Bisher umfassen aber die DBA nur die eingeschränkte Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte auf Basis des OECDMA 2008. Eine Neuverhandlung der DBA über den Einbezug des angepassten Art. 7 OECD-MA 2010 hat bisher nicht stattgefunden. 19.163 Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Spanien anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte nur an, wenn das anzuwendende DBA eine Anerkennung der dealings enthält. Die nationalen Vorschriften setzen hingegen die Selbständigkeitsfiktion einer Betriebsstätte nur bedingt um. Aufwendungen im Zusammenhang mit Dienstleistungen, Lizenzgeschäften, Finanzgeschäften und Garantien zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens sind bei der Betriebsstätte nicht abzugsfähig. Der gewöhnliche Warentransfer und der Transfer von Anlagevermögen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden nach nationalen Regelungen als dealing anerkannt. Die Geschäftsbeziehungen müssen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz vergütet werden. In Bezug auf die Vermietung von Wirtschaftsgütern ist die Mietzahlung einer Betriebsstätte nicht abzugsfähig, aber die Abschreibung des Wirtschaftsgutes darf als Aufwand berücksichtigt werden, wenn das Wirtschaftsgut für die Betriebsstätte bestimmt ist („Concept of Affected“). Das spanische Recht sieht keine Mindestkapital626 Wellens/Hillmann

H. Spanien

Rz. 19.166 Kap. 19

ausstattung für Betriebsstätten vor, wenngleich unter Anwendung der gängigen DBA eine Zuordnung von Kapital auf Basis des OECD-MA 2008 und des 2008 veröffentlichten Berichts der OECD („Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments“ – OECD-Betriebsstättenbericht 2008) vorgenommen werden kann. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Spanien ergibt sich 19.164 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem fallen Quellensteuern auf die Überweisung der Gewinne der Betriebsstätte an das ausländische Stammhaus an. Diese Quellensteuerbelastung kann vermieden werden, wenn das Stammhaus in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, das nicht als „Steueroase“ betrachtet wird, ansässig ist oder das anzuwendende DBA dieses Besteuerungsrecht nicht enthält. Ferner sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird sehr 19.165 häufig einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. In Spanien wurden mehrere populäre Gerichtsentscheidungen in Bezug auf Betriebsstätten erlassen (z.B. Borax, Roche Vitamine und Dell). Diese Entscheidungen sollten von den Steuerpflichtigen beachtet werden, da die spanische Finanzbehörde auf Basis der Urteile internationale Vertriebsstrukturen anzweifelt, wenn die Zuordnung der Gewinne zu einer Betriebsstätte nicht den tatsächlich ausgeübten wirtschaftlichen Funktionen entspricht. Zeitweise nutzt die Finanzbehörde die Argumentation aus den Urteilen, um Strukturen anzugreifen, die bisher aus der Perspektive der OECD vertretbar waren. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 19.166 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Spanien, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

Wellens/Hillmann 627

Kap. 19 Rz. 19.166 Europa

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das nationale Recht Spaniens keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art enthält. Deshalb begründen nach nationalem Recht jede feste Geschäftseinrichtung und jeder abhängige Vertreter eine Betriebsstätte. Das Recht der DBA schränkt aber in den meisten Fällen die Begründung einer Betriebsstätte nach nationalem Recht ein.

19.167 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen sowie – Engagement in Werbetätigkeiten.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.168 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Spanien Besonderheiten, die von den Vorgaben der OECD abweichen. Das spanische Recht sieht vor, dass eine Bau- und Montagebetriebsstätte bereits begründet wird, wenn die Tätigkeit mehr als sechs Monate andauert. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 19.160 ff. beschrieben. 19.169 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 19.160 ff.). Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Zinszahlungen der Betriebsstätte an das Stammhaus oder andere Teile des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.170 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 19.160 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen sowie Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt. 19.171 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 19.160 ff.). 19.172 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Spanien besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Das spanische Recht enthält keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach spanischem Recht in Anlehnung an die 628 Wellens/Hillmann

H. Spanien

Rz. 19.177 Kap. 19

OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 19.160 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Steu- 19.173 erbehörde („Agencia Estatal de Administración Tributaria“). Dazu muss ein Formular („Model 036“) mit Informationen zur Betriebsstätte ausgefüllt und die dazu notwendigen Dokumente, wie z.B. eine beglaubigte und übersetzte Vollmacht des Leiters der Betriebsstätte, eingereicht werden. Der Registrierungsprozess kann einige Wochen dauern. Steuererklärung. Die Betriebsstätte hat grundsätzlich dieselben Einreichungspflich- 19.174 ten wie ein selbständiges spanisches Unternehmen. Sie muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen, die sechs Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums einzureichen ist. Zudem muss sie eine Umsatzsteuererklärung einen Monat nach Ende des Veranlagungsjahres anfertigen. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 19.175 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.176 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung bereitzustellen. Sie ist auf Basis des Master- und Local-File-Ansatzes der OECD anzufertigen und enthält somit u.a. eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen füh- 19.177 ren grundsätzlich zu Strafzahlungen. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuer, sind Strafen zwischen 50 und 150 % der unbezahlten Steuer zu zahlen. Wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung einreicht, wird ebenfalls eine Strafzahlung i.H.v. 50–150 % der geschätzten, ausstehenden Steuer fällig. Werden die Steuerzahlungen nicht fristgerecht geleistet, erfolgt eine Strafe i.H.v. 5 % auf die unbezahlte Steuer, wenn die Fristüberschreitung weniger als drei Monate beträgt, 6 % bei weniger als sechs Monaten, 15 % bei weniger als 12 Monaten und 20 % bei mehr als 12 Monaten. Zudem ist eine Zinsstrafe i.H.v. 7 % auf die ausstehenden Steuerzahlungen zu leisten, deren Prozentsatz jährlich variiert. Wellens/Hillmann 629

Kap. 19 Rz. 19.178 Europa

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.178 Tax Rulings. Das Steuerrecht Spaniens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erteilt regelmäßig ein Ruling in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte, wenngleich nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte erteilt wird. Die Beantragung eines Rulings bzgl. der Begründung einer Betriebsstätte erfolgt nicht bei den Steuerbehörden, sondern beim Finanzministerium und umfasst viele Vorbehalte, wodurch dieses Verfahren in der Praxis als wenig nützlich eingestuft wird. 19.179 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Spanien möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. In Spanien wird dazu geraten, Vorabverständigungsverfahren in Bezug auf die Gewinnzuteilung bei Betriebsstätten zu führen, um Unsicherheiten bei der Betriebsprüfung zu reduzieren.

I. Schweden I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.180 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Schweden als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das schwedische Recht enthält entgegen der Vorgaben der OECD keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. Das Ausführen dieser Tätigkeiten im Inland begründet grundsätzlich eine Betriebsstätte. 19.181 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Schweden die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt. Abweichend von den Vorschriften der OECD existieren nach nationalem Recht keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. 19.182 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Schweden erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA Schwedens geändert werden und 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

630 Wellens/Hillmann

I. Schweden

Rz. 19.187 Kap. 19

eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile erfolgen wird. Dennoch hat Schweden einen Vorbehalt gegen die Betriebsstättendefinition im MLI eingelegt. Schweden hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Schweden eine Be- 19.183 triebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird in Schweden praktiziert, wenngleich er nicht im nationalen 19.184 Recht kodifiziert ist. Die schwedische Finanzverwaltung erwartet aber eine Anwendung des AOA, den sie selbst in den Betriebsprüfungen umsetzt. Die Ausgestaltung des AOA gleicht im Wesentlichen den Vorgaben der OECD. Der AOA ist aber auch in DBA, wie z.B. dem DBA Schweden-Vereinigtes Königreich, enthalten. Auch in diesem Fall basiert die Umsetzung des AOA auf den Vorgaben der OECD. Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt Schweden anzunehmende 19.185 schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Für die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte existiert keine spezifische Regelung, wenngleich Schweden dem AOA nach dem Vorschlag der OECD folgt. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Schweden ergibt sich 19.186 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Ferner sind Quellensteuern u.a. für Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann gene- 19.187 rell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt sehr häufig den Vorgaben aus dem jeweils anWellens/Hillmann 631

Kap. 19 Rz. 19.187 Europa

zuwendenden DBA. Die schwedische Finanzbehörde fordert momentan vermehrt Betriebsstätten auf, ihre Gewinnermittlung anhand des AOA zu dokumentieren und nachzuweisen.

19.188 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründet grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Schweden, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten unter Einbezug des jeweiligen DBA zu überprüfen sind.

19.189 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Anbieten von Beratungsleistungen sowie – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede feste Geschäftseinrichtung und jeder ständige Vertreter als Betriebsstätte anzusehen ist, wenn kein Ausnahmetatbestand aus dem jeweiligen DBA zur Anwendung kommt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.190 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Schweden Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.191 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebs632 Wellens/Hillmann

I. Schweden

Rz. 19.197 Kap. 19

stätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von 19.192 Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden ebenfalls als dealings erfasst. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

19.193

Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren 19.194 in Schweden Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, die ausgeführt werden können, ohne eine Betriebsstätte zu begründen. Der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte wird durch die Anwendung des AOA ermittelt. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) ist nach schwedischem Recht entgegen der Auffassung der OECD möglich. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Steu- 19.195 erbehörde, um die Betriebsstätte als steuerpflichtige Einheit anzumelden. Dazu muss ein Anmeldeformular ausgefüllt werden, in dem u.a. Informationen über den Gewinn und die Anzahl der Mitarbeiter der Betriebsstätte angegeben werden müssen. Die Registrierung dauert in der Regel zwei bis sechs Wochen. Wenn die Betriebsstätte zudem als Zweigniederlassung registriert werden soll, muss eine Eintragung beim Zivilregister durchgeführt werden. Dazu werden u.a. Dokumente über den ausländischen Handelsregistereintrag des Stammhauses sowie eine Vollmacht für den Geschäftsführer der Niederlassung in Schweden benötigt. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Die Einreichungsfrist für die Steuererklärung ist vom Ende des Geschäftsjahres der Betriebsstätte abhängig. Zudem ist grundsätzlich eine Umsatzsteuererklärung pro Monat abzugeben.

19.196

Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte in Schweden ist verpflichtet, einen Jahresabschluss mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen.

19.197

Wellens/Hillmann 633

Kap. 19 Rz. 19.198 Europa

19.198 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist seit April 2017 gesetzlich vorgeschrieben. Die Einreichung erfolgt zusammen mit der Steuererklärung. Die Verrechnungspreisdokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. 19.199 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerschuld deklariert, wird eine Strafzahlung i.H.v. 40 % des Unterschiedsbetrags zwischen tatsächlicher und deklarierter Steuerschuld erhoben. Zudem können Strafzahlungen für die verspätete Einreichung der Steuererklärung anfallen. Die Höhe der Strafe hängt von der Länge der Fristverletzung ab. Für verspätete Steuerzahlungen ist eine Zinsstrafe zu zahlen.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.200 Tax Ruling. Das Steuerrecht Schwedens enthält keine Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung einzuholen. 19.201 Advance Pricing Agreements. In Schweden ist es hingegen möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können bi- oder multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird aber in Schweden nur zu einem Vorabverständigungsverfahren geraten, wenn der Umfang der Geschäftsbeziehung von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen ist und bedeutende steuerliche Risiken in den Geschäftsvorfall involviert sind.

J. Schweiz I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.202 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in der Schweiz als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unterneh1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

634 Wellens/Hillmann

J. Schweiz

Rz. 19.207 Kap. 19

men seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Die Definition einer Betriebsstätte ist im Wesentlichen in Einklang mit den in Art. 5 Abs. 2 OECD-MA 2017 aufgelisteten Tatbestandsmerkmalen, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen. Im nationalen Recht der Schweiz sind entgegen der Leitlinien der OECD keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art verankert. Die Ausführung dieser Tätigkeiten im Inland kann nach nationalem Recht eine Betriebsstätte begründen. Vertreterbetriebsstätte. Die Betriebsstättendefinition in der Schweiz enthält darüber 19.203 hinaus keine Ausführungen zum abhängigen und unabhängigen Vertreter, wie sie die Leitlinien der OECD vorsehen. Eine Betriebsstätte wird durch einen Vertreter nur begründet, wenn der Vertreter eine feste Geschäftseinrichtung besitzt. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 19.204 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Die Schweiz erwartet, dass durch die Einführung des MLI einige DBA geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Die Schweiz hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in der Schweiz eine 19.205 Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zugeordnet werden kann, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Im Rahmen der Gewinnermittlung einer Betriebsstätte können aber auch die interkantonalen Gewinnzuordnungsvorschriften angewendet werden, die eine Gewinnaufteilung zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte anhand der Wirtschaftsgüter oder Umsätze, die einer Betriebsstätte im Verhältnis zum Stammhaus zuzuordnen sind, vorsehen (indirekte Methode). In der Praxis wird die direkte Methode der Gewinnermittlung präferiert. AOA. Der AOA wird in der Schweiz praktiziert, ist aber nicht explizit im nationalen 19.206 Gesetz kodifiziert. Da das schweizerische Steuergesetz ein Rahmengesetz ist, ergeben sich erhebliche Interpretationsspielräume bei der Anwendbarkeit des AOA, solange diese zu einem fremdvergleichskonformen Ergebnis führen. Der AOA ist hingegen bereits in vielen DBA der Schweiz in Anlehnung an die Vorschläge der OECD implementiert. Dealings. Im Rahmen der Umsetzung des AOA erkennt die Schweiz anzunehmende 19.207 schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, GaWellens/Hillmann 635

Kap. 19 Rz. 19.207 Europa

rantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Der Anteil des Eigenkapitals, der einer Betriebsstätte zugeordnet wird, entspricht ihrem Anteil an den Vermögenswerten im Verhältnis zum übrigen Unternehmen (Kapitalaufteilungsmethode) oder wird nach der Mindestkapitalausstattungsmethode bestimmt.

19.208 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in der Schweiz ergibt sich aus der Gewinnsteuer, die sich aus Bundessteuer und kantonaler Steuer zusammensetzt. Zudem wird eine proportionale Kapitalsteuer von den Kantonen erhoben. Die Kapitalsteuerbelastung ist abhängig vom jeweiligen Kanton. Zusätzlich sind Quellensteuern auf Zinsen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 19.209 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Dennoch ist es in der Schweiz zu empfehlen, verbindliche Auskünfte in Zusammenhang mit der Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten einzuholen, da die Gewinnermittlung im Vergleich zu einem rechtlich selbständigen Unternehmen komplexer ist. 19.210 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Da das nationale Steuerrecht der Schweiz keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände aufführt, können diese Aktivitäten grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung führen, solange eine feste Geschäftseinrichtung mit der Tätigkeit verbunden ist. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründet aber grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung des DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in der Schweiz, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen.

636 Wellens/Hillmann

J. Schweiz

Rz. 19.212 Kap. 19

Aus diesem Grund ist in der Praxis auf die Ausgestaltung des anzuwendenden DBA zu achten. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 19.211 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die aufgezählten Tätigkeiten nur eine Betriebsstätte begründen, wenn eine feste Geschäftseinrichtung vorliegt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 19.212 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in der Schweiz Besonderheiten, die grundsätzlich in Einklang mit der Definition der OECD stehen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

Wellens/Hillmann 637

Kap. 19 Rz. 19.213 Europa

19.213 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.214 Versicherungsbetriebsstätte. Der AOA wird ebenfalls zur Gewinnermittlung von Versicherungsbetriebsstätten angewendet. Bei der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind die Versicherungsaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als dealings anerkannt. Rückversicherungen zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus stellen hingegen keine anzunehmende schuldrechtliche Vertragsbeziehung dar. 19.215 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 19.216 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in der Schweiz besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Die Definition der Betriebsstätte nach dem nationalen Recht der Schweiz umfasst weder den abhängigen noch den unabhängigen Vertreter. Eine Vertreterbetriebsstätte kann demnach nur vorliegen, wenn der abhängige Vertreter eine feste Geschäftseinrichtung besitzt. Der Gewinn einer Vertreterbetriebsstätte wird grundsätzlich nach dem AOA ermittelt, wenngleich die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) entgegen der Auffassung der OECD möglich ist. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung 19.217 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der kantonalen Steuerbehörde. Wenn die Betriebsstätte zudem als Zweigniederlassung registriert werden soll, muss eine Eintragung beim Handelsregister durchgeführt werden. In diesem Zusammenhang sind u.a. beglaubigte Kopien des Gesellschaftsvertrags des Stammhauses, des Beschlusses des Stammhauses zur Registrierung einer Betriebsstätte in der Schweiz sowie der Unterschriftenbögen aller autorisierten Manager der Betriebsstätte einzureichen. Die Registrierung dauert in der Regel zwei bis vier Wochen. 19.218 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine kombinierte Steuererklärung für die Gewinnsteuer auf Bundes- und kantonaler Ebene erstellen. Sie ist grundsätzlich ein Jahr nach dem Veranlagungsjahr beim Steueramt des zuständigen Kantons einzureichen. Die Abgabefrist kann abhängig vom zuständigen Kanton variieren. Zudem ist

638 Wellens/Hillmann

J. Schweiz

Rz. 19.223 Kap. 19

pro Quartal eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Eine Quellensteuererklärung ist 30 Tage nach der steuerpflichtigen Zahlung anzufertigen. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 19.219 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen, der zusammen mit der Steuererklärung beim zuständigen Steueramt einzureichen ist. Der Jahresabschluss einer Betriebsstätte besteht aus einer Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung. Verrechnungspreisdokumentation. In der Schweiz ist keine Verrechnungspreis- 19.220 dokumentation für Betriebsstätten anzufertigen. Es ist ausreichend, wenn ein Jahresabschluss und eine Steuererklärung erstellt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen füh- 19.221 ren grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht oder sind die Steuerzahlungen fristgerecht geleistet, fällt ein jährlicher Zins von 3 % für die Bundessteuer an. Der Zins für die kantonalen Steuern variiert unter den Kantonen. Wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung einreicht, wird eine beliebige Bewertung der steuerlichen Bemessungsgrundlage vorgenommen. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuer und wird ihm betrügerisches Verhalten nachgewiesen, kann eine Strafe von maximal dem Dreifachen des Unterschiedsbetrags zwischen tatsächlicher und deklarierter Steuer anfallen.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht der Schweiz enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 19.222 Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt in der Regel eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte, wenngleich häufiger eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten erteilt wird. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte sowie die Inanspruchnahme von begünstigten Steuerregimen einzuholen. Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in der Schweiz möglich, Vorabverständi- 19.223 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird aber in der Schweiz nur zu einem Vorabverständigungsverfahren geraten, wenn der Umfang der Geschäftsbeziehung von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen ist. Das Vorabverständigungsverfahren umfasst insbesondere die Verrechnungspreismethode und Vergütung der Geschäftsbeziehungen.

Wellens/Hillmann 639

Kap. 19 Rz. 19.224 Europa

K. Tschechische Republik I. Betriebsstättenbegriff – Definition 19.224 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Tschechien als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das tschechische Recht enthält abweichend von den Leitlinien der OECD keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. Das Ausführen dieser Tätigkeiten im Inland begründet grundsätzlich eine Betriebsstätte. Zudem umfasst das nationale Recht Dienstleistungsbetriebsstätten. Erbringt ein ausländisches Unternehmen Dienstleistungen in Tschechien für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten innerhalb von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten, wird eine tschechische Dienstleistungsbetriebsstätte begründet. 19.225 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Tschechien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt. Abweichend von den Vorschriften der OECD existieren nach nationalem Recht keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art. 19.226 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Bereits vor der Veröffentlichung der OECD-Vorschläge in Aktionspunkt 7 hat Tschechien im nationalen Recht die künstliche Fragmentierung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art adressiert. Tschechien erwartet, dass durch die Einführung des MLI alle DBA geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Die tschechische Regierung hat bisher zugestimmt, die Minimumstandards umzusetzen. Dazu gehören die Vorschläge zu den Streitbeilegungsverfahren und zur Bekämpfung des Abkommensmissbrauchs. Im Zusammenhang mit der Missbrauchsbekämpfung hat Tschechien bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

640 Wellens/Hillmann

K. Tschechische Republik

Rz. 19.231 Kap. 19

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Tschechien eine 19.227 Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird („Separat Legal Entity Approach“). Das Einkommen ermittelt sich aus den Erträgen abzgl. der steuerlich abziehbaren Aufwendungen der Betriebsstätte. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird in Tschechien nicht angewendet. Er ist weder im nationalen 19.228 Recht noch in den DBA implementiert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in Tschechien eingeführt wird. Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Tschechien nur ein- 19.229 geschränkt anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen anerkannt und nach dem Fremdvergleichsgrundsatz vergütet, wenn das Stammhaus diese Geschäftsbeziehung auch fremden Dritten anbietet. Erbringt das Stammhaus hingegen nur Managementdienstleistungen an die Betriebsstätte, wird diese Dienstleistung nicht vergütet. Es erfolgt ausschließlich eine Zuordnung der Kosten zur Betriebsstätte. Geschäftsbeziehungen der Betriebsstätte mit eigenständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes vergütet. Dabei sind die durch die Betriebsstätte ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Tschechien ergibt sich 19.230 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zusätzlich sind Quellensteuern u.a. auf Lizenzen, Leasingzahlungen und Zinsen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird selten 19.231 einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt sehr oft den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. In Tschechien besteht die Möglichkeit, vor Beginn der Geschäftstätigkeit ein informelles Gespräch mit der Finanzverwaltung zu führen. Die Antworten der Finanzbehörde sind jedoch nicht bindend. Wellens/Hillmann 641

Kap. 19 Rz. 19.232 Europa

19.232 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Da im nationalen Recht keine Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände enthalten sind, wird die Durchführung dieser Tätigkeiten grundsätzlich als Begründung einer Betriebsstätte angesehen, wenngleich die Bemessungsgrundlage der Betriebsstätte in diesen Fällen sehr gering sein kann. Enthält das anzuwendende DBA jedoch Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art als Ausnahmetatbestände, wird keine Betriebsstätte begründet. Aus diesem Grund ist es von Bedeutung, das anzuwendende DBA zu prüfen. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind die Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden sowie die Teilnahme an Ausstellungen und Messen. 19.233 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Die aufgelisteten Tätigkeiten führen bei einer sehr konservativen Betrachtung der DBA grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung. Die Vermietung von Immobilien ist in den meisten DBA als Direktgeschäft steuerpflichtig, ohne dass eine Betriebsstätte vorliegen muss.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 19.234 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Tschechien Besonderheiten, die aber grundsätzlich im Einklang mit den Vorgaben der OECD stehen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 19.227 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bauund Montagetätigkeiten wird der Gewinn erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert („Completed Contract Methode“). 19.235 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 19.227 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. 642 Wellens/Hillmann

K. Tschechische Republik

Rz. 19.242 Kap. 19

Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 19.236 wie in Rz. 19.227 ff. ermittelt. Versicherungsaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 19.237 richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 19.227 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 19.238 ren in Tschechien besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD abweichen. Das tschechische Recht enthält keine Ausnahmetatbestände für Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach tschechischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 19.227 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Steu- 19.239 erbehörde. In diesem Zusammenhang sind u.a. ein Handelsregisterauszug des ausländischen Stammhauses, Unterlagen über ein bestehendes Bankkonto, das gegenüber den tschechischen Finanzbehörden verwendet werden kann, sowie Dokumente, aus denen das Bestehen der Betriebsstätte hervorgeht, einzureichen. Wenn die Betriebsstätte zudem als Zweigniederlassung registriert werden soll, muss eine Eintragung beim Handelsregister durchgeführt werden. Dazu sind ein Antrag auf Eintragung beim Handelsregister, die Bestimmung der Handlungsbevollmächtigten der Niederlassung, Nachweise von Handelslizenzen sowie ein Mietvertrag über die Räumlichkeiten der Betriebsstätte notwendig. Der Registrierungsprozess kann bis zu vier Wochen dauern. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaft- 19.240 steuer erstellen. Sie ist grundsätzlich drei Monate nach dem Ende des Veranlagungsjahres einzureichen. Die Frist kann um drei Monate verlängert werden, wenn eine Abschlussprüfung durchzuführen ist oder der Steuerberater die Vollmacht besitzt, die Körperschaftsteuererklärung anzufertigen und einzureichen. Zudem ist eine Quellensteuererklärung am Ende des Monats, der auf den Monat der Zahlung folgt, einzureichen. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 19.241 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 19.242 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es ist aber empfehlenswert, eine Verrechnungspreisdokumentation für Betriebsprüfungen vorzubereiten. Sie sollte eine Beschreibung der Aktivitäten der Betriebsstätte, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismetho-

Wellens/Hillmann 643

Kap. 19 Rz. 19.242 Europa

den, die Kostenbasis sowie Informationen über die ausgeübten Funktionen, zugeordneten Wirtschaftsgüter und anzunehmenden Risiken der Betriebsstätte enthalten.

19.243 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führt grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird eine Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht, erfolgt eine Geldstrafe i.H.v. 0,05 % der Steuerschuld für jeden verspäteten Tag beginnend mit dem fünften Tag der Verspätung, höchstens jedoch 5 % der Steuerschuld oder 300.000 CZK. Wenn der Steuerpflichtige eine geringere als die tatsächliche Steuerschuld deklariert, muss er eine Strafzahlung i.H.v. 20 % des Unterschiedsbetrags zwischen tatsächlicher und deklarierter Steuerschuld entrichten. Zudem ist auf die ausstehenden Steuerzahlungen eine Zinsstrafe in Höhe des Zinssatzes für Repogeschäfte der tschechischen Zentralbank erhöht um 14 Prozentpunkte zu leisten.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 19.244 Tax Rulings. Das Steuerrecht in Tschechien enthält keine Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung einzuholen. 19.245 Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in Tschechien möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Die Steuerpflichtigen können dieses Verfahren vor allem in Bezug auf die Gewinnermittlung einer Betriebsstätte nutzen.

644 Wellens/Hillmann

Kapitel 20 Mittlerer Osten A. Ägypten

C. Saudi-Arabien

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.1

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.47

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.4

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.50

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.8

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.54

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 20.11

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 20.57

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 20.16

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 20.62

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.21

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.67

B. Katar

D. Türkei

I. Allgemeine Information . . . . . . . . 20.23 II. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.24 III. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.27 IV. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.32 V. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 20.35 VI. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . 20.40 VII. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.45

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.69 II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.72 III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.76 IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . 20.79 V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 20.84 VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20.89

A. Ägypten I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Ägypten als eine feste Ge- 20.1 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können grundsätzlich im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird.

1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 645

Kap. 20 Rz. 20.2 Mittlerer Osten

20.2 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Ägypten die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch grundsätzlich dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte grundsätzlich im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014. 20.3 BEPS. Ägypten hat mit der OECD ein Rahmenabkommen vereinbart, um Teil des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zu werden. Die Vorschläge der OECD zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten aber bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Ägypten erwartet, dass durch die Einführung des Multilateralen Instruments (MLI) einige DBA geändert werden. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass Ägypten die BEPS-Aktionspunkte zum Abkommensmissbrauch, zu schädlichen Steuerpraktiken, zur Verrechnungspreisdokumentation sowie zu Streitbeilegungsverfahren implementieren wird. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die ägyptische Finanzbehörde einen Schwerpunkt auf den Abkommensmissbrauch (BEPS-Aktionspunkt 6) legen wird. Ägypten hat bisher eine allgemeine nationale Anti-Missbrauchsregelung („GAAR“), die auf alle Vereinbarungen und Transaktionen anzuwenden ist, die nach Auffassung der Finanzverwaltung nur durchgeführt werden, um einen missbräuchlichen Steuervorteil zu erlangen. Diese allgemeine Regelung schließt auch Betriebsstätten ein.

II. Besteuerung 20.4 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Ägypten eine Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke wie eine eigenständige Person behandelt wird. In der Praxis können die Vorschriften zur Verrechnungspreisermittlung von der ägyptischen Finanzbehörde als zusätzlicher Nachweis für die Gewinnzuordnung der Betriebsstätte herangezogen werden. In diesem Zusammenhang existieren aber keine verbindlichen Vorschriften. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 20.5 AOA. Der AOA wird in Ägypten nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert. 20.6 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Ägypten keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen ignoriert. Transaktionen mit eigen646 Wellens/Hillmann

A. Ägypten

Rz. 20.9 Kap. 20

ständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes vergütet. Bei der Bestimmung des Fremdvergleichsentgelts sind die Funktionen der Betriebsstätte sowie die anzunehmenden Risiken und verwendeten Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Ägypten ergibt sich aus 20.7 der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Weiterhin fällt eine Stempelsteuer in Abhängigkeit der Dokumente und Transaktionsarten an. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Dienstleistungen sowie Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird sehr 20.8 oft einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Ein ausländisches Unternehmen, das Aktivitäten in Ägypten durchführt oder Dienstleistungen erbringt, die zu Einnahmen im Inland führen, hat stets das Risiko, eine Betriebsstätte in Ägypten zu gründen. Das nationale Recht enthält keinen Zeitraum einer Tätigkeit, der zu einer Betriebsstättenbegründung führt. Dennoch wird in der Praxis beobachtet, dass ein Vertrag in Bezug auf Aktivitäten oder Dienstleistungen über eine Dauer von drei bis sechs Monaten grundsätzlich eine Betriebsstättenbegründung zur Folge hat. Ferner können auch die Tätigkeiten eines unabhängigen Vertreters ein Betriebsstättenrisiko darstellen. Die Finanzverwaltung ist grundsätzlich in der Praxis wenig kompromissbereit. Wenn eine der oben aufgelisteten Bedingungen erfüllt ist und der Steuerpflichtige durch entsprechende Nachweise und Unterlagen keine anderen Umstände beweisen kann, unterstellt die Finanzverwaltung die Begründung einer Betriebsstätte. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 20.9 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Teilnahme an Ausstellungen und Messen, die nur auf das Sammeln von Informationen beschränkt ist, sowie – Durchführen von Marketingaktivitäten, die keine Verhandlungen in Zusammenhang mit Vertragsabschlüssen involvieren. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass diese Tätigkeiten ein Graubereich sind, der von der Finanzbehörde diskutiert werden kann.

Wellens/Hillmann 647

Kap. 20 Rz. 20.10 Mittlerer Osten

20.10 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Es ist zu berücksichtigen, dass die ägyptische Finanzverwaltung ein hohes Maß an Diskretion in Bezug auf die Bekanntgabe von Tätigkeiten, die eine Betriebsstätte begründen, ausübt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 20.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Ägypten entgegen der Definition der OECD keine Besonderheiten im Hinblick auf den Zeitraum, der für Bau- und Montagetätigkeiten vorliegen muss, um eine Betriebsstätte zu begründen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 20.4 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bauund Montagetätigkeiten ist eine Gewinnrealisierung bei Beendigung der Bau- und Montagetätigkeit erlaubt („Completed Contract Methode“). Wird durch die Bauund Montagetätigkeit eine Betriebsstätte in Ägypten errichtet, ist der gesamte Wert des Vertrags basierend auf den buchhalterisch ermittelten Erträgen und Aufwendungen in Ägypten zu versteuern. Wenn keine Buchführung vorliegt, weil z.B. das ausländische Unternehmen keine Betriebsstätte in Ägypten registriert hat, erhebt die Finanzverwaltung eine Quellensteuer i.H.v. 20 % auf den gesamten Vertragswert. 648 Wellens/Hillmann

A. Ägypten

Rz. 20.19 Kap. 20

Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den 20.12 allgemeinen Regeln (s. Rz. 20.4 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 20.13 wie in Rz. 20.4 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen sowie Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden im Rahmen der Gewinnermittlung nicht berücksichtigt. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 20.14 richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 20.4 ff.). Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren 20.15 in Ägypten besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich nicht von der Definition der Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 OECD-MA 2014 abweichen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach ägyptischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 20.4 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt zunächst bei der natio- 20.16 nalen Investitionsbehörde, bevor die Betriebsstätte beim Handelsregister registriert wird. Im letzten Schritt muss eine Anmeldung bei der nationalen Steuerbehörde durchgeführt werden. Im Zusammenhang mit dem Registrierungsprozess müssen u.a. folgende beglaubigte Unterlagen eingereicht werden: notarielle Kopie des Handelsregisterauszugs des Stammhauses, Beschluss der Geschäftsführung des Stammhauses, eine Betriebsstätte in Ägypten zu gründen, Ernennung der Manager der Betriebsstätte, Mietvertrag über die Geschäftseinrichtung der Betriebsstätte und eine Bankbestätigung, dass ein Konto mit mindestens 5.000 EGP im Namen der Betriebsstätte eröffnet wurde. Die gesamte Registrierung dauert in der Regel drei Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaft- 20.17 steuer erstellen. Zudem sind Steuererklärungen für die Umsatzsteuer und Quellensteuern einzureichen, wenn durch die Tätigkeiten der Betriebsstätte eine Umsatzsteuer- und Quellensteuerpflicht entsteht. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 20.18 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die ägyptischen Verrechnungspreisvorschriften 20.19 umfassen bisher keine Verrechnungspreisdokumentation für Geschäftsbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus. Es ist allerdings zu erwarten, dass die ägyptische Steuerbehörde eine Aktualisierung der nationalen Verrechnungspreisdokumentationsanforderungen anfertigt, die wahrscheinlich auch die Verrechnungspreisdokumentation für Betriebsstätten enthalten wird.

Wellens/Hillmann 649

Kap. 20 Rz. 20.20 Mittlerer Osten

20.20 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht, erfolgt eine Zinsstrafe i.H.v. monatlich 1,5 % der ausstehenden Steuerzahlungen. Zudem wird eine zusätzliche Steuer erhoben, wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert. Diese beträgt 5 %, 15 % bzw. 40 % des Unterschiedsbetrags, wenn 10–20 %, 20–50 % bzw. mehr als 50 % weniger Steuerzahlungen deklariert wurden.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 20.21 Tax Rulings. Das Steuerrecht Ägyptens enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber eher selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Während in der Praxis ein Ruling für jede Transaktion beantragt werden kann, wird in den nationalen Vorschriften ausländischen Unternehmen empfohlen, eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen im Inland einzufordern. Es ist jedoch aus Sicht der Praxis nicht immer empfehlenswert, ein Ruling in Ägypten einzuholen. Wenn der Steuerpflichtige nicht in der Lage ist, ausreichende Nachweise und Dokumente für unklare Fakten in Bezug auf die Transaktion bereitzustellen, kann dies zu einer verbindlichen Auskunft der ägyptischen Finanzbehörde führen, die für den Steuerpflichtigen nachteilig sein kann. 20.22 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Ägypten möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können bisher nur unilateral geführt werden. Es wird erwartet, dass bi- und multilaterale Vorabverständigungsverfahren in naher Zukunft eingeführt werden. Die Finanzverwaltung hat jedoch darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Vorabverständigungsverfahren nicht allen Anfragen der Steuerpflichtigen nachgekommen werden kann. Das Verfahren sollte daher mit Bedacht beantragt werden.

B. Katar I. Allgemeine Information 20.23 Qatar Financial Centre Law. In Katar existieren verschiedene Steuerregime1, zwischen denen ein ausländischer Investor wählen kann. Während das Steuerregime nach katarischem Staatsrecht („Qatar State Law“) keine Vorschriften in Bezug auf Betriebsstätten aufweist, enthält das Regime nach dem Recht des katarischen Finanzzentrums („Qatar Financial Centre Law“) Regelungen zu Betriebsstätten in Anlehnung 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

650 Wellens/Hillmann

B. Katar

Rz. 20.28 Kap. 20

an die OECD-Leitlinien. Der Länderüberblick wird daher aus der rechtlichen Perspektive des katarischen Finanzzentrums dargestellt.

II. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte wird in Katar als eine feste Geschäfts- 20.24 einrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Dazu zählen z.B. eine Zweigniederlassung, ein Büro, eine Produktionsstätte, eine Werkstatt, ein Bergwerk, eine Öl- und Gasquelle, ein Steinbruch, Bau- und Montageprojekte und die Gewinnung oder Verwertung von natürlichen Ressourcen. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 20.25 Person im Interesse oder im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Katar die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit dem Art. 5 OECD-MA 2014. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 20.26 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Katar erwartet keine Änderungen durch die Einführung des MLI. Im Rahmen der Missbrauchsbekämpfung hat Katar bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

III. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Katar eine Be- 20.27 triebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA im nationalen Recht. Der AOA ist seit Juli 2014 in das nationale Steuerrecht 20.28 von Katar implementiert. Zur Kodifizierung des AOA in nationales Recht wurde Wellens/Hillmann 651

Kap. 20 Rz. 20.28 Mittlerer Osten

der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 verwendet. Es sind die Gewinne einer Betriebsstätte zuzuordnen, die sie hätte erzielen können, insbesondere im Verkehr mit anderen Teilen des Unternehmens, dessen Betriebsstätte sie ist, wenn sie als selbständiges und unabhängiges Unternehmen eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausgeübt hätte. Dabei sind die vom Unternehmen durch die Betriebsstätte und durch andere Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen.

20.29 AOA in DBA. Der AOA wird grundsätzlich auch in den DBA von Katar aufgegriffen, wenngleich der genaue Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2014 noch in keinem DBA vollständig enthalten ist. Art. 7 Abs. 2 der katarischen DBA impliziert bisher, dass einer Betriebsstätte die Gewinne zugeordnet werden, die erwartet werden könnten, wenn es sich um ein selbständiges Unternehmen handeln würde, das die gleichen oder ähnlichen Tätigkeiten unter den gleichen oder ähnlichen Bedingungen ausführen und vollkommen selbständig mit dem Unternehmen, dessen Betriebsstätte sie ist, Geschäfte tätigen würde. 20.30 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen zum AOA erkennt Katar anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Im Zusammenhang mit Garantien ist zunächst zu prüfen, ob ein fremder Dritter unter den gegebenen Umständen eine Garantie gewährt hätte, bevor die Höhe und Vergütung der Garantie auf ihre Fremdüblichkeit überprüft werden. Der Anteil des Eigenkapitals, der einer Betriebsstätte zugeordnet wird, entspricht ihrem Anteil an den Vermögenswerten im Verhältnis zum übrigen Unternehmen (Kapitalaufteilungsmethode). 20.31 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Katar ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zudem fallen Quellensteuern u.a. für Lizenzen und technische Dienstleistungen an. Ferner kann eine Quellensteuerbelastung auf Zinsen, Provisionen und andere Zahlungen für Leistungen entstehen. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

IV. Betriebsprüfung und Steuerplanung 20.32 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird sehr oft einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzbehörde ist sehr darauf bedacht, dass die Gewinnzuordnung bei Betriebsstätten auf Basis des AOA durchgeführt wird. In der Vergangenheit hat die Finanzverwal652 Wellens/Hillmann

B. Katar

Rz. 20.34 Kap. 20

tung regelmäßig die Fremdüblichkeit der dealings zwischen einer Betriebsstätte und dem Stammhaus in Frage gestellt und eine Allokation der Gewinne und des Eigenkapitals auf Basis einer vollständigen Funktionsanalyse gefordert. Es wird daher in Katar empfohlen, proaktiv eine Verrechnungspreisdokumentation vorzubereiten, die alle dealings der Betriebsstätte umfasst. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 20.33 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Katar, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Anwendung des Steuerregimes nach dem katarischen Finanzzentrum voraussetzt, dass die Betriebsstätte spezifische Tätigkeiten („Permitted Activities“) ausübt und eine (Geschäfts-)Lizenz von den katarischen Behörden des Finanzzentrums dafür erhält. Die oben aufgelisteten Tätigkeiten könnten hingegen als Aktivitäten einer Repräsentanz („Representative Trade Office“) betrachtet werden, ohne dass eine Betriebsstätte begründet wird. Die Behörden des katarischen Finanzzentrums vergeben jedoch keine (Geschäfts-)Lizenzen an Repräsentanzen und akzeptieren daher nicht, dass die Aktivitäten einer Geschäftseinheit nach dem Recht des katarischen Finanzzentrums denen einer Repräsentanz entsprechen. Die Behörden des katarischen Staatsrechts werden aus diesem Grund annehmen, dass die Tätigkeiten einer Geschäftseinheit nach dem Recht des katarischen Finanzzentrums grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung in Katar führen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 20.34 führen. Folgende Tätigkeiten könnten grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung führen: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, Wellens/Hillmann 653

Kap. 20 Rz. 20.34 Mittlerer Osten

– Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die katarischen Behörden des Finanzzentrums unter Prüfung der tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten für die Ausübung einiger der aufgezählten Tätigkeiten keine Lizenz erteilen, die jedoch Voraussetzung für die Anwendung des Steuerregimes nach dem katarischen Finanzzentrum ist. Es existieren in diesem Zusammenhang nur wenige Leitlinien zu den Aktivitäten, die eine Betriebsstättenbegründung auslösen. Die katarische Finanzverwaltung übt aus diesem Grund ein hohes Maß an Diskretion in Bezug auf die Bekanntgabe von Tätigkeiten, die eine Betriebsstätte begründen, aus.

V. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 20.35 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Katar keine Besonderheiten. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bauund Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 20.36 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Bankenbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Im Rahmen der Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte sind Bankenaufsichtsregeln zu beachten. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. 20.37 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn einer Versicherungsbetriebsstätte wird nach den Vorgaben des AOA ermittelt. Versicherungsaufsichtsregeln zur Kapitalausstattung sind bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Rückversicherun-

654 Wellens/Hillmann

B. Katar

Rz. 20.44 Kap. 20

gen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden ebenfalls als dealings erfasst. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

20.38

Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existie- 20.39 ren in Katar keine Besonderheiten. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den Grundsätzen des AOA, wenngleich die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) entgegen der Auffassung der OECD angewendet werden kann. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

VI. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der Aufsichtsbehörde 20.40 des katarischen Finanzzentrums („Qatar Financial Centre Regulatory Authority“). Sie dauert in der Regel zwölf Wochen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaft- 20.41 steuer erstellen. Sie muss sechs Monate nach Ende des Veranlagungsjahres eingereicht werden. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 20.42 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 20.43 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es ist aber in Katar zu empfehlen, proaktiv eine Verrechnungspreisdokumentation zeitgleich mit der Steuererklärung anzufertigen. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und 20.44 Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgerecht eingereicht oder werden die Steuern nicht fristgerecht bezahlt, erfolgt eine Strafzahlung i.H.v. 3.000 QR. Beträgt die Fristüberschreitung mehr als Wellens/Hillmann 655

Kap. 20 Rz. 20.44 Mittlerer Osten

60 Tage, erhöht sich die Strafe auf bis zu 6.000 QR. Wenn der Steuerpflichtige seinen Aufzeichnungspflichten nicht nachkommt, kann eine jährliche Strafe von bis zu 20.000 QR verhängt werden. Eine zusätzliche Verzinsung der ausstehenden Steuerzahlungen oder zu zahlenden Strafen wird nicht angewendet.

VII. Nationale Verfahrensmaßnahmen 20.45 Tax Rulings. Das Steuerrecht in Katar enthält grundsätzlich die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen, wenngleich es keine praktischen Erfahrungen hinsichtlich der Erteilung verbindlicher Auskünfte in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung gibt. 20.46 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Katar möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) mit der lokalen Finanzbehörde zu führen, wenngleich praktische Erfahrungen über die Nutzung von Vorabverständigungsverfahren in Bezug auf Betriebsstätten nicht vorliegen.

C. Saudi-Arabien I. Betriebsstättenbegriff – Definition 20.47 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Saudi-Arabien als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen einzelne Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Zusätzlich hat Saudi-Arabien basierend auf der Interpretation des Art. 5 seiner DBA das Konzept der virtuellen Dienstleistungsbetriebsstätte eingeführt. Demnach wird eine Betriebsstätte in Saudi-Arabien auch angenommen, wenn Dienstleistungen für einen saudi-arabischen Kunden über einen Zeitraum von sechs Monaten erbracht werden. Eine physische Präsenz wird für eine solche Betriebsstätte nicht mehr vorausgesetzt. 20.48 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Saudi-Arabien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD kann eine Vertreterbetriebsstätte im Inland auch dann begründet werden, wenn eine Person ein Lager für Waren des ausländischen Unternehmens führt, aus dem die Güter ausgeliefert werden. Damit ist die Definition der Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit der Definition der UN. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

656 Wellens/Hillmann

C. Saudi-Arabien

Rz. 20.52 Kap. 20

unabhängigen Vertreter handelt oder bestimmte Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 20.49 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Dennoch verwendet die saudi-arabische Finanzbehörde bereits Vorschläge des BEPS-Aktionspunkts 7, z.B. im Zusammenhang mit der Fragmentierung von Verträgen zwischen nahestehenden Personen. Da Saudi-Arabien ein assoziierender Partner der OECD ist, wird erwartet, dass einige – wenn nicht alle – Aktionspunkte der BEPS-Initiative übernommen werden. Es kann vermutet werden, dass Saudi-Arabien das MLI unterzeichnen wird. Bisher existieren aber noch keine Verlautbarungen und Ankündigungen in Bezug auf das MLI und die Implementierung der BEPS-Aktionspunkte. Zur Bekämpfung von Missbrauch enthält das nationale Recht Saudi-Arabiens eine allgemeine Anti-Missbrauchsregelung („GAAR“), die auch Betriebsstätten umfasst.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Saudi-Arabien ei- 20.50 ne Betriebsstätte, wird grundsätzlich der Gewinn besteuert, der sich auf Basis der Buchführung nach nationalem Recht ergibt. Die Gewinne einer Betriebsstätte können aber auch auf Basis einer Schätzung ermittelt werden („Deemed Profit Methode“). Diese Methode wird vor allem bei Fluggesellschaften, See- oder Landfrachtund Transportunternehmen sowie anderen ausländischen Unternehmen und Geschäftstätigkeiten angewendet, für die es schwierig ist, die Saudi-Arabien zuzuordnenden Aufwendungen genau zu bestimmen. In diesem Zusammenhang wird der geschätzte Gewinn im Inland ohne Berücksichtigung von Aufwendungen besteuert. Die saudi-arabische Finanzverwaltung rechnet der Betriebsstätte aber auch Einkünfte des Stammhauses aus dem Verkauf von Waren oder Erträge aus der Erbringung von Dienstleistungen zu, die gleicher oder ähnlicher Art wie die bisher durch die Betriebsstätte verkauften Waren oder erbrachten Dienstleistungen sind („Limited Force of Attraction“). Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird in Saudi-Arabien nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert.

20.51

Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Saudi-Arabien nur ein- 20.52 geschränkt anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden nur eingeschränkt nach dem Fremdvergleichsgrundsatz vergütet. Einige Aufwendungen, wie z.B. Lizenzen, Zinsen und allgemeine Verwaltungsausgaben, die von dem Stammhaus in Rechnung gestellt Wellens/Hillmann 657

Kap. 20 Rz. 20.52 Mittlerer Osten

werden, sind in saudi-arabischen Betriebsstätten nicht abzugsfähig. Transaktionen mit eigenständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes vergütet. Diese Methode der Gewinnzuordnung ist nur bei der Gewinnermittlung auf Basis einer Buchführung und nicht auf Basis einer Schätzung möglich. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen, da die Betriebsstätte ein Konto beim Stammhaus hat, damit die Aktivitäten der Betriebsstätte finanziert werden können.

20.53 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Saudi-Arabien ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zusätzlich fallen Quellensteuern u.a. auf Lizenzen, Leasingzahlungen, Zinsen, Versicherungsprämien, verschiedene Dienstleistungen und andere Zahlungen an. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 20.54 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt selten den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Aufgrund der langanhaltend niedrigen Ölpreise sucht die saudi-arabische Regierung aktiv nach anderen Einnahmequellen, einschließlich der Einführung neuer Steuern oder Erhöhung bestehender Steuern. Die saudi-arabische Steuerverwaltung untersucht zunehmend grenzüberschreitende Transaktionen mit einem verstärkten Fokus auf Betriebsstätten. In diesem Zusammenhang wurde auch das Konzept der virtuellen Dienstleistungsbetriebsstätte eingeführt. Es wird in SaudiArabien empfohlen, eine Betriebsstättenanalyse vor der Aufnahme der Tätigkeiten im Inland durchzuführen, um mögliche Risiken zu vermeiden oder zu reduzieren. 20.55 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von vereinzelten Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Nach dem Steuergesetz Saudi-Arabiens wird eine Betriebsstätte eines nichtansässigen Unternehmens hingegen auch begründet, wenn sie für die Ausführung von Geschäften, wie z.B. Marketing, Forschung oder Hilfstätigkeiten, durch eine Lizenz zugelassen ist. 20.56 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen,

658 Wellens/Hillmann

C. Saudi-Arabien

Rz. 20.59 Kap. 20

– Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind. Ferner ist anzumerken, dass die saudi-arabische Finanzverwaltung ein hohes Maß an Diskretion in Bezug auf die Bekanntgabe von Tätigkeiten, die eine Betriebsstätte begründen, ausübt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 20.57 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Saudi-Arabien entgegen der Definition der OECD keine Besonderheiten im Hinblick auf den Zeitraum, der für Bauund Montagetätigkeiten vorliegen muss, um eine Betriebsstätte zu begründen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 20.50 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den 20.58 allgemeinen Regeln (s. Rz. 20.50 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 20.59 wie in Rz. 20.50 ff. ermittelt. Kapitalanforderungen wie auch Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus werden nicht im Rahmen der Gewinnermittlung berücksichtigt.

Wellens/Hillmann 659

Kap. 20 Rz. 20.60 Mittlerer Osten

20.60 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 20.50 ff.). 20.61 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Saudi-Arabien besondere Vorschriften, die von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte abweichen. Eine Vertreterbetriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Inland ein Lager mit Waren eines ausländischen Unternehmens führt, aus dem die Waren regelmäßig ausgeliefert werden. Damit basiert die Definition der Vertreterbetriebsstätte nach nationalem Recht auf den Leitlinien der UN. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach saudi-arabischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 20.50 ff.).

V. Steuerverwaltung 20.62 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der Behörde für Zakat und Steuern, um eine Lizenz für das Ausüben von genehmigten Geschäftstätigkeiten zu erlangen. Im Zusammenhang mit dem Registrierungsprozess müssen u.a. folgende beglaubigte Unterlagen auf Arabisch eingereicht werden: Beschluss der Gesellschafter, dass eine Betriebsstätte gegründet werden soll, Gründungsurkunde der ausländischen Gesellschaft, Handelsregisterauszug sowie Vertrag mit dem Geschäftspartner in Saudi-Arabien, soweit ein saudi-arabischer Partner in die Geschäftsbeziehung involviert ist. Die gesamte Registrierung dauert in der Regel eine Woche. 20.63 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist 120 Tage nach dem Veranlagungsjahr einzureichen. In diesem Zeitraum sollte auch der Jahresabschluss beim Handelsministerium eingereicht werden. Dies wird nicht benötigt, wenn der Gewinn der Betriebsstätte geschätzt wird. 20.64 Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen, wenn die Betriebsstätte auf Basis ihrer tatsächlichen Gewinne besteuert wird. Wird der Gewinn jedoch geschätzt, muss keine Buchführung angefertigt werden. 20.65 Verrechnungspreisdokumentationen. Die saudi-arabischen Vorschriften umfassen bisher keine Verrechnungspreisdokumentationen für Geschäftsbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, wenngleich im Rahmen der Steuererklärung verlangt wird, dass der Steuerpflichtige die fremdvergleichskonforme Vergütung der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen nachweist. In diesem Zusammenhang existieren aber keine detaillierten nationalen Vorschriften über die geeignete Verwendung von Verrechnungspreismethoden. Die Dokumentation der Fremdvergleichskonformität sollte eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug 660 Wellens/Hillmann

D. Türkei

Rz. 20.69 Kap. 20

auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette enthalten. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen 20.66 grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht, erfolgt eine Strafe aus dem höheren Wert von 5 % des Bruttoeinkommens des Steuerpflichtigen, aber nicht mehr als 20.000 SAR, und 5 % der unbezahlten Steuern, wenn die Verzögerung bis zu 30 Tage beträgt, 10 % bei 30 bis 90 Tagen, 20 % bei 90 bis 356 Tagen und 25 % bei mehr als 356 Tagen. Bezahlt der Steuerpflichtige die Steuer nicht fristgerecht, wird eine Strafe i.H.v. 1 % der unbezahlten Steuer für alle 30 Tage, die die Zahlung verzögert wird, erhoben. Versäumt der Steuerpflichtige eine Registrierung bei der Behörde für Zakat und Steuern innerhalb des ersten Veranlagungsjahres, wird eine Strafzahlung i.H.v. 10.000 SAR für Aktiengesellschaften und 5.000 SAR für andere Geschäftseinheiten fällig.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht Saudi-Arabiens enthält die Möglichkeit, eine verbindli- 20.67 che Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber eher selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Ein Ruling kann generell mehr Sicherheit verschaffen, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass die saudi-arabischen Steuerbehörde nicht an die Entscheidungen aus Rulings gebunden ist. Zur Verabschiedung einer verbindlichen Auskunft kann die Finanzverwaltung weitere Informationen und die Offenlegung von Tatsachen und Umständen einfordern. Advance Pricing Agreements. In Saudi-Arabien gibt es keine praktischen Erfahrun- 20.68 gen über die Nutzung von Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten.

D. Türkei I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in der Türkei als eine feste Ge- 20.69 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen nachhaltig seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Zu den festen Geschäftsein1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 661

Kap. 20 Rz. 20.69 Mittlerer Osten

richtungen, die in der Betriebsstättendefinition enthalten sind, gehören z.B. Büros, Produktionsstätten, Beratungsräume, Verwaltungsbüros, Niederlassungen, Hotels, Kaffeehäuser, Depots, Unterhaltungs- und Sportstätten, Felder, Weinberge, Gärten, Bauernhöfe, Bau- und Montageprojekte, Minen, Steinbrüche und andere Einrichtungen, die für kommerzielle, industrielle, landwirtschaftliche und berufliche Tätigkeiten genutzt werden. Zu den Tätigkeiten, die eine Betriebsstätte begründen, zählen z.B. die Übernahme eines bedeutenden Teils der Handels- und Produktionsaktivitäten, die Unterzeichnung von Handelsvereinbarungen und die Erbringung von Beratungs- oder sonstigen Dienstleistungen in der Türkei. Dauert eine Tätigkeit länger als sechs Monate an, wird generell eine Betriebsstätte begründet. Wenn aber Kernaktivitäten in der Türkei ausgeführt werden und das DBA keinen Schutz bietet, wird eine Betriebsstätte bereits ohne die sechsmonatige Frist begründet. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art können hingegen im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Es ist zu berücksichtigen, dass die türkischen Steuerbehörden sensibel auf Tätigkeiten in der digitalen Wirtschaft reagieren, da Aktivitäten in diesem Bereich in der Vergangenheit vermehrt zugenommen haben. In diesem Zusammenhang werden Diskussionen über das Betriebsstättenkonzept vor allem in Verbindung mit der digitalen Wirtschaft geführt, die sorgfältig verfolgt werden sollten. Die Steuerbehörde interpretiert besonders im Bereich der Online-Geschäfte den Betriebsstättenbegriff weiter und agiert in Betriebsprüfungen in diesem Zusammenhang weniger kompromissbereit.

20.70 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in der Türkei die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte grundsätzlich im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014, wenngleich die Definition der Betriebsstätte in der digitalen Wirtschaft von den Steuerbehörden weiter gefasst werden kann. Ferner werden abweichend von den Ausführungen der OECD Dienstleistungen in der Türkei besteuert, auch wenn das ausländische Unternehmen keine Betriebsstätte im Inland besitzt, aber die Tätigkeitsdauer 183 Tage in der Türkei übersteigt. 20.71 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Die BEPS-Initiative hat aber das Verhalten der Steuerverwaltung in Bezug auf die Geschäftstätigkeiten in der digitalen Wirtschaft beeinflusst. Bisher ist unklar, welche Änderungen durch die Einführung des MLI in der Türkei entstehen werden. Die Türkei hat bisher keine konkrete nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung. Die türkische Steuerverwaltung berücksichtigt aber die tatsächlichen Gegebenheiten vor den vertraglichen Vereinbarungen („Substance 662 Wellens/Hillmann

D. Türkei

Rz. 20.76 Kap. 20

over Form Principle“). Dieses Prinzip wird in den Betriebsprüfungen zur Missbrauchsbekämpfung eingesetzt.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in der Türkei eine 20.72 Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte für steuerliche Zwecke wie eine eigenständige Person behandelt wird. Es existiert keine eindeutige Definition über das Einkommen, das einer Betriebsstätte in Bezug auf ihre Tätigkeiten zuzuordnen ist. Nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes kann nur das Einkommen, das in der Türkei erzielt wurde, besteuert werden. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. AOA. Der AOA wird in der Türkei als generelle Leitlinie verwendet, wenngleich er 20.73 weder im nationalen Recht kodifiziert, noch in den DBA implementiert ist. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in nationales Recht oder in die DBA eingeführt wird. Dealings. Im Rahmen der Anwendung des AOA erkennt die Türkei anzunehmende 20.74 schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Dabei sind die durch die Betriebsstätte ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu berücksichtigen. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. Es existiert keine Mindestkapitalanforderung, wenngleich in der Praxis Kapital den Betriebsstätten im Zeitpunkt der Registrierung aufgrund von Verfahrensvorschriften zugeordnet wird. Es ist empfehlenswert, das Kapital nicht als Darlehen zu berücksichtigen, um keine steuerlichen Konsequenzen auszulösen. Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in der Türkei ergibt sich 20.75 aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Zusätzlich müssen Betriebsstätten eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus überwiesen wird, bezahlen. Ferner können Stempelsteuern für Verträge und andere Dokumente sowie eine spezielle Konsumsteuer abhängig von den Produkten zu zahlen sein. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann ge- 20.76 nerell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich nicht empfehWellens/Hillmann 663

Kap. 20 Rz. 20.76 Mittlerer Osten

lenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Die Betriebsstättendefinition kann jedoch von den Steuerbehörden weit ausgelegt werden. Wenngleich die türkische Finanzverwaltung in der Regel nicht sehr erfahren in Bezug auf Betriebsstättenthemen ist, haben Betriebsprüfungen in der vergangenen Zeit zugenommen.

20.77 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründet grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in der Türkei, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Zudem werden Tätigkeiten ohne Gewinnerzielungsabsicht nicht als Betriebsstätte angesehen.

20.78 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten.

664 Wellens/Hillmann

D. Türkei

Rz. 20.83 Kap. 20

Es ist anzumerken, dass jede kommerzielle Tätigkeit, die über Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art hinausgeht, grundsätzlich eine Betriebsstätte begründet. Zusätzlich stellt die Erteilung einer Genehmigung oder Vollmacht an einen Vertreter in der Türkei ein Betriebsstättenrisiko dar. Dementsprechend sollten Tätigkeiten und Verträge zwischen einem Vertreter und dem ausländischen Unternehmen sowie erteilte Vollmachten sorgfältig überprüft werden.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 20.79 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in der Türkei entgegen der Definition der OECD keine Besonderheiten. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist grundsätzlich eine Gewinnrealisierung bei Beendigung der Bau- und Montagetätigkeit erlaubt („Completed Contract Methode“). Wenn Abschlagzahlungen geleistet werden, unterliegen diese einer Quellensteuer i.H.v. 3 %, die mit der angefallenen Körperschaftsteuer im Jahr der Beendigung der Bau- und Montagetätigkeit verrechnet wird. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt dem 20.80 AOA. Bankenaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 20.81 nach den Vorgaben des AOA ermittelt. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden grundsätzlich als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Während Versicherungsaufsichtsregeln im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind, werden Rückversicherungen nicht in die Ermittlung des Gewinns einbezogen. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

20.82

Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren 20.83 in der Türkei besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich nicht von der Definition der OECD zur Vertreterbetriebsstätte abweichen. In der Betriebsprüfung besteht aber das Risiko, dass die Definition der Vertreterbetriebsstätte weiter ausgelegt wird. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach türkischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt vielmehr nach den Grundsätzen des Wellens/Hillmann 665

Kap. 20 Rz. 20.83 Mittlerer Osten

AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung 20.84 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt zunächst bei der Behörde für Unternehmensregistrierungen („Trade Registry Authority“), um in das Handelsregister aufgenommen zu werden. Im Anschluss wird die Betriebsstätte bei der nationalen Steuerbehörde unter Bekanntgabe des Tätigkeitsbeginns angemeldet. Zu den einzureichenden Unterlagen zählen u.a. ein Vorstandsbeschluss über die Tätigkeit der Betriebsstätte in der Türkei, ein Handelsregisterauszug des ausländischen Unternehmens sowie die Adresse der Betriebsstätte in der Türkei. Zudem muss eine Mitteilung an die Sozialversicherungsanstalt erbracht werden. Die Registrierung im Handelsregister dauert fünf bis sieben Tage. 20.85 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist bis zum 25.4. nach Ende des Veranlagungsjahres abzugeben. Zusätzlich sind monatliche Steuererklärungen anzufertigen, um die Steuervorauszahlungen zu bestimmen. Zudem müssen Umsatzsteuererklärungen bis zum 23. und Quellensteuererklärungen bis zum 24. des auf die Zahlung folgenden Monats eingereicht werden. 20.86 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen. 20.87 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist jedoch auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung spätestens 15 Tage nach der Anfrage bereitzustellen und sollte deshalb zeitgleich mit der Steuererklärung angefertigt werden. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit ihnen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. 20.88 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Werden die Steuern nicht fristgereicht gezahlt, erfolgt eine Zinsstrafe i.H.v. monatlich 1,4 % der ausstehenden Steuerzahlungen. Wenn der Steuerpflichtige seine Steuererklärung nicht firstgerecht einreicht oder weniger 666 Wellens/Hillmann

D. Türkei

Rz. 20.90 Kap. 20

als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert, ist die fehlende Steuerzahlung oder unter bestimmten Umständen das 1,5-fache der unbezahlten Steuer als Strafzahlung zu leisten.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht der Türkei enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 20.89 Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber grundsätzlich keine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Es wird in der Praxis nicht empfohlen, eine verbindliche Auskunft einzuholen, da sie im Allgemeinen wenig praktikabel für Angelegenheiten in Bezug auf Betriebsstätten ist. Die Klärung von Gesetzesinhalten ist davon ausgenommen. Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in der Türkei möglich, Vorabverständi- 20.90 gungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Es wird in der Türkei empfohlen, die Transaktion sehr genau zu analysieren und die Vor- und Nachteile eines Vorabverständigungsverfahrens vor dem Bewerbungsvorgang sorgfältig zu prüfen. Zur Reduzierung von Unklarheiten in Bezug auf die Gewinnzuordnung bei einer Betriebsstätte ist ein Vorabverständigungsverfahren besser geeignet als die Beantragung einer verbindlichen Auskunft.

Wellens/Hillmann 667

Kapitel 21 Nordamerika A. Kanada

B. USA

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.23

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.26

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.8

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.30

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 21.11

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 21.33

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 21.16

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 21.38

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.21

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.43

A. Kanada I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Die Definition einer Betriebsstätte1 nach dem nationalen 21.1 Recht Kanadas dient grundsätzlich der Aufteilung des steuerpflichtigen Einkommens eines Unternehmens auf die verschiedenen Provinzen, in denen das Unternehmen tätig ist. Sie besagt, dass eine Betriebsstätte in Kanada als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert wird, durch die eine Person ihre Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das kanadische Recht umfasst eine sehr weite Definition der Betriebsstätte. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art stellen nach nationalem Recht im Gegensatz zu den DBA keine Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte dar. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 21.2 Person im Namen eines Auftraggebers handelt und in Kanada die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Auftraggebers abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Abweichend von der Definition der OECD stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art sowie der unabhängige Vertreter nach nationalem Recht keine Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte dar. Die kanadischen DBA umfassen hingegen die typischen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art sowie den unabhängigen Vertreter als Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte. 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 669

Kap. 21 Rz. 21.3 Nordamerika

21.3 BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Kanada erwartet, dass durch die Einführung des Multilateralen Instruments (MLI) einige DBA mit Kanada geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Kanada hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 21.4 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Kanada eine Betriebsstätte, wird die Betriebsstätte auf Basis der ihr zugeordneten inländischen Einkünfte besteuert (Quellenprinzip). Die Zuordnung von Einnahmen und Aufwendungen zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte erfolgt auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes. Die Betriebsstätte wird nur als eingeschränkt selbständige Einheit betrachtet. Es existieren keine spezifischen Regelungen für die Zuteilung von Einnahmen und Aufwendungen, wenngleich Aufwendungen, die in Zusammenhang mit inländischen Einnahmen stehen, abgezogen werden dürfen. Kanadische Gerichte haben in Einzelfällen beschlossen, dass ein Abzug von fiktiven Aufwendungen bei einer Betriebsstätte hingegen nicht zulässig ist. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 21.5 AOA. Der AOA wird in Kanada nicht angewendet, da er weder im nationalen Recht noch grundsätzlich in den DBA implementiert ist. Eine Ausnahme hiervon stellt das DBA USA-Kanada dar. Die Finanzbehörden der beiden Länder einigten sich 2012, dass der AOA bei der Betriebsstättengewinnermittlung anzuwenden ist. Die kanadischen DBA sind grundsätzlich im Einklang mit den internationalen Standards der OECD, wenngleich der Wortlaut des Art. 7 in jedem Abkommen variiert. Es ist zu berücksichtigen, dass ein spezifischer Wortlaut in den DBA notwendig ist, um den Abzug fiktiver Aufwendungen bei einer Betriebsstätte zu ermöglichen. 21.6 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Kanada keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen ignoriert. Transaktionen mit eigenständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes vergütet. Für die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte existiert keine spezifische Regelung, wenngleich bei der Zuordnung der Zinsen ein Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital von 1,5:1 zu beachten ist, um eine übermäßige Anhäufung von Fremdkapital bei der Betriebsstätte zu vermeiden („Thin Capitalisation Rule“).

670 Wellens/Hillmann

A. Kanada

Rz. 21.10 Kap. 21

Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Kanada ergibt sich aus 21.7 der zu entrichtenden kombinierten Körperschaftsteuer aus Bundes- und Provinzsteuer. Zusätzlich müssen Betriebsstätten eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus überwiesen wird, bezahlen. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann ge- 21.8 nerell einer Betriebsprüfung unterzogen werden. Es ist grundsätzlich empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 21.9 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Kanada, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer unter Anwendung des geltenden DBA in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 21.10 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, Wellens/Hillmann 671

Kap. 21 Rz. 21.10 Nordamerika

– Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Tätigkeiten immer unter Anwendung des geltenden DBA in Bezug auf die tatsächlichen Fakten und Gegebenheiten zu überprüfen sind.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 21.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Kanada entgegen der Definition der OECD keine Besonderheiten. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 21.4 ff. beschrieben. 21.12 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt grundsätzlich den allgemeinen Regeln (s. Rz. 21.4 ff.). Der Abzug von Zinsaufwendungen für Schulden, die direkt der Betriebsstätte zugeteilt werden, ist erlaubt, wenn das zugeordnete Fremdkapital einer Betriebsstätte das Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital von 19:1 nicht übersteigt. Bankenaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. 21.13 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 21.4 ff. ermittelt. Versicherungsaufsichtsregeln sowie Rückversicherungen sind im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. 21.14 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 21.4 ff.). 21.15 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Kanada Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Eine Vertreterbetriebsstätte wird auch dann im Inland begründet, wenn eine Person Hilfstätigkeiten oder Tätigkeiten vorbereitender Art durchführt oder als unabhängiger Vertreter agiert. Die kanadischen DBA enthalten hingegen die typischen Ausnahmetatbestände für eine Betriebsstättenbegründung. Die Gewinnzuordnung nach der 672 Wellens/Hillmann

A. Kanada

Rz. 21.20 Kap. 21

„Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) ist nach kanadischem Recht entgegen der Auffassung der OECD möglich. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 21.4 ff.).

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Steu- 21.16 erbehörde („Canada Revenue Agency“), um die Geschäftsnummer für die Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Quellensteuer und Lohnsteuer zu beantragen. Die Registrierung wird innerhalb einer Woche vollzogen. Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die Körperschaft- 21.17 steuer erstellen. Sie ist sechs Monate nach dem Veranlagungsjahr abzugeben. Zusätzlich ist eine Umsatzsteuererklärung abhängig von den Umsätzen mindestens einmal jährlich zu erstellen. Zudem müssen Lohnsteuererklärungen zwei Monate und Quellensteuererklärungen drei Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums eingereicht werden. Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, Bücher und Auf- 21.18 zeichnungen zu führen, die der Ermittlung der Steuerzahlungen dienen (Hilfs- und Nebenrechnung). Es ist nicht notwendig, die Buchhaltungsdaten bei der Finanzbehörde einzureichen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 21.19 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Verrechnungspreisdokumentation ist hingegen auf Nachfrage der Finanzverwaltung z.B. im Rahmen einer Betriebsprüfung drei Monate nach der Anfrage bereitzustellen und sollte deshalb zeitgleich mit der Steuererklärung angefertigt werden. Die Dokumentation enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und wesentlichen Wirtschaftsgüter. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. Die Dokumentation umfasst keine Geschäftsbeziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus. Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen (ohne Berücksichtigung des Stammhauses) sind in einem eigenständigen Formular anzugeben („T106“). Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen 21.20 grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung erstmalig nicht fristgerecht eingereicht und liegt keine grobe Fahrlässigkeit vor, beträgt die Strafzahlung den höheren Wert aus 5 % zzgl. 1 % für jeden verspäteten Monat (maximal 17 %) multipliziert mit der unbezahlten Steuer und dem größeren Betrag aus 100 CAD und 25 CAD multipliziert mit der Anzahl der Tage, höchstens jedoch 100, bis die verspätete Steuererklärung eingereicht wurde. Zusätzliche Strafen für die verspätete Einreichung der Steuererklärung sind in den Provinzen Alberta und Quebec möglich. Die Wellens/Hillmann 673

Kap. 21 Rz. 21.20 Nordamerika

ausstehenden Steuerzahlungen unterliegen einem Zinssatz von täglich 5 %, der pro Quartal variieren kann. Gewinnanpassungen von Betriebsstätten unterliegen keinen Strafen.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 21.21 Tax Rulings. Das Steuerrecht Kanadas enthält die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Der Antrag auf die Erteilung einer verbindlichen Auskunft sollte fallabhängig beurteilt werden. 21.22 Advance Pricing Agreements. Zudem ist es in Kanada möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Es wird in Kanada nicht empfohlen, ein Vorabverständigungsverfahren zu führen, da es unklar ist, ob eine verbindliche Vorabzusage in Bezug auf die Anwendung des AOA erzielt werden kann. Zudem hat die kanadische Finanzbehörde nur wenig Erfahrung mit Vorabverständigungsverfahren bei Betriebsstätten. Diese Verfahren sind grundsätzlich nur für den Finanzdienstleistungssektor relevant, da Betriebsstätten in dieser Branche von erheblicher Größe sind.

B. USA I. Betriebsstättenbegriff – Definition 21.23 Betriebsstättendefinition. Das Konzept der Betriebsstätte1 existiert nach den nationalen Regelungen in den USA nicht. Stattdessen wird das ausländische Unternehmen mit dem Einkommen, das effektiv mit den Geschäften und dem Handel in den USA verbunden ist, besteuert (s. Rz. 21.26 ff.). Weder das nationale Recht noch Verordnungen enthalten eine genaue Definition, was das Kriterium „Geschäftstätigkeiten und Handel in den USA“ umfasst. Die grundlegenden Tatbestandsmerkmale werden hingegen durch die Rechtsprechung bestimmt. Im Allgemeinen sind die Geschäftstätigkeiten und der Handel in den USA durch Kontinuität und Gewinnerzielungsabsicht gekennzeichnet. Allerdings sollte immer einzelfallabhängig geprüft werden, ob das Kriterium der Geschäftstätigkeit oder des Handels in den USA erfüllt ist. Entsteht dem ausländischen Unternehmen ein effektiv verbundenes Einkommen mit Geschäften oder dem Handel in den USA, unterliegt das ausländische Unternehmen dann der US-amerikanischen Besteuerung, wenn seine Aktivitäten eine Betriebsstätte nach dem jeweils anzuwendenden DBA in den USA begründen. Nach den DBA ist ei1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

674 Wellens/Hillmann

B. USA

Rz. 21.28 Kap. 21

ne Betriebsstätte grundsätzlich als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. Zudem sind in einigen DBA explizit Regelungen zu Dienstleistungsbetriebsstätten enthalten. Vertreterbetriebsstätte. Die Betriebsstättendefinition in den DBA umfasst auch Per- 21.24 sonen, die im Namen eines ausländischen Unternehmens handeln und in den USA die Vollmacht haben, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausüben (Vertreterbetriebsstätte). Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 21.25 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. Es ist nicht zu erwarten, dass die USA das MLI unterzeichnen werden. Eine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung haben die USA bisher nicht.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Führt ein ausländisches Unternehmen in den USA Geschäfts- 21.26 tätigkeiten durch, wird das gesamte inländische Einkommen, das in Zusammenhang mit dem Handel oder den ausgeführten Geschäftstätigkeiten in den USA steht, als effektiv verbundenes Einkommen besteuert („Effectively Connected Income“). Dies gilt auch dann, wenn kein direkter Zusammenhang zwischen den inländischen Einkünften und dem Handel oder den ausgeführten Geschäftstätigkeiten in den USA während eines Veranlagungszeitraums besteht („Limited Force of Attraction Principle“). Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist grundsätzlich nicht möglich. AOA. Der AOA wird in den USA grundsätzlich nicht angewendet, da er nicht im na- 21.27 tionalen Recht implementiert ist. Der AOA ist aber in einigen DBA der USA enthalten. Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennen die USA keine anzuneh- 21.28 menden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden im Wesentlichen ignoriert. Transaktionen mit eigenständigen Gesellschaften des Konzerns oder fremden Dritten werden auf Basis des Wellens/Hillmann 675

Kap. 21 Rz. 21.28 Nordamerika

Fremdvergleichsgrundsatzes vergütet. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte wird grundsätzlich vorgenommen, wenngleich dies im nationalen Recht nicht vorgeschrieben ist.

21.29 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in den USA ergibt sich aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer auf Bundesebene. Zusätzlich fällt eine Körperschaftsteuer auf Ebene der Bundesstaaten an. Weiterhin müssen Betriebsstätten eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus überwiesen wird, bezahlen. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 21.30 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird selten einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt sehr häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Unsicherheiten in Bezug auf Betriebsstätten treten selten außerhalb der Finanzdienstleistungsbranche auf und sollten generell mit einem Vorabverständigungsverfahren gelöst werden. Wenn ein ausländisches Unternehmen keine Tätigkeiten ausführt, die zu einem effektiv verbundenen Einkommen führen, sollte es trotzdem eine Steuererklärung anfertigen, um einen späteren Abzug von Aufwendungen zu garantieren, wenn durch eine Betriebsprüfung effektiv verbundenes Einkommen nachträglich identifiziert wird. 21.31 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in den USA, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Zudem werden Tätigkeiten ohne Gewinnerzielungsabsicht nicht als Betriebsstätte angesehen. Weiterhin dürfen die Tätigkeiten in ihrer Gesamtheit keinen ständigen Vertreter oder eine Dienstleistungsbetriebsstätte begründen.

676 Wellens/Hillmann

B. USA

Rz. 21.35 Kap. 21

Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 21.32 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Es ist anzumerken, dass u.a. die Form der ausgeübten Geschäftstätigkeit einschließlich der Dauer einer festen Geschäftseinrichtung oder Dienstleistung, das gewöhnliche Abschließen von Verträgen im Namen des ausländischen Unternehmens sowie der Hilfscharakter der ausgeführten Tätigkeiten entscheidend sind, ob die aufgelisteten Tätigkeiten in der Praxis eine Betriebsstätte begründen.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstät- 21.33 te ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in den USA Besonderheiten, die aber in Einklang mit der Definition der OECD stehen. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 21.26 ff. beschrieben. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Der Gewinn kann aber auch abhängig von der Größe des Auftragnehmers erst mit Abschluss der Bau- und Montagetätigkeit realisiert werden („Completed Contract Methode“). Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den 21.34 allgemeinen Regeln (s. Rz. 21.26 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird 21.35 wie in Rz. 21.26 ff. ermittelt. Während Versicherungsaufsichtsregeln im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind, werden Rückversicherungen nicht in die Ermittlung des Gewinns einbezogen. Wellens/Hillmann 677

Kap. 21 Rz. 21.36 Nordamerika

21.36 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 21.26 ff.). 21.37 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in den USA besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich nicht von der Definition der OECD für Vertreterbetriebsstätte abweichen. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach US-amerikanischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte basiert auf den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 21.26 ff.).

V. Steuerverwaltung 21.38 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der bundesstaatlichen Steuerbehörde. 21.39 Steuererklärung. Das ausländische Unternehmen muss für die inländischen Einkünfte einer Betriebsstätte eine Einkommensteuererklärung für ausländische Unternehmen erstellen („IRS Form 1120-F“). Sie ist bis zum 15. Tag des vierten Monats, der auf das Veranlagungsjahr folgt, einzureichen, wenngleich eine sechsmonatige Verlängerung möglich ist. Zusätzlich ist eine Quellensteuererklärung bis zum 15.3. anzufertigen. 21.40 Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist grundsätzlich verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Recht aufzustellen, wenn die Betriebsstätte aufgrund ihrer Umsätze nicht davon befreit ist. Eine Hilfs- und Nebenrechnung ist nicht zusätzlich zu erstellen. 21.41 Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Verrechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es wird in den USA dennoch empfohlen, eine Verrechnungspreisdokumentation anzufertigen, um Verrechnungspreisstrafen abzuwenden. Die Dokumentation ist innerhalb von 30 Tagen nach Aufforderung der Finanzverwaltung einzureichen und enthält eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von Geschäftsbeziehungen mit ihnen, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter, Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter sowie eine Beschreibung der Wertschöpfungskette und den Beitrag der Betriebsstätte zur Wertschöpfungskette. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. 21.42 Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Reicht der Steuerpflichtige keine Steuererklärung ein, erfolgt die Besteuerung der Einnahmen, die einer Betriebsstätte zugeordnet werden, ohne Berücksichtigung von Aufwendungen. Wird die Steuererklärung nicht 678 Wellens/Hillmann

B. USA

Rz. 21.44 Kap. 21

fristgereicht eingereicht, muss eine Strafe i.H.v. monatlich 5 bis zu maximal 25 % der ausstehenden Steuerzahlungen gezahlt werden. Zahlt der Steuerpflichtige weniger als die deklarierte Steuer, dann wird eine monatliche Strafe von 0,5 bis zu maximal 25 % der nicht gezahlten Steuer fällig. Wenn der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuerzahlung deklariert, beträgt die Strafzahlung 20 % der unbezahlten Steuer. Zudem ist auf die ausstehenden Steuerzahlungen eine Zinsstrafe in Höhe des kurzfristigen Bundeszinses („Federal Short-Term Rate“) erhöht um 3 Prozentpunkte zu leisten.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht der USA enthält die Möglichkeit, eine verbindliche 21.43 Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber nur selten eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte und deren Gewinnzuordnung. Es wird in der Praxis nicht empfohlen, eine verbindliche Auskunft einzuholen. Advance Pricing Agreements. Anstatt einer verbindlichen Auskunft sollte in den 21.44 USA ein Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten bei der lokalen Finanzbehörde beantragt werden. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Es wird in den USA empfohlen, ein Vorabverständigungsverfahren zu führen, wenn komplexe Geschäftsbeziehungen vorliegen oder der Umfang der Geschäftsbeziehungen von erheblicher Bedeutung für das Unternehmen ist.

Wellens/Hillmann 679

Kapitel 22 Südamerika A. Brasilien

B. Kolumbien

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1

I. Betriebsstättenbegriff – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.23

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.4

II. Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.26

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.8

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.31

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 22.11

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände . . 22.34

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 22.16

V. Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 22.38

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.21

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.43

A. Brasilien I. Betriebsstättenbegriff – Definition Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Brasilien als eine feste Ge- 22.1 schäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Das Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung impliziert grundsätzlich, dass das ausländische Unternehmen in Brasilien registriert ist. Abweichend von der Definition der OECD sind Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art nicht als Tätigkeiten im nationalen Recht enthalten, die ausgeführt werden können, ohne eine Betriebsstätte zu begründen. Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine 22.2 Person in Brasilien die Vollmacht hat, das ausländische Unternehmen vertraglich zu binden (Vertreterbetriebsstätte). Im Gegensatz zur Auffassung der OECD ist die Fähigkeit, ein ausländisches Unternehmen vertraglich zu binden, von größerer Bedeutung als die Überprüfung der Abhängigkeit des Vertreters. Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art werden im nationalen Recht nicht als Ausnahmetatbestände für die Begründung einer Betriebsstätte aufgeführt. BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 22.3 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht und den DBA. In Bezug auf das 1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

Wellens/Hillmann 681

Kap. 22 Rz. 22.3 Südamerika

Multilaterale Instrument (MLI) liegt bisher keine Stellungnahme der brasilianischen Regierung vor. Brasilien hat keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung 22.4 Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Brasilien eine Betriebsstätte, wird der Gewinn des ausländischen Unternehmens anhand von Prozentsätzen aufgeteilt, die abhängig von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens variieren können („Presumed Profit Method“). Im Allgemeinen bilden 8 % der Umsatzerlöse aus dem Verkauf von Produkten des ausländischen Unternehmens die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung in Brasilien, während für Dienstleistungen grundsätzlich 32 % der Einnahmen in Brasilien besteuert werden. Zusätzlich sind 20 % der Bruttoeinnahmen des ausländischen Unternehmens zu versteuern, wenn es direkt Rechnungen an die brasilianischen Kunden ausstellt. Wenn der Vertreter Rechnungen an die brasilianischen Kunden stellt, sollten die Einkünfte des Vertreters von denen des ausländischen Unternehmens getrennt werden. Die Bestimmung der Bemessungsgrundlage bleibt identisch. Ist die Betriebsstätte hingegen in Brasilien registriert, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Eine indirekte Methode zur Gewinnermittlung einer Betriebsstätte ist nicht möglich. 22.5 AOA. Der AOA wird in Brasilien nicht angewendet. Er ist weder im nationalen Recht noch in den DBA implementiert. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der AOA in naher Zukunft in Brasilien eingeführt wird. 22.6 Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen erkennt Brasilien grundsätzlich keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen („dealings“) zwischen dem Stammhaus und der Betriebsstätte an. Geschäftsbeziehungen, wie z.B. Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus, werden nur berücksichtigt, wenn die Betriebsstätte in Brasilien registriert ist. Wird die Bemessungsgrundlage hingegen prozentual aus den Umsätzen oder Dienstleistungseinnahmen des ausländischen Unternehmens abgeleitet, werden keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus berücksichtigt. Eine Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte ist nicht vorgesehen. 22.7 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Brasilien ergibt sich aus der zu entrichtenden kombinierten Körperschaftsteuer. Diese setzt sich aus der Körperschaftsteuer zzgl. eines Aufschlags für Sozialleistungen zusammen. Zudem sind Quellensteuern u.a. für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab, sofern ein solches vorhanden ist. 682 Wellens/Hillmann

A. Brasilien

Rz. 22.10 Kap. 22

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens wird selten 22.8 einer Betriebsprüfung unterzogen. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt nur selten den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. Der Schwerpunkt der Steuerbehörden liegt auf der Identifikation von ständigen Vertretern, die eine Vollmacht besitzen, das ausländische Unternehmen vertraglich zu binden. Es wird daher Steuerpflichtigen empfohlen, eine schriftliche Vereinbarung zu besitzen, die vorsieht, dass der Vertreter keine Verträge im Namen des ausländischen Unternehmens abschließen kann. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebs- 22.9 stätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte unter Anwendung der DBA. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Sammlung von Informationen über Märkte, Wettbewerber und Kunden, – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Brasilien, – Pflege von Handelsverträgen und Beantwortung von Produktanfragen sowie – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. In Brasilien besteht grundsätzlich kein Betriebsstättenrisiko, wenn der Vertreter keine Vollmacht besitzt, im Namen des ausländischen Unternehmens Verträge abzuschließen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 22.10 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen können, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Lagereinrichtungen, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Lieferung von Rohstoffen und Komponenten oder Identifikation von Lieferanten, Wellens/Hillmann 683

Kap. 22 Rz. 22.10 Südamerika

– Anbieten von Beratungsleistungen, – Engagement in Werbetätigkeiten, – Koordination von Tätigkeiten zwischen dem Stammhaus und den Kunden, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher, – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen sowie – Überwachung von Bau- und Montageprojekten. Es ist zu berücksichtigen, dass ein Betriebsstättenrisiko in Brasilien entsteht, wenn eine feste Geschäftseinrichtung vorliegt oder ein Vertreter eine Vertragsvollmacht besitzt.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände 22.11 Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Brasilien entgegen der Definition der OECD keine Besonderheiten. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt, wie in Rz. 22.4 ff. beschrieben. 22.12 Bankenbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung einer Bankenbetriebsstätte folgt den allgemeinen Regeln (s. Rz. 22.4 ff.). Bankenaufsichtsregeln sind im Rahmen der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. 22.13 Versicherungsbetriebsstätte. Der Gewinn von Versicherungsbetriebsstätten wird wie in Rz. 22.4 ff. ermittelt. Sowohl Versicherungsaufsichtsregeln als auch Rückversicherungen zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus sind im Rahmen der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen. 22.14 Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten richtet sich nach den generellen Regelungen zur Gewinnermittlung (s. Rz. 22.4 ff.). 22.15 Vertreterbetriebsstätte. Im Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Brasilien besondere Vorschriften, die von der Definition der Vertreterbetriebsstätte nach der OECD abweichen. Die Tatbestandsvoraussetzung zur Begründung einer Vertreterbetriebsstätte nach nationalem Recht ist die Vollmacht, das ausländische Unternehmen vertraglich zu binden. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach brasilianischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen (s. Rz. 22.4 ff.).

684 Wellens/Hillmann

A. Brasilien

Rz. 22.20 Kap. 22

V. Steuerverwaltung Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte oder eines Repräsentations- 22.16 büros in Brasilien erfolgt bei der brasilianischen Steuerbehörde und nationalen Handelskammer, um eine Eintragung in das Handelsregister zu erwirken. Dazu muss das ausländische Unternehmen zunächst einen Antrag beim Ministerium für Handel, Industrie und Entwicklung einreichen, um eine Genehmigung zur Gründung einer Niederlassung in Brasilien zu erhalten. In diesem Zusammenhang müssen Unterlagen, wie z.B. das Gesellschaftsprotokoll über die Registrierung, die Gesellschaftssatzung, eine Liste mit Details zu den Anteilseignern, die Vollmacht des gesetzlichen Vertreters in Brasilien, eine Erklärung des Vertreters in Brasilien, in der er die von der Regierung auferlegten Bedingungen akzeptiert, sowie die letzte Bilanz, eingereicht werden. Da dies ein sehr zeitintensives und mühsames Verfahren ist, wird eine Zweigniederlassung in Brasilien nur selten gegründet. Ausländische Unternehmen bevorzugen stattdessen die Gründung einer Tochtergesellschaft in Brasilien. Steuererklärung. Eine registrierte Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für die 22.17 Körperschaftsteuer erstellen. Sie ist im Juni elektronisch einzureichen. Zusätzlich ist die Betriebsstätte verpflichtet, eine Quellensteuererklärung zwei Monate nach Ende des Veranlagungszeitraums abzugeben. Die Anfertigung und Einreichung einer Umsatzsteuererklärung ist abhängig von dem Bundesstaat und der Gemeinde, in der die Betriebsstätte ansässig ist. Hilfs- und Nebenrechnung. Eine Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss 22.18 nach dem nationalen Gesetz mit Hilfe einer Hilfs- und Nebenrechnung zu erstellen und im Mai einzureichen. Unternehmen, die weniger als 78 Mio. BRL Umsatz generieren, können eine vereinfachte Buchführung anwenden. Sie können auf Basis anzunehmender Gewinne besteuert werden und müssen daher nur eine Aufzeichnung über die Zahlungsströme und das Inventar führen. Verrechnungspreisdokumentation. Die Anfertigung und Einreichung einer Ver- 22.19 rechnungspreisdokumentation bei der Finanzverwaltung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Die Bestandteile einer Verrechnungspreisdokumentation wie der Aufbau der Unternehmensstruktur, Beschreibung der nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art von Geschäftsbeziehungen mit ihnen und die Berechnungen anhand der angewendeten Verrechnungspreismethode sollten in der Steuererklärung aufgeführt werden. Eine Funktionsanalyse ist in Brasilien nicht durchzuführen. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen füh- 22.20 ren grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuer nicht fristgereicht gezahlt, erfolgt eine Zinsstrafe auf die ausstehende Steuerzahlung in Höhe des brasilianischen Leitzinses. Zudem kann eine tägliche Strafe i.H.v. 0,33 % der ausstehenden Steuerzahlung anfallen, die auf 20 % der unbezahlten Steuer begrenzt ist, wenn der Steuerpflichtige die Steuern noch vor der Steuerprüfung bezahlt. Deklariert der Steuerpflichtige weniger als die tatsächliche Steuer, beträgt die Strafzahlung 75 % der unbezahlten Steuer. Die Strafzahlung steigt auf 150 % der unbezahlten Steuer an,

Wellens/Hillmann 685

Kap. 22 Rz. 22.20 Südamerika

wenn die Steuerbehörde feststellt, dass der Steuerpflichtige in betrügerischer Absicht gehandelt hat.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen 22.21 Tax Rulings. Das Steuerrecht Brasiliens bietet die Möglichkeit, eine verbindliche Auskunft (Tax Ruling) einzuholen. Die Finanzbehörde erlässt aber nur selten ein Ruling in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte, während eine verbindliche Auskunft in Bezug auf die Begründung einer Betriebsstätte nicht möglich ist. Es wird in Brasilien nicht empfohlen, eine verbindliche Auskunft einzufordern, da für den Steuerpflichtigen grundsätzlich keine Möglichkeit besteht, mit der Finanzverwaltung über die Inhalte des Rulings zu diskutieren. Die Finanzverwaltung prüft vielmehr nur die eingereichten Unterlagen und informiert den Steuerpflichtigen über die steuerlichen Konsequenzen. 22.22 Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in Brasilien nicht möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen.

B. Kolumbien I. Betriebsstättenbegriff – Definition 22.23 Betriebsstättendefinition. Eine Betriebsstätte1 wird in Kolumbien als eine feste Geschäftseinrichtung im Inland definiert, durch die ein ausländisches Unternehmen seine Geschäfte ganz oder teilweise ausübt. Ausnahmen hiervon stellen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art dar. Diese können im Inland ausgeführt werden, ohne dass dadurch eine Betriebsstätte begründet wird. 22.24 Vertreterbetriebsstätte. Eine Betriebsstätte wird auch dann begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Kolumbien die Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese Vollmacht gewöhnlich ausübt (Vertreterbetriebsstätte). Einer Vertreterbetriebsstätte werden alle Tätigkeiten zugeordnet, die der Vertreter für das ausländische Unternehmen im Inland übernimmt. Die Begründung einer Betriebsstätte durch einen Vertreter liegt jedoch dann nicht vor, wenn es sich um einen unabhängigen Vertreter handelt oder nur Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art durch den Vertreter ausgeführt werden. Damit sind die Definitionen der Betriebsstätte bzw. Vertreterbetriebsstätte im Einklang mit Art. 5 OECD-MA 2014.

1 Die Steuerrechtsdarstellungen im folgenden Kapitel basieren auf der Auswertung eines Fragebogens, der von Experten/innen im Netzwerk von PricewaterhouseCoopers beantwortet wurde.

686 Wellens/Hillmann

B. Kolumbien

Rz. 22.29 Kap. 22

BEPS. Die Vorschläge der OECD im Rahmen des Projekts „Base Erosion and Profit 22.25 Shifting“ (BEPS) zur Verhinderung einer künstlichen Umgehung der Betriebsstättenbegründung, wie in Aktionspunkt 7 dargestellt, hatten bisher keinen Einfluss auf die Betriebsstättendefinition im nationalen Recht. Die Vorschläge des Aktionspunkts 7 wurden aber bereits im DBA Kolumbien-Vereinigtes Königreich, das im November 2016 unterzeichnet wurde, berücksichtigt. Im Wesentlichen wurden in das DBA die Vorschläge der OECD zu den unschädlichen Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art aufgenommen. Kolumbien erwartet, dass durch die Einführung des MLI alle DBA mit Kolumbien geändert werden und eine flexible Implementierung der optionalen Bestandteile des MLI erfolgen wird. Kolumbien hat bisher keine nationale Anti-Missbrauchsregelung in Bezug auf die künstliche Vermeidung einer Betriebsstättenbegründung.

II. Besteuerung Gewinnermittlung. Unterhält ein ausländisches Unternehmen in Kolumbien eine 22.26 Betriebsstätte, wird das Einkommen, das der Betriebsstätte zuzuordnen ist, besteuert. Die Zuordnung des Einkommens erfordert, dass die Betriebsstätte wie eine eigenständige Person behandelt wird, die sowohl mit Dritten als auch mit anderen Teilen des ausländischen Unternehmens Geschäftsbeziehungen unterhalten kann. Die anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen sind auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes zu vergüten. AOA im nationalen Recht. Der AOA ist seit 2013 in das nationale Steuerrecht von 22.27 Kolumbien implementiert und folgt im Wesentlichen dem Vorschlag der OECD. Einer Betriebsstätte oder Zweigniederlassung in Kolumbien werden das Einkommen und die Kapitalerträge zugeordnet, die diese Betriebsstätte oder Zweigniederlassung unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes erhalten hätte, wenn sie ein getrenntes und unabhängiges Unternehmen des ausländischen Unternehmens wäre. Dies gilt unabhängig davon, ob dieses Einkommen oder die Kapitalerträge durch Umstände oder Transaktionen zwischen der Betriebsstätte in Kolumbien und einem anderen Unternehmen, einer Einzelperson oder aus internen Geschäften mit anderen Teilen desselben Unternehmens entspringen. Zu diesem Zweck werden die entwickelten Funktionen, verwendeten Wirtschaftsgüter, involvierten Personen und angenommenen Risiken der Betriebsstätte berücksichtigt. AOA in DBA. Der AOA wird grundsätzlich auch in den DBA von Kolumbien auf- 22.28 gegriffen. Erstmalig wurde er im März 2005 in das DBA Kolumbien-Spanien implementiert. Es ist zu berücksichtigen, dass einige der DBA (z.B. das DBA KolumbienChile) neben dem AOA auch die Möglichkeiten enthalten, die Bruttoeinkünfte des Unternehmens basierend auf einer Verteilungsmethode jedem Teil des Unternehmens zuzuordnen. Zur Bestimmung der Gewinne einer Betriebsstätte kann somit auch auf die indirekte Methode zurückgegriffen werden. Dealings. Im Rahmen der nationalen Regelungen zum AOA erkennt Kolumbien an- 22.29 zunehmende schuldrechtliche Beziehungen („dealings“) zwischen anderen Teilen des Wellens/Hillmann 687

Kap. 22 Rz. 22.29 Südamerika

Unternehmens und der Betriebsstätte an. Typische Beispiele für dealings einer Betriebsstätte sind Dienstleistungen, Lizenzgeschäfte, Finanzgeschäfte, Garantien, gewöhnlicher Warentransfer, Transfer von Anlagevermögen und die Vermietung von Wirtschaftsgütern. Alle dealings sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu vergüten. Die Zuteilung des Eigenkapitals zur Betriebsstätte basiert auf den Wirtschaftsgütern und Risiken, die der Betriebsstätte zugeordnet sind.

22.30 Steuerbelastung. Die Steuerbelastung einer Betriebsstätte in Kolumbien ergibt sich zum einen aus der zu entrichtenden Körperschaftsteuer. Ferner müssen Betriebsstätten eine Quellensteuer auf ihren Nachsteuergewinn, der an das Stammhaus überwiesen wird, bezahlen, wenn der Gewinn bereits einer Besteuerung auf Ebene der kolumbianischen Betriebsstätte unterlag. Wenn die Gewinne, die an das Stammhaus überwiesen werden, nicht auf Ebene der Betriebsstätte besteuert wurden, fällt eine höhere Steuerbelastung auf die anzunehmende Dividendenzahlung an. Eine Quellensteuer ist u.a. auch für Zins- und Lizenzzahlungen zu entrichten. Die Quellensteuerbelastung hängt vom jeweils anzuwendenden DBA ab. Darüber hinaus wird eine kommunale Steuer auf die Bruttoeinkünfte der Betriebsstätte erhoben. Weitere Steuern wie Grund- oder Bankensteuern können hinzukommen. Die Betriebsstätte unterliegt grundsätzlich der gleichen Besteuerung wie ein rechtlich eigenständiges Unternehmen.

III. Betriebsprüfung und Steuerplanung 22.31 Betriebsprüfung. Eine Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens kann generell einer Betriebsprüfung unterzogen werden, wenngleich bisher noch nicht viele Betriebsprüfungen in Bezug auf die Gewinnzuordnung einer Betriebsstätte durchgeführt wurden. Es ist grundsätzlich nicht empfehlenswert, proaktive Diskussionen mit der lokalen Steuerbehörde zu führen, um mögliche Strafen bei der unbeabsichtigten Begründung einer Betriebsstätte zu vermeiden, weil z.B. die aktuelle Projektzeit einer Bau- und Montagebetriebsstätte länger andauert als erwartet. Die Finanzverwaltung folgt sehr häufig den Vorgaben aus dem jeweils anzuwendenden DBA. 22.32 Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig nicht zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Die Durchführung von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art begründen grundsätzlich keine Betriebsstätte. Typische Beispiele für unschädliche Tätigkeiten sind: – Durchführung von Marktforschung zur Produkt- oder Dienstleistungsnachfrage sowie zu potentiellen Kundenbedürfnissen und Preiserwartungen, – Erheben von Informationen über die regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Niederlassung in Kolumbien und – Teilnahme an Ausstellungen und Messen. Dabei sollte beachtet werden, dass alle relevanten Informationen, die den Hilfs- und vorbereitenden Charakter der Tätigkeit belegen, aufzubewahren sind. In jedem Fall werden die Aktivitäten, die einen wesentlichen Bestandteil der Tätigkeiten der aus688 Wellens/Hillmann

B. Kolumbien

Rz. 22.36 Kap. 22

ländischen Gesellschaft darstellen, nicht als Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art angesehen, sondern führen grundsätzlich zu einer Betriebsstättenbegründung. Es existiert keine konkrete Definition von Hilfstätigkeiten und Tätigkeiten vorbereitender Art, da die Steuerbehörden den Umfang dieser Tätigkeiten bisher nicht klargestellt haben. Dies eröffnet Raum für unterschiedliche Interpretationen. Beispiele für Tätigkeiten, die regelmäßig zur Begründung einer Betriebsstätte 22.33 führen. Typische Beispiele für Tätigkeiten, die zu einer Betriebsstättenbegründung führen, sind: – Engagement in Handel oder Geschäftstätigkeiten, – Vermietung von Büroflächen oder anderer Einrichtungsgegenstände gegen Gebühr (Leasing), – Verhandeln von Verträgen, – Abschluss von Verträgen, – Erstellen von Zahlungsbelegen, – Anbieten von Beratungsleistungen, – Bereitstellung von Dienstleistungen für die Unterstützung und Verwaltung von Distributoren und Kunden, – technische Überwachung und Qualitätskontrolle von Waren, – Bereitstellung technischer Verkäufe an Händler und Endverbraucher sowie – administrative Unterstützung für verbundene Tochtergesellschaften/Filialen.

IV. Besteuerung ausgewählter Betriebsstätten-Sondertatbestände Bau- und Montagebetriebsstätte. In Bezug auf eine Bau- und Montagebetriebsstätte 22.34 ergeben sich aus den nationalen Vorschriften in Kolumbien Besonderheiten, die von der Definition der OECD abweichen. Das nationale Recht umfasst keine Dauer einer Bau- und Montagetätigkeit, die zur Begründung einer Betriebsstätte notwendig ist. Die Ermittlung des Gewinns erfolgt nach dem AOA. Bei periodenübergreifenden Bau- und Montagetätigkeiten ist eine Teilgewinnrealisation abhängig vom Grad der Fertigstellung erlaubt („Percentage of Completion Methode“). Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt. Banken- oder Versicherungsbetriebsstätte. Nach den steuerlichen Vorschriften in 22.35 Kolumbien ist es für eine ausländische Bank oder Versicherung nicht möglich, eine Banken- oder Versicherungsbetriebsstätte in Kolumbien zu gründen. Explorationsbetriebsstätte. Die Gewinnermittlung von Explorationsbetriebsstätten 22.36 richtet sich nach den Vorgaben des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebs-

Wellens/Hillmann 689

Kap. 22 Rz. 22.36 Südamerika

stätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

22.37 Vertreterbetriebsstätte. In Zusammenhang mit der Vertreterbetriebsstätte existieren in Kolumbien besondere Vorschriften, die aber grundsätzlich in Einklang mit der Definition der Vertreterbetriebsstätte nach Art. 5 OECD-MA 2014 stehen. Eine Vertreterbetriebsstätte wird nach nationalem Recht begründet, wenn eine Person im Namen eines ausländischen Unternehmens handelt und in Kolumbien eine Vollmacht hat, Verträge im Namen dieses Unternehmens abzuschließen, und diese üblicherweise ausübt. Bei Vorliegen dieser Kriterien wird eine Betriebsstätte in Bezug auf alle Aktivitäten, die der Vertreter für das Unternehmen ausübt, angenommen, es sei denn, die Tätigkeiten des Vertreters sind auf Hilfs- und Nebentätigkeiten beschränkt oder die Tätigkeiten werden durch einen unabhängigen Vertreter ausgeführt. Die Gewinnzuordnung nach der „Nullsummentheorie“ („Single Taxpayer Approach“) wird nach kolumbianischem Recht in Anlehnung an die OECD abgelehnt. Die Gewinnermittlung der Vertreterbetriebsstätte erfolgt vielmehr nach den Grundsätzen des AOA. Geschäftstätigkeiten zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus oder anderen Teilen des Unternehmens werden als anzunehmende schuldrechtliche Beziehung anerkannt.

V. Steuerverwaltung 22.38 Registrierung. Die Registrierung einer Betriebsstätte erfolgt bei der nationalen Behörde für Steuern und Zölle – Dirección de Impuestos y Aduanas Nacionales. Sie dauert in der Regel zwei Wochen. Die Registrierung muss auch bei der kommunalen Steuerbehörde erfolgen, um sowohl eine nationale als auch lokale Steuer-ID zu erhalten. Zur Beantragung einer Steuer-ID muss die Betriebsstätte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des ausländischen Unternehmens, ein Dokument, in dem das ausländische Unternehmen die Absicht erklärt, Aktivitäten in Kolumbien auszuführen, die eine Betriebsstätte begründen, eine Kopie der ID des gesetzlichen Vertreters des ausländischen Unternehmens und eine Bescheinigung über das Vorliegen eines Bankkontos einreichen. Die Registrierung muss vor Aufnahme der Geschäftstätigkeiten erfolgen. 22.39 Steuererklärung. Die Betriebsstätte muss eine Steuererklärung für direkte und indirekte Steuern sowie für Quellensteuern erstellen. Die Steuererklärung für die Körperschaftsteuer und kommunale Steuer erfolgt jährlich, während die Umsatzsteuererklärung alle zwei Monate angefertigt werden muss. Die Steuererklärung für die Quellensteuer ist monatlich einzureichen. Das ausländische Unternehmen muss keine zusätzliche Steuerklärung abgeben. 22.40 Hilfs- und Nebenrechnung. Jede Betriebsstätte ist verpflichtet, einen Jahresabschluss nach dem nationalen Gesetz zu erstellen, auch wenn das ausländische Unternehmen mehrere Betriebsstätten in Kolumbien unterhält. Der Jahresabschluss einer Betriebsstätte besteht aus einer Dokumentation der Einkommenszuordnung sowie interner und externer unterstützender Belege. Darüber hinaus muss eine Hilfsaufzeichnung 690 Wellens/Hillmann

B. Kolumbien

Rz. 22.43 Kap. 22

geführt werden, die jede Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte aufzeichnet, die ihr zugeordnet werden kann. Am Ende des Geschäftsjahres wird auf Grundlage dieser Hilfsaufzeichnungen eine Hilfs- und Nebenrechnung erstellt, die als Erfolgsrechnung dient und alle Aktivitäten der Betriebsstätte enthält. Verrechnungspreisdokumentation. Ferner muss die Betriebsstätte jährlich Infor- 22.41 mationen in Bezug auf ihre Tätigkeiten über ein elektronisches System in Kolumbien abgegeben. Diese Berichte müssen an die nationale sowie kommunale Steuerbehörde gerichtet werden. In diesem Zusammenhang ist eine Verrechnungspreisdokumentation anzufertigen, die eine Beschreibung der Geschäftstätigkeiten und nahestehenden Personen sowie Informationen über die Art und den Umfang von dealings, wesentliche Personalfunktionen, wesentliche Wirtschaftsgüter sowie Veränderungen und Risiken der Betriebsstätte in Bezug auf die ausgeübten Personalfunktionen und zugeordneten Wirtschaftsgüter enthält. Zudem müssen die Wahl der angewendeten Verrechnungspreismethode, die Rechtfertigung der Eignung der gewählten Verrechnungspreismethode, die Berechnungen anhand dieser Methode sowie die verwendeten Datenquellen aufgeführt werden. In Form einer Risiko- und Funktionsanalyse muss die Betriebsstätte Informationen über die Zuordnung von Kapital zur Betriebsstätte basierend auf den Wirtschaftsgütern und Risiken, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind, sowie über die Prüfung und Bestimmung der Art und des Umfangs der internen Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und anderen Teilen des ausländischen Unternehmens bekannt geben. Strafen. Die Fristverletzung und fehlende Einreichung von Steuererklärungen und 22.42 Dokumentationen führen grundsätzlich zu Strafzahlungen. Wird die Steuererklärung nicht fristgereicht eingereicht, erfolgt eine Strafe i.H.v. 5 bis zu 100 % der (Quellen-)Steuerschuld für jeden überzogenen Monat. Ein verspätetes Einreichen der Steuererklärung nach einer offiziellen Aufforderung der Steuerbehörde führt zu einer Verdoppelung der aufgeführten Prozentsätze. Für verspätete Steuerzahlungen fällt ein effektiver jährlicher Zins von 31,51 % an. Wenn der Steuerpflichtige keine Steuererklärung einreicht, muss der höchste Wert aus 20 % der Bankeinlagen oder Bruttoeinkünfte des Jahres, für die keine Steuererklärung erstellt wurde, oder 20 % der Bruttoeinkünfte aus der vergangenen Steuererklärung als Sanktion gezahlt werden.

VI. Nationale Verfahrensmaßnahmen Tax Rulings. Das Steuerrecht Kolumbiens enthält keine Möglichkeit, eine verbindli- 22.43 che Auskunft (Tax Ruling) für spezielle Fragen einzuholen. Aus diesem Grund kann kein verbindlicher Vorbescheid zur Begründung oder Nichtbegründung einer Betriebsstätte bei der Finanzverwaltung eingeholt werden. Es besteht hingegen die Möglichkeit, allgemeine Anfragen in Bezug auf die offizielle Interpretation einzelner steuerlicher Vorschriften zu stellen.

Wellens/Hillmann 691

Kap. 22 Rz. 22.44 Südamerika

22.44 Advance Pricing Agreements. Demgegenüber ist es in Kolumbien möglich, Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements) in Bezug auf Betriebsstätten mit der lokalen Finanzbehörde zu führen. Diese können unilateral oder bi- bzw. multilateral geführt werden. Grundsätzlich wird aber in Kolumbien davon abgeraten, Vorabverständigungsverfahren zu führen, da die Erfolgswahrscheinlichkeiten eher gering sind.

692 Wellens/Hillmann

Stichwortverzeichnis

Ägypten – – – – –

Besteuerung 20.4 ff. Betriebsprüfung 20.8 ff. Betriebsstätte 20.1 ff. nationale Verfahrensmaßnahmen 20.21 f. Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 20.11 ff. – Steuerplanung 20.8 ff. – Steuerverwaltung 20.16 ff. Anti-Fragmentierungsregelung – Begriff 3.48 Anzeigepflicht – Betriebsstätte 12.7 ff. Anzunehmende schuldrechtliche Beziehung – Bankbetriebsstätte 14.97 ff. – Dealing 9.9 ff. – fiktive Darlehensbeziehung Bankbetriebsstätte 14.102 ff. – Finanzierungsfunktion innerhalb eines Unternehmens 8.76 ff. – Förderbetriebsstätte 16.53 ff. – Functionally Separate Entity Approach 9.2 – Personalfunktion 9.5 ff. – Regelungsinhalt 9.2 – Routinebetriebsstätte 13.51 ff. – Zielsetzung 9.1 AOA – Ausblick auf Übernahme in DBA 2.92 – Ausgangspunkt 2.6 ff. – Bankbetriebsstätte 2.72, 14.115 ff. – Betriebsstättengewinn, Zuordnung 2.19 ff. – Dokumentation 2.70 ff. – Entwicklung 2.1 ff. – Förderbetriebsstätte 16.27 ff. – Geschäftsbeziehung § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG 6.20 ff. – Gewinnabgrenzung im Einzelnen 6.1 ff. – Gewinnermittlung 7.63 ff. – Global Trading 2.73 – Grundannahme 2.6 ff. – historische Entwicklung 1.21 ff. – Implementierung in das OECD-MA 2.75 ff.

– Implementierung, zweistufiger Ansatz 2.76 – Kontext 2.6 ff. – OECD-Aktionsplan Bekämpfung Gewinnverkürzung/-verlagerung 2.84 ff. – Personengesellschaft 6.78 ff. – systematische Verortung 6.3 ff. – Tatbestandsvoraussetzung § 1 Abs. 5 AStG 6.14 ff. – Teil I 2.19 ff. – Teil II 2.72 – Teil III 2.73 – Teil IV 2.74 – Umsetzung 1.25 ff. – Umsetzung § 1 Abs. 5 AStG 6.1 ff. – unionsrechtlicher Rahmen 5.1 ff. – Unionsrechtsbedeutung 5.1 ff. – Vereinte Nationen 2.92 – verfassungsrechtliche Vorgabe 4.1 ff.; s.a. Verfassungsrecht – Verhältnis § 1 Abs. 5 AStG zu anderen Normen 6.6 ff. – Versicherungsbetriebsstätte 2.74, 15.1 ff., 15.25 f., 15.43 f. – Wertungsvorgabe 1.33 ff. – Zielsetzung 1.29 ff. ATAD – Sekundärrecht 5.12 ff. Ausland – Geschäftsbeziehung 6.28 ff. Australien – Besteuerung 18.4 ff. – Betriebsprüfung 18.8 ff. – Betriebsstätte 18.1 ff. – nationale Verfahrensmaßnahme 18.21 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 18.11 ff. – Steuerplanung 18.8 ff. – Steuerverwaltung 18.16 ff. Authorised OECD Approach s. AOA

Bankbetriebsstätte – andere Tätigkeiten 14.22 f. – Änderung Zuordnung 14.76 ff. – Änderung Zuordnung, Fremdvergleichsbeachtung 14.86 ff.

Sterzinger 693

Stichwortverzeichnis – Anerkennung fiktiven Darlehensverhältnisses 14.102 ff. – Anpassung Dotationskapital inl. Betriebsstätte 14.138 ff. – Anwendung AOA 14.1 ff. – anzunehmende schuldrechtliche Beziehung 14.97 ff. – AOA 2.72 – aufzuteilendes Kapital 14.126 f. – ausl., Anpassung Dotationskapital 14.164 ff. – ausl., ausländisches Aufsichtsrecht 14.157 ff. – ausl., Dotationskapital 14.147 ff. – Bankgeschäft KWG 14.16 ff. – Betriebsstätte Kreditinstitut 14.6 ff. – Definition 14.4 – Dotationskapital inländischer 14.118 ff. – Einlagesammelstelle 14.109 ff. – Ermittlung Dotationskapital bei Unterkapitalisierung ausl. Kreditinstituts 14.135 ff. – faktische Änderung Zuordnung Vermögenswert 14.94 ff. – fiktive Darlehensbeziehung 14.102 ff. – Finanzierungsdienstleistungsinstitut 14.6 ff. – Finanzinstrument, globaler Handel 14.171 ff.; s.a. Finanzinstrument – Gründung 14.24 ff. – Handelsgeschäft 14.68 f. – höheres Dotationskapital 14.154 ff. – Kapitalaufteilungsmethode 14.122 f. – Kreditgeschäft 14.66 f. – Kreditinstitut 14.6 ff. – Mindestkapitalausstattungsmethode 14.151 ff. – niedrigeres Dotationskapital im Ausnahmefall 14.128 ff. – risikogewichtete Positionsbeiträge 14.124 f. – sachgerechter Zinssatz 14.113 ff. – Schließung 14.27 ff. – Unterkapitalisierung inl. Kreditinstituts 14.161 ff. – unternehmerische Risikoübernahmefunktion 14.40 ff. – Vereinfachungsregelung inländische 14.132 ff. – Vergleich AOA 14.30, 14.115 ff., 14.145 f. – Vermögenswert, anderer 14.58 f.

694 Sterzinger

– – – –

Vermögenswert Handelsgeschäft 14.55 ff. Vermögenswert Kreditgeschäft 14.50 ff. Zuordnung Kundenbeziehung 14.82 ff. Zuordnung Vermögenswert 14.45 ff., 14.60 ff. – Zuordnung Vermögenswerte wg. Kundenbeziehung 14.70 ff. Base Erosion and Profit Shifting s. BEPS Bau- und Montagebetriebsstätte – Abgrenzung Routine- und komplexe Betriebsstätte 13.42 ff. – Anschluss-/Folgevertrag, Abgrenzung 13.17 f. – AOA 13.1 ff. – ARGE 13.19 ff. – Begriff 13.2 ff. – Beispiel Gewinnermittlung Funktions- u. Risikoanalyse 13.86 – besondere Zuordnungsregelung 13.24 ff. – Besonderheit 13.1 ff. – BsGaV, VWG BsGa 13.7 ff. – BsGaV/VWG BsGa 13.85 – feste Geschäftseinrichtung 13.1 ff. – Gewinnermittlung 13.42 ff. – Konsortium 13.19 ff. – Multifunktionsbetriebsstätte 13.15 f. – OECD-Betriebsstättenbericht 2010 13.1 ff. – sachlicher Anwendungsbereich BsGaV 13.9 ff. – Umsetzung AOA innerstaatl. Recht 13.7 ff. – Verrechnungspreismethode 13.42 ff. – VWG Betriebsstätten 13.5 f. – zeitlicher Anwendungsbereich BsGaV 13.9 ff. – Zuordnung Chancen und Risiken 13.30 ff. – Zuordnung Personalfunktion 13.24 ff. – Zuordnung Vermögenswert 13.30 ff. – Zuordnung Vertrag 13.37 ff. – Zuordnung Wirtschaftsgut 13.30 ff. Beihilferecht – Anwendungsbereich 5.41 f. – Verstoß bei Besteuerung von Betriebsstätten 5.43 ff. Belgien – Besteuerung 19.4 ff. – Betriebsprüfung 19.8 ff. – Betriebsstätte 19.1 ff. – nationale Verfahrensmaßnahme 19.21 f.

Stichwortverzeichnis – Sondertatbestand ausgewählter Betriebsstätten 19.11 ff. – Steuerplanung 19.8 ff. – Steuerverwaltung 19.16 ff. BEPS 2.84 ff. Beteiligung – Zuordnung 7.139 ff. Betriebsstätte – Ägypten 20.1 ff. – Anpassung gebuchten Finanzierungsaufwands 2.55 – Anzeigepflicht 12.7 ff. – Australien 18.1 ff. – Ausweitung Begriff 3.1 ff. – Bau- und Montagebetriebsstätte 13.42 ff. – Bedeutung Internationales Steuerrecht 1.1 ff. – Beginn 12.51 ff. – Beihilferecht 5.43 ff. – Belgien 19.1 ff. – Besteuerungsprinzip in persönl. Hinsicht 1.7 ff. – Brasilien 22.1 ff. – China 18.23 ff. – Dokumentation 2.70 ff. – Dotationskapital 2.43 ff., 8.1 ff. – Eigen-/Fremdkapital 2.41 ff. – Ende 12.51 ff. – Finanzierungsaufwand 2.41 ff., 2.52 ff. – Finnland 19.23 ff. – Frankreich 19.43 ff. – Fremdkapital 2.44 ff. – Funktionen 2.23 ff. – Funktionsverlagerung 10.1 ff. – Geschäftsbeziehung 6.31 ff. – Geschäftsvorfall 2.56 ff. – Gestaltung internationalen Konzerns 3.1 ff. – Gewinn, Zuordnung 2.19 ff. – Gewinnaufteilung 3.47 ff., 7.1 ff. – Ghana 17.1 ff. – immaterielles Wirtschaftsgut 2.35 ff. – innerunternehmerische Leistungsbeziehung 2.60 ff. – Italien 19.67 ff. – Japan 18.45 ff. – Kanada 21.1 ff. – Katar 20.24 ff. – Kolumbien 22.23 ff. – komplexe 13.42 ff.; s.a. Komplexe Betriebsstätte

– – – –

materielles Wirtschaftsgut 2.34 ff. Methoden Gewinnabgrenzung 1.17 ff. Niederlande 19.89 ff. OECD-Empfehlung Verhinderung Steuerumgehung 3.9 ff. – Organisation Lieferungs-/Leistungsbeziehung international. Konzern 3.1 ff. – Polen 19.112 ff. – Rechte und Pflichten 2.40 – Risiko 2.25 ff. – Routinebetriebsstätte 13.42 ff.; s.a. Routinebetriebsstätte – Russland 19.134 ff. – Saudi-Arabien 20.47 ff. – Schweden 19.180 ff. – Schweiz 19.202 ff. – signifikante digitale Präsenz 3.23 ff. – Simbabwe 17.23 ff. – Spanien 19.157 ff. – Südafrika 17.45 ff. – Südkorea 18.68 ff. – Tschechische Republik 19.224 ff. – Türkei 20.69 ff. – unionsrechtliche Besteuerung 5.37 ff. – USA 21.23 ff. – Vergleichsanalyse 2.60 ff. – Verrechnungspreisregelung 2.60 ff. – Verrechnungspreisregelung, Beispiele 2.62 ff. – Vertreterbetriebsstätte 3.50 ff. – Wirtschaftsgut 2.30 ff. – zuzuordnender Geschäftsvorfall 2.56 ff. Brasilien – Besteuerung 22.4 ff. – Betriebsprüfung 22.8 ff. – Betriebsstätte 22.1 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 22.21 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 22.11 ff. – Steuerplanung 22.8 ff. – Steuerverwaltung 22.16 ff. BsGaV – Bankbetriebsstätte, besondere Zuordnungsregelung 14.31 ff.; s.a. Bankbetriebsstätte – Bankbetriebsstätte, Verhältnis 14.1 ff. – Finanzierungsaufwendungen 8.74 – Vereinbarkeit OECD-Empfehlungen 8.50 ff.

Sterzinger 695

Stichwortverzeichnis

Chance – abweichende Zuordnung 7.168 f. – Gewinnermittlungskonzeption 7.162 ff. – Konsequenz der Zuordnung 7.171 f. – Zuordnung 7.173 ff. – Zuordnung Zweifelsfall 7.170 – Zuordnungssystematik 7.164 ff. China – Besteuerung 18.26 ff. – Betriebsprüfung 18.30 ff. – Betriebsstätte 18.23 ff. – nationale Verfahrensmaßnahme 18.43 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 18.33 ff. – Steuerplanung 18.30 ff. – Steuerverwaltung 18.38 ff.

Dealing – anzunehmende schuldrechtliche Beziehung, Beispielsfälle 9.9 ff. Digitalisierung – Begriff 3.8 ff. Dokumentation – Anforderungen 12.1 ff. – AOA 2.70 ff. – länderbezogener Bericht 12.31 ff. – landesspezifische, unternehmensbezogene 12.18 ff. – Stammdokumentation 12.28 ff. – Vorschriften 12.2 ff., 12.10 ff. Doppelbesteuerung – Funktionsverlagerung 10.50 ff. Dotationskapital – Anpassung ausl. Bankbetriebsstätte 14.164 ff. – Anpassung ausl. Betriebsstätte 8.32 ff. – Anpassung inl. Bankbetriebsstätte 14.138 ff. – Anpassung inl. Betriebsstätte 8.22 f. – AOA-Einklang 8.44 ff. – aufzuteilendes Kapital 14.126 f. – ausl. Aufsichtsrecht ausl. Bankbetriebsstätte 14.157 ff. – ausl. Bankbetriebsstätte 14.147 ff. – ausl. Bankbetriebsstätte, Verh. § 13 BsGaV 14.148 ff. – ausl. Betriebsstätte Finanzdienstleistungsinstitut 14.168 f. – ausl. Betriebsstätte inl. Unternehmen 8.24 696 Sterzinger

– Ausnahme 8.30 – Bankbetriebsstätte 14.118 ff.; s.a. Dotationskapital – Bankbetriebsstätte, Verhältnis § 12 BsGaV 14.119 ff. – Begriff 8.7 ff. – Eigenkapital ausl. Unternehmens 8.10 ff. – Ermittlung bei Unterkapitalisierung ausl. Kreditinstituts 14.135 ff. – Finanzdienstleistungsinstitut 14.143 f. – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 8.57 ff. – Höhenempfehlung 8.45 ff. – höheres im Ausnahmefall 14.154 ff. – inl. Betriebsstätte ausl. Unternehmen 8.7 ff. – Kapitalaufteilungsmethode 8.26 ff. – Kapitalaufteilungsmethode Bankbetriebsstätten 14.122 f. – Kapitalaufteilungsmethode, funktionsund risikobezogene 8.7 ff. – Kapitalquote inl. Betriebsstätte 8.12 ff. – Kapitalzuordnung 8.1 ff. – Mindestkapitalausstattungsmethode 8.24 ff., 14.151 ff. – niedrigeres im Ausnahmefall 14.128 ff. – risikogewichtete Positionsbeiträge 14.124 f. – Untergrenze 8.21 – Unterkapitalisierung ausl. Unternehmens 8.18 ff. – Unterkapitalisierung inl. Kreditinstituts 14.161 ff. – Vereinfachungsregelung inl. Bankbetriebsstätte 14.132 ff.

Einkünfteminderung – beschränkt Steuerpflichtiger 6.35 ff. – Fremdvergleichsgrundsatz 6.43 ff. Erhöhung Einkünfte – Fremdvergleichsgrundsatz 6.43 ff. – unbeschränkt Steuerpflichtiger 6.35 ff. Erstversicherungsgeschäft – gesplittete Risikoübernahmefunktion 15.17 ff. – Risikoübernahmefunktion 15.12 ff. – Zuordnungsregel aufgrund Risikoübernahmefunktion 15.15 ff. Escapeklausel – Funktionsverlagerung 10.40 ff.

Stichwortverzeichnis EU-Kommission – Richtlinien-Entwurf Unternehmensbesteuerung signifikante digitalen Präsenz 3.23 ff., 3.56 ff.

Feste Geschäftseinrichtung – Begriff 3.48 Finanzanlage – Zuordnung 7.139 ff. Finanzdienstleistungsinstitut – Dotationskapital ausl. Betriebsstätte 14.168 f. – Dotationskapital inl. Betriebsstätte 14.143 f. Finanzierungsaufwendung – abweichende Zuordnung 8.67 – AOA-Einklang 8.73 – ausl. Betriebsstätten nichtbilanzierender inl. Unternehmen 8.71 ff. – Begriff 8.1 ff. – BsGaV und OECD-Empfehlung 8.74 – direkte Zuordnung 8.62 ff. – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 8.75 – indirekte Zuordnung 8.64 ff. – inl. Betriebsstätte nichtbilanzierenden ausl. Unternehmens 8.68 ff. – Kürzung bei Überhang übriger Passivposten 8.63 – Zuordnung 8.59 ff. Finanzierungsdienstleistungsinstitut – Betriebsstätte 14.12 ff.; s.a. Bankbetriebsstätte Finanzierungsfunktion – anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen 8.76 ff. – Begriff 8.78 f. – Dienstleistung 8.80 ff. – Einklang mit AOA 8.100 – Einklang mit Fremdvergleichsgrundsatz 8.101 – Finanzierungsbetriebsstätte 8.97 – indirekte Kostenverrechnung 8.83 f. – innerhalb eines Unternehmens 8.76 ff. – Passivposten 8.92 ff. – Vermögenswert und Passivposten 8.97 – Vermögenswerte aus Liquiditätsüberhängen und Erträgen 8.85 ff. Finanzinstrument – Aufteilungsmaßstab Funktionsaufteilung 14.178 ff. – Bankbetriebsstätte 14.171 ff.

– globaler Handel 14.171 ff. – Handelsbeständezuordnung Bankbetriebsstätte 14.183 ff. – Handelsergebnisaufteilung 14.178 ff. – Vergleich AOA 14.191 ff. – Vermögenswertzuordnung 14.174 ff. – Verrechnungspreismethode 14.187 ff. Finnland – Besteuerung 19.26 ff. – Betriebsprüfung 19.30 ff. – Betriebsstätte 19.23 ff. – nationale Verfahrensmaßnahme 19.41 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.33 ff. – Steuerplanung 19.30 ff. – Steuerverwaltung 19.36 ff. Förderbetriebsstätte – Abgrenzungsauswirkung 16.11 ff. – abkommensrechtl. Behandlung 16.11 ff. – Akquisition 16.8 – anzunehmende schuldrechtliche Beziehung 16.53 ff. – AOA-Anwendung 16.1 ff. – Bodenschatzförderung 16.7 ff. – Bodenschatzsuche 16.7 ff. – Bodenschatzsuche/-förderung, Abgrenzung 16.7 – BsGaV-Implikationen 16.20 – Charakterisierung 16.7 ff. – Einkünftezurechnung 16.53 ff. – Entwicklung/Förderung 16.10 – Exploration 16.9 – Explorationsrecht 16.32 ff. – Gewinnabgrenzung AOA 16.27 ff. – nationale Behandlung 16.17 ff. – Projektverfolgung/Akquisition 16.8 – Prospektion/Exploration 16.9 – Übergangsregelungen 16.71 ff. – Vermögenswertzuordnung § 36 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 BsGaV 16.47 ff. – Vermögenswertzuordnung § 36 Abs. 4 Satz 1 BsGaV 16.44 ff. – Verrechnungspreisermittlung 16.59 ff. – Verrechnungspreisermittlungssonderfälle 16.68 ff. – Zuordnungsentscheidung 16.27 ff. – Zuordnungsregel 16.27 ff., 16.52 – Zuordnungsregelungsbesonderheiten 16.35 ff. Frankreich – Besteuerung 19.47 ff.

Sterzinger 697

Stichwortverzeichnis – Betriebsprüfung 19.52 ff. – Betriebsstätte 19.43 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.65 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.55 ff. – Steuerplanung 19.52 ff. – Steuerverwaltung 19.60 ff. Freie Rechtsformwahl – Begriff 5.34 ff. Fremdvergleichsgrundsatz – Bankbetriebsstätte 14.86 ff. – Begriff 6.43 ff. – Betriebsstättengewinnabgrenzung 7.159 ff. – Dotationskapital 8.57 ff. – Finanzierungsaufwendung 8.75 – Finanzierungsfunktion 8.101 – Gewinnabgrenzung Vertreterbetriebsstätte 11.27 ff. – Gewinnermittlung 7.67 ff. – Gewinnermittlungskonzeption 7.93 ff., 7.192 ff. – Passiva, übrige 8.57 ff. – Rückversicherung 15.74 – Selbständigkeitsfiktion 6.48 ff. – Vermögenswerte 15.67 – Versicherungsbetriebsstätte 15.27, 15.45 f., 15.59 Funktionsverlagerung – Begriff 10.1 – Betriebsstätte 10.1 ff. – Betriebsstättengesetzgebung 10.8 ff. – Dauerbetriebsstätte vs. temporäre Betriebsstätte 10.10 ff. – Doppelbesteuerung, drohende 10.50 ff. – Escape- bzw. Öffnungsklausel 10.40 ff. – Gesetzgebungszeitabfolge 10.8 ff. – hypothetischer Fremdvergleich 10.36 ff. – nachträgliche Preisanpassung 10.44 ff. – nationales Recht 10.13 ff. – Transferpaketbewertung 10.36 ff. Fusionsrichtlinie – Sekundärrecht 5.8 f.

Geschäftsbeziehung – – – –

§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG 6.20 ff. Ausland 6.28 ff. Betriebsstättenbezug 6.31 ff. nahestehende Person 6.31 ff.

698 Sterzinger

Gewinnabgrenzung – AOA-Einklang Vertreterbetriebsstätte 11.22 ff. – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang Vertreterbetriebsstätte 11.27 ff. – Methoden 1.17 ff. – Stammhaus-Betriebsstätte 2.1 ff. – Vertreterbetriebsstätte 11.1 ff., 11.22 ff. – Vertreterbetriebsstättefremdvergleichsgrundsatzeinklang 11.27 ff. Gewinnaufteilung 3.1 ff. – Betriebsstätten 7.1 ff. – Betriebsstättengewinn, Zuordnung 3.47 ff. – Beurteilung der Entwicklungen 3.70 ff. Gewinnermittlungskonzeption – abweichende Zuordnung 7.103 ff. – AOA-Einklang 7.63 ff., 7.86 ff., 7.184 ff. – Beteiligungszuordnung 7.139 ff. – Chance 7.162 ff.; s.a. Chance – Einklang mit Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 7.67 ff., 7.93 ff., 7.159 ff., 7.192 ff. – Finanzanlagenzuordnung 7.139 ff. – Funktions- und Risikoanalyse 7.30 ff. – Hilfs- und Nebenrechnung 7.26 ff.; s.a. Hilfs- und Nebenrechnung – Hilfs- und Nebenrechnungserstellung 7.44 ff. – Hilfs- und Nebenrechnungsreichweite 7.39 ff. – immaterielles Wirtschaftsgut 7.127 ff. – materielles Wirtschaftsgut 7.115 ff. – Personalfunktion 7.70 ff.; s.a. Personalfunktion – Personalfunktionszuordnung 7.73 ff. – Risiko 7.162 ff.; s.a. Risiko – Sicherungsgeschäft 7.162 ff.; s.a. Sicherungsgeschäft – Vermögenszuordnung 7.96 ff. – Zielsetzung 7.20 ff. – Zuordnung von ähnlichen Vermögenswerten 7.139 ff. – Zuordnung von Geschäftsvorfallzuordnung 7.150 ff. – Zuordnung Zweifelsfälle 7.110 f. – Zuordnungsdetails 7.115 ff. – Zuordnungskonsequenz 7.112 – Zuordnungssystematik 7.100 ff. – Zurechnungsgrundsätze 7.21 ff.

Stichwortverzeichnis Ghana – Besteuerung 17.4 ff. – Betriebsprüfung 17.8 ff. – Betriebsstätte 17.1 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 17.21 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 17.11 ff. – Steuerplanung 17.8 ff. – Steuerverwaltung 17.16 ff. Gleichheitsrechtlicher Schutz – Grundfreiheit 5.30 ff. Global Trading – Banken 2.73 Grundfreiheit – gleichheitsrechtlicher Schutz 5.30 ff. – Kapitalverkehrsfreiheit 5.26 ff. – Niederlassungsfreiheit 5.22 ff. – Primärrecht 5.21 f.

Hilfs- und Nebenrechnung – Begriff 12.1 – Bestandteile 12.43 ff. – Betriebsstätte 12.38 – Erstellung 7.44 ff., 12.4 ff. – Erstellungszeitpunkt 12.39 ff. – Gewinnermittlung 7.26 ff. – Reichweite 7.39 ff. – Zweck 12.39 ff. Hypothetischer Fremdvergleich – Funktionsverlagerung 10.36 ff. Inländische Einkünfte – Begriff 6.35 ff. Italien – Besteuerung 19.70 ff. – Betriebsprüfung 19.74 ff. – Betriebsstätte 19.67 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.87 ff. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.77 ff. – Steuerplanung 19.74 ff. – Steuerverwaltung 19.82 ff.

Japan – – – – –

Besteuerung 18.48 ff. Betriebsprüfung 18.53 ff. Betriebsstätte 18.45 ff. nationale Verfahrensmaßnahmen 18.66 f. Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 18.56 ff.

– Steuerplanung 18.53 ff. – Steuerverwaltung 18.61 ff.

Kanada – – – –

Besteuerung 21.4 ff. Betriebsprüfung 21.8 ff. Betriebsstätte 21.1 ff. nationale Verfahrensmaßnahmen 21.21 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 21.11 ff. – Steuerplanung 21.8 ff. – Steuerverwaltung 21.16 ff. Kapitalverkehrsfreiheit – Grundfreiheiten 5.26 ff. Kapitalzuordnung – AOA-Einklang 8.44 ff. – BsGaV und OECD-Empfehlungen 8.50 ff. – Fremdvergleichsgrundsatzseinklang 8.57 ff. Katar – Besteuerung 20.27 ff. – Betriebsprüfung 20.32 ff. – Betriebsstätte 20.24 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 20.45 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 20.35 ff. – Steuerplanung 20.32 ff. – Steuerverwaltung 20.40 ff. Kolumbien – Besteuerung 22.26 ff. – Betriebsprüfung 22.31 ff. – Betriebsstätte 22.23 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 22.43 ff. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 22.34 ff. – Steuerplanung 22.31 ff. – Steuerverwaltung 22.38 ff. Kommissionärsmodell – Begriff 3.10 ff. Komplexe Betriebsstätte – Begriff 13.79 ff. Kreditinstitut – Betriebsstätte 14.6 ff.; s.a. Bankbetriebsstätte KWG – Bankgeschäfte 14.16 ff.

Lizenzrichtlinie – Sekundärrecht 5.10 f. Sterzinger 699

Stichwortverzeichnis

Maschinen- und Anlagenbau – AOA-Anwendung 13.1 ff.; s.a. Bau- und Montagebetriebsstätte Multifunktionsbetriebsstätte – Begriff 13.15 f. Multilaterales Instrument – Begriff 3.17 Mutter-Tochter-Richtlinie – Inhalt 5.6 f.

Nahestehende Person – Geschäftsbeziehung 6.31 ff. Niederlande – Besteuerung 19.92 ff. – Betriebsprüfung 19.97 ff. – Betriebsstätte 19.89 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.110 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.100 ff. – Steuerplanung 19.97 ff. – Steuerverwaltung 19.105 ff. Niederlassungsfreiheit – Grundfreiheiten 5.22 ff. OECD – Kommissionärsmodell 3.10 ff. – Leitlinien Betriebsstättengewinnzuordnung 3.47 ff. – Steuerumgehungverhinderung 3.9 ff. OECD-MA – Aktualisierung/Änderung 2.75 ff. – Änderung 2.81 ff. OECD-MK – Aktualisierung 2.78 ff. – Aktualisierung/Änderung 2.75 ff. Öffnungsklausel – Mindestkapitalisierungsmethode 15.40 – Relevanz 15.39 – Versicherungsbetriebsstätte 15.39 ff., 15.54 ff.; s.a. Öffnungsklausel Passivposten – – – – –

direkte Methode Zuordnung 8.34 ff. Empfehlungsverzicht 8.48 ff. Finanzierungsaufwendungskürzung 8.63 Finanzierungsfunktion 8.92 ff. Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 8.57 ff. – indirekte Methode Zuordnung 8.43 ff. – indirekte Zuordnung 8.64 ff.

700 Sterzinger

– Überhangskürzung an direkt zuordnungsfähigen 8.41 ff. – Zuordnung 8.34 ff. Personalfunktion – Bedeutung 7.74 ff. – Bestandteile 7.77 ff. – Betriebsstättengewinnaufteilung 7.70 ff. – erweiterte oder abweichende Zuordnung 7.80 ff. – Reallokation 7.83 ff. – Zuordnung 7.73 ff. Personengesellschaft – AOA 6.78 ff. Polen – Besteuerung 19.115 ff. – Betriebsprüfung 19.119 ff. – Betriebsstätte 19.112 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.132 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.122 ff. – Steuerplanung 19.119 ff. – Steuerverwaltung 19.127 ff. Preisanpassung – nachträgliche 10.44 ff. Primärrecht – Grundfreiheiten 5.21 f.

Rechtsfolge § 1 Abs. 5 AStG – – – –

Anwendung § 1 Abs. 1 AStG 6.81 ff. Anwendung § 1 Abs. 3 AStG 6.89 ff. Sperrwirkung DBA 6.94 ff. Treaty Override § 1 Abs. 5 S. 8 AStG 6.94 ff. Rechtsformwahl – freie 5.34 ff. Risiko – abweichende Zuordnung 7.168 f. – Gewinnermittlungskonzeption 7.162 ff. – Zuordnung 7.173 ff. – Zuordnung Zweifelsfälle 7.170 – Zuordnungskonsequenz 7.171 f. – Zuordnungssystematik 7.164 ff. Routinebetriebsstätte – anzunehmende schuldrechtliche Beziehung 13.51 ff. – Bau- und Montagebetriebsstätte 13.51 ff.; s.a. Bau- und Montagebetriebsstätte – Fehlmaßnahme 13.64 ff. – Gewinnaufschlag 13.71 f. – Hilfs- und Nebenrechnung 13.76 ff.

Stichwortverzeichnis – Kostenbasis 13.53 ff. – laufende Abrechnung 13.73 ff. – Subunternehmerberücksichtigung 13.59 ff. – Vorlaufkosten 13.68 ff. Rückversicherung – AOA-Einklang 15.73 – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 15.74 – Versicherungsunternehmen 15.68 ff. – zentrale 15.72 Rückversicherungsgeschäft – Begriff 15.19 ff. Russland – Besteuerung 19.137 ff. – Betriebsprüfung 19.137 ff. – Betriebsstätte 19.134 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.155 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.145 ff. – Steuerplanung 19.137 ff. – Steuerverwaltung 19.150 ff.

Saudi-Arabien – – – –

Besteuerung 20.50 ff. Betriebsprüfung 20.54 ff. Betriebsstätte 20.47 ff. nationale Verfahrensmaßnahmen 20.67 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 20.57 ff. – Steuerplanung 20.54 ff. – Steuerverwaltung 20.62 ff. Schiedsverfahrenskonvention – Sekundärrecht 5.19 ff. Schweden – Besteuerung 19.183 ff. – Betriebsprüfung 19.187 ff. – Betriebsstätte 19.180 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.200 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.190 ff. – Steuerplanung 19.187 ff. – Steuerverwaltung 19.195 ff. Schweiz – Besteuerung 19.205 ff. – Betriebsprüfung 19.209 ff. – Betriebsstätte 19.202 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.222 f.

– Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.212 ff. – Steuerplanung 19.209 ff. – Steuerverwaltung 19.217 ff. Sekundärrecht – ATAD 5.12 ff. – Fusionsrichtlinie 5.8 f. – Lizenzrichtlinie 5.10 f. – Mutter-Tochter-Richtlinie 5.6 f. – Schiedsverfahrenskonvention 5.19 ff. – Streitbeilegungsrichtlinie 5.19 ff. – Zinsrichtlinie 5.10 f. Selbständigkeitsfiktion – Begriff 6.48 ff. – Fremdvergleichsgrundsatz 6.48 ff. Sicherungsgeschäft – abweichende Zuordnung 7.168 f. – Gewinnermittlungskonzeption 7.162 ff. – Zuordnung 7.179 ff. – Zuordnung Zweifelsfälle 7.170 – Zuordnungskonsequenz 7.171 f. – Zuordnungssystematik 7.164 ff. Signifikante digitale Präsenz – Begriff 3.25 – EU-Kommission 3.56 ff. Simbabwe – Besteuerung 17.26 ff. – Betriebsprüfung 17.30 ff. – Betriebsstätte 17.23 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 17.43 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 17.33 ff. – Steuerplanung 17.30 ff. – Steuerverwaltung 17.38 ff. Spanien – Besteuerung 19.160 ff. – Betriebsprüfung 19.165 ff. – Betriebsstätte 19.157 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.178 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.168 ff. – Steuerplanung 19.165 ff. – Steuerverwaltung 19.173 ff. Steuerpflichtiger – Minderung/Erhöhung der Einkünfte 6.35 ff. Streitbeilegungsrichtlinie – Sekundärrecht 5.19 ff. Südafrika – Besteuerung 17.48 ff.

Sterzinger 701

Stichwortverzeichnis – – – –

Betriebsprüfung 17.52 ff. Betriebsstätte 17.45 ff. nationale Verfahrensmaßnahmen 17.65 f. Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 17.55 ff. – Steuerplanung 17.52 ff. – Steuerverwaltung 17.60 ff. Südkorea – Besteuerung 18.71 ff. – Betriebsprüfung 18.75 ff. – Betriebsstätte 18.68 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 18.88 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 18.78 ff. – Steuerplanung 18.75 ff. – Steuerverwaltung 18.83 ff.

Tatbestandsvoraussetzung – § 1 Abs. 5 AStG 6.14 ff. Tschechische Republik – Besteuerung 19.227 ff. – Betriebsprüfung 19.231 ff. – Betriebsstätte 19.224 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 19.244 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 19.234 ff. – Steuerplanung 19.231 ff. – Steuerverwaltung 19.239 ff. Türkei – Besteuerung 20.69 ff. – Betriebsprüfung 20.76 ff. – Betriebsstätte 20.69 ff. – nationale Verfahrensmaßnahmen 20.89 f. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 20.79 ff. – Steuerplanung 20.76 ff. – Steuerverwaltung 20.84 ff. Unionsrecht – Bedeutung 5.1 ff. Unternehmerische Risikoübernahmefunktion – Bankbetriebsstätte 14.40 ff. – Vermögenswertzuordnung 14.45 ff. – Vermögenswertzuordnung bei Aufteilung 14.60 ff. USA – Besteuerung 21.26 ff. – Betriebsprüfung 21.30 ff. – Betriebsstätte 21.23 ff.

702 Sterzinger

– nationale Verfahrensmaßnahmen 21.43 ff. – Sondertatbestände ausgewählter Betriebsstätten 21.33 ff. – Steuerplanung 21.30 ff. – Steuerverwaltung 21.38 ff.

Verfassungsrecht – AOA-Maßstab 4.1 ff. – begrenzte Bindung an gesetzgeberische Grundentscheidung 4.5 ff. – gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit 4.1 ff. – Grund- und Einzelfragen AOA 4.15 ff. – internationaler Einfluss auf Ausgestaltung nationaler Besteuerung 4.8 ff. – rechtsstaatliche Vorgaben AOA-Umsetzung 4.11 ff. Vermögenswert – AOA-Einklang 15.66 – Bankbetriebsstätte 14.45 ff. – direkte Zuordnung Einkünfte 15.63 – Entstrickungsregelungen 15.65 – Finanzierungsfunktion 8.92 ff. – Förderbetriebsstätte 16.44 ff. – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 15.67 – Gewinnermittlungskonzeption 7.96 ff. – Saldo Verrechnungskonten 8.96 – Steuerattribut 15.64 – Versicherungsbetriebsstätte 15.60 ff.; s.a. Vermögenswert – Zuordnung 7.139 ff., 7.147 ff. – Zuordnung Bau- und Montagebetriebsstätte 13.30 ff. Verrechnung Finanzierungsfunktion – Begriff 8.1 ff. Verrechnungskonto – Finanzierungsfunktion 8.96 Versicherungsbetriebsstätte – AOA 2.74 – AOA-Anwendung 15.1 ff. – AOA-Einklang 15.25 f., 15.43 f., 15.58 – ausl. Versicherungsaufsichtsrecht 15.42, 15.57 – besondere Zuordnungsregelungen 15.1 ff. – Dotation ausländischer 15.47 ff. – Dotation inländischer 15.28 ff. – Einkünfte aus Vermögenswerten 15.60 ff. – Erstversicherungsgeschäft 15.3 ff., 15.12 ff.; s.a. Erstversicherungsgeschäft; s.a. Erstversicherungsgeschäft

Stichwortverzeichnis – Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 15.27, 15.45 f., 15.59 – Kapitalaufteilungsmethode, modifizierte 15.33 f. – Kapitalausstattung 15.28 ff. – Mindestkapitalisierungsmethode 15.52 f. – Öffnungsklausel 15.39 ff., 15.54 ff.; s.a. Öffnungsklausel – Regelungsstandards, unterschiedliche 15.33 f. – Rückversicherung innerhalb eines Unternehmens 15.68 ff.; s.a. Rückversicherung – Rückversicherungsgeschäft 15.19 ff. – Vermögenswertverteilung 15.36 – Verteilung unrealisierten Gewinns/ Verlusts 15.38 – Verteilungsschlüssel, alternativer 15.35 – Zuordnungsregel Hauptbevollmächtigter Ausland 15.21 ff. Vertreterbetriebsstätte – abweichende Zuordnung 11.8 f. – AOA-Einklang 11.22 ff. – Begriff 3.50 ff., 11.1 – besondere Zuordnungsregelungen 11.12

– Fremdvergleichsgrundsatzeinklang 11.27 ff. – Gewinnabgrenzung, Besonderheiten 11.1 ff. – Zuordnung Zweifelsfälle 11.10 – Zuordnungskonsequenz 11.11, 11.19 ff. – Zuordnungssystematik 11.5 ff.

Wertbeitrag – Absatzmarkt 3.37 ff. – immaterieller Marketingwert 3.41 ff., 3.65 ff. – Marktstaat 3.61 ff. – Nutzerbeteiligung 3.39 f., 3.63 f. – OECD/G20, einheitliches Konzept 3.45 f., 3.68 ff. Wirtschaftsgut – Zuordnung Bau- und Montagebetriebsstätte 13.30 ff. – Zuordnung immaterielles WG 7.115 ff., 7.127 ff.

Zinsrichtlinie – Sekundärrecht 5.10 f.

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