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German Pages 290 [292] Year 1967
NORBERT WAGNER · GETICA
QUELLEN U N D F O R S C H U N G E N ZUR S P R A C H - U N D K U L T U R G E S C H I C H T E DER G E R M A N I S C H E N V Ö L K E R
BEGRÜNDET VON BERNHARD TEN BRINK UND WILHELM SCHERER
NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH 22 (146)
BERLIN 1967 WALTER DE G R U Y T E R & CO VORMALS G. J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TRÜBNER — VEIT & COMP.
GETICA
UNTERSUCHUNGEN ZUM LEBEN DES JORDANES UND ZUR FRÜHEN GESCHICHTE DER GOTEN
VON
NORBERT WAGNER
BERLIN 1967 W A L T E R DE G R U Y T E R & C O VORMALS G. J . GOSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J . TROBNER — VEIT & COMP.
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Würzburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Archiv-Nr. 43 3 0 67/1
© Copyright 1966 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Gösdien'sdie Verlagshandlung— J . Gutcentag, Verlagsbudihandlung — Georg Reimer — Karl J . Triibner — Veit & Comp. — Printed in Germany. — Alle Rechte des Nachdiucks, der photomedianisdien Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen, audi auszugsweise, vorbehalten. Satz und Druck: Thormann & Goetsdi, Berlin 44
HERRN PROFESSOR DR. KURT RUH IN VEREHRUNG U N D DANKBARKEIT GEWIDMET
VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im SS 1965 von der Philosophischen Fakultät der Universität Würzburg als Habilitationsschrift angenommen. Nadi ihrer Einreidiung erschienene sowie mir nachträglich bekannt oder zugänglich gewordene Literatur ist bei der Überarbeitung für den Druck noch berücksichtigt worden. Für die erstere Gruppe sind vorzugsweise die drei Aufsätze von Josef Svennung, Jordanes' beskrivning av ön Scandia, F V 5 9 (1964), S. 1—22; De nordiska folknamnen hos Jordanes, ebd., S. 65—101; Jordanes' Scandia-kapitel, FV 60 (1965), S. 1—40, zu nennen, für die letztere vor allem die beiden Veröffentlichungen Jerzy KmieciAskis von 1962 und die von E. C. Skrzinskaja ins Russisdie übersetzten, kommentierten und mit einer ausführlichen Einleitung versehenen Getica des Jordanes, die 1960 in Moskau erschienen. Herr Dr. Klaus Matzel, Würzburg, hat mir dieses Buch aus dem Russischen übersetzt, wofür ich ihm auch an dieser Stelle herzlich danken möchte. Die ausführliche Erörterung von Jordanes' Scandia-Kapitel in deutscher Sprache, welche Svennung FV 59 (1964), S. 102 als Acta Societatis litt, humaniorum reg. Upsaliensis 44, 2 erscheinend ankündigte, war beim Abschluß der Überarbeitung nodi nicht verfügbar. Die Nachträge ließen sich allerdings nur mehr zum Teil in den Text einarbeiten; zum Teil mußten sie in die Anmerkungen aufgenommen werden, um die bereits bestehenden Zusammenhänge nicht zu stören. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, dem Herausgeber der „Quellen und Forschungen", Herrn Professor Dr. Hermann Kunisch, für die Aufnahme meiner Arbeit in seine Reihe zu Dank verpflichtet. Diese Arbeit ist Herrn Professor Dr. Kurt Ruh gewidmet, dem sie und ihr Verfasser so viel verdanken. Würzburg, April 1966
Norbert Wagner
INHALT Einleitung I. Zum Leben des Jordanes und zur Entstehung seiner Gotengeschichte 1. Soziale Stellung von Jordanes' Voreltern, S. 4 — Seine Volkszugehörigkeit, S. 5 — Der Schauplatz seines Lebens, S. 17 2. Chronologie seines Lebens: Die Abfassungszeit seiner Werke, S. 18 — Das Datum seines Todes, S. 28 — Sein Lebensalter, S. 29 3. Sein Stand zur Abfassungszeit der Werke: Die Forschung vor Momigliano, S. 30 — Momiglianos These, S. 39 — Kritik, S. 46 — Die gesellschaftliche Stellung des Jordanes, S. 46 — Der Abfassungsort der Werke, S. 48 — Die Entleihung von Cassiodors Gotengeschichte, S. 50 — Zu Momiglianos Datierung des Abschlusses von Cassiodors Gotengeschichte, S. 51 4. Jordanes' eigenständiger Anteil an den Getica: Forschungsstand, S. 57
II. Goten in Britannien? (Get. 38) — Zum Motiv des Loskaufs eines Volkes um den Preis eines Pferdes 1. Die Einschätzung der Pferdegeschichte in Get. 38 durch ihren Aufzeichner, S. 60 2. Identifizierung des Volkes, über das sie erzählt wird, S. 61 3. Der Aufzeichner der Pferdegeschichte, S. 61 — Zur Heranziehung antiker Autoren durch Jordanes, S. 76 — Zu einigen Konjekturen zur Stelle, S. 77 — Goten in Germanien? S. 78 4. Ursprung und Charakter der Pferdegeschichte, S. 81 5. Exkurs: Zu Ram y belegt. Für diese Deutung spricht, wie Otr^bski bemerkt, der Umstand, daß nach dem Bericht des Geographus Bavarus die Bruzi ein Gebiet besitzen, das größer ist als jenes zwischen Enns und Rhein, während die Prissani nur siebzig civitates inne haben. Die Bruzi wären dann als das größere Gesamtvolk, die Prissani als ein kleinerer Teilstamm aufzufassen. Ihr Name wäre als von dem des Gesamtvolkes durch Suffix abgeleitet zu betrachten. Der Name der Prissani wiese also den Lautwandel von ü > y auf, der Fraenkel und Büga zufolge im 8. Jahrhundert auslief. Wenn aber die Ableitung vor das 8. Jahrhundert zurückreicht, dann natürlich erst recht das Grundwort Prusai. Der Annahme, es habe bereits in den JahrhunderLitauisches etym. Wb., S. 659, unter prusas; für die slawischen Entsprechungen vgl. Vasmer, Russisches etym. Wb., Bd. 2, S. 451, unter prusak. 1 0 0 So beispielsweise auch Tomaschek, R E , Bd. 1 , 2 (1893), Sp. 6 8 7 ; O. Kunkel, RE, Bd. 18, 2 (1942), Sp. 1817. 1 0 1 Beiträge zur baltisch-slawischen Namenkunde, S. 41 ff. 1 0 2 Den heute noch brauchbaren Erstabdruck bot Zeuß, Die Deutschen, S. 600 f. 103 -ψ Fritze, Die Datierung des Geographus Bavarus. 99
Ursprung und Charakter der Pferdegesdiichte
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ten vor Jordanes existiert und sei dem Gepiden bekannt gewesen, stünde nichts mehr im Wege. Die moderne Form Prus, welche die Verschiebung von ü > y nicht mehr mitmachte, also erst nach deren Abschluß im 8. Jahrhundert ins Slawische eingedrungen sein kann, erklärt Otr^bski als abermalige jüngere Entlehnung. Zu Otr^bskis Darlegungen ist von fachkundiger Seite noch nicht Stellung genommen worden. Selbst wenn sie nicht das Richtige träfen, gibt es eine Möglichkeit, den durch Büga und Fraenkel gezogenen Schluß zu entkräften. Die Entstehung des Prußennamens im 9. oder 10. Jahrhundert folgt nur dann aus der von beiden Forschern in diese Zeit verlegten Bekanntschaft der Slawen mit ihm, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß er sogleich nach seiner Entstehung bei den Balten von den Slawen übernommen wurde. Da die beiden Völkerschaften auf breiter Front aneinandergrenzen, scheint sie eine Selbstverständlichkeit zu sein. Der Fall der Sudauer zeigt jedoch, daß sie nicht ohne weiteres angenommen werden darf. Dieser prußische Teilstamm erscheint in der Deutschordenschronik des Peter von Dusburg (1326) als Sudovitae.1M Man nimmt schon lange an,105 daß dieser Name, lediglich mit einem anderen Suffix ausgestattet, das bereits erwähnte Σουδινοί des Ptolemaios fortsetzt. Der Name bestand also mindestens seit dem 2. Jahrhundert nach Christus. Trotz der engen Nachbarschaft scheinen die Slawen ihn nicht übernommen zu haben. 106 Ebensogut ist es beim Namen der Prußen denkbar, daß sie ihn nicht sofort nach seiner Entstehung aufgriffen, sondern einige Zeit verstrich, daß also lediglich die Übernahme im 9. Jahrhundert erfolgte. Daraufhin ist es möglich, daß er ein höheres Alter hat. Bügas und Fraenkels Ansicht, daß der Prußenname jung sein müsse, ist also durchaus nicht sicher. Es kann sehr wohl sein, daß ein Gepide in einem der Jahrhunderte vor Jordanes Kenntnis von ihm hatte. Setzt man voraus, daß er letzten Endes dem ähnlich klingenden Britannien der Pferdegeschichte zugrunde liege, dann verschwindet diese für einen Gepiden unmögliche und auch sonst für die Geschichte der Goten unbrauchbare Angabe, und an deren Stelle tritt das in die historischen Zusammenhänge sich gut einfügende Prußenland. Die Nennung Britanniens in der Pferdegeschichte würde auf diese Weise indirekt zum ältesten Beleg für den Prußennamen. Das gewichtigste Bedenken, das sich dagegen vor101 105 108
Vgl. Gerullis bei Ebert, Reallexikon der Vorgeschichte, Bd. 1, S. 339. Vgl. oben Anm. 83. In einer frdl. brieflichen Mitteilung vom 7. Juni 1961 stellte Otr^bski eine Behandlung dieses Stammesnamens, die zu neuen Ergebnissen führen werde, in Aussicht.
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Goten in Britannien?
bringen läßt, daß ein Gepide der Urheber dieser Spottgesdiichte auf die Goten war, ist damit ausgeräumt. Die Spottgesdiichte der Goten auf die Gepiden forderte zu einer Replik geradezu heraus. Die Pferdegeschichte dürfte deshalb nicht allzulange nach ihr entstanden sein. Die Ähnlichkeit der Pointen legt dies ebenfalls nahe. Darf in der Britannia das Prußenland gesehen werden, dann liegen nicht nur die Entstehungszeiten der beiden Geschichten, sondern auch ihre Schauplätze eng beisammen: jener der Geschichte von der trägen Schiffsbesatzung am Landeplatz der Goten in der Gegend der Weichselmündung, jener der Pferdegeschichte im östlich daran anschließenden Ostpreußen. Alles fügt sich gut ineinander und stützt sich gegenseitig. Für Ursprung und Charakter der Pferdegeschichte ist also anzunehmen: Ein Gepide schuf sie in Ausdeutung des Gotennamens und verlegte sie in das Prußenland, um den Goten den erlittenen Tort auf die gleiche Art zu vergelten. Mit der Insel Britannien hat sie ursprünglich nichts zu tun gehabt. Erst ein Mißverständnis ließ diese zum Schauplatz der Pferdegeschichte werden. 5.
Aus der rechten Einsicht in den Charakter der Pferdegeschichte ist ein Beitrag zur Diskussion um den Ursprung der altspanischen Epik zu gewinnen. Von den drei hierzu vertretenen Ansichten braucht die einer arabischen Wurzel heute nidit mehr berücksichtigt zu werden. 107 Über die These einer französischen Wurzel äußert Walter Mettmann, der Verfasser des jüngsten Forschungsberichts zur altspanischen Epik: „Daß die Einwirkung der französischen Epik auf die spanische sehr stark war, beweisen allein schon die aus Frankreich übernommenen Epenthemen, die Vorbildern des Karolingerzyklus folgenden Gedichte über Mainete, Bernardo del Carpio, Roncesvalles, und auch beim Poema de Mio Cid können, wie wir gesehen haben, französische Einflüsse nicht in Zweifel gezogen werden." 108 Weit größere Schwierigkeiten bereitet die Beurteilung der dritten Theorie einer germanischen Wurzel, also die Frage, ob und inwieweit Gestalten, Stoffe und Motive germanischer Herkunft in die altspanische Epik eingingen und in ihr weiterlebten. 109 Ihr bedeutendster und eifrigster 107
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Mettmann, Altspan. Epik, S. 141. Jedoch vgl. Alfonso Garcia Gallo, El caracter, S. 591 f., 596. A. a. O. Mettmann, a. a. O.
Exkurs
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Verfechter ist Ramon Menendez Pidal. 110 Er hat sie erstmals 1910 ausführlich vorgetragen. 111 Sie steht im Zusammenhang mit der Frage nach den germanischen Wurzeln der Heldendichtung bei den Romanen überhaupt. Dies zeigt die Parallelität zwischen Pio Rajnas Ansatz einer karolingischen und merowingischen Vorstufe für die altfranzösischen chansons de geste und dem von Men£ndez Pidal einer westgotischen für die altspanische Epik. 112 Bisher hatte sich M e ^ n d e z Pidal zur Bestätigung seiner These eines Fortwirkens und Weiterlebens germanisch-westgotischer Elemente in der altspanischen Heldendichtung auf Züge in der Tradition von Roderich, dem letzten Westgotenkönig, 113 gewisse Motive in den Infantes de Lara 114 und auf die Gestalt Walthers von Aquitanien/Spanien 115 in der Heldendichtung germanischer Völker berufen. Dabei stieß er auf Widerspruch.118 Das von ihm als beweiskräftig vorgelegte Material litt vor allem an dem Mangel, daß es nicht bis in die vorspanische Zeit der Westgoten zurückreichte. Aus den Getica (28; 43) geht zwar eindeutig hervor, daß die Westgoten in der vorspanischen Periode ihrer Geschichte eine Heldendichtung besaßen. Man durfte annehmen, daß sie die Gattung nach ihrer Einwanderung in Spanien weiterpflegten. Es gab jedoch keine Belege dafür, daß sie weiterlebte und die Periode der Romanisierung überstand. Was Menendez Pidal in der altspanischen Epik als westgotisch-germanisch beanspruchte, konnte ebensogut Produkt einer jüngeren Entwicklung sein, die von den germanischen Traditionen anderer Völker wie etwa der Franken gespeist wurde. 117 Es ist sogar die Auffassung vertreten worden, 118 daß 110
Spätere Einflüsse germanischer Heldensagen auf die mittelalterliche spanische Epik glaubte Erich v. Richthofen nachweisen zu können: Studien, besonders S. 5 ff.; jetzt in Estudios ipicos medievales, Madrid 1954; Zweifel daran äußert Mettmann, a. a. Ο., S. 143. 111 L'Epopee castillane i travers la litterature espagnole. Siehe jetzt La epopeya castellana a traves de la literatura espaüola, 2. Aufl. Buenos Aires 1959. 112 Vgl. Mettmann, a. a. O., S. 141. 113 Los godos (Col. Austral), S. 40 f.: Un tema hispano-godo en la Espana de la Reconquista. Daß sie nicht germanisch zu sein braudien, zeigt A. Garcia Gallo, El cardcter, S. 593 f., 638, 640 f. 114 Los godos, S. 35 ff.: Densidad del ambiente germinico en la epopeya. Sie werden von Kurt Wais, Frühe Epik, S. 131 ff., 211, in die Vorgeschichte des Nibelungenliedes einbezogen. 115 Los godos, S. 41 ff.: Un tema del reino godo-hispano-aquitano. lie Yg] Mettmanns Hinweis, Altspanische Epik, S. 142, auf C. Guerrieri Crocetti, L'Epica spagnola, Mailand 1944; Neubearbeitung: II Cid e i cantari di Spagna, Florenz 1957. 117 Auf diese Möglichkeit weist Garcia Gallo, El cardcter, S. 641, beim WaltherStoff hin. 118 Garcia Gallo, El caracter, S. 629 ff. 7
Wagner, Getica
Goten in Britannien?
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die auf ältere Zustände und Anschauungen zurückweisenden Motive von Rache und Sippenehre nicht durdi Germanen vermittelt worden sein müssen, sondern auf die Traditionen anderer Völkerschaften der Pyrenäenhalbinsel wie der Iberer und Kelten, die in ähnlidien gesellschaftlichen Zuständen wie die Germanen lebten, zurückgehen können. Die gegen seine These einer gotischen Vorstufe der altspanischen Epik erhobenen Einwände glaubt Men£ndez Pidal durch ein neues Argument, dem er eine durchschlagende Beweiskraft zumißt, endgültig widerlegen zu können. Er gewinnt es aus der Pferdegeschichte in den Getica. Men£ndez Pidal geht davon aus, daß die Getica nicht berichten, die Goten seien um ein Pferd freigekommen, sondern um den Preis eines Pferdes (un'tus caballi praetio). Er legt diesem Umstand eine besondere Bedeutung bei und glaubt, daß durch diesen Wortlaut ein wesentlicher Zug der Geschichte in den Getica lediglidi angedeutet werde.119 Die Erfassung dieses Zuges ermöglicht ihm zufolge120 die Tradition um den Grafen Fernan Gonzalez von Kastilien (f 970). Die Chronik von Najera (um 1150) berichtet, man erzähle, er habe die Kastilier vom Joch der Herrschaft Le6ns befreit.121 Dies sei der früheste Hinweis darauf, daß ihm dieselbe Befreiungstat für die Kastilier zugeschrieben worden sei wie der in den Getica ungenannt bleibenden Persönlichkeit für die Goten. Der Chronist begnüge sich mit diesem Hinweis, weil er den alten Gedichten ebenso ablehnend und mißtrauisch gegenüberstehe wie Jordanes. Das Poema de Fernin Gonzalez des Mönches von Arlanza (um 1250) 122 sei dagegen viel ausführlicher. Es erzählt, 123 daß Fernan Gonzalez ein aus-
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A. o. O., S. 49 ff.
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Ebd.
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Gundisalvus Nuniz genuit comitem Ferdinandum Gondisalviz qui Castellanos de sub iugo Legionensis dominationis dicitur extraxisse. Der T e x t abgedruckt bei G. Cirot, La dironique leonaise, S. 428 f., und Menendez Pidal, Reliquias, S. 30. Vom Pferd und vom Falken findet sich ebenda keine Spur. Garcia Gallo, El caracter, S. 647 f., 655 f., ist deshalb der Ansicht, daß die Erweiterung des Stoffes um dieses Motiv später vorgenommen wurde. Aus diesem und weiteren Gründen, auf die noch hingewiesen werden wird, gelangt er ebd., S. 656, zu dem Sdiluß: La leyenda de la venta del azor y del caballo no es una aplicaci0n fiel, en lo que tiene de caracteristico, a la historia de Fernan Gonzälez de la vieja leyenda goda aludida por Jordanes. Es una invenciiel ad Gothorum nuper in terra nostra uagantium historiam rettulisse: quod utrum uerum sit, proelii ipsius fine monstratur. Et certe Gothos omnes retro eruditi magis Getas quam Gog et Magog appellare consueuerant. Commentariorum in Ezediielem prophetam libri X I V : 11, Praef. vor c. 34 (PL, Bd. 25 [1884], Sp. 325 f.): In prophetia difficillima illud breviter admoneo, quod vir nostra xtatis baud ignobilis, ad Imperatorem scribens, super bac natione dixerit: Gog iste, Gotbus est; cui qua ratione possint omnia quae in ea scripta sunt coaptari, non est meum, sed eorum qui hoc putant, disserere. De ciuitate dei 20, 11 (CSEL, Bd. 40, 2, hgg. v. Emanuel Hoffmann [Prag — Wien — Leipzig 1900], S. 455 f.): Gentes quippe istae, quas appellat Gog et Magog, non sie sunt aeeipiendae, tamquam sint aliqui in aliqua parte terrarum barbari constituti, siue quos quidam suspicantur Getas et Massagetas propter litteras horum nominum primas, siue aliquos alios alienigenas et α Romano iure seiunetos. Toto namque orbe terrarum significati sunt isti esse, cum dictum est nationes quae sunt in quattuor an gu Ii s terrae, easque subiecit esse Gog et Μ ago g.
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Die Urheimat der Goten
falls nicht stichhaltig und zwar aus folgenden Gründen: Claudian verwendet Are tos, Triones, Boreas in der gleichen Bedeutung wie Ursa. Bei ihm ragt bereits die Provinz Rätien in Arcton (De bello Pollentino 329 f.). Das Getreide vom Ufer des Arar (Saöne) ist bereits Arctoum (Arctois ... frugibus: In Eutropium 1, 403—405), die Fische des Ister sind Arctoi (Panegyricus de quarto consulatu Honorii 629). Das Schwarze Meer ist ein mare Arctoum (In Eutropium 2, 262). Die Hunnen in Skythien jenseits des gefrorenen Don nährt Arctos (In Rufinum 1, 324 f.), der seine Völker über die Osthälfte des Reiches ausschüttet (Panegyricus de quarto consulatu Honorii 51). Stilicho unterwirft den Boreas und entwaffnet die Triones (De consulatu Stilichonis 1, 216 f.). Nach dessen Sieg über die Franken heißt es, die nördlichen Himmelsstriche seien bezwungen (De consulatu Stilichonis 1, 246).156 Thrakien schildert Claudian als eisig (De consulatu Stilichonis 1, 21). Die Ebenen dieses Landes sind schneeig (In Rufinum 2, Praef. 18). Der Hebrus (In Eutropium 2, 164 f.), der Ister (De tertio consulatu Honorii Augusti 150; In Iacobum magistrum equitum 7; In Eutropium 2, 165), der Phasis (In Eutropium 2, 575) und der Don (In Rufinum 1, 324) sind gefroren, der Rhein ist eisig (De raptu Proserpinae 3, 321). Bei Claudian erscheinen also bereits die Landstriche an Rhein und Donau als nördlich, eisig und schneeig. Man kann daher aus den Wendungen in De bello Pollentino nicht folgern, Claudian habe an den nördlichen Saum der damals bekannten Welt gedacht. Wie die angeführten Textstellen zeigen, würden bereits Südrußland und Dakien der dura Ursa und den nivosae plagae in dem Gedicht gerecht, Landschaften, die tatsächlich einmal von Goten bewohnt waren. Wie Hieronymus und andere Autoren dieser Zeit bezeichnet Claudian die Goten als 15« Vgl. bereits Seneca, Hercules Oetaeus 40: . . ursae frigidum Scythicae genus; Apollinaris Sidonius, Carm. 7, 319—325 (MG AA, Bd. 8, S. 211): . . : subito cum rupta tumultu / barbaries totas in te transfuderat arctos, / Gallia, pugnacem Rugum comitante Gelono / Gepida trux sequitur; Scyrum Burgundio cogit; / Chunus, Bellonotus, Neurus, Bastarna, Toringus, / Bructerus, ulvosa vel quem Nicer alluit / unda, prorumpit Francus; ..; ferner Ammianus Marcellinus anläßlich der Aufnahme der vor den Hunnen aus Dakien fliehenden Westgoten ins Römische Reich 31, 4, 4: eruditis adulatoribus in maius fortunam prineipis extollentibus, quae ex ultimis terris tot tirocinia trabens, .., invictum baberet exercitum, . .; Isidor, Etym. 9, 2, 98: Sue vi pars Germartorum fuerunt in fine Septentrionis. De quibus Lucanus (2,51): Fundit ab extremo flavos aquilone Suevos. Quorum fuisse centum pagos et populos multi prodiderunt. Dicti autem Suevi putantur a monte Suevo, qui ab ortu initium Germaniae facit, cuius loca incoluerunt. Ebd. 9 , 2 , 9 0 : Daci autem Gotborum soboles fuerunt, et dictos putant Dacos, quasi Dagos, quia de Gotborum Stirpe creati sunt. De quibus ille (Paulinus ad Nicetam 17): Ibis aretoos proeul usque Dacos.
Der gesdiichts wissenschaftliche Befund: der Auswanderungsbericht
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Geten. 1 " Auch dies spricht dafür, daß er sich ihre Wohnsitze im getischen Dakien liegend dachte. Dabei ist unberücksichtigt, ob die beiden Wendungen nicht auf elogischen Überschwang und metaphorische Ubertreibung zurückzuführen sind.158 Aus den Claudian-Versen, dem einzigen Beleg, den Weibull dafür bietet, kann also nicht gefolgert werden, in der weltlichen Literatur der Zeit werde die Auffassung vertreten, die Goten entstammten dem fernen Norden. Die von Weibull als Parallele angeführte Episode aus der Kirchengeschichte des Sokrates ist zu unscharf, als daß sie etwas beweisen könnte. Aus ihr geht lediglich hervor, daß der Bischof sein Kirchenvolk mit Ezechiels Gottesvolk und dessen Bedränger mit den Feinden des Reiches gleichsetzte und daraufhin imstande war, seine Zeitgenossen mit Hilfe der Ezechiel-Prophetie zuversichtlich zu stimmen. Der Bischof führt jedoch nicht wie Ambrosius aus Ezechiel nur den einen Namen Gog auf, sondern noch Rhos, Misoch und Thobel. Die Goten erwähnt er überhaupt nidit. Als Führer der Reichsfeinde nennt Sokrates Attilas Oheim Rugas, also einen Hunnen. Seiner Feststellung, die von Ambrosius vorgenommene Gleichsetzung Gogs mit den Goten sei später nahezu allgemein anerkannt und benützt worden, fügt Weibull keinerlei Belege bei, so daß man über sie hinweggehen darf. Tatsächlich greifbar wird jedoch die Verbindung der Goten mit Magog.159 Sie kam dadurch zustande, daß man die Goten in der Spätantike gern mit den Skythen gleichsetzte,160 die Flavius Josephus (Anti157 Vgl. nur etwa die von Schirren, De ratione, S. 56 f., gebotene Zusammenstellung und oben Anm. 153. 158 Wie wenig Sicheres etwa aus den Wörtern Arctos, Arctous zu gewinnen ist, sah bereits Schirren, De ratione, S. 46 f. 159 Vgl. etwa Isidor, Etym. 9,2, 89: Gothi α Magog filio Iaphet nominati putantur, de similitudine ultimae syllabae, quos veteres magis Getas quam Gothos vocaverunt; ...; ders., Hist. Goth, (längere Rez.) 1: quorum originem quidam de Magog Iafeth filio suspicantur α similitudine ultimae syllabae; et magis de Ezechiele propheta id colligentes. retro autem eruditi eos magis Getas quam Gog et Magog appellare consueuerunt. Das letztere entstammt Hieronymus (vgl. oben Anm. 153). Etym. 9, 2, 27: Magog, a quo arbitrantur Scythas et Gothos traxisse originem. Davon wohl abhängig Historia Brittonum (Chron. min., Bd. 3, S. 161): secundus Magog, a quo Scythas et Gothos; .. 180 Vgl. etwa Isidor, Hist. Goth, (kürzere Rez.) 1: Gothorum antiquissimum esse regnum certum est, quod ex regno Scytharum est exortum. Ebd. 66: Gothorum antiquissima origo de Magog filio Iaphet fuit, unde et Scytharum genus extitit: nam iidem Gothi Scythica probantur origine sati. unde nec longe a vocabulo discrepant: demutata enim ac detracta littera Getae quasi Scythae sunt nuncupati. Vgl. ferner oben S. 79 unter Anm. 48.
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Die Urheimat der Goten
quitates 1, 6, 1) zu Nadikommen Magogs, des Sohnes Japhets, gemacht hatte, um sie in der Völkertafel des Alten Testaments unterbringen zu können. Diese über die Skythen durchgeführte Verknüpfung der Goten mit Magog konnte höchstens zur Annahme von Sitzen in Südrußland führen, wo sowohl Skythen wie Goten gesessen waren, nidit aber von Sitzen im hohen Norden. Gog wird von Jordanes überhaupt nicht,161 Magog nur ein einziges Mal (Get. 29), allerdings im Zusammenhang mit Goten und Skythen genannt. Diese Erwähnung beruht jedoch auf einer Konjektur.1®2 Aus dem von Curt Weibull vorgelegten Material ergibt sich nidit, daß die von Ambrosius vorgenommene Gleichsetzung der Goten mit Gog Schule gemacht hätte. Es zeigt sich vielmehr, daß dies das weniger Wahrscheinliche ist. Ebensowenig bezeugt das Material, daß man in der Spätantike der Ansicht war, die Goten kämen aus dem hohen Norden. Ferner ist es lediglidi eine Folgerung Weibulis, daß Ambrosius auf Grund der von ihm hergestellten Verknüpfung zu dieser Ansidit gelangt sein müsse. Er vermag nidit zu belegen, daß der Bischof tatsächlich so weit g'ng· Weibull glaubt jedoch, sogar das unsidiere Schwanken nachweisen zu können, das eingesetzt habe, als man, wie er annimmt, im Anschluß an Ambrosius daranging, die Heimat der Goten im hohen Norden genauer festzulegen. „Als Jordanes sein Werk über die Goten sdirieb, kannte er zwei verschiedene Erzählungen über ihre Herkunft. Er gibt sie beide wieder. Nach der einen sollten die Goten aus Britannien oder von einer anderen Insel gekommen sein: sie sollten dort in Sklaverei gelebt haben und von irgend jemand für den Preis eines Pferdes freigekauft worden sein. Nach der anderen Erzählung sollten die Goten, wie schon erwähnt worden ist, aus Scandza gekommen sein. Zur Zeit des Jordanes hat über die Herkunft der Goten offenbar Ungewißheit geherrscht. Aber Jordanes vertritt einen bestimmten Standpunkt in dieser Frage. α1β3 Aus der Pferdegeschichte (Get. 38) folgert Weibull also, daß Britannien neben Skandinavien als Urheimat der Goten erwogen wurde. Sie berichtet jedoch 161
Adolf Stender-Petersen, Jordanes' beretning, S. 71, folgert, daß Jordanes die Gleichsetzung von Gog mit Gothus unbekannt war. 162 y g l . J e n kritischen Apparat in Mommsens Ausgabe zur Stelle. Rudolf Buchner, Das Geschichtsbewußtsein der Germanen, S. 468, hielt es für bedenklich, daß die Abstammung der Goten von Magog bei Jordanes lediglich zu belegen sei, wenn man diese Konjektur vornehme. — Diese GeticaStelle hat vor kurzem Hans Andersson, Gothus, Gog och Magog, S. 155 f., angeführt in der Meinung, Curt Weibulls These dadurch eine zusätzliche Stütze verschaffen zu können. les Auswanderung, S. 9.
Der geschiditswissensdiaftliche Befund: der Auswanderungsbericht
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lediglich, daß die Goten fabulis zufolge in Britannien oder sonst einer Insel unterjocht und von jemandem um den Preis eines einzigen Pferdes aus der Knechtschaft freigekauft worden seien. Im folgenden Satz erklärt Jordanes allerdings, wer behaupte, die Goten hätten ihren Ursprung auf andere Weise genommen (exortos), als er berichte, stehe ihm entgegen. Wäre diese Feststellung auf die vorhergehende Pferdegesdiichte zu beziehen, dann ließe sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie durch diese ausgelöst wurde; damit wäre indirekt erwiesen, daß Jordanes der Ansicht war, die Pferdegeschichte gebe Britannien als Urheimat der Goten aus. Der syntaktische Zusammenhang ist jedoch zu locker, als daß man schließen dürfte, dieser Satz beziehe sich auf die Pferdegeschichte. In der Untersuchung zur Pferdegeschichte wurde dargelegt, daß sich hinter Britannien das Prußenland verberge. Demnach stand die Insel Britannien gar nicht zur Diskussion, und eine Unsicherheit bei der Festlegung der gotischen Urheimat, ein Schwanken zwischen den beiden Inseln hat es nicht gegeben. Weibull beruft sich zugunsten seiner Annahme eines literarischen Ursprungs des Berichts über die gotische Auswanderung ferner darauf, daß Jordanes sich für ihn nicht auf mündliche Uberlieferungen berufe. „Diese Auswanderung, so nimmt man heute an, habe mehr als anderthalb Jahrtausende vor Jordanes' Zeit stattgefunden. Für diese Auswanderung beruft sich Jordanes nicht auf alte Gedichte, auch nicht auf einen namentlich genannten älteren Geschichtschreiber. In der späteren Forschung hat man indessen immer geglaubt, daß sie auf derartige Quellen zurückginge, eine alte Tradition, eine eigene Stammessage der Goten wäre. Ein Beweis für diese Annahme ist jedoch nie erbracht worden." 194 Da die dem Bericht von der Wanderung der Goten ans Schwarze Meer folgende Berufung auf alte Lieder (Get. 28: et in priscis eorum carminibus pene storicu ritu) sich lediglich auf ihn und nicht auf die ihm vorausgehende Schilderung des Auszugs aus Skandinavien zu beziehen braucht, ist zuzugeben, daß sie für diesen nicht eindeutig feststeht.165 Man hat jedoch den Satz, der diesen einleitet: Ex hac igitur Scandza insula .. . 184
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Ebd., S. 10. D a Weibull seine Feststellung, man nehme heute an, die Goten seien mehr als anderthalb Jahrtausende vor Jordanes aus Skandinavien ausgewandert, womit man in die Zeit um 1000 v. Chr. geriete, nicht mit Belegen versieht, ist mit ihr nichts anzufangen. Mir ist kein neuerer Historiker oder Archäologe bekannt, der diese Ansicht verträte. Berufung des Jordanes auf Lieder angenommen durch Ε. A. Thompson in seiner Anzeige, in der er Weibulls These ablehnt; ebenso bereits etwa durch Schönfeld, R E , Suppl.-Bd. 3 (1918), Sp. 798. Richtiggestellt durch Theodor v. Grienberger in seiner Besprechung, S. 34 f.
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Die Urheimat der Goten
cum rege suo nomine Berig Gothi quondam memorantur egressi (Get. 25) übersetzt: Man erinnere sich, daß die Goten aus Skandinavien gekommen seien, und in ihm einen klaren Hinweis des Jordanes gesehen, daß ihm für diesen eine mündliche Überlieferung zur Verfügung gestanden habe.188 An den Stellen, an denen memorare sonst in den Getica erscheint,167 hat es die Bedeutung „erwähnen, berichten", mit der daher auch hier zu rechnen ist. Diese läßt jedoch nicht erkennen, ob der Verfasser für die Auswanderung der Goten aus Skandinavien auf einen schriftlichen oder einen mündlichen Bericht zurückgriff. Jordanes nennt als Anführer der Auswanderung König Berig. Sein Name ist aus dem Germanischen erklärbar.1