Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie [1 ed.] 9783428499397, 9783428099399

Die Gewerkschaftslandschaft in Deutschland wurde im Laufe der letzten Jahre durch eine Reihe von Gewerkschaftsfusionen u

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Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie [1 ed.]
 9783428499397, 9783428099399

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PETER KOOPMANN

Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 173

Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie

Von

Peter Koopmann

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Koopmann, Peter: Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie / von Peter Koopmann. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 173) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09939-7

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-09939-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 1998/99 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Ende 1998 berücksichtigt. Vor der Drucklegung konnte noch die 6. Auflage des Kommentars von Wiedemann zum Tarifvertragsgesetz eingearbeitet werden. Ferner wurden auch die neuesten Entwicklungen bei der geplanten Dienstleistungsgewerkschaft in die Darstellung aufgenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Reinhard Richardi, der die Arbeit angeregt und hilfreich gefördert hat. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Ingo Koller für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ferner danke ich Herrn Dr. Michael Blank, Justitiar beim Vorstand der IG Metall, der mir einen tieferen Einblick in die Praxis der Gewerkschaftsfusionen ermöglicht hat. Für ihre stetige Unterstützung und Förderung gebührt natürlich meinen Eltern herzlichster Dank, nicht zuletzt auch bei der Erstellung der Reinschrift. Herrn Hans Möhling danke ich schließlich für die Unterstützung bei der EDV-technischen Umsetzung der Arbeit. Münster, im Mai 1999

Peter Koopmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

1. Problemstellung .............................................................

21

2. Stand der bisherigen Forschung .............................................

22

3. Methode und Aufbau der Arbeit. . . . .. . . . . . . ... . . . . .. ... ... . . . . . . .. . . . . . . . . . .

23

4. Begriffliches ..... . .......... . ............ . ... . ..............................

24

Erster Teil

Empirische Grundlagen: Der Konzentrationsprozeß der Gewerkschaften in Deutschland

26

A. Die Konzentrationsentwicklung bis zur Gründung des DGB ........................

26

I. Zentralverbände ...............................................................

26

11. Industrieverbände ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

III. Einheitsgewerkschaften ........................................................

30

B. Fusionen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit. . ... . . . . . . . . . .. . .. . . . ...... .

31

I. Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

11. Die Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften .................................

32

I. Ausdehnung der Westgewerkschaften .......................................

33

2. Neugründung kompatibler Ostgewerkschaften als Zwischenschritt ...........

34

C. Der aktuelle Fusionsprozeß .........................................................

36

I. Die Reformdiskussion im DGB ................................................

36

1. Hintergrund .......................................................... . ......

36

2. Alternativmodelle zu Gewerkschaftsfusionen ......................... . . . . . . .

37

3. Die Durchsetzung der Fusionsidee ............. . .................. . ..........

38

10

Inhaltsverzeichnis II. Die einzelnen Fusionen

40

1. Die Fusion der IG Druck und Papier und der Gewerkschaft Kunst zur IG Medien................................................. ......... ...............

40

2. Die Fusion der IG Bau-Steine-Erden und der Gewerkschaft Gartenbau, Landund Forstwirtschaft zur IG Bauen-Agrar-Umwelt ............................

41

3. Die Fusion der IG Papier, Chemie, Keramik, der IG Bergbau und Energie und der Gewerkschaft Leder zur IG Bergbau, Chemie, Energie ..............

42

4. Die Fusion der IG Metall mit der Gewerkschaft Textil und Bekleidung ......

43

5. Die Fusion der IG Metall mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoff ........

45

6. Geplante Neustrukturierung im Dienstleistungssektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

III. Ausblick .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Zweiter Teil

Die rechtliche Umsetzung von Gewerkschaftsfusionen

54

A. Gewerkschaftsfusion im Wege der Gesamtrechtsnachfolge, insbesondere nach dem Umwandlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

I. Direkte Anwendbarkeit des Umwandlungsgesetzes auf Gewerkschaften. . . . . . . .

56

I. Der numerus c1ausus der Umwandlungsberechtigten im Umwandlungsgesetz

56

2. Die Rechtsform der Gewerkschaften ........................................

56

a) Gewerkschaften als nichtrechtsfähige Vereine ............................

56

b) Gewerkschaften als rechtsfähige Körperschaften sui generis ..............

58

c) Stellungnahme ...........................................................

58

d) Konsequenzen für die Verschmelzungsfähigkeit nach dem Umwandlungsgesetz ....................................................................

59

e) Möglichkeit der Registereintragung von Gewerkschaften ... " ....... , . . . .

60

H. Analoge Anwendbarkeit des Umwandlungsgesetzes auf Gewerkschaften... . . . .

61

1. Verbandsrechtliche Begründungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Verfassungsrechtliche Begründungen ........................................

63

a) Art. 9 Abs. 3 GG ............................................... . .. . . . . . . .

64

aal Die Vorenthaltung des Verschmelzungsprivilegs als Einschränkung der Koalitionsfreiheit ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

bb) Das Individualrecht der negativen Koalitionsfreiheit als immanente Schranke der kollektiven Koalitionsfreiheit ..........................

67

Inhaltsverzeichnis

11

b) Art. 3 Abs. 1 GG .........................................................

70

aa) Differenzierung zwischen nichtrechtsfähigen und rechtsfähigen Vereinen, insbesondere zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden..............................................................

71

(1) Fehlende Registerpublizität als Differenzierungskriterium .......

71

(2) Personaler Grundzug als Differenzierungskriterium .. . . . . . . . . . . . .

73

bb) Differenzierung zwischen Gewerkschaften und politischen Parteien

74

4. Zwischenergebnis ...........................................................

75

III. Einzelschritte der Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz ..... . ........

75

1. Verschmelzung durch Aufnahme ............................................

76

a) Verschmelzungsvertrag ...... . . . .................. . . . . . ..... . ............

76

b) Verschmelzungsbericht ...................................................

78

c) Verschmelzungsprüfung . . . . .. . . . . .... ... . . . . ... . . . . . ... . .. .. . .. ... . .. ... .

78

d) Verschmelzungsbeschluß .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

aa) Zuständigkeit des Gewerkschaftstages als Delegiertenversammlung

79

bb) Verfahrensvorschriften ..............................................

81

cc) Erweiterung des satzungsmäßigen Organisationsbereichs ............

82

e) Außerordentliches Austrittsrecht .........................................

83

f) Registereintragung und mögliche Alternativen ...........................

84

g) Wirkungen ...............................................................

86

2. Verschmelzung durch Neugründung .........................................

86

IV. Anderweitige Begründung einer Gesamtrechtsnachfolge ...... . ................

87

B. Gewerkschaftsfusion im Wege der Einzelrechtsnachfolge nach allgemeinem Vereinsrecht ...........................................................................

88

I. Aufnahme von Fusionsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

11. "Fusionsvertrag" ...............................................................

90

III. Beschlüsse der Gewerkschaftstage .............................................

94

I. Auflösungsbeschluß der übertragenden Gewerkschaft(en) ...................

94

2. Weitere erforderliche Gewerkschaftstagsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

IV. Mitgliederübergang ............................................................

95

I. MitgliedeTÜbergang durch korrespondierende Satzungsbestimmungen .......

97

a) Vereinsrechtliche Grundlagen ...................................... . . . . . .

97

12

Inhaltsverzeichnis b) Schutz der negativen Vereinigungsfreiheit ...... .. .......... .. ............

99

c) Zwischenergebnis........................................... .. ........... 100 2. Mitgliedschaftsbegründung durch individuellen Beitritt...................... 100 a) Beitritt durch Eigengeschäft oder Stellvertretung ......................... 10 I b) Vertragsschluß durch Schweigen als Zustimmung ..... . .................. 102 c) Beitritt durch konkludente Zustimmung .................................. 107 d) Erweiterung des satzungsmäßigen Organisationsbereichs ................. 108 e) Berücksichtigung der neuen Mitglieder in Gewerkschaftsorganen bzw. sonstigen Gremien ....................................................... 108 V. Liquidation und Vermögensübertragung .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. 109 I. Liquidationserfordernis beim nichtrechtsfähigen Verein ..................... 109 2. Möglichkeiten einer vereinfachten Liquidation ..............................

111

3. Einzelschritte der Vermögensübertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

Dritter Teil

Die Problematik bestehender Tarifverträge bei Auflösung einer Gewerkschaft

115

A. Fortgeltung von Tarifverträgen nach Auflösung einer Tarifpartei .................... 115 I. Die Rechtsprechung des BAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

11. Die Ansichten in der Literatur.. . .. . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . .. . .. . .. .. . . . . . . . . 117 III. Eigene Stellungnahme ......................................................... 120 1. Vereinsrechtliche Ausgangslage ............................................. 120 2. Tarifrechtliche Anforderungen .............................................. 121 3. Nachwirkung gern. § 4 Abs. 5 TVG? ..................... . .................. 125 4. Allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge ........ . ........................ 126 5. Zwischenergebnis............... . . . .......... . . . ... . ........................ 127 B. Die Überleitung von Tarifverträgen..... . . . .... ..... ....... .......................... 127 I. Tarifliche Universal sukzession ................................................. 127

1. Unternehmen als Leitbild des Umwandlungsgesetzgebers ................... 128 2. Mögliche Parallelen zum Schicksal von Tarifverträgen bei der Unternehmensverschmelzung ................................. .. . .. . .. . . .. .. . . . .. . . . . . 130

Inhaltsverzeichnis 3. Mitgliedschaftliche Legitimation der tariflichen Normsetzungsbefugnis

13 131

a) Rechtliche Grundlagen des Legitimationserfordernisses .................. 132 b) Legitimationsdefizit bei der umwandlungsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge ..................................................................... 135 c) Mögliche Rechtfertigung des Legitimationsdefizits ....................... 137 aa) Außenseiterbindung von Tarifnormen nach dem Tarifvertragsgesetz

137

bb) Regelungsmacht im Umwandlungsgesetz ............................ 140 4. Zwischenergebnis....................... . .................... . ... . . . ........ 141 H. Andere gesetzliche Überleitungstatbestände .................................... 142

1. "Tarifliche Gesamtrechtsnachfolge" ......................................... 142 2. Analoge Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ........................ 143 III. Rechtsgeschäftliche Überleitung bzw. Absicherung von Tarifverträgen......... 145 I. Tarifvertragsbeitritt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145 a) Neuabschluß oder Beitritt? ............................................... 145 b) Beteiligung der Arbeitgeberseite ......................................... 146 c) Mehrgliedrige Tarifverträge ..................................... . ........ 146 d) Vertragsbeitritt vor Mitgliederübergang? ................................. 148 e) Probleme der Tarifzuständigkeit .......................... . ............... 150 aa) Anwendbarkeit der §§ 177 ff. BGB .................................. 151 bb) Aufschiebende Bedingung........................................... 154 cc) Schuldrechtliche Vereinbarung (Vorvertrag) ...................... . .. 155 dd) Umdeutung und Bestätigung unwirksamer Tarifverträge............. 159

o Allgemeinverbindliche Tarifverträge.....................................

160

g) Bewertung......................................... . ..................... 160 2. Tarifvertragsübernahme .............................................. . ...... 161 a) Tarifrechtliche Zulässigkeit der Vertragsübernahme ...................... 162 b) Beteiligung der Arbeitgeberseite ......................................... 164 c) Voraussetzungen der Vertragsübernahme ................................. 165 d) Allgemeinverbindliche Tarifverträge ..... . ............................... 165 e) Bewertung............................................................... 166 3. Beteiligung bei Vertragsabschluß ....................................... . . . .. 167 a) Vertretung ohne Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

14

Inhaltsverzeichnis b) Einschaltung einer Kartellgewerkschaft ........ . ......................... 169 aa) Tariffähigkeit der Kartellgewerkschaft .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 bb) Umbildung in eine Mitgliedergewerkschaft .......................... 170 c) Bewertung .......... . .................. . ..... . ............ . .............. 172

Vierter Teil Die Konzentrationswirkung der Gewerkschaftsfusionen und Folgeprobleme im Rahmen der Arbeitsverfassung

175

A. Wettbewerbsbeschränkung durch Gewerkschaftsfusionen ........................... 175 I. Kartellwirkung auf dem Arbeitsmarkt .... . ................ . . . . . ... . ... . ... . .... 175 11. Wettbewerb der Koalitionen ................................................... 176 1. Gewerkschaftskonkurrenz ................................................... 176

2. Gewerkschaftskonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 180 a) Monopolisierung der Angebotsseite auf dem Arbeitsmarkt ............... 180 b) Gefährdung des Pluralismus durch korporatistische Tendenzen? .......... 181 aa) Politisch-konzeptioneller Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182 bb) Tariflicher Bereich .................................................. 183 cc) Innergewerkschaftliche Identifikation und Kommunikation.......... 184

B. Rechtliche Relevanz der Gewerkschaftsfusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

I. Unanwendbarkeit kartellrechtlicher Bestimmungen ............... . ............ 186 11. Fehlende rechtliche Grundordnung des Arbeitsmarktes......................... 189 BI. Verfassungsrechtliche Relevanz von Gewerkschaftsfusionen ................... 191 IV. Verfassungsrechtliche Vorgaben im Rahmen einer freiheitlichen Arbeitsmarktordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Parität der Tarifpartner ...................................................... 193 2. Koalitionspluralismus ....................................................... 196 a) Potentieller und tatsächlicher Koalitionspluralismus ...................... 196 b) Kompensation mangelnder Verbändevielfalt durch Außenseiterwettbewerb? .................................................................... 198 c) Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzes... . . . . . . . . . . . ... . . . . 199 aa) Abwehr- und Schutzfunktion der Koalitionsfreiheit .................. 199

Inhaltsverzeichnis

15

bb) Bestehende Einwände ............................................... 201 cc) Fazit ................................................................ 203 d) Einfachgesetzliche Konkretisierungen des Koalitionspluralismus in der Betriebsverfassung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 203 e) Konkrete rechtliche Folgerungen anhand ausgewählter Einzelprobleme .. 205 aa) Das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit ............................ 206 (I) Soziale Mächtigkeit und Tariffähigkeit .......................... 207

(2) Soziale Mächtigkeit und sekundäre Gewerkschaftsrechte ........ 214 (3) Ergebnis ........................................................ 215 bb) Tarifpluralität .......................................... . ............ 216 cc) Verhandlungspflicht ........... . .......... . .......................... 219 3. Binnenpluralismus .......................................................... 220 a) Rechtliche Begründungsansätze .............................. . . . . . . . . . . .. 220 b) Minderheitenschutz und verbandsinterne Gruppenbildung ................ 225

Schlußbetrachtung und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse in Form von Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229

Anhang 1: Der DGB vor und nach den Gewerkschaftsfusionen ..................... 235 A. Die Zusammensetzung des DGB bis 1989 .......................................... 235 B. Die Zusammensetzung des DGB 1998 .............................................. 236

c.

Die künftige Zusammensetzung des DGB nach Abschluß aller derzeit laufenden und geplanten Fusionen ............................................................ 236

Anhang 2: Vertragsmuster zur Überleitung von Tarifverträgen

237

A. Vertragsmuster über einen Tarifvertragsbeitritt .......................... . . . . . . . . . . .. 237

B. Vertragsmuster einer zweiseitigen schuldrechtlichen Vereinbarung über einen späteren Vertragsbeitritt ................. ,. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238

Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 239 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255

Abkürzungsverzeichnis Hinweis: Auf die Erläuterung der Abkürzungen von Mitgliedsgewerkschaften des CGB sowie von ehemaligen FDGB-Gewerkschaften und einigen weiteren Berufsverbänden wird an dieser Stelle verzichtet, da diese im Text lediglich zusätzlich in Klammem hinter dem ausgeschriebenen Namen des jeweiligen Verbandes angeführt werden. a.A. Abs.

anderer Ansicht Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

ADAC ADGB

Allgemeiner Deutscher Automobilclub Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund alte Fassung

a.F. AfP AG

Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft

AktG

Aktiengesetz v. 6. 9. 1965

Alt. Anm.

Alternative Anmerkung

AOG AöR

Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit v. 2. 1. 1934

AP

Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht

ArbG ArbGG Art.

Archiv des öffentlichen Rechts

Arbeitsgerichtsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung v. 2. 7. 1979

ASt.

Artikel Antragsteller(in)

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

AuR

Arbeit und Recht

AZO

Arbeitszeitordnung i.d.F.v. 20. 4.1938

BAG

Bundesarbeitsgericht

BB

Der Betriebsberater

Beil. BeschFG 1985

Beilage

BGH

Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz) v. 26. 4. 1985 Betriebsverfassungsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung v. 23. 12. 1988 Bürgerliches Gesetzbuch v. 18.8. 1896 Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BetrVG BGB

Abkürzungsverzeichnis BGB!.

Bundesgesetzblatt

Bd.

Band

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BWNotZ

B aden-Württembergische Notarzeitschrift

bzw.

beziehungsweise

CGB

Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands

DAG DB

Deutsche Angestellten-Gewerkschaft

DBB

Deutscher Beamtenbund

17

Der Betrieb

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

d. h.

daß heißt

Diss.

Dissertation

DPG

Deutsche Postgewerkschaft

DR

Deutsches Recht

DStR

Deutsches Steuerrecht

DZWir

Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 25. 3. 1957

Ein!.

Einleitung

etc.

etcetera

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EzA

Entscheidungen zum Arbeitsrecht

f .. ff.

folgende

FDGB

Freier Deutscher Gewerkschaftsbund

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

GdED

Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands

GdP

Gewerkschaft der Polizei

GenG

Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften i.d.F. der Bekanntmachung v. 19. 8. 1994 (Genossenschaftsgesetz)

GEW

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

GG

Grundgesetz v. 23. Mai 1949

GGLF

Gewerkschaft Gartenbau. Land- und Forstwirtschaft

GHK

Gewerkschaft Holz und Kunststoff

GL

Gewerkschaft Leder

GMH

Gewerkschaftliche Monatshefte

Grund!.

Grundlagen

GTB

Gewerkschaft Abkil-Bekleidung

2 Koopmann

18 Halbbd. HBV

Abkürzungsverzeichnis Halbband Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen

HGB

Handelsgesetzbuch v. 10.5. 1897

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R. IG IGBAU

in der Regel

IGBCE IGBE IGBSE

Industriegewerkschaft Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden

IGCPK

Industriegewerkschaft Chemie, Papier, Keramik

i.L. insb.

in Liquidation insbesondere

i.S.v.

im Sinne von

JböR Jura

Juristische Ausbildung

JuS JZ

Juristische Schulung Juristenzeitung

KapErhG LAG LM KG KO MDR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

Kapitalerhöhungsgesetz Landesarbeitsgericht Lindenmaier / Möhring (Hrsg.), Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Kammergericht Konkursordnung i.d.F. der Bekanntmachung v. 20. 5. 1898

m.E.

Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens

MünchArbR

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

MünchKomm

Münchener Kommentar

m.w.N. NGG

mit weiteren Nachweisen

NJW NJW-RR Nr.

Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Nummer

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

OLG OLGZ ÖTV

Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr

PVS

Politische Vierteljahresschrift

Abkürzungsverzeichnis RAG

Reichsarbeitsgericht

RAGE

Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts

RdA

Recht der Arbeit

RGRK

Reichsgerichtsrätekommentar

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

S.

Seite

SAE

Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen

SchlW

Das Schlichtungswesen

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

sog.

sogenannt

Tn.

Abknummer

TO

Tarifordnung

TVG u. a. UmwG u.U. v. vgl. Vorbem. WM WRV WuW z. B. ZfA ZGR

Tarifvertragsgesetz i.d.F. v. 25. 8. 1969 unter anderem, und andere Umwandlungsgesetz v. 29. 10. 1994 unter Umständen von, vom vergleiche Vorbemerkung Wertpapier-Mitteilungen Weimarer Reichsverfassung v. 11. 8. 1919 Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für U nternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

zit.

zitiert

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z.T.

zum Teil

ZTR zugl.

Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes

2'

zugleich

19

Einleitung 1. Problemstellung

Die Gewerkschaftslandschaft in Deutschland wurde im Laufe der letzten Jahre durch eine Reihe von Gewerkschaftsfusionen umgestaltet und befindet sich noch immer im Umbruch. Dieser Fusionsprozeß hat nicht nur eine beachtliche gesellschaftspolitische Dimension, sondern wirft auch eine Reihe von rechtlichen Problemen auf. Vor allem die Art und Weise, in der die Zusammenschlüsse vollzogen wurden, gibt Anlaß zu einer kritischen Untersuchung. So stellt sich u. a. die Frage, ob die Rechte der einzelnen Mitglieder im Rahmen der weitgehend von oben gesteuerten Fusionen hinreichende Berücksichtigung gefunden haben. Den Hintergrund einer Reihe von Einzelproblemen bildet der Konflikt zwischen den Individualrechten der Mitglieder und dem Interesse der Verbände an einem möglichst unkomplizierten Verfahren. Zunächst geht es um die rechtliche Umsetzung derartiger Fusionen. Klärungsbedürftig sind dabei im wesentlichen folgende Fragen: - Nach welchen Rechtsvorschriften richtet sich eine Gewerkschaftsfusion? Ist eine Verschmelzung ohne Abwicklung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge möglich? - Welche Organe bzw. Gremien sind zu beteiligen? Inwieweit sind Gewerkschaftstagsbeschlüsse zur Umsetzung der Fusion erforderlich? - Wie vollzieht sich der Übergang der Mitglieder auf die neue bzw. aufnehmende Gewerkschaft? Gibt es einen Weg der kollektiven Übertragung der Mitgliedschaften, oder ist der individuelle Beitritt unverzichtbar? - Wie wird das Vermögen übertragen? Bedarf es zwingend einer vorherigen Liquidation, oder ist ein vereinfachtes Verfahren denkbar? Aus dem Gesichtspunkt der Tarifautonomie als Teil der ThemensteIlung ergibt sich ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit. Bei der Behandlung der tarifrechtlichen Folgeprobleme einer Gewerkschaftsfusion werden nachstehende Aspekte relevant: - Wie wirkt sich die Auflösung einer Gewerkschaft im Rahmen einer Fusion auf die bestehenden Tarifverträge aus? - Wie läßt sich eine Übernahme der laufenden Tarifverträge durch die fortbestehende oder neugegründete Gewerkschaft erreichen? Ist eine tarifliche Gesamtrechtsnachfolge denkbar, oder bedarf es der rechtsgeschäftlichen Überleitung?

Einleitung

22

- WeIche Voraussetzungen im Hinblick auf Tarifzuständigkeit und mitgliedschaftliche Legitimation sind zu beachten, und weIche rechtliche Konstruktion bietet die meisten Vorzüge? Schließlich sind die Auswirkungen der gegenwärtigen Entwicklung im Rahmen der rechtlichen Grundordnung des Arbeitsmarktes zu beleuchten, wobei ein gewisser Schwerpunkt bei der Behandlung dieses Problemkomplexes wiederum im Bereich der Tarifautonomie liegen wird. Folgende Leitfragen sind zu nennen: - Inwieweit wirken sich Gewerkschaftsfusionen wettbewerbsbeschränkend auf dem Arbeitsmarkt aus und verstärken möglicherweise korporatistische Tendenzen? - Genießen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt und gewerkschaftliche Konkurrenz überhaupt rechtlichen Schutz? Inwieweit muß der Staat Koalitionspluralismus gewährleisten oder zumindest ermöglichen und weIche konkreten rechtlichen Konsequenzen lassen sich ggf. hieraus ableiten? - WeIche rechtlichen Vorgaben sind angesichts des Phänomens der Gewerkschaftsfusionen für die innere Verfassung der Gewerkschaften zu beachten?

2. Stand der bisherigen Forschung Die speziell zum Thema Gewerkschaftsfusion erschienene juristische Literatur ist bislang außerordentlich mager. Dies ist vermutlich vor allem dadurch zu erklären, daß erst die jüngste Welle von Gewerkschaftsfusionen ein entsprechendes öffentliches Interesse hervorgerufen hat. Im älteren Schrifttum ist auf eine Dissertation mit dem Titel "Die Auflösung und Fusion von Berufsvereinen und ihre arbeitsrechtliche Bedeutung" aus dem Jahr 1931 hinzuweisen. 1 Auch im neueren Schrifttum finden sich nur vereinzelte Abhandlungen. So erschienen 1990 zwei Zeitschriftenaufsätze über die Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften. 2 Ebenfalls vor dem Hintergrund der deutschen Einheit steht die Monographie "Verschmelzung und Koordinierung von Verbänden", die u. a. auch Gewerkschaften behandelt. 3 Die neuere Konzentrationsentwicklung wird durch zwei weitere Aufsätze über die Fusion von Gewerkschaften aus den Jahren 19934 und 1994 5 begleitet, die als Gutachten in Auftrag gegeben wurden und als rechtliche Grundlage für konkrete Fusionsvorhaben dienten. Eine erneute Behandlung durch Rieble6 erfährt v. Ungern-Sternberg. Die Auflösung und Fusion von Berufsvereinen, 1931. Rieble. AuR 1990, S. 365 ff.; Kempen. AuR 1990. S. 372 ff.; vgl. auch Rieble. JZ 1991. S. 658 ff. 3 Drobnig I Becker I Remien. Verschmelzung und Koordinierung von Verbänden. 1991. 4 Reuter. DZWir 1993. S. 404 ff. 5 Hanaul Kania. AuR 1994. S. 205 ff. (Rechtsgutachten für den Zusammenschluß von IG BE, IG CPK und GL zur IG BCE). 6 Rieble. Arbeitsmarkt und Wettbewerb. I

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Einleitung

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das Phänomen der Gewerkschaftsfusionen als Spezialproblem im Rahmen seiner 1997 erschienenen Habilitationsschrift "Arbeitsmarkt und Wettbewerb". Eine komprimierte Behandlung der wichtigsten hier aufgeworfenen Fragen findet sich schließlich bei Richardi 7 unter dem Titel "Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie", der auch der vorliegenden Arbeit zugrundegelegt wurde. Die Rechtsprechung ist, soweit ersichtlich, bislang kaum mit Gewerkschaftsfusionen befaßt gewesen. Lediglich in zwei Entscheidungen des BAG8 geht es um Folgeprobleme einer Gewerkschaftsfusion. Fragen der Zulässigkeit und rechtlichen Umsetzung von Vereinsfusionen sind allerdings auch über den Spezialfall der Gewerkschaften hinaus Gegenstand von Rechtsprechung und Literatur. Weitgehend vernachlässigt wird dabei jedoch die Sonderstellung von Vereinen als Tarifverbände. Die tarifrechtliche Literatur beschränkt sich wiederum zumeist auf den Fall der Auflösung einer Tarifvertragspartei, ohne den weitergehenden Schritt der Fusion zu berücksichtigen. Die tarifrechtlichen Wirkungen von Verbandsfusionen und der ordnungsrechtliche Rahmen der Tarifautonomie bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit. Insgesamt ist festzustellen, daß bislang weder die rechtstechnischen Fragen der Gestaltung einer Gewerkschaftsfusion noch die tarifrechtlichen und arbeitsmarktrechtlichen Folgeprobleme eine hinreichende Klärung erfahren haben.

3. Methode und Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit will sich nicht darauf beschränken, die vorhandene juristische Literatur auszuwerten, sondern auch - soweit möglich - die rechtstatsächlichen Vorgänge im Rahmen der bislang erfolgten Gewerkschaftsfusionen berücksichtigen. Den hier entwickelten Lösungsansätzen soll daher immer wieder die bisherige Fusionspraxis gegenübergestellt werden, wobei entsprechendes Material von den einzelnen Gewerkschaften in unterschiedlichem Umfang veröffentlicht bzw. zur Verfügung gestellt wurde. Um die Tragweite der jüngsten Fusionswelle im historischen Kontext deutlich zu machen, ist im Ersten Teil ein kurzer Überblick über die wichtigsten Entwicklungslinien der gewerkschaftlichen Organisationsgeschichte zu geben, um sodann den aktuellen Prozeß im einzelnen darzustellen, was als empirische Grundlage für die weitere Untersuchung dienen soll. Im Zweiten Teil wird auf die Problematik der rechtlichen Umsetzung eingegangen, wobei sich der Aufbau an den oben aufgeworfenen Fragestellungen orientiert. Die Grobstruktur der Darstellung folgt einer Zweiteilung nach den grundsätzlichen Alternativen Gesamtrechtsnachfolge und Einzelrechtsnachfolge. Dabei werden die Fragen des Mitglieder- und Vermögensübergangs jeweils im Rahmen dieser unterschiedlichen rechtlichen LösungsRichardi. Gewerkschaftsfusion und Tarifautonomie, FS Kraft, S. 509 ff. BAG, AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG (Fusion christlicher Gewerkschaften), AP Nr. 9 zu § 9 TVG (Fusion zur IG Medien). 7

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Einleitung

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ansätze dargestellt. Die Einzelschritte der Fusion werden auch dann einer eingehenden Betrachtung unterzogen, wenn das zugrunde liegende Modell letztlich vom rechtlichen Ansatz her abzulehnen ist. Im Dritten Teil erfolgt die Behandlung der tarifrechtlichen Fragen. Dabei soll zunächst allgemein das Schicksal von Tarifverträgen nach der Auflösung einer Tarifvertragspartei geklärt und erst in einem zweiten Schritt untersucht werden, wie eine Überleitung laufender Tarifverträge zu erreichen ist. Innerhalb dieses zweiten Schrittes orientiert sich die Darstellung wiederum an den Alternativen Gesamtrechtsnachfolge und Einzelrechtsnachfolge. Der Vierte Teil widmet sich den Problemen der Gewerkschaftsfusionen im Rahmen der rechtlichen Verfassung des Arbeitsmarktes. Nach einer kurzen Erörterung der möglichen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des Fusionsprozesses, insbesondere der verstärkten Kartellwirkung auf dem Arbeitsmarkt, soll der Versuch unternommen werden, eine rechtliche Einordnung und Bewertung dieses Befundes vorzunehmen.

4. Begrimiches Um das weitere Verständnis zu erleichtern, empfiehlt sich vorab eine kurze Klärung des Fusionsbegriffes. Der Begriff der Fusion bzw. der Verschmelzung bezeichnet die rechtliche und wirtschaftliche Vereinigung zweier oder mehrerer Körperschaften. Dabei wird zwischen der Fusion durch Neugründung und der Fusion durch Aufnahme unterschieden. Im ersten Fall kommt es zu einer Auflösung aller beteiligten Fusionspartner und zu einer Vermögens übernahme durch eine neugegründete Körperschaft. Im zweiten Fall bleibt ein Fusionspartner bestehen und übernimmt das Vermögen einer oder mehrerer aufgelöster Körperschaften. Bei beiden Fusionsarten kommt es also zumindest auf einer Seite zu einem Wechsel des Rechtsträgers. Wenn im folgenden teilweise nur von "der übertragenden Gewerkschaft" die Rede ist, so dient dies lediglich der sprachlichen Vereinfachung und gilt genauso für solche Fälle, in denen mehrere Gewerkschaften auf der übertragenden Seite beteiligt sind. Der Fusionsbegriff kann in einem engeren oder weiteren Sinne gebraucht werden. Legt man einen engen Fusionsbegriff zugrunde, so werden nur solche Vereinigungen von Körperschaften erfaßt, die ohne Abwicklung und ohne rechtsgeschäftliche Übertragungsakte vonstatten gehen. 9 In diesem Fall wird auch von einer "echten,,10 oder einer "privilegierten" I I Fusion gesprochen. Erfaßt wären davon in erster Linie Verschmelzungen im Sinne des Umwandlungsgesetzes (§§ 2 ff. UmwG), bei denen es zu einer Gesamtrechtsnachfolge kommt, ohne daß eine Liquidation stattfindet. Fusion und Verschmelzung sind zwar nach allgemeinem 9 10

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In diesem Sinne z. B. Drobnig/Becker/Remien, Verschmelzung, S. 9. So Drobnig/ Becker/ Remien, Verschmelzung, S. 9. So Reute" DZWir 1993,404 (405).

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Sprachgebrauch Synonyme. Da Verschmelzung aber als terminus technicus des Gesetzgebers im Umwandlungsgesetz für einen Zusammenschluß "unter Auflösung ohne Abwicklung" verwandt wird, erscheint es vorzugswürdig, den Begriff der Verschmelzung nur in diesem (engeren) Sinne zu verwenden. Bei einem erweiterten Verständnis kann man unter einer Fusion auch solche Vorgänge fassen, die auf andere Weise, also auch durch Einzelübertragung der Vermögensgegenstände und der Mitgliedschaften zu einer Vereinigung von Körperschaften (mit einem einheitlichen Gesamtvermögen) führen. 12 Man könnte auch von einer Fusion im untechnischen Sinne, einer Quasi-Fusion l3 oder einer nicht privilegierten Fusion 14 sprechen. Dabei bleibt allerdings etwas unklar, wie umfassend die entsprechenden Übertragungsvorgänge sein müssen. So stellt sich die Frage, ob auch dann noch von einer Fusion gesprochen werden kann, wenn nicht restlos das gesamte Vermögen einer Vereinigung auf eine andere übertragen wird. Diese Begriffsschwierigkeiten stellten sich insbesondere bei der Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften. 15 Dabei wurden oftmals nur Teile des Vermögens sowie der Mitglieder ehemaliger FDGB-Gewerkschaften durch westdeutsche Gewerkschaften übernommen. Noch von einer Fusion zu sprechen fällt in diesen Fällen schwer und wurde auch von den Beteiligten großenteils abgelehnt. Trotz der terminologischen Unschärfen soll im folgenden der weitere Fusionsbegriff im umfassenden Sinne einer Vereinigung von Körperschaften zugrundegelegt werden. Nur so wird vermieden, den Begriff der Gewerkschaftsfusion von vornherein auf eine bestimmte rechtliche Konstruktion einzuengen. Unter dem Oberbegriff der Gewerkschaftsfusion sollen alle denkbaren rechtlichen Formen der Vereinigung von Gewerkschaften Raum haben. Soweit dies zur KlarsteIlung erforderlich ist, bietet es sich an, in Anlehnung an Reuter 16 von privilegierter Fusion zu sprechen, wenn nur die Fusion im engeren Sinne gemeint ist.

In diesem Sinne z. B. Röckl, BB 1993, S. 1653 (1654); Böhringer; BWNotZ 1990, S. 5. So Lutter in Lutter, § I UmwG Rn. 21. 14 So Reuter; DZWir 1993, S. 404 (405). Von einer Fusion im Sinne des Vereinsrechts in Unterscheidung zur aktienrechtlichen Verschmelzung spricht Böhringer; BWNotZ 1990, S. 5. Angesichts der Erweiterung der umwandlungsfahigen Rechtsträger durch das neue Umwandlungsgesetz erscheint diese Terminologie jedoch überholt. 15 Vgl. dazu unten im Ersten Teil unter B, S. 31 ff. 16 Reuter; DZWir 1993, S. 404 (405). 12

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Erster Teil

Empirische Grundlagen: Der Konzentrationsprozeß der Gewerkschaften in Deutschland Die Geschichte der deutschen Gewerkschaften läßt sich als "eine einzige Konzentrationsbewegung" verstehen, die teilweise in den Organisationskatalogen der DGB-Gewerkschaften noch heute abzulesen ist. 1 Im folgenden soll daher zunächst ein kurzer Überblick über die wichtigsten historischen Entwicklungslinien dieses Konzentrationsprozesses gegeben werden. Auf eine eingehende Darstellung aller in diesem Zusammenhang erfolgten Fusionen und anderen Formen des Zusammenschlusses muß aus Raumgründen verzichtet werden. Entfallen muß auch eine Untersuchung der rechtlichen Vorgehensweise bei gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen bis zur Gründung des DGB, die nur eine rechtshistorische Arbeit leisten könnte. 2 Nach einer Betrachtung des Vollzugs der deutschen Einheit auf Gewerkschaftsebene soll vor allem auf die in jüngster Zeit erfolgten Fusionen und ihre rechtstatsächliche Umsetzung detailliert eingegangen werden.

A. Die Konzentrationsentwicklung bis zur Gründung des DGB I. Zentral verbände Seit Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entwickelten sich in Deutschland Gewerkschaften. Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die AufRieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn. 1843. Gerade für die Anfangsphase der Gewerkschaftsgeschichte bis zum Ersten Weltkrieg darf aber angenommen werden, daß juristische Überlegungen im Rahmen von organisatorischen Konzentrationsmaßnahmen nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben, da sich die Gewerkschaften ohnehin auf rechtlich höchst unsicherem Terrain bewegten. Welche Unsicherheiten auch später noch bei der rechtlichen Umsetzung von Fusionen bestanden, zeigt der Fall des Zusammenschlusses zweier christlicher Gewerkschaften in AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG. Aus dem Tatsachenvortrag der ASt. war für das Gericht nicht zu entnehmen, auf welche Weise der Zusammenschluß erfolgt ist, insbesondere, ob sich eine oder beide Gewerkschaften aufgelöst haben. I

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A. Die Konzentrationsentwicklung bis zur Gründung des DGB

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hebung des Koalitionsverbots, die 1869 durch § 152 der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund erfolgte und ab 1871 für das ganze Reich galt. Die Organisation der Arbeitnehmer vollzog sich in Anlehnung an die als Vorläufer geltenden Hilfskassen und andere Arbeitervereine zunächst innerhalb der einzelnen Berufe auf betrieblicher und örtlicher Ebene. 3 Sukzessive schlossen sich Lokalverbände und Betriebsgewerkschaften dann zu überörtlichen Zentralverbänden zusammen. Diese Entwicklung nahm ihren Anfang mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Cigarrenarbeitervereins durch die Delegierten regionaler Zigarren arbeiterverbände im Jahr 1865. Wenig später vereinigten sich auch die Buchdrucker, Schneider und andere Berufsgruppen in Zentralverbänden. So entstanden zwischen 1863 und 1878 schließlich 30 zentral oder zumindest überregional organisierte Verbände mit sozialistischer Ausrichtung. 4 Die fortschreitende Zentralisierung der Gewerkschaften wurde indes bald erschwert. Während der Geltung des Sozialistengesetzes von 1878 bis 1890 war eine überregionale Gewerkschaftsarbeit angesichts der Unterdrückung gewerkschaftlicher Organisationen und der Auflösung sozialistischer Gewerkschaften kaum mehr möglich. Obgleich die Gewerkschaftsbewegung während der staatlichen Unterdrückung starken Zulauf erhielt, bestanden auch in der Folgezeit weiterhin völlig verschiedene Organisationsformen nebeneinander: lokale Vereinigungen von qualifizierten Fachkräften, berufsübergreifende Zusammenschlüsse auf örtlicher Ebene, Hilfskassen bestimmter Berufszweige sowie reichsweit zentralisierte Berufsverbände. Letztere nahmen dabei allerdings eine dominierende Stellung ein. 5 Die organisatorische Konzentration wurde zusätzlich erschwert durch die Zersplitterung der Gewerkschaftslandschaft in Richtungsgewerkschaften, d. h. Verbänden mit unterschiedlicher politischer bzw. weltanschaulicher oder religiöser Ausrichtung. Mit den der Sozialdemokratie nahestehenden "freien Gewerkschaften" konkurrierten die liberalen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und ab 1894 auch die christlichen Gewerkschaften. Bei letzteren spielten Fragen der Zentralisation und Konzentration eine weniger große Rolle, da sie von vornherein auf einer breiteren organisatorischen Basis gegründet wurden. 6 Im folgenden soll sich der Blick auf die von den Mitgliederzahlen und ihrer politischen Bedeutung dominierenden freien Gewerkschaften konzentrieren. Vor allem die Erfahrung der eigenen organisatorischen Schwäche in Arbeitskämpfen brachte nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes einen Diskussionsprozeß über die zukünftige Organisationsform der Gewerkschaften in Gang. 7 Zu3 Zu der Entwicklung im einzelnen Umbreit, 25 Jahre Deutscher Gewerkschaftsbewegung 1890-1915, S. 19 ff. 4 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Bd. I, S. 96. 5 Schönhoven in Tenfelder I Schönhoven I Schneider I Peukert, Geschichte der deutschen Gewerkschaften, S. 180; ders., Expansion und Konzentration, S. 261. 6 Abegg, Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationsformen, S. 91 f. 7 Schänhoven, Expansion und Konzentration, S. 264.

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1. Teil: Empirische Grundlagen

nächst stellte sich dabei die Frage nach dem weiteren Zusammenschluß zu Zentralverbänden. Viele Lokalverbände standen einer überörtlichen Organisation ablehnend gegenüber. Die sog. Lokalisten konnten sich aber auf Dauer in der organisationspolitischen Debatte nicht behaupten, so daß sich das System zentraler Berufsverbände immer mehr durchsetzte. 8 Eine entscheidende Weichenstellung in diese Richtung brachte 1892 in Halberstadt der Kongreß der bereits 1890 als Dachverband der freien Gewerkschaften gegründeten "Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands", auf dem die Frage der richtigen Organisationsform geklärt werden sollte. Nur 36 der 208 Delegierten kamen von Lokalvereinen, wohingegen die Mehrheit von 275.000 der 300.000 repräsentierten Arbeitnehmer in 57 Zentralverbänden organisiert war. 9 Der Forderung der Lokalisten nach Anerkennung aller Organisationsformen wurde eine klare Absage erteilt. Damit war eine endgültige Entscheidung für den Zentralverband gefallen. Im weiteren Verlauf sank die Mitgliederschaft und die Bedeutung reiner Lokalvereine weiter. 10

11. Industrieverbände Parallel zu der Frage der Zentralisierung setzte eine weitere organisationspolitische Debatte über die Weiterentwicklung des Berufsverbandsprinzips zum Industrieverbandsprinzip ein. Nach mehreren vorangegangenen Versuchen der Metallarbeiter, sich in einem berufsübergreifenden Verband zu organisieren, kam es 1891 zur Gründung des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes (DMV), der 1893 die Gründung des Deutschen Holzarbeiterverbandes folgte. 11 Damit war der Grundstein für die ersten Industriegewerkschaften gelegt, beruhend auf dem Prinzip, daß sich gelernte und ungelernte Arbeiter eines ganzen Industriezweiges unabhängig von ihrer einzelnen Tätigkeit gemeinsam organisieren. Eine so umfassende Organisationsform hatte es zunächst sehr schwer, sich durchzusetzen. Die Gewerkschaften waren bislang von hochqualifizierten Handwerkern und Facharbeitern dominiert, die sich in hohem Maße mit hergebrachten Berufsbildern identifizierten. In diesem Zusammenhang wird auch von "Berufsdünkel" , "Kastengeist" und "zünftierischem Bewußtsein" gesprochen. 12 Selbst der Metallarbeiterverband als erste Industriegewerkschaft war anfangs noch stark von Facharbeitern geprägt. 13 Es bestanden zudem zahlreiche Branchenverbände im Bereich der Metallindustrie, die erst nach 8 Vgl. zu diesem Komplex Scharrer, Organisation und Vaterland, S. 59 ff.; Schönhoven. Expansion und Konzentration, S. 264 ff. 9 Scharrer, Organisation und Vaterland, S. 62 f. 10 Scharrer, Organisation und Vaterland, S. 63. 11 Zu der Entstehung der Industrieverbände bei Metall- und Holzarbeitern vgl. Schönhoyen, Expansion und Konzentration, S. 306 ff. 12 Vgl. hierzu Schönhoven, Expansion und Konzentration, S. 282; Abegg. Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationsformen, S. 94 ff. 13 Scharrer, Organisation und Vaterland, S. 53 ff.

A. Die Konzentrationsentwicklung bis zur Gründung des DGB

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und nach in den DMV integriert werden konnten. Auf dem Gewerkschaftskongreß in Halberstadt 1892 konnten sich weder der Metallarbeiterverband im Sinne des Industrieverbandsprinzips noch der Vorsitzende der Generalkommission earl Legien im Sinne des Berufsverbandsprinzips durchsetzen. 14 Den Zentralverbänden verwandter Berufe wurde lediglich empfohlen, untereinander Kartellverträge abzuschließen. Ansonsten überließ man die Organisationsfrage der weiteren Entwicklung. Zu diesem Zeitpunkt war der Grad der Industrialisierung in Deutschland noch zu gering, um der Industriegewerkschaft endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Die Ausdehnung der Industrieproduktion, die damit einhergehende Veränderung von hergebrachten Berufsbildern, die Zunahme von Großbetrieben und die Zusammenschlüsse auf Arbeitgeberseite forcierten dann aber die Entwicklung zum Industrieverbandsprinzip.15 Im weiteren Verlauf schlossen sich immer mehr Berufsverbände zu Industriegewerkschaften oder zumindest zu erweiterten Branchenverbänden zusammen. Letztere stellen einen Zwischen schritt zum Industrieverband dar. Sie entstanden aus reinen Berufsverbänden, die nach und nach auch fremdberufliche Arbeitnehmer aus Betrieben ihrer Branche aufnahmen, was zu Zusammenschlüssen mit anderen Branchenorganisationen führte. 16 Vorausgegangen waren häufig Kartellverträge, die gegenseitige Abgrenzungsstreitigkeiten beseitigen und die Zusammenarbeit fördern sollten. 17 Die Anzahl der Zentralverbände im Bereich der freien Gewerkschaften sank von 62 im Jahr 1892 auf 46 im Jahr 1914. 18 Nach dem Ersten Weltkrieg ging der Konzentrationsprozeß der ab 1919 im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) vereinigten freien Gewerkschaften weiter. Da weitere Fachgewerkschaften auf ihre Selbständigkeit verzichteten, zählte man 1924 noch 40, 1929 noch 33 und 1930 schließlich nur noch 31 Einzelverbände. 19 Noch immer konnte aber von einer systematischen Durchsetzung des Industrieverbandsprinzips nicht die Rede sein. Die weitere Entwicklung wurde mit der Zerschlagung der Gewerkschaften im Mai 1933 durch die nationalsozialistischen Machthaber jäh unterbrochen.

Scharrer, Organisation und Vaterland, S. 63. Schönhoven in Tenfelder / Schönhoven / Schneider / Peukert, Geschichte der deutschen Gewerkschaften, S. 183 ff. 11> Hierzu Abegg, Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationsformen, S. 137 f., 145 ff., der in diesem Zusammenhang vom "sogenannten Industrieverband" spricht. 17 Abegg, Die Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationsformen, S. 89 ff. IX Zahlen nach Umbreit, 25 Jahre deutscher Gewerkschaftsbewegung 1890- 1915, S. 172. 19 Zahlen nach Schönhoven in Tenfelder / Schönhoven / Schneider / Peukert, Geschichte der deutschen Gewerkschaften, S. 372; das., Die deutschen Gewerkschaften, S. 148. 14

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1. Teil: Empirische Grundlagen

IH. Einheitsgewerkschaften Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten mit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Oktober 1949 in Westdeutschland sowohl das Industrieverbandsprinzip als auch das Prinzip der partei politisch, weltanschaulich und konfessionell neutralen Einheitsgewerkschaft weitgehend realisiert werden. Im Gegensatz zur Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone, in der bereits kurz nach Kriegsende der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) gegründet wurde, war der Gründung des DGB ein unter der Kontrolle der westlichen Besatzungsmächte vollzogener Prozeß der allmählichen Neuformierung von Gewerkschaften von unten nach oben vorausgegangen. In dessen Verlauf war es mehrfach zu Zusammenschlüssen von Gewerkschaften gekommen, insbesondere bei der Vereinigung zu bi- und trizonalen Organisationen. 2o Ab 1949 waren 16 Gewerkschaften im DGB vereint. Der "Siegeszug" des Industrieverbandsprinzips hatte zu einer bis dahin nie dagewesenen Konzentration auf dem Feld gewerkschaftlicher Organisation geführt, die damit einen vorläufigen Abschluß fand. Nicht mit dem Industrieverbandsprinzip vereinbar ist allerdings das Organisationsprinzip der bereits 1945 gegründeten Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG), die wegen ihrer konkurrierenden Position zu mehreren DGB-Gewerkschaften nicht Mitglied des DGB werden konnte. Ähnliches gilt für den Deutschen Beamtenbund (DBB). Doch auch innerhalb des DGB wurde das Industrieverbandsprinzip nicht vollständig verwirklicht, da sich einzelne Gewerkschaften wie die GEW oder die ÖTV nach bestimmten Berufen bzw. nach dem Arbeitgeber abgrenzen?l Mit der Gründung des DGB als Bund von Einheitsgewerkschaften wurde die vor 1933 bestehende Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in Richtungsgewerkschaften zumindest vorübergehend überwunden. Einen Rückschlag für die Idee der Einheitsgewerkschaft stellte dann allerdings die Neugründung christlicher Gewerkschaften im Zuge der Auseinandersetzung um die partei politische Neutralität des DGB dar. Der 1959 aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung Deutschlands (CGD) hervorgegangene Christliche Gewerkschaftsbund Deutschlands (CGB) folgt dem Berufsverbands-, teilweise aber auch dem Industrieverbandsprinzip.22 Innerhalb des CGB gab es in der Folgezeit vereinzelte Zusammenschlüsse von Mitgliedsgewerkschaften. So schlossen sich am 20. 1. 1973 die Christliche Gewerkschaft Papier-Chemie-Keramik-Glas (CG CPK) mit der Christlichen Gewerkschaft Bergbau und Energie (CG BE) zur Christlichen Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (CG BCE) zusammen 23 , ~as eine organisationspolitische Par20 V gl. Mielke in Hemmer I Schmitz (Hrsg.), Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland, S. 21 (46 ff.). 21 Löwisch in MünchArbR, Bd. 3, § 241 Rn. 12. 22 Zur Gliederung des CGB vgl. ScMub. Arbeitsrechts-Handbuch. § 189 IV. S. 1598 f. 23 Vgl. den Sachverhalt in BAG, AP Nr. 3 zu § 97 ArbGG.

B. Fusionen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit

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allele zu der später vollzogenen Fusion der entsprechenden DGB-Gewerkschaften darstellt. Den christlichen Gewerkschaften gelang es freilich nicht, an ihre Bedeutung vor 1933 anzuknüpfen, so daß die dominierende Stellung der DGB-Gewerkschaften und ihr Selbstverständnis als Einheitsgewerkschaften erhalten blieb.

B. Fusionen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit Im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung stellte sich die Frage nach der Schaffung gesamtdeutscher Gewerkschaftsorganisationen.

I. Die Ausgangslage Der 1945 in der sowjetischen Besatzungszone gegründete Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) hatte sich in der DDR zu einer Massenorganisation der SED entwickelt?4 Unter der zentralistischen Leitung des FDGB bestanden Einzelgewerkschaften bloß als Fachabteilungen ohne selbständige Funktionen. Sie waren abhängig von Mittelzuweisungen durch den FDGB. 25 1951 übernahm der FDGB die Leitung und Kontrolle der Sozialversicherung, was zur Folge hatte, daß fortan nahezu die gesamte erwerbstätige Bevölkerung der DDR gewerkschaftlich organisiert war, gleichzeitig aber die Verflechtung des FDGB mit der staatlichen Verwaltung und die Abkehr von gewerkschaftlicher Interessenvertretung im traditionellen Sinne weiter verstärkt wurde. Nach dem Fall der Mauer und dem Rücktritt der alten Führung kam es zunächst zur Umstrukturierung des FDGB im Sinne einer Wiedererrichtung von selbständigen Einzelgewerkschaften mit Finanz- und Tarifhoheit. Damit war zugleich die Voraussetzung für die Herstellung der Gewerkschaftseinheit durch Zusammenführung auf der Ebene der Einzelgewerkschaften geschaffen. Durch Satzungsänderung am 31.1/1. 2. 1990 wurde die Funktion des FDGB auf die eines Dachverbandes beschränkt. 26 Nachdem aber im weiteren Verlauf der DGB und auch einige DDR-Gewerkschaften ihre Zusammenarbeit mit dem FDGB beendeten, löste dieser sich zum 30. 9. 1990 auf. Von einer Fusion des DGB mit dem FDGB wurde bewußt abgesehen, um eine klare Trennung von diesem Herrschaftsinstrument der SED zu verdeutlichen. 27 Wichtig war dies vor allem im Hin24 Dies wurde auch durch die nach dem Parteiengesetz der DDR eingesetzten Unabhängigen Kommission festgestellt, die sich mit den Vermögenswerten aller parteiverbundenen Organisationen befaßte. VgI. auch die Einleitung der Satzung des FOGB von 1987, in der die führende Rolle der SED hervorgehoben wird und §§ 6 ff. des Arbeitsgesetzbuches der DDR, welche die Einbindung der Gewerkschaften in den Staatsapparat verdeutlichen. 25 Wilke / Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 43. 26 V gl. Ziff. 1 der Satzung des gewerkschaftlichen Dachverbandes FOGB i.d.F. v. 31.11 1. 2. 1990.

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1. Teil: Empirische Grundlagen

blick auf das zumindest teilweise unrechtmäßig erworbene Vermögen des FDGB, da jeder Eindruck einer Rechtsnachfolge vermieden werden sollte. Der DGB beanspruchte als Rechtsnachfolger des ADGB lediglich Alteigentum aus der Zeit vor 1933.

11. Die Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften Die Bildung gesamtdeutscher Einzelgewerkschaften gestaltete sich in den verschiedenen Organisationsbereichen auf z.T. recht unterschiedliche Weise. Als gemeinsames Merkmal läßt sich hervorheben, daß es in keinem Fall zu einem Zusammenschluß unter gleichberechtigten Partnern kam. Die gewerkschaftliche Einheit wurde vielmehr stets durch Auflösung der Ostverbände unter Fortbestand und Ausdehnung der Westgewerkschaften erreicht. Die Mehrzahl der westdeutschen Gewerkschaften lehnte eine Fusion mit ehemaligen FDGB-Gewerkschaften ausdrücklich ab,zs Der Begriff der Fusion ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht ganz klar. Ausgeschlossen werden sollte in jedem Fall die Fusion im engeren Sinne einer Gesamtrechtsnachfolge. Unerwünscht war aber zumeist auch die Fusion im weiteren Sinne eines anderweitigen umfassenden Vermögens- und Mitgliederübergangs. Die Verstrickung der FDGB-Gewerkschaften mit der SED-Diktatur ließ es politisch nicht opportun erscheinen, eine Übernahme von Personal und Vermögen in größerem Umfang sowie einen kollektiven Mitgliederübergang, sei es durch Gesamt- oder durch Einzelrechtsnachfolge, anzustreben. Hinsichtlich des Vermögens bestanden zudem angesichts der noch unklaren Rechtslage nicht unerhebliche Haftungsrisiken. Nach den §§ 20 a, b Parteiengesetz der DDR waren die Vermögenswerte aller parteiverbundenen Organisationen einer Rechenschaftspflicht und einer treuhänderischen Verwaltung unterworfen. Die Abwicklung von gewerkschaftlichen Vermögenswerten wurde dadurch zusätzlich erschwert. Ohne nähere Untersuchung darüber, welche Vermögensübertragungen im einzelnen tatsächlich stattgefunden haben und welcher Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in Ostdeutschland einen Gewerkschaftswechsel vollzogen hat, läßt sich nicht immer eine sichere Aussage darüber treffen, ob schon die Grenze überschritten wurde, ab der von einer Fusion im weiteren Sinne einer umfassenden rechtlichen und wirtschaftlichen Vereinigung gesprochen werden kann. Festzustellen ist jedenfalls, daß dem Anspruch auf eine klare Trennlinie zu den FDGB-Gewerkschaften in recht unterschiedlichem Umfang Rechnung getragen wurde.

27 WilkelMüller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 60 ff.; SchmitzlTiemann. Deutschland-Archiv 1990, S. 1608 (1611). 2M Rieble, AuR 1990, S. 365 f.; Kempen, AuR 1990. S. 372 ff.

B. Fusionen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit

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1. Ausdehnung der Westgewerkschaften

Die Gewerkschaftseinheit vollzog sich vielfach durch Ausdehnung der vormals westdeutschen Gewerkschaften und ihrer satzungsmäßigen Zuständigkeit auf das Gebiet der DDR unter gleichzeitiger Werbung der Mitglieder aufgelöster ostdeutscher Gewerkschaften zum individuellen Beitritt. Diesen Weg ging als größte Einzelgewerkschaft die IG Metall. 29 Unter dem Druck der Westgewerkschaft beschloß die IG Metall der DDR nach einer Phase der Kooperation ihre Auflösung zum 31. 12. 1990 und empfahl ihren Mitgliedern in einem offenen Brief den Übertritt in den Westverband, der hierfür durch Ausdehnung seines räumlichen Organisationsbereiches die Voraussetzungen schuf. Gleichzeitig gehörte die IG Metall (West) zu denjenigen Gewerkschaften, die sich am deutlichsten von der alten FDGB-Organisation abgrenzen wollten. Keinesfalls sollten Vermögen, Büros oder Personal in größerem Umfang übernommen werden. In einem Vergleich mit der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) hatte die IG Metall der DDR bereits auf Ansprüche aus dem Liquidationserlös des FDGB i. L. verzichtet. Das darüber hinaus vorhandene Geldvermögen wurde zum größten Teil nicht direkt auf die IG Metall (West) übertragen, sondern in die gemeinnützige Otto-Brenner-Stiftung eingebracht, um dort zweckgebunden für gewerkschaftliche Aufgaben in den neuen Bundesländern eingesetzt zu werden. Angestrebt wurde der Aufbau neuer, möglichst unbelasteter Organisationsstrukturen in Ostdeutschland. Insgesamt läßt sich daher recht deutlich sagen, daß die Bildung der gesamtdeutschen IG Metall keine Fusion (auch nicht im weiteren Sinne) darstellt. In ähnlicher Weise nahmen auch andere DGB-Gewerkschaften die Mitglieder korrespondierender (ehemaliger) FDGB-Gewerkschaften auf. Die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft (GGLF) lehnte eine pauschale Übernahme von Mitgliedern und Funktionären der zum 30.9. 1990 aufgelösten Gewerkschaft Land- und Nahrungsgüterwirtschaft (GFLN) ausdrücklich ab und verlangte für den Beitritt einen unterschriebenen Aufnahmeschein. 30 Ein individueller Beitritt zu den entsprechenden DGB-Gewerkschaften wurde auch durch Mitglieder der sich auflösenden Ostgewerkschaften IG Bau-Holz und Gewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder (TeBeLe) vollzogen. Bei ersterer verteilten sich die Mitglieder auf die IG Bau-Steine-Erden (lG BSE) und die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK), bei letzterer auf die Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) und die Gewerkschaft Leder. 31 Die westdeutsche IG Bergbau und Energie (IG BE) nahm Mitglieder der ostdeutschen IG Bergbau-Energie-Wasserwirtschaft (IG BEW) und der IG Wismut auf. 32 Bei der IG Medien (West) fiel die ursprünglich geplante Zwischenetappe der Hierzu im einzelnen Wilke / Müller; Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 200 ff. Wilke / Müller; Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 167 ff.; Schmitz/7iemann. Deutschland-Archiv 1990, S. 1608 (1614). 31 Wilke/ Müller; Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 104 ff., 184 ff., 258 ff., 184 ff. 29

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3 Koopmann

I. Teil: Empirische Grundlagen

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Gründung einer IG Medien der DDR aus. Statt dessen kam es zur direkten Übernahme von Mitgliedern der ehemaligen FDGB-Gewerkschaften IG Druck und Papier und Gewerkschaft Kunst. 33 Im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften, die einen individuellen Beitritt verlangten, war ein automatischer Erwerb der Mitgliedschaft in der IG Medien vorgesehen. Man war auch weniger zurückhaltend, was die Übernahme von Vermögen betrifft. Einen Sonderfall im Vereinigungsprozeß der deutschen Gewerkschaften stellt die DGB Gewerkschaft IG Chemie, Papier, Keramik (IG CPK) dar. 34 Trotz oder gerade wegen ihres "antikommunistischen Grundkonsenses" scheute sie nicht den Weg einer Fusion mit der ehemaligen FDGB-Gewerkschaft Chemie-Glas-Keramik. 35 Man verfolgte das Konzept eines gleitenden Übergangs, das die Auflösung der Ostgewerkschaft erst zum 31. 5. 1991 vorsah. In bewußtem Gegensatz zum Vorgehen der IG Metall wollte man eine handlungsfähige Organisation nicht erst zerstören.

2. Neugründung kompatibler Ostgewerkschaften als Zwischenschritt Teilweise wurde ein gegenüber der vorstehend beschriebenen Konstruktion etwas modifizierter Weg beschritten, indem man zunächst die Gründung neuer Gewerkschaftsverbände auf dem Gebiet der DDR betrieb, die sich später mit den entsprechenden Westgewerkschaften zusammenschlossen. Diese Vorgehensweise bot sich an, wenn in der DDR keine organisatorisch korrespondierende Gewerkschaft bestand. Die Neugründungen erfolgten z.T. als Aus- oder Umgründungen von alten FDGB-Verbänden oder zumindest in Kooperation mit diesen, so daß die Problematik der Vermögens- und Personalübernahme bestehen blieb. Neugründungen waren daher nicht zwingend mit einer größeren Distanz zu ehemaligen FDGB-Gewerkschaften verbunden. Es erfolgte die Neugründung einer Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) und einer Postgewerkschaft (DPG) in der DDR. 36 Beide Berufsgruppen waren zuvor in der IG Transport und Nachrichtenwesen organisiert. Bei der Ausdehnung der Westgewerkschaften wurde eine Vermögensübernahme in bei den Fällen vermieden. Die GdE beschloß allerdings einen "automatischen Übertritt" ihrer Mitglieder in den DGB-Verband Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED). Die FDGBGewerkschaft Handel, Nahrung und Genuß (HNG) nahm in Zusammenarbeit mit Wilke / Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 115 ff. Wilke / Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 186 ff. 34 Wilke / Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 128 ff. 35 Anders als andere Gewerkschaften verwandte man auch ausdrücklich die Begriffe "Fusion" bzw. ,,Zusammenschluß". So heißt im Kooperationsabkommen vom 14.5. 1990: ,,Ziel des Kooperationsabkommens ist nach einer Phase der Kooperation der Zusammenschluß beider Organisationen ... Beide Organisationen streben den Zusammenschluß an; ( ... )" Zitiert nach Schmitz/1iemann, Deutschland-Archiv 1990, S. 1608 (1615). 36 Wilke/ Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 145 ff., 245 ff. 32 33

B. Fusionen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit

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den Westgewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen (HBV) sowie Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) die Gründung einer HBV /DDR und einer NGG / DDR vor, die sich später auflösten und ebenfaIIs satzungsmäßig eine koIIektive Überleitung der Mitglieder vorsahen. 37 Im Bereich der zuvor nicht gewerkschaftlich organisierten Volkspolizei wurde eine neue Gewerkschaft der Volkspolizei (GdVP) gegründet, die mit ihrer Auflösung den Beitritt zur Gewerkschaft der Polizei (GdP) im DGB empfahl. 38 Kurioserweise war somit gerade im Bereich der besonders regimetreuen Volkspolizei ein zumindest von FDGB-Strukturen völlig unbelasteter gewerkschaftlicher Neuanfang möglich. Eine Doppelstrategie beim Aufbau einer gesamtdeutschen Gewerkschaft verfolgte die DGB-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).39 Sie setzte einerseits auf die Zusammenarbeit mit den FDGB-Gewerkschaften Unterricht und Erziehung (GUE) und Wissenschaft (GW). Andererseits unterstützte sie den Aufbau einer GEW in der DDR durch Kräfte, die von der Reformunfahigkeit der FDGB-Gewerkschaften ausgingen. Im weiteren Verlauf kam es zur Auflösung von GUE und GW, deren Mitglieder zum individueIIen Beitritt zu den GEW-Landesverbänden der DDR aufgefordert wurden. Erst danach schloß man sich zu einer gesamtdeutschen GEW zusammen. Der DGB-Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV) als Multibranchengewerkschaft standen auf DDR-Seite nicht weniger als acht FDGB-Gewerkschaften mit zumindest teilweise korrespondierendem Organisationsbereich gegenüber. 40 In dieser Situation entschloß man sich - ähnlich wie die GEW - nicht nur zur Fortsetzung von Kooperationen mit einzelnen DDR-Gewerkschaften, sondern paraIIel zur Gründung einer ÖTV in der DDR als Zwischenschritt zur Schaffung einer einheitlichen ÖTv. 41 Da die Neugründung der DDR-ÖTV im Gegensatz zu den Aus- bzw. Um gründungen in anderen Branchen von den Organisationsapparaten ehemaliger FDGB-Gewerkschaften unbelastet blieb, stand auch einer Fusion der ÖTV (West) mit der DDR-ÖTV nichts im Wege. 42 Insgesamt ging es bei der Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften lediglich um die Überwindung der Folgen der deutschen Teilung. Insofern handelt es sich um einen einzigartigen Sonderfall, der nicht in Kontinuität mit dem genereIlen gewerkschaftlichen Konzentrationsprozeß zu sehen ist. Es wurde im Gegenteil sogar versäumt, die traditionellen Organisationsstrukturen im Westen neu zu überdenken und sinnvolle Zuordnungen aus dem Bereich der Ostgewerkschaften zu übernehmen. Dies zeigt die teilweise erfolgte Aufspaltung von Ostverbänden bzw. deren Mitgliedschaften, wie etwa bei der Gewerkschaft Bau-Holz oder der Dienstlei37

Wilke I Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 173 ff., 220 ff.

38

Wilke I Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 240 ff.

39

Wi/keIMüller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 151 ff.

Wilke I Müller, Zwischen Solidarität und Eigennutz, S. 225 ff. Schmitzl1ierrumn. Deutschland-Archiv 1990, S. 1608 (1616), sprechen von einer "Doppelstrategie: Kooperation und Neuanfang". 42 Kempen, AuR 1990, S. 372 f.• hebt die Fusion der ÖTV insofern als Ausnahmefall im Rahmen der Bildung gesamtdeutscher Gewerkschaften hervor. 40

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1. Teil: Empirische Grundlagen

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stungsgewerkschaft Handel, Nahrung und Genuß. Selbst im Bereich der Ostgewerkschaft Textil-Bekleidung-Leder wurde die westliche Organisationsstruktur mit der kleinen und kaum überlebensfähigen Gewerkschaft Leder übertragen, anstatt die Vereinigung zum Anlaß für eine Neuordnung zu nehmen.

C. Der aktuelle Fusionsprozeß Seit der Gründung des DGB blieb die Zahl der Mitgliedsgewerkschaften - abgesehen von der 1978 erfolgten Aufnahme der GdP als 17. Mitgliedsgewerkschaft über Jahrzehnte konstant. Mit Ausnahme der Fusion zur IG Medien, die bereits seit Jahren diskutiert wurde, und den Entwicklungen im Zuge der deutschen Einheit setzte erst ab Mitte der neunziger Jahre eine verstärkte Konzentrationsbewegung ein. Es handelt sich hierbei um eine Fusionswelle von unvergleichlichem Ausmaß, die in ihren Auswirkungen noch gar nicht endgültig abzusehen ist. Die sich zunächst ausschließlich unter dem Dach des DGB abspielende Entwicklung scheint möglicherweise nun auch die bislang in Konkurrenz zum DGB stehende DAG zu erfassen.

I. Die Reformdiskussion im DGB 1. Hintergrund

Anfang der neunziger Jahre verstärkte sich die schon in den achtziger Jahren ansatzweise begonnene Reformdebatte innerhalb des DGB.43 Anlaß für die Reformbemühungen war in erster Linie ein anhaltender, durch die deutsche Einheit nur kurzfristig unterbrochener Mitgliederschwund und daraus resultierende Finanznöte und Sparzwänge der Einzelgewerkschaften. Im Hintergrund dieser Entwicklung steht der grundlegende Wandel der Arbeitswelt im Zeichen einer globalisierten Wirtschaft, begleitet von anhaltender Massenarbeitslosigkeit. Durch die Veränderung der Unternehmensstrukturen haben sich zusehends traditionelle Branchenabgrenzungen verschoben, so daß der seit über 50 Jahren nahezu unveränderte Zuschnitt der DGB-Gewerkschaften immer mehr in Frage gestellt wurde. Während einige traditionelle Branchen heute nahezu bedeutungslos sind, zeigen sich gerade auf gewerkschaftlich nur schwach organisierten Gebieten, wie etwa im Multimedia-Bereich, enorme Wachstumspotentiale, ohne daß die gewerkschaftlichen Zuständigkeiten hier geklärt wären. Hinzu kommt, daß sich durch Zusammenschlüsse zunehmend gemischte oder Multi branchen-Unternehmen bzw. Konzerne herausbilden. für die dann mehrere Gewerkschaften ihre Zuständigkeit reklamieren. Man wird daher in den erfolgten Gewerkschaftsfusionen auch eine Reaktion auf den 43

Vgl. nur Lang/Schaaj. GMH 1997. S. 305 ff.; Martens, GMH 1997. S. 418 ff.

C. Der aktuelle Fusionsprozeß

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Strukturwandel und den wirtschaftlichen Konzentrationsprozeß, insbesondere die Welle von Unternehmensfusionen in den letzten Jahren, sehen müssen.44 Die Gewerkschaften sahen sich gezwungen, auf die veränderten Anforderungen zu reagieren, um dem Verlust von Mitgliedern und der verstärkten Konkurrenz zwischen den Einzelgewerkschaften zu begegnen. Nicht unterschlagen werden sollte, daß es dabei natürlich auch um den "Überlebenswillen der gewerkschaftlichen Funktionseliten,,45 ging. In dieser komplexen Situation stellte sich die Frage nach einer umfassenden Neuordnung der Gewerkschaftslandschaft und der künftigen Rolle des DGB.

2. Alternativmodelle zu Gewerkschaftsfusionen Zunächst wurde der Versuch gemacht, durch gewerkschaftliche Kooperationen kostengünstiger und effektiver zu arbeiten und gleichzeitig die Präsenz in der Fläche beizubehalten. Diesen Ansatz verfolgten vor allem die sog. "fünf kleinen Tiger", die Gewerkschaften GHK, GTB, HBV, NGG und IG Medien. 46 Den Weg der Kooperation gingen zunächst auch IG Metall und DPG, die im Juni 1994 ein Abkommen für die gemeinsame Arbeit in der Telekommunikationsindustrie abschlossen. Auch in anderen Bereichen gab eS teilweise vergleichbare Formen der Zusammenarbeit. Das Kooperationsmodell konnte sich jedoch nicht durchsetzen, zumal ihm eine weitergehende Perspektive in Richtung einer räumlichen Zusammenlegung der Verwaltung zumindest einzelner Organisationsbereiche fehlte. 47 Eine Weiterentwicklung des Kooperationsansatzes stellt der gewerkschaftliche Verbund dar, der "mehr ist als eine Kooperation aber weniger als eine Fusion,,48. Nachdem DPG und IG Medien bereits im August 1996 einen Kooperationsvertrag mit Schwerpunkt im Multimedia-Bereich geschlossen hatten, strebte man Ende 1996 zusammen mit der HBV einen gemeinsamen Verbund an. 49 Ziel sollte die Bündelung von Ressourcen auf zentraler Ebene einschließlich der Zusammenführung der Hauptverwaltungen an einen gemeinsamen Standort sein. Auf diese Weise erhoffte man, einer "Übernahme" durch Großgewerkschaften zuvorzukommen. Im November 1997 wurde ein Verbundvertrag abgeschlossen, der eine enge Zusammenarbeit der drei Organisationen vorsieht, zugleich aber deren Eigenständigkeit wahren soll. Etwas unklar bzw. widersprüchlich bleibt allerdings die gleichzeitig eröffnete Perspektive einer gewerkschaftlichen Neuorganisation. Ob der gewerkVgl. Beier. GMH 1996, S. 25 (31). Beier. GMH 1996. S. 25 (31). 46 V gl. die Ausführungen der fünf Gewerkschaftssekretäre Bösche / Kirr.:hgäßner /Trautwein/Rose/Schmidt. GMH 1996. S. 17 ff.; Lang/Schaaj. GMH 1997. S. 305 (309). 47 Lang/Schaaj. GMH 1997. S. 305 (309); vgl. auch Frech. GMH 1996. S. 615 (617 ff.). der vorn ..langsamen Tod der fünf kleinen Tiger" spricht. 48 Van Haaren. GMH 1998. S. 271 (272). 49 Vgl. Lang/Schaaj. GMH 1997. S. 305 (309 f.). 44

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I. Teil: Empirische Grundlagen

schaftliche Verbund als eigenständiges Modell eine Zukunft haben wird, ist angesichts der sich anbahnenden Großfusion im Dienstleistungssektor äußerst fragwürdig. Von vornherein kaum eine Chance auf Durchsetzung hatte das sog. DGß-ModelI. Von Seiten der "fünf kleinen Tiger" wurde vorgeschlagen, den DGB zur Mitgliederorganisation mit weitgehend autonomen Fachabteilungen zu machen, um so den zwischengewerkschaftlichen Kampf um Zuständigkeiten und Mitglieder zu entschärfen. 50 Die Konzeption mußte schon deshalb am Widerstand der großen und finanzstarken Einzelgewerkschaften scheitern, da diese den Verlust finanzieller Unabhängigkeit und die damit zusammenhängende erhebliche Machteinbuße fürchteten. So blieb auch der Vorwurf nicht aus, es ginge den kleinen Gewerkschaften hauptsächlich darum, sich auf Kosten der großen zu bereichern.

3. Die Durchsetzung der Fusionsidee Die ersten Fusionen zwischen IG Druck und Papier und Gewerkschaft Kunst (1989), sowie zwischen IG BSE und GGLF (1996) fanden, gemessen an der Zahl der betroffenen Mitglieder, noch in relativ kleinem Rahmen statt. In diesem Zeitraum wurden parallel die anderen Refonnmodelle innerhalb des DGB diskutiert, so daß der "Siegeszug" des Fusionsgedankens noch nicht endgültig absehbar war. Dies wird auch in einer organisationspolitischen Entschließung des DGB-Bundesvorstandes vom November 1996 deutlich, die sich in recht unbestimmter Weise gleichennaßen zu Fusionen wie Kooperationen bekennt: "Fusionen sind ebenso wie Kooperationen mit verbindlichen Zielen auf definierten Aufgabenfeldern geeignete Wege, die gemeinsame gewerkschaftliche Handlungsf