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MÜNCHENER BEITRÄGE ZUR PAPYRUSFORSCHUNG UND ANTIKEN RECHTSGESCHICHTE BEGRÜNDET VON LEOPOLD WENGER In Verbindung mit H. Heinen, W. Huß, H.-A. Rupprecht und G. Thür herausgegeben von Alfons Bürge, Dieter Nörr und Gerhard Ries 108. Heft
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GEWALT UND KRIMINALITÄT IN DER SPÄTANTIKE
VON JENS-UWE KRAUSE
VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN 2014
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1. Auflage. 2014 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2014 ISSN 0936 3718 ISBN Buch 978 3 406 66670 4 ISBN eBook 978 3 406 66671 1 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.
INHALT
1. EINLEITUNG ................................................................................................... 1 2. GEWALT ......................................................................................................... 6 Verbale Auseinandersetzungen................................................................................. 6 Tätlichkeiten und Körperverletzungen................................................................... 12 Häusliche Gewalt ................................................................................................... 26 Sexuelle Gewalt ..................................................................................................... 35 Mord und Totschlag ............................................................................................... 40 Exkurs: Waffenbesitz ............................................................................................. 48
3. LÄNDLICHE UND STÄDTISCHE GEWALT ........................................................ 58 Formen ländlicher Gewalt...................................................................................... 58 Städtische Unruhen ................................................................................................ 79
4. EIGENTUMSDELIKTE .................................................................................... 94 Diebstahl ................................................................................................................ 94 Viehdiebstahl ....................................................................................................... 116 Menschenraub...................................................................................................... 120 Raub..................................................................................................................... 124
5. SOZIALES PROFIL DER STRAFTÄTER .......................................................... 140 Sklaven ................................................................................................................ 140 Frauen .................................................................................................................. 151 Jugendliche .......................................................................................................... 156 Soldaten ............................................................................................................... 165 Vagabunden.......................................................................................................... 167 Kriminelle Subkultur in den Städten? .................................................................. 173
6. UNTERSTÜTZUNG VON STRAFTÄTERN ....................................................... 180 Familiäre Solidarität............................................................................................. 180
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Inhalt Stadt- und Landbevölkerung................................................................................ 182 Patrocinium über Straftäter .................................................................................. 186
7. FAHNDUNG NACH STRAFTÄTERN ............................................................... 189 Polizei .................................................................................................................. 189 Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern................ 202 Selbsthilfe und Lynchjustiz .................................................................................. 212
8. ALTERNATIVEN ZUM GANG VOR GERICHT ................................................. 220 Außergerichtliche Einigungen ............................................................................. 220 Kirchenbußen....................................................................................................... 227
9. STRAFTÄTER VOR GERICHT ....................................................................... 232 Anklageerhebung ................................................................................................. 232 Calumnia.............................................................................................................. 238 Landbevölkerung vor Gericht .............................................................................. 244
10. STRAFEN .................................................................................................. 248 Verschärfung des Strafrechts? .............................................................................. 249 Strafrecht und Strafpraxis .................................................................................... 254 Appellationen und Amnestien .............................................................................. 272 Zusammenfassung................................................................................................ 279
11. FAZIT ....................................................................................................... 285 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................ 293 Quellen................................................................................................................. 293 Sekundärliteratur.................................................................................................. 296
SACHREGISTER .............................................................................................. 307
1. EINLEITUNG Während die historische Kriminologie sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der fruchtbarsten Teilgebiete der Sozialgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit entwickelt hat, liegen kaum historisch orientierte Arbeiten zum Thema Kriminalität in der griechisch-römischen Antike vor. Bearbeitet wurden bislang lediglich Teilbereiche, so etwa die politisch motivierte Gewalt in der späten römischen Republik oder die Räuberbanden im Kaiserreich. Weitgehend außer Betracht ist vor allem die „Alltagskriminalität“ geblieben. Hier besteht ein Forschungsdefizit. Eine Geschichte der Kriminalität ist keineswegs ein marginales Thema. Vielmehr vermag sie uns tiefe Einblicke in die antike Sozial- und Kulturgeschichte zu vermitteln, macht sie doch auf Widersprüche und Konflikte in der Gesellschaft aufmerksam und zeigt auf, welche Rechtsgüter als besonders schützenswert galten. Die Spätantike galt lange Zeit in der Forschung als eine Epoche sich verschärfender sozialer Gegensätze. Die Reichen seien immer reicher geworden, die freien Armen seien verelendet und hätten auch politisch immer mehr an Gewicht verloren. Es hätten sich vor allem auf dem Lande die personenrechtlichen Unterschiede zwischen den armen Freien (zumal den Kolonen) und den Unfreien verwischt. Umso größer sei die Distanz zwischen Reich und Arm geworden. Die spätantike Gesellschaft sei infolgedessen von sozialen Konflikten aufgewühlt gewesen, die Bevölkerung habe ihre Unzufriedenheit in ständiger Gewalt abreagiert. Mit der Pauperisierung breiter Schichten der Bevölkerung und der hieraus resultierenden sozialen Unzufriedenheit in Verbindung mit einer vielfach postulierten Schwächung des Staatsapparates habe die Zahl der Straftaten zugenommen. Räuber (latrones) hätten das flache Land unsicher gemacht; das latrocinium sei nicht mehr ein lediglich regional begrenztes Phänomen gewesen. In der Anachorese wird ein wesentlicher Faktor für dessen Ausbreitung gesehen: Bauern, die aufgrund des Steuerdrucks von ihrem Land vertrieben worden seien, hätten sich Räuberbanden angeschlossen. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen und sozialen Lage habe auch viele Stadtbewohner in die Räuberbanden getrieben. 1
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1976, 91 (Ndr.); de Ste. Croix 1981, 453ff.; F. Vittinghoff, Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. 1: Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1990, 161-369, 356f. MacMullen 1963, 51; 1967, 194ff.; Alföldy 1976, 90 (Ndr.); Van Dam 1985, 16ff.; Mitchell 1993, 234f.; Wolff 1997; Riess 2007.
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1. Einleitung
Es ist nicht so, daß diese Auffassungen in den antiken Quellen überhaupt keine Basis hätten. Die spätantiken Autoren unterstellen wiederholt eine Zunahme der Kriminalität. Johannes Chrysostomos beispielsweise führt Klage darüber, daß von Tag zu Tag die Unordnung, Gewalt und Verbrechen zunähmen, daß die Schwachen von den Mächtigen, die Armen von den Vermögenden bedrückt würden und daß dem weder die Furcht vor dem Gericht noch die Gesetze abhälfen. Diese und ähnliche Behauptungen anderer Autoren sind jedoch keine solide Grundlage für wissenschaftlich begründete Aussagen über die Verbrechensrate. Sie spiegeln nicht mehr als die pessimistische Einschätzung der Gegenwart wider; Äußerungen wie diese können aus nahezu sämtlichen Epochen der europäischen Geschichte zitiert werden. Bereits in der frühen Kaiserzeit wurden vielfach Klagen über die Kriminalität laut. Angesichts des Fehlens jeglicher Verbrechensstatistiken waren die Zeitgenossen aber gar nicht in der Lage, die Zahl der Straftaten auch nur annähernd exakt zu erfassen. Es wird sich zwar zeigen, daß in der Tat mit vielfältigen Formen von Gewalt und Kriminalität zu rechnen ist, daß die Gesellschaft aber gleichwohl durch ein vergleichsweise niedriges Niveau an Gewalt gekennzeichnet war. Gegenüber der frühen Kaiserzeit läßt sich eine deutliche und spektakuläre Zunahme der gemeinen Kriminalität nicht beobachten. In den Gebieten, die von den Kriegshandlungen unmittelbar betroffen waren, nahm natürlich die Unsicherheit zu. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich Räuberbanden bildeten, die durch desertierende Soldaten verstärkt wurden. Aber diese Räuberbanden können keineswegs als Strukturelement der spätantiken Gesellschaft gelten. Die Zahl der Personen, die „marginalen“ Bevölkerungsschichten zuzurechnen wären, hat keineswegs zugenommen. Diejenigen, die sich Eigentumsdelikte zuschulden kommen ließen, waren in einem breiteren Stratum der Gesellschaft angesiedelt, bildeten keine „Randgruppen“. Auch die Gewaltanwendung ging nicht ausschließlich und nicht in erster Linie auf das Konto von Angehörigen städtischer oder ländlicher Unterschichten, die sich am Rand der Gesellschaft befunden hätten. Eine kriminelle Subkultur existierte kaum, Gewalttaten wie Eigentumsdelikte gingen in erster Linie auf das Konto von Familienangehörigen, Nachbarn, Dorfangehörigen, Personen, die gut in die Gesellschaft eingebunden waren. Räuberbanden haben sicherlich existiert, wie es auch in den größeren Städten gewisse Formen organisierter Kriminalität gegeben hat. Aber im spätantiken Verbrechensgefüge hatten sie eine eher untergeordnete Bedeutung. Das Anliegen der Arbeit läßt sich nicht auf den quantitativen Aspekt reduzieren, auf die Frage, ob die Spätantike eine Zunahme der Kriminalität erfahren hat. Eine 3
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Joh. Chrys., Quod nemo laeditur nisi a seipso 1 (PG 52, 461). Auch andere Autoren konstatieren eine angebliche Zunahme der Kriminalität: Ambr., In psalm. 118 serm. 12, 10, 1 (CSEL 62, 257); Lib., Or. 27, 4f.; Salv., Gub. 3, 44f. (Lagarrigue 220); 3, 49 (ibid. 222); 4, 40 (ibid. 264). 4 Iuv. 3, 302ff.; 10, 19ff.; 13, 143ff.; Sen., Ira 2, 9, 1; Plin., Nat. 19, 59; Tac., Ann. 6, 11.
1. Einleitung
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befriedigende Antwort hierauf wird sich angesichts des Fehlens statistisch auswertbaren Quellenmaterials ohnehin nicht wirklich geben lassen. Wir werden uns mit dem Ergebnis zufriedengeben müssen, daß es keine Beweise für eine dramatische Zunahme der Verbrechen gibt (was geringfügige Schwankungen nach oben und nach unten nicht ausschließt). Wichtiger ist es, den Versuch zu unternehmen, den Stellenwert der Gewalt und Kriminalität zu bestimmen: Wie pazifiziert war die spätantike Gesellschaft? In welchen Situationen wurde zur Lösung von Konflikten auf Gewalt zurückgegriffen? Sind Gewalt- und Eigentumsdelikte Indikatoren für soziale Spannungen? Zunächst wird es darum gehen, die verschiedenen Formen dessen, was wir als „kriminelles Verhalten“ bezeichnen würden, zu analysieren. Wer waren die Täter (soziale Herkunft, Alter, Geschlecht), wer die Opfer, welches die Motive für die Straftaten? Welche Formen der „Kriminalität“ waren für die Spätantike besonders charakteristisch? Will man die Bedeutung der Gewalt angemessen erfassen, so ist ein breites Spektrum unterschiedlichster Formen von Gewalt in den Blick zu nehmen: verbale Gewalt (die vielfach Auslöser von Tätlichkeiten war), Schlägereien im Wirtshaus oder auf der Straße, familiäre Gewalt, Widersetzlichkeiten der einfachen Bevölkerung gegen Steuereintreiber oder Großgrundbesitzer bzw. deren Vertreter, kollektive Gewalt (städtische Unruhen, Revolten der Landbevölkerung). Die Eigentumskriminalität bildet neben den Gewaltdelikten einen zweiten Schwerpunkt des Buches. Denn ebenso wie in der weithin postulierten Zunahme der Gewaltbereitschaft könnte man in Raub und Diebstahl ein Indiz für eine soziale Krise sehen (wenn nämlich davon ausgegangen wird, daß eine Verarmung großer Teile der Bevölkerung zu einer Zunahme der Eigentumskriminalität geführt hat). Eine Geschichte des Verbrechens läßt sich nicht schreiben, ohne daß auf die Bemühungen von Staat und Gesellschaft eingegangen wird, Verbrechen und abweichendes Verhalten unter Kontrolle zu halten. Welche Aktivitäten wurden staatlicherseits zu ihrer Bekämpfung entfaltet? Wie wurde auf dörflicher und städtischer Ebene auf Gewalt und Verbrechen reagiert? In welcher Zahl wurden Straftäter vor Gericht gebracht? Hatten alle Bevölkerungsschichten gleichermaßen Zugang zu den staatlichen Gerichten? Welche Bedeutung hatten Selbstjustiz oder außergerichtliche Einigung? Inwieweit zeigten sich die Gemeinden (Dörfer und Städte) in der Lage, ihre sozialen Probleme (hier: Gewalt und Kriminalität) selbst zu bewältigen? Wann wurde die informelle Konfliktregelung, wann der Gang zu den staatlichen Gerichten vorgezogen? Wurden einzelne Straftaten von der Bevölkerung toleriert und Straftäter unterstützt? All diese Fragen führen letztlich auf die Frage nach Ausbau und Konsolidierung des Staatsapparates im spätantiken Römischen Reich. Wenn die Straftäter denn vor Gericht kamen, mit welchen Sanktionen hatten sie zu rechnen? Das spätantike Strafrecht steht im Ruf, mit harten und geradezu grausamen und brutalen Strafen nicht zu geizen. In der Forschung wird gerade hierin ein Zeichen staatlicher Schwäche gesehen. Der Staat habe auf die Zunahme der
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1. Einleitung
Gewalt und Kriminalität nicht anders zu reagieren gewußt, als indem er in geradezu hilfloser Art und Weise unaufhörlich die Strafen verschärft habe. Eine Zunahme staatlicher Repression würde in der Tat gut zu einem Klima allgemein um sich sich greifender Gewalt passen. Aber: Kamen die strengeren Strafen tatsächlich generell zur Anwendung? Gegenstand der Monographie ist nicht in erster Linie das Strafrecht. Es soll vielmehr nach dem sozialen Kontext der Kriminalität gefragt werden, der alltäglichen Strafpraxis, danach, wie Staat und Gesellschaft mit Straftätern und Kriminalität umgingen. Die Gesetzestexte sind selbstverständlich eine wichtige Quellengruppe, stellen jedoch für sich allein genommen aufgrund ihres normativen Charakters eine höchst unzureichende Grundlage für die Beantwortung der oben formulierten Fragen dar. Die Quellenbasis ist daher durch eine umfassende Auswertung der ägyptischen Papyri sowie der vielfältigen literarischen Quellen erheblich erweitert worden. Bislang noch nicht einmal ansatzweise ausgewertete Informationen zu diesem Themenkomplex enthalten vor allem die Kirchenväter, die zumal in ihren Predigten und Briefen vielfach auf wichtige Aspekte des Themas eingehen. In den hagiographischen Quellen spielen Gewaltanwendung und Kriminalität in zahlreichen Erzählungen eine Rolle; hin und wieder wird etwas von den Motiven, die zu einer Straftat führten, und dem sozialen Hintergrund deutlich. Die ägyptischen Papyri enthalten in Petitionen, Prozeßakten und zahlreichen weiteren Dokumenten Hinweise auf Gewalt und Verbrechen sowie die Ahndung von Straftaten. Die hagiographischen Quellen und die Papyri erlauben am ehesten (sehr viel besser jedenfalls als die juristischen Quellen) eine Antwort auf die Frage, wie die Bevölkerung (und zwar nicht nur die unmittelbaren Opfer) auf Gewalt und Kriminalität reagierte. Auch die literarischen Quellen werfen ihre Probleme auf. Man kann sich mit Fug und Recht fragen, ob die Prediger und die Verfasser von Heiligenviten nicht eher mit Topoi arbeiten, als daß sie die soziale Realität ihrer Zeit angemessen wiedergeben würden. Wir sind dem Problem bereits oben begegnet: Wie ernst zu nehmen sind etwa die Klagen der Kirchenväter über eine angebliche Zunahme der Gewalt und Kriminalität? Die Äußerungen der literarischen Quellen sind also nicht unkritisch zu übernehmen. Geringe Bedenken, ihnen Glauben zu schenken, sollten dann bestehen, wenn sie sich in der Tendenz mit den Aussagen der juristischen Quellen oder der dokumentarischen Papyri decken. Auch die komparatistische Methode erweist sich als hilfreich. Wenn wir etwa in den hagiographischen Quellen davon lesen, daß sich Opfer von Straftaten und Täter außergerichtlich einigten, so wird man angesichts der Tatsache, daß dies auch für viele andere vorindustrielle Gesellschaften gut bezeugt ist, dem Zeugnis der Heiligenviten ohne weiteres vertrauen dürfen. Die Frage nach dem Gewaltpotential, danach, wie „befriedet“ die Gesellschaft war, kann nur durch den Vergleich mit anderen vorindustriellen Gesellschaften beantwortet werden. Es soll der Versuch unternommen werden, zum ersten Mal überhaupt die Fragestellungen, die sich in der historischen Kriminalitätsforschung des
1. Einleitung
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späten Mittelalters und der Neuzeit etabliert haben, auf eine antike Epoche zu übertragen. Die Spätantike bietet sich hierfür aufgrund des reichhaltigen und vielfältigen Quellenmaterials geradezu an. Zwar liegen auch aus dieser Zeit seriell auswertbare Quellenbestände nicht vor. Wir sind also nicht in der Lage, Statistiken über die Häufigkeit einzelner Verbrechenstypen und ihre Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu erstellen. Jedoch hat sich auch bei den Neuhistorikern mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine quantitativ ausgerichtete Geschichte der Kriminalität aufgrund der Auswertung von Gerichtsakten nicht zu schreiben ist. Die Straftaten, die vor Gericht kamen, stellten immer nur gewissermaßen die Spitze eines Eisberges dar. Die Entwicklung der Zahl der Prozesse gibt nicht so sehr Aufschluß über die Häufigkeit der Straftaten, als vielmehr über die Neigung, diese Straftaten vor die Gerichte zu bringen. Die Mediävisten und Neuhistoriker verfügen dank der Archivalien über eine günstigere Quellenbasis, die Schwierigkeiten, eine Geschichte der Kriminalität zu schreiben, sind jedoch für sie deshalb um nichts geringer als für den Althistoriker. Die Anschaulichkeit und die Lebendigkeit, die vielen Monographien zur Kriminalität im Mittelalter und früher Neuzeit eignet, wird man in dieser Arbeit sicherlich vermissen. Es ist aufgrund einer anders gearteten Quellenlage nicht möglich, mit „Fallstudien“ zu arbeiten; es bleibt nur, eine Fülle unterschiedlichster, auf den ersten Blick durchaus banal erscheinender Hinweise und Bemerkungen aus einer Vielzahl von Quellen zu einer Art Mosaik zusammenzutragen und zu hoffen, daß auch aus diesen vielen kleinen Mosaiksteinen ein kohärentes Bild von der Gewalt und Kriminalität im spätantiken Römischen Reich entsteht. Selbstverständlich sind die moralisierenden Äußerungen der christlichen Prediger zum Thema nicht so spannend, wie es kompetent ausgewertete Gerichtsakten zu einzelnen spektakulären Straffällen in der Neuzeit sein können. Gleichwohl wird sich zeigen, daß sich auch für die Antike bei einer Zusammenschau aller in Betracht kommenden Quellen sehr wohl eine Sozialgeschichte der Kriminalität schreiben läßt, die dem Standard, welcher durch die zahlreichen Monographien zur Kriminalität im vorindustriellen Europa vorgegeben wurde, durchaus entspricht.
2. GEWALT Verbale Auseinandersetzungen Zahlreiche Untersuchungen zur Kriminalität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit haben gezeigt, wie häufig physische Gewalt durch den wechselseitigen Austausch von Beleidigungen ausgelöst wurde. Auch die kleinen Leute waren auf die Wahrung ihrer Ehre bedacht, und Schlägereien, die sich häufig schon aus einem einfachen Schimpfwort ergaben, mochten für Bauern oder Handwerker dieselbe Funktion wie das Duell für die Edelleute haben. Die Kirchenväter weisen wiederholt auf die Neigung der Stadtbewohner hin, ihre Mitbürger zu beschimpfen und zu beleidigen; sie wandten große Anstrengungen auf, die Gläubigen zu verbaler Zurückhaltung anzuhalten. Dem Schutz der Ehre wurde ein hoher Rang beigemessen; Beleidigungen wurden daher nicht auf die leichte Schulter genommen und führten bisweilen zu lange währendem Zwist. Die Christen sollen sie, so die Prediger, gelassen ertragen, sich nicht zum Zorn und Streit provozieren lassen; vielfach scheint die Reaktion spontan und gewaltsam gewesen zu sein. Eine hagiographische Quelle läßt erahnen, mit welcher Schärfe auf Beleidigungen reagiert wurde. Georgios, der Neffe des Bischofs von Alexandria, war mit einem Gaststättenbesitzer in Streit geraten; dieser hatte ihn schwer beleidigt. Georgios war außer sich, er wandte sich an seinen Onkel, den Bischof, und verlangte strenge Bestrafung. Er solle den für die Überwachung des 5
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Garrioch 1987; Österberg - Lindström 1988, 107ff.; Burghartz 1990, 125ff.; Schwerhoff 1991, 270ff.; 312ff.; Brackett 1992, 113ff.; Walz 1996. 6 Hil., In psalm. 137, 3 (CSEL 22, 735f.); Joh. Chrys., De compunctione 1, 2 (PG 47, 395/7); Adv. Iudaeos 8, 4 (PG 48, 933); De proditione Iudae hom. 2, 6 (PG 49, 390); In illud, Si esurierit inimicus 3 (PG 51, 177); De non desperando 11 (PG 51, 363); Anna 4, 1 (PG 54, 660f.); In Matth. hom. 48 (49), 5 (PG 58, 493); 51 (52), 4f. (ibid. 515f.); 59 (60), 6 (ibid. 581f.); In act. hom. 39, 4 (PG 60, 281f.); Aug., Serm. 162, 1 (PL 38, 885f.); 252, 4, 4 (ibid. 1174); In psalm. 129, 5 (CCL 140, 1893); 140, 18 (ibid. 2038f.); Val. Cem., Hom. 6, 3f. (PL 52, 710f.); Vita Caes. Arel. 1, 45 (Morin 2, 314). 7 Hier., In Matth. 3, ad 18, 23 (CCL 77, 163f.); Joh. Chrys., Adv. oppugn. 3, 7 (PG 47, 359); De Lazaro 3, 7 (PG 48, 1001); Bas., Epist. 289 (Courtonne 3, 159/61). 8 Bas., Hom. de gratiarum actio 7 (PG 31, 236); Hom. adversus eos qui irascuntur 7 (PG 31, 369/72); Hil., In psalm. 128, 4 (CSEL 22, 639f.); Hier., Tract. in psalm. 119, 3 (CCL 78, 252/4); Joh. Chrys., De beato Philogonio 6, 4 (PG 48, 756); In Matth. hom. 18, 2f. (PG 57, 266f.); 79 (80), 4 (PG 58, 722); 87 (88), 3 (ibid. 772); In act. hom. 50, 3 (PG 60, 348f.); Ecloga de salute fratrum curanda, hom. 40 (PG 63, 863f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 218 (PG 87, 3, 3108f.).
2. Gewalt
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Marktes zuständigen logistes anweisen, den Gaststättenbesitzer durch die Straßen führen und auspeitschen zu lassen. Der Bischof handelte jedoch anders als erwartet: Er ließ den für die Beaufsichtigung der Tavernen zuständigen Beamten kommen und wies ihn an, künftig von dem Gaststättenbesitzer weder die üblichen Geschenke noch die Steuern oder die Pacht einzuziehen; denn auch diese Taverne gehörte der Kirche. Der Neffe des Bischofs glaubte sich durch die Beleidigung entehrt und ging davon aus, daß auch sein Onkel den Sachverhalt ähnlich einschätzen und den Übeltäter streng bestrafen lassen würde. Der Bischof hielt sich jedoch nicht an diese Spielregeln, was Erstaunen hervorrief, so großes Erstaunen, daß die Anekdote für wert gehalten wurde, in die Lebensbeschreibung aufgenommen zu werden. Bei dem in der Geschichte genannten logistes (dem die Bestrafung des Übeltäters oblegen hätte) handelt es sich wohl um einen munizipalen Beamten, was nicht hinderte, daß der Bischof alle Möglichkeiten hatte, auf das Strafmaß Einfluß zu nehmen. Die öffentliche Auspeitschung von Personen aus der plebs als Strafmaßnahme für Verbalinjurien (dies jedenfalls dann, wenn der Beleidigte wie hier der Schicht der Honoratioren angehörte) scheint, dies legt die Geschichte nahe, eine gewöhnliche Strafmaßnahme gewesen zu sein. Streitigkeiten wurden bevorzugt vor einem großen Publikum ausgetragen. Wenn man sieht, wie sich Leute schlagen, ihre Kleider zerreißen und wechselseitig beschimpfen, dann schaue man, so Johannes Chrysostomos, nicht zu, sondern schreite ein. In den frühneuzeitlichen Städten wurden die Beleidigungen gleichfalls zumeist vor Nachbarn oder Kollegen ausgesprochen, auf der Straße, einem öffentlichen Platz oder in einer Gaststätte. Denn nur Bekannte konnten den Bezug zur Person des Angegriffenen herstellen. Beleidigungen erzielten ihre größte Wirkung vor den Nachbarn; ein Ehrverlust trat erst ein, wenn man vor den Personen, mit denen man tagtäglich zu tun hatte, herabgesetzt wurde. Für den Einzelnen war es überaus wichtig, seine Ehre zu behaupten, denn sie gab ihm seinen Platz innerhalb der Gemeinschaft. Das Repertoire an Beleidigungen war vergleichsweise begrenzt. Es fällt die Häufigkeit auf, mit der die Gegner durch Vorwürfe wie „Dieb“, „Räuber“, „Ehebrecher“, „Mörder“ etc. kriminalisiert wurden. Diokletian erteilt einem gewissen 9
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Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 14 (33f. Gelzer) (Festugière 362f.). Eine weitere Geschichte handelt davon, wie der Bischof auf eine Beleidigung gleichmütig reagierte und auf eine Bestrafung verzichtete: 39 (75f. Gelzer) (Festugière 391). 10 Joh. Chrys., In Matth. hom. 15, 10 (PG 57, 236f.); vgl. auch In act. hom. 39, 4 (PG 60, 281f.). 11 Garrioch 1987, 115f. Garrioch weist im weiteren darauf hin, daß Beleidigungen und öffentlich inszenierte Streitereien oftmals die Funktion hatten, Klagen oder Beschwerden überhaupt erst publik zu machen und Vermittlungsbemühungen der Nachbarn in Gang zu setzen. 12 Aug., In psalm. 68, serm. 1, 12 (CCL 39, 912f.); Joh. Chrys., De Davide et Saule 3, 4 (PG 54, 700f.); De perfecta caritate 3 (PG 56, 282); In Matth. hom. 59 (60), 6 (PG 58, 581f.); 87 (88), 4 (ibid. 774); Hier., Tract. in psalm. 119, 3 (CCL 78, 252/4). Vgl. auch I.
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Verbale Auseinandersetzungen
Victorinus den Bescheid, wenn er in der Hitze des Streites jemanden als „Mörder“ bezeichnet habe und seither ein Jahr verstrichen sei, so sei unterdessen das Vergehen verjährt. Der Fall zeigt, daß Beleidigungen vergleichsweise schnell zu einem Prozeß führten. Ein im Streit geäußerter Vorwurf, jemand habe eine Straftat begangen, bedeutet, so Konstantin, keine Anklage; hierfür ist die Schriftform (subscriptio) unerläßlich. Derselbe Kaiser beschränkt das Recht, eine Klage wegen Ehebruches anzustrengen, auf die nahen Familienangehörigen. Viele hätten durch den unbegründeten Vorwurf des Ehebruchs (falsis contumeliis) bestehende Ehen ruinieren wollen. Auch wenn in den Gesetzen immer wieder eingeschärft wird, daß für die Einleitung eines Strafverfahrens eine schriftliche Anklage vorliegen müsse, so konnte doch auch ein nur mündlich geäußerter Vorwurf wie „Ehebrecher“ oder „Dieb“ den Beschuldigten in eine unangenehme Situation bringen und seine Stellung in der Gemeinschaft schwächen. Andere typische Beleidigungen zielten auf die niedrige soziale Herkunft des Gegners: Der Vorwurf der Armut setzte die Ehre herab. Dies galt insbesondere für die Unterstellung, der Gegner sei Sklave oder stamme von Sklaven ab. Die Beleidigungen sagen viel aus über die Ängste, die die Leute umtrieben. Wollte man einen Gegner als Verbrecher herabsetzen, so nannte man ihn „Dieb“ oder „Ehebrecher“. Die Kirchenväter sprechen in ihren Predigten wiederholt die Sorgen ihrer Gemeindemitglieder an, Opfer eines Diebstahls zu werden oder von der Ehefrau betrogen zu werden. Dies muß nicht bedeuten, daß Eigentumsdelikte oder Sexualstraftaten gegenüber Gewaltdelikten dominierten, zeigt aber, daß die Bevölkerung in diesem Bereich besonders verletzlich war. Die Spätantike war eine Mangelgesellschaft, selbst ein kleiner Diebstahl konnte die gesamte Existenz treffen. Öffentliche Banken, auf die man sein Geld tragen konnte, existierten nicht (oder nur in höchst unzureichendem Maße), und in den Häusern stand nur eine begrenzte Zahl an Verstecken zur Verfügung. Neben dem Eigentum war die Ehre das andere Gut, welches besonders gehütet wurde; hierauf zielte vor allem der Ehebruch. Die Werte, die sich in den Beleidigungen spiegelten, waren gerade diejenigen, die als notwendig galten, um in den damaligen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen überleben zu können. 13
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Opelt, Die lateinischen Schimpfwörter und verwandte sprachliche Erscheinungen. Eine Typologie, Heidelberg 1965, 198ff. 13 Cod. Iust. 9, 35, 5 (290 n. Chr.). 14 Cod. Theod. 9, 1, 5 (326 [320] n. Chr.). 15 Cod. Theod. 9, 7, 2 (= Cod. Iust. 9, 7, 29) (326 n. Chr.). 16 Krause 1996, 76ff. 17 Bas., Hom. adversus eos qui irascuntur 3 (PG 31, 357/60); 4 (ibid. 360/4); Hom. in psalm. 14, 4 (PG 29, 257/60). Die Armen waren vielfachem Spott und Hohn seitens der Reichen ausgesetzt: vgl. Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 2, 8 (PG 49, 45f.); Lib., Or. 58, 5f. 18 Cod. Iust. 9, 35, 9 (294 n. Chr.); 9, 35, 10 (294 n. Chr.); Cod. Theod. 4, 8, 5, 5 (322 n. Chr.).
2. Gewalt
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Verbale Auseinandersetzungen führten hin und wieder zu physischer Gewalt. Wir haben oben gesehen, daß die christlichen Prediger ihre Gemeindemitglieder ermahnen, gelassen zu reagieren, wenn sie sich beleidigt glaubten, sich nicht zum Zorn hinreißen zu lassen. Der Zorn, der Affekt wird immer wieder als Ursache für gewalttätige Auseinandersetzungen benannt. In diesem Sinne äußert sich etwa Basilius: Wechselseitige Beleidigungen seien seine Folge; man schimpfe sich als von niedriger Geburt, man nenne seinen Gegner „hausgeborener Sklave“. Weitere Schimpfworte folgten: „Armer“, „Herumtreiber“, „Ungebildeter“, „Wahnsinniger“. Der Streit eskaliere: Nachdem der Vorrat an Schimpfwörtern erschöpft sei, gehe man zu Schlägen über, mitunter mit Todesfolge. Beleidigungen waren aber nicht in demselben Maße wie in den Städten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Auslöser gewalttätiger Auseinandersetzungen. In der Spätantike führten Beleidigungen häufiger zu Anzeigen und Gerichtsverfahren, ein Indiz für die große Bedeutung staatlicher Strukturen (d.h. des Justizapparates): Es bestand nicht immer die Notwendigkeit, zur Wahrung der eigenen Ehre Gewalt anzuwenden; statt dessen wurden die Gerichte bemüht. Dies war jedenfalls die Einschätzung der Zeitgenossen. Die Rache wurde vor Gericht gesucht. Die Konsequenzen für den Täter konnten gravierend sein. Johannes Chrysostomos schildert, wie jemand, der einen anderen beleidigt hat und dem infolgedessen ein Gerichtsverfahren droht, zu dessen Freunden, Nachbarn, ja seinem Türhüter geht, um Zugang zu bekommen, viel Geld ausgibt und auch dann den Mut nicht verliert, nachdem er wiederholt abgewiesen wurde. Hier wie auch sonst häufiger wurde, bevor es zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens kam, vom Beschuldigten eine außergerichtliche Einigung angestrebt. Die Beleidigung eines Mitgliedes des Haushaltes, zumal eines weiblichen, traf auch den Haushaltsvorstand. Dessen Ehre war lädiert, wenn die Ehefrau beleidigt wurde. Nach klassischem Recht traf eine iniuria nicht nur die Ehefrau, sondern auch deren Mann. Dieser Grundsatz galt auch im nachklassischen Recht: Es fiel 19
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Bas., Hom. adversus eos qui irascuntur 3 (PG 31, 357/60). Ähnlich Joh. Chrys., Anna 2, 5 (PG 54, 649/51); Ad pop. Antioch. 15, 4 (PG 49, 158); In Matth. hom. 16, 8 (PG 57, 248f.); 16, 10 (ibid. 252). Wegen Mordes Angeklagte brachten als Entschuldigung vor, sie seien beleidigt worden und hätten im Affekt gehandelt: Hil., In psalm. 140, 6 (CSEL 22, 792f.). 20 Schwerhoff 1991, 318; Brackett 1992, 107f.; 109f.; Crouzet-Pavan 1992, 819f.; Frank 1995, 243ff.; Walz 1996, 189ff.; Dean 2007, 121. 21 Aug., In psalm. 54, 14 (CCL 39, 666f.); Lib., Or. 16, 28; Joh. Chrys., Anna 2, 5 (PG 54, 649/51); In Matth. hom. 10, 6 (PG 57, 190f.); In epist. I ad Cor. hom. 12, 6 (PG 61, 104); Val. Cem., Hom. 13, 4 (PL 52, 732f.). 22 Joh. Chrys., In Matth. hom. 14, 4 (PG 57, 221). 23 Joh. Chrys., In epist. I ad Cor. hom. 12, 6 (PG 61, 104); Aug., In psalm. 88, serm. 2, 14 (CCL 39, 1243f.); P. Flor. III 309 (= P. Lond. III 983, p. 229) (4. Jh. n. Chr.). 24 Dig. 47, 10, 1, 3; 8f. (Ulpian); vgl. auch 48, 10, 18, 2; 4 (Paulus); Cod. Iust. 9, 35, 2 (230 n. Chr.); E. Pólay, Der Schutz der Ehre und des guten Rufes im römischen Recht, ZRG 106, 1989, 502-534, 522f. Umgekehrt konnte eine Frau nicht klagen, wenn ihr Mann eine
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Verbale Auseinandersetzungen
dem Haushaltsvorstand zu, eine Klage einzureichen, wenn Kinder, die sich in seiner potestas befanden, oder die Ehefrau eine iniuria erlitten hatten; es mußte allerdings der Nachweis erbracht werden, daß die den Hausangehörigen zugefügte iniuria auch dem pater familias galt. Auch die Beleidigung anderer Mitglieder des Haushaltes, etwa von Sklaven, galt als Beleidigung des Haushaltsvorstandes. Es ist in der rechtshistorischen Forschung umstritten, wann für Fälle wegen iniuria (welche im römischen Recht die Körperverletzung wie die Beleidigung umfaßte) das Formularverfahren durch die cognitio extra ordinem abgelöst wurde (welche die strafrechtliche Ahndung implizierte), ob bereits in der Severerzeit oder erst im weiteren Verlauf des 3. Jh. bzw. in diokletianischer Zeit. In den Sentenzen des Paulus ist die cognitio extra ordinem für iniuria jedenfalls bereits die Regel. Damit trat an die Stelle einer Privatbuße in aller Regel auch die kriminelle Bestrafung. Für die Spätantike ist von der Dominanz der strafrechtlichen Verfolgung auszugehen. Welche Strafen drohten im einzelnen? Die Kaiserkonstitutionen enthalten hierzu kaum Angaben; immerhin sind wir über die Rechtslage zu Beginn des 4. Jh. dank der Sentenzen des Paulus relativ umfassend informiert. Als iniuria galten hiernach nicht lediglich körperliche Iniurien (Schläge, stuprum), sondern auch Schmähungen und die Verunglimpfung in Pamphleten. Die Abfassung von Schmähgedichten oder Schmähschriften konnte mit der Verbannung geahndet werden. Die Schwere des Vergehens wuchs mit dem sozialen Rang des Beleidigten, was bereits klassischem Recht entsprach. Als atrox iniuria galt u.a., wenn ein Plebeier einem Senator, Ritter oder Curialen eine iniuria zugefügt hatte. Ein Sklave konnte somit gemäß den Sentenzen des Paulus wegen einer schweren Beleidigung bzw. iniuria zur Bergwerksarbeit verurteilt werden; ansonsten wurde er ausgepeitscht und dem Herrn sub poena vinculorum temporalium zurückgegeben. An dieser Situation änderte sich auch im weiteren Verlauf der Spätantike nichts, ganz im Gegenteil. Die Angehörigen der Elite waren noch sehr viel stärker als in der frühen Kaiserzeit darauf bedacht, sich gegenüber Personen, die in der sozialen Hierarchie unter ihnen standen, abzugrenzen, und grundsätzlich galt: Je vornehmer die Person war, die die Beleidigung traf, umso größer war die Schuld 25
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iniuria erlitten hatte; der Jurist Paulus begründet dies damit, daß die Frauen von Männern, nicht umgekehrt verteidigt würden: Dig. 47, 10, 2 (Paulus). 25 Paul., Sent. 5, 4, 3 (FIRA 2, 389). 26 Joh. Chrys., In gen. serm. 45, 3 (PG 54, 417f.). 27 Vgl. hierzu M. Balzarini, De iniuria extra ordinem statui. Contributo allo studio del diritto penale romano dell’età classica. Pubblicazioni della Facoltà di Giurisprudenza dell’Università di Padova 91, Padova 1983; Hagemann 1998, 116ff. Ibid. 198ff. zur Frage, ob die private Bußklage in leichteren Fällen der iniuria in der Nachklassik fortbestand. Hagemann bejaht diese Frage (gegen Balzarini). Zur Entwicklung in der Spätantike vgl. neben Hagemann auch noch Dupont 1952; Bassanelli Sommariva 1990. 28 Dig. 47, 10, 35 (Ulpian); 47, 10, 17, 3 (Ulpian). 29 Paul., Sent. 5, 4, 1 (FIRA 2, 389); 5, 4, 10 (ibid. 390); 5, 4, 15/7 (ibid. 391); 5, 4, 22 (ibid. 391); Bassanelli Sommariva 1990, 654ff.; Hagemann 1998, 132ff.
2. Gewalt
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des Täters. Die juristischen Quellen bestätigen den oben referierten Befund der literarischen Quellen, daß Beleidigungen in großer Zahl vor Gericht gebracht wurden. Diese Klagen waren allerdings nicht ohne Risiko: Denn wenn der erfolglose Kläger wegen calumnia verurteilt wurde, drohte ihm als Strafe im äußersten Fall die Verbannung. Einigen Bevölkerungsgruppen wurde eine besonders lose Zunge zugeschrieben. Sklaven wurde die Neigung zu Beleidigungen unterstellt. In geringem Ansehen standen diesbezüglich auch die Gastwirte. Insbesondere der Markt galt als Ort, an dem Beleidigungen und Beschimpfungen ausgetauscht wurden; dies paßt zu der oben gemachten Feststellung, daß Beleidigungen bevorzugt vor einem großen Publikum geäußert wurden. Schließlich waren die Frauen als zänkisch und streitsüchtig verschrieen; während Männer physische Gewalt anwandten, hatten die Frauen das Wort als Waffe. Zänkische und streitende Frauen waren vor allem auf dem Markt zu finden. Ein Prediger warnt die Männer vor schlechten Ehefrauen, die in der Nachbarschaft herumliefen und in Bädern und in der Kirche ständig Streit anzettelten. Mit den Bädern und Kirchen werden hier (neben dem Markt) weitere Orte genannt, an denen intensive soziale Kontakte gepflegt wurden und die sich daher in besonderem Maße als Schauplatz dafür eigneten, die Ehre 30
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Salv., Gub. 6, 53 (Lagarrigue 396/8); 8, 4 (ibid. 512); Cassiod., Var. 1, 27 (CCL 96, 34f.); 1, 30 (ibid. 36f.); 1, 31 (ibid. 37f.); 1, 32 (ibid. 38f.). Auch Beleidigungen von Amtspersonen wurden streng geahndet: Symm., Epist. 5, 41 (39); 9, 31 (28); vgl. auch noch Cod. Iust. 2, 6, 6 (368 n. Chr.), pr.; 1. 31 Vgl. hierzu auch noch Paul., Sent. 5, 4, 2 (FIRA 2, 389); Cod. Iust. 9, 35, 6 (290 n. Chr.). 32 Paul., Sent. 5, 4, 11 (FIRA 2, 390). Im weiteren heißt es, eine Klage wegen iniuria könne nur persönlich erhoben werden. Denn bei einer Klage, bei der entweder eine strafrechtliche Verurteilung des Angeklagten oder eine Verurteilung des Klägers wegen calumnia die Folge sei, sei es nicht gestattet, sich durch eine dritte Person vertreten zu lassen: 5, 4, 12 (FIRA 2, 390). 33 Bas., Epist. 204, 4 (Courtonne 2, 176); Aug., In psalm. 58, serm. 1, 15 (CCL 39, 741); Joh. Chrys., In gen. serm. 45, 3 (PG 54, 417f.); In Matth. hom. 37 (38), 5 (PG 57, 425); 87 (88), 3 (PG 58, 772); In epist. ad Eph. hom. 14, 4 (PG 62, 105); 16, 1 (ibid. 112); In epist. I ad Tim. hom. 16, 2 (ibid. 589f.). 34 Rut. Nam. 1, 381ff. 35 Joh. Chrys., In Matth. hom. 11, 8 (PG 57, 201f.). 36 Hier., In Matth. 3, ad 19, 10 (CCL 77, 167); Adv. Iovin. 1, 28 (PL 23, 260/2); Val. Cem., Hom. 5, 6 (PL 52, 708f.); Sidon., Epist. 8, 3, 1f. Insbesondere Prostituierten wurde Schmähsucht vorgehalten; sie setzten ehrbare Frauen herab: Theodoret., Epist. Sirmond. 146 (Azéma 3, 198). Vgl. ferner SB VI 9421 (3. Jh. n. Chr.); P. Select. 13 (421 n. Chr.). Vgl. für die frühe Neuzeit Wiener 1975, 46f.; M. Dinges, „Weiblichkeit“ in „Männlichkeitsritualen“. Zu weiblichen Taktiken im Ehrenhandel in Paris im 18. Jahrhundert, Francia 18/2, 1991, 71-98; Frank 1995, 341f.; Walz 1996. 37 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 13, 1f. (PG 49, 177f.); In psalm. 48, 7 (PG 55, 510); Contra ludos et theatra 2 (PG 56, 266f.); Contra theatra sermo (spur.) 1 (PG 56, 542f.); In act. hom. 31, 4 (PG 60, 234); In epist. ad Rom. hom. 13, 5 (PG 60, 514).
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
der anderen herabzusetzen. Die verbalen Attacken von Frauen richteten sich augenscheinlich in erster Linie gegen Geschlechtsgenossinnen. Wenn auch in den Quellen einige Gruppen hervorgehoben werden, die als besonders schmähsüchtig galten, darunter die Frauen, so gehörten Beleidigungen doch nicht allein zum Arsenal zanksüchtiger Marktweiber. Verbale Auseinandersetzungen waren in sämtlichen Bevölkerungsschichten gang und gäbe. Ihr ganzes Gewicht erhielten sie dank der großen Bedeutung, die das Konzept der Ehre auch für die einfachen Stadt- und Dorfbewohner (also nicht nur die Angehörigen der Oberschichten) hatte. Als „Dieb“ oder „Ehebrecher“ herabgesetzt zu werden, minderte das Ansehen in der Dorfgemeinschaft oder der Nachbarschaft ganz erheblich. Dies hat das Römische Reich mit anderen vormodernen Gesellschaften gemein. Was aber die spätantiken Dörfer und Städte von denen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, ja auch noch des ländlichen Mittelmeerraumes bis vor nicht allzu langer Zeit abhebt, ist die Bereitschaft, auf die Beleidigung nicht mit einer Gegenbeleidigung oder einer Tätlichkeit zu replizieren (wenngleich auch dies vorkam), sondern sie vor Gericht zu bringen. Dies war, wie sich weiter unten noch zeigen wird, ein Faktor, der ganz wesentlich dazu beitrug, daß die spätantike Gesellschaft ein vergleichsweise friedliches Gepräge hatte. 38
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen Wenn auch der Austausch von Beleidigungen nicht in jedem Fall zu tätlichen Auseinandersetzungen führte, lassen die oben zitierten Belege doch keinen Zweifel daran zu, daß Schlägereien zum Alltag in den Städten gehörten. Welche Situationen waren es, die zur Anwendung von Gewalt führten? Zunächst eine Feststellung, die an das anschließt, was bereits oben über die Beleidigungen gesagt wurde: Die Gewalt spielte sich nicht bzw. nur vergleichsweise selten unter Personen ab, die einander völlig fremd gewesen wären. Die Täter waren zumeist nicht Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen, sondern vielmehr respektable Mitglieder der Gesellschaft, die mit ihrem Kontrahenten durch familiäre Bande, durch die Nachbarschaft oder andere Formen sozialen Kontakts verbunden waren. Die Unterschichten dominierten zahlenmäßig auf dem Land und in den Städten, insofern war es nur natürlich, daß die meisten Gewalttäter aus diesen Kreisen stammten. Aber die Anwendung von Gewalt war nicht ihnen allein vorbehalten. Zu den meisten gewalttätigen Auseinandersetzungen dürfte es also im engeren sozialen Umfeld gekommen sein. Die Widersacher mochten Nachbarn sein, auf jeden Fall Dorfgenossen oder Personen, die im selben Stadtviertel wohnhaft waren. Die Nachbarschaft hatte in den antiken Städten und Dörfern einen anderen 40
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Joh. Chrys., In Genesim serm. 3 (spur.), 4 (PG 56, 535ff.). 39 P. Flor. III 309 (Duplikat von P. Lond. III 983, p. 229) (4. Jh. n. Chr.). 40 Cassiod., Var. 3, 47 (CCL 96, 129f.).
2. Gewalt
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Charakter als in einer modernen Industriegesellschaft. Die Häuser waren dicht an dicht gebaut, die Wohnungen überfüllt. Eine Privatsphäre hatten die Bewohner nicht. Die Nachbarn waren somit über alle Interna des Haushaltes informiert. Zwar wurde von ihnen Solidarität und Hilfe erwartet. Aber es kann unter den geschilderten Voraussetzungen nicht verwundern, daß die Nachbarschaft auch eine Quelle vielfältiger Konflikte war. Häufig ist von Neid und Mißgunst unter Nachbarn die Rede; Streitigkeiten und Konflikte waren gang und gäbe. Augustin hält es für gar nicht ungewöhnlich, in seinem Nachbarn einen Feind zu haben, läßt aber auch deutlich werden, daß diese Feindseligkeiten nicht notwendigerweise mit Gewalt ausgetragen wurden. Mitunter eskalierten sie freilich, und es kam dann auch zu tätlichen Auseinandersetzungen. Prügeleien und Schlägereien gehörten zum Alltag und hatten für die Passanten einen gewissen Unterhaltungswert. Die meisten Streitigkeiten wurden in der Öffentlichkeit ausgetragen: auf den Straßen, den Kreuzungen, den Marktplätzen, dort, wo man sich traf, Neuigkeiten austauschte und demzufolge auch in Konflikt miteinander geriet. Das Leben spielte sich in den Städten des Mittelmeers zu einem großen Teil im Freien ab, die Straßen und die Märkte waren Orte der Geselligkeit und intensiven sozialen Kontaktes, aber auch der Gewalt. Da es an einem effizienten Polizeiapparat fehlte, wäre es vielfach den Mitbürgern, den Nachbarn zugekommen, Streitigkeiten zu schlichten und ihnen ein Ende zu setzen. Die Realität sah häufig anders aus: Die Nachbarn schritten nicht nur nicht ein; 41
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Joh. Chrys., De Christi divinitate, contra Anomaeos 11, 4 (PG 48, 802); Ad pop. Antioch. 13, 1 (PG 49, 36ff.); De Pelagia 1 (PG 50, 579f.); In Matth. hom. 14, 4 (PG 57, 221); 18, 5 (ibid. 270); Eugipp., Sev. 12, 7; Caes. Arel., Serm. 47, 7 (CCL 103, 215); 188, 5 (CCL 104, 769); Greg. M., Dial. 1, 1, 1ff. (Vogüé - Antin 2, 18/20); 3, 37, 4f. (ibd. 414); Vita Symeon. Styl. 190 (van den Ven 1, 168f.). Die Bindungen zwischen Nachbarn wurden häufig durch Verwandtschaftsbeziehungen verstärkt; man suchte sich seinen Ehepartner bevorzugt in der Nachbarschaft: Sidon., Epist. 7, 2, 4ff.; Joh. Mosch., Prat. spir. 76 (PG 87, 3, 2928f.). 42 Firm., Math. 6, 30, 11; Lib., Or. 30, 16; Bas., Epist. 2, 2 (Courtonne 1, 6); Joh. Chrys., Oppugn. 3, 16 (PG 47, 377); De incomprehensibili Dei natura 4, 5 (PG 48, 733); Adv. Iudaeos 4, 7 (PG 48, 881f.); De Lazaro 3, 1 (PG 48, 991f.); De proditione Iudae hom. 2, 6 (PG 49, 390); In illud, Salutate Priscillam et Aquilam 1, 3 (PG 51, 192); In gen. hom. 56, 1f. (PG 54, 486/8); In psalm. 145, 6 (PG 55, 528); In gen. serm. 3 (spur.), 5 (PG 56, 535/8); In Matth. hom. 83 (84) (PG 58, 749); In epist. I ad Cor. hom. 21, 5 (PG 61, 176); In epist. I ad Thess. hom. 6, 3 (PG 62, 431/3); Aug., Serm. 42, 3 (CCL 41, 505f.); 56, 10, 14 (PL 38, 383f.); 259, 5 (ibid. 1200); 297, 6, 9 (ibid. 1363f.); Serm. Wilmart 2, 7 (Morin 679f.); Epist. 246, 3 (CSEL 57, 584f.); Salv., Gub. 5, 16 (Lagarrigue 322); Caes. Arel., Serm. 1, 12 (CCL 103, 9); Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 57 (Schwartz 78f.). 43 Aug., In psalm. 139, 7 (CCL 40, 2016). 44 Joh. Chrys., In Matth. hom. 15, 10 (PG 57, 236f.); 10, 6 (ibid. 190f.). 45 Joh. Chrys., Stag. 2, 2 (PG 47, 450); Ad pop. Antioch. 1, 12 (PG 49, 32/4); 14, 1 (ibid. 145); In Matth. hom. 15, 11 (PG 57, 237f.).
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
Schlägereien wurden vielmehr als eine Art Schauspiel genossen. Kleinere Gewaltausbrüche (solange es beim Austausch von Beleidigungen und Schimpfreden und von Schlägen blieb) waren etwas Alltägliches, etwas, was niemanden schockierte. Nur selten einmal sind wir über den Anlaß informiert, der zu den Auseinandersetzungen führte. Vielfach wird ihnen lediglich eine gewisse Animosität unter den Nachbarn zugrunde gelegen haben. Die Ursachen konnten jedoch auch sehr viel handfester sein. Konflikte ergaben sich etwa zwischen Gläubigern und Schuldnern aus der Rückforderung des Darlehens. Ein solcher Fall ist aus Ägypten belegt: Aurelia Ataris, Grundbesitzerin in Hermoupolis und Tochter eines Veteranen, wurde, als sie ein Darlehen zurückforderte, von ihrem Schuldner Poleion, seiner Schwester und einem weiteren Helfershelfer, Apeion, dem Sohn eines DorfIrenarchen, im Haus des Poleion festgehalten und geschlagen. Sie sei, so ihre Darstellung, aufgrund der Attacken beinahe ums Leben gekommen. Ob die Frau wirklich in Lebensgefahr geraten war, läßt sich nicht entscheiden; die Petenten neigen in solchen Fällen stets zu Übertreibungen. Interessant ist jedoch der Hinweis auf den Helfershelfer des Poleion, den Sohn eines Irenarchen. Die Kontrahenten der Ataris dürften also nicht gerade zu den dörflichen Unterschichten, zu den Habenichtsen gezählt haben. Die Auseinandersetzungen zwischen Gläubigern und Schuldnern hatten nicht notwendigerweise den Charakter einer Auseinandersetzung zwischen Reich und Arm. Im vorliegenden Fall dürften beide Parteien derselben Schicht relativ gut situierter Bauern angehört haben. Ein weiteres lehrt der Fall: Frauen befanden sich gerade in den Dörfern und kleineren Städten (in denen keine staatlichen Beamten zur Verfügung standen) oftmals in einer schwierigen Lage. Aurelia Ataris hatte zunächst kaum eine andere Möglichkeit, als sich selbst auf den Weg zu machen, um das geschuldete Geld einzufordern. Als Frau standen ihre Chancen, sich gegenüber renitenten Vertragspartnern durchzusetzen, aber recht schlecht. Die große Zahl der aus Ägypten überlieferten Petitionen von Frauen, zumal alleinstehenden (Witwen), ist wohl auch ein Hinweis 46
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Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 1, 12 (PG 49, 34). Die Hinweise der Kirchenväter werden durch die Papyri bestätigt. Gewalttätige Auseinandersetzungen fanden hiernach in den kleinen Städten Ägyptens und den Dörfern zumeist zwischen gleichrangigen Nachbarn statt: BGU XI 2069 (292 n. Chr.); P. Abinn. 12 (= P. Gen. I 50) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Rainer Cent. 84 (315 n. Chr.); P. Panop. 27 (= SB XII 11220) (323 n. Chr.); P. Oxy. LI 3620 (326 n. Chr.); P. Lond. III 1073, p. 251 (6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. VIII 1106 (6. Jh. n. Chr.). Nur ganz selten einmal heißt es in einer Eingabe, man habe von einem Fremden Gewalt erlitten: P. Cair. Isidor. 139 (296 n. Chr.). Zur Gewaltdarstellung in den ägyptischen Papyri vgl. Bryen 2008; 2013. 47 P. Abinn. 51 und 52 (= P. Lond. II 240f., p. 277f.) (346 n. Chr.).
2. Gewalt
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darauf, daß sie bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche häufiger als Männer auf die Hilfe staatlicher Organe angewiesen waren. Mitunter ging dem Gang vor Gericht eine längerwährende Auseinandersetzung zwischen Kläger und Beklagten voraus. Als ein Mann sein Haus verlassen hatte, um an der Hochzeit seines Bruders teilzunehmen, war er, so seine Schilderung, von einem gewissen Arios, der die Zeit abgepaßt hatte, mit einem Schwert überfallen worden. Arios war hierbei von einigen Helfershelfern unterstützt worden; die archephodoi, d.h. die lokalen Polizeiorgane, könnten dies bezeugen. Schon im vergangenen Jahr hätten Arios und sein Vater Agamemnon sein Haus angegriffen und es angezündet; dem Agamemnon werden noch weitere Gewalttaten vorgehalten. Arios und sein Vater sollten vor Gericht gebracht und inhaftiert werden. Es kam hier also sehr viel an Strafwürdigem zusammen; die Kontrahenten waren schon beträchtliche Zeit verfeindet. Wenn der Vorwurf der Brandstiftung ernst gemeint ist, so wäre die Petition ein sehr instruktiver Beleg dafür, wie sehr Strafrecht und Strafpraxis auseinanderklafften. Denn nach geltendem römischem Recht mußte ein Brandstifter im äußersten Fall mit der verschärften Todesstrafe (dem Feuertod) rechnen, woran hier nicht im mindesten gedacht wird. Es wurde lange gewartet, bis die staatlichen Behörden eingeschaltet wurden; sie wurden häufig erst dann aktiv, wenn Versuche infrajurisdiktioneller Konfliktregelung gescheitert waren. Wie erklären sich die häufigen Konflikte unter Nachbarn? Der Platz in der sozialen Hierarchie bestimmte sich auch nach dem Besitz, welcher vielfach ostentativ zur Schau gestellt wurde. Der eigene Rang in der Gesellschaft wurde erhöht, wenn dem anderen Wohlstand genommen wurde. Der Vorteil, den der eine erlangt, geht notwendigerweise auf Kosten der anderen. Da jeder davon ausgeht, daß die anderen sich genauso verhalten werden wie man selbst (d.h. die eigenen Ressourcen auf Kosten der anderen zu vermehren), begegnet man denen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören, mit Mißtrauen und Argwohn. Dies ist das von Foster für agrarische Gesellschaften herausgearbeitete Grundmuster des „limited good“: In einer Gesellschaft, die nicht durch ein großes wirtschaftliches Wachstum gekennzeichnet ist, kann man seine eigene Position nur verbessern, indem man die des anderen verschlechtert. Diese Vorstellung ist nicht auf den ökonomischen Bereich beschränkt, sondern gilt auch für andere Güter (Gesundheit, Ehre usw). Die Dörfer und kleineren, zumeist ebenfalls von der Landwirtschaft lebenden Städte waren wirkliche face-to-face-Gesellschaften. Die Bewohner hatten einen beschränkten sozialen Horizont; sie verkehrten im wesentlichen mit ihren Nachbarn, zu denen sie vielfach in Konkurrenz um die begrenzten wirtschaftlichen 48
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Krause 1994/5, 2, 232ff.; D.W. Hobson, The Impact of Law on Village Life in Roman Egypt, in: B. Halpern - D.W. Hobson (Hrsg.), Law, Politics and Society in the Ancient Mediterranean World, Sheffield 1993, 193-219, 209f. 49 BGU III 909 (359 n. Chr.). 50 G.M. Foster, Interpersonal Relations in Peasant Society, Human Organization 19, 1960/1, 174-184.
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
Ressourcen standen. Derjenige, der Erfolg hatte, zog den Neid und die Mißgunst der anderen auf sich. Der Sozialanthropologe Banfield hat hierfür den Begriff des „amoral familism“ geprägt, das will heißen: Das Individuum ist darauf bedacht, das materielle Wohlergehen der eigenen Familie zu maximieren, und man geht davon aus, daß die anderen genauso handeln. Es herrscht damit eine ständige Rivalität unter den Nachbarn. Der Affekt spielte im Zusammenhang mit der Gewalt eine große Rolle; immer wieder findet sich der Hinweis auf den Zorn, der die Gewalt auslöste. Basilius diskutiert, in welchen Fällen von einer unbeabsichtigen bzw. beabsichtigten Tötung gesprochen werden kann. Wenn jemand sich im Streite eines großen Stockes oder Steines bedient und den Tod verschuldet hat, gilt dies noch als unbeabsichtigte Tötung. Seine Absicht war zu verwunden, nicht zu töten, und lediglich unter der Herrschaft des Zornes hat er seinem Gegner einen todbringenden Schlag versetzt. Hat aber jemand ein Schwert oder eine ähnliche Waffe verwendet, so hat er keine Entschuldigung mehr. Die Affektkontrolle war wenig ausgebildet, und im Zorn wurde schnell zugeschlagen. Soldaten oder Offiziere, die sich beleidigt wähnten, griffen, ohne lange über die Folgen ihres Tuns nachzudenken, selbst gegen Vorgesetzte zu den Waffen. Hier ließen die Waffen die Gewalt blutig werden; im zivilen Sektor standen, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, weniger Waffen zur Verfügung. Auseinandersetzungen reduzierten sich daher zumeist auf den Austausch von Schlägen. Der Alkoholkonsum verstärkte die unheilvollen Folgen des Zornes. In den juristischen Quellen der klassischen Zeit finden sich zwar nur sehr wenige Stellen, die ihn mit Straftaten in Verbindung bringen. Dies bedeutet aber nicht, daß nicht tatsächlich viele Gewalttaten im Alkoholrausch begangen wurden, vielmehr galt der Alkoholkonsum strafrechtlich im klassischen Recht offenbar nicht oder nur in geringem Maße als relevant. Tatsächlich war er ein großes soziales Problem. 51
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E.C. Banfield, The Moral Basis of a Backward Society, New York 1958, v.a. 83ff. 52 Bas., Hom. adversus eos qui irascuntur 3 (PG 31, 357/60); Joh. Chrys., De beato Philogonio 6, 4 (PG 48, 756); De Christi precibus, contra Anomaeos 10, 7 (PG 48, 793/6); Ad pop. Antioch. 15, 4 (PG 49, 158); Anna 2, 5 (PG 54, 649/51); In Matth. hom. 16, 8 (PG 57, 248f.); 16, 10 (ibid. 252); Hil., In psalm. 140, 6 (CSEL 22, 792f.); Aug., Serm. 315, 6, 9 (PL 38, 1430f.); Ennod. 80 (opusc. 3) (Vita Epifani Ticinensis ecclesiae), 21ff. (MGH, AA 7, 87). 53 Bas., Epist. 188, 8 (Courtonne 2, 126ff.). Vgl. allgemein zum Thema Zorn Harris 2001 (die Spätantike findet keine Berücksichtigung). 54 Proc., Hist. arc. 5, 34ff.; Bell. Goth. 2, 8. 55 A. Watson, Drunkenness in Roman Law, in: W.G. Becker - L. Schnorr von Carolsfeld (Hrsg.), Sein und Werden im Recht. Festgabe für Ulrich von Lübtow zum 70. Geburtstag, Berlin 1970, 381-387; J.H. D’Arms, Heavy Drinking and Drunkenness in the Roman World: Four Questions for Historians, in: O. Murray - M. Tecusan (Hrsg.), In vino veritas, London 1995, 304-317, 313f. Nach Ansicht Senecas sollte der übermäßige Alkoholkonsum allerdings strafmildernd gewertet werden: Sen., Clem. 2, 7, 1f. Vgl. hierzu auch Quint., Inst. 4, 2, 71; Dig. 48, 19, 11, 2 (Marcianus).
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Listen die Kirchenväter Straftaten, die sie für besonders gravierend halten, auf, so wird auch immer wieder der übermäßige Alkoholkonsum genannt. Er führte zur Gewalt; diese Verbindung wird häufig gezogen. Ehemänner schlugen im Rausch ihre Frauen. Der Alkohol ließ die Reaktion auf Beleidigungen besonders maßlos werden. Verbrechern, zumal Räubern, wird häufig ein unkontrollierter Alkoholkonsum zugeschrieben. Gegenüber der Spätantike scheint im fränkischen Gallien der Alkoholkonsum noch einmal deutlich zugenommen zu haben. Bei vielen Gewalttaten war er mit im Spiel. Vor allem die Jugendlichen sprachen dem Wein zu. Einige Jugendliche, die sich in einer Gaststätte in einer Stadt in Palästina sinnlos betrunken hatten, griffen einander an: Sie wurden den kaiserlichen Behörden übergeben und hingerichtet. 56
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Hil., In psalm. 1, 9 (CSEL 22, 24f.); Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 42 (CSEL 62, 176f.); 12, 10, 1 (ibid. 257); Aug., In psalm. 58, serm. 2, 5 (CCL 39, 748ff.); 75, 16 (ibid. 1048/50); 84, 15 (ibid. 1174f.); 127, 11 (CCL 40, 1875); Serm. 17, 3 (CCL 41, 238f.); 162, 1 (PL 38, 885f.); 224, 1, 1 (ibid. 1093f.); 252, 4, 4 (ibid. 1174); 393 (dub.) (De poenitentia) (PL 39, 1714); In evang. Ioh. 6, 17 (CCL 36, 62); In epist. Ioh. 3, 9 (Agaesse 202/4); Catech. rud. 7, 11 (CCL 46, 131/3); Joh. Chrys., In kalendas 4 (PG 48, 958); De proditione Iudae hom. 2, 6 (PG 49, 390); In Matth. hom. 10, 6 (PG 57, 190f.); Salv., Gub. 3, 44f. (Lagarrigue 220); 3, 49 (ibid. 222); 4, 40 (ibid. 264); Eccl. 4, 40 (Lagarrigue 336). 57 P. Cair. Isidor. 75 (316 n. Chr.); Ambr., Hel. 12, 43 (CSEL 32, 2, 436f.); 15, 53 (ibid. 443f.); Aug., Serm. 230 (PL 38, 1103f.); Socr., Hist. eccl. 7, 16 (Hansen, GCS, N.F. 1, 361); Val. Cem., Hom. 6, 1 (PL 52, 709f.); 10, 3 (ibid. 723); 20, 3 (ibid. 752f.); Caes. Arel., Serm. 46, 3 (CCL 103, 206f.). Manche Richter scheinen Trunkenheit als strafmildernd bewertet zu haben: Ambr., Abr. 1, 6, 57f. (CSEL 32, 1, 539f.); vgl. auch Aug., C. Faust. 22, 44 (CSEL 25, 636). 58 Bas., Hex. 7, 5, 160C (Giet 418). 59 Joh. Chrys., Anna 2, 5 (PG 54, 649/51). 60 Pallad., Hist. Laus. 19, 1ff. (Bartelink 96); Apophthegmata patrum, Paphnoutios 2 (20) (PG 65, 377/80); Antonius, Vita Symeon. Styl. 20 (Übers. Doran 95/7); K. Hopwood, ‚All that may become a man‘: the Bandit in the Ancient Novel, in: L. Foxhall – J. Salmon (Hrsg.), When Men Were Men. Masculinity, Power and Identitiy in Classical Antiquity, London – New York 1998, 195-204, 197f. Sexualdelikte (Vergewaltigung und Ehebruch) wurden vielfach im Zustand der Trunkenheit begangen: Ambr., Cain et Ab. 1, 5, 20 (CSEL 32, 1, 357); Mir. Thecl. 34 (Dagron 380/4). Auch im Vorfeld anderer Straftaten wurde viel Alkohol getrunken. Palladius wirft dem Bischof Theophilos von Alexandria vor, er habe um sich eine Schar von nichtsnutzigen Leuten, z.T. Sklaven, gesammelt und mit ihnen, nachdem er sie habe reichlich Alkohol trinken lassen, eine Mönchskolonie angegriffen: Pallad., Vita Ioh. Chrys. 7 (Malingrey - Leclercq 144/6). 61 Greg. Tur., Franc. 3, 5; 4, 46; 6, 13; 7, 22; 9, 19; 9, 27; 10, 27. 62 Lib., Or. 3, 6; Joh. Chrys., In epist. ad Hebr., hom. 7, 3 (PG 63, 65f.). Augustin bezeichnet die Circumcellionen als „trunkene Jugendliche“ und benennt hiermit die beiden Faktoren, die die Gewalt besonders beförderten, den Alkoholkonsum und das jugendliche Alter: Aug., C. Parm. 1, 11, 17 (CSEL 51, 38f.). Vorwurf der ebrietas auch C. Parm. 2, 9, 19 (CSEL 51, 64f.); 3, 3, 18 (ibid. 122); C. Petil. 1, 24, 26 (CSEL 52, 20); 2, 14, 33 (ibid. 37f.); 2, 39, 94 (ibid. 77); 2, 88, 195 (ibid. 120); Un. eccl. 19, 50 (CSEL 52, 296f.); C. Cresc. 4, 63, 77 (CSEL 52, 576f.); Epist. 35, 2 (CSEL 34, 2, 28f.).
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
Die Tatsache, daß die Jugendlichen im Vollrausch gehandelt hatten, führte also nicht zu einer milderen Strafe. Neben den Jugendlichen waren es die Soldaten, die sich im Rausch schwere Gewalttaten zuschulden kommen ließen. Und schließlich war Alkoholmißbrauch bis zu einem gewissen Grade ein unterschichtenspezifisches Problem. Spätantike Autoren sehen u.a. in dem übermäßigen Alkoholkonsum der städtischen plebs die Ursache für deren große Gewaltbereitschaft. Die Armen verlören im Rausch den Respekt vor den Reichen und Vornehmen. Die Wohnungen der Ärmeren luden nicht zum Verweilen ein. Das Leben spielte sich daher zum großen Teil außerhalb der eigenen vier Wände ab. U.a. fungierten Kneipen und Garküchen, deren Zahl beträchtlich war, als Kommunikationszentren, vor allem für die städtische Plebs. Hier trafen sich vor allem einfache Leute, die nicht nur dem Alkohol zusprachen, sondern vielfach auch zu Recht und Moral ein distanziertes Verhältnis hatten. Gaststätten waren Orte, von denen sich ehrenwerte Leute nach Möglichkeit fernhalten sollten. Ein Faktor, der zu dem schlechten Renommee der Kneipen beitrug, war die Tatsache, daß ihre Besucher die Zeit vielfach mit Glücksspielen totschlugen, die hin und wieder 63
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Sperber 1970, 261f. 64 P. Abinn. 28 (= P. Lond. II 411, p. 281) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); Lib., Or. 20, 18; 47, 5; Ambr., Hel. 13, 46ff. (CSEL 32, 2, 438/40); Max. Taur., Serm. 26, 1 (CCL 23, 101). 65 Bas., Hom. in ebriosos 3 (PG 31, 448f.); Ambr., Hel. 12, 41f. (CSEL 32, 2, 436); Aug., Serm. 85, 2 (PL 38, 521); Serm. Caillau – Saint-Yves 2, 19, 6 (Morin 268f.); Serm. Lambot 24, 9 (PLS 2, 827); Eunap., Vit. soph., p. 462; Caes. Arel., Serm. 47, 7 (CCL 103, 215); Callinic., Vita Hypat. 2, 10 (Bartelink 80). 66 Ambr., Hel. 12, 44 (CSEL 32, 2, 437); Priscian., De laude Anastasii 218ff. (Chauvot 65). 67 In Alexandria soll es in der Mitte des 4. Jh. 845 Tavernen gegeben haben: Haas 1997, 67f.; Cl. Nicolet, Fragments pour une géographie urbaine comparée: à propos d’Alexandrie, in: ders. (Hrsg.), Mégapoles méditerranéennes. Géographie urbaine rétrospective. Actes du colloque organisé par l’École française de Rome et la Maison méditerranéenne des sciences de l’homme (Rome, 8-11 mai 1996), Paris 2000, 245-252. Libanios rühmt im Antiochikos ihre große Zahl in Antiochia: Or. 11, 257. 68 Amm. 14, 6, 25; 28, 4, 29 und 34; Ambr., Hel. 12, 42 (CSEL 32, 2, 436); Lib., Or. 46, 10ff.; Joh. Chrys., In kalendas 2 (PG 48, 954f.); In epist. ad Hebr., hom. 7, 3 (PG 63, 65f.); Jul., Or. 9 (6), 7, 186D; MacMullen 1967, 166f.; Patlagean 1977, 207. 69 Ambr., In psalm. 1, 29 (CSEL 64, 23f.). 70 Amm. 28, 4, 3ff.; Synes., Epist. 45 (Garzya 156/8 = Migne 32, PG 67, 1360f.); Sidon., Epist. 8, 11, 3, Z. 30ff.; Joh. Mosch., Prat. spir. 194 (PG 87, 3, 3076f.). Nach den Constitutiones Apostolorum soll ein Kleriker, wenn er überführt ist, in einer Gaststätte gespeist zu haben, ohne daß er hierzu durch eine Reise genötigt gewesen wäre, seines Amtes entsetzt werden: Const. Apost. 8, 47, 54 (Metzger 3, 296). Ähnlich: Reg. eccl. Carthag. excerpta 40 (Conc. Carthag. 397) (CCL 149, 185); Collect. Hispana, Conc. Carthag. III (397 n. Chr.), C. 27 (CCL 149, 334). 71 Amm. 14, 6, 25; 28, 4, 21; 28, 4, 29; Lib., Or. 3, 6; Conc. Elv. (300/6 n. Chr.?), C. 79 (Vives 15); Ambr., Tob. 11, 38 (CSEL 32, 2, 539f.); Aug., In psalm. 40, 5 (CCL 40, 452f.); Serm. Dolbeau 26, 8 (Dolbeau 372f.); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 15, 4 (PG 49, 159); 20, 8 (ibid. 210); In inscriptionem altaris et in principium actorum 1, 2 (PG 51, 69); In
2. Gewalt
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Auslöser gewalttätiger Auseinandersetzungen waren. Weiterhin wurden in den Herbergen und Kneipen Prostituierte feilgeboten. Die Gaststätten waren also ein Ambiente, in dem Gewalt und Kriminalität einen günstigen Nährboden fanden. Ein Stadtpräfekt setzte für die Tavernen in Rom Öffnungszeiten fest, was Proteste hervorrief; außerdem sollte den gehobenen Ständen der Besuch in den Gaststätten überhaupt untersagt werden. Möglicherweise diente die Maßnahme auch polizeilichen Zwecken, um zu verhindern, daß im Alkoholrausch begangene Straf- und Gewalttaten überhand nahmen. In den palästinensischen Städten scheint der Alkoholausschank in den Gaststätten im 3./4. Jh. gerade aus diesem Grund nach einer Sperrstunde in der Nacht untersagt gewesen zu sein. Die Eigentümer der Herbergen waren übel beleumdet und standen hier und da sogar im Ruf, mit Räubern zusammenzuarbeiten. In Syrien zielte die Fahndung nach Räubern und deren Mitwissern auch auf Personen, die in Kneipen und Gaststätten mit Räubern gezecht oder gespeist hatten (die aber unschuldig waren). Einige Kneipen wurden also auch von Berufsverbrechern frequentiert. Wie viele Gasthäuser sich auf diese zwielichtige Kundschaft spezialisiert haben mögen, läßt sich freilich nicht abschätzen. In den Städten (und Dörfern) des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit waren die Kneipen Orte der Gewalt. In den einschlägigen Untersuchungen ist immer wieder auf den Konnex zwischen Alkoholkonsum, dem Kneipenbesuch und Gewalttaten aufmerksam gemacht worden. Demgegenüber ist bei aller Kritik, die 72
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gen. hom. 6, 6 (PG 53, 61); In Matth. hom. 59 (60), 7 (PG 58, 582/4); Caes. Arel., Serm. 198, 3 (CCL 104, 800). Selbst Kleriker entwickelten eine Vorliebe für das Würfelspiel: Cod. Iust. 1, 4, 34 (534 n. Chr.); Nov. Iust. 123, 10, 1 (546 n. Chr.); Const. Apost. 8, 47, 42f. (Metzger 3, 288); Canones Apostolorum 42f. (41f.) (Joannou 1, 2, 29f.). Malalas erzählt, Justinian habe Glücksspielern, die sich in Konstantinopel gräßliche Blasphemien hätten zuschulden kommen lassen, die Hände abhauen lassen, sie seien auf Kamelen durch die Stadt geführt worden: Malalas 18, 47, p. 451. 72 Ps. Cypr., Aleat. 9 (CSEL 3, 3, 101f.). 73 Dig. 23, 2, 43, pr.; 9 (Ulpian); Cod. Iust. 4, 56, 3 (225 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 7, 1 (= Cod. Iust. 9, 9, 28 [29]) (326 n. Chr.); 4, 6, 3 (= Cod. Iust. 5, 27, 1), pr. (326 n. Chr.); Pallad., Vita Ioh. Chrys. 20 (Malingrey - Leclercq 404/6); T. Kleberg, Hôtels, restaurants et cabarets dans l’Antiquité romaine. Études historiques et philologiques, Uppsala 1957, 89ff. 74 Amm. 28, 4, 3ff. 75 Sperber 1970, 257ff.; 262f. Vgl. auch T. Grossmark, The Inn as a Place of Violence and Danger in Rabbinic Literature, in: H.A. Drake (Hrsg.), Violence in Late Antiquity, Aldershot 2006, 57-68. 76 Lib., Or. 33, 40; Tchalenko 1953/8, 3, 31f. (Nr. 34); Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 1, 4f. (PG 48, 848/50). Vgl. bereits Dig. 4, 9, 1, pr.; 1 (Ulpian); Cypr., Epist. 68, 3, 3. 77 Lib., Or. 45, 6. Der Zusammenhang zwischen dem Zechen in Kneipen und dem Umgang mit Räubern bzw. Kriminellen wird schon in der frühkaiserzeitlichen Literatur gesehen: Apul., Met. 8, 1, 3; Iuv. 8, 158ff. 78 Farge – Zysberg 1979, 987; 1006ff.; Castan 1980b, 199ff.; Sharpe 1983, 49ff.; 131; Muchembled 1989, 32; 200ff.; Schwerhoff 1991, 294ff.; Frank 1995, 245f.; 248f.; 308ff.
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
in den spätantiken Quellen an den tabernae und Rasthäusern laut wird, doch nur vergleichsweise selten die Rede davon, daß mit ihnen in besonders großer Zahl Gewalt- oder Tötungsdelikte verbunden gewesen wären. Wir hören auch nur wenig davon, daß die Kneipen Mittelpunkte einer kriminellen Subkultur gewesen wären, wie dies in den Städten des frühneuzeitlichen Europa vielfach der Fall war. Sicher trafen sich hier vor allem einfache Leute, Angehörige der städtischen Unterschichten, vereinzelt auch Berufsverbrecher oder Räuber. Insgesamt repräsentierte die Kundschaft der spätantiken Gasthäuser und Kneipen aber einen Querschnitt durch breite Schichten der Bevölkerung, unter Ausschluß allenfalls der Angehörigen der Oberschichten. Die Mehrzahl der zahlreichen städtischen Kneipen wurde von einem breiten Spektrum der Bevölkerung frequentiert. Selbst manche Priester und andere christliche Kleriker besuchten gerne und häufig die Gasthäuser, wie die entsprechenden Verbote der kirchlichen Gesetzgebung zeigen. Dies ist ein Befund, der Beachtung verdient. Weiter unten wird die Frage zu diskutieren sein, ob in den Städten mit der Existenz einer festgefügten kriminellen Subkultur zu rechnen ist. Das hier referierte Quellenmaterial weist nicht in diese Richtung. Wenn auch die Prediger und die Behörden den Besuch von Gasthäusern und Kneipen zu beschränken suchten, so handelte es sich bei den zahlreichen Gasthäusern doch sicher nicht um „Räuberhöhlen“. Daran, daß der Alkohol (der nicht nur in den Tavernen konsumiert wurde) mit der Gewalt in einem ursächlichen Zusammenhang stand, lassen die Quellen jedenfalls keinen Zweifel. Dies mag trivial erscheinen, ist aber doch bemerkenswert. Kennzeichnend für die Gewalt war ihr spontaner, ungeplanter Charakter. Die Auseinandersetzungen mochten hin und wieder eskalieren und im Extremfall zum Totschlag führen. In aller Regel kam es soweit aber nicht. Auch wenn die im Rausch begangenen Tätlichkeiten zumeist relativ unblutig abgingen, kamen sie doch in einer großen Zahl von Fällen vor die staatlichen Gerichte. Die Gewalt mochte etwas Alltägliches sein, dies heißt aber nicht, daß Staat und Gesellschaft sie toleriert hätten. Im späten Mittelalter kamen Gewalttäter anders als Personen, die sich Eigentumsdelikte hatten zuschulden kommen lassen, vielfach mit einer vergleichsweise milden Strafe oder überhaupt straffrei davon, ein Indiz dafür, daß die Gewalt als etwas Unvermeidliches, Unabänderliches hingenommen wurde. Von einer solchen Einstellung war man in der Spätantike weit entfernt. Es ist auch deutlich geworden, daß die Gewalt keineswegs ausschließlich auf das Konto der Angehörigen der Unterschichten ging. Mangelnde Affektkontrolle war nicht allein für sie kennzeichnend. Es war sicherlich auch nicht das Gefühl, in der Gesellschaft am Rande zu stehen oder ökonomisch zu kurz gekommen zu sein, welches zu Aggressionen und Gewalt geführt hätte. Die Jugendlichen, die in trunkenem Zustand Gewalttaten begingen, waren mehrheitlich keine Angehörigen 79
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Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 1, 5 (PG 48, 850). 80 Ambr., Hel. 12, 43 (CSEL 32, 2, 436f.); 15, 53 (ibid. 443f.). 81 Geremek 1976, 58ff.; Given 1977, 92; Hanawalt 1979, 61f.; Chiffoleau 1984, 174.
2. Gewalt
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der Unterschichten, stammten vielmehr zumeist aus „besseren“ Familien; die Kirchenväter kritisieren immer wieder die Väter, die ihren Söhnen allzu große Freiheiten einräumten, was zu Ausschweifungen (einschließlich Alkoholkonsum) und in Folge hiervon zu Straftaten führe. Daß die Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem war, bestätigt sich, wenn man einen Blick auf eine soziale Gruppe wirft, über die wir vergleichsweise gut informiert sind, nämlich die Kleriker und die Mönche. Es ist bemerkenswert, wie häufig wir von Gewalttaten, die auf deren Konto gingen, hören. Kleriker beteiligten sich an Razzien gegen Räuberbanden; Basilius droht ihnen hierfür mit dem Ausschluß aus dem Klerus. Es sei ein besonders eklatanter Fall von Gewaltanwendung unter Klerikern paraphrasiert: Ein Priester war mit einem Knüppel auf einen Diakon losgegangen und hatte ihm ein Auge ausgeschlagen; die Tat war im Affekt begangen worden. Für den Priester sollte, so die Entscheidung des Papstes Pelagius, ein Nachfolger bestimmt werden, allerdings nicht der Diakon, dessen Verstümmelung ihn nunmehr für das Priesteramt disqualifizierte. Für Kleriker oder Mönche, die sich gegen die Kirchendisziplin vergangen hatten, setzten sich zunehmend Körperstrafen durch. Es kam vor, daß die Bischöfe 82
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___________________________ 82 Ambr.,
Off. 1, 5, 17; Greg. Naz., Epist. 149 (Gallay 2, 41); Soz., Hist. eccl. 4, 24, 3ff. (GCS, Bidez – Hansen 178/80); Synode "ad Quercum" 1f. (Malingrey 100/2); 27 (ibid. 106); Aug., Epist. 9* (CSEL 88, 43/5); 20*, 6, 1 (ibid. 97); Euagr., Hist. eccl. 4, 35 (Bidez – Parmentier 184f.); Greg. M., Epist. 13, 37 (CCL 140A, 1040); Dial. 3, 14, 2f. (Vogüé Antin 2, 302/4); Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 12 (28/30 Gelzer) (Festugière 359f.); 39 (75f. Gelzer) (Festugière 391); Canones Apostolorum 56 (Joannou 1, 2, 38); 66 (ibid. 42); Const. Apost. 8, 47, 66 (Metzger 3, 300). Spanische Kirchenkonzilien beschäftigen sich wiederholt mit Gewalttaten von Klerikern: Conc. Ilerdense (546 n. Chr.), C. 1 (Vives 55); Conc. Tol. IV (633 n. Chr.), C. 45 (Vives 207). In manchen Fällen führten Streitigkeiten unter Klerikern zum Tode eines der Beteiligten: Conc. Ilerdense (546 n. Chr.), C. 11 (Vives 58). In vielen innerkirchlichen Auseinandersetzungen scheuten sich Bischöfe und Kleriker nicht, auch selbst handgreiflich zu werden: Pallad., Vita Ioh. Chrys. 6 (Malingrey - Leclercq 138/40); 20 (ibid. 396/8); Joh. Chrys., Epist. ad Innocent. (Malingrey 72); Soz., Hist. Eccl. 2, 25, 2ff. (Festugière 336/8); 2, 25, 12 (ibid. 340); Athanas., Apol. sec. 8, 4f. (Werke 2, 94); 38 (ibid. 116f.); 44, 2 (ibid. 121); 63, 4 (ibid. 143); 65ff. (ibid. 144ff.); Barnes 1993, 28f.; Vict. Vit. 1, 41f. (CSEL 7, 18); 3, 42ff. (ibid. 93f.). Auch in Klöstern und unter Einsiedlern kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schlägereien: Callinic., Vita Hypat. 16, 3ff. (Bartelink 128); Caes. Arel., Reg. virg. 26 (Vogüé - Courreau 204); Apophthegmata patrum, Poimen 173 (90) (PG 65, 364). 83 Bas., Epist. 217, 55 (Courtonne 2, 210). 84 Pelag., Epist. 34 (Gassó - Batlle 93/5). 85 Pallad., Hist. Laus. 7, 3 (Bartelink 38); Aug., Epist. 20*, 5, 1 (CSEL 88, 96); Conc. Veneticum (461/91 n. Chr.), C. 6 (CCL 148, 153); C. 13 (ibid. 155); Conc. Agathense (506 n. Chr.), C. 38 (ibid. 208f.); C. 41 (ibid. 210); Caes. Arel., Reg. virg. 26 (Vogüé Courreau 204); Bened., Reg. 45 (De Vogüé – Neufville 594); Joh. Mosch., Prat. spir. 145 (PG 87, 3, 3008f.); Greg. M., Epist. 3, 52 (CCL 140, 197ff.); 4, 24 (ibid. 242f.); 11, 53 (CCL 140A, 956f.); Dial. 1, 2, 8ff. (Vogüé - Antin 2, 30/2); Leontios von Neapolis, Vita
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
hierbei selbst Hand anlegten; Justinian vertritt die Auffassung, dies entspreche nicht der Würde des Amtes. Es soll nicht unterstellt werden, daß Bischöfe oder Kleriker besonders gewalttätig gewesen wären. Die Belege lassen jedoch deutlich werden, daß Gewaltanwendung bis zu einem gewissen Grade alltäglich und allgegenwärtig war. In einer Gesellschaft, in der es von niemandem in Frage gestellt wurde, daß man seine Kinder und Sklaven schlagen durfte, ja schlagen mußte, wenn man sie bessern wollte, in einer solchen Gesellschaft konnte es keinen Anstoß erregen, wenn auch Bischöfe oder Äbte ihnen untergebene Kleriker oder Mönche züchtigen ließen. Gingen Kleriker oder Mönche mit Gewalt aufeinander los, so wurde dies von niemandem gebilligt, und die Betreffenden mußten damit rechnen, von ihrem Amt entbunden zu werden. Sich prügelnde Kleriker sind aber ein Indiz dafür, daß mit denselben Verhaltensweisen auch unter den Laien zu rechnen ist. Wenn Kleriker sich im Zorn dazu hinreißen ließen, ihre Kontrahenten zu schlagen, so ist bei den Laien nicht mehr Affektkontrolle zu erwarten. Andererseits bewegte sich diese Gewalt, eben deswegen, weil sie vielfach durch den Affekt bedingt war, auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Fausthiebe und Schläge mit einem Knüppel mochten im Einzelfall zu ernsten Verletzungen wie dem Verlust eines Auges führen. Wir sind jedoch weit entfernt von dem Ausmaß an blutiger Gewalt, wie es etwa für das frühe Mittelalter kennzeichnend war. Belege für Gewalttaten, die im Zorn begangen wurden, können aus der gesamten griechisch-römischen Antike in großer Zahl zitiert werden. Der Zorn ist eine der Untugenden, gegen die die Moralphilosophen stets mit besonderer Intensität kämpften. Ob die wiederholten Mahnungen der christlichen Prediger an ihre Gemeindemitglieder, sich nicht vom Zorn hinreißen zu lassen, sich statt dessen mit ihren Feinden auszusöhnen, etwas gefruchtet haben, läßt sich nicht sagen; Skepsis ist angebracht. Auch ist kaum anzunehmen, daß die Prediger mit ihren Warnungen vor dem Alkoholkonsum bei einem größeren Teil ihres Publikums offene Ohren gefunden haben. Die Bedingungen und Voraussetzungen, die in der Spätantike zur Gewalt geführt haben, unterschieden sich also nur wenig von denen der frühen Kaiserzeit. Es läßt sich demzufolge auch nur schwer abschätzen, ob langfristig die alltägliche Gewalt eher zu- oder abgenommen hat. Ein Faktor dürfte jedoch zu deren Reduzierung geführt haben. Während bei der Ergreifung von Straftätern der Eigeninitiative des Opfers weiterhin eine große Bedeutung zukam, wurde im privatrechtlichen Bereich seit der späten Republik die 86
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Ioann. Eleem. 23 (49/52 Gelzer) (Festugière 373/5). Vor dem Bischofsgericht war es üblich, Beschuldigte oder Zeugen zu züchtigen: Aug., Epist. 133, 2 (CSEL 44, 82f.); Greg. M., Epist. 3, 44 (CCL 140, 189); J.C. Lamoreaux, Episcopal Courts in Late Antiquity, Journal of Early Christian Studies 3, 1995, 143-167, 163f. 86 Nov. Iust. 123, 11, 1 (546 n. Chr.). Const. Apost. 8, 47, 27 (Metzger 3, 280/2): Wenn ein Bischof, Priester oder Diakon einen Christen, der gesündigt hat, oder einen Ungläubigen schlägt, so soll er seines Amtes enthoben werden. Ebenso Canones Apostolorum 27 (Joannou 1, 2, 20). Vgl. auch Greg. M., Epist. 12, 8 (CCL 140 A, 979f.).
2. Gewalt
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Selbsthilfe zunehmend zurückgedrängt. Auch nach der Ausbildung des Zivilprozesses in der frühen Republik standen staatliche Rechtsprechung und Selbsthilfe zunächst noch nebeneinander. Der Staat stellte dem Bürger zwar seine Machtmittel zur Durchsetzung seiner Ansprüche zur Verfügung, er ließ ihm aber die Möglichkeit, sich sein Recht selbst zu verschaffen. Die spätrepublikanischen Gesetze de vi untersagten einige Formen der Selbsthilfe. Mit der Entwicklung des Kognitionsprozesses in der Kaiserzeit begannen sich der Gedanke der Unrechtmäßigkeit der Selbsthilfe sowie die Auffassung durchzusetzen, daß der Bürger sich der Hilfe des Staates zur Durchsetzung seiner Rechtsansprüche bedienen mußte. Zum ersten Mal wurde dieser Grundsatz von Marc Aurel in einem Dekret niedergelegt. Wenn jemand das, von dem er glaubt, daß es ihm geschuldet wird, nicht durch einen Richter einfordert, er also seine Forderungen eigenmächtig geltend macht, so gilt dies jetzt als vis, auch wenn es nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen ist. Es wurden Sanktionen bei Eigenmacht verhängt. Wer seine Forderungen durchzusetzen versuchte, indem er sich Sachen des Schuldners bemächtigte, büßte dadurch seine Forderung ein. Gleichwohl war auch nach klassischem Recht die Selbsthilfe noch in einer Reihe von Fällen zulässig. In der Spätantike setzte sich die Entwicklung, die bereits in der Republik und frühen Kaiserzeit eingeleitet wurde, fort. Eine Konstitution aus dem Jahr 389 untersagt dem Eigentümer eigenmächtige Handlungen zur Erlangung seiner Sache. Hat sich jemand gewaltsam vor einem Gerichtsurteil in den Besitz der strittigen Vermögenswerte gesetzt, so hat er diese zurückzuerstatten und verliert seine Rechte hieran. Sicher ist auch in der Spätantike die Selbsthilfe nicht völlig zurückgedrängt worden. Ein gewisser Syros klagt gegen eine Frau namens Tabes, ihren Ehemann und zwei Söhne, die mit Gewalt seine Ehefrau und Kinder entführt und in ihrem Haus eingeschlossen hatten; angeblich war die Frau ihre Sklavin. Syros erklärt, daß seine Frau frei sei, und fordert, daß die Entführten aus „der gesetzwidrigen phylake“ befreit werden. Die Angeklagten hatten also versucht, ihre Ansprüche auf eigene Faust geltend zu machen, ohne Einschaltung der Gerichte. Gläubiger scheuten sich nicht, gegen Schuldner mit Gewalt vorzugehen. Ein Gläubiger, der ihm verpfändete Vermögenswerte mit Gewalt raubt, handelt illegal; er kann daher, so Diokletian, binnen eines Jahres auf vierfachen Schadenersatz verklagt werden, hernach auf einfachen. Dringt ein Gläubiger mit Gewalt auf privaten Grundbesitz 87
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Wesener 1958; Behrends 2002. 88 Dig. 4, 2, 13 (Callistratus); 48, 7, 7 (Callistratus). 89 Wesener 1958, 105ff. 90 Cod. Theod. 4, 22, 3 (= Cod. Iust. 8, 4, 7) (389 n. Chr.). 91 P. Grenf. II 78 (307 n. Chr.). Zur Selbsthilfe in Ägypten vgl. auch noch P. Abinn. 46 (= P. Lond. II 420, p. XXXVIII) (343 n. Chr.); P. Oxy. VI 902 (ca. 465 n. Chr.) (in diesem Falle allerdings auch Inhaftierung des Schuldners in einem staatlichen Gefängnis). 92 Cod. Iust. 9, 33, 3 (293 n. Chr.).
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Tätlichkeiten und Körperverletzungen
ein, so ist gegen ihn die Klage wegen vis privata statthaft. Jemand, der eine Schuld abstreitet, soll nicht mit bewaffneter Gewalt bedrängt, vielmehr vor Gericht gebracht werden; wenn die Schuld nachgewiesen werden kann, soll er mit gesetzlichen Mitteln zur Begleichung der Schulden gezwungen werden. Ein Gläubiger hatte mit Soldaten und Sklaven einem im Sterben liegenden Schuldner zugesetzt und seine Habe gepfändet, darüber hinaus seine Beisetzung verhindert, bis ihm Bürgen gestellt worden waren. Justinian nimmt diesen Vorfall zum Anlaß, ein Gesetz zu erlassen, in dem Gläubigern künftighin bei einem solchen Verhalten der Verlust sämtlicher ihrer Ansprüche angedroht wird. Die in der Gesetzgebung angesprochene Existenz von Privatgefängnissen ist ein weiterer Beleg dafür, daß die Selbsthilfe nicht ganz ausgerottet werden konnte. Deren Betreiber dürften mehrheitlich Gläubiger gewesen sein, die durch die (illegale) Inhaftierung ihre Schuldner unter Druck zu setzen suchten. Insgesamt aber gilt: Die private Vollstreckung wurde in der Kaiserzeit zunehmend von der staatlichen ersetzt. Die Schuldexekution ging aus dem privaten ins öffentliche Recht über; der Schuldner haftete zwar noch mit Person und Vermögen, aber er wurde in aller Regel nicht mehr im privaten Gefängnis des Gläubigers, sondern in einem staatlichen Gefängnis inhaftiert. Wenn die Kirchenväter vor der Aufnahme von Schulden warnen und ausmalen, welche Unbilden der Schuldner erdulden muß, so weisen sie auf die gerichtliche Vollstreckung hin. Wollte jemand einen Rechtsanspruch durchsetzen, so mußte er sich jetzt wenigstens prinzipiell gerichtlicher Hilfe bedienen. Der Staat nahm für sich in immer größerem Umfang in Anspruch, den privatrechtlichen Ansprüchen des einzelnen zur Durchsetzung zu verhelfen. Auch wenn sich mancher selbst sein Recht zu verschaffen suchte, so kann es doch keinen Zweifel geben, daß es sich hierbei nur noch um Ausnahmen, nicht mehr die Regel handelte. Beleg hierfür ist, daß die Kirchenväter in der Prozeßsucht ihrer Zeitgenossen ein Problem sahen, nicht darin, daß sie ihre Interessen mit Waffengewalt verfolgten. Und auch die potentes, 93
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Cod. Iust. 9, 12, 5 (294 n. Chr.). Cod. Iust. 4, 10, 9 (294 n. Chr.). 95 Nov. Iust. 60, pr.; 1 (537 n. Chr.). Es handelte sich nicht um einen Einzelfall; ähnliche Vorgehensweisen der Gläubiger setzt schon Ambr., Tob. 10, 36f. (CSEL 32, 2, 537f.) voraus. Vgl. auch Cod. Iust. 9, 19, 6 (526 n. Chr.). 96 Cod. Theod. 9, 11, 1 (388 n. Chr.); Cod. Iust. 9, 5, 1 (486 n. Chr.); 1, 4, 23 (529 n. Chr.); 9, 5, 2 (529 n. Chr.); vgl. O. Robinson, Private Prisons, RIDA 15, 1968, 389-398; Krause 1996, 59ff. 97 L. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiserreichs, Leipzig 1891, 445ff.; L. Wenger, Vinctus, ZRG 61, 1941, 355-378, 372ff.; Kaser 1966, 511; 513; Krause 1996, 155ff. 98 Krause 1996, 156ff. 99 Aug., Serm. 86, 4, 4 (PL 38, 525). 94
2. Gewalt
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die Reichen, die sich ja an sich mit einigen wenigen bewaffneten Sklaven gegenüber ihren schwächeren Nachbarn hätten durchsetzen können, zogen doch zumeist die Auseinandersetzung vor einem staatlichen Gericht vor. Gewalttätige Auseinandersetzungen und Schlägereien führten, darauf ist bereits hingewiesen worden, vielfach zur Einschaltung staatlicher Gerichte. Die Zivilklage wurde zunehmend von der Strafklage abgelöst. Damit wurde der Staat sehr viel stärker in die Verfolgung und Ahndung von Gewalttaten involviert. Zur Zeit des nachklassischen Juristen Hermogenian (unter Diokletian) wurde eine iniuria in der Regel bereits strafrechtlich (extra ordinem) geahndet, entsprechend der Schwere der Tat und der Person des Täters: Sklaven wurden ausgepeitscht und ihren Eigentümern zurückgegeben; Freie niedriger sozialer Herkunft erhielten Stockschläge, die übrigen wurden mit zeitweiliger Verbannung bestraft. Selbst relativ harmlose Auseinandersetzungen (Schläge, Zerreißen der Kleidung) wurden vor Gericht gebracht. In gar nicht so wenigen Fällen kamen die Beschuldigten in Untersuchungshaft, zumal dann, wenn sie niedrigen sozialen Standes waren. Zwar wurde auch bei erlittener Gewalt in manchen Fällen mit der Einschaltung der staatlichen Behörden lange gewartet. Nichtsdestotrotz wurden Gewaltdelikte in größerer Zahl als in der frühen Kaiserzeit strafrechtlich geahndet. Die regelmäßige Einschaltung der staatlichen Gericht dürfte eine Eskalation der Gewalt, die zu schweren Wunden oder gar zum Tod eines der Beteiligten hätte führen können, verhindert haben. Denn die Alternative dazu, die Vergeltung vor Gericht zu suchen, wäre ja die Selbsthilfe gewesen. Trotz zahlreicher kleinerer Schlägereien und Auseinandersetzungen waren die spätantiken Städte und Dörfer also durch ein vergleichsweise niedriges Niveau an Gewalt gekennzeichnet. Es ist weiter unten noch ausführlich auf die Selbstjustiz einzugehen und zu diskutieren, in welchen Situationen die Opfer von Straftaten sich selbst ihr Recht verschafften, wann sie demgegenüber die staatlichen Gerichte einschalteten. Das, was wir bislang gelernt haben, zeigt, daß selbst einfache Beleidigungen und Handgreiflichkeiten zur Anrufung der Gerichte führten. Dies ist ein durchaus bemerkenswerter Sachverhalt. In den meisten agrarischen Gesellschaften besteht eine große Distanz zwischen weiten Teilen der Bevölkerung und dem Staatsapparat. Diesen einzuschalten gilt als die ultima ratio und kommt 100
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Krause 1996, 203ff. Dig. 47, 10, 45 (Hermogenianus). 102 Lib., Or. 45, 2f.; Aug., In psalm. 54, 14 (CCL 39, 666f.); Bas., De ieiunio hom. 2, 5 (PG 31, 192); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 1, 12 (PG 49, 32f.); De perfecta caritate 3 (PG 56, 282f.). 103 Krause 1996, 103ff. Bei weitem die meisten Belege für Inhaftierungen wegen Gewalttaten in Ägypten stammen aus der Spätantike: P. Berl. Frisk 4 (= SB V 7518) (4./5. Jh. n. Chr.); P. Herm. 20 (4. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 15 (= P. Lond. II 415, p. 283) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Sakaon 48 (= SB VI 9622) (343 n. Chr.); P. Abinn. 51 und 52 (= P. Lond. II 240f., p. 277f.) (346 n. Chr.); BGU III 909 (359 n. Chr.); P. Oslo III 128 (ca. 368 n. Chr.); P. Lips. 37 (389 n. Chr.); P. Oxy. VIII 1106 (6. Jh. n. Chr.). 101
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Häusliche Gewalt
erst dann in Betracht, wenn alle anderen Formen der Konfliktlösung versagt haben. Das Römische Reich hebt sich hiervon ab. Bei aller Gewalt, die ohne Zweifel vorhanden war, ist doch nicht so sehr diese bemerkenswert, als vielmehr die große Bedeutung, die den staatlichen Institutionen bei der Konfliktlösung zukam. Man soll sich also nicht durch die Quellen in die Irre führen lassen. Sicher werden die Zeitgenossen stets dazu neigen, anzunehmen, daß gerade in ihrer Epoche Verderbnis, Gewalt und Kriminalität besonders zugenommen hätten. Die christlichen Prediger der Spätantike bilden hier keine Ausnahme; sie sind keine verläßlichen Zeugen, wenn es darum geht, die Bedeutung der Gewalt in ihrer Zeit richtig einzuschätzen. Sicher gab es, auch auf den städtischen Straßen, viele Formen der Gewalt, diese Gewalt hatte aber zumeist einen sehr spontanen Charakter, sie war nicht vorher geplant. In Verbindung mit der Tatsache, daß der Besitz von Waffen in der Zivilbevölkerung nicht sehr verbreitet war, führte dies dazu, daß es, wenn es denn zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, vielfach beim Austausch von Schlägen blieb, die nicht zum Tode oder zu bleibenden körperlichen Schäden führten. Verglichen mit anderen vorindustriellen Großstädten scheinen die Straßen in den spätantiken Städten vergleichsweise sicher gewesen zu sein. Und dies galt selbst für die Nacht. Überaus bezeichnend ist eine Geschichte, die von Ammianus Marcellinus erzählt wird. Er berichtet, wie sich der Caesar Gallus in Antiochia, von einigen wenigen Bewaffneten begleitet, nachts incognito in den Kneipen herumtrieb. Es war ihm dies möglich, wie Ammianus bemerkt, weil es dank der Straßenbeleuchtung nachts genauso hell war wie am Tage. Selbst Prominente konnten sich also ohne große Leibwache auf den Straßen bewegen. Unter Kaiser Justin und in den ersten Jahren Justinians wurden die Straßen in Konstantinopel von den Mitgliedern der Circusparteien unsicher gemacht, da die Behörden nicht entschieden durchzugreifen wagten; schließlich trauten sich die Besitzenden nachts nicht mehr auf die Straße. Man sollte die Darstellung Prokops nicht als Beleg für die Auffassung verbuchen, daß man sich in den Städten nicht bewegen konnte, ohne für sein Leben fürchten zu müssen; im Gegenteil setzt sie voraus, daß in anderen Städten und zu anderen Zeiten nächtliche Ausgänge durchaus möglich waren, ohne daß das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, allzu groß gewesen wäre. 104
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Häusliche Gewalt In den meisten Fällen stammten Opfer von Gewalttaten und Täter aus demselben sozialen Milieu; vielfach hatte die Gewalt einen familiären Kontext. Gewaltanwendung des Eigentümers gegenüber seinen Sklaven (die in Rom als Mitglieder ___________________________
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14, 1, 9. Proc., Hist. arc. 7, 1ff.
2. Gewalt
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der familia galten) waren legal, und ihr waren kaum Grenzen gesetzt. Auch stellte niemand in Frage, daß Kinder und Jugendliche (zu ihrem eigenen Wohl, wie man glaubte) gezüchtigt wurden. Konflikte sind in jeder Gesellschaft ein ganz normaler Bestandteil des Familienlebens; dies trifft auch für die römische Familie zu. Sie bot Schutz und Beistand, war aber auch ein Terrain für teilweise bittere Konflikte. Es waren vor allem Geldstreitigkeiten, die zu Zwist und Zerwürfnis unter Verwandten (Ehegatten, Geschwistern usw.) und im äußersten Fall zu Straftaten führten. Die antike Familie hatte ökonomische Funktionen; es waren in ihr immer auch wirtschaftliche Interessen involviert. Mitunter eskalierten die Konflikte. Firmicus Maternus weissagt etwa die Ermordung des Sohnes, eines Bruders, der Eltern, von Verwandten oder der Ehefrau; zumindest der Brudermord wird von ihm mit „Begierde“ (cupiditas) motiviert. Besonders häufig waren Konflikte zwischen Mann und Frau. Die Ehen wurden zumeist arrangiert, es ließ sich daher gar nicht absehen, ob die beiden Ehepartner miteinander harmonieren würden. Einen Einblick in das Eheleben geben die Papyri. Der Ehemann vergriff sich an der Habe seiner Frau, unterhielt Konkubinen, schlug seine Frau. Das Klima in vielen Ehen war keineswegs durch Liebe und Zuneigung gekennzeichnet, sondern im Gegenteil durch Gewalt, deren Opfer zuallererst die Frauen waren. Nach Auskunft der Kirchenväter war es vor allem die Eifersucht, die Ehemänner gewalttätig werden ließ. Manche gingen angeblich so weit, ihre Frauen zu schlagen, wenn sie sich nur aus dem Fenster hinauslehnten. Ein großer Teil der Frauen, vielleicht die meisten unter ihnen, erhielt Schläge. Augustins Mutter Monica war hier eine Ausnahme, auch wenn ihr Mann Patricius zum Jähzorn neigte. Andere Frauen trugen dagegen Spuren der Schläge auch im Gesicht. Züchtigungen der Frau oder Minderung ihres Vermögens (der Mitgift) werden von Basilius als mögliche Konfliktpunkte zwischen Mann und Frau genannt; auch in solchen Fällen dürfe sich eine Frau nicht von ihrem Mann 106
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Firm., Math. 3, 7, 12; 3, 11, 5; 4, 19, 8; 4, 19, 13; 6, 15, 5; Joh. Chrys., In psalm. 3 (PG 55, 36); In psalm. 127, 1 (PG 55, 365f.). 107 Joh. Chrys., In gen. hom. 33, 3 (PG 53, 308/10); Zeno 1, 5, 2, 6 (CCL 22, 39); 1, 14, 4, 7 (ibid. 58); Bas., Hom. in divites 7 (PG 31 297). 108 Firm., Math. 4, 14, 9; vgl. auch noch 8, 29, 13. 109 P. Lips. 39 (390 n. Chr.); P. Oxy. L 3581 (4./5. Jh. n. Chr.); Krause 1994/5, 3, 242ff. Auch die literarischen Quellen zeichnen überwiegend ein ungünstiges Bild vom spätantiken Eheleben: Firm., Math. 6, 29, 17; Greg. Nyss., Virg. 18, 4 (Aubineau 476); Ambr., De virginibus 1, 6, 27 (PL 16, 207); Joh. Chrys., Virg. 40 und 41, 1 (Musurillo 232/6); 47, 5 (ibid. 268/70); 55 (ibid. 302); 57, 1f. (ibid. 306/10); In epist. I ad Cor. hom. 19, 1 (PG 61, 151f.); In epist. ad Col. hom. 12, 7 (PG 62, 390); In epist. ad Hebr. hom. 28, 6 (PG 63, 199); De non iterando coniugio 5 (Grillet - Ettlinger 188); Quod regulares ... 11 (Dumortier 134); Shaw 1987, 28ff. 110 Aug., Epist. 246, 2 (CSEL 57, 584); vgl. auch In psalm. 140, 9 (CCL 40, 2032f.). 111 Aug., Conf. 9, 9, 19. Frauen als Opfer von Gewalt in der Ehe: Clark 1998; Nathan 2000, 103ff.; Schroeder 2004; Dossey 2008.
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Häusliche Gewalt
trennen. Er ermahnt zwar die Ehemänner, ihre Frauen zu lieben, aber auch letztere, selbst Gatten, die trinken und schlagen, zu erdulden und die Ehe nicht leichthin aufzulösen. Die Gewaltätigkeit vieler Männer wurde durch den Alkoholkonsum gesteigert. Ein Fall besonders exzessiver Gewaltanwendung ist in einer hagiographischen Quelle bezeugt: Eine Frau, die von ihrem Mann ausgepeitscht worden war, suchte im Kloster Zuflucht; sie kehrte zu ihrem Mann zurück, der sie jedoch erneut schlug und ihr gar die Nase abschnitt. Während die christlichen Autoren eine Scheidung auch dann ablehnen, wenn der Ehemann seine Frau mißhandelt hat, spiegeln Rechtsprechung und Gesetzgebung in dieser Frage zunächst noch eine vergleichsweise frauenfreundliche Haltung, schränken jedoch mit fortschreitender Zeit die Rechte der Frauen immer mehr ein. Diokletian betont, daß eine Frau, die im väterlichen Haus Zuflucht gefunden hatte, nicht gezwungen werden könne, zu ihrem Mann zurückzukehren. Theodosius II. akzeptiert zwar als gerechtfertigten Scheidungsgrund, wenn eine Frau von ihrem Mann übermäßig geschlagen wurde. Gegen „maßvolle“ Züchtigungen hatte er aber offenkundig nichts einzuwenden. Justinian sieht in Schlägen des Ehemannes zunächst noch einen legitimen Scheidungsgrund, vertritt späterhin allerdings den Standpunkt, daß selbst mit Stöcken oder der Peitsche verabreichte Schläge die Auflösung der Ehe nicht rechtfertigten; immerhin soll der Ehemann in einem solchen Fall zugunsten der Ehefrau mit einem Drittel des Betrages der antenuptialis donatio bestraft werden. Die Gesetze zeigen, daß die Ehefrauen oftmals unter einer äußerst brutalen Behandlung durch ihren Ehemann zu leiden hatten. Es ging hierbei nicht nur um Schläge mit der Hand, sondern um Züchtigungen mit Stöcken und Peitschen, wie man sie auch seinen Sklaven verabreichen ließ. Sollte eine Ehe aufgelöst werden, so mußte dem Ehemann schon ein besonders großes Maß an Brutalität nachgewiesen werden. 112
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Bas., Epist. 188, 9 (Courtonne 2, 128f.). Eingriffe des Ehemannes in das Vermögen der Ehefrau und daraus sich ergebende Streitigkeiten scheinen an der Tagesordnung gewesen zu sein: Joh. Chrys., In illud, Propter fornicationes uxorem ..., hom. 1, 4 (PG 51, 214f.); Aug., Serm. 392, 4, 4 (PL 39, 1711f.). 113 Bas., Hex. 7, 5, 160C (Giet 418). Ähnlicher Ansicht wie Basilius ist Johannes Chrysostomos: In epist. ad Eph. hom. 20, 2 (PG 62, 137); 20, 7 (ibid. 144f.); In epist. I ad Cor. hom. 26, 6f. (PG 61, 220/3). Die Kirchenväter sehen die Aufgabe des Haushaltsvorstandes darin, die Mitglieder des Haushaltes zu erziehen und zu bessern. Körperliche Züchtigungen für die Ehefrau werden aber zumindest implizit abgelehnt (im Gegensatz zu den Sklaven oder Söhnen, die auch mit Schlägen im Zaum zu halten sind): Aug., Tract. in Ioh. 10, 9 (CCL 36, 106); Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 20, 2; 6ff. (PG 62, 136/8; 143ff.); In Matth. hom. 59 (60), 2 (PG 58, 575). 114 Vita Theod. Syc. 149 (Festugière 118f.). 115 Cod. Iust. 5, 17, 5, 1 (294 n. Chr.). 116 Cod. Iust. 5, 17, 8, 2 (449 n. Chr.). 117 Nov. Iust. 22, 15, 1 (536 n. Chr.); 117, 14 (542 n. Chr.).
2. Gewalt
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Wie groß die Toleranz gegenüber Ehemännern war, die ihre Frauen schlugen, lehrt ein spanisches Kirchenkonzil, welches den Klerikern ein weitgehendes Züchtigungsrecht gegenüber ihren Ehefrauen, die sich versündigt hatten, einräumte, wenn sie sie denn nur nicht töteten. Eine Frau hatte sich vor dem Bischofsgericht über das ungebührliche Verhalten ihrer Schwiegertochter beklagt. Diese sollte nach Augustin strafweise gezüchtigt werden, wenn sich denn die Vorwürfe als zutreffend erweisen sollten, die Schläge seien dann vom Ehemann zu verabreichen. Es wurde somit das Recht des Ehemannes anerkannt, seine Frau zu züchtigen. Die Grenze zwischen erlaubter und nicht mehr zu billigender Gewalt war nur schwer zu ziehen. Im Extremfall kam es zur Tötung der Ehefrau. Basilius diskutiert den Fall eines Mannes, der seine Frau im Zorn mit einer Axt getötet hat; er sei ein Mörder (kann sich also nicht darauf berufen, daß es sich um einen unbeabsichtigten Totschlag handele). Das dem Ehemann grundsätzlich zugebilligte Züchtigungsrecht mußte geradezu zu Exzessen wie dem von Basilius erwähnten führen. Es scheint gar nicht so selten vorgekommen zu sein, daß der Ehemann seine Frau im Affekt tötete, wobei vielfach übermäßiger Alkoholkonsum eine Rolle gespielt haben dürfte. Auch die vorsätzliche Ermordung der Ehefrau kam vor; es wird als Motiv unter anderem der Wunsch des Ehemannes genannt, sich die Mitgift seiner Frau anzueignen. Er hatte über diese nur begrenzte Verfügungsgewalt und mochte versucht sein, sich durch die Ermordung der Ehefrau zum Eigentümer zu machen, eventuell durch eine sich anschließende neue Ehe eine weitere Mitgift in sein Haus zu holen. Die meisten Ehefrauen waren dem Ehemann gegenüber in der schwächeren Position; Augustins Mutter Monica hatte für ihre Leidensgefährtinnen, die von ihren Männern geschlagen wurden, nur den Ratschlag übrig, sie sollten sich in ihr Geschick fügen; mit dem Moment, da die Eheverträge verlesen worden seien, seien sie zu Mägden ihrer Ehemänner geworden. Nicht alle Frauen waren so gottergeben wie Monica; viele Frauen machten ihrem Mann das Leben durch Zank und Streit schwer; Gewalt ist jedoch nicht belegt. Die Frauen hatten nur das Wort als Waffe. Wenn sie dem Leben ihres Ehemannes nachstellten, dann geschah dies mit Gift (bzw. es wurde ihnen dies jedenfalls unterstellt). Ob es wirklich so 118
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Conc. Tol. (397/400 n. Chr.), C. 7 (Vives 21f.). Epist. 8*, 2 (CSEL 88, 42). 120 Hierzu auch Lact., Ira 17, 16ff. (Kraft - Wlosok 58); Cassiod., Var. 5, 32 (CCL 96, 206f.). 121 Firm., Math. 3, 2, 4; 3, 4, 36; 3, 11, 9; 6, 31, 17. 122 Bas., Epist. 188, 8 (Courtonne 2, 126). 123 Lact., Inst. 5, 9, 15 (CSEL 19, 426f.); Lib., Or. 1, 194; Amm. 28, 4, 26; Zeno 1, 14, 4, 7 (CCL 22, 58f.). 124 Aug., Conf. 9, 9, 19. 125 Joh. Chrys., In Gen. serm. 3 (spur.), 4 (PG 56, 535f.); In Matth. hom. 48 (49), 4 (PG 58, 492); Virg. 52, 2 (Musurillo - Grillet 290); Aug., Serm. 297, 5, 8 (PL 38, 1362f.); Hier., Adv. Iovin. 1, 47 (PL 23, 289f.); Cod. Iust. 6, 35, 10 (294 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 7, 4 (= 119 Aug.,
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Häusliche Gewalt
häufig vokam, daß Ehefrauen ihre Männer mit Gift beseitigten, wie es der Befund der Quellen nahelegen könnte, läßt sich nur schwer entscheiden. Wenn der Tod medizinisch nicht erklärt werden konnte, was lag da näher, als Gift zu vermuten? Die Frau zu verdächtigen, die die Gelegenheit und in vielen Fällen auch ein Motiv hatte, dem Ehemann Gift zu verabreichen, war dann eine sehr naheliegende Hypothese. Die christliche Konzeption der Ehe verschlechterte die Lage der Ehefrau. Sie hatte ihrem Manne untertan zu sein, und eine Ehescheidung, die es auch der Ehefrau während der späten Republik und frühen Kaiserzeit ermöglicht hatte, sich von ihrem (ungeliebten) Ehemann zu trennen, war verpönt. In der frühen Kaiserzeit war die Drohung mit der Scheidung (die auch die Rückerstattung der Mitgift zur Folge gehabt hätte) in den Händen der Ehefrau bzw. ihrer Familie ein sehr starkes Druckmittel gewesen. In der Spätantike waren nun nicht einmal mehr Schläge des Ehemannes als Scheidungsgrund akzeptiert; die Ehefrau mußte, wollte sie sich von ihrem Mann trennen, ihm nachweisen, daß er ihr nach dem Leben getrachtet habe. Der Umstand, daß die Ehefrauen oftmals noch als Kinder oder Jugendliche in die Ehe eintraten und in der Regel um einige Jahre jünger als der Gatte waren, vergrößerte ihre Schutzlosigkeit. Nachdem Justinian Ehescheidungen auch in beiderseitigem Einvernehmen der Ehepartner untersagt hatte, kehrte sein Nachfolger Justin zu einer liberaleren Regelung zurück: Manche Ehen seien so heillos zerrüttet, daß sie auch nicht durch an die Ehepartner gerichtete Ermahnungen wieder geheilt werden könnten; ja es sei so weit gekommen, daß sich die Ehepartner wechselseitig, vor allem mit Gift, nachstellten. Die restriktivere Scheidungsgesetzgebung kann somit zu einer Zunahme der Gewalt in der Ehe geführt haben. Die weitreichenden Befugnisse, die mit der patria potestas verbunden waren, die Tatsache zumal, daß sie in aller Regel bis zum Tod des Vaters währte, führten vielfach zu Konflikten zwischen Vater und Sohn. In manchen Punkten schwächte 126
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Cod. Iust. 9, 16, 8 [9]) (385 n. Chr.); Nov. Maior. 5 (458 n. Chr.). Vgl. auch noch Joh. Chrys., In illud, Propter fornicationes uxorem ..., hom. 1, 2f. (PG 51, 210/3) (Anspielung auf Gattenmord?). Konstantin erkannte im Jahr 331 nur mehr wenige Scheidungsgründe an; der Mann konnte sich von seiner Frau nur trennen, wenn diese Ehebrecherin, Giftmischerin oder Kupplerin war: Cod. Theod. 3, 16, 1 (331 n. Chr.). 126 Cod. Theod. 3, 16, 1 (331 n. Chr.); 3, 16, 2 (421 n. Chr.); Cod. Iust. 5, 17, 8, 2f. (449 n. Chr.); Nov. Iust. 117, 8f. (542 n. Chr.). 127 Nov. Iustini 140 (566 n. Chr.). 128 Shaw 1987, 21ff.; Firm., Math. 3, 6, 20; 5, 3, 8; 6, 32, 38; 7, 10; Bas., Hom. in Gordium martyrem 2 (PG 31, 493/6); Bas., Hex. 9, 4, 197 A (Giet 498); Greg. Nyss., Vita Greg. Thaum. (PG 46, 945); Lib., Or. 38, 13ff.; Jul., Epist. 199 (70) (Bidez 228) (der Brief ist von zweifelhafter Authentizität); Ambr., Hex. 6, 4, 22 (CSEL 32, 1, 218); Epist. 35 (= Migne 83) (CSEL 82, 1, 238/41); Epist. extra coll. 14 (= Migne 63), 98 (CSEL 82, 3, 288f.); Aug., Un. eccl. 20, 53 (CSEL 52, 301); In psalm. 134, 12 (CCL 40, 1946f.); Joh. Chrys., De inani gloria 71 (Malingrey 172/4); Ad pop. Antioch. 7, 3 (PG 49, 94); Daemones non gubernare mundum hom. 1, 5 (PG 49, 252); In gen. hom. 18, 1 (PG 53,
2. Gewalt
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sich die patria potestas zwar ab. Ein großer Teil der Kinder wurde bereits vor dem Tod des Vaters aus ihr entlassen, „emanzipiert“. Der Vater hatte nicht mehr das Recht, seine Kinder ungestraft zu töten. Gleichwohl blieben die Familienstrukturen autoritär. Konflikte, vor allem über Geldfragen, waren weiterhin angelegt. Es war oftmals lediglich die Hoffnung auf die Erbschaft, die den Sohn dem Vater Gehorsam erweisen ließ; die Übergabe des Vermögens an die nachfolgende Generation ist in bäuerlichen Gesellschaften immer ein großes Problem. Die Familienstrukturen hatten große Ungleichheiten zur Folge: Der Sohn eines langlebigen Vaters unterstand unter Umständen noch bis ins Erwachsenenalter hinein dessen potestas und war nicht voll geschäftsfähig, während es andere, viel jüngere Männer gab, die dank des frühen Todes des Vaters schon Familienoberhaupt waren. Zu Lebzeiten kontrollierte der Familienvater die ökonomischen Aktivitäten des Haussohnes: er konnte ihm ein peculium gewähren, aber auch entziehen. Von manchen Jugendlichen wurde die väterliche Autorität als große Belastung empfunden. Sie mußten oftmals eine lange Phase der Unselbständigkeit durchmachen, bis sie ihren eigenen Haushalt begründen konnten. Die Söhne leisteten Widerstand. Sie beleidigten ihre Eltern. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 367 konnten Kinder, die sich ihren Eltern widersetzten und sie schmähten oder ihnen ein anderes schweres Unrecht zufügten, mit der Rückgängigmachung der Emanzipation bestraft werden. Manchmal eskalierten die Streitigkeiten, und es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen. Manche Söhne sehnten den Tod des Vaters herbei, um endlich von der väterlichen Bevormundung frei zu 129
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149); De Davide et Saule 3, 1 (PG 54, 695); In psalm. 3 (PG 55, 36); 8, 8 (ibid. 118); Contra theatra sermo (spur.) 1 (PG 56, 541); In Matth. hom. 11, 8 (PG 57, 201f.); In epist. ad Rom. hom. 18, 6 (PG 60, 580); In epist. I ad Cor. hom. 41, 5 (PG 61, 362); In epist. II ad Cor. hom. 10, 4 (PG 61, 472); Ecloga de non contemn. Ecclesia Dei, hom. 9 (PG 63, 628f.); Sidon., Epist. 7, 2, 3ff.; P. Oxy. XII 1477 (Ende 3. / Anfang 4. Jh.), Z. 6. 129 Cod. Theod. 8, 18, 2 (319 n. Chr.). Zur Entwicklung der patria potestas in der Spätantike vgl. A. Arjava, Paternal Power in Late Antiquity, JRS 88, 1998, 147-165; Nathan 2000, 142ff. 130 Zur Entwicklung des ius vitae necisque vgl. W.V. Harris, The Roman Father’s Power of Life and Death, in: R.S. Bagnall - W.V. Harris (Hrsg.), Studies in Roman Law in Memory of A. Arthur Schiller, Leiden 1986, 81-95. Neugeborene Kinder wurden häufig ausgesetzt oder gar getötet. Zumal letzteres sollte nach einem Gesetz der Kaiser Valentinian und Valens als Mord geahndet werden: Cod. Theod. 9, 14, 1 (= Cod. Iust. 9, 16, 7 [8]) (374 n. Chr.). Zur Kindestötung vgl. auch noch Cod. Iust. 8, 51 (52), 2 (374 n. Chr); Lact., Inst. 5, 9, 15 (CSEL 19, 426f.); Firm., Math. 3, 2, 4; 6, 31, 80; 7, 10, 2. Unter Justinian wurde in Konstantinopel ein Jude, der seinen kleinen Sohn hatte töten wollen, weil er an einer christlichen Zeremonie teilgenommen hatte, hingerichtet: Euagr., Hist. eccl. 4, 36 (Bidez – Parmentier 185f.). 131 Aug., Serm. 45, 2 (CCL 41, 517). 132 Joh. Chrys., In Matth. hom. 22 (23), 6 (PG 57, 306); vgl. auch In epist. ad Rom. hom. 18, 6 (PG 60, 580). 133 Cod. Iust. 8, 49 (50), 1 (= Cod. Theod. 8, 14, 1) (367 n. Chr.). 134 Lib., Or. 41, 6; Joh. Chrys., De mansuetudine sermo (PG 63, 552).
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Häusliche Gewalt
werden. Hier lag wohl auch das häufigste Tatmotiv für den Vatermord. Konstantin erneuerte für die Ermordung der Eltern die Strafe der Säckung. Justinian erließ das Verbot für Vater und Mutter, ihre Kinder im Testament zu übergehen oder sie zu enterben, es sei denn, es läge einer der im Gesetz aufgelisteten Gründe hierfür vor, u.a. wenn jemand Hand an seine Eltern gelegt, wenn er sie schwer beleidigt oder ihrem Leben mit Gift oder auf eine andere Art und Weise nachgestellt hat. Die Hinweise auf tatsächlich begangenen oder versuchten Vatermord lassen keinerlei Rückschlüsse auf dessen Häufigkeit zu. Deutlich wird jedoch, wie spannungsgeladen die Beziehungen zwischen Vater und Sohn waren. Mögen auch die wenigsten Söhne soweit gegangen sein, ihren Vater zu ermorden, so kann es keinen Zweifel geben, daß viele unter ihnen den Tod des Vaters als eine Befreiung empfanden. Erheblich geringer war das Konfliktpotential zwischen Mutter und Sohn; gewalttätige Auseinandersetzungen blieben selten. Die Mutter war spätestens seit dem SC Tertullianum aus hadrianischer Zeit zur Intestaterbfolge ihrer Kinder berufen. Konstantin billigt ihr daher auch, wenn sie im Testament ihres Sohnes übergangen worden war, das Recht zu, dieses anzufechten. Stellt sich freilich heraus, daß sie sich gegenüber ihrem Sohn unehrenhaft verhalten, ihm im Verborgenen oder offen nachgestellt oder sich mit seinen Feinden in Freundschaft verbunden hat, so bleibt das Testament gültig. Auf der anderen Seite bestätigt Diokletian einer Mutter, sie könne gegen ihren Sohn, der ihrem Leben nachgestellt habe, beim zuständigen Provinzstatthalter Klage erheben, wenn sie denn nicht die angeborene Mutterliebe von diesem Vorhaben abhalte. Es wird weiter unten noch ausführlich darauf einzugehen sein, daß keineswegs jede Straftat vor die staatlichen Gerichte kam; verfügten wir über entsprechende Statistiken, so würde 135
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Krause 1994/5, 3, 209ff.; Firm., Math. 6, 22, 11; Lib, Or. 38, 13ff.; Aster. Amas., Hom. 3, 11, 2ff. (Datema 34); Eus. Emes. 15, 6 (Buytaert 1, 348f.); Ambr., In psalm. 37, 21, 1 (CSEL 64, 152); Joh. Chrys., Oppugn. 2, 9 (PG 47, 344f.); In psalm. 127, 1 (PG 55, 366); In psalm. 48 (PG 55, 505); In Matth. hom. 28 (29), 5 (PG 57, 357); Sacerd. 3, 10 (Malingrey 186); Zeno 1, 5, 2, 6 (CCL 22, 39); Hier., Adv. Iovin. 1, 47 (PL 23, 290); In Is. 16, 58, 14 (CCL 73 A, 676ff.); Val. Cem., Hom. 2, 1 (PL 52, 696f.). 136 Pelag., Div. 17, 3 (PLS 1, 1406f.); Zeno. 1, 14, 4, 7 (CCL 22, 58); Val. Cem., Hom. 20, 5 (PL 52, 753f.). 137 Cod. Iust. 9, 17, 1 (= Cod. Theod. 9, 15, 1) (318/9 n. Chr.). Vgl. auch Inst. Iust. 4, 18, 6. 138 Nov. Iust. 115, 3 (542 n. Chr.). Analoge Auflistung der Gründe, aus denen Kinder ihre Eltern im Testament übergehen durften: Nov. Iust. 115, 4 (542 n. Chr.). 139 Cassiod., Var. 2, 14, 5 (CCL 96, 66). 140 Krause 1994/5, 3, 220ff.; Firm., Math. 6, 9, 15; 7, 10, 2; Bas. Anc., Virg. 23 (PG 30, 717); Auson. 4 (Comm. prof. Burdig.), 18, 1f.; Aug., Epist. 34 (CSEL 34, 2, 23ff.); Joh. Mosch., Prat. spir. 76 (PG 87, 3, 2928f.). 141 Krause 1994/5, 2, 115. 142 Cod. Iust. 3, 28, 28 (= Cod. Theod. 2, 19, 2) (321 n. Chr.).
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evident werden, daß dies in besonderem Maße für innerhalb der Familie begangene Straftaten (Diebstahl, Gewalttaten, Mord und Totschlag) gilt. Prudentius hält für eines der verabscheuungswürdigsten Vergehen, dessen man sich schuldig machen könne, mit Zaubermitteln den Tod der Mutter herbeiführen zu wollen, um an ihr Erbe zu gelangen. Dieses Motiv findet sich sonst vor allem auf den Vater bezogen: Der Sohn hofft auf den baldigen Tod des Vaters, um über dessen Vermögen verfügen zu können. Nicht selten nannten aber auch Frauen große Vermögen ihr eigen, und die Vererbung erfolgte meist in direkter Linie. So dürfte Prudentius auf eine tatsächlich bestehende Problematik hingewiesen haben, die exakter zu quantifizieren aber nicht möglich ist. Wir werden nie wissen, wie viele Kinder dem Leben von Vater oder Mutter nachstellten, um deren Erbe antreten zu können. Nicht abwegig ist aber die Hypothese, daß ein großer Anteil der in der Spätantike geplanten oder verübten Morde einen familiären Kontext hatte. Haß und Feindseligkeit unter Brüdern werden in den Quellen wiederholt angesprochen. In bäuerlichen Gesellschaften wie der römischen war die Aufteilung des elterlichen Vermögens unter die Kinder immer eine heikle Angelegenheit, welche zu Streit und Zank führen konnte. Die Kirchenväter ermahnen die Eltern, alle Kinder in gleicher Weise zu berücksichtigen; ein Erstgeborenenrecht wird von ihnen entschieden abgelehnt. Wurde ein Bruder bevorzugt, so kam es zu oftmals bitteren Auseinandersetzungen und, wenn wir Ambrosius Glauben schenken dürfen, auch zum Brudermord. Vermögen wurde in erster Linie im Erbgang vermittelt, der Vater hatte nach römischem Erbrecht die Möglichkeit, einzelne Kinder zu begünstigen, was dem emotionalen Klima unter den Kindern sicher nicht zuträglich war. Aber auch wenn das Vermögen, wie es die christlichen Autoren wünschten, zu gleichen Teilen an die Kinder ging, war eine gerechte Aufteilung doch sehr oft mit großen Schwierigkeiten verbunden. Verwunderlich ist daher nicht so sehr, daß es zu Auseinandersetzungen unter Geschwistern kam, 143
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Cod. Iust. 9, 1, 14 (294 n. Chr.). Prud., C. Symm. 2, 172ff. 145 Firm., Math. 4, 19, 8; 5, 1, 9; 6, 16, 6; 6, 22, 7; 7, 23, 13; Bas., Hom. in Gordium martyrem 2 (PG 31, 493/6); Lib., Or. 42, 11ff.; Joh. Chrys., De Bernice et Prosdoce 4 (PG 50, 634f.);Val. Cem., Hom. 2, 1 (PL 52, 696f.); Callinic., Vita Hypat. 12, 4ff. (Bartelink 116/8). Vgl. auch Cod. Iust. 9, 1, 13 (294 n. Chr.); 9, 1, 18 (304 n. Chr.). Im ostgotischen Italien wurde ein Mann, der seinen Bruder getötet hatte, zur Verbannung verurteilt. Es hatte sich augenscheinlich um einen Totschlag gehandelt, der Täter wird als percussor, nicht peremptor bezeichnet. Trotzdem ist die Milde der Strafe bemerkenswert. Zwar wird die Tat als parricidium bezeichnet, aber von der Todesstrafe ist nicht die Rede: Cassiod., Var. 1, 18, 4 (CCL 96, 28). 146 Greg. Nyss., Vita Greg. Thaum. (PG 46, 925/8). 147 Bas., Hex. 8, 6 (Giet 460); Greg. Naz., Or. 22, 3 (Mossay - Lafontaine 224); Ambr., Hex. 5, 18, 58 (CSEL 32, 1, 184f.); Iac. 2, 2, 5 (CSEL 32, 2, 34); Ios. 2, 5f. (CSEL 32, 2, 74f.). 148 Ambr., Noe 26, 95 (CSEL 32, 1, 481); Iac. 2, 2, 5 (CSEL 32, 2, 34); vgl. auch Aug., Serm. 359, 2 (PL 39, 1591). 144
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als vielmehr, daß die Zahl der mit Gewalt ausgetragenen Streitigkeiten vergleichsweise gering blieb. Erbstreitigkeiten sind in großer Zahl in den Papyri und den juristischen wie literarischen Quellen bezeugt, aber sie wurden zumeist auf gerichtlichem Wege, nicht mit Waffengewalt ausgetragen. Die Kernfamilie war in Rom, allein schon aus demographischen Gründen, die dominierende Familienform. Sicher sind auch aufwärts (durch die Großeltern) bzw. seitwärts (durch volljährige Geschwister) erweiterte Familien bezeugt; sie blieben aber in der Minderzahl. Wie die Bindungen zu Eltern, Kindern, Geschwistern besonders eng waren, so war die Wahrscheinlichkeit hier auch am größten, daß Konflikte sich in Gewalt entluden. Außerhalb des engen Zirkels von Personen, die die Kernfamilie konstituierten (Ehemann, Ehefrau, Kinder), sind nur vereinzelt gewalttätige Auseinandersetzungen unter Verwandten bezeugt. Fassen wir zusammen: Innerhalb der Haushaltsfamilie ist vielfache Gewalt bezeugt (deren Opfer zumeist die Frauen und die Kinder waren). Sie wurde kaum je vor Gericht gebracht: Eine Ehefrau, die mißhandelt worden war, hatte kaum die Möglichkeit, ihren Mann anzuklagen. Allenfalls mochte sie die Ehe auflösen. Aber auch dies wurde mit einer restriktiveren Scheidungsgesetzgebung erschwert; die Mißhandlung durch den Ehemann wurde nur noch unter Vorbehalt als legitimer Scheidungsgrund anerkannt. Außerhalb des Kreises der Personen, die den Haushalt konstituierten, spielte Gewalt unter Verwandten demgegenüber keine nennenswerte Rolle, was nicht verwundert, da hier auch weniger Interessenskonflikte bestanden. Entwickelten sich solche dennoch, so wurden zumeist die Gerichte eingeschaltet. Der gesellschaftliche Verkehr mit Nachbarn oder Freunden war sehr viel intensiver als mit entfernten Verwandten. Diese Personen, auf die man im Alltag angewiesen war, waren es aber auch, mit denen es am ehesten zu Konflikten und zu mit Gewalt ausgetragenen Auseinandersetzungen kam. Es lassen sich keine Statistiken erstellen, aber ein großer Teil der Gewalt dürfte sich innerhalb der (Kern)familie zugetragen haben. Dies entspricht dem Befund besser dokumentierter Gesellschaften in Mittelalter und früher Neuzeit. Für das 149
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Cod. Iust. 3, 29, 5 (286 n. Chr.); 3, 29, 6 (286 n. Chr.); 3, 29, 7 (286 n. Chr.); 3, 29, 8 (294 n. Chr.); Aster. Amas., Hom. 3, 8, 2 (Datema 32); Ambr., Epist. 24 (Migne 82), 2ff. (CSEL 82, 1, 171ff.); Greg. Naz., Epist. 160 (Gallay 2, 50); Joh. Chrys., In illud Isaiae, Ego Dominus Deus feci lumen 2 (PG 56, 145); Symm., Rel. 16; 19; 41; Aug., Serm. 356, 11 (PL 39, 1578f.); Sidon., Epist. 3, 5, 2; 6, 2; 6, 3; Gelas., Epist. 40 (Thiel 453f.); P. Antin. I 35 (Ende 3. Jh. n. Chr.), Kol. II; P. Abinn. 56 (= P. Lond. II 406, p. 280 = Mitteis, Chr. 128) (1. Hälfte des 4. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 63 (= Mitteis, Chr. 96 = P. Bour. 20) (350 n. Chr.); P. Lips. 33 (= Mitteis, Chr. 55 = Meyer, Jur. Pap. 88 = FIRA III 175) (368 n. Chr.); P. Lond. V 1708, p. 114ff. (567 n. Chr.?). 150 P. Amh. II 141 (350 n. Chr.); SB IV 7449 (2. Hälfte 5. Jh. n. Chr.); SB VI 9239 (= P. Lond. Inv. 2231) (548 n. Chr.); Optat. 1, 13 (CSEL 26, 15f.); Aug., Coll. c. Don. 3, 15, 27 (CSEL 53, 76f.); Hier., Epist. 54, 15; Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 31 (63f. Gelzer) (Festugière 382); Krause 1994/5, 2, 9f.; 3, 246f. In einzelnen Fällen führten auch hier Erbstreitigkeiten zur Gewalt: P. Cair. Isidor. 63 (nach November 296 n. Chr.).
2. Gewalt
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frühneuzeitliche England konstatiert Cockburn ein starkes Gewicht von „häuslicher“ Gewalt. Mindestens 13% der Morddelikte betreffen die Tötung eines Familienangehörigen; werden die Hausdiener mitgerechnet, ergibt sich gar ein Wert von 18%. Stark vertreten ist vor allem der Gattenmord: 3/4 der Opfer waren Frauen. Die Ehemänner bevorzugten direkte, brutale Gewalt, während den Frauen geplanter Mord nachgesagt wurde (Giftmord). Viele dieser Gewalttaten entsprangen dem Wunsch, eine außereheliche Beziehung zu legalisieren, bzw. aus der Entdeckung einer solchen Beziehung. Ähnliche Motive werden auch in den spätantiken Quellen genannt. Die Äußerungen der Prediger, daß Frauen ihren Männern mit Gift nachstellten, um ein ehebrecherisches Verhältnis legalisieren zu können, sollten nicht leichthin als Topos abgetan werden. Der Vergleich mit besser (auch durch Gerichtsakten) dokumentierten Gesellschaften legt die Vermutung nahe, daß hier ein tatsächlich vorhandenes Problem angesprochen wird. 151
Sexuelle Gewalt In der Spätantike mehren sich die Gesetze zum Themenkomplex Frauenraub und Vergewaltigung. Mit drakonischen Strafen für alle am Raub einer Jungfrau Beteiligten droht insbesondere ein Gesetz Konstantins aus dem Jahr 320. Die Frauenräuber selbst sind sofort vom Provinzstatthalter abzuurteilen. Über die Art der Strafe enthält das Gesetz keine Angaben (in Anbetracht von Cod. Theod. 9, 24, 2 ist sicher mit der Todesstrafe zu rechnen). Die Jungfrauen, die ihre Zustimmung gegeben hätten, seien mit der gleichen Strenge wie die Räuber selbst zu bestrafen; selbst wenn sie gegen ihren Willen entführt worden seien, sollten sie von der väterlichen Erbschaft ausgeschlossen werden, da sie sich ja hätten wehren und durch Schreie bemerkbar machen und die Hilfe der Nachbarn herbeirufen können. Selbst die Eltern seien zur Deportation zu verurteilen, wenn sie das Verbrechen nicht hätten ahnden wollen. Mittäter seien ohne Rücksicht auf das Geschlecht ebenso zu bestrafen wie der Räuber selbst, Sklaven zu verbrennen. Dagegen sollen Sklaven, die das Verbrechen angezeigt haben, mit dem latinischen Bürgerrecht 152
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Cockburn 1977, 57. Vgl. ferner Castan 1971, 105; Given 1977, 55ff.; Brackett 1992, 108f. 152 Vgl. den titulus Cod. Theod. 9, 24: De raptu virginum vel viduarum. Vgl. weiterhin Cod. Theod. 9, 1, 1 (= Cod. Iust. 3, 24, 1) (316/7 n. Chr.); 9, 25, 1-3 (354; 364; 420 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 38, 6 (381 n. Chr.); Cod. Iust. 1, 4, 3, 2 (385 n. Chr.?); Nov. Maior. 6, 4 (458 n. Chr.); Cod. Iust. 1, 3, 53 (54), 3f. (533 n. Chr.); 9, 13, 1 (533 n. Chr.); Nov. Iust. 6, 6 (535 n. Chr.); 123, 43 (546 n. Chr.); 143 (563 n. Chr.). Zur spätantiken FrauenraubGesetzgebung vgl. Grodzynski 1984a; Desanti 1987a; 1987b; Evans-Grubbs 1989; Krause 1994/5, 3, 201ff.; Schipp 2008, 170ff. Weitere Hinweise auf Frauenraub: Lib., Epist. 1168, 1169, 1204; 1237f.; 1249 (XI 255ff.; 287f.; 318f.; 326); vgl. O. Seeck, Die Briefe des Libanius, Leipzig 1906, 121f.; Gelas., Frg. 47 (Thiel 508); Greg. M., Epist. 3, 40 (CCL 140, 185); 3, 42 (ibid. 187).
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Sexuelle Gewalt
belohnt werden. Das Gesetz richtet sich nicht so sehr gegen Vergewaltigungen, als vielmehr gegen den Frauenraub mit dem Ziel einer anschließenden Eheschließung. Im römischen Eherecht galt der Grundsatz, daß der consensus nicht nur der künftigen Ehepartner, sondern auch des Vaters der Braut sowie des Vaters des Bräutigams (wenn sich dieser noch in der väterlichen Gewalt befand) vorliegen mußte. Es kam vor, daß eine Zustimmung des Vaters des jungen Mädchens durch deren Entführung erzwungen wurde. Diese Praxis wird vielfach von den Rhetoren erwähnt, sie dürfte, wie Vergleichsmaterial aus modernen Mittelmeergesellschaften nahelegt, tatsächlich geübt worden sein. Konstantin unterstellt bei den geraubten Mädchen ein insgeheimes Einverständnis; so erklärt sich die Tatsache, daß auch das Opfer des Raubes, was auf den ersten Blick verwundern könnte, bestraft werden soll. Auch im modernen Mittelmeerraum erfolgt der Raub vielfach mit dem Einverständnis des jungen Mädchens. Constantius milderte die Strafen, da deren Strenge einer Verfolgung des Vergehens hinderlich gewesen sei, behielt aber die Todesstrafe für die Hauptübeltäter bei. Daß die Eheschließung, nicht die Vergewaltigung der eigentliche Zweck der Entführung war, zeigt auch ein Gesetz aus dem Jahr 374, in dem eine Frist von 5 Jahren für die Anzeige eines Raubes gesetzt wird; nach deren Ablauf ist die Ehe rechtmäßig. Die Anklageerhebung wird hier ausdrücklich nicht nur nahen Familienangehörigen, sondern auch Dritten eingeräumt – dies ein Hinweis darauf, daß die unmittelbar Betroffenen (d.h. das geraubte Mädchen sowie deren Eltern) vielfach gar kein Interesse daran hatten, den Raub anzuzeigen, sondern sich vielmehr mit dem Fait accompli der Eheschließung abzufinden bereit waren. Weitere Gesetze dienen speziell dem Schutz gottgeweihter Jungfrauen und Witwen. Deren Raub soll ebenfalls mit dem Tod geahndet werden. Selbst wenn sich jemand nur um die Ehe mit einer gottgeweihten Jungfrau bemühte, sei er mit dem Einzug des Vermögens sowie der Deportation zu bestrafen. Justinian faßt die Gesetzgebung noch einam zusammen: Er droht den raptores gottgeweihter Jungfrauen oder Witwen mit der Todesstrafe. Ihre Güter sind zu konfiszieren: sie fallen an das Kloster bzw. die Kirche, an der die Vergewaltigte als Diakonisse diente. 153
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Cod. Theod. 9, 24, 1 (320 n. Chr.); vgl. auch Cod. Iust. 7, 13, 3. Vgl. hierzu neben EvansGrubbs 1989 und Grodzynski 1984a auch noch L. Desanti, Costantino, il ratto e il martrimonio riparatore, SDHI 52, 1986, 195-217. Desanti sieht vollkommen zu Recht den Hauptzweck des Gesetzes in dem Verbot des „matrimonio riparatore“, der vorher bei Einwilligung des geraubten Mädchens durchaus möglich und üblich gewesen sei. 154 Evans-Grubbs 1989, 61ff. 155 Evans-Grubbs 1989, 62; 64f. 156 Cod. Theod. 9, 24, 2 (349 n. Chr.). 157 Cod. Theod. 9, 24, 3 (374 n. Chr.). 158 Cod. Theod. 9, 25, 1 (354 n. Chr.); 9, 25, 2 (= Cod. Iust. 1, 3, 5) (364 n. Chr.); 9, 25, 3 (420 n. Chr.); Nov. Maior. 6, 4 (458 n. Chr.); Desanti 1987b. 159 Cod. Iust. 1, 3, 53 (54), 3f. (533 n. Chr.); Nov. Iust. 6, 6 (535 n. Chr.); 123, 43; Desanti 1987b, 285ff.
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Dieselben Strafen gelten für die raptores anderer virgines und viduae (die Entführung sollte sicherlich eine Eheschließung anbahnen); das Vermögen des Verbrechers fällt an die Geraubte und dient ihr als Mitgift; offenbar sollen durch diese Maßnahme ihre Heiratschancen trotz Verlustes der Jungfräulichkeit verbessert werden. Es war erlaubt, den Entführer, der auf frischer Tat ertappt wurde, zu töten; das Recht auf Selbstjustiz wird ausdrücklich auch dem Vormund oder Curator zugebilligt. Entsprechend dem Gesetz Konstantins, auf das Justinian sich ausdrücklich bezieht, sollen die Eltern des Mädchens, die das Verbrechen geduldet haben, mit der Deportation bestraft werden. Mitwisser und Helfer sind mit dem Tod zu bestrafen, Sklaven zu verbrennen. Wenn es dem Entführer gelungen sein sollte zu fliehen, so sollen die Amtsträger alle Anstrengungen entfalten, nach ihm zu fahnden und ihn abzuurteilen. In keinem Fall darf das geraubte Mädchen ihren raptor heiraten. Sie soll, sei es nun eine Jungfrau oder Witwe, den zum Mann nehmen, den ihr ihre Eltern bestimmen. Im Gegensatz zu Konstantin sieht Justinian allerdings von Strafandrohungen für das geraubte Mädchen ab. Die Möglichkeit, daß die Frauen ihre Zustimmung zur Entführung gegeben haben könnten, wird jedoch auch von ihm eingeräumt. Den Eltern, die mit dem Entführer zu einer Einigung kommen wollen, droht die Verbannung. Dem Prinzip der Strafverfolgung wird also Priorität eingeräumt; für eine außergerichtliche Einigung zwischen Entführer und Familie der Entführten wird kein Spielraum gelassen. Die Entführung junger Mädchen (in aller Regel zum Zweck späterer Eheschließung) wird auch in den literarischen Quellen sowie den Papyri erwähnt. Basilius ermahnt etwa einen Kleriker, dafür zu sorgen, daß ein geraubtes Mädchen zu seinen Eltern zurückkomme. Der Entführer sei zu exkommunizieren, desgleichen seien seine Helfershelfer mit dreijährigem Ausschluß vom Gebet zu bestrafen. Die Kirche begnügte sich mit der Verhängung von Kirchenbußen; es ist keineswegs ausgemacht, daß die in der weltlichen Gesetzgebung vorgesehenen Strafen auch vollstreckt wurden, daß die Täter überhaupt vor Gericht kamen. Der Frauenraub wurde wiederholt Gegenstand der kirchlichen Gesetzgebung, ein Indiz dafür, daß die Zeitgenossen hier Handlungsbedarf sahen. Nicht immer läßt sich entscheiden, ob sich ein Kanon auf christliche oder nicht-geweihte Jungfrauen bzw. Witwen 160
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Cod. Iust. 9, 13, 1 (533 n. Chr.); vgl. hierzu Desanti 1987a, 187ff. Zum raptus mulierum vgl. noch Nov. Iust. 143 (563 n. Chr.). 161 P. Oxy. L 3581 (4./5. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1837 (Anfang 6. Jh. n. Chr.); P. Cair. Masp. I 67005 (6. Jh. n. Chr.), Z. 14ff. Schwierig war insbesondere die Lage für Waisenmädchen: Der Schutz eines nahen männlichen Verwandten galt für die Bewahrung der sexuellen Unversehrtheit junger Mädchen als erforderlich; dieser Schutz ging Waisenmädchen häufig ab: Greg. Nyss., Vita Macr. 2 (Maraval 144); Aug., Epist. 254 (CSEL 57, 601); 255 (ibid. 602f.); Collect. Hispana (Conc. Milevitanum), C. 26 (CCL 149, 369) (402 n. Chr.); Reg. eccl. carthag. excerpta 126 (CCL 149, 227). 162 Bas., Epist. 270 (Courtonne 3, 141f.).
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bezieht. Wer eine Frau raubt, um die schon jemand geworben hat, hat sie, so Basilius von Caesarea, diesem auszuhändigen, damit er entscheiden kann, ob er sie behalten will oder nicht. Andernfalls haben die Eltern, Brüder oder sonstige Beschützer des geraubten Mädchens zu entscheiden, ob sie der Entführer als rechtmäßige Frau erhalten soll. Erschwerend kam der Tatbestand der Vergewaltigung bzw. Verführung hinzu: Der Betreffende solle dann die Strafe für Unzucht (porneia), d.h. vierjährige Kirchenbuße, erleiden. Bemerkenswert an diesem Canon ist die Abweichung von der weltlichen Gesetzgebung in einem ganz wichtigen Punkt: Basilius räumt den Eltern oder sonstigen Gewalthabern des geraubten Mädchens die Möglichkeit ein, sie mit dem Entführer in legaler Ehe zu verbinden (sofern das Mädchen nicht schon vorher mit einem anderen Mann verlobt war), eine Möglichkeit, die Konstantin kategorisch ausgeschlossen hatte. Entführungen zum Zweck späterer Eheschließung werden mißbilligt, aber haben sie erst einmal stattgefunden und willigen die Eltern bzw. sonstigen Gewalthaber in die Eheschließung ein, so gilt dies als kleineres Übel. Die Quellen zum Thema „Frauenraub“ lehren also vor allem eines: Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die in der weltlichen Gesetzgebung vorgeschriebenen Strafen auch in jedem einzelnen Fall zur Anwendung kamen. Vergewaltigungen scheinen zu den häufiger verübten Straftaten gezählt zu haben. Firmicus Maternus prophezeit die Vergewaltigung einer Jungfrau; als denkbare Täter werden Verwandte (Vater, Onkel, Stiefvater) oder Fremde (ein Greis oder ein Sklave) genannt. Jemand hatte die Schwester seiner Verlobten vergewaltigt und sie geschwängert; hernach heiratete er seine Braut, die Vergewaltigte erhängte sich. Das Konzil von Ancyra bestraft auch die Mitwisser mit zehnjährigem Ausschluß von der Kommunion. Täter waren häufig nicht gänzlich Fremde, sondern Personen, die mit ihrem Opfer persönlich bekannt waren. Manchmal setzte sich der bzw. die Angegriffene zur Wehr. Augustin diskutiert die Frage, ob es einem Mann oder einer Frau, die vergewaltigt würden, gestattet sei, in Notwehr den Angreifer zu töten, er bejaht diese Frage. Zahlreiche Quellen 163
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Vgl. Krause 1994/5, 2, 238f. Bas., Epist. 199, 22 (Courtonne 2, 158). Vgl. ferner Epist. 199, 25 (ibid. 159); 199, 26 (ibid. 159); 199, 30 (ibid. 160f.); 199, 37 (ibid. 161f.); M. Forlin Patrucco, Aspetti di vita familiare nel IV secolo negli scritti dei padri cappadoci, in: R. Cantalamessa (Hrsg.), Etica sessuale e matrimonio nel cristianesimo delle origini, Milano 1976, 158-179, 177; B. Gain, L’Église de Cappadoce au IVe siècle d’après la correspondance de Basile de Césarée (330-379), Orientalia Christiana Analecta 225, Roma 1985, 235. 165 Cod. Iust. 9, 12, 3 (293 n. Chr.); Firm., Math. 6, 30, 10; Vita Thecl. 15 (Dagron 228/32); Joh. Mosch., Prat. spir. 39 (PG 87, 3, 2889/92); 205 (ibid. 3096f.). 166 Firm., Math. 6, 29, 23f. 167 Conc. Anc. (314 n. Chr.), C. 25 (Joannou 1, 2, 73). Ebenso: Apophtegmata patrum 3, 49 (Guy, Sources Chrétiennes 387, 178) (vergewaltigt wird ein Mädchen von einem in der Nachbarschaft wohnenden Soldaten). 168 Aug., Lib. arb. 1, 11, 33 - 12, 34 (CCL 29, 217).
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2. Gewalt
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zeigen christliche Asketinnen als Opfer von Verführung und Vergewaltigung; sie waren häufig, sofern sie nicht in einem Kloster lebten, auf sich gestellt und entbehrten insbesondere eines männlichen Schutzes. Eine schwanger gewordene christliche Jungfrau führte als Entschuldigung an, sie sei vergewaltigt worden. Ambrosius läßt dies nicht gelten: Sie hätte sich mitten in der Stadt ja doch durch Schreie bemerkbar machen können. Zumindest hätte sie nach den Geschehnissen hiervon ihre Eltern oder die anderen Asketinnen in Kenntnis setzen müssen. Ein Sklave, ein procurator, hatte eine sanctimonialis, die sich auf dem Weg von der Arbeit (sie hatte in einer fremden villa Textilarbeiten verrichtet) in ihr Heim befand, vergewaltigt; der Täter war verheiratet, was nach Augustin die Tat noch schlimmer machte. Gleichwohl bittet er den Herrn, gegen den Übeltäter nicht mit der äußersten Strenge vorzugehen; er solle ihn lediglich seines Postens als procurator entheben. Wie wurde die Vergewaltigung geahndet? Ein Unruhestifter, der aus Rom nach Picenum verbannt worden war, ruinierte hier die Ehre eines jungen Mädchens und wurde durch das Urteil des Statthalters Patruinus hingerichtet. Dies war die nach 169
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Greg. Naz., Epist. 206 (Gallay 2, 97/9); Bas., Epist. 289 (Courtonne 3, 159/61); Optat. 4, 4 (CSEL 26, 151f.); Ambr., In psalm. 118 serm. 16, 6 (CSEL 62, 354); Hier., Epist. 22, 13; 22, 17; 22, 25f.; 24, 4; 128, 4; 130, 19; Mir. Thecl. 34 (Dagron 380/4); Greg. M., Dial. 3, 26, 5f. (Vogüé - Antin 368/70); Alc. Avit., Epist. 55 (49) (MGH, AA 6, 2, 83/5). Zahlreiche Kirchenkonzilien, vor allem im gallischen Raum, sehen Strafen für raptores von (kirchlichen) virgines und viduae vor, wobei im Einzelfall unklar ist, ob Raub bzw. Entführung oder vielmehr Vergewaltigung gemeint ist. Eine Ehe von raptor und gottgeweihter Jungfrau bzw. Witwe wird ausdrücklich untersagt. Hat die Frau ihre Zustimmung gegeben, so wird sie gleichfalls mit Exkommunikation bestraft: Conc. Arausicanum (441 n. Chr.), C. 26 (27) (CCL 148, 85); Conc. Arelatense sec. (442/506 n. Chr.), C. 46 (ibid. 123); Conc. Aurelianense (511 n. Chr.), C. 2 (CCL 148A, 5); Conc. Aurelianense (538 n. Chr.), C. 19 (16) (ibid. 121); Conc. Turonense (567 n. Chr.), C. 21 (20) (ibid. 184/8); Conc. Parisiense (556/73 n. Chr.), C. 5f. (ibid. 207f.); Conc. Parisiense (614 n. Chr.), Edictum Clotarii II, C. 18 (ibid. 285); Conc. Latunense (673/75 n. Chr.), C. 13 (CCL 148A, 316); Epitome Hispanica, C. 26 (CCL 149, 315); Conc. Ler. (546 n. Chr.), C. 6 (Vives 57); Conc. Tol. (589 n. Chr.), C. 10 (ibid. 128); Symmachus, Epist. 15, 5 (c. 4) (Thiel 725); 15, 11 (c. 6) (ibid. 727). Viele Jungfrauen und Witwen weihten sich offenkundig deshalb Gott, um auf diese Art und Weise einer gewaltsamen Eheverbindung zu entgehen. Auch diese Frauen durften, so das Konzil von Tours, nach ihrem Gelübde bei Strafe der Exkommunikation nicht heiraten. Denn wenn es ihnen nur um den Schutz gegangen wäre, hätten sie auch ohne Keuschheitsgelübde zur Kirche fliehen und dort um Hilfe nachsuchen können: Conc. Turonense (567 n. Chr.), C. 21 (20) (CCL 148A, 187). Die Belege häufen sich in der Merowingerzeit; hierin ist wohl ein Indiz für eine Zunahme der inneren Unsicherheit zu sehen. 170 Ambr., Laps. virg. 4, 12 (PL 16, 386). 171 Aug., Epist. 14* (CSEL 88, 83); 15*, 3f. (ibid. 85f.). Vergewaltigung durch Sklaven: vgl. auch noch Cod. Iust. 3, 41, 4 (293 n. Chr.); Firm., Math. 6, 29, 23; Proc., Hist. arc. 7, 34. 172 Amm. 15, 7, 4f.
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Mord und Totschlag
der Gesetzeslage allein in Betracht kommende Strafe; sie wurde aber beileibe nicht immer verhängt. Julian bestrafte als Caesar in Gallien einen Vergewaltiger nur mit der Verbannung, nicht mit dem Tod. Die Richter hatten bei der Festlegung des Strafmaßes einen weiten Ermessensspielraum. Wir werden weiter unten sehen, daß eine nach der Gesetzeslage an sich mögliche oder gar gebotene Todesstrafe keineswegs in jedem Fall verhängt wurde. Vor allem aber: Wie nicht jeder Frauenraub, so wurde auch nicht jede Vergewaltigung vor Gericht gebracht. Vielfach zogen die Eltern bzw. andere für das Mädchen Verantwortliche eine außergerichtliche Einigung vor. Eine Abhängige des Sidonius Apollinaris, die Tochter einer Amme, war durch einen Abhängigen des Pudens vergewaltigt worden; Sidonius ist nur unter der Voraussetzung bereit, dem Übeltäter Straffreiheit zuzugestehen, wenn Pudens ihn freiläßt, so daß eine rechtmäßige Ehe zwischen den beiden möglich wird. Der Täter war Kolone (Sidonius verwendet all die einschlägigen Termini: inquilinus, originalis, tributarius, colonus). Es ist nicht recht klar, wie man sich um diese Zeit die Freilassung eines Kolonen vorzustellen hat; eine juristische Grundlage hierfür gab es nicht. Der Vorfall zeigt, daß die überaus strengen Strafen, die die Gesetze für Frauenraub und Vergewaltigung vorsahen, in der Praxis häufig nicht zur Anwendung kamen. Eine Eheschließung zur Wiedergutmachung der Vergewaltigung wurde, wie während der gesamten Antike, einer Strafverfolgung vorgezogen. Häufig wurden kirchliche statt weltlicher Behörden eingeschaltet. Die Tochter eines Diakons war von dem Enkel seines Bischofs vergewaltigt worden. Gregor der Große entscheidet, der Übeltäter sei entweder zur Heirat mit dem geschändeten Mädchen zu veranlassen oder zu züchtigen und in einem Kloster einzusperren. Gregor weist ausdrücklich auf seine Milde hin: Die Gesetze sähen strengere Strafen vor. Die Kirche neigte dazu, den Verlust der Jungfräulichkeit dadurch wiedergutzumachen, daß der Vergewaltiger zur Eheschließung mit der Vergewaltigten genötigt wurde; hiermit trat sie in offenen Gegensatz zur weltlichen Gesetzgebung, die eben gerade dies aufs schärfste untersagte. 173
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Mord und Totschlag Es ist unmöglich, präzise Angaben zur Tötungsrate zu machen. Wir können nicht sagen, ob in einer Stadt wie Rom mehr oder weniger Morde begangen wurden als ___________________________ 173 Amm.
16, 5, 12. Im oströmischen Reich wurden Vergewaltiger im 6. Jh. kastriert: Malalas 18, 150 (= Excerpta de insidiis 50, p. 175 de Boor). 174 Sidon., Epist. 5, 19. 175 Greg. M., Epist. 3, 40 (CCL 140, 185); 3, 42 (ibid. 187). 176 Canones Apostolorum 67 (Joannou 1, 2, 42): Jemand, der eine Jungfrau, die ihm nicht verlobt war, vergewaltigt hat, soll exkommuniziert werden; er darf keine andere Frau heiraten, sondern soll das geschändete Mädchen ehelichen.
2. Gewalt
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etwa im frühneuzeitlichen London, auch nicht, wie sich die Tötungsrate über einen längeren Zeitraum entwickelt hat. Möglich ist es dagegen, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob die Zeitgenossen das Gefühl hatten, daß ihr Leben auf den Straßen oder im eigenen Heim gefährdet war. Hilfreich sind hier die Sterndeutungen des Firmicus Maternus; sein Handbuch der Astrologie vermittelt eine Vorstellung von den Sorgen und Ängsten der Römer in konstantinischer Zeit. Firmicus Maternus prophezeit nun zwar häufig einen gewaltsamen Tod, denkt dabei aber augenscheinlich nicht in erster Linie an Morde, sondern eher an Hinrichtungen. Häufig wird der „gewaltsame Tod“ im Zusammenhang mit staatlichen Strafmaßnahmen (Verbannung u.a.) genannt, was nahelegt, daß die Hinrichtung gemeint ist. Der Befund ist bemerkenswert: Der spätantike Staat hatte in hohem Maße das Monopol auf die Ausübung physischer Gewaltanwendung. Auch bei den Kirchenvätern finden Mord und Gewalttaten nur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Sicher verweisen sie in ihren Predigten hin und wieder auf Morde, aber sehr viel häufiger finden Eigentumsdelikte, v.a. der Diebstahl, Erwähnung. Die meisten Hinweise auf Mord und Totschlag haben einen rein rhetorischen Charakter, ihr Quellenwert ist dementsprechend gering. Ambrosius beklagt, daß Ehebruch, Mord, Trunkenheit häufiger geworden seien. Ihm standen mit Sicherheit keine verläßlichen Zahlen zur Verfügung. Insbesondere gibt die Nennung von Mordtaten neben dem Ehebruch Anlaß zum Argwohn. Wir haben keinen Grund zur Annahme, daß der Ehebruch häufiger geworden sei; allenfalls nahmen die Ängste hiervor zu. Untersuchungen zur frühen Neuzeit haben deutlich 177
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Biothanatus: Firm., Math. 3, 2, 2; 3, 2, 17; 3, 3, 12; 3, 3, 22; 3, 4, 17; 3, 4, 18; 3, 4, 23; 3, 4, 24; 3, 4, 35; 3, 4, 37; 3, 5, 4; 3, 5, 5; 3, 5, 6; 3, 5, 8; 3, 5, 10; 3, 5, 32; 3, 5, 36; 3, 7, 21; 3, 8, 7; 3, 10, 14; 4, 4, 3; 4, 5, 5; 4, 10, 11; 4, 11, 1; 4, 11, 7; 4, 12, 9; 4, 12, 10; 4, 13, 6; 4, 14, 4; 4, 14, 7; 4, 14, 8; 4, 16, 10; 4, 19, 16; 6, 32, 13; 6, 32, 17; 7, 8, 7; 7, 25, 24: 8, 29, 13. Violenta mors: 4, 10, 2; 4, 14, 12; 4, 19, 13; 4, 24, 2; 5, 1, 10. Tod durch das Schwert: 3, 4, 20; 6, 24, 10; 6, 31, 60; 6, 31, 61; 6, 31, 63. 178 Lact., Inst. 7, 22, 11 (CSEL 19, 654); Bas., Hom. in divites 1 (PG 31, 280f.); Ambr., Hex. 6, 8, 48 (CSEL 32, 1, 238/40); Noe 27, 102 (CSEL 32, 1, 483f.); Aug., In psalm. 31, 2, 2 (CCL 38, 225f.); 31, 2, 6 (ibid. 229f.; 57, 1 (CCL 39, 707/9); 75, 16 (ibid. 1048/50); 80, 19 (ibid. 1131); 91, 7 (ibid. 1283f.); 93, 1 (ibid. 1300f.); 122, 12 (CCL 40, 1824); 129, 5 (ibid. 1893); 140, 18 (ibid. 2038f.); 149, 2 (ibid. 2178f.); Serm. 9, 18 (CCL 41, 142f.); 16 B, 3 (ibid. 232f.); 22 A, 5 (ibid. 305). 32, 24 (ibid. 409); 56, 8, 12 (PL 38, 382f.); 99, 6, 6 (ibid. 598); 169, 6, 8 (ibid. 919f.); 180, 8, 9 (ibid. 977); 315, 6, 9 (ibid. 1430f.); 388 (dub.), 2 (PL 39, 1700f.); Serm. Lambot 1 (PLS 2, 747f.); Serm. Wilmart 2, 5 (Morin 677f.); Serm. Dolbeau 11, 13 (Dolbeau 66); 15, 6 (ibid. 200); 19, 11 (ibid. 163f.); De serm. dom. 1, 11, 31 (CCL 35, 32f.); In evang. Ioh. 5, 18 (CCL 36, 51f.); 12, 14 (ibid. 129); 45, 2 (ibid. 389); 88, 4 (ibid. 547f.); Joh. Chrys., In Matth. hom. 58 (59), 5 (PG 58, 573); 79 (80), 5 (ibid. 723f.); Theodoret., Epist. Sirmond. 119 (Azéma 3, 78); 125 (ibid. 94); 139 (138) (ibid. 142); Val. Cem., Hom. 2, 1 (PL 52, 696f.). 179 Ambr., In psalm. 118 serm. 12, 10, 1 (CSEL 62, 257). Nennung von Mord und Ehebruch nebeneinander auch serm. 12, 44, 1 (CSEL 62, 277) (hier auch noch die Bedrückung von Witwen und Waisen erwähnt).
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Mord und Totschlag
werden lassen, mit welcher Vorsicht die (subjektiven) Einschätzungen der Zeitgenossen zu beurteilen sind. Cockburn schätzt die Mordrate in den von ihm untersuchten drei englischen Grafschaften in der zweiten Hälfte des 16. Jh. auf unter zwei auf 10.000, ein sehr geringer Wert. Dieser Befund widerspricht den zeitgenössischen literarischen Quellen, nach denen Mord und Gewalttaten zugenommen hätten. Dies heißt nicht, daß Tötungsdelikte quantitativ überhaupt nicht zu Buche geschlagen hätten. Firmicus Maternus prophezeit, daß ein unter einer bestimmten Sternkonstellation Geborener ein Mörder (homicida) werden wird. Man wird selbst ermordet werden; oder die Mutter wird von diesem Schicksal getroffen. Jemand wird einen gewaltsamen Tod erleiden, entweder wird er von Räubern, Hausangehörigen oder Piraten getötet (mit dem Schwert) oder wird nach dem Urteil eines Richters wegen verschiedener Straftaten überführt hingerichtet werden. Firmicus Maternus hat also zwei Möglichkeiten im Auge: die Ermordung durch Räuber oder durch „Hausangehörige“ (wobei an Sklaven wie Verwandte gedacht ist). Täter und Opfer waren einander vielfach bekannt. Zahlreiche Morde gingen auf das Konto von Verwandten und sonstigen Mitgliedern des Haushaltes. Basilius sieht die Exkommunikation u.a. von Homosexuellen, Mördern, Giftmischern, Ehebrechern vor; wie häufig die Vergehen waren, läßt sich nicht ermitteln. Es wird aber deutlich, welche Straftaten die Kirche für besonders gravierend hielt: Hierzu gehörten gleichermaßen schwere Gewaltverbrechen wie Sexualdelikte. An anderer Stelle präzisiert Basilius. Jemand, der mit Absicht getötet und bereut hat, soll für zwanzig Jahre von der Kommunion ausgeschlossen werden. Es werden eine Reihe von Bußen vorgeschrieben; die Neuaufnahme in die Gemeinde erfolgt schrittweise. Es wird zwischen beabsichtigter und ungewollter Tötung unterschieden; die Kirchenbußen für letztere fallen weniger streng aus. Die Erörterungen des Basilius zeigen, daß bei weitem nicht jedes Tötungsdelikt vor die weltlichen Gerichte gebracht wurde. Eine Kirchenbuße von 20 Jahren für einen 180
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Cockburn 1977, 55f.;vgl. auch Emsley 1987, 36ff. Firm., Math. 3, 4, 17; 3, 4, 21; 3, 13, 6; 4, 24, 8; 5, 2, 8; 6, 31, 58; 6, 31, 72; 7, 23, 13; 7, 25, 24; 8, 29, 13. 182 Firm., Math. 7, 8, 5. 183 Firm., Math. 3, 4, 37; 6, 31, 18. 184 Firm., Math. 3, 4, 23. 185 Firm., Math. 8, 29, 13: Mörder werden sowohl eigene Familienangehörige wie auch Fremde mit „grausamer, gräßlicher Gewalt“ töten, dafür aber selbst eines gewaltsamen Todes sterben (= hingerichtet werden?) und ohne Bestattung bleiben. 186 Bas., Epist. 188, 7 (Courtonne 2, 126). 187 Bas., Epist. 217, 56 (Courtonne 2, 210f.). 188 Bas., Epist. 217, 57 (Courtonne 2, 211): Jemand, der ohne Absicht getötet hat, soll für zehn Jahre von der Kommunion ausgeschlossen werden. 188, 11 (ibid. 130): Jemand, der wegen einer unfreiwilligen Tötung elf Jahre lang von der Kirche ausgeschlossen war, hat genug gebüßt. Zur unbeabsichtigten Tötung vgl. auch noch Epist. 188, 8 (ibid. 126/8) und 217, 54 (ibid. 210).
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2. Gewalt
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Mörder festzulegen, ist nur dann sinnvoll, wenn der Täter nicht von einem staatlichen Richter zum Tode oder wenigstens doch zur Verbannung oder Zwangsarbeit verurteilt wurde. Die Kirche jedenfalls war weit davon entfernt, Straftäter, und seien es Mörder, den Behörden zu überantworten. Bischof Basilius von Ankara wurde vorgehalten, er habe einen periodeutes, der einen Mord begangen hatte, nicht exkommuniziert. Dem Mörder hätten offensichtlich abgesehen vom Ausschluß aus der Kirchengemeinde und der damit verbundenen Kirchenbuße keine weiteren Sanktionen gedroht. Augustin vertritt dezidiert den Standpunkt, daß auch ein Mörder, wenn er nur Buße leistet, Vergebung erlangen kann, ohne daß also von einem weltlichen Gericht eine Verurteilung ausgesprochen worden sein müßte. Häufig nennen die spätantiken Autoren das Streben nach Geld, die Habgier als Tatmotiv. Ammianus führt über die grassierende Unsitte der Erbschleicherei in Rom Klage; angeblich führten die Erbschleicher auch den Tod ihrer Opfer herbei. Die Täter stammten in diesen Fällen aus dem Verwandten- und Freundeskreis des Opfers. Allerdings ist bei den Hinweisen auf Erbschleicherei mit literarischer Topik zu rechnen. Die Leidenschaft wird häufiger als Mordmotiv benannt; auch dies würde implizieren, daß Täter und Opfer einander vor der Tat sehr gut bekannt waren. Hin und wieder führten andere Straftaten zur Gewaltanwendung. Ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt wurde, beging einen Mord, um seiner Strafe zu entgehen. Ehebrecher mordeten, um nicht vor Gericht gestellt zu werden und die Todesstrafe zu erleiden. Die Tatmotive waren also vielfältig. Sie weisen zumeist darauf hin, daß Opfer und Täter einander bekannt waren, daß sie aus demselben familiären oder sozialen Umkreis stammten. Dies gilt für die Eifersucht, die Liebesleidenschaft, die Geldgier (Erbschleicherei). Mord und Totschlag wurden, wie wir bereits gesehen haben, innerhalb der Familie begangen: Ehemann und Ehefrau töteten einander, Kinder brachten ihre Eltern um. Wenn Sklaven unter der Folter befragt werden konnten, um des Täters habhaft zu werden, so setzt auch dies voraus, daß dieser aus dem Kreise der Hausbewohner oder doch zumindest dem näheren sozialen Umfeld stammte. Hierfür noch ein Beispiel aus einer 189
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Soz., Hist. eccl. 4, 24, 7 (GCS, Bidez – Hansen 179). Vgl. auch noch Pallad., Vita Ioh. Chrys. 8 (Malingrey - Leclercq 160/2). 190 Aug., De serm. dom. 1, 11, 31 (CCL 35, 32f.). 191 Aug., Serm. Morin 11, 4 (Morin 628f.); In psalm. 80, 21 (CCL 39, 1133f.); Conf. 2, 5, 11; Ambrosiaster, Ad I Tim. 6, 9 (CSEL 81, 3, 290); Aster. Amas., Hom. 2, 11, 5 (Datema 34); Zeno 1, 5, 2, 8 (CCL 22, 39). 192 Amm. 28, 4, 22. Vgl. auch noch Hier., Epist. 54, 15. 193 Firm., Math. 3, 6, 20; 3, 6, 26; 3, 11, 9; Ennod. 240 (opusc. 4: De vita beati Antoni), 25ff. (MGH, AA 7, 188f.). 194 Aug., In psalm. 57, 4 (CCL 39, 711f.). 195 Aug., In psalm. 139, 9 (CCL 40, 2017f.). 196 Paul., Sent. 3, 5, 1ff. (FIRA 2, 361f.); Cod. Iust. 9, 41, 13 (293 n. Chr.); 9, 16, 8 (9) (385 n. Chr.). Vgl. auch Cod. Iust. 9, 41, 13 (293 n. Chr.): Ein Sklave kann gegen seinen
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Mord und Totschlag
hagiographischen Quelle: Der Mönch Milesios wurde, angeblich als Mörder, festgehalten, konnte jedoch den Ermordeten auf kurze Zeit zum Leben erwecken, der nun den Dorfpriester bezichtigte: Das Opfer hatte die Kirche betreten, dem Priester Geld gegeben, der ihn daraufhin getötet und die Leiche in das Kloster geworfen hatte. Man möge, so der Wunsch des Ermordeten, dem Priester das Geld wegnehmen und es seinen Kindern geben. Von einer Bestrafung des Straftäters durch ein Gericht ist nicht die Rede; vielleicht kam der Täter als Kleriker mit einer Kirchenbuße davon. Vielfach war der Totschlag die unbeabsichtigte Folge eines Streites. Nach den Sentenzen des Paulus wurden zu Beginn des 4. Jh. üblicherweise, wenn jemand im Streit (rixa) durch einen Schlag getötet wurde, die humiliores zur Gladiatorenschule oder Bergwerksarbeit verurteilt, die honestiores dagegen verbannt (relegiert), und zwar unter Verlust der Hälfte ihres Vermögens. Die Eskalation von (zunächst harmloser) Gewalt und der Zorn werden mehrfach als Ursache von Tötungsdelikten benannt. Der Affekt spielte bei den Gewalttaten eine große Rolle, sie waren vielfach nicht vorher geplant, sondern spontan. Zwei Curiale waren im ostgotischen Italien miteinander in einen Streit geraten, der sich alsbald zu Tätlichkeiten ausweitete, im Verlauf derer einer der beiden ums Leben kam. Um der Strafe zu entgehen, suchte der Täter in der Kirche um Schutz nach. Daneben standen kühl geplante, vorbedachte Mordtaten. Morde wurden zu einem großen Teil nachts begangen, wenn die Entdeckungsgefahr am geringsten war. Wollte man sich selbst die Hände nicht schmutzig machen, so wurden Mörder gedungen. Die Auftraggeber waren, so die Rechtslage, mit derselben Strenge wie die Täter selbst zu bestrafen. Unter den Mitgliedern der Circusparteien wurden in Konstantinopel im 6. Jh. Mörder angeheuert. Es herrschte allgemeine Angst; Tatorte waren sogar der Markt oder die Kirchen; viele starben durch die Nachstellungen ihrer eigenen Familienangehörigen. Die Straftaten blieben, so der Vorwurf Prokops, ungesühnt, da sich kein Richter traute, gegen die Straftäter vorzugehen. Erst als Hypatios, ein angesehener Mann, am helllichten Tage in der Hagia Sophia umgebracht wurde, erteilte Justinian Theodotos, dem amtierenden Stadtpräfekten, den Befehl, die Straftaten zu ahnden. Es gelang diesem, einiger 197
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Eigentümer auf der Folter befragt werden, wenn dieser im Verdacht steht, seinen Partner, mit dem zusammen er den Sklaven bessesen hatte, ermordet zu haben. 197 Apophthegmata patrum, Milesios 1 (PG 65, 297). 198 Paul., Sent. 5, 23, 4 (FIRA 2, 408). 199 Hil., In psalm. 140, 6 (CSEL 22, 792f.); Bas., Hom. adversus eos qui irascuntur 1 (PG 31, 353/6); Joh. Chrys., De prophetiarum obscuritate 2, 8 (PG 56, 188). 200 Cassiod., Var, 3, 47 (CCL 96, 129f.). 201 Lib., Or. 45, 25f.; Ambr., Hex. 6, 4, 23f. (CSEL 32, 1, 219/21); Joh. Chrys., De laudibus Pauli hom. 4 (PG 50, 494f.). Vgl. auch noch Joh. Chrys., In act. hom. 38, 4 (PG 60, 273f.): Gefahr, unter Feinde zu geraten, wenn man vor Tagesanbruch eine Reise antrat. 202 Paul., Sent. 5, 23, 10 (11) (FIRA 2, 409); vgl. auch Paul., Sent. 3, 5, 12. 203 Proc., Hist. arc. 7, 23ff. Vgl. Patlagean 1977, 227f.
2. Gewalt
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der Täter habhaft zu werden; sie wurden hingerichtet. Die Gewalttaten verloren nun von ihrer Intensität. Îm politischen bzw. kirchenpolitischen Kampf wurden Attentäter gedungen. 397 wurde im Osten ein Gesetz gegen politische Verschwörungen erlassen. Wer sich mit Soldaten oder Privatleuten, auch Barbaren, verschwor, um dem Leben von Mitgliedern des kaiserlichen consistorium oder überhaupt von Senatoren nachzustellen, war als Majestätsverbrecher mit dem Schwert zu töten. Sein Besitz sollte vollständig konfisziert werden, die Söhne durften auch von der Mutter oder Großmutter nicht erben, und sie wurden von Legaten Außenstehender ausgeschlossen. Sie verfielen auch der väterlichen infamia, d.h. es wurde ihnen verwehrt, jemals ein Amt zu bekleiden oder in das Heer einzutreten. Lediglich die Töchter der verurteilten Hochverräter sollten von ihrer Mutter den Pflichtteil, die Falcidia, erben dürfen. Es kam vor, daß selbst Kleriker gegen ihre innerkirchlichen Gegner Mörder anwarben. Es wurden nicht nur auf den Landstraßen, sondern auch auf städtischen Straßen Raubmorde begangen. Ambrosius erzählt die Geschichte eines Soldaten, der in einem abgelegenen Stadtteil in Antiochia während der Abenddämmerung einen Mann ermordet hatte, um ihn auszurauben, und den Leichnam unbestattet zurückgelassen hatte. Als er sich später unter die Zuschauer mischte, wurde er vom Hund des Ermordeten als Täter identifiziert. Wenn in Antiochia Reisende ermordet wurden, so war es die Aufgabe der epimeletai ton phylon, der für die ein204
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Proc., Hist. arc. 9, 35ff. Die Gewalttaten der Mitglieder der Circusfaktionen waren nicht auf Konstantinopel beschränkt. Zwei Anhänger der Blauen, Kiliker von Abstammung, griffen den Statthalter der Cilicia Secunda an. Als einer der Diener seinem Herrn zur Hilfe kommen wollte, töteten sie diesen. Die beiden Täter wurden wegen dieses sowie zahlreicher weiterer Morde zum Tode verurteilt: Hist. arc. 17, 2ff. In Kyzikos hatten Mitglieder der Grünen den dortigen Bischof ermordet. Die Tat wurde Johannes dem Kappadokier angelastet. Vier Jahre später wurden zwei Mitglieder der grünen Partei wegen dieser Tat in Haft genommen: Hist. arc. 17, 38ff. Gewaltverbrechen werden von den Angehörigen der Circusparteien auch für Jerusalem kurz vor der Eroberung durch die Perser 614 berichtet: La prise de Jérusalem par les Perses en 614 (lat. Übers.), 2 (hrsg. G. Garitte, CSCO 203, Louvain 1960, 4f.). Vgl. hierzu Patlagean 1977, 230. 205 Cod. Theod. 9, 14, 3 (= Cod. Iust. 9, 8, 5) (397 n. Chr.). 206 Soz., Hist. eccl. 2, 23, 1f. (Festugière 322/4); 2, 23, 4ff. (ibid. 324/8); Athanas., Apol. sec. 8, 4f. (Werke 2, 94); 38 (ibid. 116f.); 44, 2 (ibid. 121); 63, 4 (ibid. 143); 65ff. (ibid. 144ff.); Greg. Naz., Or. 33, 5 (Moreschini - Gallay 168); 43, 58 (Bernardi 248/52); Paul. Med., Vita Ambr. 20, 4 (Bastiaensen 78); Soz., Hist. eccl. 8, 21 (GCS, Bidez – Hansen 277f.); Pallad., Vita Ioh. Chrys. 20 (Malingrey - Leclercq 402); Greg. M., Dial. 2, 8 (Vogüé - Antin 2, 160/4); 3, 5, 3f. (ibid. 274/6); Gelas., Epist. 36 (Thiel 449f.); 37 (ibid. 450/2); 38 (ibid. 452). 207 Ambr., Hex. 6, 4, 23f. (CSEL 32, 1, 219/21).
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Mord und Totschlag
zelnen Stadtteile Antiochias verantwortlichen Polizeibeamten, den Leichnam aufzunehmen und den Sachverhalt den Behörden anzuzeigen, damit der Täter dingfest gemacht werden konnte. Alles in allem freilich dürfte die Zahl der Tötungsdelikte begrenzt geblieben sein. Die Papyri liefern keine Anhaltspunkte für eine hohe Gewaltbereitschaft der Zivilbevölkerung. Es finden sich zahlreiche Hinweise auf Diebstähle; die Schwerkriminalität (Straßenraub und Mord) war im Vergleich hierzu von quantitativ geringer Bedeutung. Dies dürfte auch für die Großstädte gegolten haben. Rutilius Namatianus betont, daß er während seiner Stadtpräfektur in Rom kein Todesurteil gefällt habe, fügt aber hinzu, dies sei nicht so sehr sein Ruhm als der des Volkes. Man wird nicht so weit gehen wollen, zu unterstellen, daß während seiner Amtszeit überhaupt keine schwerwiegenden Straftaten begangen worden waren, aber die Äußerung des Rutilius fügt sich nicht gut zu dem Vorurteil, daß die Gewaltbereitschaft der städtischen Plebs ausgeufert sei. Mancherorts (so in Konstantinopel im 6. Jh.) mag die Zahl der Gewalttaten angestiegen sein. Wenn aber die Straftaten der Blauen und Grünen von Prokop und anderen Autoren so ausführlich geschildert werden, so gerade deshalb, weil sie exzeptionell waren und die Gewalt über alle Maßen zugenommen hatte. Im allgemeinen blieben Mord, Totschlag und Gewalt auch in den Großstädten für die Behörden kontrollierbar. Dies gilt selbst für Konstantinopel, als die Gewalt der Circusfaktionen ihren Höhepunkt erreicht hatte. Als nämlich der Stadtpräfekt Theodotos nach der Ermordung des Hypatios eine Untersuchung einleitete, um die Tat zu ahnden, genügte die exemplarische Bestrafung einiger weniger Täter, um die Gewalt für eine gewisse Zeit einzudämmen. 208
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Lib., Or. 24, 25f.; vgl. auch Amm. 21, 15, 2. BGU IV 1024, VI-VIII (4./5. Jh. n. Chr.) (hierzu J.E.G. Whitehorne, Sex and Society in Greco-Roman Egypt, in: Actes du XVe congrès international de papyrologie. Quatrième partie: Papyrologie documentaire, Papyrologica Bruxellensia 19, Bruxelles 1979, 240246); P. Lond. III 1309, p. 251 (6./7. Jh. n. Chr.); SB XVIII 13127 (= P. Bon. 22) (6./7. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 2055 (6. Jh. n. Chr.), Z. 27ff. Zur frühen Kaiserzeit vgl. Drexhage 1988, 316ff.; P. Hamb. I 10 (2. Jh. n. Chr.); P. Brem. 37 (113/20 n. Chr.); P. Brem. 26 (114/6 n. Chr.); P. Amh. II 66 (124 n. Chr.); BGU II 372 (154 n. Chr.); P. Oxy. L 3561 (165 n. Chr.); P. Fay. 108 (ca. 171 n. Chr.); SB VIII 9853 (180/92 n. Chr.); SB VI 9238 (198/211 n. Chr.); P. Gen. I 17 (Anfang 3. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XII 1408 (210/4 n. Chr.); P. Tebt. II 333 (= Hunt - Edgar II 336) (216 n. Chr.); P. Flor. I 9 (255 n. Chr.). 210 Rut. Nam. 1, 159f. 211 Möglicherweise galt dies generell für das 6. Jh. Angesichts um sich greifender Gewalt wurden in den zwanziger Jahren die Beamten in den spanischen Reichsgebieten vom Ostgotenherrscher angewiesen, streng durchzugreifen: Cassiod., Var. 5, 39, 1ff. (CCL 96, 212/5). 212 Proc., Hist. arc. 9, 35ff. 209
2. Gewalt
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Häufigstes Tatinstrument waren Schwerter und Messer. Daneben bestand eine besondere Angst vor dem Giftmord. Konstantin nahm von einer Amnestie Giftmörder, Mörder und Ehebrecher aus. Derselbe Kaiser erkannte 331 nur mehr drei gerechtfertigte Scheidungsgründe für die Ehefrau an: wenn ihr Mann Mörder, Giftmischer oder Grabschänder war. Der Mann durfte sich von seiner Frau trennen, wenn diese Ehebrecherin, Giftmischerin oder Kupplerin war. Diokletian erteilt einer Frau den Bescheid, sie müsse sich, wenn sie behaupte, daß ihr Bruder durch Gift ums Leben gekommen sei, auch um die Sühnung seines Todes bemühen, wenn sie denn nicht Gefahr laufen wolle, das Erbe zu verlieren. Die Ängste, mit Gift ermordet zu werden, waren weit verbreitet. Viele natürliche Todesfälle oder Krankheiten, die bei dem geringen medizinischen Kenntnisstand der Zeit nicht richtig diagnostiziert werden konnten, wurden Giftmischern zugeschrieben. Die Täter waren andererseits nur sehr schwer zu überführen. Entsprechend gering dürfte die Verurteilungsquote gewesen sein. Waren die Beschuldigten Personen niedrigen Standes, bestand allerdings die Möglichkeit, sie unter der Folter zu verhören und damit ggf. ein Geständnis zu erpressen. Insofern hatte die Drohung mit einer Anklage wegen Giftmischerei, wenn auch unbegründet, durchaus ihr Gewicht, und die zitierten Quellen zeigen, daß sie sehr oft erhoben worden sein muß. Wir sind kaum in der Lage, genauere Aussagen über die soziale Herkunft von Opfern und Tätern zu machen. Morde gingen offenbar nicht ausschließlich und nicht einmal in erster Linie auf das Konto von Berufsverbrechern. Auch Angehörige der Oberschichten begegnen als Täter. Das, was sich aus den zumeist nicht sehr präzisen Quellen erschließen läßt, deckt sich mit dem, was Untersuchungen zur Geschichte der Kriminalität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit lehren. Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa waren die Mörder zumeist junge Männer; der Anteil der Frauen war gering. Die meisten Morde entsprangen Akten unvermittelter, nicht vorher geplanter Gewalt. Streitigkeiten, die durchaus sehr banale Anlässe gehabt haben 213
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Vgl. neben den weiter unten zitierten Stellen auch noch P. Oxy. XII 1477 (Ende 3. / Anfang 4. Jh. n. Chr.), Z. 20.; Lact., Inst. 7, 22, 11 (CSEL 19, 654); Firm., Math. 4, 19, 8; 5, 2, 16; 6, 17, 3; 6, 31, 63; 8, 26, 14; Bas., Epist. 188, 7 (Courtonne 2, 126); 217, 65 (ibid. 2, 212); Zeno 1, 5, 1, 3 (CCL 22, 38); Joh. Chrys., De Babyla 14 (PG 50, 554f.); De fato et providentia 4 (PG 50, 762); Anna 4, 3 (PG 54, 664); Amm. 28, 1, 8ff.; 28, 4, 25; 29, 1, 5f.; Euagr., Hist. eccl. 5, 3 (Bidez – Parmentier 197); Joh. Mosch., Prat. spir. 94 (PG 87, 3, 2952f.); Greg. M., Dial. 2, 3, 4 (Vogüé - Antin 2, 142); 2, 8 (ibid. 160/4); 2, 27, 3 (ibid. 216); 3, 5, 3f. (ibid. 274/6); Vita Theod. Syc. 77 (Festugière 1, 64f.); 154 (ibid. 125). 214 Cod. Theod. 9, 38, 1 (322 n. Chr.). 215 Cod. Theod. 3, 16, 1 (331 n. Chr.). 216 Cod. Iust. 6, 35, 9 (291 n. Chr.). 217 Salv., Gub. 3, 54f. (Lagarrigue 226/8); 4, 23 (ibid. 250); Gelas., Frg. 14 (Thiel 490f.); Cassiod., Var, 3, 47 (CCL 96, 129f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 94 (PG 87, 3, 2952f.).
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Exkurs: Waffenbesitz
mögen, eskalierten, führten dazu, daß man zu den Waffen griff und den Gegner tötete. Ein sehr großer Prozentsatz von Fällen betrifft Personen, die einander schon vor der Tat bekannt waren. Das Quellenmaterial aus der Spätantike ist fragmentarisch, aber es paßt gut zu diesem Bild. Es bezeugt die ganze Spannweite von den Affekthandlungen bis hin zu geplanten Morden. Letztere dürften vergleichsweise gering an Zahl geblieben sein und nur einen äußerst geringen Anteil der Straftaten insgesamt ausgemacht haben. 218
Exkurs: Waffenbesitz Will man ermessen, welches Maß an Gewalt für die spätantike Gesellschaft kennzeichnend war, so ist zu klären, wie viele Privatpersonen denn überhaupt über Waffen verfügten. Waren die Teilnehmer an städtischen Unruhen regelmäßig bewaffnet und, wenn ja, wie (mit Schwertern, Steinen, Knüppeln)? Da ein großer Teil der Gewalt spontan, nicht vorher geplant war, ist danach zu fragen, ob davon auszugehen ist, daß die Privatpersonen, wenn sie denn der Zorn übermannte, eine Waffe zur Hand hatten. Dies war im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit vielfach der Fall, und nicht zuletzt dieser Sachverhalt erklärt, warum uns diese Epochen so roh und gewaltsam erscheinen. Das Römische Reich hatte einen nach modernen Maßstäben höchst unzureichenden Polizeiapparat. Diese Tatsache ist ganz unterschiedlich zu bewerten, je nachdem, ob mit einer weiten Verbreitung von Waffen in der Zivilbevölkerung zu rechnen ist oder nicht. Seit der frühen Kaiserzeit unterlag der private Waffenbesitz Restriktionen. Die lex Iulia de vi hatte ihn unter Strafe gestellt, es sei denn, die Waffen würden für die Jagd oder zur Selbstverteidigung auf Reisen genutzt. Diokletian ruft die Bestimmung der lex Cornelia de sicariis in Erinnerung, nach der ebenso derjenige zu bestrafen war, der sich mit der Absicht, einen anderen zu töten, mit einer Waffe in der Öffentlichkeit bewegt hat, wie derjenige, der einen Menschen getötet oder dies veranlaßt hat. Hiernach war der Waffenbesitz nicht grundsätzlich untersagt, sondern nur dann, wenn die Waffen zu Angriffszwecken genutzt wurden; dies festzustellen, lag von Fall zu Fall im Ermessen der Behörden; die Bestimmung konnte jedenfalls sehr weit ausgelegt werden. 219
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Hanawalt 1976, 309; 311f.; Cockburn 1977, 56f.; Sharpe 1983, 131ff.; Emsley 1987, 38ff.; K. Wegert, Popular Culture, Crime, and Social Control in 18th-Century Württemberg, Studien zur Geschichte des Alltags 5, Stuttgart 1994, 122ff. 219 Dig. 48, 6, 1 (Marcianus); 48, 6, 11, 2 (Paulus); Paul., Sent. 5, 23, 7 (FIRA 2, 409). Zur Frage, ob die Provinzialen in der frühen Kaiserzeit entwaffnet wurden vgl. P. Brunt, Did Imperial Rome Disarm her Subjects?, Phoenix 29, 1975, 260-270. Ndr. in: ders., Roman Imperial Themes, Oxford 1990, 255-266. Entsprechende Versuche seien die Ausnahme geblieben und ohne dauernden Erfolg gewesen. Für Ägypten vgl. Wilcken, Chrestomathie 13 (34/5 n. Chr.); Phil., Flacc. 86ff.; 92ff.; Britannien: Tac., Ann. 12, 31. 220 Cod. Iust. 9, 16, 6 (7) (294 n. Chr.).
2. Gewalt
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In der spätantiken Gesetzgebung wird das Waffenverbot wieder aufgegriffen: Ein Gesetz aus dem Jahr 364 untersagte Privatleuten die Verwendung von Waffen, sofern nicht die ausdrückliche kaiserliche Genehmigung vorlag. Die Provinzstatthalter haben - so ein Gesetz Justinians - dafür Sorge zu tragen, daß niemand Waffen trage mit Ausnahme lediglich der Soldaten. Überall im Reich arbeiteten staatliche fabricae, die der Produktion von Waffen für den Heeresbedarf dienten. Damit war der Spielraum für eine private Waffenproduktion und für einen privaten Waffenmarkt vergleichsweise gering. Erst Justinian machte freilich die Waffenherstellung zu einem staatlichen Monopol; der Verkauf von Waffen an Privatleute wurde untersagt. Lediglich der Besitz von Messern blieb erlaubt. Justinian begründet diese Maßnahme mit der inneren Sicherheit. 548 wird der Vicar der pontischen Diözese angewiesen, die Waffen derer einzuziehen, die sie ohne jede Notwendigkeit besäßen, und sie in die Waffenarsenale nach Konstantinopel zu verbringen. Schon vor Justinian aber hatten die staatlichen fabricae offenkundig die Waffenherstellung in großem Maßstab monopolisiert. Denn Montius, ein hoher Beamter, bezichtigte vor seinem Tod zwei Tribune staatlicher Waffenfabriken, sie hätten ihm für den Fall eines bewaffneten Aufruhrs (gegen den Caesar Gallus) Waffen versprochen. Die Bereitstellung größerer Mengen an Waffen wäre sonst wohl auf Schwierigkeiten gestoßen. Daß das Verbot für Zivilpersonen, Waffen zu tragen, in der Gesetzgebung wiederholt aufgegriffen wurde, ist sicher ein Indiz dafür, daß an seine permanente, flächendeckende Durchsetzung gar nicht zu denken war. Dem Staat fehlten die Möglichkeiten, zu gewährleisten, daß nicht 221
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Cod. Theod. 15, 15, 1 (= Cod. Iust. 11, 47 [48], 1) (364 n. Chr.). Das Gesetz ist offenbar durch das Räuberunwesen veranlaßt worden. Das Exzerpt stammt aus demselben Gesetz wie Cod. Theod. 9, 30, 2, welches das latrocinium zum Thema hat. 222 Nov. Iust. 17, 17 (535 n. Chr.); vgl. auch 25, 1 (535 n. Chr.). - Aus der Spätantike stammt auch das inschriftlich (aus Ephesos) überlieferte Verbot eines staatlichen Amtsträgers, Waffen zu tragen; den Zuwiderhandelnden wird mit den hierfür gesetzlich vorgesehenen Strafen gedroht: H. Engelmann u.a. (Hrsg.), Die Inschriften von Ephesos 4, Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 14, Bonn 1980, 193, Nr. 1355. 223 S. James, The fabricae: State Arms Factories of the Later Roman Empire, in: J.C. Coulston (Hrsg.), Military Equipment and the Identity of Roman Soldiers. Proceedings of the Fourth Roman Military Equipment Conference, Oxford 1988, 257-331. Waffen wurden daneben freilich auch in Privatbetrieben hergestellt: Einer der Freunde des Libanios produzierte Messer und Waffen: Lib., Or. 42, 21. 224 Nov. Iust. 85 (539 n. Chr.). Das Gesetz enthält eine ausführliche Liste der Waffen, deren Herstellung Privatleuten untersagt ist (4). 225 Ed. Iust. 8 (548 n. Chr.). 226 Amm. 14, 7, 18; 14, 9, 4. Wollte man größere Mengen Waffen zusammenbringen, mußte man auf die staatlichen Waffenlager zugreifen. Der Isaurierführer Longinos konnte nach seiner Verdrängung aus Konstantinopel 491 in Isaurien zahlreiche Kämpfer aufbieten; Waffen bekam er aus einem Lager, welches Zenon dort angelegt hatte: vgl. PLRE II, s.v. Longinus 3; Johannes von Antiochia, frg. 214 b (= Müller, FHG 4, 621); Theophanes, Chron. A.M. 5985-87 (de Boor, 1, 137/9).
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Exkurs: Waffenbesitz
doch so mancher Stadt- oder Landbewohner in seinem Haus Waffen hatte. Aber die Tatsache, daß die Behörden am Waffenverbot festhielten und es bis Justinian sogar eher noch verschärften, ist gleichwohl von Belang. Mochte auch der eine oder andere daheim über ein Schwert oder eine andere Angriffswaffe verfügen, so war es kaum möglich, in der Öffentlichkeit bewaffnet aufzutreten, was an sich schon viel zur Pazifizierung der Gesellschaft beigetragen haben muß. Wesentlicher Bestandteil der augusteischen Ordnung war der Aufbau einer Berufsarmee. Für die Privatleute bestand keine Veranlassung mehr, sich im Umgang mit den Waffen zu üben bzw. überhaupt solche zu besitzen. Die allgemeine Ansicht in der Bevölkerung ging dahin, daß es allein Angelegenheit der Armee sei, für die Verteidigung des Reiches zu sorgen. Daß sich die Zivilbevölkerung nur in Ausnahmefällen gegen die Barbaren zur Wehr setzte, dürfte nicht damit zu erklären sein, daß sie sich nicht mehr für den Erhalt des römischen Staates einzusetzen bereit war, als vielmehr damit, daß im Notfall nicht genügend Waffen zur Verfügung standen, die Bauern und Städter darüber hinaus in deren Gebrauch nicht geübt waren. Wurde die Zivilbevölkerung doch einmal mobilisiert, so mußten erst Waffen ausgegeben werden. Als die Stadt Adrianopel sich 378 gegen die Goten zur Wehr setzte, wurde die Stadtbevölkerung (Ammianus schreibt von der „niedersten Plebs“ und den fabricenses) von den städtischen Beamten aus den staatlichen Waffenarsenalen heraus bewaffnet. Als sich die Bewohner Antiochias am Anfang des 4. Jh. gegen meuternde Soldaten zur Wehr setzten, kamen als Waffen zunächst Stangen zum Einsatz (gegen die Lanzen der Soldaten); die Zivilisten erbeuteten dann von den Soldaten Waffen und setzten sich gegen sie durch. Der Curiale Synesios mußte sich, als er in der Cyrenaica Landbewohner gegen die Austurianer mit Lanzen und Schwertern, die er eigens zu diesem Zweck hatte herstellen lassen, sowie Holzkeulen und Äxten bewaffnet hatte, mit dem Einwand auseinandersetzen, Privatleuten sei der Waffenbesitz verwehrt. Synesios akzeptiert dieses Argument prinzipiell, argumentiert aber mit dem bestehenden Ausnahmezustand; die staatliche Armee greife nicht ein. Die Aktivitäten des Synesios lassen deutlich werden, in welch geringem Umfang die Zivilbevölkerung über Waffen (jedenfalls kriegstaugliche) verfügte, wie große Anstrengungen erforderlich waren, selbst eine vergleichsweise kleine Schar von maximal einigen Hundert Mann mit Waffen auszurüsten. Aus der Tatsache, daß viele Städte über 227
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Hier., In Is. 1, 2, 4 (CCL 73, 30); Priscus, frg. 11, 2 (Blockley 268/70); de Ste. Croix 1981, 264f. 228 Amm. 31, 6, 1ff. Unzureichend bewaffnete Zivilisten im Kampf gegen germanische Invasoren o.ä.: Soz., Hist. eccl. 7, 1, 1f. (GCS, Bidez – Hansen 302); Zos. 1, 37, 2; 2, 43, 2f.; 5, 19, 3f.; 5, 40, 1; Nov. Val. 9 (440 n. Chr.). In einem Teil der Fälle ist explizit von einer Bewaffnung der Bürger durch die Behörden die Rede. 229 Lib., Or. 11, 159ff.; 20, 17ff. Über dieses Ereignis berichtet Libanios auch in Or. 19, 45f.; vgl. ferner Eus, Hist. ecc. 8, 6, 8. 230 Synes., Epist. 107 (Garzya 280 = PG 66, 1489). Vgl. weiterhin Epist. 108 (Garzya 280/2 = PG 66, 1489/92): Synesios berichtet, daß von ihm schon dreihundert Lanzen und
2. Gewalt
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Befestigungsanlagen verfügten, die sicher nicht allesamt von regulären Soldaten verteidigt werden konnten, ist nicht auf die Existenz regulärer städtischer Milizen oder die weite Verbreitung von Waffen in der städtischen Bevölkerung zu schließen. Solange die Angreifer über keine schweren Belagerungsmaschinen verfügten, konnte die Verteidigung der Stadt auch mit Steinen und anderen Wurfgeschossen durchgeführt werden. Selbstverständlich war der Besitz von Waffen nicht ausschließlich den Staatsorganen vorbehalten. Das zitierte Gesetz Justinians, in dem die Waffenproduktion zu einem staatlichen Monopol erklärt wird, begründete diese Maßnahme ja gerade damit, daß es zu zahlreichen Bluttaten gekommen sei, weil Privatleute im Besitz von Waffen seien. Die Herstellung eines Schwertes erforderte keinen großen technischen Aufwand, und es war dem Staat nicht möglich, jede Schmiede zu kontrollieren. Die Jagd war vor allem in den Oberschichten ein beliebter Zeitvertreib; es ist daher mit einer weiten Verbreitung von Jagdwaffen zu rechnen. Manche Reisende waren zur Abwehr von Räubern bewaffnet, was bereits durch die lex 231
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ebensoviele Dolche hergestellt worden seien. Vorher hätten nicht mehr als zehn zweischneidige Schwerter zur Verfügung gestanden. Komme man mit diesen Waffen nicht aus, so habe man immer noch Keulen. Epist. 133 (Garzya 322/4 = Migne 132, PG 66, 1517/21): Kritik an der Unfähigkeit der Miltärbefehlshaber. Synesios schildert seine Bemühungen, Waffen aufzukaufen. Bögen habe er zur Genüge; ihm fehle es an geeigneten Pfeilen. Vgl. auch noch Epist. 125 (Garzya 302/4 = PG 66, 1504f.). Zu den von Synesios geschilderten Ereignissen vgl. D. Roques, Synésios de Cyrène et la Cyrenaique du BasEmpire, Paris 1987, 279ff. 231 540 taten sich die Mitglieder der Circusfaktionen in Antiochia zusammen, um den Persern, die die Stadt eingenommen hatten, Widerstand zu leisten, selbst als die Armee die Stadt schon aufgegeben hatte. Die meisten unter ihnen waren nicht bewaffnet, sondern griffen die Perser mit Steinen an; nur die Minderzahl hatte eine Rüstung: Proc., Bell. Pers. 2, 8, 28f. Vgl. auch noch Zos. 2, 49, 2f. 232 Auson., (4) Parentalia 8; Lib., Epist. 298 (X 278/80); Symm. , Epist. 3, 23, 1; Soz., Hist. eccl. 7, 25, 11 (GCS, Bidez – Hansen 340); Synes., Epist. 41 (= Migne 57) (Garzya 126); Aug., Serm. 70, 2, 2 (PL 38, 443f.); Joh. Chrys., Comp. regis et monachi 4 (PG 47, 390f.); Vitae patr. Iurens. 12 (Martine 252); Caes. Arel., Serm. 198, 3 (CCL 104, 800); Vita Caes. Arel. 1, 48 (Morin 2, 316); Proc., Bell. Goth. 2, 8; Joh. Mosch., Prat. spir. 133 (PG 87, 3, 2996f.); Conc. Epaonense (517 n. Chr.), C. 4 (CCL 148A, 25). Es müssen auch Waffen vorhanden gewesen sein, um sich gegen wilde Tiere, die in vielen Regionen eher als Räuber das Land unsicher machten, zur Wehr setzen zu können: Firm., Math. 6, 29, 11; Greg. Nyss., In ecclesiasten, hom. 4 (PG 44, 673); Optat. 3, 10 (CSEL 26, 95); Theodoret., Hist. rel. 15, 2 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 18/20); Chronicon pseudodionysianum (= Pseudo Joshua), p. 305f. (Übersetzung Chabot 225); Joh. Mosch., Prat. spir. 87 (PG 87, 3, 2944f.); 101 (ibid. 2960); Vita Symeon. Styl. 79 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 160f.); 88 (ibid. 167f.); Vita Symeon. Styl. 52 (van den Ven 1, 52f.).
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Exkurs: Waffenbesitz
Iulia de vi ausdrücklich gestattet war. 432 wird es den Sklaveneigentümern gestattet, ihre entlaufenen Sklaven aus der Kirche herauszuziehen, wenn diese dort bewaffnet um Asyl nachgesucht hatten, und hierbei auch, wenn die Sklaven Widerstand leisteten, Gewalt anzuwenden. Schwerverbrecher wie Straßenräuber oder Viehdiebe verfügten ebenfalls über Schwerter. Wollte man sich für eine Straftat bewaffnen, so bereitete dies keine Schwierigkeiten; ggf. dienten auch Küchengeräte, Messer zumal, als Angriffswaffen. Es ist aber ein großer Unterschied, ob Personen, die eine Straftat planten, sich Waffen beschaffen konnten (dies war sicher ohne weiteres möglich) oder ob ein großer Teil der erwachsenen Bevölkerung bewaffnet war, so daß auch bei kleineren Streitigkeiten, die eskalierten, Waffen zum Einsatz kommen mochten. Die Angehörigen der Circusparteien, die unter Justinian die Straßen Konstantinopels unsicher machten, waren zwar bewaffnet; nachts trugen sie Schwerter, tagsüber verbargen sie doppelschneidige Dolche unter ihrer Kleidung. Am Tag konnte man sich also zumindest in der Stadt nicht offen mit einer Waffe blicken lassen. Das Waffenverbot wurde sicher nicht vollständig umgesetzt. Aber es dürfte insoweit doch zur Befriedung der Städte beigetragen haben, als zumindest Privatpersonen in aller Regel nicht bewaffnet waren. Die Bewaffnung von Straftätern hätte damals (wie auch heute) gar nicht verhindert werden können, selbst wenn der Staat diesbezüglich die allergrößten Anstrengungen entfaltet hätte. Es war im Hinblick auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung schon ein großer Erfolg, wenn nicht die Gefahr bestand, daß kleine Streitigkeiten von Nachbarn auf den Straßen zum Einsatz von Waffen führten. In den Papyri, die von Gewalttaten (zumeist unter Nachbarn und Dorfgenossen) handeln, ist nur selten von Schwertern die Rede; meist dienten als Angriffswaffen Holzknüppel. Auch in den literarischen Quellen werden nur vergleichsweise selten Privatleute erwähnt, die sich im Besitz eines 233
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Joh. Chrys., In gen. hom. 9, 3 (PG 53, 78); Aug., Lib. arb. 1, 11, 33 - 12, 34 (CCL 29, 217); Epist. 47, 5 (CSEL 34, 2, 135f.). Die meisten Reisenden aber scheinen unbewaffnet gewesen zu sein. 234 Cod. Theod. 9, 45, 5 (= Cod. Iust. 1, 12, 4) (432 n. Chr.); vgl. auch 9, 45, 4 (= Cod. Iust. 1, 12, 3) (431 n. Chr.). 235 Firm., Math. 3, 4, 23; 6, 29, 11; 6, 31, 6; Pallad., Vita Ioh. Chrys. 20 (Malingrey – Leclercq 402); Soz., Hist. eccl. 8, 21 (GCS, Bidez – Hansen 277f.); Lib., Or. 48, 35; Max. Taur., Serm. 61, 3 (CCL 23, 245f.); Besa, Leben des Schenute 14/6 (Übersetzung Bell 46f.). 236 Joh. Mosch., Prat. spir. 75 (PG 87, 3, 2928). 237 Proc., Hist. arc. 7, 15. 238 P. Amh. II 142 (4. Jh. n. Chr.); P. Col. VII 171 (= P. Coll. Youtie II 77) (324 n. Chr.); P. Abinn. 57 (= P. Gen. I 49) (Mitte 4. Jh. n. Chr.). Erwähnung von Schwertern: BGU IV 1024, Kol. III (4./5. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 12 (= P. Gen. I 50) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); BGU III 909 (359 n. Chr.). Diese wenigen Belege rechtfertigen nicht die Schlußfolgerung, daß Schwerter (ähnlich wie Schußwaffen heute in den Vereinigten Staaten) in den meisten Haushalten oder auch nur einer größeren Anzahl unter ihnen vorhanden waren.
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Schwertes befunden hätten. Wenn die Kirchenväter in ihren Predigten gewalttätige Auseinandersetzungen auf der Straße schildern, so gehen die Leute mit den Fäusten aufeinander los, nicht mit schweren Waffen. Ein ganz anderes Bild vermitteln demgegenüber die literarischen Quellen der frühen Kaiserzeit: Wenn etwa Apuleius Glauben geschenkt werden darf, verfügten weite Teile der städtischen Bevölkerung über Schwerter, die auch zum Einsatz kamen (und zwar teilweise sehr spontan). Als es 59 in Pompeii bei einem Gladiatorenspiel zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Einwohnern der Stadt und Besuchern aus dem benachbarten Nuceria kam, wurden zunächst auf beiden Seiten Steine geworfen; als die Kämpfe eskalierten, wurde auch zu Schwertern gegriffen. Wenn es denn einmal zu Unruhen in der Stadt oder auf dem Land kam, so bewaffneten sich die Aufrührer mit Keulen und Steinen; von Schwertern ist kaum je die Rede. Als der Prätorianerpräfekt Modestus Basilius vor sich lud und ihn zwingen wollte, die Bischofswürde niederzulegen, leistete die Bevölkerung von Caesarea, insbesondere aber die Arbeiter in den staatlichen Waffen- und Textilfabriken, Widerstand. Alles, was nur irgendwie geeignet schien, insbesondere ihre Werkzeuge, diente den Aufständischen als Waffe; sie warfen Steine, hielten Knüppel bereit. Man sieht: Von einer regulären Bewaffnung der Aufrührer mit Schwertern kann keine Rede sein. Als die demonstrierende Plebs das Haus des Stadtpräfekten Lampadius angriff, konnten die Angreifer von dessen Leuten vom Dach des Hauses aus mit Steinen und Ziegeln vertrieben werden; offenkundig waren die Aufrührer kaum oder gar nicht bewaffnet (wenn man von den Fackeln absieht, mit denen sie das Haus in Brand setzen wollten). Die Synode von Serdika führte über die Verfolgung des Athanasios und seiner Anhänger durch die Arianer Klage: sie 239
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patrum, Nikon 1 (PG 65, 309); Ambr., Hel. 15, 53 (CSEL 32, 2, 443f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 15 (PG 87, 3, 2861); 174 (ibid. 3041/4). Vgl. auch noch Firm., Math. 3, 4, 10; 3, 4, 19; 3, 5, 19: Firmicus Maternus prophezeit eine Verwundung durch das Schwert, muß freilich hierbei nicht an gewalttätige Auseinandersetzungen unter Privatleuten (auf städtischen Straßen etwa) denken. 240 Aug., In psalm. 54, 14 (CCL 39, 666f.); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 1, 12 (PG 49, 32f.). 241 Apul., Met. 2, 18, 3f. 242 Tac., Ann. 14, 17. 243 Eusebius Vercellensis, Epist. 2, 6 (CCL 9, 107f.); Marcellinus et Faustinus presbyteri, De confessione verae fidei 73ff. (CCL 69, 377f.); Marc. Diac., Vita Porph. 25 (Grégoire – Kugener 21f.); Aug., Epist. 91, 8 (CSEL 34, 2, 432f.); Joh. Chrys., Sermo post reditum ab exilio 2 (PG 52, 443f.); Euagr., Hist. eccl. 2, 5 (Bidez – Parmentier 50/3); Malalas 18, 64, p. 468. 244 Lib., Or. 11, 151; Coll. Avellana 1, 5/7 (CSEL 35, 1, 2f.); 29 (ibid. 74ff.), v.a. 3f.; Socr., Hist. eccl. 3, 1 (Hansen, GCS, N.F. 1, 193f.); Soz., Hist. eccl. 5, 7, 1ff. (GCS, Bidez – Hansen 202f.); Severus von Menorca, Epistula de miraculis sancti Stephani 12 (Bradbury 90/2). 245 Greg. Naz., Or. 43, 57 (Bernardi 244/8); zu Modestus vgl. PLRE I, s.v. Modestus 2. 246 Amm. 27, 3, 8.
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Exkurs: Waffenbesitz
hätten zu leiden unter Soldaten mit Schwertern sowie Zivilisten, die mit Knüppeln bewaffnet waren. Es wird also differenziert: Nur die Soldaten verfügen über Schwerter, der Pöbel ist mit einfachen Holzknüppeln ausgestattet. Die Tatsache, daß bei den städtischen Unruhen (mit Ausnahme allenfalls einiger innerkirchlicher Zwistigkeiten) in aller Regel keine oder nur wenige Todesopfer zu beklagen waren, ist ein Indiz dafür, daß der Besitz von Waffen nicht weit verbreitet war. Die Aufrührer konnten durch eine geringe Zahl Bewaffneter ohne weiteres zur Räson gebracht werden. Blutiger waren augenscheinlich die Auseinandersetzungen der Circusfaktionen; deren Mitglieder waren häufig genug bewaffnet. Hier und da wurden sie im 6. Jh. bei der Verteidigung der Städte als Miliz eingesetzt. Aber bei weitem nicht alle Mitglieder der Circusparteien waren voll bewaffnet, und es blieb bei den Kämpfen der Grünen und Blauen häufig beim Einsatz von Steinen. Und vor allem: Auch die Mitglieder der Circusfaktionen trugen ihre Waffen nicht offen. Bei größeren Auseinandersetzungen mußten daher gezielt Waffen (Schwerter) bereitgestellt werden. Auch auf dem Lande verfügte nur die Minderzahl der Haushalte über Waffen. In den 350er Jahren schickte der arianische Bischof von Konstantinopel, Macedonius, vier Einheiten der regulären Armee gegen die Novatianer in dem kleinen Ort Mantinium in Paphlagonien. Die Bauern bewaffneten sich mit Sicheln, Äxten und allem, was ihnen als Waffen dienen konnte, und setzten sich gegen die Soldaten zur Wehr. Schwerter oder andere kriegstaugliche Waffen standen ihnen also nicht zur Verfügung. Gleichwohl besiegten sie die Soldaten in einer blutigen Schlacht. 247
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Athanas., Apol. sec. 43, 3 (Athanasius, Werke 2, 120). Vgl. auch Hil., Collectio Antiariana Parisina, Series B II 1, 3 (CSEL 65, 109/12) (Exemplum epistulae Synodi Sardicensis ad universas ecclesias). Vgl. auch noch Athanas., Apol. sec. 15, 1f. (Werke 2, 98f.); Epist. encyclica 3 (Werke 2, 171f.) und Hist. Arian. 10 (Werke 2, 188): Ausschreitungen der Arianer gegen die Anhänger des Athanasios in Alexandria. Einige waren mit Schwertern bewaffnet; es ist wahrscheinlich auch hier an Soldaten gedacht, während die Zivilisten eher mit Knüppeln ausgerüstet waren. 248 Malalas 18, 138, p. 492; Theophanes, Chron. A.M. 6055 (de Boor 1, 239) (= Malalas 18, 146). 249 G. Manojlovic, Le peuple de Constantinople, Byzantion 11, 1936, 617-716, 622ff.; Y. Janssens, Les Bleus et les Verts sous Maurice, Phocas et Héraclius, Byzantion 11, 1936, 499-536, 500f.; Dan 1981, 114f. Zurückhaltend (im Hinblick auf Konstantinopel) sind dagegen H.-G. Beck, Konstantinopel. Zur Sozialgeschichte einer früh-mittelalterlichen Hauptstadt, ByzZ 58, 1965, 21-45, 37f. und Dagron 1974, 356ff.: Zu einer Bewaffnung der Circusfaktionen in Konstantinopel als Milizen sei es erst an der Wende vom 6. zum 7. Jh. unter Kaiser Mauricius gekommen. 250 Im Zusammenhang mit dem Nika-Aufstand ist in den Quellen von „jungen Grünen“ die Rede, die in voller Rüstung an den Unruhen teilnahmen: Chronicon Paschale, ad ann. 531, p. 625. Die Bewaffnung der übrigen war also sehr viel rudimentärer. 251 Malalas 16, 4, p. 394f. 252 Marcell. Chron. II p. 95, 501 (MGH, AA 11, 95).
2. Gewalt
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Sozomenos konstatiert, dieser Ausgang sei überraschend gewesen: Denn die Bauern seien im Waffenhandwerk ungeübt und wären an sich schwerbewaffneten Soldaten nicht gewachsen gewesen. Die Bewaffnung der Mönche, die in Syrien gegen Ende des 4. Jh. auf dem Lande heidnische Tempel zerstörten, bestand aus Holzknüppeln, Steinen oder Eisenstangen. Mit diesen Waffen konnte großer Schaden angerichtet werden; aber es fehlen doch Schwerter, die der Aggression der Mönche noch einmal eine ganz andere Dimension gegeben hätten. Bauern gingen gegen Steuereintreiber oder Vertreter des Grundbesitzers, die den Pachtzins eintrieben, mit Steinen oder Holzknüppeln vor. In den Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen auf dem flachen Land wurden nur selten Schwerter verwendet. Auch die Circumcellionen in Africa waren zunächst nur mit Stöcken (fustes) bewaffnet, erst in einer späteren Phase auch mit Schwertern. Viele der von ihnen begangenen Gewalttaten führten allerdings auch weiterhin nicht zu deren Einsatz; Holzknüppel blieben die dominierenden Angriffswaffen. Johannes Chrysostomos beschreibt die städtischen Milizen, die auf den Fernstraßen für Ruhe und Ordnung sorgten: Sie waren mit Wurfspießen und Schleudern bewaffnet. Diese rudimentäre Bewaffnung der lokalen Milizen setzt voraus, daß auch die meisten Straftäter nur über eine unzulängliche Bewaffnung verfügten. Der vicarius Asiae Musonius zog unter Valens, als die reguläre Armee ver253
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Socr., Hist. eccl. 2, 38, 29ff. (Hansen, GCS, N.F. 1, 167); Soz., Hist. eccl. 4, 21, 1f. (GCS, Bidez - Hansen 171). 254 Lib., Or. 30, 8. 255 Lib., Or. 47, 7; Marc. Diac., Vita Porph. 22 (Grégoire – Kugener 19f.); Vita Theod. Syc. 76 (Festugière 1, 63f.) (hier allerdings auch Schwerter erwähnt). 256 Sulp. Sev., Mart. 15, 1f. (Fontaine 284/6); Marc. Diac., Vita Porph. 95 (Grégoire – Kugener 73). In einem anderen Fall wurde Martin von einem Heiden mit einem Messer angegriffen: Sulp. Sev., Mart. 15, 3f. (Fontaine 286). Messer waren naturgemäß in ländlichen wie städtischen Haushalten allgegenwärtig, eigneten sich aber nicht so gut wie Schwerter als Angriffswaffen. 257 Aug., C. Parm. 1, 11, 17 (CSEL 51, 38f.); 2, 3, 6 (ibid. 49ff.); C. Petil. 2, 88, 195 (CSEL 52, 120); 2, 96, 222 (ibid. 140f.); C. Cresc. 3, 42, 46 (CSEL 52, 452f.); In psalm. 54, 26 (CCL 39, 675); Epist. 88, 8 (CSEL 34, 2, 414f.); Serm. Dolbeau 4, 3 (Dolbeau 513f.). Erwähnung dagegen nur der fustes: In psalm. 10, 5 (CCL 38, 77/9); C. Petil. 2, 19, 43 (CSEL 52, 44); 2, 47, 110 (ibid. 84). 258 Aug., C. Cresc. 3, 48, 53 (CSEL 52, 460f.); Epist. 88, 6 (CSEL 34, 2, 412f.); 185, 15 (CSEL 57, 13/5); 185, 7, 27 (ibid. 25f.). Schwerter erwähnt: C. Cresc. 3, 42, 46 (CSEL 52, 452f.); 3, 43, 47 (ibid. 453/5). 259 Joh. Chrys., Stag. 2, 6 (PG 47, 458). Vgl. auch Feissel - Kaygusuz 1985: Inschrift aus der Regierungszeit Justinians oder Justins II.: Bewaffnete, die als xylokaballarioi bezeichnet werden, hatten das Land unsicher gemacht. Es handelte sich offenbar um Berittene, die im wesentlichen mit einem hölzernen Spieß oder dgl. bewaffnet waren. Die Herausgeber der Inschrift vermuten allerdings, daß sie auch mit anderen Waffen ausgestattet waren, denn sonst lasse sich die Anordnung, die gesammelten Waffen in die Waffenarsenale nach Konstantinopel zu verbringen, nicht erklären (ibid. 411).
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Exkurs: Waffenbesitz
sagte, mit einer Schar von halbbewaffneten Diogmiten gegen die Isaurier. Sie waren zwar den Isauriern nicht gewachsen, aber ihre Bewaffnung setzte sie offenkundig instand, gewöhnlicher Straftäter Herr zu werden. Auch städtische Polizeiorgane waren oftmals nur rudimentär ausgerüstet. Bereits in der frühen Kaiserzeit waren Soldaten bzw. Beneficiarier, die zu Polizeiaufgaben eingesetzt wurden, vor allem mit Stöcken (fustes) bewaffnet; dies reichte aus, um ggf. selbst mit einer aufgewiegelten Volksmenge fertig zu werden. Wenn wir in den Quellen von (für unser Gefühl) unzureichenden Polizeikräften lesen, von Polizisten, die kaum ausgebildet und nur notdürftig bewaffnet waren, sollten wir hierin keinen Mangel sehen. Offensichtlich bedurfte das Römische Reich zur Aufrechterhaltung des Maßes an Ordnung, das erwünscht war, weder einer größeren Zahl noch besser ausgestatteter Polizisten. Kleinere Streitigkeiten wurden zumeist im nachbarschaftlichen Rahmen ausgetragen und beigelegt. Wenn sich einer der Beteiligten in seiner Ehre verletzt sah, ging er meist vor Gericht und setzte keine Waffengewalt ein oder mobilisierte gar seine Verwandten. Bis zu einem gewissen Grade war Gewalt alltäglich, aber es handelte sich zumeist um Gewalt, die ohne schwere Waffen auskam. Daher war ein stärkerer Polizeiapparat gar nicht erforderlich. Soldaten wird untersagt, in den Dienst von Privatleuten zu treten, als Großpächter (conductores) oder Verwalter (procuratores) von Großgrundbesitzern, und zwar mit der Begründung, sie könnten den Nachbarn oder den Kolonen Angst einflößen. Diese konnten sich offenkundig auch nur gegen einen einzigen bewaffneten Soldaten nicht recht zur Wehr setzen. Privatleute bedienten sich regulärer Soldaten, um Druck auf ihre Gegner auszuüben, etwa um ihre Forderungen einzutreiben. Es war auch in der Spätantike nicht üblich, aus den eigenen Leuten (Sklaven oder Kolonen) Privattruppen zu rekrutieren und sie zu bewaffnen. Man griff statt dessen auf Soldaten zurück, die bereits über Waffen verfügten und diese auch zu benutzen in der Lage waren. 260
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27, 9, 6f. Den städtischen eirenophylakes in Antiochia unterstanden korynephoroi, Keulenträger: Lib., Or. 48, 9. Als Johannes Chrysostomos 404 in die Verbannung geschickt wurde, unterstanden dem Tribunen der Scutarii, der Johannes festnehmen sollte, 400 Mann, die, wie ausdrücklich betont wird, mit Schwertern bewaffnet waren. Dies scheint bei städtischen Polizeiorganen nicht der Fall gewesen zu sein: Pallad., Vita Ioh. Chrys. 9 (Malingrey - Leclercq 196/8). 262 Speidel 1993; Tac., Ann. 14, 61. 263 Cod. Iust. 4, 65, 31 (458 n. Chr.); 4, 65, 35 (Justinian). Es kam hinzu, daß Soldaten vor Gericht Privilegien genossen (sie konnten nur von einem Militärgericht abgeurteilt werden), was es Privatleuten erschwerte, sie zur Rechenschaft zu ziehen. 264 Cod. Iust. 4, 7, 5 (290 n. Chr.); Cod. Theod. 1, 21, 1 (393 n. Chr.); 7, 1, 15 (396 n. Chr.); Cod. Iust. 3, 13, 5 (397 n. Chr.); Cod. Iust. 12, 35 (36), 13 (= Cod. Theod. 7, 1, 17) (398 n. Chr.); Cod. Theod. 1, 6, 11 (423 n. Chr.); Nov. Iust. 60, pr.; 1 (537 n. Chr.); 116 (542 n. Chr.). 261
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Es ist also nicht mit einer so weiten Verbreitung von Waffen zu rechnen wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit oder in manchen ländlichen Mittelmeerregionen bis in die Gegenwart hinein, als nicht nur Hieb- und Stichwaffen, sondern auch Schußwaffen allenthalben zur Verfügung standen und bei jeder Gelegenheit zur Anwendung kamen. Damit hatten gewalttätige Auseinandersetzungen von vornherein eine andere Dimension: Sie wurden zumeist mit den Fäusten, allenfalls noch mit Knüppeln ausgetragen, womit die Gefahr, daß einer der Beteiligten ums Leben kam, vergleichsweise gering war. Waffen waren weit weniger verbreitet als in anderen Gesellschaften, in denen es geradezu ein Statussymbol war, Waffen zu tragen, so etwa im germanischen Frühmittelalter. Gallische Kirchenkonzilien des 6. und 7. Jh. untersagen Klerikern den Waffenbesitz. Daß Kleriker offen mit Waffen herumliefen, wäre im Römischen Reich noch unvorstellbar gewesen. Die divites und potentes waren stets von zahlreichen Sklaven umgeben. Aber nie hören wir davon, daß diese Sklaven bewaffnet gewesen wären; die Kritik der Kirchenväter und anderer Autoren zielt allein auf den Luxus: Während ringsherum die Armen Hunger leiden, lassen sich die Reichen von in kostbaren Kleidern gehüllten Sklaven begleiten. Hier wird der Unterschied zwischen einer im wesentlichen auf zivilen Werten gründenden Kultur und einer Kriegergesellschaft deutlich greifbar. 265
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Vgl. Hanawalt 1976, 310f.; Cockburn 1977, 58f.; Given 1977, 188ff.; Farge – Zysberg 1979, 1008f.; Chiffoleau 1984, 122; 146f.; Muchembled 1989, 33ff.; Burghartz 1990, 146ff.; Schwerhoff 1991, 292ff.; Crouzet-Pavan 1992, 808ff.; M. Porret, Le crime et ses circonstances. De l’esprit de l’arbitraire au siècle des Lumières selon les réquisitoires des procureurs généraux de Genève, Genève 1995, 157ff. 266 Conc. Matisconense (581/3 n. Chr.), C. 5 (CCL 148A, 224); Conc. Modogarnomense (662/75 n. Chr.), C. 1 (CCL 148A, 312); Conc. Latunense (673/5 n. Chr.), C. 2 (CCL 148A, 315).
3. LÄNDLICHE UND STÄ DTISCHE GEWALT Formen ländlicher Gewalt Bäuerliche Gesellschaften gelten gemeinhin als sehr gewaltbereit. Es sind einige Aspekte, die immer wieder in den sozialanthropologischen und neuhistorischen Untersuchungen zur ländlichen Gewalt hervorgehoben werden. Die Bauern entwickeln hiernach eine große Abneigung gegenüber jeglicher Form staatlicher Autorität. Die Gerichtshöfe werden selten und meist erst in einem sehr späten Stadium des Konflikts eingeschaltet. Die meisten Verbrechen im ländlichen Raum bleiben ungestraft; die dörfliche Gemeinschaft widersetzt sich dem staatlichen Recht und den staatlichen Beamten; die Zentralgewalt ist im Dorf kaum präsent. Es braucht ein sehr hohes Maß an Gesetzwidrigkeit, bevor die Gerichtshöfe überhaupt eingeschaltet werden. Eines der markantesten Kennzeichen bäuerlicher Gesellschaften ist der Gegensatz zwischen der Kultur der lokalen Gemeinschaft und den Regeln und Normen der weiteren Gesellschaft und des Staates. Verbunden mit der vertikalen Kluft zwischen den Bauern und den in der Stadt ansässigen Grundbesitzern und Eliten, zwischen Stadt und Land führt dies zu einer ausgeprägten Opposition der Dorfbewohner gegenüber den Vertretern des staatlichen Rechts. Die Spannungen innerhalb des Dorfes wie auch zwischen den Dörfern sind sehr groß. Die Vendetta und Familienfehden, die teilweise über mehrere Generationen währen, sind häufig; denn in Gesellschaften, in denen die Familienbande stark sind, die staatliche Justiz aber schwach, liegt die Ahndung erlittenen Unrechts zu einem großen Teil in den Händen der eigenen Familie. Charakteristisch für viele bäuerliche Gesellschaften sind im weiteren gewalttätige und blutige Auseinandersetzungen zwischen den Bauern und den Vertretern der Grundherren. Unter den Straftaten im ländlichen Raum dominieren die Gewalttaten (einschließlich Sexualdelikten), in den Städten dagegen die Verbrechen gegen das Eigentum, insbesondere Diebstähle. Räuberbanden machen die Straßen unsicher. Was diese „Gewalt“ bedeutet, mögen Bloks Untersuchungen über Sizilien exemplifizieren. Die Gewalt war hier allgegenwärtig. In einem Dorf von rund 2000-2500 Einwohnern sind zwischen 1916 und 1966 93 Morde bezeugt, in einem anderen Dorf von rund 1500 Einwohnern zwischen 1918-1956 49 Morde. 267
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Blok, Die Mafia in einem sizilianischen Dorf 1860-1960, Frankfurt am Main 1981; Macfarlane 1981, 174ff.; T.W. Gallant, Greek Bandits: Lone Wolves or a Family Affair?, Journal of Modern Greek Studies 6, 1988, 269-290, 282f.; Muchembled 1989, 33ff.
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Vor diesem Hintergrund ist das spätantike Quellenmaterial zu untersuchen. Inwieweit entspricht die ländliche Gesellschaft der Spätantike dem für andere bäuerliche Gesellschaften charakteristischen Grundmuster? Daß es auch hier in den Dörfern zur Anwendung von Gewalt kam, kann unbesehen angenommen werden. Welchen Charakter hatte diese aber? Wurden Konflikte zwischen Nachbarn über mehrere Generationen hin mit Gewalt ausgetragen, oder wurde die Einschaltung staatlicher Gerichte (oder auch von Schiedsrichtern) in Betracht gezogen? Ist dieselbe Distanz zwischen bäuerlicher Gesellschaft und staatlichen Normen zu konstatieren wie in anderen Agrargesellschaften? Was läßt sich zum bäuerlichen Widerstand gegen Ausbeutung und Erpressung, sei es seitens der Staatsorgane, sei es seitens der Grundbesitzer und ihrer Vertreter sagen? Wurde dieser Widerstand wie in weiten Bereichen des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa mit Gewalt ausgetragen? Die zuletzt formulierten Fragen führen auf einen Themenkomplex, der in dieser Arbeit nicht abschließend behandelt werden kann, der aber auch nicht ausgeklammert werden darf, nämlich die bereits in der Einleitung formulierte Frage, inwieweit die Gewalt in der Spätantike soziale Konflikte indiziert. Wurde der Gegensatz zwischen Arm und Reich, vor allem auf dem Lande, so groß, daß er sich zwangsläufig in Gewalt entladen mußte? Ist mit einer wachsenden sozialen Unzufriedenheit zu rechnen, die zu einer Zunahme der Gewaltbereitschaft hätte führen können? Innerdörfliche Konflikte Zahlreiche neuhistorische und sozialanthropologische Studien haben gezeigt, mit welchem Maße an Spannungen und Konflikten in den Dörfern zu rechnen ist. Die Vorstellung von einer „harmonischen Dorfgemeinschaft“ ist ein Mythos. Für die Beilegung von Konflikten existierte ein reiches Instrumentarium: Vermittlung von Dritten, der Gang zu den Gerichten, aber auch die Gewalt. Vielfältige Konflikte und Spannungen sind auch in den spätantiken Dörfern belegt. Diese Spannungen sowie die hieraus resultierenden gewalttätigen Auseinandersetzungen sind für sich aber nicht hinreichend, um die These zu begründen, die Landbevölkerung habe in besonderem Maße zur Gewalt geneigt. Es ist vielmehr auch immer zu fragen, inwieweit „friedliche“, „zivile“ Methoden der Konfliktbeilegung genutzt wurden (Schiedsrichter, Einschaltung staatlicher Gerichte). Letzteres war in der Tat in einem für vorindustrielle Gesellschaften erstaunlichen Umfang der Fall. Mögen auch zahlreiche Nachbarschaftskonflikte, Landräubereien, Viehdiebstähle usw. bezeugt sein, so verdient doch nicht so sehr dies Beachtung, als vielmehr der Umstand, daß die Landbewohner oftmals bereits in einem sehr frühen Stadium des Konfliktes (noch bevor Blut geflossen war) die Gerichte einschalteten. Die Gewalt von Bauern richtete sich nicht so sehr gegen die in den Städten ansässigen Grundbesitzer als vielmehr gegen andere Landbewohner, Nachbarn zumal. Zu Konflikten kam es hauptsächlich mit den Personen, mit denen auch die
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Formen ländlicher Gewalt
engsten sozialen Kontakte bestanden. Gerade im Dorf war man auf die Zusammenarbeit mit den Nachbarn angewiesen, da die wirtschaftlichen Ressourcen auf dem Lande aber besonders begrenzt waren, kam hier auch die in vielen bäuerlichen Gesellschaften anzutreffende Vorstellung vom „limited good“ besonders zum Tragen. Die hagiographischen Quellen wie auch die Papyri enthalten eine Reihe von Hinweisen auf Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn auf dörflicher Ebene. Ein typisches Beispiel: Einem armen Bauern, einem Pächter, wurde in der Nacht die Ernte zerstört; der Mann, der auch noch mittellose Waisenkinder (vermutlich Verwandte) zu ernähren hatte, drohte ins Elend abzugleiten. Der Mönch Symeon machte die Täter ausfindig: es waren drei Männer, die offenkundig im Dorf ansässig waren. Gewalttaten, wie sie hier beschrieben werden, sind in einer ländlichen Gesellschaft durchaus zu erwarten, sie sind für Ägypten auch durch dokumentarisches Quellenmaterial bezeugt, so in einer Petition des Aur. Isidoros. Übeltäter hätten ihm die Getreideernte von 11 Aruren auf der Tenne abgebrannt. Er habe die demosioi des Dorfes gefragt, wer sich an dem betreffenden Tag am Tatort herumgetrieben habe, und mit viel Mühe habe er die Täter ermittelt. Es handelte sich um drei Personen: Akotas und Chairemon stammten wie Isidoros aus Karanis, Heron aus dem Dorf Ptolemais Nea. Brandstiftungen sind auch sonst in den Auseinandersetzungen zwischen Dorfnachbarn bezeugt. Es gab weitere Möglichkeiten, einem Kontrahenten Schaden zuzufügen. Ein Viehbesitzer kann, so Diokletian, nach der lex Aquilia auf doppelten Schadenersatz klagen, wenn seine Schafe gewaltsam eingeschlossen wurden und entweder am Hunger umkamen oder getötet wurden. Es ging hier darum, einen Gegner in seinem Eigentum zu schädigen (die Bestrafung erfolgte nach der lex Aquilia wegen Sachbeschädigung, nicht wegen Viehdiebstahles). Oder es wurden während der Nacht die Obstbäume des Kontrahenten gefällt. Indiz für die Spannungen in der dörflichen Gesellschaft sind auch die zahlreichen Erntediebstähle, die beileibe nicht allesamt durch die Not oder den Hunger veranlaßt waren, sondern vielfach eher dem Zweck dienten, einem Gegner im Dorf Schaden zuzufügen. In den Dörfern bestand also ein vielfältiges Konfliktpotential; hier gibt es viele Gemeinsamkeiten mit anderen bäuerlichen Gesellschaften. Weidendes Vieh richtete Schäden an; Konflikte zwischen Dorfnachbarn waren die Folge. Auseinandersetzungen zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern sind vielfach für agrarische 268
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Vita Symeon. Styl. 39 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 124f.). P. Cair. Isidor. 65 (298/9 n. Chr.); 66 und 67 (299 n. Chr.); vgl. auch 124 (298 n. Chr.). 270 Paul., Sent. 5, 20, 2 (FIRA 2, 406); BGU III 909 (359 n. Chr.); Joh. Chrys., Adv. oppugn. 1, 7 (PG 47, 328). 271 Cod. Iust. 3, 35, 5 (293 n. Chr.). 272 Die Täter wurden auf Zeit zur Zwangsarbeit verurteilt bzw. verbannt (wenn es sich um honestiores handelte): Paul., Sent. 5, 20, 6 (FIRA 2, 406). 269
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Gesellschaften bezeugt. Diokletian bestätigt einem Geschädigten, daß er auf Schadenersatz nach der lex Aquilia klagen könne, wenn seine Felder illegal abgeweidet worden seien. Auch Bagatellangelegenheiten wie der von weidendem Vieh verursachte Schaden kamen also, wie dieses Reskript zeigt, vor die staatlichen Gerichte (und zwar zum Teil bis vor die höchsten Instanzen). Auseinandersetzungen, die Viehschäden zum Gegenstand hatten, waren in Ägypten an der Tagesordnung. Sie waren hier vermutlich besonders häufig, weil Viehzucht und Ackerbau nebeneinander betrieben wurden; in anderen Regionen des Reiches, in denen sich die Grundbesitzer auf Ackerbau oder Viehzucht spezialisiert hatten, waren die Probleme überschaubarer. 292 sah sich der Präfekt genötigt, ein Edikt zu erlassen, welches unterbinden sollte, daß künftighin weidende Tiere der Ernte Schaden zufügten. Um streunendes Vieh ging es 336 in einem Streit zwischen Nachbarn: Die ausgebrochenen Schweine der Aurelia Allous waren, obwohl sie keinen Schaden angerichtet hatten, von Nachbarn gejagt worden. Darauf war es zu Handgreiflichkeiten zwischen der Eigentümerin der Schweine und den Nachbarn gekommen. In anderen Fällen ließen mächtige Viehbesitzer ihr Vieh auf fremdem Land weiden, um dessen Eigentümer zu schädigen und unter Umständen zur Aufgabe des Landes zu zwingen. Melas und dessen Hirten hatten auf einer Arure Land des Isidoros Vieh geweidet. Isidoros unterstellt, Melas wolle ihn ruinieren. Die Klagen setzen sich fort. 324 beschwert sich Isidoros darüber, daß das Vieh von Pamounis und Harpalos seine Pflanzungen beschädigt habe. Er habe eine Kuh der beiden ergriffen und sie in das Dorf führen wollen. Unterwegs begegnete er, so seine Schilderung, den beiden Männern, die ihm mit einem Stock arg zusetzten und die Kuh wieder an sich nahmen. Wären ihm nicht ein Diakon der Kirche sowie ein Mönch zur Hilfe gekommen, wäre es um ihn geschehen gewesen. Ein andermal führt Isidoros Klage darüber, daß fremdes Vieh sieben Aruren Weizenland abgeweidet habe. Wenige Monate später hatte Isidoros die Schuldigen ermittelt, wie sich aus einer weiteren Petition ergibt. Er beschuldigt 273
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Wilson 1988, 76ff. Außer den weiter unten zitierten Stellen vgl. auch noch Ambr., Abr. 2, 6, 27 (CSEL 32, 1, 583f.); Cyrill. Scyth., Vita Sab. 59 (Schwartz 160f.). Für die hohe Kaiserzeit vgl. U. Laffi, L’iscrizione di Sepino (CIL, IX, 2438) relativa ai contrasti fra le autorità municipali e i conductores delle greggi imperiali con l’intervento dei prefetti del pretorio, SCO 14, 1965, 177-200; D. Lengrand, L’inscription d’Henchir Snobbeur, témoin de la romanisation d’une cité pérégrine d’Afrique proconsulaire au IIe siècle, AntAfr 29, 1993, 127-135. 274 Cod. Iust. 3, 35, 6 (294 n. Chr.). 275 P. Oxy. XXXIV 2704 (292 n. Chr.). 276 P. Oxy. VI 901; LIV 3771 (336 n. Chr.). 277 Bereits in der frühen Kaiserzeit trieben die Mächtigen schwächere Nachbarn dadurch in den Ruin und brachten sie zur Aufgabe ihres Landes, daß sie ihr Vieh auf deren Feldern weiden ließen: Iuv. 14, 140ff.; Apul., Met. 9, 35, 3. 278 P. Cair. Isidor. 79 (Anfang 4. Jh. n. Chr.). 279 P. Col. VII 171 (= P. Coll. Youtie II 77) (324 n. Chr.). 280 P. Cair. Isidor. 78 (324 n. Chr.).
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nun nämlich Ammonas, Sambathion, Sotas und Ptollas, sie hätten ihre Rinder auf seine Felder getrieben. Die Beschuldigten hätten am Ort großen Einfluß und würden ihn aus seiner Habe verdrängen wollen. Ähnliche Vorwürfe werden gegen den Hirten Harpalos gerichtet. Die Behauptung, daß seine Gegner besonders mächtig und einflußreich seien, ist vermutlich bloße Rhetorik. Denn einer der Gegner war lediglich ein Hirt, und ob die anderen Personen wirklich so viel mächtiger waren als Isidoros, ein immerhin recht vermögender Bauer, ist fraglich. Die Klage legt vielmehr einmal mehr Zeugnis ab von den Nachbarschaftskonflikten, wie sie nicht nur in ägyptischen Dörfern, sondern auch in vielen anderen ländlichen Gesellschaften an der Tagesordnung waren. Wenn bislang betont wurde, daß sich in den innerdörflichen Konflikten zumeist gleichrangige Nachbarn gegenüberstanden, so ist dies etwas zu modifizieren. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich waren auf dörflicher Ebene nicht so groß wie zwischen den Bauern auf der einen Seite, den in der Stadt ansässigen Großgrundbesitzern auf der anderen Seite. Aber auch die Dörfer hatten ihre soziale Hierarchie. Sie hatten ihre protokometai, vielleicht auch dekaprotoi und so etwas wie einen Rat. Unter der Leitung eines einzelnen Komarchen oder auch eines Kollegiums verfügten die Dörfer über weitere Beamtengremien, etwa für die Dorffinanzen. Die Personen, die diese Funktionen ausübten, hoben sich auch hinsichtlich ihrer ökonomischen Ressourcen von den anderen Dorfbewohnern ab. Es ergaben sich vielfältige Konflikte zwischen den Angehörigen dieser Dorfelite und der großen Masse der einfachen Bauern. Häufig ging die Gewalt im Dorf von Männern aus, die hier über Macht und Einfluß verfügten. Einem gewissen Isaak wird vorgeworfen, sich im Dorf tyrannisch zu verhalten und so zu tun, als ob es keine Gesetze gebe. Der Hinweis auf das „tyrannische“ Gebaren von Dorfbewohnern findet sich wiederholt in den Petitionen und Anzeigen; wir haben allerdings nur selten die Möglichkeit, zu überprüfen, ob die Gegner wirklich so mächtig und einflußreich waren, wie die Petenten den Anschein erwecken wollen. 281
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P. Mert. II 92 (324 n. Chr.). Vgl. hierzu auch noch P. Cair. Isidor. 140 descr. (323 n. Chr.) und ferner P. Cair. Masp. I 67001 (514 n. Chr.); I 67087 (6. Jh. n. Chr.); Keenan, 1985; 1989, 191. Aus der frühen Kaiserzeit vgl. zum Thema Viehschaden auch noch P. Ryl. II 69 (34 v. Chr.); P. Ryl. II 73 (33/30 v. Chr.); P. Oslo III 123 (22 n. Chr.); P. Ryl. II 126 (28/9 n. Chr.); P. Ryl. II 131 (31 n. Chr.); P. Ryl. II 132 (32 n. Chr.); P. Ryl. II 138 (34 n. Chr.); P. Ryl. II 141 (37 n. Chr.); P. Ryl. II 143 (38 n. Chr.); P. Ryl. II 149 (39/40 n. Chr.); P. Ryl. II 152 (42 n. Chr.). 282 Zur Dorfelite (am Beispiel des ägyptischen Aphrodito) vgl. J.G. Keenan, Aurelius Phoibammon, Son of Triadelphius: A Byzantine Egyptian Land Entrepreneur, BASP 17, 1980, 145-154; ders., Aurelius Apollos and the Aphrodite Village Élite, in: Atti del XVII Congresso internazionale di papirologia (Napoli, 19-26 maggio 1983), Napoli 1984, Bd. 3, 957-963; Keenan 1984; Ruffini 2008, 147ff. Für Nessana im Negev vgl. Ruffini 2011. 283 P. Lond. V 1681 (6. Jh. n. Chr.). 284 PSI VI 686 (6. Jh. n. Chr.).
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Es ist hier stets mit einem gewissen Maß an Rhetorik zu rechnen. Von den gewalttätigen Übergriffen von Angehörigen der Dorfelite hören wir allerdings mehrfach auch in den hagiographischen Quellen. Wenn es zu Konflikten zwischen Gläubigern und Schuldnern kam, so handelte es sich bei den Wucherern, die ihre Schuldner durch die Vergabe von Darlehen um ihr Land zu bringen suchten, zumeist sicher nicht um in der Stadt ansässige Großgrundbesitzer; die Darlehensgeber waren vielmehr vielfach vermögende Dorfbewohner. In anderen Fällen betrogen ländliche Arbeitgeber ihre Lohnarbeiter um den vereinbarten Lohn, was ebenfalls zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen mochte. In den Quellen wird vielfach auf die potentes hingewiesen, die ihre ärmeren Nachbarn ausraubten (und hierfür zumeist ohne Strafe davonkamen). Sie können mächtige in der Stadt ansässige Großgrundbesitzer gewesen sein. Für die meisten Dorfbewohner waren aber die „Mächtigen“, unter denen sie zu leiden hatten, nicht so sehr die Senatoren oder die Curialen, mit denen sie nur sehr selten in Kontakt kamen, als vielmehr ihre Dorfnachbarn, und mochten diese auch lediglich auf örtlicher Ebene über Einfluß verfügen. Wenn es im ländlichen Raum zu Auseinandersetzungen kam, so standen sich nicht so sehr Bauern auf der einen Seite und die in der Stadt ansässigen Großgrundbesitzer auf der anderen Seite gegenüber, als vielmehr innerhalb der bäuerlichen Schicht die Reicheren und die Ärmeren. 285
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Fehden zwischen Nachbardörfern Die häufig bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Nachbardörfern sind ein Kennzeichen vieler bäuerlicher Gesellschaften. Die Xenophobie ist sehr stark ausgeprägt, ein Fremder gilt als Feind. Fehden zwischen Nachbargemeinden sind auch in den spätantiken Quellen vielfach bezeugt. Aus dem Jahr 350 stammt die Erklärung dreier Irenarchen an zwei riparii: Nach einem Angriff einiger Bewohner des Dorfes Tynchinphagi auf das Nachbardorf Ptolema hatten sie den Auftrag erhalten, den Sachverhalt zu untersuchen und die Schuldigen vor Gericht zu bringen. Eine andere Geschichte: Bewohner des Dorfes Kerkesis hatten Fischer aus Oxyrhynchos überfallen. Daraufhin wollten die Bewohner von Oxyrhynchos 289
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R.S. Bagnall, Official and Private Violence in Roman Egypt, BASP 26, 1989, 201-216, 211f. 286 Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 4 (Brooks, PO 17, 72ff.); Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 58 (Schwartz 79/81). 287 Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 1 (Brooks, PO 17, 8f.). 288 P. Oxy. XLIX 3480 (ca. 360/90 n. Chr.); Joh. Chrys., De poen. hom. 2, 3 (spur.) (PG 60, 704); Joh. Mosch., Prat. spir. 154 (PG 87, 3, 3021/4); Neri 1998, 138ff. 289 P.A. Dennis, The Uses of Inter-village Feuding, Anthropological Quarterly 49, 1976, 174-184; Macfarlane 1981, 178; 190; Wilson 1988, 158ff.; Burghartz 1990, 150ff. 290 P. Oxy. XIX 2233 (350 n. Chr.).
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gegen das Dorf zu Felde ziehen, wurden aber hieran von einem Beamten gehindert. Streitigkeiten zwischen Nachbardörfern waren in Ägypten gang und gäbe, zumeist ging es um die Abgrenzung der Dorfterritorien oder um Probleme mit der Wasserversorgung. Auch außerhalb Ägyptens sind Konflikte zwischen Nachbardörfern, die im Extremfall zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führten, bezeugt. Ob sie freilich hier genauso häufig waren, wie dies nach Ausweis der Papyri in Ägypten der Fall war, ist nicht sicher. Die Konflikte ergaben sich in Ägypten oftmals aus einer unzureichenden Wasserversorgung; dieses Konfliktpotential war in dieser Form in anderen Regionen des Reiches nicht vorhanden. 291
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Landraub und Landstreitigkeiten In den meisten ländlichen Gesellschaften ist das Land ein knappes Gut, Landstreitigkeiten gehören daher zum Alltag. Auch in der spätantiken Literatur ist eine der am häufigsten erwähnten Straftaten der Landraub, das Verrücken von Grenzsteinen. Opfer des Ausdehnungsdranges der größeren Grundbesitzer waren die ärmeren Nachbarn, die von ihrem Land vertrieben wurden. Man könnte versucht sein, die Klagen der Kirchenväter für Topik zu halten, wenn es denn nicht konkrete 294
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BGU IV 1035 (= Hunt - Edgar II 429) (1. Hälfte 5. Jh. n. Chr.). P. Sakaon 32 (= P. Thead. 14) (Ende 3. Jh. n. Chr.); P. Sakaon 33 (= P. Ryl. IV 653) (320 n. Chr.); P. Sakaon 42 (= P. Thead. 20) (ca. 323 n. Chr.); P. Sakaon 44 (= P. Thead. 17) (Duplikat: P. Turner 44) (331/2 n. Chr.); P. Sakaon 35 (= P. Thead. 16) (332 n. Chr.?); P. Sakaon 45 (= P. Thead. 24) (334 n. Chr.); P. Sakaon 45a (= P. Thead. 25) (334 n. Chr.); P. Haun. inv. 318 (439 n. Chr.) (= Bonneau 1979); P. Oxy. XVI 1831 (Ende 5. Jh. n. Chr.); P. Princ. III 120 (6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. VIII 1106 (6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. VIII 1165 (6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1853 (6./7. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1866 (6./7. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1897 (6./7. Jh. n. Chr.); P. Lond. V 1677 (566/7 n. Chr.); P. Cair. Masp. I 67002 (567 n. Chr.); P. Cair. Masp. III 67322 (Mitte 6. Jh. n. Chr.); P. Lond. V 1682 (Mitte 6. Jh. n. Chr.) (hierzu Keenan 1985, 258f.); P. Oxy. XVI 1867 (7. Jh. n. Chr.); M. Gelzer, Studien zur byzantinischen Verwaltung Ägyptens, Leipzig 1909, 66f. Auseinandersetzungen zwischen Nachbardörfern in Ägypten sind auch in hagiographischen Quellen belegt: Pallad., Hist. Laus. 31 (Bartelink 148/50); Historia monachorum in Aegypto 8, 30ff. (Festugière 58/61). 293 Vita Theod. Syc. 150 (Festugière 119f.); Theophanes, Chron. A.M. 5824 (de Boor 1, 29); Lib., Or. 47, 4ff. 294 Lact., Inst. 5, 2, 2f. (CSEL 19, 403f.); Greg. Naz., Or. 16, 18 (PG 35, 957/60); Carm. 1, 28, Z. 21ff. (PG 37, 858); Teja 1974, 46ff.; Ambr., Hex. 5, 10, 27 (CSEL 32, 1, 161); Nab. 1, 1 (CSEL 32, 2, 469); In psalm. 118 serm. 6, 32 (CSEL 62, 124); 8, 5 (ibid. 151); 8, 58, 4 (ibid. 187f.); 12, 42, 2 (ibid. 276); 18, 16 (ibid. 405); In psalm. 1, 29 (CSEL 64, 23f.); Zeno 1, 5, 2, 8 (CCL 22, 39); Joh. Chrys., In gen. hom. 22, 6 (PG 53, 194f.); 33, 3 (ibid. 308/10); De Davide et Saule 3, 3 (PG 54, 698); Aug., Serm. 17, 4 (CCL 41, 239f.); 22A, 5 (ibid. 305); Serm. Lambot 1 (PLS 2, 749); In psalm. 39, 7 (CCL 38, 430); 139, 7 (CCL 40, 2016); Epist. 20*, 29 (CSEL 88, 110); Salv., Gub. 5, 58f. (Lagarrigue 354/6); Caes. Arel., Serm. 183, 3 (CCL 104, 745). 292
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Hinweise darauf gäbe, daß Streitigkeiten um Landbesitz gang und gäbe waren und Gewaltanwendung gegen schwächere Nachbarn hierbei eine Rolle spielte. Gregor von Nazianz bittet einen Amtsträger um Unterstützung für seine beiden Cousins Helladios und Eulalios: Sie hatten ein Grundstück gekauft, waren aber in Konflikt geraten mit den Verkäufern sowie den Nachbarn: Letztere raubten und verheerten das Land. Die beiden Käufer fordern die Rückerstattung des Kaufpreises sowie ihrer zusätzlichen Aufwendungen. Aus einem Streit um ein Stück Land zwischen dem Ökonomen der Kirche und einem heidnischen principalis entwickelte sich in Gaza ein Konflikt zwischen Heiden und Christen. In Ägypten waren Landstreitigkeiten an der Tagesordnung, wobei es hin und wieder auch zur Gewaltanwendung kam. Aur. Germanos klagte gegen mehrere vermögende und einflußreiche Dorfbewohner, die ihm Land streitig machten. Es wird ein Überfall „auf räuberische Art“ (mit Knüppeln etc.) erwähnt. Bereits vor fünf Jahren war ein Urteil zu Gunsten des Petenten ergangen (an welches sich seine Gegner aber offenbar nicht hielten). Die Streitigkeiten zogen sich oft über einen beträchtlichen Zeitraum hin. Aurelia Thaesis klagt vor dem defensor civitatis (syndikos): Vier namentlich genannte Personen (darunter eine Frau) hätten ihr Land geraubt, für das sie weiterhin habe Steuern zahlen müssen. Thaesis hatte sich schon vorher an den Präfekten gewandt, um die Grenzen ihres Landes fixieren zu lassen. Offenkundig hatte sie das Land zurückerhalten und acht Bauern verpachtet, die jedoch von den Beschuldigten tätlich angegriffen und geschlagen wurden. Besonders der Moment, da der rechtmäßige Eigentümer verstorben war, war kritisch; alleinstehende Frauen oder minderjährige Kinder hatten oft Schwierigkeiten, ihr Erbe anzutreten. Dieses Schicksal traf Aurelia Serenilla, Tochter eines ExGymnasiarchen und Ratsherrn von Oxyrhynchos; ihre Gegner (sie werden als „gewalttätige und einflußreiche Leute“ bezeichnet) waren zwar durch ein Urteil des Präfekten zur Rückerstattung der strittigen Güter verpflichtet worden, aber bis zur Abfassung der Petition scheint diese noch nicht erfolgt zu sein. Die aus 295
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Greg. Naz., Epist. 14 (Gallay 1, 21f.); auf denselben Rechtsstreit bezieht sich Epist. 15 (ibid. 22f.). 296 Marc. Diac., Vita Porph. 95 (Grégoire – Kugener 73). Von einem Streit zwischen christlichen und heidnischen Dorfbewohnern um Land handelt auch die Historia monachorum in Aegypto 8, 36f. (Festugière 61). Weitere Beispiele: Symm., Epist. 1,74; 9, 123 (113); Rel. 28; 38; 49; Apophthegmata patrum, Gelasios 2 (PG 65, 148); Ennod. 80 (opusc. 3) (Vita Epifani Ticinensis ecclesiae), 21ff. (MGH, AA 7, 87). 297 P. Panop. 31 (= SB XII 11224), Kol. I (329 n. Chr.); P. Oxy. I 67 (= Mitteis, Chr. 56 = Meyer, Jur. Pap. 87 = FIRA III 173) (338 n. Chr.); P. Oxy. L 3575 (341 n. Chr.); P. Cair. Goodsp. 15 (362 n. Chr.). Vgl. auch noch P. Panop. 25 (= SB XII 11218) (Anfang 4. Jh. n. Chr.); P. Sakaon 43 (= P. Thead. 61 = SB I 5356) (327 n. Chr.); P. Oxy. XII 1470 (336 n. Chr.); P. Oxy. L 3579 (341/3 n. Chr.); P. Oxy. LI 3627 (Ende 4. Jh. n. Chr.); BGU IV 1094 (525 n. Chr.). 298 P. Amh. II 142 (4. Jh. n. Chr.). 299 SB III 6294 (= P. Freib. II 11) (336 n. Chr.). 300 P. Oxy. XLVI 3302 (300/1 n. Chr.).
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Ägypten überlieferten Fälle von Landstreitigkeiten korrigieren ein wenig den Eindruck, der sich aus der Lektüre der Kirchenväter ergibt: Bezichtigen diese die „potentes“ (wobei man geneigt ist, an einflußreiche Großgrundbesitzer zu denken), ihren Grundbesitz auf Kosten ärmerer Nachbarn auszudehnen, so zeigen die Papyri, daß die Landräuber in der dörflichen Gesellschaft Ägyptens derselben sozialen Schicht entstammten wie die Opfer, auch wenn sie in den Petitionen häufig als „einflußreiche und tyrannische Leute“ o.ä. bezeichnet werden. Nicht zuletzt bestätigen auch die juristischen Quellen, daß fremder Grundbesitz mit Gewalt oder Androhung von Gewalt in Besitz genommen wurde bzw. daß strittige Grundstücke, über die noch ein Prozeß anhängig war, von einer der beiden Parteien, noch ehe ein Urteil gefällt worden war, okkupiert wurden. Oder aber mächtige Gegner hinderten den rechtmäßigen Eigentümer an der Bestellung seines Landes. Diesem war es zur Verteidigung seines Besitzes gestattet, Gewalt zurückzuweisen. Die Strafen variierten: Gräbt jemand Grenzsteine aus oder fällt er Bäume, die als Grenzmarkierung dienen, so wird er, wenn er Sklave ist und die Tat aus eigenem Antrieb begangen hat, nach den Sentenzen des Paulus zur Bergwerksarbeit verurteilt. Humiliores droht als Strafe Zwangsarbeit (opus publicum), honestiores Verbannung (Relegation) unter Verlust eines Drittels ihres Vermögens. Die invasores fremden Grundbesitzes hatten doppelten Schadenersatz zu leisten, aber darüber hinaus kam natürlich auch eine strafrechtliche Ahndung in Betracht. Da Streitigkeiten um Landbesitz mitunter zu Toten führten, verschärfte Konstantin die Strafen, die auf vis standen. Habe jemand einen anderen getötet, so solle er nicht mehr lediglich mit der Verbannung, sondern mit dem Tod bestraft werden. Die Angreifer bedienten sich bewaffneter Banden, die sich vornehmlich aus Sklaven zusammengesetzt haben dürften. Valerianus von Cemenelum schildert, 301
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Cod. Iust. 4, 49, 17 (Diokletian); 8, 4, 2 (293 n. Chr.); 8, 35 (36), 5 (293 n. Chr.); 8, 4, 3 (294 n. Chr.); 8, 4, 4 (294 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 10, 2 (317 n. Chr.); 9, 10, 3 (= Cod. Iust. 9, 12, 7) (319 n. Chr.); 4, 22, 1 (= Cod. Iust. 8, 5, 1) (326 n. Chr.); 2, 26, 1 (= Cod. Iust. 8, 4, 5) (330 n. Chr.); 2, 26, 2 (330 [317] n. Chr.); 4, 22, 2 (= Cod. Iust. 8, 4, 6) (381 n. Chr.); 4, 22, 3 (= Cod. Iust. 8, 4, 7) (389 n. Chr.); Nov. Val. 8, 1 (440 n. Chr.); 8, 2 (441 n. Chr.). 302 Cod. Iust. 7, 32, 4 (290 n. Chr.): Eine Frau hatte ein Landgut aus Angst längere Zeit nicht bestellen können. Dies bedeute nicht, so Diokletian, daß sie das Land aufgegeben habe; sie habe weiterhin Anspruch hierauf. 303 Cod. Iust. 8, 4, 1 (290 n. Chr.). 304 Paul., Sent. 5, 22, 2 (FIRA 2, 407). 305 Cod. Theod. 2, 26, 2 (330 [317] n. Chr.); 4, 18, 1 (= Cod. Iust. 7, 51, 2) (369 n. Chr.). 306 Cod. Theod. 9, 1, 1 (= Cod. Iust. 3, 24, 1) (316/7 n. Chr.). 307 Cod. Theod. 9, 10, 1 (= Cod. Iust. 9, 12, 6) (317 n. Chr.?). Drohung mit der Todesstrafe auch in Cod. Theod. 9, 10, 2 (317 n. Chr.). 308 Symm., Epist. 1, 74. Schon während der frühen Kaiserzeit wurden, wie u.a. die Digesten zeigen, Banden gebildet, meist aus Sklaven, um sich fremder Grundstücke zu bemächtigen Dig. 4, 2, 9 (Ulpian); 43, 16, passim; Apul., Met. 9, 35ff.; Sen., Brev. vit. 3,
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wie die Grenzstreitigkeiten eskalieren: Man tauscht zunächst Argumente aus, gerät in Streit und bewaffnet schließlich seine Sklaven, holt seine Verwandten zu Hilfe; es kommt zu Mord und Totschlag. Man konnte sich also auf die Solidarität der Verwandten verlassen. Auch andere Abhängige mögen hin und wieder rekrutiert worden sein. Augustin schreibt von den Gewalttaten einer domus potentissima: Cum ergo esset hic eadem domus magna, multi sub illa gemebant, murmurabant ... Subito fiebant ipsius domus illi qui murmurabant de ipsa domo (sie wurden also in irgendeiner Form abhängig, vielleicht Kolonen); et ab eis talia homines patiebantur, qualia se pati ipsi a talibus paulo ante querebantur. Wer waren die Opfer? Der Landbesitz von „absentee landlords“, von Grundbesitzern, die fernab in Rom oder einer anderen großen Stadt wohnten und ihren Grund und Boden nur sporadisch besuchen konnten, hatte in besonderem Maße unter den Begehrlichkeiten der Nachbarn zu leiden. Häufig waren die Opfer Frauen oder Minderjährige. Mit dem wachsenden Wohlstand der Kirche war auch diese immer häufiger in Landstreitigkeiten verwickelt; andere Grundbesitzer bemächtigten sich mit Gewalt Landes der Kirche. Man sollte nicht glauben, daß bei den Auseinandersetzungen um Immobilien immer auf der einen Seite die Mächtigen, auf der anderen die Schutzlosen und Schwachen standen. Vielfach stammten die Kontrahenten aus derselben sozialen Schicht. Es war sicher zumeist gar nicht aggressiver Ausdehnungsdrang, der zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen führte. Jemand, der guten Gewissens glaubte, der rechtmäßige Eigentümer einer Immobilie zu sein, verdrängte den aktuellen Inhaber des Landes, statt sich an das Gericht zu wenden. Im spätantiken Recht wurden diese Formen der Selbsthilfe zurückgedrängt, ohne daß sie freilich ganz eliminiert werden konnten. Konstantin stellt klar, daß jemand, der glaubt, rechtmäßiger Eigentümer eines Landgutes zu sein, sich an die Gerichte zu wenden habe, entweder in einer Zivilklage oder einem Strafprozeß. Wenn er seinem Gegner die unterstellte violentia nicht nachweisen könne, drohten ihm dieselben Strafen wie 309
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1; R. MacMullen, Roman Social Relations 50 B.C. to A.D. 284, New Haven – London 1974, 6f. 309 Val. Cem., Hom. 20, 3 (PL 52, 752f.). 310 Aug., In psalm. 93, 1, (CCL 39, 1300f.). Ähnlich Bas., Hom. in divites 5 (PG 31, 293/6). 311 Cod. Theod. 4, 22, 1 (= Cod. Iust. 8, 5, 1) (326 n. Chr.); 4, 22, 4 (396 n. Chr.); Nov. Val. 8, 1 (440 n. Chr.); Cod. Iust. 8, 4, 11 (532 n. Chr.); Symm., Epist. 3, 53; Cassiod., Var. 1, 15, 2 (CCL 96, 25); Auson. 27 (Epist.), 23, 30ff. (Green); Symm., Epist. 3, 69; 5, 18 (17). 312 Claud., In Eutr. 2, 508ff.; Bas., Hom. in martyrem Iulittam 1 (PG 31, 237/40); Lib., Or. 14, 68; Symm., Epist. 1, 74; 4, 71 (72); F. van Ommeslaeghe, Jean Chrysostome en conflit avec l’impératrice Eudoxie. Le dossier et les origines d’une légende, AB 97, 1979, 131-159, 135ff.; Greg. M., Epist. 1, 60 (CCL 140, 71); 1, 62 (ibid. 72); 3, 5 (ibid. 150); 3, 43 (ibid. 188); 9, 39 (CCL 140A, 598); 9, 84 (ibid. 638f.); P. Freib. II 11 (= SB III 6294) (336 n. Chr.); P. Cair. Goodsp. 15 (362 n. Chr.). 313 Aug., Epist. 21, 5 (CSEL 34, 1, 52f.); Cassiod., Var. 2, 29 (CCL 96, 78); 4, 17 (ibid. 153f.); 4, 20 (ibid. 155f.). 314 Cassiod., Var. 3, 52 (CCL 96, 136f.); Symm., Epist. 2, 91 (90).
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dem Angeklagten im Falle der Verurteilung. Es sei nicht zu dulden, daß Gewalt angewendet werde: In diesem Falle sei vor Gericht zunächst über die Gewalt zu verhandeln, erst dann über die Frage, wer der rechtmäßige Eigentümer des strittigen Grundstückes sei. Wenn in der Hauptfrage gegen den Angreifer entschieden werde, sei er unter Konfiskation seiner Habe auf eine Insel zu verbannen. Falle dagegen das Urteil zu seinen Gunsten aus, solle er die Hälfte der strittigen Ländereien erhalten, die andere Hälfte falle an den Fiskus. Nicht in jedem Fall waren Auseinandersetzungen um Grund und Boden mit der Anwendung von Gewalt verbunden. Landstreitigkeiten zählten zu den Konflikten, mit denen die Provinzstatthalter regelmäßig konfrontiert waren. Nach Gregor von Nyssa führte der Streit um Landbesitz zwar häufig zu Gefechten zwischen den Nachbarn und zu Mord und Totschlag. Aber er geht davon aus, daß die Angelegenheit dann doch vor Gericht kommt. Statt Gewalt anzuwenden, zogen Großgrundbesitzer es vor, ihre ärmeren Nachbarn durch schikanöse Prozesse um ihren Besitz zu bringen. Angesichts ihrer finanziellen Ressourcen und ihres Einflußes auf die Richter fiel es ihnen nicht schwer, auch bei einer schwachen Rechtsposition gleichwohl vor Gericht recht zu bekommen. Caesarius von Arles schildert, wie ein armer Nachbar zum Verkauf seines Landes gebracht wird: Man schickt ihm die Steuereintreiber auf den Hals oder bringt es dazu, daß er ein kostspieliges munus übernehmen muß. Wenn er um ein Darlehen nachsucht, behauptet man, kein Geld flüssig zu haben, so daß er genötigt ist, sein Land zum Verkauf anzubieten. Gewalt war nicht das einzige Mittel, mit Hilfe dessen Großgrundbesitzer ihren Besitz ausdehnten. Auch wenn Darlehen mit der Absicht ausgegeben wurden, sich über kurz oder lang das Land des Nachbarn anzueignen, sprechen die Kirchenväter von „Raub“. Mag es also auch in manchem Fall zur Anwendung von Gewalt und zum Blutvergießen gekommen sein, so ist es doch im Lichte dessen, was für andere agrarische Gesellschaften bezeugt ist, viel bemerkenswerter, mit welcher Häufigkeit Konflikte um Grund und Boden von vornherein oder zumindest in einem späteren Stadium der Auseinandersetzungen 315
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Cod. Theod. 9, 10, 3 (= Cod. Iust. 9, 12, 7) (319 n. Chr.). Cod. Theod. 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.); Nov. Iust. 69, 1 (538 n. Chr.). 317 Greg. Nyss., De oratione Dominica, or. 1 (PG 44, 1121). 318 Bas., Hom. in divites 5 (PG 31, 293/6); Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 21ff. (PG 37, 858/60); Ambr., In psalm. 38, 27 (CSEL 64, 205); Zeno 1, 25, 6, 10f. (CCL 22, 75); 2, 1, 5, 15ff. (ibid. 148f.); Lib., Or. 14, 10f.; 45. Besitzansprüche wurden durch gefälschte Dokumente abgesichert: Greg. Nyss., De oratione Dominica, or. 4 (PG 44, 1173). Vgl. auch Cod. Iust. 7, 34, 1 (Diokletian). 319 Caes. Arel., Serm. 154, 2 (CCL 104, 628/30). 320 Darlehen waren ein Mittel, ärmere Nachbarn in wirtschaftliche Abhängigkeit zu versetzen und sie letztlich zum Verkauf ihres Landes zu nötigen: Aug., In psalm. 39, 28 (CCL 38, 445f.); Serm. 177, 6 (PL 38, 956); Canones in causa Apiarii 5 (CCL 149, 102; vgl. ibid. 118; 134); Joh. Chrys., In Matth. hom. 15, 9 (PG 57, 235f.); Krause 1987a, 297f. 316
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vor die staatlichen oder die kirchlichen Gerichte kamen. Wenn Augustin an einen Konflikt um Landbesitz denkt, assoziiert er zunächst einmal ein Gerichtsverfahren, keinen bewaffneten Konflikt. Die invasiones bzw. pervasiones fremden Grundbesitzes waren nicht kennzeichnend für die ländliche Gesellschaft der Spätantike. Den Reichen standen „zivilere“ Methoden zu Gebote, wollten sie ihren Grundbesitz arrondieren. 321
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Bäuerlicher Widerstand? Nur wenige Forscher werden heute, wie dies noch in den 80er Jahren de Ste. Croix in seinem großen Werk über den „Klassenkampf in der griechischen Welt“ getan hat, von einem sich verschärfenden „Klassenkampf“ in der Spätantike ausgehen. Daß aber die soziale Unzufriedenheit zumal in der Landbevölkerung zugenommen hat, ist weiterhin eine in der Forschung vertretene Auffassung, und so lohnt es, zu fragen, inwieweit sich die ländliche Bevölkerung gegen die Ausbeutung, der sie seitens der Staatsorgane wie auch der Großgrundbesitzer ausgesetzt war, aufgelehnt hat. Leisteten die Bauern also Widerstand und, wenn ja, in welcher Form? Welche Bedeutung kam in diesem Zusammenhang der physischen Gewalt zu? Kamen auch alternative Formen des Widerstandes (etwa der Gang zu den Gerichten) zum Zuge? Die bäuerliche Bevölkerung war sicherlich nicht so wehrlos, wie dies häufig in den Quellen den Anschein hat. Auch gegen Staatsorgane ist bäuerlicher Widerstand belegt, obschon es augenscheinlich nicht häufig zu Gewalttaten kam. Dörfer 323
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___________________________ 321 Ambr.,
Obit. Valent. 37 (CSEL 73, 347f.); Chromat., Serm. 31, 4 (Lemarié 2, 150/4); Symm., Epist. 6, 9; 6, 11; Proc., Hist. arc. 8, 11. Mitunter war die unterlegene Partei allerdings nicht bereit, das Urteil zu akzeptieren: Cassidod., Var. 1, 5 (CCL 96, 17). Vor das Bischofsgericht kamen häufig Streitigkeiten um Land oder Vieh: Aug., Epist. 33, 5 (CSEL 34, 2, 22). Vgl. auch noch Paul. Nol., Epist. 12, 12 (CSEL 29, 83f.); 14, 3f. (ibid. 109f.); 15, 2f. (ibid. 111f.): Der Priester Basilius war von mächtigen Nachbarn um seinen kleinen Besitz gebracht worden, erhielt ihn allerdings auf Intervention des Paulinus von Nola zurück. Die Briefe des Paulinus enthalten keinen Hinweis darauf, daß Basilius mit Gewalt von seinem Land verdrängt worden war. Paulinus läßt durchblicken, daß die Ansprüche des Basilius juristisch schlecht fundiert waren. Es dürfte also ein vor Gericht ausgetragener Rechtsstreit vorausgegangen sein, als Paulinus bei der siegreichen Partei zugunsten des Basilius intervenierte. 322 Aug., Epist. 21, 5 (CSEL 34, 1, 52f.); Serm. 358, 2 (PL 39, 1586f.). 323 De Ste. Croix 1981, 474ff. 324 Die Einwohner des castellum Fussala verlangten energisch die Absetzung ihres Bischofs Antoninus, der sich viele Gewalttaten hatte zuschulden kommen lassen. Augustin befürchtet, die Landbewohner würden auch zu offener Gewalt greifen, wenn ihrem Anliegen nicht stattgegeben werde; sie hatten hiermit schon gedroht: Aug., Epist. 209, 5 (CSEL 57, 349f.). In einem anderen Fall war ein Angriff der Landbevölkerung auf das Haus eines Priesters zu befürchten, gegen den von seinen Gemeindemitgliedern Klagen erhoben worden waren: Aug., Epist. 251 (CSEL 57, 599f.).
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Formen ländlicher Gewalt
in Ägypten suchten sich, so ein kaiserlicher Erlaß aus dem Jahr 395, nicht nur durch das Patrocinium von Militärs oder Beamten der regulären Steuerzahlung zu entziehen, sondern auch durch offene Gewalt, „ihrer Zahlenstärke vertrauend“. Dies ist genau die Situation, die Libanios so anschaulich schildert: Bauern in der Umgebung von Antiochia leisteten den Curialen, die die Steuern erheben wollten, Widerstand. Die städtischen Steuereintreiber drohten den zahlungsunwilligen Dorfvorstehern mit der Inhaftierung. Darauf gingen die Dorfbewohner mit Steinwürfen gegen die Steuereintreiber vor, und es war diesen nicht einmal möglich, die Schuldigen vor Gericht zu ziehen, denn der Schutz, den die Militärs den Dorfbewohnern gewährten, hinderte sie hieran. Justinian begründet die Zusammenlegung ziviler und militärischer Gewalt in einigen kleinasiatischen Provinzen damit, auf diese Weise könne das Räuberunwesen besser bekämpft werden, er weist aber auch auf „große und bevölkerungsstarke Dörfer“ hin, die mit Gewalt die Steuerzahlung verweigert hatten. Zahlreiche Dörfer waren also so stark, daß sie sich mit einigem Erfolg den Staatsorganen widersetzen konnten. Libanios setzt auf der anderen Seite aber ein hohes Maß an Gesetzestreue bei der Landbevölkerung voraus. Indem er sich mit dem Vorwurf fanatischer Christen auseinandersetzt, die Landbevölkerung pflege der kaiserlichen Gesetzgebung zuwider heidnische Kulte, stellt er die rhetorische Frage, ob man wirklich glauben könne, daß die Bauern, die schon kaum den Anblick eines Steuereintreibers ertragen könnten, die kaiserlichen Anordnungen mißachteten. Diese Einschätzung wird aufs ganze gesehen die Realität treffen. Einer überwältigenden Fülle von Hinweisen auf erpresserische und räuberische Steuerbeamte und Amtsträger stehen nur wenige Fälle von Widerstand gegenüber. Die Landbevölkerung kann also schwerlich als besonders aufsässig charakterisiert werden. Gegen ihre Grundbesitzer setzten sich Bauern (Kolonen) gleichfalls nur in Ausnahmefällen mit Gewalt zur Wehr. In der reichen ägyptischen Dokumentation ist nur ein Fall bezeugt. In der Umgebung von Gaza schlugen heidnische Dorfbewohner einen Vertreter der Kirche, der den Auftrag hatte, den Pachtzins einzuziehen, mit Knüppeln halbtot. Theodor von Sykeon, im 6. Jh. Bischof des kleinasiatischen Ortes Anastasioupolis, vertraute die Verwaltung der kirchlichen 325
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Cod. Theod. 11, 24, 3 (395 n. Chr.). In den Papyri finden sich nur wenige Hinweise auf Gewalttaten gegen Staatsbeamte oder Steuereintreiber: P. Abinn. 15 (= P. Lond. II 415, p. 283) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Col. VIII 242 (5. Jh. n. Chr.); P. Lond. III 1075, p. 281f. (7. Jh. n. Chr.). 326 Lib., Or. 47, 7f. 327 Nov. Iust. 24, 1 (535 n. Chr.); 25, 5, 2 (535 n. Chr.). Vgl. auch noch Ed. Iust. 13 (538/9 n. Chr.): Sicherung des Getreidetransports von Alexandria nach Konstantinopel. Der Augustalis erhält militärische Kompetenzen und die Vollmacht, seine Truppen gegen Unruhestifter, die die Steuerzahlung verweigern, einzusetzen. 328 Lib., Or. 30, 15. 329 P. Cair. Preis. 4 (320 n. Chr.). 330 Marc. Diac., Vita Porph. 22 (Grégoire – Kugener 19f.).
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Ländereien Städtern an, darunter einem protector namens Theodosios. Als dieser sich bei der Eintreibung der Abgaben viele Gewalttaten zuschulden kommen ließ, bewaffneten sich die Bauern und vertrieben ihn mit Steinwürfen. Unter den Problemen, mit denen ein kirchlicher Vermögensvewalter (defensor) konfrontiert war, werden von Gregor dem Großen an der Wende vom sechsten zum siebenten Jahrhundert auch zahlungsunwillige (contumaces) Kolonen genannt. Als weitere Problemkreise, die die Aufmerksamkeit des Defensors in Anspruch nehmen, werden die Flucht von Sklaven (mancipia) sowie Übergriffe der Kolonen auf fremden Grund und Boden (invasio) angeführt. Wenn die Kolonen ihren Pachtzins nicht zahlten, muß dies freilich nicht bedeuten, daß sie gewaltsamen Widerstand leisteten. Anders ist dies in der Geschichte des Abtes Nanctus, die bereits in das westgotische Spanien führt: Nanctus wurde von abhängigen Bauern, die ihm vom Westgotenkönig übereignet worden waren, ermordet. Der König verzichtete auf eine Bestrafung der Täter. Während des Krieges gegen Belisar ermahnte Cassiodor den Statthalter in Lucanien und Bruttium, dafür zu sorgen, daß die lokalen possessores sowie die conductores nicht ihre Leute bewaffneten. Denn es bestehe die Gefahr, daß die Bauern, die auch im Frieden kaum zu bändigen seien, sich, sobald sie erst einmal Waffen hätten, auch gegen ihre eigenen Grundbesitzer wendeten. Es blieb bei Einzelfällen. Von welch geringer quantitativer Bedeutung mit Gewalt ausgetragene Konflikte zwischen Grundbesitzern und Bauern waren, wird augenfällig, wenn man einen Blick in die frühe Neuzeit wirft. Während dieser Epoche gehörten in zahlreichen Regionen Westeuropas (so in Frankreich) gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Bauern auf der einen Seite, den Grundherren und ihren Dienern auf der anderen Seite zum Alltag. Hiermit verglichen waren die spätantiken Bauern ausgesprochen friedfertig. Die Kolonen griffen, wenn sie für ihre Interessen kämpfen wollten, nicht zu Holzknüppeln, sondern bedienten sich des vom Staat zur Verfügung gestellten Instrumentariums, d.h. sie wandten sich, wie wir im folgenden sehen werden, an die Gerichte. 331
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Soziale Unzufriedenheit in der Landbevölkerung? Weder gegen die Steuereintreiber noch gegen die Grundherren leisteten die Bauern also großflächig bewaffneten Widerstand. Sicher war es nicht immer die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation, die Bauern zu den Waffen greifen ließ. Die großen Bauernrevolten in Westeuropa im späten Mittelalter brachen etwa ___________________________ 331
Vita Theod. Syc. 76 (Festugière 1, 63f.). Greg. M., Epist. 9, 30 (CCL 140 A, 591). 333 Vitae patrum Emeretensium 3 (CCL 116, 23f.). 334 Cassiod., Var. 12, 5, 4f. (CCL 96, 469f.). 335 Castan 1980b, 86ff.; Macfarlane 1981, 178f. 332
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Formen ländlicher Gewalt
trotz einer ökonomischen und sozialen Besserstellung großer Teile der Bauernschaft aus. Gleichwohl lohnt es, die Frage zu stellen, ob denn die Lage der Bauern, der freien Kleinbauern und der Pächter, in der Spätantike so elend war, daß sie mit Gewalt hätten reagieren müssen. Die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung waren nicht einfach. Sie mußte den Löwenanteil an Steuern aufbringen, und es waren vor allem die einfachen Bauern, die unter den Erpressungen der Steuerbeamten zu leiden hatten. Viele Bauern waren verschuldet. Die Vergabe von Darlehen an ärmere Nachbarn war ein bevorzugtes Mittel, seinen Grundbesitz auszudehnen. Zeitweilig nahm die Verschuldung der Bauern gravierende Ausmaße an. Im 6. Jh. führten in Thrakien und Illyricum Verschuldung und Wucher zur Enteignung vieler Bauern; Justinian suchte dem Übel durch Festsetzung von Höchstzinsen abzuhelfen. Aber die in der älteren Forschung vertretene Auffassung, daß sich innerhalb der Unterschichten eine zunehmende Pauperisierung und Nivellierung vollzogen hätten, ist unbegründet. Die Landbewohner werden in den Quellen regelmäßig als „arm“ bezeichnet; dies bedeutet aber mitnichten gleichmäßige Armut. Augustin sagt von sich selbst, er stamme aus einer „armen“ Familie; er besitze nur einige kleine Äcker, die er von seinem Vater Patricius ererbt habe. Trotzdem gehörte dieser dem Curialenstand an und war in der Lage, die teure Ausbildung seines Sohnes zu finanzieren. Augustin schätzt den Wert seines Anteiles am väterlichen Erbe auf 1/20 dessen, was die Kirche von Hippo Regius besaß. Da Augustin zumindest mit einem Bruder und einer Schwester teilen mußte, kann das Vermögen seines Vaters nicht das eines wirklich armen Mannes gewesen sein. Wenn uns Augustin an einer anderen Stelle einen „armen Curialen, einen einfachen Bauern“ vorführt, so heißt dies nicht, daß der Mann Not litt; er war lediglich nicht in der Lage, von der Grundrente zu leben, sondern mußte bei der Bestellung der Felder neben den Arbeitskräften, über die er verfügte, selbst Hand anlegen. Augustin malt das Bild idyllischer Armut: Der Arme begnügt sich mit seinem Haus, seinen Sklaven (familia), seiner Gattin, seinen Kindern, seinem kleinen Landgut, seinen Feldern, die er mit eigener Hand bestellt, seinem kleinen Wohnhaus, das er selbst errichtet hat. Dies ist sicherlich ein idealisierendes Bild. Es zeigt aber, daß selbst in Nordafrika, wo seit jeher der Großgrundbesitz dominiert hatte, 336
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Hier., Epist. 52, 6; Greg. Naz., Carm. 2, 1, 11 (De vita sua), 439/50 (Jungck 74/6); Cassiod., Var. 8, 33, 4 (CCL 96, 341); Greg. Tur., Virt. Mart. 3, 16 (MGH, SRM 1, 636). 337 Ambr., Tob. 80ff. (CSEL 32, 2, 566ff.); Max. Taur., Serm. 18, 2 (CCL 23, 68); Aug., In psalm. 36, serm. 3, 6 (CCL 38, 372); 39, 28 (ibid. 445f.); Serm. 239, 4, 5 (PL 38, 1129); Hier., In Ezech. 6, 18, 5-9 (CCL 75, 240); Sidon., Epist. 4, 24, 1; Joh. Mosch., Prat. spir. 24 (PG 87, 3, 2869). 338 Nov. Iust. 32-34 (535 n. Chr.). 339 Aug., Serm. 356, 13 (PL 39, 1579f.); Epist. 126, 7 (CSEL 44, 12f.). 340 Possid., Vita Aug. 1, 1 (Bastiaensen 132/4); Aug., Conf. 2, 3, 5. 341 Aug., Cur. mort. 12, 15 (CSEL 41, 644).
3. Ländliche und städtische Gewalt
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weiterhin mit der Existenz eines Kleinbauerntums zu rechnen ist, dem es ökonomisch nicht schlecht gehen mußte. Die Bauern verfügten über Haus und Felder, verrichteten die Feldarbeit zwar selbst, hatten aber auch Gesinde, das ihnen hierbei zur Seite stand. Caesarius von Arles übt am Beginn des 6. Jh. Kritik an den ländlichen Festen, die mit großem Alkoholkonsum verbunden waren. Die Bauern luden ihre Nachbarn und Verwandten zu Gelagen ein, bei denen während vier oder fünf Tagen der gesamte Weinvorrat konsumiert wurde. Nach Ansicht des Caesarius könnten sie hiervon ihre Familie zwei oder drei Monate lang ernähren. Auch in Italien muß sich noch bis ins 6. Jh. hinein ein starkes Kleinbauerntum gehalten haben. Die Landsklaverei behielt gerade auf den kleinen und mittleren Betriebseinheiten weiterhin ihre Bedeutung. In Ägypten verfügten selbst vergleichsweise arme Kleinbauernfamilien über Sklaven. Die ökonomische Bedeutung der Sklaverei in diesen Haushalten war nicht gering. Auf kleinen Höfen von nur wenigen Hektar war selbst eine zusätzliche männliche Arbeitskraft ein großer wirtschaftlicher Vorteil, zumal dann, wenn der Bauer nicht genügend Söhne im arbeitsfähigen Alter hatte. Auch in den anderen Gebieten des Reiches besaßen viele Kleinbauern Sklaven, die entweder im Haushalt eingesetzt wurden oder bei der Landarbeit halfen. Zahlreiche Dörfer galten als relativ wohlhabend. Die Gesetze setzen rege Handelsaktivitäten zwischen Stadt und Land voraus, an denen die Landbevölkerung beteiligt war. Der archäologische Befund zeigt, daß die Landwirtschaft in zahlreichen Regionen des Reiches eine Blütephase erlebte und daß auch die Bauerndörfer hiervon profitierten. Überall dort, wo uns die Archäologie einen Einblick ermöglicht, ob es sich nun um Syrien, Thrakien, das Taurusgebirge, die Cyrenaica oder den Negev handelt, sieht man eine blühende Dorflandschaft, Dörfer, die zum großen Teil auch durch ein kräftiges Handwerk gekennzeichnet waren. 342
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In psalm. 40, 5 (CCL 40, 452f.); vgl. auch Civ. 4, 3. Caes. Arel., Serm. 47, 7 (CCL 103, 215). 344 Vgl. Cassiod., Var. 7, 45 (CCL 96, 293f.); Greg. M., Epist. 9, 233 (CCL 140 A, 815). 345 Bagnall 1993, 227ff. 346 Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 21ff. (PG 37, 858/60), v.a. 40ff.; Lib., Or. 14, 45; Joh. Chrys., De Davide et Saule 3, 3 (PG 54, 698); Hier., Epist. 69, 5; Theodoret., De providentia 7 (PG 83, 677/80); Hist. rel. 8, 14 (Canivet - Leroy-Molinghen 1, 400/2); Sidon., Epist. 3, 9, 2; Cod. Theod. 2, 30, 1 (= Cod. Iust. 8, 16 [17], 7) (315 n. Chr.); 7, 20, 8 (364 n. Chr.); 1, 29, 2 (= Cod. Iust. 1, 55, 1) (365 n. Chr.); 11, 11, 1 (= Cod. Iust. 11, 55, 2) (368? 370? 373? n. Chr.); 1, 29, 5 (= Cod. Iust. 1, 55, 3) (370 n. Chr.); 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.); Nov. Iust. 32 (535 n. Chr.). 347 Lib., Or. 11, 230; Amm. 31, 6, 4f.; Soz., Hist. eccl. 5, 15, 14ff. (GCS, Bidez - Hansen 215f.); Theodoret., Hist. rel. 17, 3 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 36/8); 348 Cod. Theod. 4, 13, 2 (= Cod. Iust. 4, 61, 5) (321 n. Chr.); 4, 13, 3 (321 n. Chr.). Erwähnung von Dorfmärkten auch: Theodoret., Hist. rel. 7, 2f. (Canivet - Leroy-Molinghen 1, 366/70); 17, 2 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 34/6). 349 Dagron 1979, 38ff.; Foss 1994; Wickham 2005, 442ff. 343
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Formen ländlicher Gewalt
Nicht anders als in anderen bäuerlichen Gesellschaften standen in den spätantiken Dörfern reichere neben ärmeren Bauern. Die Dörfer hatten ihre eigene Verwaltung, ihre Elite. Aus dieser Schicht stammten die Dorfvorsteher, von denen wir wiederholt hören. Die dörflichen Honoratioren nahmen in ihrem Bereich ähnliche Funktionen wahr wie auf städtischer Ebene die dortige Oberschicht; sie betätigten sich etwa als Wohltäter. In den Dörfern gab es eine breite Schicht relativ wohlhabender Bauern. In den Dörfern hatten die Landbewohner einen institutionellen Rückhalt, um sich auch gegen die Übergriffe staatlicher Amtsträger zur Wehr zu setzen. Bekannt sind die Klagen des ägyptischen Dorfes Aphrodito, welches der Willkür des Pagarchen von Antaiopolis ausgeliefert war. Mehrere Delegationen gingen nach Konstantinopel, und 551 erhielt das Dorf schließlich die Autopragie. In Dörfern lebende Asketen und natürlich auch Kleriker fungierten als Interessenvertreter ihrer Dörfer. Mit anderen Worten: Wollten sich die Bauern gegen Bedrückungen zur Wehr setzen, boten sich ihnen andere Wege als derjenige der Gewalt an. Dieser Exkurs zur ländlichen Sozialgeschichte sollte deutlich werden lassen, daß sich keineswegs eine Nivellierung der ländlichen Unterschichten vollzogen hat. Innerhalb der freien Landbevölkerung bestanden vielmehr große ökonomische Unterschiede, was zur Folge hatte, daß sich arme und reiche Bauern vielfach nicht ein und derselben sozialen Schicht zugehörig fühlten. Sie standen häufig eher gegeneinander, als daß sie sich gemeinsam gegen die reichen in der Stadt ansässigen Großgrundbesitzer gewandt hätten. Sicher mußten manche Bauern, bedrängt von den Steuereintreibern oder unter dem Druck kriegerischer Ereignisse, ihr Land aufgeben. Aber von einer beunruhigend großer Zahl von Vagabunden, die die Landstraßen unsicher gemacht hätten, können wir nicht ausgehen. Auch in schwierigen Zeiten war die ländliche Gesellschaft der Spätantike durch eine erstaunliche Stabilität gekennzeichnet. Es drängt sich nicht der Eindruck auf, daß die soziale Unzufriedenheit auf dem Land zugenommen hat. 350
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Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 12 (Schwartz 22f.); Vita Cyriac. 8 (Schwartz 227). Curialen drohen Dorfvorstehern mit der Inhaftierung, als die Dörfler sich weigern, die Steuern zu entrichten: Lib., Or. 47, 7. Auch in Ägypten liefen die Dorfnotabeln Gefahr, stellvertretend für die gesamte Dorfgemeinschaft inhaftiert zu werden: P. Oxy. XLVIII 3397 (4. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XLVIII 3409 (4. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 35 (= P. Gen. I 54) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1835 (Ende 5. / Anfang 6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 2056 (7. Jh. n. Chr.). 351 Lib., Or. 30, 19f. 352 Hier., Vita Malchi 3 (PL 23, 55f.); Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 57 (Schwartz 78f.); Vita Sab. 39 (Schwartz 129f.); Vita Symeon. Styl. 33 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 120); Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 44 (Brooks, PO 18, 661f.); P. Cair. Masp. I 67002 (567 n. Chr., BL 1, S. 100), Kol. I 2; III 4; II 24. 353 H.I. Bell, An Egyptian Village in the Age of Justinian, JHS 64, 1944, 21-36; Keenan 1984. 354 A. Martin, L’Église et la khôra égyptienne au IV e siècle, REAug 25, 1979, 3-26, 19, Bonneau 1979, 13ff.
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Dies bestätigt sich, wenn man einen Blick auf die ökonomische Lage der Kolonen wirft. Bei aller Armut waren sie doch gut in die Gesellschaft integriert. Johannes Chrysostomos führt über die Ausbeutung vieler Pächter durch ihre Grundbesitzer Klage; sie würden Hunger leiden, seien verschuldet. Augustin stellt die Lage der Landpächter auf den afrikanischen Großgütern ebenfalls als wenig beneidenswert dar. Aber die Kolonen waren keine Habenichtse. Augustin schildert die Ausplünderung der Landbevölkerung des castellum Fussala durch den dortigen Bischof Antoninus. Die Opfer dürften größtenteils Kolonen gewesen sein; sie lebten jedoch nicht am Rande des Existenzminimums. Sie hatten eigene Häuser, Hausrat, Kleidung, Geld und Vieh, die zu rauben sich lohnte. Die Angreifer hatten auch Häuser ihrer Opfer besetzt und zum Teil abgerissen, um Baumaterialien für Neubauten zu gewinnen. Es wird sich sicher nicht um luxuriöse Villen gehandelt haben; die Häuser müssen aber doch mehr gewesen sein als kümmerliche Holzhütten, die diesen Aufwand nicht wert gewesen wären. Augustin bezeichnet die Opfer als „Arme“; die Schilderung läßt einmal mehr die Relativität des Begriffes „Armut“ deutlich werden. Kolonen auf den kirchlichen Gütern waren zur Zeit Gregors des Großen an der Wende vom 6. zum 7. Jh. aufgrund der Ausbeutung durch die Gutsverwalter gezwungen, bei extranei Darlehen aufzunehmen. Auch wenn sich die Landpächter in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befanden, so ist doch bemerkenswert, daß Außenstehende das Risiko eingingen, Kolonen ein Darlehen zu gewähren. Es müssen also Vermögenswerte vorhanden gewesen sein, die als Sicherheit dienten. Selbst Pächter, die sich in Bedrängnis befanden, waren mithin nicht völlig mittellos. Die Vorstellung, die Kolonen seien eine homogene Klasse von verarmten, am Rande des Existenzminimums lebenden Kleinpächtern gewesen, entspricht nicht den Tatsachen. 355
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Joh. Chrys., In Matth. hom. 61 (62), 3 (PG 58, 591f.). Aug., Epist. 247 (CSEL 57, 585ff.); 251 (ibid. 599f.); C. Lepelley, Témoignage et attitude de Saint Augustin devant la vie et la société rurales dans l’Afrique de son temps, in: Miscellanea historiae ecclesiasticae 6. Congrès de Varsovie 25 juin - 1er juillet 1978: Les transformations dans la société chrétienne au IVe siècle, Bruxelles 1983, 73-83, 75ff. Die coloni werden von ihm als „arm“, pauperes bezeichnet: Aug., In psalm. 93, 7 (CCL 39, 1307/9). Aber der Terminus „Armut“ bezeichnet hier wie auch andernorts nicht die völlige Mittellosigkeit. 357 Aug., Epist. 20*, 6 (CSEL 88, 97f.). 358 Greg. M., Epist. 1, 42 (CCL 140, 51). 356
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Formen ländlicher Gewalt
Es gab große Unterschiede in ihrer sozialen Stellung. Zahlreiche Kolonen verfügten neben dem Pachtland über eigenes Land oder über Sklaven. Sie hatten ihre persönliche Habe, die ihnen einen akzeptablen Lebensstandard sicherte. Das Pachtland war von unterschiedlicher Größe und Qualität, und hieraus ergaben sich Unterschiede im Lebensstandard. Pächter zweier fundi in der Nähe von Patavium (Padua), zahlten im 6. Jh. in ihrer Mehrzahl zwischen 8 Solidi 8 siliquae und 3 Solidi 3 siliquae, hatten aber zusätzlich noch Frondienste zu leisten und nicht unbeträchtliche, xenia genannte Naturalabgaben zu entrichten. Wenn der Pachtzins mit der Fläche des Pachtlandes korrespondierte, so würde die Relation in den Einkommensverhältnissen der ärmsten und der reichsten Pächter bei immerhin rund 1:3 liegen. Wir wissen nicht, wie groß die Fläche des Pachtlandes war, wieviel also den Pächtern verblieb. Der Pachtzins wird jedoch kaum über 50% gelegen haben: Damit hatten die Kolonen der ravennatischen Kirche Einkünfte, die im Schnitt leicht über denen eines gewöhnlichen Soldaten lagen. Das machte ihre Situation nicht unbedingt beneidenswert, aber sie war, jedenfalls in normalen Jahren und in Relation zum allgemeinen Lebensstandard, nicht durch bitteres Elend gekennzeichnet. Juden, die auf den Gütern der Kirche ansässig waren, sollte nach einer Anweisung Gregors des Großen durch Erleichterung der Abgaben (um 1/3) ein Anreiz zur Konversion zum christlichen Glauben gegeben werden. Der Pachtzins (und in Folge hiervon die Lebensverhältnisse) der Kolonen variierte auch hier stark. Gregor setzt Pachtraten von einem Solidus, 3-4 Solidi und mehr voraus. Weiterhin wurde auf dem Land ein großer Unterschied zwischen Sklaven und Kolonen gemacht. Die lange Zeit in der Forschung vertretene Auffassung, die beiden Personengruppen hätten sich angeglichen, darf heute als widerlegt gelten. Ehen zwischen Kolonen und Sklaven sind bezeugt, aber sie blieben stets illegal: 359
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Gregor der Große ordnet an, daß unrechtmäßig erworbenes Gut Kolonen zurückerstattet werde, und zwar „nach dem Grad ihrer Armut“, d.h. sie waren nicht gleichermaßen „arm“: Greg. M., Epist. 13, 35 (CCL 140 A, 1037/9). An anderer Stelle unterscheidet er zwischen „armen“ und „reichen“ Kolonen: Epist. 1, 42 (CCL 140, 51). 360 Cod. Theod. 12, 1, 33 (342 n. Chr.); Nov. Iust. 162, 2, 1 (539 n. Chr.); Pelag., Epist. 64 (Gassó - Batlle 167ff.). 361 Cod. Iust. 8, 14 (15), 5 (294 n. Chr.); Paul. Pell. 535ff.; Greg. M., Dial. 1, 1, 1ff. (Vogüé - Antin 2, 18/20). 362 Dies zeigt auch die Petition eines entlaufenen Kolonen, der nach drei Jahren zurückkehrt. Er bittet den Grundbesitzer (wohl einen Angehörigen der Apionenfamilie), ihm möge für die Zeit, da er abwesend war, der Pachtzins erlassen werden. Ferner beklagt er sich darüber, daß der Verwalter nach seiner Flucht seinen Besitz völlig ausgeplündert habe, so daß er nun völlig mittellos dastehe, und bittet um Unterstützung für sich und seine Kinder: P. Oxy. XXVII 2479 (6. Jh. n. Chr.). 363 P. Ital. 3 (Tjäder); Jones 1964, 804; 805f. 364 Greg. M., Epist. 5, 7 (CCL 140, 273f.).
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Der personenrechtliche Unterschied zwischen ihnen behielt seine Relevanz. Gregor der Große hatte erfahren, daß sich zahlreiche christliche Sklaven im Besitz von Juden befanden, was nicht gestattet war; der Bischof der Stadt Luni soll dafür sorgen, daß die Sklaven freigelassen werden. Waren die Sklaven auf einem Landgut eingesetzt, so sollen sie allerdings daselbst als Kolonen verbleiben, das Land gegen einen Pachtzins bestellen und es nicht verlassen dürfen. Der Brief ist ein weiterer Beleg für den Einsatz von Sklaven in der Landwirtschaft; das Kolonat hatte die Sklaverei nicht abgelöst, und die Gruppen der Kolonen und Sklaven waren auch nicht in einer homogenen Schicht von Halbfreien verschmolzen. Die Kolonen zeigten ihrem Grundbesitzer zumeist Respekt. Sie ließen sich teilweise von ihm sogar zum Religionswechsel veranlassen. Im 6. Jh. besuchten viele Kolonen die Hauptstadt, um ihren Grundbesitzer um die Schlichtung ihrer Streitigkeiten zu bitten. Sie wandten sich, wenn sie ein Unrecht erlitten hatten, an ihn als ihren Patron. Daß es gleichwohl nicht zur Ausbildung fester Schutzverhältnisse zwischen Kolonen und Pachtherrn kam, lag im Absentismus der meisten Grundbesitzer begründet, die ihre Güter allenfalls sporadisch besuchten und sich wenig um das kümmerten, was dort vor sich ging. In einzelnen Fällen leisteten Kolonen, die sich von dem Eigentümer des von ihnen bestellten Landes ungerecht behandelt wähnten, bewaffneten Widerstand. Häufiger war dies aber nicht der Fall. Bereits in der frühen Kaiserzeit schalteten die Pächter in ihren Auseinandersetzungen mit den Verpächtern in großer Zahl die Justiz ein. Dies setzte sich in der Spätantike, auch wenn sich die personenrechtliche Stellung der Kolonen verschlechterte, fort. Zwar wurde ihnen grundsätzlich das Recht, gegen den eigenen Grundbesitzer Prozesse zu führen, genommen; es blieb ihnen jedoch in den für sie existentiellen Fragen erhalten. Sie konnten einen Strafprozeß gegen ihren Pachtherrn anstrengen und klagen, wenn er eigenmächtig die Pacht anheben wollte. Justinian bestätigte diese Gesetzgebung und wies den Provinzstatthaltern die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, daß die Grundbesitzer von ihren Kolonen nicht zuviel verlangten. Sicher vertrat die Justiz im ganzen eher die Interessen der Besitzenden, aber die Bauern frequentierten gleichwohl in großer Zahl die staatlichen Gerichte. Im 6. Jh. strömten Provinziale, vor allem 365
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Pelag., Epist. 64 (Gassó - Batlle 167ff.). Greg. M., Epist. 4, 21 (CCL 140, 239). 367 Vita Symeon. Styl. 165 (van den Ven 1, 146/8). 368 Aug., Epist. 58 (CSEL 34, 2, 216/9). Vgl. allerdings auch Krause 1987a, 119ff. 369 Nov. Iust. 80, 2 (539 n. Chr.). 370 Aug., In psalm. 93, 7 (CCL 39, 1307/9). Vgl. auch P. Abinn. 28 (= P. Lond. II 411, p. 281) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Lond. V 1682 (Mitte 6. Jh. n. Chr.). 371 Krause 1987a, 144ff. 372 Dig. 19, 2, passim. 373 P. Merton II 91 (316 n. Chr.); P. Cair. Isidor. 74 (315 n. Chr.). 374 Cod. Iust. 11, 50 (49), 1 (Konstantin) und 2 (Arcadius und Honorius). 375 Cod. Iust. 11, 48 (47), 23, 2 (531/4 n. Chr.). 366
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Formen ländlicher Gewalt
Kleinbauern und Kolonen, nach Konstantinopel, um Prozesse zu führen, darunter auch gegen ihre Pachtherren. Daß sich die Kläger an die obersten Gerichtshöfe in der Hauptstadt wandten, spricht allerdings dafür, daß das Vertrauen in die provinzialen Gerichte nicht gleichermaßen vorhanden war. Die starke Hinwendung auch der ländlichen Bevölkerung zu den staatlichen Gerichten unterscheidet die Spätantike ganz fundamental von anderen bäuerlichen Gesellschaften, die durch eine starke Distanz zwischen dörflicher Gesellschaft und Staatsapparat gekennzeichnet sind. Konflikte zwischen Grundbesitzern und Pächtern mußten also keineswegs mit Gewalt ausgetragen werden. Libanios führt über seine Pächter Klage, die, gestützt auf die Macht und den Einfluß eines in der Nähe stationierten Offiziers, die ihnen abverlangten Dienste verweigerten und den Boden ganz nach eigenem Gutdünken bearbeiteten. Suchten die Eigentümer Beistand vor Gericht, so konnten sie sich gegen den Patron nicht durchsetzen. Libanios selbst, in Streit geraten mit einigen seiner Pächter, schaltete das Gericht des Statthalters ein, der zunächst einige Pächter inhaftieren ließ. Die Pächter erkauften sich jedoch mit Naturalien den Beistand eines Generals, der die Freilassung der Beschuldigten veranlaßte. Libanios verlor den Prozeß. Es kam nicht zur Gewaltanwendung: Die Grundbesitzer wandten sich gegen ihre Pächter an die Gerichte, diese wiederum setzten sich nicht mit Gewalt zur Wehr, sondern indem sie sich auf die Patronage einflußreicher Militärs stützten. Vergleichen wir die Spätantike mit anderen ländlichen Gesellschaften, so werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede sichtbar. Zu den Gemeinsamkeiten gehört die jedenfalls in einigen Regionen, so Ägypten, feststellbare Tendenz der Dörfer zur Abschottung nach außen. Streitigkeiten, die sich aus der Abgrenzung der Dorfterritorien und der Wasserversorgung ergaben, waren häufig und führten vielfach zu gewaltsamen Konflikten zwischen Dörfern. Land ist in ländlichen Gesellschaften stets ein knappes Gut; es verwundert daher nicht, daß diesbezügliche Auseinandersetzungen auch in der Spätantike vielfach belegt sind. Es gibt aber auch einige Elemente, die die spätantike Gesellschaft von anderen Agrargesellschaften abheben. Gelten bäuerliche Gesellschaften gemeinhin als sehr gewaltbereit, so wird man die spätantike Landbevölkerung als vergleichsweise friedfertig bezeichnen müssen. Sicher gab es Gewalt auf dem flachen Lande. Sie hatte jedoch nicht dieselbe Bedeutung wie in anderen ländlichen Gesellschaften. Die engen Kontakte unter den Nachbarn im Dorf waren mit vielfachen Reibereien und Konflikten verbunden. Aber die meisten Dorfbewohner waren doch miteinander durch Bande der Nachbarschaft, der Freundschaft und der Verwandtschaft verbunden. Im Konfliktfall standen damit auch immer zahlreiche Vermittler zur Verfügung, so daß es nicht bis zum Äußersten, zur Gewalt kommen mußte. 376
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Nov. Iust. 80, pr.; 1ff. (539 n. Chr.). Kolonen vor Gericht (hier nicht gegen ihre Pachtherren): Cod. Theod. 9, 27, 7 (= Cod. Iust. 9, 27, 5) (390 n. Chr.). 377 Lib., Or. 47, 11ff. 378 Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 58 (Schwartz 79/81).
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Es überwogen bei der Konfliktbewältigung die zivilen Methoden: die Gerichte, die Einschaltung von christlichen Klerikern und anderen Vermittlern (Grundbesitzer), die gütliche Einigung. Dies gilt auch für die Beziehungen der Bauern zu den Staatsorganen und den Angehörigen der städtischen Elite. Bewaffneter bäuerlicher Widerstand ist kaum bezeugt; in ihren Auseinandersetzungen mit den Grundherren wandten sich die Kolonen an die staatlichen Gerichte. Auch die Großgrundbesitzer schalteten, wenn sie mit schwächeren Nachbarn oder auch den eigenen Gutsangehörigen (Kolonen) in Konflikt geraten waren, zumeist die Gerichte ein. Welten trennen die Spätantike vom frühen Mittelalter.
Städtische Unruhen Ohne im folgenden die städtischen Unruhen umfassend analysieren zu wollen, soll lediglich im Rahmen der globalen Fragestellung dieser Monographie erörtert werden, inwieweit sie auf eine Zunahme der Gewaltbereitschaft sowie der sozialen Spannungen hindeuten. Wenn die spätantiken Städte in der althistorischen Forschung als Orte der Gewalt gelten, so sind es vor allem drei Komplexe, auf die hingewiesen wird: 1) die teilweise blutigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, 2) die Krawalle der Circusparteien, 3) die Hungerrevolten. Es kann hier nicht darum gehen, die Belege für die städtischen Unruhen (für einen Zeitraum von drei Jahrhunderten und eine vierstellige Zahl von Städten) zusammenzustellen und dann hieraus auf eine angebliche Zunahme der Gewaltbereitschaft der städtischen Plebs zu schließen. Mit dieser Methode würde sich für jede beliebige Epoche (nicht zuletzt auch für moderne Industriestaaten wie die Bundesrepublik Deutschland) ein hohes Gewaltniveau erschließen lassen. Statt die Unruhen im Einzelnen aufzulisten, soll vielmehr danach gefragt werden, mit wieviel Gewalt sie verbunden waren. Wie blutig waren sie? War der Staat, wenn es denn zum Ausbruch kollektiver Gewalt gekommen war, in der Lage, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen? Noch am zahlreichsten waren, vor allem in Rom, aber auch in anderen Großstädten wie Antiochia die Hungerrevolten. Der Unmut der Bevölkerung richtete sich bei Lebensmittelengpässen zunächst gegen die städtischen Behörden. Die verantwortlichen Beamten zogen es oftmals vor, die Stadt zu verlassen und abzuwarten, bis sich die Unruhen von selbst gelegt haben würden. Bei den Hungerrevolten 379
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Patlagean 1977, 203ff.; 225ff.; Kneppe 1979; Gregory 1983; MacMullen 1990; Erdkamp 2002. Speziell zu den Unruhen im Circus: Cameron 1976, 271ff.; Dan 1981, 111ff.; Liebeschuetz 1996, 178ff.; G. Greatrex, The Nika Riot: a Reappraisal, JHS 117, 1997, 60-86; Whitby 1999; 2006; Dagron 2011, 151ff. Zur religiös motivierten Gewalt: Gregory 1979; McLynn 1992; Hahn 2004; Gaddis 2005; Sitzgorich 2009; Watts 2010; Shaw 2011. 380 So MacMullen 1990.
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Städtische Unruhen
war noch am ehesten die Möglichkeit gegeben, daß die Armen und die Reichen gewaltsam aufeinander stießen. Denn letztere hatten alles Interesse daran, ihre Getreidevorräte zurückzuhalten, um die Preise in die Höhe zu treiben. In dieser Situation wandten sich die Armen nicht nur gegen die Behörden, sondern auch gegen ihre vermögenden Mitbürger, die sie der Getreidespekulation verdächtigten. Währed der Versorgungskrise des Jahres 384 flohen viele Curiale aus Antiochia, aus Angst, daß ihre Häuser angegriffen werden könnten. 354 richtete sich der Zorn des Volkes auch gegen das Haus eines lokalen Honoratioren, des Eubulos, welches in Brand gesetzt wurde. Aber die Hungerrevolten sind kein Beweis für eine Unzufriedenheit breiter Schichten der städtischen Bevölkerung mit den bestehenden sozialen Verhältnissen. Gerade sie zeigen, daß das gemeine Volk den Vornehmen und Reichen immer verbunden blieb. 375 setzten Demonstranten das Haus des Symmachus (des Vaters des Redners) in Brand. Die plebs wurde aber schon bald von Reue ergriffen und forderte die Bestrafung der seditiosi. Die Unruhestifter flohen darauf aus Furcht vor der zu erwartenden Strafe aus Rom. Der Senat schickte eine Delegation vornehmster Männer zu Symmachus mit der Bitte, nach Rom zurückzukehren. Nach erfolgter Rückkehr bedankte sich dieser dafür in einer am 1. 1. 376 vor dem Senat gehaltenen Rede. Q. Aurelius Symmachus, sein Sohn, tat das gleiche mit einer Rede am 9. 1. 376. Rund zwanzig Jahre später erfuhr der Redner dasselbe Schicksal: Er war während einer Versorgungskrise aus Rom geflohen; bald darauf forderte das Volk im Theater seine Rückkehr. In einer Reihe von städtischen Unruhen werden die Armen unter den Teilnehmern hervorgehoben. Unter der Stadtpräfektur des Lampadius kam es wegen der Requirierung von Baumaterialien zu Unruhen der stadtrömischen Bevölkerung; Träger der Unruhen waren nach Ammianus die Armen. Gemeint sind hier, wie so oft in der spätantiken Literatur, aber nicht die völlig Besitzlosen, die Bettler; denn diese hätten unter einer Requirierung schwerlich zu leiden gehabt. Es wird sich vielmehr um kleine Handwerker und Händler gehandelt haben. Daß die seditiosi 381
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Lib., Or. 18, 195; Bas., Hom. in illud Lucae, Destruam ... 3 (PG 31, 265/8); Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 70ff. (PG 37, 861f.); Or. 14, 18 (PG 35, 881); 43, 34f. (Bernardi 200/4); Joh. Chrys., In epist. I ad Cor. hom. 39, 7f. (PG 61, 343f.); Ambr., Off. 3, 6, 37ff.; Nab. 7, 33 (CSEL 32, 2, 485f.); 13, 56 (ibid. 500f.); Zeno 1, 5, 4, 14 (CCL 22, 40f.); Eugipp., Sev. 3. 382 Joh. Chrys., In Matth. hom. 9, 6 (PG 57, 182/4). 383 Lib., Or. 29, 4; vgl. auch 1, 230. 384 Lib., Or. 1, 103; 19, 47; Amm. 14, 7, 5f.; 15, 13, 1f.; Jul., Or. 7 (= Misopogon), 36, 363c und 42, 370c. 385 Amm. 27, 3, 4; Symm., Epist. 1, 44; 2, 38; Or. 5, 1f. 386 Symm., Epist. 6, 66 (67), 1 (398 n. Chr.). 387 Greg. Naz., Epist. 77, 1 und 3 (Gallay 1, 95); Hier., Epist. 92, 3; Malalas 18, 117, p. 486; vgl. auch Patlagean 1977, 215f. 388 Amm. 27, 3, 8ff.
3. Ländliche und städtische Gewalt
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keineswegs mit Randgruppen in der städtischen Gesellschaft identifiziert werden dürfen, wird auch sonst vielfach deutlich. Ammianus Marcellinus charakterisiert die Aufrührer zwar im allgemeinen mit den seit langem gängigen pejorativen Wendungen: vulgus, faex plebeia usw. Seine Darstellung läßt jedoch deutlich werden, daß die Rädelsführer zumeist keineswegs den untersten Bevölkerungsschichten entstammten. So kamen nach der Ermordung des Theophilus, consularis Syriae, die wahren Täter (nach Ammianus handelte es sich um divites) frei, weil sie den Richter, den Prätorianerpräfekten Musonianus, bestochen hatten; an ihrer Statt wurden Unschuldige (Ammianus bezeichnet sie ausdrücklich als pauperes, Arme), die sich von den Unruhen fern gehalten hatten, verurteilt. Als 386 die kaiserliche Regierung die Anhänger des Ambrosius, die für ihn demonstriert hatten, bestrafen wollte, standen im Zentrum der Strafsanktionen die negotiatores, Händler, die über einen gewissen Besitz verfügten. Bischöfe stützten sich in den innerkirchlichen Auseinandersetzungen, auch gegen die Staatsbehörden, vielfach auf die corporati, Mitglieder der Handwerkercollegien. Bei den Unruhen, die 415 in Alexandria zur Ermordung der Philosophin Hypatia führten, spielten Angehörige der städtischen Oberschicht eine gewichtige Rolle. Es wäre also irrig, die Gewalt per se mit der Armut in Verbindung zu bringen oder gar eine (nicht zu beweisende) Zunahme der Gewalt auf eine (ebenfalls nicht zu beweisende) Pauperisierung und Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung zurückzuführen. Auch die Unruhen, die von Steuerforderungen ausgelöst wurden, waren nicht eigentlich Revolten von Armen. Die treibenden Elemente in der Revolte von 387 in Antiochia waren Handwerker, zum Teil auch die Notabeln, Personen, die etwas zu verlieren hatten. Die Ärmsten in der Stadt waren dagegen weitgehend von Steuerzahlungen befreit. In anderen Fällen wurden die Unruhen von den führenden Bürgern der Stadt zumindest toleriert. Die Bewohner von Calama hatten eine Kirche in ihrer Stadt in Brand gesteckt und Christen bedroht. 389
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389 Amm.
15, 13, 1f. Epist. 76 (Migne 20), 4ff. (CSEL 82, 3, 109/11). 391 MacMullen 1967, 176ff.; L. Cracco Ruggini, Le associazioni professionali nel mondo romano-bizantino, in: Artigianato e tecnica nella società dell'alto medioevo occidentale. Settimane di studio 18, 1, Spoleto 1971, 59-193, 164ff.; dies., I vescovi e il dinamismo sociale nel mondo cittadino di Basilio di Cesarea, in: Basilio di Cesarea. La sua età, la sua opera e il Basilianesimo in Sicilia. Atti del Congresso Internazionale (Messina 3-6 XII 1979), Bd. 1, Messina 1983, 97-124, 109ff.; Haas 1997, 59; Greg. Naz., Or. 43, 57 (Bernardi 244/8). 392 Haas 1997, 312f. 393 F. van de Paverd, St. John Chrysostom, the Homilies on the Statues. An Introduction, Orientalia Christiana Analecta 239, Roma 1991, 82ff.; 107ff. Vgl. auch noch Symm., Rel. 14 (384/5 n. Chr.): Denkbare Proteste der corporati und der negotiatores über neue Steuerforderungen. Es waren nicht die völlig Mittellosen, welche hinter städtischen Unruhen standen. Vgl. hierzu Vera 1981, 112ff. Symm., Epist. 9, 138; 139: Auch in der italischen Stadt Suessa scheinen Steuerforderungen zu Unruhen in der Bevölkerung geführt zu haben. 390 Ambr.,
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Städtische Unruhen
Augustin unterstellt, die Curialen hätten die antichristlichen Ausschreitungen gedeckt. Als die Christen in deren Anfangsstadium die Vorfälle zu den städtischen Akten hätten geben wollen, sei dies verweigert worden. Die Unruhen wären sehr schnell zu einem Ende gekommen, wenn denn nur die primates entschieden hiergegen Stellung bezogen hätten. Die Curialen genossen also weiterhin eine große Autorität, auch wenn ihnen keine Truppen oder sonstige Machtmittel zur Verfügung standen. Ihre Führungsrolle war nicht in Frage gestellt. Allein schon dank dieser Autorität ließ sich auch ohne großen Polizeiapparat die Ordnung in den Städten weitgehend aufrechterhalten. Es gab keinen Klassenhaß der Armen auf die Reichen; es kam lediglich zu kurzfristigen, spontanen Protestaktionen, wenn die Plebeier ihre Rechte verletzt sahen (dazu gehörte für sie die Versorgung mit preiswertem Getreide). Die städtischen Unruhen wurden von breiten Bevölkerungsschichten getragen, gerade nicht in erster Linie von den völlig Besitzlosen, sondern eher einer „Mittelschicht“, den Handwerkern und Händlern. Die Gewalt ging nicht von den Rändern der Gesellschaft, sondern von deren Mitte aus. All dies wird auch durch eine Betrachtung der sozialen Strukturen in den spätantiken Städten plausibel gemacht; es entsteht nicht der Eindruck, als habe sich eine größere soziale Unzufriedenheit in immer mehr Gewaltaktionen entladen müssen. Es läßt sich keine generelle Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, keine Nivellierung der Unterschichten beobachten. Dies ist ein Befund, der bei der Analyse der Eigentumskriminalität und der Diskussion der Frage, inwieweit die Kriminalität in den Städten auf „Außenseiter“, „Marginale“, Angehörige einer „kriminellen Klasse“ zurückging, im Auge zu behalten sein wird. Zwar reden die Kirchenväter, so Augustin, immer wieder von den „wenigen Reichen“ und den „vielen Armen“. Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich zwei antagonistische, in sich geschlossene Gesellschaftsschichten gegenübergestanden hätten. In der Gesetzgebung ist auch von „reichen“ Plebeiern die Rede, und in den Städten verfügten selbst als „arm“ bezeichnete Haushalte doch über Sklaven. Die Prediger bezeichnen mit den Armen, den pauperes, demzufolge in aller Regel die Handwerker, Kleinhändler und sonstigen Berufstätigen, diejenigen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Der Terminus „Armut“ bezieht sich damit auf ein sehr breites gesellschaftliches Spektrum. Wenn Johannes Chrysostomos in seinen Predigten die städtischen Armen anspricht, so meint er in aller Regel die 394
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394 Aug.,
Epist. 91, 8 (CSEL 34, 2, 432f.). Serm. 85, 2 (PL 38, 521); In psalm. 51, 14 (CCL 39, 633f.). 396 Cod. Theod. 16, 2, 17 (364 n. Chr.) (plebeii divites). Relativ vermögende Plebeier auch vorausgesetzt Cod. Theod. 7, 13, 7, 2 (375 n. Chr.); 12, 1, 96, pr. (383 n. Chr.); 12, 1, 133 (= Cod. Iust. 12, 59, 4) (393 n. Chr.); 16, 5, 52, pr. (412 n. Chr.). Zur Terminologie der Armut in der spätantiken Gesetzgebung vgl. D. Grodzynski, Pauvres et indigents, vils et plébeiens. (Une étude terminologique sur le vocabulaire des petites gens dans le Code Théodosien), SDHI 53, 1987, 140-218. 397 Aug., Cur. mort. 12, 15 (CSEL 41, 644); Serm. 107, 8, 9 (PL 38, 631). 395 Aug.,
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Handwerker; diese befanden sich zwar in ärmlichen Lebensverhältnissen, hatten aber eine Familie, gehörten also nicht einer randständigen Bevölkerungsgruppe an. Und sie werden aufgefordert, Almosen zu spenden; sie lebten also nicht in bitterer Armut. Autoren wie Gaudentius, Augustin oder Leo der Große verwenden, wenn sie die Armen auffordern, Almosen zu spenden, auch den Terminus mediocres. Die soziale Schichtung in den Städten war also durch eine weitergehende Differenzierung als nur zwischen den „Armen“ und „Reichen“ charakterisiert. Es wird sich bei diesen mediocres um die kleinen Produzenten gehandelt haben, die in jeder Stadt die Bevölkerungsmehrheit gestellt haben. Die Kirchenväter jedenfalls preisen das Leben der städtischen „Armen“: „Arbeitsame“ Armut ist, so Augustin, keine Sünde; im Gegenteil, sie hält von Sünden ab. Die freien Armen gelten im allgemeinen als arbeitsam und fleißig; sie waren keine „classe dangereuse“. Natürlich sind die antiken Handwerker nicht mit unserem Mittelstand gleichzusetzen. Die spätantiken Autoren lassen vielmehr keinen Zweifel daran, daß es vielen unter ihnen keineswegs glänzend ging. Gleichwohl 398
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Joh. Chrys., De Lazaro 3, 1 (PG 48, 991f.); 3, 2 (ibid. 993); Ad pop. Antioch. 2, 8 (PG 49, 45f.); In inscriptionem altaris et in principium actorum 1, 2 (PG 51, 69); In illud, Salutate Priscillam et Aquilam 1, 4f. (PG 51, 192ff.); Anna 5, 3ff. (PG 54, 672/5); In Matth. hom. 68 (69), 4 (PG 58, 645); In epist. I ad Cor. hom. 34, 5 (PG 61, 292); In Hebr. hom. 28, 4 (PG 63, 197). Dies deckt sich mit dem Bild bei anderen Kirchenvätern: Theodoret, Graec. affect. curat. 6, 48ff. (Canivet 272ff.); De providentia 6 (PG 83, 660f.). 399 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 20, 3 (PG 49, 202); De eleemosyna 3 (PG 51, 265f.); De verbis apostoli, Habentes eundem spiritum, hom. 3, 9 (PG 51, 289f.); In Ioh. hom. 79, 5 (PG 59, 432); Greg. Nyss., Paup. amand. 1 (PG 46, 457/60 = van Heck 7f.). Vgl. auch noch Lib., Or. 46, 21: Die Ladenbesitzer ließen den Bettlern in Antiochia eine monatliche Unterstützung zukommen: Die kleinen Handwerker und Händler verfügten also über Ressourcen, die es ihnen ermöglichten, den Mittellosen beizustehen. J.-P. Caillet, L’évergétisme monumental chrétien en Italie et à ses marges, d’après l’épigraphie des pavements de mosaique (IVe - VIIe s.), Collection de l'École française de Rome 175, Roma - Paris 1993, 451ff.: Unter den Stiftern von Mosaikfußböden in den italienischen Kirchen bzw. denen der Randregionen finden sich auch kleine Leute, Handwerker u.ä., die u.U. nur wenige Quadratmeter finanziert haben, im Wert von 1/3 Solidus bis maximal 10 Solidi. 400 Gaudent., Serm. 13, 34ff. (CSEL 68, 124); Aug., Serm. Lambot 4 (PLS 2, 766f.); 5 (ibid. 774f.); Leo M., Serm. 27, 4 (Dolle 2, 88); 31, 2 (ibid. 134); zum Terminus mediocres vgl. auch Honorat., Vita Hil. Arel. 21 (Jacob 136). 401 Aug., Epist. 104, 3 (CSEL 34, 2, 583). 402 Bas., Hex. 3, 1 (Giet 190 = PG 29, 53); Epist. 198, 1 (Courtonne 2, 152f.); Greg. Nyss., C. Eunomium 1 (PG 45, 260f.); Teja 1974, 105ff.; Them., Or. 21, 317 Dindorf (= Downey – Norman 2, 44); Lib., Or. 25, 37; 33, 33ff.; Joh. Chrys., De Lazaro 3, 2 (PG 48, 993). Die Aufbringung der collatio lustralis brachte viele Handwerker und Kleinhändler in große finanzielle Schwierigkeiten, obwohl die Steuer an sich nicht sehr hoch bemessen war: Zos. 2, 38, 2f.; Lib., Or. 26, 23; 46, 22. Ihre Abschaffung unter Anastasius wurde demzufolge mit großem Enthusiasmus aufgenommen: Euagr., Hist. eccl. 3, 39 (Bidez – Parmentier 136/9); Proc. Gaz., Panegyricus auf Kaiser Anastasius 13 (Chauvot 15/7).
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Städtische Unruhen
lebten die Handwerker und Kleinhändler in ganz anderen ökonomischen und sozialen Verhältnissen als die städtischen Lohnarbeiter. Die Bettelarmut war ohne Zweifel ein großes Problem, aber ein Problem, welches kontrollierbar blieb. Zeno von Verona hält seiner Gemeinde zugute, daß dank der zahlreichen und großzügigen Almosen die Armen in der Stadt ihre Existenz durchaus sichern könnten. In den Großstädten mag die Situation etwas anders gewesen sein; aber auch hier ist der Anteil der Mittellosen nicht allzu hoch gewesen. Johannes Chrysostomos schätzt den Anteil der wirklich Bedürftigen und der Reichen in Antiochia auf jeweils 10%; die verbleibenden 80% rechnet er der berufstätigen Bevölkerung zu, die von ihrer Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt durchaus bestreiten konnte. Den Zahlen lagen sicher keine Statistiken zugrunde. In der Größenordnung mögen sie aber stimmen. Dann würde sich die soziale Schichtung in den Großstädten durchaus mit der anderer vorindustrieller Großstädte vergleichen lassen, ja vielleicht sogar positiv von ihr abheben. Die italienischen Städte des späten Mittelalters waren von einem mindestens ebenso großen Kontrast zwischen Reich und Arm gekennzeichnet wie die spätantiken Städte. In Pistoia besaßen im Jahr 1427 die reichsten 10% der Bevölkerung nahezu 60% des städtischen Reichtums, und rund 30% hatten überhaupt kein Vermögen. In Florenz besaßen 1% der Haushalte rund ein Viertel des besteuerbaren Vermögens, und 31% besaßen überhaupt nichts. Die zitierte Johannes Chrysostomos-Stelle ist einer der wenigen Belege für die Existenz einer „städtischen Mittelschicht“. Eine Bestätigung erhalten seine Angaben für eine andere Großstadt, Alexandria: Als hier an der Wende vom 6. zum 7. Jh. Johannes „der Almosengeber“ als Bischof inthronisiert wurde, rief er sofort die kirchlichen Ökonomen sowie einen Würdenträger, der für die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Stadt zuständig war, zusammen und trug ihnen auf, eine Liste der Bettler in der Stadt zu erstellen. Deren Versorgung hielt Johannes für vordringlich. Es ergab sich eine Zahl von 7500 Personen. Die Bevölkerung Alexandrias kann im 6. Jh. auf mindestens 200.000, vielleicht sogar 250.000 bis 375.000 Personen geschätzt werden. Damit würde sich der Anteil der Mittellosen in Alexandria sogar noch deutlich unter den von Johannes Chrysostomos für Antiochia geschätzten 10% bewegen. Eine gewisse Unsicherheit ergibt sich allerdings daraus, daß sich nicht sicher sagen läßt, ob sich die Zahl von 7500 Bedürftigen auf die Gesamtzahl der zu Unterstützenden bezieht oder lediglich auf die Familienoberhäupter. Im letzteren Fall wäre sie wohl noch mit einem Faktor von 3 oder 4 zu multiplizieren; es ergäbe sich dann ziemlich genau ein Bevölkerungsanteil von 10%. 403
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Zeno 1, 14, 5, 8f. (CCL 22, 59). Joh. Chrys., In Matth. hom. 66 (67), 3 (PG 58, 630). 405 Herlihy 1972, 150f. 406 Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 1 (= 7/9 Gelzer) (Festugière 347f.). 407 Haas 1997, 45ff. (200.000 Einwohner). Gregory 1979, 19f. folgt Jones, der die Einwohnerzahl Alexandrias für das 6. Jh. mit 250.000-375.000 angibt: Jones 1964, 698; 1040. 404
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Wenn die Kirchenväter ein dichotomisches Gesellschaftsmodell entfalten, d.h. nur von den „Armen“ und den „Reichen“ sprechen, stellt sich also die Frage, ob sie die Realität angemessen wiedergeben: Sie interessieren sich in ihren Predigten vor allem für die ganz Reichen und die ganz Armen; die Schichten zwischen diesen beiden Gruppen (die doch gleichwohl, wie wir aus Johannes Chrysostomos erfahren, in den Städten die große Bevölkerungsmehrheit gestellt haben müssen) werden zumeist ignoriert: Die Armen finden das Interesse der Prediger, weil ihr Elend Anlaß bietet, die Gläubigen zur Almosengabe aufzufordern. Die Reichen wiederum sind diejenigen, die das Geld geben sollen und deren Luxusentfaltung bei den christlichen Autoren besonderes Mißfallen erregt. Der Gegensatz zwischen Reichen und Armen, d.h. zwischen den vermögenden Grundrentnern und der großen Masse der Bevölkerung, wurde deutlich wahrgenommen. Hieraus folgte aber nicht auch ein „Klassenkampf“. Der überwiegende Teil der Bevölkerung, auch der ärmeren Bevölkerungsschichten, akzeptierte die bestehende Gesellschaftsordnung. Die Armen (im antiken Sinne des Wortes) empfanden den Reichen gegenüber wohl Neid. Die Reichen zeigten den Armen ihre Verachtung und verspotteten sie, aber sie hatten nicht eigentlich Angst vor ihnen. Die natürliche Führungsposition der Vornehmen und Honoratioren wurde von der Masse der städtischen Bevölkerung nicht in Frage gestellt. Augustin vertritt die Auffassung, die nordafrikanischen Städte könnten sehr schnell zum Christentum geführt werden, wenn denn nur die nobiles, die Honoratioren, vorangehen würden. Für die soziale Topographie der spätantiken Stadt war nicht eine saubere Trennung von armen und reichen Wohnvierteln kennzeichnend. Arme und Reiche 408
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Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 15, 2 (PG 49, 156f.); In dictum Pauli, oportet haereses esse 2 (PG 51, 255f.); Hom. in Pascha 3f. (PG 52, 769f.); In psalm. 48, 2 (PG 55, 502); Ambr., In psalm. 48, 5 (CSEL 64, 364); Aug., Serm. 14, 5 (CCL 41, 188); 14, 7f. (ibid. 189f.); 39, 5 (ibid. 490f.); 345, 1 (PL 39, 1517f.); Serm. Caillau – Saint-Yves 2, 19, 6 (Morin 268f.); In psalm. 48, serm. 1, 10 (CCL 38, 558f.); 75, 9 (CCL 39, 1043). 409 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 2, 8 (PG 49, 45f.); 15, 2 (ibid. 156f.); In illud, Salutate Priscillam et Aquilam 1, 4f. (PG 51, 192ff.); In dictum Pauli, oportet haereses esse 2 (PG 51, 255f.); In Matth. hom. 48 (49), 7 (PG 58, 495f.); 83 (84), 4 (ibid. 750); 90 (91), 4 (ibid. 791f.); In epist. I ad Cor. hom. 20, 5f. (PG 61, 168); Ambr., In Luc. 8, 61 (CSEL 32, 4, 422); In psalm. 118 serm. 3, 37 (CSEL 62, 62); 8, 8 (ibid. 154); 20, 17 (ibid. 453f.); In psalm. 48, 5 (CSEL 64, 364); Aug., Serm. 41, 6 (CCL 41, 501); Hier., In Soph. 1, 11 (CCL 76A, 668f.); Caes. Arel., Serm. 25, 2 (CCL 103, 112f.); 28, 2 (ibid. 123); 131, 4 (ibid. 541). 410 Lib., Or. 2, 6; 11, 152; Aug., In psalm. 39, 28 (CCL 38, 445f.); 137, 11 (CCL 40, 1985f.); vgl. auch Ambr., Hel. 12, 44 (CSEL 32, 2, 437). 411 Aug., In psalm. 54, 13 (CCL 39, 666). Vgl. auch Epist. 185, 30 (CSEL 57, 28): Gewalttaten gegen katholische Kleriker. Der Donatismus habe sich an einigen Orten länger gehalten, an denen entweder die Menge uneinsichtig blieb, der auch die wenigen, die eine Konversion zum Katholizismus wollten, nicht widerstehen konnten, oder aber die Menge der Autorität einer geringen Zahl Mächtiger ergeben war. Salv., Gub. 8, 14 (Lagarrigue 518/20): Wenige potentes bestimmen das städtische Leben.
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Städtische Unruhen
wohnten in der Stadt wie auf dem Lande in umittelbarer Nachbarschaft, und es entwickelten sich ganz natürlich Klientelbindungen. Arme wandten sich, wenn sie von ihren Gläubigern bedrängt wurden, um Hilfe an einen reichen Nachbarn. Zu dem Gefolge der reichen Römer zählten nicht nur Sklaven, sondern auch Plebeier aus der Nachbarschaft. Tacitus hatte im 1. Jh. innerhalb der stadtrömischen Unterschichten zwischen der plebs sordida und den Plebeiern, die den Vornehmen durch Klientelbeziehungen verbunden waren, differenziert. An dieser Situation änderte sich nichts. Als das Haus des Stadtpräfekten Lampadius von Unruhestiftern angegriffen wurden, gelang es diesem auch mit Hilfe von Plebeiern aus der Nachbarschaft, die Angreifer abzuwehren. Als im Jahr 384 eine der herausragenden Gestalten der Senatsaristokratie, Praetextatus, starb, herrschte große Trauer in der stadtrömischen Bevölkerung; Symmachus ließ die Akklamationen des Volkes über den Tod des Praetextatus an den Kaiserhof übermitteln. Von Gefühlen des Klassenhasses kann also keine Rede sein. Bei aller Kritik, die am Lebensstil der vornehmen Senatoren laut wurde, war das Volk den Vornehmen doch durch tief empfundenen Respekt verbunden. Soziale Gegensätze können für die Unruhen in den Städten also nicht verantwortlich gemacht werden, und ihre Träger waren (nicht anders als in den Städten der frühen Neuzeit) nicht in erster Linie die „Deklassierten“, sondern die Schichten, die etwas zu verlieren hatten und die die große Masse der Bevölkerung stellten (Handwerker, Kleinhändler). Diesen ging es, wenn sie protestierend auf die Straße gingen, nicht um einen Umsturz der bestehenden Ordnung oder darum, die „Reichen“ herauszufordern. Sie forderten das ein, was ihnen, wie sie glaubten, zustand: gesicherte Versorgung mit Lebensmitteln, eine Begrenzung der Steuern auf ein erträgliches Niveau. Die Tatsache, daß ein großer Teil der Plebeier den Honoratioren und führenden Bürgern der Stadt weiterhin durch Klientelbindungen verbunden war, daß (bei allem Neid) generell ein tief empfundenes Gefühl des Respektes der Armen gegenüber den Reichen bestand, war ein wesentliches Element städtischer Ordnung. Es war daher auch gar nicht erforderlich, größere Polizei- oder Armeeverbände in den Städten zu stationieren. Die Unruhen waren von kurzer Dauer und flauten zumeist von selbst wieder ab. Wenn es denn doch einmal zu Exzessen kam, so wurden die Aufrührer meist sehr bald von Reue erfaßt und taten bei den soeben noch angegriffenen divites Abbitte. Die Revolten der städtischen plebs blieben aufs Ganze gesehen unblutig. Ausonius konstatiert sowohl für Antiochia wie Alexandria ständige Unruhen. Demgegenüber rühmt Libanios seine Heimatstadt dafür, daß hier (im Gegensatz zu 412
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In psalm. 39, 28 (CCL 38, 445f.). 14, 6, 17. 414 Tac., Hist. 1, 4. 415 Amm. 27, 3, 8ff. 416 Symm., Rel. 10; 12; 24; vgl. auch Hier., Epist. 24, 3. 417 Auson., Ordo nobilium urbium 4/5, 1ff. 413 Amm.
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Alexandria) Ruhe und Ordnung herrschten. Es ist wohl eher Libanios recht zu geben. Obwohl in Antiochia während des größten Teiles des 4. Jh. keine Soldaten stationiert waren, sind doch in der zweiten Hälfte des 4. Jh. nur zwei, wenn auch aufsehenerregende Unruhen bezeugt, 354 und 387. Beide waren nicht durch Gewaltexzesse charakterisiert; die Unruhen von 354 waren darüber hinaus durch den Caesar Gallus überhaupt erst angestachelt worden. Relativ umfassend sind wir weiterhin durch Basilius, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa über die Verhältnisse in Kappadokien in der zweiten Hälfte des 4. Jh. informiert. Auch in diesem Gebiet sind nur drei Unruhen bezeugt, eine Rebellion aus religiösen Motiven, die beiden anderen möglicherweise nach vorangegangenen Steuerforderungen. Die Demonstrationen in Rom anläßlich von Versorgungsengpässen fanden in aller Regel bereits am Abend ihr Ende, sie zogen sich niemals über einen längeren Zeitraum hin. Bei nur wenigen Unruhen verloren hohe Staatsbeamte oder vermögende Mitbürger ihr Leben. 342 kam in Konstantinopel der magister equitum Hermogenes ums Leben. Wir wissen sehr viel über die Unruhen der plebs in Antiochia im 4. Jh., aber lediglich 354 wurde ein Statthalter, der consularis Syriae Theophilos, ermordet. 390 kam in Thessalonike ein Offizier ums Leben, als das Volk sich nach der Inhaftierung eines populären Wagenlenkers erhoben hatte. In Hippo war ein staatlicher Funktionär, dessen genaue Stellung nicht bekannt ist (es handelte sich möglicherweise um einen Soldaten, der in der Zollverwaltung oder dgl. tätig war), Opfer eines Volksaufruhrs geworden. Die Schuldigen suchten in einer Kirche Zuflucht, in der Hoffnung, daß Augustin sich für sie verwenden werde. 409 (oder wohl eher 419) wurde in Karthago der comes Africae Iohannes 418
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Daneben gab es einige Demonstrationen, die jedoch nicht mit größeren Gewaltausbrüchen verbunden waren: Petit 1955, 227ff. 419 Amm. 14, 7, 5f.; Lib., Or. 1, 103; 19, 47. 420 Teja 1974, 201ff.; Th.A. Kopecek, The Cappadocian Fathers and Civic Patriotism, Church History 43, 1974, 293-303, 297. 421 Kohns 1961, 95f. 422 Amm. 14, 10, 2; Socr., Hist. eccl. 2, 13 (Hansen, GCS, N.F. 1, 104f.); Soz., Hist. eccl. 3, 7, 6f. (GCS 50, Bidez - Hansen 109f.); Lib., Or. 1, 43ff.; Prosp., Chron. I p. 453, 1061 (342 n. Chr.); W. Telfer, Paul of Constantinople, HThR 43, 1950, 31-92, 77ff. 423 Amm. 15, 13, 1f. 424 Rufin., Hist. eccl. 11, 18 (GCS, Eusebius, Kirchengeschichte 2, 1022f.); Soz., Hist. eccl. 7, 25, 3 (GCS 50, Bidez - Hansen 339); Theodoret., Hist. eccl. 5, 17 (GCS 51, 306f.). 425 Aug., Serm. 302, 16, 15 – 23, 21 (PL 38, 1391ff.). Auf diese Affäre bezieht sich mit ziemlicher Sicherheit auch Serm. Guelf. 25 (PLS 2, 608f.). Vgl. hierzu Lepelley 1979/81, 1, 396; 2, 119. Nach Delmaire in Lepelley – Delmaire 1984, 487, Anm. 66 sind diese Ereignisse später als 419 zu datieren: Augustin verweise auf Gesetze, die das Asylrecht schützten (Delmaire denkt hier v.a. an Const. Sirmond. 13 von 419 n. Chr.).
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Städtische Unruhen
vom Volk ermordet. Eine Hungerrevolte führte 409 in Rom zur Ermordung des Stadtpräfekten Gabinius Barbarus Pompeianus. Brandstiftungen waren regelmäßig der Höhepunkt der Protestaktionen. Daß es zu Ausschreitungen, zur Gewalt gegen Personen oder Sachen, kam, kann mithin gar nicht bestritten werden. Diese Gewalt war aber nicht völlig unkontrolliert. Schwerter hatten die Demonstranten in aller Regel nicht zur Hand; häufiger dienten Steine oder Knüppel als Waffen. Die Protestierenden mochten die öffentliche Ordnung im Einzelfall empfindlich stören, eine tatsächliche Gefahr stellten sie nicht dar. Auch die Zahl der Toten bei religiös motivierten Unruhen war, wenn moderne Maßstäbe angelegt werden, gering. Nach Augustin waren in Folge der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Sufetula nach der Zerstörung eines Herkulesbildes 60 Christen ums Leben gekommen. In Rom wurden während der Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Damasus und des Ursinus 366 an einem Tag 137 Tote gezählt, Ammianus hält diese Zahl für so exorbitant hoch, daß er sie für wert hält, in seinem Geschichtswerk überliefert zu werden. Wenn denn nicht die Armee aktiv wurde (was zur Eskalation der Gewalt und zu einem Blutbad führen konnte), bewegte sich die Zahl der Toten in aller Regel bei maximal einigen Dutzend. Innerkirchliche Auseinandersetzungen entzündeten sich zumeist an der 426
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Chron. Gall. chron. I p. 652, 408. Vgl. Delmaire, in: Lepelley – Delmaire 1984, 477ff.: Delmaire bezieht auf diese Bluttat Aug., Epist. 15*, 2f. (CSEL 88, 84f.); 16*, 2 (ibid. 86f.); 23A*, 1f. (ibid. 121f.) (419 n. Chr.). Alypius berichtet in seinem commonitorium, er habe durch seine Briefe an den Hof für die Bewohner Karthagos eine indulgentia erwirkt; sie war Largus zugesandt worden, von dem wir wissen, daß er 419 proconsul von Africa war (16*, 2f.; 23A*, 1, 1ff.). Über diejenigen, die in der Kirche Zuflucht gesucht haben, kann Alypius noch keine Auskunft geben; er muß auf die Ankunft und die Entscheidung eines vir sublimis, vir illustrissimus, patricius, comes maior warten. Delmaire identifiziert diese Persönlichkeit sehr plausibel mit Flavius Constantius, comes et magister militiae. Er bringt die Vorfälle, von denen Augustin berichtet, mit der Ermordung des comes Africae in Verbindung, von der der Autor der Chronik berichtet. Dieser habe die beiden Konsuljahre 409 und 419 verwechselt; die Ermordung des comes Africae falle in das Jahr 419, nicht 409. 427 Vita Mel. 19 (Gorce 166); vgl. PLRE II, s.v. Pompeianus 2. 428 Jul., Or. 7 (= Misopogon) 42, 370C; Lib., Or. 1, 103; 1, 230; 29, 4; Ambr., Epist. 74 (Migne 40), 13 (CSEL 82, 3, 61f.; vgl. auch ibid. 167f.); Amm. 14, 7, 5f.; 27, 3, 4; 27, 3, 8f.; Pallad., Vita Ioh. Chrys. 3 (Malingrey - Leclercq 68ff.); 10 (ibid. 210/4); 16 (ibid. 304/6 und 312/4); Socr., Hist. eccl. 2, 11 (Hansen, GCS, N.F. 1, 102f.); 5, 13, 6 (ibid. 287f.); 6, 18 (ibid. 341/3); Soz., Hist. eccl. 3, 6, 9ff. (GCS 50, Bidez – Hansen 108f.); 7, 14, 5 (ibid. 319); 8, 22, 4f. (ibid. 379); Chronicon Paschale, ad ann. 404, p. 568; Zos. 5, 24, 3ff.; Marcell., Chron. II p. 70f., 412; Malalas 16, 19, p. 406/8; 18, 135, p. 490f. 429 Lib., Or. 1, 205ff.; Prosp., Chron. I p. 462, 1187 (385 n. Chr.). 430 Aug., Epist. 50 (CSEL 34, 2, 143). Möglicherweise datieren die Unruhen nach dem Gesetz Cod. Theod. 16, 10, 16 (399 n. Chr.), in dem die Zerstörung heidnischer Tempel angeordnet wird; dies ist aber keineswegs sicher. 431 Amm. 27, 3, 13.
3. Ländliche und städtische Gewalt
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Verfügungsgewalt über Kirchen; wenn es hierbei zu gewaltsamen Ausschreitungen kam, so waren deren Träger in den meisten Fällen nicht die große Masse der Gemeindemitglieder, sondern Kleriker und vom Bischof angeheuerte Gewalttäter (Gladiatoren, Sklaven). Kaum je hat ein Bischof es gewagt, sich den dezidierten Anordnungen der Staatsbehörden zu widersetzen. Die Gewalt eskalierte vor allem dann, wenn die Behörden keine klare Linie vorgaben, wenn sich ein Machtvakuum auftat. Entschlossenes Auftreten der Magistrate ließ Unruhen sehr schnell in sich zusammenbrechen. Symptomatisch ist das Vorgehen des römischen Stadtpräfekten Leontius anläßlich der Unruhen im Jahr 355. Deren erster Auslöser war die Inhaftierung eines Wagenlenkers, den die Bevölkerung zu schützen suchte. Leontius schickte apparitores in die Volksmenge hinein, ließ einige Rädelsführer ergreifen, sie foltern und verbannte sie aus der Stadt Rom. Dem Stadtpräfekten stand nur eine geringe Zahl von Amtsdienern zur Verfügung; wenn die plebs Widerstand geleistet hätte, wäre Leontius auf verlorenem Posten gestanden. Zu weiteren Unruhen kam es wenige Tage später aufgrund der unzulänglichen Versorgung mit Wein. Leontius stellte sich auch hier den Demonstranten. Einer der Unruhestifter namens Petrus Valuomeres wurde auf seinen Befehl festgenommen, ausgepeitscht und nach Picenum verbannt. Ein entschlossener Stadtpräfekt konnte sich also auch ohne großen Polizeiapparat durch die Inhaftierung und Bestrafung einiger weniger Rädelsführer gegen die Volksmenge durchsetzen. Auch während der Auseinandersetzungen um die Papstnachfolge zwischen den Anhängern des Damasus und des Ursinus im Jahr 366 waren die Behörden ihrer Aufgabe durchaus gewachsen, auch wenn Ammianus fälschlich den Eindruck vermittelt, als wäre es zu lange währenden blutigen Kämpfen gekommen. Tatsächlich reduzierte sich die Gewalt auf einige Schlägereien zwischen den gegnerischen Klerikern und einer begrenzten Zahl von Gefolgsleuten, die von Damasus und Ursinus aufgeboten worden waren. Die Laien waren allenfalls als Opfer beteiligt. Als es 418/9 anläßlich der Papstwahlen (Papst Zosimus war am 26. Dezember 418 verstorben) um die Besetzung des Bischofsstuhles zu einem Schisma zwischen Bonifatius und Eulalius und ihren Anhängern kam, drohte die Lage zwar zeitweilig zu eskalieren. Es waren dann aber doch nur zwei Situationen, die bedrohlich waren. Anfang Januar widersetzten sich Bonifatius und dessen Anhänger den Anordnungen des Stadtpräfekten Symmachus. Die Folge waren Auseinandersetzungen zwischen 432
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McLynn 1992. Die Gewalt ging häufig von den Behörden aus. Es wurden Soldaten eingesetzt, um mißliebige Bischöfe aus ihrem Amt zu entfernen, und in diesem Kontext kam es auch zu blutigen Übergriffen. Symptomatisch sind die Vorgänge um die Vertreibung des Athanasios aus Alexandria: vgl. die Schilderung, die dieser von den Vorfällen des Jahres 339 gibt: Athanas., Epist. encyclica 3ff. (Athanasius, Werke 2, 171ff.); vgl. hierzu auch Barnes 1993, 47ff. 433 Amm. 15, 7, 1ff. 434 McLynn 1992, 16ff.; vgl. auch A. Lippold, Ursinus und Damasus, Historia 14, 1965, 105-128.
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Städtische Unruhen
Bonifatius und den ihm entgegengeschickten officiales des Stadtpräfekten. Die Menge konnte zerstreut werden, Bonifatius wurde außerhalb der Stadt interniert und von vier apparitores des Stadtpräfekten unter Bewachung gehalten. Im weiteren war es Eulalius, der im März 419 durch seinen Versuch, in der Lateranbasilika das Osterfest zu feiern, Gewalt provozierte. Den officiales und corporati, die der Stadtpräfekt aufgeboten hatte, gelang es jedoch, seine Anhänger zu zerstreuen; es wurden nur wenige unter ihnen inhaftiert. Ein großangelegtes Strafgericht blieb auch hier aus. Trotz der geringen Zahl der ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte gelang es den Stadtpräfekten also doch immer wieder, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Die Behörden agierten zumeist mit sehr großer Zurückhaltung. Allenfalls eine kleine Zahl von Unruhestiftern wurde inhaftiert und ggf. verurteilt. Die Strafmaßnahmen hatten einen rein exemplarischen Charakter. Sowohl Johannes Chrysostomos wie auch Libanios schildern mit viel Pathos die Strafmaßnahmen in Folge des antiochenischen Aufstandes von 387. Aber auch in diesem Fall begnügte man sich, nachdem wieder etwas Ruhe eingekehrt war, mit der Inhaftierung einiger weniger Personen. Die staatlichen Sanktionen zielten auf die Hauptverantwortlichen und Rädelsführer (bzw. diejenigen, die man hierfür hielt). Für die meisten Inhaftierten hatte es mit einer kurzen Haft sein Bewenden; weitere Strafmaßnahmen folgten nicht; die kaiserliche Amnestie kam einem harten Strafgericht zuvor. Die Regierung zog es zumeist vor, durch die Amnestierung der Verantwortlichen bzw. ihre Nicht-Bestrafung den inneren Frieden wiederherzustellen. Angesichts der geringen Zahl des zur Verfügung stehenden Personals war ein anderes Vorgehen gar nicht möglich; für Masseninhaftierungen und –verurteilungen fehlte es an einer hinreichenden Zahl von Ordnungskräften und Justizbeamten. Zahlreiche Gewalttaten blieben demzufolge ohne Strafe. Nach Ambrosius waren im 4. Jh. in Rom wiederholt bei Unruhen Paläste von Stadtpräfekten in Brand gesetzt worden, ohne daß die Täter bestraft worden seien. Nach der Ermordung des magister militum Hermogenes 342 in Konstantinopel wollte der Kaiser zunächst Rache nehmen, ließ sich dann jedoch beschwichtigen. Er kürzte lediglich 435
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Coll. Avellana 16 (CSEL 35, 1, 61ff.) (8. Januar 419). Vgl. zu den Ereignissen H. Chantraine, Das Schisma von 418/19 und das Eingreifen der kaiserlichen Gewalt in die römische Bischofswahl, in: P. Kneissl - V. Losemann (Hrsg.), Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, 79-94. 437 Krause 1996, 97ff.; Lib., Or. 19, 47; 41, 16; 46, 4; Ambr., Epist. 74 (40), 19 (CSEL 82, 3, 66); Epist. extra coll. 1a (Migne 40), 19 (CSEL 82, 3, 171); Epist. 76 (Migne 20), 4ff. (CSEL 82, 3, 109/11); Marc. Diac., Vita Porph. 99 (Grégoire – Kugener 76); Coll. Avellana 29, 5 (CSEL 35, 1, 75) (23. März 419); Cassiod., Var. 4, 43 (CCL 96, 170f.); 9, 17 (ibid. 365f.). 438 Lib., Or. 21, 5ff.; Krause 1996, 99ff. 439 Ambr., Epist. 74 (Migne 40), 13 (CSEL 82, 3, 61f.; vgl. auch ibid. 167f.); vgl. auch Kohns 1961, 103f. 436
3. Ländliche und städtische Gewalt
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die Getreidesubventionen der Stadt um die Hälfte. Die Kämpfe der Heiden gegen die Christen in Alexandria im Jahr 391 dauerten einige Tage, ohne daß staatliche Organe eingegriffen hätten. Theodosius ordnete als Strafmaßnahme lediglich die Schließung der heidnischen Tempel an; aber Massenhinrichtungen (wie noch kurze Zeit zuvor in Thessalonike) wurden nicht vollstreckt. Die Unruhen scheinen weniger durch das Eingreifen der Regierung als von selbst zu einem Ende gekommen zu sein. Ein wesentlicher Faktor war hierbei die Amnestierung der Täter. Auch die Ermordung des Bischofs Georgios unter Julian führte nicht zu einem kaiserlichen Strafgericht. Eine Aburteilung derer, die für die Krawalle gegen die Christen in Sufetula verantwortlich waren, wurde, wie es scheint, gleichfalls nicht wirklich ins Auge gefaßt. Nach den schweren Ausschreitungen der Heiden gegen die Christen in Calama intervenierte Nectarius, einer der führenden Bürger der Stadt, bei Augustin für die Täter, mit einem gewissen Erfolg: Augustin trat dafür ein, ihnen Körperstrafen zu ersparen, sie sollten lediglich mit der Konfiskation eines Teiles ihrer Güter bestraft werden. Während Nectarius und Augustin miteinander korrespondierten, reiste der Bischof von Calama nach Italien an den Kaiserhof, um eine Bestrafung der Übeltäter zu erwirken. Ganz offenkundig war bis zu diesem Zeitpunkt (die Vorfälle lagen bereits einige Monate zurück) keine Inhaftierung der Täter erfolgt. Die Provinzbehörden hatten sich entweder nicht getraut, ein Urteil zu fällen, oder die Kirche selbst hatte es von vornherein vorgezogen, den Kaiserhof einzuschalten. Die Tatsache, daß über Strafmaßnahmen häufig am Kaiserhof entschieden wurde, führte zu einer sehr selektiven Ahndung; viele Unruhen blieben ganz ohne Strafen. Im 6. Jh. wurden während der blutigen Auseinandersetzungen der Blauen und der Grünen in Konstantinopel Todesstrafen gleichfalls nur in wenigen Fällen verhängt. Nach Unruhen in Karthago drohte der dortigen Bevölkerung 419 ein Strafgericht. Bischof Alypius erwirkte am Kaiserhof für die Bewohner Karthagos eine indulgentia. Man konnte wegen eines kleinen Diebstahls oder einer Schlägerei inhaftiert und zur Zwangsarbeit verurteilt werden, aber für ein schweres Gewaltverbrechen straflos davonkommen. Die Strafpraxis kontrastiert aufs schärfste mit der Rechtslage. Nach Paulus etwa waren Rädelsführer von Unruhen entsprechend ihrem sozialen 440
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Soz., Hist. eccl. 3, 7, 6f. (GCS 50, Bidez - Hansen 109f.); vgl. auch Amm. 14, 10, 2. Socr., Hist. eccl. 5, 16f. (Hansen, GCS, N.F. 1, 289ff.); Rufin., Hist. eccl. 11, 22ff. (GCS 9, 2, 1025ff.); Soz., Hist. eccl. 7, 15, 2ff. (GCS 50, Bidez - Hansen 319/21); Theodoret., Hist. eccl. 5, 22 (GCS 51, 320f.); vgl. auch Gregory 1983, 148. 442 Amm. 22, 11, 3ff. 443 Aug., Epist. 50 (CSEL 34, 2, 143). 444 Aug., Epist. 90 (CSEL 34, 2, 426f.); 91 (ibid. 427ff.); 103 (ibid. 578ff.); 104 (ibid. 582ff.). 445 Vgl. z.B. Malalas 18, 135, p. 490f. 446 Aug., Epist. 15*, 2f. (CSEL 88, 84f.); vgl. auch noch Epist. 16*, 2 (ibid. 86f.); 23A*, 1f. (ibid. 121f.).
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Städtische Unruhen
Rang den wilden Tieren vorzuwerfen, zu kreuzigen oder zumindest zu deportieren. Tatsächlich kamen sie häufig überhaupt ohne oder mit einer sehr viel geringeren Strafe als gesetzlich vorgesehen davon. Trotz eines Polizeiapparates, der einem modernen Betrachter unzulänglich vorkommen muß, waren die Behörden doch sehr wohl in der Lage, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Dies gilt, wie bereits angedeutet, im Hinblick auf die innerkirchlichen Auseinandersetzungen, die meist sehr viel weniger blutig waren als allgemein angenommen wird. Es gilt dies aber auch für die von den Circusfaktionen im 6. Jh. ausgehende Gewalt. Die Blauen und die Grünen konnten sich so viele Gewalttaten zuschulden kommen lassen, nicht so sehr deshalb, weil der Staat nicht über genügend Zwangsmittel verfügt hätte, um die Ordnung zu gewährleisten, sondern weil ihre Gewalt vielfach von den Behörden toleriert wurde. Die Circusfaktionen hatten ihre Funktion im politischen Leben, sie gaben der Bevölkerung die Möglichkeit, ihre Wünsche zu artikulieren, und der Staat mochte auf sie nicht verzichten. Die von ihnen ausgehende Gewalt wurde daher bis zu einem gewissen Grade als ein notwendiges Übel akzeptiert. Wenn die Behörden erst einmal energisch durchgriffen, konnten die schlimmsten Mißstände innerhalb kurzer Zeit und ohne große Schwierigkeiten abgestellt werden. Ganz generell gilt, daß sich die Behörden zurückhielten und abwarteten, bis die Unruhen von selbst zu einem Ende kommen würden (was in der Tat meist sehr bald der Fall war). Die Reaktion des Theodosius, der in Thessalonike ein Blutbad anrichten ließ, war die Ausnahme. Daß so selten Soldaten zum Einsatz kamen, erklärt sich nicht zuletzt aus der Befürchtung, ein solcher Einsatz könne zu einer unkalkulierbaren Zahl von Opfern führen (wie sich nicht nur in Thessalonike, sondern unter Justinian auch beim Nika-Aufstand zeigen sollte). Eher als der brutale Einsatz der Armee in Thessalonike entsprach das Verhalten der Behörden in Alexandria 391 der gängigen Praxis, als eine Amnestie viel zur Befriedung der Stadt beitrug. Wenn in Rom während der Demonstrationen der plebs die Stadtpräfekten vielfach die Stadt verließen, so diente auch dies der Deeskalation. Und wenn im weiteren 447
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Paul., Sent. 5, 22, 1 (FIRA 2, 407). Cameron 1976, 293ff.; Liebeschuetz 1996, 178ff.; Whitby 1999, 244f. 449 Malalas 17, 18, p. 422; 18, 151 (= Excerpta de insidiis 51, p. 175f. de Boor); Chronicon Paschale, ad ann. 527, p. 616f. 450 Rufin., Hist. eccl. 11, 18 (GCS, Eusebius, Kirchengeschichte 2, 1022f.); Soz., Hist. eccl. 7, 25, 3 (GCS 50, Bidez - Hansen 339); Theodoret., Hist. eccl. 5, 17 (GCS 51, 306f.); Malalas 13, 43, p. 347f.; Ambr., Epist. extra collectionem 11 (Migne 51) (CSEL 82, 3, 212/8); Obit. Theod. 33f. (Opera omnia 18, 234); Paul. Med., Vita Ambr. 24 (Bastiaensen 84); Aug., Civ. 5, 26; C.W.R. Larson, Theodosius and the Thessalonian Massacre Revisited – yet again, in: F.L. Cross (Hrsg.), Papers Presented to the Fifth International Conference on Patristic Studies, Oxford 1967, Bd. 1, Studia Patristica 10, Berlin 1970, 297-301; P. Chuvin, Chronique des derniers paiens. La disparition du paganisme dans l’Empire romain, du règne de Constantin à celui de Justinien, Paris ²1991, 69f.; D. Washburn, The Thessalonian Affair in the Fifth-Century Histories, in: H.A. Drake (Hrsg.), Violence in Late Antiquity, Aldershot 2006, 215-224.
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3. Ländliche und städtische Gewalt
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immer nur ganz wenige Unruhestifter vor Gericht gestellt wurden, so ist dies kein Indiz für die Ineffizienz der staatlichen Strafverfolgung, sondern trug, ebenso wie die Amnestien, zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung bei.
4. EIGENTUMSDELIKTE Diebstahl Wenn wir uns im folgendem unter den Eigentumsdelikten zunächst dem Diebstahl zuwenden, sollen die sozialgeschichtlichen Aspekte im Vordergrund stehen: Wer waren die Täter, wer die Opfer? Welche Beziehungen bestanden zwischen ihnen? Welchen Gütern wurde ein so großer Wert beigemessen, daß es lohnend erscheinen konnte, ihretwegen eine Straftat zu begehen? Läßt sich eine Zunahme der Eigentumskriminalität konstatieren? Wenn ja, kann diese mit langfristigen ökonomischen und gesellschaftlichen Trends, einer Pauperisierung und Marginalisierung größerer Schichten der Bevölkerung, in Verbindung gebracht werden? Wenn auch keine definitive Antwort erwartet werden darf, so sollte schließlich doch die Frage zumindest gestellt werden, ob denn für das spätantike Verbrechensgefüge eher die Eigentums- als die Gewaltdelikte kennzeichnend waren. Der Diebstahl dürfte die in den Städten am häufigsten begangene Straftat gewesen sein. Die Kirchenväter (die sich ja insbesondere an ein städtischen Publikum wenden) sprechen wiederholt die Ängste der Gemeindemitglieder vor Diebstählen an. Cassiodor bezeichnet es als wichtigste Aufgabe des praefectus vigilum, nächtliche Diebe in Rom zu inhaftieren. Die Bekämpfung des Diebstahls war die vornehmste Aufgabe des von Justinian neu eingerichteten Amtes des praetor plebis in Konstantinopel. Diebe gingen ihrer Tätigkeit bevorzugt dort nach, wo sich zahlreiche Menschen trafen. Die Kirchen lockten Taschendiebe an. Selbst während des Gottesdienstes waren Beutelschneider aktiv. Der Bäderdiebstahl ist vielfach in den Quellen der frühen und hohen Kaiserzeit belegt. In der Spätantike verloren die Bäder nichts 451
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In psalm. 37, 13 (CCL 38, 391). Cassiod., Var. 7, 7 (CCL 96, 267f.); vgl. auch 7, 8 (ibid. 268f.); 7, 13 (ibid. 272f.). 453 Nov. Iust. 13, 4 (535 n. Chr.). 454 Joh. Chrys., De incomprehensibili dei natura 4, 6 (PG 48, 734/6). 455 Dig. 1, 15, 3, 5 (Paulus); 3, 2, 4, 2 (Ulpian); 16, 3, 1, 8 (Ulpian); 47, 17, 3 (Paulus). Nächtliche Diebe sowie Bäderdiebe wurden bereits nach klassischem Recht regelmäßig strafrechtlich belangt; ihnen drohte als Strafe das opus publicum (auf Zeit): Dig. 47, 17, 1 (Ulpian). Vor allem Kleidung wurde in den Bädern entwendet: Sen., Epist. 56, 1f.; Petron. 30, 5ff.; 92, 7ff.; Apul., Met. 4, 8, 6; Tert., De fuga in persecut. 13, 3 (CCL 2, 1154f.); R.S.O. Tomlin, in: B. Cunliffe (Hrsg.), The Temple of Sulis Minerva at Bath. 2: The Finds from the Sacred Spring, Oxford 1988, 79ff. Zum Bäderdiebstahl vgl. auch Neri 1998, 292ff.
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4. Eigentumsdelikte
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von ihrer Popularität. Sie waren ein Ort geselligen Beisammenseins, und es herrschte ein reger Publikumsverkehr. Sie waren somit weiterhin ein günstiges Terrain für Diebe. Die Bäderbediensteten standen in geringem sozialem Ansehen; sie mögen an vielen Diebstählen beteiligt gewesen sein. Gewisse Formen des Diebstahls näherten sich dem Raub an. Es wurden in Brand stehende Häuser ausgeplündert. In einem solchen Fall (wie auch bei der Ausplünderung eines Schiffswracks) war nach einem Reskript Diokletians binnen eines Jahres gegen die Plünderer eine Klage auf vierfachen Schadenersatz möglich, danach auf einfachen. Diese Vergehen dürften angesichts der Häufigkeit von Schiffbrüchen, in den Städten insbesondere auch von Bränden (durch Unachtsamkeit oder Brandstiftung verursachten) nicht selten gewesen sein. Paulinus von Nola setzte sich für einen Schiffsherrn namens Secundianus ein, dessen an der brutischen Küste gestrandetes Schiff vom Verwalter (procurator) des Senators Postumianus ausgeplündert worden war. Ein Gerichtsverfahren vor dem Gericht des Statthalters hatte zu keinem Ergebnis geführt, da der Beklagte, seiner Machtstellung vertrauend, sich zunächst geweigert hatte, der Gerichtsladung durch die officiales des Statthalters Folge zu leisten, und dann nach Rom geflohen war. Secundianus, das Opfer des Schiffbruches und des Raubes, begab sich nach Rom, um von Postumianus Genugtuung zu erlangen. Der praetor plebis in Konstantinopel erhielt von Justinian insbesondere auch die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß es bei Bränden nicht zu Plünderungen komme. Nach einem großen Erdbeben unter Kaiser Justin in Antiochia, dem angeblich rund 250.000 Menschen zum Opfer fielen, beraubten und ermordeten Bauern die Antiochener, die mit ihrer Habe aus der Stadt flohen. Zu den Plünderern gehörte auch der silentiarius Thomas, der die Stadt ebenfalls verlassen hatte und drei Meilen von der Stadt entfernt lebte. Mit Hife seiner Sklaven stahl er alles von den Flüchtigen. Diebe und Plünderer gehörten also nicht notwendigerweise den Unterschichten an oder 456
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Lib., Or. 8, 4; 26, 5ff.; 56, 17; Joh. Chrys., In gen. serm. 3 (spur.), 5 (4) (PG 56, 535f.); Hom. in Ioh. 61, 3 (PG 59, 340); In epist. ad Hebr. 28, 6 (PG 63, 199/201); Socr., Hist. eccl. 6, 18, 14 (Hansen, GCS, N.F. 1, 342); Soz., Hist. eccl. 8, 21, 3 (GCS, Bidez - Hansen 377). Bäder als Orte der Soziabilität in den spätantiken Städten: H.J. Magoulias, Bathhouse, Inn, Tavern, Prostitution and the Stage as Seen in the Lives of the Saints of the Sixth and Seventh Centuries, EHBS 38, 1971, 233-252; Patlagean 1977, 207f.; A. Lumpe, Zur Kulturgeschichte des Bades in der byzantinischen Ära, Byzantinische Forschungen 6, 1979, 151-166; A. Berger, Das Bad in der byzantinischen Zeit, Miscellanea Byzantina Monacensia 27, München 1982, 21ff.; Haas 1997, 67f. 457 Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 10, 2 (PG 62, 77). 458 Cod. Iust. 6, 2, 18 (294 n. Chr.). Vgl. auch Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 10, 2 (PG 62, 77): Schilderung, wie mitten in der Stadt das Haus eines Reichen abbrennt. Unter den Schaulustigen werden flüchtige Sklaven und Bedienstete der Bäder hervorgehoben. Es mag diese zwielichtigen Gestalten nicht nur die Schaulust, sondern auch die Hoffnung, plündern zu können, zusammengeführt haben. 459 Paul. Nol., Epist. 49, 15 (CSEL 29, 403f.). 460 Nov. Iust. 13, 4, 1 (535 n. Chr.).
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Diebstahl
waren gar Berufsverbrecher. Es war vielfach, darauf wird weiter unten noch zurückzukommen sein, die günstige Gelegenheit, die die Diebe machte. Eine Geschichte der Kriminalität in der Spätantike kann sich somit nicht allein auf die Randgruppen der Gesellschaft fokussieren. Eine schwerere Form des Diebstahls, die kaum noch vom latrocinium zu unterscheiden war, war im weiteren der Hauseinbruch. Oft stiegen die Diebe durch Fenster ein. Oder es wurden Löcher durch die Häuserwand gegraben. Der angerichtete Schaden konnte beträchtlich sein; vielfach drohte den Opfern die völlige Verarmung. Geld und Wertsachen wurden zumeist daheim aufbewahrt, und aufgrund der leichten Bauweise der Häuser bereitete ein Einbruch keine großen Schwierigkeiten; Türen und Fenster waren keine unüberwindlichen Hindernisse. Die Hauseinbrecher (effractores) entwickelten häufig eine große kriminelle Energie. Es kam vor, daß sie mit Schwertern bewaffnet waren und auch die Hausbewohner bedrohten. Mit besonderer Strenge wurde der Grabraub (bzw. die Grabschändung) geahndet. Es war dies eine häufig begangene Straftat; auf jeden Fall war die Angst hiervor weit verbreitet. Es wurden Grabwächter aufgestellt, ein Indiz dafür, daß Grabraub bzw. Grabschändung als Gefahr empfunden wurden. Nach Basilius war derjenige, der Gräber ausgeraubt hatte, für zehn Jahre von der Kommunion auszuschließen. Diese Frist bewegt sich im oberen Strafrahmen. Lediglich für 461
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Malalas 17, 16, p. 419/21. Firm., Math. 4, 7, 3; 4, 14, 7; 4, 14, 10; 5, 6, 9; Aug., Serm. 62, 10, 15 (PL 38, 421f.); 357, 5 (ibid. 1585f.); Serm. Denis 20, 8 (Morin 118f.); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 15, 1 (PG 49, 154); Eusebius Gallicanus, Hom. 32, 2 (CCL 101, 366); Neri 1998, 302ff. 463 Hier., In Ioel. 2, 1/11 (CCL 76, 181). 464 Aug., In evang. Ioh. 7, 12 (CCL 36, 73f.); Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 43 (80 Gelzer) (Festugière 395). 465 Besa, Leben des Schenute 42/6 (Übersetzung Bell 54f.); Cyrill. Scyth.,Vita Sab. 78 (Schwartz 184f.); Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 9 (21/3 Gelzer) (Festugière 355f.). 466 Firm., Math. 6, 31, 6. 467 Unter den Gefängnisinsassen werden häufiger die Grabräuber erwähnt: Joh. Chrys., Stag. 2, 12 (PG 47, 471); Anna 4, 3 (PG 54, 664); In Ioh. hom. 60 (59), 4ff. (PG 59, 333/6). Grabschänder von einer Generalamnestie ausgenommen: Cod. Theod. 9, 38, 7 (384 n. Chr.). 468 Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 4, 3 (PG 48, 874); De Pentecoste hom. 1, 2 (PG 50, 435f.); De laudibus Pauli hom. 4 (PG 50, 494f.); De fato et providentia 4 (PG 50, 762); In Matth. hom. 80 (81), 3 (PG 58, 728); 87 (88), 4 (ibid. 774); In Ioh. hom. 85, 5f. (PG 59, 465ff.); In epist. ad Phil. hom. 8, 5 (PG 62, 236); Theodoret., Epist. Sirmond. 119 (Azéma 3, 78); 125 (ibid. 94); 139 (138) (ibid. 142); Historia monachorum in Aegypto 10, 3ff. (Festugière 76ff.); Vita Theod. Syc. 116 (Festugière 1, 92f); Cassiod., Var. 4, 18 (CCL 96, 154f.); Vita Symeon. Styl. 229 (van den Ven 1, 201/3); Neri 1998, 305ff. 469 Firm., Math. 3, 5, 23; 4, 13, 7. 470 Bas., Epist. 217, 66 (Courtonne 2, 212).
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4. Eigentumsdelikte
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Mordtaten und Ehebruch drohte eine längerwährende Exkommunikation. Papst Johannes droht in einem Schreiben an Caesarius von Arles Grabräubern gleichfalls mit der Exkommunikation. Er räumt zwar ein, daß ihnen an sich nach der weltlichen Gesetzgebung die Todesstrafe drohe, setzt aber voraus, daß diese nicht immer verhängt wurde; in diesem Fall müsse die kirchliche Strafe zum Zuge kommen. Bei weitem nicht in jedem Fall kam es zur Bestrafung selbst eindeutig überführter Straftäter. Dies ist ein Thema, auf welches weiter unten noch ausführlicher einzugehen sein wird. Mochten strenge Strafandrohungen auch geradezu ein Charakteristikum des spätantiken Strafrechts sein, so gestaltete sich dieses in der Praxis jedoch sehr flexibel. Nur in der Minderzahl der Fälle (ob es sich nun um den Grabraub, den Ehebruch oder selbst Mord und Raub handelte) dürften die in den Strafgesetzen vorgesehenen Strafen (und dies war in sehr vielen Fällen die Todesstrafe) auch zur Anwendung gekommen sein. Die Rechtslage ist durch eine zunehmende Verschärfung der Strafen für Grabraub und –schändung gekennzeichnet. Ein Sklave, der ein Grabmal zerstört hatte, wurde, wenn er dies ohne Wissen seines Herrn getan hatte, mit der Zwangsarbeit bestraft; war es ihm von seinem Eigentümer befohlen worden, so wurde die mildere Strafe der relegatio verhängt. Der Herr des Sklaven mußte, wenn etwas aus dem Grab entwendet und in sein Haus oder auf sein Landgut getragen wurde, mit der Konfiskation des Hauses bzw. des Landgutes rechnen. Ein Gesetz aus dem Jahr 349 sieht für das Delikt des Grabraubes dagegen Geldbußen vor. Wenn jemand aus einem Grabmal Säulen oder Marmor oder Steine, um Kalk zu brennen, entfernt hat, so hat er für jedes seit dem Konsulat des Dalmatius und des Zenofilus (= 333 n. Chr.) beschädigte bzw. zerstörte Grabmal ein Pfund Gold zu zahlen. Dieselbe Buße haben diejenigen zu entrichten, die Grabmäler auf ihrem Grund und Boden Kalkbrennern verkauft haben, ebenso wie die Käufer selbst. Hat ein Statthalter die Zerstörung eines Grabmals angeordnet, um Baumaterialien zu gewinnen, so hat er die Strafe aus seinem Privatvermögen zu zahlen. Wenn jemand aus Angst vor Strafe die Ruinen des Grabmals mit Erde überdeckt hat und von einem anderen angezeigt wurde, so drohen zwei Pfund Gold als Strafe. Es handelt sich hierbei augenscheinlich um eine rückwirkende Strafmaßnahme; für die 471
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Bas., Epist. 217, 56 (Courtonne 2, 210f.); 217, 58 (ibid. 211). Caes. Arel., Epist. 14 (Papst Iohannes an Caesarius, 534 n. Chr.) (Morin 27f.). 473 Synode „ad Quercum“ (Malingrey 104), 10: Gegen Johannes Chrysostomos wurde der Vorwurf erhoben, er habe Antonios, der als Grabräuber überführt sei, zum Bischof gemacht. 474 Vgl. außer den im folgenden paraphrasierten Stellen hierzu auch noch Dig. 47, 12, 3, 7 (Ulpian); 47, 12, 11 (Paulus) (= Paul., Sent. 5, 19 A, 1 [FIRA 2, 405f.]); Cod. Theod. 3, 16, 1 (331 n. Chr.). 475 Cod. Theod. 9, 17, 1 (= Cod. Iust. 9, 19, 2) (340 n. Chr.). 472
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Diebstahl
Zukunft gelten wieder die gesetzlich festgelegten Strafen. Valentinian III. bestimmt, daß Sklaven und Kolonen, die sich des Verbrechens der Grabschändung (Entfernung von Steinen und Marmor) schuldig gemacht haben, sofort zur Folter geführt werden. Ihnen droht ebenso wie den übrigen Plebeiern die Todesstrafe. Die vornehmeren Bürger sollen mit dem Verlust der Hälfte ihres Vermögens sowie lebenslänglicher Infamie bestraft werden. Die Kleriker werden angesichts des Charakters der Straftat besonders streng bestraft: Sie werden aus dem Klerus ausgeschlossen und deportiert (auf Lebenszeit). Die Provinzstatthalter werden dazu angehalten, den Erlaß umzusetzen. Seien sie aufgrund der Macht und des Einflusses eines Angeklagten nicht in der Lage, die Strafe zu verhängen, hätten sie sich an die vorgesetzten Behörden zu wenden. Einem Richter, der aus Nachlässigkeit das Edikt nicht umsetzt, droht der Verlust seines Amtes und seines Vermögens. Anzeigen gegen nachlässige Richter werden ausdrücklich ermutigt; der Ankläger müsse nicht befürchten, als delator eingestuft zu werden. Auch wenn Grabräubern im äußersten Fall die Todesstrafe drohte, wurde diese Strafe offenbar zumeist nicht verhängt. Eine Reihe von Gesetzen bestätigen zwar immer wieder die „seit alters geltenden Strafen“ (und das konnte auch die Todesstrafe implizieren), begnügen sich in den aktuellen Strafandrohungen aber doch immer wieder mit Geldbußen. Hierbei dürfte es häufig geblieben sein; zur Verhängung von Körperstrafen kam es nicht. Der Grabraub ist damit ein gutes Beispiel dafür, daß die Strafgesetze in aller Regel nicht mit äußerster Konsequenz angewandt wurden. Ähnlich war die Situation bei Straftaten wie dem Ehebruch, der Homosexualität, ja selbst Raub und Mord. Die Gesetze zielen vor allem auf den Diebstahl von Bauschmuck ab (Marmor, Säulen, Steine etc.). Die literarischen Quellen bezeugen, daß auch Grabbeigaben, insbeondere die Kleidung, in die der Leichnam gehüllt war (sie war häufig sehr wertvoll), gestohlen wurden. Kleidung war ein bevorzugtes Diebesgut. 476
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Cod. Theod. 9, 17, 2 (vgl. Cod. Iust. 9, 19, 3) (349 n. Chr.). 356 wird die Zerstörung von Grabmälern (zum Zweck der Gewinnung von Baumaterialien) erneut unter Strafe gestellt. Den Tätern wird mit der „in den alten Gesetzen“ festgelegten Strafe gedroht: Cod. Theod. 9, 17, 3 (356 n. Chr.). Eine deutliche Verschärfung der Bußen gegenüber Cod. Theod 9, 17, 2 bringt Cod. Theod. 9, 17, 4 (= Cod. Iust. 9, 19, 4) (357 [356] n. Chr.): Wer von einem Grab Steine, Marmor, Säulen oder andere Baumaterialien davonträgt, soll eine Geldbuße von 10 Pfund Gold entrichten. Die Anklageerhebung ist nicht nur dem Inhaber des Grabes gestattet, vielmehr kann der Prozeß aufgrund der Anklage jeder Privatperson und der Meldung der staatlichen Behörden eingeleitet werden. Die Geldbuße soll nicht die alten Strafen ersetzen, sondern zu ihnen hinzutreten. Dieselbe Strafe droht denen, die sich an einem bestatteten Leichnam vergreifen. 477 Nov. Val. 23 (447 n. Chr.).. 478 Joh. Chrys., In psalm. 48, 11 (PG 55, 239); Joh. Mosch., Prat. spir. 77 (PG 87, 3, 2929/32); 78 (ibid. 2932/6). Bei Bestattungen wurde gerade mit der Kleidung für den Verstorbenen großer Aufwand getrieben: Joh. Chrys., De Pelagia 3 (PG 50, 582).
4. Eigentumsdelikte
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Manche scheuten nicht vor dem Diebstahl von Kirchen- bzw. Klostergut zurück. Die Kirchen wurden immer prächtiger ausgestattet; das wertvolle Kirchengerät, welches in ihnen lagerte, war für Diebe eine große Verlockung. Viele Kirchen hatten daher eigene Wächter. Die Kirche begnügte sich vielfach mit der Wiedergutmachung des Schadens und verzichtete auf weiterreichende Strafmaßnahmen. Diebe und Räuber unterschieden sich im wesentlichen dadurch, daß erstere ihrer Tätigkeit im Verborgenen, letztere mit offener Gewalt nachgingen. Aber auch Diebe übten hin und wieder Gewalt. Auch wenn man seinen Reichtum vor Dieben zu schützen sucht, so besteht doch, so Augustin, immer noch die Gefahr eines häuslichen Diebstahls. Und wenn man große Reichtümer angehäuft hat, so muß man u.U. auch noch für sein Leben fürchten. Denn vielleicht wird ein Dieb auch nicht vor einem Mord zurückscheuen. Gedacht ist an den Sklaven, der seinen Herrn ermorden und mit dessen Geld fliehen wird. Aber auch Diebe, die von außen kamen, setzten sich mit Waffengewalt zur Wehr, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden und verhindern wollten, den Behörden übergeben zu werden. Die Strafen wurden auch für einfachen Diebstahl immer strenger. Es mag sein, daß dies die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, gesenkt hat. Hehler nahmen das Diebesgut ab. Vielfach ist von „Unterstützern“ von Dieben und Räubern die Rede. Es werden zumeist Hehler gemeint sein. Abgesetzt wurde das Diebesgut zumeist in einer größeren Stadt, hier ließen sich leichter Käufer auch für wertvolle Sachen finden, und das Risiko, beim Verkauf des Diebesgutes überführt zu werden, war geringer. 479
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Paul. Nol., Carm. 19, 378ff. (CSEL 30, 131ff.); Aug., In evang. Ioh. 50, 10f. (CCL 36, 437f.); Greg. Tur., Glor. mart. 58 (MGH, SRM 1, 528); 65 (ibid. 532f.); 71 (ibid. 535f.); 89 (ibid. 548); 91 (ibid. 549); Virt. Mart. 1, 17 (ibid. 598); Besa, Leben des Schenute 47/52 (Übersetzung Bell 55/7); Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 48 (Schwartz 68/70); 59 (ibid. 81f.); Canones Apostolorum 72 (Joannou 1, 2, 44); Const. apost. 8, 47, 72 (Metzger 3, 302); P. Oxy. XVI 1832 (5./6. Jh. n. Chr.). 480 Eugipp., Sev. 1, 3; Greg. M., Dial. 3, 13, 2f. (Vogüé - Antin 2, 302/4). 481 Bas., Epist. 286 (Courtonne 3, 156f.); Mir. Thecl. 22 (Dagron 348). 482 Besa, Leben des Schenute 14/6 (Übersetzung Bell 46f.). 483 Aug., Serm. 86, 7, 8 (PL 38, 526f.); vgl. auch Conf. 2, 5, 11; Quaest. in Hept. 2, 84 (CSEL 28, 2, 149). 484 Firm., Math. 4, 7, 3; 4, 14, 10; Aug., In psalm. 49, 25 (CCL 38, 594); Cod. Iust. 6, 2, 14 (293 n. Chr.). 485 Apophthegmata patrum, Gelasios 1 (91) (PG 65, 145/8); Paul. Nol., Carm. 19, 378ff. (CSEL 30, 131ff.).
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Diebstahl
Bei den Tätern handelte es sich mitunter um Einzeltäter. Aber häufiger taten sich mehrere Personen (meist zwei oder drei, selten mehr) zusammen. Sie mochten miteinander verwandt sein. In anderen Fällen ließen sich die Täter bei ihrem Vorhaben von Sklaven unterstützen. Räuber wie Diebe gingen ihrem Gewerbe bevorzugt in der Nacht nach. Ein großer Teil der Diebstähle und Überfälle, über deren nähere Umstände wir in Ägypten informiert sind, fand in der Nacht statt. Die Nachtbeleuchtung in Antiochia diente auch dem Zweck, dem Verbrechen Einhalt zu gebieten. In den Städten, ja selbst in kleinen Dörfern und Kastellen gab es Nachtwächter, die für Ruhe und Ordnung zu sorgen hatten. Die meisten Städte waren ummauert: Damit bestand die Möglichkeit, die Zuwanderung von Fremden unter Kontrolle zu halten. 486
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P. Abinn. 55 (= P. Lond. II 412, p. 279) (351 n. Chr.); SB VI 9616 (550/8 n. Chr.), Verso, Z. 16ff. 487 P. Oxy. VIII 1121 (295 n. Chr.) (2 Täter); P. Cair. Isidor. 75 (316 n. Chr.) (6 Täter); P. Sakaon 39 (= P. Thead. 21) (318 n. Chr.) (2 Täter); P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.) (vier Täter); P. Abinn. 49 (= P. Lond. II 403, p. 276) (346 n. Chr.) (zwei Täter); P. Abinn. 53 (= P. Lond. II 407, p. 273) (346 n. Chr.) (2 Täter); P. Cair. Masp. I 67091 (528 n. Chr.?) (2 Täter). 488 P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.) (vier Täter, darunter ein Brüderpaar); P. Abinn. 57 (= P. Gen. I 49) (Mitte 4. Jh. n. Chr.) (drei Brüder); P. Amh. II 146 (5. Jh. n. Chr.) (zwei Brüder). 489 P. Cair. Isidor. 141 descr. (Anfang 4. Jh. n. Chr.); SB XVIII 14056 (= P. Strasb. 296 recto) (326 n. Chr.). 490 Lib., Or. 50, 26; Greg. Naz., Carm. 2, 3 (Ad Vitalianum), Z. 31f. (PG 37, 1482); Eus. Emes. 7, 10 (Buytaert 1, 182); Soz., Hist. eccl. 1, 11, 2f. (Festugière 156/8); Ambr., Hex. 3, 9, 38 (CSEL 32, 1, 84); 6, 4, 23 (ibid. 219f.); Cain et Ab. 2, 8, 26 (CSEL 32, 1, 400); In psalm. 36, 15 (CSEL 64, 80); Joh. Chrys., De Pentecoste hom. 1, 2 (PG 50, 435f.); De laudibus Pauli hom. 4 (PG 50, 494f.); In psalm. 142, 3f. (PG 55, 451f.); In Matth. hom. 57 (58), 4 (PG 58, 564); Aug., Conf. 2, 4, 9 – 2, 10, 18; Serm. 60, 4, 4 (PL 38, 404); 61, 10, 11 (ibid. 413); Serm. Wilmart 7, 2 (Morin 690); In psalm. 125, 7 (CCL 40, 1850f.); In evang. Ioh. 7, 12 (CCL 36, 73f.); Quaest. in Hept. 2, 84 (CSEL 28, 2, 149); Epist. 10*, 3 (CSEL 88, 47f.); Hier., In Abd. 5/6 (CCL 76, 359f.); Greg. M., Dial. 3, 14, 6 (Vogüé Antin 2, 306/8); Proc., Hist. arc. 7, 15; 18; Greg. Tur., Virt. Mart. 1, 17 (MGH, SRM 1, 598); Cod. Theod. 9, 14, 2 (= Cod. Iust. 3, 27, 1) (391 n. Chr.). 491 P. Lund IV 13 (= SB VI 9349) (2. Hälfte 3. Jh. n. Chr.); P. Cair. Isidor. 142 descr. (300 n. Chr.); P. Cair. Isidor. 141 descr. (Anfang 4. Jh. n. Chr.); P. Sakaon 39 (= P. Thead. 21) (318 n. Chr.); P. Abinn. 45 (= P. Lond. II 245, p. 271) (343 n. Chr.); P. Abinn. 47 (= P. Gen. I 47) (346 n. Chr.); P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.); P. Abinn. 49 (= P. Lond. II 403, p. 276) (346 n. Chr.); P. Herm. 52/3 (399 n. Chr.); P. Mil. II 45 (= SB VI 9515) (449 n. Chr.). 492 Lib., Or. 11, 267; 33, 35/7; vgl. auch noch Amm. 14, 1, 9. Zur Beleuchtung speziell der Bäder vgl. Lib., Or. 16, 41; 22, 6. Auch in anderen Städten existierte eine Nachtbeleuchtung: Bas., Epist. 74, 3 (Courtonne 1, 175); Chronicon Paschale, ad ann. 450, p. 588f. Vgl. auch noch Hil., In psalm. 118, 5 (CSEL 22, 476f.): Schutz, welches ein helles Licht vor Räubern gewährt, die im Hinterhalt liegen. 493 Aug., Epist. 20*, 6 (CSEL 88, 97f.); Sperber 1970, 257ff.
4. Eigentumsdelikte
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Vermutlich war nachts der Zugang für Fremde überhaupt untersagt oder doch auf jeden Fall erschwert. Damit konnte der Gewaltkriminalität von Räuberbanden, die auf dem flachen Land ihr Unwesen trieben, Einhalt geboten werden. Es ist sicher kein Zufall, daß die Unsicherheit nahezu ausschließlich mit dem flachen Land in Verbindung gebracht wird. Die dezidierten Hinweise darauf, daß die meisten Diebstähle und Raubtaten (wie auch andere Delikte) nachts verübt wurden, scheint doch wohl zu implizieren, daß tagsüber die Straßen vergleichsweise sicher waren. Inwieweit die städtischen Nachtwächter (die sicher verbreiteter waren, als es unser fragmentarisches Quellenmaterial prima facie nahelegen würde) sowie die Nachtbeleuchtung taugten, ein Minimum an Sicherheit zu gewährleisten, muß offen bleiben. Man sollte nicht allzu pessimistisch sein. Die Bauern, die erst in der Nacht ihren Heimweg von Antiochia aus antreten konnten, gerieten erst auf den Landstraßen, nicht in der Stadt selbst in Gefahr. Bereits im klassischen Recht wurde die strafrechtliche Ahndung des Diebstahls in der cognitio extra ordinem immer üblicher, und zwar nicht nur für die qualifizierten Formen des Diebstahls (Bäderdiebstahl, Hauseinbruch usw.). Es wurde jetzt gegen Diebe im Kriminalverfahren vorgegangen, obwohl weiterhin ein Zivilverfahren (auf Schadenersatz und Buße) möglich war. Nächtliche Diebe sowie Bäderdiebe wurden nach Ulpian immer strafrechtlich belangt; ihnen drohte als Strafe das opus publicum (auf Zeit). Wenn sich Einbrecher mit einer Waffe verteidigten, waren sie, selbst wenn sie niemanden verwundet hatten, mit der Bergwerksarbeit (metallum) zu bestrafen, honestiores mit der relegatio. Nächtlicher Hauseinbruch wurde, so der spätklassische Jurist Paulus, mit fustes und metallum geahndet; bei Tag begangener Diebstahl wurde demgegenüber mit opus publicum, der leichteren Variante der Zwangsarbeit, bestraft, entweder auf Lebenszeit oder zeitlich begrenzt. Diebe dürften bereits in der hohen Kaiserzeit einen 494
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Lib., Or. 50, 26. Dig. 1, 15, 3, 1 und 5 (Paulus); 47, 2, 57 (56), 1 (Iulianus); 47, 2, 93 (92) (Ulpian); 47, 11, 7 (Ulpian); 48, 19, 10, 2 (Macer); 48, 19, 16, 4 (Claudius Saturninus); 48, 21, 3, 1f. (Marcianus); Cod. Iust. 2, 11 (12), 8 (205 n. Chr.). Ausführliche Diskussion dieser sowie weiterer Belege bei Balzarini 1969; vgl. auch Kaser 1971/5, 1, 617f.; M.J. García Garrido, Observaciones sobre delictum y crimen furti, in: O. Diliberto (Hrsg.), Il problema della pena criminale tra filosofia greca e diritto romano. Atti del deuxième colloque de philosophie pénale Cagliari, 20-22 aprile 1989. Studi economico-giuridici 54, Napoli 1993, 261-272. 496 Dig. 47, 17, 1 (Ulpian); vgl. auch Coll. Mos. 7, 4, 1f. (FIRA 2, 563). 497 Dig. 47, 18, 2 (Paulus). Vgl. auch noch 38, 2, 48 (Scaevola): Einbruch mit Bergwerksarbeit (metallum) bestraft. 47, 18, 1, 1f. (Ulpian): expilatores werden zu opus publicum auf Zeit oder lebenslänglich verurteilt, honestiores werden für dieses Verbrechen verbannt (1). Ähnliche Strafen gelten für Hauseinbrecher (effractores). Für einen Plebeier ist hier die Höchststrafe das opus publicum, für einen honestior die relegatio (2). Paul., Sent. 5, 3, 5 (FIRA 2, 389): Diebe bzw. Bäderdiebe werden zur Bergwerksarbeit oder Zwangsarbeit (opus publicum) verurteilt. Cod. Iust. 2, 11 (12), 8 (205 n. Chr.): Eine Frau wegen Diebstahls zu Stockschlägen verurteilt. 495
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Diebstahl
beträchtlichen Teil der Gefängnisinsassen gestellt haben. Erschwerend war insbesondere der Waffenbesitz. Den spätantiken Autoren gilt die Inhaftierung (gemeint ist die Untersuchungshaft) von Dieben als ganz gewöhnlich. Auch in Ägypten wurde ihre Inhaftierung, wenn denn unser bruchstückhaftes Quellenmaterial diesbezüglich Aussagen überhaupt zuläßt, häufiger. Alypius, der spätere Bischofskollege des Augustin, wurde in Karthago auf dem Markt als vermeintlicher Dieb aufgegriffen; er stand im Verdacht, mit Hilfe eines Beiles sich an Bleigitter gemacht zu haben, um Metall zu stehlen; tatsächlich war der Täter ein junger Mann, ein Student. Alypius wurde von den Forumswächtern (die selbst im Verdacht standen, an den wiederholt begangenen Diebstählen beteiligt gewesen zu sein) ergriffen; unter Begleitung einer großen Volksmenge sollte er vor die Behörden geführt werden: sei es, wie Augustin sagt, um ins Gefängnis eingeliefert zu werden, sei es, um sogleich seine Strafe zu erleiden. Nur dadurch, daß unterwegs ein Architekt, der Alypius im Haus eines einflußreichen Senators in Karthago kennengelernt hatte, auf die Volksmenge stieß, wurde die Suche nach dem Täter neu aufgenommen. Alypius war fremd in der Stadt: Man hätte offenbar, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, auf den ihm bekannten Architekten zu treffen, der Fürsprache für ihn einlegte, kurzen Prozeß mit ihm gemacht. Zwar blieb die zivilrechtliche Ahndung des Diebstahls (mit Ersatz der entwendeten Sache und Buße) weiterhin möglich. Häufig aber drohten Dieben ganz andere Sanktionen als die früher vielfach üblichen Geldbußen. Daß für Diebstahl zumindest in einzelnen Fällen die Todesstrafe in Betracht kam, geht möglicherweise aus Augustin hervor: Die Bestohlenen beklagten sich, der Dieb sei straflos davongekommen und noch am Leben (d.h. war nicht hingerichtet worden?). 498
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Dig. 4, 2, 7, 1 (Ulpian); 47, 9, 7 (Callistratus); Krause 1996, 108ff. Paul., Sent. 5, 23, 9 (FIRA 2, 409). 500 Krause 1996, 112ff.; Joh. Chrys., In Matth. hom. 89 (90), 4 (PG 58, 786); In epist. I ad Cor. hom. 9, 1 (PG 61, 77); Aug., In psalm. 91, 7 (CCL 39, 1283f.); Catech. rud. 16, 25, 7f. (CCL 46, 149f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 211 (PG 87, 3, 3101/4); Greg. Tur., Franc. 4, 43. Der Hauseinbruch war eine schwerere Form des Diebstahls; die Täter waren oftmals bewaffnet, und sie wurden demzufolge wie Räuber ins Gefängnis geworfen: Joh. Chrys., In epist. I ad Cor. hom. 14, 4 (PG 61, 118f.). 501 Krause 1996, 115ff.; vgl. P. Abinn. 42 (= P. Gen. I 79 + P. Lond. II 422, p. 318) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 47 (= P. Gen. I 47) (346 n. Chr.); P. Abinn. 53 (= P. Lond. II 407, p. 273) (346 n. Chr.); Stud. Pal. X 252 (6. Jh. n. Chr.); P. Cair. Masp. I 67091 (528 n. Chr.?); SB VI 9616 (550/8 n. Chr.), Verso, Z. 16ff.; P. Oxy. XIX 2238 (551 n. Chr.). 502 Aug., Conf. 6, 9, 14f. 503 Joh. Chrys., In Matth. hom. 85 (86), 3 (PG 58, 760/2). Zur Buße des quadruplum in der Spätantike vgl. E. Levy, Weströmisches Vulgarrecht. Das Obligationenrecht, Forschungen zum römischen Recht 7, Weimar 1956, 312ff. 504 Krause 1996, 111ff.; Neri 1998, 335ff.; vgl. auch noch Firm., Math. 4, 14, 7; 4, 14, 10; 8, 14, 3; 8, 19, 1. 499
4. Eigentumsdelikte
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Augustin hält den Opfern vor, ob sie denn nicht schon selbst einmal einen Diebstahl begangen und hierfür nicht die verdiente Strafe erlitten hätten. Die Äußerung läßt deutlich werden, daß Diebstahlskriminalität nicht kleinen kriminellen Zirkeln vorbehalten war; bei sich bietender Gelegenheit wurden auch „ehrbare“ Bürger zu Dieben. Augustin fordert hier zur Milde mit den ertappten Dieben auf. In der Tat kam es vor, daß das Opfer eines Diebstahles auf eine Strafverfolgung verzichtete und sich mit dem Täter außergerichtlich einigte. Es war für einen Dieb nur schwer kalkulierbar, mit welchen Sanktionen er im Falle, daß er ergriffen würde, zu rechnen hatte: Einigte er sich mit dem Opfer, dann kam er straffrei davon, wurde er dagegen vor Gericht gebracht, drohten ungleich härtere Strafen (im Einzelfall bis hin zur Todesstrafe), als sie in der frühen Kaiserzeit verhängt worden waren. Der Diebstahl bzw. die Unterschlagung von Staatsgeldern wurden strenger geahndet (bis hin zur Todesstrafe) als gewöhnlicher Diebstahl, dessen Opfer Privatleute waren. Im 6. Jh. war die Todesstrafe für Diebe im merowingischen Gallien generell ganz gängig geworden. Justinian untersagte demgegenüber die Todesstrafe und die Verstümmelung des Straftäters bei einfachem Diebstahl; die Tatsache, daß ein Verbot erlassen werden mußte, deutet darauf hin, daß zumindest in Einzelfällen Diebe auch im oströmischen Reich im 6. Jh. zum Tode verurteilt worden waren. So weit kam es freilich nicht immer. Augustin nennt als allgemein übliche Strafe für den Hauseinbruch die Zwangsarbeit. Der Hauseinbruch näherte sich schon dem Raub an; insofern war hier mit schärferen Strafen zu rechnen. Einfacher Diebstahl wurde meist weniger streng geahndet. Ein syrischer Statthalter ließ Diebe auspeitschen. Die Spannweite bei den Strafen war sehr groß. Aetios, der ein ihm als Schmied anvertrautes Schmuckstück durch eine billige Fälschung ersetzt hatte und wegen Diebstahls vor Gericht gezogen wurde, mußte anscheinend nur seinen Beruf aufgeben und wurde darüber hinaus nicht bestraft. Bei der Bestrafung von Dieben wurde kaum nach dem Wert des Diebesgutes differenziert. Hilarius von Poitiers konstatiert die Unzulänglichkeit menschlicher Gerechtigkeit: Ein Dieb wird gleichermaßen bestraft, unabhängig davon, ob er eine Münze oder einen großen Schatz gestohlen hat. Hilarius räumt allerdings ein, 505
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In psalm. 93, 7 (CCL 39, 1307). Zumindest in schweren Fällen, d.h. vor allem bei bewaffnetem Diebstahl, der kaum noch vom Raub zu unterscheiden war, kam die Todesstrafe zum Zug: Besa, Leben des Schenute 14/6 (Übersetzung Bell 46f.). 506 Synes., Epist. 41 (= Migne 57) (Garzya 120/40); Constantius, Vita Germ. 7 (Borius 132/4). 507 Greg. Tur., Franc. 6, 8; 6, 10; Virt. Mart. 1, 21 (MGH, SRM 1, 599); Glor. conf. 99 (ibid. 811f.); Glor. mart. 72 (ibid. 536f.). 508 Nov. Iust. 134, 13 (556 n. Chr.). 509 Aug., Serm. 125, 5 (PL 38, 692f.). Zwangsarbeit als Strafe für Diebstahl auch bei Joh. Chrys., In epist. I ad Cor. hom. 9, 1 (PG 61, 77). 510 Lib., Or. 4, 36ff. Schläge für Diebe auch: Bas., Epist. 286 (Courtonne 3, 156f.). 511 Greg. Nyss., C. Eunomium 1 (PG 45, 260f.).
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Diebstahl
daß diesem Verfahren doch eine gewisse Gerechtigkeit innewohne: Denn der Diebstahl einer einzigen Münze könne für das Opfer den Verlust der gesamten Habe bedeuten. Bestohlen wurden also nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen. In Antiochia wurden auch kleine Diebe mit der ganzen Schärfe des Gesetzes bestraft. Was läßt sich zu dem Diebesgut sagen? Augenscheinlich dominierten hier nicht Geld oder Wertgegenstände. Häufiger wurden vielmehr Güter des täglichen Bedarfs gestohlen (Kleidung, Nahrung). Kleidungsstücke konnten ein Luxusobjekt sein und ggf. teuer verkauft werden. Die Reichen manifestierten ihren sozialen Rang in ihrer Kleidung, und sie werden demgemäß von den Kirchenvätern davor gewarnt, allzu viel Geld in ihre Garderobe zu investieren, die ohnehin nur die Diebe anlocken würde. Die Mitglieder der Circusparteien in Konstantinopel hoben sich von der übrigen Bevölkerung durch eine besondere Haartracht und Kleidung ab. Diese habe, so Prokop, nicht ihrem sozialen Rang entsprochen; es habe sich um Diebesgut gehandelt. Der Diebstahl von Kleidung muß also nicht in jedem Fall mit Not und Armut erklärt werden. Durch das Anlegen gestohlener teurer Kleidung gab man sich den Anschein, weiter oben in der sozialen Hierarchie zu stehen, als dies tatsächlich der Fall war. Oft handelte es sich bei dem Diebesgut aber um einfache Kleidungsstücke. Auch diese stellten für die Armen noch einen Wert dar, der es lohnend erscheinen ließ, eine Straftat zu begehen. 512
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Hil., In psalm. 144, 14 (CSEL 22, 834f.). Lib., Or. 27, 4f.; vgl. auch 4, 36ff. 514 Auch diese wurden entwendet: Actus Petri cum Simone 17 (Lipsius - Bonnet 1, 63ff.); Mir. Thecl. 21 (Dagron 346); 34 (ibid. 380/4); Aug., Serm. Lambot 5 (PLS 2, 774f.). 515 Amm. 14, 6, 9; 28, 4, 8 und 19; Aug., In psalm. 51, 14 (CCL 39, 633f.); Serm. 61, 2, 2 (PL 38, 410); 61, 6, 8 (ibid. 411f.); 107, 5, 6 (ibid. 630); Zeno 1, 14, 3, 6 (CCL 22, 58); Max. Taur., Serm. 61a, 3 (CCL 23, 250f.); Joh. Chrys., Oppugn. 2, 9 (PG 47, 345); In kalendas 3 (PG 48, 957f.); De Lazaro 1, 11 (PG 48, 979f.). Die Ärmeren verschuldeten sich, um kostbare Kleidung kaufen zu können: Bas., In psalm. 14, hom. 2, 4 (PG 29, 276); Ambr., Tob. 5, 19 (CSEL 32, 2, 527f.); Patlagean 1977, 347f.; 383f. 516 Aug., Serm. 8, 10 (CCL 41, 87f.); 86, 7, 8 (PL 38, 526f.); Serm. Frangipani 1, 10 (Morin 177f.); Joh. Chrys., In Matth. hom. 38 (39), 3 (PG 57, 432); 89 (90), 4 (PG 58, 786); Zeno 1, 5, 6, 18 (CCL 22, 41f.); Caes. Arel., Serm. 100, 8 (CCL 103, 410f.). 517 Proc., Hist. arc. 7, 8ff. Vgl. auch noch 7, 15: Den Reichen wurden Kleidung, Gürtel, Broschen und was sie sonst an Wertvollem bei sich tragen mochten, abgenommen. 7, 18: Indem sie ärmlichere Kleidung trugen, suchten sich die Vermögenden vor den nächtlichen Räubereien zu schützen. 518 Joh. Mosch., Prat. spir. 68 (PG 87, 3, 2917/20); Ps.-Dioskoros, Panegyricus auf Macarius, Bischof von Tkow 3, 5ff. (Übersetzung Johnson, CSCO 416, Scriptores coptici 42, 12/4). Es fehlt nicht an Hinweisen darauf, daß die Armen Mangel an Kleidung litten: Pallad., Vita Ioh. Chrys. 6 (Malingrey - Leclercq 130/2); Historia monachorum in Aegypto 18, 2 (Festugière 115); Callinic., Vita Hypat. 34, 2 (Bartelink 220). Auch die ägyptischen Haushalte waren nur notdürftig mit Textilien ausgestattet, diese waren demgemäß ein begehrtes Diebesgut: P. Abinn. 55 (= P. Lond. II 412, p. 279) (351 n. Chr.); P. Lond. V 1830 descr. (Ende 4. Jh. n. Chr.); vgl. auch P. Princ. II 95 (4. Jh. n. Chr.?), Z. 513
4. Eigentumsdelikte
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Bereits in den frühkaiserzeitlichen Quellen ist vielfach der Erntediebstahl erwähnt. Auf größeren Gütern waren regelmäßig Gutswächter anzutreffen, die u.a. die Ernte vor Dieben zu schützen hatten. Der Diebstahl von Nahrungsmitteln war mitunter in der Not, im Hunger begründet. Dies darf in den folgenden Fällen vermutet werden: Als Aur. Viktor, Bauer des Bischofs Petros, beim Diebstahl von Getreide ertappt worden war, ließ sich der Bischof dazu bewegen, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Es mag die Not gewesen sein, die den Bauern zum Dieb hatte werden lassen. Ein Dieb entwendete wiederholt Kohl aus einem Klostergarten. Der mit den Gartenarbeiten beauftragte Mönch konnte des Diebes habhaft werden, entließ ihn aber ohne Strafe, noch dazu mit dem Kohl, den er entwenden wollte, und gab ihm lediglich die Ermahnung mit auf den Weg, künftig nicht mehr zu stehlen; wenn er Gemüse nötig habe, solle er zum Kloster kommen, dann werde man es ihm geben. Opfer von Erntediebstählen waren auch Kleinbauern. Der Wert des Diebesgutes muß gering gewesen sein, und der Diebstahl dürfte durch Not und Mangel veranlaßt gewesen sein. Dies war aber nicht immer der Fall. Täter waren vielfach Dorfangehörige oder gar Nachbarn. Eine schlechte Ernte konnte einen Bauern in Not bringen, die Felder des u.U. nicht viel vermögenderen Nachbarn abzuernten, war in dieser Situation eine große Versuchung. Eine mindestens genauso große Bedeutung hatte aber der Neid als Tatmotiv. Zu sehen, daß der Nachbar mehr Glück mit seiner Ernte gehabt hatte, mochte einen nächtlichen Diebstahl provozieren. 519
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14ff. - Zum Diebstahl von Kleidung vgl. auch noch Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 1, 8 (PG 48, 856); Joh. Mosch., Prat. spir. 77 (PG 87, 3, 2929/32); 78 (ibid. 2932/6); Euagr., Hist. eccl. 4, 32 (Bidez – Parmentier 181f.). 519 Colum. 1, 7, 7; Mart. 6, 72; 8, 40; 10, 94; 11, 34 (Diebe in Gärten); Dig. 7, 1, 12, 5 (Ulpian); 9, 2, 27, 25ff. (Ulpian); 19, 2, 60, 5 (Labeo); 47, 2, 26, 1 (Paulus); 47, 2, 83 (82), 1 (Paulus). Erntediebstahl in der Spätantike: Neri 1998, 309ff. 520 Aug., In psalm. 36, serm. 3, 12 (CCL 38, 376); Greg. M., Dial. 1, 9, 2 (Vogüé - Antin 2, 76). Auf den afrikanischen Gütern waren z.T. Barbaren als Erntewächter eingestellt: Aug., Epist. 46, 1f. (CSEL 34, 2, 123f.); 5 (ibid. 125f.). Frühe Kaiserzeit: Dig. 32, 1, 60, 3 (Alfenus); 33, 7, 12, 4 (Ulpian); 33, 7, 15, 2 (Pomponius). 521 P. Berl. Zill. 8 (663 n. Chr.). Zum Diebstahl von Lebensmitteln in Ägypten vgl. auch noch P. Lund IV 13 (= SB VI 9349) (2. Hälfte 3. Jh. n. Chr.). 522 Greg. M., Dial. 1, 3, 2ff. (Vogüé - Antin 2, 34/6). Kleinere Erntediebstähle: Greg. M., Dial. 3, 14, 6 (Vogüé - Antin 2, 306/8); Vita des Isauriers Konon 13 (F. Halkin, Vie de S. Conon d’Isaurie, Analecta Bollandiana 103, 1985, 5-34, 16f.). 523 Historia monachorum in Aegypto 10, 34 (Festugière 89). 524 P. Cair. Isidor. 141 descr. (Anfang 4. Jh. n. Chr.). 525 Theodoret., Hist. rel. 4, 5 (Canivet - Leroy-Molinghen 1, 352/4): Ein Bauer, der mit seinem Ernteertrag unzfrieden und neidisch auf die anderen war, stahl die Garben eines Nachbarn. Der Dieb wurde auf der Stelle bestraft: Ein Blitz schlug in seine Tenne ein. Er wandte sich an den Asketen Symeon den Älteren um Hilfe, der ihn zu einem Geständnis brachte. Das Feuer werde automatisch erlöschen, wenn er den Schaden wiedergutmache. So geschah es: Der Dieb gab seinem Nachbarn das entwendete Getreide zurück. Hiermit war die Angelegenheit offensichtlich beigelegt. Hier wie auch sonst sahen die
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Diebstahl
Vor Diebstählen werden, was nicht verwundert, vor allem die Vermögenden gewarnt. Die Kirchenväter sehen in dem demonstrativ zur Schau gestellten Reichtum nur eine Verlockung zum Diebstahl. Die Reichen würden, so die Warnungen der christlichen Prediger, den in langer Zeit angesammelten Wohlstand unter Umständen durch Diebstahl oder Raub binnen kurzer Zeit verlieren und auf diese Weise in Armut geraten. Ein nächtlicher Einbruch konnte die Vermögenssubstanz in ganz empfindlicher Weise treffen. Ambrosius empfiehlt, denen besonders zu helfen, die durch ein böses Schicksal aus Wohlstand in Armut geraten seien, und er nennt als Beispiele u.a. diejenigen, die ihr Vermögen durch Raub (latrocinium) verloren haben. Machen wir uns dies klar: Es standen keine Banken zur 526
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christlichen Asketen und Kleriker ihre Aufgabe darin, Streitigkeiten zu schlichten. Die Anrufung von Gerichten wurde von ihnen auch in schwerwiegenderen Strafsachen zumeist abgelehnt. 526 Joh. Chrys., In psalm. 48, 2, 2 (PG 55, 514f.); In Matth. hom. 21 (22), 1 (PG 57, 295); Ambr., Hel. 19, 70 (CSEL 32, 2, 452f.). Der Reichtum als Ursache allen Übels in der Welt ist ein beliebtes Thema bei den Kirchenvätern: vgl. auch noch Bas., Hom. in divites 7 (PG 31 297). Augustin nennt als Opfer von Diebstählen die Reichen (während hingegen die Opfer ungerechtfertigter Prozesse vor allem die Armen seien): Epist. 153, 25 (CSEL 44, 425f.). Vermögende als Opfer von Diebstählen: Lact., Inst. 6, 12, 35 (CSEL 19, 531); Ambr., Nab. 7, 37 (CSEL 32, 2, 487f.); Aug., In psalm. 36, serm. 3, 15 (CCL 38, 378f.); Serm. 86, 9, 10 (PL 38, 527f.); Joh. Chrys., In dictum Pauli, oportet haereses esse 5 (PG 51, 259f.); De verbis apostoli, Habentes eundem spiritum 1, 8 (PG 51, 278f.); In illud, Vidua eligatur 16 (PG 51, 336/8); In Matth. hom. 20 (21), 3 (PG 57, 289f.); 50 (51), 4 (PG 58, 508/10); 74 (75), 5 (ibid. 685); Chromat., Serm. 5, 5 (Lemarié 1, 172); Val. Cem., Hom. 7, 3 (PL 52, 714); 8, 4 (ibid. 718f.). Die Angst der Vermögenden vor Raub war sprichwörtlich: vgl. hierzu auch noch Pallad., Hist. Laus. 14, 1ff. (Bartelink 58/60). 527 Aug., Serm. 60, 4, 4 (PL 38, 404); 61, 10, 11 (ibid. 413); 113, 4, 4 (ibid. 650); 259, 5 (ibid. 1200); Greg. Naz., Carm. 2, 3 (Ad Vitalianum), Z. 31f. (PG 37, 1482); Joh. Chrys., Ad pop: Antioch: 1, 10 (PG 49, 30); De angusta porta 2 (PG 51, 43); In paralyticum demissum per tectum 1 (PG 51, 48f.); In gen. hom. 41, 5 (PG 53, 381f.); In Matth. hom. 47 (48), 4 (PG 58, 486); 52 (53), 4 (ibid. 523); 83 (84), 2 (ibid. 748); In epist. I ad Cor. hom. 21, 5 (PG 61, 176); In epist. ad Eph. hom. 13, 4 (PG 62, 98f.); In epist. ad Phil. hom. 8, 5 (PG 62, 236); Zeno 1, 5, 5, 15 (CCL 22, 41); Hier., Epist. 22, 3; vgl. auch noch Firm., Math. 6, 35, 6. 528 Ambr., Off. 1, 30, 158; vgl. auch 2, 15, 69. Bettler gaben vor, sie seien ausgeraubt worden und so in Armut geraten. Es konnte also glaubhaft vorausgesetzt werden, daß man als Opfer eines Diebstahles bzw. Raubes in die Bettelarmut abgesunken war: Ambr., Off. 2, 16, 76f. Den Armen und Bettlern wurde von den Wohlhabenden vielfach Müßiggang vorgeworfen, und Johannes Chrysostomos verwendet alle Anstrengung darauf, seinen Hörern plausibel zu machen, daß es auch andere Gründe für die Armut geben könne: Schiffbruch, ungünstiger Prozeßausgang, Diebstahl, Krankheiten: Joh. Chrys., In epist. ad Hebr. hom. 11, 4 (PG 63, 94). Daß aus Diebstahl bzw. Raub Verarmung resultieren konnte, wird durch die Gesetzgebung bestätigt: Cod. Theod. 4, 20, 1 (379 n. Chr.). Vgl. auch noch Greg. Naz., Or. 14, 5f. (PG 35, 864f.): Auflistung der verschiedenen Kategorien der Armen, die zu unterstützen sind: Witwen, Waisen, Exulanten, Opfer von Amtsträgern oder Räubern.
4. Eigentumsdelikte
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Verfügung, auf die man sein Geld hätte tragen können, und in den Privathäusern gab es nicht viele Möglichkeiten, Geld, Schmuck oder kostbare Kleidung zu verstecken. Durch einen Einbruch im äußersten Fall in Armut zu geraten, war also keineswegs ganz unvorstellbar. Die Reichen setzten sich zur Wehr: Sie verschlossen ihre Habe, aber auch dies reichte ihnen nicht. Regelmäßig wurden Sklaven als Wächter des Vermögens (gegen Diebe und Hauseinbrecher) eingesetzt. Es wurden Wachhunde gehalten; sie galten als sehr gefährlich, und es ist mehr als einmal die Rede davon, daß eine Person von bissigen Wachhunden getötet wurde. Die Reichen nutzten also alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel, sich vor Dieben zu schützen. Die Praxis, Sklaven als Wächter einzusetzen, hat Diebstähle sicher nicht völlig verhindert, wird aber die Reichen bis zu einem gewissen Grade vor den Begehrlichkeiten der Armen geschützt haben. Schwieriger war es, den Besitz vor den eigenen Hausangehörigen zu sichern. Gerade die Wächter, die sich mit der Habe ihres Herrn davonmachten, bereiteten den Besitzenden besondere Sorge. Trotz aller Sicherungsmaßnahmen konnten Diebstähle nicht ganz verhindert werden: Viele fanden, wenn sie nach Hause zurückkamen, ihre Habe nicht mehr vor. Auch wenn die Reichen von den Kirchenvätern immer wieder vor Dieben gewarnt werden, so stellt sich doch die Frage, ob sie tatsächlich unter den Opfern dominierten (jedenfalls soweit es Diebstähle betrifft, die nicht von Hausangehörigen begangen wurden). Vermutlich nahmen mit wachsendem Reichtum auch die Möglichkeiten zu, sich vor Einbrüchen und Diebstählen zu schützen. Es waren daher unter den Opfern aufs ganze gesehen wohl eher die Angehörigen der „Mittelschichten“ vertreten: Personen, die über eine Habe verfügten, die einen Diebstahl lohnte, die auf der anderen Seite aber keine Sklaven zum Schutz ihres Vermögens abstellen konnten. Libanios nennt demgemäß Bauern mit ihren Wertsa529
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Serm. 18, 3 (CCL 41, 246f.); 36, 8 (ibid. 440); 39, 6 (ibid. 491f.); 60, 8, 8 (PL 38, 406); 86, 2, 2 (ibid. 524); 357, 5 (PL 39, 1585f.); Serm. Morin 11, 5 (Morin 629f.); In epist. Ioh. 4, 4 (Agaesse 224/6); Joh. Chrys., Contra eos qui subintroductas ... 9 (Dumortier 76); Ad pop. Antioch. 2, 4 (PG 49, 39); In gen. serm. 1, 4 (PG 54, 586); 7, 1 (ibid. 608); In psalm. 111, 3 (PG 55, 293f.); Val. Cem., Hom. 9, 3 (PL 52, 720f.). Türhüter: Bas., Hom. in martyrem Gordium 6 (PG 31, 501/4); Greg. Nyss., Paup. amand. 1 (PG 46, 468 = Van Heck 15f.); Aug., In psalm. 103, serm. 4, 10 (CCL 40, 1530); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 20, 3 (PG 49, 201f.); Poen. 4, 4 (PG 49, 304); In psalm. 120, 1 (PG 55, 345); In Matth. hom. 14, 4 (PG 57, 221). 530 Firm., Math. 6, 31, 15; Optat. 2, 19 (CSEL 26, 53/5); Ambr., Hex. 6, 4, 17 (CSEL 32, 1, 213f.); 6, 4, 23f. (ibid. 219/21); Aug., Divers. quaest. 53, 2 (CCL 44A, 88); Greg. Nyss., Paup. amand. 1 (PG 46, 468 = Van Heck 15f.); Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 43 (80 Gelzer) (Festugière 395). Vgl. auch noch Conc. Matisconense (585 n. Chr.), c. 13 (CCL 148A, 245): Verbot für Bischöfe, Hunde zu halten. Begründung: Gäste sollen nicht Gefahr laufen, gebissen zu werden. Das Haus des Bischofs sei mit Hymnen, nicht dem Gebell von Hunden zu schützen. 531 Aug., In Psalm. 38, 12 (CCL 38, 413f.).
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Diebstahl
chen (Truhen, Kleider) als potentielle Opfer. Diejenigen, die bestohlen wurden, entstammten keineswegs immer den Oberschichten oder waren besonders vermögend. Es werden in diesem Zusammenhang auch alleinstehende Frauen genannt, die in geringerem Maße als Männer in der Lage waren, sich gegen Diebe zur Wehr zu setzen. Auch sie gehörten nicht den Oberschichten an, denn in einem großen Haushalt wäre es, was den Schutz des Eigentums anbelangte, kaum von Bedeutung gewesen, ob an seiner Spitze ein Mann oder eine Frau stand. Damit, die Habe des Haushaltsvorstandes zu behüten, wären im einen wie im anderen Fall Sklaven betraut worden. Was können wir über die Täter sagen? Sehr weit gefaßt sind die Behauptungen des sogenannten Anonymus de rebus bellicis. Dieser sieht in der Unterdrückung der Armen durch die Reichen einen Grund dafür, daß sich erstere mannigfachen Verbrechen zuwandten, die Äcker verwüsteten, Ruhe und Ordnung durch Räubereien störten, sich schließlich Tyrannen (= Usurpatoren) anschlossen. Evidenterweise ist dies Rhetorik. Gleichwohl ist der Anonymus in der Forschung vielfach für bare Münze genommen worden. MacMullen beruft sich u.a. auf diese Stelle für seine These, daß die von ihm postulierte Verschärfung der sozialen Gegensätze zu einer deutlichen Zunahme der Armutskriminalität geführt habe. Er sieht die Kriminalität im wesentlichen begründet in einer zunehmenden „economic, political and social dislocation“. Der Wendepunkt sei die Regierungszeit des Septimius Severus gewesen; seither sei das Römische Reich in unruhige Zeiten eingetreten. Freilich konstatieren auch andere spätantike Autoren, daß es häufig die Armut war, die zum Verbrechen, vor allem zu Eigentumsdelikten, führte. Zwar muß der Terminus „Armut“ im antiken Sprachgebrauch nicht die völlige Mittellosigkeit bezeichnen. Häufig wird jedoch explizit die Not und Bettelarmut als Nährboden des Verbrechens angesprochen. Im Einzelfall läßt sich aus der Zugehörigkeit zu 532
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Lib., Or. 2, 32. Serm. Lambot 5 (PLS 2, 774f.); Vita Symeon. Styl. 180 (van den Ven 1, 158f.); Mir. Thecl. 43 (Dagron 402). 534 Vita Symeon. Styl. 181 (van den Ven 160f.); Aug., Epist. 20*, 6, 2 (CSEL 88, 97). Der Vorwurf, Witwen auszurauben, wird auch gegen gegnerische Kleriker erhoben: Aug., C. Petil. 2, 23, 53 (CSEL 52, 51); 2, 35, 82 (ibid. 68). Vgl. auch noch Apul., Met. 4, 8, 6; 4, 12. Alleinstehende Frauen hatten in Ägypten unter Räubereien und Diebereien besonders zu leiden. Die meisten Belege stammen freilich aus den ersten drei Jahrhunderten: Krause 1994/5, 2, 236f. 535 Anonymus de rebus bellicis 2, 5. 536 MacMullen 1967, 192ff., v.a. 196f. 537 Ambr., Iob 3 (4), 7, 21 (CSEL 32, 2, 259f.); Firm., Math. 3, 11, 5. 538 Ambr., Hex. 5, 17, 57 (CSEL 32, 1, 183f.); Hier., In Is. 16, 58, 10 (CCL 73 A, 668/71); Hom. in Lucam 16, 19-31 (CCL 78, 516); Aug., In psalm. 61, 16 (CCL 39, 784/6); 72, 12 (CCL 39, 993); Conf. 2, 5, 11; Joh. Chrys., Stag. 1, 8 (PG 47, 444f.); De fato et providentia 5 (PG 50, 769f.); In psalm. 49, 8 (PG 55, 253); De prophetiarum obscuritate 2, 8 (PG 56, 188); In Matth. hom. 9, 5 (PG 57, 181f.). 533 Aug.,
4. Eigentumsdelikte
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einer bestimmten sozialen Gruppe erschließen, daß die Armut das auslösende Motiv für den Diebstahl war. Nach Johannes Chrysostomos kam es dem Bischof zu, eine sehr strenge Auswahl bei der Aufnahme in die Gruppe der von der Kirche zu unterstützenden Witwen zu treffen. Viele Witwen hätten neben anderen Missetaten auch Diebstähle begangen. Die Witwen waren in besonderem Maße von Verarmung bedroht. Die Kirchenväter sind weit davon entfernt, die Not als Entschuldigung für den Diebstahl gelten zu lassen. Sie sehen in den sozialen Verhältnissen, in der ungerechten Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen einen Faktor, der zum Verbrechen, insbesondere zu Eigentumsdelikten, führte, akzeptieren dies aber nicht als Rechtfertigung für die Straftaten. Die Armen sollen ihr Geschick mit Geduld ertragen und im Jenseits auf ihre Belohnung warten; eine Umverteilung des Reichtums wird von den christlichen Autoren nicht ins Auge gefaßt. Sie propagieren keine gesellschaftlichen Reformen, sie fordern die Reichen und die Armen zu individuellem Ausgleich auf. Die einen sollen an ihrem Wohlstand die Armen und Bedürftigen teilhaben lassen, die anderen aber ihre Armut geduldig ertragen. In den Augen der Kirchenväter ist die Habgier (die sie nicht nur bei den Reichen, sondern auch bei den Armen, die sich nicht in ihr Los fügen, finden) die eigentliche Wurzel allen Verbrechens; damit werden die sozialen Wurzeln der Kriminalität, die von ihnen doch so betont werden, wieder relativiert. All diese Diskussionen lassen keinen Zweifel daran zu, daß die Armutskriminalität bis zu einem gewissen Grade existierte. Eine ganz andere Frage ist die, ob in der materiellen Not großer Teile der städtischen und der ländlichen Bevölkerung das Hauptmotiv für die Eigentumsdelikte zu erblicken ist. Wir sollten uns mitnichten durch die zahlreichen Äußerungen spätantiker Autoren, die Armut und Eigentumsdelikte miteinander in Verbindung bringen, in die Irre führen lassen. Diebe fanden sich in weiten Schichten der Bevölkerung. Die Kirchenväter warnen die Reichen immer wieder davor, ihren Reichtum zur Schau zu stellen; hiermit würden sie nur Diebe anlocken. Es war in dieser Gesellschaft nicht nur die Not, die in die Kriminalität führte, sondern auch das Bestreben, nicht weniger zu haben als die Nachbarn. Man maß sich ständig mit ihnen, sah im Erfolg des Nachbarn den eigenen Mißerfolg. Neid und Mißgunst prägten die Beziehungen zwischen Nachbarn. Darum wurde so häufig Kleidung entwendet, die ein Statussymbol ersten Ranges war. Viele Autoren sehen in der individuellen charakterlichen Veranlagung die eigentliche Ursache für Straftaten. Diebstahl wird 539
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Joh. Chrys., Sacerd. 3, 12 (Malingrey 202). In psalm. 83, 17 (CCL 39, 1160f.); In psalm. 32, 2, serm. 2, 15 (CCL 38, 265); 128, 6 (CCL 40, 1884f.); Serm. 47, 18 (CCL 41, 589f.); Joh. Chrys., De diabolo tentatore hom. 3, 5 (PG 49, 270f.). 541 Eus. Emes. 15, 6 (Buytaert 1, 348f.); Joh. Chrys., Oppugn. 3, 6 (PG 47, 357f.); Aster. Amas., Hom. 2, 11, 5 (Datema 34); Zeno 1, 5, 1, 3 (CCL 22, 38); Pelag., Div. 17, 3 (PLS 1, 1406f.). Die Kritik an der Habgier als Quelle allen Verbrechens ist topisch und findet sich auch bei heidnischen Autoren; vgl. Rut. Nam. 1, 357ff. 540 Aug.,
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Diebstahl
von Firmicus Maternus mit „Raserei“ (furor) assoziiert; daß Diebe von Not geleitet sein könnten, kommt ihm nicht in den Sinn. Sie sind ihm darüber hinaus „contumaces“; es ist offenkundig an Gewohnheitsdiebe gedacht. Im weiteren bringt er Diebstahl mit Faulheit in Verbindung oder sieht in Neid und Habgier ein denkbares Motiv. Auch Johannes Chrysostomos identifiziert nicht Not und Mangel allein als Nährboden der Kriminalität: Wolle man sein Bedürfnis nach Luxus befriedigen, sei man oftmals gezwungen, zu stehlen und zu rauben. Die Eigentumskriminalität wird hier eher mit den oberen Bevölkerungsschichten assoziiert (die Bettler und die Armen konnten an die Entfaltung von Luxus gar nicht denken). Die spätantiken Autoren gehen davon aus, daß niemand es nötig hätte, Verbrechen zu begehen; Arbeit wäre hinreichend vorhanden gewesen. Augustin warnt davor, seine Zeit mit öffentlichen Schauspielen und Kneipenbesuchen zuzubringen. Das Nichtstun führe zum Verlust des Besitzes und in Folge hiervon zum Verbrechen, zum Diebstahl, Hauseinbruch, im Extremfall zum Raub (latrocinium). Die Diebe stammten also nicht notwendigerweise aus den ärmsten Bevölkerungskreisen, es waren zum Teil Personen, die durch eigene Schuld in Armut geraten waren. All diese Äußerungen, von so unterschiedlichen Autoren wie Firmicus Maternus, Johannes Chrysostomos und Augustin, lassen trotz ihrer Rhetorik zumindest deutlich werden, daß die Diebstahlskriminalität nicht auf eine angebliche Pauperisierung großer Teile der Bevölkerung zurückgeführt werden kann (contra MacMullen). Wollte man einen Gegner beleidigen, so warf man ihm vielfach das Schimpfwort „Dieb“ an den Kopf. Es war dies eine Beleidigung, die traf. Das läßt vermuten, daß Diebstähle nicht nur von Berufsverbrechern verübt wurden, sondern auch von Handwerkern, Bauern und anderen in die Gesellschaft integrierten Personen. Die Straftäter stammten aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum. Den Angehörigen der städtischen Plebs, darunter auch relativ gut situierten 542
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Firm., Math. 3, 2, 7; 3, 7, 12; 5, 2, 4; 6, 31, 64; 8, 19, 1. Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 15, 4 (PG 49, 159). 544 Lib., Or. 48, 35f.; Joh. Mosch., Prat. spir. 77 (PG 87, 3, 2929/32). 545 Aug., Catech. rud. 16, 25, 7f. (CCL 46, 149f.). Es ist hier freilich bis zu einem gewissen Grade mit literarischer Topik zu rechnen. Das Motiv des jungen Mannes, der sein Vermögen vergeudet und sich mit Räubern verbündet, findet sich auch sonst in der antiken Literatur: Apul., Met. 8, 1, 3. 546 Aug., In psalm. 68, serm. 1, 12 (CCL 39, 912f.); Joh. Chrys., In Matth. hom. 87 (88), 4 (PG 58, 774). 547 Apophthegmata patrum, Makarios 31 (5) (PG 65, 273) (Kameltreiber); Joh. Mosch., Prat. spir. 34 (PG 87, 3, 2884) (Notar). 543
4. Eigentumsdelikte
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Handwerkern, wurden Diebstähle und Unterschlagungen ohne weiteres zugetraut. Unter den Dieben finden sich ferner Studenten, ja selbst christliche Jungfrauen, Mönche und Nonnen. Häufig entstammten Täter und Opfer demselben sozialen Milieu; es mochte sich um Nachbarn handeln. Instruktiv ist die folgende Anekdote: Eine Frau wurde ihrer Habe beraubt und wandte sich an Symeon, der sie ermutigte. Nach Hause zurückgekehrt, fragten die Nachbarn, unter denen sich auch der Dieb befand, sie aus. Er wurde, als die Frau ihm antwortete, wahnsinnig und legte ein Geständnis ab. Die entwendeten Gegenstände wurden bei ihm gefunden, ferner anderes, was während der letzten Jahre verschwunden war. Alle, auch die Frau, beteten zu Gott, daß der Schuldige Verzeihung erlangen möge; in der Tat gesundete er wieder. An eine Bestrafung wird nicht gedacht; war der Täter ein Nachbar, so wurde oft auf eine Strafverfolgung verzichtet. Der Dieb war Wiederholungstäter; aber dies macht ihn nicht zu einem Berufsverbrecher. Er scheint sehr wohl in den Nachbarschaftsverband integriert, nicht einer „kriminellen Klasse“ zugehörig gewesen zu sein. Basilius wandte sich, nachdem er Opfer eines Hauseinbruchs geworden war, an den Provinzstatthalter von Kappadokien, Candidianus (unter Julian): Ein Bauer, ein Mitbewohner aus Annisoi, war mit einigen Genossen in dan Haus des Basilius eingedrungen, hatte den Frauen, die es hüteten, Gewalt angetan und es ausgeraubt. Basilius verlangt die Inhaftierung des Täters. Hier waren zum Diebstahl weitere Straftaten hinzugekommen, insbesondere die Gewaltanwendung gegen die Frauen. Der Straftäter war kein Unbekannter: Es hatten vermutlich bereits vor dem Überfall Spannungen bestanden. Ein beträchtlicher Teil der Diebstähle wurde innerhalb der Familie verübt, auch dies zeigt, daß die Diebe zumeist keine Berufsverbrecher waren. Die Scheidung bzw. Trennung war ein heikler Moment. Zwar bestand grundsätzlich Gütertrennung, es wurde also auch während der Ehe zwischen dem Vermögen des 548
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Joh. Chrys., In psalm. 48, 7 (PG 55, 510); Greg. Nyss., C. Eunomium 1 (PG 45, 260f.); Lib., Epist. 744, 5 (X 672). 549 Aug., Conf. 6, 9, 14f. Der Täter gehörte nicht zu den ärmeren Bevölkerungskreisen (er verfügte über ein eigenes Haus mit zumindest einem Sklaven). 550 Mir. Thecl. 43 (Dagron 402). 551 Apophthegmata patrum, Gelasios 1 (91) (PG 65, 145/8); Daniel 6 (97) (ibid. 156); Apophtegmata patrum 4, 27 (Guy, Sources Chrétiennes 387, 198/200); Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 32 (Brooks, PO 18, 586/92); Vitae patrum Emeretensium 2 (CCL 116, 14/20); Joh. Mosch., Prat. spir. 211 (PG 87, 3, 3101/4). Nonnen: Firmus von Caesarea, Epist. 41 (Calvet-Sebasti - Gatier 162); Caes. Arel., Reg. virg. 26 (Vogüé Courreau 204). 552 Aug., Serm. 259, 5 (PL 38, 1200). Enge soziale Kontakte zwischen Opfer und Täter werden auch deutlich in Mir. Thecl. 43 (Dagron 402). 553 Vita Symeon. Styl. 181 (van den Ven 1, 160f.). 554 Bas., Epist. 3, 2 (Courtonne 1, 14f.). 555 Vgl. außer den weiter unten zitierten Stellen auch noch P. Sakaon 48 (= SB VI 9622) (343 n. Chr.); P. Princ. II 95 (4. Jh. n. Chr.?).
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Diebstahl
Mannes und dem der Frau unterschieden. Aber wenn sich die Ehepartner im Streit trennten, suchte sich mitunter einer der Partner auf Kosten des anderen zu bereichern. Es kam vor, daß sich die Ehefrau nach dem Tod ihres Ehemannes an dessen Vermögen bereicherte; Hintergrund war ihre schlechte erbrechtliche Position. Sie hatte oft nicht viel mehr als die Rückgabe der Mitgift zu erwarten, von der die meisten Frauen kaum ihren Lebensunterhalt zu bestreiten vermochten. Auf der anderen Seite hatte die Ehefrau Zugriff auf das Vermögen ihres verstorbenen Mannes. Sie mochte versucht sein, dies auszunutzen. Leidtragende waren in diesem Fall zumeist die Kinder (als Erben). Auch andere Verwandte wurden bestohlen. Die Papyri zeigen, daß Diebstähle zumeist von Nachbarn bzw. Angehörigen des Dorfes begangen wurden, die dem Opfer bekannt waren. „Ehrbare“ Bauern und Handwerker wurden unter bestimmten Voraussetzungen, d.h. insbesondere, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab, zu Straftätern (Dieben). Es ist schwierig, hierüber hinausgehend genauere Angaben über das soziale Milieu, über die Vermögensverhältnisse von Opfern und Tätern zu machen. Sicher waren, dies ist nahezu eine banale Feststellung, diejenigen, die bestohlen wurden, in aller Regel vermögender als die Täter: Sie verfügten über ein Gut, das den Tätern lohnend erschien, um eine Straftat zu begehen. Unter den Opfern findet sich etwa ein Ratsherr, ein Kleriker, ein Veteran, ansonsten Grund- und Viehbesitzer, über deren Vermögensverhältnisse keine genauen Angaben gemacht werden können. Sie waren also relativ gutsituierte Bauern, ohne deswegen doch den „Oberschichten“ zugerechnet werden zu können; vermutlich waren sie zumeist nur geringfügig vermögender als die Täter. Dem oben skizzierten Täterprofil entspricht die soziale Herkunft der Gefängnisinsassen in Ägypten: erwähnt werden u.a. Bauern 556
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Cod. Iust. 5, 21, 2 (290 oder 293 n. Chr.); 5, 21, 3 (290 oder 293 n. Chr.); P. Lips. 41 (Ende 4. Jh. n. Chr.); P. Lond. V 1651 (363 n. Chr.); Vita Symeon. Styl. 229 (van den Ven 1, 201/3). 557 P. Cair. Isidor. 62 (= SB VI 9185) (296 n. Chr.); Krause, 1994/5, 3, 231f. Zur erbrechtlichen Situation der Witwe ibid. 2, 75ff. 558 Cod. Iust. 6, 2, 17 (294 n. Chr.); 5, 10, 1, 1 (392 n. Chr.). 559 Cod. Iust. 7, 34, 1 (Diokletian); 6, 2, 11 (293 n. Chr.); 9, 33, 5 (293 n. Chr.). 560 P. Oxy. VIII 1121 (295 n. Chr.); P. Cair. Isidor. 141 descr. (Anfang 4. Jh. n. Chr.); P. Cair. Isidor. 75 (316 n. Chr.); SB XVIII 14056 (= P. Strasb. 296 recto) (326 n. Chr.); P. Sakaon 48 (= SB VI 9622) (343 n. Chr.); P. Abinn. 50 (346 n. Chr.); P. Abinn. 55 (= P. Lond. II 412, p. 279) (351 n. Chr.). 561 SB XVIII 14056 (= P. Strasb. 296 recto) (326 n. Chr.) (Ratsherr); P. Abinn. 45 (= P. Lond. II 245, p. 271 (343 n. Chr.) (Veteran); P. Abinn. 55 (= P. Lond. II 412, p. 279) (351 n. Chr.) (Diakon).
4. Eigentumsdelikte
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bzw. Hirten, Lohnarbeiter, Handwerker. Es handelte sich bei den Häftlingen nur zum Teil um „Berufsverbrecher“; sie repräsentierten aufs ganze gesehen keine „kriminelle Subkultur“. Eher stellten sie einen Querschnitt durch breite Schichten der Bevölkerung dar. In der Gesetzgebung findet sich lediglich ein expliziter Hinweis darauf, daß die Bettler in besonderem Maße anfällig für Straftaten waren. Die städtischen Bettler standen bei den Besitzenden zwar im Verdacht, sie seien flüchtige Sklaven, Räuber, Diebe; Johannes Chrysostomos nimmt sie vor diesem Vorwurf jedoch in Schutz. Sie neigten mehrheitlich nicht zur Auflehnung; sie waren passiv. Die Mehrzahl unter ihnen nahm ihr Schicksal hin, sie mochten vom Reichtum träumen, aber sie suchten nicht durch Eigentumsdelikte, deren Opfer die Reichen gewesen wären, ihrer Not abzuhelfen. Die meisten Armen, ob es sich nun um Kleinbesitzer oder Bettler handelte, waren doch in die Gesellschaft eingebunden. Sie bildeten keine „classe dangereuse“. Daß viele Diebe zu den Unterschichten gehörten, bleibt natürlich wahr und ist geradezu eine banale Feststellung, da ja auch die Unterschichten einen großen Teil der Gesamtbevölkerung stellten. Auch soll nicht abgestritten werden, daß es vielfach die Bedürftigkeit war, die zur Eigentumskriminalität führte. Aber können wir diese allein oder auch nur in erster Linie auf die Armut zurückführen? Die Quellen ergeben, wenn sie in ihrer ganzen Vielfalt ausgewertet werden, ein sehr viel differenzierteres Bild. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war ein Großteil der Diebe Gelegenheitstäter. Es waren nicht Berufsverbrecher, sondern Personen, die zwar häufig den einfachen Bevölkerungsschichten entstammten, aber einem ehrbaren Beruf nachgingen, also Bauern, Handwerker oder Lohnarbeiter waren. Die entwendeten Gegenstände waren häufig von nur geringem Wert. Es handelte sich in der Stadt um Kleidungsstücke und Textilien, seltener um Nahrungsmittel; auf dem Lande waren dagegen nächtliche Diebstähle in den Gärten der Nachbarn häufig, und auch Ernte- und Viehdiebstähle begegnen. Da die Diebstähle keine besondere Geschicklichkeit oder körperliche Kräfte erforderten, konnten sie auch von gewöhnlichen Dorfbewohnern begangen werden, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab. Charakteristisch für diese Form der Eigentumskriminalität war, daß 562
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P. Lond. II 354, p. 163ff. (ca. 10 v. Chr.); P. Oxy. XXXIII 2674 (308 n. Chr.); PSI VII 823 (5. Jh. n. Chr.), Z. 6f.; P. Oxy. VI 902 (= Mitteis, Chr. 72) (ca. 465 n. Chr.); P. Grenf. I 64 (6./7. Jh. n. Chr.), Z. 4f.; P. Cair. Masp. I 67078 (6. Jh. n. Chr.); Stud. Pal. X 252 (6. Jh. n. Chr.); P. Cair. Masp. I 67002 (567 n. Chr.); Stud. Pal. X 128 (7. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 2056 (7. Jh. n. Chr.). 563 P. Oxy. LVI 3870 (6./7. Jh. n. Chr.). 564 P. Cair. Masp. I 67020 (6. Jh. n. Chr.); P. Flor. III 296 (6. Jh. n. Chr.). 565 Krause 1996, 133f. 566 Nov. Iust. 80, 4f. (539 n. Chr.). 567 Joh. Chrys., De eleemosyna 6 (PG 51, 269/72); De verbis apostoli, Habentes eumdem spiritum 2, 8 (PG 51, 287f.); De profectu evangelii 4 (PG 51, 314f.); In Matth. hom. 35 (36), 3 (PG 57, 409).
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Diebstahl
die Täter vielfach aus demselben Dorf wie ihre Opfer oder doch zumindest aus der näheren Umgebung stammten und daß sie keine kriminelle Karriere absolvierten; sie begingen in ihrem Leben nur wenige Diebstähle. Ganz ähnlich war die Situation in der Spätantike; die Diebe waren zumeist Gelegenheitstäter, die vielleicht überhaupt nur einmal straffällig geworden waren. Die Gesetze differenzieren hin und wieder zwischen Erst- und Wiederholungstätern. Auch nach mehreren Diebstählen mußte man freilich nicht einer kriminellen Subkultur verbunden sein, von der unsere modernen Vorstellungen von Verbrechen und Kriminalität geprägt sind. Wie im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren es nicht in erster Linie marginalisierte Arme, auf deren Konto die Straftaten gingen. Die Kirchenväter wenden sich in ihren Predigten mit der Mahnung, nicht zu stehlen, nicht an „Berufsverbrecher“: Angesprochen sind große Teile der Gemeinde, die man den „ehrbaren“ Schichten zurechnen möchte, wie auch die Aufforderung, nicht die Ehe zu brechen, sich an durchaus angesehene Gemeindemitglieder richtete. Dies soll nicht heißen, daß nicht manche den Diebstahl zu ihrem Beruf gemacht hätten. Berufsdiebe waren in nicht allzu geringer Zahl in den Großstädten präsent. Die Beutelschneider, die ihrem Gewerbe etwa in der Kirche während des Gottesdienstes nachgingen, waren sicherlich nichts anderes. Dies modifiziert das Bild der Eigentumskriminalität, wie es in diesem Kapitel zu zeichnen versucht wurde, etwas, ändert es aber nicht grundlegend. Wir werden nie in der Lage sein, die Zahl der Eigentumsdelikte zu ermitteln. Auch läßt sich nicht sagen, ob sie über einen längeren Zeitraum zugenommen hat oder ob sie vielmehr rückläufig war. Eines ist aber deutlich: Mögen auch viele Diebe die Armut und die Not als Tatmotiv vorgeschützt haben, so läßt sich doch die Eigentumskriminalität ebensowenig wie die Gewalt auf den Gegensatz zwischen Arm und Reich zurückführen. Bereits griechische und frühkaiserzeitliche 568
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Geremek 1976, 61f.; 112f.; Hanawalt 1979, 70ff.; Chiffoleau 1984, 161ff. Joh. Chrys., De compunctione ad Demetrium 1, 3 (PG 47, 397). 570 Cod. Theod. 9, 38, 6 (381 n. Chr.); 9, 38, 8 (= Cod. Iust. 1, 4, 3) (385 n. Chr.): Wiederholungstäter werden von Amnestien ausgenommen ebenso wie Straftäter, die sich eines der als besonders schwer eingestuften Verbrechen schuldig gemacht hatten (Mord, Ehebruch, Giftmischerei, Majestätsverbrechen). 571 Vgl. Vita Symeon. Styl. 181 (van den Ven 1, 160f.). 572 Apophthegmata patrum, Makarios 18 (2) (PG 65, 269); Greg. Tur., Franc. 8, 16. 573 Joh. Chrys., De incomprehensibili dei natura 4, 6 (PG 48, 734/6). Wenn Firmicus Maternus von Dieben und Hauseinbrechern spricht, so denkt er in erster Linie an Berufsverbrecher. Sie arbeiteten mit Hehlern, auf die sie für den Absatz des Diebesgutes angewiesen waren, zusammen: Firm., Math. 4, 7, 3. Man konnte, so Firmicus Maternus, durch Eigentumskriminalität (Diebstahl, Hauseinbruch) zu Vermögen gelangen. Er denkt offenbar an größer angelegte Aktivitäten, wie sie Gelegenheitsdieben nicht zuzutrauen sind: Math. 3, 11, 13. Die Antiochener sahen in vielen zugewanderten Fremden nichts anderes als Mittellose, Verbrecher und Beutelschneider: Lib., Or. 16, 28ff. 569
4. Eigentumsdelikte
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Autoren bringen Armut und Kriminalität miteinander in Verbindung. Wenn die spätantiken Autoren die Armen und die Reichen einander als Täter und Opfer gegenüberstellen, dann sind sie somit möglicherweise eher literarischen Traditionen verpflichtet, als daß sie die soziale Realität ihrer Zeit wiedergeben würden. Ebensowenig wie sich die Gesellschaft auf den Gegensatz zwischen Arm und Reich reduzieren läßt, waren die Opfer von Eigentumskriminalität schlechthin die „Reichen“ und die Täter notwendigerweise die ganz „Armen“. Gegenüber der Rhetorik der christlichen Prediger ist kritische Distanz zu wahren. Sie kennen nur den Gegensatz zwischen Reich und Arm. Die Realität war komplexer. Die Eigentumskriminalität kann nicht allein mit der Armut erklärt werden, ebensowenig wie die Reichen deren alleinige Opfer waren. Viel gefährdeter dürften die Kleinbesitzer gewesen sein (bei denen auch eher die vielfach angesprochene Angst berechtigt war, durch einen Diebstahl oder Raub zu verarmen). Dominierten eher die Eigentums- oder die Gewaltdelikte? Die Zahl der Petitionen und Klagen wegen erlittener Gewalt überwiegt in Ägypten die der Klagen wegen Diebstahls und anderen Eigentumsdelikten deutlich. Es wäre angesichts der letztlich doch sehr schmalen Quellenbasis voreilig, aus diesem Befund zu schließen, daß mehr Gewalttaten als Diebstähle verübt wurden. Trotzdem ist der Kontrast zu den Kirchenvätern, die in ihren Predigten vor allem auf die Eigentumsdelikte, d.h. Diebstähle, hinweisen, auffällig. Möglicherweise waren die Ängste, bestohlen zu werden, bei ihren Gemeindemitgliedern in der Tat größer, als Opfer einer Gewalttat zu werden. Die Prediger wenden sich in erster Linie an ein städtisches Publikum. In der frühen Neuzeit überwogen auf dem flachen Land die Gewaltverbrechen, während in den Städten die Eigentumsdelikte dominierten. Es ist also sehr wohl denkbar, daß sich auch in der Spätantike die Eigentumskriminalität auf die Städte konzentrierte. Es gab hier mehr Gelegenheiten zu stehlen, das Risiko, ergriffen zu werden, war geringer. Der Kontakt zwischen den Armen und den Reichen, die weiterhin in der Stadt ansässig waren, war enger, damit auch die Versuchung, sich durch Diebstahl zu bereichern. Schließlich ist aber auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die ägyptischen Petitionen nicht die ganze Realität wiedergeben. Sie zeigen nur, welche Straftaten angezeigt, nicht welche Straftaten begangen wurden. Der Widerspruch zwischen den literarischen Quellen und den Papyri wäre dann nur ein scheinbarer. 574
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On. 1, 77, p. 71 (Pack 85f.); 3, 59, p. 191 (ibid. 229f.); Apul., Met. 4, 23, 3f.; 7, 4, 4f.; Dio Cass. 76 (77), 10, 5; Quint., Decl. 379; H. Bolkestein, Wohltätigkeit und Armenpflege im vorchristlichen Altertum, Utrecht 1939, 186ff.; H. Grassl, Sozialökonomische Vorstellungen in der kaiserzeitlichen griechischen Literatur (1.-3. Jh. n. Chr.), Historia Einzelschriften 41, Wiesbaden 1982, 82ff. 575 H. Zehr, The Modernization of Crime in Germany and France, 1830-1913, Journal of Social History 8, 1975, 117-141; Castan 1980b, 54; 287ff.; Macfarlane 1981, 180.
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Viehdiebstahl
Viehdiebstahl Eine besondere Bedeutung kommt in allen ländlichen Gesellschaften dem Viehdiebstahl zu. Als Straftatbetand hat er auch in der Spätantike ein eigenes Profil und ist demzufolge sinnvollerweise getrennt vom Diebstahl stricto sensu zu behandeln. Abactor war nach der Definition des Paulus, wer ein Pferd, zwei Stuten, zwei Kühe, zehn Schafe oder Ziegen oder fünf Schweine fortgetrieben hatte. Unterhalb dieser Grenzen wurde der Viehdiebstahl als gewöhnlicher Diebstahl geahndet: Der Täter mußte dann je nach Tatumständen doppelten oder dreifachen Schadenersatz leisten oder wurde mit Stöcken gezüchtigt und zu einem Jahr Zwangsarbeit (opus publicum) verurteilt bzw., wenn es sich um einen Sklaven handelte, seinem Herrn sub poena vinculorum übergeben. Wer ein umherirrendes Rind oder Pferd oder anderes Vieh weggeführt hatte, wurde eher als Dieb (fur) denn als Viehräuber (abactor) bestraft. Der schwere (atrox) Viehdiebstahl gehörte zu den mit großer Härte geahndeten Straftaten. Er konnte nach Paulus die Todesstrafe oder die Verurteilung zur Zwangsarbeit (metallum, opus publicum) zur Folge haben. Als schwerer Viehiebstahl galt, wenn man Pferde oder Schafherden aus dem Stall oder von der Weide fortgetrieben hatte, Wiederholungstäter war, Waffen einsetzte oder den Diebstahl in einer Bande beging. Der Viehdiebstahl war eine der häufiger auf dem Lande begangenen Straftaten. Augustin listet einige Klagen auf, die in seiner Umgebung häufiger zu hören waren: Tod der Ehefrau oder des Sohnes, Ernteschaden durch Hagelschlag, Raub des Viehs. Nahezu täglich wurden Streitigkeiten nicht nur um Geld, sondern auch um Land und Vieh vor das Bischofsgericht gebracht. Ein Gesetz aus dem Jahr 395 sucht die Provinzstatthalter zu entlasten; vor ihr Gericht sollen nur die schweren Strafsachen kommen. Das Gesetz gibt Auskunft über die Art der vor allem angestrengten Strafklagen: es ging um die Flucht eines Sklaven, Diebstähle, Raub von Tieren oder Sklaven, Landraub und Streitigkeiten um Grundbesitz und sonstige Immobilien. Die genannten Streitfälle betreffen vor allem die Landbevölkerung; sie entsprechen recht gut dem sich aus den Papyri ergebenden Bild: Hier 576
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Castan 1980b, 221f.; Sharpe 1983, 92ff. Paul., Sent. 5, 18, 1 (FIRA 2, 405); Coll. Mos. 11, 3 (FIRA 2, 571). 578 Paul., Sent. 5, 18, 4 (FIRA 2, 405); Coll. Mos. 11, 5 (FIRA 2, 571); 11, 8, 1 (ibid. 572). 579 Paul., Sent. 5, 18, 2 (FIRA 2, 405); Coll. Mos. 11, 2 (FIRA 2, 570). Zur Todesstrafe für Viehdiebe vgl. auch Coll. Mos.11, 6, 1 (FIRA 2, 571); 11, 7 (ibid. 571f.); 11, 8, 3f. (ibid. 572). 580 Aug., Serm. 8, 13 (CCL 41, 89f.); Epist. 185, 23 (CSEL 57, 21f.); Max. Taur., Serm. 72, 2 (CCL 23, 301f.). 581 Aug., In psalm. 37, 13 (CCL 38, 391). 582 Aug., Epist. 33, 5 (CSEL 34, 2, 22). 577
4. Eigentumsdelikte
117
begegnen dieselben Streitsachen. Justinian ordnet an, daß Straftäter bzw. Angeklagte sich in der Provinz, in der das Vergehen begangen wurde, verantworten sollen. Kläger seien oftmals wegen eines Prozesses mit geringem Streitwert genötigt gewesen, außerhalb ihrer Heimatprovinz zu prozessieren. Als Beispiel nennt er die Entwendung eines Stückes Vieh. Es handelt sich hier, ebenso wie in den Fällen, die nach der Aussage Augustins in Nordafrika vor das Bischofsgericht kamen, kaum um größere räuberische Aktivitäten, sondern eher um Konflikte unter Dorfgenossen. Man mußte sich vielfach eher vor den Begehrlichkeiten des Nachbarn als vor groß angelegten Raubzügen von Banden krimineller Viehdiebe in Acht nehmen. Vielfach ging der Entwendung des Viehs ein Streit darüber voraus, wem das Vieh rechtmäßig zustehe. Hatte jemand, der im Streit um Viehbesitz lag, eigenmächtig das Vieh fortgetrieben, so war er, so die Rechtslage, als Dieb zum doppelten oder dreifachen Schadenersatz zu verurteilen. Wie beim Streit um Landbesitz bestand auch hier das Bestreben staatlicherseits, die Selbsthilfe einzuschränken. Häufig war der Viehdiebstahl von geringem Zuschnitt; Opfer waren kleine Leute. Ein Beispiel: Der Einsiedler Innozenz half einer alten Frau bei der Wiederauffindung eines gestohlenen Schafes und der Dingfestmachung der Diebe; es waren junge Leute, die das Schaf geschlachtet hatten; sie erstatteten den Schaden. Von einem Gerichtsverfahren ist keine Rede. Ein weiterer Fall betriftt eine Witwe, deren Rind abgeschlachtet worden war. Die Tat wurde von einem Ehepaar begangen; das Kind der Täter wurde zur Strafe wahnsinnig. Es handelte sich um einen der Konflikte, wie sie in der ländlichen Gesellschaft gang und gäbe waren. Die Täter waren keine „Kriminellen“ im landläufigen Sinne. Der Mönch, der wegen des wahnsinnig gewordenen Kindes eingeschaltet worden war, forderte von den Eltern lediglich Wiedergutmachung des Schadens; in diesem Rahmen wird sich vielfach die Konfliktregelung bewegt haben. In den referierten wie in anderen Fällen waren die Diebe keine „Profis“. Es waren Gelegenheitstäter, die bei sich bietender Gelegenheit zuschlugen. Wenn Klagen wegen Viehdiebstahls, wie wir oben gesehen haben, vor die Defensoren kommen sollen, wenn Justinian sie zu den Routinefällen rechnet, kann schwerlich die Entwendung ganzer Herden 583
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Cod. Theod. 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.). Die Interpretatio erläutert, daß diese Fälle lediglich vor die defensores kommen sollen. 584 Nov. Iust. 69, 1 (538 n. Chr.). 585 Paul., Sent. 5, 18, 3 (FIRA 2, 405); Coll. Mos. 11, 4 (FIRA 2, 571); 11, 6, 2 (ibid. 571). 586 Pallad., Hist. Laus. 44, 5 (Bartelink 216/8). 587 Historia monachorum in Aegypto 22, 3f. (Festugière 129). 588 So auch Soz., Hist. eccl. 1, 14, 6 (Festugière 180); Cassiod. Var. 8, 32 (CCL 96, 338/40). Viehdiebstahl wird in den hagiographischen Quellen auch sonst erwähnt: Paul. Nol., Carm. 18, 211ff. (CSEL 30, 106ff.); Constantius, Vita Germ. 20 (Borius 160/2); Soz., Hist. eccl. 1, 11, 2f. (Festugière 156/8); Greg. M., Dial. 3, 22, 1ff. (Vogüé - Antin 2, 356/8); Greg. Tur., Glor. mart. 72 (MGH, SRM 1, 536f.); 96 (ibid. 553); 103 (ibid. 558); Virt. Iul. 18 (ibid. 572).
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Viehdiebstahl
gemeint sein. Täter waren nicht organisierte Banden von Viehdieben, sondern Nachbarn und Dorfangehörige. Wollte man einem Gegner einen Schaden zufügen, so hielt man sich an dessen Vieh. Der Diebstahl war nicht durch persönliche Not motiviert, es ging eher darum, dem Gegner einen Schaden zuzufügen, gennauso wie man im Konfliktfall die Ernte des Nachbarn stahl oder zerstörte. Der Viehdiebstahl ist dann weniger aus der wirtschaftlichen Bedrängnis, in der sich ein Teil der Landbevölkerung befand, zu erklären, als aus den sich aus den dörflichen Strukturen notwendigerweise ergebenden sozialen Spannungen. Bestätigt wird dieser Befund durch das ägyptische Quellenmaterial. In den Papyri begegnet der Viehdiebstahl bzw. der Streit um Vieh vergleichsweise häufig; er hatte denselben Charakter eines Bagatelldeliktes, wie er sich aus den literarischen Quellen hat erschließen lassen. Im Einzelfall entwickelten die Viehdiebe jedoch eine beträchtliche kriminelle Energie. Flavios Isidoros, ein Beneficiarier, erstattet Anzeige wegen eines Überfalls, den zwei Hirten namens Ionas und Hatres, wie es scheint, auf seinen Bediensteten durchgeführt hatten; er habe schon mehrfach Klage eingereicht. Die Übeltäter hätten die Kleidung des Angegriffenen zerrissen und weggenommen, hätten ihn dann am ganzen Körper geschlagen und halbtot zurückgelassen. Die Klage richtet sich auch auf Viehdiebstahl. Der Petent sucht darum nach, daß die Beschuldigten einstweilen in Gewahrsam genommen werden. Als Aur. Ouranios aus Theoxenis seine Felder inspizierte, wurde ihm mitgeteilt, daß drei Brüder sich seiner Schafe und seines Heus bemächtigt hätten. Als er sie daraufhin zur Rede stellte, schlugen sie ihn mit Keulen angeblich beinahe zu Tode. Es war dies eine durchaus naheliegende Reaktionsweise von Dieben, die auf frischer Tat ertappt wurden. Die Männer waren nur mit Holzstöcken bewaffnet; die Gewalt war nicht geplant und hatte sich erst aus der verbalen Auseinandersetzung ergeben. Die Täter waren keine professionellen Viehdiebe. Wo die Viehzucht in großem Maßstab betrieben wurde, wurde der Viehdiebstahl aber auch durchaus von Banden organisiert. In den süditalischen Provinzen, in denen die Viehzucht prosperierte, häuften sich auch die Viehdiebstähle. Sie sind nicht Zeichen einer wirtschaftlichen oder sozialen Krise; vielmehr waren sie ganz im Gegenteil eher eine Folge des wirtschaftlichen Erfolges der Region. Mehrere 589
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Cod. Iust. 3, 35, 5 (293 n. Chr.); vgl. auch P. Oxy. VI 902 (= Mitteis, Chr. 72) (ca. 465 n. Chr.). Streitigkeiten um Vieh waren unter Bauern (auch Kolonen) keine Seltenheit: vgl. hierzu auch Ruric., Epist. 2, 52 (MGH, AA 8, 345f.). 590 P. Cair. Isidor. 62 (= SB VI 9185) (296 n. Chr.); P. Abinn. 18 (= P. Lond. II 408, p. 283f.) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Sakaon 39 (= P. Thead. 21) (318 n. Chr.); P. Sakaon 48 (= SB VI 9622) (343 n. Chr.); P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.); P. Abinn. 49 (= P. Lond. II 403, p. 276) (346 n. Chr.); P. Abinn. 53 (= P. Lond. II 407, p. 273) (346 n. Chr.); P. Amh. II 146 (5. Jh. n. Chr.); P. Antin. III 189 (6./7. Jh. n. Chr.), Z. 13f. 591 P. Lips. 37 (389 n. Chr.). 592 P. Abinn. 57 (= P. Gen. I 49) (Mitte 4. Jh. n. Chr.). Mit professionellen Viehdieben ist dagegen möglicherweise in P. Gron. Amst. 1 (455 n. Chr.) zu rechnen.
4. Eigentumsdelikte
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Gesetze aus dem 4./5. Jh. untersagten in den südlichen Regionen Italiens jedermann den Besitz von Pferden: Insbesondere den Hirten sollte dadurch die Bewegungsfreiheit genommen werden, die sie zu ihren Räubereien, insbesondere Viehdiebstählen, überhaupt erst instand setzte. Valentinian untersagte 364 sämtlichen Bewohnern der süditalischen Provinzen (Picenum, Apulien, Kalabrien, Bruttium, Lukanien, Samnium) mit Ausnahme lediglich der Senatoren, der honorati, der Amtsträger, der Veteranen und der Decurionen den Besitz von Pferden. Diejenigen, die diesem Gesetz zuwider handelten, sollten als Viehdiebe bestraft werden. Noch im selben Jahr wurde das Verbot, Pferde zu halten, ausdrücklich auf die Hirten der kaiserlichen Güter sowie auf die procuratores und actores der Senatoren ausgedehnt. Den Maßnahmen scheint ein gewisser Erfolg nicht versagt geblieben zu sein, denn bereits ein Jahr darauf wurden sie wieder gelockert; den suarii wurde der Besitz von Pferden nun gestattet. Im selben Jahr erhielten auch die palatini in Picenum das Recht, Pferde zu benutzen. 399 wurden die Verordnungen Valentinians erneuert: Hirten wurde erneut der Gebrauch von Pferden untersagt. Ihren Herren bzw. den Verwaltern, die der Mitwisserschaft überführt wurden, drohte die Verbannung. Als Geltungsbereich wird aber nur noch die Provinz Valeria und Picenum genannt. Man mag vermuten, daß sich das Problem in den anderen Regionen, die im Gesetz von 364 aufgeführt worden waren, in den 90er Jahren nicht mehr in demselben Maße stellte. Dies würde dafür sprechen, daß das Pferdeverbot, welches zunächst etwas eigenartig anmutet, durchaus seinen Zweck erfüllt hat. Der Besitz von Pferden stellte allemal eine Gefahr für die innere Sicherheit dar; die Landbevölkerung neigte schon in der frühen Kaiserzeit dazu, in jedem Berittenen einen Räuber zu sehen. Trotz gewisser Erfolge der Gesetzgebung war aber nicht daran zu denken, den 593
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Cod. Theod. 9, 30, 1 (364 n. Chr.); 2 (364 n. Chr.); 3 (365 n. Chr.); 4 (365 n. Chr.); 5 (399 n. Chr.). Vgl. hierzu de F.M. de Robertis, Interdizione dell'usus equorum e lotta al banditismo in alcune costituzioni del Basso Impero, SDHI 40, 1974, 67-98; A. Russi, Pastorizia et brigantaggio nell'Italia centro-meridionale in età tardo-imperiale (a proposito di C.Th. IX 30, 1-5), MGR 13, 1988, 251-259. 594 Cod. Theod. 9, 30, 1 (364 n. Chr.). 595 Cod. Theod. 9, 30, 2 (364 n. Chr.). 596 Cod. Theod, 9. 30, 3 (365 n. Chr.). 597 Cod. Theod. 9, 30, 4 (365 n. Chr.). 598 Cod. Theod. 9, 30, 5 (399 n. Chr.). 599 Vgl. hierzu auch Nov. Iust. 25, 1 (535 n. Chr.): Zusammenlegung ziviler und militärischer Gewalt in Lykaonien. Begründung u.a.: Die Provinz sei für ihre Pferdezucht bekannt. Die Bewohner seien versucht, sich der Pferde zu bedienen und sich zu bewaffnen, um Gewalttaten zu begehen. Feissel – Kaygusuz 1985: Inschrift aus der Regierungszeit Justinians oder Justins II.: Großgrundbesitzer aus Hadrianoupulis in der kleinasiatischen Provinz Honorias hatten mit bewaffneten Truppen Berittener das Land unsicher gemacht. Künftig sollen die Grundbesitzer in ihrem persönlichen Gefolge nicht mehr als 5 Sklaven unterhalten, und diese unbewaffnet und unberitten. 600 Fronto, Epist. 2, 13 (Naber 35 = van den Hout 33f.).
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Menschenraub
Viehdiebstahl auszurotten. Im Ostgotenreich gehörte er weiterhin zu den im ländlichen Bereich häufiger begangenen Straftaten. 601
Menschenraub Der Menschenraub kann nur unter großem Vorbehalt als „Eigentumsdelikt“ qualifiziert werden. In einer Gesellschaft, in der die Sklaverei eine so große Rolle spielte, waren Menschen aber eine Ware wie jede andere auch. Wenn Sklaven geraubt wurden, dann galt dies den Römern wie selbstverständlich als eine Form des Diebstahls. Die kaiserzeitlichen Richter hatten einen großen Teil ihrer Zeit auf personenrechtliche Prozesse zu verwenden. Es war häufig nicht leicht, zu entscheiden, ob eine Person Freier oder Sklave war. Hieran änderte sich in der Spätantike wenig. Die Quellen gehen häufig auf personenrechtliche Prozesse sowie Versuche, Freie in die Sklaverei zu versetzen, ein. Wenn jemand aus Angst oder unter Druck vor dem Provinzstatthalter erklärt hatte, Sklave zu sein, so schadete dies nicht seinem personenrechtlichen Status; er konnte späterhin die Freiheit einklagen. Nach Augustin flohen Sklaven in die Kirche, und die Kirche gewährte ihnen Schutz; aber es gebe auch Menschen, die als Freigeborene in die Sklaverei herabgedrückt werden sollten und die in der Kirche Beistand suchten. Die gallische Kirche suchte seit dem 5. Jh. zu verhindern, daß in der Kirche freigelassene oder per Testament der Kirche kommendierte Personen wieder in die Sklaverei oder das Kolonat gezwungen wurden. In all diesen Fällen ging es nicht eigentlich um Menschenraub. Freilassungen von Sklaven waren häufig, ebenso wie Freie auf 602
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Cassiod., Var. 4, 49 (CCL 96, 175). R. Reggi, Liber homo bona fide serviens, Pubblicazioni della Facoltà di Giurisprudenza dell’Università di Parma 9, Milano 1958; Ramin – Veyne 1981. 603 Cod. Iust. 7, 19, 7 (317/9 n. Chr.); Ambr., Off. 1, 28, 138; Petr. Chrys., Serm. 171, 3 (CCL 24B, 1047); Hier., Epist. 125, 20; Cassiod., Var. 8, 28 (CCL 96, 334f.); Krause 1987a, 278ff. Vereinzelt wurden Kolonen gesetzwidrig zu Sklaven gemacht: Aug., Epist. 24*, 1, 2 und 6 (CSEL 88, 126f.); C. Lepelley, Liberté, colonat et esclavage d’après la Lettre 24*: la juridiction épiscopale „de liberali causa“, in: Les lettres de Saint Augustin découvertes par Johannes Divjak. Communications présentées au colloque des 20 et 21 Septembre 1982, Paris 1983, 329-342, 333ff.; Toscano 1996, 547ff. 604 Paul., Sent. 5, 1, 4 (FIRA 2, 386). 605 Aug., In evang. Ioh. 41, 4 (CCL 36, 359). 606 Conc. Arausicansum (441 n. Chr.), C. 6 (7) (CCL 148, 79); Conc. Arelatense Sec. (442/506 n. Chr.), C. 33 (32) (ibid. 121). Vgl. auch noch Conc. Nemausense (394/6 n. Chr.), C. 7 (CCL 148, 51); Conc. Agathense (506 n. Chr.), C. 29 (ibid. 206); Conc. Aurelianense (549 n. Chr.), C. 7 (CCL 148A, 150f.). Es kam häufig vor, daß Personen, die in die Freiheit entlassen worden waren, von ihren Patronen oder deren Erben wieder in die Sklaverei zurückgefordert wurden: Aug., Serm. 367, 1 (PL 39, 1651); Greg. Tur., Virt. Mart. 2, 59 (MGH, SRM 1, 629). 602
4. Eigentumsdelikte
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mehr oder weniger legalem Weg (Selbstverkauf, Verkauf der Kinder in die Sklaverei, Schuldknechtschaft usw.) in die Sklaverei geraten konnten. Es gab viele Situationen, in denen darüber diskutiert werden konnte, ob eine Person Freier oder Sklave war. Die Häufigkeit personenrechtlicher Prozesse, die Tatsache, daß freie Personen als Sklaven dienen mußten, ergab sich nahezu folgerichtig aus den Strukturen der römischen Sklaverei. Bemerkenswert ist, daß die meisten dieser Dispute vor Gericht ausgetragen wurden. Auch jemand, der in die Sklaverei gefordert wurde, hatte Möglichkeiten, seine Rechtsposition angemessen zu vertreten. Es galt nicht einfach das Recht des Stärkeren. Menschenraub ist mehrfach in den spätantiken Quellen bezeugt. Nach den Sentenzen des Paulus drohte hierfür nach der lex Fabia ehemals eine Geldstrafe, jetzt aber den humiliores die Zwangsarbeit (metallum) bzw. die Kreuzigung, den honestiores die lebenslängliche Verbannung (unter Konfiskation der Hälfte des Vermögens). Zuständig für die Aburteilung des Vergehens (in der cognitio extra ordinem) waren der Stadtpräfekt in Rom, die Statthalter in den Provinzen. Freie aus der Stadt Rom wurden von Menschenräubern (plagiarii) als Sklaven verkauft. Diokletian reagiert hierauf mit einer Verschärfung der auf plagium stehenden Strafen. Der Stadtpräfekt wird angewiesen, das Verbrechen mit der Todesstrafe zu ahnden. Die Verschärfung der Strafen wird mit deren gewünschter abschreckender Wirkung begründet. Die Vorsteher der römischen Großbäckereien, in denen das Staatsgetreide zu Brot verarbeitet wurde, die sog. mancipes, hatten mit fortschreitender Zeit ihre Werkstätten zu regelrechen Räuberhöhlen gemacht. Neben den Werkstätten hatten sie Tabernen eingerichtet, in denen auch Prostituierte arbeiteten. Nichts ahnende Besucher, die entweder nur Brot kaufen oder aber die Dienste der Prostituierten in Anspruch nehmen wollten, wurden gewaltsam festgehalten und gezwungen, in den Kellern der Bäckereien die Mühlen zu betreiben. Dies erlitten v.a. Fremde, die sich in Rom aufhielten. Ein Soldat, der unter Theodosius I. in diese Falle geraten war, konnte sich mit Hilfe seines Dolches befreien, indem er einige derer, die ihn zurückhalten wollten, tötete. Kinder 607
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Vgl. aber auch P. Grenf. II 78 (307 n. Chr.): Eine gewisse Tabes, ihr Ehemann und zwei Söhne hatten mit Gewalt Ehefrau und Kinder des Syros entführt und in ihrem Haus eingeschlossen; angeblich war die Frau ihre Sklavin. Syros hält dagegen, daß seine Frau frei sei; sie habe Brüder, die Freie seien. Der Petent fordert, daß die Entführten aus „der gesetzwidrigen phylake“ befreit werden. 608 Joh. Chrys., Adv. oppugn. 1, 2 (PG 47, 334); In epist. ad Col. hom. 2, 5 (PG 62, 315). 609 Paul., Sent. 5, 30B (FIRA 2, 414) (= Coll. Mos. 14, 2, 1ff. (FIRA 2, 577)). 610 Cod. Iust. 9, 20, 7 (287 n. Chr.). Vgl. auch noch Cod. Iust. 4, 19, 15 (293 n. Chr.); 9, 20, 11 (293 n. Chr.); 7, 14, 12 (294 n. Chr.); 9, 20, 13 (294 n. Chr.); 9, 20, 15 (294 n. Chr.). 611 Socr., Hist. eccl. 5, 18 (Hansen, GCS, N.F. 1, 291/3); vgl. hierzu G.Chr. Hansen, Illegale Zwangsarbeit im spätantiken Rom, in: Ideologie und Geschichte im alten Rom. Dem Wirken Werner Hartkes gewidmet. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, Jahrgang 1987, 14 / G, Berlin 1987, 17-22.
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Menschenraub
wurden entführt und in die Fremde in die Sklaverei verkauft. Plagiarii, die freie Kinder verkauften, waren zur Zwangsarbeit in Bergwerken verurteilt worden. Konstantin verschärfte die Strafen: Sklaven oder Freigelassene sollen den wilden Tieren vorgeworfen werden, Freie aber während eines Gladiatorenspieles mit dem Schwert getötet werden. Häufig wurden schließlich Sklaven geraubt bzw. gestohlen. Die Täter waren mitunter ihrerseits Sklaven. Täter waren also nicht notwendigerweise professionelle Menschenräuber. Nach Johannes Chrysostomos raubten Nachbarn auch Sklaven; gedacht ist wohl an Landsklaven. Auch Soldaten machten sich des Menschenraubes schuldig. Räuber nahmen ihre Opfer gefangen und verkauften sie entweder in die Sklaverei oder boten sie zum Freikauf an. Eine Frau war in Gallien von Räubern, den sogenannten Vargi, geraubt und in die Sklaverei verkauft worden. Die Angehörigen machten sich auf die Suche nach der Frau; sie starb, bevor ihre Verwandten sie befreien konnten. Ein Notar, der seinen Bischof bestohlen hatte, floh nach Ägypten, wurde dort von Räubern gefangengenommen und in den äußersten Teil Ägyptens geführt. Trotz des begangenen Diebstahls kaufte der Bischof ihn frei (für 85 Solidi). 612
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Cod. Iust. 3, 15, 2 (294 n. Chr.); Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 1, 7 (PG 48, 855); Ad pop. Antioch. 16, 4 (PG 49, 168); In illud, Saulus adhuc spirans. De mutatione nominum 1, 1 (PG 51, 115); Jaeger 1974, 31; Aug., Serm. 15 A, 4 (CCL 41, 206); Fulg, Rusp., Praedest. 1, 27 (CCL 91 A, 475f.); vgl. Wolff 2004. 613 Cod. Theod. 9, 18, 1 (= Cod. Iust. 9, 20, 16) (315 n. Chr.). Vgl. hierzu Liebs 1985, 92f.: Das Gesetz richte sich nicht nur gegen den Raub von Kindern (den Hinweis hierauf hält Liebs für Rhetorik), sondern gegen plagium schlechthin. 614 Cod. Iust. 9, 20, 8 (290 n. Chr.): 6, 2, 9 (293 n. Chr.); 6, 2, 10 (293 n. Chr.); 6, 2, 12 (293 n. Chr.); 7, 27, 2 (293 n. Chr.); 9, 20, 9 (293 n. Chr.); 9, 20, 10 (293 n. Chr.); 3, 32, 23 (294 n. Chr.); 6, 2, 16 (294 n. Chr.); 7, 26, 7 (294 n. Chr.). Zahlreiche Hinweise auf den Raub bzw. Diebstahl von Sklaven bereits in den Digesten: vgl. u.a. Dig. 12, 1, 31, 1 (Paulus); 13, 1, 3 (Paulus); 13, 1, 7, 2 (Ulpian); 13, 1, 13 (Paulus); 13, 1, 14, pr. (Iulianus). 615 Cod. Iust. 3, 41, 3 (293 n. Chr.). Vgl. auch 3, 41, 5 (294 n. Chr.): plagium, diesmal mit Wissen und auf Anstiftung des Herrn. 616 Joh. Chrys., De Davide et Saule 3, 3 (PG 54, 698). Vgl. auch Greg. M., Epist. 9, 193 (CCL 140A, 747f.): Eine Frau führte Klage darüber, daß einige ihrer Sklaven von den actores der Kirche festgehalten werden. Gregor der Große ordnet, wenn dies den Tatsachen entspreche, Rückerstattung der Personen an; wenn die strittigen Sklaven unterdessen mit Sklaven der Kirche in Ehe verbunden sind, sollen der Klägerin Ersatzsklaven gestellt werden. 617 Cassiod., Var. 1, 11 (CCL 96, 22). Soldaten konnte glaubhaft unterstellt werden, einen Jugendlichen (einen Freien) geraubt zu haben: Vita Theod. Syc. 19 (Festugière 1, 16f.). 618 Vgl. auch Joh. Mosch., Prat. spir. 165 (PG 87, 3, 3032). 619 Sidon., Epist. 6, 4. 620 Joh. Mosch., Prat. spir. 34 (PG 87, 3, 2884).
4. Eigentumsdelikte
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Augustin beklagt den grassierenden Menschenraub in Nordafrika, dessen man nicht Herr werden könne. Mangones (Sklavenhändler) verkauften in Afrika geraubte Freie in die überseeischen Provinzen. Unter denen, die in die Hände der mangones geraten waren, befanden sich nach Augustin nur wenige, die von den Eltern verkauft worden waren; dabei dürften nach den römischen Gesetzen auch diese nur zur Dienstleistung auf 25 Jahre verkauft werden, nicht als Sklaven. Sklaven würden den mangones dagegen nur in geringer Zahl verkauft. Menschenräuber überfielen gering bevölkerte Orte, raubten die Menschen und gäben sie an die Händler weiter. In einer kleinen villa waren die Männer getötet und die Frauen und Kinder entführt worden. Ein kleines Mädchen war in Gegenwart ihrer Eltern und Brüder geraubt worden; diese hatten sich vor den Räubern versteckt, ohne Widerstand zu leisten. Einer der Brüder war nach Hippo gekommen, um seine Schwester zu befreien. Auch eine Frau aus Hippo hatte sich an dem Menschenraub beteiligt: Sie hatte unter dem Vorwand, Holz kaufen zu wollen, Frauen bei sich eingeschlossen und dann verkauft. Augustin erwähnt ein Gesetz, welches Honorius zur Bekämpfung des illegalen Menschenhandels erlassen hatte; gerichtet war es an den Prätorianerpräfekten Hadrianus. Rougé datiert es in dessen zweite Amtsperiode als Prätorianerpräfekt (413/4), als die Folgen des Aufstandes des Heraclianus zu regeln waren. Wenn dies das Richtige trifft, dann wären die Menschenräubereien möglicherweise lediglich die Begleiterscheinung einer akuten Krisensituation. Nordafrika war ein wichtiger Sklavenlieferant; solange Ruhe herrschte, kamen die Sklaven von jenseits der Grenzen. Vermutlich hatten die Banden, die sich auf dieses Geschäft spezialisiert hatten, die Usurpation des Heraclianus und die hieraus resultierende Schwäche der Behörden dazu genutzt, sich die Sklaven auch aus römischem Gebiet zu beschaffen. Auch sonst trug die innere Instabilität entscheidend dazu bei, daß Freie in die Sklaverei versetzt wurden. Als im Zuge der Barbareneinfälle sich größere Ströme von Flüchtlingen in Bewegung setzten, wurde so mancher illegalerweise als Sklave festgehalten. 408 erließ Honorius ein Gesetz, um die illyrischen Flüchtlinge hiervor zu schützen. Maximus von Turin übt an seinen Mitbürgern Kritik, die 621
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Epist. 10*, 2ff. (CSEL 88, 46ff.); vgl. hierzu den Kommentar in der Ausgabe der BA (S. 466ff.), ferner: Rougé 1983, 183ff.; J. Szidat, Zum Sklavenhandel in der Spätantike (Aug. epist. 10*), Historia 34, 1985, 360-371; Toscano 1996, 551ff.; Schipp 2008, 158ff. 622 Aug., Epist. 10*, 2 (CSEL 88, 46f.). 623 Aug., Epist. 10*, 3 (CSEL 88, 47f.). 624 Aug., Epist. 10*, 6, 2 (CSEL 88, 49). 625 Rougé 1983, 183f. 626 Expositio totius mundi 60 (Rougé 200); Aug., In psalm. 127, 11 (CCL 40, 1875); In epist. Ioh. 7, 8 (Agaesse 328). 627 Cod. Theod. 10, 10, 25 (408 n. Chr.).
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Raub
während der Germaneninvasionen mit dem Gedanken spielten, aus ihrer Heimatstadt zu fliehen. In der Fremde hätten sie allen Grund, um ihre Freiheit zu fürchten. Der Diebstahl von Sklaven und deren Weiterverkauf, die Entführung kleiner Kinder scheinen relativ weit verbreitete Delikte gewesen zu sein. Rechtsstreitigkeiten um den personenrechtlichen Status einer Person waren genauso häufig wie in der frühen Kaiserzeit; mächtige und einflußreiche Persönlichkeiten waren versucht, auch gegen das Recht Freigeborene in die Sklaverei herabzudrücken. Straßenräuber begnügten sich hin und wieder nicht mit der persönlichen Habe ihrer Opfer, sondern nahmen diese selbst gefangen, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Insbesondere Frauen und Kinder, die sich kaum wehren konnte, scheinen lohnende Objekte gewesen zu sein. Die Belege für gezielten Menschenraub sind aber nicht zahlreich; sie reduzieren sich im wesentlichen auf den oben paraphrasierten Brief Augustins. Der Menschenraub scheint lediglich dort zum Problem geworden zu sein, wo durch Barbareneinfälle oder Usurpationen die innere Stabilität gefährdet war. Daß Menschen entführt und als Sklaven verkauft wurden, kann nicht abgestritten werden, höchst fraglich ist jedoch, ob der Menschenraub bzw. das plagium gegenüber der frühen Kaiserzeit generell dramatisch zugenommen haben (trotz der gesetzgeberischen Maßnahmen der Kaiser Diokletian und Konstantin gegen das plagium und trotz der von Augustin für die nordafrikanischen Provinzen beklagten Mißstände). 628
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Raub Der Straßenraub ist ein wesentlicher Aspekt ländlicher Gewalt; wenn ländliche Regionen in vorindustriellen Gesellschaften in hohem Grade als unsicher gelten, so nicht zuletzt aufgrund der Aktivitäten von Räuberbanden. Auch für das Römische Reich wird immer wieder auf das (angeblich) überhand nehmende Räuberunwesen hingewiesen, wenn die Auffassung vertreten wird, die Unsicherheit auf den Straßen habe zugenommen. Dem Thema kommt also ein besonderes Gewicht zu, wenn es darum geht, die Bedeutung der Gewalt in der spätantiken Gesellschaft richtig einzuschätzen. Die Verbreitung von Räuberbanden liefert im weiteren einen Hinweis auf die Effizienz, auf die Stärke des Staatsapparates. Die Räuber treten in Konkurrenz zu staatlichen Institutionen, sie durchbrechen das staatliche ___________________________ 628
Max. Taur., Serm. 82, 2 (CCL 23, 337). Es ist zu beachten, daß schon während der frühen Kaiserzeit Freie gegen ihren Willen als Sklaven festgehalten wurden: vgl. u.a. Dig. 4, 6, 11 (Callistratus); 10, 4, 13 (Gaius); 22, 3, 20 (Iulianus); 40, 12, 16, 1 (Ulpianus); 41, 2, 23, 2 (Iavolenus); 48, 15, 6, 2 (Callistratus); Paul., Sent. 5, 6, 14 (FIRA 2, 395f.); 5, 30 B (FIRA 2, 414); Suet., Aug. 32, 1; Tib. 8; Ramin - Veyne 1981, 486f.
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4. Eigentumsdelikte
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Gewaltmonopol, sie existieren vor allem in staatsfernen Räumen (ländliche Regionen, Gebirgszonen), im äußersten Fall können staatliche Strukturen ganz verschwinden. Es sind also die beiden folgenden (letztlich komplementären) Fragen zu beantworten: 1) Sind die Räuberbanden Indiz für eine um sich greifende Gewalt und eine Zunahme der Kriminalität? 2) Können sie als Beleg für die Auffassung gelten, der römische Staat habe auch im Inneren nicht mehr für Ruhe und Ordnung sorgen können? Es kann darüber diskutiert werden, ob der Raub als Gewalt- oder als Eigentumsdelikt zu klassifizieren ist. Eine starke Gewaltkomponente war für ihn auf jeden Fall kennzeichnend. Der Unterschied zwischen Diebstahl und Raub wurde im wesentlichen darin gesehen, daß ersterer heimlich, letzterer mit offener Gewaltanwendung erfolgte. Auch Diebe, die auf frischer Tat ertappt wurden, mochten hin und wieder zur Waffe greifen. Bei den Straßenräubern gehörte dies jedoch zum Gewerbe. Die Räuber sind in den spätantiken Quellen allgegenwärtig. In einem Schulbuch findet sich die Schilderung, wie ein Bandit zum Verhör vor Gericht geführt wird. Die Räuber werden immer wieder unter den Gefahren genannt, die das Leben bedrohen. Räuber sind ein beliebtes Thema in den Sterndeutungen des Firmicus Maternus: Er prophezeit wiederholt die Ermordung durch Räuber. Oder aber: Man wird ein Strauchdieb, Räuber, Meuchelmörder werden, aber gefaßt und streng bestraft (d.h. hingerichtet) werden. Es wäre naiv, aus diesen Prophezeiungen auf die Effizienz des Polizei- bzw. Justizapparates schließen zu wollen. Immerhin fällt auf, daß Firmicus Maternus die Prophezeiung einer kriminellen Karriere meist mit der Ankündigung, man werde gefaßt und verurteilt werden, verbindet. Trotz eines nur schwach entwickelten Polizeiapparates scheint die Verfolgung und Ahndung schwerer Straftaten funktioniert zu haben. Daß 630
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Firm., Math. 4, 14, 7; Bas., Epist. 188, 8 (Courtonne 2, 127); Aug., In psalm. 129, 1 (CCL 140, 1889f.); Discipl. 12, 13 (CCL 46, 220/2); In evang. Ioh. 7, 12 (CCL 36, 73f.); Vita Daniel. Styl. 87 (Delehaye 81f.); Cod. Iust. 9, 2, 11 (292 n. Chr.). 631 Aug., Serm. 8, 13 (CCL 41, 89f.); 17, 4 (ibid. 239f.); 62, 10, 15 (PL 38, 421f.); Nov. Iust. 134, 13, 1 (556 n. Chr.); Manfredini 1996, 506ff. 632 Dionisotti 1982, 104f. (§§ 71ff.). 633 Pan. Lat. 12 (2), 26; Lact., Inst. 5, 9, 15 (CSEL 19, 426f.); Bas., Hom. de gratiarum actione 2 (PG 31, 220); Greg. Nyss., In ecclesiasten, hom. 4 (PG 44, 673); Usur. (PG 46, 452); Teja 1974, 139f.; Optat. 2, 21 (CSEL 26, 58); 3, 10 (ibid. 95); Hil., In psalm. 52, 14 (CSEL 22, 127f.); Ambr., Apol. Dav. 9, 46 (CSEL 32, 2, 328f.); In psalm. 118 serm. 7, 6, 2 (CSEL 62, 130); Zeno 1, 5, 1, 3 (CCL 22, 38); 1, 5, 5, 15 (ibid. 41); Max. Taur., Serm. 61, 3 (CCL 23, 245f.); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 1, 9 (PG 49, 29); Aug., Serm. 90, 6 (PL 38, 562); 113, 4, 4 (ibid. 650); In psalm. 56, 14 (CCL 39, 703/5); 79, 14 (ibid. 1118f.); 102, serm. 1, 9 (CCL 40, 1481/3); 122, 7 (ibid. 1820); 131, 25 (ibid. 1924); 146, 20 (ibid. 2137); Vita Mel. 62 (Gorce 250). 634 Firm., Math. 3, 4, 20; 3, 4, 23; 4, 19, 14; 6, 29, 10; 6, 29, 11; 6, 31, 60; 8, 29, 13. 635 Firm., Math. 3, 11, 10; 4, 11, 5; 4, 14, 7; 4, 24, 8; 6, 31, 6; 6, 31, 58; 6, 31, 66; 6, 31, 72; 6, 31, 83; 7, 25, 24; 8, 21, 3.
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Raub
Straßenräuber in der spätantiken Literatur eine große Rolle spielen, kann nicht bestritten werden. Dies muß nicht bedeuten, daß an jeder Landstraße Räuber lauerten und deren Zahl zugenommen hätte. Die Ängste vor einer Straftat müssen nicht deren quantitativer Bedeutung entsprechen. Aus den wenigen bezeugten Einzelfällen gewinnt man nicht den Eindruck, daß das Räuberunwesen sich gegenüber der frühen und hohen Kaiserzeit quantitativ und qualitativ gewandelt hat. In den juristischen Quellen zumindest des 4. und 5. Jh. spielt es keine prominente Rolle. Nur vergleichsweise wenige Gesetze haben das latrocinium zum Gegenstand (bzw. gehen hierauf auch nur am Rande ein). Die Möglichkeit der cessio bonorum wird etwa dem Schuldner dann eingeräumt, wenn er nachweisen kann, daß er sein Vermögen durch höhere Gewalt verloren hat (durch Räuber, durch Schiffbruch oder durch einen Brand). Es ist also nicht nur Topik, wenn die Kirchenväter die Reichen davor warnen, sie könnten ihr Vermögen jederzeit durch Raub oder Diebstahl verlieren. Wie groß das Risiko aber war, läßt sich weder aus den zumeist sehr rhetorischen Äußerungen der Kirchenväter noch aus dem zitierten Gesetz erschließen. Als eine der Aufgaben der defensores civitatum wird 392 die Bekämpfung des Räuberunwesens genannt; die Straftaten sollen zu den städtischen Akten genommen und gerichtlich verfolgt werden. Offenbar waren vorher viele Straftaten ungesühnt geblieben, weil Magistrate (?) die Angeklagten begünstigt hatten. Eine der wichtigsten Aufgaben des Provinzstatthalters bestand darin, in seiner Provinz für Ruhe und Ordnung zu sorgen und sich insbesondere darum zu kümmern, daß Räuber aufgegriffen werden. Anders als bei den meisten 636
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Greg. Naz., Epitaph. 110 (PG 38, 67); Lib., Epist. 426; 1169; 319 (X 415; XI 256f.; X 298f.). 637 Cod. Theod. 4, 20, 1 (379 n. Chr.). Vgl. auch Inst. Iust. 3, 14 (15), 2: Verlust einer anvertrauten Sache durch Brand, Einsturz, Schiffbruch oder Einfall von Räubern bzw. auswärtigen Feinden. In ähnlichen Zusammenhängen werden die Räuber schon in den Digesten erwähnt: Dig. 13, 6, 18, pr. (Gaius); 27, 1, 13, 7 (Modestinus); 35, 2, 30, pr. (Marcianus). Vgl. weiterhin Cod. Iust. 5, 31, 8 (291 n. Chr.): Eine Frau hatte einen Procurator bestellt, der für ihren minderjährigen Sohn die Einsetzung eines Vormundes beantragen sollte. Der Procurator war unterwegs von Räubern getötet worden. Diokletian entscheidet, daß die Frau aus der hierdurch entstandenen Verzögerung keine Nachteile erleiden solle (wenn sie die Einsetzung eines Vormundes versäumte, konnte die Mutter den Intestaterbanspruch am Vermögen ihres Sohnes verlieren). Cod. Iust. 6, 46, 6 (7), pr. (532 n. Chr.): Wenn dem Sklaven testamentarisch die Freiheit versprochen wurde, unter der Bedingung, daß er dem Erben eine bestimmte Summe Geldes, andere Güter oder auch einen Ersatzsklaven stellt und der Sklave sich hiermit auf den Weg macht, um es dem Erben zu überbringen, unterwegs aber von Räubern oder Feinden überfallen und ausgeplündert wird, hat er dann trotzdem Anspruch auf die ihm versprochene Freilassung? Daß diese Frage von Justinian in einem Gesetz diskutiert wird, zeigt, daß die Räubergefahr tatsächlich bestand. Die oben zitierten und zahlreiche weitere von Räubern handelnde Exzerpte in den Digesten machen aber deutlich, daß die Räuberbanden ein Problem waren, mit dem der römische Staat in gleicher Weise wie in der Spätantike in früher und hoher Kaiserzeit konfrontiert war. 638 Cod. Theod. 1, 29, 8 (= Cod. Iust. 1, 55, 6) (392 n. Chr.); vgl. hierzu Bellomo 2009.
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anderen Straftaten kam es beim Raub den Behörden zu, von sich aus und nicht erst auf Anzeigen der Opfer hin aktiv zu werden. In einer Reihe von Novellen erwähnt schließlich Justinian die grassierende Räuberei in verschiedenen kleinasiatischen Provinzen. Die Ausmaße des Problems lassen sich nicht sicher abschätzen. Die Räuberei kann hier aber nicht auf eine Pauperisierung der Bevölkerung zurückgeführt werden. Denn das 6. Jh. war für Stadt und Land in Kleinasien eine Zeit wirtschaftlicher Blüte. Aus welchen Bevölkerungsgruppen rekrutierten sich die Räuber? Die meisten stammten sicher aus den ländlichen Unterschichten im weitesten Sinne. Aus diesem Milieu konnten, wie es scheint, jederzeit schlagkräftige Truppen zusammengestellt werden. Der Usurpator Nepotianus, Sohn einer Schwester Konstantins, sammelte (unter Constantius II.) nach dem Bericht des Zosimos zahlreiche Personen um sich, die von Räubereien gelebt und sich einem gesetzlosen Leben hingegeben hätten. Ob seine Anhänger tatsächlich ausschließlich Räuber und Kriminelle waren, mag bezweifelt werden; Usurpatoren wurden gerne als Räuber bzw. Anführer von Räubern denunziert. Als der General Timasius unter Arcadius auf Betreiben des Eutropius verbannt wurde, ging das Gerücht, der Sohn des Timasius, Syagrius, dem es gelungen war, sich dem Zugriff der Staatsorgane zu entziehen, habe Räuber um sich geschart, mit Hilfe derer er seinen Vater befreit habe. Zosimos vermag nicht anzugeben, ob das Gerücht der Wahrheit entsprach; jedenfalls seien weder Timasius noch Syagrius jemals wieder aufgetaucht. Unabhängig davon, ob Timasius wirklich von seinem Sohn befreit wurde, setzt die Geschichte voraus, daß es auf dem Lande Räuber und zwielichtiges Gesindel gab, das zu einem solchen Zwecke angeheuert werden konnte. Die beiden referierten Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf die sozialen Strukturen auf dem Land, machen sie doch deutlich, daß bis zu einem gewissen Grade tatsächlich mit der Existenz eines kriminellen Milieus zu rechnen ist. Aber man darf sich, wie weiter unten noch zu zeigen sein wird, keine falschen, übertriebenen Vorstellungen von der zahlenmäßigen Bedeutung dieser Randgruppen machen. Es können einige Bevölkerungsgruppen benannt werden, die überproportional viele Räuber stellten. Die Hirten waren zumeist rohe Gesellen und galten als besonders gewalttätig. Sie führten ein unstetes Leben und waren in den Bergen 639
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Cod. Iust. 1, 40, 17 (Justinian). Nov. Iust. 24, 1 (535 n. Chr.); 25, 5 (535 n. Chr.); 28, 6 (535 n. Chr.); 29, 5 (535 n. Chr.); Ed. Iust. 8, 3, 1ff. (548 n. Chr.); Nov. Iust. 145 (553 n. Chr.). 641 Foss 1994. 642 Zos. 2, 43, 2f. 643 Zos. 5, 9, 7. 644 Athanas., Hist. Arian. 10 (Athanasius, Werke 2, 188); Apophthegmata patrum, Apollo 2 (PG 65, 133/6); P. Lips. 37 (389 n. Chr.); Vita Symeon. Styl. 14 (van den Ven 1, 12f.). Hirten und Räuberei: Van Dam 1985, 17f.; Shaw 1984, 30f.; 1991, 354f.; A. Giardina, Uomini e spazi aperti, in: A. Schiavone (Hrsg.), Storia di Roma 4: Caratteri e morfologie, Torino 1989, 71-99, 80 und 83f.; Hopwood 1989, 176f.; Neri 1998, 143ff.
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staatlicher Kontrolle weitgehend entzogen; sie waren ferner von Berufs wegen auch in der Nacht aktiv, was sie mit den Räubern gemein hatten. Zur Abwehr wilder Tiere waren sie häufig bewaffnet, und ihnen standen Wachhunde zur Verfügung, die eine gefährliche Waffe waren. Ein Reskript Diokletians handelt von Hirten, die zwar zunächst von dem Vorwurf des Mordes freigesprochen worden waren, denen aber hernach eine Anklage wegen Räuberei drohte. 364 wird das Verbot, Pferde zu halten, ausdrücklich auf Hirten ausgedehnt. Motiv war das Bestreben, die Mobilität potentieller Räuber einzuschränken; es ging hier im wesentlichen um den Viehdiebstahl. 409 wurde es den Curialen, Grundbesitzern sowie sonstigen Stadtbewohnern untersagt, ihre Kinder Hirten zur Erziehung zu übergeben. Widrigenfalls drohte eine Anklage wegen Komplizenschaft mit Räubern. Anderen Landbewohnern seine Kinder anzuvertrauen, blieb demgegenüber gestattet. Es wäre aber überzogen, in den Hirten, mögen sie auch zur Gewalt geneigt haben, gewissermaßen natürliche Verbündete der Räuber zu sehen; vielmehr hatten sie unter deren Übergriffen vielfach besonders zu leiden. Zwar werden auch in den Papyri Hirten in einzelnen Fällen mit dem Viehdiebstahl in Verbindung gebracht. Jedoch kann die ländliche Gewalt in Ägypten nicht in erster Linie ihnen angelastet werden. Gefährlich waren vor allem die Hirten, die das Vieh über weite Strecken hin trieben, die zur Abwehr von wilden Tieren und Räubern bewaffnet waren, die weitgehend unkontrolliert ihrem Beruf nachgingen. In Ägypten war die Situation anders: Es bestand kein Gegensatz zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern bzw. Hirten; die Viehzucht war in die dörfliche Wirtschaft eingebunden. Die Hirten bildeten mancherorts Korporationen, die auf dem Land auch Ordnungsfunktionen wahrzunehmen hatten, und sie wurden als Polizeiorgane (agrophylakes) eingesetzt, was kaum denkbar gewesen wäre, wenn sie eine Außenseiterposition gehabt hätten. 645
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Theodoret., Hist. rel. 15, 2 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 18/20). Pallad., Hist. Laus. 19, 1 (Bartelink 96). 647 Cod. Iust. 9, 2, 11 (292 n. Chr.). 648 Cod. Theod. 9, 30, 2 (364 n. Chr.); vgl. auch 9, 30, 3 (365 n. Chr.); 9, 30, 5 (399 n. Chr.). 649 Cod. Theod. 9, 31, 1 (409 n. Chr.); vgl. hierzu auch Jaillette 2006. 650 Libanios berichtet davon, daß die Räuber von den Hirten einen regelrechten Tribut (Pferde) verlangten: Lib., Or. 27, 4. Hirten als Opfer von Räubern: Pallad., Hist. Laus. 19, 1ff. (Bartelink 96); für die frühe und hohe Kaiserzeit vgl. auch noch Apul., Met. 7, 25; HA, Max. 2, 1f.; Fronto, Epist. 2, 13 (Naber 35 = van den Hout 33f.). 651 P. Oxy. XVI 1831 (Ende 5. Jh. n. Chr.); vgl. auch noch P. Lips. 37 (389 n. Chr.). 652 P. Cair. Masp. III 67328 (521 n. Chr.); vgl. Keenan 1985, 254ff.; 1989, 186ff. 646
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Zu einem Teil waren die Straftäter auf dem Lande, vor allem die Räuber, Deserteure. 378, nach der Niederlage von Adrianopel, als die Lage auf der Balkanhalbinsel besonders heikel war, trieben Räuber und Deserteure auf den Straßen Thrakiens ihr Unwesen. Basilius hielt es nicht für angeraten, seinem Boten Wertsachen für den Adressaten des Briefes, Bischof Eusebios von Samosata, der sich in Thrakien im Exil befand, mitzugeben; er wolle nicht die Verantwortung für die Ermordung des Briefboten tragen. Es waren ganz spezielle Umstände, die verheerende Niederlage bei Adrianopel, die zu einer Zunahme der Unsicherheit auf dem flachen Land führten. 401 wurde Thrakien von Horden, die vorgaben, Hunnen zu sein, heimgesucht. In Wirklichkeit handelte es sich um flüchtige Sklaven und Deserteure. Ein ganzes Heer mit Fravitta, dem tüchtigsten General des Arcadius, an der Spitze war nötig, um Thrakien von dieser „Hunnenplage“ zu befreien. Hier waren flüchtige Sklaven mit Deserteuren zusammengegangen. Bischof Antoninus von Fussala nutzte bei seinen Räubereien, mit denen er das ganze Castellum unsicher machte, auch die Dienste eines Ex-Soldaten bzw. Deserteurs. Fahnenflüchtige lebten vielfach vom Raub; ein Gesetz droht den Soldaten, die ihre Lager verlassen und sich Plünderungen und Räubereien zugewandt haben, 406 mit strengen Strafen. 403 erhalten die Provinzialen das Recht, zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung auf eigene Faust gegen die Deserteure, die mit Räubern gleichgesetzt werden, vorzugehen, ja sie zu töten, wenn sie Widerstand leisten sollten. Natürlich aber wurde nicht jeder Deserteur Räuber. Die Gesetze legen vielmehr die Schlußfolgerung nahe, daß die meisten unter ihnen von Großgrundbesitzern bzw. deren Verwaltern aufgenommen und als Arbeitskräfte eingesetzt wurden; die Soldaten waren ja häufig ehemalige Kolonen, und was lag demzufolge für sie näher, als auf einem Landgut Arbeit zu suchen? Andere Deserteure suchten in der Stadt ihr Auskommen zu finden. Die große Anzahl der überlieferten Gesetze - für den Zeitraum von 365-412 n. Chr. enthält der Codex Theodosianus (7, 18) siebzehn Gesetze - sollte nicht dazu 653
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Cod. Theod. 7, 18, 7 (383 n. Chr.); Aug., Conf. 7, 21, 27; In evang. Ioh. 13, 17 (CCL 36, 139f.); Shaw 1984, 29f.; 1991, 352ff. Für die hohe Kaiserzeit vgl. Dig. 49, 16, 3, pr. (Modestinus); 49, 16, 5, 2 (Arrius Menander). 654 Bas., Epist. 268 (Courtonne 3, 138). 655 Zos. 5, 22, 3. 656 Aug., Epist. 20*, 6 (CSEL 88, 97f.). 657 Cod. Theod. 7, 18, 15 (= Cod. Iust. 12, 45, 3) (406 n. Chr.). Möglicherweise ist das Gesetz nicht in erster Linie gegen Deserteure, als vielmehr gegen disziplinlose Soldaten gerichtet. 658 Cod. Theod. 7, 18, 14 (= Cod. Iust. 3, 27, 2) (403 n. Chr.); vgl. auch 7, 18, 13 (403 n. Chr.). 659 Nov. Val. 6, 1, 1 (440 n. Chr.). Vgl. fernerhin Cod. Theod. 7, 13, 6, 1 (370 n. Chr.); 7, 18, 2 (379 n. Chr.); 7, 18, 4 (= Cod. Iust. 7, 13, 4; 12, 45, 1) (380 n. Chr.); 7, 18, 5 (381 n. Chr.); 7, 18, 6 (382 n. Chr.); 7, 18, 7 (383 n. Chr.); 7, 18, 8 (383 [391] n. Chr.); 7, 18, 9 (396 n. Chr.); 7, 18, 12 (403 n. Chr.); 7, 18, 13 (403 n. Chr.); Krause 1987a, 218ff. 660 Lib., Or. 26, 8.
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verleiten, das Problem der Desertion zu überschätzen. Die zeitliche Verteilung der Gesetze legt die Vermutung nahe, daß das Problem eher ein „konjunkturelles“ als ein „strukturelles“ war: sieben der 17 Gesetze „de desertoribus et occultatores eorum" stammen aus den Jahren 379-383 (2-8) und fünf (11-15) aus den Jahren 403 und 406. Die Erklärung dieser auffälligen Häufung ist zum einen in der Krise nach Adrianopel, zum anderen in Alarichs und Radagaisus’ Einfällen in Italien in den ersten Jahren des 5. Jh. zu suchen. Außerhalb dieser Krisenperioden waren Desertionen kein ernstes Problem. Denn Soldaten und Veteranen genossen eine Reihe von Privilegien, auch Steuerprivilegien, so daß der Soldatenberuf an sich nicht ganz unattraktiv gewesen sein kann. Auf Fahenflucht standen sehr strenge Strafen, häufig die Todesstrafe. Wie bei anderen Straftaten wurden die angedrohten Strafen aber nicht immer vollstreckt. Eine kaiserliche Amnestie, indulgentia, konnte die Deserteure wieder in den Heeresdienst zurückführen. Vermutlich waren diese Gnadenerlasse sehr viel eher geeignet, der Desertionen und der damit verbundenen Gefahren für die innere Sicherheit Herr zu werden, als die strengen Strafandrohungen. Kriege und Usurpationen, die zu einer generellen Unsicherheit führten, trugen auch zu einer Zunahme des Räuberunwesens bei; den Soldaten der unterlegenen Partei blieb vielfach keine andere Wahl, als ihren Lebensunterhalt mit Raub zu bestreiten. Als der Caesar Julian in Gallien weilte, machten Überfälle der Quaden das Land unsicher. Ein gewisser Charietto, ein Germane, der sich in der Gegend von Trier niedergelassen hatte, griff sie zunächst auf eigene Faust an; ihm schlossen sich weitere „Räuber“ an. Schließlich begab sich Charietto zu Julian und suchte um offizielle Autorisierung seiner Unternehmungen nach. Hintergrund der Ereignisse ist die Usurpation des Magnentius (350/3); viele Soldaten der unterlegenen Partei hatten sich der Räuberei zugewandt, die reguläre Armee zeigte sich zunächst nicht in der Lage, in Gallien für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Julian 661
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Zur Gesetzgebung vgl. M. Vallejo Girvés, La legislación sobre los desertores en el contexto político-militar de finales del siglo IV y principios del V d.C., Latomus 55, 1996, 31-47. 662 Cod. Theod. 7, 18, 4, 3 (vgl. Cod. Iust. 7, 13, 4; 12, 45, 1) (380 n. Chr.); 7, 18, 14 (403 n. Chr.) (= Cod. Iust. 3, 27, 2). Vgl. auch Amm. 29, 5, 31: Deserteure bei lebendigem Leibe verbrannt. 29, 5, 20ff.: Hinrichtung und Verstümmelung. 663 Aug., Epist. 185, 23 (CSEL 57, 21f.); C. Parm. 2, 13, 29 (CSEL 51, 80f.); Bapt. 1, 4, 5 (CSEL 51, 150f.); vgl. auch P. Abinn. 32 (= P. Lond. II 417, p. 299 = Wilcken, Chr. 129) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.). 664 Zos. 3, 7. Zu Charietto vgl. M. Capozza, Il brigante Cariettone. Appunti per una ricerca, in: Hestíasis. Studi di tarda antichità offerti a Salvatore Calderone 3, Messina 1987 (1991), 49-63; C. Pezzin, Cariettone, un brigante durante l’impero romano, Verona 1992. 665 Amm. 15, 5, 2; 15, 8, 1. Zos. 3, 3, 1: Bei Julians Ankunft in Gallien sei das römische Heer nahezu inexistent gewesen. Zu dieser Übertreibung vgl. den Kommentar von Paschoud, ad loc., S. 66f.
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nahm die Soldaten des Magnentius in sein Heer auf und gewährte ihnen für die begangenen Straftaten Straflosigkeit. Zu einem weiteren Teil waren die Räuber entflohene Gefängnisinsassen. Die Räuber stammten nicht ausschließlich aus den ärmeren Bevölkerungsschichten oder Randgruppen der Gesellschaft (wie flüchtigen Verbrechern). Auch Veteranen etwa nahmen an Räubereien teil. Es war mithin keineswegs immer oder auch nur in erster Linie die Armut, die die Räuberbanden anschwellen ließ, denn die Veteranen verfügten über Landbesitz, von dem sie ihren Lebensunterhalt angemessen hätten bestreiten können. Manche unter ihnen waren aber nach langem Kriegsdienst offenbar nicht mehr willens, sich der anstrengenden Landarbeit zu widmen. Die Räuberbanden rekrutierten sich aus einem sehr viel breiteren sozialen Spektrum als vielfach angenommen wird. Die Räuber betätigten sich bevorzugt in „einsamen“ und „verlassenen“ Gegenden, in abgelegenen Bergregionen, nicht in dichtbesiedelten Landstrichen oder gar in den Städten. Die organisierte Bandenkriminalität war in erster Linie ein ländliches, kein städtisches Problem. Über manche Gebirgsregionen hatten die Römer nie wirklich eine effektive Kontrolle ausgeübt; dies gilt für einige Gebiete Nordafrikas (Mauretanien) wie auch Kleinasiens (Kilikien). Die Bergregionen 666
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Lib., Or. 18, 104. Lib., Or. 54, 49f.; Joh. Chrys., De Lazaro 4, 2 (PG 48, 1010). Viele Ausbruchsversuche hatten Erfolg, häufig dank der Begünstigung durch bestochene Gefängniswächter: Krause 1996, 308ff. 668 Cod. Theod. 7, 20, 7 (= Cod. Iust. 12, 46 [47], 3) (353 n. Chr.?); Shaw 1984, 29. Vgl. auch HA, Prob. 16, 4ff.: Probus habe in Isaurien Veteranen angesiedelt, deren Söhne hätten im Alter von 18 Jahren zum Kriegsdienst herangezogen werden sollen, damit sie nicht zu rauben lernten. 669 Ein Arzt schloss sich den Bagauden an: Chron. Gall. a. CCCCLII 133 (a. 448) (MGH, AA 9, 662). Vgl. bereits Apul., Met. 8, 1, 3: Apuleius erzählt von einem jungen Mann aus vornehmer Familie, der enge Kontakte zu Räubern unterhielt. Daß dies keine reine Fiktion ist, zeigt ein Hinweis in den Digesten auf Decurionen, die sich des latrocinium, der Räuberei, schuldig gemacht hätten: Dig. 48, 19, 27, 1f. (Callistratus). 670 Firm., Math. 3, 4, 23; 6, 31, 6; Bas., De ieiunio hom. 2, 5 (PG 31, 192); Hom. quod mundanis adhaerendum non sit 1 (PG 31, 540f.); Ambr., In psalm. 36, 15 (CSEL 64, 80f.); Fid. 5, 17, 209f. (CSEL 78, 295f.); Pan. Lat. 12 (2), 26, 3; Aug., In evang. Ioh. 7, 12 (CCL 36, 73f.); Val. Cem., Hom. 1, 2 (PL 52, 692f.); Pelag., Div. 17, 3 (PLS 1, 1406f.); vgl. auch Patlagean 1977, 297ff.; Shaw 1991, 345f.; 350f.; Wolff 2003, 30ff. 671 B.D. Shaw, Autonomy and Tribute: Mountain and Plain in Mauretania Tingitana, in: P. Baduel (Hrsg.), Désert et montagne. Hommage à Jean Dresch. Revue de l'Occident Musulman et de la Méditerranée 41/2, Aix-en-Provence 1986, 66-89. Ndr. in: ders., Rulers, Nomads, and Christians in Roman North Africa, London 1995 (VIII). Die Literatur zu den Isauriern ist sehr umfangreich: vgl. u.a. Hopwood 1983; 1989; 1999; B.D. Shaw, Bandit Highlands and Lowland Peace: the Mountains of Isauria-Cilicia, JESHO 33, 1990, 199-233; 237-270; A. Lewin, Banditismo e civilitas nella Cilicia tracheia antica e tardoantica, Quaderni storici 26 (Nr. 76), 1991, 167-184; L. Honey, Justifiably Outraged or Simply Outrageous? The Isaurian Incident of Ammianus 667
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waren nur unzureichend durch Straßen erschlossen, im Winter waren sie oftmals ohnehin kaum passierbar. Angesichts dieser Situation stellte die Stationierung römischer Truppen in den Ebenen keine wirkliche Abschreckung dar. Die Soldaten waren auf einen Kampf in den Bergen nicht eingestellt. Es war für jeden vorindustriellen Staat schwierig, die Gebirgsregionen zu kontrollieren; daß dies auch in der Spätantike nicht immer und überall gelang, kann also nicht verwundern. In Syrien boten die Gebirgszüge in der Umgebung von Antiochia Räubern Unterschlupf. Räuberbanden sind in den Alpen, in den spanischen Pyrenäen oder in den Gebirgsregionen Makedoniens belegt. In Nordafrika machten sie gleichfalls vor allem die Berge sowie die abgelegenen Straßen unsicher (während die Hauptstraßen durch Militärposten gesichert waren). Von den gebirgigen Regionen Kilikiens aus suchten schließlich die Isaurier bis ins 5. Jh. hinein weite Gebiete Kleinasiens heim, wobei allerdings die Angriffe nicht gleichermaßen gefährlich waren: Zeiten der Unruhe (in den 270/80er Jahren, den 50er bis 70er Jahren des 4. Jh., am Anfang des 5. Jh., vor allem 404 bis 408, in den 60er und 70er Jahren des 5. Jh.) waren von langen Perioden relativer Ruhe unterbrochen. Für den größeren Teil des vierten und fünften Jahrhunderts wurde die Ordnung aufrechterhalten, angesichts des Unruhepotentials der Gegend eine nicht geringe Leistung. Generell scheint sich in der Stadt und in den dichter besiedelten Gegenden das Leben in geordneten Bahnen bewegt zu haben. Wenn in den Quellen die Gebirge als Zentren des Räuberunwesens gelten, so ist im übrigen mit einem gewissen Maß an Topik zu rechnen. Manche Gebirgszonen Nordafrikas (der Aurès) erlebten gerade in der Spätantike eine Blüteperiode: Die Besiedlung nahm zu, die Landwirtschaft prosperierte, und die Gegend war durch eine Reihe von Militärposten gesichert. 672
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Marcellinus 14.2, in: H.A. Drake (Hrsg.), Violence in Late Antiquity, Aldershot 2006, 47-55. 672 Lib., Or. 19, 57f.; 23, 18; 34, 7; 46, 9; 50, 26; Epist. 1385, 4 (XI 429); Joh. Chrys., De Pentecoste hom. 1, 2 (PG 50, 435f.); De laudibus Pauli hom. 4 (PG 50, 494f.); In psalm. 86, 2 (PG 55, 741f.). 673 Sulp. Sev., Mart. 5, 4ff. (Fontaine 262/4). Die Bagauden agierten auch in den Alpen: Zos. 6, 2, 5. 674 Paul. Nol., Carm. 10, 201ff. (CSEL 30, 33). Hydatius erwähnt in der Mitte des 5. Jh. Räuberbanden in Spanien (Bagauden?): Chron. 179 (Tranoy 1, 156) (456 n. Chr.). 675 Paul. Nol., Carm. 17, 205ff. (CSEL 30, 91f.). 676 Aug., C. Acad. 1, 5, 13 (CCL: 29, 11); Serm. Mai 12, 4 (Morin 287); In psalm. 148, 11 (CCL 40, 2173); De cantico novo 10, 10 (PL 40, 686). Auch die Circumcellionen hielten sich vornehmlich in unzugänglichen Gebirgsregionen auf, zu denen niemand ohne große Schwierigkeiten Zugang finden konnte: Aug., C. Gaud. 1, 36, 46 (CSEL 53, 245f.). 677 P. Morizot, Économie et société en Numidie méridionale: l’exemple de l’Aurès, in: A. Mastino (Hrsg.), L’Africa romana. Atti dell’VIII convegno di studio Cagliari, 14-16 dicembre 1990, Bd. 1, Sassari 1991, 429-446; ders., Archéologie aérienne de l’Aurès, Paris 1997, 276ff.; Ph. Leveau, L’occupation du sol dans les montagnes méditerranéen-
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Auch die Gefahren, die in Syrien auf dem Land von Räubern ausgingen, waren augenscheinlich begrenzt. An der Ostseite des Plateaus in der Nähe der Wüste gab es Wachtürme; aber im übrigen waren die Dörfer unbefestigt. Das Risiko, von Räubern überfallen zu werden, war also nicht allzu groß. Hierauf deutet nicht zuletzt auch das dokumentarische Quellenmaterial. Die Hinweise auf professionelle Kriminalität in den Papyri sind gering an Zahl. Die Räuberei war in Ägypten präsent, aber die vergleichsweise wenigen Erwähnungen vermitteln nicht den Eindruck, daß sie ein Problem für die innere Sicherheit darstellte. Berufsverbrecher, zu hoher Gewaltbereitschaft neigende Räuber, die die Straßen unsicher gemacht oder Häuser überfallen hätten, sind in Ägypten kaum bezeugt. Die Aktivitäten von Räubern scheinen sich weitgehend auf die Randgebiete beschränkt zu haben. Allenfalls auf kleinen, abgelegenen Landstraßen bestand Gefahr, auf Räuber zu stoßen. Die Kirchenväter warnen vor allem Kaufleute, die weite Strecken zurückzulegen und dabei auch unwirtliche Regionen zu durchqueren hatten, vor Überfällen. Die dörflichen Siedlungen waren vor räuberischen Überfällen demgegenüber sicher. In Nordafrika überfielen die Banden von Menschenräubern lediglich kleinere Siedlungen, bevorzugt Einzelhöfe. Wenn Libanios die mißliche Situation von Bauern schildert, die bei ihrem Besuch in der Stadt Antiochia zu Zwangsdiensten verpflichtet wurden und demzufolge verspätet nach Hause kamen, so sieht er lediglich die Gefahr, daß sie nachts auf den Landstraßen von Räubern überfallen werden. Das Risiko war also begrenzt: sowohl was die Zeit (nämlich die Nacht) als auch den Ort (nämlich die Landstraßen) anbelangt. Der archäologische Befund deutet ebenfalls nicht darauf hin, daß dörfliche Siedlungen oder Villen in Gefahr waren, von Räuberbanden überfallen zu werden. Es wurde bereits oben darauf hingewiesen, daß die nordsyrischen Dörfer nicht befestigt waren. Der Negev (welcher seit dem Ende des 4. Jh. den größten Teil der 678
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nes pendant l’Antiquité: apport de l’archéologie des paysages à la connaissance historique, in: G. Fabre (Hrsg.), La montagne dans l’Antiquité. Actes du colloque de la Société des Professeurs d’Histoire Ancienne de l’Université (Pau mai 1990), Pau 1992, 5-37, 7ff. 678 Tchalenko 1953/8, 1, 30ff.; Liebeschuetz 1972, 121f. Im Antiochikos entwirft Libanios ein idyllisches Bild von den Bergen in der Umgebung von Antiochia, die intensiv landwirtschaftlich genutzt würden; von einer Räubergefahr ist hier mit keinem Wort die Rede: Lib., Or. 11, 24ff. 679 P. Antin. II 87 (Ende 3. Jh. n. Chr.); P. Lond. V 1830 descr. (Ende 4. Jh. n. Chr.); P. Lips. 40 (Ende 4. / Anfang 5. Jh. n. Chr.), Kol. II 19ff.; P. Herm. 48 (5. Jh. n. Chr.); P. Mil. II 45 (= SB VI 9515) (449 n. Chr.); P. Gron. Amst. 1 (455 n. Chr.); P. Antin. II 97 (6. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XVI 1981 (612 n. Chr.?). 680 Hierauf deuten auch die Erwähnungen von Räubern in Ägypten in den hagiographischen Quellen: Pallad., Hist. Laus. 7, 3 (Bartelink 38); 58, 4 (ibid. 258); Historia monachorum in Aegypto 6, 2 (Festugière 44); 9, 6f. (ibid. 73); 10, 3ff. (ibid. 76ff.). 681 Ambr., Off. 1, 49, 243; Hel. 19, 70 (CSEL 32, 2, 452f.). 682 Aug., Epist. 10*, 2f. (CSEL 88, 46ff.). 683 Lib., Or. 50, 26.
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neu gebildeten Provinz Palaestina III bildete) war in der Spätantike eine blühende Region; es entwickelten sich zahlreiche Farmen auch in abgelegenen Gegenden; sie waren ebenfalls nicht befestigt. In der Villenarchitektur kann kein Bruch zwischen früher und später Kaiserzeit festgestellt werden. 420 gestattete Theodosius II. zwar, private Häuser und Grundstücke mit Mauern und Türmen zu befestigen. In den meisten Provinzen aber blieben die zu Festungen ausgebauten Villen in der Minderzahl. Größere Räuberbanden dürften bis zu einigen Dutzend Mitglieder gezählt haben. Da sich für größere Banden aber enorme logistische Schwierigkeiten ergaben (Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs), agierten die Räuber zumeist in kleinen Gruppen; auch einzeln wurden sie tätig. Es kann sich bei den von ihnen begangenen Straftaten also nur um kleinere Überfälle gehandelt haben. Dies macht es auch verständlich, warum die Behörden keine Notwendigkeit sahen, einen großen Polizeiapparat aufzubauen. Mochten auch bewaffnete und berittene Räuber, die einzeln oder in kleinen Gruppen aktiv wurden, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, so waren sie doch kein Problem für die innere Sicherheit, welches den Staat zu entschlossenen Gegenmaßnahmen hätte veranlassen müssen. Es wurde als hinreichend empfunden, wenn sich die städtischen Behörden (mit für unser Gefühl durchaus unzureichenden Mitteln) des Problems annahmen. Nur selten sind größer angelegte Aktivitäten von Räuberbanden bezeugt, Überfälle auf Städte oder auf Reisende auf den großen Fernstraßen. Die Maratocupreni (das Dorf lag in der Nähe von Apamea in Syrien) fielen auch in die Städte ein; dies ist es Ammianus Marcellinus wert, in seinem Geschichtswerk berichtet zu werden. Sie hatten sich verkleiden müssen (als Beamte und deren Gefolge); es war also der Überraschungseffekt, der die Überfälle auf größere Siedlungen überhaupt erst möglich machte. Unter Valentinian nahm das Räuberunwesen in Gallien beunruhigende Ausmaße an. Selbst Straßen, auf denen ein reger Verkehr herrschte, 684
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Lewin 1989, 164. Cod. Iust. 8, 10, 10 (420 n. Chr.). Hervorgehoben sind die östlichen Grenzprovinzen des Reiches. 686 H. von Petrikovits, Fortifications in the North-Western Roman Empire from the Third to the Fifth Centuries A.D., JRS 61, 1971, 178-218, 191ff.; J. Percival, The Roman Villa. An Historical Introduction, London 1976, 174ff.; J.-G. Gorges, Les villas hispano-romaines. Inventaire et problématique archéologique, Paris 1979, 45ff.; 150f.; 323f.; St. Johnson, Late Roman Fortifications, London 1983, 242f. 687 Joh. Mosch., Prat. spir. 143 (PG 87, 3, 3004f.): Räuberbande mit 30 Mitgliedern; vgl. auch P. Lips. 40 (Ende 4. / Anfang 5. Jh. n. Chr.), Kol. II 19ff. 688 Apophthegmata patrum, Theodoros 29 (PG 65, 196) (drei Räuber); Vita Symeon. Styl. 100 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 172) (drei Räuber); Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 36 (Brooks, PO 18, 635ff.) (zehn Räuber). 689 Apophthegmata patrum, Makarios 40 (PG 65, 281). 690 Amm. 28, 2, 11ff.
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waren nicht mehr sicher; ein Mitglied der kaiserlichen Familie wurde gefangengenommen und kurz darauf von den Räubern getötet. Insgesamt ist jedoch bei der Bewertung des Räuberunwesens in Gallien im 4. Jh. Zurückhaltung angebracht. In den Schriften des Ausonius findet sich kaum ein Hinweis auf Räuber, und auch der heilige Martin zog unbehelligt durch die Lande und geriet lediglich in einer abgelegenen Alpenregion in einen Hinterhalt von Räubern. Der Coup der Räuber, der zur Gefangennahme eines Mitgliedes der kaiserlichen Familie führte, wird von Ammianus ja nicht zuletzt deshalb erwähnt, weil er besonders spektakulär war. Weiterhin waren Reisen möglich, ohne daß allzu große Angst vor räuberischen Überfällen bestand. Als besonders gefährdet gelten spätantiken Autoren Fernreisende, Fernhändler zumal. Daß auf den Straßen Gefahren lauerten, kann also nicht bestritten werden. Andererseits waren aber zumindest die Hauptstraßen durch Militärposten (stationarii) soweit gesichert, daß nach Augustins Ansicht eine Gefahr von Räubern faktisch nicht drohte. Auch Ambrosius hält lediglich die Nebenstraßen für gefährdet. Johannes Chrysostomos nennt mehrere Faktoren, die zur Sicherheit der Reisenden beitrugen: die Herbergen (stathmoi) an den Fernstraßen, dann die große Zahl der Reisenden, schließlich die lokalen Milizen. Die Tatsache, daß in der Spätantike Militär auch im Inneren des Reiches statoniert war, muß viel zur inneren Sicherheit beigetragen haben. Die regionale Mobilität war in der Spätantike sehr viel größer als in der frühen Kaiserzeit. Libanios oder Symmachus hatten keine Probleme, ihre Briefe über weite Strecken zu verschicken, und wir hören kaum je davon, daß Briefe abgefangen worden seien. Dies reduziert die Aussagekraft eines Briefes, in dem Symmachus schreibt, er könne wegen der Unsicherheit auf dem Lande (verursacht durch Räuberbanden) die Stadt Rom nicht verlassen. Ähnliche Probleme konnten sich für Reisende bereits in der frühen Kaiserzeit ergeben. Symmachus war im übrigen viel unterwegs, er berichtet in seinen Briefen ständig von seinen Reisen, die ihn von Rom auf eines seiner Güter oder zurück, von einem Gut zum nächsten führten. 691
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28, 2, 10. Nur einmal Erwähnung von Viehdiebstahl: Auson., Epist. 14, 22ff. 693 Aug., In psalm. 125, 4 (CCL 40, 1848); Serm. 9, 21 (CCL 41, 148/51); 306, 2, 2 (PL 38, 1401); Sermo Frangipani 3, 6 (= 345) (Morin 207). 694 Ambr., In psalm. 118 serm. 15, 7, 1 (CSEL 62, 333). 695 Joh. Chrys., Stag. 2, 6 (PG 47, 458). 696 Bischöfe und Kleriker reisten häufig, nicht nur um Synoden zu besuchen, sondern auch in privaten Geschäften. Zahlreiche Gläubige, darunter auch Frauen, begaben sich auf Pilgerreisen, offenbar ohne Gefahr zu laufen, von Räubern überfallen zu werden: E.D. Hunt, Holy Land Pilgrimage in the Later Roman Empire AD 312-460, Oxford 1982; Neri 1998, 178ff. In den 70er Jahren des 5. Jh. scheinen Pilgerreisen innerhalb Galliens mit Risiken verbunden gewesen zu sein; die Ursache hierfür lag aber nicht im Räuberunwesen, sondern in den Kriegswirren: Sidon., Epist. 4, 6, 1ff. 697 Symm., Epist. 2, 22, 1 (382/3 n. Chr.). 692
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Aber nirgends sonst wird die Gefahr von Räubern angesprochen. Man konnte seinen Briefboten auch Wertsachen für den Adressaten mitgeben, und es waren lediglich spezielle Situationen wie die von den Goten 378 auf der Balkanhalbinsel herrührende Gefährdung, die den Absender hiervon abhalten mochten. Die Bedrohung durch die Circumcellionen hinderte Augustin nicht, ständig unterwegs zu sein. Sein Biograph behauptet zwar, die Circumcellionen hätten ihm wiederholt (aliquotiens) nachgestellt; es mag dies aber eine Übertreibung sein: Denn Possidius berichtet nur von einem Anschlag; diesem sei Augustin dadurch entgangen, daß er irrtümlich eine falsche Route eingeschlagen habe. Davon aber, daß jemand, der so viel unterwegs war wie Augustin, das Risiko eingegangen wäre, von gewöhnlichen Räubern oder Banditen überfallen zu werden, verlautet weder in des Possidius Biographie noch in dem umfangreichen Briefwechsel Augustins selbst etwas. Es wird in unseren Quellen überhaupt nur einmal davon berichtet, daß ein Kleriker in einen Hinterhalt von Wegelagerern geraten war: Er war Basilius von einem innerkirchlichen Gegner bereitet worden, sagt also nichts aus über die den Reisenden üblicherweise drohenden Gefahren. Verhältnismäßig selten waren Reisende bewaffnet; die Waffen können in diesem Fall ebensogut dem Schutz vor Barbarenbanden oder wilden Tieren wie vor Räubern gedient haben. Ohne selbst Waffen zu tragen, griffen Circumcellionen Reisende an, die Waffen trugen, und ließen sich töten; sie erstrebten das Martyrium. In der zweiten Hälfte des 5. Jh. war es opportun, sich auf der weiten Reise von Gallien nach Rom von bewaffneten Sklaven begleiten zu lassen. Hier waren es bereits die Germanen, die für die Unsicherheit auf den Straßen verantwortlich waren. In Nordafrika wurden Barbaren von Offizieren, die an der Grenze stationiert waren, unter Eid genommen und u.a. zur Bewachung von Transporten oder zum Schutz von Reisenden eingesetzt. In Arabien erhielten Pilger, wenn sie die Hauptverkehrsstraße verlassen mußten, Soldaten als Schutz. Diese Maßnahmen blieben aber auf einige wenige Regionen, die traditionellerweise von Nomadenstämmen unsicher gemacht wurden, beschränkt. Aufs ganze gesehen ist eine Zunahme der Unsicherheit auf den Straßen nicht nachweisbar; es war in der Republik und frühen Kaiserzeit vermutlich sehr viel eher üblich, sich im Hinblick auf eine Reise zu bewaffnen. Kürzere Strecken konnten augenscheinlich zurückgelegt werden, ohne daß große Gefahren zu befürchten waren (dies auf jeden 698
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Bas., Epist. 268 (Courtonne 3, 138). Possid., Vita Aug. 12, 1f. (Bastiaensen 156/8). Zu Augustins Reisen vgl. O. Perler, Les voyages de saint Augustin, RecAug 1, 1958, 5-42; ders., Les voyages de saint Augustin, Paris 1969 (hier 52ff.: von Räubern und Circumcellionen herrührende Gefahren). 700 Greg. Naz., Or. 43, 58 (Bernardi 248/52). 701 Aug., Epist. 185, 12 (CSEL 57, 10/12). 702 Sidon., Epist. 1, 6, 2. 703 Aug., Epist. 46, 1 (CSEL 34, 2, 123f.). 704 Isaac 1984, 200. 705 App., Civ. 1, 116, 540; Cic., Inv. 2, 14f.; Ios., Bell. Iud. 2, 125. 699
4. Eigentumsdelikte
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Fall tagsüber). Dies kontrastiert mit der Situation in anderen agrarischen Gesellschaften, in denen es zur eigenen Sicherheit angezeigt war, ständig bewaffnet zu sein. Vermutlich hat nicht das Räuberunwesen, sondern allenfalls die Intensität des Kampfes gegen die Räuber zugenommen. Wiederholt wird in den Quellen deren Angst vor Ergreifung und Bestrafung angesprochen. Auf lange Sicht hatten sie kaum eine Chance, ihr zu entgehen. Von Verhaftung bedroht waren nun verstärkt auch Mitwisser und Mittäter von Räubern. In der Bekämpfung des Schwerverbrechens wurde in stärkerem Maße als zuvor eine staatliche Aufgabe gesehen. Sicher fehlte es an einem Polizeiapparat, der in der Lage gewesen wäre, das Übel an der Wurzel zu packen. Vielfach mußte es augenscheinlich erst einmal gewisse Dimensionen angenommen haben, damit die Staatsorgane überhaupt eingriffen. Die Bekämpfung kleinerer Räubereien wurde den städtischen Organen überlassen. Erst wenn diese mit den ihnen zur Verfügung stehenden Kräften dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen waren, wurden die Staatsorgane aktiv. Dann aber standen die Räuber auf verlorenem Posten. Dies galt selbst für die Isaurier. Als 367/8 Musonius, der vicarius Asiae, nach dem Versagen der regulären Armee versuchte, mit einer Schar von halbbewaffneten Diogmiten der Isaurier Herr zu werden, geriet er in einen Hinterhalt und wurde mitsamt seinen Leuten vernichtet. Darauf wurden die Isaurier wagemutiger, was nun aber die entschlossene Reaktion des Militärs provozierte. Sie wurden in die Berge zurückgedrängt, wo es ihnen an Lebensmitteln und sonstigen Ressourcen fehlte; sie baten nun um Waffenstillstand. Libanios erzählt von einem Bauerndorf (den Maratocupreni), welches sich in seiner Gesamtheit der Räuberei zugewandt hatte. Dank der Aufmerksamkeit des Kaisers seien sie niedergemacht worden; selbst die Säuglinge seien getötet worden; das Dorf wurde niedergebrannt. Die Tatsache, daß sich ein ganzes Dorf der Räuberei zugewandt hatte, machte das Eingreifen der Regierung unvermeidlich. Eine kleine Bande konnte der Aufmerksamkeit der Behörden entgehen; dies war 706
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Toskana, 18. Jh.: F. McArdle, Altopascio. A Study in Tuscan Rural Society, 1587-1784, Cambridge 1978, 199f. 707 Aug., In evang. Ioh. 43, 7 (CCL 36, 375); Joh. Chrys., De Maccabaeis, Hom. 1, 1 (PG 50, 617). Die Quellen berichten häufig von der Inhaftierung und Bestrafung von Räubern: Krause 1996, 93ff. 708 Firm., Math. 3, 11, 5; 4, 14, 10; 5, 6, 10; Lib., Or. 45, 6; Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 6, 6 (PG 48, 913). 709 Vgl. hierzu auch Dittenberger, Sylloge 3900 = M.C. Sahin (Hrsg.), Die Inschriften von Stratonikeia, Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 21, Bonn 1981, 170f., Nr. 310: Inschrift aus Stratonikeia (Regierungszeit des Maximinus Daia, 305-313 n. Chr.): Die Mitglieder einer Familie heben heraus, daß das von ihnen gestiftete Öl nicht nur an die Bürger und Fremden, sondern auch an die in die Polis gekommenen Soldaten verteilt wurde, die vom Kaiser zur mittlerweile erfolgreich abgeschlossenen Bekämpfung von Räubern in die Polis entsandt worden waren. Antonius, Vita Symeon. Styl. 20 (Übers. Doran 95/7): Fahndung nach einem Räuberhauptmann (durch Soldaten). 710 Amm. 27, 9, 6f.
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Raub
bei einer solchen Konzentration von Straftätern nicht mehr möglich. Ebenso entschlossen wie gegen die Maratocupreni gingen die Behörden gegen die sogenannten Saturiani bzw. Subafrenses vor, die 399 in einer an den Prätorianerpräfekten Messala gerichteten kaiserlichen Konstitution angesprochen werden: Sie hatten sich zum Teil einer Bestrafung entzogen, indem sie sich auf fremdem Grundbesitz versteckt hielten. Es wird den Eigentümern mit der Konfiskation des Grundstücks gedroht. Diejenigen, die mit dem Verlust des Vermögens nicht bestraft werden können, sollen mit dem Leben büßen. Strafen drohen auch denen, die die Verbrecher auf dem Land entdeckt und nicht sogleich angezeigt haben. Im weiteren soll ein inspector in die Gebiete geschickt werden, die von den Banden gehalten worden waren. Die Grundbesitzer erhalten die Möglichkeit, die entvölkerten Grundstücke wieder mit Leuten (familiae) von anderen Besitzungen zu bestücken. Halten sie dies nicht für sinnvoll, haben sie die Möglichkeit, die Grundstücke an finanzkräftige Grundbesitzer zu verkaufen (einschließlich der an den Gütern haftenden Steuern). Die Vorgehensweise der kaiserlichen Regierung hatte sich gegenüber der frühen Kaiserzeit nicht geändert. Es hatte damals in Italien einzelne Landstriche gegeben, die besonders unter dem Räuberunwesen zu leiden hatten. Erst wenn dieses überhand nahm, schickte die Regierung Truppen, um die Räuber auszuheben. Über längere Zeit konnten sich die Räuberbanden gegenüber den Staatsorganen nicht behaupten. Daß der Straßenraub ein vielfach zu beobachtendes Phänomen war, soll nicht in Frage gestellt werden. Möglicherweise hat er in den Gebieten, die unmittelbar von den Kriegsereignissen betroffen waren, zugenommen. Die Unterscheidung zwischen den meist kleinen Gruppen marodierender Germanen und Straßenräubern fällt schwer. In den Kriegsgebieten stellten auch die Deserteure, die sich in manchen Fällen der Räuberei zuwandten, ein Problem für die innere Sicherheit dar. In den Kernbereichen des Reiches war die Sicherheit aber nicht geringer als in der frühen Kaiserzeit. Die Zahl der Räuber läßt sich nicht abschätzen. Aber sie dürfte 711
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Lib., Or. 48, 35f. Cod. Theod. 7, 19, 1 (399 n. Chr.). 713 Iuv. 3, 302ff. 714 Die Straßen waren in der frühen Kaiserzeit um nichts sicherer als in der Spätantike: Augustus und Tiberius suchten dem grassierenden Menschenraub in Italien ein Ende zu setzen: Suet., Aug. 32, 1; Tib. 8, und Plinius berichtet von einem seiner Mitbürger, der während einer Reise verschwunden war: Es war unsicher, ob er von seinen Sklaven, die ihn begleiteten, getötet worden war oder ob die Reisegesellschaft in einen Hinterhalt von Wegelagerern geraten war. Dasselbe Schicksal war einem römischen Ritter widerfahren: Auch er war spurlos verschwunden: Plin., Epist. 6, 25. Der Besitz von Waffen war nach der lex Iulia de vi grundsätzlich untersagt, aber gestattet, wenn man auf eine Reise ging, um sich unterwegs gegen Überfälle verteidigen zu können: Dig. 48, 6, 1 (Marcianus). In den Provinzen schlossen sich Reisende auf die Kunde, daß Straßen von Räubern heimgesucht würden, dem Konvoi hoher Amtsträger an, um sicher vor Räubern zu sein: Epict. 4, 1, 91ff. Der Antritt einer Reise konnte verhindert werden, weil die Straßen von
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4. Eigentumsdelikte
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nicht übermäßig zu Buche geschlagen sein. Zwar gehen die spätantiken Autoren davon aus, daß das Räubergewerbe höchst einträglich sein konnte. Aber das Leben der Räuber war auch mit sehr großen Unannehmlichkeiten verbunden. Sie hausten in den Einöden, in den Gebirgsregionen und den Wäldern, und ihnen drohten, wenn sie gefaßt wurden (was zumeist der Fall gewesen zu sein scheint), strenge Strafen. Ein Familienleben zu führen, war ihnen zumeist gleichfalls versagt. Der Räuberei werden sich daher nur vergleichsweise wenige (meist jüngere) Männer zugewandt haben, Männer, die bereit waren, sich weitgehend aus ihren familiären Banden zu lösen. 715
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Räubern unsicher gemacht wurden: Sen., Benef. 4, 35, 2; Apul., Met. 1, 15. Nach Tertullian waren in allen Provinzen zur Bekämpfung der Räuberbanden militärische Wachposten stationiert; und man muß nicht annehmen, daß dies erst eine Maßnahme der severischen Zeit gewesen wäre: Tert., Apol. 2, 8. 715 Joh. Chrys., De Lazaro 1, 12 (PG 48, 980); De coemeterio et de cruce 2 (PG 49, 395); In epist. ad Phil. hom. 8, 6 (PG 62, 236). 716 Aug., Serm. 38, 6 (CCL 41, 480f.).
5. SOZIALES PROFIL D ER STRAFTÄTER Der Überblick über einige der wichtigeren Straftatbestände (Gewalt- und Eigentumtumsdelikte) ist damit beendet. Wenn im folgenden nach dem sozialen Profil der Straftäter gefragt wird, so ist an einige der bereits erzielten Ergebnisse anzuknüpfen. Es hat sich gezeigt, daß weder die Gewalt- noch die Eigentumsdelikte in erster Linie auf das Konto von Angehörigen gesellschaftlicher Randgruppen gingen. Ganz im Gegenteil: Die meisten Straftäter waren sehr gut in die Gesellschaft eingebunden. Armutskriminalität war in den Städten augenscheinlich bis zu einem gewissen Grade ein Problem, aber bei weitem nicht alle Diebstähle können auf die Not zurückgeführt werden. All dies wird sich bestätigen, wenn im folgenden u.a. diskutiert wird, ob in der Stadt und auf dem Lande überhaupt mit einer „kriminellen Subkultur“ zu rechnen ist. Die Antwort wird, dies sei vorweggenommen, negativ ausfallen. Die Zahl der Berufsverbrecher blieb vergleichsweise gering, während andererseits zahlreiche Angehörige „ehrbarer“ Bevölkerungsschichten irgendwann einmal in ihrem Leben mit dem Gesetz in Konflikt kommen mochten.
Sklaven Vielfach waren Opfer von Straftaten und Täter miteinander verwandt. Wenn wir uns im folgenden nun den Sklaven zuwenden, so bewegen wir uns noch im familiären Rahmen, waren sie doch integraler Bestandteil der familia. Sklaven stellten schon in der frühen Kaiserzeit einen beträchtlichen Teil der Gewalttäter: Sie wandten sich mit Gewalt gegen ihre Eigentümer, bestahlen und betrogen ihren Herrn und dritte Personen. Hieran änderte sich in der Spätantike nichts. Die Sklaven gelten gemeinhin als unbotmäßig und faul; sie gehorchen ihrem Herrn nur unter Zwang. Johannes Chrysostomos übt zwar Kritik an der Grausamkeit der 717
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Robinson 1981, 218f.; K.R. Bradley, Servus onerosus: Roman Law and the Troublesome Slave, Slavery and Abolition 11, 1990, 135-157; ders., Slavery and Society at Rome, Cambridge 1994,112ff. 718 Lact., Ira 17, 8ff. (Kraft - Wlosok 56); Lib., Or. 14, 10f.; 45; Ambr., Epist. 56 (= Migne 5), 14 (CSEL 82, 2, 91f.); Symm., Epist. 6, 8; 9, 53 (50); Aug., Serm. 161, 9, 9 (PL 38, 883); Joh. Chrys., In Isaiam 3, 4 (PG 56, 45); In act. hom. 45, 4 (PG 60, 320); In epist. ad Rom. hom. 4, 4 (PG 60, 420f.); 5, 7 (ibid. 431); In epist. ad Eph. hom. 16, 1 (PG 62, 112); In epist. ad Phil. hom. 9, 2 (PG 62, 241f.); In epist. I ad Thess. hom. 6, 2f. (PG 62,
5. Soziales Profil der Straftäter
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Eigentümerinnen, die ihre Sklavinnen oft aus nichtigen Gründen züchtigten, räumt aber ein, daß auf Schläge nicht ganz verzichtet werden könne. Die Sklaven werden von ihm als unzüchtig, trunksüchtig, schmähsüchtig charakterisiert, und vor allem: sie stehlen. Die Prediger sehen in einem Teil der Sklaven Diebe, Betrüger, Nichtsnutze, und Johannes Chrysostomos hat keine Bedenken, sie in einem Atemzug mit Mördern, Räubern, Grabschändern zu nennen. Die Eigentümer hätten die Aufgabe, für die sittliche und moralische Besserung ihrer Sklaven Sorge zu tragen (durch gutes Vorbild, durch Unterweisung und, wenn es sich nicht anders einrichten läßt, durch Strafen). Freilich kamen die meisten unter ihnen dieser Verpflichtung zum Leidwesen der Prediger nicht im erforderlichen Umfang nach. So waren denn Angst und Mißtrauen gegenüber den Sklaven sehr ausgeprägt. Bei deren Kauf ließ man große Vorsicht walten. Der Käufer hatte Anspruch darauf, daß der Verkäufer ihn korrekt darüber informierte, ob der Sklave geflohen war, ob er ein Herumtreiber war, ob er eine Straftat begangen hatte. Vor allem Diebstähle wurden den Sklaven ohne weiteres zugetraut. Ihnen wird von Ambrosius eine Neigung zu heimlichen Diebstählen zugeschrieben; als Motiv werden Not und Mangel genannt. Offenbar waren viele Diebstähle in der schlechten Behandlung durch die Eigentümer begründet. Dieselbe Entschuldigung läßt 719
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431ff.); 11, 3 (ibid. 464f.); Virg. 67 (Musurillo - Grillet 336/8); Vid. iun. 2 (Grillet – Ettlinger 120); Synes., Epist. 45 (Garzya 156/8 = Migne 32, PG 67, 1360f.). 719 Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 15, 3 (PG 62, 109f.). Auflistung derselben Laster In epist. ad Eph. hom. 16, 1 (ibid. 112). 720 Aug., In psalm. 32, serm. 2, 15 (CCL 38, 292); Joh. Chrys., In gen. hom. 17, 2 (PG 53, 136); 33, 2 (ibid. 307f.); In Matth. hom. 35 (36), 5 (PG 57, 412). 721 Joh. Chrys., In epist. ad Phil. hom. 8, 5 (PG 62, 236). 722 Joh. Chrys., In Kalendas 4 (PG 48, 958); Ad pop. Antioch. 13, 4 (PG 49, 141); Aug., Serm. 302, 21, 19 (PL 38, 1392f.). Der Sklave, der sich für zahllose Vergehen vor seinem Herrn verantworten muß, ist ein stehendes Bild bei Johannes Chrysostomos: In psalm. 7, 8 (PG 55, 93); In epist. ad Philem. hom. 3, 2 (PG 62, 718). 723 Joh. Chrys., In epist. ad Tit. hom. 4, 3 (PG 62, 685). 724 Firm., Math. 3, 2, 26; 3, 4, 34; 3, 7, 26; 3, 11, 8; Joh. Chrys., In psalm. 127, 1 (PG 55, 365f.); In act. hom. 24, 4 (PG 60, 189f.). 725 Cod. Iust. 4, 49, 14 (294 n. Chr.); Joh. Chrys., Quales ducendae sint uxores 1 (PG 51, 226). Schlechte Sklaven wurden angeblich oftmals zur Hälfte des Preises weggegeben, mitunter ganz umsonst: Joh. Chrys., In psalm. 43, 7 (PG 55, 178). Zum Verkauf mißratener Sklaven vgl. auch noch In epist. I ad Thess. hom. 11, 3 (PG 62, 464f.). 726 Ambr., Fug. saec. 3, 15 (CSEL 32, 2, 175); Aug., Epist. 105, 1 (CSEL 34, 2, 595f.); 246, 3 (CSEL 57, 584f.); Joh. Chrys., De angusta porta 2 (PG 51, 43); In paralyticum demissum per tectum 1 (PG 51, 48f.); In dictum Pauli, oportet haereses esse 5 (PG 51, 259f.); De verbis apostoli, Habentes eundem spiritum 1, 8 (PG 51, 278f.); In illud, Vidua eligatur 16 (PG 51, 336/8); In gen. hom. 41, 5 (PG 53, 381f.); In psalm. 111, 3 (PG 55, 293f.); De perfecta caritate 3 (PG 56, 282f.); In Matth. hom. 83 (84), 2 (PG 58, 748); In act. hom. 39, 4 (PG 60, 281f.); Greg. M., Dial. 2, 18 (Vogüé - Antin 2, 194); 3, 14, 9 (ibid. 310); Greg. Tur., Virt. Mart. 3, 53 (MGH, SRM 1, 645). 727 Ambr., Off. 3, 3, 22.
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Sklaven
Salvian gelten. Er konzediert, daß die Sklaven Diebe sind, daß sie fliehen, daß sie lügnerisch und gefräßig sind, argumentiert aber damit, daß die Reichen denselben Lastern verfallen seien. Zum Diebstahl würden die Sklaven zudem nur aus Not getrieben; sie erhielten von ihren Herren nicht hinreichend Nahrung. Die Sklaverei hatte nichts von ihrem ausbeuterischen Charakter verloren, und so verwundert es nicht, wenn die Sklaven Widerstand leisteten. Aber auch für Salvian ist es keine Frage, daß die Sklaven grundsätzlich schlecht und verabscheuenswert sind, und die einzige Entschuldigung hierfür liegt nach ihm darin, daß ihre Herren genauso schlecht seien. Die Angst der Besitzenden vor Diebstählen war sehr groß, und sie beargwöhnten vor allem ihre eigenen Sklaven; nach Augustin verschlossen sie ihren Reichtum; viele trugen ihr Geld auch zu einer Bank (ad vicum argentarium), weil sie den Sklaven nicht trauten und in der Annahme, daß das Geld dort sorgfältig behütet werde und daß Diebe dort nicht leichthin Zugang finden würden. Die Gefahren für die aufgehäuften Schätze drohten nicht so sehr von Dieben, die von außen kamen, als vielmehr von den eigenen Sklaven. Diesen boten sich die günstigsten Gelegenheiten, sich unbemerkt an die Habe ihres Herrn zu machen. Die Diebstähle gingen nicht in erster Linie auf das Konto von Angehörigen einer kriminellen Subkultur, als vielmehr der eigenen Haushaltsangehörigen. Wurden Wertgegenstände gestohlen, so wurden zuerst die Sklaven verdächtigt. Beging ein Sklave im Haushalt eines Reichen einen Diebstahl, so wurden, so Johannes Chrysostomos, sofort alle Sklaven ausgepeitscht, geschlagen und ins Gefängnis (desmoterion) geworfen. Es ist hier wohl nicht an ein staatliches bzw. städtisches Gefängnis zu denken. Der Eigentümer konnte einen Sklaven wegen eines geringfügigen Vergehens nicht vor die staatlichen Gerichte bringen, sondern mußte sich selbst Genugtuung verschaffen. Einem reichen Bürger von Emesa wurden 500 Solidi gestohlen. Der Bestohlene wandte sich an Symeon um Hilfe. Dieser klärte ihn darüber auf, daß der Täter einer seiner Sklaven sei, er bat darum, daß der Bestohlene künftig weder diesen Sklaven noch einen anderen seiner 728
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Salv., Gub. 4, 13f. (Lagarrigue 242). Salv., Gub. 4, 29 (Lagarrigue 254); 7, 19f. (ibid. 444); 8, 14 (ibid. 518/20). 730 Aug., In Psalm. 38, 12 (CCL 38, 413f.). Vgl. auch noch Serm. 86, 7, 8 (PL 38, 527); 259, 5 (ibid. 1200). Ambrosius beschreibt, wie die Reichen ihre Habe verschließen, auch dies reicht ihnen aber nicht; sie stellen Wächter auf, aber gerade diese flößen ihnen besondere Angst ein: Ambr., Iac. 2, 5, 23 (CSEL 32, 2, 45); zum Mißtrauen gegenüber dem eigenen Wachpersonal vgl. auch noch Aug., Serm. 345, 3 (PL 39, 1519); Joh. Chrys., In gen. serm. 1, 4 (PG 54, 586); In psalm. hom. 48, 2, 3 (PG 55, 515f.). 731 Joh. Chrys., Contra eos qui subintroductas ... 9 (Dumortier 76); Zeno 1, 5, 5, 15 (CCL 22, 41). 732 Actus Petri cum Simone 17 (Lipsius - Bonnet 1, 63ff.); Joh. Chrys., In Matth. hom. 89 (90), 4 (PG 58, 786). 733 Joh. Chrys., In gen. hom. 37, 5 (PG 53, 349f.). Vgl. auch noch Contra ludos et theatra 4 (PG 56, 270). 729
5. Soziales Profil der Straftäter
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Hausangehörigen auspeitsche. Die Mönche bemühten sich, Straftätern ihre Strafe zu ersparen und deren Opfer darauf einzustimmen, sich mit der Wiedergutmachung des Schadens zufrieden zu geben. Man könnte versucht sein, die Aussagen der literarischen Quellen als Topoi, als Vorurteile abzutun. Aber das sich aus ihnen ergebende unerfreuliche Bild der spätantiken Sklaverei wird durch die juristischen Quellen und die Papyri vollauf bestätigt. Diokletian entscheidet, daß ein Eigentümer gegen seine Sklaven keine Klagen erheben kann; er soll sich an ihnen im Hausgericht schadlos halten. Wenn sie freigelassen wurden, kann er sie für die vor der Freilassung begangenen Verfehlungen nicht mehr belangen. Haben sie sich aber hernach an ihrem ehemaligen Herrn versündigt, steht es ihm frei, sie vor den Provinzstatthalter zu bringen. Ein Großteil der Diebstähle (nämlich die Diebstähle, die von Sklaven verübt worden waren) kam also gar nicht vor die Gerichte; dies bedeutete eine nicht unwesentliche Entlastung der staatlichen Justiz. Diebische Sklaven steckten mitunter mit Dritten unter einer Decke. Diejenigen, die Diebesgut von Sklaven bei sich verborgen halten, können, so Diokletian, auch wegen Diebstahls angeklagt werden. Justinian diskutiert die Frage, ob jemand, der einen fremden Sklaven zu überreden versuchte, seinen Herrn zu bestehlen und ihm das Diebesgut zu übergeben, wegen Diebstahls oder nach der actio servi corrupti zu belangen ist, wenn der Sklave seinen Herrn von dem geplanten Verbrechen in Kenntnis gesetzt hat und dieser den Sklaven die Sache zu dem Urheber der Straftat bringen ließ. Aurelios Didymos, Ratsherr von Hermoupolis, klagt gegen Hermes, der sich eines Sklaven des Didymos bemächtigt und mit dessen Hilfe nachts das Haus des Didymos ausgeraubt habe. Der Petent hatte den Sklaven im Haus des Hermes ergriffen; er sucht darum nach, daß ihm sein Eigentum zurückerstattet werde. Die meisten von Sklaven begangenen Diebstähle dürften häusliche Diebstähle gewesen sein, aber Opfer diebischer Sklaven waren nicht nur die eigenen Herren, sondern häufig Fremde. Sie handelten hierbei entweder auf eigene Faust oder aber mit Wissen ihres Eigentümers (der in diesem Fall also hinter der Straftat steckte). Aber auch wenn dem Eigentümer keine Mitschuld nachgewiesen werden konnte, hatte sich das Opfer des Diebstahls doch in aller Regel bei ihm schadlos zu halten (da der Sklave nicht gerichtsfähig war). 734
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Leontios von Neapolis, Vita Symeon. Sal. 161f. (Festugière 95f.). Zu den Papyri vgl. Bagnall 1993, 235ff. 736 Cod. Iust. 4, 14, 6 (293 n. Chr.); vgl. auch noch 7, 19, 6 (293 n. Chr.); 4, 19, 20 (294 n. Chr.); 6, 2, 21 (530 n. Chr.). 737 Cod. Iust. 6, 2, 14 (293 n. Chr.). 738 Cod. Iust. 6, 2, 20 (530 n. Chr.). 739 SB XVIII 14056 (= P. Strasb. 296 recto) (326 n. Chr.). 740 Cod. Iust. 3, 41, 4 (293 n. Chr.); 9, 33, 4 (293 n. Chr.); 9, 12, 4 (293 n. Chr.); 3, 32, 20 (294 n. Chr.); Ps.-Dioskoros, Panegyricus auf Macarius, Bischof von Tkow 3, 5ff. (Übersetzung Johnson, CSCO 416, Scriptores coptici 42, 12/4); Greg. Tur., Franc. 4, 43; 10, 2. 735
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Sklaven
Häufig verband sich die Flucht mit dem Diebstahl (zumal natürlich, wenn dessen Opfer der eigene Herr war). Es war nach einem Reskript Diokletians möglich, gegen denjenigen, der einen flüchtigen Sklaven wissentlich mit den von ihm entwendeten Sachen bei sich aufgenommen hatte, eine Klage wegen Diebstahls anzustrengen; auch eine Klage wegen plagium sei statthaft. Ein Sklave des Libanios ließ sich von einer Bande von Kriminellen verleiten, seinem Herrn die Summe von 1500 Solidi zu stehlen und zu fliehen. Nach Libanios würden die Banditen die von ihnen Verführten in aller Regel ermorden, und vermutlich habe auch sein eigener Sklave dieses Schicksal erlitten. Die Flucht von Sklaven blieb ein großes Problem. Die Randgruppen dürften sich zu einem großen Teil aus ihnen rekrutiert haben. Immer wieder werden von Sklaven begangene Straftaten als Motiv für deren Flucht genannt. Sklaven waren in Lykien ohne Erlaubnis ihres Herrn ins Kloster eingetreten. Justinian nimmt dies 535 zum Anlaß, den Klostereintritt Unfreier neu zu regeln. Unter Berufung auf 741
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Vita Theod. Syc. 34 (Festugière 1, 30f.); Lib., Epist. 744, 5 (X 672); Aug., Serm. 38, 8 (CCL 41, 483); 295, 5, 5 (PL 38, 1350f.); 345, 3 (PL 39, 1519); Hier., Tract. in psalm. 96, 8 (CCL 78, 444f.); Joh. Chrys., Poenit. 5, 3 (PG 49, 309); In gen. serm. 1, 4 (PG 54, 586); In psalm. hom. 48, 2, 2f. (PG 55, 514/6); In Matth. hom. 38 (39), 3 (PG 57, 432); In epist. I ad Cor. hom. 21, 5 (PG 61, 176); In epist. ad Col. hom. 7, 5 (PG 62, 350); In epist. ad Philem. hom. 2, 2 (PG 62, 710); P. Oxy. XII 1423 (4. Jh. n. Chr.). 742 Cod. Iust. 9, 20, 12 (294 n. Chr.). 743 Lib., Or. 1, 61. 744 Lact., Inst. 5, 18, 14 (CSEL 19, 460f.); Firm., Math. 3, 7, 14; 4, 10, 5; 7, 23, 25; Bas., De ieiunio hom. 1, 10 (PG 31, 184); Epist. 323 (Courtonne 3, 195f.); Symm., Epist. 9, 140; Amm. 31, 6, 4ff.; Ambr., Obit. Valent. 58 (CSEL 73, 357); Aug., In psalm. 30, 2, serm. 1, 8 (CCL 38, 197); 138, 10 (CCL 40, 1997); Serm. 297, 6, 9 (PL 38, 1363f.); Epist. 185, 21 (CSEL 57, 20); In evang. Ioh. 41, 4 (CCL 36, 359); Hier., Epist. 5, 3; Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 8, 6 (PG 48, 936f.); Ad pop. Antioch. 2, 4 (PG 49, 39); 5, 6 (ibid. 77); 9, 3 (ibid. 108); Poenit. 5, 3 (PG 49, 309); De mutatione nominum 3, 3 (PG 51, 137); De libello repudii 2, 1 (PG 51, 218f.); In gen. hom. 38, 5 (PG 53, 357); In psalm. 3 (PG 55, 35); 43, 8 (ibid. 180); In Matth. hom. 22 (23), 5 (PG 57, 305); 23 (24), 4 (ibid. 312); In Ioh. hom. 47 (46), 3 (PG 59, 266); In act. hom. 12, 4 (PG 60, 104); In epist. ad Eph. hom. 10, 2 (PG 62, 77); 20, 2 (ibid. 137); In epist. I ad Thess. hom. 11, 3 (PG 62, 464f.); Virg. 41, 2 (Musurillo - Grillet 236/8); Jaeger 1974, 46ff.; Callinic., Vita Hypat. 21 (Bartelink 134ff.); Zos. 5, 42, 3; Soz., Hist. eccl. 9, 6, 3 (GCS 50, Bidez - Hansen 397f.); Firmus von Caesarea, Epist. 36 (Calvet-Sebasti - Gatier 152); 43 (ibid. 166); Synes., Epist. 145 (Garzya 350/2 = Migne 144, PG 66, 1540); Theodoret., Hist. rel. 9, 12 (Canivet - LeroyMolinghen 1, 426/30); Salv., Gub. 4, 13ff. (Lagarrigue 242/4); Sidon., Epist. 3, 9, 2; Eusebius Gallicanus, Hom. 14, 3 (CCL 101, 168); Cassiod., Var. 3, 43 (CCL 96, 126); Gelas., Frg. 41 (Thiel 505f.); Frg. 43 (ibid. 506f.); Vita Theod. Syc. 147 (Festugière 1, 116f.); Greg. M., Epist. 3, 1 (CCL 140, 148); 9, 192 (CCL 140A, 747); 9, 201 (ibid. 759); Epist. app. I (ibid. 1092f.); Conc. Agathense (506 n. Chr.), C. 46 (CCL 148, 212); Bellen 1971, 122ff.; R. Samson, Slavery, the Roman Legacy, in: J. Drinkwater - H. Elton (Hrsg.), Fifth-Century Gaul: A Crisis of Identity?, Cambridge 1992, 218-227, 225ff.; Neri 1998, 151ff. 745 Symm., Epist. 4, 48.
5. Soziales Profil der Straftäter
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Gal. 3, 28 stellt er den Sklaven dem Freien grundsätzlich gleich. Beide sollen eine dreijährige Vorbereitungszeit absolvieren, während der es dem Abt obliegt, herauszufinden, ob der Wunsch, im Kloster zu leben, ernst gemeint ist. Besteht der Sklave die Prüfung, so erhält er mit dem Anlegen des Mönchskleides die Freiheit. Erscheint aber vor Ablauf der Frist sein Herr und beweist, daß den Sklaven ein Diebstahl oder sonstige Verfehlungen zur Flucht ins Kloster veranlaßt haben, so muß der Sklave nach eidlicher Zusicherung der Straflosigkeit dem Eigentümer ausgeliefert werden. Kann der Herr seinem Sklaven keine Schlechtigkeit nachweisen, so nützt ihm auch nicht die Geltendmachung seiner Eigentumsrechte. Nach Verstreichen der drei Jahre bewirken auch nachgewiesene Vergehen keine Rückkehr in die Sklaverei. Sklaven begingen nach der Flucht weitere Verbrechen, wandten sich auch der Räuberei zu. Thrakien wurde im Jahre 401 von Horden, die vorgaben, Hunnen zu sein, heimgesucht. In Wirklichkeit handelte es sich um flüchtige Sklaven und Deserteure. Als sich 399 in Phrygien Tribigild, der Anführer ostgotischer Greutungen, die als Föderaten dienten, erhob, strömten den Goten sofort Sklaven sowie andere Abenteurer in so großer Zahl zu, daß ihre Masse zu einer Bedrohung ganz Kleinasiens wurde. In Pamphylien gelang es der Bauernmiliz unter Führung eines lokalen Honoratioren, des Valentinus aus Selge, die Goten zu schlagen. Zahlreiche weitere flüchtige Sklaven tauchten in den Städten unter und dürften sich dort zu einem Teil mit illegalen Aktivitäten durchgeschlagen haben. Libanios macht für die Unruhe in der Stadt Deserteure, entlaufene Sklaven und ähnliches Volk verantwortlich. Flüchtige Sklaven stellten einen nicht geringen Anteil am städtischen „Lumpenproletariat“. Zahlreiche unter ihnen bettelten. Die Reichen hielten den Bettlern vor, sie seien flüchtige Sklaven, Fremde, Taugenichtse. Insbesondere dann wurden Vorwürfe laut, wenn die Bettler noch jung und kräftig waren: Sie seien davongelaufene Sklaven. Sklaven spielten in städtischen Unruhen eine signifikante Rolle. Auch wenn der eine oder andere Vorwurf, Sklaven seien maßgeblich an Krawallen beteiligt gewesen, tendenziös sein mag, so kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß es in den Städten eine große Zahl von Sklaven gab, die über eine weitgehende 746
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Nov. Iust. 5, 2 (535 n. Chr.). Joh. Chrys., De mutatione nominum 3, 4 (PG 51, 140); Aug., Epist. 185, 23 (CSEL 57, 21f.). 748 Zos. 5, 22, 3; vgl. hierzu den Kommentar von Paschoud, S. 169f.; Bellen 1971, 115. 749 Zos. 5, 13, 4. 750 Zos. 5, 15, 5 - 16, 3. 751 Lib., Or. 26, 8. 752 Joh. Chrys., De eleemosyna 6 (PG 51, 269/72); De profectu evangelii 4 (PG 51, 314f.). 753 Joh. Chrys., In Matth. hom. 35 (36), 3 (PG 57, 409). Vgl. auch noch Cod. Theod. 14, 18, 1 (= Cod. Iust. 11, 26 [25], 1) (382 n. Chr.). 747
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Sklaven
Bewegungsfreiheit verfügten und die im Zentrum vieler Unruhen standen. 404 wird in einem an den Stadtpräfekten von Konstantinopel gerichteten Erlaß den Eigentümern mit einer Buße von drei Pfund Gold für jeden Sklaven gedroht, der an unerlaubten Versammlungen teilgenommen hat. Das Gesetz ist offenkundig im Zusammenhang mit den Unruhen um die Absetzung von Bischof Johannes Chrysostomos erlassen worden. Während der Auseinandersetzungen um die Besetzung des Bischofsstuhles in Rom 419 (zwischen den Anhängern des Bonifatius und des Eulalius) wurden die Parteigänger des Eulalius sowie der Stadtpräfekt Symmachus mit Steinen und zum Teil auch mit Schwertern angegriffen; es handelte sich bei den Gewalttätern nach dem Bericht des Symmachus zu einem großen Teil um Sklaven. Auch individuelle Gewalttaten wurden den Sklaven angelastet. Streitigkeiten von Sklaven untereinander (einschließlich Schlägereien) waren ganz alltäglich. Sklaven galten generell als unbotmäßig; es kam sogar vor, daß sie ihre Herren beleidigten oder schlugen. Und sie nutzten Spannungen innerhalb des Haushaltes zum eigenen Vorteil aus, verhielten sich gegenüber dem einen Familienmitglied ungebührlich in der Annahme, sie würden von dem anderen gedeckt. Insbesondere Frauen hatten Schwierigkeiten, sich bei ihren Sklaven Autorität zu verschaffen, ein Indiz dafür, mit welcher Widerspenstigkeit bei ihnen gerechnet werden mußte. Einen Teil ihrer Anhänger rekrutierten die Circumcellionen in Nordafrika unter den Sklaven; deren Herren wurden gedemütigt und waren Opfer von Gewalt. Die Sklaverei hatte nichts von ihrer Bedeutung als gesellschaftlicher Institution verloren, und zwar auch nicht auf dem Lande, wo die Circumcellionen ihr Hauptbetätigungsfeld hatten. Die Vermögenden sahen ihre Widersacher nicht in aufständischen oder widerspenstigen Kolonen, als vielmehr in ihren eigenen Sklaven. Während der Eroberung Nordafrikas durch die Vandalen wurden nach 754
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Hier., Epist. 92, 3; 6. Pallad., Vita Ioh. Chrys. 7 (Malingrey - Leclercq 144/6); Severus von Menorca, Epistula de miraculis sancti Stephani 13 (Bradbury 92/4). 755 Cod. Theod. 16, 4, 5 (404 n. Chr.). 756 Coll. Avellana 29 (CSEL 35, 1, 74ff.) (23. März 419), v.a. 3f. 757 Ambr., Abr. 1, 3, 10 (CSEL 32, 1, 509f.); Joh. Chrys., Lib. repud. 2, 3 (PG 51, 221); In Ioh. hom. 51 (50), 3 (PG 59, 286); In act. hom. 9, 5 (PG 60, 82); In epist. ad Eph. hom. 14, 4 (PG 62, 105); Virg. 67 (Musurillo - Grillet 336/8). Häufig verhinderte nur die Furcht vor Strafe, daß die Sklaven sich wechselseitig angriffen: Joh. Chrys., In epist. I ad Tim. hom. 16, 2 (PG 62, 589f.). 758 Aug., Civ. 21, 11; In psalm. 58, serm. 1, 15 (CCL 39, 741); Lib., Or. 16, 35f.; Joh. Chrys., In gen. hom. 52, 2 (PG 54, 459); In Matth. hom. 37 (38), 5 (PG 57, 425); 87 (88), 3 (PG 58, 772); In epist. ad Eph. hom. 16, 1 (PG 62, 112). 759 Aug., Epist. 8*, 2 (CSEL 88, 42); vgl. auch Conf. 9, 9, 20. 760 Cod. Iust. 2, 4, 13 (290 n. Chr.); Krause 1994/5, 2, 213ff. 761 Optat. 3, 4 (CSEL 26, 81/5); Aug., Epist. 108, 18 (CSEL 34, 2, 632); 185, 15 (CSEL 57, 13/5).
5. Soziales Profil der Straftäter
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Augustin viele Sklaven zu Feinden ihrer Herren und lieferten sie mitsamt ihrer Habe den Barbaren aus. Selbst Morde wurden den Sklaven ohne weiteres zugetraut. Nach Salvian war die Zahl der von Sklaven begangenen Morde nur deshalb so gering, weil sie sich aus Angst vor Strafe, d.h. dem Tod, hiervon abhalten ließen. Firmicus Maternus prophezeit die Ermordung durch Räuber oder durch Hausangehörige (Sklaven?). Das eine wie das andere stellte eine gleichermaßen große Gefahr dar. Das Verhältnis von Sklaven und Herren war von Mißtrauen geprägt; diese hatten Angst, von ihren Sklaven getötet zu werden. So meint Augustin: Was ist das für ein Reichtum, um dessen willen man Räuber fürchten muß oder einen Sklaven, der nach Ermordung seines Herrn den Reichtum raubt und flieht! Manche töteten ihre Sklaven, vor denen sie Angst hatten. Häufig waren die Gewalttaten von Sklaven durch die schlechte Behandlung, die sie von ihren Herren erfuhren, veranlaßt. Augustin diskutiert die Frage, ob ein Sklave, der Folter zu befürchten hat, seinen Herrn zu Recht tötet. Es sind einige Fälle bezeugt: So wurde der Rhetor Lampridius von seinen Sklaven ermordet. Die Schuldigen wurden schnell ergriffen und unter der Folter verhört. Sklaven wurden von Dritten gedungen, um ihren Herrn zu ermorden. Das Quellenmaterial reicht nicht aus, um genauer angeben zu können, wie groß das Risiko war, von einem Sklaven ermordet zu werden. Die Ängste hiervor waren jedenfalls sehr weit verbreitet. Vermutlich lauerten die Gefahren für das eigene Leben nicht so sehr auf der Straße (Räuber), als vielmehr im eigenen Haushalt. 762
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Serm. Frangipani 3, 3 (Morin 204). Salv., Gub. 4, 23 (Lagarrigue 250). 764 Firm., Math. 3, 4, 20; 3, 4, 23. Vgl. auch 6, 15, 5: Tod, der aus „häuslichen Feindschaften“ (domesticae inimicitiae) droht. 765 Aug., Serm. 113, 4, 4 (PL 38, 650). 766 Aug., Serm. 297, 5, 8 (PL 38, 1362f.). 767 Aug., Lib. arb. 1, 9, 25 (CCL 29, 216); 1, 10, 28ff. (ibid. 216f.). Vgl. hierzu auch Greg. Tur., Franc. 7, 46; 7, 47. 768 Sidon., Epist. 8, 11, 11ff. Weitere Fälle: Bischof Eustochius von Jerusalem, der entschieden gegen das Heidentum gekämpft hatte, wurde selbst als Heide denunziert und seines Amtes entsetzt. Er zog sich in eine Zelle im Kloster des Sergius zurück; dort lebte er 18 Jahre, bis er während der Regierungszeit Tiberius’ II. von einem seiner Sklaven, der seine Habe rauben wollte, mit einem Dolch ermordet wurde: Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 35 (Übersetzung Schönfelder 131/3). Ein Sklave wollte in Abwesenheit seines Herrn, eines Händlers aus Alexandria, dessen Frau und sechsjährige Tochter ermorden, um sich ihre Habe anzueignen: Joh. Mosch., Prat. spir. 75 (PG 87, 3, 2928). Im ostgotischen Rom kam es zu Unruhen, als Sklaven bestraft werden sollten, die ihre jüdischen Herren umgebracht hatten; die plebs erhob sich und zündete eine Synagoge an: Cassiod., Var. 4, 43 (CCL 96, 170f.). Ein weiterer Fall: Var. 2, 19 (ibid. 70). 769 Greg. M., Dial. 3, 5, 3f. (Vogüé - Antin 2, 274/6). 763
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Sklaven
Nicht nur der Eigentümer, sondern auch Außenstehende wurden Opfer krimineller Sklaven. Sklaven waren in den Städten häufig nur einer unzureichenden Kontrolle seitens ihres Herrn unterworfen; es erklärt sich so, daß sie in großer Zahl in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt waren und sich zahlreiche andere Straftaten zuschulden kommen ließen. Sie gelangten auch in den Besitz von Waffen. Es wird dem Eigentümer gestattet, einen Sklaven, wenn er bewaffnet in der Kirche um Asyl nachgesucht hat, aus der Kirche zu ziehen und auch Gewalt anzuwenden, wenn der Sklave sich widersetzte. Wurde der Sklave hierbei getötet, so blieb dies straffrei. Aus dem Ende des 4. / Beginn des 5. Jh. ist ein umfangreiches Protokoll eines Verhörs vor dem Statthalter der Thebais überliefert: Vor Gericht steht ein Sklave namens Acholius, der in eine Schlägerei verwickelt war; er wird eines Raubüberfalls bezichtigt (mit Genossen, die entflohen waren). Opfer war ein gewisser Asynkritios, ein Ratsherr. Acholius leugnet, den Asynkritios angegriffen zu haben, und behauptet, dieser habe ihn überfallen. Sklaven stellten somit vermutlich unter den Straftätern einen überproportional großen Anteil. In den staatlichen Gefängissen befanden sich zahlreiche Sklaven. Sklaven wurden schließlich von ihren Eigentümern zu Straftaten angestiftet. Die Vermögenden unterhielten große Scharen von Sklaven in ihrem Gefolge. In aller Regel waren diese Sklaven nicht bewaffnet; sie dienten der Zurschaustellung des Reichtums, der herausgehobenen sozialen Stellung ihres Herrn; sie waren ein Prestigeobjekt, keine Privattruppen. Aber sie konnten bei Bedarf bewaffnet werden. Landräubereien wurden von den Grundbesitzern mit Scharen bewaffneter Sklaven begangen. Ein Senator hatte seinen Sklaven in magische Praktiken unterweisen lassen; überführt, kaufte er sich angeblich von der Todesstrafe frei. Ein Sklave des Priesters Helpidius sollte Johannes Chrysostomos ermorden. Als er mit drei Schwertern ergriffen wurde, gelang es ihm, einige derer, die ihn festzuhalten suchten, zu töten bzw. schwer zu verwunden. Trotzdem wurde der Sklave freigelassen. Ihm waren, wie man sagte, für die Mordtat 50 Solidi gezahlt worden. Die beiden zuletzt referierten Fälle zeigen, daß die Chancen von Sklaven, 770
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Bas., Epist. 72 (Courtonne 1, 169); 73 (ibid. 170/2); P. Select 18 (= Naldini 81) (4. Jh. n. Chr.); Aug., Epist. 14* (CSEL 88, 83); 15*, 3f. (ibid. 85f.). 771 Und zwar nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer: Joh. Chrys., In gen. hom. 45, 3 (PG 54, 417f.). Diokletian bestätigt einem Sklavenbesitzer, daß er für eine atrox iniuria, die sein Sklave erlitten hat, Klage einreichen kann: Cod. Iust. 9, 35, 8 (294 n. Chr.). 772 Cod. Theod. 9, 45, 5 (= Cod. Iust. 1, 12, 4) (432 n. Chr.). 773 P. Lips. 40 (Ende 4. / Anfang 5. Jh. n. Chr.). 774 Krause 1996, 150f.; Lib., Or. 45, 11; Cod. Iust. 1, 4, 22 (529 n. Chr.); 9, 4, 6, 2 (529 n. Chr.). 775 Bas., Reg. fus. 11 (PG 31, 948). Sklaven fungierten in Ägypten als Helfershelfer bei gesetzwidrigen Aktivitäten ihrer Eigentümer: P. Oxy. LI 3620 (326 n. Chr.); P. Cair. Isidor. 141 descr. (Anfang 4. Jh. n. Chr.); P. Oxy. XLIX 3480 (ca. 360/90 n. Chr.). 776 Val. Cem., Hom. 20, 3 (PL 52, 752f.). 777 Amm. 26, 3, 4f. 778 Pallad., Vita Ioh. Chrys. 20 (Malingrey - Leclercq 402).
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selbst für schwere Straftaten nicht bestraft zu werden, gar nicht so gering waren. Der Schutz, den ihnen ihr Eigentümer gewährte, konnte sich als sehr wirkungsvoll erweisen, so daß ihre Lage im Strafprozeß häufig besser war als die armer Freier. Wurden Straftaten ohne Wissen der Herren begangen, so kam es häufig diesen zu, für eine Bestrafung der Schuldigen Sorge zu tragen; die Geschädigten wandten sich an den Eigentümer um Wiedergutmachung. Für schwerere Straftaten, die von Sklaven begangen wurden, waren aber die staatlichen Gerichtshöfe zuständig. Ein Sklave kann nach den Sentenzen des Pseudo-Paulus wegen einer schweren Beleidigung bzw. iniuria zur Bergwerksarbeit verurteilt werden; ansonsten wird er ausgepeitscht und dem Herrn sub poena vinculorum temporalium zurückgegeben. Klagt jemand einen fremden Sklaven wegen Mordes an, so kann eine Folter des Sklaven erst dann erfolgen, wenn sich der Ankläger durch eine förmliche schriftliche Anklage gebunden hat. Für eine leichtfertige Anklage droht die Vermögenskonfiskation oder eine Körperstrafe. Sklaven sollen für Gewalttaten, die sie ohne Wissen ihres Herrn begangen haben, mit dem Tode büßen. Haben sie die Straftat auf Befehl ihres Herrn verübt, so ist dieser zur Rechenschaft zu ziehen, die Sklaven sollen aber mit der Bergwerksarbeit bestraft werden. Oft deckten die Eigentümer Sklaven, die sich vergangen hatten, statt sie mit der geforderten Strenge zu bestrafen. Gegen Antoninos, Bischof von Ephesos, wurde während einer Synode in Konstantinopel u.a. die Anklage erhoben, sein Sklave habe einen Mord begangen, und er habe ihn nicht zur Verantwortung gezogen. Die Sklaven fanden, wenn sich denn ihre Straftaten nicht unmittelbar gegen die Interessen ihres Eigentümers richteten, bei diesem oftmals Schutz, selbst wenn sie sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hatten. Ammianus übt Kritik an den Senatoren der Stadt Rom: Kleine Verfehlungen von Sklaven werden mit übermäßiger Strenge bestraft; hat dagegen ein Sklave einen Fremden umgebracht, nimmt ihn der Herr in Schutz und entzieht ihn der Bestrafung. 779
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Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 20, 4 (PG 49, 202); In Hebr. hom. 24, 3 (PG 63, 169f.). Vgl. außer den weiter unten zitierten Stellen hierzu auch noch Cod. Iust. 3, 41, 3 (293 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 18, 1 (= Cod. Iust. 9, 20, 16) (315 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 17, 1 (= Cod. Iust. 9, 19, 2) (340 n. Chr.). Vgl. ferner Cod. Iust. 3, 26, 8 (358 n. Chr.): Ein Sklave oder Kolone von staatlichem Grundbesitz, der eine Straftat begangen hat, ist vor das Gericht des Provinzstatthalters zu bringen. Es soll allerdings der rationalis oder procurator des Gutes zugegen sein. Anders dagegen 3, 26, 11 (442 n. Chr.): Klagen gegen kaiserliche Kolonen oder Sklaven sollen vor den praepositus sacri cubiculi oder vor den comes domorum gebracht werden. 781 Paul., Sent. 5, 4, 22 (FIRA 2, 391). 782 Cod. Theod. 9, 1, 14 (vgl. Cod. Iust. 9, 2, 13) (383 n. Chr.). Vgl. hierzu U. Vincenti, Internecivi exerere actionem e crimen suspectae mortis intendere (CTh. 9, 1, 14), BIDR 88 (ser. 3, 27), 1985, 347-358. 783 Cod. Theod. 9, 10, 4 (= Cod. Iust. 9, 12, 8) (390 n. Chr.). 784 Pallad., Vita Ioh. Chrys. 13 (Malingrey - Leclercq 274/6). 785 Amm. 28, 4, 16. Vgl. auch noch Amm. 27, 11, 4; Lib., Or. 31, 11; Greg. M., Epist. 3, 1 (CCL 140, 147f.). 780
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Sklaven
Das Zeugnis der literarischen und juristischen Quellen sowie der Papyri ist einhellig: Diebstähle und Gewalt von Sklaven waren in den Städten und auf dem Land an der Tagesordnung. Die Sklaven trugen viel zum Sozialprestige der Vermögenden bei, aber sie waren für ihre Herren auch eine Quelle von Gefahr und ständigem Ärger. Die Menschen in der Spätantike liefen ein beträchtliches Risiko, Opfer von Beleidigungen, Diebstählen oder Gewaltakten eigener oder fremder Sklaven zu werden. Die Zusammenstellung allein der Delikte vermittelt sicher ein zu düsteres und ungünstiges Bild. Aber Straftaten von Sklaven gehörten zur Erfahrung eines jeden Stadt- wie Landbewohners. Die Bedeutung dieses Sachverhaltes erschließt sich, wenn man sich die große Zahl der Sklaven vor Augen hält. Diese war nämlich keineswegs, wie dies lange Zeit in der Forschung angenommen wurde, rückläufig. Sklaven waren allgegenwärtig. Selbst vergleichsweise arme Landbewohner hatten Sklaven, und auch in den Städten verfügten selbst als „arm“ bezeichnete Haushalte doch immer noch über Sklaven. Die Kirchenväter wenden sich in ihren Predigten immer wieder mit der Aufforderung an die Gläubigen, auf ihre Sklaven erzieherisch einzuwirken. Hieraus ist nicht zu schließen, daß im Publikum die Wohlhabenden dominierten, sondern vielmehr, daß der Besitz von Sklaven bis in die ärmeren Bevölkerungsschichten hinein verbreitet war. Kleriker (nicht nur Bischöfe), die zumeist den niederen Bevölkerungsschichten entstammten, verfügten über Sklaven, und so786
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Nathan 2000, 169ff.; Wickham 2005, Index, s.v. slaves; Harper 2011. Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 21ff. (PG 37, 858/60), v.a. 40ff.; Lib., Or. 14, 45; Joh. Chrys., De Davide et Saule 3, 3 (PG 54, 698); Hier., Epist. 69, 5; Theodoret., De providentia 7 (PG 83, 677/80); Hist. rel. 8, 14 (Canivet - LeroyMolinghen 1, 400/2); Sidon., Epist. 3, 9, 2; Cod. Theod. 2, 30, 1 (= Cod. Iust. 8, 16 [17], 7) (315 n. Chr.); 7, 20, 8 (364 n. Chr.); 1, 29, 2 (= Cod. Iust. 1, 55, 1) (365 n. Chr.); 11, 11, 1 (= Cod. Iust. 11, 55, 2) (368? 370? 373? n. Chr.); 1, 29, 5 (= Cod. Iust. 1, 55, 3) (370 n. Chr.); 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.); Nov. Iust. 32 (535 n. Chr.). 788 Lib., Or. 31, 11; Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 22, 2 (PG 62, 158); In epist. I ad Cor. hom. 40, 5 (PG 61, 354); In Hebr. hom. 28, 4 (PG 63, 197f.); De inani gloria 13 (Malingrey 90/2); Aug., In psalm. 124, 7 (CCL 40, 1840f.); 138, 10 (ibid. 1997). 789 U.a. Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 22, 2 (PG 62, 158). Vgl. hierzu auch (mit anderen Schlußfolgerungen) R. MacMullen, The Preacher’s Audience (AD 350-400), Journal of Theological Studies, N.S. 40, 1989, 503-511. 790 Bas., Epist. 37 (Courtonne 1, 79f.); Sulp. Sev., Dial. 2 (3), 15 (CSEL 1, 213f.); Aug., Serm. 356, 3 (PL 39, 1575f.); 356, 6 (ibid. 1576); Joh. Chrys., In epist. ad Phil. hom. 9, 4 (PG 62, 251f.); Pallad., Vita Ioh. Chrys. 20 (Malingrey - Leclercq 402); Paul. Nol., Epist. 15, 4 (CSEL 29, 113f.); Vita Theod. Syc. 94 (Festugière 1, 77f.); Greg. Tur., Franc. 2, 23; 3, 13; Greg. M., Dial. 1, 4, 13f. (Vogüé - Antin 2, 50/2); 3, 20, 1 (ibid. 350); Conc. Arausicanum (441 n. Chr.), C. 6 (CCL 148, 79); Conc. Arelatense sec. (442/506 n. Chr.), C. 32 (31) (CCL 148, 120); Conc. Agathense (506 n. Chr.), C. 11 (CCL 148, 200); Conc. Aurelianense (541 n. Chr.), C. 23 (CCL 148A, 138); Conc. Tol. (397/400 n. Chr.), C. 7 (Vives 21f.); Conc. Gerundense (517 n. Chr.), C. 7 (Vives 40); Conc. Tol. II (527 n. Chr.),
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5. Soziales Profil der Straftäter
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gar einfache Soldaten hatten in aller Regel zumindest einen Sklaven als Begleiter. Ein sehr großer Teil der Haushalte, in der Stadt wie auf dem Lande, verfügte über Sklaven, diese stellten weiterhin einen beachtlichen Anteil an der Bevölkerung. Über die von Sklaven ausgehende Gewalt konnte man also angesichts ihrer unvermindert großen Zahl nicht als eine Marginalie hinwegsehen. Es läßt sich damit erahnen, welche Bedeutung die Sklavenkriminalität gehabt haben muß. 791
Frauen Die Frauen waren unter den Straftätern unterrepräsentiert. Unter den Gefängnisinsassen fanden sie sich in weit geringerer Zahl als Männer. Johannes Chrysostomos sieht in Gewaltverbrechen, wie Mord oder Grabraub, ein männerspezifisches Laster. Ganz selten begegnen Frauen als Gewalttäterinnen. Aurelia Taesis beschuldigt ihren Onkel Chairemon, dessen Frau und vier Töchter, sie tätlich angegriffen, geschlagen und ihre Kleidung zerrissen zu haben. Waren Frauen in Gewalttätigkeiten verwickelt, so handelten sie meist in Gemeinschaft mit Männern, zumeist nahen Familienangehörigen. Dies läßt sich auch außerhalb Ägyptens beobachten. Symmachus war als Stadtpräfekt mit einem Fall konfrontiert, bei dem ein gewisser Marcellus darüber klagte, er sei von Venantius und dessen Schwester von seinem Land verdrängt worden. Vielfach waren die von Frauen begangenen 792
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C. 3 (Vives 43f.); Conc. Ilerdense (546 n. Chr.), C. 8 (Vives 57); Conc. Tol. III (589 n. Chr.), C. 21 (Vives 132); Cod. Theod. 4, 7, 1 (= Cod. Iust. 1, 13, 2) (321 n. Chr.); 16, 2, 8 (= Cod. Iust. 1, 3, 1) (343 n. Chr.); 16, 2, 10 (353 [320?] n. Chr.); 16, 2, 14 (= Cod. Iust. 1, 3, 2) (357 n. Chr.). 791 Sulp. Sev., Mart. 2, 5 (Fontaine 254/6). 792 Krause 1996, 175ff. Vgl. auch H.-J. Drexhage, Zu den Überstellungsbefehlen aus dem römischen Ägypten (1.-3. Jahrhundert n. Chr.), in: H.-J. Drexhage - J. Sünskes (Hrsg.), Migratio et commutatio. Studien zur alten Geschichte und deren Nachleben. Thomas Pekáry zum 60. Geburtstag, St. Katharinen 1989, 102-118, 114 zu den Überstellungsbefehlen aus dem frühkaiserzeitlichen Ägypten. Unter 95 betroffenen Personen, die vorzuladen waren, befanden sich lediglich zehn Frauen. 793 Joh. Chrys., In Matth. hom. 30 (31), 5 (PG 57, 368). 794 P. Cair. Isidor. 63 (nach November 296 n. Chr.). Vgl. weiterhin: P. Abinn. 51 und 52 (= P. Lond. II 240f., p. 277f.) (346 n. Chr.) (Klage wegen Gewalt, Täter sind Bruder und Schwester); SB III 6294 (= P. Freib. II 11) (336 n. Chr.) (Landraub, vier Täter, darunter eine Frau); P. Cair. Goodsp. 15 (362 n. Chr.) (Landraub, unter den Tätern einige Frauen, darunter eine Schwester des Hauptbeschuldigten); P. Herm. 20 (4. Jh. n. Chr.) (Klage wegen Gewalt, vier Täter, darunter eine Frau). 795 Symm., Rel. 38 (384/5 n. Chr.). Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit handelten Frauen, wenn sie sich Straftaten zuschulden kommen ließen, häufig gemeinsam mit nahen Familienangehörigen, zumeist dem Ehemann: Hanawalt 1974, 258f.; Beattie 1974/5,
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Frauen
Gewalttaten eine Folge familiärer Konflikte oder richteten sich gegen Nachbarn und Dorfgenossen. Bei den Opfern handelte es sich in aller Regel ihrerseits um Frauen. Hierfür nur ein Beispiel: Ein Ehemann klagt gegen eine Frau, die seine Gattin wiederholt geschlagen habe; sie sei beinahe ums Leben gekommen. Der Ehemann der Angeklagten soll, so wird entschieden, diese selbst züchtigen; andernfalls, wenn er sie für unschuldig halte, solle er sich mit ihr zur Führung des Prozesses am ostgotischen Königshof einfinden. Die Bestrafung wird dem Ehemann überlassen; die Hausgewalt hatte gegenüber der staatlichen Strafgerichtsbarkeit noch ein gewisses Übergewicht. Bei vielen kleineren Streitsachen wurde auf eine staatliche Strafsanktion verzichtet. Bis zu einem gewissen Grade wurde dem Ehemann weiterhin ein Züchtigungsrecht gegenüber seiner Frau zugebilligt; vermutlich war die Quote der von Frauen begangenen Straftaten, die von staatlichen Gerichten geahndet wurden, noch geringer als bei Verbrechen, die auf das Konto von Männern gingen. Kennzeichnend für die Gewalt von Frauen waren im weiteren die einfachen Mittel, mit denen sie ausgetragen wurde: Frauen verwendeten als Angriffswaffen keine Schwerter, sondern allenfalls Steine oder gingen noch häufiger lediglich mit ihren Fäusen auf ihre Gegnerinnen los. Für Frauen war in der Antike wie auch in anderen Gesellschaften eher verbale als physische Gewalt typisch. Die städtischen Unruhen gingen im allgemeinen auf das Konto der Männer. Dies läßt Libanios deutlich werden, wenn er die panische Flucht der Bevölkerung aus Antiochia nach den Unruhen von 387 schildert. Alle hätten Angst vor Bestrafung gehabt, selbst die Frauen, die doch gar nicht zu den Unruhestiftern gehört hätten. Und so würden selbst schwangere Frauen fliehen, obwohl keineswegs zu befürchten gewesen wäre, daß sie inhaftiert oder ausgepeitscht würden. Gregor von Nazianz hebt hervor, daß bei einem Volksaufruhr nicht nur die Männer, sondern sogar die Frauen zu den Waffen griffen, was ihm also als bemerkenswert gilt. Ein Brief des Symmachus enthält eine Anspielung auf drohende Unruhen im Volk: Antiochus, sein Briefpartner, der in Rom ein hohes Amt bekleidet, habe keinen Grund zurückzutreten; schließlich habe er noch nicht in zerrissenem 796
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87f.; Gonthier, 1984, 27; 37ff.; A. Finch, Women and Violence in the Later Middle Ages: the Evidence of the Officialty of Cerisy, Continuity and Change 7, 1992, 23-45, 30. 796 P. Oxy. LI 3620 (326 n. Chr.); vgl. auch BGU II 670 (Spätantike); Hier., Epist. 54, 15. 797 Lib., Or. 47, 4f.; Aug., Epist. 10*, 6, 2 (CSEL 88, 49). Auch dies entspricht der Situation im Mittelalter und in der frühen Neuzeit; die Opfer von Frauen stammten zumeist aus dem sozialen Nahbereich; es waren Verwandte, Angehörige des Haushaltes, Nachbarinnen: Hanawalt 1974, 259f.; Beattie 1974/5, 83f.; 85f.; Gonthier 1984, 30f.; Jütte 1991, 104f.; Frank 1995, 251f. 798 Cassiod., Var. 5, 32 (CCL 96, 206f.); vgl. auch 5, 33 (ibid. 207f.). 799 Aug., Epist. 8*, 2 (CSEL 88, 42). 800 Lib., Or. 22, 7f.; 23, 7ff. 801 Greg. Naz., Or. 43, 57 (Bernardi 244/8).
5. Soziales Profil der Straftäter
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Gewand vor den Scharen der Frauen fliehen müssen. Der Hintergrund mag ein Engpaß bei der Getreideversorgung gewesen sein; bei Hungerrevolten spielten Frauen auch in der frühen Neuzeit vielfach eine prominente Rolle. Unter den Dieben begegnen gleichfalls weniger Frauen als Männer. Wie die Gewaltverbrechen so wurden auch die Diebstähle zumeist nicht von den Frauen allein, sondern in Gemeinschaft mit einem Mann (dem Ehemann oder einem anderen Verwandten) begangen. Es mag sein, daß eine gewisse Scheu bestand, sie den weltlichen Gerichten zu überantworten. Jedenfalls waren die Frauen, die stahlen, keine Berufsverbrecherinnen: Eine Jungfrau stahl der Bassiane, mit der sie sich angefreundet hatte, ihren Schmuck. Der Diebstahl war durch enge Beziehungen zwischen Opfer und Täterin erleichtert worden. In diesem wie in anderen ähnlich gelagerten Fällen hatte eine günstige Gelegenheit zum Diebstahl geführt. Armut war ein Faktor, der die Eigentumskriminalität von Frauen erklärt; insbesondere Witwen stahlen. Sie hatten eine größere Bewegungsfreiheit als verheiratete Frauen, waren zudem häufiger als diese von Armut betroffen. Beides mag dazu beigetragen haben, daß sie sich in vergleichsweise großer Zahl Eigentumsdelikte zuschulden kommen ließen. Es waren aber nicht nur Witwen, die als alleinstehende Frauen in Not gerieten und u.U. genötigt waren, sich mit Kriminalität durchzuschlagen; viele Männer ließen Frau und Kinder im Stich. Kriege dürften die Lage verschärft haben. Häufig war die Frau auf sich allein gestellt; vielfach wurden Familien auseinandergerissen. Wenn der Mann verschleppt worden war oder sich auf der Flucht vor den Feinden die Wege von Mann und Frau gestrennt hatten, wie sollte eine Frau dann ihr Auskommen sichern? Wie in anderen Gesellschaften, in denen es einen Arbeitsmarkt für Frauen nicht gab, werden viele 802
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Symm., Epist. 8, 41. Seeck vermutet, daß Antiochus praefectus annonae war. Vgl. z.B. Castan 1980b, 29f. - Vgl. weiterhin Severus von Menorca, Epistula de miraculis sancti Stephani 13, 1ff. (Bradbury 92/4): Die Christen schoben die Schuld an dem Ausbruch gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den Juden auf der spanischen Insel Menorca auf jüdische Frauen, die mit Steinwürfen angefangen hätten. Greg. Naz., Epist. 77, 3 (Gallay 1, 95) (379 n. Chr.): Gregor von Nazianz verwendet sich für Arianer, die eine katholische Kirche gestürmt hatten. Bei den Tätern habe es sich um Mönche, Bettler, aber auch um Jungfrauen, die Steine geworfen hätten, gehandelt. 804 P. Oxy. XVI 1832 (5./6. Jh. n. Chr.); Caes. Arel., Reg. virg. 26 (Vogüé - Courreau 204). 805 Historia monachorum in Aegypto 22, 3f. (Festugière 129); Soz., Hist. eccl. 1, 14, 6 (Festugière 180); P. Cair. Masp. I 67091 (528 n. Chr.?). Mittelalter / Neuzeit: Gonthier 1984, 27; Hanawalt 1974, 262; Wiener 1975, 42f. 806 Firmus von Caesarea, Epist. 41 (Calvet-Sebasti - Gatier 162). 807 Mir. Thecl. 43 (Dagron 402). 808 Joh. Chrys., Sacerd. 3, 12 (Malingrey 202). 809 Lib., Or. 47, 17; Bas., Epist. 199, 31 (Courtonne 2, 161). 810 Amm. 25, 9, 5f.; Leo M., Epist. 159, 1ff. (PL 54, 1136f.); Bas., Epist. 199, 36 (Courtonne 2, 161); Cod. Iust. 5, 17, 7, pr. (337 n. Chr); Nov. Iust. 22, 14 (536 n. Chr.). 803
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Frauen
Frauen genötigt gewesen sein, sich der Prostitution oder kriminellen Aktivitäten zuzuwenden. Wir wissen nicht, ob unter den von Frauen begangenen Straftaten solche gegen Personen (Mord, Gewalt) oder gegen Sachen (Eigentumsdelikte) das Übergewicht hatten. Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit dominierten die Diebstähle (meist kleineren Zuschnitts); es war die Armut, die Frauen eher in die Eigentumskriminalität trieb als die Männer. Das bedeutet nicht, daß die Frauen mehr Diebstähle verübt hätten als Männer: Da auf ihr Konto zumeist nicht mehr als 10% der Straftaten insgesamt gehen, fällt ihnen auch nur die Minderzahl der Diebstähle zur Last. Man mag vermuten, daß die Situation in der Antike ähnlich war wie im späteren vorindustriellen Europa. Wie läßt sich die niedrige Frauenkriminalitätsrate erklären? Die Sphäre der Frau war der Haushalt; das öffentliche Agieren blieb dem Mann überlassen. Gewalt war in den Städten vor allem mit öffentlichen Plätzen verbunden. Von Frauen wurde aber erwartet, daß sie sich daheim aufhielten; daß sie so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit auftraten. Es war der Mann, der die Vertretung des Haushaltes nach außen hin übernahm. Diese Rollenverteilung wurde gerade dann praktiziert, wenn gewaltsames Auftreten gefordert war. Die Kirchenväter werfen den Frauen vor, ihre Männer zu Streitereien anzustacheln. Der Vorwurf, daß die Frauen insgeheim ihre Männer lenkten und manipulierten, ist bis zu einem gewissen Grade aus einer frauenfeindlichen Grundeinstellung vieler christlicher Autoren abzuleiten. Er war aber nicht völlig aus der Luft gegriffen. Denn wenn es zu Konflikten mit Nachbarn kam, dann war der Mann als Haushaltsvorstand gefordert. Männer hatten sehr viel mehr Gelegenheiten, in Gasthäusern oder auf öffentlichen Plätzen mit anderen Personen in Streit zu geraten. Frauen waren im wesentlichen durch die ihnen zugewiesenen Aufgaben an den Haushalt gebunden; zu Konflikten konnte es daher überhaupt im wesentlichen nur mit den eigenen Familienangehörigen, allenfalls den Nachbarinnen kommen. Die sozialen Kontakte verheirateter Frauen waren im wesentlichen über den Ehemann vermittelt und vor allem auf Geschlechtsgenossinnen beschränkt. Wenn Frauen kaum als Straftäterinnen in Erscheinung treten, so liegt dies also in den jeweils unterschiedlichen Rollen von Mann und Frau begründet. Auch die Sozialisation mag eine Rolle gespielt haben. Mädchen wurden daheim behütet, mit Spinnen und Weben beschäftigt und in sehr jungen Jahren verheiratet. Sie unterstanden damit 811
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Toulouse und Umgebung im 17./18. Jh. Castan 1971, 95. Hanawalt 1974, 261; Beattie 1974/5, 89ff.; Castan 1980b, 34ff.; A. Lachance, Women and Crime in Canada in the Early Eighteenth Century, 1712-1759, in: L.A. Knafla (Hrsg.), Crime and Criminal Justice in Europe and Canada, Waterloo, Ont. 1981, 157177, 162ff.; Jütte 1991, 97f.; Dean 2001, 77f. 813 Krause 1994/5, 2, 123ff. 814 Eus. Emes. 15, 8 (Buytaert 1, 349f.). 815 J.-U. Krause, Die gesellschaftliche Stellung von Witwen im Römischen Reich, Saeculum 45, 1994, 71-104, 72ff. 812
5. Soziales Profil der Straftäter
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der Kontrolle des Ehemannes, während die Jugendlichen männlichen Geschlechts bis hin zur Eheschließung (in einem Alter von ca. 30 Jahren) große Freiheiten genossen, Freiheiten, die sie teilweise zu einem zügellosen Lebenswandel nutzten. Der geringe Frauenanteil unter den Gewalttätern sollte jedenfalls nicht mit der größeren körperlichen Schwäche der Frauen erklärt werden, da viele Frauen durchaus schwere körperliche Arbeiten verrichteten. Sie waren sicherlich auch nicht grundsätzlich weniger aggressiv als die Männer. Es scheint oftmals eine gewisse Scheu davor bestanden zu haben, Frauen vor Gericht zu bringen. Nach Johannes Chrysostomos wurden Frauen im Gegensatz zu den Männern nur in seltenen Fällen gefoltert; man begnügte sich oft mit Schlägen. Und selbst wenn die Notwendigkeit es erfordere, spanne man aus Scham Frauen nicht auf die Folter, insbesondere wenn sie schwanger seien. Hinsichtlich des Strafmaßes wird jedoch zumindest in der Gesetzgebung kaum je nach der Geschlechtszugehörigkeit differenziert. Konstantin erließ 319 ein Gesetz gegen Falschmünzerei: Die Bestrafung solle entsprechend dem Geschlecht und dem sozialen Stand erfolgen. Während letzteres im uns vorliegenden Text ausgeführt wird, bleibt unklar, wie die Differenzierung hinsichtlich des Strafmaßes zwischen Mann und Frau aussah. Bei Geldfälschung drohte den Eigentümern, auch wenn sie selbst in die Straftat nicht involviert waren, die Konfiskation des Gutes, auf dem die Straftat begangen worden war. Konstantin nahm von dieser Strafandrohung die Witwen aus, wenn sie denn nicht Mitwisserinnen waren, ebenso noch nicht volljährige Waisenkinder, selbst wenn sie von der Straftat wußten. Im allgemeinen wurde im Strafmaß jedoch nicht zwischen Männern und Frauen differenziert. In einem Gesetz zum Thema Frauenraub werden die Strafen „citra discretionem sexus“ festgelegt. Eine Sonderstellung wurde nur den 816
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Frauen ließen häufig grausame Strafen an den Hausangehörigen (Sklaven) vollstrecken und legten hierbei auch selbst Hand an: Conc. Elv. (300/6 n. Chr.?), C. 5 (Vives 2); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 14, 1 (PG 49, 144f.); In Matth. hom. 89 (90), 4 (PG 58, 786); In epist. ad Eph. hom. 15, 3 (PG 62, 109f.); Amm. 28, 1, 49. Frauen waren nicht an sich schon friedfertiger als Männer. Hieronymus berichtet von einer alten armen Frau, die sich bei einer Verteilung von Spenden ein zweites Mal um Almosen anstellte, statt dessen aber von der vermögenden Spenderin nur einen Faustschlag erhielt: Hier., Epist. 22, 32. 817 Im spätmittelalterlichen England wurden Frauen seltener angeklagt und, wenn angeklagt, seltener verurteilt als Männer. 22,8% der Männer, aber nur 12,3% der Frauen wurden verurteilt: Hanawalt 1979, 54. 818 Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 15, 3 (PG 62, 109f.). 819 Vgl. de Robertis 1942, 648ff. (Ndr.). 820 Cod. Theod. 9, 21, 1 (319 n. Chr.). Besserstellung von Frauen in Cod. Theod. 9, 14, 3 (= Cod. Iust. 9, 8, 5) (397 n. Chr. - Osten) bezeugt (sie betrifft freilich nicht die Täter, sondern die Töchter bzw. Söhne der Täter, die für das Vergehen ihres Vaters mitbestraft werden). 821 Cod. Theod. 9, 21, 4 (= Cod. Iust. 9, 24, 1) (329 n. Chr., tatsächlich 326). 822 Cod. Theod. 9, 24, 1, 5 (320 n. Chr.). Vgl. auch Cod. Iust. 9, 13, 1, 4 (533 n. Chr.) (hier ist nur von Sklaven die Rede).
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Jugendliche
Frauen, die in Untersuchungshaft genommen wurden, eingeräumt. Denn Justinian nutzte für Straftäterinnen die Klöster als Untersuchungsgefängnisse: Frauen sollten nicht in staatliche Gefängnisse eingeliefert werden. Wurde gegen Frauen ein Prozeß wegen eines schwereren Verbrechens geführt, waren sie in einem Kloster zu inhaftieren, damit sie nicht von Männern bewacht werden mußten und ihrer Keuschheit kein Abbruch geschah. 823
Jugendliche Die Zeit von der Pubertät bis zur Eheschließung war für die Jugendlichen eine Zeit nahezu maximaler Freiheit. Sie trugen noch keine Verantwortung für eine Familie. Auf der anderen Seite übten die Eltern kaum mehr erzieherischen Druck auf sie aus. Während die Mädchen streng behütet und sehr früh verheiratet wurden, waren die jungen Männer keinerlei Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Sie schlossen Freundschaften mit Gleichaltrigen, taten sich mit ihnen in Cliquen und Gangs zusammen. Den Jugendlichen wurde schon in der Republik und frühen Kaiserzeit eine Neigung zur Gewalt zugeschrieben. Auch in der Spätantike galt die Jugend als eine Zeit der Ausschweifung und Gewalt. Die Jugendlichen sind, so die Auffassung der Zeitgenossen, leicht verführbar, bedürfen daher strenger elterlicher Kontrolle. Sie haben eine besondere Vorliebe für das Theater und die öffentlichen Spektakel (vor allem die Wagenrennen), sind dem Alkohol zugetan und bringen ihr Geld mit Prostituierten durch. Die Aussagen der Kirchenväter über diesen Lebensabschnitt sind durchgängig negativ gefärbt. Die Jugend neige in besonderem Maße zu Straftaten. Wenn man nicht durch eine strenge Erziehung entgegenwirke, so sei ein Abgleiten in die Kriminalität nahezu unvermeidlich. Die Zeitgenossen sahen in der Jugendkriminalität ein großes Problem. Und es ging hierbei durchaus auch 824
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Nov. Iust. 134, 9 (556 n. Chr.). Eyben 1993, 107ff.; 1990, v.a. 175ff. 825 Greg. Nyss., Vita Greg. Thaum. (PG 46, 900/1; 904/5); Lib., Or. 1, 5; 3, 6; 14, 68; 26, 26; Joh. Chrys., Oppugn. 2, 10 (PG 47, 348); Ad pop. Antioch. 20, 8 (PG 49, 210); In Matth. hom. 59 (60), 7 (PG 58, 582/4); Zacharias Rhetor, Vita Severi (Kugener, PO 2, 51f.); Krause 1994/5, 3, 210ff. 826 Bas., Epist. 300 (Courtonne 3, 174/6); Ambr., Hex. 1, 8, 31 (CSEL 32, 1, 31ff.); Cain et Ab. 1, 3, 11 (CSEL 32, 1, 346f.); Noe 22, 81 (CSEL 32, 1, 470f.); 29, 112f. (ibid. 489f.); Isaac 7, 60 (CSEL 32, 1, 685); Ioseph 10, 58 (CSEL 32, 2, 110); De interp. 1, 7, 21 (CSEL 32, 2, 224f.); In psalm. 118 serm. 2, 1 (CSEL 62, 19); 16, 45 (ibid. 376f.); 18, 31 (ibid. 413f.); In psalm. 36, 59 (CSEL 64, 117); Obit. Valent. 13ff. (CSEL 73, 337ff.); Joh. Chrys., De Babyla 12 (PG 50, 551); De Thecla martyre (PG 50, 746); In gen. hom. 48, 6 (PG 53, 443); 59, 1f. (PG 54, 515f.); Anna 4, 1 (PG 54, 660f.); In psalm. 118, 2 (PG 55, 678f.); In Matth. hom. 49 (50), 6 (PG 58, 503f.); Aug., C. Parm. 1, 11, 17 (CSEL 51, 38f.). 824
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um Jugendliche aus „besseren“ Familien. Die christlichen Autoren versuchten die unruhige Jugend dadurch zu bändigen, daß sie den Eltern empfahlen, ihre Söhne frühzeitig zu verheiraten. Diese Ratschläge fanden freilich kaum Gehör; das Heiratsalter der jungen Männer scheint sich allenfalls geringfügig nach unten verschoben zu haben. Für einen Großteil der städtischen Gewalt waren die Jugendlichen verantwortlich. Augustin fordert die Gläubigen dazu auf, ihren Einfluß auf Kinder, Sklaven, Freunde, Nachbarn, Klienten geltend zu machen, keine Straftaten zu begehen. Unter den Unruhestiftern werden neben den Sklaven die Jugendlichen (adolescentes) hervorgehoben: Auf diese sollten Väter, Onkel, Lehrer, Nachbarn einwirken. Paulinus von Pella berichtet von aufrührerischen Bestrebungen in der Stadt Bazas, in die er vor den Goten geflohen war. Er macht hierfür eine factio servilis verantwortlich, der sich einige freigeborene iuvenes angeschlossen hätten. Während der religiösen Auseinandersetzungen waren es gleichfalls oftmals Jugendliche, die eine besonders aktive Rolle spielten. Athanasios schreibt ihnen viele Gewalttaten während der Einsetzung des Arianers Georgios von Kappadokien als Bischof in Alexandria im Jahr 356 zu. Die Jugendlichen bildeten vielfach Cliquen, aus denen heraus auch Straftaten begangen wurden. Materielle Not war hier nicht das entscheidende Motiv, die Jugendlichen stammten zumeist aus den besitzenden Schichten. Augustin, dessen Vater Curiale war, erntete als 16jähriger mit seinen gleichaltrigen Gefährten in der Nacht den Birnbaum eines Nachbarn ab; den Großteil der Birnen verfütterten die Jugendlichen an Schweine. Es war der Reiz des Unerlaubten, der sie den Diebstahl hatte begehen lassen. Augustin betont, allein hätte er die Tat nie verübt; es sei allein die Gesellschaft mit den Freunden gewesen, die ihn hierzu getrieben habe. Die 827
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Joh. Chrys., In illud, vidua eligatur 9f. (PG 51, 329/31); Lact., Inst. 6, 19, 6ff. (CSEL 19, 554f.). 828 Eyben 1990, 143ff.; Krause 1994/5, 1, 31. 829 Greg. Naz., Carm. 2, 2, 8, Z. 150ff. (PG 37, 1587/9); Epist. 141f. (Gallay 2, 30ff.), v.a. 141, 5f. (ibid. 31); Lib., Or. 1, 226ff.; 19, 29; 19, 36f.; Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 32 (Übersetzung Schönfelder 128/30); Patlagean 1977, 227ff.; 1981; Dagron 2011, 143ff. 830 Aug., Serm. 302, 21, 19 (PL 38, 1392f.). 831 Paul. Pell. 328ff. 832 Athanas., Hist. Arian. 48 (Athanasius, Werke 2, 211); 55f. (ibid. 214f.). Haas vermutet, es habe sich um Jugendliche aus den Oberschichten gehandelt, Mitglieder von iuventus (neoi)-Organisationen. Er verweist darauf, daß Athanasios den Arianern vorwirft, eben aus diesem Kreis von Jugendlichen einige, die noch kurz zuvor Heiden gewesen seien, zu Bischöfen gemacht zu haben. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden sie, so Haas, der Klasse der Curialen angehört haben: Haas 1997, 275f. Die Hypothese von Haas ist nicht überzeugend, denn die neoi- bzw. iuventus-Organisationen spielten in der Spätantike keine Rolle mehr. Athanasios bezeichnet die Gewalttäter zudem als „agoraioi“, d.h. als gewöhnliche Leute vom Markt. 833 Aug., Conf. 2, 4, 9 – 2, 10, 18.
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Jugendliche
Kirchenväter erkannten die Gefahren, die sich aus dem Zusammenschluß Gleichaltriger ergaben, und warnten die Jugendlichen vor dem schlechten Einfluß; sie sollten statt dessen lieber mit Älteren verkehren. Die Studenten sorgten vielfach für Unruhe. Sie waren zumeist noch sehr jung. Augustin war gerade 17 Jahre alt, als er zum Studium nach Karthago ging, Eunapios zählte als Student in Athen 16 Jahre. Unter den studentischen Ausschreitungen hatten zunächst die Stadtbewohner, die Handwerker und Händler, zu leiden. In Athen nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Stadtbewohnern und Studenten (neoi) im 4. Jh. besorgniserregende Ausmaße an. Eunapios berichtet, daß aufgrund der eskalierenden Gewalttätigkeiten die Sophisten ihren Unterricht nur noch in ihren Privathäusern abhielten, weil sie in der Stadt um ihr Leben hätten fürchten müssen. Athen war auch für die teilweise blutigen Kämpfe zwischen Schülern miteinander konkurrierender Lehrer bekannt. Auch unter ihren eigenen Studenten hatten die Lehrer hin und wieder zu leiden. Die Studenten in Antiochia waren augenscheinlich weniger gewalttätig. Es kam aber auch hier zu Auseinandersetzungen der Studenten untereinander. Valentinian hielt es für geraten, die Studenten in Rom als potentielle Unruhestifter einer strengen und laufenden Kontrolle zu unterwerfen. Diejenigen, die in Rom studieren wollten, mußten sich von ihrem Provinzstatthalter eine schriftliche Genehmigung ausstellen lassen (einschließlich Angaben über Herkunft und Leumundszeugnis). Sie sollten sogleich bei ihrer Ankunft in Rom kundtun, bei wem sie zu studieren gedachten; auch ihren Wohnort mußten sie bei den zuständigen Beamten, den 834
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Eyben 1990, 142; Bas., Hom. in psalm. 1, 6 (PG 29, 225/8). Studentenleben in der Spätantike: Müller 1910. Allgemein: Eyben 1990, 166ff.; 1993, 115ff. Zum Konkurrenzkampf der Sophisten und dem sich hieraus ergebenden Parteienwesen mit seinen teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen: P. Wolf, Vom Schulwesen der Spätantike. Studien zu Libanius, Baden-Baden 1952, 49ff.; M. Pinto, La scuola di Libanio nel quadro del IV secolo dopo Cristo, RIL 108, 1974, 146-179, 157f. 836 Müller 1910, 298f. 837 Lib., Or. 1, 22; 58, 5f. 838 Eunap., Vit. soph. 483. 839 Lib., Or. 1, 19/21; 1, 25; 1, 85; 44, 2; Epist. 715 (X 643f.); Eunap., Vit. soph. 483/5. 840 Lib., Or. 58; hierzu Müller 1910, 315. 841 Lib., Or. 3, 21/3. 842 Vgl. Lib., Or. 3, 12: Libanios beklagt sich über seine Schüler, die während des Unterrichtes ihre Privatgespräche führen: über Wagenlenker, Schauspieler, Pferde, Tänzer, „über einen vergangenen oder bevorstehenden Kampf (mache)“. Sind hiermit Kämpfe der Schüler untereinander gemeint? In 3, 21f. beklagt sich Libanios darüber, daß seine Schüler sich für ihn nicht schlagen. Gelegentliche gewalttätige Auseinandersetzungen unter Studenten kamen aber auch in Antiochia vor. Denn in Or. 38, 6f. wirft Libanios seinem Gegner Silvanus vor, er habe seinen Sohn aus der Schule des Libanios weggenommen und ihn einem anderen Lehrer übergeben - mit der ausdrücklichen Ermahnung, keinen Kampf mit den Schülern seines ehemaligen Lehrers zu scheuen.
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censuales, angeben. Es wurde den Behörden ferner die Erlaubnis erteilt, Studenten, die sich nicht angemessen verhielten, züchtigen zu lassen und sie sofort in ihre Heimat zurückzuschicken. Diejenigen, die ordentlich studierten, durften sich bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr in Rom aufhalten. Wollten sie länger bleiben, so sollten sie von der Stadtpräfektur aus der Stadt verwiesen werden. Die censuales wurden verpflichtet, jeden Monat einen Bericht über die Neuankömmlinge und diejenigen, die in ihre Heimat zurückgeschickt wurden, zu erstellen. Einen jährlichen Bericht hatte der Stadtpräfekt an den Kaiser weiterzuleiten. In Karthago trieben die als eversores bezeichneten Banden von Studenten ihr Unwesen. Augustin erklärt, die Tatsache, daß in Rom die Studenten einer strengeren Disziplin unterworfen seien, sei der eigentliche Grund dafür gewesen, daß er seine Tätigkeit hierhin verlegt habe. Das strafwürdige Verhalten der Studenten in Karthago werde von den Behörden toleriert; die Gesetze kämen ihnen gegenüber nicht zur Anwendung. Auch in den Circusparteien dominierten die Jugendlichen. In den Berichten über den Nika-Aufstand ist von einer Gruppe von 250 bzw. 200 bewaffneten Jugendlichen die Rede, die der Partei der Grünen angehörten und die sich im Kampf gegen Justinian hervortaten. Justinian wird von Prokop vorgehalten, er habe die gewalttätigen Auseinandersetzungen der Circusparteien, in denen die Jugendlichen sich besonders profilierten, toleriert; diese hätten sich auch zahlreicher gewöhnlicher Verbrechen schuldig gemacht. Die jugendlichen Mitglieder der 843
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Cod. Theod. 14, 9, 1 (370 n. Chr.) (an den Stadtpräfekten). Zu den censuales und ihren Aufgaben s. Sinnigen 1957, 70ff. Zur Kontrolle des höheren Schulwesens in Rom durch den Stadtpräfekten Chastagnol 1959, 283ff.; zum Schulwesen in der spätantiken Gesetzgebung C. Kunderewicz, Le gouvernement et les étudiants dans le Code Théodosien, RD, sér. 4, 50, 1972, 575-588. 844 Aug., Conf. 3, 3, 6. 845 Aug., Conf. 5, 8, 14. Dafür hatten die Studenten in Rom die Neigung, wie Augustin bald erfahren mußte, ihre Lehrer um ihren Lohn zu betrügen: Conf. 5, 12, 22. Auch bei Libanios Klagen darüber, daß die Schüler ihre Lehrer im Stich lassen und ihnen den Lohn schuldig bleiben: Müller 1910, 314. 846 Chronicon Paschale, ad ann. 531, p. 625; Theophanes, Chron. A.M. 6024 (de Boor 185, 6-8). Vgl. aber auch Dagron 1974, 357f.: Die 200 oder 250 Grünen, die 532 den Usurpator militärisch ausgerüstet unterstützten, seien möglicherweise nichts anderes als reguläre Armeeangehörige mit Sympathien für die Grünen gewesen. 847 Proc., Hist. arc. 7, 1ff. Viele junge Männer hätten sich den Blauen angeschlossen, nicht weil sie für die Sache begeistert gewesen wären, sondern weil sie die Möglichkeit, Straftaten begehen zu können, gereizt habe: Hist. arc. 7, 23f. Auch in anderen Städten des Reiches ließen sie sich schwere Straftaten zuschulden kommen. In Kyzikos taten sich einige „junge Leute“ (neaniai), Mitglieder der Partei der „Grünen“, zusammen und töteten auf der Agora ihren Bischof. In den Verdacht, den Mord angezettelt zu haben, geriet Johannes der Kappadokier, von dem bekannt war, daß er mit Bischof Eusebios verfeindet war: Proc., Bell. Pers. 1, 25, 37ff.; Hist. arc. 17, 38ff. Gewaltverbrechen werden von den Angehörigen der Circusparteien auch für Jerusalem kurz vor der Eroberung durch die
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Jugendliche
Circusfaktionen stammten zumindest zum Teil aus besitzenden Familien. Trotz der von ihnen ausgehenden Gewalt tolerierte der Staat die Circusfaktionen. Sie wurden hier und da bei der Verteidigung von Städten gegen die Barbaren als Milizen eingesetzt. Ihre Blütezeit (mit Gewalttaten, die jedes Maß überschritten) erlebten die Circusparteien im 6. Jh. Schon vorher waren die Jugendlichen im Pferdesport und Theater engagiert, und es kam auch gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die jedoch bei weitem nicht so blutig waren wie im 6. Jh. Das Rowdytum der Studenten trug viel zur Gewalt in den größeren Städten bei, ebenso die Aktivitäten der Circusparteien, in denen gleichfalls die Jugendlichen dominierten. Aber die staatlichen und städtischen Organe gingen nicht entschlossen gegen die Unruhestifter vor. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Studenten und die Mitglieder der Circusfaktionen zu kriminalisieren. Dasselbe gilt für die Clique, der Augustin angehörte: Augustin war der Sohn eines Curialen, eine ähnliche soziale Herkunft wird man bei seinen Kameraden vermuten dürfen. Ihr gesetzwidriger Zeitvertreib war auf eine Übergangsphase beschränkt, eine Zeit, während derer die Jugendlichen, da noch nicht Vorstand eines eigenen Haushaltes, auch noch keine Verantwortung zu tragen hatten. Waren auch unter den gewöhnlichen Kriminellen wie im Mittelalter und früher Neuzeit Jugendliche bzw. junge Männer überrepräsentiert? Antike Autoren gehen davon aus, daß in den Räuberbanden die Jugendlichen dominierten. Das hat etwas von einem Topos, der allerdings einen Kern Wahrheit enthalten haben dürfte. Zwar hatten manche Räuber eine Familie, in aller Regel aber waren die Personen, die ein ungebundenes Leben führen wollten, ohne Frau und Kinder. Die Chancen, in diesem Gewerbe alt zu werden, waren gering. Die Räuber dürften daher vornehmlich junge Männer gewesen sein. Ammianus Marcellinus bezeichnet die Mitglieder der Isaurierbanden, die in der Mitte des 4. Jh. die umliegenden Ebenen unsicher machten, als adulescentes. 848
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Perser 614 berichtet: La prise de Jérusalem par les Perses en 614 (lat. Übers.), 2 (hrsg. G. Garitte, CSCO 203, Louvain 1960, 4f.). 848 Proc., Hist. arc. 7, 25ff. 849 Proc., Bell. Pers. 2, 28. 850 Dagron 1974, 348ff. 851 Greg. Naz., Carm. 2, 2, 8, Z. 150ff.. (PG 37, 1587/9). 852 Farge – Zysberg 1979, 988; Castan 1980a, 237ff.; 1980b, 39ff.; Ruff 1984, 132; Beattie 1986, 247; A. Farge, Das brüchige Leben. Verführung und Aufruhr im Paris des 18. Jahrhunderts, Berlin 1989, 166f.; Muchembled 1989, 41f.; 221ff.; Schwerhoff 1991, 304ff.; 354; Brackett 1992, 134; Garnot 1992, 290f.; King 2000, 169ff. Zur Jugendkriminalität im Mittelalter und in der frühen Neuzeit vgl. generell E. Cohen, Youth and Deviancy in the Middle Ages, in: A.G. Hess – P.F. Clement (Hrsg.), History of Juvenile Delinquency, Bd. 1, Aalen 1990, 207-230; A.G. Hess, Juvenile Crime in the Early Modern Age, in: A.G. Hess – P.F. Clement (Hrsg.), History of Juvenile Delinquency, Bd. 1, Aalen 1990, 231-244. 853 Apul., Met. 4, 8, 1; 7, 4, 3ff.; Dio Cass. 74 (75), 2, 4ff. 854 Amm. 14, 2, 1.
5. Soziales Profil der Straftäter
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Die uns überlieferten Petitionen aus Ägypten enthalten nur selten einmal einen Hinweis auf das Alter des Beschuldigten. Gleichwohl scheinen die Jugendlichen unter den Straftätern stark vertreten gewesen zu sein. Der Freund Augustins, Alypius, wurde in Karthago als Dieb aufgegriffen: Man verdächtigte ihn, von einem Gitter auf dem Forum Blei entwendet zu haben. Wie sich alsbald herausstellte, war der Täter ein junger Student, der sich zusammen mit seinem Sklaven an dem Bleigitter zu schaffen gemacht hatte. Der Einsiedler Innozenz half einer alten Frau bei der Wiederauffindung eines gestohlenen Schafes und der Dingfestmachung der Diebe; es waren junge Leute, die das Schaf geschlachtet hatten. Ein junger Mann, der keiner geregelten Arbeit nachgehen wollte und seine Habe vergeudet hatte, lebte von Diebstählen. Jugendliche neigten vielfach zur Gewalt, und sie waren in den Städten für allerlei kriminelle Geschäfte anzuwerben. Unter den meist jugendlichen Mitgliedern der Circusparteien wurden im 6. Jh. in Konstantinopel und anderswo Mörder gedungen. Auch Sexualdelikte (Vergewaltigung, Ehebruch) gingen auf das Konto Jugendlicher. Die jungen Männer heirateten spät, und sie mußten einen langen Zeitraum zwischen Pubertät und Eheschließung überbrücken. Wenn Jugendliche bzw. junge Männer (bis 30 Jahren) vielfach in kriminelle Aktivitäten verstrickt erscheinen, so erklärt sich dies aus ihrer familiären Ungebundenheit. Die Altersstruktur vorindustrieller Gesellschaften unterscheidet sich in ganz fundamentaler Weise von derjenigen moderner Industriegesellschaften. Nach der Mußmaßung von B. Frier dürfte sich der Anteil der 15-30jährigen an der Gesamtbevölkerung im Römischen Reich bei ca. 27,5% bewegt haben. Allein schon aus diesem Umstand folgte, daß die Kriminalität im Römischen Reich zu 855
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Pasnos und seine Schwester Hermodora klagen beim Provinzstatthalter: Eine Anzahl Jugendlicher habe, ihrer Überzahl vertrauend, die Geschwister angegriffen und wohl aus ihrem Haus verdrängen wollen: P. Panop. 27 (= SB XII 11220) (323 n. Chr.). 856 Aug., Conf. 6, 9, 14f. 857 Pallad., Hist. Laus. 44, 5 (Bartelink 216/8). 858 Joh. Mosch., Prat. spir. 77 (PG 87, 3, 2929/32). 859 Greg. Nyss., Vita Greg. Thaum. (PG 46, 925/8). 860 Gegner des Libanios in Antiochia stifteten einen jungen Mann, einen Homosexuellen, an, beim Caesar Gallus Anklage gegen Libanios wegen Magie zu erheben. Die Belohnung für die verleumderische Anklage sei der Beischlaf mit einem Tänzer gewesen: Lib., Or. 1, 98f. Um sich an seinen Priester Isidoros zu rächen, bezichtigte Theophilos, Bischof von Alexandria, den Isidoros fälschlicherweise des homosexuellen Verkehrs mit einem Jüngling. Als Isidoros darauf drängte, seinem Ankläger gegenübergestellt zu werden, warb Theophilos einen jungen Mann an, der für seine Falschaussage 15 Goldstücke erhielt: Pallad., Vita Ioh. Chrys. 6 (Malingrey - Leclercq 134/6). 861 Proc., Hist. arc. 7, 1ff.; 17, 38ff.; Bell. Pers. 1, 25, 37ff. 862 Vergewaltigung: Ambr., Laps. virg. 4, 12 (PL 16, 386); Joh. Mosch., Prat. spir. 60 (PG 87, 3, 2912f.); Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 50 (86/9 Gelzer) (Festugière 399/401); Ehebruch: Hil., In psalm. 144, 14 (CSEL 22, 834f.). 863 B. Frier, Roman Life Expectancy: Ulpian's Evidence, HSPh 86, 1982, 213-251, 245.
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einem großen Teil Jugendkriminalität war. Die spätrömische Gesellschaft war eine sehr junge Gesellschaft. Im klassischen Recht galt die Jugend kaum als strafmildernder Faktor. In den Strafgesetzen wird im Strafmaß überhaupt nicht nach dem Alter differenziert. Einige Autoren sehen jedoch im jugendlichen Alter eine Entschuldigung für Straftaten. Symmachus setzte sich bei Bischof Ambrosius von Mailand für einen jungen Mann ein, der, wie es heißt, adulescentiae prolapsus errore verurteilt worden war und nun beim Kaiser um Begnadigung nachsuchte. Ambrosius sollte dieses Gesuch offenbar am Hof unterstützen. Zwei clarissimi viri waren als Angeklagte wegen violentia unter militaris custodia gestellt worden. Als der Ankläger, der agens in rebus Africanus, seine Vorwürfe nicht erhärten konnte, drohte ihm seinerseits die Bestrafung wegen calumnia. Symmachus, der als Stadtpräfekt mit dem Fall befaßt war, sieht von dieser harten Maßnahme einstweilen wegen der Jugend des Klägers und seinem Amt ab und befragt den Kaiser, wie zu verfahren sei. Ein Jugendlicher, der magische Bücher vervielfältigt hatte, wurde in erster Instanz lediglich zur Verbannung verurteilt; als strafmildernd galt, daß sein „Verstand aufgrund seines Alters noch nicht gekräftigt war“ (nondum per aetatem firmato consilio). Er beging den Fehler, auf Drängen seines Vaters zu appellieren, er wurde daraufhin am Kaiserhof zum Tode verurteilt. Libanios setzt voraus, daß das jugendliche Alter einiger der Unruhestifter von Antiochia 387 ein Grund für Milde hätte sein können; sie wurden gleichwohl wie die anderen hingerichtet. Ein vergleichsweise großer Teil der jugendlichen Strafäter dürfte nicht vor die staatlichen Gerichte gekommen sein. Das Hausgericht des pater familias über seine Familienangehörigen bestand bis in die Kaiserzeit hinein fort. Straftaten, die 864
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De Robertis 1942, 554ff. (Ndr.). Vgl. auch B. Perrin, La responsabilité délictuelle de l’impubère en droit romain classique. Position du problème, Annales Universitatis Saraviensis 3, 1954, 238-246; ders., L’Installation et le „baptême“ du proximus pubertati en droit pénal romain classique, in: Mélanges offerts à René Savatier, Paris 1965, 763778; ders., La responsabilité pénale du mineur de vingt-cinq ans en droit romain, in: Mélanges d’Archéologie et d'Histoire offerts à André Piganiol, Bd. 3, Paris 1966, 14551465; G. Cervenca, Note in tema di responsabilità penale del minor XXV annis, in: Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino 6, Napoli 1984, 2739-2759; Humbert 1991, 164f. 865 De Robertis 1942, 652f. (Ndr.). 866 Hier., In Is. 16, 58, 10 (CCL 73 A, 668/71). 867 Symm., Epist. 3, 35 (vor 398 n. Chr.). 868 Symm., Rel. 49 (384/5 n. Chr.); vgl. hierzu Vera 1981, 345ff. 869 Amm. 28, 1, 26. 870 Lib., Or. 19, 36f. Vgl. auch Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 3, 6 (Migne 49, 56). 871 A. Balducci, Intorno al iudicium domesticum, AG 191, 1976, 69-97; A. Ruggiero, Nuove riflessioni in tema di tribunale domestico, in: Sodalitas. Scritti in onore di Antonio Guarino, Bd. 4, Napoli 1984, 1593-1600. Vgl. auch noch Aug., Un. eccl. 20, 53 (CSEL 52, 301).
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im Kreise der Familie begangen wurden, wurden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht vor staatliche Gerichte gebracht. Einem Familienvater war es nach klassischem römischem Recht gar nicht möglich, gegen seinen Sohn wegen Diebstahls Klage zu erheben; er mußte selbst für dessen Bestrafung Sorge tragen. Allerdings wurde die häusliche Strafgewalt zunehmend eingeschränkt. Einem Familienvater war es nicht mehr gestattet, seinen Sohn, ohne ihn gehört zu haben, zu töten. Er mußte ihn beim Statthalter oder in Rom beim Stadtpräfekten anklagen. In reduziertem Umfang bestand das Hausgericht aber fort. 365 wurde den Verwandten durch Gesetz ausdrücklich die Vollmacht erteilt, einen Jugendlichen im Rahmen des ius patrium zu züchtigen. War das Vergehen des jungen Mannes schwerer, so sollte er vor ein öffentliches Gericht gebracht werden. Es ist offenbar an Jugendliche gedacht, die ihren Vater verloren hatten: Sie wurden der (freilich mittlerweile stark eingeschränkten) kollektiven Züchtigungsgewalt der Verwandten unterworfen. Sicher hat es unter den Jugendlichen auch Berufsverbrecher gegeben, die mit Diebstählen ihren Lebensunterhalt bestritten. Typisch für die „Jugendkriminalität“ ist dies aber nicht. Eher charakteristisch für die Jugendlichen sind Alkoholkonsum und Kneipenbesuch, Sexualdelikte (Ehebruch und Vergewaltigungen), gewalttätige Ausschreitungen im Zusammenhang mit Theateraufführungen und Wagenrennen, Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Jugendgruppen (Studentenvereinigungen). All dies definiert die gewalttätigen Jugendlichen nicht als eine „Randgruppe“, sondern als eine Altersgruppe, die darauf wartet, in die Erwachsenenwelt integriert zu werden. Es handelte sich bei den Jugendlichen, die die Kneipen frequentierten und deren ganze Leidenschaft den Wagenrennen und dem Theater galt, schwerlich um Angehörige der Unterschichten, die bereits in sehr jungen Jahren einen Beitrag zu den Familienfinanzen leisten mußten. Die Gewalt ging nur zum kleineren Teil auf Deklassierte oder „Marginale“ zurück, sondern häufig eher auf die Söhne der städtischen Oberschichten. Jugendliche Gewalttäter (Studenten, Mitglieder der Circusparteien sowie jugendlicher Banden) prägten das städtische Leben. Die Spätantike hat dies mit der frühen Kaiserzeit, aber auch mit anderen vorindustriellen Gesellschaften gemein. 872
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Dig. 47, 2, 16 (Paulus); 47, 2, 17, pr. (Ulpian); 47, 2, 36, 1 (Ulpian); 47, 2, 52, 4f. (Ulpian). 873 Dig. 48, 8, 2 (Ulpian); 48, 9, 5 (Marcianus). Väter brachten Söhne, die sich ihnen gegenüber unbotmäßig verhielten, vor den Statthalter: Dig. 1, 16, 9, 3 (Ulpian); 37, 15, 1 (Ulpian). Vgl. weiterhin Joh. Chrys., Oppugn. 2, 10 (PG 47, 348). 874 Cod. Theod. 9, 13, 1 (= Cod. Iust. 9, 15, 1) (365 n. Chr.). 875 Im Vergleich zur frühen Kaiserzeit mag die Gewalt der Jugendlichen rückläufig gewesen sein. In den iuventus- bzw. neoi-Organisationen der frühen und hohen Kaiserzeit erhielten die Jugendlichen zwar keine paramilitärische Ausbildung, aber sie wurden doch augenscheinlich auch im Gebrauch von Waffen geübt. Literarische und juristische Quellen bezeugen die Ausschreitungen der iuvenes, die mancherorts einen Unruheherd darstellten. In den Municipien kam es häufig bei Spielen zu Krawallen von iuvenes: Dig. 48,
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Man wird also die Erklärung für diesen Befund nicht in den spezifischen sozialen und ökonomischen Bedingungen der Zeit suchen dürfen. Sicher befriedigt es aber auch nicht, in der Aufsässigkeit der Jugendlichen gewissermaßen eine anthropologische Konstante zu sehen. Eher ist auf die Ungebundenheit der Jugendlichen hinzuweisen, die sehr spät heirateten und einen langen Zeitraum verbrachten, ohne die Verantwortung für Frau und Kinder tragen zu müssen. Sie hatten kaum Zerstreuungen und lebten in einem langen Zölibat, sie versuchten ihre Kräfte und wollten Anerkennung bei ihren Altersgenossen gewinnen. Während eines Übergangsstadiums zwischen Kindheit und Erwachsenenalter genossen die Jugendlichen vergleichsweise große Freiheiten, die auch die Ausübung von Gewalt beinhalteten. Den Eltern wird von den christlichen Autoren ihr liberaler Erziehungsstil vorgehalten: Sie verzögen ihre jugendlichen Söhne, gestatteten ihnen den Verkehr mit Prostituierten, verhinderten nicht, daß sie ihre Zeit in Kneipen, mit Würfelspiel und im Theater zubrächten. Die Väter ließen ihren Söhnen in dem schwierigen und sich über Jahre hinziehenden Zeitraum des Erwachsenwerdens (der erst mit der zumeist sehr spät stattfindenden Eheschließung sein Ende fand) große Freiräume. Augustins Vater ermutigte seinen Sohn geradezu, seine Sexualität zu erkunden, während seine Mutter Monica Angst hatte, Augustin 876
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19, 28, 3 (Callistratus). Jacques hat plausibel machen können, daß hier sehr wohl an die Mitglieder der iuventus-Organisationen gedacht ist: F. Jacques, Humbles et notables. La place des humiliores dans les collèges de jeunes et leur rôle dans la révolte africaine de 238, AntAfr 15, 1980, 217-230 (anderer Auffassung sind M. Vanzetti, Iuvenes turbolenti, Labeo 20, 1974, 77-82 und P. Ginestet, Les organisations de la jeunesse dans l’Occident Romain, Collection Latomus 213, Bruxelles 1991, 185ff.). Im Jahr 238 konnten die iuvenes in Nordafrika gar einen Aufstand gegen die Zentralregierung organisieren. Andernorts wurden sie als Miliz im Bürgerkrieg oder gegen eingefallene Barbaren eingesetzt: MacMullen 1963, 135ff.; E. Birley, Local Militias in the Roman Empire, in: Bonner Historia-Augusta-Colloquium 1972/1974, Bonn 1976, 65-73, 65f.; Ginestet 159ff. Jaczynowska warnt allerdings davor, den paramilitärischen Charakter der iuvenes zu überschätzen: M. Jaczynowska, Les associations de la jeunesse romaine sous le HautEmpire, Archiwum filologiczne 36, Wroclaw - Warszawa - Kraków - Gdansk 1978, 60ff. Zu den neoi im Osten vgl. C.A. Forbes, Neoi: A Contribution to the Study of Greek Associations, Middleton, Conn. 1933 (hier war der paramilitärische Charakter noch sehr viel weniger ausgeprägt als bei den iuventus-Organisationen im Westen). In der Spätantike hören die iuventus-Organisationen nun auf zu bestehen, damit entfällt auch die Ausbildung der Jugendlichen im Waffenhandwerk, was zur Befriedung der Städte beigetragen haben mag. Die Circusfaktionen traten zwar in gewisser Hinsicht die Nachfolge der iuventutes an; sie konnten hier und dort auch als Milizen zur Abwehr äußerer Feinde eingesetzt werden. Die wenigsten dieser „Milizionäre“ scheinen aber über kriegstaugliche Waffen verfügt zu haben. Zum Ende der iuventus-Organisationen vgl. auch C. Lepelley, Iuvenes et circoncellions: les derniers sacrifices humains de l'Afrique antique, AntAfr 15, 1980, 261-271. 876 So E. Shorter, Jugend, Gewalt und soziale Kontrolle in drei Jahrhunderten, in: W. Ferchhoff – Th. Olk (Hrsg.), Jugend im internationalen Vergleich. Sozialhistorische und sozialkulturelle Perspektiven, Weinheim – München 1988, 45-51.
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könne durch einen Ehebruch in ernste Schwierigkeiten geraten. Die Jugendlichen stellten die Normen der Erwachsenenwelt nicht in Frage, bildeten keine Gegenkultur. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Phase der Ausschweifung und Gewalt, die die Jugendlichen durchmachten, war Teil des Sozialisationsprozesses. Die Jugendlichen, die sich in den Circusfaktionen engagierten, würden sich demnach gar nicht so sehr von den Jugendgruppen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit unterscheiden, deren zum Teil überaus gewalttätige Aktivitäten von den städtischen Obrigkeiten toleriert wurden. Diese Organisationen, in denen sich die Jugendlichen zusammenschlossen, integrierten die Jugendlichen in die Gesellschaft. 877
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Soldaten Zahllos sind die Klagen über Übergriffe von Soldaten. Die Tatsache, daß in der Spätantike allenthalben, auch im Inneren des Reiches, Soldaten stationiert waren, kann zu einer Zunahme der Gewalt geführt haben. Polemisch wirft Zosimos Konstantin vor, er habe die Grenzen von Truppen entblößt und diese statt dessen 879
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Conf. 2, 3, 6ff. N.Z. Davis, The Reasons of Misrule, in: dies., Society and Culture in Early Modern France, Stanford 1975, 97-123; J. Rossiaud, Prostitution, jeunesse et société dans les villes du Sud-Est au XVe siècle, Annales E.S.C. 31, 1976, 289-325. 879 MacMullen 1963, 86ff.; Lib., Or. 47, 4ff.; 47, 33; Ambr., Hex. 6, 4, 23f. (CSEL 32, 1, 219/21); Amm. 21, 5, 8; Sulp. Sev., Dial. 1 (2, 3) (CSEL 1, 183f.); Synes., Epist. 6 (Garzya 90/2); Aug., Divers. quaest. 79, 4 (CCL 44 A, 228/30); Serm. 302, 16, 15 – 18, 16 (PL 38, 1391); Epist. 220, 6 (CSEL 57, 435f.); C. Petil. 2, 23, 53 (CSEL 52, 51); 2, 35, 82 (ibid. 68); Symm., Epist. 7, 38, 1; 9, 48 (45); Max. Taur., Serm. 26, 1 (CCL 23, 101); Petr. Chrys., Serm. 26, 5 (CCL 24, 150f.); Hyd., Chron. 48 (Tranoy 1, 116); Chronicon pseudo-dionysianum (= Pseudo Joshua), p. 306/8 (Übersetzung Chabot 225/7); Proc., Hist. arc. 14, 13ff.; Johannes Lydus, De magistratibus 3, 70; Vita Theod. Syc. 19 (Festugière 1, 16f.); Miracula Demetrii 251f. (Lemerle 213f.). Frauen wurden von Soldaten vergewaltigt oder verführt. Daß die Soldaten vielfach in den Städten stationiert waren, vergrößerte die Gefahr für Frauen, Opfer ihrer Zudringlichkeiten zu werden: Apophtegmata patrum 3, 49 (Guy, Sources Chrétiennes 387, 178); Vita Symeon. Styl. 35 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 121); Greg. M., Epist. 14, 10 (CCL 140 A, 1079f.). Ägypten: R. Rémondon, Militaires et civils dans une campagne égyptienne au temps de Constance II, Journal des Savants 1965, 132-143, 142f.; P. Abinn. 18 (= P. Lond. II 408, p. 283f.) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); 28 (= P. Lond. II 411, p. 281) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.); P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.). Bereits im dritten Jahrhundert häufen sich Inschriften, die vielfältige Gewaltakte und Erpressungen von Soldaten bezeugen: P. Herrmann, Hilferufe aus römischen Provinzen. Ein Aspekt der Krise des römischen Reiches im 3. Jhdt. n. Chr., Hamburg - Göttingen 1990; W. Scheidel, Dokument und Kontext: Aspekte der historischen Interpretation epigraphischer Quellen am Beispiel der „Krise des dritten Jahrhunderts“, RSA 21, 1991, 145-164; Mitchell 1993, 228ff.
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Soldaten
im Inneren des Reiches stationiert. Dies sei insbesondere für die Städte eine große Belastung gewesen, die unter den Übergriffen der Soldaten zu leiden gehabt hätten und infolgedessen verödet seien. Dies ist selbstverständlich eine arge Übertreibung; daß aber die ständige Präsenz von Soldaten auch in Kernregionen und nicht mehr nur den Grenzgebieten des Reiches den Alltag der Zivilbevölkerung verändert hat, wird man Zosimos konzedieren dürfen. Vor allem die Bauern hatten unter Übergriffen zu leiden. Aus den literarischen Quellen entsteht der Eindruck, daß die Soldaten (neben den Sklaven und Jugendlichen) für einen Großteil der Gewalt und Kriminalität im Römischen Reich verantwortlich waren. Dies wird durch die juristischen Quellen bestätigt, die wiederholt von Erpressungen und Räubereien einquartierter Soldaten handeln. Die Disziplin der Soldaten konnte nicht immer gewährleistet werden. 391 wird der Zivilbevölkerung ausdrücklich das Recht der Selbsthilfe auch gegen Soldaten eingeräumt, die nachts auf fremden Grundbesitz eindrangen oder sich auf den Straßen in einen Hinterhalt legten. Soldaten entfernten sich aus ihrem Lager und trieben sich auf privatem Grund und Boden herum (wo sie sich, wie vermutet werden darf, allerlei Gewalttaten und Räubereien zuschulden kommen ließen). Nach einem Gesetz Justinians hatte der Provinzstatthalter die Aufgabe, Räuber und andere Verbrecher aufgreifen zu lassen. Als potentielle Straftäter werden auch die Soldaten genannt. Die Berichte über die Übergriffe von Soldaten dokumentieren ein großes Gewaltpotential und lassen die relative Friedfertigkeit der Zivilbevölkerung nur noch umso deutlicher zu Tage treten. Die Gewalt ging in erster Linie von den Staatsorganen (nicht nur den Soldaten, sondern etwa auch den Steuereintreibern) aus, nicht den Zivilisten. Auf der anderen Seite dürfen die Konsequenzen der Gewaltbereitschaft der Soldaten nicht dramatisiert werden. Dio Cassius sah in der hohen 880
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Zos. 2, 34. Greg. Nyss., Or. in XL martyres (II) (PG 46, 784); Claud., Cons. Stil. 1, 160ff.; Aug., In psalm. 136, 3 (CCL 40, 1965); Proc., Hist. Pers. 1, 9, 7f.; Agathias 4, 21f.; Vita Theod. Syc. 147 (Festugière 1, 116); C. Diehl, Rescrit des empereurs Justin et Justinien en date du 1er juin 527, BCH 17, 1893, 501-520. 882 Cod. Theod. 7, 9, 1 (340 n. Chr.); 7, 9, 2 (= Cod. Iust. 12, 41 [42], 1) (340/61 n. Chr.); 7, 9, 3 (369 n. Chr.); 7, 9, 4 (416 n. Chr.). Vgl. auch Cod. Theod. 12, 1, 128 (392 n. Chr.). 883 Cod. Theod. 9, 14, 2 (= Cod. Iust. 3, 27, 1) (391 n. Chr.). 884 Cod. Theod. 7, 1, 12 (= Cod. Iust. 12, 35 [36], 11) (384 n. Chr.); 7, 1, 16 (vgl. auch Cod. Iust. 12, 35 [36], 13, 2) (398 n. Chr.); 7, 18, 10 (400 n. Chr.); 7, 18, 17 (412 n. Chr.). Vgl. auch noch Cod. Theod. 14, 11, 1 (397 n. Chr.). Privatleute bedienten sich regulärer Soldaten, um ihre Forderungen einzutreiben. Es war den Soldaten offenbar möglich, sich über längere Zeiten hin von ihren Einheiten zu entfernen, ohne daß sich hierum jemand gekümmert hätte: Cod. Iust. 4, 7, 5 (290 n. Chr.); Cod. Theod. 1, 21, 1 (393 n. Chr.); 7, 1, 15 (396 n. Chr.); Cod. Iust. 3, 13, 5 (397 n. Chr.); Cod. Iust. 12, 35 (36), 13 (= Cod. Theod. 7, 1, 17) (398 n. Chr.); Cod. Theod. 1, 6, 11 (423 n. Chr.); Nov. Iust. 60, pr.; 1 (537 n. Chr.); 116 (542 n. Chr.). 885 Cod. Iust. 1, 40, 17 (Justinian). Vgl. auch noch Nov. Iust. 17, 4 und 10 (535 n. Chr.); 30, 7, 2 (536 n. Chr.); 130, 5 (545 n. Chr.); Ed. Iust. 8, 3, pr. (548 n. Chr.).
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Kaiserzeit eine Verbindung zwischen der Aushebung von Soldaten und der Rückführung der Gewalt: Die Berufsarmee sei für das flache Land (vor allem in Italien) eine große soziale Entlastung gewesen, da die jungen Männer in ihr hätten dienen können, statt sich der Räuberei zuwenden zu müssen. Daß ein ähnlicher Zusammenhang auch in der Spätantike bestanden haben mag, sollte nicht a priori von der Hand gewiesen werden. Sicher waren die meisten Rekruten Kolonen oder Bauern, die von ihrem Pachtherrn oder der bäuerlichen Gemeinde gestellt wurden; sie wurden aus der Landarbeit herausgerissen; es waren keine gesellschaftlichen Außenseiter, die in die Kriminalität abzugleiten drohten. Auf der anderen Seite kann kaum bestritten werden, daß die jährliche Rekrutierung von einigen zehntausend Soldaten die Landwirtschaft von einem großen demographischen Druck entlastet haben muß. Während in anderen Gesellschaften „überschüssige“ Personen auf dem Lande sich der Bettelei oder der Kriminalität zuzuwenden genötigt sind, wurde dies im Römischen Reich zu einem großen Teil durch die Aufnahme in die Armee aufgefangen. Ländliches Vagabundentum und Gewalt (Räuberbanden) dürften nicht zuletzt dank der Berufsarmee, die einem ansehnlichen Teil der jungen Leute Lohn und Brot gab, eine für vorindustrielle Gesellschaften vergleichsweise geringe Rolle gespielt haben. 886
Vagabunden Waren die Vagabunden bzw. Bettler, ob sie nun einzeln oder in Gruppen umherzogen, in besonderem Grade anfällig, in die Kriminalität abzugleiten? Die Antwort, die in der Forschung auf diese Frage gegeben wurde, ist eindeutig; in der Anachorese, der Landflucht, wurde vielfach eine Ursache für eine angebliche Zunahme der Kriminalität gerade auf dem flachen Land gesehen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf das Edikt des praefectus Aegypti M. Sempronius Liberalis aus dem Jahr 154. Hiernach hatte sich in der Tat ein Teil derjenigen, die sich in die Anachorese begeben hatten, Räubereien zugewandt. Die Landflüchtigen werden zur Rückkehr an ihren Heimatort aufgefordert; ihnen wird eine Amnestie versprochen. Die Strategen, Epistrategen sowie die vom Präfekten für Polizeiaufgaben bereitgestellten Armeeangehörigen erhalten die Anweisung, Überfälle zu verhindern bzw. sofort zu ahnden und die auf frischer Tat ergriffenen Räuber zu verhören. Diejenigen dagegen, die in ihre Heimat zurückgekehrt sind und sich wieder dem Ackerbau widmen, sollen nicht belästigt werden. Die 887
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Dio Cass. 52, 27, 3ff.; 74 (75), 2, 4ff. Braunert 1964, 164ff.; 186ff.; Lewis 1983, 202f.; Th. Pekáry, Die Flucht: eine typische Erscheinung der Krisenzeit im 3. Jh. n. Chr.?, in: R. Günther - S. Rebenich (Hrsg.), E fontibus haurire. Beiträge zur römischen Geschichte und zu ihren Hilfswissenschaften, Paderborn - München - Wien - Zürich 1994, 185-196, 187ff.; R. Alston, Soldier and Society in Roman Egypt. A Social History, London - New York 1995, 84f.
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Vagabunden
Landflüchtigen erhalten nach der Publikation des Ediktes drei Monate Zeit heimzukehren. Nach Ablauf der Frist sollen diejenigen, die nicht zurückgekehrt sind, als überführte Straftäter gelten und dem Präfekten überstellt werden. Aus diesem Edikt wird vielfach auf eine Zunahme der Anachorese und in ihrer Folge auch des Räuberunwesens geschlossen. Nun liegt ihm jedoch eine spezielle Situation zugrunde. Literarische Quellen verweisen auf Unruhen in Ägypten unter Antoninus Pius. Es ist denkbar, daß die in dem Edikt des Sempronius Liberalis angesprochene Zunahme der Landflüchtigen gerade eine Folge dieser Unruhen war. Für die Spätantike fehlen demgegenüber Quellenzeugnisse, die die Anachorese mit einer Zunahme der Kriminalität, insbesondere des Räuberunwesens, in Verbindung bringen würden. Es ist allerdings unbestreitbar, daß die spätantike Bevölkerung äußerst mobil war. Die Zahl der Personen, die ohne festen Wohnsitz waren, darf nicht gering veranschlagt werden; und es muß die Frage formuliert werden, wie groß der Anteil unter ihnen war, die marginalen Bevölkerungsgruppen zuzurechnen sind. Firmicus Maternus prophezeit wiederholt einen Aufenthalt oder gar den Tod in der Fremde. Die Kirchenväter ermahnen die Gläubigen in ihren Predigten, sich der Fremden, der peregrini, anzunehmen. Seitdem die Germaneneinfälle immer weitere Gebiete des Weströmischen Reichs erfaßten, waren diese peregrini zu einem großen Teil Römer, die auf der Flucht vor den Germanen waren. Dieses Motiv zur Flucht kann aber kaum für alle gegolten haben. In Nordafrika waren zur Zeit Augustins – jedenfalls vor dem Angriff der Vandalen – die Barbaren kein ernstes Problem, und trotzdem weist Augustin häufig auf die Pflicht zur Hilfeleistung für die peregrini hin. Es ist also nicht in den Germaneninvasionen allein die Ursache für eine ohne Zweifel bestehende große regionale Mobilität zu sehen. Vielfach waren es Jugendliche oder junge Männer, die in der Fremde ihr Glück suchten. Viele derer, die ihre Heimat verlassen hatten, werden Schwierigkeiten gehabt haben, wieder Wurzeln zu fassen und sich eine neue Existenz aufzubauen. Sie dürften bevorzugt in die größeren Städte des Reiches gestrebt sein. Männer 888
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BGU II 372 (154 n. Chr.), Kol. I und II.; Neuedition: Strassi Zaccaria 1988. Vgl zu dieser Frage Strassi Zaccaria 1988, 56ff. 890 Neri 1998, 135ff. 891 Firm., Math. 3, 7, 19; 4, 11, 1; 4, 14, 15; 4, 15, 3; 4, 15, 6; 6, 29, 13; 7, 25, 24; 8, 6, 2; 8, 19, 1. 892 Krause 1987a, 224, Anm. 375; Zwar könnte der Hinweis auf die peregrini ein topisches Element enthalten. Denn die Fürsorge für die Fremden war seit dem frühen Christentum eines der konstituierenden Elemente christlicher caritas. Andererseits jedoch hätten die Prediger kaum so sehr auf die Notwendigkeit, den peregrini beizustehen, insistiert, wenn es sie tatsächlich nicht oder nur in geringer Zahl gegeben hätte. Maximus von Turin erklärt explizit: „ecce abundant in civitate nostra hospites sive peregrini"“ und fordert dazu auf, ihnen Almosen zu spenden: Max. Taur., Serm. 17, 3 (CCL 23, 65). 893 Firm., Math. 4, 10, 5; Callinic., Vita Hypat. 1, 7ff. (Bartelink 74/6). 889
5. Soziales Profil der Straftäter
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oder auch Frauen ließen ihren Ehepartner im Stich und verließen ihre Heimat. Es muß eine große Zahl sehr mobiler Personen gegeben haben, die sich allenfalls vorübergehend an einem Ort niederließen. In einem Gesetz Valentinians III. ist von Freien die Rede, die als „arm“ (tenuis) und von „niedriger sozialer Stellung“ (abiectae fortunae) charakterisiert werden: Sie gingen als Ausweg aus ihrer elenden Lage ein Arbeitsverhältnis ein, meist wohl auf einem Landgut, und schlossen eine Ehe mit einer Abhängigen ihres neuen Arbeitgebers. Sobald es ihnen wieder besser ging, verließen sie jedoch ihren Arbeitsplatz sowie ihre Familie. Es wird daher bestimmt, daß die Betreffenden, bevor sie eine Ehe schließen können, bei den gesta municipalia niederlegen müssen, daß sie sich an dem Ort fest niederlassen wollen; es wird ihnen im weiteren untersagt, den Wohnort, für den sie sich entschieden haben, und die Ehepartnerin zu verlassen. Die Gruppe derer, die ohne festen Wohnsitz waren, speiste sich aus den unterschiedlichsten Quellen. Die Flucht war für die Kolonen eine Form des Widerstandes gegen Bedrückung. Es wäre aber ganz irrig anzunehmen, daß alle Flüchtigen oder auch nur ein größerer Teil unter ihnen in die Städte gegangen wären und dort das Proletariat vermehrt hätten oder daß sie sich als Vagabunden auf den Landstraßen herumgetrieben hätten. Flüchtige Kolonen mußten nicht in ein kriminelles Fahrwasser geraten. Das bereits oben zitierte Gesetz Valentinians III. handelt auch von Kolonen, die immer wieder aufs neue ihren Arbeitsplatz wechselten, um so der Verjährungsfrist von 30 Jahren zu entgehen, nach deren Verstreichen sie an das Land gebunden waren. Ein flüchtiger Kolone hatte keine Schwierigkeiten, auf fremdem Grundbesitz erneut Beschäftigung zu finden. Es bestand bei einem weithin bestehenden Arbeitskräftemangel gerade in der Landwirtschaft bei vielen Grundbesitzern die Versuchung, einander die Bauern abzuwerben. Das Leben vieler Kolonen kann nicht so elend gewesen sein, wie in der Forschung oft unterstellt wird, und auch die Flucht bedeutete nicht in jedem, 894
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Vita Symeon. Styl. 229 (van den Ven 1, 201/3); Sidon., Epist. 6, 9; Bas., Epist. 199, 35 (Courtonne 2, 161); 199, 46 (ibid. 162); 199, 48 (ibid. 163f.). Die Möglichkeit, die Ehe einseitig aufzulösen, war seit Konstantin sehr eingeschränkt: R.S. Bagnall, Church, State and Divorce in Late Roman Egypt, in: K.-L. Selig - R. Somerville (Hrsg.), Florilegium Columbianum: Essays in Honor of Paul Oskar Kristeller, New York 1987, 41-61, 42ff.; Nathan 2000, 109ff. Wer sich von seinem Ehepartner trennen wollte und diesem nicht gerade ein Kapitalverbrechen nachweisen konnte, dem blieb faktisch nur noch, die Familie zu verlassen und davonzugehen. Vgl. hierzu für England in der frühen Neuzeit auch Sharpe 1977, 99f.: Die fehlenden Scheidungsmöglichkeiten führten zu zahlreichen unglücklichen Ehen, mit der Konsequenz, daß viele Ehepartner Familie und Heim verließen. 895 Nov. Val. 31, 5 (451 n. Chr.). 896 Aug., Epist. 20*, 10 (CSEL 88, 100); Krause 1987a, 167ff. 897 Nov. Val. 31, pr.; 1-4 (451 n. Chr.). 898 Krause 1987a, 175ff.; vgl. auch Sidon., Epist. 6, 10; Greg. M., Epist. 9, 204 (CCL 140A, 762). 899 Joh. Chrys., In act. hom. 18, 4f. (PG 60, 146f.).
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Vagabunden
wahrscheinlich nicht einmal in der Mehrzahl der Fälle ein Absinken in die Marginalität: Die Mehrheit dürfte sehr bald auf einem anderen Gut eine Parzelle zur Bewirtschaftung übernommen oder sich als Lohnarbeiter verdingt haben. Neben flüchtige Sklaven und Kolonen traten Bauern, die die Steuerbelastung veranlaßt hatte, ihr Land zu verlassen. Die Bedeutung der Landflucht, der Anachorese, darf indes, dies ist bereits oben angedeutet worden, nicht überschätzt werden. Es sollte zu denken geben, daß die meisten Papyri, die die Anachorese betreffen, gerade nicht aus der Spätantike, sondern aus der frühen Kaiserzeit stammen. Häufig war sie nur kurzfristig: Sobald eine Amnestie bzw. eine Steuererleichterung gewährt wurden, kehrten die Flüchtigen wieder zurück. Die Hinweise auf die Bauern „epi xenes“ in den Papyri dürfen also nicht mit einer völligen Entwurzelung gleichgesetzt werden, einem Übergang in das Vagabundentum oder einer sozialen Deklassierung. Die Anachorese war letztlich nur die antike Methode der Steuerhinterziehung. Dies folgt auch aus den talmudischen Quellen. Die Landflucht war in Palästina in erster Linie ein Phänomen der Besitzenden, die auf diese Weise der Übernahme von Liturgien und Ämtern zu entgehen suchten. Die Flüchtigen hatten zumeist die Absicht, bald wieder zurückzukehren. Ein juristisches Problem tauchte erst dann auf, wenn Neusiedler sich auf den agri deserti niederließen und sich die Rückkehr der Flüchtigen verzögerte. Nach traditionellem jüdischem Recht gewährte nämlich dreijährige Nutzung faktische Eigentumsrechte (usucapio). Im talmudischen Recht kommt es im 3./4. Jh. zu Neuentwicklungen, die die Interessen des Eigentümers auch bei längerer Abwesenheit und Flucht schützen sollten. Nicht zuletzt waren es die Kriegsflüchtlinge, die zur großen Zahl Nicht-Seßhafter beitrugen. Maximus von Turin übt Kritik an seinen Mitbürgern, die bei dro900
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Pan. Lat. 8 (5), 5ff.; Bas., Epist. 83 (Courtonne 1, 186f.); Theodoret., Epist. Sirmond. 42 (Azéma 2, 106/12); 43 (ibid. 112/4); 44 (ibid. 116/8); 45 (ibid. 118/20); 47 (ibid. 132/4). Vgl. auch Vita Pachomii (gr.) 8 (Athanassakis 12): Flucht vor Gläubigern. 901 Braunert 1964, 111ff. 902 P. Wash. Univ. I 20 (4. Jh. n. Chr.); P. Col. VII 175 (= SB V 8246) (340 n. Chr.). Vgl. auch noch P. Oxy. XXVII 2479 (6. Jh. n. Chr.) (Rückkehr eines flüchtigen Kolonen). 903 In diesem Sinne S. Link, Anachoresis. Steuerflucht im Ägypten der frühen Kaiserzeit, Klio 75, 1993, 306-320. Link ist allerdings nicht konsequent. Denn während die Anachorese für ihn im 1. Jh. eine Methode der Steuerflucht besitzender Schichten ist, wird ihre Zunahme im 2. Jh. dann doch wieder mit der angeblich schwierigen wirtschaftlichen Lage in Ägypten erklärt (318). 904 D. Sperber, Flight and the Talmudic Law of Usucaption: A Study in the Social History of Third Century Palestine, RIDA 19, 1972, 29-42. 905 Ambr., In Luc. 10, 10 (CSEL 32, 4, 458f.); Amm. 18, 6, 16; 25, 9, 5f.; 29, 6, 9f.; Zos. 3, 34, 1; Max. Taur., Serm. 17, 3 (CCL 23, 65); Rut. Nam. 1, 325ff.; Aug., Civ. 1, 32f.; Epist. 122, 1f. (CSEL 34, 2, 742ff.); 228 (CSEL 57, 484ff.); Serm. 81, 9 (PL 38, 506); Hier., In Ezech. prol. in libr. III (CCL 75, 91); prol. in libr. VII (ibid. 277); Oros., Hist. 7, 41, 4f.; Val. Cem., Hom. 9, 4 (PL 52, 721); Theodoret., Epist. 22 (21) (Azéma 1, 92/4);
5. Soziales Profil der Straftäter
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hender Barbarengefahr aus der Stadt fliehen wollen. Es sind vor allem die Reicheren, die diese Pläne hegen; denn sie allein haben die Mittel, eine Flucht zu organisieren. Maximus malt ihnen aus, welch elendes Leben sie gleichwohl in der Fremde führen, wie unfreundlich sie aufgenommen würden – mit derselben Ungastlichkeit, mit der auch in Turin Kriegsflüchtlinge aufgenommen worden seien. Die Kriegsflüchtlinge waren mit einer verbreiteten Xenophobie konfrontiert. Ihre Zahl darf allerdings nicht überschätzt werden, da die Germanen meist in kleinen Gruppen agierten und immer nur punktuell aktiv wurden. Kaum je verheerten sie systematisch größere Flächen Landes. Für die meisten Bauern und Landbewohner gab es keinen Grund, vor ihnen zu fliehen. Es scheinen vielfach eher die Vermögenden gewesen zu sein, die sich auf die Flucht begaben; sie waren es, die etwas zu verlieren hatten, sie waren es, die über entsprechende wirtschaftliche Ressourcen verfügten und sich andernorts erneut niederlassen konnten. Daß die Zahl derjenigen, die keinen festen Wohnsitz hatten, beträchtlich war, kann jedoch nicht bestritten werden. Viele zogen in die Stadt. Manche peregrini versuchten, sich dort als Bettler durchzuschlagen. Das ist die Situation, in der sie uns die Kirchenväter vorführen: Sie sind obdachlos und völlig mittellos. In Gallien zogen die Bettler im 6. Jh. häufig von einer Stadt zur nächsten. Sie schlossen sich in Gruppen zusammen. Aus einer Gruppe heraus können sehr viel leichter Verbrechen begangen werden. Mit dem sechsten Jahrhundert bewegen wir uns aber schon in einer sehr späten Periode. Für das vierte und fünfte Jahrhundert sind Gruppen von Bettlern, die von einem Ort zum nächsten zogen, nicht bezeugt. Es finden sich nur vereinzelte Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Nicht-Seßhaftigkeit. Es war eine Beleidigung, jemanden als „Herumtreiber“ zu bezeichnen. Personen ohne festen Wohnsitz galten offenbar als zwielichtiges Gesindel, dem allerlei Schandtaten zugetraut wurden. Ein ärmlich bekleideter Wanderer, ohne Mantel und ohne Schuhe, schloß sich dem Germanus von Auxerre an. In einer Raststätte stahl er nachts das Tier, auf dem der Bischof ritt. Germanus entschuldigte den Diebstahl mit dem Hinweis darauf, er sei aus der 906
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23 (22) (ibid. 94); Epist. Sirmond. 52 (Azéma 2, 128/30); 53 (ibid. 130); Sidon., Epist. 3, 2; 6, 10; 7, 1. 906 Max. Taur., Serm. 82, 1f. (CCL 23, 336f.). 907 Zur Flucht von Angehörigen der Oberschichten vgl. auch noch Claud., Carm. 26 (De bello Gothico), 213ff.; Rut. Nam. 1, 491ff.; Paul. Pell. 311ff.; Theodoret., Epist. Sirmond. 29 (Azéma 2, 86/8); 30 (ibid. 88/90); 31 (ibid. 90/2); 32 (ibid. 92/4); 33 (ibid. 94/6); 34 (ibid. 96); 35 (ibid. 96/8); 36 (ibid. 98/100); Salv., Epist. 1, 5ff. (Lagarrigue 78/80); Vict. Vit. 1, 14ff. (CSEL 7, 7ff.); R.W. Mathisen, Fifth-Century Visitors to Italy: Business or Pleasure?, in: J. Drinkwater - H. Elton (Hrsg.), Fifth-Century Gaul: A Crisis of Identity?, Cambridge 1992, 228-238, 228ff. 908 P. Col. VII 174 (ca. 325/50 n. Chr.; 342 ?). 909 Conc. Turonense (567 n. Chr.), C. 5 (CCL 148A, 178); Conc. Lugdunense (583 n. Chr.), C. 6 (CCL 148A, 232f.); vgl. auch Eugipp., Sev. 26, 1. 910 Greg. Tur., Virt. Mart. 3, 23 (MGH, SRM 1, 638); 3, 58 (ibid. 646). 911 Bas., Hom. adversus eos qui irascuntur 3 (PG 31, 357/60).
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Vagabunden
Not heraus begangen worden. Ein mittelloser Reisender entwendete aus dem Kloster die silberne Urne des verstorbenen Asketen Euthymios. Die Mönche konnten des Diebes habhaft werden; statt ihn zu bestrafen, statteten sie ihn mit einem Wegegeld aus. Insgesamt wird den Obdachlosen und Vagabunden jedoch kaum je eine größere Gewaltbereitschaft oder eine besonders ausgeprägte Neigung zu Straftaten (Eigentumsdelikten) zugeschrieben. Im Hinblick auf die innere Sicherheit stellten sie augenscheinlich kein Problem dar. Dieser Befund kontrastiert mit der Situation im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit: Die Vagabunden werden in dieser Zeit regelmäßig mit der Kriminalität, vor allem den Eigentumsdelikten, in Verbindung gebracht. Sicher sind hier auch die Vorurteile der Zeitgenossen in Rechnung zu stellen. In England zeigt sich etwa, daß sich trotz weit verbreiteter Ängste in der Gesellschaft vergleichsweise wenige Nicht-Seßhafte mit Kriminalität durchschlugen. Sie ließen sich zumeist kleinere Diebstähle zuschulden kommen, und auch dies nur dann, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab; die Straftäter waren in aller Regel keine „Professionellen“. Sie waren nicht in dem Maße, wie es die sogenannte „rogue-Literatur“ (die eben diese kriminelle Unterwelt der elisabethanischen Zeit thematisiert) den Anschein erweckt, in Banden organisiert. Landstreicher waren im allgemeinen nicht gefährlicher als Seßhafte, aber sie wurden häufiger eines Verbrechens bezichtigt. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie angeklagt wurden, war größer. Denn Anklagen (zumal wegen kleinerer Straftaten) erfolgten nicht unterschiedslos: Fremde wurden vor Gericht gebracht, während man sich mit einem Dorfgenossen außergerichtlich einigte. In kleinstädtischen und dörflichen Gesellschaften ist jeder, der fremd ist, zunächst einmal ein Außenseiter: Er beunruhigt, gilt als schädlich. Straftäter wurden, je nachdem ob sie in die Dorfgemeinschaft integriert oder Außenseiter waren, für ein und dasselbe Vergehen ganz unterschiedlich bestraft. Es ist denkbar, daß sich auch in der Spätantike eine soziale Diskriminierung gegenüber Fremden geltend machte. Infrajurisdiktionellen Konfliktlösungen kam eine große Bedeutung zu, und es war sehr viel einfacher, mit einem Nachbarn oder Bekannten zu einer informellen Einigung zu kommen als mit einem völlig Fremden. Fassen wir zusammen! Es gab viel Bewegung auf den Straßen, viele Nicht-Seßhafte: flüchtige Sklaven und Kolonen, Deserteure, flüchtige Gefängnisinsassen, 912
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Constantius, Vita Germ. 20 (Borius 160/2). Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 59 (Schwartz 81f.). 914 Geremek 1976, 29ff.; Cockburn 1977, 61ff.; Sharpe 1977, 98ff.; 1983a, 164ff.; Chiffoleau 1984, 258ff.; Ruff 1984, 120ff.; King 2000, 183ff. 915 Cockburn 1977, 63f.; Sharpe 1984, 99ff.; A.L. Beier, Masterless Men. The Vagrancy Problem in England 1560-1640, London – New York 1985, 123ff.; Slack 1988, 101ff. 916 Given 1977, 131; Hanawalt 1979, 26; Macfarlane 1981, 190; Chiffoleau 1984, 153f. 917 M.J. Ingram, Communities and Courts: Law and Disorder in Early-Seventeenth-Century Wiltshire, in: J.S. Cockburn (Hrsg.), Crime in England 1550-1800, London 1977, 110134, 128ff.; Sharpe 1984, 82. 913
5. Soziales Profil der Straftäter
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Steuerflüchtige (Anachorese), Kriegsflüchtlinge. Einige unter ihnen mögen sich der Bettelei zugewandt haben und hin und wieder bei sich bietender Gelegenheit kleinere Diebstähle begangen haben. Aber die meisten dürften doch wieder in die Gesellschaft eingegliedert worden sein; sie wurden nicht zu Außenseitern, Gesetzlosen. Auf den Grundbesitzungen bestand ein ständiger Bedarf an Arbeitskräften, flüchtige Kolonen oder Deserteure fanden hier Aufnahme. Die Kirche bemühte sich, den Heimatlosen, den peregrini, ihr Los zu erleichtern. Anders als im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit wurden die Bettler und Vagabunden in der Spätantike kaum marginalisiert und kriminalisiert.
Kriminelle Subkultur in den Städten? Wenn die Personen, die auf den Landstraßen unterwegs waren, keine kriminelle Klasse bildeten, so stellt sich doch noch die Frage, ob denn in den Städten ein solches kriminelles Milieu existierte. Das städtische Proletariat rekrutierte sich zu einen nicht geringen Teil aus Fremden, Zugewanderten. Die Großstädte lebten von einem stetigen Zuzug vom umliegenden Land, Städte wie Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochia, Karthago und andere hätten aufgrund ungünstiger demographischer Bedingungen ohne diese Bevölkerungsbewegung ihre Einwohnerzahl gar nicht halten können. Gab es eine Getreideteuerung oder gar eine Hungersnot, so setzte regelmäßig eine Wanderungsbewegung in Richtung Stadt ein, wo aufgrund der Bemühungen der städtischen Verwaltung und der Kirche die Versorgung mit Lebensmitteln eher gewährleistet war als auf dem flachen Lande. 918
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Joh. Chrys., De eleemosyna 6 (PG 51, 269/72). Insbesondere Konstantinopel erlebte ein gewaltiges Bevölkerungswachstum, welches ohne einen kontinuierlichen Zustrom von Immigranten gar nicht zu erreichen gewesen wäre. Nach der Schätzung Dagrons zählte Byzantion zur Zeit der Severer höchstens 20.000 – 30.000 Einwohner. Konstantin legte die Stadt demgegenüber auf eine Einwohnerzahl von 100.000 bis 150.000 an. Diese Zahl wurde wohl um 380 erreicht, zwischen 390 und 410 überschritten. Die Stadt kann innerhalb der Stadtmauern von Theodosius II. 400.000 bis 500.000 Einwohner gefaßt haben. Um 430 mag die Einwohnerzahl die von Rom bereits deutlich überstiegen haben. Dagron schätzt sie um diese Zeit auf 200.000 bis 300.000: Dagron 1974, 518ff. Eine Reihe von Autoren übt Kritik am Wachstum Konstantinopels: Lib., Or. 1, 279; 30, 37; Zos. 2, 35; 4, 33, 1. Themistios preist es dagegen: Them., Or. 18, 221a – 223b (Downey 1, 318/22). Vgl. auch noch Johannes Lydus, De magistratibus 3, 70. Bereits Gregor von Nazianz unterschied zwischen „Bürgern“ und „Fremden“, letztere bildeten einen beachtlichen Teil der Bevölkerung: Greg. Naz., Carm. 2, 1, 6, Z. 5f. (PG 37, 1023). Andere Autoren heben den kosmopolitischen Charakter der Stadt hervor: Iord., Get. 28, 143 (MGH, AA, 5, 1, 95). Justinian untersagt den Ämterkauf, dessen Folge Korruption und Räubereien der Amtsträger seien. Infolgedessen seien viele Provinziale nach Konstantinopel geflohen: Nov. Iust. 8, pr. (535 n. Chr.). Vgl. auch Nov. Iust. 24, 3 (535 n. Chr.); 30, 9 (536 n. Chr.); 86 (539 n. Chr.).
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Kriminelle Subkultur in den Städten?
Notorisch war das Problem in Rom; die Behörden reagierten mit Fremdenausweisungen. Es war gerade die Plebs, die die Ausweisung der Fremden (als lästiger Konkurrenten) forderte. Andere Großstädte (so Antiochia) erlebten während Hungersnöten einen ähnlichen Zustrom. Libanios rühmt seine Heimatstadt, weil sie niemals (anders als Rom) zu dem Mittel der Fremdenausweisungen Zuflucht genommen habe. Viele Zuwanderer waren unerwünscht. Der Bau von Stadtmauern diente nicht nur Verteidigungszwecken, sondern sollte auch Fremde am unkontrollierten Betreten der Stadt hindern. Sofern sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten, wurden die Zuwanderer hin und wieder Gegenstand der Gesetzgebung, so in einem an den Stadtpräfekten Roms adressierten Erlaß: Wer einen arbeitsfähigen Bettler denunziert, soll ihn als Sklaven erhalten, wenn er unfreier Geburt ist, als Kolonen, wenn er freier Abstammung ist. Diese freien, arbeitsfähigen Bettler werden in ihrer Mehrzahl entlaufene Kolonen gewesen sein. Justinian hatte sich mit dem Zustrom Fremder, darunter zahlreicher Kolonen, nach Konstantinopel auseinanderzusetzen, die zu einem Teil hier Prozesse führen wollten, zu einem anderen Teil aber von der Not getrieben gekommen waren. Einige schlugen sich mit Bettelei durch, andere aber begingen Straftaten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sklaven sollen ihren Eigentümern überstellt werden, Freie in ihre Heimatprovinzen zurückgeschickt werden. Bettler, die aus Konstantinopel stammen, sollen, wenn sie kräftig sind, zu öffentlichen Baumaßnahmen herangezogen werden; die Alten und Kranken dagegen Wohltätern zur Unterstützung zugewiesen werden. Immer wieder werden die Fremden für Unruhe und Gewalt verantwortlich gemacht. Die Antiochener schoben die Schuld an den Spottgesängen auf Julian auf einige zugewanderte Fremde; es seien Mittellose, Verbrecher und Beutelschneider gewesen. Die Verteidigungsstrategie der Antiochener setzt voraus, daß in 920
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920 Ambr.,
Off. 3, 7, 45ff.; Symm., Epist. 2, 7; Amm. 14, 6, 19; 28, 4, 32. Lib., Or. 27, 6; 27, 14; Jul., Or. 7 (Misopogon), 41, 369cd. 922 Lib., Or. 11, 174f. Ähnlich Themistios: Während es in Rom bei Versorgungsengpässen zu Fremdenvertreibungen komme, stehe Konstantinopel den Immigranten offen: Them., Or. 18, 222ab (Downey 1, 320). 923 Cassiod., Var. 12, 17 (CCL 96, 484): Die Einwohner der Stadt Ravenna werden aufgefordert, einen Graben vor der Stadtmauer auszuheben, mit der ausdrücklichen Begründung, daß zwielichtige Personen von der Stadt ferngehalten werden sollen. Denn wer ein reines Gewissen habe, könne ja die Stadttore benutzen. 924 Cod. Theod. 14, 18, 1 (382 n. Chr.). 925 Nov. Iust. 80, pr.; 1ff. (539 n. Chr.). Vgl. auch 80, 9; 80, 10, pr. 926 Sowohl Libanios wie auch Johannes Chrysostomos geben die Schuld an den Unruhen des Jahres 387 im wesentlichen den Zugewanderten: Lib., Or. 19, 28; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 2, 3 (PG 49, 37f.); 3, 1 (ibid. 48); 6, 1 (ibid. 81f.). Libanios erwähnt häufig den Zustrom von Fremden nach Antiochia, meist in kritischem Ton: vgl. Or. 2, 66 sowie hierzu den Kommentar von J. Martin, Libanios, Discours II-X. Zur Rolle der „Fremden“ bei Libanios vgl. Petit 1955, 222f. 921
5. Soziales Profil der Straftäter
175
Großstädten wie Antiochia ein gewisses kriminelles Milieu existierte. Der Statthalter Icarius solle über die feindselige Stimmung im Theater gegen ihn nicht irritiert sein; für den Lärm sei nicht das Volk, sondern Deserteure, entlaufene Sklaven und ähnliches Volk verantwortlich; denn das Theater füllten nicht Leute, die eine Frau, Kinder, Haushalt und ein Handwerk hätten. Dies ist die übliche Differenzierung zwischen den „guten“ und den „schlechten“ Armen. In der Theaterclaque, die Libanios für den Ausbruch von Demonstrationen und Unruhen wesentlich verantwortlich macht, würden Fremde dominieren: Personen, die in ihren Heimatstädten in schlechtem Ruf ständen und deshalb nach Antiochia geflohen seien. Es sind „heimatlose Leute“ (aoikoi kai apolides), Männer ohne Familie, die Unruhe in die Stadt bringen. Libanios rät dem Statthalter, alle Fremden, die in Antiochia keinen festen Wohnsitz hatten (d.h. nicht Frau, Familie und Handwerk hatten) und Unruhe stifteten, aus der Stadt zu vertreiben. Dagegen hatten die ehrbaren Armen Frau und Familie sowie einen Beruf. Der Kontrast ist deutlich: Es sind (angeblich) die Fremden, die, ohne Beruf und Familie, in Antiochia ein Unruhepotential bilden, während die einheimische Bevölkerung, welche mehrheitlich familiäre Bindungen hat und über eine gewisse Habe verfügt, an Ruhe und Ordnung interessiert ist. Die Zahl dieser Unruhestifter war nach Libanios sehr begrenzt. Auch in den Großstädten kann also nur ein kleiner Teil der Bevölkerung zu einer gesellschaftlichen Randgruppe gehört haben. Die Handwerker, die Bauern, die Händler zählt Libanios zu den respektablen Elementen in der Stadt. Grundsätzlich ähnlich stellte sich die Lage (jedenfalls nach Ansicht der Zeitgenossen) in den anderen Großstädten dar. Kritiker von Konstantinopel halten die Einwohnerschaft der Stadt für zugewanderten Pöbel, für Trunksüchtige, für gewalttätig. Dies ist Polemik, mag aber einen Kern Wahrheit enthalten. Die Zugewanderten waren zunächst einmal nicht in Nachbarschaftsverbände eingebunden, die soziale Kontrolle der Nachbarschaft konnte ihnen gegenüber nicht recht zur Geltung kommen. Dies mag sich in einer hohen Kriminalitätsrate niedergeschlagen haben. Mit der Festigung der sozialen Strukturen in Konstantinopel dürfte sich die Lage gebessert haben. Die alten Städte verkrafteten dagegen die Zuwanderung. In Rom führte die Verwaltung augenscheinlich genau Buch über die Zugereisten. Bei Versorgungsengpässen wurden wiederholt die Fremden der Stadt verwiesen. 927
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Lib., Or. 16, 31ff. Lib., Or. 26, 8. 929 Lib., Or. 41, 6. 930 Lib., Or. 41, 11. 931 Lib., Or. 56, 22f.; vgl. Liebeschuetz 1972, 215f. 932 Lib., Or. 11, 151. 933 Vgl. Lib., Or. 16, 31. Die Zahl der Unruhestifter gegen Icarius gibt Libanios mit lediglich 20 an, dazu noch einmal ebenso viele, die ihnen aus irgendwelchen Gründen gefolgt sind: Or. 26, 4. 934 Petit 1955, 221; Patlagean 1977, 131; Liebeschuetz 1972, 52; vgl. auch noch Or. 56, 23. 928
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Kriminelle Subkultur in den Städten?
Dies setzt eine gut funktionierende Kontrolle der Bevölkerung voraus; Zuwanderer (und ggf. kriminelle Elemente) konnten nicht in einer anonymen Masse untertauchen. Die Untergliederung der Stadt in Stadtviertel, vici, dürfte hier viel geholfen haben: Es waren dies überschaubare Einheiten, in denen die Nachbarn einander seht gut kannten. Fremde konnten hier nicht lange Zeit verborgen bleiben. In den großen Städten im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit begann sich in der städtischen Topographie eine Ausgrenzung marginaler Gruppen zu vollziehen. In Städten wie Paris oder Avignon existierten im späten Mittelalter bereits Stadtviertel, die in schlechtem Rufe standen, da sie durch eine besonders hohe Kriminalitätsrate gekennzeichnet waren. Sicher gab es auch in Rom Stadtviertel, die als besonders ungesund galten und in denen daher vor allem die Ärmeren lebten. Insgesamt war aber bis in die Spätantike hinein für die soziale Topographie Roms wie auch der anderen Städte die Tatsache, daß Reich und Arm in enger Nachbarschaft, in denselben Stadtvierteln lebten, kennzeichnend. Wenn ein römischer Stadtpräfekt zur Abwehr eines Angriffes von Demonstranten auf seinen städtischen Palast seine Klienten organisiert, so handelt es sich um Plebeier, die in der Nachbarschaft wohnen. In den Städten ist nur in geringem Umfang mit einer Ausgrenzung, einer Marginalisierung der Armen zu rechnen. Sicher trieben auch Berufsverbrecher ihr Unwesen. Firmicus Maternus spricht von „grausamen“ Verbrechern, die ihre Dienste anderen verdingen („die sich vermieten oder verkaufen“), deren Straftaten aber schließlich aufgedeckt werden. Die Bezeichnung „grausame Verbrecher“ deutet darauf hin, daß an Gewaltverbrecher gedacht ist. Die Banditen, die einen Sklaven des Libanios dazu verleiteten, seinem Herrn die Summe von 1500 Solidi zu stehlen und zu fliehen, dürften kaum Straßenräuber oder Wegelagerer gewesen sein. Sie scheinen ihrem Gewerbe vielmehr in der Stadt nachgegangen zu sein. Sie nutzten die Spannungen, die in nahezu jedem Haushalt durch die Existenz von Sklaven gegeben waren, um an ihr Ziel zu gelangen. Es existierten also organisierte Gruppen bzw. Banden, die 935
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Zur Kontrolle der peregrini in Rom durch die Stadtpräfektur vgl. Chastagnol 1959, 267f. - Rom war seit Augustus in 265 vici untergliedert, die jeweils 4 vici magistri unterstanden, in konstantinischer Zeit stieg die Zahl der vici auf 307 mit 672 Vorstehern (48 pro Region): H. Volkmann, Art. Vicus, in: Der Kleine Pauly 5, München 1975, 1266f. 936 Geremek 1976, 93ff.; Chiffoleau 1984, 254ff. Zur Existenz einer kriminellen Subkultur in den europäischen Städten des späten Mittelalters und der Neuzeit vgl. auch noch Cockburn 1977, 64f.; Weisser 1979, 84ff.; 148ff.; 1980, 91f.; H. Diederiks, Patterns of Criminality and Law Enforcement during the Ancient Regime: the Dutch Case, Criminal Justice History 1, 1980, 157-174, 167f.; Sharpe 1984, 111ff.; Schwerhoff 1991, 203ff.; Brackett 1992, 137f.; F. Egmond, Underworlds. Organized Crime in the Netherlands 1650-1800, Cambridge 1993, 36ff. Für das 19. Jahrhundert vgl. Emsley 1987, 129ff. 937 Amm. 27, 3, 8ff. 938 Firm., Math. 5, 2, 3. 939 Lib., Or. 1, 61.
5. Soziales Profil der Straftäter
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durch ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft charakterisiert waren. In Berytos verursachte am Ende des 5. Jh. ein Heide, dem der Besitz magischer Bücher vorgeworfen wurde, einen Aufruhr gegen die Christen; er stützte sich auf eine Gruppe von Unruhestiftern („Poroi“ genannt), die auch von ihren Schwertern rücksichtslos Gebrauch machten. Zwar solidarisierte sich der Großteil der Stadtbevölkerung mit den Christen, und Konstantin, einer der führenden Bürger der Stadt, bot an, seine Bauern vom Land herbeizurufen, um sie gegen die Unruhestifter einzusetzen. Die Christen wollten die Sache jedoch nicht eskalieren lassen und waren bereit, Leontios, einen der Hauptbeschuldigten, laufen zu lassen. In den Quellen werden gelegentlich Wiederholungstäter erwähnt (wenngleich nicht jeder Wiederholungstäter ein Berufsverbrecher gewesen sein muß). Generell fällt aber bei einer Durchsicht der Strafgesetze auf, daß bei der Festlegung des Strafmaßes die Frage, ob die Straftat zum ersten oder zum wiederholten Male begangen wurde, nur selten und in sehr speziellen Fällen eine Rolle spielt. Unter den Straftätern ist mit einem äußerst geringen Anteil an Berufsverbrechern zu rechnen, einem Anteil, der entschieden geringer gewesen sein dürfte, als er für moderne Industriegesellschaften kennzeichnend ist. Es gab Armutskriminalität. Aber die Armut blieb kontrollierbar. Die meisten Städte zählten nur wenige Tausend bis maximal einige Zehntausend Einwohner. Die Zahl der Mittellosen bemaß sich nach einigen Hundert bis maximal einigen Tausend. Die meisten Städte hatten sicher keine „Slums“ oder Elendsviertel (mit einer erhöhten Kriminalitätsrate). Den Kirchenvätern gelten die Armen und Bettler als unterwürfig; sie kamen nicht auf die Idee, sich den Reichen zu widersetzen oder gar die bestehenden Gesellschaftsstrukturen überhaupt in Frage zu stellen. Auch die Bettler bildeten keine „classe dangereuse“. In den kleineren bis mittelgroßen Städten dürfte der Bischof die Bedürftigen in seiner Gemeinde persönlich gekannt haben; es ist kaum vorstellbar, daß sich aus ihnen ein kriminelles Milieu gebildet haben kann. Die christliche Wohltätigkeit linderte die schlimmsten Folgen der Armut, mag vielfach auch ein Absinken in die Kriminalität verhindert haben. Bestimmte Berufsgruppen stellten in den Städten möglicherweise einen überproportional großen Anteil an den Straftätern. Die Seeleute standen nicht in gutem Ruf: Ihnen wurde die Neigung zur Gewalt unterstellt (Bischöfe stützten sich in 940
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Zacharias Rhetor, Vita Severi (Kugener, PO 2, 64/9). De Robertis 1942, 655f. (Ndr.). 942 Joh. Chrys., In gen. serm. 5, 4 (PG 54, 603f.); Greg. Nyss., Paup. amand. 1 (PG 46, 468 = Van Heck 15f.). 943 Gaudentius von Brixia hält den italischen Grundbesitzern vor, wie viele ihrer Kolonen während einer Hungersnot ums Leben gekommen seien oder nur überlebt hätten, weil ihnen kirchliche Almosen zuteil geworden waren: Gaudent., Serm. 13, 22f. (CSEL 68, 120f.). Die hungernden Bauern wären vermutlich ohne die kirchliche Unterstützung genötigt gewesen, als Vagabunden durchs Land zu ziehen und sich mit Kleinkriminalität ihren Lebensunterhalt zu sichern. 941
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Kriminelle Subkultur in den Städten?
innerkirchlichen Auseinandersetzungen auf Seeleute, die sie als Schlägertrupps einsetzten). Auch Diebstähle wurden ihnen ohne weiteres zugetraut. Die Pferdeknechte vom Hippodrom werden mit der Kleinkriminalität in Verbindung gebracht. Es sind aber nur wenige Berufsgruppen, die auf diese Weise stigmatisiert werden; es können noch die Bediensteten in den öffentlichen Thermen und in den Gaststätten genannt werden. Daß man in größeren Teilen der städtischen Bevölkerung (etwa den Tagelöhnern oder auch den Bettlern) potentielle Verbrecher gesehen hätte, läßt sich demgegenüber nicht feststellen. Vermutlich haben Autoren wie Libanios, Johannes Chrysostomos u.a. durchaus etwas Richtiges gesehen, wenn sie Zugewanderte, Fremde für einen Teil der Gewalt und Kriminalität in den größeren Städten verantwortlich machen. Auch in den mittelalterlichen und neuzeitlichen Städten waren zahlreiche Straftäter Zugewanderte. Sie waren in der Großstadt auf sich gestellt, ohne in familiäre oder nachbarschaftliche Netze eingebunden zu sein: Die soziale Kontrolle, die im Dorf sehr gut arbeitete, funktionierte in der Großstadt nicht in demselben Maße. Andererseits ist aber durchaus mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die literarischen Quellen von der sozialen Realität in den spätantiken Städten ein einseitiges Bild vermitteln. Dies wird durch einen Vergleich mit der frühen Neuzeit nahegelegt. Im späten 16. Jh. thematisierte eine ganze literarische Gattung, die „rogue-Literatur“, die kriminelle Unterwelt Londons. Eine quantitativ ausgerichtete Untersuchung der Gerichtsakten führt demgegenüber zu einem differenzierteren Ergebnis. Sicher hat es Berufsverbrecher in London gegeben, aber die meisten Straftäter waren auch hier Gelegenheitstäter, nicht anders als in den Landgemeinden und kleineren Städten. Moderne Konzepte von Verbrechen und Kriminalität sind für die Spätantike somit nur bedingt tauglich. Es existierte in den Städten keine „kriminelle Klasse“. Ein Teil der Straftaten (insbesondere Diebstähle) war durch die Not veranlaßt. Wenn in Krisenzeiten (Lebensmittelengpässe, Getreideteuerung) Handwerker und 944
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Greg. Naz., De vita sua 840f. (PG 37, 1087); 887f. (ibid. 1090); Socr., Hist. eccl. 6, 15, 11 (Hansen, GCS, N.F. 1, 337); Haas 1997, 59. 945 Lib., Or. 4, 36ff.; Joh. Mosch., Prat. spir. 203 (PG 87, 3, 3093). Zu den Problemen von Seestädten vgl. auch noch Lib., Or. 11, 38: Antiochia sei vom Meer entfernt und habe daher nicht unter den groben Seeleuten zu leiden. 946 Lib., Or. 27, 4f. 947 Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 10, 2 (PG 62, 77). 948 Geremek 1976, 285ff.; Farge - Zysberg 1979, 988; Castan 1980b, 290ff.; M. Weisser, Crime and Punishment in Early Modern Spain, in: V.A.C. Gatrell - B. Lenman - G. Parker (Hrsg.), Crime and the Law. The Social History of Crime in Western Europe since 1500, London 1980, 76-96, 90f.; Chiffoleau 1984, 157ff.; Dinges 1988, 160ff.; Schwerhoff 1991, 200ff.; 350ff.; Blastenbrei 1995, 285ff. 949 Sharpe 1984, 111ff.; Slack 1988, 104ff. Vgl. auch noch Slack 1988, 100f.: Auch wenn zeitgenössische Autoren den Vagabunden häufig die Schuld an städtischen Unruhen geben, spielten diese doch in ihnen keine herausgehobene Rolle. Unruhen, etwa Hungerrevolten, waren „community affairs“, nicht das Werk von Fremden und Zugewanderten.
5. Soziales Profil der Straftäter
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Kleinhändler in wirtschaftliche Bedrängnis gerieten, mögen auch aus diesen Gruppen heraus Straftaten begangen worden sein. Zahlreiche städtische Einwohner mochten demzufolge im Laufe ihres Lebens einmal straffällig geworden sein; dies macht sie aber nicht zu Kriminellen in unserem Sinne des Wortes. Nur die Minderzahl der Straftaten ging auf das Konto von Gewohnheitsdieben oder Berufsverbrechern. Auch hier lohnt wieder der Vergleich mit anderen Epochen der europäischen Geschichte. Über weite Perioden der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte dominierten unter den wegen Straftaten Angeklagten „normale“ Mitglieder der städtischen oder ländlichen Gesellschaft: Handwerker, Bauern, Personen, die keineswegs einer Randgruppe der Gesellschaft zugerechnet werden können. Dies gilt selbst für die größeren Städte der frühen Neuzeit wie Paris oder London. Auch hier machte die organisierte Kriminalität nur einen kleinen Teil der vor Gericht gebrachten Straftaten überhaupt aus. 950
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Diese Vermutung wird im übrigen auch durch eine Untersuchung des Gefängniswesens gestützt. Die Gefängnisinsassen stellten gewissermaßen einen Querschnitt durch die Gesamtbevölkerung dar. Berufsverbrecher waren weit davon entfernt, unter ihnen zu dominieren: Krause 1996, 133f. 951 Farge – Zysberg 1979, 989ff.; Sharpe 1984, 116ff.; G. Rudé, Crime, Criminals and Victims in Early Nineteenth-Century London, in: ders., The Face of the Crowd. Studies in Revolution, Ideology and Popular Protest, New York - London 1986, 242-265, 262ff.; Schwerhoff 1991, 182ff.
6. UNTERSTÜTZUNG VON STRAFTÄTERN In vielen Agrargesellschaften läßt sich eine große Distanz zwischen der Landbevölkerung und den städtischen Polizeiorganen beobachten. Die Städter sehen auf die Landbevölkerung mit Verachtung herab, für die Bauern sind die aus der städtischen Bevölkerung rekrutierten Polizeiorgane Fremde, denen sie mit Mißtrauen begegnen. Zeichnet sich in der Spätantike in gleicher Weise eine Entfremdung zwischen der Landbevölkerung (die den Großteil der Bevölkerung stellte) und den vorwiegend städtischen Ordnungskräften ab, eine Entfremdung, die sich in der Unterstützung von Räubern und anderen Kriminellen durch die Bauern hätte manifestieren können?
Familiäre Solidarität Viele Straftaten wurden in Gemeinschaft mit Familienangehörigen begangen. Wenn Frauen als Straftäterinnen in Erscheinung treten, so zumeist als Ehefrau bzw. Schwester in Verbindung mit dem Ehemann oder Bruder. Vielfach wurden Geschwister (Brüder) gemeinsam aktiv. Auch nach begangener Straftat kam es vor, daß Straftäter von Familienangehörigen unterstützt wurden. Im spätantiken Recht galt der Grundsatz, daß die Familienangehörigen für eine Straftat nicht mithafteten. Es gibt nur wenige Ausnahmen: In einem Gesetz zum Thema „Hochverrat“ werden zumindest die finanziellen Sanktionen auch auf die Kinder der Täter erstreckt. Wenn Straftäter verfolgt wurden, so hielt man sich mitunter auch an nahe Familienangehörige. Es konnte offenkundig unterstellt werden, daß diese insgeheim gemeinsame Sache mit dem Straftäter machten. Der 952
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P. Abinn. 51 und 52 (= P. Lond. II 240f., p. 277f.) (346 n. Chr.); P. Cair. Goodsp. 15 (362 n. Chr.). 953 P. Sakaon 48 (= SB VI 9622) (343 n. Chr.); P. Abinn. 48 (= P. Lond. II 242, p. 275) (346 n. Chr.); P. Abinn. 57 (= P. Gen. I 49) (Mitte 4. Jh. n. Chr.); P. Amh. II 146 (5. Jh. n. Chr.). Schwester: P. Abinn. 51 und 52 (= P. Lond. II 240f., p. 277f.) (346 n. Chr.). Weitere Verwandte: P. Berl. Frisk 4 (= SB V 7518) (4./5. Jh. n. Chr.). 954 Cod. Theod. 9, 14, 3 (= Cod. Iust. 9, 8, 5) (397 n. Chr.). 955 P. Abinn. 42 (= P. Gen. I 79 + P. Lond. II 422, p. 318) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.): Inhaftierung der Ehefrau eines gesuchten Straftäters. Stud. Pal. X 252 (6. Jh. n. Chr.), Z. 14ff.: Inhaftierung der Schwester eines Diebes.
6. Unterstützung von Straftätern
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aus einem Verbrechen herrührende Makel traf die gesamte Familie. Die Familienangehörigen wurden gewissermaßen in Sippenhaft genommen. Während die Gesetzeslage eindeutig war (für die von einem Familienangehörigen begangenen Straftaten konnte nicht die gesamte Familie bestraft werden), wurden in der öffentlichen Meinung die Straftaten vielfach der gesamten Familie angelastet. Gefängnisinsassen wurden von Verwandten materiell unterstützt, und Straftäter konnten vor Gericht mit dem Beistand ihrer Familienangehörigen rechnen. Die Prozesse fanden weiterhin öffentlich statt. Die Anwesenheit zahlreicher Verwandter, Freunde und Nachbarn mochte auf den Richter einigen Eindruck machen. Für des Raubes Angeklagte setzten sich Kinder und Ehefrauen ein. Die latrones waren also nicht immer jeglicher familiärer Bande ledig. Manche unter ihnen hatten eine Familie. Die Räuber waren nicht in jedem Fall Outlaws, die sich völlig aus der Gesellschaft gelöst hätten; es blieben Kontakte zum Heimatdorf bestehen. Dies konnte auch gar nicht anders sein: Die Räuberbanden bestanden zumeist nur aus wenigen Mitgliedern. Schon allein aus diesem Grunde konnten sie keine Gruppen bilden, die durch halbstaatliche Strukturen gekennzeichnet gewesen wären. Die Realität der Räuberbanden sah sehr viel weniger romantisch aus, als es uns die antiken Romane glauben machen wollen. Straftäter konnten also in vielfältigen Situationen (bei der Straftat selbst, wenn nach ihnen gefahndet wurde, wenn sie vor Gericht standen, wenn sie im Gefängnis einsaßen) mit der Unterstützung naher Familienangehöriger rechnen. Aber diese familiäre Solidarität reichte kaum je über den Kreis der Kernfamilie hinaus. Straftaten wurden gemeinsam von Brüdern, nicht aber von Cousins begangen, und wurde Beistand vor Gericht benötigt, so traten Vater und Mutter, nicht Onkel und Tante als Fürsprecher auf. Diese Beobachtung führt über die Geschichte der Kriminalität hinaus. Shaw hat die Auffassung vertreten, daß im Zentrum der Gefühle 956
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Joh. Chrys., In Matth. hom. 59 (60), 6 (PG 58, 581f.); In illud, vidua eligatur 9 (PG 51, 329). 957 Krause 1996, 288ff. 958 Amm. 28, 1, 26; Ennod. 80 (opusc. 3) (Vita Epifani Ticinensis ecclesiae), 21ff. (MGH, AA 7, 87). 959 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 13, 1f. (PG 49, 136ff.); De Pelagia 1 (PG 50, 579f.). 960 Eusebius Vercellensis, Epist. 2, 7, 3 (CCL 9, 108); Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 25 (CSEL 62, 165). Die juristischen Quellen der klassischen Zeit fordern die strenge Bestrafung derjenigen, die Räuber und andere Straftäter unterstützten; etwas milder sei mit denen zu verfahren, die mit den Straftätern verwandt oder verschwägert seien. Die Räuber hatten sich also nicht notwendigerweise aus allen sozialen Bindungen gelöst. Sie unterhielten weiterhin Kontakte zu ihren Verwandten und wurden von diesen verborgen gehalten: Dig. 47, 16, 2 (Paulus). 961 So werden uns die Räuberbanden in den Romanen, etwa Apuleius’ Metamorphosen, vorgeführt: Riess 2001, 301ff.
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Stadt- und Landbevölkerung
in Rom die Kernfamilie gestanden habe; erweiterte Familienformen hätten keinerlei Rolle gespielt. Diese Auffassung läßt sich bis zu einem gewissen Grade durch eine Untersuchung der Kriminalität stützen. Nach dem Tode des Familienoberhauptes wurde das Familienvermögen zumeist unter die Kinder aufgeteilt, sie gründeten jeweils ihren eigenen Haushalt, ihre Wege trennten sich. So konnte auch die Blutrache, bei der zwei Familienclane einander gegenüberstanden, keinerlei Bedeutung haben. Unmittelbar nach den engsten Familienangehörigen (Vater, Mutter, Kind) kamen als soziale Kontaktpersonen schon die Nachbarn. 962
Stadt- und Landbevölkerung Straftäter fanden hier und da in der weiteren Bevölkerung Unterstützung, am ehesten in ihrem Heimatdorf bzw. im Stadtviertel, in dem sie wohnhaft waren. Apollonios, wahrscheinlich Polizist, beklagt sich im 4. Jh. brieflich bei Herakleios, Epistates in Lykopolis, über die schlechte Behandlung, die die Einwohner seiner Stadt Heron hatten widerfahren lassen, der sich in dienstlicher Funktion nach Lykopolis begeben hatte, um einen Salbenhändler namens Ktistes zu verhaften. Lokale Solidaritäten konnten ein größeres Gewicht haben als das staatliche Recht. Eine Diebin von Kirchengut war in das Dorf Kegethis geflohen; dessen meizon weigerte sich, die Frau auszuliefern. Ein Brief des Basilius betrifft die Entführung eines jungen Mädchens. Unter anderem ordnet Basilius an, daß auch die Helfershelfer des Entführers auf drei Jahre mit der Exkommunikation zu bestrafen seien, ebenso sämtliche Einwohner des Dorfes, in dem sich das entführte Mädchen aufhalte, wenn sich herausstellen sollte, daß es den Machenschaften des Entführers keinen Widerstand entgegengesetzt hatte. Offenbar hatte der Straftäter Schutz bei seinen Dorfgenossen gefunden. Die Bevölkerung begegnete dem Frauen- bzw. Mädchenraub mit einer gewissen Toleranz. Mitunter leisteten auch in den Städten die Nachbarn Widerstand, wenn eine Haftmaßnahme vollzogen werden sollte. Nachdem Unruhen in einem Stadtviertel Konstantinopels ausgebrochen waren, schickte der Stadtpräfekt Zemarchos einige commentarienses, um einen jungen Mann namens Kaisarios zu inhaftieren. Die Einwohner des Stadtviertels leisteten Widerstand, und sie verwundeteten viele Soldaten ebenso wie die commentarienses. Die Großstädte waren in Stadtviertel untergliedert, 963
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B.D. Shaw, Latin Funerary Epigraphy and Family Life in the Later Roman Empire, Historia 33, 1984, 457-497. 963 Firm., Math. 3, 11, 5; 4, 7, 3; Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 4, 7 (PG 48, 881f.); In psalm. 49, 8 (PG 55, 253); Aug., In psalm. 49, 25 (CCL 38, 594). 964 P. Goth. 13 (4. Jh. n. Chr.). Vgl. bereits P. Mich. VI 421 (41/54 n. Chr.). 965 P. Oxy. XVI 1832 (5./6. Jh. n. Chr.). 966 Bas., Epist. 270 (Courtonne 3, 141f.).
6. Unterstützung von Straftätern
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und hier hatte die Nachbarschaft eine ebenso große Bedeutung wie in den zahlreichen kleineren Städten und Dörfern im Reich. Angeklagte entgingen vielfach durch Bürgenstellung einer Inhaftierung. Personen, die einer Straftat bezichtigt wurden und die in die Dorfgemeinschaft eingebunden waren, konnten vielfach mit der Unterstützung ihrer Nachbarn und Dorfgenossen rechnen. Aurelios Isidoros klagt beim Präfekten drei Männer wegen Brandstiftung an; die Angeklagten sollen eine Sicherheit (d.h. wohl: einen Bürgen) stellen, daß sie am Ort bleiben würden, damit der Prozeß stattfinden könne. In einem dienstlichen Schreiben wird dem Adressaten befohlen, eine Frau, die im Gefängnis einsitzt, freizulassen, unter der Voraussetzung, daß sich Bürgen für sie aus ihrem Heimatdorf finden. Die Inhaftierte solle die Ernte durchführen können, damit keine Einbuße an Steuern eintrete. Vier Männer leisten beim presbyteros, Schreiber und epistates von Antinoopolis Bürgschaft für ihren Dorfgenossen Ammon: Er werde sich künftighin seiner Frau Maria gegenüber in geziemender Form verhalten; andernfalls werden sie ihn im praitorion? phylakterion? (Z. 15), aus dem sie ihn in Empfang genommen haben, stellen. Der Bürgschaft lag offenbar ein Ehezwist zugrunde, und der Ehemann scheint sogar inhaftiert gewesen zu sein. Die ägyptischen Dokumente lassen deutlich werden, wie wichtig es war, über sozialen Rückhalt an der Dorfgemeinschaft zu verfügen, wenn eine Inhaftierung drohte. Sehr viel mehr Personen, als dies in modernen Gesellschaften der Fall gewesen ist, mögen in der Spätantike (wie in anderen vorindustriellen Gesellschaften) im Verlaufe ihres Lebens einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sein. Dies grenzte sie aber nicht aus der Gesellschaft aus, ebensowenig wie die Tatsache, daß sich in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis stets Personen fanden, die sich für sie verbürgten und die sie vielleicht auch dem Zugriff der Staatsorgane entzogen, eine Distanz zum Staat und seinen Gesetzen manifestierte. Selbst Räuber fanden in ihrem Heimatdorf Unterstützung. Als ein Statthalter einen Bewohner aus dem Dorf des Asketen Poimen als Räuber inhaftieren ließ, wandten sich die Dorfbewohner an Poimen mit der Bitte, sich beim Statthalter für den Inhaftierten zu verwenden. Mögen die Räuber auch in Gebirgshöhlen und anderen unwirtlichen Gegenden gehaust haben, so konnten sie doch ohne ein ihnen wohlgesonnenes Umfeld gar nicht überleben. Nicht nur mußte das Diebesgut abgesetzt werden, die Räuber waren auch für die regelmäßige Versorgung mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern auf die Zusammenarbeit mit Teilen der Landbevölkerung angewiesen. Es kann daher nicht überraschen, wenn in den 967
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Malalas 18, 151 (= Excerpta de insidiis, p. 175f. de Boor). Krause 1996, 66ff. 969 P. Cair. Isidor. 66/67 (299 n. Chr.), Z. 19ff.; auf denselben Fall bezieht sich P. Cair. Isidor. 65 (298/9 n. Chr.). 970 P. Cair. Masp. I 67078 (6. Jh. n. Chr.). 971 SB I 4658 (Spätantike). Vgl. auch noch SB VI 9146 (6./7. Jh. n. Chr.); PSI I 52 (6. Jh. n. Chr.?). 972 Apophthegmata patrum, Poimen 9 (81) (PG 65, 324). 968
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Stadt- und Landbevölkerung
Quellen wiederholt Mitwisser und Unterstützer von Räubern erwähnt werden. Nach einem Gesetz aus dem Jahr 374 hat derjenige, der einem Angeklagten Unterschlupf gewährt, dieselbe Strafe wie dieser selbst zu gewärtigen. Und wenn jemand Räuber bei sich verbirgt und sie nicht den Gerichten überantwortet, so soll er je nach sozialem Rang und Einschätzung des Richters entweder eine Körperstrafe erleiden oder mit der Konfiskation seines Vermögens bestraft werden. Räuber fanden also Unterstützung in allen sozialen Schichten: nicht nur in den Unterschichten, sondern auch bei den Besitzenden. Verbergen sich Räuber oder andere Straftäter auf privatem Grundbesitz, so haben der Eigentümer oder, wenn dieser abwesend ist, der Verwalter bzw. die Vorsteher (primates possessionis) sie dem Gericht zu überstellen. Tun sie dies nicht von sich aus, so sollen sie hierzu vom Gericht aufgefordert werden. Wenn aber die zivilen Beamten nicht in der Lage sind, die Auslieferung der Straftäter zu erreichen (wegen der Menge der Widerstand leistenden Landbevölkerung), so soll der Provinzstatthalter das Militär anfordern. Es gewährten also Bauern Straftätern (Räubern) auch gegen den Willen ihres Verpächters Unterschlupf, und es kam über ihre Auslieferung zu bewaffneten Konflikten. Der (wenn auch ungerechtfertige) Vorwurf, Freund eines Räubers zu sein, mochte jemanden um seine Habe bringen. Er konnte mit einer gewissen Plausibilität erhoben werden; die Unterstützung, die die Räuber in der Zivilbevölkerung fanden, wurde mithin als eine Gefahr gesehen. Von Verhaftung bedroht waren vermehrt auch Mitwisser und Mittäter von Räubern; sie wurden mit derselben Strenge gerichtet wie die latrones selbst. In einzelnen Fällen ist eine weiterreichende Zusammenarbeit von Landbevölkerung und Räubern bezeugt. In der Auseinandersetzung mit einem Nachbardorf sicherte sich ein ägyptisches Dorf die Dienste eines Räuberhauptmannes; im Vertrauen hierauf lehnte es zunächst 973
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Cod. Theod. 9, 29, 1 (= Cod. Iust. 9, 39, 1) (374 n. Chr.). Cod. Iust. 9, 39, 2 (451 n. Chr.). Umgekehrt werden die Armeeeinheiten, die bei der Verfolgung von Räubern eingeschaltet worden waren, gewarnt, Übergriffe auf die Provinzbevölkerung zu begehen. Sie machten offenbar vielfach keinen Unterschied zwischen den Räubern selbst und der einfachen Landbevölkerung; möglicherweise wurde dieser die Unterstützung der Räuber unterstellt: Cod. Iust. 9, 39, 2, 1a (451 n. Chr.). Während des Aufstandes der Boukoloi in Ägypten unter Marc Aurel wurden von den römischen Militäreinheiten einige Dörfer niedergebrannt; augenscheinlich wurde ihnen Zusammenarbeit mit den Banditen vorgehalten: R. Alston, The Revolt of the Boukoloi. Geography, History and Myth, in: K. Hopwood (Hrsg.), Organised Crime in Antiquity, London 1999, 129-153, 136. 975 Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 21ff. (PG 37, 858/60), v.a. 38f. Prozeßakten aus dem Ende des 3. Jh. betreffen ein Kriminalverfahren, in dem augenscheinlich einige Dorfangehörige der Komplizenschaft mit Räubern bezichtigt wurden: P. Antin. II 87 (Ende 3. Jh. n. Chr.). Aur. Phibios und Apollos verpflichten sich 612 n. Chr. Fl. Apion gegenüber, nicht zu stehlen und keine Räuber zu beherbergen. Andernfalls würden sie eine Buße von 24 Goldmünzen entrichten: P. Oxy. XVI 1981 (612 n. Chr.?); vgl. auch P. Oxy. I 139 (612 n. Chr.). 976 Firm., Math. 4, 14, 10; 5, 6, 10; Lib., Or. 45, 6.
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6. Unterstützung von Straftätern
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den Vermittlungsversuch des Asketen Apollo ab. Soweit wie hier wird es nur selten gekommen sein. Deutlich wird immerhin, daß nicht notwendigerweise ein Antagonismus zwischen Räubern und Landbevölkerung bestand. All dies bedeutet nun freilich nicht, daß die Räuber als „Sozialrebellen“ eine weite Unterstützung in der bäuerlichen Bevölkerung gefunden hätten, vielmehr belegt es lediglich ein Phänomen, welches auch für die neuzeitlichen Räuberbanden bezeugt ist, nämlich daß die Räuber auf eine lokale Basis angewiesen waren, von der aus sie operieren konnten. Die antiken Quellen verweisen hin und wieder darauf, daß die Räuber „von weither“ gekommen seien; möglicherwiese scheuten sie sich, sich die Sympathien der lokalen Bevölkerung zu verscherzen, auf die sie angewiesen waren. Dies entspricht der in der sozialanthropologischen Literatur geschilderten Situation, nach der Räuber und Banditen in ihrem lokalen Umfeld vielfach mit Unterstützung rechnen konnten (was ihre Verfolgung durch die Staatsorgane erschwerte), wohingegen sie ihre Raubtaten in größerer Entfernung von ihrer Operationsbasis durchführten. Die Quellen rechtfertigen nicht die Auffassung, daß die Landbevölkerung sich in größerem Umfang als vordem mit den Räubern solidarisiert hätte. Bereits nach den klassischen Juristen drohten denjenigen, die Räuber unterstützt oder bei sich verborgen gehalten hatten, dieselben Strafen wie den Räubern selbst. Die spätantiken Räuber mochten über einen gewissen Rückhalt bei Familienangehörigen 977
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Historia monachorum in Aegypto 8, 30ff. (Festugière 58/61). Vgl. hierzu auch noch Shaw 1984, 36f.; Hopwood 1989, 175ff.; Wolff 2003, 53ff. - Sulp. Sev., Mart. 11 (Fontaine 276): Die ländliche Bevölkerung verehrte das Grab eines Räubers als eines Heiligen. Giardina sieht in dem Räuber einen „Sozialrebellen“, der bei der ländlichen Bevölkerung Rückhalt fand und noch nach seinem Tod verehrt wurde (umgedeutet als christlicher Märtyrer): Giardina 1983, 381ff. Man muß dieser Deutung nicht folgen. Hätte es sich um einen „Sozialrebellen“ gehandelt, so hätte bei der einfachen Bevölkerung vielleicht sein Name in Vergessenheit geraten können, nicht aber der Umstand, daß er für die Armen gegen die Reichen gekämpft hatte. Die Bevölkerung wie die Kleriker hielten den Mann für einen christlichen Märtyrer; Bischöfe selbst hatten einen Altar errichtet; es war also kein ausschließlich volkstümlicher Kult. Während der Christenverfolgungen waren manche Christen auch wegen gewöhnlicher Straftaten denunziert worden: Eus., Hist. eccl. 6, 41, 21. In dieser Situation ist es einleuchtend, daß sich die Erinnerung daran verlieren konnte, warum eine Person hingerichtet worden war. Vgl. hierzu auch noch Aug., Epist. 16, 2 (CSEL 34, 1, 37f.): Der heidnische Grammatiker Maximus hält den Christen vor, daß sie Personen (sie tragen einheimische Namen), die wegen ihrer Verbrechen hingerichtet worden seien, als Heilige verehrten. Amm. 27, 7, 5f.: Verehrung unschuldig Hingerichteter durch die Christen als Märtyrer. Während die literarischen Quellen in den Bagauden Räuber und Banditen sehen, betrachtet die Vita Baboleni (redigiert in der Mitte des 11. Jh.) sie als gute Römer und vorbildliche Christen. Es kam also zu einer Umdeutung: s. hierzu Giardina 1983, 386ff. 979 Historia monachorum in Aegypto 6, 2 (Festugière 44). 980 Blok 1972, 497; Wilson 1988, 342ff. 981 Dig. 1, 18, 13, pr. (Ulpian); 47, 16, 1 (Marcianus); 47, 16, 2 (Paulus). Vgl. auch noch 47, 9, 3, 3 (Ulpian); 47, 14, 3, 3 (Callistratus); 48, 5, 40 (39), 4 (Papinian); 48, 19, 16, pr. 978
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Patrocinium über Straftäter
und in ihrer Dorfgemeinschaft verfügen, nicht aber bei der Landbevölkerung als solcher. Die Bauern selbst waren Opfer der Räubereien, und sie beteiligten sich daher auch an Milizen im Kampf gegen Räuber. Räuber und andere Straftäter konnten beim Großteil der Zivilbevölkerung mit keinerlei Sympathien rechnen. 982
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Patrocinium über Straftäter Räuberbanden konnten sich in der Neuzeit nur dann über einen längeren Zeitraum halten, wenn sie entweder Unterstützung in einer lokalen Gemeinschaft oder bei mächtigen Patronen fanden. Shaw vermutet für die Kaiserzeit eine ähnliche Situation. Er verweist darauf, daß nach Auskunft der juristischen Quellen der hohen Kaiserzeit die receptatores (= Unterstützer von Räubern) oftmals Angehörige der Oberschichten gewesen seien. Denn einige der Strafen, die den receptatores angedroht wurden, waren den honestiores vorbehalten. Hier und da gewährten einflußreiche Personen auch in der Spätantike Räubern ihren Schutz. Ausonius hält es für denkbar, daß sein Briefpartner Theon, offenbar ein Großgrundbesitzer, auf eigene Faust Viehdiebe verfolgt, sich aber von ihnen bestechen und an der Beute beteiligen läßt. Der Sachverhalt, auf den hier angespielt wird, ist nicht neu oder gar für die Spätantike typisch. Bereits in den juristischen Quellen der hohen Kaiserzeit wie auch im griechischen Roman sehen wir, daß Räuber und andere Kriminelle diejenigen, die nach ihnen gefahndet hatten, bestachen und sich auf diese Weise freikauften. Theodosius I. ermahnt die defensores civitatum, resolut gegen das Räuberunwesen vorzugehen, das den latrones gewährte Patrocinium solle beseitigt werden. Möglicherweise hatten munizipale Gerichtsorgane Räuber gedeckt, mit denen sie entweder bekannt waren oder von denen sie bestochen worden waren. Es würde sich dann um ein Korruptionsphänomen handeln, nicht darum, daß mächtige Großgrundbesitzer Räuber langfristig in ihren Schutz genommen hätten. Sträftäter oder Deserteure kamen auf fremdem Grundbesitz unter. In aller Regel werden als hierfür verantwortlich in den juristischen Quellen aber nicht die Grundbesitzer selbst, sondern vielmehr die Gutsverwalter (actores, procuratores) 985
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(Claudius Saturninus); Paul., Sent. 5, 3, 4 (FIRA 2, 389). Apul., Met. 4, 1, 1f.; Tert., Nat. 1, 2, 5f. (CCL 1, 12). Antoninus Pius hatte als Statthalter der Provinz Asia angeordnet, daß die Irenarchen die inhaftierten Räuber auch nach ihren Genossen sowie ihren Hehlern (receptores) befragen sollten: Dig. 48, 3, 6, 1 (Marcianus). 982 Lib., Or. 50, 26; 27, 4. 983 Zos. 5, 15, 5 - 16, 3. 984 Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 4, 3 (PG 48, 874). 985 Shaw 1984, 36f.; 38f.; 1991, 361ff. 986 Auson., Epist. 14, 22ff. 987 Dig. 47, 16, 1 (Marcianus); Ach. Tat. 7, 3. 988 Cod. Theod. 1, 29, 8 (= Cod. Iust. 1, 55, 6) (392 n. Chr.).
6. Unterstützung von Straftätern
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genannt, ohne daß der weit entfernt weilende Grundbesitzer gewußt haben muß, was auf seinem Grund und Boden vor sich ging. Die Aufnahme von Straftätern auf Großgütern bedeutet also nicht, daß der Grundbesitzer als deren Patron und Beschützer fungierte, vielmehr waren die Gutsverwalter auf der ständigen Suche nach Arbeitskräften und waren bei deren Anwerbung nicht allzu skrupulös. Nachdem 399 die Revolte der Saturiani (sie werden im Gesetzestext als latrones bezeichnet) mit Waffengewalt niedergeschlagen worden war, konnten sich einige unter ihnen auf privatem Grundbesitz verborgen halten, wo sie im Ackerbau tätig waren. Denn um den Grundbesitzern entgegenzukommen, wird angeordnet, daß es ihnen möglich sein soll, auf die durch die Saturiani frei gewordenen Parzellen von anderswoher Familien überzusiedeln. Alle Vorstellungen, Großgrundbesitzer hätten Kriminellen ihren Schutz gewährt, um ihre eigene Machtstellung auch nach außen hin zu stärken (dies ist etwa die Situation, die Blok für Sizilien im 19. und 20. Jh. analysiert hat), sind also von der Hand zu weisen. Daß Patronatsverhältnisse ein großes Gewicht hatten, soll nicht abgestritten werden. Augustin sieht die Möglichkeit, daß Patrone auf ihre Klienten mahnend und bessernd einwirkten. Die tatsächliche Situation war vielfach eine andere. Einflußreiche Persönlichkeiten nahmen Straftäter unter ihren Schutz. Viele Straftaten wurden dadurch erst möglich bzw. blieben ungesühnt, daß ein Patron schützend seine Hand über seine Klienten und Abhängigen hielt. Petronius Probus befahl zwar, so Ammianus Marcellinus, niemals einem seiner Sklaven oder Klienten etwas Unerlaubtes; wenn diese jedoch eine Straftat begangen hatten, verteidigte er sie ohne Rücksicht auf die Gerechtigkeit. Augustin beklagt die Doppelzüngigkeit vieler seiner Zeitgenossen: Gestern haben sie sich noch darüber beklagt, daß sie durch einen schikanösen Prozeß ihre ererbte Habe verloren haben, heute begehen sie selbst Räubereien, gedeckt durch einen einflußreichen Mitbürger. Augustin nennt ein Beispiel: Vor einiger Zeit habe eine domus potentissima die Stadt terrorisiert; viele hätten sich über die von dieser begangenen Straftaten beklagt. Sobald sie aber selbst in deren Abhängigkeit geraten seien (als 989
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Cod. Theod. 7, 18, 2 (379 n. Chr.); 7, 18, 4 (= Cod. Iust. 7, 13, 4; 12, 45, 1) (380 n. Chr.); 7, 18, 5 (381 n. Chr.); 7, 18, 6, 1 (382 n. Chr.); 7, 18, 7 (383 n. Chr.); 9, 29, 2 (vgl. auch Cod. Iust. 9, 39, 1) (383 [391?] n. Chr.); 7, 18, 8 (383 [391] n. Chr.); 7, 18, 9 (396 n. Chr.); 7, 18, 12 (403 n. Chr.). 990 Cod. Theod. 7, 19, 1 (399 n. Chr.). 991 Blok 1972; 1981; vgl. auch L. Lewin, The Oligarchical Limitations of Social Banditry in Brazil: the Case of the „Good“ Thief Antonio Silvino, P&P 82, 1979, 116-146. 992 Aug., Serm. 302, 21, 19 (PL 38, 1392f.). 993 Zos. 5, 9. 994 Amm. 27, 11, 4. 995 Aug., Serm. 14, 8 (CCL 41, 189f.).
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Patrocinium über Straftäter
Kolonen? als Klienten?), hätten sie sich ihrerseits dieselben Straftaten zuschulden kommen lassen, über die sie sich kurz zuvor noch beklagt hätten. Man darf aber nicht nur die negativen Aspekte des spätantiken Patronats sehen. Sicher hatte das Gerichtspatrocinium vielfach zur Folge, daß an Recht und Gerechtigkeit vorbei entschieden wurde. Es hatte aber auch seine positiven Seiten. In der Republik und frühen Kaiserzeit waren die Bewohner der Provinzen, soweit sie nicht über das römische Bürgerrecht verfügten, der Willkür der römischen Behörden nahezu schutzlos preisgegeben. In der Spätantike kann hiervon keine Rede mehr sein. In allen Provinzen bildeten sich mit der Erweiterung des Senatorenstandes Provinzaristokratien heraus, deren Mitglieder häufig von höherem Rang waren als die in vielen Fällen lediglich aus dem Perfectissimat stammenden Provinzstatthalter. Es konnte in einem Strafverfahren von unschätzbarem Vorteil sein, einen dieser honorati als Patron zu haben, ganz gleich, ob man Beschuldigter oder Ankläger war. Wenn Klienten oder Kolonen, die ein Unrecht erlitten hatten, ihren Patron bzw. Grundbesitzer um Beistand bitten konnten, so bedeutet dies, daß sie nicht genötigt waren, sich selbst ihr Recht zu verschaffen und hierbei ggf., wie dies in anderen bäuerlichen Gesellschaften der Fall ist, Gewalt anzuwenden. Das Patronatswesen trug viel dazu bei, daß Rechtsstreitigkeiten vor Gericht ausgetragen wurden und dürfte in diesem Sinne befriedend gewirkt haben. Fassen wir zusammen: Räuber und andere Straftäter fanden vielfach Unterstützung bei Familienangehörigen, Dorfbewohnern oder auch Großgrundbesitzern bzw. deren Agenten (actores, procuratores). Weder begegnete jedoch die Landbevölkerung den Aktivitäten der Räuberbanden grundsätzlich mit Sympathie, noch haben Großgrundbesitzer ein festes Schutzverhältnis über Räuber ausgeübt. Phänomene, wie sie in anderen Gesellschaften bezeugt sind, daß Großgrundbesitzer Räuber in ihre Dienste nehmen, um ihre Machtstellung innerhalb des Gutes wie auch nach außen mit brutaler Gewalt zur Geltung zu bringen, können für das spätantike Römische Reich nicht nachgewiesen werden. 996
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In psalm. 93, 1 (CCL 39, 1300f.). Ähnlich ist der Tenor bei Bas., Hom. in divites 5 (PG 31, 293/6). 997 Aug., In psalm. 93, 7 (CCL 39, 1307/9). Dieselben Patronatsfunktionen wurden vielfach von den Bischöfen übernommen. Augustin schildert, wie kleine Leute, die von einem mächtigen Ankläger (offenbar in einem Strafverfahren) bedrängt werden und die Inhaftierung befürchten müssen, sich an den Bischof um Schutz wenden: Serm. 161, 4, 4 (PL 38, 879f.).
7. FAHNDUNG NACH STR AFTÄTERN In den folgenden Kapiteln stehen die Bemühungen von Staat und Gesellschaft im Mittelpunkt, Gewalt und Kriminalität in den Griff zu bekommen. Das weitere Vorgehen ergibt sich dabei ganz folgerichtig aus der Sache: Gegenstand des 7. Kapitels ist die Aufklärung von Straftaten und die Fahndung nach den Tätern, es wird weitergehen mit dem Gerichtsverfahren (Anklage) bzw. den Alternativen hierzu (Selbsthilfe und Selbstjustiz, außergerichtliche Einigungen) (Kapitel 8 und 9), bevor im Schlußkapitel danach zu fragen ist, welche Strafen den Tätern drohten. Der Staat verfügte über keinen Polizeiapparat, der mit einer Massenkriminalität hätte fertig werden können. Kann unter diesen Umständen der bislang herausgearbeitete Befund, daß die spätantike Gesellschaft vergleichsweise friedfertig war, sehr viel friedfertiger, als im allgemeinen angenommen wird, überhaupt Plausibilität beanspruchen? Waren die Menschen damals weniger aggressiv als heute? Wohl kaum. Wie gelang es unter diesen Voraussetzungen dann aber doch noch, Gewalt und Kriminalität auf ein den Zeitgenossen erträglich erscheinendes Maß zu begrenzen?
Polizei Der kaiserzeitliche Polizeiapparat gilt gemeinhin als ineffizient. Jedoch darf er nicht mit demjenigen eines modernen Industriestaates verglichen werden. Bei allen Unzulänglichkeiten waren die Polizeiorgane durchaus in der Lage, für ein zufriedenstellendes Maß an innerer Sicherheit und Ordnung Sorge zu tragen. Schauen wir zuerst auf die beiden Hauptstädte, Rom und Konstantinopel, für die die Quellenlage vergleichsweise günstig ist. In der frühen Kaiserzeit wurden die dem Stadtpräfekten unterstehenden cohortes urbanae sowie die Prätorianer in Rom auch für Polizeiaufgaben im weitesten Sinn eingesetzt. Die Prätorianergarden wurden 312 aufgelöst. Einige Jahrzehnte später geschah dasselbe mit den drei cohortes urbanae. An ihre Stelle trat ein Corps von spezialisierten Polizisten, die sog. contubernales, die dem tribunus fori suarii (der schon vorher die cohortes urbanae kommandiert hatte) unterstanden. Die contubernales waren (wie vorher 998
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Jones 1964, 520f.; frühe Kaiserzeit: Riess 2001, 200ff. Hirschfeld 1891, 580ff. Zu den cohortes urbanae vgl. H. Freis, Die cohortes urbanae, Köln - Graz 1967, zu den Prätorianergarden M. Durry, Les cohortes prétoriennes, Paris 1938.
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Polizei
die cohortes urbanae) in den castra urbana kaserniert. Für Polizeiaufgaben standen darüber hinaus die dem Stadtpräfekten unterstehenden officiales zur Verfügung. Bis ins 4. Jh. hinein bestanden die vigiles fort, die neben der Feuerbekämpfung auch Polizeiaufgaben wahrnahmen. Sie waren in 7 Kohorten zu je 1000 Mann untergliedert, jede der Kohorten war für zwei Stadtviertel verantwortlich. Auch die cohortes vigilum hörten augenscheinlich noch vor 384 auf zu bestehen; die Aufgabe des Brandschutzes und der nächtlichen Polizei wurde jetzt von den collegiati bzw. corporati übernommen. Chastagnol vermutet, daß die cohortes vigilum und die cohortes urbanae zur selben Zeit aufgelöst wurden (vermutlich zwischen 368 und 379); das Polizeiwesen in Rom wurde damit auf eine neue Grundlage gestellt. Tagsüber wurde die Sicherheit durch die officiales des Stadtpräfekten sichergestellt, nachts durch die collegiati, die dem praefectus vigilum und den vicomagistri unterstanden, die jeweils dem Stadtpräfekten und den curatores regionum untergeordnet waren. Der praefectus vigilum hat die cohortes vigilum überlebt. Cassiodor bezeichnet es als eine seiner Aufgaben im ostgotischen Rom, nächtliche Diebe zu inhaftieren (wenngleich er für deren Aburteilung nicht 1000
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Nach Chastagnol wurden die cohortes urbanae zwischen 357 und 384, wahrscheinlich zwischen 368 und 379 aufgelöst: Chastagnol 1960, 226f.; 254ff. Sinnigen 1957, 89ff. datiert dies demgegenüber schon in konstantinische Zeit (nach 317). Zur Entwicklung der cohortes urbanae vgl. weiterhin Jones 1964, 692f. 1001 Sinnigen 1957, 94ff. 356/7 wurden Unruhestifter auf Anordnung des Stadtpräfekten von apparitores inhaftiert: Amm. 15, 7, 2f. Als es 366 zwischen den Anhängern des Damasus und Ursinus zu Auseinandersetzungen kam, schritten officiales ein: Coll. Avellana 1, 6 (CSEL 35, 1, 2f.). Ebenso 368/9 bei der Inhaftierung des Priesters Macarius: Coll. Avellana 2, 80 (CSEL 35, 1, 29). Einsatz von officiales zu Polizeizwecken: Symm., Rel. 23, 8. Coll. Avellana 16, 5 (CSEL 35, 1, 62): Es sind contubernales und apparitores, die Bonifatius am Zugang zur Stadt hindern sollen. Es konnten auch die officiales des vicarius hinzukommen: Symm., Rel. 23, 11. Vgl. auch Coll. Avellana 29, 4 (CSEL 35, 1, 75) und 32, 3 (ibid. 79). 1002 Chastagnol 1960, 258ff.; vgl. zu den vigiles bzw. dem praefectus vigilum auch noch Sinnigen 1957, 92ff.; Jones 1964, 694f. Zu den collegiati vgl. Coll. Avellana 14, 3 (CSEL 35, 1, 59): Als verantwortlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung in Rom genannt die corporati, das officium des Stadtpräfekten sowie die maiores regionum. - Zu den vigiles in der frühen Kaiserzeit vgl. Hirschfeld 1891, 578ff.; P.K.B. Reynolds, The Vigiles of Imperial Rome, Oxford 1926; J.S. Rainbird, The Fire Stations of Imperial Rome, PBSR 54, 1986, 147-169; Y. Le Bohec, L’armée romaine sous le Haut-Empire, Paris 1989, 22f.; S. Capponi – B. Mengozzi, I vigiles dei Cesari. L'organizzazione antincendio nell'antica Roma, Roma 1993; R. Sablayrolles, Libertinus miles. Les cohortes de vigiles, Collection de l'École française de Rome 224, Roma - Paris 1996 (hier 105ff. zur Rechtsprechung des praefectus vigilum in Strafsachen). Der praefectus vigilum urteilte in Rom in der hohen Kaiserzeit die Brandstifter, Hauseinbrecher, Diebe, Räuber, Hehler ab, es sei denn, der Straftäter wurde aufgrund der Schwere des Verbrechens dem Stadtpräfekten überstellt: Dig. 1, 15, 3, 1f. (Paulus).
7. Fahndung nach Straftätern
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zuständig war); der Feuerschutz wird nicht explizit erwähnt. Möglicherweise hatten sich seine Aufgaben vor allem auf die Bekämpfung kleinerer Kriminalität verlagert. Die schon erwähnten corporati bzw. collegiati waren im wesentlichen (wie die vigiles vor ihnen) für den nächtlichen Brandschutz verantwortlich, wurden aber auch für Polizeiaufgaben eingesetzt. Als sich im März 419 Eulalius der Aufforderung der Behörden widersetzte, die Lateranbasilica zu räumen und die Stadt zu verlassen, schickte der Stadtpräfekt Symmachus nicht nur seine officiales zu der Basilica, sondern auch corporati. Deren Zahl ist nicht überliefert; vermutlich lag sie in derselben Größenordnung wie in Konstantinopel (hier 560). Auch wenn man berücksichtigt, daß die Bevölkerungszahl von Rom seit dem Beginn des 5. Jh. stark rückläufig war, ist die Diskrepanz zwischen 7000 vigiles und einigen Hundert corporati doch bemerkenswert. Zumindest seit Hadrian standen an der Spitze der von Augustus eingerichteten 14 Regionen Roms die sogenannten curatores regionum, seit Konstantin und seinen Söhnen (bis nach 357) jeweils zwei in jeder Region. Bis zum 4. Jh. hatten sie nur untergeordnete Funktionen und waren kaum im Polizeibereich tätig. Sie wurden ihrerseits von den magistri vicorum bzw. vicomagistri unterstützt. Zwischen 357 und 398 wurde die Institution der curatores regionum reformiert. Sie erhielt einen Funktionszuwachs. Die curatores waren von nun an clarissimi (davor stammten sie aus dem Ritterstand). An der Spitze einer jeden Region stand jeweils nurmehr ein curator, der in seiner Region gewissermaßen zum Vize-Präfekten wurde. Die curatores trugen verschiedene Bezeichnungen: curatores regionum, curatores urbis, proceres, priores oder primates regionum, regionarchae. Ihre Funktionen waren die Bekanntmachung von Verordnungen, die Sorge um das Straßennetz. Mit der Abschaffung der cohortes urbanae bekamen sie auch neue Aufgaben im Polizeibereich. Diese neue Organisation des Polizeiwesens wurde nach Chastagnol auf jeden Fall nach Beseitigung der cohortes urbanae und vor 1003
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Cassiod., Var. 7, 7 (CCL 96, 267f.); vgl. auch 7, 8 (ibid. 268f.). Zur Strafgerichtsbarkeit des praefectus vigilum vgl. auch noch Chastagnol 1959, 263f.; E. Franciosi, Riforme istituzionali e funzioni giurisdizionali nelle Novelle di Giustiniano. Studi su Nov. 13 e Nov. 80, Seminario Giuridico della Università di Bologna 185, Milano 1998, 57ff. Zur Situation im ostgotischen Rom vgl. ferner Var. 7, 13 (ibid. 272f.) (Formula comitivae Romanae): Es hatten sich Diebstähle bzw. Beschädigungen von Statuen im ostgotischen Rom gehäuft. Insbesondere in der Nacht sollen Patrouillen aus officiales und Soldaten diese Diebstähle verhindern. 1004 Symm., Rel. 14, 3. 1005 Coll. Avellana 32, 3f. (CSEL 35, 1, 79). 1006 Chastagnol 1960, 256ff.; Sinnigen 1957, 96f. 1007 Coll. Avellana 21, 3 (15. März 419) (CSEL 35, 1, 69): Während des Streites um den Bischofsstuhl von Rom zwischen Bonifatius und Eulalius werden die primates der einzelnen Regionen dafür verantwortlich gemacht, daß es nicht zu Unruhen kommt. Betrauung der primates regionum mit der Durchführung einer Polizeimaßnahme auch in Coll. Avellana 31, 6 (ibid. 77f.).
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Abfassung der Historia Augusta (welche sie als bekannt voraussetzt) eingeführt, möglicherweise nach 385, denn Symmachus erwähnt die curatores in seinen Relationes nicht. Man könnte vermuten, daß als Folge der Auflösung der Prätorianergarden und der cohortes urbanae die Unsicherheit auf den Straßen in Rom zunahm. Die Prätorianer waren jedoch auch in der frühen Kaiserzeit nicht eigentlich mit Polizeiaufgaben befaßt gewesen; es war ihre Aufgabe, politische Unruhen zu unterbinden. Im Bereich der Verbrechensprävention oder der Fahndung nach gemeinen Straftätern waren sie nicht tätig. Diese Aufgaben oblagen in der frühen wie späten Kaiserzeit in erster Linie den Bürgern: Die Römer mußten selbst sehen, wie sie ihre Person und Habe vor kriminellen Übergriffen schützten und wie sie der Straftäter habhaft wurden. Lediglich die Ahndung des Verbrechens betrachtete der Staat als seine Aufgabe. Insgesamt läßt sich nicht feststellen, daß die Unsicherheit zugenommen hat. Selbst die zahlreichen Hungerrevolten stellten für die innere Sicherheit kein wirkliches Problem dar. Symmachus bezeichnet die Stadt Rom als „befriedet“ (pacata), und er mußte als Stadtpräfekt wissen, wovon er redete. Zur Polizei in Konstantinopel enthält die Notitia urbis Constantinopolitanae einige Angaben. Die 13 (bzw. 14) Regionen unterstanden einem Curator „qui totius regionis sollicitudinem gerat“. Es handelte sich um eine Art Bürgermeister, der von einem Staatssklaven (vernaculus) unterstützt wurde. Den curatores unterstanden im weiteren die vicomagistri, „quibus per noctem tuendae urbis cura mandata est“, diese waren also mit der nächtlichen Bewachung der Stadtviertel beauftragt. Schließlich standen ihnen die collegiati zur Verfügung, „qui e diversis corporibus ordinati incendiorum solent casibus subvenire“. Ein Gesetz aus dem Jahr 420 (Datierung nach Seeck) regelt ihre Rekrutierung aus den verschiedenen Korporationen und legt ihre Zahl auf 563 fest. Es ergeben sich für 13 Regionen (von 14, die 14. ist in der Notitia nicht aufgeführt) folgende Zahlen: jeweils ein Curator und sein vernaculus; collegiati: 25, 35, 21, 40, 40, 49, 80, 17, 38, 90, 37, 17, 34, zusammen 523; vicomagistri: jeweils 5, zusammen 65. Die Notitia nennt eine Gesamtzahl von 560 corporati, es mögen diejenigen der fehlenden 14. Region mitgezählt sein. Daneben traten (wie in Rom) das officium des 1008
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Jones 1964, 693. Symm., Rel. 23, 8. Während der römischen Stadtpräfektur des Rutilius Namatianus wurde kein einziges Todesurteil gefällt. Auch dies spricht nicht dafür, daß die Gewalt in Rom ausgeufert sei; es reichte offenbar eine sehr begrenzte Zahl von Ordnungskräften: Rut. Nam. 1, 159f. 1010 In: O. Seeck (Hrsg.), Notitia dignitatum, 1876, 230ff.; vgl. Dagron 1974, 233f. 1011 Notitia urbis Constantinopolitanae (Seeck 230). 1012 Cod. Iust. 4, 63, 5 (409 n. Chr., 420 Seeck). Zu diesen Feuerwehrleuten vgl. auch Johannes Lydus, De magistratibus 1, 50. 1013 Notitia urbis Constantinopolitanae (Seeck 230ff.).
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Stadtpräfekten und dasjenige des praefectus vigilum. Bei größeren Unruhen wurden Armeeeinheiten eingeschaltet. 342 erhielt der magister officiorum Hermogenes den Auftrag, sich mit den Anhängern des Bischofs Paulus auseinanderzusetzen. Einige Jahre später war es der Prätorianerpräfekt Philippus, der die Verbannung des Paulus durchsetzte. 403 wurde Johannes Chrysostomos von dem princeps des Stadtpräfekten arretiert. Während der Unruhen 404 war es aber der magister officiorum, der den Tribunen Lucius und 400 Soldaten gegen die Anhänger des Johannes ausschickte. In Konstantinopel war die polizeiliche Situation also günstiger als in anderen Großstädten. Denn da der Kaiser meistens in Konstantinopel oder der näheren Umgebung residierte, konnte der Stadtpräfekt im Notfall auf die kaiserlichen Truppen zurückgreifen. In den Provinzen kam es zunächst und vor allem den Statthaltern zu, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Nach Justinian hatte der Provinzstatthalter die Aufgabe, Räuber und ähnliche Straftäter aufgreifen zu lassen. Die Staatsorgane hatten also in diesem Bereich eine aktive Rolle, die über das Reagieren auf Anzeigen der Opfer hinausging. Chorikios von Gaza rühmt den Statthalter der Provinz Palaestina I: Er habe Sicherheit auf den Straßen geschaffen, auf denen die Banditen sich in den Hinterhalt gelegt hätten. Die Möglichkeiten, die Kriminalität zu bekämpfen, haben sich in der Spätantike aufs ganze gesehen verbessert. Die Provinzen wurden deutlich verkleinert, die Statthalter konnten auf einem kleineren Territorium mit den ihnen zur Verfügung stehenden officiales bzw. apparitores eher für Ruhe und Ordnung sorgen. In den Quellen ist häufiger als zuvor in den Provinzen vom Einsatz von „Soldaten“, womit in aller Regel die dem Statthalter zugeteilten officiales gemeint sind, im polizeilichen Bereich die Rede. Von „Soldaten“ wurden Inhaftierungen und Fahndungsaktionen durchgeführt. 1014
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Dagron 1974, 234ff.; 282. Nov. Iust. 13, 5 (535 n. Chr.). 1016 Pallad., Vita Ioh. Chrys. 9 (Malingrey - Leclercq 196/8). 1017 Cod. Iust. 1, 40, 17 (Justinian). Ähnlich sieht auch Cassiodor die Aufgaben der Zivilbeamten: Var. 4, 49 (CCL 96, 175); 12, 5, 6 (ibid. 470). Vgl. bereits Dig. 1, 18, 3 (Paulus); 1, 18, 13, pr. (Ulpian); 48, 13, 4, 2 (Marcianus). 1018 Choric. Gaz., Laud. Arat. et Steph. 35f.; vgl. K.G. Holum, Flavius Stephanus, Proconsul of Byzantine Palestine, ZPE 63, 1986, 231-239. 1019 Vgl. u.a. Lib., Or. 26, 30; 29, 33; 45, 5; 46, 18; 54, 42. Johannes Chryostomos wäre in seiner Heimatstadt Antiochia als Knabe beinahe von Soldaten inhaftiert worden, die nach Büchern über Magie fahndeten: Joh. Chrys., In act. hom. 38, 5 (PG 60, 274f.). Es dürfte sich um die Untersuchung des Jahres 371 gehandelt haben. Auch Ammianus berichtet in diesem Zusammenhang von der Suche nach magischen Texten und deren Verbrennung: Amm. 29, 1, 41. Als in Gaza das Heidentum unterdrückt wurde, entsandte der Statthalter unter Leitung von commentarienses Truppen in die Stadt; es scheint sich im wesentlichen um dem Stab des Statthalters angehörende officiales gehandelt zu haben, die vielleicht durch reguläre Einheiten ergänzt wurden: Marc. Diac., Vita Porph. 27 (Grégoire – Kugener 23f.); 63 (ibid. 50); 99 (ibid. 76).
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Dem Statthalter unterstanden in den Städten seiner Provinz stationierte Militärpolizisten, stationarii, die zu seinem officium gehörten. Ihre Aufgaben blieben offiziell auf die Fahndung nach Straftätern beschränkt; häufig kam es aber zu Kompetenzüberschreitungen. Hinweise hierauf häufen sich in der Spätantike, ein deutlicher Hinweis auf die gewachsene Bedeutung des staatlichen Polizeiapparates. Diokletian betont, daß die Opfer von Gewalttaten ihre Anzeigen nicht bei den stationarii, sondern beim officium des Provinzstatthalters einzubringen hätten; es sollte verhindert werden, daß sich die stationarii in die Strafjustiz einmischten. Stationarii unterhielten gar eigene Gefängnisse. Es wird ihnen dies von Konstantin aufs strengste untersagt. Auch überführte Verbrecher dürfen sie nicht in Haft halten; sie sollen sie vielmehr unverzüglich dem Statthalter überstellen. Widrigenfalls droht ihnen die Todesstrafe. Die Mißstände wurden nicht beseitigt. Denn Constantius II. sah sich 355 genötigt, noch einmal ausdrücklich zu untersagen, daß curagendarii bzw. curiosi illegal Angeklagte nach eigenem Ermessen einkerkerten. Aufgabe der curiosi bzw. stationarii sei lediglich, dem Statthalter Meldung von den Verbrechen zu erstatten. Sie trügen auch die Beweislast: Wenn auf ihre Veranlassung Unschuldige eingekerkert werden, so droht ihnen Strafe. Die staatlichen Polizeiorgane gingen in immer stärkerem Maße dazu über, aus eigener Machtvollkommenheit heraus Straftäter oder angebliche Straftäter zu inhaftieren, ohne daß eine entsprechende Anweisung des Statthalters vorgelegen hätte. Trotz einer gewissen Stärkung des Polizeiapparates war das Römische Reich nach heutigen Maßstäben weiterhin unteradministriert. Den Statthaltern unter1020
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Jones 1964, 521; 600; Petraccia Lucernoni 2001. Die stationarii begegnen u.a. während der diokletianischen Christenverfolgung: Optat. 1, 14 (CSEL 26, 16f.); 1, 27 (ibid. 29f.); Acta Saturnini, Dativi et aliorum 2 (Ruinart 415); Acta Agapes, Chioniae, Irenes et aliarum 3 (Ruinart II 424f.); Passio Philippi episcopi Heracleae 3 (Ruinart II 440f.). Vgl. zu ihnen außer den weiter unten zitierten Stellen auch noch Cod. Theod. 8, 5, 1 (315 n. Chr.); 7, 20, 2 (= Cod. Iust. 12, 46, 1) (320 n. Chr.; 326 Seeck); Cod. Theod. 4, 13, 2 (= Cod. Iust. 4, 61, 5) (321 n. Chr.); 4, 13, 3 (321 n. Chr.); Aug., In psalm. 93, 9 (CCL 39, 1311f.); Serm. Dolbeau 4, 8 (Dolbeau 519f.). 1021 Cod. Iust. 9, 2, 8 (Diokletian). 1022 Cod. Theod. 8, 4, 2 (= Cod. Iust. 12, 57 [58], 1) (315 n. Chr.) (ad Afros). 1023 Cod. Theod. 6, 29, 1 (= Cod. Iust. 12, 22 [23], 1) (355 n. Chr.). Auch den agentes in rebus wird die eigenmächtige Inhaftierung ausdrücklich untersagt: Cod. Theod. 6, 29, 8 (= Cod. Iust. 12, 22, 4) (395 n. Chr.). Nach einem weiteren Gesetz sollten dem Statthalter nur Personen überstellt werden, wenn er dies ausdrücklich angeordnet hatte: Cod. Theod. 9, 2, 4 (= Cod. Iust. 9, 3, 3) (390 n. Chr.). 1024 Vgl. de Ste. Croix 1981, 491ff. Zur Zeit der Reichsteilung (395) gibt er die Zahl der Provinzen mit 119 an. Die Zahl der Beamten schätzt er (hierin Jones folgend) auf 30000: Jones 1964, 1057. Die Zahl der cohortales (die in den Büros der Provinzstatthalter beschäftigt waren) lag nach Jones und de Ste. Croix (493) bei rund 10000. Vgl. auch Nov. Iust. 24, 1 (535 n. Chr.): Der Statthalter von Pisidien erhält 100 cohortales. Justinian
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standen nur begrenzte Polizeitruppen; es wird demzufolge in den Gesetzen wiederholt die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Beamten sich nicht gegen Straftäter durchsetzen können. Bei Bedarf war es dem Statthalter freilich möglich, auch auf die regulären Militäreinheiten zurückzugreifen. Sehr viel mehr Truppen als in der frühen Kaiserzeit waren nicht mehr unmittelbar an den Grenzen, sondern im Inneren des Reiches stationiert. Diese Einheiten konnten auch für polizeiliche Aufgaben genutzt werden. Dies wurde aber nur selten und lediglich im Notfall praktiziert. Gegen die Circumcellionen in Nordafrika etwa kam es nicht zu einem kontinuierlichen Einsatz regulärer Armeeeinheiten. Hierin wird man ein Indiz dafür sehen dürfen, daß die staatlichen (officales) und städtischen Polizeiorgane in der Regel ihren Aufgaben durchaus gewachsen waren. Es wäre ja ein leichtes gewesen, die ohnehin im Inneren des Reiches stationierten Truppen ganz regulär auch für Polizeiaufgaben heranzuziehen. Aus der Tatsache, daß dies nicht geschah, müssen wir folgern, daß der kaiserlichen Regierung die den Statthaltern zur Verfügung stehenden officiales, stationarii usw. für die Erledigung ihrer normalen Geschäfte hinreichend erschienen. Nur wenn die Kriminalität überhand nahm, wurde zur Bekämpfung gewöhnlicher Straftaten auf das Militär zurückgegriffen. In justinianischer Zeit waren in einer Reihe kleinasiatischer Provinzen militärische Amtsträger (unter verschiedenen Bezeichnungen) speziell mit der Fahndung nach Räubern befaßt. Sie waren für die Landbevölkerung vielfach eher eine Plage, als daß sie die Räubergefahr gebannt hätten. Justinian übertrug daher die Aufgabe der Fahndung nach Räubern wieder allein den Provinzstatthaltern; den magistri militum sowie den anderen höheren Beamten wurde untersagt, Räuberfahnder und andere bewaffnete Kräfte in die Provinzen zu schicken. In den phrygischen und pisidischen Provinzen hatte Justinian einen Militärbefehlshaber (biocolyta) eingesetzt. Eine Gesandtschaft aus der Provinz bittet ihn, das Amt wieder abzuschaffen. Zum einen sei das 1025
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vertritt die Auffassung, diese Zahl genüge vollkommen, um die Räuber zu bekämpfen. Analog für die Provinz Lycaonia: Nov. Iust. 25, 1 (535 n. Chr.). 1025 Cod. Theod. 9, 40, 16 (= 11, 30, 57) (398 n. Chr.); Nov. Val. 23, 6 (447 n. Chr.). Vgl. auch Aug., C. Parm. 3, 6, 29 (CSEL 51, 136ff.) und C. Cresc. 4, 48, 58 - 49, 59 (CSEL 52, 555/7): Die Abitinenses hatten die Ausführung eines Urteils des Statthalters übernommen, das die Absetzung des Bischofs Salvius vorsah; die Membresitani hielten nämlich weiterhin zu ihm. Dem Proconsul standen wohl nicht genügend Polizeitruppen zur Verfügung. Vgl. hierzu Lepelley 1979/81, 2, 60f. 1026 Hist. aceph. 5, 1ff. (Martin 158/62); Cod. Iust. 9, 39, 2 (451 n. Chr.); Haas 1997, 71f.; 76. 1027 Optat. 3, 4 (CSEL 26, 81/5); Const. Sirmond. 14 (vgl. auch Cod. Theod. 16, 2, 31; 16, 5, 46; Cod. Iust. 1, 3, 10) (409 n. Chr.); 1028 Nov. Iust. 13, 4, pr. (535 n. Chr.); 29, 5 (535 n. Chr.); 128, 21 (545 n. Chr.); G. Lanata, Henkersbeil oder Chirurgenmesser? Eine falsche Alternative bei Palladas, Anth. Pal. XI 280, Rechtshistorisches Journal 6, 1987, 293-306. 1029 Nov. Iust. 8, 12, 1; 8, 13 (535 n. Chr.).
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Räuberunwesen, welches die Reform veranlaßt hatte, wieder zurückgegangen, und die Zivilverwaltung sei nun durchaus in der Lage, der Kriminalität Herr zu werden. Zum anderen hätten sich die Soldaten allerhand Übergriffe gegenüber der Bevölkerung zuschulden kommen lassen. Das Amt wird daher künftighin auf Lykaonien und Lydien beschränkt; in den pisidischen und phrygischen Provinzen dürfen die biocolytae keine Amtshandlungen mehr vornehmen. Die Gesandtschaft der phrygischen und pisidischen Provinzen ist aufschlußreich: Die Provinzialen selbst waren davon überzeugt, man könne die Kriminalität mit den dem Statthalter zur Verfügung stehenden Beamten sowie den städtischen Organen in den Griff bekommen. Sieht man von der akuten Zuspitzung der Sicherheitslage, die zur Entsendung des Militärbefehlshabers (biocolyta) geführt hatte, ab, so wurde in der Kriminalität im allgemeinen also kein Problem gesehen, welches ein hartes Durchgreifen des Staates erforderlich gemacht hätte. Die Zahl der Gewalttäter und Räuber kann (in aller Regel) nicht so groß gewesen sein, daß die doch nur wenigen officiales des Statthalters sowie die städtischen Polizeiorgane ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen gewesen wären. Zu einem großen Teil blieb die Verfolgung von Straftaten den städtischen Organen überlassen; ohne ihre Mitwirkung war die Ordnung in den Provinzen nicht aufrechtzuerhalten. Verschiedentlich wurden während der Auseinandersetzung zwischen Orthodoxen und Arianern in Alexandria im 4. Jh. kaiserliche Erlasse direkt an die Curialen gerichtet. Ihnen drohten, wenn sie sich nicht gegen Athanasios stellten, Geldbußen, Konfiskationen und Haft. Besonders gut sind wir dank der Schriften des Libanios über die Situation in Antiochia informiert: Es existierten hier als Polizeiorgane die sogenannten epimeletai ton phylon, lokale Beamte, die von den 18 städtischen Phylen bestellt wurden; nach den Unruhen von 387 fungierten sie als öffentliche Ankläger. Sie hatten auch die Aufgabe, von sich aus Untersuchungen einzuleiten (also nicht erst auf eine Anzeige hin). Wurde ein Reisender ermordet, so kam es ihnen zu, den Leichnam aufzunehmen und den Sachverhalt den Behörden anzuzeigen, damit der Täter dingfest gemacht werden konnte. In Antiochia war ferner eine Spezialeinheit von „Bogenschützen“ stationiert, die bei dem Aufruhr von 387 zum Einsatz kam. Ihr Chef mag mit dem in 1030
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Nov. Iust. 145 (553 n. Chr.). Jones 1964, 725f.; 734f.; Lewin 1989, 167ff.; Brélaz 2005, 69ff. (Kleinasien, frühe Kaiserzeit). Vgl. auch noch Aug., Un. eccl. 20, 54 (CSEL 52, 301f.): Augustin nennt hier als ausführende Polizeiorgane neben den officia, d.h. den Büros der Statthalter, auch die städtischen Magistrate. 1032 Athanas., Hist. Arian. 31 (Athanasius, Werke 2, 199f.); 48f. (ibid. 211); 54 (ibid. 213f.); Haas 1997, 274f. Vgl. auch Hist. aceph. 5, 1ff. (Martin 158/62): 365 wurden durch einen kaiserlichen Erlaß die Bischöfe, die unter Constantius II. in die Verbannung geschickt, unter Julian aber zurückgerufen worden waren, erneut verbannt; die Curialen erhielten den Auftrag, den kaiserlichen Befehl umzusetzen. Da die Curialen (bzw. die principales) in Alexandria sich gegen die Anhänger des Athanasios nicht durchsetzen konnten, wurde Militär herangezogen. 1031
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späteren Quellen erwähnten nykteparchos identisch gewesen sein; dieser Offizier wurde durch kaiserliches Diplom ernannt. Die Bogenschützen bildeten jedenfalls keinen Teil der regulären Armee. 387 kamen nach den Bogenschützen auch noch Verstärkungen aus der Armee zum Einsatz. Häufig standen den Curialen nicht genügend Truppen zur Verfügung, so wenn es um die Eintreibung von Steuern ging und die Steuerpflichtigen sich widerspenstig zeigten. Bis 387 war mit Sicherheit keine reguläre Garnison in Antiochia stationiert; eine solche ist erst hernach bezeugt. Diese Garnison blieb aber nicht bestehen: Während der großen Unruhen in der zweiten Hälfte des 5. Jh. war in Antiochia wiederum kein Militär stationiert. Auch in anderen großen Städten des Reiches ist nicht mit der ständigen Präsenz von Armeeeinheiten zu rechnen. Mit der Alltagskriminalität scheinen die städtischen Organe gleichwohl fertiggeworden zu sein; Probleme traten erst dann auf, wenn es (was selten geschah) zu größeren Unruhen in der Stadt kam. Solche Unruhen sind in Antiochia im 4. Jh. aber trotz der geringen Zahl an Sicherheitsorganen überhaupt nur zweimal bezeugt (354 und 387). Für eine vorindustrielle Stadt war Antiochia sicher nicht besonders unruhig und gewalttätig. In den zahlreichen kleineren Städten des Reiches sorgten die defensores und die Irenarchen mit ihrem Personal für Ruhe und Ordnung. Die Fahndung nach Räubern fiel in den Aufgabenbereich der städtischen Behörden. Ein Gesetz aus dem Jahre 392 ordnet an, daß in den Regionen, in denen das Räuberunwesen grassiere, die defensores die Straftaten zu den Akten nehmen sollten, damit sie nicht unbestraft blieben und nicht die Angeklagten der Verurteilung (durch patrocinium) entzogen werden könnten. Die Verfolgung von Räubern war für die Curialen eine belastende Aufgabe. Trotz der diesbezüglichen Klagen des Libanios hatte das von ihm erwähnte Amt des eirenophylax (es dürfte dem sonst in den Quellen unter dem Titel Irenarch begegnenden Amt entsprechen) für die Curialen aber auch 1033
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Lib., Or. 23, 10f.; 24, 25f.; 19, 34f.; 19, 36; Liebeschuetz 1972, 122ff. Lib., Or. 47, 7f. Gegen die Bäckergilde setzten die Curialen „Soldaten“ ein: Or. 29, 33. Als es im Jahre 384 wegen Lebensmittelengpässen in der Stadt zu einer gespannten Lage kam, flohen viele Curiale aus der Stadt, aus Angst, daß ihre Häuser angegriffen werden könnten: Lib., Or. 29, 4; vgl. auch 1, 230. 1035 Lib., Or. 46, 13. 1036 Marc. Diac., Vita Porph. 25 (Grégoire – Kugener 21f.). Zum Irenarchenamt vgl. Hirschfeld 1891, 599ff.; A.H.M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian, Oxford 1940, 212f.; Hopwood 1983; Lewin 1989, 171; 1993, 377f.; Mitchell 1993, 195ff. Zur Bestellung der Irenarchen durch die Curialen vgl. Cod. Iust. 10, 77, 1 (409 n. Chr.); vgl. auch Cod. Theod. 12, 14, 1 (409 n. Chr.). 1037 Cod. Theod. 1, 29, 8 (= Cod. Iust. 1, 55, 6) (392 n. Chr.). 1038 Lib., Or. 25, 43. Vgl. R.P. Mouterde, Inscriptions grecques conservées à l’Institut français de Damas, Syria 6, 1925, 215-252, 243ff., Nr. 32: Grabinschrift für einen Decurio, der im Hauran in Syrien eines gewaltsamen Todes gestorben ist, nach der Vermutung des Herausgebers als Anführer einer städtischen Miliz im Kampf gegen die Räuber. Mouterde datiert die Inschrift in das 4. Jh.
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seine angenehmen Seiten. Es wurde in Elusa von den Curialen angestrebt; es war also vermutlich ein einträglicher Posten. Den städtischen eirenophylakes in Antiochia unterstanden korynephoroi, Keulenträger, die einen Lohn erhielten: es kam vor, daß die eirenophylakes den Lohn für ihre Hilfstruppen zurückbehielten und sich so bereicherten. Das Irenarchenamt bot Möglichkeiten der Erpressung und der eigenen Bereicherung. 409 wurde es daher in den östlichen Provinzen abgeschafft. Statt dessen sollten die reichen Bürger für Ruhe und Ordnung auf dem städtischen Territorium sorgen. In den Händen der Curialen lag im wesentlichen die Leitung der Polizeitruppen; mit der Fahndung nach Straftätern werden sie selbst unmittelbar nicht befaßt gewesen sein; dies überließen sie ihren Leuten, wie den „Keulenträgern“ in Antiochia. Salvian erwähnt Polizeiorgane in Karthago, die angeblich alle Straßen überwachten. Aus dem Text geht nicht eindeutig hervor, ob städtische Organe gemeint sind oder Truppen, die dem Statthalter unterstanden. Die Städte hatten ihre Nachtwachen, die auch verdächtige Fremde inhaftierten. In Antiochia diente die Nachtbeleuchtung auch der Verbrechensprävention. Selbst für ländliche Kastelle in Nordafrika sind Nachtwächter bezeugt. Die örtlichen Ordnungskräfte 1039
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Lib., Epist. 101 (X 101f.); 102 (X 103); 532 (X 501); vgl. P. Mayerson, The City of Elusa in the Literary Sources of the Fourth-Sixth Centuries, IEJ 33, 1983, 247-253. Ndr. in: ders., Monks, Martyrs, Soldiers and Saracens. Papers on the Near East in Late Antiquity (1962-1993), Jerusalem 1994, 197-203. 1040 Lib., Or. 48, 9. 1041 Cod. Theod. 12, 14, 1 (409 n. Chr.). In der Forschung ist die Auffassung vertreten worden, die Aufrechterhaltung der Ordnung sei hiermit in die Hand der vermögenden Großgrundbesitzer gegeben worden, die mit ihren Sklaven auf dem Lande von nun an für Ruhe und Ordnung in ihrem Sinne gesorgt hätten: MacMullen 1963, 133; Hopwood 1983, 181. Dies ist eine irrige Interpretation. Denn der Irenarch war als städtischer Beamter auch vor 409 ein Vertreter der Interessen der vermögenden Bürger. Im übrigen ist das Amt bald wieder aufgetaucht: Cod. Theod. 11, 24, 6, 7 (415 n. Chr.); 10, 1, 17 (= Cod. Iust. 10, 1, 9) (420 n. Chr.). Im Codex Iustinianus wird das Gesetz von 409 in folgender Textfassung wiedergegeben: Cod. Iust. 10, 77, 1 (409 n. Chr.): Irenarchae, qui ad provinciarum tutelam quietis ac pacis per singula territoria faciunt stare concordiam, a decurionibus iudicio praesidum provinciarum idonei nominentur. Nicht überzeugend auch Hopwood 1999, 192f.: Das Gesetz zeuge von einem geschwundenen Vertrauen der Regierung in die Klasse der Curialen; wenn die „reichen“ Bürger für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung verantwortlich gemacht werden, so sind doch im wesentlichen die Curialen gemeint. Überholt auch die Auffassungen Hopwoods (193f.) bezüglich eines Niedergangs des Curialenstandes und Rückzuges der vermögenden Grundbesitzer auf ihre Landgüter. 1042 Salv., Gub. 7, 68 (Lagarrigue 478/80). 1043 Lib., Or. 33, 37; Joh. Chrys., In act. hom 26, 4 (PG 60, 204). 1044 Sperber 1970, 260. Die Polizeiaufsicht war in den Städten Palästinas ziemlich systematisch und effizient. Die Wächter machten ihre Runden in dichter Folge. 1045 Lib., Or. 33, 35ff.
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scheinen für die Bekämpfung gewöhnlicher Straftaten durchaus ausreichend gewesen zu sein. Zur Bekämpfung von Räuberbanden stellten die städtischen Behörden auch Milizen auf. Johannes Chrysostomos weist auf die Herbergen (stathmoi) an den Fernstraßen hin, die ganz wesentlich der Sicherheit der Reisenden dienten. Außerdem gebe es lokale Milizen. Die führenden Männer (Johannes Chrysostomos meint offenkundig die Curialen) in den einzelnen Städten wählten besonders kräftige Männer aus, deren Aufgabe es sei, auf den Straßen für Sicherheit zu sorgen. Sie seien mit Wurfspießen und Schleudern bewaffnet und vermöchten mit diesen Waffen genausoviel wie Bogenschützen oder Schwerbewaffnete. Im Abstand von jeweils einer Meile hätten sie Wachhäuser errichtet, die nachts mit Wächtern besetzt seien: Die Reisenden fänden hier Schutz vor Angriffen von Räubern. Die städtischen Polizeiorgane waren nur rudimentär bewaffnet, kamen aber auch so ihrer Aufgabe, auf den Straßen für Sicherheit zu sorgen, angemessen nach. Die den eirenophylakes in Antiochia unterstehenden Hilfstruppen trugen offenkundig nach ihrer Bewaffnung den Namen „Keulenträger“ (korynephoroi). Der vicarius Asiae Musonius versuchte unter Valens, als die reguläre Armee versagte, mit einer Schar von halbbewaffneten Diogmiten der Isaurier Herr zu werden, geriet aber in einen Hinterhalt und wurde mitsamt seinen Leuten getötet. Für die üblichen Polizeiaufgaben dürften Holzknüppel jedoch ihren Zweck erfüllt haben, genau wie in der frühen Kaiserzeit die Beneficiarier vielfach nur mit Holzstöcken (fustes) ausgestattet waren. Die Gesetze sehen die Mitwirkung der munizipalen Behörden bei der Entgegennahme von Anzeigen, der Fahndung und der Inhaftierung von Straftätern vor. Anzeigen wegen schwerer Verbrechen (Raub, Mord, Gewalttaten, stuprum, Vergewaltigung und Ehebruch) wurden bei den städtischen Behörden, etwa den defensores civitatum oder den curatores, anhängig gemacht. Die Anzeigen sollten nach einem Gesetz des Honorius zu den Akten genommen werden. Die Angeklagten waren zusammen mit den Anklägern unter geeigneter Bewachung dem Richter zu überstellen. Den städtischen Organen kam bei diesem Verfahren eine große Bedeutung zu: Indem die Klagen bei den städtischen Behörden zu den Akten gegeben werden mußten, erhielten diese auch die Aufgabe, eine erste Untersuchung 1046
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Epist. 20*, 6 (CSEL 88, 97f.). Bas., Epist. 217, 55 (Courtonne 2, 210); Zos. 5, 15, 5 - 16, 3. 1048 Joh. Chrys., Stag. 2, 6 (PG 47, 458). 1049 Lib., Or. 48, 9. 1050 Amm. 27, 9, 6f. 1051 Speidel 1993. 1052 Cod. Theod. 7, 18, 13 (403 n. Chr.); 16, 6, 4, 4 (405 n. Chr.); Const. Sirmond. 14 (vgl. auch Cod. Theod. 16, 2, 31; 16, 5, 46; Cod. Iust. 1, 3, 10) (409 n. Chr.); Nov. Val. 23, 6 (447 n. Chr.). 1053 Cod. Theod. 9, 2, 5 (= Cod. Iust. 1, 55, 7) (409 n. Chr.) (Datierung nach Cod. Iust.: 405 n. Chr.). 1047
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Polizei
durchzuführen. Sie hatten damit die Funktionen unserer Untersuchungsrichter und konnten somit zumindest indirekt auch Einfluß auf die Fällung des Urteils nehmen. Die Statthalter hätten die zahlreichen Prozesse, die sie neben all ihren anderen Aufgaben zu führen hatten, gar nicht erledigen können, wenn ihnen nicht von den städtischen Behörden zugearbeitet worden wäre. 412 hatten Circumcellionen den katholischen Priester Restitutus ermordet und einen anderen Priester schwer verwundet. Die Täter waren auf Veranlassung wohl der städtischen Behörden inhaftiert worden; das Dossier (notoria) wurde zusammen mit den Angeklagten dem Tribunal des Proconsuls überstellt. In anderen Fällen hatte die Niederlegung bei den städtischen Akten lediglich dokumentarischen Zweck: Die Rechtsansprüche sollten gewahrt werden. Augustin erwähnt wiederholt, daß die Katholiken in Nordafrika die Gewalttaten der Donatisten bzw. Circumcellionen zu den städtischen Akten gegeben hätten. Dies mußte nicht notwendigerweise zur Folge haben, daß die Behörden die Strafverfolgung aufgenommen hätten. Fahndungen nach Angeklagten wurden in letzter Instanz von den städtischen Organen durchgeführt. Es war grundsätzlich untersagt, jemandem, der eines Kapitalverbrechens angeklagt war, in Abwesenheit den Prozeß zu machen. Der Statthalter hatte die Angeklagten zur Fahndung auszuschreiben: Diese wurden mittels eines Edikts aufgefordert, vor Gericht zu erscheinen; die städtischen Beamten wurden brieflich davon in Kenntnis gesetzt, nach welchen Personen gesucht wurde. Nach Ablauf eines Jahres konnte ihre Habe, wenn sie denn nicht vor Gericht erschienen, konfisziert werden. Von staatlicher Seite wurden kaum je systematische Fahndungsaktionen in die Wege geleitet; es blieb den städtischen Behörden überlassen, ihnen geeignet erscheinende Schritte zu unternehmen. Auch auf eigene Initiative ließen die städtischen Behörden nach Straftätern fahnden, ohne daß Anzeigen vorlagen. Sie wären natürlich (ebenso wie die staatlichen Organe) überfordert gewesen, hätten sie aktive Verbrechensbekämpfung leisten sollen. Die Selbsthilfe spielte bei der Fahndung nach Straftätern weiterhin eine sehr große Rolle. Viele Angeklagte wurden zunächst einmal in einem städtischen Gefängnis in Gewahrsam genommen. In Nordafrika wurde die Verfolgung der Christen unter Diokletian von den städtischen Organen (curatores, Decurionenrat) geleitet, denen hierbei Soldaten (stationarii und beneficiarii) zur Seite standen. Valentinian III. 1054
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Lepelley 1979/81, 1, 218f.; 220f. Epist. 133, 1 (CSEL 44, 80f.); 134, 2 (ibid. 85). 1056 Aug., C. Cresc. 3, 47, 51 (CSEL 52, 458f.); 3, 48, 53 (ibid. 460f.); Epist. 88, 6 (CSEL 34, 2, 412f.); 91, 8 (ibid. 432f.); Lepelley 1979/81, 1, 223f. 1057 Cod. Theod. 9, 1, 2 (= Cod. Iust. 9, 40, 2) (319 n. Chr.). Vgl. schon Dig. 48, 17, 1 (Marcianus); 48, 17, 5 (Modestin); Cod. Iust. 9, 40, 1 (211 n. Chr.). 1058 Euagr., Hist. eccl. 2, 1 (Bidez – Parmentier 36/8). 1059 Aug., Coll. c. Don. 3, 15, 27 (CSEL 53, 76f.); Optat. 1, 27 (CSEL 26, 29f.); Acta Saturnini, Dativi et aliorum 2 (Ruinart 415); G. Lopuszanski, La police romaine et les chrétiens, AC 20, 1951, 5-46, 20f. 1055 Aug.,
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verpflichtet die Grundbesitzer, auf ihren Gütern angetroffene Deserteure den städtischen Behörden auszuliefern, die sie an den Provinzstatthalter überstellen sollen, welcher die Häftlinge wiederum zur Aburteilung an die zuständige militärische Einheit weiterleiten wird. Nach einem Gesetz Justinians konnte die Einweisung ins Gefängnis nur von den staatlichen Amtsträgern oder den defensores civitatum angeordnet werden; weiterhin hatten also die obersten städtischen Behörden die Vollmacht, Inhaftierungen durchführen zu lassen. Ihre Aufgaben werden in einer Novelle Justinians näher definiert. Die defensores civitatum können kleinere Fälle selbst entscheiden; bei schwereren Vergehen sollen sie die Straftäter ins Gefängnis einweisen und dem Provinzstatthalter überstellen. Erklärtes Ziel der Maßnahmen ist die Entlastung der Provinzstatthalter von den geringeren Streitsachen. In Ägypten ist eine Vielzahl von (liturgischen) Polizeiorganen bezeugt, auf städtischer wie auch auf dörflicher Ebene. Ihre Aufgabe bestand u.a. darin, nach Straftätern zu fahnden und sie zu inhaftieren. Die dörflichen Polizeibeamten ließen sich oftmals Nachlässigkeit oder gar Zusammenarbeit mit den Straftätern zuschulden kommen. Die städtischen und dörflichen Polizeiorgane waren natürlich keine Berufspolizisten; es fehlte ihnen demzufolge häufig an der fachlichen Kompetenz. Und ihnen standen, wenn sie denn ihren engeren Wirkungskreis verließen, keine Zwangsmittel zur Verfügung, um sich durchsetzen zu können. Trotzdem sollte die Effizienz des Systems nicht unterschätzt werden. Die Fahndung nach Straftätern wurde in Ägypten flächendeckend durchgeführt, bis in die Dörfer hinein. Straftäter konnten sich auf dem Lande nicht sicherer fühlen als in der Stadt. Dorfpolizisten sind außerhalb Ägyptens nur sporadisch bezeugt; dies heißt nicht, daß es sie hier nicht gegeben habe. Libanios erwähnt nebenher die phylakes 1060
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Nov. Val. 6, 1, 2 (440 n. Chr.). Cod. Iust. 1, 4, 22, pr. (529 n. Chr.); vgl. auch 9, 4, 6, pr. (529 n. Chr.). 1062 Nov. Iust. 15, 6, 1 (535 n. Chr.). 1063 F. Oertel, Die Liturgie. Studien zur ptolemäischen und kaiserlichen Verwaltung Ägyptens, Leipzig 1917, 263ff.; MacMullen 1963, 52ff.; R. Rémondon, Les contradictions de la société égyptienne à l’époque byzantine, JJP 18, 1974, 17-32, 21ff.; R.S. Bagnall, Army and Police in Roman Upper Egypt, Journal of the American Research Center in Egypt 14, 1977, 67-86; G. Geraci, Epi tes eirenes, irenarchi, decadarchi epi eirenes: alcune considerazioni, in: Hestíasis. Studi di tarda antichità offerti a Salvatore Calderone 3, Messina 1987 (1991), 235-245; Bonneau 1988; J.-J. Aubert, Policing the Countryside: Soldiers and Civilians in Egyptian Villages in the Third and Fourth Centuries A.D., in: Y. Le Bohec (Hrsg.), La hiérarchie (Rangordnung) de l'armée romaine sous le HautEmpire. Actes du Congrès de Lyon (15-18 septembre 1994), Paris 1995, 257-265, 262f.; C. Drecoll, Die Liturgien im römischen Kaiserreich des 3. und 4. Jh. n. Chr., Stuttgart 1997, 158ff.; Hennig 2002; Sänger 2005. 1064 Krause 1996, 35ff. 1065 P. Abinn. 45 (= P. Lond. II 245, p. 271) (343 n. Chr.), Z. 13ff.; P. Abinn. 54 (= P. Lond. II 419, p. XXXVIII) (346 n. Chr.); Bonneau 1988, 312f.
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern
tes choras, die Dorfpolizei in Syrien. Wie in Ägypten mögen sie in der Lage gewesen sein, Kleinkriminalität zu handhaben, waren aber, wenn es zu Gesetzwidrigkeiten kam, die das übliche Maß überschritten, überfordert. Sie konnten etwa den Gewalttaten der Dorfbewohner, die sich den Schutz von Soldaten erkauft haben, nicht entgegentreten. Sicher war an eine durchgängige Prävention von Straftaten nicht zu denken. Das Römische Reich war kein Polizeistaat. Gewalt und Kriminalität wurden bis zu einem gewissen Grade für unausrottbar gehalten; in einem Kampf gegen die verschiedenen Formen der Kleinkriminalität wurde nicht die vordringliche Aufgabe des Staates gesehen. Sobald aber die Kriminalität gewisse Grenzen überschritt, setzte der Staat seine Machtmittel mit aller Härte ein. Als sich die Maratocupreni in ihrer Gesamtheit der Räuberei zugewandt hatten, wurde das Militär aktiviert, und die Dörfler hatten keine Chance, sich zu behaupten. Johannes Chrysostomos vergleicht die Dämonen mit den Chefs von Räuberbanden. Ebenso wie diese es sofort mit der Angst bekommen, wenn sie auch nur von ferne kaiserliche Waffen sehen, haben die Dämonen Angst, wenn sie die Körper der Märtyrer erblicken, und ergreifen die Flucht. In den pisidischen und phrygischen Provinzen war das Räuberunwesen, nachdem erst einmal ein Militärbefehlshaber zur Bekämpfung der Räuber entsandt worden war, binnen kurzer Zeit wieder unter Kontrolle gebracht worden. Selbst der Isaurierplage wurde der Staat Herr, auch wenn immer wieder aufs neue Kämpfe entflammten. Die Isaurier waren den römischen Truppen, sofern sie sich nicht in ihnen bekanntes unwegsames gebirgiges Terrain zurückziehen konnten, in keiner Weise gewachsen. 1066
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern Der Polizeiapparat auf städtischer wie staatlicher Ebene wäre überfordert gewesen, wäre ihm die Aufgabe zugewiesen worden, sämtliche Straftaten zu untersuchen und die Täter zu ermitteln. Er war auf die Mithilfe von Privatpersonen angewiesen und stützte sich bei der Aufdeckung von Straftaten wie der Fahndung
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Lib., Or. 47, 6. Lib., Or. 48, 35f.; Joh. Chrys., De Maccabaeis, Hom. 1, 1 (PG 50, 617). 1068 Amm. 28, 2, 11ff. 1069 Amm. 14, 2, 5ff.; 27, 9, 7; Zos. 5, 25, 2.
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7. Fahndung nach Straftätern
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nach Straftätern auf Denunziationen. Gesetze ermuntern Anzeigen von Privatleuten und setzen Prämien hierfür aus. Inhaftierungen und Prozesse waren demzufolge vielfach die Folge von Denunziationen. Denunzianten standen allerdings nicht in hohem Ansehen. Auch die kaiserliche Regierung sah in berufsmäßigen Anklägern, delatores, ein Übel, das sie in den Griff zu bekommen versuchte, bis hin zu der Androhung der Todesstrafe. Jeder wußte sich von seinen Mitbürgern beobachtet und richtete sein Verhalten hiernach aus, indem er sich sozial konform verhielt. Wurde doch eine Straftat begangen, so war es im überschaubaren dörflichen und kleinstädtischen Bereich ein leichtes, den Täter zu ermitteln, ohne daß man hierzu eines großen Polizeiapparates bedurft hätte. Bäuerliche Gesellschaften (hier besteht auf dörflicher bzw. (klein)städtischer Ebene keinerlei Unterschied zwischen dem modernen Mittelmeergebiet, dem europäischen Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit und der Antike) sind kleinräumige, „face to face“ Gesellschaften, in denen jeder jeden kennt. Das Verhalten eines jeden ist ständig dem kritischen Blick der Nachbarn bzw. Dorfund Stadtbewohner ausgesetzt. Die Tatsache, daß die dörflichen Strukturen in der Spätantike eine deutliche Stärkung erfuhren, bedeutete nicht nur, daß die Bauern ihre Interessen nach außen hin besser vertreten konnten. Innerhalb des Dorfes waren sie einer sehr viel intensiveren sozialen Kontrolle unterworfen, als dies der Fall gewesen wäre, wenn sie in Einzelhöfen gelebt hätten. 1070
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Cod. Theod. 9, 16, 1 (= Cod. Iust. 9, 18, 3) (319 n. Chr.); 9, 24, 1, 4 (= Cod. Iust. 7, 13, 3) (320 n. Chr.); Cod. Iust. 7, 13, 2 (321 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 9, 1 (= Cod. Iust. 9, 11, 1) (326 n. Chr.); 9, 21, 5 (= Cod. Iust. 9, 24, 2) (343 n. Chr.); 16, 5, 9, 1f. (382 n. Chr.); 9, 14, 3, 7 (= Cod. Iust. 9, 8, 5) (397 n. Chr.); 9, 25, 3 (420 n. Chr.); Nov. Val. 23, 8 (447 n. Chr.); Amm. 14, 7, 4; Cassiod., Var. 2, 35 (CCL 96, 82); 2, 36 (ibid. 82f.); G. Luraschi, Il praemium nell’esperienza giuridica romana, in: Studi in onore di Arnaldo Biscardi, Bd. 4, Milano 1983, 239-283, 268ff.; 280, Anm. 162. 1071 Amm. 16, 8, 3ff.; Soz., Hist. eccl. 4, 10, 4 (GCS, Bidez – Hansen 150f.). 1072 Firm., Math. 2, 30, 7: Angehende Astrologen werdem ermahnt, auch dann nicht zu denunzieren, wenn sie nach dem Geschick des Kaisers befragt würden; es zieme sich nicht, wenn man die Schuld am Tod eines anderen trage. Conc. Elv. 73 (Vives 14): Exkommunikation auf Lebenszeit von Delatoren, durch deren Anzeigen jemand verbannt oder hingerichtet wurde; ansonsten fünfjährige Exkommunikation. Vgl. auch noch Firm., Math. 3, 7, 26; 4, 14, 14; 4, 19, 14; 4, 20, 6; Amm. 15, 3, 3ff.; 19, 12, 14. 1073 Cod. Theod. 10, 10, 10 (365 n. Chr.); Gaudemet 1980; Rivière 2002, 131ff. 1074 Joh. Chrys., Adv. oppugn. 3, 7 (PG 47, 360); In gen. hom. 56, 1f. (PG 54, 486/8); De consolatione mortis 2, 6 (PG 56, 302/4); In gen. serm. 3 (spur.), 3 (PG 56, 532); Hier., Epist. 77, 3. 1075 Vgl. hierzu mit Blick auf das frühneuzeitliche England J.A. Sharpe, Defamation and Sexual Slander in Early Modern England: The Church Courts at York, Borthwick Papers 58, York 1980, 18ff. Das Zeugnis der Nachbarn spielte in vielen Situationen eine große Rolle: Joh. Chrys., Sacerd. 4, 2 (Malingrey 240/2); Leo M., Epist. 167, 16 (PL 54, 1208); Cod. Iust. 5, 4, 9 (Probus); Cod. Theod. 3, 1, 2 (= Cod. Iust. 4, 47, 2) (337 n. Chr.); Cod. Iust. 8, 54 (54), 31 (478 n. Chr.). 1076 Dagron 1979; Gatier 1994.
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern
Selbst die Großstädte waren nicht „anonym“. Klatsch und Gerede verbreiteten sich auch in Antiochia, Alexandria oder Rom äußerst schnell. Thermen, Arztpraxen und Handwerkerbuden waren Orte, an denen man sich traf und Neuigkeiten (Klatsch) austauschte. Dasselbe galt für die Kneipen (tabernae), die in den spätantiken Städten immer eine zahlreiche Klientel hatten. Wenn selbst in Großstädten wie Rom und Antiochia keine Anonymität möglich war, läßt sich leicht ausmalen, wie die Situation in kleineren Städten und Dörfern aussah. Die Kirchenväter warnen die Gläubigen davor, Klatsch zu verbreiten und über Dritte schlecht zu reden. Vergehen wie der Ehebruch konnten in einer solchen Atmosphäre nicht lange Zeit unentdeckt bleiben. Der Täter mußte immer mit Klatsch und Gerede und im schlimmsten Fall mit Anzeigen aus seinem sozialen Umfeld rechnen. Valerianus von Cemenelum ermahnt die Gläubigen, ein Leben zu führen, daß böse Gerüchte gar nicht erst aufkommen können. Disziplinierend dürften auch anonyme Schmähschriften gewirkt haben, die das Ansehen vieler Bürger 1077
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14, 1, 4ff.; Hier., Epist. 43, 2f.; 46, 12; 54, 13; 108, 20; 127, 3. Hier., Epist. 50, 5; 52, 5; Joh. Chrys., Adv. oppugn. 1, 2 (PG 47, 322); Lib., Or. 8, 4, 31, 25; 48, 13; 51, 10; 62, 41. 1079 Amm. 14, 1, 9. 1080 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 3, 5f. (PG 49, 54/6); Hier., Epist. 52, 14; 52, 15; Val. Cem., Hom. 6, 3 (PL 52, 710); Caes. Arel., Serm. 67, 3 (CCL 103, 287f.); 98, 3 (ibid. 402); 155, 2 (CCL 104, 633); 156, 2 (ibid. 636f.); 166, 4 (ibid. 679), 171, 3 (ibid. 700f.). Vor allem den Frauen wird vorgeworfen, sich an der Verbreitung von Klatsch zu beteiligen: Joh. Chrys., In Gen. serm. 3 (spur.), 4 (PG 56, 535ff.); De inani gloria 37f. (Malingrey 128/30); Aug., Conf. 5, 9, 17; Hier., Epist. 54, 5. Der schlechte Ruf, der sich aus dem Gerede Dritter ergeben konnte, ist Gegenstand der Sterndeutungen des Firmicus Maternus: Firm., Math. 3, 4, 34; 4, 6, 2. Für die Betroffenen hatten Klatsch und Gerede, gegen die sie sich kaum zur Wehr setzen konnten, oftmals eine schwere Einbuße an Ehre zur Folge: Ambr., Laps. virg. 6, 25 (PL 16, 390). 1081 Bas., Epist. 45, 2 (Courtonne 1, 114). Ehebrecher (sicher auch andere Straftäter) hatten Angst vor Mitwissern, die sie anzeigen könnten: Firm., Math. 3, 12, 19; Severianus, De mundi creatione 6, 6 (PG 56, 491f.); Joh. Chrys., De Lazaro 1, 11 (PG 48, 979); Aug., Serm. 159, 6, 7 (PL 38, 871). Vgl. auch noch Pelag., Epist. 95 (Gassó - Batlle 225f.). 1082 Val. Cem., Hom. 1, 7 (PL 52, 695f.). Gallische Kirchenkonzilien untersagen Männern und Frauen (Klerikern, Asketen) immer wieder, sich kompromittierenden Situationen auszusetzen: Conc. Turonense (461 n. Chr.), C. 3 (CCL 148, 145); Conc. Agathense (506 n. Chr.), C. 28 (CCL 148, 205); Conc. Aurelianense (538 n. Chr.), C. 4 (CCL 148A, 115f.). Nach Ansicht des Ambrosius sollen jüngere Kleriker Häuser von Jungfrauen oder Witwen nur in Begleitung eines Bischofs oder älteren Presbyters betreten. Es bestehe die Gefahr, daß durch zahlreiche Besuche manch eine Asketin zu wanken beginne; zumindest aber könne der Argwohn aufkommen: Ambr., Off. 1, 20, 87. Die christliche Jungfrau Indicia wurde des stuprum bezichtigt; nach Ambrosius lagen keine hinreichenden Verdachtsmomente vor; er weist wiederholt auf die Gerüchte hin, die über Indicia zirkulierten: Epist. 56 (Migne 5), 1 (CSEL 82, 2, 84f.); 4 (ibid. 86); 17f. (ibid. 93f.); 19 (ibid. 95). Vgl. auch noch Greg. M., Epist. 7, 14 (CCL 140, 463f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 114 (PG 87, 3, 2977/80); Victricius, De laude sanctorum 3 (CCL 64, 73f.). 1078
7. Fahndung nach Straftätern
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herabsetzten. Es war also nicht nur, und nicht einmal in erster Linie der Staatsapparat, der in den Gemeinden des Reiches für Ruhe und Ordnung sorgte, als vielmehr die innerdörfliche bzw. innerstädtische Ordnung selbst. Das Gefühl, einer ständigen Kontrolle ihres Verhaltens durch die Nachbarn ausgesetzt zu sein, hielt so manchen von Straftaten ab, ebenso wie diese Kontrolle dazu führte, daß viele Straftäter vor Gericht kamen. Die wenigsten Bewohner in den Städten und Dörfern pflegten so gute Beziehungen zu ihren Nachbarn, daß sie sich ggf. vor bösem Gerede, Denunziationen oder Anzeigen hätten sicher wähnen können. Insbesondere Sklaven konnte kaum getraut werden. Sie waren in den spätantiken Haushalten nicht weniger präsent als in denen der frühen Kaiserzeit, eine Privatsphäre hatten Sklaveneigentümer nicht. Sklaven waren über nahezu alles, was sich im Haus ereignete, sehr gut informiert. Es darf vermutet werden, daß sich die Eigentümer in dem, was sie taten oder nicht taten, hiernach ausrichteten. Auch für flüchtige Straftäter, gerade wenn sie den Oberschichten entstammten und auf die Hilfe eigener Sklaven oder der ihrer Freunde angewiesen waren, waren Sklaven eine große Gefahr. Es wurden Verhöre bereits gefaßter Straftäter genutzt, um eventueller Mittäter oder Mitwisser habhaft zu werden; die Fahndung nach Straftätern basierte zum großen Teil auf den Aussagen bereits inhaftierter und zum Teil auch schon verurteilter Täter. Nach den Unruhen von Antiochia 387 wurden einige Rädelsführer hingerichtet. Libanios hebt die Effizienz des Verfahrens hervor; man sei aller Täter habhaft geworden. Einige wurden sofort inhaftiert (sie waren verwundet worden), nach den anderen wurde gefahndet. Die Inhaftierten benannten ihre Mittäter. Der Zauberei (maleficium) Verdächtige sollen nach einer kaiserlichen Verordnung 1083
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Bas., Epist. 289 (Courtonne 3, 159/61). Selbst in Kirchen wurden verleumderische Pamphlete ausgelegt: Conc. Elv. (300/6 n. Chr.?), C. 52 (Vives 10). 1084 Amm. 18, 3, 1f.; Aug., Conf. 6, 9, 14f.; Robinson 1981, 235ff. 1085 Firm., Math. 3, 4, 34; Bas., Epist. 51, 2 (Courtonne 1, 133); 204, 4 (Courtonne 2, 176); Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 15, 3 (PG 62, 109f.); Hier., Epist. 54, 5; 107, 4; 117, 8; 128, 4; Aug., Conf. 9, 9, 20. Weiterhin galt allerdings der Grundsatz, daß Freigelassene und Sklaven ihren Patron bzw. Herrn nicht wegen einer Straftat anzeigen durften (Ausnahme: Majestätsverbrechen): Cod. Theod. 9, 6, 1 (376 n. Chr.); 9, 6, 2 (376 n. Chr.); 10, 10, 17 (= Cod. Iust. 10, 11, 6) (382 n. Chr.); 9, 6, 3 (= Cod. Iust. 9, 1, 20) (397 n. Chr.); 9, 6, 4 (= Cod. Iust. 4, 20, 12) (423 n. Chr.); Soz., Hist. eccl. 4, 24, 7 (GCS, Bidez – Hansen 179). 1086 Amm. 28, 1, 48ff.; Soz., Hist. eccl. 4, 10, 1ff. (GCS, Bidez – Hansen 150). 1087 Krause 1996, 245f.; Firm., Math. 3, 4, 34; 3, 11, 7; 4, 14, 9; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 13, 1 (PG 49, 136ff.); Amm. 26, 3, 1; 28, 1, 44f.; 28, 1, 48ff; 29, 1, 5f.; Aug., Serm. 169, 11, 14 (PL 38, 923); Const. apost. 2, 52 (Metzger 1, 298); Prosp., Chron. I p. 479, 1350 (443 n. Chr.); Euagr., Hist. eccl. 5, 3 (Bidez – Parmentier 197); Theophanes, Chron. A.M. 6055 (de Boor 1, 237f.); Paul., Sent. 5, 14, 1 (FIRA 2, 402); Cod. Theod. 9, 35, 7 (= Cod. Iust. 3, 12, 8) (408 n. Chr.); 9, 1, 19 (= Cod. Iust. 9, 2, 17; 9, 46, 10) (423 n. Chr.); Nov. Val. 23, 3 (447 n. Chr.). 1088 Lib., Or. 19, 36f.
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern
von 389 auf jeden Fall den öffentlichen Gerichten übergeben werden, damit sie dort befragt werden und Mittäter und Mitwisser benennen können. Im Kampf gegen die Donatisten wurde 409 ein weiteres Gesetz erlassen, nachdem es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Nordafrika gekommen war. Den Richtern wird Nachlässigkeit vorgehalten; sie sollen den Straftaten selbst nachgehen; jedermann soll Anzeige erstatten, und es sei nicht darauf zu warten, daß die geschädigten Kleriker selbst Klage erheben. Hier wie auch sonst zeigt sich, daß die kaiserlichen Gesetze (einschließlich der in ihnen enthaltenen Strafsanktionen) nur in höchst unzureichendem Maße umgesetzt werden konnten. Die städtischen Behörden (Curie, Magistrate) sowie die stationarii werden verpflichtet, von den Donatisten begangene Straftaten dem Statthalter zur Anzeige zu bringen. Sollte die Zahl der Straftäter größer sein, so sei es doch möglich, in der Anzeige wenigstens einige unter ihnen beim Namen zu nennen, so daß dank ihrer Geständnisse auch die übrigen zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Die Verfolgung von Straftaten beruhte also zu einem großen Teil auf dem Geständnis einiger Straftäter und der hiermit verbundenen Anzeige weiterer Genossen. Straftäter, die geständig waren und Mittäter anzeigten, konnten allemal mit einer milderen Strafe rechnen. Ganze Prozeßwellen wurden durch die Denunziationen Beschuldigter ausgelöst. Als Kaiser Tiberius II. erfuhr, daß die Heiden in Heliopolis immer noch die Mehrheit stellten, wurde ein kaiserlicher Kommissar entsandt, der Heiden inhaftieren und foltern ließ, um von ihnen die Namen ihrer Glaubensgenossen zu erfahren. Die Namenslisten wurden an die zuständigen Statthalter weitergeleitet, mit der Anweisung, die genannten Personen inhaftieren zu lassen. War der Straftäter namentlich bekannt, so ging es doch noch darum, seiner habhaft zu werden. Dies blieb in den meisten Fällen den Opfern überlassen. Wenn ein Diebstahl begangen wurde, so machten sich die Geschädigten selbst auf die Suche nach dem Täter, wurde ein Mord verübt, so oblag es in erster Linie den Erben, die Tat zu rächen. Den unmittelbar Beteiligten (den Opfern und deren Verwandten) kam also eine sehr viel größere Verantwortung bei der Ermittlung und Fahndung nach den Tätern zu, als dies heute der Fall ist. Der Staat stand ihnen allerdings zur 1089
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Cod. Theod. 9, 16, 11 (= Cod. Iust. 9, 18, 9) (389 n. Chr.). Const. Sirmond. 14 (vgl. auch Cod. Theod. 16, 2, 31; 16, 5, 46; Cod. Iust. 1, 3, 10) (409 n. Chr.). 1091 Sulp. Sev., Chron. 2, 51, 4 (CSEL 1, 104); Joh. Chrys., Ad illuminandos catechesis 2, 4 (PG 49, 236f.); Ambr., In psalm. 37, 51 (CSEL 64, 177). Vgl. auch Amm. 28, 1, 29. 1092 Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 27 (Übersetzung Schönfelder 121f.). Ähnlich verlief die Suche nach Heiden in Berytos am Ende des 5. Jh. Ein Beschuldigter, bei dem magische Bücher gefunden worden waren, benannte in einem Verhör weitere Heiden. Die Namen wurden dem Bischof der Stadt gemeldet; dieser stellte einige Kleriker ab, und es wurden in Anwesenheit staatlicher Beamter (demosioi) die Bibliotheken der Angezeigten nach magischen Schriften durchsucht: Zacharias Rhetor, Vita Severi (Kugener, PO 2, 64/9). 1090
7. Fahndung nach Straftätern
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Seite. Es wurde bereits oben erwähnt, daß die munizipalen Organe u.a. damit betraut waren, die Fahndung nach Beschuldigten, die nicht vor Gericht erschienen waren, zu leiten. Mit welcher Effizienz aber konnten staatlicherseits Fahndungsaktionen durchgeführt werden? War es Beschuldigten möglich, sich dadurch, daß sie den Ort, an dem sie die Straftat begangen hatten, verließen, der Strafverfolgung zu entziehen? Die Zahl flüchtiger Straftäter muß ansehnlich gewesen sein, wie Horoskope des Firmicus Maternus nahelegen. Die Tatsache, daß die Untersuchungshaft nur sehr selektiv angewendet wurde, erleichterte vielen die Flucht. Selbst Beschuldigte, die schon vor Gericht standen, konnten sich doch noch den Staatsorganen entziehen. Vor allem bei politischen und religiösen Straftaten wurden freilich keine Anstrengungen gescheut, der Flüchtigen habhaft zu werden. Als der monophysitische Bischof Paulus von Antiochia, der im Bischofspalast des Patriarchen von Konstantinopel in Haft gehalten wurde, fliehen konnte, wurde eine intensive Fahndung nach ihm in die Wege geleitet. Es wurden alle Übergänge geschlossen, Schiffe, Häuser, Klöster durchsucht. Sogar die Gräber wurden geöffnet. Die Provinzstatthalter wurden aufgefordert, sich an der Fahndung zu beteiligen; man ließ ihnen eine Beschreibung des Flüchtigen zukommen. Als er nicht gefunden werden konnte, wurde sein Bruder statt seiner inhaftiert. Paulus hielt sich in der Stadt selbst, in einer kleinen Zelle, neun Monate lang verborgen. Ob nach gewöhnlichen Straftätern jedoch mit derselben Energie gefahndet wurde, darf bezweifelt werden; hierzu fehlte es den Behörden schlicht am erforderlichen Personal. Die Verwaltung war darüber hinaus sehr schwerfällig, was Fahndungsaktionen, die über die Grenzen der Provinz hinausgingen, sehr erschwerte. Die Kompetenzen der Statthalter waren strikt auf ihre Provinzen beschränkt. Die Straftäter machten sich dies zunutze. Denn sie konnten sich ohne große 1093
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Cod. Theod. 9, 1, 2 (= Cod. Iust. 9, 40, 2) (319 n. Chr.). Firm., Math. 3, 7, 19; 8, 19, 1. Vgl. auch noch Soz., Hist. eccl. 5, 10, 8ff. (GCS, Bidez - Hansen 207f.); Marc. Diac., Vita Porph. 63 (Grégoire - Kugener 50); Proc., Hist. arc. 11, 38f.; Joh. Mosch., Prat. spir. 34 (PG 87, 3, 2884). 1095 Vgl. Krause 1996, 64ff. 1096 Lib., Or. 1, 191; Pallad., Vita Ioh. Chrys. 16 (Malingrey - Leclercq 308/12); Theophanes, Chron. A.M. 5956 (de Boor 114); Theodorus Lector, Hist. eccl. 1, 22 (PG 86, 1, 176f.). 1097 Amm. 14, 7, 19; 26, 9, 8ff. 1098 Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 2, 8 (Übersetzung Schönfelder 51). Ähnlich verlief die Fahndung nach dem Sklavenenfürst Periboundos, der hatte fliehen können und hielt sich auf einem Landgut in der Umgebung von Konstantinopel verborgen. Der Schiffsverkehr aus Konstantinopel wurde untersagt, die Tore der Stadt wurden geschlossen, während vierzig Tagen wurden in allen Richtungen Reiter und Schiffe ausgesandt. Schließlich wurde Periboundos ausfindig gemacht: Miracula Demetrii 235ff. (Lemerle 209f.).
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern
Schwierigkeiten von einer Provinz in die andere begeben, während die Provinzstatthalter nicht befugt waren, jenseits ihres Amtsbereiches aktiv zu werden. Instruktiv ist der folgende Fall: Der während der ersten Regierungsjahre des Arcadius einflußreiche Eunuch Eutropius wollte den General Timasius stürzen und bediente sich zu diesem Zweck der Dienste des aus Laodikeia stammenden Bargos. Dieser war, als er dort einiger Vergehen überführt worden war, nach Sardeis geflohen. Hier wurde Timasius auf ihn aufmerksam, nahm ihn in seinen Kreis auf, betraute ihn mit einem militärischen Kommando und nahm ihn mit nach Konstantinopel. Bargos war schon vorher wegen einiger Straftaten der Aufenthalt in Konstantinopel untersagt worden; zwar mißbilligten die Behörden seinen erneuten Aufenthalt, konnten aber hiergegen offenkundig aufgrund der Protektion, die Bargos genoß, nichts unternehmen. Obwohl dieser sich Straftaten sowohl in Laodikeia als auch in Konstantinopel hatte zuschulden kommen lassen, war es ihm ohne große Schwierigkeiten möglich, von Laodikeia nach Sardeis zu fliehen und sich hier eine neue Existenz aufzubauen sowie später nach Konstantinopel zurückzukehren. Es kam sehr viel auf ein reibungsloses Zusammenspiel der Statthalter an, welches nicht immer gewährleistet war. Justinian geht in seiner Gesetzgebung wiederholt auf dieses Problem ein. Hatte sich ein Beschuldigter in eine andere Provinz geflüchtet, so sollte der Statthalter an den Kollegen der Provinz schreiben, in der sich der Gesuchte verborgen hielt. Dieser hatte ihn zu inhaftieren und seinem Kollegen zu überstellen. Bei Nachlässigkeit drohten ihm sowie seinem officium eine Strafe von jeweils drei Pfund Gold. Konnte dem Statthalter Korruption nachgewiesen werden, d.h. hatte er vom Beklagten Geld empfangen, damit dieser nicht inhaftiert bzw. in die Provinz, in der er seine Straftat begangen hatte, überstellt wurde, sollte er seines Amtes enthoben und in die Verbannung geschickt werden. Besondere Probleme ergaben sich bei der Fahndung nach Personen, die aus Konstantinopel geflohen waren. Justinian erteilte den Provinzstatthaltern den Auftrag, in ihren Provinzen nach Männern zu fahnden, die in Konstantinopel Unruhe gestiftet hatten, sie zu inhaftieren und nach Konstantinopel zu überstellen, damit sie hier bestraft werden konnten. Als Unruhestifter aus Alexandria in das 1099
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Soz., Hist. eccl. 4, 24, 10 (GCS, Bidez – Hansen 180); Malalas 16, 5, p. 395. Zos. 5, 9, 1f. 1101 548 wird, um die Verfolgung von Straftätern effizienter zu gestalten, das vorher abgeschaffte Amt eines vicarius der pontischen Diözese wieder eingeführt: Ed. Iust. 8, pr. (548 n. Chr.). Im Jahre 533 regelt Justinian in umfassender Weise die Verfolgung und Ahndung des Frauenraubes. Sollte es einem Täter gelungen sein zu fliehen, so werden die Amtsträger in der Hauptstadt wie in den Provinzen, vom Prätorianerpräfekten bis hin zu den Provinzstatthaltern, aufgefordert, intensiv nach dem flüchtigen Straftäter fahnden zu lassen und ihn vor Gericht zu bringen: Cod. Iust. 1, 3, 53 (54), 2; 9, 1, 13, 1c (533 n. Chr.). 1102 Nov. Iust. 134, 5 (556 n. Chr.). 1103 Nov. Iust. 17, 17 (535 n. Chr.). 1100
7. Fahndung nach Straftätern
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nahegelegene Libyen (welches einem anderen Statthalter unterstand) geflohen waren, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, ordnete Justinian an, der libysche Statthalter solle einen für die Zivil- wie die Strafgerichtsbarkeit zuständigen Stellvertreter in die Landschaft Mareotis entsenden. Hätten sich Unruhestifter aus Alexandria hierhin geflüchtet, so solle der Augustalis diesem durch einen commentariensis die Beschuldigten benennen. Sie seien zu inhaftieren und nach Alexandria zu überstellen. Es werden dem Stellvertreter des libyschen Statthalters 20 officiales sowie 50 Soldaten (aus dem Stab des Statthalters) zur Verfügung gestellt. Man sieht: Ein sehr schwerfälliges Verfahren, das im Einzelfall, wenn die Behörden an der Ahndung einer Straftat besonders interessiert waren, von Erfolg gekrönt gewesen sein mag, welches aber kaum bei gewöhnlichen Kriminellen zur Anwendung gekommen sein kann. Wenn die Beamten kooperierten, mag die Fahndung nach Straftätern zur Not auch über die Provinzgrenzen hinweg möglich gewesen sein. Mit der Auflösung des Weströmischen Reiches im 5. Jh. muß es Straftätern noch leichter geworden sein, sich der Strafverfolgung zu entziehen: Ein Übeltäter, der in einem benachbarten Territorium untergekommen war, war beim Fehlen jeglicher Auslieferungsabkommen weitgehend sicher. Insbesondere Angehörige der Eliten hatten keine Schwierigkeiten, die Flucht zu finanzieren und sich ggf. an einem anderen Ort niederzulassen. Dynamius, der wegen des Vorwurfes des Ehebruchs aus seiner Heimatstadt Bordeaux hatte fliehen müssen, kam in der spanischen Stadt Hilerda (Lerida) unter, wo er unter falschem Namen lebte, eine Ehefrau nahm und sich seinen Lebensunterhalt als Rhetorikprofessor verdiente. Später kehrte er in seine Heimatstadt zurück, ohne daß er noch einmal wegen des Ehebruches behelligt worden wäre. Der Fall lehrt, daß nur einige Zeit verstreichen mußte, damit Gras über die Sache wuchs, so daß die Straftäter in ihre Heimatstadt zurückkehren konnten, ohne im weiteren noch ein Gerichtsverfahren befürchten zu müssen. Nachdem es 391 zwischen Heiden und Christen in Alexandria zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit zahlreichen Toten und Verletzten gekommen war, flohen viele Heiden aus Alexandria und suchten in anderen Städten Unterschlupf. Zu ihnen gehörten die Grammatiker Helladios und Ammonios, bei denen der Kirchenhistoriker Sokrates selbst in Konstantinopel studiert hatte. Nachdem sie sich erst einmal aus Alexandria entfernt hatten und sich die Lage wieder beruhigt hatte, hatten sie in Konstantinopel keinerlei weitere Sanktionen zu befürchten, machten hier vielmehr in ihrem Beruf Karriere. Verfügte ein Straftäter über genügend Geldmittel, konnte er sich 1104
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Ed. Iust. 13, 22 (538/9 n. Chr). Greg. Tur., Franc. 2, 20. 1106 Amm. 22, 3, 6; 28, 6, 17ff. und 28. 1107 Auson., 4 (Comm. prof. Burdig.), 23, 3ff. 1108 Socr., Hist. eccl. 5, 16 (Hansen, GCS, N.F. 1, 289f.). 1105
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Aufdeckung von Straftaten und Fahndung nach flüchtigen Straftätern
schließlich auch die notorische Bestechlichkeit der staatlichen Organe zunutze machen; Justinian rechnet demgemäß mit der Möglichkeit, daß Fahndungen ergebnislos verlaufen, weil sich die Statthalter hatten bestechen lassen. Auch einfachen Leuten gelang es zu fliehen. Nach dem Aufruhr von 387 in Antiochia setzte eine rege Fluchtbewegung auf das Land, in die Berge ein. Hier suchten auch sonst Personen, die aus der Stadt fliehen mußten oder die die Strafjustiz zu fürchten hatten, Schutz. Die Berge galten als unsicher, hier hatten die Räuberbanden ihr Domizil. Vermutlich rekrutierten diese sich zu einem Teil eben aus Personen, die vor der Justiz geflohen waren. Angehörige der Oberschichten, die sich deren Zugriff zu entziehen suchten, verfügten über Geldmittel und einen großen Kreis von Freunden, die ihnen auch in der Fremde ein Auskommen sicherten. Sobald die Ärmeren demgegenüber ihre spärlichen Geldmittel aufgebraucht hatten, litten sie außerhalb der Heimat Not. Vielfach dürften sie sich in dieser Situation Räuberbanden angeschlossen oder auf sonstige Art und Weise mit Kriminalität ihren Lebensunterhalt bestritten haben. In den Großstädten bestanden zahlreiche Möglichkeiten unterzutauchen, ohne daß zumeist an eine groß angelegte Fahndung hätte gedacht werden können. Auch die Metropolen boten freilich nur begrenzten Schutz. Anders ließen sich die vielfältigen Hinweise darauf, daß Straftäter aus Städten wie Rom, Antiochia oder Konstantinopel flohen, um sich dem Zugriff der Staatsorgane zu entziehen, nicht erklären. Die Fahndung auch nach gewöhnlichen Straftätern war effizienter, als man dies zunächst annehmen möchte: Unter Justinian töteten Mitglieder der Circusparteien einige ihrer Opfer, die sie ausgeraubt hatten, um zu verhindern, daß sie Anzeige erstatteten. Selbst in einer Stadt wie Konstantinopel hatten Straftäter allen Grund, Anzeigen und daraus resultierende Polizeimaßnahmen zu fürchten. Auch wenn die Kriminalität einmal zugenommen hatte, gelang es den Behörden doch, durch intensive Fahndungsmaßnahmen und Vollstreckung abschreckender Strafen des Problems wenigstens auf Zeit Herr zu werden, so 523 in Konstantinopel. 1109
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Nov. Iust. 134, 5 (556 n. Chr.). Vgl. hierzu auch Zacharias Rhetor, Vita Severi (Kugener, PO 2, 70/3): Ein vermögender Bürger aus Berytos namens Chrysaorios, der der Leichenschändung (zu magischen Zwecken) beschuldigt wurde, floh zunächst; mit viel Gold konnte er sich später die Rückkehr erkaufen und blieb für seine Straftaten unbehelligt. 1110 Symm., Epist. 2, 38 ; Kohns 1961, 146ff.; Hist. Arian. 58 (Athanasius, Werke 2, 215f.). 1111 Lib., Or. 22, 7f.; 23, 7ff.; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 17, 2 (PG 49, 174). 1112 Lib., Or. 1, 98f.; 103; 227. 1113 Lib., Or. 23, 7ff. 1114 Soz., Hist. eccl. 4, 10, 1ff. (GCS, Bidez – Hansen 150); 4, 10, 4 (ibid. 150f.); 5, 6, 1 (ibid. 200f.); Coll. Avellana 62 (CSEL 35, 1, 139/41); 63 (ibid. 142/4). 1115 Proc., Hist. arc. 7, 16. Die Suche nach Straftätern war in Konstantinopel (ähnliches dürfte für Rom gegolten haben), wenn sie denn mit gehörigem Nachdruck durchgeführt wurde, durchaus erfolgreich: Proc., Hist. arc. 9, 35ff. 1116 Marcell., Chron. II p. 102, 523.
7. Fahndung nach Straftätern
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Die Klöster gewährten vielen zwielichtigen Personen Unterschlupf. Wie sollten die Mönche in aller Regel auch wissen, mit wem sie es zu tun hatten, wenn um Aufnahme ins Kloster nachgesucht wurde? Photios, der Sohn Belisars, wurde von Theodora im Kaiserpalast im Kerker gehalten; mehrmals konnte er fliehen. Auf seiner letzten Flucht gelangte er nach Jerusalem, und obwohl zahlreiche Leute nach ihm suchten, konnte er sich als Mönch verbergen. Der der Magie bezichtigte Basilius war in einem Mönchsgewand verkleidet aus Rom geflohen. Durch Vermittlung des Bischofs von Amiternum konnte er in einem Kloster untertauchen. Dort wurde er nach einiger Zeit als Magier entlarvt und vertrieben. Kurze Zeit darauf wurde er „dank des Eifers des christlichen Volkes“, wie Gregor der Große schreibt, in Rom bei lebendigem Leibe verbrannt, man wurde seiner also schließlich doch noch habhaft. Hier und da hatten die Mönche keine Skrupel, selbst Schwerverbrecher, die aus ihrer kriminellen Vergangenheit keinen Hehl machten, aufzunehmen. Heikel war insbesondere die Fahndung nach Straftätern auf dem flachen Land. Es lag im Gegenzug für die Behörden nahe, sich die Strukturen des Großgrundbesitzes zunutze zu machen und die Großgrundbesitzer bzw. deren Verwalter in die Fahndung nach Straftätern einzubinden. Sie werden daher wiederholt in der spätantiken Gesetzgebung dazu verpflichtet, Straftäter auszuliefern. 1117
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Nov. Iust. 5, 2 (535 n. Chr.). Proc., Hist. arc. 3, 21ff. 1119 Greg. M., Dial. 1, 4, 3ff. (Vogüé - Antin 2, 38/42). Vgl. zu Basilius auch noch Cassiod., Var. 4, 22 (CCL 96, 156f.); 4, 23 (ibid. 157). 1120 Joh. Mosch., Prat. spir. 143 (PG 87, 3, 3004f.); 166 (ibid. 3032f.). - Vgl. ferner Apophthegmata patrum, Apollo 2 (PG 65, 133/6); Makarios 31 (5) (ibid. 273); Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 20 (Brooks, 17, 278f.); R. MacMullen, Nationalism in Roman Egypt, Aegyptus 44, 1964, 179-199, 197, Anm. 3 (v.a. zu den Mönchen Schenutes im 5. Jh.). 1121 Hist. aceph. 5, 1ff. (Martin 158/62); Lib., Or. 23, 9. Bereits in der frühen Kaiserzeit suchten viele Personen, die auf der Flucht waren, auf Großgrundbesitzungen Schutz: Mart. Polyc. 6 (Bastiaensen 12). Die Fahndung nach entlaufenen Sklaven wurde dadurch erschwert, daß sich überall Großgrundbesitzer fanden, die Flüchtige aufnahmen: Dig. 11, 4, 1, 1ff. (Ulpian). 1122 Krause 1987a, 164ff.; 218ff.; 221ff.; Cod. Theod. 9, 29, 2 (383 n. Chr.); 7, 18, 7 (383 n. Chr.); 7, 19, 1 (399 n. Chr.); 7, 18, 12 (403 n. Chr.); 16, 5, 52, 1 (412 n. Chr.); Cod. Iust. 9, 39, 2 (451 n. Chr.). Vgl. auch BGU I 323 (Spätantike): Der ägyptische Grundbesitzer Aur. Menas verpflichtet sich gegenüber dem dux, nach fremden Personen auf seinem Grundbesitz zu fahnden und sie ihm zu überstellen. Sollte er dies nicht tun, werde er pro Person 1 Pfund Gold bezahlen. 1118
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Selbsthilfe und Lynchjustiz
Selbsthilfe und Lynchjustiz Trotz verstärkter staatlicher Bemühungen blieb die Bekämpfung des Verbrechens zu einem großen Teil der Privatinitiative überlassen. Den meisten Strafprozessen ging die Klage des Opfers der Straftat oder ihm nahestehender Verwandter voraus; auch den Täter ausfindig zu machen, oblag zunächst den Geschädigten selbst. Die Staatsorgane griffen von sich aus selbst bei schweren Straftaten in aller Regel nicht ein. Bei Diebstählen machten sich die Opfer also selbst auf die Suche nach dem Täter. Wurden von Sklaven Diebstähle oder andere Straftaten begangen und waren sie geflohen, so führte der geschädigte Eigentümer die Suche nach den Flüchtigen durch. Opfer von Diebstählen bedienten sich magischer Praktiken, um des Täters habhaft zu werden. Zahlreiche Geschichten im hagiographischen Schrifttum haben die wundersame Aufdeckung von Straftaten und Offenbarung des Täters zum Inhalt. Auch in Ägypten oblag die Ergreifung von Dieben dem Geschädigten selbst. Die Dorfbeamten waren hierbei vielfach eine geringe Hilfe. Flavius Priscus, ein Veteran, klagt bei Abinnaeus über Einbrecher, die in seiner Abwesenheit, als seine Frau allein daheim war, sich nachts Zugang zu dem Haus verschafft und seine und seiner Frau gesamte Habe geraubt hätten. Die Dorfbeamten (demosioi) sollen ergriffen und gezwungen werden, die Täter zu stellen. Möglicherweise hatten sie die Sache nicht intensiv genug verfolgt oder deckten gar die Schuldigen. Es ist mit einem hohen Maß an infra-jurisdiktioneller Konfliktlösung zu rechnen: Opfer von Diebstählen machten sich selbst auf den Weg, um nach der entwendeten Habe zu suchen. Erst wenn sich der Dieb weigerte, das Diebesgut herauszugeben und u.U. auch noch handgreiflich wurde, wurden die Staatsorgane eingeschaltet. Es erklärt sich so zum Teil wohl auch, daß unter den Petenten so viele Frauen, und zumal alleinstehende Frauen, Witwen also, waren: Sie hatten im Dorf häufig keinen Beistand und waren auf sich gestellt nicht in der Lage, Wiedergutmachung zu erwirken. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als 1123
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Epist. 10*, 3 (CSEL 88, 47f.); Sidon., Epist. 6, 4. Conf. 6, 9, 14f.; Lib., Epist. 744, 5 (X 672); Greg. Tur., Glor. mart. 72 (MGH, SRM 1, 536f.). 1125 Nov. Iust. 5, 2 (535 n. Chr.). 1126 Caes. Arel., Serm. 184, 4 (CCL 104, 750f.); Greg. Tur., Franc. 7, 44. Dem wegen seiner nestorianischen Neigungen abgesetzten Bischof Sophronios von Tella wurde u.a. vorgehalten, er habe mittels heidnischer Wahrsagepraktiken nach einem Dieb geforscht: J. Flemming (Hrsg.), Akten der ephesinischen Synode vom Jahre 449, Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Kl., N.F. 15, 1, Berlin 1917, 81ff. 1127 Z.B. Vita Symeon. Styl. 179 (van den Ven 1, 158f.); 180 (ibid. 159f.); 181 (ibid. 160f.); Leontios von Neapolis, Vita Symeon. Sal. 161f. (Festugière 95f.). 1128 P. Sakaon 39 (= P. Thead. 21) (318 n. Chr.); P. Abinn. 42 (= P. Gen. I 79 + P. Lond. II 422, p. 318) (1. Hälfte 4. Jh. n. Chr.). 1129 P. Abinn. 45 (= P. Lond. II 245, p. 271) (343 n. Chr.). 1124 Aug.,
7. Fahndung nach Straftätern
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sich an die Gerichte zu wenden und dort auf ihren Status als „schwache, hilflose Witwe“ aufmerksam zu machen. Die Suche nach den Straftätern war mit Gefahren verbunden, dies zumal dann, wenn es sich um Berufsverbrecher handelte, Räuber etwa oder Viehdiebe, die oftmals eine große kriminelle Energie entwickelten. Die Verfolgung von bandenmäßig organisierten Viehdieben konnte zum Blutvergießen führen. Firmicus Maternus unterscheidet zwischen Wegelagerern, die in einsamer Gegend die Reisenden berauben und ermorden, Viehdieben, die den sie Verfolgenden mit dem Schwert Widerstand leisten, und Räubern, die des Nachts die Häuser ausrauben. Die Männer, die die Viehdiebe verfolgen, werden die Geschädigten selbst gewesen sein. Auch wenn die Viehdiebe Berufsverbrecher waren, die keine Skrupel hatten, Gewalt anzuwenden, waren es häufig die Opfer selbst, die die Fahndung durchführten. Die Verfolgung und das Ausfindigmachen von Straftätern wurden dadurch erleichtert, daß in den Dörfern und kleineren Städten jeder jeden kannte. Auch bei schweren Straftaten, wie Mord, fanden sich, selbst wenn es keine Augenzeugen gab, doch sehr schnell Verdächtige. Der Hilfe der Nachbarn kam bei der Ergreifung und Fahndung nach Straftätern eine große Bedeutung zu. Ein Eremit, ein Greis, der von Räubern überfallen wurde, rief um Hilfe; daraufhin überwältigten die Nachbarn die Diebe; sie wurden dem Statthalter überbracht und inhaftiert. Konstantin drohte Jungfrauen, die sich hatten entführen lassen (zum Zweck der Eheschließung), mit strengen Strafen. Selbst wenn sie gegen ihren Willen geraubt worden seien, sollten sie nicht straffrei ausgehen: Denn sie hätten sich ja wehren und die Hilfe der Nachbarn herbeirufen können. Die Häuser in den Städten und Dörfern standen dicht beieinander, es war daher leicht möglich, im Notfall Hilfe herbeizurufen. Oblag die Ergreifung des Diebes zumeist dem Opfer, so wurde die Bestrafung doch in aller Regel, wenn man sich denn nicht mit der Wiedergutmachung des Schadens begnügte, den Gerichten überlassen. Nach den Sentenzen des PseudoPaulus (wahrscheinlich an der Wende vom 3. zum 4. Jh. entstanden) war nicht zu bestrafen, wenn jemand einen Dieb, der sich tags oder nachts mit der Waffe verteidigt hatte, tötete. Besser handele man aber, wenn man ihn den städtischen Be1130
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Krause 1994/5, 2, 232ff. Epist. 14, 22ff. 1132 Firm., Math. 6, 31, 6. 1133 Vgl. Lib., Or. 45, 25f. 1134 Apophthegmata patrum, Poimen 90 (46) (PG 65, 344). 1135 Cod. Theod. 9, 24, 1, 2 (= Cod. Iust. 7, 13, 3) (320 n. Chr.). Ähnlich äußert sich in einem konkreten Fall Ambrosius: Laps. virg. 4, 12 (PL 16, 386). 1136 Die Nachbarn waren freilich zur Hilfeleistung nicht immer bereit: Joh. Chrys., In epist. ad Eph. hom. 10, 2 (PG 62, 77); vgl. schon Apul., Met. 4, 10, 4. 1137 Joh. Chrys., De fato et providentia 5 (PG 50, 768). 1131 Auson.,
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Selbsthilfe und Lynchjustiz
amten übergebe, die ihn dem Provinzstatthalter zu überstellen hätten. Die Strafverfolgung soll also bei den staatlichen Behörden liegen. Die Gesetzgebung hält entschieden daran fest, daß Straftaten von den staatlichen Gerichten abgeurteilt werden. Das Recht auf Notwehr wird allerdings nicht in Frage gestellt. Diokletian erklärt 290, es sei dem rechtmäßigen Eigentümer zur Verteidigung seines Besitzes gestattet, Gewalt zurückzuweisen. Einzelne Gesetze ermuntern die Bevölkerung, Straftäter selbst zu ergreifen; auch Gewalt wird in diesem Zusammenhang akzeptiert. 391 wird den Reichsbewohnern noch einmal ausdrücklich das Recht auf Selbsthilfe zugestanden: Jedem ist es gestattet, eine Privatperson oder einen Soldaten, der in der Nacht fremden Grundbesitz in räuberischer Absicht betreten hat oder der sich an den Straßen in einen Hinterhalt gelegt hat, in Notwehr zu töten. Dies wird wenige Jahre später im Hinblick auf die Deserteure bestätigt. Manche Reisende waren bewaffnet und suchten sich so vor den Überfällen von Räubern zu schützen. In Nordafrika setzte sich die Bevölkerung zum Teil gegen gewalttätige Donatisten bzw. Circumcellionen zur Wehr. Die Kirchenväter diskutieren darüber, inwieweit Notwehr gestattet sei. Basilius neigt auch bei einer in Notwehr erfolgten Tötung zur Strenge. Wer einen tödlichen Schlag versetzt hat, ist ein Mörder, ob er nun als erster oder in Selbstverteidigung geschlagen hat. In seiner Diskussion der Frage, wann von einer unbeabsichtigen bzw. beabsichtigten Tötung gesprochen werden könne, behandelt er auch den (hypothetischen) Fall eines Mannes, der sich mit einem Knüppel, einem großen Stein oder einem Schwert gegen einen Gegner zur Wehr setzt. Augustin akzeptiert ein Recht auf Notwehr nur mit Einschränkungen. Ein Tötungsrecht billigt er lediglich den Soldaten oder Beamten zu, die für die Mitbürger und den Staat handeln. Die Abschreckung nütze auch den potentiellen Tätern, die von der Durchführung einer Straftat abgehalten würden. Augustin spricht sich also dagegen aus, daß sich die Bürger in die Belange der Staatsorgane einmischten. Selbst 1138
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Paul., Sent. 5, 23, 9 (FIRA 2, 409); vgl. hierzu Manfredini 1996, 518f. Cod. Theod. 9, 16, 11 (= Cod. Iust. 9, 18, 9) (389 n. Chr.); 16, 8, 21 (= Cod. Iust. 1, 9, 14) (412 n. Chr.). 1140 Cod. Iust. 8, 4, 1 (290 n. Chr.). 1141 Cod. Theod. 9, 14, 2 (= Cod. Iust. 3, 27, 1) (391 n. Chr.); vgl. hierzu Manfredini 1996, 520ff.; Shaw 1984, 19. 1142 Cod. Theod. 7, 18, 14 (= Cod. Iust. 3, 27, 2) (403 n. Chr.). Vgl. auch Cod. Theod. 7, 18, 11 (= Cod. Iust. 12, 45, 2) (403 n. Chr.). 1143 Aug., Lib. arb. 1, 11, 33 - 12, 34 (CCL 29, 217); Joh. Chrys., In gen. hom. 9, 3 (PG 53, 78); vgl. auch Aug., Epist. 185, 12 (CSEL 57, 10/2). 1144 Aug., Epist. 105, 3 (CSEL 34, 2, 596f.); 108, 19 (ibid. 632f.). 1145 Bas., Epist. 199, 43 (Courtonne 2, 162). 1146 Bas., Epist. 188, 8 (Courtonne 2, 126ff.). 1139
7. Fahndung nach Straftätern
215
in einer Zeit, da sich das Weströmische Reich bereits in einer kritischen Lage befand, wird das Gewaltmonopol des Staates uneingeschränkt akzeptiert. Wenn das Recht auf Notwehr in der Gesetzgebung anerkannt wird, so mag dies zunächst als eine Selbstverständlichkeit erscheinen. Die von den Kirchenvätern intensiv geführte Diskussion hierüber ist aber bemerkenswert; dieses Recht war nicht mehr völlig unumstritten. In Gesellschaften, die durch ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft gekennzeichnet sind, ist es nur natürlich, wenn man sich selbst sein Recht verschafft, gegebenenfalls auch mit Waffengewalt. Im spätantiken Römischen Reich wurde die Anwendung von Gewalt demgegenüber in einem solchen Maße in Frage gestellt, daß nicht einmal mehr die Notwehr guten Gewissens akzeptiert wurde. Sicher soll man nicht glauben, daß jedermann die Diskussionen der christlichen Autoren zur Richtschnur seines Handelns gemacht hätte. Aber ihre Erörterungen machen doch deutlich, daß der Bereich dessen, was als legitime Gewalt galt, im Römischen Reich anders definiert war als in vielen anderen ländlichen Gesellschaften. Selbstverständlich respektierte nicht jeder die ihm gesteckten Grenzen. Auch wenn die meisten Straftaten vor Gericht gebracht wurden, so ging doch hin und wieder die Selbsthilfe in Selbstjustiz über. Gegen einen katholischen Presbyter waren von der bäuerlichen Bevölkerung Klagen erhoben worden. Augustin ordnet an, daß den Vorwürfen nachgegangen werde. Er befürchtet, daß gewalttätige Ak1147
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___________________________ 1147 Aug., Epist.
46, 12 (CSEL 34, 2, 127); 47, 5 (ibid. 135f.). An anderer Stelle ist Augustin etwas großzügiger. Es wird die Notwendigkeit von Gesetzen anerkannt, die das Recht auf Notwehr einräumen. Denn es sei sehr viel humaner, daß derjenige, der einem fremden Leben nachstellt, getötet werde, als derjenige, der sein eigenes schütze, und es sei sehr viel ungeheuerlicher, wenn ein Mensch gegen seinen Willen vergewaltigt werde, als wenn derjenige, der diese Gewalt zufügen wolle, von demjenigen, dem sie zugefügt werden soll, getötet werde. Aber nach Augustin sind auch diejenigen, die in Notwehr töten, nicht von moralischer Schuld frei. Denn sie töten aus libido, aus dem Bestreben heraus, sich ein vergängliches Gut zu erhalten. Das menschliche Gesetz, welches für die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Gemeinwesen gemacht wurde, gestatte vieles, was durch die göttliche Vorsehung bestraft werde: Lib. arb. 1, 11, 33 - 13, 41 (CCL 29, 217/9). 1148 Anspielung auf Selbstjustiz möglicherweise bei Firmicus Maternus: Firm., Math. 8, 19, 2; 8, 27, 6; 8, 29, 13. - Germanus von Auxerre übernachtete auf einer Reise in einem verfallenen Gehöft, welches von Geistern unsicher gemacht wurde: Zwei Männer, die sich zahlreicher Straftaten schuldig gemacht hatten, waren unbestattet liegen geblieben. Vermutlich waren sie von der Bevölkerung in Selbstjustiz getötet worden; es ist allerdings auch eine offizielle Hinrichtung denkbar: Die beiden Straftäter waren in eiserne Ketten gebunden: Constantius, Vita Germ. 10 (Borius 138/42). Mönche bestraften Straftäter, derer sie habhaft wurden, selbst, ohne sie den staatlichen Gerichten zu überantworten: Pallad., Hist. Laus. 7, 3 (Bartelink 38).
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Selbsthilfe und Lynchjustiz
tionen gegen das Haus des Priesters bevorstehen, daß es ausgeplündert und verwüstet werden soll. Sidonius züchtigte Totengräber, die er auf frischer Tat dabei ertappte, wie sie das Grab seines Großvaters schändeten. Die Privatrache spielte weiterhin beim Ehebruch eine (wenn auch im Vergleich zur Anrufung staatlicher Gerichte geringe) Rolle. Nach einem Gesetz Justinians war es erlaubt, den Entführer eines Mädchens, wenn er auf frischer Tat ertappt wurde, in Selbstjustiz zu töten. Dieses Recht wurde neben den Eltern den Blutsverwandten, den Vormündern bzw. Curatoren, schließlich den Herren bzw. Patronen (im Falle von Sklavinnen bzw. Freigelassenen) zugesprochen. Als der Mönch Makarios von einer Jungfrau beschuldigt wurde, sie geschwängert zu haben, wurde er von den Dorfbewohnern geschlagen; die Eltern verlangten, daß er für den Lebensunterhalt des Mädchens aufkomme. Hier wurde die Selbsthilfe dem Gang zu den staatlichen Gerichten vorgezogen, denn so konnte am ehesten der Schaden wiedergutgemacht werden. Selbstjustiz führte dazu, daß ein Teil der Straftäter nicht vor die staatlichen Gerichte kam. Gleiches gilt für die Lynchjustiz. Sie ist freilich nicht sehr häufig belegt. Ein Kirchendieb, der auf der Flucht ergriffen wurde, wäre um ein Haar gelyncht worden; er konnte noch rechtzeitig dem aufgebrachten Volk entrissen und in der Kirche eingesperrt werden. Der Zorn des Volkes richtete sich gegen die Entwendung von Kirchengut; gewöhnliche Diebe waren kaum je mit einer so wütenden Volksmenge konfrontiert. Ein Raubmörder hatte den Leichnam seines Opfers, eines Händlers, vor der Tür des Asketen Palladios zurückgelassen; darauf wurde dieser von einer aufgebrachten Menge des Mordes bezichtigt. Palladios konnte nur durch ein Wunder seine Unschuld dartun. Von weither gekommene Räuber wollten den Einsiedler Theon nachts überfallen und ermorden; sie vermuteten bei ihm eine große Summe Goldes. Sie erstarrten jedoch vor seiner Tür und wurden am Morgen 1149
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Epist. 251 (CSEL 57, 599f.). Wenn die Bauern sich selbst ihr Recht verschafften, so hatte dies in gewissem Sinne seine Berechtigung: Bischöfe, auch in Nordafrika, deckten vielfach die Vergehen von Kollegen bzw. untergeordneten Klerikern, damit dem Ansehen der Kirche nicht geschadet werde: Aug., Epist. 20*, 29 (CSEL 88, 110). 1150 Sidon., Epist. 3, 12. 1151 Paul., Sent. 2, 26, 5 (FIRA 2, 351); Nov. Iust. 117, 15, pr.; 1 (542 n. Chr.); Joh. Chrys., Virg. 52, 3 (Musurillo – Grillet 292); In gen. hom. 32, 5 (PG 53, 298f.); BGU IV 1024, Kol. III (4./5. Jh. n. Chr.). 1152 Cod. Iust. 9, 13, 1, 1 (533 n. Chr.). Bereits Hadrian hatte entschieden, daß derjenige straffrei ausgehen sollte, der jemanden getötet hatte, der ihm oder einem nahen Familienangehörigen stuprum zufügen wollte: Dig. 48, 8, 1, 4 (Marcianus). 1153 Apophtegmata patrum, Makarios 1 (80) (PG 65, 257/60). Vgl. auch Apophtegmata patrum, Nikon 1 (PG 65, 309). 1154 Vgl. außer den weiter unten zitierten Stellen hierzu auch noch Aug., Epist. 9* (CSEL 88, 43/5); Ennod. 80 (opusc. 3) (Vita Epifani Ticinensis ecclesiae), 21ff. (MGH, AA 7, 87). 1155 Paul. Nol., Carm. 19, 515ff. (CSEL 30, 136). 1156 Theodoret., Hist. rel. 7, 2f. (Canivet - Leroy-Molinghen 1, 366/70).
7. Fahndung nach Straftätern
217
von der umwohnenden Bevölkerung ergriffen, die sie verbrennen wollte. Dies verhinderte Theon, der sie laufen ließ. Bei sexuellen Verfehlungen von Mönchen oder Klerikern reagierte das Volk besonders heftig. Die Angst vor Magie war weit verbreitet, damit auch die Bereitschaft, gegen Magier mit Gewalt vorzugehen. Bereits gegen Ende des 4. Jh. wurde ein Gesetz erlassen, welches die eigenmächtige Tötung von vorgeblichen Magiern untersagte. Im 6. Jh. wurde der Magier Basilius in Rom gelyncht; er wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Bevölkerung verlangte die strenge Bestrafung von Magiern bzw. Heiden und war bereit, für dieses Anliegen auf die Straße zu gehen. Fälle von Volksjustiz, die im Zusammenhang mit religiösen oder politischen Unruhen standen, sind freilich nicht repräsentantiv für das Verhalten des Volkes gegenüber Straftätern schlechthin, auch nicht im 6. Jh. Selbst- und Lynchjustiz sind in ihrer quantitativen Bedeutung nur sehr schwer einzuschätzen. Sie scheinen jedoch die Ausnahme geblieben zu sein. Nach Augustin soll es das Volk den Behörden überlassen, die Übeltäter zu züchtigen; man ermahne lediglich Nachbarn und Hausangehörige, sich friedlich zu verhalten. Salvian wirft den Einwohnern Karthagos vor, mit den Mönchen ihren Spott zu treiben. Und er weist auf das 12-Tafel-Gesetz hin, welches jegliche Selbstjustiz, die Tötung eines Straftäters ohne Urteil, untersage. Dies trifft für das archaische Rom in dieser Form natürlich nicht zu, mag aber der Lage in der Spätantike durchaus entsprechen. Libanios hebt, gerichtet gegen fanatische Christen, die sich unter Umgehung der zuständigen Gerichte selbst gegen unerlaubte heidnische Praktiken wandten, hervor, daß es zu seiner Zeit keine Selbstjustiz mehr gebe: Verwandte eines Ermordeten brächten den Mörder vor Gericht und übten keine Privatrache. Ähnliches gelte für andere Verbrechen wie Tempelraub, Verrat usw. Im großen und ganzen wird er recht haben. Die Selbstjustiz hatte verglichen mit anderen agrarischen Gesellschaften eine relativ geringe Bedeutung. Die Klagen über die grassierende Prozeßsucht nehmen im Verlauf der Kaiserzeit zu. Die staatlichen Strukturen (Justizapparat) wurden gestärkt: Opfer von Beleidigungen oder Schlägen wandten sich an ein Gericht und verlangten hier die Bestrafung des Täters; es wurde Strafe und Rache vor Gericht gesucht. 1157
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Historia monachorum in Aegypto 6, 2 (Festugière 44). Greg. Tur., Franc. 2, 1. 1159 Cod. Theod. 9, 16, 11 (= Cod. Iust. 9, 18, 9) (389 n. Chr.). 1160 Greg. M., Dial. 1, 4, 3ff. (Vogüé - Antin 2, 38/42). 1161 Euagr., Hist. eccl. 5, 18 (Bidez – Parmentier 212/4); Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 31 (Übersetzung Schönfelder 125/8); 5, 17 (ibid. 208f.). 1162 Aug., Serm. 302, 23, 21 (PL 38, 1393). 1163 Salv., Gub. 8, 24 (Lagarrigue 526). 1164 Lib., Or. 30, 25. 1165 Aug., In psalm. 54, 14 (CCL 39, 666f.). 1158
218
Selbsthilfe und Lynchjustiz
Selbsthilfe und Lynchjustiz waren rückläufig. Der Roman des Apuleius läßt in all seiner Fiktionalität deutlich werden, mit welcher Schnelligkeit noch in der Mitte des 2. Jh. von der Bevölkerung die Forderung erhoben wurde, Straftäter zu lynchen. Die Bereiche, in denen Selbsthilfe und Selbstjustiz überhaupt noch gestattet waren, wurden im Verlauf der Kaiserzeit zunehmend begrenzt (nämlich auf die reine Notwehr). Der Jurist Paulus spricht diesen Grundsatz aus: Privatpersonen darf nicht gestattet werden, was durch staatliche Beamte erledigt werden kann, damit nicht Anlaß zu größeren Unruhen entsteht. Die Entwicklung ist eindeutig: Gesetze wie Cod. Theod. 9, 14, 2 (= Cod. Iust.3, 27, 1) (391 n. Chr.) oder Cod. Theod. 7, 18, 14 (= Cod. Iust. 3, 27, 2) (403 n. Chr.) müssen in diesem Kontext gesehen werden. Sie waren kein Freibrief für die Bevölkerung, sich in Selbstjustiz gegen Räuber und Deserteure zu wenden. Die langfristige Tendenz der kaiserlichen Gesetzgebung ging vielmehr in die Richtung, Gewaltanwendung den Staatsorganen vorzubehalten und der Zivilbevölkerung das Recht auf Notwehr und Selbsthilfe nur in Sonderfällen einzuräumen. Erst im Frankenreich wurden Fälle von Lynchjustiz wieder häufiger. Fassen wir zusammen! Es existierte ein komplexes Geflecht von Polizeiorganen: staatliche, städtische und dörfliche. Während in vielen archaischen Gesellschaften eine Dichotomie zwischen staatlicher und dörflicher Ebene besteht (der Staat hat Schwierigkeiten, seine Autorität auf dem Lande zur Geltung zu bringen, die Landbevölkerung betrachtet die staatlichen Organe als Gegner, als Fremde und ist nicht bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten), scheint in der Spätantike die Situation anders gewesen zu sein. Die städtischen „Polizeibeamten“ waren zumeist lokale Honoratioren, die auf dem Land über Grundbesitz verfügten; große Teile der Landbevölkerung waren mit ihnen in einem Klientelverhältnis verbunden. Dies erleichterte die Fahndung nach Straftätern. Auf der anderen Seite hatten die Dörfer ihre eigenen Amtsträger, die mit einem „normalen“ Maß an Gewalt und Kriminalität durchaus fertig wurden. Lediglich bei schweren Straftaten (etwa bei Bandenkriminalität) mußten die staatlichen Behörden eingreifen. Dieses Nebeneinander von staatlichen, städtischen und dörflichen Organen gewährleistete ein vergleichsweise hohes Maß an innerer Sicherheit. Die Erfolge der staat1166
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___________________________ 1166 Apul.,
Met. 1, 10, 1ff.; 2, 27, 2ff.; 10, 6, 1ff.; vgl. auch 7, 13, 3ff. Vgl. auch noch Philostr., Vita Apoll. 4, 10. 1167 Wesener 1958; A. Wacke, Notwehr und Notstand bei der aquilischen Haftung. Dogmengeschichtliches über Selbstverteidigung und Aufopferung, ZRG 106, 1989, 469-501; Humbert 1991, 154ff.; 174f.; Manfredini 1996; Behrends 2002. 1168 Dig. 50, 17, 176, pr. (Paulus). Vgl. weiterhin Coll. Mos. 7, 3, 2f. und hierzu Manfredini 1996, 516f. sowie Inst. Iust. 4, 3, 2 und hierzu Manfredini 1996, 523. 1169 Vgl. u.a. Greg. Tur., Franc. 2, 20; Glor. mart. 9 (MGH, SRM 1, 494f.).
7. Fahndung nach Straftätern
219
lichen und städtischen Polizeiorgane sollten jedenfalls nicht ganz gering veranschlagt werden. Wiederholt sprechen die Kirchenväter die Ängste von Straftätern an, überführt und vor Gericht gestellt zu werden. Wenn mehr Straftaten aufgeklärt wurden, als man zunächst einmal annehmen möchte, so spielte die soziale Kontrolle durch die Nachbarn eine gewichtige Rolle. Straftäter hatten in den spätantiken „face to face“-Gesellschaften kaum eine Chance, auf lange Sicht unbemerkt von den anderen ihrem Tun nachzugehen. Dies minderte die Neigung, eine Straftat zu begehen, und ließ die Wahrscheinlichkeit, daß einmal begangene Straftaten aufgedeckt wurden, größer werden. Weder darf die Verbrechensquote in den spätantiken Gemeinden mit derjenigen moderner Großstädte verglichen werden (sie war vermutlich geringer), noch war die Aufklärungsrate so niedrig, wie dies angesichts des Fehlens eines großen Polizeiapparates zunächst einmal hätte vermutet werden sollen. Wie viele Straftäter sich durch eine Flucht ihrer Strafe entziehen konnten, läßt sich nicht angeben. Die Möglichkeiten hierzu waren sicherlich gegeben. Wenn jedoch die Bewohner Antiochias, die eine Strafverfolgung zu befürchten hatten, in die Einöde der Berge flohen, so glaubten sie offenbar, selbst in einer Großstadt wie Antiochia vor dem Zugriff der staatlichen oder städtischen Organe nicht sicher zu sein. Die große Bedeutung, die der Untergliederung auch der größeren Städte des Reiches in Stadtviertel zukam, hatte zur Konsequenz, daß niemand in einer anonymen Masse untertauchen konnte. Die Bewohner der Stadtviertel, der Straßen kannten einander: Wie sollte da ein Städter, der wegen eines Vergehens gesucht wurde, oder ein Fremder, der zugewandert war, lange Zeit unentdeckt bleiben können? All dies erklärt, warum der römische Staat selbst in Städten wie Rom und Konstantinopel mit einigen Hunderttausend Einwohnern mit einem lächerlich kleinen Polizeiapparat auskommen konnte, ohne daß deswegen doch Gewalt und Kriminalität übermäßig hätten anschwellen müssen. 1170
___________________________ 1170 Aug.,
In evang. Ioh. 10, 5 (CCL 36, 103); Joh. Chrys., In psalm. 7, 16 (PG 55, 105f.); 10, 3 (ibid. 143f.); Severianus, De mundi creatione 6, 6 (PG 56, 491f.).
8. ALTERNATIVEN ZUM GANG VOR GERICHT Außergerichtliche Einigungen Zumal bei geringfügigeren Delikten (Diebstähle, Schlägereien) zogen Täter und Opfer oftmals eine außergerichtliche Einigung dem Gang vor Gericht vor. Da die staatlichen Organe nicht von sich aus aktiv wurden, um Straftaten aufzudecken und der Täter habhaft zu werden, blieb es den Geschädigten selbst überlassen, ob sie die Justiz einschalteten. Auch wenn wir für das spätantike Römische Reich über Kriminalstatistiken verfügten, wären sie also dennoch nicht mit denen eines modernen Industriestaates vergleichbar; die Dunkelziffer wäre sehr viel größer. Bei jeder Klage, die vor Gericht kam, wäre zunächst einmal nach den Beziehungen zwischen Opfer und Täter zu fragen, die erklären, warum das Gericht eingeschaltet und nicht eine informelle Konfliktregelung vorgezogen wurde. Bei der Strafverfolgung ging es nicht allein um eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Straftäter; es waren auch die Opfer und darüber hinaus die gesamte lokale Gemeinschaft involviert. Es wurde bereits auf die große Rolle hingewiesen, die die Gerichte im Leben der meisten spätantiken Menschen spielten. Dies schließt nicht aus, daß vielfach informelle Konfliktregelungen einem langwierigen Strafverfahren vorgezogen wurden. Auch in diesem Fall aber kamen zivile, unblutige Formen der Konfliktregelung zum Zuge. Statt mit Waffengewalt auf seinen Gegner loszugehen (wie dies vielfach in anderen agrarischen Gesellschaften praktiziert wurde), statt Selbst- und Lynchjustiz zu üben (sie kamen vor, hatten aber, wie wir gesehen haben, eine vergleichsweise geringe Bedeutung), ließ man sich finanziell entschädigen. Dies fügt sich ein in das Bild einer im großen und ganzen pazifizierten Gesellschaft. Streitigkeiten wurden vielfach zunächst intern, durch die Einschaltung von Schiedsrichtern geregelt. Schon in klassischer Zeit wurden zahlreiche Streitfälle (nicht nur zivil-, sondern auch strafrechtliche) vor Schiedsgerichte gebracht. Diese waren zwar für Strafsachen, für die ein iudicium publicum konstituiert war, nicht zuständig; aber vereinzelt wurden sogar Mordfälle oder Klagen wegen Ehebruchs einem Schiedsrichter vorgelegt (wenn auch gesetzwidrig). Für Vergehen, für die kein iudicium publicum existierte, Diebstähle etwa, waren Schiedsgerichte ohnehin kein Problem. Diebstähle oder Körperverletzungen (iniuria) mußten im 1171
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Dig. 4, 8, 32, 6 (Paulus).
8. Alternativen zum Gang vor Gericht
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klassischen Recht nicht strafrechtlich geahndet werden. In der Spätantike gewann das Schiedsgericht vielleicht noch an Bedeutung. Vielfach fungierten Kleriker und Mönche als Schiedsrichter und Vermittler. Die weit überwiegende Zahl der aus dem spätantiken Ägypten zum Themenkomplex Schiedsgericht überlieferten Urkunden betrifft allerdings die Beilegung rein privatrechtlicher Streitigkeiten. Die Strafprozesse wurden in der überwiegenden Zahl der Fälle aufgrund von Klagen, die von Privatleuten eingereicht worden waren, eingeleitet. Ein Nachteil des Systems waren die unberechtigten und schikanösen Klagen (calumnia), ein anderes die illegalen Absprachen zwischen Klägern und Angeklagten (praevaricatio). Ein Kläger konnte durch Bestechung dazu gebracht werden, den Prozeß nachlässig zu führen, so daß ein Straftäter, wiewohl schuldig, freigesprochen wurde. Je schärfere Strafen drohten, je unangenehmer die Strafprozesse für die Angeklagten überhaupt wurden (Folter, Untersuchungshaft), umso verführerischer war es im weiteren, die Drohung mit einer Strafklage zur Erpressung zu nutzen. Ein gewisser Capito hatte aus Angst vor dem Tod bzw. körperlichen Qualen sich gegenüber einem Mann namens Zeno, der ihm offenbar mit einem Kapitalprozeß gedroht hatte, in Form einer stipulatio verpflichtet. Diokletian gesteht Capito zu, er brauche das Geld nicht zu zahlen, wenn er es nur versprochen habe, damit Zeno keine Klage einreiche; diesbezügliche vertragliche Vereinbarungen seien ungültig. 1172
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Dig. 2, 14, 17, 1 (Paulus); 2, 14, 27, 4 (Paulus). Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 58 (Schwartz 79/81); Sidon., Epist. 2, 7; Harries 1999, 172ff. Im merowingischen Gallien wurde die Streitbeilegung durch Eidesleistung ganz gängig: Greg. Tur., Glor. mart. 33 (MGH, SRM 1, 508); 52 (ibid. 525); 102 (ibid. 555); Glor. conf. 91 (ibid. 806f.). 92 (ibid. 807). 1174 Historia monachorum in Aegypto 8, 30ff. (Festugière 58/61); 8, 36f. (ibid. 61); Theodoret., Hist. rel. 26, 26 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 210). Kleriker als Vermittler in Ehestreitigkeiten: P. Oxy. L 3581 (4./5. Jh. n. Chr.) (Priester); P. Oxy. VI 903 (4. Jh. n. Chr.), Z. 15ff. (Bischof). Vgl. auch noch P. Oxy. VII 1026 (5. Jh. n. Chr.): Vermittlung zweier Priester in Vermögensstreitigkeiten. 1175 J. Modrzejewski, Private Arbitration in the Law of Greco-Roman Egypt, JJP 6, 1952, 239-256, 255f.; D. Simon, Zur Zivilgerichtsbarkeit im spätbyzantinischen Ägypten, RIDA 18, 1971, 623-657, 649ff.; A.A. Schiller, The Courts Are no More, in: Studi in onore di Edoardo Volterra 1, Pubblicazioni della Facoltà di Giurisprudenza dell'Università di Roma 40, Milano 1971, 469-502, 493ff.; T. Gagos – P. van Minnen, Settling a Dispute. Toward a Legal Anthropology of Late Antique Egypt, Ann Arbor 1994, 30ff.; Harries 1999, 179ff. Schiedsverfahren in einer Diebstahlssache: SB VI 9456 (594 n. Chr.). 1176 In einem Reskript Diokletians wird ein solcher Fall angesprochen: Jemand wollte eine Klage wegen Mordes erheben. Da der Betreffende schon einmal deswegen angeklagt und freigesprochen war, muß der Kläger, so Diokletian in seinem Bescheid an den zuständigen Provinzstatthalter, zunächst vor Gericht den ersten Kläger als praevaricator überführen. Will er dies nicht, so kann er gegen den vorgeblichen Mörder Klage wegen anderer Vergehen erheben (hier wegen Raubes): Cod. Iust. 9, 2, 11 (292 n. Chr.). Zur praevaricatio vgl. Levy 1933, 395ff. (Ndr.). 1173
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Außergerichtliche Einigungen
Der Fall zeigt, daß persönliche Feindschaften oftmals vor Gericht ausgetragen wurden; er zeugt auch von der Bereitschaft, sich noch vor der Eröffnung des Verfahrens auf finanziellem Wege zu einigen. Die Angst vor Strafe ließ manche Männer, auch wenn sie zu Unrecht angeklagt worden waren, eine finanzielle Einigung mit dem Ankläger suchen. Ein Mann, der eine Frau nach rechtsgültiger Auflösung der Ehe geheiratet hatte, wurde wegen Ehebruches angeklagt und hatte dem Ankläger, damit er von seiner Klage Abstand nehme, Geld gezahlt. Wenn er unschuldig war und das Geld lediglich aus Angst gezahlt hatte, konnte er beim Provinzstatthalter eine Klage anhängig machen und das Geld von seinem Erpresser zurückverlangen. Wenn dagegen tatsächlich Ehebruch begangen worden war und der Mann sich durch die Geldzahlung die Straflosigkeit hatte erkaufen wollen, so war der Ankläger, der sich hatte bestechen lassen, zu bestrafen. Augustin schildert die Sorgen eines Mannes, dem eine schikanöse Klage droht: Wie soll er sich das Geld beschaffen, um sich freizukaufen (d.h. durch Geldzahlungen an den Gegner, um ihn dazu zu bewegen, von der Klage Abstand zu nehmen), wie soll er, wenn es doch zu einem Gerichtsverfahren kommt, die Kosten tragen? Vielfach dienten die Drohungen mit einer Klage offenbar dazu, den Gegner im Vorfeld zu einem finanziellen Entgegenkommen zu bewegen. Die Frage, ob Einigungen zwischen Anklägern und Angeklagten staatlicherseits toleriert werden konnten, stellte sich vor allem bei den Straftaten, bei denen die Gemeinschaft, der Staat ein Strafverfolgungsinteresse hatte, also den iudicia publica. Zwar konnte niemand zur Anklageerhebung gezwungen werden, wenn die Anklage aber erst einmal erhoben worden war, waren Vereinbarungen zwischen Anklägern und Angeklagten grundsätzlich nicht mehr gestattet. Es scheinen sich im weiteren zwei Grundsätze etabliert zu haben: Zum einen wurde die Bestechung des Anklägers dann toleriert, wenn die Todesstrafe drohte. Zum anderen wurde danach differenziert, ob der Ankläger ein genuines Interesse an der Verfolgung der Straftat hatte oder nicht, mit anderen Worten, ob er selbst bzw. einer seiner Angehörigen Opfer der Straftat gewesen war. Konstantin wendet sich grundsätzlich dagegen, daß Anklagen zurückgezogen wurden, d.h. daß eine 1177
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Cod. Iust. 8, 37 (38), 9 (294 n. Chr.). Cod. Iust. 9, 9, 23 (290 n. Chr.). 1179 Aug., Serm. 177, 11 (PL 38, 959f.). Vgl. auch noch Lact., Ira 20, 7 (Kraft – Wlosok 66): Die Gesetze drohen für offenbare Straftaten zwar mit Strafen, viele entgehen ihnen aber, indem sie die delatores entweder mit Geld oder mit Bitten dazu bringen, die Anzeige zurückzunehmen. 1180 Dig. 2, 14, 7, 14 (Ulpian); 2, 14, 17, 1 (Paulus); 3, 2, 1 (Iulianus); 3, 2, 4, 5 (Ulpian); 3, 2, 5 (Paulus); 12, 4, 3, pr. (Ulpian); 12, 5, 4, pr.; 1 (Ulpian); 47, 2, 55 (54), 5 (Gaius); 47, 2, 57 (56), 4 (Iulianus); 48, 5, 12 (11), pr. (Papinian); 48, 5, 12 (11), 3 (Papinian); 48, 16, 6, pr. (Paulus); Cod. Iust. 9, 9, 10 (225 n. Chr.); 2, 11 (12), 18 (260 n. Chr.); 6, 2, 13 (293 n. Chr.); 8, 53 (54), 18 (293 n. Chr.); 9, 45, 5 (294 n. Chr.); vgl. weiterhin Provera 1965. 1181 Dig. 47, 15, 7 (Ulpian); 48, 21, 1 (Ulpian). 1178
8. Alternativen zum Gang vor Gericht
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abolitio (Niederschlagung des Verfahrens) gefordert wurde, nachdem der Ankläger vom Beklagten Geld empfangen hatte. Wenn ein begründeter Verdacht gegen den Angeklagten vorliege, dürfe dem Verlangen nach Abbruch des Verfahrens nicht mehr stattgegeben werden; es solle seinen Gang gehen und der Angeklagte ggf. seine Strafe erleiden. Allerdings wird von Konstantin gleichzeitig denjenigen, die eigenes oder von ihren Angehörigen erlittenes Unricht verfolgten, ausdrücklich die abolitio zugestanden. Vermutlich hatte auch in diesen Fällen der Ankläger Geld erhalten; durch Schadloshaltung des Opfers wurde die Straftat als gesühnt betrachtet. Eine allgemeine Regel formuliert Diokletian: Vereinbarungen sind hiernach gestattet bei crimina capitalia, d.h. Straftaten, auf die die Todesstrafe steht (mit Ausnahme des Ehebruchs); nicht beilegungsfähig sind die crimina, die nicht die Todesstrafe herbeiführen. Beim Ehebruch bestand schon seit Augustus ein sehr starkes staatliches Interesse daran, daß die Anklage bis zum Urteil geführt wurde; dem Ehemann, der seine ehebrecherische Frau nicht vor Gericht brachte, drohte seinerseits eine Klage wegen lenocinium. Die Ausnahme, die Diokletian von der von ihm aufgestellten Regel zuläßt, erklärt sich aus dieser Gesetzeslage. Die Regelung, daß Vereinbarungen gerade bei den gravierenden Verbrechen, denjenigen, auf die die Todesstrafe stand, nicht aber den anderen crimina möglich waren, ist nicht ganz neu. Bereits Ulpian berichtet, daß die Kaiser Angeklagten zu verzeihen bereit waren, die ihren Ankläger bestochen hatten, wenn ihnen denn die Todesstrafe gedroht hatte. Die Zwangslage, in der sich der Angeklagte befand, mag diese Toleranz erklären. Nicht zuletzt zeigen auch die literarischen Quellen, daß Gerichtsverfahren vielfach gar nicht bis zum Urteil führen mußten; statt dessen einigten sich die beiden Prozeßparteien finanziell. Dies galt unbeschadet der Tatsache, daß eine abolitio, d.h. eine Niederschlagung des Verfahrens, wenn dieses denn erst einmal eröffnet war, nur unter gewissen Voraussetzungen zu erlangen war. Bei der Diskussion der Todesstrafe sollte dies im Auge behalten werden. Viele Straftäter (gerade in den schwereren Fällen) dürften sich von einer Strafe freigekauft haben. Außergerichtliche Einigungen wurden einem Gang zu den Gerichten überhaupt vorgezogen. Sie hatten beim Diebstahl eine große Bedeutung. Aur. Viktor, Bauer des Bischofs Petros, hatte Getreide gestohlen. Durch zahlreiche Eingaben des Bauern selbst sowie von Personen, die ihn unterstützten, konnte der Bischof bewogen werden, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Er verlangte allerdings die Ausstellung einer Sicherheitsurkunde. Wenn Viktor erneut beim Diebstahl ertappt werde, 1182
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Cod. Theod. 9, 37, 1 (= Cod. Iust. 9, 42, 2) (319 n. Chr.). Cod. Iust. 2, 4, 18 (293 n. Chr.); hierzu Provera 1965, 564ff.; F. Wieacker, Öffentliche Strafe und Entschädigung des Opfers im römischen Kaiserrecht (zu CI. 2, 4, 18 Diocl.), in: Estudios en homenaje al Profesor Juan Iglesias 1, Madrid 1988, 543-563. 1184 Dig. 48, 21, 1 (Ulpian). 1185 Joh. Chrys., In Matth. hom. 16, 10 (PG 57, 252); In Ioh. hom. 60 (59), 4ff. (PG 59, 333/6). 1186 Vgl. auch Symm., Epist. 2, 75 (74); Joh. Mosch., Prat. spir. 116 (PG 87, 3, 2880f.).
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Außergerichtliche Einigungen
werde er ein Strafgeld zahlen sowie dem praitorion übergeben, d.h. inhaftiert werden. Beileibe nicht jeder Diebstahl (oder sonstiges Verbrechen) mußte zum Eingreifen staatlicher Behörden (und im Extremfall zur Inhaftierung der Beschuldigten) führen. Ein Händler in einer ägyptischen Stadt hatte bei einem Hauseinbruch seine gesamte Habe verloren. Der Mönch Schenute, den er um Hilfe gebeten hatte, konnte ihm den Täter weisen; der Bestohlene mußte allerdings dem Täter versprechen, die Tat nicht zur Anzeige zu bringen und ihm einen Teil der Beute zu belassen. Daß solche Abmachungen tatsächlich vorkamen, wird für Antiochia von Libanios bestätigt: Diebe waren bereit, ihren Opfern das Diebesgut gegen eine vergleichsweise bescheidene Gegenleistung zurückzuerstatten. In den ägyptischen Eingaben wegen Diebstahles wird oftmals als Wunsch der Petenten explizit lediglich die Rückerstattung des gestohlenen Gutes genannt, ohne daß die Forderung nach Bestrafung oder Inhaftierung der Schuldigen auch nur im geringsten angesprochen würde. Es mag dies im Einzelfall implizit vorausgesetzt sein; vielfach blieb aber augenscheinlich die Leistung von Schadenersatz die Hauptsanktion gegenüber Dieben. In den Dörfern wurden Vorwürfe wegen Diebstahls, wenn der ägyptische Befund denn verallgemeinert werden darf, oftmals informell zwischen Opfern und Tätern geregelt. Die Petitionen stehen am Ende eines Systems der Selbsthilfe. Die Kläger suchen demgemäß auch nicht so sehr um Bestrafung der Täter nach, als vielmehr darum, daß sie ihr Hab und Gut zurückerhalten oder daß ihnen für erlittenen Schaden Ersatz gewährt wird. In den Großstädten mag die Lage demgegenüber eine andere gewesen sein. Während die Straftäter in den Dörfern zumeist Nachbarn waren, Personen, die derselben sozialen Schicht angehörten wie die Opfer, gehörten in den Großstädten die Diebe sicher nicht allesamt, aber doch zu einem gewissen Teil den städtischen Unterschichten an. Sie waren den Opfern häufig persönlich nicht bekannt, sie hatten auch keinerlei Vermögenswerte, um Schadenersatz leisten zu können. Die Bestrafung konnte also nicht über Vermögenseinbußen erfolgen. Johannes Chrysostomos, der in seinen Predigten vor allem die Situation in den Städten vor Augen hat, geht als Regel davon aus, daß man einen Einbrecher, den man gefaßt hat, vor Gericht bringen wird. Selbst im Falle von Tötungsdelikten kam es in manchen Fällen, wie bereits ein Papyrus aus der ersten Hälfte des 2. Jh. belegt, zu einer finanziellen Einigung zwischen Täter und Familie des Opfers, auch wenn weder im Recht des ptolemäischen 1187
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P. Berl. Zill. 8 (663 n. Chr.). Besa, Leben des Schenute 42/6 (Übersetzung Bell 54f.). 1189 Lib., Or. 27, 4f. 1190 P. Abinn. 55 (= P. Lond. II 412, p. 279) (351 n. Chr.), Z. 13ff.; P. Amh. II 146 (5. Jh. n. Chr.). 1191 Joh. Chrys., De fato et providentia 5 (PG 50, 768). Zumal in den größeren Städten führten selbst kleine Diebstähle oftmals zu einer Strafverfolgung: Lib., Or. 27, 4f.; Hil., In psalm. 144, 14 (CSEL 22, 834f.). 1188
8. Alternativen zum Gang vor Gericht
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noch des römischen Ägypten ein solcher Ausgleich vorgesehen ist. Zwischen Rechtsnormen und sozialer Realität konnte eine große Differenz bestehen. Der finanzielle Ausgleich von Täter und Familie des Opfers ist auch in der Spätantike bei Tötungsdelikten noch belegt. Eine Prostituierte war von ihrem Liebhaber ermordet worden, woraufhin sich ein Prozeß vor dem Präfekten anschloß. Die Mutter verlangte vom Täter die Gewährung des Lebensunterhalts (den sie vorher von ihrer Tochter gehabt hatte). Wenn dies für bare Münze zu nehmen ist, so würden dem Täter keine gravierenden Strafen drohen; er käme mit der Leistung von Schadenersatz davon. Der Mönch Milesios wurde als angeblicher Mörder festgehalten, konnte jedoch den Ermordeten auf kurze Zeit zum Leben erwecken, der den Dorfpriester bezichtigte: Er hatte dem Priester Geld gegeben, der ihn getötet und die Leiche in das Kloster geworfen hatte. Man möge, so der Wunsch des Ermordeten, dem Priester das Geld wegnehmen und es seinen Kindern geben. Von strafrechtlichen Sanktionen ist nicht die Rede; vielleicht kam der Täter als Kleriker mit einer Kirchenbuße davon. Bei Sexualdelikten, Vergewaltigungen und Frauenraub, waren außergerichtliche Einigungen stets häufig. Statt den Täter wegen Unzucht oder Vergewaltigung vor Gericht zu bringen, zogen es die Eltern des Opfers oftmals vor, die Tochter entweder mit dem Täter in rechtmäßiger Ehe zu verbinden oder sich Geld auszahlen zu lassen, von dem der Lebensunterhalt der Tochter sichergestellt werden konnte. Konstantin drohte den Eltern mit strengen Strafen, wenn sie die Entführung ihrer Tochter (zum Zwecke der Eheschließung) nicht zur Anzeige brächten: Aus der Strafdrohung läßt sich ersehen, daß eine Einigung mit dem Täter oftmals einer Verfolgung der Tat vor Gericht vorgezogen wurde. Die Strafandrohungen wurden von Justinian wiederaufgenommen; Eltern, die das Verbrechen der Entführung ihrer Tochter nicht angezeigt hatten, drohte die Verbannung. Häufig waren außergerichtliche Einigungen auch beim Ehebruch, trotz der Bemühungen des Gesetzgebers, der gerade bei diesem Delikt den Gang zu den Gerichten verbindlich machen wollte. 1192
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P. Mich. VIII 473 (1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.); vgl. hierzu J. Modrzejewski, Quelques remarques à propos de l’homicide et de la rançon dans le droit d’Égypte romaine (Note sur P. Mich. VIII 473), Iura 8, 1957, 93-101. 1193 P. Oxy. XVI 1897 (6./7. Jh.), vgl. den Kommentar des Herausgebers zu Zeile 5. 1194 BGU IV 1024, VI-VIII (4./5. Jh. n. Chr.), vgl. v.a. Kol. VII, Z. 8ff. 1195 Apophthegmata patrum, Milesios 1 (PG 65, 297). 1196 Pallad., Hist. Laus. 70 (Bartelink 284/6); Apophthegmata patrum, Makarios 1 (80) (PG 65, 257/60); Sidon., Epist. 5, 19. Vgl. schon Lucian., (55) De morte Peregrini 9; Dig. 48, 6, 5, 2 (Marcianus). 1197 Cod. Theod. 9, 24, 1, 4 (vgl. auch Cod. Iust. 7, 13, 3) (320 n. Chr.). 1198 Cod. Iust. 9, 13, 1, 3c (533 n. Chr.). 1199 Cod. Iust. 9, 9, 27 (28) (295 n. Chr.).
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Außergerichtliche Einigungen
Vielfach war die Klage die ultima ratio. Ihr ging eine längerwährende Auseinandersetzung zwischen Kläger und Beklagten voraus. Ein Rechtsstreit aus Ägypten mag dies belegen: Als ein Petent sein Haus verlassen hatte, um an der Hochzeit seines Bruders teilzunehmen, war er, so seine Schilderung, von einem gewissen Arios, der die Zeit abgepaßt hatte, mit einem Schwert überfallen worden. Schon im vergangenen Jahr hatten Arios und sein Vater Agamemnon sein Haus angegriffen und es angezündet; dem Agamemnon werden noch weitere Gewalttaten vorgehalten. Arios und sein Vater sollten vor Gericht gebracht und inhaftiert werden. Es kam hier also sehr viel an Strafwürdigem zusammen, bevor sich der Kläger an die Behörden wandte. Die Feindschaft zwischen den beiden Parteien hatte schon eine längere Zeit bestanden; ein Vorfall hatte das Faß zum Überlaufen gebracht und den Petenten veranlaßt, Klage zu erheben. Wenn der Vorwurf der Brandstiftung ernst gemeint ist, so wäre die Petition ein sehr instruktiver Beleg dafür, wie sehr Strafrecht und Strafpraxis auseinanderklaffen konnten. Denn nach geltendem Recht mußte ein Brandstifter im äußersten Fall mit der verschärften Todesstrafe (dem Feuertod) rechnen, woran hier nicht im mindesten gedacht wird. Das Kirchenasyl konnte der Ausgangspunkt für eine außergerichtliche Einigung sein. Ein gallisches Kirchenkonzil diskutiert den Fall, daß Mörder, Ehebrecher oder Diebe das Kirchenasyl aufgesucht haben. Sie dürfen nicht mit Gewalt aus der Kirche herausgezogen werden. Vielmehr soll eine außergerichtliche Einigung mit dem Ankläger vermittelt werden, dieser soll auf die Erzwingung der Todesstrafe oder von Körperstrafen verzichten. Wenn sich der Ankläger nicht an den geleisteten Eid hält, soll er als Meineidiger exkommuniziert werden. In anderen Fällen war es der Bischof, der aufgrund seiner Autorität eine außergerichtliche Einigung zwischen Opfer und Täter herbeiführte (ohne daß dieser das Kirchenasyl aufgesucht haben mußte). Bischöfe und Kleriker vermittelten zwischen Tätern und Opfern und sorgten dafür, daß Diebe nicht vor die staatlichen Gerichte kamen. Der Bischof kannte in den meist kleinen Städten seine Gemeindemitglieder gut und dürfte in vielen Fällen mit seinen Vermittlungsbemühungen Erfolg gehabt haben. Diese fanden in der Öffentlichkeit, zumal bei den Opfern und in den besitzenden Bevölkerungsschichten, freilich nicht immer Beifall. Augustin mußte daher seine Interventionen zugunsten von Dieben, die unter Einsatz der Folter zur Rückgabe des Diebesgutes genötigt werden sollten (nachdem das Opfer auf eine Strafe schon verzichtet hatte), rechtfertigen. Man solle auch bei der Rückforderung von Diebesgut Milde walten lassen. Wenn der Täter hierzu nicht in der Lage sei (sei es, daß er selbst unterdessen beraubt worden war, sei es, daß er das Diebesgut vergeudet hatte), so verzichte man auf die Folter, um die entwendeten Gegenstände zurückzuerhalten. Besser sei es, das Geld zu verlieren, wenn der 1200
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BGU III 909 (359 n. Chr.). Conc. Aurelianense (511 n. Chr.), C. 1 (CCL 148A, 4f.). 1202 Aug., Epist. 20*, 29/31 (CSEL 88, 110f.). 1201
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Täter es noch habe, als ihn foltern oder gar töten zu lassen, wenn er es nicht mehr habe. Die Kirche sollte nach Ansicht Augustins in einem solchen Fall freilich nicht bei den Richtern, sondern bei den Opfern intervenieren, damit nicht der Eindruck entstehe, das Opfer werde durch die kirchliche Intervention bei den staatlichen Behörden um seine Habe gebracht. Augustin räumt ein, daß auch die Kirche und ihre Vertreter die Pflicht hätten, die Diebe zur Rückerstattung des Diebesgutes zu bewegen. Und die Bischöfe würden auch, wenn sie mit ihren Ermahnungen keinen Erfolg hätten, die Exkommunikation aussprechen. Wenn sich die Bischöfe für Diebe einsetzten, so sei es allerdings nicht gänzlich auszuschließen, daß sie von ihnen getäuscht würden, wenn die Diebe behaupteten, die Straftat nicht begangen zu haben oder über keine Mittel zu verfügen, um den Schaden wiedergutmachen zu können. Dies bedeute aber keineswegs, daß die Kirche mit den Tätern gemeinsame Sache mache. Die Diebe kamen also mit der Rückerstattung des Diebesgutes davon, ja mußten im Einzelfall nicht einmal diese leisten. Fassen wir zusammen. Es wurden viele Straftaten nicht aufgedeckt, und von denen, die aufgedeckt wurden, kam ein sehr viel geringerer Anteil, als dies in einer modernen Industriegesellschaft der Fall ist, vor Gericht: sei es, daß die Armut die Geschädigten an der Führung des Prozesses hinderte, sei es, daß es überhaupt vorteilhafter erschien, sich außergerichtlich (d.h. meistens: finanziell) zu einigen. Die Drohung, man werde seinen Gegner vor Gericht bringen, war aber immer wirksam. Angeklagte bzw. Personen, denen eine Anklage drohte, fanden sich zu finanziellem Entgegenkommen bereit, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Angesichts des Fehlens einer Staatsanwaltschaft, die von sich aus die Ermittlungen in Strafsachen aufgenommen hätte, ließ es sich gar nicht vermeiden, daß Opfer Geld von den Tätern nahmen, anstatt dafür zu sorgen, daß über sie ein Gerichtsurteil gefällt wurde. 1203
Kirchenbußen Konstantin gewährte den Bischöfen weitreichende Privilegien: Gegen ihre Urteile sollte keine Appellation an die weltlichen Gerichte möglich sein; die Amtsträger hatten die Urteile ohne weitere Untersuchungen zu vollstrecken. Und es genügte schon der Wunsch einer der Parteien, um den Prozeß vor das Bischofsgericht zu bringen, selbst wenn das Verfahren bereits vor einem weltlichen Gericht anhängig gemacht worden war. Allem Anschein nach galt diese Regelung Konstantins noch gleichermaßen für Straf- wie Zivilverfahren. Dies bedeutete vor allem für die weniger vermögenden Bevölkerungskreise eine große Erleichterung: Sie konnten hoffen, vor dem Bischofsgericht kostengünstiger davonzukommen als vor einem weltlichen Gericht. Tatsächlich aber waren in der Folgezeit die Kompetenzen 1204
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1203 Aug.,
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Epist. 153, 20/2 (CSEL 44, 419/22). Cod. Theod. 1, 27, 1 (Konstantin); Const. Sirmond. 1 (333 n. Chr.).
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Kirchenbußen
der Bischofsgerichte nicht so umfassend, wie es Konstantin vorgesehen hatte. Gratian nahm Strafprozesse von der Bischofsgerichtsbarkeit ausdrücklich aus. Arcadius und Honorius verlangten den Konsens beider Prozeßparteien, damit der Bischof aktiv werden konnte; damit wurde er auf die Rolle eines Schiedsrichters reduziert. Und es kamen in erster Linie zivilrechtliche Verfahren vor das Bischofsgericht, kaum Streitigkeiten, die in die Strafgerichtsbarkeit fielen. Allerdings waren unter den vom Bischof verhandelten Streitigkeiten auch solche, die eine gewisse Nähe zu Kriminalsachen hatten. Bischöfe entschieden häufig über Landstreitigkeiten und möglicherweise auch Landraub. Dies ist wichtig. Mit der Einrichtung des Bischofsgerichts (auch wenn dieses schlußendlich auf die Funktionen eines Schiedsgerichts reduziert wurde) wurde der Bevölkerung (auch der Landbevölkerung) eine weitere Möglichkeit gegeben, ihre Streitigkeiten und Konflikte auf friedlichem Wege beizulegen. Dies mag zu einer weiteren Befriedung der Gesellschaft beigetragen haben. Vielfach traten Kirchenbußen an die Stelle staatlicher Sanktionen, und zwar auch für gewöhnliche Straftaten. Viele Opfer gaben sich damit zufrieden, daß ihre Kontrahenten vom Bischof exkommuniziert wurden, und verzichteten darauf, sich an die staatliche Justiz zu wenden. Ebenso wie die Praxis, Konflikte außergerichtlich beizulegen, hatten die Einschaltung der Kirche und die hieraus folgenden Kirchenbußen zur Konsequenz, daß das Strafrecht gar nicht zur Anwendung kam. Die Kirche stellte Sanktionen zur Verfügung, die es vielen Opfern leicht machten, auf die Sühnung der Straftat durch die von einem staatlichen Gericht verhängten Strafen zu verzichten. Die Christianisierung machte rasche Fortschritte, hiermit ging die Ausbildung kirchlicher Strukturen einher. Die Etablierung der Kirchengemeinden hatte eine Intensivierung sozialer Kontrolle zur Folge. Augustin und andere Autoren fordern die Gläubigen dazu auf, Nachbarn zu tadeln, wenn sie einen Fehler begangen haben. Die Gemeindemitglieder werden darüber hinaus ermahnt, die Sünden und Verfehlungen ihrer Freunde und Nachbarn dem Bischof bzw. Priester anzuzeigen. Hiervor bestand durchaus eine gewisse Angst. Häufig genug müssen das Wissen darum, daß den Hausangehörigen und den Nachbarn auf lange Sicht nichts verborgen blieb, sowie die Angst, daß sie die Verfehlungen oder Sünden in der 1205
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Cod. Theod 16, 2, 23 (376 n. Chr.). Cod. Iust. 1, 4, 7 (398 n. Chr.); Cod. Theod. 1, 27, 2 (= Cod. Iust. 1, 4, 8) (408 n. Chr.). Vgl. auch noch Cod. Theod. 16, 11, 1 (399 n. Chr.); Nov. Val. 35, pr. (452 n. Chr.). 1207 Aug., In psalm. 80, 21 (CCL 39, 1133); Epist. 33, 5 (CSEL 34, 2, 22). 1208 Aug., Epist. 33, 5 (CSEL 34, 2, 22). 1209 Aug., In epist. Ioh. 7, 11 (Agaesse 332/4); Serm. 302, 21, 19 (PL 38, 1392f.); Serm. Frangipani 5, 3 (Morin 214f.); Joh. Chrys, Adv. Iudaeos 8, 4 (PG 48, 933f.); In kalendas 2 (PG 48, 954f.); 4 (ibid. 958); Ad pop. Antioch. 13, 4 (PG 49, 141); Caes. Arel., Serm. 47, 6 (CCL 103, 214f.); 193, 2 (CCL 104, 784f.). 1210 Joh. Chrys., In psalm. 49, 8 (PG 55, 253); Caes. Arel., Serm. 42, 2 (CCL 103, 185f.). 1211 Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 8, 8 (PG 48, 940f.).
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8. Alternativen zum Gang vor Gericht
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Nachbarschaft ausplaudern oder dem Bischof hinterbringen würden, zu einer Kontrolle des eigenen Verhaltens geführt haben. Sünder wurden aufgefordert, sich selbst beim Bischof zu melden und ggf. auch eine öffentliche Buße auf sich zu nehmen. Die Öffentlichkeit der Buße diente dem Ziel, die anderen Gemeindemitglieder von ähnlichen Fehltritten abzuhalten. Mit der Kirche kam zu dem Staatsapparat eine weitere Institution, die disziplinierend und reglementierend auf das Verhalten der Bevölkerung wirkte. Die Bischöfe vermieden es, Straftaten publik zu machen, ermahnten vielmehr den Täter zunächst im persönlichen Gespräch zur Buße, und erst wenn sie hiermit keinen Erfolg hatten, taten sie dies vor der gesamten Gemeinde. Nach Basilius verlangte man von den Frauen, die Ehebruch begangen hatten, in der Kirche kein öffentliches Schuldbekenntnis, damit die Kirche nicht an ihrem Tod schuld sei. Aber sie sollten von der Kommunion ausgeschlossen bleiben, bis sie die Zeit ihrer Buße vollendet hatten. Augustin rechtfertigt die Übung, den Straftäter (etwa einen Mörder) unter vier Augen zurechtzuweisen und ihm eine Buße aufzuerlegen. Der Bischof will bessern und nicht anklagen, und die Gegner des Übeltäters sollen keine Gelegenheit erhalten, ihn vor Gericht zu bringen. Selbst schwere Straftaten, wie Mord oder Ehebruch, führten somit häufig lediglich zu einer Kirchenbuße, der Exkommunikation des Straftäters, nicht zur Verurteilung vor einem weltlichen Gericht. Johannes Chrysostomos hält dies für richtig: Wenn ein Ehebrecher vor einen Richter komme, so werde er zum Tode verurteilt; wenn ihm aber von einem Priester eine Kirchenbuße auferlegt werde, so bestehe die Möglichkeit, daß er sich bessere. Zwar wird die Notwendigkeit staatlicher Strafsanktionen nicht bestritten. Aber ihre Bedeutung wird relativiert: Den weltlichen Strafen, die auf Abschreckung zielten, wird gewissermaßen das Konzept der „Besserung“ des Straftäters gegenübergestellt. 1212
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Serm. 351, 4, 9 (PL 39, 1545). Const. Apost. 2, 38 (Metzger 1, 264/6); Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 32 (CSEL 62, 168f.); Paul. Med., Vita Ambr. 39, 2 (Bastiaensen 102). 1214 Bas., Epist. 199, 34 (Courtonne 2, 161). An anderer Stelle sieht Basilius die Exkommunikation u.a. von Homosexuellen, Mördern, Giftmischern, Ehebrechern vor; all diese Straftäter wurden offenbar nicht notwendigerweise von einem weltlichen Gericht abgeurteilt, sondern kamen mit einer Kirchenbuße davon: Epist. 188, 7 (ibid. 126). Basilius legt als Strafe für den Ehebruch den Ausschluß von den Sakramenten für einen Zeitraum von 15 Jahren fest: Epist. 217, 58 (ibid. 211). Vgl. auch noch 217, 59 (ibid. 211); 217, 77 (ibid. 214). 1215 Aug., Serm. 82, 8, 11 (PL 38, 511). Vgl. auch 82, 9, 12 (ibid. 512): Beispiel des Ehebruchs. Öffentlich werde man diesen nur in allgemeinen Worten tadeln, ohne einzelne Gemeindemitglieder namentlich hervorzuheben. 1216 Joh. Chrys., In epist. II ad Cor. hom. 15, 5 (PG 61, 509/12). 1217 Vgl. hierzu auch Joh. Chrys., Oppugn. 3, 10 (PG 47, 364f.). 1213
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Kirchenbußen
Nicht nur Ehebrecher, sondern auch andere Straftäter kamen mit Kirchenbußen davon. Für Mord wird Klerikern nach den Constitutiones apostolorum mit der Absetzung von ihrem Amt, Laien mit der Exkommunikation gedroht. Die Kirche sah nach Basilius für Diebe den Ausschluß von der Kommunion von einem Jahr vor, wenn sie geständig waren, von zwei Jahren, wenn sie erst überführt werden mußten. Mit der Kirchenbuße mag eine weitere Verfolgung der Straftat vor einem staatlichen Gericht überflüssig geworden sein. Bischof Basilius von Ankara wurde u.a. vorgehalten, daß er einen periodeutes, der einen Mord begangen hatte, nicht exkommuniziert hatte. Eine Nonne hatte nicht nur ihr Keuschheitsgelübde gebrochen und sich mit einem Mann verbunden, sondern darüber hinaus eine andere Frau beraubt. Firmus, Bischof von Caesarea (5. Jh. n. Chr.), fordert seinen Bischofskollegen Helladios auf, die Schuldige zu exkommunizieren. Die Existenz kirchlicher Gerichtsbarkeit sowie die Möglichkeit der Exkommunikation mag in manchen Fällen (auch wenn es nicht um religiöse Vergehen, sondern um gewöhnliche Straftaten ging) die Anrufung weltlicher Gerichte überflüssig gemacht haben. Justinian nahm 559 den Kampf gegen die Homosexualität erneut auf und forderte die Schuldigen auf, sich innerhalb einer festgesetzten Frist beim Bischof von Konstantinopel anzuzeigen und Kirchenbuße zu tun; andernfalls drohe eine Untersuchung durch die weltlichen Behörden und entsprechende Strafen. Die mit den Kirchenbußen und der Exkommunikation gegebenen Möglichkeiten der Kontrolle und Disziplinierung der Bevölkerung gingen weit über die Städte hinaus. Das Christentum wurde auf das Land getragen, und es wurden in immer größerer Zahl Landgemeinden errichtet, die von Priestern und Diakonen betreut wurden. Die größeren Einflußmöglichkeiten der Kirche mögen auch im ländlichen Raum zur Befriedung der Gesellschaft beigetragen haben. Dorfpriester hatten im kleinen Rahmen nahezu dieselben Vollmachten wie in der Stadt die Bischöfe (über die wir naturgemäß besser informiert sind). Ein Dorfkleriker wird von Bischof Basilius angewiesen, den Entführer eines Mädchens öffentlich zu exkommunizieren, seine Helfershelfer mit dreijährigem Ausschluß vom Gebet zu bestrafen, ebenso sämtliche Einwohner des Dorfes, in dem sich das entführte Mädchen aufgehalten habe. 1218
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Bas., Epist. 72 (Courtonne 1, 169); 73 (ibid. 170/2); 287 (Cortonne 3, 157f.); Aug., Epist. 153, 20/2 (CSEL 44, 419/22); Greg. Tur., Franc. 10, 8. 1219 Const. apost. 8, 47, 66 (Metzger 3, 300). 1220 Bas., Epist. 217, 61 (Courtonne 2, 211f.). 1221 Soz., Hist. eccl. 4, 24, 7 (GCS, Bidez – Hansen 179). 1222 Firmus, Epist. 41 (Calvet-Sebasti - Gatier 162). 1223 Nov. Iust. 141 (559 n. Chr.). 1224 Bas., Epist. 270 (Courtonne 3, 141f.). Vgl. auch noch Epist. 288 (Courtonne 3, 158): Als ein Mann zum dritten Mal vor der gesamten Kirchengemeinde eines (nicht genannten) Vergehens überführt wurde und sich trotzdem nicht besserte, ordnete Basilius seine
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Ein hartgesottener Übeltäter konnte den Ausschluß aus der Kirchengemeinde leicht verschmerzen in einer Gesellschaft, in der weiterhin die Christen noch nicht in allen Landstrichen die Bevölkerungsmehrheit stellten. Aber die Möglichkeit, Gemeindemitglieder zu exkommunizieren, gab Bischöfen und Priestern doch eine große Machtfülle in die Hand. Die Exkommunikation mit all ihren Folgen (Abbruch jeglichen sozialen Kontaktes usw.) wurde umso bedrohlicher, je größer der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung wurde. Hieronymus übt an dem Hochmut von Klerikern Kritik, die Unschuldige verurteilten und Schuldige von der Exkommunikation wieder lösten. Die Exkommunikation sollte jedenfalls nach Ansicht der Verantwortlichen nur als äußerste Maßnahme in Betracht kommen; es bestehe die Gefahr, daß die Sünder nach der Exkommunikation nur noch verstockter würden und daß man keinerlei Möglichkeiten mehr habe, auf sie einzuwirken. 1225
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Exkommunikation an. Das gesamte Dorf sei hiervon in Kenntnis gesetzt, damit man sich jeglichen Kontaktes mit dem Mann enthalte. 1225 Joh. Chrys., Sacerd. 3, 5 (Malingrey 148/50); Aug., Epist. 9*, 2 (CSEL 88, 43f.). 1226 Joh. Chrys., Contra ludos et theatra 4 (PG 56, 269f.). 1227 Hier., In Matth. 3, ad 16, 19 (CCL 77, 142). Selbst auf hohe Amtsträger wurde durch die Drohung mit der Exkommunikation Druck ausgeübt: Aug., Epist. 1* (CSEL 88, 3/6). Papst Leo der Große erhob gegen Hilarius von Arles den Vorwurf, er habe zu häufig Laien exkommuniziert, um seine persönliche Macht zu stärken: Leo M., Epist. 10, 8 (PL 54, 635). Zum Mißbrauch der bischöflichen Vollmachten vgl. auch noch Mir. Thecl. 12 (Dagron 316/22); Nov. Iust. 123, 11, pr. (546 n. Chr.). 1228 Aug., Serm. 17, 3 (CCL 41, 238f.); 351, 4, 10 (PL 39, 1545/7); Joh. Chrys., Sacerd. 3, 14 (Malingrey 222/4).
9. STRAFTÄTER VOR GER ICHT Anklageerhebung Verschiedene Faktoren trugen gleichwohl dazu bei, daß die Zahl der Strafprozesse zugenommen haben dürfte. Eine Reihe von Delikten, die ursprünglich mit Zivilklagen verfolgt wurden, wurde zunehmend strafrechtlich geahndet: so der Diebstahl und die Körperverletzung (iniuria). Das Opfer einer Straftat hatte die Wahl zwischen Zivil- und Strafklage ferner bei Gewaltverbrechen (vis), Testamentsunterdrückung, bei der Klage gegen einen Freigelassenen, der sich als Freigeborenen ausgegeben hatte (hier war eine Zivilklage wegen der vom Freigelassenen geschuldeten Arbeitsdienste, eine Strafklage nach der lex Visellia möglich), beim plagium (nach der lex Fabia), schließlich bei Fälschungen. Die Strafrechtsprechung extra ordinem expandierte. Die Statthalter waren hier an keine Gesetzesvorgaben gebunden, wie sie für die vergleichsweise wenigen Straftaten (zum Teil politischen Charakters, wie z.B. Repetunden) existierten, die in den iudicia publica abgeurteilt wurden. Die große Masse der Straftaten, wie sie von den „kleinen Leuten“ begangen wurden (Diebstahl usw.), fielen nicht in diese Kategorie. Im Verfahren extra ordinem hatte der Statthalter einen großen Ermessensspielraum zunächst bei der Feststellung, ob eine Tat überhaupt strafwürdig war, sodann ggf. bei der Festlegung der Strafe. Die Anklageerhebung blieb weitgehend der Initiative der Privatpersonen überlassen. Niemand, der von einer Straftat Kenntnis hatte, konnte allerdings dazu gezwungen werden, Anklage zu erheben. Auch überführte Straftäter hatten somit eine Chance, einem Prozeß zu entgehen, wenn sich denn niemand fand, der sich der Mühe unterzog, sie vor Gericht zu bringen (was, wie wir sehen werden, auch für den Ankläger mit persönlichen Risiken verbunden war). Die Zahl der Strafverfahren, die ex officio anhängig gemacht wurden, nahm allerdings zu. Konstantin sieht die beiden Möglichkeiten, daß ein Strafverfahren 1229
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Cod. Theod. 9, 20, 1 (= Cod. Iust. 9, 31, 1) (378 n. Chr.). Vgl. schon Dig. 47, 1, 3 (Ulpian); 48, 1, 7 (Macer); 48, 15, 7 (Hermogenianus); Cod. Iust. 3, 35, 3 (241 n. Chr.); Paul., Sent. 5, 30B, 1 (FIRA 2, 414); Coll. Mos. 14, 2, 2 (FIRA 2, 577) (Paulus). 1230 Cod. Iust. 3, 7, 1 (284 n. Chr.): Invitus agere vel accusare nemo cogitur. 1231 Die von einigen Rechtshistorikern vertretene Auffassung, daß in der Spätantike die inquisitio die Grundlage des Strafverfahrens geworden sei, geht allerdings zu weit. Weiterhin gingen die allermeisten Strafverfahren auf Privatklagen zurück: vgl. die bei Waldstein 1964, 175, Anm. 1 zitierte Literatur sowie insbesondere G. Pugliese, Processo privato e processo pubblico, Rivista di diritto processuale 3, 1948, 3-49; Ndr. in: ders., Scritti
9. Straftäter vor Gericht
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aufgrund der Anklage einer Privatperson oder der Bemühungen staatlicher Organe eröffnet wurde. Augustin setzte sich für des Mordes angeklagte Circumcellionen ein, um ihnen die Todesstrafe zu ersparen. Es hatte keine Anklage von seiten der katholischen Partei gegeben; die Straftäter waren vielmehr aufgrund einer Untersuchung staatlicher Organe inhaftiert worden. Da katholische Bischöfe und Kleriker nur widerstrebend gewalttätige Donatisten und Circumcellionen vor Gericht brachten, ordnete Honorius an, daß Verfahren auch ohne vorherige Anklage seitens der Opfer eingeleitet werden konnten. Justinian verschärfte den Kampf gegen die Päderastie; die Straftäter wurden auf bloße Denunziationen hin verfolgt, auch ohne daß eine förmliche Anklage vorgelegen hätte. Die Zunahme der von staatlicher Seite in Gang gebrachten Untersuchungen kann als Ausdruck eines zunehmenden staatlichen Disziplinierungsinteresses gewertet werden. Die gleichwohl an dem Vorgehen Justinians von Prokop geübte Kritik macht jedoch deutlich, daß die Staatsorgane bei der Aufdeckung von Straftaten weiterhin lediglich in Ausnahmefällen eine aktive Rolle übernahmen. Der traditionelle Anklägerprozeß blieb somit die Norm. Zeitgenössische Autoren üben Kritik, wenn ein Strafverfahren ohne Vorliegen einer regulären Anklage durchgeführt wurde. D.h.: Es war zwar möglich, daß aufgrund der Initiative der Behörden oder aufgrund einer einfachen Anzeige (keiner Anklage) ein Verfahren eingeleitet wurde. Insbesondere bei Staatsverbrechen war dies sicher gar nicht selten. Sobald es aber um „normale“ Strafverfahren ging (Ehebruch, Gewaltund Eigentumsdelikte), schien eine förmliche Anklage vonnöten. Es mehren sich die Gesetze gegen die Delatoren oder gegen anonyme Anzeigen. Der sogenanne Ambrosiaster wiederholt den altbekannten Grundsatz, daß es einem Richter ohne vorliegende Anklage nicht möglich sei, eine Verurteilung auszusprechen. 1232
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giuridici scelti. 1. Diritto romano, Napoli 1985, 3-49, 32ff.; 43ff.; M. Lauria, Accusatio – inquisitio, in: ders., Studi e ricordi, Napoli 1983, 277-321, 318ff.; Santalucia 1993, 1042f.; 1994, 230; Rivière 2002, 259ff. 1232 Cod. Theod. 9, 3, 1 (= Cod. Iust. 9, 4, 1) (320 n. Chr.). Vgl. weiterhin Cod. Iust. 9, 4, 6, 5 (529 n. Chr.): Anklageerhebung durch eine persona publica (in einem Kapitalprozeß). Die justinianische Gesetzgebung hält die Beamten dazu an, auch auf einfache Anzeigen hin aktiv zu werden, ohne daß es zu einer förmlichen Anklage gekommen sein muß: Nov. Iust. 13, 4, pr. (535 n. Chr.). 1233 Aug., Epist. 133, 1 (CSEL 44, 80f.); 134, 2 (ibid. 85). Augustin spricht hier von Personen, „denen die Aufgabe zufällt, für den öffentlichen Frieden zu sorgen“ bzw. von der „Sorge derer, die der öffentlichen Ordnung dienen“. Es mögen städtische Organe gemeint sein. 1234 Const. Sirmond. 14 (vgl. auch Cod. Theod. 16, 2, 31; 16, 5, 46; Cod. Iust. 1, 3, 10) (409 n. Chr.). 1235 Proc., Hist. arc. 11, 34ff. 1236 Lact., Mort. pers. 39, 5 und 40 (Moreau 123f.); Amm. 14, 1, 5; 14, 9, 6. 1237 Vgl. hierzu auch Amm. 14, 1, 4ff. 1238 Gaudemet 1980. 1239 Ambrosiaster, Ad I Cor. 5, 2 (CSEL 81, 2, 52).
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Anklageerhebung
Selbst die Ahndung von Tötungsdelikten blieb wie in später Republik und früher Kaiserzeit den Verwandten des Opfers und Hausangehörigen überlassen. Ein Sklave, der sich darum bemüht hat, die Ermordung seines Herrn zu rächen, kann sich nach einem Reskript Diokletians an den Provinzstatthalter wenden und von diesem für seine Verdienste um den Ermordeten mit der Freiheit belohnt werden; Diokletian betont, daß er mit dieser Regelung nur bestehendes Recht (einen Senatsbeschluß und kaiserliche Erlasse) wiederaufgreife. Einer Frau erteilt Diokletian den Bescheid, sie müsse sich, wenn sie behaupte, daß ihr Bruder durch Gift ums Leben gekommen sei, auch um die Sühnung seines Todes bemühen, wenn sie denn das Erbe antreten wolle. Eingeschränkt war das Klagerecht von Frauen, dies aber nur dann, wenn sie Klage wegen einer Straftat erheben wollten, deren Opfer ein Außenstehender war. Demgegenüber konnten sie in einem iudicium publicum von ihnen selbst oder nahen Angehörigen erlittenes Unrecht verfolgen; der Provinzstatthalter hatte vor der Annahme einer Klage zu prüfen, ob die Frau im konkreten Fall zur Klage berechtigt war. Ein Beispiel möge veranschaulichen, wie man sich das Funktionieren dieses Systems privater Anklageerhebung vorzustellen hat: Ein Mann wurde nachts auf seinem Hof ermordet; die Sklaven leisteten den Angreifern keinen Widerstand, sondern versteckten sich. So konnten die Mörder unerkannt entkommen. Die Erben des Ermordeten brachten den Fall vor Gericht. Daraufhin wurden einige Männer inhaftiert, die im Dorf verdächtigt wurden, ohne daß jedoch klare Beweise gegen sie vorlagen. Man würde gerne mehr wissen über die Verdächtigen und ihr soziales Umfeld. Auf jeden Fall waren sie mit dem Opfer bekannt; möglicherweise hatten vorausgegangene Animositäten oder Feindschaften zu ihrer Verdächtigung geführt. Die Verfolgung auch schwerer Straftaten oblag den Opfern selbst bzw., wie hier im Falle eines Mordes, den Verwandten und Angehörigen. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Vielfach führten lediglich vage Verdachtsmomente, nicht eindeutige Indizien oder gar Beweise zur Anklage. In welchem Umfang wurden die Gerichte von der einfachen Bevölkerung frequentiert? Die Gerichtsgebühren, die Honorare für die Anwälte sowie die sonstigen mit der Führung eines Prozesses verbundenen Aufwendungen waren sicherlich ein Faktor, der Angehörige der Unterschichten von einer Anklageerhebung abhielt. Eine Reise in die Provinzhauptstadt zum Gericht des Statthalters war 1240
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Lib., Or. 30, 25. Frühe Kaiserzeit: Thomas 1984, 73ff.; 79ff.; Robinson 1995, 46. Cod. Iust. 7, 13, 1 (290 n. Chr.). 1242 Cod. Iust. 6, 35, 9 (291 n. Chr.). 1243 Cod. Iust. 9, 1, 12 (293 n. Chr.). 1244 Lib., Or. 45, 25f. 1245 Zu den Gerichtsgebühren: Jones 1964, 496ff. Angaben über das Gehalt der Advokaten enthalten das Höchstpreisedikt Diokletians sowie eine Gebührenordnung Julians für die Provinz Numidien. Das maximale Gehalt eines Advokaten dürfte nach dem Höchstpreisedikt Diokletians etwa 25 Scheffeln Weizen entsprochen haben, von denen sich eine Einzelperson ungefähr fünf Monate ernähren konnte. Für Numidien zur Zeit Julians war 1241
9. Straftäter vor Gericht
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mit einer großen finanziellen Belastung verbunden. Zwar waren die Provinzen verkleinert worden, damit war die Distanz zwischen Statthalter und Provinzialen geringer geworden. Dem stand jedoch entgegen, daß das System der Konventsreisen nicht mehr praktiziert wurde. Während in der frühen Kaiserzeit der Statthalter über das Jahr verteilt in einer Reihe von größeren Städten seines Amtsbereiches zu Gericht saß, waren in der Spätantike diejenigen, die sein Gericht anrufen wollten, genötigt, sich in die Provinzhauptstadt zu begeben. Sicher konnte der Statthalter Rechtsfälle delegieren; aber die Möglichkeit, sogenannte iudices pedanei zu benennen, wurde schon unter Diokletian stark eingeschränkt. Am Gericht des Provinzstatthalters konnte sich dann das Verfahren über geraume Zeit hinziehen. Ein „schneller Prozeß“ war nicht die Regel. Vielfach werden die Nachlässigkeit und Faulheit der Beamtenschaft für die lange Dauer der Verfahren verantwortlich gemacht. Tatsächlich aber dürften die Provinzstatthalter, die ja neben der Rechtsprechung auch noch eine Fülle weiterer Aufgaben zu versehen hatten, schlicht und ergreifend überlastet gewesen sein. Zahlreiche Bagatellangelegenheiten, die beim Gericht des Provinzstatthalters landeten, trugen ganz entschieden zu dessen Überlastung bei. Die Gerichtssitzungen dauerten folglich oftmals bis tief in die Nacht. Eine Reihe von Gesetzen diente der Beschleunigung der Verfahren; sie dürften nicht allzuviel an den bestehenden Mißständen geändert 1246
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für die Führung eines Prozesses (bis zum Urteil) ein Salär von 30 Scheffeln Getreide oder der Geldeswert vorgesehen. Die 30 Scheffel dürften einem Solidus oder etwas mehr entsprochen haben. Julian legt gleichzeitig auch noch Gebühren für die exceptores, d.h. die Protokoll- und Aktenführer, fest: H. Wieling, Advokaten im spätantiken Rom, in: G. Crifò - S. Giglio (Hrsg.), Atti dell'Accademia Romanistica Costantiniana. XI convegno internazionale in onore di Felix B.J. Wubbe, Napoli 1996, 419-463, 444ff. 1246 Cod. Iust. 3, 3, 2 (294 n. Chr.); vgl. auch Cod. Iust. 3, 3, 5 (= Cod. Theod. 1, 16, 8) (362 n. Chr.). 1247 In einem Fall verstrichen nach der Inhaftierung der Angeklagten sieben Monate, ohne daß es zur Verhandlung gekommen wäre, obwohl die Kläger immer wieder auf die Führung des Prozesses drängten. Als der Prozeß dann eröffnet wurde, wurde er sofort wieder wegen eines christlichen Festes unterbrochen und hernach nicht wieder aufgenommen; die Inhaftierten starben im Gefängnis: Lib., Or. 45, 25f. 1248 Zur Dauer der Gerichtsverfahren: Krause 1996, 235ff. Die schleppende Justiz war ein großes Problem. Libanios unterstützte nach seinen eigenen Worten bei Strategios, der nach den Unruhen von 354 in Antiochia Prätorianerpräfekt geworden und auch mit der Bestrafung der Unruhestifter betraut worden war, nicht nur diejenigen, die in Folge der Unruhen angeklagt waren, sondern auch diejenigen, die eine Gerichtsentscheidung schnell erlangen wollten: Lib., Or. 1, 106f. Ammianus rühmt den Stadtpräfekten Leontius nicht nur für seine Gerechtigkeit, sondern auch seine Schnelligkeit: Amm. 15, 7, 1. 1249 Priscus, Frg. 11, 2 (Blockley 266/72) (= Frg. 8 Müller); Lib., Or. 33, 9f. 1250 Lib., Or. 45, 17ff. 1251 Lib., Or. 33, 13; 45, 18. 1252 Aug., Coll. c. Don., post gesta 12, 16 (CSEL 53, 112f.).
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Anklageerhebung
haben. Unter der oftmals sehr langen Dauer der Prozesse hatten vor allem die Armen zu leiden. Einfache Bürger hatten vielfach überhaupt Schwierigkeiten, ihre Fälle vor Gericht zu bringen. Prokop führt über die zunehmende Disziplinlosigkeit der Soldaten unter Justinian Klage. In Konstantinopel brächten die im Palast dienenden Soldaten ihre Streitfälle mit Gewalt vor die in der Basilike Stoa tätigen Richter. Zivilpersonen aus den unteren Bevölkerungsschichten hatten diese Möglichkeit nicht; sie mußten warten, bis der Richter sich ihres Falles annehmen würde. Schließlich mochte ein Verfahren daran scheitern, daß sich ein Prozeßgegner, wenn er zu den potentes gehörte bzw. die Protektion eines potens genoß, weigerte, den Gerichtsladungen Folge zu leisten. Einem Provinzstatthalter, der als perfectissimus oder clarissimus niedrigeren Ranges war als so manches Mitglied der Provinzaristokratie, fehlte es vielfach an der nötigen Autorität, die Angeklagten zwangsweise vorführen zu lassen. Oftmals fanden die Provinzialen in ihrer Heimatprovinz kein Recht: sei es, daß der Prozeßgegner zu mächtig war, sei es, daß der Statthalter sich nachlässig zeigte und den Prozeß verschleppte. Schon in der Mitte des 5. Jh. führt Marcian darüber Klage, daß zahlreiche Provinziale zur Führung ihrer Prozesse weite Reisen nach Konstantinopel zurücklegen müßten (was mit großen Kosten verbunden war). Er bekräftigt daher erneut, daß für die Verfahren in erster Instanz die Provinzstatthalter zuständig seien. Keine Person müsse der Ladung vor ein entferntes Gericht oder vor ein höheres Gericht des Vicars oder Prätorianerpräfekten Folge leisten, außer wenn der Gegner besonders mächtig sei (der Statthalter infolgedessen Schwierigkeiten hatte, diesen vor sein Gericht zu ziehen) oder wenn die Rechtssache besonders kompliziert sei. Bis hin zu Justinian änderte sich an den von Marcian kritisierten Verhältnissen wenig. Weiterhin strömten zahlreiche Provinziale zur Führung von Prozessen nach Konstantinopel. Das Bild ist also nicht ganz einheitlich. Sicher gab es Faktoren, die tendenziell zu einer Zunahme der Zahl der Strafverfahren führten; weiterhin hatte aber nicht 1253
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R.A. Pack, Studies in Libanius and Antiochene Society under Theodosius, Diss. Michigan 1935, 109f.; Krause 1996, 240ff. 1254 Die Verzögerung der Gerichtsverfahren, die vielen Advokaten angelastet wird, war ein Mittel, den Gegner, sofern er den ärmeren Bevölkerungsschichten angehörte, an der Führung eines Prozesses zu hindern: Cod. Iust. 2, 6, 6, 4 (368 n. Chr.). 2, 7, 19 (486 n. Chr.); 3, 1, 13, 9 (530 n. Chr.); Malalas 15, 10, p. 384; Chronicon Paschale, ad ann. 485, p. 604f. 1255 Proc., Hist. arc. 14, 13. 1256 Paul. Nol., Epist. 49, 15 (CSEL 29, 403f.); Symm., Rel. 31; Nov. Theod. 15, 2 (444 n. Chr.). 1257 Nov. Marc. 1, 2 (450 n. Chr.) (vgl. Cod. Iust. 7, 51, 4). 1258 Nov. Iust. 8, pr. (535 n. Chr.); 17, 3 (535 n. Chr.); 24, 3 (535 n. Chr.); 25, 3 (535 n. Chr.); 80, pr.; 1ff. (539 n. Chr.). Auch im Ostgotenreich zeigten sich die Provinzrichter ihren Aufgaben oftmals nicht gewachsen, so daß viele Klagen direkt am Königshof eingebracht wurden: Cassiod., Var. 9, 20 (CCL 96, 370f.).
9. Straftäter vor Gericht
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jedermann in gleicher Weise Zugang zu den Strafgerichten. Kosten und Zeitverlust, die mit der Führung eines Prozesses verbunden waren, dürften viele potentielle Kläger veranlaßt haben, eine außergerichtliche Einigung anzustreben. Vor allem die Ärmeren waren benachteiligt, zumal wenn sie gegen einen potens prozessieren wollten: Es mochte sich zunächst als schwierig erweisen, überhaupt einen Gerichtstermin zu erhalten, sodann kam es vor, daß der Prozeßgegner, wenn er denn nur mächtig genug war, nicht vor Gericht erschien, und wenn er dies tat, so war es für ihn bzw. seine Advokaten ein leichtes, das Verfahren endlos in die Länge ziehen, ganz abgesehen davon, daß es ihm angesichts weit verbreiteter Korruption möglich war, sich ein für ihn vorteilhaftes Urteil zu erkaufen. Aber wenn auch viele Streitfälle auf außergerichtlichem Wege beigelegt wurden und die Führung eines Prozesses für die Angehörigen der Unterschichten vielfach eine kaum tragbare finanzielle Belastung war, wurden die Gerichte gleichwohl in einem für vorindustrielle Gesellschaften ganz außergewöhnlichem Umfang genutzt. Eine der häufigeren Prophezeiungen in Firmicus Maternus’ Sterndeutungen bezieht sich darauf, daß man angeklagt werde. Gerichtsverfahren und daraus resultierende Verurteilungen waren eines der größeren Risiken, die drohten. Nicht zuletzt sind es die Kirchenväter, die sich kritisch über die Prozeßsucht ihrer Zeitgenossen äußern. Immer wieder verweisen sie auf die weit verbreitete Angst vor den weltlichen Richtern bzw. einem bevorstehenden Prozeß. Die Bekanntschaft mit den Gerichten scheint zu den Grunderfahrungen eines jeden spätantiken Menschen gehört zu haben. Die Sykophanten bzw. calumniatores, die mit schikanösen Anklagen ihre Gegner um ihre Existenz bringen, sind ein beliebtes Thema bei den Kirchenvätern sowie anderen Autoren. Calumnia wurde streng geahndet, sie konnte aber nie ganz 1259
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Firm., Math. 3, 4, 15; 3, 4, 20; 3, 4, 22; 3, 5, 19; 3, 11, 8; 3, 11, 16; 4, 14, 4; 4, 19, 38; 4, 20, 6; 5, 3, 13; 5, 3, 14; 5, 3, 50; 5, 3, 53; 5, 3, 57; 5, 4, 2; 5, 4, 4; 5, 4, 9; 5, 4, 14; 5, 4, 16; 5, 4, 19; 6, 11, 5. Vgl. auch noch Expositio totius mundi 12 (Rougé 148/50): Am Volk der Camarini wird besonders hervorgehoben, daß es keinerlei Rechtsstreitigkeiten kenne. Amm. 22, 6, 1ff.: Prozeßsucht der Ägypter. 1260 Bas., De ieiunio hom. 1, 10 (PG 31, 181/4); Aug., Serm. 167, 3, 4 (PL 38, 910f.); 259, 6 (ibid. 1201); In psalm. 54, 14 (CCL 39, 666f.); Joh. Chrys., Adv. Iudaeos 5, 4 (PG 48, 889); Ad pop. Antioch. 10, 1 (PG 49, 111f.); Chromat., Serm. 41, 2 (Lemarié 2, 236/8); Caes. Arel., Serm. 55, 3 (CCL 103, 242). 1261 Ambr., In psalm. 118 serm. 7, 17 (CSEL 62, 137); 18, 6 (ibid. 399); Aug., Serm. 161, 4, 4 (PL 38, 879f.); Hier., Tract. in psalm. 93, 11 (CCL 78, 145f.); Joh. Chrys., De Lazaro 3, 1 (PG 48, 991f.); Eleem. 3, 3 (PG 49, 296); De utilit. lectionis script. et in princip. act. 3, 5 (PG 51, 96); De non desperando 11 (PG 51, 363); Max. Taur., Serm. 32, 2 (CCL 23, 126); Theodoret., Epist. 36 (32) (Azéma 1, 100f.); De providentia 7 (PG 83, 677/80); Salv., Gub. 3, 46 (Lagarrigue 220/2). 1262 Firm., Math. 3, 2, 7; 3, 7, 12; 3, 7, 26; 4, 14, 14; 4, 19, 14; 4, 20, 6; 6, 31, 66; Amm. 28, 4, 1; Bas., De ieiunio hom. 2, 5 (PG 31, 192); Hom. in divites 5 (PG 31, 293/6); 7 (ibid. 297); Zeno 1, 25, 6, 11 (CCL 22, 75); Aster. Amas. 2, 11, 5 (Datema 34); Greg. Naz., Carm. 1, 2, 28 (Adversus opum amantes), 21ff. (PG 37, 858/60); Aug., Serm. 14, 7f.
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Calumnia
ausgeschaltet werden. Die Kirchenväter verweisen immer wieder auf die Gefahr, aufgrund leichtfertiger, unbegründeter Anklagen ins Gefängnis eingeliefert zu werden. All dies muß berücksichtigt werden, will man die außergerichtlichen Einigungen richtig einschätzen. Sie hatten ihre Bedeutung, aber auch die einfache Bevölkerung scheute sich nicht, die staatlichen Gerichte anzurufen. Persönliche Feindschaften wurden vor Gericht ausgetragen, während sie in anderen ländlichen Gesellschaften zu offener Gewalt führen (in blutigen, sich teilweise über mehrere Generationen hinziehenden Familienfehden). Die Personen, mit denen man es vor Gericht zu tun hatte, waren im allgemeinen Personen aus dem persönlichen Umfeld, Nachbarn zumeist. Gerade die Enge der Kontakte führte zu Konflikten und Spannungen, die dann vielfach vor Gericht ausgetragen wurden. Jeder wußte über die Interna des Haushaltes des Nachbarn Bescheid; dies konnte, wenn denn Spannungen vorhanden waren, jederzeit zu Anzeigen führen. Libanios nennt Neid und Mißgunst als Motiv, einen Nachbarn anzuklagen (hier: heidnische Opfer veranstaltet zu haben). Basilius rät von der Eheschließung mit dem Hinweis auf die bekannten molestiae nuptiarum ab; zu den Mißhelligkeiten, mit denen der Haushaltsvorstand konfrontiert ist, zählt er auch Streitigkeiten mit den Nachbarn und Prozesse. Augustin spricht von einem persönlichen Feind, der eine böswillige Klage vorbereitet, seinen Gegner ins Gefängnis schicken will, gegen ihn eine Urkunde fälscht. Er setzt bei seinem Publikum die weit verbreitete Erfahrung mit Nachbarn, die schikanöse Anklagen erheben, voraus. 1263
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Calumnia Die meisten Strafverfahren basierten auf Privatklagen; dem Staat fehlte eine ständige Anklagebehörde, die in der Lage gewesen wäre, für die Verfolgung aller oder auch nur eines größeren Teiles der Straftaten Sorge zu tragen. Die in der späten ___________________________
(CCL 41, 189f.); 108, 7, 7 (PL 38, 635f.); 177, 11 (ibid. 959f.); In psalm. 58, serm. 2, 5 (CCL 39, 728f.); Vita Mel. 62 (Gorce 250); Joh. Chrys., Oppugn. 3, 16 (PG 47, 377); Ad pop: Antioch: 1, 10 (PG 49, 30); Poenit. 4, 3 (PG 49, 302f.); De angusta porta 2 (PG 51, 43); In paralyticum demissum per tectum 1 (PG 51, 48f.); De verbis apostoli, Habentes eundem spiritum 1, 8 (PG 51, 278f.); Quod nemo laeditur nisi a seipso 2 (PG 52, 462); In gen. hom. 41, 5 (PG 53, 381f.); In gen. serm. 1, 4 (PG 54, 586); In psalm. 110, 4 (PG 55, 284); 111, 3 (ibid. 293f.); De prophetiarum obscuritate 2, 6 (PG 56, 183f.); In Matth. hom. 57 (58), 4 (PG 58, 564); 61 (62), 2 (ibid. 590f.); 83 (84), 2 (ibid. 748); 90 (91), 3 (ibid. 791); In epist. I ad Cor. hom. 21, 5 (PG 61, 176); Salv., Gub. 4, 40 (Lagarrigue 264); Caes. Arel., Serm. 181, 7 (CCL 104, 738f.). 1263 Krause 1996, 206ff. 1264 Lib., Or. 30, 16. 1265 Bas., Epist. 2, 2 (Courtonne 1, 6). 1266 Aug., Serm. 22 A, 1 (CCL 41, 303f.). 1267 Aug., Serm. 22 A, 5 (CCL 41, 305).
9. Straftäter vor Gericht
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Republik eingerichteten ständigen Gerichtshöfe beruhten auf dem Prinzip, daß jeder Bürger bei einem crimen publicum eine Anklage vorbringen konnte. Mißbräuche waren nicht zu vermeiden. Ein Senatsbeschluß, das SC Turpilianum, richtete sich gegen leichtfertige Anklagen und drohte dem Ankläger, der seine Klage nicht zu Ende führte, mit Strafe. Wer wegen eines crimen publicum eine Anklage erhob, mußte sich durch inscribtio binden und einen Bürgen stellen, daß er den Prozeß auch durchführen werde. Erschienen der Kläger (und sein Bürge) danach nicht zum Prozeß, wurden sie durch ein Edikt ermahnt, den Prozeß zu führen. Wenn sie auch danach nicht erschienen, wurden sie extra ordinem bestraft und mußten den Angeklagten die Kosten, die sie durch den Prozeß und die Reise zum Prozeßort gehabt hatten, erstatten. Das SC Turpilianum betraf lediglich crimina publica. Demzufolge fiel unter den Senatsbeschluß derjenige nicht, der von einer Klage wegen Betrugs, Diebstahls, iniuria, Ausplünderung einer Erbschaft Abstand genommen hatte. Gleichwohl konnte auch ihn der Statthalter bestrafen. In der Spätantike wurden die Sanktionen für Ankläger, die von ihren Klagen, während der Prozeß schon anhängig war, Abstand nehmen wollten oder die ihre Anklage nicht erfolgreich zu vertreten in der Lage waren, verschärft. Der Ankläger band sich mittels der sogenannten inscriptio: Im Falle, daß er den Prozeß verlieren würde, drohte ihm dieselbe Strafe wie im Falle eines Sieges dem Angeklagten. Konstantin nennt die Begründung für die geforderte Schriftform: Es sollen keine Anklagen allein unter dem Einfluß des Zornes erfolgen; man soll Gelegenheit erhalten, sich die Angelegenheit noch einmal zu überlegen. Leichtfertigen und offenbar unbegründeten Anklagen, die lediglich aus dem Affekt heraus erfolgten, sollte also ein Riegel vorgeschoben werden. Erst nach vorliegender inscriptio war es dem Richter gestattet, den Prozeß einzuleiten. Gegenüber der frühen und hohen Kaiserzeit wurden die Sanktionen für den nicht erfolgreichen Ankläger verschärft. Alexander Severus hatte noch bekräftigt, daß ein Freispruch des 1268
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Dig. 48, 16, passim. Cod. Iust. 9, 1, 3 (222 n. Chr.). 1270 Dig. 48, 16, 7, 1 (Ulpian). Bereits im klassischen Recht sollten leichtfertige Strafklagen wegen Diebstahls dadurch verhindert werden, daß sich der Ankläger durch eine schriftliche subscriptio band: Dig. 47, 2, 93 (92) (Ulpian); vgl. hierzu Balzarini 1969, 278ff. 1271 Zum Erfordernis der inscriptio vgl. u.a. Cod. Theod. 9, 7, 2 (= Cod. Iust. 9, 9, 29 [30]) (326 n. Chr.); 9, 37, 2 (= Cod. Iust. 9, 42, 3) (369 n. Chr.); 9, 1, 11 (373 [368] n. Chr.); 9, 1, 14 (= Cod. Iust. 9, 2, 13) (383 n. Chr.); 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.); 9, 2, 6 (409 n. Chr.); 9, 1, 19 (= Cod. Iust. 9, 2, 17; 9, 46, 10) (423 n. Chr.). Drohung mit Strafe für den Kläger, wenn die Straftat nicht nachgewiesen werden kann: Cod. Theod. 9, 10 3 (= Cod. Iust. 9, 12, 7) (317 (nach Chastagnol) oder 319 (nach Seeck)); 9, 1, 9 (= Cod. Iust. 9, 46, 7) (366 [381?] n. Chr.); 9, 1, 11 (373 [368] n. Chr.); 9, 2, 3 (= Cod. Iust. 9, 3, 2) (380 n. Chr.); 9, 1, 14 (= Cod. Iust. 9, 2, 13) (383 n. Chr.); 9, 1, 19 (= Cod. Iust. 9, 2, 17; 9, 46, 10) (423 n. Chr.). Vgl. hierzu Levy 1933, 393ff. (Ndr.); M. Lauria, Calumnia, in: ders., Studi e ricordi, Napoli 1983, 245-276, 261ff.; Santalucia 1993, 1049; Krause 1996, 76ff. 1272 Cod. Theod. 9, 1, 5 (326 [320] n. Chr.).
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Calumnia
Angeklagten nicht notwendigerweise eine Verurteilung des Anklägers als calumniator zur Folge haben müsse. Denn er könne trotzdem rechtschaffene Gründe für die Anklage gehabt haben. Nach spätantikem Recht scheint eine Verurteilung des erfolglosen Anklägers wegen calumnia wenn nicht automatisch, so doch auf jeden Fall sehr häufig gewesen zu sein. Und es wurden hiervon nur wenige Ausnahmen zugelassen. An der Verfolgung einiger Straftaten bestand ein so großes öffentliches Interesse, daß auch im Falle eines Freispruches dem Ankläger keine Verurteilung wegen calumnia drohte. So konnte eine Mutter ohne Furcht hinsichtlich calumnia den Tod ihres Sohnes vor Gericht bringen. Dasselbe galt für Erben, die aufgrund eines vom Verstorbenen geäußerten Verdachtes einen Strafprozeß angestrengt hatten. Ebenso war eine Bestrafung wegen calumnia nicht möglich, wenn ein Sohn den vermeintlichen Mörder seines Vaters angeklagt hatte. Generell wird man aber eine Strafklage nur dann eingereicht haben, wenn ein erfolgreicher Prozeßausgang annähernd gesichert war. Das römische Strafprozeßrecht führte zu einer Benachteiligung des Angeklagten; oftmals hatte eine unbegründete Anklage die Gefängnishaft zur Folge. Den sich hieraus ergebenden Mißständen konnte allenfalls dadurch gesteuert werden, daß die Hürden für die Anklage höher gesetzt wurden, indem auch dem Ankläger mit Strafen gedroht wurde, wenn ihm eine unbegründete Anklage nachgewiesen wurde. Die Regelungen bezüglich calumnia galten nicht mehr nur für die iudicia publica, sondern wurden auf die extra ordinem verhandelten Strafverfahren übertragen. Bereits zur Zeit der Sentenzen des Paulus drohte den calumniatores das Exil, die Relegation oder der Ausschluß aus dem Stand, dem sie angehörten. Ausdrücklich heißt es, daß auch diejenigen, die eine mißbräuchliche Klage wegen iniuria eingebracht hatten, in diesem Sinne extra ordinem bestraft würden. Abschreckend mußte im weiteren wirken, daß es dem Ankläger kaum noch möglich war, von einer einmal erhobenen Klage Abstand zu nehmen. Ausführlich wird das Recht der abolitio, d.h. der Niederschlagung einmal eingebrachter An1273
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Cod. Iust. 9, 46, 3 (Alexander Severus). Cod. Iust. 9, 46, 2 (224 n. Chr.). 1275 Cod. Iust. 9, 46, 4 (283 n. Chr.). Vgl. auch noch Dig. 48, 1, 14 (Ulpian): Ein Vater hatte (offenbar unbegründeterweise) die Sklaven seines Schwiegersohnes (und letztlich wohl auch diesen selbst) des Giftmordes an seiner Tochter bezichtigt. Auch wenn er seinen Schwiegersohn in öffentlicher Klage vor Gericht gezogen habe, drohe ihm als Vater nicht die infamia. Die Bindungen zwischen Vater und Tochter galten als so eng, daß der Vater nicht wegen calumnia belangt werden konnte, wenn er den Tod der Tochter sühnen wollte. 1276 Paul., Sent. 5, 4, 11 (FIRA 2, 390); vgl. auch 5, 4, 12 (ibid. 390). 5, 1, 7 (ibid. 386): Drohende Strafe für calumnia (in einer causa liberalis) Verbannung. Nach Diokletian war demgegenüber eine Verurteilung wegen calumnia nur bei iudicia publica möglich, somit etwa nicht bei Prozessen, die den personenrechtlichen Status einer dritten Person betrafen: Cod. Iust. 9, 46, 5 (Diokletian). 1274
9. Straftäter vor Gericht
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klagen, 369 geregelt. Eine abolitio ist dann nicht mehr gestattet, wenn der Angeklagte bereits in den Kerker geworfen, gefoltert oder geschlagen worden war, es sei denn, er gebe seine Zustimmung zur abolitio. Andernfalls kann die Anklage binnen dreißig Tagen, nachdem der Angeklagte der Bewachung des Stabes des Statthalters (custodia) übergeben worden war, auch ohne dessen Zustimmung rückgängig gemacht werden, danach nur mit seiner Zustimmung. Waren erst einmal Freigeborene (und selbst plebeii, wie ausdrücklich betont wird) als Zeugen verhört und gefoltert worden, so war eine abolitio auch mit dem Willen beider Prozeßparteien nicht mehr möglich. Der Prozeß mußte zu Ende geführt werden. Eine abolitio war ferner bei gewissen Straftaten, die das öffentliche Interesse betrafen, ausgeschlossen, auch dann, wenn keine Zeugen gefoltert worden waren, so bei Majestätsverbrechen, Landesverrat, Unterschlagung von Staatsgeldern (peculatus), Desertion. Wichtigster Punkt des Gesetzes ist das Bemühen, schikanöse Anklagen zu erschweren. Indem die Ankläger beim Vorliegen gewisser Voraussetzungen zur Führung des Prozesses gezwungen wurden (mit den daraus resultierenden Konsequenzen im Falle einer Niederlage und einer eventuellen Verurteilung wegen calumnia), sollten offenkundig unbegründete Anklagen nach Möglichkeit verhindert werden. Es war also mit einem großen Risiko verbunden, eine Anklage in einem Strafverfahren zu erheben. Ein Gesetz aus dem Jahr 451 betrifft die Verfolgung von Räubern und anderen Schwerverbrechern; auch der Einsatz des Militärs wird im äußersten Fall in Erwägung gezogen. Andererseits wird den Anklägern, wenn sich die Beschuldigten als unschuldig erweisen sollten, eine Strafverfolgung wegen calumnia angedroht. Zwei clarissimi viri waren als Angeklagte wegen violentia unter militaris custodia gestellt worden. Der Ankläger, der agens in rebus Africanus, hatte in seiner inscriptio die primates von Aricia als Zeugen angegeben, die seine Vorwürfe jedoch nicht bestätigten. Africanus benannte nun einen weiteren Zeugen nach, was nicht gestattet war; er hatte sich an die Liste der in der inscriptio aufgeführten Zeugen zu halten. Nun wollte er den Prozeß aufgeben, was in diesem Stadium nicht mehr möglich war. Ihm hätte jetzt eine Strafe wegen calumnia gedroht. Symmachus, der als Stadtpräfekt mit dem Fall befaßt war, sah von dieser 1277
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Cod. Theod. 9, 37, 2 (= Cod. Iust. 9, 42, 3) (369 n. Chr.). Vgl. auch noch 9, 37, 3 (= Cod. Iust. 4, 19, 25; 9, 46, 9) (382 n. Chr.): Eine abolitio wird bei lügenhafter Anklage ausgeschlossen, zumal dann, wenn der Angeklagte bereits geladen (d.h.: unter Bewachung gestellt) wurde. Die Ankläger sollten es sich vorher überlegen, ob sie Anklage erheben wollten, und dies nur dann tun, wenn die Zeugen- und Beweislage so eindeutig sei, daß die Schuld des Angeklagten klarer als das Licht zutage trete. Im wesentlichen Wiederaufnahme der Bestimmungen von Cod. Theod. 9, 37, 2 in 9, 37, 4 (= Cod. Iust. 9, 42, 3) (409 n. Chr.). 1278 Vgl. auch noch Cod. Theod. 9, 39, 1 (383 n. Chr.); 9, 39, 2 (= Cod. Iust. 9, 46, 8) (385 n. Chr.); 9, 39, 3 (398 n. Chr.); Lib., Or. 1, 98f.; Pallad., Vita Ioh. Chrys. 8 (Malingrey – Leclercq 158). 1279 Cod. Iust. 9, 39, 2, 3 (451 n. Chr.).
242
Calumnia
harten Maßnahme einstweilen wegen der Jugend des Klägers und seinem Amt ab und bat den Kaiser um sein Urteil. Ein rivalisierender Sophist bezichtigte Libanios in Nikomedia, er habe mittels magischer Praktiken den Tod seiner Frau herbeigeführt. Da er keine Beweise hatte und demzufolge auch keine Anklage in gehöriger Form vorbringen konnte, veranlaßte er die Inhaftierung des Schreibers des Libanios, wohl eines Sklaven, dessen Verhör die nötigen Beweise erbringen sollte. Schließlich suchte er von dem Verfahren ganz Abstand zu nehmen; nun drängte aber Libanios, der sich unschuldig wußte, auf einen Prozeß. Im weiteren zeigte sich der Statthalter (es handelt sich wohl um Pompeianus, der zwischen 343 und 348 consularis von Bithynien war) allerdings mitleidig mit dem Kläger und verzichtete auf eine Fortführung des Verfahrens. Sabinos, der Schwiegersohn eines nahen Verwandten des Libanios, bezichtigte diesen, er habe sich eines Schädels zu magischen Zwecken bedient. Er hoffte wohl, Libanios werde es mit der Angst bekommen und versuchen, sich mit ihm finanziell zu einigen. Libanios aber nahm den Kampf auf, und Sabinos wandte sich nun als Bittsteller, um den schon eingeleiteten Prozeß nicht zu Ende führen zu müssen, an Libanios. Die Pflichten des Klägers wurden sehr ernst genommen, wie nicht zuletzt auch der folgende Fall lehrt: Dyscolius hatte mehrere Senatoren des Diebstahls bezichtigt und sie vor das Gericht des Stadtpräfekten gebracht, sich daraufhin aber mit den Angeklagten finanziell geeinigt und von einer weiteren Führung des Prozesses Abstand genommen. Symmachus, der amtierende Stadtpräfekt, entsandte nun jedoch einen apparitor, um den Ankläger zu zwingen, vor Gericht zu erscheinen, und bat darüber hinaus den Prätorianerpräfekten um Amtshilfe. Es galt zu verhindern, daß Anklagen nur mit der Absicht erhoben wurden, Geld von den Beschuldigten zu erpressen. Da der Strafprozeß weitgehend auf Anklagen von Privatleuten basierte, bestand immer die Gefahr, daß die Ankläger ihren persönlichen Vorteil dem öffentlichen Interesse einer Ahndung der Straftaten voranstellten. Ankläger und Kläger kämpften mit gleichem Risiko. Ambrosius schildert das Dilemma für den Richter, wenn er mit dem Angeklagten Mitleid hat, dies angesichts der Tatsache, daß auch der Ankläger, wenn er den Nachweis der Schuld des Angeklagten nicht erbringen kann, eine Verurteilung zu gewärtigen hat. Genauso verkehrt sei es, den Angeklagten zu verurteilen, aus Mitleid mit dem Ankläger, der ihn nicht überführen könne. Es wäre irrig, zu behaupten, ein angeblich „absolutistischer“ Staat habe der Strafverfolgung die oberste Priorität beigemessen. Im Gegenteil dürfte die calumnia-Gesetzgebung viele Ankläger 1280
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Symm., Rel. 49 (384/5 n. Chr.); vgl. hierzu Vera 1981, 345ff. Lib., Or. 1, 62ff. 1282 Lib., Or. 1, 194. Zu Sabinos vgl. auch 1, 190ff. 1283 Symm., Epist. 2, 75 (74) (an Nicomachus Flavianus, 383/94 n. Chr.; Callu: 383 oder 390/4). 1284 Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 25 (CSEL 62, 165). 1281
9. Straftäter vor Gericht
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abgeschreckt haben; Straftäter kamen nicht vor Gericht, weil den Anklägern das persönliche Risiko zu groß war. Viele Klagen wurden zurückgehalten; eine Alternative bestand darin, das Ansehen des Gegners in Form anonymer Beschuldigungen und Schmähschriften herabzusetzen, ggf. in der Hoffnung, es werde auch ohne offizielle Anklage zur Eröffnung eines Verfahrens kommen. Vielfach enthielten anonyme Schmähschriften Anschuldigungen, die ein Strafverfahren nach sich ziehen konnten. Wird jemand, so Konstantin, in anonymen Schmähschriften eines Verbrechens bezichtigt, so soll er hieraus keinen Nachteil erleiden. Es soll vielmehr nach dem Autor der Schrift gefahndet werden; dieser soll gezwungen werden, für seine Behauptungen den Beweis anzutreten, und gleichwohl, auch wenn ihm der Beweis gelingt, für die anonyme Schrift bestraft werden. Es waren bei dem Proconsul von Africa und dem dortigen Vicar anonyme Anklageschriften eingereicht worden; die in diesen Schriften genannten Personen sollen ohne Furcht sein, aber von den Beamten ermahnt werden, sich künftig nicht nur von Straftaten, sondern auch von jedem Verdacht einer Straftat fernzuhalten. Wer glaubt, eine Anklage erheben zu können, soll seine Vorwürfe beweisen. Das Verbot anonymer Schmähschriften wird in späteren Gesetzen immer wieder aufgegriffen; die Strafsanktionen gehen bis zur Todesstrafe. Die ständige Wiederholung dieser Gesetze deutet darauf hin, daß die Richter und ihre Büros geneigt waren, auch anonym vorgetragene Anzeigen zu akzeptieren und sie zur Grundlage für die Eröffnung eines Verfahrens zu machen. 1285
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betont, daß viele deswegen keine Anklage beim Bischof erhöben, weil sie nicht sicher waren, über genügend Beweise zu verfügen, um ihre Vorwürfe belegen zu können: Aug., Serm. 351, 4, 10 (PL 39, 1545/7). Dies muß für die weltlichen Gerichte angesichts des persönlichen Risikos für den nicht erfolgreichen Ankläger in noch sehr viel stärkerem Ausmaße gegolten haben. 1286 Ammianus übt an einem Richter scharfe Kritik, der auch anonyme Anzeigen akzeptiert habe: Amm. 28, 1, 36f. 1287 Cod. Theod. 9, 34, 1 (319 n. Chr.); vgl. Dupont 1952, 434ff. 1288 Cod. Theod. 9, 34, 2 (320/6 [313] n. Chr.). 1289 Cod. Theod. 9, 34, 3 (320 n. Chr.); 9, 34, 4 (328 n. Chr.); 9, 34, 5 (338 n. Chr.); 9, 34, 6 (355 n. Chr.); 9, 34, 7 (= Cod. Iust. 9, 36, 2) (355? 368? 370? 373? n. Chr.); 9, 34, 8 (368 n. Chr.); 9, 34, 9 (386 n. Chr.); 9, 34, 10 (406 n. Chr.).
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Landbevölkerung vor Gericht
Landbevölkerung vor Gericht Die Landbevölkerung stand im großen und ganzen der staatlichen Justiz nicht mit derselben Distanz gegenüber, wie dies in anderen bäuerlichen Gesellschaften belegt ist. Kolonen frequentierten die staatlichen Gerichte, um sich mit ihren Grundbesitzern auseinanderzusetzen, aber auch um gegen Außenstehende zu prozessieren. Die Einführung des Amtes des defensor civitatis zielte auch auf die Landbevölkerung ab, die innocens et quieta rusticitas, wie es in einem 370 erlassenen Gesetz heißt. Den unabhängigen Kleinbauern wie den Pächtern sollte durch die Einrichtung dieser Gerichtshöfe, vor die die Fälle mit geringerem Streitwert kommen sollten, die Anrufung des Gerichts des Provinzstatthalters erspart werden. Zweck dieser Maßnahme war, die Provinzstatthalter von Bagatellsachen zu entlasten. Selbst die Bauern frequentierten in großem Umfang die staatlichen Gerichte, auch wenn die hier zu entrichtenden Gebühren, die, wie es in dem Gesetz heißt, oftmals den Wert des Prozeßgegenstandes überstiegen, viele potentielle Kläger abschrecken mußten. Es werden einige der Streitsachen genannt, für die die defensores civitatum zuständig sein sollten: die Eintreibung von Schulden oder die Flucht von Sklaven. Ein weiteres Gesetz von 395 dient dem Zweck, die Provinzstatthalter von den Routinefällen zu entlasten (Flucht eines Sklaven, manifester Diebstahl, Viehdiebstahl, kleine Landstreitigkeiten). Vor den Statthalter sollten nur die schweren Verbrechen kommen (nach vorangegangener förmlicher Anklage, inscribtio). Als geeignete Instanz für die Bagatellangelegenheiten wird in der interpretatio des Gesetzes der defensor civitatis genannt. Wie die Auflistung der Streitfälle zeigt, ist auch hier bei den Prozessierenden in erster Linie an Angehörige der Landbevölkerung zu denken. Libanios sieht eine wesentliche Ursache für die Überlastung der Provinzstatthalter darin, daß ein großer Aufwand auch bei Prozessen mit geringem Streitwert (es werden Streitigkeiten um kleine Summen Geldes, kleine Flächen Landes, ein Stück Vieh, einen Sklaven, ein Kleidungsstück genannt) betrieben wurde. Für die verhältnismäßig wenigen wichtigen Fällen, in denen es um das Leben von Angeklagten gehe, bleibe demgegenüber keine Zeit mehr. Viele dieser Bagatellsachen waren offenbar Rechtshändel, in die Landbewohner involviert waren (Streitigkeiten um Land oder Vieh). Auch die „kleinen Leute“ nutzten also in einem erstaunlichen Umfang die staatlichen Gerichte und gingen selbst vor die höheren Instanzen. Ein Bewohner des 1290
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In agrarisch bestimmten Gesellschaften wird daher eine informelle Konfliktregelung dem Gang vor Gericht zumeist vorgezogen: vgl. R.C. Ellickson, Order without Law. How Neighbors Settle Disputes, Cambridge, Mass. – London 1991. 1291 Cod. Theod. 9, 27, 6 (386 n. Chr.). 1292 Cod. Theod. 1, 29, 5 (= Cod. Iust. 1, 55, 3) (370 n. Chr.). 1293 Cod. Theod. 1, 29, 2 (= Cod. Iust. 1, 55, 1) (365 n. Chr.). 1294 Cod. Theod. 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.). 1295 Lib., Or. 45, 18.
9. Straftäter vor Gericht
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castellum Fussala hatte unter Druck dem Bischof Antoninus ein Stückchen Land unter Marktwert verkaufen müssen; der Verkäufer wandte sich mit einer Bittschrift an den Kaiser. Justinian führte Klage über den Zustrom zahlreicher Provinzbewohner nach Konstantinopel, die dort Prozesse führen wollten. Zu einem großen Teil handelte es sich um Bauern, darunter auch abhängige Kolonen. Justinian setzt einen Beamten ein, dessen Aufgabe darin besteht, dafür Sorge zu tragen, daß die Prozesse schnell erledigt werden, damit die Bauern wieder ihrer landwirtschaftlichen Arbeit nachgehen können. Wenn sie als Gruppe gekommen seien, sollten nur zwei oder drei unter ihnen in Konstantinopel bleiben, um als Vertreter der Gesamtheit den Prozeß zu führen. Straftäter bzw. Angeklagte sollen sich in der Provinz, in der das Vergehen begangen wurde, verantworten. Justinian hebt unter den Streitigkeiten Grenzstreitigkeiten bzw. Auseinandersetzungen um Äcker hervor. Kläger seien oftmals wegen eines Prozesses mit einem geringen Streitwert (Entwendung eines Stückes Vieh) genötigt, außerhalb ihrer Heimatprovinz zu prozessieren. Justinian beklagt die große Zahl der Prozessierenden, die oftmals völlig mittellos nach Konstantinopel gekommen und dort zu betteln genötigt seien. Die erhebliche Verkleinerung der Provinzen, die Einrichtung des Amtes des defensor civitatis unter Valentinian I. auch im Westen, die Tatsache, daß die munizipalen Beamten weiterhin gewisse Aufgaben in der Rechtsprechung zu erfüllen hatten, all dies weist auf eine Intensivierung staatlicher und städtischer Justiz hin. Die Möglichkeiten für die Landbewohner, zu ihrem Recht zu kommen, verbesserten sich weiterhin durch die Einrichtung des Bischofsgerichts. Es wurde auch von ihnen genutzt. In den Verfahren ging es nicht nur um Geld, sondern vielfach um Land- oder Viehbesitz. Ein beachtlicher (nicht exakt zu quantifizierender) Teil der Konflikte, in die Bauern oder Kolonen involviert waren, kam also vor die Gerichte, sei es die staatlichen, sei es die Bischofsgerichte. Die große Bedeutung, die die Gerichte, sei es die staatlichen, sei es die Bischofsgerichte, im Leben der Landbevölkerung hatten, ist ein wichtiges Element, welches das spätantike Römische Reich von anderen agrarischen Gesellschaften abhebt; es trug ganz wesentlich dazu bei, daß es ein vergleichsweise friedliches Gepräge hatte. 1296
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Epist. 20*, 29 (CSEL 88, 110). Nov. Iust. 80, pr.; 1ff. (539 n. Chr.). Zum Zustrom von Provinzialen nach Konstantinopel vgl. auch noch Nov. Iust. 24, 3 (535 n. Chr.). 1298 Nov. Iust. 69, 1 (538 n. Chr.). 1299 Lib., Or. 30, 11; Aug., Epist. 251 (CSEL 57, 599f.). 1300 Aug., Epist. 33, 5 (CSEL 34, 2, 22); vgl. auch Epist. 8* (CSEL 88, 41f.). Auch personenrechtliche Streitigkeiten wurden Augustin in großer Zahl unterbreitet; er hatte in einem Fall zu entscheiden, in dem ein Kolone seinen Sohn in die Sklaverei verkauft hatte: Aug., Epist. 24* (CSEL 88, 126f.).
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Landbevölkerung vor Gericht
Dies schließt nicht aus, daß viele Konflikte vor Ort geregelt worden. Auch wenn den Großgrundbesitzern staatlicherseits keine Domanialgerichtsbarkeit eingeräumt wurde und die Kolonen weiterhin Zugang zu den staatlichen Gerichten hatten, so wandten sich Pächter bzw. Kolonen, die Opfer einer Straftat geworden waren, doch vielfach zunächst an ihren Grundbesitzer um Beistand. Es war nicht unüblich, sich vor Einschaltung der Gerichte zunächst an den Grundbesitzer zu wenden, wenn dessen Abhängige, Sklaven oder Kolonen, sich etwas hatten zuschulden kommen lassen. Grundbesitzer suchten also Rechtsstreitigkeiten, in die von ihnen Abhängige verwickelt waren, intern, unter Umgehung der ordentlichen Gerichte, zu regeln. Streitsachen, die den Betrieb des Gutes betrafen, dürften vielfach nicht vor die staatlichen Gerichte gekommen sein, sondern wurden von den Grundbesitzern selbst als Schiedsrichter entschieden. Bis zu einem gewissen Grade scheinen sie sich ferner eine Strafgewalt nicht nur über ihre Sklaven, sondern auch Kolonen angemaßt zu haben. Dies läßt sich Augustin entnehmen: Man sehe, wie sich der Sohn über den Vater, die Ehefrau über den Ehemann, der Sklave über seinen Herrn, der Kolone über den Eigentümer seines Landes, der Angeklagte über den Richter, der Soldat über seinen militärischen Vorgesetzten beklage: Nach Ansicht Augustins durchaus zu Unrecht, da diese mit der ihnen übertragenen Macht die ihnen untergebenen Menschen durch die Drohung leichter Strafen von größeren Übeln fernhalten. Wenn ein Bauer oder ein Sklave wegen eines Verbrechens (mit Ausnahme von Mord oder ähnlichen Vergehen) zu Theodor von Sykeon geflohen war, nahm er den Betreffenden vor seinem Herrn in Schutz, und wenn die Herren kamen, um die Schuldigen zu geißeln oder zu bestrafen, lieferte er sie erst dann aus, wenn ihm versprochen worden war, daß sie nicht bestraft würden. Die Schiedsgerichtsbarkeit sowohl von Bischöfen als auch von Laien, d.h. vor allem von Großgrundbesitzern, dürfte mit dem durch die Barbareneinfälle verursachten Zusammenbruch der staatlichen Verwaltung und dem damit einhergehenden Niedergang der Justiz, zumal in Gallien, größere Bedeutung erhalten haben. Der Niedergang der staatlichen Gerichtsbarkeit (und damit das Hervortreten privater Schiedsgerichtsbarkeit) darf jedoch auch für Gallien in der Mitte des 5. Jh. 1301
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Krause 1987a, 112ff. In psalm. 93, 7 (CCL 39, 1307/9). Vgl. auch P. Lond. V 1682 (Mitte 6. Jh. n. Chr.): Dioskoros beschwerte sich beim Pagarchen über einen Hirten, der seine, des Dioskoros, Pächter belästigte. Auch in diesem Fall wurden also die staatlichen Gerichte eingeschaltet. 1303 Symm., Epist. 3, 69; Sidon., Epist. 4, 6, 4; 5, 19; Cassiod., Var. 3, 14 (CCL 96, 108). 1304 Aug., Un. eccl. 20, 53 (CSEL 52, 301). Ähnlich äußert sich Johannes Chrysostomos: Der Hausherr sitze täglich über die Taten der Sklaven zu Gericht, verhänge Strafen über Schuldige, verzeihe anderen ihre Schuld. Auf dem Lande wiederum werde über die Bauern (georgos = Kolone?) täglich zu Gericht gesessen: Joh. Chrys., In II Tim. 3, 3 (PG 62, 616). 1305 Vita Theod. Syc. 147 (Festugière 1, 116f.). 1302 Aug.,
9. Straftäter vor Gericht
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noch nicht überschätzt werden. Salvian klagt die staatlichen iudices an, die Armen zu benachteiligen. Diese müßten den Gesetzen Folge leisten, während die iudices selbst und die Ex-Beamten, die honorati, ungestraft viel größere Verbrechen begingen. Mögen Salvians Vorwürfe überzogen sein, so zeugen sie doch von dem Fortbestand einer effizienten staatlichen Justiz. 1306
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Salv., Gub. 7, 92f. (Lagarrigue 496/8).
10. STRAFEN Es ist gängige Forschungsmeinung, daß in der Spätantike das Strafrecht zunehmend strenger wurde, daß auf immer mehr Straftaten die Todesstrafe stand. Hiernach hätten jedes Jahr Tausende von Straftätern zum Tode verurteilt worden sein müssen. Diese Vorstellung paßt gut zu dem in der älteren Forschung verbreiteten Bild eines absolutistischen, ja totalitären „Zwangsstaates“. Auf den folgenden Seiten soll es nicht darum gehen, das Strafrecht in all seinen Facetten darzustellen. Lohnender scheint es mir, nach der Strafpraxis zu fragen. Es ist unbestritten, daß die Gesetze mit der Androhung äußerst harter und grausamer Strafen nicht geizten. Es muß aber auch danach gefragt werden, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen diese Strafen denn zur Anwendung kamen. Einige Hinweise haben bereits die letzten Kapitel geliefert. Mangels eines gut ausgebauten Polizeiapparates kamen vermutlich von vornherein weniger Straftäter vor Gericht, als dies heute der Fall ist, wenngleich die Aufklärungsrate nicht unterschätzt werden darf (es sei hier noch einmal an die soziale Kontrolle im Dorf bzw. in der Stadt erinnert). Im weiteren kamen manche Straftäter deshalb nicht vor Gericht, weil sich die Täter selbst rächten (dies eher selten) oder weil sich die Opfer mit den Tätern außergerichtlich einigten (dies eher häufiger). Die Mahnungen der christlichen Prediger, die Gläubigen sollten ihre Streitigkeiten nicht vor Gericht bringen, führten dazu, daß ein Teil der Konflikte, die strafrechtlich hätten geahndet werden können, nicht vor den Provinzstatthalter gebracht wurden, sondern den Bischof, daß also statt staatlicher Sanktionen Kirchenbußen (wie die Exkommunikation) drohten. Dies implizierte keine Unterminierung der staatlichen Autorität, vielmehr führte der Aufbau kirchlicher Strukturen zu einer Intensivierung der sozialen Kontrolle auch auf dem flachen Lande und hatte die Drohung mit der Exkommunikation oder anderen Kirchenbußen eine Zurückdrängung der Gewaltbereitschaft zur Folge. Es wird sich im folgenden zeigen, daß die überaus strengen Strafen, mit denen die Gesetze vielfach drohten (und dies gilt insbesondere für die Todesstrafe), nur sehr selektiv und immer nur exemplarisch vollstreckt wurden. Strafrecht und Strafpraxis deckten sich keineswegs, die Kluft zwischen ihnen wurde größer. Hierin ist keineswegs ein Mangel zu sehen. Man sollte also nicht von der „Ineffizienz“ der Strafjustiz sprechen. Angesichts der Rahmenbedingungen (nicht nur fehlender Polizeiapparat, sondern auch unzulänglicher Ausbau der Justizverwaltung) war 1307
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Garnsey 1968; Callu 1984, 336; Grodzynski 1984b, 372ff.; Liebs 1985; MacMullen 1986; Humbert 1991, 179f.; Kyle 1998, 98; Robinson 2007, 191ff.
10. Strafen
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eine andere Strafpraxis gar nicht vorstellbar. Und sie erfüllte ihre Aufgaben durchaus. Wenn Strafen denn abschrecken sollten (und das war ihre wesentliche Funktion), dann genügte es, Straftaten selektiv und exemplarisch zu ahnden, dies aber verbunden mit einer großen Öffentlichkeit (sowohl beim Gerichtsverfahren wie bei der Vollstreckung des Urteils).
Verschärfung des Strafrechts? Vielfach wird in der Forschung eine Generalisierung der verschärften Formen der Todesstrafe (crux, crematio, bestiae) konstatiert. Kronzeuge für diese Entwicklung sind vor allem die Sentenzen des Paulus aus dem beginnenden 4. Jh. Tatsächlich taugt dieses Werk, wie sich im weiteren zeigen wird, nicht als Quelle für die Strafpraxis in der gesamten Spätantike. Eine Verschärfung des Strafrechts ist unverkennbar; sie setzte jedoch nicht erst in der Spätantike, sondern bereits in der Severerzeit ein. Nach der lex Cornelia drohte wegen Brandstiftung die Verbannung; spätestens seit Ulpian stand hierauf die Todesstrafe; es wird zwischen den humiliores, die in der Arena den wilden Tieren vorgeworfen werden, und den Personen, die von höherem sozialen Rang sind und enthauptet oder verbannt werden, unterschieden. Während in der lex Cornelia de sicariis et veneficis als Strafe noch lediglich die Verbannung drohte, hatte sich spätestens zur Zeit des Juristen Marcianus für die humiliores die Todesstrafe durchgesetzt. Die lex Iulia de maiestate sah die Verbannung als Strafe vor, nach Paulus drohte hierfür die Todesstrafe, deren Form vom sozialen Status des Straftäters abhing; die humiliores wurden den wilden Tieren vorgeworfen oder bei lebendigem Leibe verbrannt, die honestiores enthauptet. Die Tendenz zu immer schärferen Strafen setzt sich im weiteren Verlauf der Spätantike fort. Vergleicht man die Digesten, die Sentenzen des Paulus und den Codex Theodosianus miteinander, so finden sich im Codex Theodosianus in der Tat einige Straftatbestände, für die hier zum ersten Mal mit der Todesstrafe (oder gar dem Feuertod) gedroht wird. Die meisten neuen Androhungen von Todesstrafen zielen jedoch auf Sklaven: Ein Sklave, der bei einem Frauenraub behilflich war, wird bei lebendigem Leibe verbrannt, eine Sklavenamme, die den Frauenraub nicht verhindert hat, wird dadurch zu Tode gebracht, daß ihr flüssiges Blei in den Mund gegossen wird. Einem Sklaven, der Geschlechtsverkehr mit seiner Eigentümerin hatte, droht der Feuertod, ebenso Sklaven, die Deserteure, Banditen oder 1308
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Dig. 47, 9, 12, 1 (Ulpian). Dig. 48, 8, 3, 5 (Marcianus). 1310 Paul., Sent. 5, 29, 1 (FIRA 2, 413). 1309
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Verschärfung des Strafrechts?
andere Personen, die vor der Staatsgewalt geflohen waren, verbargen. Die Grenze zwischen Freien und Sklaven wird in der Strafgesetzgebung wieder sehr viel schärfer gezogen, als dies davor der Fall gewesen war. Die in der Forschung hier und da vertretene Auffassung, die armen Freien und die Sklaven hätten sich einander angeglichen, um schließlich in einer Schicht von Halbfreien zu verschmelzen, läßt sich auch sonst nicht halten und wird gerade durch die Strafgesetze widerlegt. Grundsätzlich wurde für ein und dasselbe Vergehen ein Freier enthauptet, ein Sklave verbrannt. Für Freie, und mögen sie auch humiliores gewesen sein, war die Wahrscheinlichkeit gering geworden, der verschärften Form der Todesstrafe unterworfen zu werden. Nehmen wir das Beispiel der Falschmünzerei: den Decurionen droht die lebenslängliche Verbannung in eine andere Stadt und die Konfiskation ihrer Habe, den Plebeiern eine lebenslängliche Strafe (wohl auch die Verbannung, allenfalls die Zwangsarbeit) sowie die Konfiskation des Besitzes, allein den Sklaven wird das summum supplicium angedroht. Die in der Forschung vertretene Auffassung, in der Spätantike sei zunehmend die verschärfte Todesstrafe zur Anwendung gekommen, trifft also nicht zu (jedenfalls soweit dies die Freien betrifft). In einem Schulbuch werden wir mit einigen typischen Szenen des Alltagslebens konfrontiert: Man begibt sich mit dem ersten Morgengrauen auf das Forum, wo die Staatsorgane ihren Geschäften nachgehen, unter denen die Eintreibung der Steuern und die Strafjustiz besondere Beachtung finden. Wir erleben mit, wie der Statthalter zunächst über einen Räuber zu Gericht sitzt, der trotz Folter leugnet. Er wird schließlich verurteilt und sofort zur Hinrichtung geführt: Er wird enthauptet. In der frühen Kaiserzeit wurden Räuber demgegenüber im allgemeinen entweder ans Kreuz geschlagen oder den wilden Tieren vorgeworfen. Als der Caesar Gallus von Constantius II. zum Tode verurteilt und enthauptet wurde, bemerkt Ammianus, er sei nach Art eines verurteilten Straßenräubers getötet worden. Auch auf Mord stand zumeist nur noch das Schwert. Bei Firmicus Maternus wird am Anfang des 4. Jh. demgegenüber noch als Strafe für den Mord bzw. den Raub die Kreuzigung genannt. Selbst 1311
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Cod. Theod. 9, 24, 1 (= Cod. Iust. 7, 13, 3) (320 n. Chr.); 9, 9, 1 (= Cod. Iust. 9, 11, 1) (326 n. Chr.); 7, 18, 4 (= Cod. Iust. 7, 13, 4; 12, 45, 1) (380 n. Chr.); 7, 18, 6 (382 n. Chr.); 9, 29, 2 (= Cod. Iust. 9, 39, 1) (383 [391?] n. Chr.). 1312 Grodzynski 1984b, 385f. 1313 Cod. Theod. 9, 21, 1 (319 n. Chr.). 1314 Dionisotti 1982, 104f. (§§ 71ff.). 1315 Petron. 111, 4; Dio Cass. 76 (77), 10. 1316 Amm. 14, 11, 23. Der Feuertod für einen Räuber wird allerdings noch von Salvian (wenngleich in einem sehr rhetorischen Kontext) genannt: Salv., Gub. 7, 55 (Lagarrigue 470). Marcell., Chron. II p. 102, 523: Kriminalität in Konstantinopel unterbunden; öffentliche Hinrichtung der Straftäter mit dem Schwert, dem Feuer, dem Strang. 1317 Joh. Chrys., In psalm. 11, 4 (PG 55, 127); Joh. Mosch., Prat. spir. 71 (PG 87, 3, 2924); Euagr., Hist. eccl. 2, 1 (Bidez – Parmentier 36/8). 1318 Firm., Math. 6, 31, 58; 8, 21, 3. Vgl. aber auch 4, 14, 7: Hinrichtung von Räubern und Mördern mit dem Schwert.
10. Strafen
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Hochverräter wurden zumeist nur noch enthauptet (wenngleich hin und wieder, wie wir weiter unten sehen werden, auch noch die Verbrennung erwähnt wird). Gerade die Formen der Hinrichtung, die in der frühen Kaiserzeit mit besonders großem Aufwand und unter Beteiligung einer entsprechend großen Zuschauermenge durchgeführt wurden, fielen in der Spätantike weg bzw. waren doch zumindest stark rückläufig: vor allem die Kreuzigung und die Verurteilung zu den Gladiatorenspielen bzw. ad bestias. 315 wird in einem Gesetz Konstantins Sklaven, die sich des plagium schuldig gemacht haben, noch die Verurteilung ad bestias (in der Arena) angedroht; Freigeborene aber sollen während der Gladiatorenspiele mit dem Schwert gerichtet werden. Vorher war die Strafe für das Verbrechen die Zwangsarbeit in den Bergwerken gewesen. In derselben Zeit ordnet Konstantin an, daß diejenigen, die zur Ausbildung als Gladiator in einer Gladiatorenschule oder zur Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilt worden waren, nicht im Gesicht gebrandmarkt werden dürfen; dies könne auch auf den Armen oder Schenkeln geschehen. Die Begründung für diese Maßnahme ist religiös: Das Gesicht sei als Gottes Ebenbild gestaltet. Die Verurteilung ad bestias wird dann zum ersten Mal 325 untersagt. An ihre Stelle soll als Strafe die Arbeit in den Bergwerken treten. Die zum Tod in der Arena Verurteilten werden hier also nicht ersatzweise zur Exekution durch das Schwert verurteilt, sondern zur Zwangsarbeit. Dies ist ein Befund, der nicht gut zu der Auffassung paßt, die Zahl der Hinrichtungen habe maßlos zugenommen. Konstantin begründet seine Maßnahme damit, daß blutige Schauspiele nicht zu einem befriedeten Staatswesen paßten. Christlicher Einfluß ist in einem Erlaß Valentinians aus dem Jahr 365 greifbar, welcher an den Stadtpräfekten von Rom gerichtet ist. Es wird untersagt, daß ein Christ zur zwangsweisen Teilnahme an Gladiatorenspielen (ad ludum) verurteilt werde. Die Christen hatten während der Verfolgungen in großer Zahl auf diese Weise das Martyrium erlitten; man konnte ihnen eine solche Strafmaßnahme vermutlich nicht mehr zumuten. Die Gesetzgebung führte nicht zu einem abrupten Ende der Gladiatorenspiele; von größerer Bedeutung waren sie aber in der zweiten Hälfte des 4. Jh. nur noch in Rom. 1319
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Theod. 9, 14, 3 (= Cod. Iust. 9, 8, 5) (397 n. Chr.); Malalas 15, 8, p. 382f.; 15, 14, p. 389; 16, 3, p. 393f.; 18, 35, p. 445/7; 18, 119, p. 487f. 1320 Vgl. hierzu auch Harries 1999, 137ff. 1321 Cod. Theod. 9, 18, 1 (= Cod. Iust. 9, 20, 16) (315 n. Chr.). 1322 Cod. Theod. 9, 40, 2 (= Cod. Iust. 9, 47, 17) (315 [316] n. Chr.). 1323 Cod. Theod. 15, 12, 1 (= Cod. Iust. 11, 44 [43], 1) (325 n. Chr.). Vgl. hierzu auch F. Salerno, Cruenta spectacula in otio civili et domestica quieta non placent, in: S. CrogiezPétrequin – P. Jaillette (Hrsg.), Société, économie, administration dans le Code Théodosien, Villeneuve d’Ascq 2012, 465-480. 1324 Cod. Theod. 9, 40, 8 (365 n. Chr.). 1325 G. Ville, Les jeux de gladiateurs dans l’Empire chrétien, MEFR 72, 1960, 273-335, 312ff.
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Verschärfung des Strafrechts?
Die Verurteilung ad bestias bestand fort, bis in das 6. Jh. hinein, wenngleich sie eine immer seltener praktizierte Form der Exekution war. Als in den fünfziger Jahren des 4. Jh. einige Isaurier wegen der von ihnen verübten Räubereien im Amphitheater wilden Tieren vorgeworfen wurden, konstatiert Ammianus bereits, die Hinrichtung sei praeter morem erfolgt. Diese in der frühen und hohen Kaiserzeit so häufige Form der Hinrichtung war also zu diesem Zeitpunkt nahezu völlig außer Gebrauch gekommen. Sie wird noch von Libanios anläßlich der Verurteilung der Haupträdelsführer des Aufruhrs in Antiochia 387 erwähnt: Sie wurden enthauptet, bei lebendigem Leibe verbrannt oder den wilden Tieren vorgeworfen. Dieser sowie weitere vereinzelte Hinweise auf die Verurteilung ad bestias in den spätantiken Quellen ändern jedoch nichts am Gesamtbefund, daß diese Strafe nur noch sehr selten verhängt wurde. Christlicher Einfluß erklärt auch, warum die Kreuzigung als Strafmaßnahme verschwand. Zwar kann mit Fug und Recht darüber diskutiert werden, ob bereits Konstantin die Kreuzigung durch Gesetz abschaffte, daß sie als Strafmaßnahme aber im Verlauf des 4. Jh. außer Gebrauch kam, steht außer Frage. Während sie in vielen literarischen Quellen der hohen Kaiserzeit bezeugt ist, wird sie in den Digesten mit keinem Wort erwähnt; es ist plausibel anzunehmen, daß in den klassischen Texten das Wort crux durch furca ersetzt wurde. Es geht hier nicht nur um eine terminologische Frage: Die furca führt durch Strangulation zum sofortigen Tod, während die Kreuzigung ein sehr langsamer Tod ist. Von den verschärften Formen der Todesstrafe verschwanden also die Kreuzigung und die Verurteilung ad bestias weitgehend. Der Flammentod blieb im Strafarsenal. Auch diese Strafe kam nur für wenige Straftaten, etwa Hochverrat, zur 1326
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14, 2, 1. Lib., Or. 19, 37; ähnlich Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 3, 6 (Migne 49, 56). Vgl. auch noch Antonius, Vita Symeon. Styl. 20 (Übers. Doran 95/7); Proc. Gaz., Panegyricus auf Kaiser Anastasius 15 (Chauvot 17); Priscian., De laude Anastasii 223/7 (Chauvot 65); Euagr., Hist. eccl. 5, 18 (Bidez – Parmentier 212/4); Johannes von Nikius 107, 10f. (Übersetzung Charles 168); Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 33 (Übersetzung Schönfelder 130f.); 3, 34 (ibid. 131); 3, 35 (ibid. 131/3); Zacharias Rhetor, Vita Severi (Kugener, PO 2, 51). 1328 Grodzynski 1984b, 371, Anm. 28. Dinkler-von Schubert 1995 vertritt die Auffassung, daß die Kreuzigungsstrafe nicht ausdrücklich durch Gesetz abgeschafft wurde (weder von Konstantin noch von einem seiner Nachfolger). Sie sei durch derogierendes Gewohnheitsrecht außer Gebrauch gekommen. Es habe eine längere Zeit des Auslaufens gegeben. 1329 Vgl. Isid., Orig. 5, 27, 34. Zur Ersetzung des Terminus crux durch furca in den juristischen Texten vgl. Grodzynski 1984b, 364ff.; Dinkler-von Schubert 1995, 227.
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Anwendung. Im übrigen wurde sie, wie es scheint, vor allem an Sklaven vollstreckt. Die Kreuzigung sowie die Verurteilung ad bestias eignen sich in besonderem Maße für die Gestaltung eines Schauspieles; die in der Spätantike vollzogenen Hinrichtungen hatten demgegenüber einen sehr viel weniger spektakulären Charakter. Wie ein Gesetz aus dem Jahr 390 zeigt, wurden die Hinrichtungen durch das Feuer in der Öffentlichkeit vollzogen. Sie hatten aber sicher nicht denselben Unterhaltungswert wie der Tod in der Arena. Es vollzog sich somit eine Normalisierung der Hinrichtungsformen. Ambrosius nennt unter den Todesstrafen noch die Enthauptung und den Feuertod, daneben als Alternative zur Hinrichtung die Zwangsarbeit in den Bergwerken (die eine langwährende Qual impliziere). Von 44 in der Schrift des Eusebius über die Märtyrer in Palästina erwähnten Hinrichtungen entfallen 23 auf Enthauptungen, fünf auf Verurteilungen ad bestias, elf auf den Scheiterhaufen, eine auf die Kreuzigung, vier auf Ertränkungen. Für römische Bürger wurde also die Enthauptung die übliche Todesstrafe. Bei Firmicus Maternus ist noch das ganze Spektrum an Strafen genannt: Kreuzigung, Verurteilung ad bestias usw. Die Ängste vor diesen Strafen mögen zu Beginn des 4. Jh. noch weit verbreitet gewesen sein; Eusebius zeigt, daß die verschärften Todesarten bereits rückläufig waren, und dies gilt selbst für die christlichen Märtyrer, die mit besonderer Unerbittlichkeit verfolgt wurden. Unter den verschärften Hinrichtungsarten dominiert schon bei Eusebius von Caesarea der Scheiterhaufen (11 von 44 Fällen), während die Verurteilung ad bestias bzw. die Kreuzigung nur fünfmal bzw. einmal belegt sind. Diese Strafen scheinen bereits vor ihrer Abschaffung im Laufe des 4. Jh. eine geringe quantitative Bedeutung gehabt zu haben. Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung des Laktanz, Galerius habe dazu geneigt, nur die verschärften Formen der Todesstrafe zu verhängen, und wenn er jemanden mit dem Schwert habe töten lassen, so sei dies schon eine Wohltat gewesen, als Polemik zu werten. Die Spätantike kennt nur noch ein sehr reduziertes Arsenal von Hinrichtungsformen: die Enthauptung und den Feuertod. Aussagekräftig ist der Befund bei Ammianus Marcellinus: Er erwähnt zahlreiche Hinrichtungen wegen Hochverrats und Magie; zur Anwendung kommen hier allein die beiden genannten Formen der 1330
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In Ausnahmefällen kam diese Strafe für politische Vergehen freilich selbst für Angehörigen der Oberschichten in Betracht: Amm. 14, 7, 15ff.; 21, 12, 19f.; 22, 3, 10f.; 27, 7, 5; 29, 5, 43; 29, 5, 50. 1331 Cod. Theod. 9, 7, 6 (390 n. Chr.). 1332 Vgl. Mart. Polyc. 12, 2f. (Bastiaensen 18/20): Die Heiden und die Juden forderten lautstark die Hinrichtung Polykarps; der Asiarch sollte ihn einem Löwen vorwerfen lassen. Dieser antwortete zunächst, dies sei nicht möglich, da die Gladiatorenspiele schon beendet seien. Daraufhin forderte die Menge, Polykarp solle bei lebendigem Leibe verbrannt werden. Der Feuertod war also nur eine Notlösung. 1333 Ambr., Epist. extra coll. 1a (Migne 40), 19 (CSEL 82, 3, 171). 1334 Callu 1984, 333. 1335 Lact., Mort. pers. 22, 1ff. (Moreau 103).
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Strafrecht und Strafpraxis
Todesstrafe. Das Christentum spielte bei dieser Entwicklung seine Rolle, diese darf aber nicht überschätzt werden. Denn der Feuertod blieb im Strafarsenal, und auch unter dieser Strafe (nicht nur der Kreuzigung oder der Verurteilung ad bestias) hatten Christen während der Verfolgungszeit gelitten. Es gibt keine Hinweise darauf, daß sie als zu grausam jemals in Frage gestellt worden wäre. 1336
Strafrecht und Strafpraxis Das Strafrecht gewinnt sicherlich nicht allein schon dadurch einen humaneren Charakter, daß Strafen wie die Kreuzigung oder die Verurteilung zu Gladiatorenspielen allmählich aus dem Strafarsenal verschwinden. Auch die massenweise Hinrichtung von Straftätern mit dem Schwert würde ihm nichts von seiner Brutalität und Inhumanität nehmen. Es wird sich jedoch zeigen, daß gerade hiermit, d.h. mit einer exorbitant hohen Zahl an Hinrichtungen, gar nicht zu rechnen ist. Die Strafpraxis gestaltete sich ganz anders, als es allein die Lektüre der juristischen Quellen nahelegen würde. Die Strafen sollten abschrecken. Strafmaßnahmen wie Auspeitschungen wurden daher bevorzugt öffentlich vollstreckt. Libanios übt scharfe Kritik an einem Statthalter, der Delinquenten während der Züchtigung eine Eselsmaske hatte aufsetzen lassen, um sie zusätzlich noch dem Spott der Zuschauer preiszugeben. Ambrosius spricht von der öffentlichen Zurschaustellung von Angeklagten in Ketten (pompa miserabilis); für die Betroffenen sei selbst der Tod erträglicher als solches zu erleiden. Der Abschreckung dienten auch die in justinianischer Zeit 1337
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Vgl. J.J. Arce, El historiador Ammiano Marcelino y la pena de muerte, HAnt 4, 1974, 321-344. 1337 Lib., Or. 45, 27f.; Aug., Epist. 153, 16ff. (CSEL 44, 413ff.); de Robertis 1948, 24ff. (Ndr.); C. Gioffredi, Sulla concezione romana della pena, in: Studi in onore di Edoardo Volterra, Bd. 2, Milano 1971, 333-350, 347ff.; F. Sitzia, Aspetti della legislazione criminale nelle Novelle di Giustiniano: Il problema della giustificazione della pena, in: Subseciva Groningana 4. Novella Constitutio. Studies in Honour of Nicolaas van der Wal, Groningen 1990, 211-220, 212ff.; Humbert 1991, 152ff.; R. Bonini, Alcune considerazioni sulla funzione della pena nelle Novelle giustinianee, in: O. Diliberto (Hrsg.), Il problema della pena criminale tra filosofia greca e diritto romano. Atti del deuxième colloque de philosophie pénale Cagliari, 20-22 aprile 1989, Studi economico-giuridici 54, Napoli 1993, 397-414, 402ff.; Harries 1999, 144ff. 1338 Joh. Chrys., In psalm. 8, 5 (PG 55, 113); Lib., Or. 1, 228; 29, 11; Proc., Hist. arc. 11, 37; Euagr., Hist.eccl. 2, 5 (Bidez – Parmentier 50/3); Malalas 18, 136, p. 491; 18, 146 (= Theophanes, Chron. A.M. 6055 [de Boor 1, 239]); 18, 150 (= Excerpta de insidiis 50, p. 175 de Boor); Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 32 (Übersetzung Schönfelder 128/30); Millar 1984; 125; Liebs 1985, 93; 113f.; MacMullen 1986, 159f. 1339 Lib., Or. 4, 37f. 1340 Ambr., In psalm. 118 serm. 20, 23 (CSEL 62, 457).
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immer häufiger werdenden Verstümmelungen von Straftätern. Dieselbe Funktion hatten die öffentlichen Hinrichtungen. Im Falle der Verbrennung von Homosexuellen wird mit der abschreckenden Wirkung argumentiert: das gesamte Volk von Rom soll hiervon Kenntnis haben und zuschauen. Es wurden zwar einige Formen der verschärften Todesstrafe aus dem Strafarsenal gestrichen, aber dies kann nicht mit dem Bestreben des Gesetzgebers erklärt werden, dem Volk das Schauspiel grausamer Hinrichtungen zu ersparen. In justinianischer Zeit wurden Straftäter, die zur Enthauptung veurteilt worden waren, vorher auf Maultieren durch die Straßen geführt; ein Herold mahnte hierbei, die Gesetze zu beachten und keine Mordtaten zu begehen. Wir wissen nicht, ob die Hinrichtungen ein großes Publikum fanden. Sie wurden zumeist einige Meilen vor der Stadt durchgeführt. Zwar heißt es in einem Fall, daß sich die gesamte Stadtbevölkerung zu diesem Schauspiel hinausbegeben habe. In aller Regel dürfte sie von Hinrichtungen aber kaum Notiz genommen haben; immerhin war ja ein Fußweg von einigen Kilometern zurückzulegen, wollte man dem Schauspiel beiwohnen. Ob man willens war, hierfür einen ganzen Tag zu opfern? Johannes Chrysostomos beschreibt, wie zum Tode Verurteilte aus dem Gefängnis herausgeführt werden, welches man sich im Zentrum der Stadt vorzustellen hat. Die Bevölkerung nimmt hiervon Kenntnis; aber es ist keine Rede davon, daß ihnen ein großer Zug von Schaulustigen zur Hinrichtungsstätte gefolgt wäre. Während in der frühen Kaiserzeit die Hinrichtungen im Amphitheater der Belustigung und Unterhaltung des Volkes dienten, ist in der Spätantike ein anderer Aspekt in den Vordergrund getreten: Der öffentliche Vollzug der Strafen (von 1341
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Proc., Hist. arc. 11, 34ff.; Malalas 18, 18, p. 436; 18, 47, p. 451; Nov. Iust. 134, 13 (556 n. Chr.); MacMullen 1986, 156; 158f. 1342 Cod. Theod. 9, 18, 1 (= Cod. Iust. 9, 20, 16) (315 n. Chr.); 9, 7, 6 (390 n. Chr.); Firm., Math. 4, 14, 9; 4, 15, 4; Lact., Mort. pers. 40 (Moreau 123f.); 50f. (ibid. 136f.); Lib., Or. 19, 36f.; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 3, 6 (PG 49, 56); In Heliam et viduam 3 (PG 51, 340); Amm. 28, 1, 16; Malalas 13, 31, p. 339f.; Agathias 4, 11; Marcell., Chron. II p. 102, 523. 1343 Coll. Mos. 5, 3 (FIRA 2, 557). 1344 Agathias 4, 11. Delinquenten durch die Straßen paradiert: Malalas 18, 71, p. 473/7; Johannes von Nikiu 97, 1ff. (Übersetzung Charles 157/60). 1345 Hier., Epist. 1, 7; Joh. Chrys., In gen. serm. 4, 3 (PG 54, 598); Joh. Mosch., Prat. spir. 71 (PG 87, 3, 2924); 72 (ibid. 2924f.). Vgl. auch Aug., Epist. 151, 6 (CSEL 44, 386f.): Kritik daran, daß in einem Ausnahmefall Hinrichtungen im Zentrum der Stadt vollstreckt wurden. 1346 Hier., Epist. 1, 7. 1347 Joh. Chrys., Stag. 2, 9 (PG 47, 462); In gen. serm. 5, 4 (PG 54, 603f.). 1348 Es ist einzuräumen, daß die Gladiatorenspiele nicht lediglich Massenunterhaltung waren. Sie hatten auch die Funktion, die kaiserliche Macht zu demonstrieren und sie damit zu stärken: vgl. K. Hopkins, Murderous Games, in: ders., Death and Renewal. Sociolo-
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Strafrecht und Strafpraxis
der Auspeitschung bis hin zur Paradierung von Straftätern, die hingerichtet werden sollten, durch die Straßen der Stadt) diente der Demonstration staatlicher Macht. Die Sympathien der Bevölkerung galten hierbei oft eher dem Delinquenten als dem Staat und seinen Organen. Um die gewünschte Abschreckung zu erzielen, reichte es, einen kleinen Teil der Täter zu inhaftieren und von den Inhaftierten wiederum nur einen kleinen Teil der vollen Schärfe des Gesetzes zu unterwerfen. Deutlich kommt dieses Prinzip in der Gesetzgebung zum Ausdruck: Justinian fordert einen Beamten auf, schwere Verbrechen (Mord, Vergewaltigung, Ehebruch) mit exemplarischer Strenge (d.h. Hinrichtungen) zu ahnden. Durch die Bestrafung weniger könne man die Besserung der übrigen erreichen. Antike Autoren sehen den Sinn strenger Gesetze darin, daß potentielle Straftäter abgeschreckt würden und eine Bestrafung damit überhaupt gar nicht erst erforderlich sei. Augustin erinnert an ein von Honorius gegen Menschenräuber erlassenes Gesetz, lehnt die Anwendung der hierin vorgesehenen strengen Strafen (insbesondere die Auspeitschung mit der plumbata, bei der die Gefahr bestand, daß die Delinquenten ums Leben kamen) allerdings ab. Das Gesetz war in Vergessenheit geraten, und Augustin möchte es auch nur deshalb wieder publik gemacht wissen, damit es abschrecke, nicht etwa deswegen, weil er wünschte, daß es auch tatsächlich angewendet werde. Häuften sich bestimmte Straftaten, so wurden zum Zweck einer stärkeren Abschreckung die Gesetze verschärft (was aber nicht heißt, daß sie auf lange Sicht auch in ihrer vollen Schärfe angewendet worden wären). Das Ziel der Abschreckung konnte sehr wohl durch die exemplarische Bestrafung einiger weniger Täter erreicht werden. 1349
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gical Studies in Roman History 2, Cambridge 1983, 1-30, 29f.; K.M Coleman, Fatal Charades: Roman Executions Staged as Mythological Enactments, JRS 80, 1990, 44-73, 72; Kyle 1998, 9; Fagan 2011, 230ff. 1349 Vielfach wird in den Quellen auf das Mitleid der Zuschauer mit den Delinquenten hingewiesen: Joh. Chrys., Stag. 2, 9 (PG 47, 462); De Maccabaeis 1, 2 (PG 50, 620); In gen. serm. 5, 4 (PG 54, 603f.); Agathias 4, 11. 1350 Nov. Iust. 30, 11 (536 n. Chr.). Vgl. auch Amm. 25, 4, 8f.: Lob Julians als Richter: Er habe durch die exemplarische Bestrafung weniger andere von ähnlichen Straftaten abgehalten. 26, 3, 1: Energische Verfolgung der Magie in Rom durch den Stadtpräfekten Hilarinus. Durch die Hinrichtung einiger weniger gelang es ihm, die anderen einzuschüchtern, so daß sie von ihrem Tun abließen. 1351 Eus., Vita Const. 3, 1, 7 (GCS, Winkelmann 81); Greg. Naz., Epist. 10, 6f. (Gallay 1, 14). 1352 Aug., Epist. 10*, 4 (CSEL 88, 48). 1353 Vgl. etwa Cod. Iust. 9, 20, 7 (287 n. Chr.): Da der Menschenraub in Rom selbst zugenommen hat, wird der Stadtpräfekt angewiesen, überführte Straftäter auch zum Tode zu verurteilen. Diokletian bezeichnet ausdrücklich als Motiv für die Strafverschärfung die Abschreckung. Nach Paulus und Hermogenian war die dominierende Strafe für Menschenraub damals Bergwerksarbeit: Dig. 48, 15, 7 (Hermogenianus); Paul., Sent. 5, 30 B, 1 (FIRA 2, 414); Coll. Mos. 14, 2, 2 (FIRA 2, 577) (Paulus).
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Viele Strafgesetze wurden nicht oder nur sehr sporadisch angewandt. Dies wird unter anderem an der Reaktion der Behörden auf städtische Unruhen deutlich. Es blieb, etwa während der zahlreichen Hungerrevolten und sonstigen Unruhen in Rom und anderswo, bei einer exemplarischen Bestrafung einiger weniger Rädelsführer. Zahlreiche schwere Gewalttaten der Donatisten bzw. Circumcellionen in Nordafrika blieben ungesühnt. Der donatistische Priester Crispinus hatte auf der Straße einen katholischen Bischof mit einer Bande Bewaffneter angegriffen. Dieser konnte in eine Villa fliehen, wo er von Crispinus belagert wurde. Schließlich verschaffte dieser sich mit seinen Leuten Zugang zu dem Haus. Das Vieh, welches sich in der Villa befand, wurde abgeschlachtet, der katholische Bischof geschlagen und beschimpft. Von schlimmeren Gewalttaten konnten die Donatisten nur durch das Eingreifen ihres Bischofs abgehalten werden. Von weiteren Strafsanktionen verlautet nichts. Der Angriff war zu den städtischen Akten von Calama gegeben worden; aber die Katholiken erwarteten auch in diesem Fall die Bestrafung des Gewalttäters nicht von einem staatlichen Gericht, sondern vom zuständigen Donatistenbischof. Als dieser (er trug ebenfalls den Namen Crispinus) sich weigerte, gegen seinen Presbyter strafend vorzugehen, wurde er von den Katholiken als Häretiker vor Gericht gezogen und zu einer Buße von 10 Pfund Gold verurteilt, von deren Zahlung er freilich durch die Intervention des angegriffenen katholischen Bischofs befreit wurde. Auch die viel strengeren aktuellen Antidonatistengesetze, die den Klerikern mit der Verbannung (proscriptio) drohten, waren Augustinus zufolge bislang noch nicht zur Anwendung gekommen. Die Verfolgung der Donatisten und der Circumcellionen blieb bis in Augustins Zeit relativ zurückhaltend. Augustin lehnte die Todesstrafe auch für Circumcellionen, die sich schwerer Verbrechen (Mord und Totschlag) schuldig gemacht hatten, ab. Es liege im Ermessen des Richters, die von den Gesetzen vorgesehenen Strafen abzumildern. Wenn sich der zuständige Richter hierzu nicht durchringen könne, sollten die Angeklagten zur Not einstweilen inhaftiert werden, damit der Kaiser um Rat gefragt werden könne. Der Statthalter hatte als Richter weiterhin 1354
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Lib., Or. 19, 47; 41, 16; 46, 4; Ambr., Epist. 74 (40), 19 (CSEL 82, 3, 66); Epist. extra coll. 1a (Migne 40), 19 (CSEL 82, 3, 171); Epist. 76 (Migne 20), 4ff. (CSEL 82, 3, 109/11); Marc. Diac., Vita Porph. 99 (Grégoire – Kugener 76); Coll. Avellana 29, 5 (CSEL 35, 1, 75) (23. März 419); Cassiod., Var. 4, 43 (CCL 96, 170f.); 9, 17 (ibid. 365f.). 1355 Aug., C. Cresc. 3, 46, 50 (CSEL 52, 457f.). 1356 Aug., C. Cresc. 3, 47, 51 (CSEL 52, 458f.); 48, 52 (ibid. 460); vgl. hierzu auch Epist. 105, 4 (CSEL 34, 2, 597f.). Ein ähnlich gelagerter Fall: Die Donatisten hatten einen donatistischen Priester, der zu den Katholiken abgefallen war, aus seinem Haus herausgerissen und mißhandelt. Augustin brachte die Tat zu den städtischen Akten von Hippo, erwartete aber offenbar weder von den munizipalen noch den staatlichen Behörden irgendwelche Maßnahmen, sondern vielmehr vom zuständigen Donatistenbischof Proculianus. Dieser reagierte jedoch auf die Klagen und Vorwürfe der Katholiken nicht: Aug., Epist. 88, 6 (CSEL 34, 2, 412f.); C. Cresc. 3, 48, 53 (CSEL 52, 460f.).
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Strafrecht und Strafpraxis
einen großen Ermessensspielraum bei der Anwendung kaiserlicher Erlasse (bis hin zum Verzicht auf die Todesstrafe). Augustin betont die Milde der (in aller Regel unblutigen) Strafen gegen die Donatisten; und selbst wenn der Kaiser einmal eine strengere Strafe androhe, so liege es doch in der Kompetenz der Richter, sie im konkreten Fall abzumildern. Man konnte wegen eines kleinen Diebstahls oder einer Schlägerei inhaftiert und zur Zwangsarbeit verurteilt werden, aber für ein schweres Gewaltverbrechen straflos davonkommen. Die Homosexualität konnte mit dem Tod geahndet werden. 342 wird mit der Enthauptung gedroht; nach einem kaiserlichen Erlaß aus dem Jahr 390, welcher sich an den Präfekten der Stadt Rom richtete, drohte gar die öffentliche Verbrennung. Tatsächlich liefen die Homosexuellen aber kein allzu großes Risiko, für ihre sexuellen Neigungen vor Gericht gezogen oder gar zum Tode durch das Feuer verurteilt zu werden. Bei der Bewertung der strafrechtlichen Edikte des Codex Theodosianus bzw. Justinianus ist darum äußerste Vorsicht geboten. Sie spiegeln nicht in jedem Fall eine generelle Rechtspraxis wider. Auf Ehebruch stand ebenfalls prinzipiell die Todesstrafe. 339 wird dem Ehebrecher darüber hinaus in einem Gesetz mit dem culleus oder dem Feuertod gedroht. Nach der im Codex Iustinianus überlieferten Fassung desselben Gesetzes drohte dagegen lediglich die Enthauptung. In der Forschung wurde angenommen, daß der allgemeine Trend zur Verschärfung der Strafen in justinianischer Zeit umgekehrt wurde; das 4. Jh. markiere hier einen Höhepunkt. Tatsächlich wurde bereits zu dieser Zeit kaum je ein Ehebrecher verbrannt oder sogar in einem Sack 1357
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Epist. 139, 2 (CSEL 44, 150ff.). Coll. c. Don., post gesta 17, 21 (CSEL 53, 119f.). Wiederholt weist Augustin darauf hin, daß die gegen die Donatisten erlassenen Gesetze nicht vollstreckt würden; selbst für schwere Gewalttaten wurden zumeist keine Körperstrafen oder gar die Todesstrafe verhängt; es blieb bei Geldbußen: C. Petil. 2, 83, 183 (CSEL 52, 113f.); Un. eccl. 20, 55 (CSEL 52, 303f.); Epist. 88, 7 (CSEL 34, 2, 413f.); 100, 2 (ibid. 537f.). 1359 Cod. Theod. 9, 7, 3 (= Cod. Iust. 9, 9, 30) (342 n. Chr.). 1360 Coll. Mos. 5, 3 (FIRA 2, 557); Cod. Theod. 9, 10, 4 (= Cod. Iust. 9, 12, 8) (390 n. Chr.). 1361 Hier., Epist. 92, 3; Pallad., Vita Ioh. Chrys. 6 (Malingrey – Leclercq 134/6); Euagr., Hist. eccl. 3,32 (Bidez – Parmentier 130f.); Proc., Hist. arc. 11, 34ff. Eine ähnliche Differenz zwischen Strafrecht und Strafpraxis läßt sich auch bei anderen Sexualdelikten beobachten. Ein Mann sollte (in justinianischer Zeit) wegen Vergewaltigung eines jungen Mädchens strafweise kastriert werden. Die Vergewaltigung zählte aber zu den Delikten, auf die selbstverständlich die Todesstrafe stand: Malalas 18, 150 (= Excerpa de insidiis 50, p. 175 de Boor). 1362 Lact., Mort. pers. 40 (Moreau 123f.); Firm., Math. 3, 11, 1; 3, 12, 19; 4, 13, 12; 4, 19, 23; Bas., Epist. 199, 34 (Courtonne 2, 161); Amm. 28, 1, 16; 28, 1, 28; 28, 1, 44f.; Joh. Chrys., Virg. 52, 7 (Musurillo - Grillet 296/8); Aug., In psalm. 139, 9 (CCL 40, 2017f.); Serm. 159, 6, 7 (PL 38, 871); Hier., Epist. 147, 4. 1363 Cod. Theod. 11, 36, 4 (339 n. Chr.). 1364 Cod. Iust. 9, 9, 29 (30), 4 (326 n. Chr.). 1365 Grodzynski 1984b, 393ff., v.a. 396. 1358 Aug.,
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eingenäht ertränkt. Auf Ehebruch stand als reguläre Strafe weiterhin lediglich die Enthauptung. Selbst diese wurde nicht in jedem Fall vollstreckt. Weiterhin ist nicht mit einer „flächendeckenden“ Verfolgung des Ehebruchs zu rechnen; er konnte nur selektiv und exemplarisch geahndet werden. Noch im 5. Jh. wurde ein Statthalter von Maiorian zurechtgewiesen, weil er einen Ehebrecher lediglich mit zeitlich begrenzter Verbannung (relegatio temporaria) bestraft hatte. Er hätte auf jeden Fall die schwerere Form der Verbannung, die deportatio, anordnen sollen: Von der Todesstrafe ist hier keine Rede. Nicht jeder Ehebruch wurde vor die Gerichte gebracht. Die Strafen waren so streng, daß mancher betrogene Ehemann vor den äußersten Konsequenzen einer Anklage zurückschreckte. Zahlreiche Klagen kamen vor den Bischof, wurden somit nicht nach weltlichem Recht geahndet. Gleichwohl zeitigte auch die exemplarische Bestrafung ihre Wirkung: Mochte die Wahrscheinlichkeit auch gering sein, daß man als Ehebrecher ertappt, dann angeklagt, inhaftiert und im äußersten Fall hingerichtet wurde, so war die Angst davor doch sehr groß. Ähnliches dürfte für die anderen Straftatbestände gegolten haben. Es wurden, wenn die Aufmerksamkeit des Kaisers aus irgendwelchen Gründen auf einen Mißstand fiel, äußerst strenge Strafen angedroht, aber sie wurden schwerlich kontinuierlich, über einen längeren Zeitraum hin vollstreckt. Nicht einmal jeder überführte Mörder wurde hingerichtet. Als im 6. Jh. der Bischof von Kyzikos auf der Agora von einigen Jugendlichen ermordet wurde, führte eine Senatskommission eine Untersuchung durch. Es konnten zwei Mitglieder der Circusparteien überführt werden, und es wurde vermutet, daß hinter der Ermordung Johannes der Kappadokier stand. Aber weder die Täter noch Johannes wurden zum Tode verurteilt: Den einen wurde die rechte Hand abgeschlagen, der andere wurde in die Verbannung nach Ägypten geschickt. Vielfach wurden die Täter nur zur Zwangsarbeit verurteilt. Athanasios beklagt sich darüber, daß ein ihm ergebener Hypodiakon namens Eutychios augepeitscht und zur Arbeit in einem Bergwerk verurteilt worden sei, und zwar in einem besonders berüchtigten Bergwerk, wo, wie es heißt, auch ein verurteilter Mörder nur wenige Tage leben könne. Diesem Beleg kommt eine große Bedeutung zu, läßt doch der en passant gezogene Vergleich deutlich werden, daß die Strafpraxis vielfach ganz anders aussah, als man sich dies nach einer Lektüre der juristischen Quellen vorstellen möchte. Augustin schildert die übliche Reaktion der Gemeinschaft auf einen 1366
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Joh. Chrys., In psalm. 7, 16 (PG 55, 105f.); Hier., Epist. 1, 3ff. Joh. Chrys., De perfecta caritate 8 (PG 56, 289f.). 1368 Nov. Maior. 9 (459 n. Chr.). 1369 Aug., In psalm. 139, 9 (CCL 40, 2017f.); Serm. 159, 6, 7 (PL 38, 871); Serm. Dolbeau 11, 13 (Dolbeau 66); Joh. Chrys., De Lazaro 1, 11 (PG 48, 979); In psalm. 7, 16 (PG 55, 105f.); 10, 3 (ibid. 143f.); Severianus, De mundi creatione 6, 6 (PG 56, 491f.). 1370 Proc., Bell. Pers. 1, 25, 37ff.; Hist. arc. 17, 38ff. Vgl. auch Malalas 18, 101, p. 483. 1371 Athanas., Hist. Arian. 60 (Athanasius, Werke 2, 216f.). Vgl. auch noch Aug., Epist. 133 (CSEL 44, 80ff.): Circumcellionen hatten zwei katholische Kleriker ermordet; auch in diesem Fall lehnte Augustin die von den Gesetzen an sich geforderte Todesstrafe ab; statt 1367
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Strafrecht und Strafpraxis
Mord: Man möchte den Täter nach Möglichkeit sofort aus der Stadt vertreiben. Von einer Hinrichtung ist nicht die Rede. Die Exkommunikationspraxis der Kirche, wie sie von Basilius von Caesarea beschrieben wird, weist darauf hin, daß bei weitem nicht jeder Mörder oder Totschläger vor ein weltliches Gericht kam bzw. zum Tode verurteilt wurde. Kleriker, die einen Mord begangen hatten, kamen mit einer Kirchenbuße davon, ebenso wie Angehörige der Oberschichten gute Chancen hatten, wegen Mordes bzw. Totschlages nicht mit dem Tod bestraft zu werden. Das Schwert galt auch in der Spätantike als Attribut des Richters schlechthin; er hatte die Macht, über Leben und Tod seiner Untertanen zu entscheiden. Aber die Statthalter machten von ihrer Amtsgewalt höchst unterschiedlich Gebrauch. In der modernen Forschung stehen sie (wie das Strafrecht insgesamt) im Ruf, grausam und brutal gewesen zu sein; die Richter hätten ihre Amtsgewalten ohne jedes Maß genutzt. Tatsächlich urteilten zahlreiche Amtsträger ausgesprochen zurückhaltend und strebten geradezu nach dem Ruf der Milde. Sie hatten in der Rechtsprechung einen sehr großen Spielraum: Manche Statthalter neigten zur Strenge, andere zur Milde, und es konnten unterschiedliche Motive die eine oder die andere Haltung bedingen. Die einen wollten durch ein bewußt mildes Auftreten sich die Zuneigung ihrer Untertanen gewinnen, die anderen durch grausame Strafen abschrecken. Als vorbildlich gelten Richter, die sich so viel Autorität wahrten, daß die Untertanen sich erst gar nicht getrauten, Straftaten zu begehen. Libanios spendet dem Andronicus das Lob, er habe nur wenige Hinrichtungen vollziehen lassen. Er habe deutlich gemacht, daß er die Ungerechtigkeit hasse, so daß die Angst die Untertanen nichts Verbrecherisches habe tun lassen. Hieraus läßt sich ersehen, welche Funktion die äußerst harten Strafen hatten: Sie waren nicht darauf angelegt, in großer Zahl vollstreckt zu werden, sondern dienten der Abschreckung; im äußersten Fall sollten durch die Verurteilung einiger weniger Täter die übrigen zur Räson gebracht werden. 1372
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dessen solle der Richter als Strafe lediglich die Zwangsarbeit verhängen. Cassiod., Var. 1, 18, 4 (CCL 96, 28): Verbannung. 1372 Aug., Serm. 9, 12 (CCL 41, 129/32). 1373 Bas., Epist. 188, 7 (Courtonne 2, 126); 217, 56f. (Courtonne, 2, 210f.). 1374 Soz., Hist. eccl. 4, 24, 7 (Bidez – Hansen 179). 1375 Lact., Inst. 6, 4, 20ff. (CSEL 19, 493f.); Firm., Math. 3, 4, 2; 3, 4, 13; 3, 4, 26; 3, 4, 28; 3, 4, 29; 3, 4, 33; 3, 5, 10; 3, 13, 9; 3, 13, 10; 4, 21, 2; 6, 23, 1; 8, 26, 4; 8, 26, 6; Eus., Vita Const. 3, 1, 7 (GCS, Winkelmann 81); Greg. Naz., Epist. 10, 6f. (Gallay 1, 14); Joh. Chrys., Daemones non gubernare mundum hom. 1, 5 (PG 49, 252). 1376 Lib., Or. 1, 115; Amm. 19, 12, 6; 21, 6, 9; 28, 4, 1. 1377 Vgl. Amm. 29, 2, 22ff. 1378 Amm. 19, 13, 2. 1379 Lib., Or. 62, 57.
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Zahlreiche Statthalter und hohe Amtsträger ließen die Todesstrafe überhaupt nicht oder nur sehr zögerlich vollstrecken. Sie hielten sich viel darauf zugute, eine unblutige Statthalterschaft geführt zu haben. Zumal christliche Provinzstatthalter weigerten sich, Körperstrafen und die Todesstrafe zu verhängen. Auch heidnische Statthalter hatten das Ideal einer unblutigen Statthalterschaft vor Augen. Der Heide Rutilius Namatianus rühmt sich, daß während seiner römischen Stadtpräfektur kein einziges Todesurteil gefällt worden sei. Man kann sich ausmalen, was es bedeutet, wenn in einer Großstadt von einigen Hunderttausend Einwohnern, wie sie Rom immer noch war, während eines geraumen Zeitraumes keine einzige Hinrichtung stattfand. Bereits in der hohen Kaiserzeit suchten manche Richter durch milde Urteile bei den Untertanen Popularität zu gewinnen. Gesetzgebung und Strafpraxis klafften auseinander. Diese Kluft wurde im Verlauf der Spätantike größer, in dem Maße, wie einerseits die Gesetze immer strenger wurden und wie andererseits zumindest ein Teil der Statthalter sich scheute, diese Gesetze anzuwenden, unter christlichem Einfluß oder einfach deswegen, weil sie nicht der Zuneigung ihrer Untertanen verlustig gehen wollten. Viele Statthalter gingen der Tätigkeit der Rechtsprechung nur widerwillig nach. In den kaiserlichen Erlassen wird immer wieder Klage geführt über die Nachlässigkeit der Amtsträger; die Statthalter zögen es vor, den ganzen Tag über als Zuschauer bei öffentlichen Spielen zu verweilen, um auf diese Weise Popularität beim Volk zu gewinnen, statt ihre Zeit der Rechtsprechung zu widmen. Die Rechtshistoriker haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Richter in der frühen Kaiserzeit in der sogenannten cognitio extra ordinem relativ frei in der Strafbemessung gewesen seien. In der Spätantike sei dies durch die Bindung der Richter an die Gesetze ersetzt worden. Sicher waren die Richter prinzipiell an die Vorgaben der Kaiser gebunden, an ihre Gesetze und Reskripte. Die Realität 1380
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Joh. Chrys., Stag. 1, 8 (PG 47, 445). Paul. Nol., Carm. 21, 374ff.; 395ff. (CSEL 30, 170f.); Auson. 20 (Mosella), 405f.; Lib., Or. 4, 36; 33, 41f.; 45, 27f.; 46, 9. 1382 Lact., Inst. 5, 11, 13 (CSEL 19, 435); Ambr., Epist. 50 (Migne 25), 3 (CSEL 82, 2, 56f.). 1383 Rut. Nam. 1, 159f. 1384 Dig. 48, 19, 11, pr. (Marcianus). 1385 Lib., Or. 33, 8; 45, 20ff. 1386 Cod. Theod. 1, 16, 9 (364 n. Chr.). Den Richtern wird geradezu Faulheit vorgehalten: Cod. Theod. 1, 5, 1 (325 n. Chr.); 1, 16, 12 (369 n. Chr.); 2, 1, 6 (385 n. Chr.); 1, 5, 9 (= Cod. Iust. 1, 26, 3) (389 n. Chr.). 1387 E. Levy, Gesetz und Richter im kaiserlichen Strafrecht. Erster Teil. Die Strafzumessung, BIDR 45, 1938, 57-166.; Ndr. in: ders., Gesammelte Schriften 2, Köln - Wien 1963, 433-508, 499ff.; de Robertis 1939, 250ff. Bedenkenswerte Argumente gegen Levy und de Robertis bei Bassanelli Sommariva 1996. 1388 Symm., Rel. 49, 4; Ambr., In psalm. 118 serm. 20, 36 (CSEL 62, 462); 20, 39, 1 (ibid. 463); Epist. 20 (Migne 77), 11 (CSEL 82, 1, 151f.); Aug., Vera relig. 31, 58 (CCL 32, 225). 1381
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Strafrecht und Strafpraxis
in den Provinzen sah aber vielfach anders aus. Die Kaiser konnten nicht davon ausgehen, daß die Strafen, wie sie von ihnen angeordnet worden waren, auch vollstreckt wurden. Die Richter, d.h. die Provinzstatthalter, sprachen teilweise strengere, häufig aber auch mildere Urteile aus, als nach der Rechtslage an sich geboten gewesen wäre. Vor der Publikation des Codex Theodosianus kannten die meisten Richter nur einen mehr oder weniger großen Ausschnitt aus der Kaisergesetzgebung. Sie urteilten nach den Konstitutionen, die ihnen bekannt waren oder die ihnen von der Anklage bzw. der Verteidigung bekannt gemacht wurden. Die kaiserlichen Edikte wurden zwar auf dem Forum publik gemacht. Aber wenn sie erst einmal im Archiv verschwunden waren, gerieten sie häufig genug sehr schnell in Vergessenheit. Es mochte Schwierigkeiten bereiten, sich den Text kaiserlicher Erlasse oder Gesetze, die einige Jahre zurücklagen, zu beschaffen. Die Publikation des Codex Theodosianus brachte Besserung. Aber für die Zeit vor 438 konnte eine allgemeine Kenntnis der kaiserlichen Erlasse nicht bei allen Richtern vorausgesetzt werden. Die kaiserlichen Konstitutionen deckten darüber hinaus bei weitem nicht den gesamten Bereich des Strafrechts ab. So enthält der Titulus Cod. Theod. 9, 5: Ad legem Iuliam maiestatis keinen einzigen kaiserlichen Erlaß, der die Straftat definieren oder exakte Strafen festlegen würde. Die Richter waren also auf die Sentenzen des Paulus und ähnliche Werke angewiesen, die die allgemeine Strafpraxis wiedergaben, aber selbst nicht verbindlich waren. Es genügt nicht, allein die Gesetze daraufhin durchzusehen, welche Strafen für dieses oder jenes Vergehen drohten, und sodann zu konstatieren, daß das Strafrecht in der Spätantike sehr viel härter und grausamer geworden sei. Man muß vielmehr nach der Strafpraxis fragen, denn die Gesetze und die Strafpraxis deckten sich keineswegs. Die Rechtsstatuten sagen an sich noch recht wenig über die Anwendung des Gesetzes aus. Spätantike Autoren weisen wiederholt darauf hin, daß die Richter die Möglichkeit hätten, das in den Gesetzen vorgesehene Strafmaß abzumildern. Sie ließen etwa geständigen Straftätern gegenüber Milde walten, waren also in der Lage, das Strafrecht flexibel zu handhaben. Man versuchte, vor einem Prozeß den Richter milde zu stimmen, durch Freunde oder Patrone. In Einzelfällen begnadigten Richter Verurteilte (wenngleich ihnen dies an sich nicht zustand). Libanios geht 1389
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Epist. 10*, 4 (CSEL 88, 48). Bassanelli Sommariva 1996, 46. 1391 Ambr., In psalm. 37, 51 (CSEL 64, 177). 1392 Ambr., Cain et Ab. 2, 9, 27 (CSEL 32, 1, 401f.); Joh. Chrys., Ad illuminandos catechesis 2, 4 (PG 49, 236f.). Vgl. hierzu auch Amm. 28, 1, 29: Zwei geständige Angeklagte werden durch die Zusage, sie würden nicht hingerichtet, dazu veranlaßt, weitere angebliche Mittäter zu benennen. Der Richter hält sich nicht an seine Zusage und läßt die beiden mit Bleipeitschen zu Tode prügeln. 1393 Joh. Chrys., Poenit. 7, 6 (PG 49, 332); Ad pop. Antioch. 8, 1 (PG 48, 98f.); Ad illuminandos catechesis 2, 4 (PG 49, 238); Ambr., In psalm. 118 serm. 20, 23 (CSEL 62, 457). 1394 Vita Symeon. Styl. 165 (van den Ven 1, 146/8). 1390
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so weit, zu behaupten, daß sich die Statthalter nicht an das Recht gebunden fühlten; sie handelten so, als ob sie selbst das Gesetz wären. Aus den wiederholten scharfen Ermahnungen der Kaiser, die Gesetze auch hinsichtlich des Strafmaßes exakt zu befolgen, läßt sich ersehen, daß sich viele Statthalter in ihrer Rechtsprechung kaum an die Gesetze hielten; die Kaiser beklagen immer wieder, daß ihre Anordnungen von den Richtern mißachtet würden, und drohen mit strengen Strafen. Die Kaiser konnten sich, was die Ausführung der von ihnen erlassenen Strafgesetze anbelangte, nur in höchst unzureichendem Maße auf die Richter verlassen. Als der spätere Kaiser Julian in Gallien weilte, beschwerten sich die Eltern eines entführten Mädchens bei ihm, weil der Entführer von Julian nur mit der Verbannung, nicht mit dem Tod bestraft worden war, wie dies die Gesetze vorsahen. Da die meisten Strafverfahren öffentlich stattfanden, konnte ein Mißbrauch der dem Statthalter zu Gebote stehenden Amtsvollmachten nicht unbemerkt bleiben. In aller Regel dürfte dies zur Zurückhaltung der Amtsträger bei der Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen geführt haben. Insbesondere Konstantin legte auf die Öffentlichkeit der Prozesse Wert; er sah hierin auch eine Möglichkeit, die Richter, d.h. die Provinzstatthalter, zu kontrollieren. Zwar fanden Verfahren 1395
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Lib., Or. 50, 18f. Dies ist freilich eine sehr einseitige Behauptung. Es wird sich im weiteren zeigen, daß gerade die spätantiken Provinzstatthalter vielfältiger Kontrolle (durch die Zentralregierung, die mächtigen Provinzaristokraten, den Bischof, aber auch die einfache Bevölkerung) unterworfen waren, so daß sie kaum in der Lage waren (was Libanios ihnen hier in rhetorischer Manier vorhält) eine Willkürherrschaft zu entfalten. 1396 Cod. Theod. 16, 10, 4 (= Cod. Iust. 1, 11, 1) (346 [354?] n. Chr.); 9, 17, 2 (= Cod. Iust. 9, 19, 3) (349 n. Chr.); 1, 2, 7 (356 n. Chr.); Cod. Iust. 4, 63, 2 (374 n. Chr.?); Cod. Theod. 7, 18, 4 (380 n. Chr.); 9, 10, 4 (= Cod. Iust. 9, 12, 8) (390 n. Chr.); 16, 10, 12 (392 n. Chr.); 16, 10, 13 (395 n. Chr.); 16, 6, 4 (405 n. Chr.); 16, 5, 40 (vgl. auch Cod. Iust. 1, 5, 4) (407 n. Chr.); Const. Sirmond. 14 (vgl. auch Cod. Theod. 16, 2, 31; 16, 5, 46; Cod. Iust. 1, 3, 10) (409 n. Chr.); Cod. Theod. 16, 5, 65 (vgl. Cod. Iust. 1, 5, 5; 1, 6, 3) (428 n. Chr.); Nov. Val. 17, 3f. (445 n. Chr.); Nov. Val. 23, 7 (447 n. Chr.). Vgl. ferner Coll. Avellana 13 (CSEL 35, 1, 54ff.); 31 (ibid. 76/8). Possid., Vita Aug. 12, 7ff. (Bastiaensen 160): Dem Donatistenbischof Crispinus war auf Intervention Augustins hin die für Häretiker übliche Buße von 10 Pfund Gold erlassen worden. Gleichwohl hatte Crispinus an den Kaiserhof appelliert. Hier war die Strafe von 10 Pfund erneuert worden, und mit dieser Geldbuße wurden nun auch der Statthalter und sein officium belegt, weil sie das Geld von Crispinus nicht eingetrieben hatten. 1397 Amm. 16, 5, 12. 1398 Dionisotti 1982, 104f. (§§ 71ff.); Amm. 18, 1, 4; Paul. Med., Vita Ambr. 7, 1 (Bastiaensen 60/2); Joh. Chrys., De incomprehensibili dei natura 4, 4 (PG 48, 733); Adv. Iudaeos 5, 4 (PG 48, 889); De Lazaro 4, 1 (PG 48, 1007f.); Ad pop. Antioch. 10, 1 (PG 49, 111f.); De cruce et latrone 2, 4 (PG 49, 414); In Heliam et viduam 3 (PG 51, 340); In gen. hom. 17, 3 (PG 53, 137); 17, 6 (ibid. 142); In Isaiam 6, 2 (PG 56, 69); Proc., Hist. arc. 16, 23ff.; Malalas 15, 14, p. 389; 18, 101, p. 483; Chronicon Paschale, ad ann. 465, p. 594. 1399 Cod. Theod. 1, 12, 1 (315 [313] n. Chr.); 1, 16, 6 (= Cod. Iust. 1, 40, 3) (331 n. Chr.); 1, 16, 9 (364 n. Chr.).
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auch im sogenannten secretarium des Provinzstatthalters statt, zu dem ausgewählte Personengruppen, officiales und honorati, bevorzugt Zugang hatten und in welches sich ein Teil der richterlichen Aktivitäten der Statthalter verlagert zu haben scheint. Aber auch Gerichtssitzungen im secretarium schlossen eine Öffentlichkeit des Verfahrens nicht aus. Denn in aller Regel zog sich der Richter (mit seinen Beisitzern) nur zur Formulierung des Urteils hierhin zurück; der Prozeß selbst war weiterhin zumeist öffentlich. Die in der juristischen Literatur vielfach vertretene Auffassung, daß an die Stelle der öffentlichen Gerichtsverfahren die Prozesse hinter verschlossenen Türen getreten seien, ist also zurückzuweisen. Die Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens hatte zur Konsequenz, daß das Volk auch durch seine Zurufe auf den laufenden Gang des Verfahrens Einfluß nehmen konnte. Die Amtsträger hatten in ihrer laufenden Amtsführung, und das heißt auch in ihrer Rechtsprechung, auf die Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Für die weitere Karriere war es wichtig, daß die Provinzialen ihre Zufriedenheit mit der Amtstätigkeit bekundeten. Die Akklamationen des Volkes fanden am Kaiserhof Beachtung: Konstantin ermunterte das Volk, in Akklamationen die Statthalter zu loben oder zu tadeln. Über deren Inhalt sollte der Kaiser durch die Prätorianerpräfekten bzw. die comites informiert werden. 371 erhielten die Provinzialen sogar durch Gesetz die Möglichkeit, die Staatspost zu benutzen (evectio), um den Kaiserhof von ihren Akklamationen in Kenntnis zu setzen. Insbesondere Libanios läßt deutlich werden, in welchem Maße Statthalter und andere Amtsträger sich von den Akklamationen des Volkes beeinflussen ließen. Die Öffentlichkeit der 1400
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Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 13, 1 (PG 49, 136ff.). Zum secretarium vgl. Lact., Mort. pers. 15, 5 (Moreau 93); Cod. Theod. 2, 1, 8 (= Cod. Iust. 8, 4, 8; 9, 2, 16; 9, 37, 1) (395 n. Chr.); Johannes Lydus, De magistratibus 3, 27. Zum privilegierten Zugang zum secretarium des Richters und zur Beisitzertätigkeit vgl. Cod. Theod. 6, 26, 5 (= Cod. Iust. 1, 48, 3) (389 n. Chr.); 6, 26, 7 (396 n. Chr.); 6, 26, 16 (= Cod. Iust. 12, 19, 5) (413 [410?] n. Chr.); 1, 20, 1 (= Cod. Iust. 1, 45, 1) (408 n. Chr.). 1401 Cod. Theod. 1, 16, 9 (364 n. Chr.). 1402 Checchini 1923/4, 168ff. (Ndr.). 1403 Santalucia 1993, 1043f. Widerlegt wurde dies bereits von Checchini 1923/4, 123ff. (Ndr.). 1404 Aug., Epist. 43, 5, 14 (CSEL 34, 2, 96f.); Checchini 1923/4, 159ff. (Ndr.). 1405 Amm. 18, 6, 1f.; 28, 4, 33; 30, 5, 8ff. 1406 Cod. Theod. 1, 16, 6 (= Cod. Iust. 1, 40, 3) (331 n. Chr.). 1407 Cod. Theod. 8, 5, 32 (= Cod. Iust. 12, 50, 6) (371 n. Chr.). Vgl. hierzu auch Symm., Rel. 24, 3; Coll. Avellana 14 (CSEL 35, 1, 59f.). 1408 Lib., Or. 26, 8; 33, 11f. Vgl. ferner Or. 41, 2f.; 41, 10; 41, 12; 46, 6; 46, 17; 46, 39; 54, 54; 56, 1; Liebeschuetz 1972, 208ff.; 278ff.
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Strafprozesse wie auch der anschließenden Exekution hatte zur Folge, daß sich der Wille des Volkes nicht ganz und gar ignorieren ließ. Wie wir bereits gesehen haben, weckten Hinrichtungen bei der Bevölkerung ambivalente Gefühle, und es kam Mitleid mit den Delinquenten auf. Eine übergroße Anzahl von Hinrichtungen konnte zu Protesten oder doch zumindest zum Unmut in der Bevölkerung führen. Die Bevölkerung verehrte die Gräber von ihres Erachtens zu Unrecht Hingerichteten. Im äußersten Fall, zumal bei politisch bzw. religiös motivierten Verfahren, griff die Bevölkerung ein, bzw. es bestand die Gefahr, daß dies passieren würde. Als die Rädelsführer des Aufruhrs von 387 in Antiochia zur Hinrichtung geführt wurden, war eine starke Präsenz von Soldaten gegeben. Man befürchtete, das Volk könne die Verurteilten zu befreien versuchen. Als Marinus, der comes Africae, 413 den Aufstand des Heraclianus niedergeschlagen hatte, ließ er in Karthago zusammen mit dem Anführer des Aufruhrs auch Marcellinus (sowie dessen Bruder Caecilianus) hinrichten. Nach deren Verhaftung verbreitete sich das Gerücht, eine von der Kirche aufgestellte Schar (ecclesiastica manus) wolle die beiden aus der Haft befreien. Dies war freilich nicht gleichbedeutend damit, daß die staatliche Strafjustiz in Frage gestellt wurde. Das Volk akzeptierte die Inhaftierung und Hinrichtung von Mördern und Räubern und äußerte auch seine Zustimmung. 523 wurde in Konstantinopel eine größere Zahl von Unruhestiftern und Kriminellen (lapidatores, percussores urbisque depopulatores) hingerichtet. Der Chronist Marcellinus überliefert, daß diese Hinrichtungen die Zustimmung jedenfalls „der guten Bürger“ gefunden hätten. Gewöhnliche Straftäter wie Mörder, Diebe, Räuber fanden bei 1409
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Lib., Or. 11, 155f.; Claud., Cons. Stil. 3, 99ff.; Soz., Hist. eccl. 6, 14, 1ff. (GCS, Bidez – Hansen 255); Malalas 14, 38, p. 369f.; Chronicon Paschale, ad ann. 467, p. 595f.; Theophanes, Chron. A.M. 5960 (de Boor, 1, 115); Proc., Hist. arc. 9, 39ff.; 16, 18ff.; 16, 23ff.; Malalas 16, 4, p. 394f. 1410 Joh. Chrys., Stag. 2, 9 (PG 47, 462); Adv. Iudaeos 1, 4 (PG 48, 849); In gen. serm. 5, 4 (PG 54, 603f.); Agathias 4, 11. 1411 Amm. 29, 1, 41. 1412 Amm. 27, 7, 5ff. 1413 Lact., Mort. pers. 39, 5 und 40 (Moreau 123f.); Amm. 14, 2, 1ff.; 15, 7, 1f.; Coll. Avellana 1, 6 (CSEL 35, 1, 2f.); Joh. Chrys., De incomprehensibili Dei natura 3, 7 (PG 48, 726); In Iuventinum et Maximinum martyres 2f. (PG 50, 574ff.); Rufin., Hist. eccl. 11, 18 (GCS 9, 2, 1022f.); Soz., Hist. eccl. 7, 25, 3ff. (GCS 50, Bidez - Hansen 339); Proc., Hist. Pers. 1, 24, 7ff. 1414 Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 3, 6 (Migne 49, 56). 1415 Aug., Epist. 151, 5 (CSEL 44, 385f.); hierzu vgl. auch Oros., Hist. 7, 42, 16f. 1416 Joh. Chrys., In Matth. hom. 36 (37), 4 (PG 57, 418); Hier., Tract. in psalm. 98, 4 (CCL 78, 170f.). 1417 Marcell., Chron. II p. 102, 523. Als in der Mitte des 5. Jh. der comes Galliae Agrippinus wegen angeblicher Kollaboration mit den Barbaren vom Kaiser zum Tode verurteilt und ins Gefängnis geworfen wurde; frohlockte die Volksmenge zunächst über das Todesurteil: Vitae patr. Iurens. (Vita Lupicini) 96ff. (Martine 342ff.). Reaktion des Volkes: ibid.
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der Bevölkerung keine Sympathien. Es wurden Proteste gegen eine zu milde Bestrafung oder einen Freispruch laut. Diokletian sah sich veranlaßt, klarzustellen, daß der Richter auf das Geschrei des Volkes nicht hören solle, weder wenn es fordere, einen Schuldigen freizusprechen, noch wenn es verlange, daß ein Unschuldiger verurteilt werde. Der Text läßt deutlich werden, daß es schwer fallen mochte, ein unabhängiges Urteil zu fällen; die Zuschauer hatten keine Hemmungen, sich während des Verfahrens lauthals zu Wort zu melden. In anderen Fällen führten überhaupt erst Demonstrationen der Bevölkerung zu einer Inhaftierung und einem Gerichtsverfahren. Als ein Mordanschlag auf den Bischof von Konstantinopel, Johannes Chrysostomos, aufgedeckt wurde, verlangte die Bevölkerung die Inhaftierung und Bestrafung des Attentäters und seiner Hintermänner. Der Stadtpräfekt nahm den Mann in Haft und besänftigte hierdurch die erregte Menge. Als sich nach der Ermordung des angesehenen Hypatios in der Hagia Sophia bei der Bevölkerung Unruhe breitmachte, erteilte Justinian Theodotos, dem amtierenden Stadtpräfekten, den Befehl, energisch die von den Mitgliedern der Circusparteien verübten Straftaten zu ahnden. Auch ein so autokratischer Herrscher wie Justinian mußte auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, und diese verlangte in diesem Fall ein hartes Durchgreifen. In Konstantinopel kam es unter Tiberius II. zu schweren Unruhen, als die Bevölkerung den Eindruck hatte, es werde gegen die Heiden nicht mit der erforderlichen Härte durchgegriffen. Die Demonstranten drängten auf Hinrichtungen. Dieser sowie andere Fälle von Volksjustiz, die im Zusammenhang mit religiösen oder politischen Unruhen standen, sind sicher nicht in jeder Hinsicht für das Verhalten des Volkes gegenüber Straftätern repräsentantiv. Sie zeigen aber, daß die Todesstrafe keineswegs generell abgelehnt wurde. Es gab also keinen Widerspruch zwischen 1418
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101. Im Merowingerreich war es vielfach das einfache Volk, welches auf die Hinrichtung von Straftätern drängte: Greg. Tur., Franc. 6, 8. 1418 Aug., Serm. 9, 12 (CCL 41, 131). 1419 Lib., Or. 46, 5f.; 7ff.; 17f.; 31f.; 39. 1420 Cod. Iust. 9, 47, 12 (Diokletian). 1421 Soz., Hist. eccl. 8, 21, 6ff. (GCS, Bidez – Hansen 278). 1422 Proc., Hist. arc. 9, 35ff.; vgl. PLRE II, s.v. Theodotus 11. 1423 Euagr., Hist. eccl. 5, 18 (Bidez – Parmentier 212/4). Vgl. auch Johannes von Ephesos, Kirchengeschichte 3, 30f. (Übersetzung Schönfelder 125/8); 5, 17 (ibid. 208f.). 1424 Soz., Hist. eccl. 5, 9 (GCS, Bidez - Hansen 204/6); 5, 10, 8ff. (ibid. 207f.); Hist. aceph. 2, 6ff. (Martin 146/8); Amm. 14, 7, 15ff.; Lib., Or. 19, 47; Chronicon Paschale, ad ann. 465, p. 594; Marcell., Chron. II p. 88f., 465, 1. 1425 Daß der Großteil der Bevölkerung die staatliche Justiz akzeptierte, wird auch an der kritischen Einstellung weiter Teile der Öffentlichkeit zum Kirchenasyl deutlich. Augustin muß sich vor seiner Gemeinde dafür rechtfertigen, daß er nach einem Aufruhr in Hippo Regius, bei dem ein staatlicher Funktionär ums Leben gekommen war, den Tätern in der Kirche Schutz gewährt hatte: Die Kirche müsse auch den Schuldigen offenstehen, denn wenn man ihnen das Asyl verwehren oder den Behörden gestatten würde, sie aus der Kirche mit Gewalt herauszuholen, so würden auch die Unschuldigen keinen Schutz mehr
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dem Rechtsempfinden des Volkes und dem staatlichen Recht. Die Bewohner der spätantiken Städte und Dörfer mochten im Einzelfall Straftäter, mit denen sie persönlich bekannt waren, unterstützen. Aber im großen und ganzen akzeptierten sie die Legitimität der von den Behörden verhängten Strafen. Die Bevölkerung war aber kein unbeteiligter Zuschauer. Sowohl die Prozesse wie auch der Vollzug der Strafmaßnahmen (einschließlich der Hinrichtungen) waren öffentlich. Die einfachen Leute entwickelten ihre eigenen Vorstellungen, wie ein gerechtes Urteil auszusehen habe, und protestierten gegen Urteile, die ihrem Rechtsempfinden widersprachen. Der Staat war nicht so autoritär, daß die Reaktionen der Öffentlichkeit ganz hätten ignoriert werden können. Das gemeine Volk war ein Machtfaktor, und es reagierte auch auf die Rechtsprechung der Statthalter. Bereits beim Amtsantritt eines neuen Statthalters wurde danach gefragt, wie er die Rechtsprechung handhabe, d.h. etwa konkret, wie leicht und wie häufig er Inhaftierungen anordne. Ähnlich wichtig für das Image eines Statthalters war die Zahl der von ihm angeordneten Hinrichtungen: Das Volk lehnte die Todesstrafe nicht ab; aber es achtete darauf, daß Maß gehalten wurde. Ein Statthalter konnte sich über die öffentliche Meinung ohne weiteres hinwegsetzen. Aber die meisten Amtsträger taten dies nicht: Sie waren an der Mehrung ihres Sozialprestiges interessiert: Und hier spielten Ehrungen, Statuen, Akklamationen eine ganz gewichtige Rolle. Die staatlichen Beamten machten mithin von ihren nahezu unbeschränkten Amtsvollmachten sehr viel maßvoller Gebrauch, als gemeinhin in der Forschung angenommen wird. Ein weiterer Faktor hierbei war die Rolle des Christentums. Die staatliche Justiz wurde zwar keineswegs in Frage gestellt. Aber auch jetzt noch standen viele christliche Autoren dem Staat und seinen Organen mit einer gewissen Reserve gegenüber: Sie entwerfen ein abstoßendes Bild von den Statthaltern und Richtern, die foltern und ihre Opfer ins Gefängnis werfen lassen. Es wurde darüber diskutiert, ob Amtsträger, die die Todesstrafe verhängt hatten, von der Kommunion auszuschließen seien. Diese Frage wurde von den meisten Autoren zwar verneint, 1426
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in der Kirche finden: Aug., Serm. Guelf. 25 (PLS 2, 608f.); vgl. hierzu auch Serm. 302, 16, 15 – 23, 21 (PL 38, 1391/3). 1426 Lib., Or. 46, 3. 1427 Krause 1987b, 25ff., v.a. 37f. 1428 Joh. Chrys., Oppugn. 3, 10 (PG 47, 364f.); Ad pop. Antioch. 6, 1 (PG 49, 81f.); 13, 4 (ibid. 111); 15, 1 (ibid. 153/5); In Matth. hom. 23 (24), 1 (PG 57, 307); Aug., Civ. 19, 6; Serm. 302, 18, 16 (PL 38, 1391); Serm. Dolbeau 2, 17 (Dolbeau 340). 1429 Toscano 1995; Krause 1996, 196ff. 1430 Conc. Arelatense (314 n. Chr.), C. 7f. (CCL 148, 6; vgl. auch ibid. 10); Aug., Epist. 47, 5 (CSEL 34, 2, 135f.). Ambrosius wollte angeblich dadurch, daß er als Statthalter der Provinz Aemilia-Liguria Angeklagte foltern ließ, seiner Wahl zum Bischof von Mailand entgehen: Paul. Med., Vita Ambr. 7, 1 (Bastiaensen 60/2). 1431 Innocent., Epist. 6, 3, 7f. (PL 20, 499).
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aber die Diskussion an sich ist ein bezeichnendes Indiz dafür, wie groß das Mißbehagen der Christen gegenüber Beamten war, die lediglich die Gesetze ausführten. Noch in der Mitte des 5. Jh. wurde einem gallischen Bischof nicht nur zum Vorwurf gemacht, daß er eine Witwe geheiratet hatte (was Bischöfen untersagt war), sondern daß er darüber hinaus, bevor er Bischof geworden war, als staatlicher Amtsträger Todesurteile verhängt hatte. Mehrheitlich wurde die Todesstrafe in christlichen Kreisen zwar als notwendiges Übel akzeptiert. Nichtsdestotrotz bestanden weiterhin allergrößte Bedenken gegen deren Vollstreckung. Laktanz ist der Ansicht, daß sogar berechtigte Anklagen, wenn sie auf Todesstrafen hinauslaufen, gegen das fünfte Gebot verstoßen. Autoren wie Basilius und Augustin rechtfertigen die Übung, auch Personen, die sich schwerer Straftaten wie Mord oder Ehebruch schuldig gemacht haben, nur unter vier Augen zurechtzuweisen, auf daß nicht durch öffentliche Rügen die Gefahr bestehe, daß sie vor Gericht gebracht und ggf. zum Tode verurteilt würden. Nach Libanios behaupteten die Christen, es sei nicht ihre Art, jemanden der Todesstrafe zu überantworten, selbst für die schlimmsten Verbrechen. Johannes Chrysostomos verhinderte die Folterung und Bestrafung eines gegen ihn gedungenen Attentäters. Und die Statthalter und höheren Amtsträger wurden immer wieder ermahnt, von ihrer Amtsgewalt äußerst zurückhaltend Gebrauch zu machen, d.h. insbesondere die Todesstrafe nach Möglichkeit überhaupt nicht oder 1432
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Honorat., Vita Hil. Arel. 21 (Jacob 136/8). Die Ablehnung der Todesstrafe findet sich noch bei dem Häretiker Pelagius: Pelag., Div. 6, 2 (PLS 1, 1385f.); hierzu Toscano 1995, 606ff. 1433 Greg. Naz., Epist. 10, 6f. (Gallay 1, 14); Or. 19, 11 (PG 35, 1056f.); 40, 19 (Moreschini - Gallay 238/40); Hier., In Ier. 4, 35 (CCL 74, 200/2); Tract. in psalm. 98, 4 (CCL 78, 170f.); 82, 18 (ibid. 389); Val. Cem., Hom. 1, 2 (PL 52, 692f.). Auch Priscillian, der selbst unter dem Vorwurf der Magie hingerichtet wurde, lehnte die Anwendung der Todesstrafe gegen Magier nicht ab: Priscill., Tract. 1, 28 (CSEL 18, 23f.). 1434 Paul. Pell. 328ff.; Greg. Tur., Glor. mart. 72 (MGH, SRM 1, 536f.). 1435 Lact., Inst. 6, 20, 15ff. (CSEL 19, 558); Epit. 59, 5 (ibid. 744). Diese Auffassung spiegelt sich auch in einem Kanon des Konzils von Elvira: Wenn jemand durch seine Anklage Schuld daran trägt, daß ein Dritter hingerichtet wird, so soll er auf fünf Jahre exkommuniziert werden: Conc. Elv. 73 (Vives 14); vgl. auch C. 74 (ibid. 14). 1436 Bas., Epist. 199, 34 (Courtonne 2, 161); Aug., Serm. 82, 8, 11 (PL 38, 511f.). 1437 Lib., Or. 30, 20. 1438 Soz., Hist. eccl. 8, 21, 5 (GCS, Bidez – Hansen 277f.).
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doch nur selten zu verhängen.. Viele christlich geprägte Statthalter hielten sich etwas darauf zugute, keine Todesurteile vollstreckt zu haben. Vielfach intervenierten Kleriker bei Amtsträgern zugunsten von Straftätern bzw. Angeklagten, zumal wenn ihnen die Todesstrafe drohte. Bischöfe und Kleriker 1439
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Epist. 50 (Migne 25), 3 (CSEL 82, 2, 56f.). Die Hinrichtung der Priszillianisten wird von Ambrosius abgelehnt; Kleriker und Bischöfe dürften keine Anklagen anhängig machen, die die Todesstrafe zur Folge haben könnten. Auf der anderen Seite wird die Todesstrafe aber grundsätzlich gebilligt; den staatlichen Richtern sei propter custodiam legum das Schwert in die Hand gegeben: Epist. 30 (= Migne 24), 12 (CSEL 82, 1, 214f.); 50 (Migne 25) (CSEL 82, 2, 56/9); 68 (Migne 26), 3 (ibid. 169f.). Andernorts setzt Ambrosius jeweils unterschiedliche Akzente. Skepsis gegenüber der Todesstrafe: Cain et Ab. 2, 9, 38 (CSEL 32, 1, 408f.); Iac. 3, 10 (CSEL 32, 2, 10f.); Billigung des Kampfes gegen das Verbrechen (bis hin zur Befürwortung der Todesstrafe) dagegen: In psalm. 118 serm. 11, 23 (CSEL 62, 248); Cain et Ab. 2, 9, 35 (CSEL 32, 1, 406f.). - Im wesentlichen auf derselben Linie wie Ambrosius liegt Augustin: Er akzeptiert die Todesstrafe, mahnt aber, sie nicht leichthin anzuwenden: Aug., Civ. 1, 21; 21, 11; Serm. 13, 8f. (CCL 41, 182f.); 302, 11, 10 – 14, 13 (PL 38, 1389f.); 302, 18, 16 (ibid. 1391); Epist. 47, 5 (CSEL 34, 2, 135f.), Ord. 2. 4, 12 (CCL 29, 114); Lib. arb. 1, 9, 24f. (CCL 29, 215f.); Quaest. hept. 2, 39 (CSEL 28, 2, 112f.); 4, 65 (ibid. 369f.); 5, 45 (ibid. 403). Augustin und die Todesstrafe: H.A. Deane, The Political and Social Ideas of St. Augustine, New York – London 1963, 134ff.; H. Cancik, Christentum und Todesstrafe. Zur Religionsgeschichte der legalen Gewalt, in: H. von Stietencron (Hrsg.), Angst und Gewalt. Ihre Präsenz und ihre Bewältigung in den Religionen, Düsseldorf 1979, 213-251., v.a. 226ff. Die Anwendung der Todesstrafe gegenüber angeklagten Donatisten und Circumcellionen lehnte Augustin ab, auch wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig gemacht hatten: Epist. 100 (CSEL 34, 2, 535ff.); 133 (CSEL 44, 80ff.); 139, 2 (ibid. 150ff.). 1440 Paul. Nol., Carm. 21, 374ff.; 395ff. (CSEL 30, 170f.); Auson. 20 (Mosella), 405f.; Lib., Or. 4, 36; 33, 41f.; 45, 27f.; 46, 9. 1441 Greg. Naz., Epist. 77 (Gallay 1, 95ff.); 78 (ibid. 98f.); 129 (Gallay 2, 18f.); 142 (ibid. 33); 143 (ibid. 34); 150 (ibid. 42); 151 (ibid. 43); Or. 33, 5 (Moreschini - Gallay 168); Bas., Epist. 112 (Courtonne 2, 13ff.); Ambr., Epist. 26 (Migne 54), 1 (CSEL 82, 1, 179); 74 (Migne 40), 25 (CSEL 82, 3, 70); Epist. extra coll. 1a (Migne 40), 25 (ibid. 174); Paul. Med., Vita Ambr. 31, 4f. (Bastiaensen 92/4); 37 (ibid. 100); Soz., Hist. eccl. 7, 25, 10ff. (GCS, Bidez – Hansen 340); Sulp. Sev., Dial. 1 (2, 7) (CSEL 1, 188f.); 2 (3), 4 (ibid. 201f.); 2 (3), 11 (ibid. 208f.); 2 (3), 13 (ibid. 210f.); Hier., Epist. 1, 12ff.; 52, 11; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 21, 1 (PG 49, 212f.); Pallad., Vita Ioh. Chrys. 16 (Malingrey Leclercq 304/6); Aug., Serm. 161, 4, 4 - 5, 5 (PL 38, 879f.); Epist. 100 (CSEL 34, 2, 535ff.); 105, 4 (ibid. 597f.); 133 (CSEL 44, 80ff.); 134 (ibid. 84ff.); 139, 2 (ibid. 150ff.); 185, 7, 25f. (CSEL 57, 23ff.); 20*, 29, 4 (CSEL 88, 110); In evang. Ioh. 25, 10 (CCL 36, 252f.); C. Cresc. 3, 46, 50 - 48, 52 (CSEL 52, 457ff.); Possid., Vita Aug. 12, 7ff. (Bastiaensen 160); 20, 1f. (ibid. 182); Rec. eccl. Carthag. excerpta 93 (Conc. Carthag. 404) (CCL 149, 212); Gesta conlationis Carthaginiensis 3, 162 (Lancel 3, 1112); Cod. Theod. 9, 40, 24 (= Cod. Iust. 9, 47, 25) (419 n. Chr.); Philostorg., Hist. eccl. 9, 6 (GCS, Bidez - Winkelmann 118); Sidon., Epist. 7, 9, 9; Theodoret., Hist. rel. 1, 7 (Canivet Leroy-Molinghen 1, 172/4); Epist. 11 (Azéma 1, 83); 15 (ibid. 86f.); Ruric., Epist. 2, 52, 3ff. (MGH, AA 8, 345f.); Cassiod., Var. 9, 17 (CCL 96, 365f.); Cyrill. Scyth., Vita Euthym. 34 (Schwartz 52f.); Greg. M., Epist. 1, 59 (CCL 140, 70); Greg. Tur., Franc. 4,
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werden von Ambrosius dazu aufgefordert, durch ihre Interzessionen Angeklagte vor dem Tod zu retten. Kleriker sollten nicht bei Geldstreitigkeiten intervenieren, wohl aber dann, wenn das Leben des Angeklagten auf dem Spiel stehe. Diese Funktion wurde ihnen auch vom Gesetzgeber zugestanden. Ein Gesetz aus dem Jahre 419 beklagt, daß vor allem humiliores leichthin inhaftiert würden. Viele würden nur deshalb ins Gefängnis gebracht, damit sie keine Möglichkeit mehr hätten, sich an den Richter zu wenden. Die Kleriker sollen die Gefängnisse besuchen und den Häftlingen gemäß der Rechtslage mit ihren Interventionen beim Richter beistehen. Die Interventionen kirchlicher Würdenträger fanden in der Bevölkerung nicht ungeteilte Zustimmung. Es ist nach Ansicht des Ambrosius gut, Verurteilte vor dem Tod zu retten; man soll aber darauf achten, nicht die öffentliche Ordnung zu stören. Von kirchlichen Interventionen sollten daher nicht Kriminelle profitieren, sondern lediglich zu Unrecht Verurteilte. Dies war eine wichtige Einschränkung des kirchlichen Interzessionsrechtes: Die staatliche Strafgerichtsbarkeit einschließlich der Todesstrafe wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Augustin rechtfertigt die bischöflichen Interzessionen. Zwar räumt er die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit staatlicher Zwangsmittel, darunter der Todesstrafe und der Folter, ein. Auf der anderen Seite betont er aber auch die Legitimität bischöflicher Interventionen, auch auf die Gefahr hin, daß der eine oder andere Straftäter nach seiner Befreiung noch schlimmere Straftaten begeht oder daß andere, sich die Straflosigkeit vor Augen haltend, zu Verbrechen verleitet werden. Radikale Positionen wurden zum Teil von den Mönchen vertreten; selbst Mörder waren sie nicht bereit den Staatsorganen zu überantworten. 1442
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4; 7, 15. Zu den bischöflichen Interventionen vgl. auch Brown 1995, 135ff.; Krause 1996, 325f. 1442 Ambr., Off. 2, 9, 59; In psalm. 118 serm. 8, 41 (CSEL 62, 175f.). 1443 Const. Sirmond. 13 (419 n. Chr.). 1444 Ambr., Off. 2, 21, 102; vgl. auch noch In Luc. 5, 40 (CSEL 32, 4, 197). Nach Gregor dem Großen ist die kirchliche Hilfe nicht auch offenkundigen Straftätern (Dieben etwa) zu gewähren, damit der Ruf der Kirche keinen Schaden leidet: Greg. M., Epist. 9, 80 (CCL 140A, 634). 1445 Aug., Epist. 153, 1 (CSEL 44, 395/7); 16ff. (ibid. 413ff.). Vgl. auch Epist. 152 (ibid. 393ff.). 1446 Apophthegmata patrum, Alonios 4 (67) (PG 65, 133). Mönche, die überfallen oder bestohlen worden waren, weigerten sich, die Übeltäter den Behörden auszuliefern: Johannes von Ephesos, Hist. beat. orient. 36 (Brooks, PO 18, 635ff.); Vita des Isauriers Konon 11 (F. Halkin, Vie de S. Conon d’Isaurie, Analecta Bollandiana 103, 1985, 5-34, 14/6); 12 (ibid. 16); Joh. Mosch., Prat. spir. 211 (PG 87, 3, 3101/4); Apophthegmata patrum, Poimen 90 (46) (PG 65, 344). - Im 5./6. Jh. scheint sich dann in der Einstellung sowohl der Kleriker wie der Mönche gegenüber der staatlichen Strafjustiz ein Wandel vollzogen zu haben. Schenute forderte einen Raubmörder, der ihm sein Verbrechen gebeichtet hatte, dazu auf, sich dem Militärbefehlshaber (dux), der in einer benachbarten Stadt zur Aburteilung weiterer Diebe weilte, zu stellen. Der Mann wurde hingerichtet. Selbst die
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Interventionen von Mönchen in die staatliche Strafpflege sind in großer Zahl bezeugt. Zumindest in Einzelfällen kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen mit dem Ziel, Gefangene zu befreien. Urteile konnten nicht vollstreckt werden, weil Kleriker oder Mönche die Beamten durch die Entführung von rechtskräftig verurteilten Gefangenen an der Ausführung der Urteile hinderten. Es ist schwer auszumachen, inwieweit die radikalen Positionen, nach denen Straftäter am besten überhaupt nicht den Behörden zu überantworten waren, auf weitere Kreise der christlich beeinflußten Öffentlichkeit ausgestrahlt haben. In der Kirche Zuflucht zu suchen, war für den Beschuldigten ein Weg, eine außergerichtliche Einigung mit dem Kläger herbeizuführen. Das Kirchenasyl konnte aber auch dem Zweck dienen, die staatlichen Organe dazu zu bewegen, entweder auf die Strafverfolgung ganz zu verzichten oder doch zumindest eine mildere Strafe zu verhängen als vom Gesetz vorgesehen. Stilicho ließ 396 einen gewissen Cresconius, der zum Altar der Hauptkirche von Mailand geflohen war, obwohl sich Ambrosius und seine Kleriker schützend um ihn scharten, durch einen Trupp Soldaten mit Gewalt abführen. Wenig später bereute Stilicho seine Tat: Cresconius wurde daher, obwohl er schwerster Verbrechen angeklagt war, nicht zum Tod, sondern lediglich zur Verbannung verurteilt. Wenig später wurde er amnestiert. Ein Curiale, der einen Kollegen getötet hatte, wurde lediglich verbannt; Cassiodor rechtfertigt diese Maßnahme damit, daß der Täter auf diese Weise nicht ohne 1447
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Mönche akzeptierten zu einem großen Teil im 5. Jh. die staatliche Strafjustiz: Besa, Leben des Schenute 14/6 (Übersetzung Bell 46f.). 1447 Krause 1996, 327; Vita Antonii 84, 3ff. (Bartelink 160); 87, 1f. (ibid. 164); Soz., Hist. eccl. 1, 13, 9f. (Festugière 172/4); 1, 14, 10f. (ibid. 182); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 17, 1f. (PG 49, 172ff.); Apophthegmata patrum, Poimen 9 (81) (PG 65, 324); Theodoret., Hist. rel. 13, 7 (Canivet - Leroy-Molinghen 1, 486/90); Constantius, Vita Germ. 36 (Borius 190); Proc., Hist. arc. 12, 24; Malalas 18, 71, p. 473/7; Greg. Tur., Franc. 6, 8; Virt. Mart. 3, 53 (MGH, SRM 1, 645); Vita Theod. Syc. 151 (Festugière 1, 118f.); Vita Symeon. Styl. 161 (van den Ven 1, 143f.); A. Steinwenter, Die Stellung der Bischöfe in der byzantinischen Verwaltung Ägyptens, in: Studi in onore di Pietro de Francisci 1, Milano 1956, 75-99, 88. 1448 Krause 1996, 328; Cod. Theod. 9, 40, 15 (392 n. Chr.); 11, 36, 31 (392 n. Chr.); 9, 40, 16 (= 11, 30, 57) (398 n. Chr.) (vgl. Cod. Iust. 1, 4, 6; 7, 62, 29); hierzu J. Gaudemet, Ordre public et charité chretiènne: la loi du 27 juillet 398, in: Hestíasis. Studi di tarda antichità offerti a Salvatore Calderone 1, Messina 1986 (1988), 245-264; A. Ducloux, L’Église, l’asile et l’aide aux condamnés d’après la constitution du 27 juillet 398, RD, sér. 4, 69, 1991, 141-176. Vgl. auch noch 16, 2, 42 (= Cod. Iust. 1, 3, 17) (416 n. Chr.). 1449 Vgl. aber auch Gelas., Frg. 42 (Thiel 506): Papst Gelasius hatte einen gewissen Felix, der in der Kirche um Asyl nachgesucht hatte, zum Verlassen der Kirche veranlaßt unter der Maßgabe, daß ihm kein Schaden widerfahren solle, wenn er denn unschuldig sei. In dem Gerichtsverfahren hatte sich aber seine Schuld erwiesen, und so wurde er in das Gefängnis gebracht. 1450 Paul. Med., Vita Ambr. 34 (Bastiaensen 96/8).
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Appellationen und Amnestien
Strafe bleiben, daß auf der anderen Seite aber dem Kirchenasyl Achtung erwiesen werde. 1451
Appellationen und Amnestien Die Statthalter waren keineswegs in der Lage, in den Provinzen selbstherrlich ihrem Geschäft der Rechtsprechung nachzugehen. Die Verurteilten hatten die Möglichkeit, Appellation einzulegen, und die Kaiser beanspruchten einen Teil der Strafgerichtsbarkeit für sich. Bereits in der hohen Kaiserzeit mußten sich die Provinzstatthalter zur Bestätigung gewisser Urteile an den Kaiserhof wenden. In der Spätantike wurde die Gerichtsgewalt der Statthalter weiter eingeschränkt; 425 heißt es in einem Gesetz, daß die Vollstreckung von Todesurteilen den Statthaltern nur dann ohne vorherige kaiserliche Genehmigung gestattet sei, wenn ein Aufschub nicht möglich sei. In demselben Gesetz wird den Provinzstatthaltern verboten, aus eigener Machtvollkommenheit die Konfiskation der Gesamtheit des Vermögens von Beschuldigten zu verfügen; auch diese Strafmaßnahme war offenbar den höheren Gerichtshöfen sowie dem Kaisergericht vorbehalten. In vielen Fällen konsultierten Richter den Kaiser bezüglich des Strafmaßes bzw. suchten von sich aus um die Bestätigung eines Urteiles nach. Dieser hohe Grad an Zentralisierung der Strafjustiz hatte eine gewisse Schwerfälligkeit zur Folge, auf der anderen Seite war es den Provinzstatthaltern kaum noch möglich, eine Willkürherrschaft über ihre Provinz auszuüben, wie dies viele ihrer Kollegen in der Republik und frühen Kaiserzeit noch vermocht hatten. 1452
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Cassiod., Var. 3, 47 (CCL 96, 129f.). Die Statthalter hatten nicht das Recht, von sich aus die Strafe der Deportation zu verhängen; der Kaiser war zu konsultieren: Dig. 28, 3, 6, 7 (Ulpian); 48, 22, 6, pr.; 1 (Ulpian); 48, 19, 2, 1 (Ulpian); 49, 4, 1, pr. (Ulpian). Die leichtere Form der Verbannung, die nicht mit dem Verlust des Bürgerrechts verbundene relegatio, stand zwar auch den Provinzstatthaltern als Strafmaßnahme zur Verfügung. Aber auch hier mußte oft der Kaiser eingeschaltet werden, um den Relegierten eine Strafinsel zuzuweisen, dann nämlich, wenn der Provinzstatthalter in seinem Amtsbereich keine geeignete Insel zur Abbüßung der Strafe zur Verfügung hatte: Dig. 48, 22, 7, 1 (Ulpian). Der Kaiser wurde auch befragt, wenn der Verurteilte ein Decurio war oder wenn einer der führenden Bürger der Stadt einen Raub oder ein anderes Kapitalverbrechen begangen hatte: Dig. 49, 4, 1, pr. (Ulpian); 48, 19, 27, 1f. (Callistratus); 48, 8, 16 (Modestin); 48, 19, 15 (Venuleius Saturninus); 48, 22, 6, 2 (Ulpian). Schließlich mußte der Kaiser eingeschaltet werden, wenn der Statthalter ein von ihm selbst ausgesprochenes Urteil widerrufen wollte; denn hierzu war er an sich nicht befugt: Dig. 48, 18, 1, 27 (Ulpian). 1453 Cod. Theod. 9, 41, 1 (= Cod. Iust. 9, 48, 1) (425 n. Chr.). 1454 Cod. Theod. 11, 29, 1 (312 [313] n. Chr.); 11, 29, 2 (= Cod. Iust. 7, 61, 1) (319 n. Chr.); 11, 29, 3 (= Cod. Iust. 7, 61, 2) (368? 370? n. Chr.); 11, 29, 4 (= Cod. Iust. 7, 61, 3) (369 n. Chr.); 11, 29, 5 (374 n. Chr.); 11, 29, 6 (416 n. Chr.); Krause 1996, 243f.
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Eine laufende Kontrolle ihrer Rechtsprechung ergab sich insbesondere aus den Appellationen. Zahlreiche Appellationen hatten lediglich zum Ziel, die Vollstreckung des Urteils zu verzögern; eine Reihe von Gesetzen sucht dem Einhalt zu gebieten. Konstantin fordert die beschleunigte Vollstreckung des Todesurteils: Mörder, Ehebrecher, Zauberer, Giftmischer, die ein Geständnis abgelegt hätten oder die nach einer gründlichen Untersuchung des Falls zweifelsfrei überführt seien, hätten nicht die Möglichkeit, eine Appellation einzulegen, die lediglich die Funktion haben könne, die Vollstreckung des Urteils zu verzögern. Theodosius übt Kritik daran, daß Angeklagten, die eindeutig überführt sind oder ein Geständnis abgelegt haben, von dem zuständigen officium gleichwohl die Möglichkeit eingeräumt wird, gegen das gefällte Urteil zu appellieren. Dem officium wie auch dem zuständigen Richter wird mit Geldbußen (von 30 Pfund Gold) gedroht, und es wird auch nicht die Entschuldigung akzeptiert, daß Kleriker, Mönche oder das Volk interveniert hätten. Etwas anders ist der Tenor eines 398 erlassenen Gesetzes, welches sich zwar ebenfalls gegen Kleriker und Mönche wendet, die mit Gewalt zum Tode Verurteilte ihrer Strafe zu entziehen suchten, diesen aber immerhin die Appellation zugesteht; sie soll nicht an den Kaiser, sondern ad amplissimas potestates (d.h. wohl an die Prätorianerpräfekten) gerichtet werden. Als Gründe 1455
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J. Gaudemet, Constitutions constantiniennes relatives à l'appel, ZRG 98, 1981, 47-76; Santalucia 1993, 1039; F. Pergami, In tema di appellatio nella legislazione tardo imperiale, in: G. Crifò - S. Giglio (Hrsg.), Atti dell'Accademia Romanistica Costantiniana. XI convegno internazionale in onore di Felix B.J. Wubbe, Napoli 1996, 117-147; Harries 1999, 110ff. 1456 Es brauchte oftmals geraume Zeit, bis ein rechtskräftiges Urteil in zweiter Instanz gefällt wurde; einzelne Gesetze setzen voraus, daß Appellationen länger als ein Jahr am Kaiserhof anhängig waren, ohne daß ein Urteil gefällt worden wäre: Cod. Theod. 11, 30, 47 (386 n. Chr.); 54 (395 n. Chr.); 66 (419 n. Chr.). Angeklagte legten in Strafverfahren noch vor der Verurteilung Appellation ein und verhinderten damit jegliche Verurteilung bzw. schoben sie doch beträchtlich hinaus: Cod. Theod. 11, 36, 2 (315 n. Chr.); 3 (320/6 [313]); 5 (341); 11 (355); 15 (364), 16 (364); 18 (365); 33 (406 n. Chr.). 1457 Cod. Theod. 11, 36, 1 (314 oder 315 n. Chr.). Es kommen weitere Straftaten hinzu, für die Konstantin bei klarer Beweislage die Appellation ausschließt: Gewaltanwendung (wo Konstantin an die Stelle der Deportation die Todesstrafe setzt) (Cod. Theod. 9, 10, 1 (317 n. Chr.) oder Frauenraub (Cod. Theod. 9, 24, 1 [vgl. auch Cod. Iust. 7, 13, 3] [320 bzw. 326 (Seeck)]). 11, 36, 4 (339 n. Chr.): Liegt ein Geständnis vor, so soll ein gefälltes Urteil sofort vollstreckt und nicht noch eine Appellation des Verurteilten gestattet werden (es geht hier um Ehebruch). 11, 36, 7 (= Cod. Iust. 7, 65, 2) (344 n. Chr.): Keine Appellation mehr möglich, wenn das Geständnis des Angeklagten vorliegt und dieser zudem durch Zeugen und Beweise überführt ist; besonders hervorgehoben sind die Schwerverbrechen: Mord, Giftmord, Ehebruch, Entführung. Es muß allerdings nach diesem Gesetz, wenn die Appellation ausgeschlossen sein soll, beides zusammenkommen, sowohl Zeugen und Beweise wie das Geständnis des Angeklagten: Denn es wird zugestanden, daß ein falsches Geständnis auch aus Angst vor der Folter veranlaßt gewesen sein könne. 1458 Cod. Theod. 11, 36, 31 (392 n. Chr.).
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Appellationen und Amnestien
für ein denkbares Fehlurteil werden hier genannt der Irrtum des Richters oder dessen Bestechlichkeit (gratia). Das eine Problem waren Angeklagte, die eine Appellation einlegten, um die Vollstreckung des Urteils zu verhindern. Das andere waren Richter, die Appellationen nicht akzeptierten und den Fall nicht an die nächsthöhere Instanz weiterleiteten. Den Statthaltern droht hierfür nach einem Gesetz aus dem Jahr 343 eine Geldbuße von 10 Pfund Gold, ihrem officium von 15 Pfund. Diese Bußen wurden bis 393 auf 30 bzw. 50 Pfund Gold angehoben. Das Appellationsrecht mußte wiederholt bestätigt werden, ein Indiz dafür, daß viele Richter es den Angeklagten verweigerten. Gleichwohl kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Bewohner des spätantiken Römischen Reiches damit einen Rechtsschutz besaßen, über den sie in der frühen Kaiserzeit, vor der allgemeinen Verleihung des Bürgerrechtes, nicht verfügt hatten. Ein Beispiel möge dies belegen: Ein Mann namens Adeodatus war unter dem Vorwurf, eine unverheiratete Frau vergewaltigt zu haben, inhaftiert worden; durch lange Foltern war von ihm ein Geständnis erpreßt worden, darüber hinaus war ihm ein Rechtsbeistand verwehrt worden. Nach seiner Verurteilung zum Tode appellierte er an den Hof des Ostgotenkönigs. Er wurde zwar nicht völlig rehabilitiert, aber statt der Todesstrafe wurde ihm nurmehr eine sechsmonatige Verbannung auferlegt. Nach Ablauf der Frist könne er in seine Heimatstadt zurückkehren. Auch drohe ihm wegen der Verurteilung keine infamia. Beileibe nicht jedes Todesurteil wurde also vollstreckt. Zwar mißbrauchten viele Provinzstatthalter ihre Amtsgewalt, aber durch eine Appellation an die zentralen Behörden konnten viele dieser Mißbräuche wieder revidiert werden. Die Position der Statthalter war recht prekär: Sie waren dem Druck der Mächtigen vor Ort, aber auch evt. Anklagen der Provinzialen selbst ausgesetzt. Provinziale, Bischöfe und die Zentralregierung übten eine kontinuierliche Kontrolle der Rechtsprechung aus. Trotz weiterhin bestehender Möglichkeiten des Machtmißbrauches hatte sich gegenüber der frühen Kaiserzeit, als der Statthalter es mehrheitlich noch mit Peregrinen zu tun hatte, die Lage doch grundlegend gewandelt. Die Provinzbewohner waren römische Bürger, die gegen ungerechte Urteile an die nächsthöhere Instanz appellieren konnten (auch wenn dieses Recht hin und 1459
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Cod. Theod. 9, 40, 16 (= 11, 30, 57 = Cod. Iust. 1, 4, 6; 7, 62, 29) (398 n. Chr.). Cod. Theod. 11, 30, 22 (343 n. Chr.). 1461 Cod. Theod. 11, 30, 53 (393 n. Chr.). 1462 Cod. Theod. 11, 30, 13 (326 [329?] n. Chr.); 11, 30, 15 (329 n. Chr.); 11, 30, 20 (340 [347]); 11, 30, 25 (= Cod. Iust. 7, 62, 21) (355 n. Chr.); 11, 30, 30 (= Cod. Iust. 7, 67, 2) (362 n. Chr.); 11, 30, 31 (363 n. Chr.); 11, 30, 58 (= Cod. Iust. 7, 62, 21; 7, 62, 30) (399 n. Chr.). Schon die klassischen Juristen sprechen von Hindernissen, die legalen Appellationen in den Weg gelegt wurden: Dig. 49, 1, 25 (Paulus). 1463 Cassiod., Var. 3, 46 (CCL 96, 128f.). 1464 Brown 1995, 34ff.; J.E. Lendon, Empire of Honour. The Art of Government in the Roman World, Oxford 1997, 222ff.; Harries 1999, 167ff. 1460
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wieder bestritten worden sein mag). Im äußersten Fall klagten die Provinzialen ihren Statthalter am Kaiserhof an; über zahlreiche Gesandtschaften kommunizierten sie an ihm vorbei mit dem Kaiser. Mit zunehmender Christianisierung war auch der Bischof ein Faktor, mit dem die Statthalter zu rechnen hatte. All dies erklärt, warum sie sich mehrheitlich in der Rechtsprechung eine gewisse Zurückhaltung auferlegt haben. Zahlreiche und regelmäßige Amnestien trugen im weiteren dazu bei, daß das Strafrecht nie in seiner ganzen Schärfe zur Anwendung kam. Sie waren seit der frühen Kaiserzeit ein gängiges Mittel kaiserlicher Politik. Und zwar wurden nicht nur Straftäter nach bereits erfolgter Verurteilung amnestiert, sondern noch laufende Verfahren niedergeschlagen (abolitio). An die Stelle der frühkaiserzeitlichen abolitio publica trat in der Spätantike die indulgentia. Bei der abolitio publica hatte der Kläger innerhalb von 30 Tagen immer noch das Recht, die Anklage wiederaufzugreifen; die Begnadigung hing also letztlich vom Einverständnis des Klägers ab. Die indulgentia stellte demgegenüber einen staatlichen Verzicht auf Strafverfolgung dar; eine Zustimmung des Anklägers zur Niederschlagung des Verfahrens war nicht mehr vonnöten. Der Kaiser allein war nunmehr also befugt, Beschuldigte oder verurteilte Straftäter auf freien Fuß zu setzten. Wurde die Begnadigung ausgesprochen, solange das Verfahren noch lief, es also nicht zu einer Verurteilung gekommen war, wurde auch dem Ankläger nicht mehr die Möglichkeit eingeräumt, das Verfahren wiederaufzunehmen. Die Amnestien waren ein ganz zentrales Element kaiserlicher Strafpflege. Nach Ansicht des Ambrosius sollen die Kaiser in der Gesetzgebung streng sein, 1465
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Krause 1987b, 50ff. Zum kaiserlichen Begnadigungsrecht in der frühen Kaiserzeit vgl. Waldstein 1964, 78ff.; U. Zilletti, Note sulla restitutio in integrum damnatorum, in: Studi in onore di Giuseppe Grosso, Bd. 2, Torino 1968, 33-93; Humbert 1991, 181ff. Spätantike: Waldstein 1964, 158ff.; Bassanelli Sommariva 1996, 55ff.; Krause 1996, 218ff. 1467 Der Kaiser behielt sich das Recht vor, Straftäter zu amnestieren. Diokletian ordnete an, daß Straftäter, die zur Zwangsarbeit verurteilt worden waren, nicht vor Ablauf ihrer Strafe (doch wohl vom Statthalter oder den städtischen Organen, die für den Vollzug des opus publicum verantwortlich waren) entlassen werden dürften, damit die Strafe nicht ihren abschreckenden Charakter verliere. Der Statthalter war – und dies galt schon in klassischer Zeit – nicht befugt, eine einmal verhängte Strafe aufzuheben oder abzumildern: Cod. Iust. 9, 47, 14 (Diokletian); vgl. Millar 1984, 135f. Johannes Chrysostomos spricht den Magistraten das Recht zu, zu inhaftieren bzw. freizulassen. Das Recht, vom Tod zu befreien (d.h. offenbar: Kapitalverbrecher zu amnestieren), wird dagegen nur dem Kaiser zugestanden: Joh. Chrys., De utilit. lectionis script. 3, 4f. (PG 51, 93ff.). Vgl. auch noch Lact., Ira 19, 9 (Kraft – Wlosok 64); Joh. Chrys., De Christi divinitate, contra Anomaeos 12, 4 (PG 48, 809f.). 1468 Waldstein 1964, 214ff. 1469 Vgl. außer den weiter unten zitierten Stellen auch noch Cod. Iust. 9, 51, 9 (Diokletian); 9, 51, 10 (Diokletian); 9, 51, 11 (Diokletian); 9, 51, 12 (Diokletian); 9, 43, 2 (286 n. Chr.); 9, 42, 1 (287 n. Chr.); Cod. Theod. 9, 43, 1 (= Cod. Iust. 9, 51, 13) (321 n. Chr.); 9, 38, 1 1466
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um von Straftaten abzuschrecken; in der Handhabung der Gesetze seien sie aber milde; sie sollen durch Amnestien die Härte der Gesetze abmildern. Dies entsprach in weiten Bereichen offenbar geltender Praxis: Die Gesetze sparen nicht mit der Androhung grausamster Strafen; die Strafpraxis gestaltete sich aber dank zahlreicher Amnestien (General- und Einzelamnestien) sehr viel humaner. Man erwartete von den Kaisern, daß sie von ihrem Gnadenrecht großzügig Gebrauch machen würden, und die Amnestien trugen ganz entscheidend zu ihrer Popularität bei. Regelmäßig wurden insbesondere anläßlich des Osterfestes Amnestien gewährt; diese richteten sich nicht nur an bereits verurteilte Straftäter, sondern auch an Untersuchungshäftlinge. Es wurden alle in den Gefängnissen Einsitzenden freigelassen, mit Ausnahme derer, die sich eines Schwerverbrechens schuldig gemacht hatten. Hierzu zählten Majestätsverbrechen, Mord, Giftmischerei, Ehebruch, Vergewaltigung. Die Osteramnestien entwickelten sich zu einer festen 1470
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(322 n. Chr.); 9, 38, 2 (354 [353] n. Chr.); 9, 40, 7 (364 n. Chr.); 9, 38, 10 (400 [405] n. Chr.); Firm., Math. 4, 19, 38; 7, 24, 3; Lib., Or. 18, 195f.; 54, 25; 59, 29; Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 41 (CSEL 62, 175f.); Joh. Chrys., Poenit. 8, 3 (PG 49, 340); De coemeterio et de cruce 2 (PG 49, 395f.); De Babyla 14 (PG 50, 554f.); De prophetiarum obscuritate 2, 4 (PG 56, 181f.); De perfecta caritate 4 (PG 56, 283f.); Subintr. 12 (Dumortier 89, Z. 53ff.); Ps.-Epiphanios, Hom. III in die resurrectionis Christi (PG 43, 472f.); Aug., Serm. 16 A, 5 (CCL 41, 221f.). 1470 Ambr., In psalm. 37, 19 (CSEL 64, 150). 1471 Soz., Hist. eccl. 2, 2, 3 (Festugière 234); Amm. 29, 3, 7; 30, 8, 3; Ambr., Obit. Theod. 1 (CSEL 73, 371); 12ff. (ibid. 377f.); Aug., Civ. 5, 24; Hier., Epist. 69, 1; Joh. Chrys., In act. hom. 1, 8 (PG 60, 26). 1472 Waldstein 1964, 163f.; 188ff.; 216f.; M. Raimondi, Gioia interiore e solennità pubblica: considerazioni sull’introduzione delle ‚amnistie pasquali‘, in: M. Sordi (Hrsg.), Responsabilità, perdono e vendetta nel mondo antico. Contributi dell’Istituto di storia antica 24, Milano 1998, 267-289; Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 6, 3 (PG 49, 84f.); 21, 1 (ibid. 211f.); 21, 3 (ibid. 216f.); In psalm. 145, 1 (PG 55, 520); Coll. Avellana 38, 3 (CSEL 35, 1, 85f.); Ambr., Epist. 76 (Migne 20), 6 (CSEL 82, 3, 111); Leo M., Serm. 27, 5 (Dolle 2, 88/90); Greg. Nyss., In Christi resurrectionem, or. 3 (PG 46, 657/60). 1473 Cod. Theod. 9, 38, 3 (367 [369] n. Chr.); 9, 38, 4 (368 n. Chr.); Const. Sirmond. 7 (380/1 n. Chr.). Diese Liste wurde von Fall zu Fall etwas modifiziert. 381 wurden von der Amnestie zusätzlich noch diejenigen ausgeschlossen, die einen Inzest begangen hatten, ferner Straftäter, die rückfällig geworden waren: Cod. Theod. 9, 38, 6 (381 n. Chr.). Zur Behandlung von Wiederholungstätern vgl. auch Coll. Avellana 5 (CSEL 35, 1, 48) (367 n. Chr.): Begnadigung von Unruhestiftern, die zur Verbannung verurteilt worden waren. Sollten die Amnestierten rückfällig werden, so solle mit strengen Strafen gegen sie vorgegangen werden. Denn Gnade verdienten diejenigen nicht, die nach einer vorangegangenen Begnadigung erneut eine Straftat begingen. Von der Osteramnestie des Jahres 384 waren ausgenommen Majestätsverbrechen, Mord, Giftmischerei, stuprum und Ehebruch, Grabschändung, Vergewaltigung, Geldfälschung: Cod. Theod. 9, 38, 7 (384 n. Chr.). Eine ähnliche Liste findet sich in 9, 38, 8 (= Cod. Iust. 1, 4, 3) (385 n. Chr.); auch hier werden wie in 9, 38, 6 Wiederholungstäter von der Amnestie ausgenommen. Vgl. auch noch Const. Sirmond. 8 (386 n. Chr.).
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Institution, sie wurden augenscheinlich jedes Jahr erneuert, Amsträger wie Inhafierte konnten fest mit ihnen rechnen. Wenn in den einschlägigen Gesetzen eine Reihe schwerer Straftaten von der Amnestie ausgenommen wird, so ergibt sich ein gewisser Widerspruch zu den Aussagen der literarischen Quellen. Diese bestätigen, daß auch Kapitalverbrecher, Ehebrecher, Giftmischer, Räuber, Deserteure u.a., von kaiserlichen Amnestien profitierten; möglicherweise beziehen sich die Hinweise der literarischen Quellen in erster Linie auf Einzel-, nicht auf Generalamnestien (wie es die Osteramnestien waren). Ambrosius lehnt die leichtfertige Begnadigung eines Räubers aufgrund der Gnadengesuche von Frau und Kindern des Angeklagten ab. Dem Täter werde hierdurch nur eine neue Gelegenheit zu Raubtaten gegeben. Wenn man auf die Todesstrafe verzichte, so gebe es doch keinen Grund, dem Straftäter auch das Exil zu ersparen; wenigstens auf diesem Wege sei ihm die Möglichkeit, weitere Raubtaten zu begehen, zu nehmen. Selbst Räuber konnten also hoffen, auf freien Fuß gesetzt zu werden bzw. doch mit einer vergleichsweise milden Strafe (Verbannung statt Todesstrafe) davonzukommen. Wir verfügen nur über unzulängliche Informationen über die Strafpraxis. Belege wie der zitierte zeigen jedoch, daß es lohnt, zu diesem Thema auch die literarischen und patristischen Quellen systematisch auszuwerten (was bislang noch nicht ansatzweise geschehen ist), denn sie offenbaren uns eine ganz andere Realität als die Gesetzestexte: Es war gar nicht ausgemacht, daß selbst ein verurteilter Räuber mit dem Leben büßen mußte. Es wurden am Kaiserhof auch in großer Zahl Begnadigungen von Mördern erwirkt. Valentinian III. bestimmt daher 445, daß künftighin diesbezügliche kaiserliche Reskripte sehr restriktiv zu gewähren sind, d.h. im wesentlichen nur noch dann, wenn der Täter entweder in Notwehr gehandelt hat oder wenn die Tötung unbeabsichtigt erfolgt war. Mörder, die mit Vorbedacht gehandelt oder die sich darüber hinaus auch noch anderer Straftaten schuldig gemacht haben, sollen künftighin nicht mehr begnadigt werden. Die Amnestien wurden offenbar so großzügig gewährt, daß eine durchgängige Ahndung auch schwerster Straftaten wie des Mordes mit der Todesstrafe nicht mehr gegeben war. Instruktiv ist schließlich auch der folgende Fall: Der Manichäer Faustus war zusammen mit einigen Genossen vor Gericht gebracht worden. Die Christen, die 1474
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Cod. Theod. 9, 38, 8 (= Cod. Iust. 1, 4, 3) (385 n. Chr.); Waldstein 1964, 192f. Joh. Chrys., De Christi divinitate, contra Anomaeos 12, 4 (PG 48, 809f.); Adv. Iudaeos 2, 1 (PG 48, 858); Anna 4, 3 (PG 54, 664); In psalm. 50, 3 (PG 55, 579) (spur.); Aug., Epist. 185, 23 (CSEL 57, 21f.); C. Parm. 2, 13, 29 (CSEL 51, 80f.); Paul. Med., Vita Ambr. 34 (Bastiaensen 96/8); Val. Cem., Hom. 1, 3 (PL 52, 693f.). Kaiserliche Begnadigungen bzw. Amnestien nach städtischen Unruhen, bei denen es auch zu Todesopfern gekommen war, waren üblich. Sie trugen in manchen Fällen viel zur Beruhigung der Lage bei: Coll. Avellana 5 (CSEL 35, 1, 48); Aug., Epist. 15*, 2f. (CSEL 88, 84f.); 16* (ibid. 86f.); 23*, 1f. (ibid. 121f.). 1476 Ambr., In psalm. 118 serm. 8, 25 (CSEL 62, 165). 1477 Nov. Val. 19 (445 n. Chr.).
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Appellationen und Amnestien
sie angezeigt hatten, verwandten sich gleichzeitig beim Richter für sie, so daß sie mit einer sehr milden Strafe, der Relegation, davonkamen. Bald darauf wurden die Verbannten amnestiert (möglicherweise im Rahmen einer Generalamnestie). Zweierlei ist bemerkenswert: Manichäer hatten an sich mit einer sehr viel schärferen Strafe zu rechnen, das Strafarsenal reichte bis zur Todesstrafe. Wenn Augustin auf die Interzession der christlichen Ankläger hinweist, zeigt dies, daß die Richter auch in der Spätantike einen weiten Ermessensspielraum bei der Festlegung der Strafen hatten und daß sie beileibe nicht in jedem Fall an die gesetzlich vorgesehenen Strafen gebunden waren (dies contra Levy und de Robertis). Im weiteren erfolgten regelmäßig kaiserliche Amnestien für verurteilte Straftäter. Ein großer Teil unter ihnen konnte hoffen, die verhängte Strafe gar nicht abbüßen zu müssen. Augustin erklärt: unde publica terrenorum principum vota per indulgentiam solent relaxare damnatos. Die Verfolgung der Manichäer läßt den Charakter der spätantiken Gesetzgebung deutlich werden. Die Strafbestimmungen wurden vielfach nur zögernd angewendet, wurden teilweise überhaupt ignoriert. Selbst Theodosius I. bestand nicht auf der Durchführung seiner Gesetzgebung gegen die Häretiker (insbesondere was die Strafen anbelangte), weil er, wie es bei Sozomenos heißt, sie nicht strafen, sondern nur in Furcht versetzen wollte, um sie zum Glaubenswechsel zu bewegen. Und auch Justinian scheint nicht an die generelle Verhängung der von ihm angedrohten Strafen, insbesondere der Kapitalstrafe, gedacht zu haben. Seine Edikte sind lediglich mit Drohungen verbundene Warnungen an die Manichäer, an ihrem Glauben festzuhalten. Hochgestellte Beamte seiner Regierung konnten sich offen als Manichäer bekennen, ohne daß gegen sie vorgegangen wurde; nur so erklärt sich auch der Widerspruch, daß einerseits die Todesstrafe angedroht, andererseits aber den Manichäern gestattet wird, trotz grundsätzlicher Entziehung ihrer Zeugnisfähigkeit als ‚testes testamenti‘ zu fungieren, ja sie werden sogar verpflichtet, weiterhin die munizipalen munera zu erfüllen. Gleiches wie für die Gesetzgebung gegen die Manichäer gilt für die Erlasse gegen die Heiden: Sie wurden nicht so umfassend umgesetzt, wie man dies in einem modernen Gesetzesstaat erwarten würde (und sollten dies vermutlich auch gar nicht). Anders ließe es sich nicht erklären, daß das Heidentum 1478
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Drohung mit der Todesstrafe durch Diokletian: Coll. Mos. 15, 3 (FIRA 2, 580f.). Dagegen nur noch Verbannung und Vermögenskonfiskation in Cod. Theod. 16, 5, 3 (372 n. Chr.); 16, 5, 18 (389 n. Chr.) und 16, 10, 24 (= Cod. Iust. 1, 11, 6) (423 n. Chr.) vorgesehen. Todesstrafe dagegen wieder angedroht in Cod. Iust. 1, 5, 11 (Leo); 1, 5, 12, 3 (527 n. Chr.) und 1, 5, 16 (Justinian). Zur Verfolgung der Manichäer vgl. E.-H. Kaden, Die Edikte gegen die Manichäer von Diokletian bis Justinian, in: Festschrift Hans Lewald, Basel 1953, 55-68. 1479 Aug., C. Faust. 5, 8 (CSEL 25, 279f.). Mit dem von Diokletian erlassenen Anti-Manichäer-Gesetz konnten die Manchäer mittlerweile öffentlich ihren Spott treiben: Aug., C. Felicem 1, 12 (CSEL 25, 815). 1480 Soz., Hist. eccl. 7, 12, 12 (GCS, Bidez – Hansen 316). 1481 Cod. Iust. 1, 5, 21, 3 (531 n. Chr.); vgl. auch 1, 5, 18, 10 (529 n. Chr.).
10. Strafen
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noch im 5. und 6. Jh. vielfach ungestört gepflegt werden konnte, daß führende Bürger sich zum heidnischen Glauben bekannten. Es war nützlich, über Fürsprecher am Kaiserhof zu verfügen, um eine Begnadigung zu erwirken. Symmachus bittet den Bischof von Mailand Ambrosius, sich am Kaiserhof für einen gewissen Eusebius zu verwenden: Er war verurteilt worden (wegen eines nicht genannten Vergehens; Symmachus spricht von einem „jugendlichen Irrtum“) und suchte nun um Begnadigung nach. Es wurde also nicht unterschiedslos begnadigt (mit Ausnahme lediglich der Oster- und sonstigen Generalamnestien). In einer Gesellschaft, in der die Patronage eine so große Rolle spielte, war es nur natürlich, daß auch Begnadigungen am Kaiserhof vielfach aufgrund Empfehlungen einflußreicher Persönlichkeiten ausgesprochen wurden. Ambrosius hält sich viel darauf zugute, daß dank seiner Interventionen zahlreichen Verurteilten die Todesstrafe erspart worden sei. Mit ziemlicher Sicherheit verstanden auch die anderen mächtigen Herren ihren Einfluß zu nutzen: Von Petronius Probus heißt es, daß er keinen seiner Klienten, auch wenn sie sich evidenterweise einer Straftat schuldig gemacht hatten, im Stich gelassen habe. Halten wir fest: Zwar läßt sich der exakte Anteil der Straftäter, die amnestiert wurden, nicht bestimmen. Er darf aber nicht gering veranschlagt werden. Beileibe nicht jeder, der verurteilt worden war, mußte seine Strafe (ob es sich nun um die Todesstrafe, die Zwangsarbeit oder die Verbannung handelte) auch abbüßen, andere Beschuldigte wurden, noch bevor es überhaupt zu einem Urteil gekommen war, aus der Untersuchungshaft entlassen. 1482
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Zusammenfassung Ob die Zahl der Hinrichtungen im Vergleich zur frühen und hohen Kaiserzeit zugenommen hat oder rückläufig war, läßt sich angesichts des Fehlens statistisch auswertbaren Quellenmaterials nicht sicher entscheiden. Mir scheint es jedoch wahrscheinlich, daß trotz einer Gesetzgebung, die mit der Androhung von Todesstrafen nicht geizte, die Zahl der Hinrichtungen eher rückläufig war. Ein wesentlicher Faktor hierfür war, neben den bereits genannten, das Auslaufen der Gladiatorenspiele. Die Strafjustiz der frühen und hohen Kaiserzeit hatte geradezu auch die Aufgabe, Opfer für die Arena bereitzustellen. In den juristischen Quellen des 2. und 3. Jh. wird den Richtern vielfach ausdrücklich die Wahl der ___________________________ 1482
Wiederholte gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Heiden im 5. und 6. Jh.: F.R. Trombley, Hellenic Religion and Christianization c. 370-529, Religions in the GraecoRoman World 115, 1 und 2, Leiden - New York – Köln 1993/4, 1, 1ff. 1483 Symm., Epist. 3, 35. 1484 Ambr., Epist. 74 (Migne 40), 25 (CSEL 82, 3, 70); vgl. auch Epist. extra coll. 1a (Migne 40), 25 (ibid. 174). 1485 Amm. 27, 11, 4.
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Zusammenfassung
Todesstrafe überlassen; es heißt dann etwa, daß ein verurteilter Straftäter entweder ans Kreuz zu schlagen oder den wilden Tieren vorzuwerfen sei. Die Straftäter wurden zur Arena oder zu einer der anderen Formen der verschärften Todesstrafe, Kreuzigung oder Scheiterhaufen, verurteilt, je nachdem, ob gerade ein Gladiatorenspiel bevorstand oder nicht. Verbrennung oder Kreuzigung, um von der Enthauptung ganz zu schweigen, wurden vom Volk nur als Notlösung akzeptiert. Daher wurden Straftäter hin und wieder vergleichsweise lange Zeit im Gefängnis gehalten, bis sie zum Einsatz bei einem kaiserlichen Gladiatorenspiel kamen oder an einen privaten Lanisten verkauft werden konnten. Die Ausnahme dürfte es gewesen sein, wenn wie in Lyon 177 nach der Verurteilung einer Reihe von Christen extra ein Schauspiel angesetzt wurde. Die Christenverfolgungen des 2. und 3. Jh. finden ihre Erklärung zum Teil auch darin, daß über die gewöhnlichen Kriminellen hinaus Nachschub für die Gladiatorenspiele bereitgestellt werden mußte. Die Amphitheater forderten jedes Jahr Tausende von Opfern; zu einem großen Teil handelte es sich um Straftäter. Einzelne Kaiser ließen Seeschlachten nachstellen, bei denen Tausende oder gar Zehntausende kämpften. Naumachien wurden vor allem dann veranstaltet, wenn eine größere Zahl von Kriegsgefangenen zur Verfügung stand; aber auch Straftäter kamen zum Einsatz. Bei der Naumachie des Claudius auf dem Fuciner See (52 n. Chr.) kämpften vor allem zum Tode verurteilte Straftäter. Auf beiden Seiten wurden jeweils 50 Schiffe eingesetzt, und die Zahl der Kombattanten lag nach Tacitus bei rund 15.000. Vorausgesetzt wird durch diese Angaben eine große Zahl von Kapitalprozessen und von Todesurteilen bereits in der frühen Kaiserzeit. An anderen Naumachien der frühen Kaiserzeit waren immerhin 3000-4000 Kämpfer beteiligt, auch diese zum Teil zum Tode verurteilte Straftäter. Nachgestellte Seeschlachten wurden nicht jedes Jahr veranstaltet, und Claudius wird längere Zeit Vorbereitungen für seine große Naumachie getroffen haben. Trotzdem ist eine Zahl von mehreren Tausend Hinrichtungen (und bei den Naumachien handelte es sich um nichts anderes) angesichts einer Bevölkerungszahl im Römischen Reich von vielleicht 50-60 Millionen eine exorbitant hohe Zahl. Dies entspricht einer Quote, wie sie von keinem modernen Staat auch nur entfernt erreicht wird. Marc Aurel ordnete an, daß verurteilte Straftäter zu einem angemessenen Preis an die lanistae, die Lieferanten von Gladiatoren, abgegeben werden sollten. Angeblich hatte der Fiscus aus dieser 1486
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Paul., Sent. 5, 23, 1 (FIRA 2, 408). Mart. Polyc. 12, 2f. (Bastiaensen 18/20). 1488 Dig. 48, 19, 29 (Gaius). Vgl. auch Dio Cass. 76 (77), 10; Pass. Perp. 7, 9 (Bastiaensen 126); Apul., Met. 10, 28, 6; 10, 34, 3. 1489 Eus., Hist. eccl. 5, 1, 37ff. 1490 G. Ville, La gladiature en Occident des origines à la mort de Domitien, Roma 1981, 232ff.; Th. Wiedemann, Emperors and Gladiators, London – New York 1992, 68ff.; Kyle 1998, 91ff. 1491 Dio Cass. 60 (61), 33, 3f.; Suet., Claud. 21, 6; Tac., Ann. 12, 56.
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10. Strafen
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Quelle in den Jahren zuvor einen jährlichen Profit von 20-30 Millionen Sesterzen gemacht. Bei einem Preis von einigen Tausend Sesterzen gewinnt man eine Vorstellung von der Zahl jährlicher Verurteilungen. Sie muß sich bei mehreren Tausend bewegt haben. Die Verfolgung des Verbrechens war in der frühen und hohen Kaiserzeit also nicht der einzige Gesichtspunkt bei der Verhängung von Todesurteilen. Mindestens genauso wichtig war es für die Statthalter, die zu Gericht saßen, den Nachschub für die Arena zu sichern. Die Durchführung von Gladiatorenspielen fiel als Motiv für die Verurteilung von Straftätern nun im wesentlichen fort. Hinrichtungen wurden zwar weiterhin öffentlich vollstreckt, sie hatten jetzt aber in sehr viel stärkerem Maße als in der frühen Kaiserzeit die Funktion der Abschreckung. Hierfür reichte es, vergleichsweise wenige Todesurteile auszusprechen bzw. Hinrichtungen vollstrecken zu lassen. Mehrere weitere, bereits erörterte Faktoren führten dazu, daß die Verurteilungsquote gering blieb. Die Anklagen wurden zumeist von den Opfern selbst oder deren Angehörigen erhoben; gerade bei schweren Verbrechen werden die Kläger häufig nicht hinreichendes Beweismaterial haben beibringen können. Viele Anklagen erfolgten auf bloßen Verdacht und müssen dann vor Gericht zu einem Freispruch geführt haben. Es war in den meisten Fällen weniger eine klare Beweisführung, die zur Verurteilung des Angeklagten führte, als vielmehr das Geständnis. Zwar konnte dieses durch die Folter erpreßt werden. Viele Angeklagte legten aber selbst unter der Folter kein Geständnis ab, wohl wissend, daß es die Vorbedingung für einen Schuldspruch war. Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa hatten die Ankläger oftmals gar kein Interesse daran, das Verfahren bis zum Urteil durchzufechten. Der Prozeß stand am Ende einer langen Konfliktgeschichte und hatte die Funktion, eine außergerichtliche Einigung, die im Vorfeld des Verfahrens gescheitert war, herbeizuführen. Viele Ankläger zogen daher ihre Anklage, bevor das Urteil gefällt worden war, zurück. Die rechtlichen Rahmenbedingungen waren in der Spätantike andere: Einem Ankläger war es nicht leicht möglich, eine Strafklage wieder 1492
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Oliver - Palmer 1955, Aes Italicense, Z. 8f. (20-30 Millionen Gewinn). Der Preis für einen zum Tod Verurteilten wird auf 6 Aurei festgelegt: Frg. I, Kol. 2, Z. 11; 16f. Vgl. Kyle 1998, 84. 1493 Cod. Theod. 9, 40, 1 (= Cod. Iust. 9, 47, 16) (314 n. Chr.); Joh. Chrys., Poen. 5, 3 (PG 49, 310); In illud, Vidi dominum 3, 1 (PG 56, 113). 1494 Ambr., Cain et Ab. 2, 9, 27 (CSEL 32, 1, 401); Aug., Epist. 133, 2 (CSEL 44, 82f.); 134, 2 (ibid. 85); Hier., Epist. 1, 3ff.; Cassiod., Var. 3, 46 (CCL 96, 128f.); 9, 17 (ibid. 365f.); Joh. Mosch., Prat. spir. 71 (PG 87, 3, 2924); 72 (ibid. 2924f.). 1495 Aug., Serm. 29A, 3 (CCL 41, 379f.); Serm. 169, 11, 14 (PL 38, 923); Serm. Dolbeau 15, 7 (Dolbeau 200/2). 1496 J. Casey, Household Disputes and the Law in Early Modern Andalusia, in: J. Bossy (Hrsg.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, 189-217; J.A. Sharpe, ‚Such Disagreement betwyx Neighbours‘: Litigation and Human Relations in Early Modern England, in: J. Bossy (Hrsg.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, 167-187, 173ff.
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Zusammenfassung
zurückzunehmen. Im Vergleich zum Mittelalter und früher Neuzeit dürften Anklagen daher in einer größeren Zahl von Fällen zu einem Urteil geführt haben. Gleichwohl verständigte sich auch im Römischen Reich der Angeklagte vielfach noch während des Verfahrens mit dem Kläger und entging so einer Bestrafung. Korruption und Protektion führten dazu, daß bei weitem nicht jeder Straftäter, der überführt war, auch verurteilt wurde. War ein Urteil gefällt worden, so wurde es oftmals nicht oder nur mit großer Verzögerung vollstreckt. In dem Maße, wie die Strafen härter wurden, wuchs die Abneigung, sie zur Anwendung zu bringen. Die christlichen Kaiser erließen in regelmäßigen Abständen, insbesondere zum Osterfest, Generalamnestien. Es konnte sich ein drastisches Strafrecht sehr wohl mit einem großzügigen Gnadenrecht verbinden. Die angedrohten Strafen, wie sie in den Kaisergesetzen und den juristischen Schriften dargelegt wurden, entsprachen nicht immer der Strafpraxis der Gerichte. Es gab kein Strafgesetzbuch, die Richter waren bei ihren Entscheidungen auf eine Fülle von zum Teil widersprüchlichen kaiserlichen Erlassen verwiesen, sie hatten somit bei der Festlegung der Strafe einen sehr viel größeren Ermessensspielraum als der moderne Richter. Für viele Straftaten fehlen in den kaiserlichen Konstitutionen jegliche Hinweise auf das Strafmaß. Die Statthalter, die Recht sprachen, hatten sich also an die Praxis zu halten oder an Kompendien wie die „Sentenzen“ des Paulus. Diese (ebenso wie andere ähnliche, uns nicht überlieferte Werke der römischen Jurisprudenz) hatten aber keinen verpflichtenden Charakter. Sie beschreiben, wie gewöhnlich gerichtet wurde; dies heißt aber nicht, daß die Statthalter sich an diese Praxis in jedem einzelnen Fall zu halten hatten. Die Sentenzen des Paulus geben die Rechtspraxis zu Beginn des 4. Jh. wieder. Deren weitere Entwicklung entzieht sich uns in den juristischen Quellen aber. Es vollzogen sich signifikante Entwicklungen, die auch die Strafpraxis betrafen: die Christianisierung der Gesellschaft, die zwar nicht zu einer Abschaffung der Todesstrafe führte, aber doch dazu, daß sie nicht mehr so maßlos verhängt werden konnte, der Niedergang der Gladiatorenspiele, die Herausbildung starker Provinzialaristokratien, die zu einer relativen Schwächung der Statthalter führte, die stärkere Rolle des Bischofs, der bis zu einem gewissen Grade die Rechtsprechung kontrollierte und oftmals zugunsten von Angeklagten intervenierte. In der Forschung wurde argumentiert, das Bürgerrecht sei mit seiner zunehmenden Ausbreitung immer mehr entwertet worden. Es hätten keine Hemmungen mehr bestanden, auch römische Bürger zu foltern, sie entehrenden Strafen zu unterwerfen und hinzurichten. Im Strafrecht sei an die Stelle des personenrechtlichen (Besitz des Bürgerrechtes) das soziale Kriterium getreten, ob man zur Gruppe der honestiores oder der humiliores zählte, ob man Mitglied einer der privilegierten Gruppen, d.h. Senator, Ritter, Decurio oder Veteran, oder nicht gewesen sei. Diese Sicht ist einseitig. Während sich für die Bürger die strafrechtliche Situation 1497
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De Ste. Croix 1981, 454ff.
10. Strafen
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tatsächlich verschlechterte, bedeutete die Erlangung des Bürgerrechts für die vormaligen Peregrinen doch einen Gewinn. Konnten Peregrine in der frühen Kaiserzeit ohne weiteres gekreuzigt oder in der Arena den wilden Tieren vorgeworfen werden, blieb für die römischen Bürger im 4. Jh. die übliche Form der Hinrichtung die Enthauptung. Es ist also nicht so, daß sich Altbürger und Neubürger schlußendlich auf dem niedrigeren Niveau angeglichen hätten. Für die große Masse der Bevölkerung in den Provinzen, die in der Republik und frühen Kaiserzeit der Willkür der Statthalter mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert war, war die Entwicklung positiv. Es mögen zwei Beispiele genügen: Der proconsul Asiae L. Valerius Messalla Volesus (ca. 11 oder 12 n. Chr.) ließ in seiner Willkür angeblich an einem einzigen Tag 300 Hinrichtungen vollstrecken. Als er durch die Leichen hindurchschritt, kommentierte er seine Tat auf griechisch: „Was für eine königliche Tat“. Der Statthalter der Provinz Kyrene ließ in der Regierungszeit Kaiser Vespasians nach kleineren Unruhen rund 3000 Juden hinrichten. An diesen Beispielen wird der ganze Unterschied zwischen früher und später Kaiserzeit deutlich. Sicher waren die staatlichen Strukturen in der Spätantike autoritär, aber die Amtsträger kamen in ihrer Rechtsprechung durchaus dem Volk und seinen Wünschen entgegen. Willkürliche Massenhinrichtungen, wie sie den genannten Statthaltern vorgeworfen wurden, wären in der Spätantike undenkbar gewesen. Zwar wurde die Hinrichtung von Mördern und Räubern in aller Regel ohne jede Einschränkung akzeptiert. Auf der anderen Seite aber wurden Straftäter von der Bevölkerung gedeckt und der staatlichen Justiz entzogen oder einigten sich Opfer und Täter, ohne die staatlichen Gerichte einzuschalten. All dies widerspricht der Auffassung, der spätantike Staat habe sich zu einem autoritären Zwangsstaat entwickelt, in dem die Untertanen bestenfalls eine passive Rolle gespielt hätten. Das römische Strafrecht basierte auf der selektiven Ahndung der Verbrechen. Es hing zumeist von der persönlichen Initiative des Opfers ab, ob ein Straftäter vor Gericht kam. Der fehlende Polizeiapparat ließ eine systematische Fahndung staatlicherseits nach den Straftätern gar nicht zu. Aufgrund einer ausgeprägten Klassenjustiz wurden Angehörige der Oberschichten mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit für eine Straftat nicht zur Rechenschaft gezogen als Angehörige der Unterschichten. Und schließlich wurden dank kaiserlicher Amnestien viele Straftäter vor oder nach ihrer Verurteilung auf freien Fuß gesetzt. All dies führte dazu, daß nur ein kleiner Teil der Straftaten geahndet wurde. Die Kirchenväter haben sich immer wieder mit dem Problem auseinanderzusetzen, wie es sich mit der göttlichen Gerechtigkeit vereinbaren lasse, daß so viele Straftäter ohne Strafe 1498
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Sen., Ira 2, 5, 5. Ios., Bell. Iud. 7, 445. Vgl. auch noch Philostr., Vit. soph. 2, 24, p. 607: Ein Provinzstatthalter wird seines Amtes entsetzt, weil er zu ausgiebig von seinem Schwert (d.h. der Todesstrafe) Gebrauch macht.
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Zusammenfassung
davonkämen. Es wäre aber einseitig, hierin nur einen Mangel, ein Defizit zu sehen, denn die exemplarische, häufig genug öffentliche Bestrafung einiger weniger Straftäter konnte sehr wohl abschreckend wirken. 1500
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Joh. Chrys., De Lazaro 1, 11 (PG 48, 979f.); 3, 5 (ibid. 997f.); 3, 8 (ibid. 1002f.); 4, 5 (ibid. 1013); Daemones non gubernare mundum hom. 1, 7 (PG 49, 254/6); De fato et providentia 4 (PG 50, 762); In psalm. 7, 9 (PG 55, 93f.); In psalm. 11, 4 (ibid. 127); De perfecta caritate 8 (PG 56, 289f.); Aug., In psalm. 57, 17 (CCL 39, 722/4).
11. FAZIT Eine Untersuchung der Gewalt und Kriminalität läßt etwas von den Spannungen in der spätantiken Gesellschaft deutlich werden. Zwar läßt das Quellenmaterial quantitativ abgesicherte Aussagen, so wünschenswert sie an sich wären, nicht zu. Gleichwohl lassen sich einige plausible Hypothesen formulieren. Ein Teil der Straftaten, vor allem der Eigentumsdelikte, war sozial motiviert: Es waren die Armen, die sich gegen die Reichen, die Sklaven, die sich gegen ihre Herren wandten. Hier werden latente soziale Konflikte deutlich. Diese beiden Formen der Eigentumskriminalität waren aber von unterschiedlicher Relevanz. Es war ein vergleichsweise geringer Anteil der Armen, der in die Kriminalität abglitt, in den Städten eine kriminelle Subkultur bildete oder sich auf dem Land Räuberbanden anschloß. Es wäre eine arge Übertreibung, mit Blick auf die nicht sehr zahlreichen Berufsverbrecher von einer „kriminellen Klasse“ zu sprechen. Die meisten Straftaten wurden begangen, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergab; sie waren nicht einer Randgruppe der Gesellschaft vorbehalten. Zwar weisen die Kirchenväter wiederholt darauf hin, daß die Armut zum Diebstahl oder zum Anschluß an Räuberbanden führe. Tatsächlich war die Situation jedoch, wie zumal die Papyri, aber auch die hagiographischen Quellen zeigen, vielfältiger. Sicher waren die Täter in aller Regel „ärmer“ als die Opfer; diese verfügten über Wertgegenstände, die die Täter nicht hatten und die einen Diebstahl lohnten. Aber die Opfer waren nicht immer die ganz Reichen: Diese hatten alle Möglichkeiten, sich vor Diebstählen zu schützen. Häufiger entstammten Täter und Opfer derselben sozialen Schicht, und das Opfer war, wenn überhaupt, nur geringfügig wohlhabender als der Täter. Die Täter waren Bauern oder Handwerker, Personen, die einem ehrbaren Beruf nachgingen und die gut in die Gesellschaft integriert waren. Sicher gab es auch Berufsdiebe, aber sie sind in den Quellen nicht besonders prominent, ebensowenig wie in den Städten die Bandenkriminalität eine größere Rolle gespielt zu haben scheint. Eine Arbeit über die Kriminalität in der Antike muß natürlich auch auf die Marginalität, auf die Gruppen am Rande der Gesellschaft eingehen, führt aber doch auch direkt ins Zentrum der Gesellschaft. Die Armen bildeten keine gesellschaftliche Randgruppe. Die Zugehörigkeit zur Familie, zur Nachbarschaft, das Gefühl des Respektes, den die Armen den Reichen schuldeten, die große Bedeutung der Klientelbeziehungen verhinderten, daß sich die Armen, und sei es auch nur in individuellen Aktionen, gegen die Reichen auflehnten. Eine Reihe von gesellschaftlichen Mechanismen milderte also den Gegensatz zwischen Reichen und Armen ab.
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11. Fazit
Ähnliches läßt sich von den Beziehungen zwischen Sklaven und Herren nicht sagen; es treten eher die Spannungen und Konflikte hervor. Die Sklaverei hatte nichts von ihrem inhumanen, ausbeuterischen Charakter verloren, und dieser Tatbestand manifestierte sich u.a. darin, daß die Sklaven, wenn sie denn schon keine Aussicht hatten, mit Erfolg in größerer Zahl gegen ihre Herren zu revoltieren, sich doch individuell oder in kleineren Gruppen gegen die Interessen ihrer Herren wandten: Sklaven, die als Verwalter eingesetzt waren, unterschlugen Gelder, Sklaven entwendeten Haushaltsgegenstände, Wertsachen, Kleidungsstücke, Geld und flohen. Die sozialen Konflikte wurden eher zwischen Freien und Unfreien, genauer: Sklaveneigentümern und Sklaven, als zwischen Armen und Reichen ausgetragen. Lange Zeit ist in der Forschung die Bedeutung der spätantiken Sklaverei unterschätzt worden. Tatsächlich war sie keine absterbende Institution: Es gibt gute Argumente für die Auffassung, daß sich die Zahl der Sklaven in der Zeit von Augustus bis zur Spätantike auf demselben Niveau gehalten hat. Gerade eine Untersuchung von Gewalt und Kriminalität läßt deutlich werden, wie omnipräsent die Sklaven weiterhin waren. Ähnliches wie für die Eigentumsdelikte gilt für die Gewaltverbrechen. Auch sie waren keine Domäne der Armen. Unter den Gewalttätern finden sich Angehörige sämtlicher sozialer Schichten. Es gerieten nicht Arme und Reiche aneinander, sondern Angehörige derselben sozialen Schichten, vielfach Nachbarn. Die Nachbarschaft war ein Ort der Solidarität, aber sie war auch eine Quelle vielfältiger Konflikte. Die Gewalttäter gehörten mehrheitlich keinen gesellschaftlichen Randgruppen an, es waren keine „out-laws“. Aussagen über die Verbrechensquote können wir kaum machen. Man sollte sie nicht zu hoch ansetzen. Nicht zuletzt durch die von Nachbarn und Dorfangehörigen ausgeübte soziale Kontrolle wurde die Verbrechensrate niedrig gehalten. Eines der markantesten Charakteristika von bäuerlichen Gesellschaften ist der Gegensatz zwischen der bäuerlichen Kultur auf der einen Seite, den Regeln und Normen des Staates auf der anderen. Verbunden mit einer Kluft zwischen den Bauern und den führenden Schichten, den Grundherren, dem Klerus, den gebildeten Bevölkerungsschichten, sowie einem stark ausgeprägten Gegensatz von Stadt und Land führt dies zu einer starken Opposition der Bauern zum Staat und seinen Vertretern. Sicher war auch in der Spätantike der Gegensatz zwischen Stadt und Land deutlich ausgeprägt, aber die Bauern leisteten, von einzelnen Gewalttaten gegen Steuereintreiber abgesehen, keinen Widerstand gegen den Staat und seine Organe. In einem erstaunlich großen Umfang wandten sich Bauern und Kolonen an die staatlichen Gerichte. Dies gilt im übrigen nicht nur für die ländliche Bevölkerung. Die zahlreichen Konflikte, die auch die spätantike Gesellschaft kannte, wurden in größerer Zahl als im Mittelalter und in der frühen Neuzeit und zahlreichen anderen vorindustriellen Gesellschaften vor den staatlichen Gerichten ausgetragen. Es ist dies das Bild einer pazifizierten Gesellschaft. Eine Zusammenstellung lediglich der Gewalttaten muß für jede Gesellschaft das Bild großer Unsicherheit und Gewaltbereitschaft entstehen lassen. Sicher sind
11. Fazit
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auch im spätantiken Römischen Reich gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Nachbarn und Familienangehörigen bezeugt. Diese nahmen aber in aller Regel nicht den blutigen Charakter an, den sie in zahlreichen anderen bäuerlichen Gesellschaften hatten. Der Staat monopolisierte in vergleichsweise hohem Grade die Ausübung physischer Gewalt. Es war eher die von den Staatsorganen ausgehende Gewalt, welche die Gesellschaft prägte, nicht die Gewalt der Bauern oder Stadtbewohner. Es ist schon auf das von den Soldaten herrührende Gewaltpotential hingewiesen worden. Vor Gericht weitete sich der Einsatz von Folter und Schlägen nicht nur gegen Angeklagte, sondern auch gegen Zeugen aus. Viele (die meisten?) Strafverfahren fanden in der Öffentlichkeit statt, ein großes Publikum war beim Verhör und bei der Folter zugegen. Die von den Staatsorganen ausgeübte Gewalt war also jedem Stadtbewohner präsent. Häufig sind Klagen über die Gewalt der Steuereintreiber: hierzu gehörten Schläge, Folter, die Inhaftierung der saumseligen Steuerzahler, auch dies Akte, die in der Öffentlichkeit stattfanden, nicht hinter verschlossenen Türen, in irgendwelchen Folterkellern. 1501
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Krause 1996, 291ff.; Harries 1999, 122ff. H. Ziche, Making Late Roman Taxpayers Pay: Imperial Government Strategies and Practice, in: H. Drake (Hrsg.), Violence in Late Antiquity, Aldershot 2006, 127-136; Lact., Mort. pers. 23 (Moreau 103/5); 31, 3ff. (ibid. 113f.); Eus., Vita Const. 1, 55 (GCS, Winkelmann 43f.); Vita Antonii 44 (Bartelink 90/2); Bas., Epist. 74, 3 (Courtonne 1, 175f.); Lib., Or. 30, 15; Synes., Epist. 79 (Garzya 220/6 = PG 66, 1443/51); Aug., Epist. 268 (CSEL 57, 652/4); Joh. Chrys., De fato et providentia 5 (PG 50, 766); In Matth. hom. 77 (78), 6 (PG 58, 709f.); Max. Taur., Serm. 26, 1f. (CCL 23, 101f.); Theodoret., Hist. rel. 17, 3 (Canivet - Leroy-Molinghen 2, 36/8); Vita Symeon. Styl. 56 (Übersetzung aus dem Syrischen, Doran 135/7); Vita Theod. Syc. 147 (Festugière 1, 116); 148 (ibid. 117f.); Johannes von Ephesos, Hist. eccl. 1, 32; Leontios von Neapolis, Vita Ioann. Eleem. 30 (62f. Gelzer) (Festugière 381f.); P. Sakaon 34 (321 n. Chr.); P. Sakaon 41 (= P. Ryl. IV 659) (322 n. Chr.).
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11. Fazit
Gewalt war auch sonst allgegenwärtig: Väter züchtigten ihre Söhne, Herren ihre Sklaven, Lehrer ihre Schüler. Die Väter in der Spätantike schlugen ihre Söhne aber möglicherweise weniger ausgiebig als in der Republik und frühen Kaiserzeit; denn die christlichen Autoren halten den Vätern vielfach vor, einen allzu liberalen Erziehungsstil zu pflegen, ihren jugendlichen Söhnen alles durchgehen zu lassen. Das Züchtigungsrecht des Eigentümers gegenüber seinen Sklaven 1503
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Krause 1994/5, 3, 20ff.; T.S. DeBruyn, Flogging a Son: The Emergence of the Pater Flagellans in Latin Christian Discourse, JECS 7, 1999, 249-290; Lact., Inst. 6, 19, 6ff. (CSEL 19, 554f.); Bas., Hom. dicta tempore famis et siccitatis 2 (PG 31, 308); Ambr., In psalm. 1, 31, 3 (CSEL 64, 27); Joh. Chrys., Oppugn. 3, 3f. (PG 47, 351/6); Adv. Iudaeos 8, 7 (PG 48, 937); In gen. hom. 59, 5 (PG 54, 519f.); In psalm. 117, 1 (PG 55, 329); In illud Isaiae, Ego dominus deus feci lumen 6 (PG 56, 151); In Matth. hom. 59 (60), 2 (PG 58, 575); Aug., Serm. 5, 2 (CCL 41, 51); 13, 9 (ibid. 182f.); 15A, 3f. (ibid. 205f.); 55, 5, 5 (PL 38, 376f.); 83, 7, 8 (ibid. 518f.); In psalm 62, 10 (CCL 39, 799f.); 73, 8 (ibid. 1010f.); 91, 8 (ibid. 1284f.); 93, 17 (ibid. 1318); 102, 14 (CCL 40, 1464f.); 117, 13 (ibid. 1661f.); 140, 16 (ibid. 2037); Epist. 133, 2 (CSEL 44, 82f.); 173, 3 (ibid. 641f.); In epist. Ioh. 7, 11 (Agaesse 332/4); In evang. Ioh. 7, 7 (CCL 36, 70f.); E. Covi, La pedagogia familiare agostiniana, Laurentianum 17, 1976, 43-59, 55f.; Hier., In Is. 9, 28, 21/2 (CCL 73, 365f.). Vgl. auch noch Callinic., Vita Hypat. 1, 7ff. (Bartelink 74/6). 1504 Amm. 28, 1, 49; 28, 4, 16; Ambr., Fug. saec. 3, 15 (CSEL 32, 2, 175); Nab. 8, 20 (CSEL 32, 2, 477f.); Joh. Chrys., De compunctione 2, 4 (PG 47, 417); Adv. Iudaeos 8, 6f. (PG 48, 936f.); De Lazaro 3, 8 (PG 48, 1003); Ad pop. Antioch. 14, 1 (PG 49, 145); De Basso martyre 2 (PG 50, 722); De fato et providentia 5 (PG 50, 767); In gen. hom. 9, 5 (PG 53, 80); In gen. serm. 3, 2 (PG 54, 593); In psalm. 8, 4 (PG 55, 111); 117, 2 (ibid. 330); In Matth. hom. 37 (38), 5 (PG 57, 425); 42 (43), 3 (ibid. 455); 79 (80), 4 (PG 58, 722); 89 (90), 4 (ibid. 786); In act. hom. 9, 5 (PG 60, 82); 12, 4 (ibid. 104); 15, 5 (ibid. 126/8); In epist. ad Rom. hom. 4, 4 (PG 60, 420f.); In epist. I ad Cor. hom. 26, 7 (PG 61, 222); 40, 5 (ibid. 354); 41, 5 (ibid. 362); In epist. ad Eph. hom. 15, 3 (PG 62, 109f.); 16, 1 (ibid. 112); In epist. ad Tit. hom. 5, 1 (PG 62, 687f.); In epist. ad Philem. hom. 2, 4 (PG 62, 713); Callinic., Vita Hypat. 28, 14ff. (Bartelink 188/92); Aug., In psalm. 102, 14 (CCL 40, 1464f.); 122, 6 (ibid. 1819); Serm. 161, 9, 9 (PL 38, 883); 199, 2, 3 (ibid. 1028); 211, 4, 5 (ibid. 1056); Epist. 185, 21 (CSEL 57, 20); Epist. 8*, 2 (CSEL 88, 42); In evang. Ioh. 10, 9 (CCL 36, 106); In epist. Ioh. 7, 11 (Agaesse 332/4); Max. Taur., Serm. 36, 3 (CCL 23, 142f.); Vita Caes. Arel. 1, 25 (Morin 2, 305f.); Leontios von Neapolis, Vita Symeon. Sal. 161/2 (Festugière 95f.); Vita Ioann. Eleem. 34 (65f. Gelzer) (Festugière 383f.). 1505 Auson., (VIII) Protrepticus ad nepotem 8ff.; Lib., Or. 19, 48; 58, 9; Epist. 1330 (XI 386f.); Aug., Conf. 1, 9, 14f.; Epist. 133, 2 (CSEL 44, 82f.); Serm. 70, 2, 2 (PL 38, 443f.); Civ. 21, 14; 22, 22; Greg. Nyss., Adv. eos qui castigationem aegre ferunt (PG 46, 312). Vgl. auch Lib., Or. 2, 20: Libanios rühmt sich, seine Schüler nicht zu züchtigen. Vgl. allgemein A.D. Booth, Punishment, Discipline and Riot in the Schools of Antiquity, EMC 17, 1973, 107-114. 1506 Contra R.P. Saller, Patriarchy, Property and Death in the Roman Family, Cambridge 1994, 145f. 1507 Vgl. u.a. Joh. Chrys., In illud, vidua eligatur 9 (PG 51, 329); Aug., In psalm. 50, 24 (CCL 38, 615f.).
11. Fazit
289
wurde eingeschränkt. Ein Eigentümer, der seinen Sklaven wegen eines gravierenden Vergehens züchtigen wollte, hatte sich an die Gerichte zu wenden. Immer häufiger bestraften die Herren ihre straffällig gewordenen Sklaven nicht selbst, sondern überstellten sie staatlichen Stellen. Die Hinrichtung von Sklaven wurde nahezu zu einem staatlichen Monopol. Während in der späten Republik und der frühen Kaiserzeit noch ganz regelmäßig von der Hinrichtung von Sklaven durch ihre Herren die Rede ist, sind in der Spätantike als Strafen, die der Eigentümer noch an seinen Sklaven vollstrecken konnte, ohne Anstoß zu erregen, im wesentlichen lediglich das In-Ketten-Legen und die Schläge übrig geblieben. Eigentümer, die ihre Sklaven töteten, liefen Gefahr, ihrerseits vor Gericht gezogen zu werden. Es kann kaum bestritten werden, daß die Gewalt in der spätantiken Gesellschaft in einigen Bereichen zurückgedrängt wurde. Es ist nicht einfach, zu entscheiden, wie „gewalttätig“ eine Gesellschaft ist. Wie vergleichsweise friedfertig die römische Gesellschaft der Spätantike war, wird 1508
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Garnsey 1968, 153f.; Robinson 1981, 219f. Dig. 1, 12, 1, 5 (Ulpian); 12, 4, 15 (Pomponius); 13, 7, 24, 3 (Ulpian); Pallad., Hist. Laus. 3 (Bartelink 24/6); Callinic., Vita Hypat. 21 (Bartelink 134ff.). 1510 Ketten / Sklavengefängnis: Lact., Ira 5, 12 (Kraft - Wlosok 14); Bas., Hom. in martyrem Iulittam 6 (PG 31, 252); Ambr., Tob. 8, 31 (CSEL 32, 2, 535); Aug., Serm. 161, 9, 9 (PL 38, 883); In psalm. 68, serm. 2, 18 (CCL 39, 929); 99, 7 (ibid. 1397); 117, 13 (CCL 40, 1661f.); Civ. 21, 11; Joh. Chrys., De non iterando coniugio 4 (Grillet - Ettlinger 184/6); Adv. Iudaeos 5, 5 (PG 48, 891); Ad pop. Antioch. 2, 4 (PG 49, 39); In ascensionem 4 (PG 50, 448); De mutatione nominum 3, 4 (PG 51, 140); In gen. hom. 37, 5 (PG 53, 349f.); 39, 4 (ibid. 366); In epist. I ad Cor. hom. 40, 5 (PG 61, 354); In epist. ad Col. hom. 12, 2 (PG 62, 383); Virg. 52, 7 (Musurillo - Grillet 296/8); Leo M., Serm. 26, 5 (Dolle 2, 74/6); 27, 5 (ibid. 88/90); 28, 3 (ibid. 98); 29, 6 (ibid. 112/4); 31, 3 (ibid. 136); 35, 4 (ibid. 178); Caes. Arel., Serm. 7, 3 (CCL 103, 39); Greg. Tur., Virt. Mart. 2, 58 (MGH, SRM 1, 628f.); 3, 41 (ibid. 642). Vgl. auch P. Oxy. VI 903 (4. Jh. n. Chr.). 1511 Cod. Theod. 9, 12, 1 (= Cod. Iust. 9, 14, 1) und 9, 12, 2 (319 bzw. 326 n. Chr.); vgl. hierzu A. Stuiber, Konstantinische und christliche Beurteilung der Sklaventötung, JbAC 21, 1978, 65-73. Die Kirchenväter tadeln die Eigentümer scharf, die ihre Sklaven gleichwohl töteten: Aug., Serm. 297, 5, 8 (PL 38, 1362f.); Salv., Gub. 4, 23 (Lagarrigue 250). Conc. Elv. (300/6 n. Chr.?), C. 5 (Vives 2): Wenn eine Frau im Zorn ihre Sklavin zu Tode peitscht, so soll sie, wenn dies absichtlich geschehen war, für sieben Jahre exkommuniziert werden, wenn durch Zufall, für fünf Jahre. Conc. Epaonense (517 n. Chr.), C. 34 (CCL 148A, 33): Hat jemand seinen eigenen Sklaven getötet, ohne den staatlichen Richter eingeschaltet zu haben, so wird er auf zwei Jahre exkommuniziert. Vgl. hierzu auch noch Bas., Epist. 188, 8 (Courtonne 2, 126ff.): Diskussion, in welchen Fällen von einer beabsichtigten bzw. unbeabsichtigten Tötung die Rede sein kann. Jemand, der seinen Sklaven mit einem Riemen oder mit einem nicht zu harten Stock schlägt, ist kein Mörder, wenn der Sklave unter der Züchtigung stirbt. Denn er wollte den Schuldigen bessern, nicht töten. Daß diese Frage überhaupt diskutiert wurde, ist bemerkenswert: Der Eigentümer war nicht mehr frei, über seinen Sklaven so zu verfügen, wie er es für richtig hielt. Const. Apost. 4, 6, 4 (Metzger 2, 178): Der Bischof soll nicht von Ungerechten Gaben entgegennehmen. Genannt u.a. diejenigen, die Witwen und Waisen bedrücken, die Gefängnisse mit Unschuldigen füllen und ihre Sklaven schlecht behandeln. 1509
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11. Fazit
aber durch einen Vergleich mit dem Merowingerreich deutlich. Das Geschichtswerk des Gregor von Tours läßt keinen Zweifel, daß die Gewalt mit dem Niedergang staatlicher Strukturen im Gallien des 6. Jh. zugenommen hat. Da staatliche Behörden keine Hilfe boten, mußten die Bewohner sich ihr Recht selbst verschaffen; auch Gallo-Römer übernahmen in dieser Zeit das Prinzip der Selbsthilfe. Blutige Familienfehden, wie sie für die Spätantike in den Quellen nicht belegt sind, waren im fränkischen Gallien sehr häufig. Das Fehlen von Familienfehden und der Vendetta unterscheidet die Spätantike auch von den meisten anderen bäuerlichen Gesellschaften. In Gesellschaften, in denen die Familienbande stark sind, der Staat aber schwach, liegt die Sühnung von Verbrechen und die Bestrafung von Straftätern häufig in den Händen der Verwandten. Die sich hieraus ergebenden Fehden zwischen den Familien zogen sich teilweise über mehrere Generationen hin. Daß wir hiervon in den spätantiken Quellen nichts hören, dürfte kaum ein Zufall der Überlieferung sein; blutige Auseinandersetzungen hätten mit Sicherheit ihren Widerhall in der Gesetzgebung und in den zahlreichen erzählenden Quellen, den Papyri und nicht zuletzt den Predigten der Kirchenväter gefunden. Wollte man sich für ein erlittenes Unrecht rächen, so wandte man sich an die Gerichte. Wenn in den juristischen Quellen der Spätantike von „ultio“ (= Rache“) die Rede ist, so ist bezeichnenderweise zumeist die Bestrafung vor Gericht gemeint. In der Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit bestand eine große Bereitschaft zur gewaltsamen Konfliktlösung, die Affektkontrolle war nur mangelhaft ausgebildet. Im spätmittelalterlichen England war Mord das dritthäufigste Verbrechen (18,2%). Hanawalt schätzt die Mordrate im mittelalterlichen London auf 3,6-5,2 auf 10.000; in Miami lag die Rate 1948/52 bei nur 1,5 / 10.000. Im weiteren konstatiert sie für Gewaltverbrechen eine besonders niedrige Verurtei1512
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R.W. Mathisen, Roman Aristocrats in Barbarian Gaul. Strategies for Survival in an Age of Transition, Austin 1993, 139ff.; G. Scheibelreiter, Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.-8. Jahrhundert, Darmstadt 1999, 184ff. 1513 Greg. Tur., Franc. 5, 32; 10, 27; J.M. Wallace-Hadrill, The Bloodfeud of the Franks, Bulletin of the John Rylands Library 41, 1958/9, 459-487. 1514 J. Bellamy, Crime and Public Order in England in the Later Middle Ages, London Toronto 1973, 25ff.; J. Black-Michaud, Cohesive Force. Feud in the Mediterranean and the Middle East, Oxford 1975; Macfarlane 1981, 188f.; J. Wormald, The Blood Feud in Early Modern Scotland, in: J. Bossy (Hrsg.), Disputes and Settlements. Law and Human Relations in the West, Cambridge 1983, 101-144; Chr. Boehm, Blood Revenge. The Anthropology of Feuding in Montenegro and Other Tribal Societies, Lawrence, Kansas 1984; Chiffoleau 1984, 124ff.; 150ff.; Wilson 1988, 177ff. Überblick über die Formen ländlicher Gewalt (an den Beispielen China, Frankreich und Sizilien) bei Macfarlane 1981, 174ff. 1515 De Robertis 1948, 25f. (Ndr.); Harries 1999, 145f. Für die Zeit der späten Republik und frühen Kaiserzeit vgl. Thomas 1984. 1516 Hanawalt 1979, 96ff.
11. Fazit
291
lungsquote und schließt aus diesem Befund, daß die Geschworenen Gewaltdelikten mit einer gewissen Nachsicht begegneten. In der Forschung wurde vielfach die Auffassung vertreten, in der Feudalgesellschaft sei die Ehre das höchste Gut gewesen, und demzufolge habe sich die Kriminalität auch besonders gegen Personen gerichtet. Dagegen habe in der bürgerlichen Gesellschaft die Kriminalität verstärkt auf das Eigentum gezielt. Es sind unterdessen einige Regionalstudien erschienen, die die geradlinige Entwicklung von der Gewalt- zur Eigentumskriminalität in Frage stellen. Insgesamt kann an der erhöhten Gewaltbereitschaft im Mittelalter und in der frühen Neuzeit aber kein Zweifel bestehen. Hiervon sticht das Bild, das sich für die Spätantike aus den Quellen ergibt, ab. Auch diese Periode kannte viel Gewalt, aber sie war doch qualitativ und quantitativ etwas anderes als das, was sich im Mittelalter oder in der frühen Neuzeit beobachten läßt. Die von Hanawalt konstatierte Toleranz gegenüber Gewaltdelikten bestand in der Spätantike nicht. Selbst relativ harmlose Gewalttaten wurden vor Gericht gebracht und führten, wenn wir den zeitgenössischen Autoren Glauben schenken dürfen, zu einer Bestrafung. Gewalt wurde nicht toleriert, der Staat und die Bürger hatten das Ideal einer friedlichen Gesellschaft vor Augen. 1517
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Hanawalt 1979, 61f. Vgl. auch Given 1977, 92: Sehr niedrige Quote von Verurteilungen in England im 13. Jh.: nur 285 von 3492 wegen Mordes Angeklagten (8,2%) wurden verurteilt. Geremek 1976, 58ff. sowie Chiffoleau 1984, 174 konstatieren, daß Diebstähle im spätmittelalterlichen Frankreich im Vergleich zu Gewalttaten (und seien es auch Tötungsdelikte) sehr streng geahndet wurden. 1518 Zum Übergang von der Gewalt- zur Eigentumskriminalität vgl. u.a. Zehr 1975; Farge – Zysberg 1979, 984. 1519 Sharpe 1984, 58f. Auch Sharpe konstatiert aber in der frühen Neuzeit eine Entwicklung zu einer Gesellschaft, die durch weniger brutale Gewalt charakterisiert ist (ibid. 60). Skepsis bezüglich des postulierten Überganges von der Gewalt- zur Eigentumskriminalität äußern auch Österberg - Lindström 1988, 65f.; 153f.; Garnot 1992, 290; X. Rousseaux, From Medieval Cities to National States, 1350-1850: The Historiography of Crime and Criminal Justice in Europe, in: C. Emsley – L.A. Knafla (Hrsg.), Crime History and Histories of Crime. Studies in the Historiography of Crime and Criminal Justice in Modern History, Westport, Conn. – London 1996, 3-32, 14f. 1520 Vgl. hierzu auch Given 1977; Chiffoleau 1984, 152; G. Ruggiero, The Boundaries of Eros. Sex Crime and Sexuality in Renaissance Venice, New York - Oxford 1985; Burghartz 1990, 16ff.; 146ff.; Crouzet-Pavan 1992, 808ff.; Blastenbrei 69f.; 72ff.; 281ff.; V. Groebner, Der verletzte Körper und die Stadt. Gewalttätigkeit und Gewalt in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Th. Lindenberger – A. Lüdtke (Hrsg.), Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, Frankfurt a.M. 1995, 162-189. Rückgang der Gewaltbereitschaft im Verlauf der frühen Neuzeit (vor allem seit dem 18. Jh.): Castan 1980b, 299ff.; L. Stone, Interpersonal Violence in English Society 1300-1980, P&P 101, 1983, 22-33 (hierzu auch J.A. Sharpe, The History of Violence in England: Some Observations, P&P 108, 1985, 206-215 sowie L. Stone, A Rejoinder, ibid. 216-224); Beattie 1986, 132ff.; J.S. Cockburn, Patterns of Violence in English Society: Homicide in Kent 1560-1985, P&P 130, 1991, 70-106; Frank 1995, 255f.
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11. Fazit
Ein wesentlicher Aspekt ist sicher die Verbreitung und der Einsatz von Waffen. Auch wenn das Waffentragen nicht ganz unterbunden werden konnte, waren Waffen nicht so verbreitet wie in anderen vorindustriellen Gesellschaften, in denen die Waffenfähigkeit und der Gebrauch von Waffen zentraler Bestandteil der Selbstdefinition eines jeden Mannes waren. In diesen Gesellschaften wurde es von einem Mann geradezu erwartet, daß er auf die Verletzung seiner Ehre mit Waffengewalt reagiert; in der Spätantike ging er demgegenüber vor Gericht. Als eines der herausstechenden Kennzeichen der Entwicklung in der frühen Neuzeit wird in zahlreichen Untersuchungen zur Kriminalität auf den Ausbau staatlicher Strukturen hingewiesen. Der absolutistische Staat beanspruchte zunehmend das Monopol der physischen Gewalt. In gewisser Beziehung war auch die Spätantike eine Zeit, in der der Staat sich stärker zur Geltung brachte. Die Provinzen wurden deutlich verkleinert, und damit waren die Provinzstatthalter sehr viel besser in der Lage, in ihren Amtsbereichen für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Eine gewisse Effizienz wird man dem Polizei- und Justizapparat nicht absprechen dürfen. Die Angst vor Strafen und den Beamten hielt nach Ansicht der Kirchenväter viele von Verbrechen ab. Sie schildern die Ängste von Straftätern nach begangener Tat: vor der Untersuchung, vor dem Gerichtsverfahren. Bis zu einem gewissen Grade scheinen die Strafen die gewünschte abschreckende Wirkung gehabt zu haben. Nach Augustin möchte man vielleicht seinen Feind töten, tut dies aber doch nicht, nicht weil man an Gott denkt, sondern weil man einen irdischen Richter fürchtet. Bischof Valerianus von Cemenelum (Mitte 5. Jh.) konstatiert, es sei im wesentlichen der Angst vor Strafen zu verdanken, daß die Verbrechen (Ehebruch, Diebstahl, Raub) sich nicht noch weiter ausbreiteten. Im Sinne der Abschreckung verteidigt Valerianus auch die Todesstrafe etwa für Räuber gegen manche Leute, die sie für zu grausam hielten. Der Staatsapparat war selbst in einer Zeit, da das Weströmische Reich bereits stark geschwächt war, noch stark genug, um ein Ausufern von Gewalt und Kriminalität zu unterbinden. 1521
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In psalm. 93, 1 (CCL 39, 1300f.); Serm. 169, 6, 8 (PL 38, 919f.); Serm. Dolbeau 11, 13 (Dolbeau 66); 19, 11 (ibid. 163f.); In evang. Ioh. 43, 7 (CCL 36, 375); Joh. Chrys., Ad pop. Antioch. 13, 4 (PG 49, 141); 15, 1 (ibid. 153/5); In psalm. 86, 2 (PG 55, 741f.); Hil., In psalm. 1, 11 (CSEL 22, 26). 1522 Ambr., Fid. 5, 17, 209f. (CSEL 78, 295f.); Severianus, De mundi creatione 6, 6 (PG 56, 491f.); Joh. Chrys., In psalm. 10, 3 (PG 55, 143f.). 1523 Aug., Serm. 9, 3 (CCL 41, 111). 1524 Val. Cem., Hom. 1, 2 (PL 52, 692f.).
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SACHREGISTER abolitio (publica): 223; 241; 275. Abschreckung: 131; 214; 229; 254; 256; 260; 281; 284; 292. actio servi corupti: 143. actores: 119; 122; 186. Ägypten: 4; 14; 23; 25; 48; 52; 60/2; 64/6; 70; 73/4; 78; 100; 102; 112; 115; 118; 122; 128; 133; 151; 161; 167/8; 170; 183; 201/2; 211; 212; 221; 224/6; 259. Ämterkauf: 173. Africa: 72; 75; 85; 87/8; 117; 123/4; 131/3; 136; 146/7; 168; 195; 198; 200; 206; 214; 243; 257. agens in rebus: 162; 241. agri deserti: 170; s. Anachorese. agrophylakes: 128. Akklamation: 264; 267. Alkohol: 16/22; 28/9; 73; 89; 141; 156; 163; 175. Alpen: 132; 135. Amnestie: 47; 90/3; 96; 130; 145; 162; 170; 271; 275/7; 279; 282/3. Amphitheater: 255; 280. Anachorese: 1; 167/70; 173. Anwalt / Advokat: 234; 237. apparitor/es: 89/90; 193; 242. Appellation: 227; 272/4. Arabien: 136. Arianismus: 53/4; 196. Armee: 50/1; 54/5; 70; 78; 86; 88; 130; 135; 137/8; 159; 184; 193; 195/6; 202; 207; s. Berufsarmee, Desertion, Offiziere, Soldaten, stationarii.
Asket: 39; 74; 105/6; 172; 183; 185; 204; 216. Astrologie: 41; 203; 207. Attentat: 45; 266. Auslieferung von Straftätern: 201; 211. außergerichtliche Einigung / informelle Konfliktregelung: 3/4; 9; 15; 40; 79; 103; 172; 212; 220/8; 237/8; 242; 244; 246; 248; s. Schiedsgericht, Schlichtung, Selbstjustiz. Autopragie: 74. Bad: 11; 94/5; 100/1; 178; 204. Barbaren: 45; 50; 123/4; 136; 147; 160; 168; 171; 246; 265. Bauern: 1; 6; 14; 33; 50; 54/5; 58/61; 63; 65; 69; 70/4; 77/9; 95; 101; 105; 107; 110; 112/3; 133; 134; 166/7; 169/71; 175; 177; 179/80; 184; 186; 203; 216; 244/6; 285/7; 290. Beamte: 7; 14; 19; 46; 49/50; 58; 62; 64/5; 70; 79; 87; 119; 126; 134; 158; 184; 195; 206; 209; 214; 218; 235; 245/6; 261; 271; 292; censuales: 159; comes 87/8; 265; Gymnasiarch: 65; Komarch: 62; magister equitum: 87; magister militum: 90; 195; magister officiorum: 193; Pagarch: 74; praefectus Aegypti: 61; 65; 167; 183; 225; praefectus annonae: 153; praefectus praetorio: 53; 81; 123; 138;
308
Sachregister
208; 235; 242; 264; 273; praefectus urbi: 19; 45; 53; 80; 86; 88/90; 92; 121; 146; 151; 159; 163; 174; 176; 182; 190; 192/3; 235; 242; 266; praefectus vigilum: 94; 190; 193; praetor plebis: 94/5; Provinzstatthalter: 32; 35; 39; 45; 49; 68; 71; 77; 81; 87/8; 95; 97/8; 103; 116; 120/1; 126 ; 143; 148/9; 158; 163; 166; 175; 183/4; 188; 193/6; 198; 200/1; 206/10; 214; 221/2; 232; 234/6; 241/2; 243/4; 257; 260/3; 267; 272; 274/5; 282/3; 292; vicarius: 49;55; 137; 208. 236; 243. Begnadigung: s. Amnestie. Beleidigung: 6/12; 14; 16/7; 25; 31; 110; 149/50; 171; 217. beneficiarii: 200. Berufsarmee: 50; 167. Berufsverbrecher: 19/20; 44; 47; 96; 110/1; 113/4; 133; 140; 144; 153; 163; 176/9; 213; 285. Betrug: 141; 239. Bettler / Bettelei: 80; 83/4; 106; 108; 110; 113; 145; 153; 167; 171; 173/4; 177/8. bioyolyta: 195/6. Bischof: 6/7; 21/2; 29; 40; 45; 53/4; 69; 75; 77; 81; 84; 89; 91; 97; 102; 105; 107; 109; 116/7; 122; 129; 146/7; 149/50; 157; 159; 161/2; 171; 177/8; 185; 188; 191; 195/6; 204; 206/7; 211/2; 216; 223; 226/9; 230/1; 233; 243/4; 246; 248; 257; 259; 263; 266/70; 275; 279; 282; 289. Bischofsgericht: 29; 227/8; 245. Blasphemie: 19. Brandstiftung: 15; 60; 88; 95; 147; 183; 190; 226. Bürge / Fürsprecher: 24; 102; 183; 239; 279.
Bürger: 23; 50; 80/1; 91; 103; 137; 192; 198; 210; 214; 236; 239; 253; 265; 279; 291. Bürgerrecht: 35; 188; 274; 282. calumnia/tores: 11; 162; 221; 237/40; 242. castellum. 69; 75; 100; 129; 198; 244. Christenverfolgung: 185; 251; 253. Circumcellionen: 17; 55; 136; 146; 195; 214; 233; 257; 259. Circus / Hippodrom: 118. Circusfaktionen: 26; 44/6; 51/2; 54; 79; 91/2; 104; 159/61; 163/5; 210; 259; 266. “classe dangereuse”: 83; 113; 178. cognitio extra ordinem: 10; 23; 101; 121; 261. collegiati: 190/2. commentarienses: 182; 193; 209. conductor: 56; 71, s. Großpächter. consistorium: 45. contumacia: 71; 110. corporati: 81; 90; 190/1. crimina capitalia: 169; 200; 223; 272. crimen publicum: 239. curiales: 10; 44; 51; 63; 65; 70; 72; 74; 80; 82; 112; 119; 128; 131;143; 148; 157; 160; 196/9; 200; 206; 250; 271/2; 282. curiosi: 194. defensor civitatis: 65; 71; 117; 126; 186; 197; 199; 201; 244/5. dekaprotoi: 62. delator: 98; 203; 222; 233. demosioi: 60; 206; 212. Denunzation: 127; 203; 205/6; 233. Desertion: 2; 129/30; 138; 145; 172/3; 175; 186; 201; 214; 218; 241; 249; 277. Diakon: 21; 36; 40; 61; 230.
Sachregister
Diebstahl: 3; 8; 12; 33; 41; 43; 46; 52; 58; 91; 94/116; 120; 124/5; 140/5; 150; 153/4; 157; 161; 163; 171/2; 178; 180; 182; 190; 206; 212; 216; 220; 223/4; 226/7; 230; 232; 244; 258; 265; 285; 292. Donatismus: 85; 206; 214; 233; 257/8; 263. Dorf: 2/3; 12; 14/15; 19; 25; 44; 52; 58/60; 63/4; 70; 73; 78; 100; 113/4; 117/8; 128; 133/4; 137; 152; 172; 176;178; 182/4; 186; 188; 203/5; 212/3; 216; 218; 224; 230; 248; 267; 286. Ehebruch: 7/8; 12; 27; 30; 35; 41/3; 47; 97/8; 114; 161; 163/5; 199; 204; 209; 216; 220; 222/3; 226; 229/30; 233; 256; 258/9; 268; 273; 276; 292. Ehefrau: 8/10; 17; 23; 27/30; 34; 43; 112; 116; 121; 154; 164; 180/1; 209; 212; 222/3; 246; 258. Ehescheidung: 28; 30; 34; 47; 111; 169. Ehre: 6/9; 11/2; 15; 18; 39; 56; 291/2. Eid / Meineid: 226. Eifersucht: 27; 43. Eigentumskriminalität: 3; 8; 20; 41; 58; 82; 94/139; 140; 153/4; 172; 233; 285. Einbruch: 96; 101/2; 106/7; 110/1; 114; 143; 190; 212/3; 224; 286; 291. eirenophylakes: 56; 197/9. England: 35; 169; 172; 290. epimeletai ton phylon: 45/6; 196. Erbrecht/schaft: 31/5; 45; 65; 112; 126; 206. Erbschleicherei: 43. Erdbeben: 95. Erntediebstahl: 105; 113; 118; 223. Erpressung: 59; 72; 166; 221/2; 242.
309
Euergetismus: 74. Eunuch: 208. Exkommunikation: 37/40; 42; 96/7; 182; 203; 226/31; 248; 260; 267; 289. fabricae / fabricenses: 49/50; 53. Fahndung: 137; 181; 189; 192/202; 205/11; 213; 218; 243; 283. familia / Familie: 26/35; 42/3; 72; 111; 131; 137/40; 146; 151/4; 156/7; 160/3; 169; 175; 180/2; 185; 188; 238; 285; 290. Fehde: 58; 63; 238; 290. Flucht: Kriegsflüchtlinge: 153; 168; 170/1; Sklaven: 52; 71; 141/2; 144/5; 148; 212; 244; 286; Verbrecher: 207/10; 219; 250; Landflucht: s. Anachorese. Folter: 43/4; 47; 89; 98; 147; 149; 155; 221; 226/7; 241; 250; 267; 270; 273/4; 281/2; 287. Forum: s. Markt. Frankreich: 71. Frauen: 11/2; 14/5; 23; 27/30; 34/5; 47; 65/7; 108; 111; 117; 122/4; 126; 135; 140/1; 146; 151/6; 169; 175; 180; 183; 204; 212; 234; 289. Frauenraub: 35/7; 40; 155; 182; 208; 213; 216; 225; 249; 273. Freilassung: 40; 120; 122; 126; 143; 145; 205; 216; 232; 234. Gallien: 40; 120; 122; 130; 134/6; 171; 204; 226; 246; 268; 290. Gasthaus: 7; 17/20; 26; 121; 154; 163; 204. Gastwirt: 6/7; 11; 178. Gebirge: 124/5; 131/2; 135; 139; 183; 202. Gefängnis: 23/4; 79; 96; 102; 111; 131; 142; 148; 151/2; 172; 179; 181; 183; 194; 200/1; 235; 238; 240; 255; 265; 267; 270/1; 276; 280; 289.
310
Sachregister
Germanen: 124; 130; 136; 138; 168; 171; s. Barbaren, Goten, Vandalen. Geschwister: 14; 33/4; 47; 100; 151; 161; 180/1. Geständnis: 47; 105; 273. Gift: 29/30; 32; 35; 42; 47; 114; 229; 234; 273; 276. Gladiatoren(spiel): 53; 89; 253; 255; 279; 282; s. Sanktionen. Gläubiger / Schuldner: 14; 23/4; 63; 68; 72; 75; 86; 126. Glücksspiel: 18/9; 164. Goten: 71; 120; 136; 145; 147; 152; 157; 190/1; 274. Grabraub/-schändung: 47; 96/8; 141; 151; 216; 276. Großgrundbesitz/er: 3; 56; 62/3; 66; 68/9; 72; 74; 76; 119; 129 ; 186/7; 198; 211; 245/6. Habgier / cupiditas: 27; 43; 109/10. Händler: 80/4; 86; 133; 135; 158; 175; 179; 182; 216; 224. Häresie: 257; 278. Handwerk: 6; 73; 80; 82/4; 86; 110/3; 158; 175; 179; 204; 285. Hausgericht: 143; 149; 152; 162/3. Hehlerei: 99; 114; 183; 190. Heiden: 55; 65; 91; 147; 157; 177; 193; 206; 209; 217; 253; 261; 266; 278/9. Hirte: 113; 118/9; 127/8. Hochverrat: 45; 180; 252/3. Homosexualität: 42; 98; 161; 229/30; 255; 258. honestiores – humiliores: 44; 60; 66; 74; 85; 101; 121; 164; 186; 249/50; 270; 282. honorati: 119; 188; 246; 264. Hunnen: 129; 145. Illyricum: 72; 123. indulgentia: 88; 91; 130; 275. infamia: 45; 98; 274.
iniuria: 9/10; 25; 148/9; 220; 232; 240. inquisitio: 232. inscriptio: 239; 241; 244. Intervention (Strafprozeß): 227; 269/71; 273; 279. Irenarch: 14; 63; 197. Isaurier: 49; 56; 131/2; 137; 160; 199; 202; 252. Italien: 73; 84; 118/9; 130; 138; 167; 177. iudices pedanei: 235. iudicium publicum: 220; 222; 232; 234; 240. ius vitae necisque. 31. iuventus (neoi)-Organisation: 157; 163/4. Jagd: 48; 51. Juden: 31; 76/7; 147; 153; 253; 283. Jugendliche: 17/8; 20; 27; 30/1; 155/66; 168; 259. Jungfrau: 35/40; 111; 153; 204; 213; 216. Kappadokien: 87. Kinder: 22; 27; 30/1; 34; 43/4; 112; 117; 121/4; 128; 153; 164; 175; 180; 182; 225. Kirche (Gebäude): 11; 44; 94; 99; 182. Kirchenasyl: 44; 52; 87; 148; 226; 266; 271/2. Kirchenbuße: 37/8; 42/4; 225; 227/30; 248; 260, s. Exkommunikation. Kirchenkonzil: 21; 29; 38; 53; 57; 149; 204; 268. Klage (Gericht): 8; 25; 47; 62; 67; 77/8; 115; 152; 189; 199; 206; 215; 220/2; 226/8; 232/4; 238/8; 241/3; 259; 281. Klatsch: 204.
Sachregister
Kleidung / Textilien: 25; 75; 94; 98; 104/5; 107; 109; 113; 118; 151; 244; 286. Kleinasien: 127; 131/2; 145; 195. Kleriker: 18; 20/2; 29; 40; 44/5; 57; 74; 79; 85; 89; 98; 106; 112; 136; 150; 185; 204; 206; 216/7; 221; 225/6; 230/1; 233; 257; 260; 269/71; 273; 286. Klientel: 86; 157; 176; 187; 285; s. Patrocinium. Kloster: 21; 28; 36; 39/40; 44; 99; 105; 144/5; 147; 156; 172; 207; 211; 225. Körperverletzung: 10; 12/26; 232; s. iniuria. Kolone: 40; 56; 67; 70; 75/9; 98; 120; 129; 146; 149; 167; 169/70; 172/4; 177; 188; 244/6; 286. Komplizenschaft: 19; 37; 183/4. Korruption: 173; 186; 210; 221/2; 237; 274, 282. Landraub: 64/9; 71; 148; 151; 228. lanistae: 280. Leibwache: 26. lenocinium: 223. lex Aquilia: 60/1. lex Cornelia de sicariis: 48; 249. lex Fabia: 121; 232. lex Iulia de maiestate: 249; 262. lex Iulia de vi: 23; 48; 51/2; 66; 138. lex Visellia: 232. „limited good“: 15; 60; 109. Lohnarbeiter / Tagelöhner: 63; 84; 113; 170; 178. Libyen: 209. Luxus: 57; 75; 85; 104; 110. Lydien: 196. Lykaonien: 119; 196. Lykien: 144. Lynchjustiz / Volksjustiz: 216/8; 220; 266. Märtyrer: 202; 253.
311
Mafia: 58. Magie: 33; 148; 161; 177; 193; 205; 211/2; 217; 242; 253; 256; 268. Makedonien: 132. Markt: 7; 11/3; 44; 102; 157; 250. mediocres: 83. Menschenraub: 23; 35/8; 120/4; 133; 213; 216; 225; 256. Merowinger: 39; 266; 290. Miliz: 51; 54/5; 135; 160; 164; 199. Mitgift: 27; 29/30; 37; 112. Mittelalter: 5; 9; 12; 19/20; 22; 34; 47/8; 57; 71; 79; 84; 113/4; 151/2; 154; 160; 165; 172/3; 176; 179; 203; 281/2; 290/1. „Mittelschicht“: 1; 84/6; 94; 107; s. mediocres, Pauperisierung. Mönch: 17; 21/2; 44; 55; 60/1; 105; 111; 117; 142/3; 145; 153; 161; 172; 211; 213; 215/7; 221; 224/5; 271; 273. Mord: 7/8; 29; 32/3; 35; 40/8; 67/8; 97/9; 114; 141; 144: 147; 149; 151; 154; 161; 206; 213/4; 217; 220/1; 226; 229/30; 233/4; 250; 255/6; 259/60; 265/6; 268; 270; 273; 276/7; 283; 290. Motiv (Verbrechen): 4/5; 27; 29; 30; 32/3; 35; 43/4; 105; 110; 114; 141; 144; 147; 157; 238; 285. municipium: 163; 186; 199; 207; 278. munus / Liturgie: 68; 170; 201; 278. Mutter: 32/3; 42; 126; 181/2; 225; 240. Nachbarschaft: 2; 7; 12/16; 25; 34/5; 52; 56; 59/69; 78/9; 86; 105; 109; 111/3; 118; 152; 154; 157; 175/6; 178; 181/3; 205; 213; 217; 219; 224; 228/9; 238; 285/7. Nacht: 19; 26; 44; 94; 100/1; 104; 191. Naumachie: 280.
312
Sachregister
Neid: 13; 16; 85; 105; 109/10; 258. Neuzeit, frühe: 4; 9; 12; 19/20; 34; 41/2; 47/8; 57; 71; 86; 113/5; 151/4; 160; 165; 169; 172/3; 176; 178/9; 203; 281/2; 290/2. Nonne: 111; 230. Notwehr: 38; 213/5; 218; 277. nykteparchos: 197. officium / officiales: 90; 95; 190/6; 208/9; 263/4; 273/4. Offiziere: 16; 78; 87; 127; 129; 136; 197; 208; 236. Pächter: 56; 60; 72; 75; s. conductor, Kolone. Päderastie: 233. palatini: 119. Palaestina: 134; 170; 193; 198; 253. parridicum / Vatermord: 32/3; 43. patria potestas: 10; 30/1; 36. Patrocinium: 70; 77/8; 120; 186/8; 205; 216; 218; 262; 279; 282, s. Klientel. Pauperisierung: 1; 72; 75; 81/3; 94; 109; 110; 113/5; s. mediocres, „Mittelschicht“. peculatus: 241. peregrini: 168; 171; 173; 274; 283. Petitionen: 4; 14/5; 60/2; 65; 76; 115; 118; 121; 143; 161; 212; 224; 226. Pferde: 116; 119; 128. phylakes tes choras: 201/2. Pilger: 135/6. plagiarii / plagium: 121/2; 124; 144; 232; 251; s. Menschenraub. plebs: 7; 10; 18; 46; 50; 53; 79/80; 82; 86; 89; 92; 98; 147; 174; 176; 241. Plünderung: 95; 129; 216. Polizei: 13; 15; 19; 46; 48; 56; 82; 86; 89; 90; 92; 94; 101; 125; 128; 134; 137; 167; 180; 182; 189/203; 210; 218/9; 248; 283; 292;
cohortes urbanae: 189/92; contubernales: 189/90; vigiles: 190/1; tribunus fori suarii: 189. possessor: 71; 184. potentes: 24/5; 57; 63; 66; 85; 187/8; 236/7. potentes: 24; 57; 63; 66. praepositus sacri cubiculi: 149. praevaricatio: 221. presbyteros: 183; 204; 215; 257. Priester: 20/1; 44; 69; 148; 161; 200; 216; 225; 228; 230; 257. primates: 82; 241. principalis: 65. procurator: 39; 56; 95; 119; 126; 149; 186/7. Prostitution: 11; 19; 121; 154; 156; 164; 225. protokometai: 62. Provinz: 70; 78; 117; 118/9; 121; 123; 127; 134; 188; 193; 207/8; 235; 245; 262; 292. Rache: 9; 206; 217; 234. Raub / Räuber: 1/3; 17; 19/21; 35; 42; 49; 51/2; 58; 65/6; 68; 74; 95/102; 104; 106; 108; 110; 113; 115/7; 119; 122; 124/39; 141; 145; 148; 160; 166/8; 180/1; 183/7; 190; 199; 202 ; 210; 213/4; 218; 250; 265; 272; 277; 283; 285; 290. Raubmord: 45; 125; 213; 216. receptatores: 186. Recht: klassisches: 9/10; 16; 23; 94; 101; 103; 162/3; 181; 185/6; 215; 218; 220/1; 239; 249/50; 252; 261; 272; 274; 283; 289; nachklassisches: 9; 67; 103; 117; 163; 180; 215; 220/1; 240; 249; 261; 274; 289; s. Strafrecht. Reisen: 45; 48; 51/2; 134/6; 138; 172; 196; 199; 213/4; 236. Rekrut: 167. riparii: 63.
Sachregister
Ritter: 10; 191; 282. Sachbeschädigung: 60. sanctimonialis: 39. Sanktionen: 3; 43; 139; 180; 209; Bergwerksarbeit: 10; 44; 66; 101; 116; 121/2; 149; 256; 259; Geldbuße: 97; 102; Gladiatorenschule: 44; 251, Kastration: 40; Körperstrafen: 7; 10; 25; 28; 101; 103; 142; 152; 155; 239; 254; 256; 259; Konfiskation: 68; 91; 97; 121; 138; 149; 155; 200; 250; 272; opus publicum: 94; 101; 116; 275; Verbannung: 10/11; 25; 33; 37; 39/40; 43/4; 60; 66/8; 89; 92; 97; 101; 119; 121; 162; 196; 203; 225; 240; 249; 263; 272; 278; Verstümmelung: 19; 259; Zwangsarbeit: 43; 60; 66; 91; 97; 103; 116; 251; s. Todesstrafe. Schadensersatz: 23; 60; 95; 101; 116/7; 143; 223/5. Schiedsgericht: 59; 220/1; 228; 246. Schisma: 89/90. Schlägereien: 3; 6; 10; 12/14; 21; 25/6; 44; 91; 146; 148; 220; 258. Schlichtung: 77. Schmähschrift: 10; 243. Schuldknechtschaft: 121. secretarium: 264. Seeleute: 177/8. Selbstjustiz/hilfe: 3; 22/5; 37; 67; 117; 166; 189; 200; 212; 214/8; 220; 248; 290, s. Lynchjustiz. Selbstverkauf: 121. Senat/or: 10; 45; 63; 80; 86; 102; 119; 148/9; 162; 191; 234; 236; 241/2; 259; 282. Sexualstraftat: 8; 17; 35; 42; 58; 161; 163/5; 216/7; 225; s. Ehebruch, Frauenraub, Homosexualität, Vergewaltigung. Sippenhaft: 181.
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Sizilien: 58; 187. Sklave: 8/11; 17; 22/6; 28; 35; 38/9; 42/4; 52; 56/7; 66; 71/2; 76/7; 82; 86; 89; 95; 97/9; 100; 107/8; 111; 113; 119; 120/4; 126; 129; 136; 138; 140/51; 155; 157; 161; 166; 170; 172; 174/6; 187; 205; 211/2; 234; 242; 245/6; 249/50; 253; 285/6; 289. Sklavenhandel: 123; 141. Soldaten: 2; 16; 18; 24; 38; 45; 49; 50/1; 54/6; 76; 87; 89; 92; 121/2; 129/30; 132; 137; 151; 165/7; 182; 196; 202; 209; 214; 246; 265; 271; 287. Soldatenrekrutierung: 167. Sozialrebellen: 185. Spanien: 71; 153. Stadt:1/3; 6; 12/15; 17/20; 25/6; 41; 46; 50; 53; 58; 67; 70; 73; 79/81; 84/7; 94; 99; 113/5; 128/9; 132; 134/5; 140; 145; 148/50; 154; 157/8; 160/1; 163; 166; 168; 171; 173; 175/6; 178; 180; 182/3; 187; 196/8; 204/5; 209/10; 213; 219; 224; 226; 230; 235; 248; 261; 266/7; 286/7; Zuwanderung: 145; 171; 173/4. Stadtviertel: 12; 176; 182/3; 190; 192; 219. stationarii: 135; 194/5; 200; 206. Statistik: 2/3; 5; 32; 34; 40/1; 84; 101/2; 114/5; 220; 279; 285. Steuereintreibung: 55; 68; 70/2; 74; 166; 197; 250; 286/7. Steuerhinterziehung: 170. Strafpraxis: 4; 15; 40; 91; 97/8; 103; 206; 226/8; 232; 234/9; 241/2; 245/6; 248/9; 254; 261/2; 276/8; 282. Strafrecht: 3/4; 15; 44; 83; 234/5; 240; 248/9; 254; 272; 278; 282. Student: 102; 111; 158/61; 163.
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Sachregister
suarii: 119. Syrien: 19; 73; 103; 132/4; 202. Tagelöhner: Testament: 32; 120; 126; 232; 278. Theater: 156; 160; 163/4; 175. Thrakien: 72; 129; 145. Todesstrafe / Hinrichtung: 17; 33; 36; 39/46; 91; 97/8; 102/3; 116; 121; 125; 130; 147; 194; 205; 215; 222/3; 233; 248; 255/60; 263; 266; 268/70; 273; 278/9; 281; 292; bestiae: 92; 122; 249; 251/4; 280; 283, crematio 15; 35; 37; 211; 226; 250/4; 258; 261; 280; crux / furca: 92; 121; 249/50; 252/3; 255; 280; 283; Enthauptung: 250; 253; 258/9; Ertränkung: 253; Säckung: 32; 258/9. Totschlag: 16; 20; 33; 41/2; 44; 46; 66/8; 213; 224/5; 260; 275. Überfall: 15; 226. Unruhe / Aufruhr: 3; 40; 48/9; 53/5; 70; 79/93; 113; 132; 145/7; 152/3; 157/8; 160; 163; 175; 177; 184; 187; 192; 196; 205; 208/9; 218; 235; 257; 266; 283, Hunger: 79/80; 88; 153; 192; 208/9; 266; s. Circusfaktionen. Unterschlagung: 111; 286. Untersuchungshaft: 25;156; 221; 279. Unzucht / stuprum: 10; 38; 141; 199; 204; 216. Urkundenfälschung: 238. Usurpation: 108; 123/4; 127; 130; 159. Vagabunden: 74; 167/73; 177/8.
Vandalen: 146; 168. Vater: 10; 15; 21; 28; 30/3; 35/6; 38; 127; 155; 157; 162/4; 181/2; 226; 240; 246; 288. Vendetta: 58; 182; 290; s. Rache. Vergewaltigung: 35/6; 38/40; 161; 163; 165; 199; 225; 256; 274; 276. Veteran: 14; 112; 119; 130/1; 212; 282. Viehdiebstahl: 52; 59/61; 75; 113; 116/20; 128; 186; 213; 244. Wachhund: 107; 128. Waffen / Waffenbesitz: 48/57; 71; 99; 102; 128; 136; 148; 213 ; 220; 292, Dolch, Messer, Schwert: 15/8; 36; 44; 47; 49; 50/6; 88; 96; 121; 137; 146/8; 152; 213/4; 226; 250; 260; Knüppel, Stöcke: 21/2; 48; 50/6; 61; 65; 70; 88; 118/9; 214; Steine: 55; 70; 88; 146; 152. Waisen: 37; 42; 60; 65; 67; 106; 155; 289. Wiederholungstäter: 111; 114; 116; 177; 276. Witwen: 14; 36/7; 39; 41; 65; 106; 109; 112; 117; 153/5; 204; 212/3; 268; 289. Wucher: 63. Xenophobie: 63; 171. Zorn: 6; 9; 16; 22; 29; 44; 48; 239; 289. Züchtigung: Kinder, Sklaven,´Ehefrau: 27/9; 141; 152; 163; 288/9; Schüler, Studenten: 159; 288; Kleriker, Mönche, Bischofsgericht: 21/2.
ZUM BUCH Die interdisziplinär ausgerichtete Arbeit, die sowohl für den Alt- wie den Rechtshistoriker von allergrößtem Interesse ist, setzt in der umfassenden Sichtung und Analyse unterschiedlichster Quellengattungen (juristische Texte, christliche Literatur, literarische Quellen, Papyri) Maßstäbe. Während in der althistorischen Forschung bislang vor allem nach Formen kollektiver Gewalt gefragt wurde (religiös motivierte Gewalt, Circusfaktionen, städtische Unruhen), beschreitet Krause neue Wege, indem er vor allem die „Alltagskriminalität“ (Schlägereien und Tätlichkeiten auf der Straße oder in der Kneipe, häusliche Gewalt, Mord und Totschlag) in den Blick nimmt. Das Ergebnis ist frappierend und leistet einen wichtigen Beitrag zur spätantiken Sozialgeschichte: Weder läßt sich, wie dies lange Zeit in der Forschung angenommen wurde, eine Zunahme der Gewalt unterstellen, noch war überhaupt die spätantike Gesellschaft durch ein übermäßig hohes Gewaltpotential charakterisiert. Ähnliches gilt für die Eigentumskriminalität, die den zweiten Schwerpunkt der Arbeit bildet: Sicher sind vielfältige Formen von Eigentumsdelikten bezeugt, aber die Menschen in der Spätantike mußten keine übermäßig große Angst davor haben, auf den Straßen Opfer eines Raubüberfalles oder daheim eines Einbruches zu werden, ein Befund, der umso bemerkenswerter ist, als auch der spätantike Staat über keinen nennenswerten Polizeiapparat verfügte. Die Sozialkontrolle in den Dörfern und Städten (und selbst in den Großstädten Rom, Konstantinopel, Alexandria und Antiochia) war geeignet, ein Überhandnehmen der Kriminalität, sowohl der Gewalt- wie der Eigentumskriminalität, zu verhindern. Aus dem Inhalt: Gewalt. Eigentumsdelikte. Soziales Profil der Straftäter. Unterstützung von Straftätern. Fahndung nach Straftätern. Alternativen zum Gang vor Gericht. Straftäter vor Gericht. Strafen.
ÜBER DEN AUTOR Jens-Uwe Krause lehrt als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München Alte Geschichte und gilt als einer der führenden Spezialisten auf dem Gebiet der römischen Sozialgeschichte. Zu seinen wichtigsten Werken zählen: Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches (1987), Witwen und Waisen im Römischen Reich, 4 Bde. (1994/5), Gefängnisse im Römischen Reich (1996), Kriminalgeschichte der Antike (2004).