»Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter«: Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918-1953 9783666369032, 3525369034, 9783525369036


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German Pages [416] Year 2005

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»Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter«: Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918-1953
 9783666369032, 3525369034, 9783525369036

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Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Gerhard Besier Band 27

Vandenhoeck & Ruprecht

Frank Hirschinger

„Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter“ Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918–1953

Vandenhoeck & Ruprecht

Der Grundirrtum meines Lebens bestand in der Annahme, dass der Sozialismus die menschlichen Tragödien beende und das Ende der menschlichen Tragik selber bedeute. In diesem Grundirrtum zeigt sich einerseits eine gleichsam kleinbürgerliche, spießerhafte, idyllische Auffassung des Sozialismus und andererseits das nur allzu beflissene Bestreben, das sozialistische Experiment, wie es sich in seiner aktuellen Wirklichkeit darbietet, mit einer Apologetik zu umgeben. Das Gegenteil aber, wie sich gezeigt hat, ist der Fall, und man muss diese ungeheuerliche Tatsache zur Kenntnis nehmen und bemüht sein, daraus die Folgerungen zu ziehen. Es ist so, als habe mit dem Sozialismus die menschliche Tragödie in einer neuen Form ihren Anfang genommen, in einer neuen, ganz und gar bisher ungeahnten und von uns noch nicht übersehbaren. Der Sozialismus hat erst die menschliche Tragik in Freiheit gesetzt. Johannes R. Becher (1956)

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-36903-4

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Umschlagkonzeption: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt I.

Einleitung

7

II.

Traditionslinien der Säuberung

1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.5 2. 3.

Die KPD Halle-Merseburg in der Weimarer Republik Die mitteldeutsche Linke 1918–1920 „Märzaktion“ und „deutscher Oktober“ 1921–1923 Bolschewisierung 1924/25 Stalinisierung 1925–1929 Schläge gegen den rechten Parteiflügel Der Kampf gegen die Ultralinken Gegen Rechte und „Versöhnler“ Der Weg in die Katastrophe 1929–1933 Säuberungen und Schauprozesse in der Sowjetunion Neubeginn 1945–1947

21 21 37 52 62 62 65 77 86 95 110

III.

Säuberungen in der SED 1948/49

127

1. 2. 2.1 2.2 2.3

Der Bruch mit Tito Säuberungen in Sachsen-Anhalt SED-Landessekretariat und Landesvorstand Landesregierung Sachsen-Anhalt Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

127 136 149 155 165

IV.

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

171

1. 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 3. 4. 4.1 4.2 4.3 4.3.1

Die Suche nach dem „deutschen Rajk“ Säuberungsziele in Sachsen-Anhalt Westemigranten und Kriegsgefangene Sozialdemokraten „Trotzkisten“ in der Landesparteikontrollkommission (LPKK) Paul Merker und andere „anglo-amerikanische Agenten“ Die Mitgliederüberprüfung des Jahres 1951 Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft SED-Landessekretariat und Landesvorstand Parteipresse und Druckereien Massenorganisationen Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB)

171 184 184 197 213 222 228 246 246 252 259 260

21

Inhalt

6 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.5 4.6

Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) Esperantisten im Kulturbund (KB) Landesregierung Sachsen-Anhalt Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Ministerium des Innern Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft Post, Reichsbahn, Chemiebetriebe Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

264 268 271 282 289 297 303 305 313

V.

Das Feindbild „Zionismus“ 1952/53

329

1. 2. 2.1 2.2 2.3

Der Slánský-Prozess und seine Folgen Säuberungen in den Bezirken Halle und Magdeburg Die Vorbereitung eines „Slánský-Prozesses“ in Halle Spanienkämpfer Juden

329 339 347 359 373

VI.

Anhang

385

1. 2. 3. 3.1 3.2 3.3 4. 5. 6.

Danksagung Tabellenverzeichnis Quellenverzeichnis Archive Zeitungen/Zeitschriften Aufsätze aus Sammelbänden und Zeitschriften Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Personenregister

385 385 386 386 388 389 394 400 405

I.

Einleitung

„Die KPD ist gespalten. In einer mehrjährigen Entwicklung hat das ZK der KPD diese Partei immer mehr vom Klassenkampf entfernt und auf opportunistische Positionen gezogen. Höhepunkt dieses Prozesses war der 10. Parteitag 2001. Der Rechenschaftsbericht dieses Parteitages wird bis heute vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Der innerparteiliche Widerstand gegen diese Entartung wurde mit allen Mitteln bekämpft – auch unter offenem Bruch des geltenden Statuts. Um seine Macht zu erhalten, schloss das ZK schließlich den langjährigen Vorsitzenden Diethard Möller aus und überzog andere Genoss/innen mit Parteiverfahren. Mittlerweile sind rund ein Drittel der ehemaligen Parteimitglieder ausgetreten. Ein Teil von ihnen arbeitet an den Vorbereitungen für die Gründung einer Gruppe, die die Voraussetzungen für den Wiederaufbau einer kommunistischen Partei schaffen soll.“1

Was wie ein fernes Echo aus den kommunistischen Glaubenskriegen der zwanziger Jahre klingt, ist innerhalb des kommunistischen Parteienspektrums auch heute noch gängige Praxis. Ein Blick in die parteiinternen Befindlichkeiten kommunistischer Parteien, Splittergruppen und Sekten zeigt, dass die im Jahr 2001 gespaltene „KPD“ – als Konsequenz der Spaltung konstituierte sich eine weitere kommunistische Splittergruppe namens „Kommunistische Partei Deutschlands – Gruppe Möller“ (KPD/M)2 – kein extremes Einzelbeispiel darstellt. Auch die 1968 gegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die sich um Distanzierung vom Stalinismus bemüht und auf den Boden des MarxismusLeninismus gestellt hat, ringt seit Jahren um ein neues Parteiprogramm, wobei konträre Ansichten westdeutscher und stalinistisch geprägter ostdeutscher Kommunisten aufeinanderprallen. Die Verabschiedung eines Programmentwurfs, der das alte Parteiprogramm von 1978 ablösen sollte, scheiterte auf dem 16. Parteitag der DKP im Dezember 2002 und machte die Herausbildung zweier einander gegenüberstehender Lager innerhalb der Partei offensichtlich. Diese Entwicklung ließ Anfang 2004 Befürchtungen aufkommen, „die kontroversen Diskussionen könnten die Einheit der Partei gefährden [und] ihre politische Kampffähigkeit lähmen“.3 Ähnlichen Schwierigkeiten sieht sich die „Kommunistische Plattform der PDS“ im Verhältnis zur Parteimehrheit gegenüber. Ein vorläufiger Höhepunkt der innerparteilichen Auseinandersetzungen wurde am 2. November 2003 erreicht, als die Delegierten auf einer außerordentlichen Tagung der Kommunis1

2 3

http://www.kpd.net/; vgl. dazu auch die beiden unter derselben Internetadresse veröffentlichten Erklärungen vom 28. 7. 2002 unter dem Titel „Wir wollen nicht warten, bis der Letzte das Licht ausmacht! Stoppt die liquidatorische Politik des ZK der KPD!“ und „Über die ‚guten Seiten der Sklaverei‘, Flexibilisierung, den ‚Hang zur Phrase‘ und den ‚Vulgärmarxismus‘ der KPD“. Verfassungsschutzbericht Sachsen-Anhalt 2002, S. 78. Ebd., S. 76 f.; Unsere Zeit vom 19.12. 2003 („Zu weiteren Aufgaben. Programmkommission der DKP tagte“ von Otto Marx); 16.1. 2004 („Die Einheit der Partei und ihr Programm“ von Hans Heinz Holz).

8

Einleitung

tischen Plattform über ihren weiteren Verbleib in der PDS berieten. Obwohl die Tagung mit einem Votum für die PDS endete, hielt die Plattform ihre ideologischen Vorwürfe gegen die Parteispitze weiterhin aufrecht. Für Aufregung unter den Kommunisten in der PDS sorgte auch die geplante Reduzierung der Zahl ihrer Parteitagsdelegierten, womit der „Pluralismus in der PDS neben den nunmehr prinzipiellen programmatischen Einschränkungen auch strukturell in Frage“ gestellt werde.4 Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die ihren politischen Kampf unter dem Konterfei von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung führt, zog nach eigener Einschätzung Lehren aus dem „Verrat des Sozialismus in der Sowjetunion und der DDR nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956“. Dieser Verrat sei nur möglich gewesen, „weil die demokratische Kontrolle über die verantwortlichen Führer in Partei, Wirtschaft und Staat nicht ausreichte“. Ideologische Schulung, die über Schulungshefte (das so genannte „System Revolutionärer Weg“) erfolgt, spielt bei der MLPD eine dementsprechend bedeutende Rolle. Im Schulungsmaterial der MLPD finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte an die im Stalinismus üblichen Praktiken, so etwa die besondere Betonung von Zentralismus, innerparteilicher Disziplin, Kritik und Selbstkritik, die als „Entwicklungsgesetz der Partei und der sozialistischen Gesellschaft“ betrachtet werden. Angestrebt wird auch eine „Kontrolle der Denkweise“, da sie das „System der Selbstkontrolle der Partei neuen Typs“ darstelle. Anderen Parteien des linken Spektrums wie DKP („der offene Ausbruch des revisionistischen Geschwürs“) und PDS (ein „Sammelbecken der kleinbürgerlichen Linken“) steht die MLPD feindselig gegenüber.5 Eine nähere Betrachtung des in zahlreiche Strömungen und politische Sekten fraktionierten Trotzkismus’ erscheint angesichts seiner völligen Bedeutungslosigkeit überflüssig. Mehr noch als andere kommunistische Gruppierungen ist das trotzkistische Spektrum in Deutschland durch Fraktionskämpfe, Abspaltungen und Neugründungen überwiegend mit sich selbst beschäftigt.6 4

5 6

Vgl. dazu „Es fehlt nicht an Arbeit, und es fehlt nicht an Problemen. Bericht des Bundessprecherrates der Kommunistischen Plattform der PDS an die 1. Tagung der 12. Bundeskonferenz“ vom 13. 3. 2004. In: http://www.pds-online.de/partei/strukturen/agigs/ kpf/dokumente/view_html. http://www.mlpd.de/. Schulungshefte Nr. 10, 19 und 26 des Systems „Revolutionärer Weg“. Im Mai 2002 vereinigten sich die „Gruppe Spartakus (Deutsche Sektion der Internationalen Bolschewistischen Tendenz)“ und die „Gruppe Leo Trotzki“ zur „Internationalen Bolschewistischen Tendenz Deutschland“. Die „Gruppe Spartakus“ wiederum war 1990 durch die Fusion der „Gruppe Vierte Internationale“ mit der „Bolschewistischen Tendenz“ entstanden. Die „Gruppe Leo Trotzki“ bestand aus Kommunisten, die sich vom „Pabloismus“ der „Leninistischen Tendenz“ im „Revolutionär-Sozialistischen Bund München“ unter dem Einfluss von Publikationen der „Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands“ (SpAD) nach links entwickelt hatten. Vgl. http://www.bolshevik.org/ deutsch/19/bol19–3.html. Vgl. zur Entwicklung des Trotzkismus in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern auch Bourseiller, Doktrinärer Rigorismus und strategischer Pragmatismus – Trotzki und der Trotzkismus; Koenen, Das rote Jahrzehnt, S. 276–280.

Einleitung

9

Diese Beispiele mögen genügen, um darauf hinzuweisen, dass sowohl die ideologische Zersplitterung des linksextremistischen Parteienspektrums, als auch die in kommunistischen Parteien üblichen innerparteilichen Praktiken Ergebnis eines Prozesses sind, der in Deutschland bereits mit der Gründung der KPD im Dezember 1918 begann und sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Schon Lenins Konzept der „säubernden und gesäuberten Einheitspartei“7 und die 1924 beginnende „Bolschewisierung“ der KPD führten zu gravierenden Veränderungen in der Mitgliederstruktur. In den zwanziger Jahren verlor die KPD nicht nur einen Großteil ihres ursprünglichen Mitgliederstammes und zahlreiche erfahrene Funktionäre des Spartakusbundes, sondern es bildeten sich als Folge innerparteilicher Auseinandersetzungen zwischen 1920 und 1929 mehrere Abspaltungen des linken und rechten Parteiflügels, so 1920 die ultralinke „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD), 1921 die „Kommunistische Arbeitsgemeinschaft“ (KAG) um den früheren Parteivorsitzenden Paul Levi, 1928 der von deutschen Sinowjew-Anhängern gegründete „Leninbund“ und 1929 die aus dem rechten Parteiflügel hervorgegangene „Kommunistische Partei-Opposition“ (KPO). Als weitere Linkspartei kam 1931 die vom linken Flügel der SPD abgespaltene „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP) hinzu, in der ein Teil der KPO aufging. Exemplarisch darstellen lassen sich diese Spaltungen und Säuberungen anhand der Vorgänge im KPD-Bezirk Halle-Merseburg, einem der damals stärksten und bedeutendsten in Deutschland. Heftige Diskussionen und unterschiedliche Interpretationen politischer Ereignisse, die im Bezirk ihren Anfang genommen hatten („Märzaktion“ 1921) oder in denen dem Bezirk eine wichtige Rolle zugedacht gewesen war (Aufstandsversuch im Oktober 1923), wurden mehrfach zum Anlass für die Bildung von Fraktionen. Darüber hinaus zeigten ideologische Kurswechsel und Fraktionskämpfe in der KPdSU in allen übrigen kommunistischen Parteien Wirkung und zogen Säuberungen nach sich. Der Kampf gegen die an Sinowjew orientierte deutsche Linksopposition zog sich in Halle-Merseburg mehrere Jahre lang hin und lähmte die Partei bis 1928. Die daran anschließende Eliminierung des rechten Parteiflügels und Entmachtung der so genannten „Versöhnler“ beseitigte die noch verbliebenen Reste einer an den nationalen Gegebenheiten orientierten kommunistischen Realpolitik und schloss die Stalinisierung der KPD ab. Die politische Entwicklung in der Sowjetunion wurde kritiklos akklamiert, so auch frühe Schauprozesse wie der „Schachty-Prozess“ (1928), der Prozess gegen die „Industriepartei“ (1930) und der „Menschewiki-Prozess“ (1931), die mit äußerst harten Urteilen, teils sogar Todesurteilen endeten. Die Identifikation mit der Sowjetunion erreichte während des „Industriepartei-Prozesses“ ein solches Ausmaß, dass KPD-Mitglieder aus Halle-Merseburg in zahlreichen Resolutionen die physische Vernichtung der Angeklagten forderten und sich zur Vollstreckung der Todesurteile bereit erklärten. Wenige Jahre später sollten einige der bekanntesten mitteldeutschen 7

Colas, Säubernde und gesäuberte Einheitspartei.

10

Einleitung

Kommunisten – unter ihnen die in der „Märzaktion“ von 1921 führend hervorgetretenen Max Hoelz und Joseph Schneider sowie der Magdeburger KPDReichstagsabgeordnete August Creutzburg – dem Stalinschen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fallen. Obwohl „Trotzkisten“ im eigentlichen Sinne des Wortes in Halle-Merseburg nur eine verschwindend kleine Minderheit darstellten, wurde die unterschiedslose Stigmatisierung aller innerparteilichen Abweichler als „Trotzkisten“, „Verräter“, „Agenten“, „Demagogen“, „Saboteure“ etc. im Zuge der Stalinisierung Teil des propagandistischen Vokabulars. 1931 begann sich die KPD nach entsprechenden Äußerungen Stalins von ihren spartakistischen Traditionen loszusagen, da „Luxemburgismus“ nun als ideologische Verirrung galt. Anders als im Parteibezirk Magdeburg-Anhalt, in dem die KPD aufgrund der dominierenden Sozialdemokratie nur schwer Fuß fassen konnte, stand die KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg zeitweise im Widerspruch zur offiziellen Parteilinie. Diese Widersprüche traten im Frühjahr 1924 offen zutage, als sich die gemäßigte „Mittelgruppe“ vergeblich gegen die auf Reichsebene siegreichen Linken zu behaupten versuchte. Im Winter 1928/29 wurde der Widerstand der „Versöhnler“ gegen den Kurs Ernst Thälmanns durch massive Interventionen der KPD-Zentrale und die Entmachtung der Bezirksleitung gebrochen. Bis 1933 sammelte sich durch Spaltungen, Säuberungen und ideologische Dissidenz ein Konfliktpotential an, das – sofern es politisch opportun erschien — jederzeit aktiviert werden konnte. Nur wenige maßgebende Funktionäre überstanden die innerparteilichen Auseinandersetzungen der zwanziger Jahre, ohne sich zeitweilige politische Abweichungen oder Fraktionsbildungen zu Schulden kommen zu lassen, die in Protokollen und Kaderakten vermerkt wurden. Am Ende dieser Entwicklung stand ein neuer Funktionärstypus, der sich durch kritiklose Ergebenheit, unbedingten Gehorsam und Treue zur Sowjetunion auszeichnete. Die Willfährigkeit dieser „Parteisoldaten“, die ihr persönliches Schicksal mit der Partei verbunden hatten, wurde durch ideelle und auch zunehmend materielle Abhängigkeit bestimmt. Innerparteiliche Diskussionen fanden seit 1929 kaum noch statt, sondern wurden durch das gläubige Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus ersetzt, der zur dogmatisierten Rechtfertigungsideologie sowjetischer Politik verkam. Im Gegensatz zu anderen KPD-Bezirken gab es in Magdeburg-Anhalt und Halle-Merseburg vor 1933 zwar keine nennenswerten Zentren linker oder rechter Abweichungen, aber es waren dennoch – wenn auch quantitativ schwach – sämtliche Splittergruppen des linken Parteienspektrums von der anarchistischen „Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)“ (FAUD[S]) über die KAPD, den „Leninbund“, die KPO und SAP bis hin zum „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) vertreten. Nach dem Krieg sollten in Sachsen-Anhalt überproportional viele frühere Mitglieder von Splittergruppen und in der KPD verbliebene Abweichler in führende Positionen gelangen, so etwa Robert Siewert (Innenminister, KPO), Paul Albrecht (stellvertretender Innenminister, (FAUD[S]), Franz Krause (stellvertretender Wirtschaftsminister, SAP), Rudolf Agricola (Rektor der Martin-Luther-Univer-

Einleitung

11

sität Halle-Wittenberg, SAP), Rose Gerisch (DFD-Landesvorsitzende, ISK), Bernard Koenen (SED-Landesvorsitzender, vor 1933 „Versöhnler“) sowie Erich Besser und Max Benkwitz (Vorsitzende der Landesparteikontrollkommission, Mitte der zwanziger Jahre führende Vertreter der Linksopposition in den KPDBezirken Magdeburg-Anhalt und Halle-Merseburg). Zwischen 1933 und 1945 fügten die Erfahrungen von Emigration und antifaschistischem Widerstandskampf dem schillernden Bild kommunistischer Biographien weitere Facetten hinzu. Die politischen Auffassungen der in zahlreiche Kleingruppen fraktionierten KPD-Mitglieder folgten nicht immer der von Moskau ausgegebenen Linie, wobei besonders der Abschluss des Hitler-StalinPakts und die Haltung gegenüber den Westalliierten zu Irritationen und Auseinandersetzungen führten. Als die überlebenden Kommunisten 1945 aus Lagern, Gefängnissen und der Emigration zurückkehrten und mit dem Neuaufbau der KPD begannen, hatten sich in ihren Biographien zahlreiche belastende Momente angesammelt: 1. Sowjetemigranten. Die Überlebenden des „Großen Terrors“ (1936–1938) galten zwar als zuverlässig, viele von ihnen waren jedoch selbst inhaftiert gewesen oder hatten Verwandte und Freunde verloren. Sie mussten damit rechnen, dass Informationen aus Kaderakten der Komintern und ihre erzwungenen Geständnisse gegen sie verwendet werden konnten.8 2. Westemigranten. Ein Großteil der Westemigranten fand Zuflucht in der Tschechoslowakei, Schweiz, Frankreich und England, wo sie sowohl zu Parteien, Behörden und Organisationen der Asylländer, als auch zu deutschen Emigranten unterschiedlicher politischer Herkunft Verbindung aufnahmen. Unter den Westemigranten bildeten Kommunisten, die als Mitglieder der Internationalen Brigaden am Spanischen Bürgerkrieg teilgenommen hatten, eine besondere Gruppe. Sie waren in Spanien und während der daran anschließenden Internierung in südfranzösischen Lagern mit „Trotzkisten“, Anarchisten und Angehörigen linker deutscher Splittergruppen (KPO, SAP) in Berührung gekommen. Einige Spanienkämpfer setzten ihren antifaschistischen Kampf ab 1940 in französischen Partisaneneinheiten oder westalliierten Streitkräften fort. Auch die zumeist jüngeren Kommunisten, die sich als gewöhnliche Wehrmachtssoldaten oder als An8

Bonwetsch, Stalinismus in der Sowjetunion, S. 11–36; Chlewnjuk, Das Politbüro; In den Fängen des NKWD; Schauprozesse unter Stalin 1932–1952; Müller, Menschenfalle Moskau; Müller, R., „Wir kommen alle dran“; Pirker (Hg.), Die Moskauer Schauprozesse 1936–1938; Studer/Unfried, Der stalinistische Parteikader; Prozessbericht über die Strafsache des antisowjetischen „Blocks der Rechten und Trotzkisten“ und Prozessbericht über die Strafsache des trotzkistisch-sinowjewistischen Zentrums; Waksberg, Gnadenlos; Weber, „Weiße Flecken“; Weber / Staritz (Hg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten.

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Einleitung

gehörige von Strafeinheiten in amerikanischer, britischer oder französischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten, müssen den Parteimitgliedern mit Westkontakten zugerechnet werden.9 3. Überlebende aus Konzentrationslagern und Gefängnissen. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Machtübernahme kam es 1933/34 in vielen Lagern und Gefängnissen zu politischen Auseinandersetzungen. Später standen vor allem die kommunistische Volksfrontpolitik, der Hitler-Stalin-Pakt und die anfänglichen Niederlagen der Roten Armee im Zentrum der Diskussion. Manche der gefangenen Kommunisten kapitulierten und versuchten, ihre Lebensbedingungen durch politische Indifferenz oder Anbiederung an die neuen Machthaber zu verbessern. Kommunisten, die zu geringfügigen Strafen verurteilt oder vorzeitig entlassen wurden, sahen sich dem Vorwurf der Agententätigkeit im Auftrag der Gestapo ausgesetzt. In besonderem Maße galt dies für Häftlinge, die bei ihrer Entlassung die in solchen Fällen übliche Verpflichtungserklärung der Gestapo unterschrieben hatten. Im Kampf um Einfluss traf der kommunistische Lagerwiderstand im KZ Buchenwald folgenschwere Entscheidungen zur Liquidierung von „Agenten“, Abweichlern und

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Beevor, The Spanish Civil War; Braunthal, Geschichte der Internationale; Doernberg (Hg.), Im Bunde mit dem Feind; Kantorowicz, Spanisches Kriegstagebuch; Lustiger, Schalom libertad; Mittag, „Es gibt Verdammte nur in Gurs“; Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung; Peters, Exilland Schweden; Teubner, Exilland Schweiz; Thomas, The Spanish Civil War; Walter, Pariser KPD-Sekretariat; BStU, MfS BV Halle: AGMS 2133/85; AIM 971/55; AIM 1063/69; AP 31/56; AP 1989/67; BStU MfS-AP 71/64; AS 95/65 (4. Band); AS 1154/67; HA XX AP 20967/92; SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/85 – RY 1/ I 2/3/91; DY 30/IV 2/4: Nr. 30, 92, 94, 95, 101, 115, 118, 126, 135, 140, 288; DY 30/ IV 2/11 v. 2833; BArch Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 4406; ZC 15868; Überprüfung von Mitgl., die im kap. Ausland waren 1953 (LHA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/71); Berichte an die deutsche Verwaltung des Inneren 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 158 a); Verschiedene Personalangelegenheiten (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 239); Ermittlungen 1948/49 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 245 b); Personalakten aus dem Bestand der Landesregierung Sachsen-Anhalt im Landeshauptarchiv Magdeburg Rep K 3 MdI: B 522, R 362, W 207; Namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3); Überprüfungsberichte Dez. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/34); Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/67); VVNVorstandsmitglieder 1949–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/ 206); Kameraden, die in westlicher Emigration waren (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/209 und V /8/210); Untersuchungsberichte der BPKK Nov. 1952–Nov. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/744); Informationen zum Slansky-Prozess Jan. 1953–Juni 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1860); Namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902); Kaderakten aus dem Bestand der SED-Bezirksleitung Halle im Landesarchiv Merseburg: IV/8/77; IV/8/167; IV/8/560; IV/8/904; IV/8/938; IV/8/ 961; IV/8/1152.

Einleitung

13

anderen missliebigen Häftlingen, was den Kommunisten den Vorwurf der Kooperation mit der SS einbrachte.10 4. Kommunisten aus der ČSR und den früheren deutschen Ostgebieten. Über die meisten sudetendeutschen Kommunisten war kaum etwas bekannt, als sie 1946 mit so genannten „Antifa-Transporten“ in der SBZ eintrafen. Man konnte ihnen zwar keine politischen Abweichungen nachweisen, brachte ihnen aber aufgrund fehlender Kenntnis ihrer Vergangenheit oft Misstrauen entgegen. Von den in der SBZ eintreffenden Kommunisten aus den ehemals deutschen Ostgebieten stammte ein Großteil aus Schlesien, wo die KPO und SAP über einige ihrer bedeutendsten Zentren verfügt hatten.11 Beim Neuaufbau der KPD im Jahre 1945 spielten die angeführten politischen Belastungen zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Es wurden zwar vereinzelte Untersuchungen durchgeführt, die sich mit dem Verhalten von Funktionären in Konzentrationslagern befassten, umfassende Säuberungen gegen bestimmte Gruppen von Parteimitgliedern fanden jedoch noch nicht statt. Zunächst ging es darum, für die KPD wichtige Positionen zu sichern, ihre Massenbasis zu verbreitern und die SPD mittels Fusion als eigenständigen politischen Faktor auszuschalten. Die sich bereits 1946/47 vollziehende Verdrängung ehemaliger Sozialdemokraten aus wichtigen Partei- und Verwaltungspositionen wurde seit Sommer 1948 intensiviert. Als äußerer Anlass für die Umformung der SED in eine „Partei neuen Typs“ diente Stalins Bruch mit Tito, dem ein nationaler Sonderweg zum Sozialismus und antisowjetische Argumentationen „aus dem Arsenal des konterrevolutionären Trotzkismus“ vorgeworfen wurden.12 Die SED reagierte umgehend und beschloss, nach sowjetischem Vorbild Parteikontrollkommissionen aufzubauen und diese mit der Säuberung der Partei zu beauftragen. Ziel war die „Säuberung der Partei von feindlichen und entarteten Elementen“ sowie die Umformung der SED zu einer stalinistischen Organisation nach dem Modell der KPdSU.13 Die gegen Tito gerichteten Vorwürfe wurden auf Sozialdemokraten, die einen „besonderen deutschen Weg zum So10 Kogon, Der SS-Staat; Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus; BStU, MfS BV Halle, AU 473/51; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/285; Untersuchungsberichte betr. Erich Behnke Sept. 1945–Okt. 1959 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1858); Kaderakte Ernst Brandt (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/138); Kaderakte Otto Kipp (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/560). 11 Foitzik, Kadertransfer; Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben. 12 Bartsch, Revolution und Gegenrevolution; Braunthal, Geschichte der Internationale, 3. Band, S. 439–456; Brockmann, Titoismus als besondere Form des Kommunismus; Hatschikjan, Die wechselvolle Kontinuität; Heidlberger, Jugoslawiens Auseinandersetzung mit dem Stalinismus; Vukmanović-Tempo, Mein Weg mit Tito. 13 Dokumente der SED, 2. Band, S. 81–88, 97–106, 213–217; Ulbricht, Die Bedeutung des deutschen Planes; Ulbricht, Die Partei neuen Typus; Herrnstadt, Einige Lehren aus den Fehlern der Kommunistischen Partei Jugoslawiens.

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Einleitung

zialismus“ angestrebt hatten, übertragen und im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Novemberrevolution von 1918 propagandistisch ausgewertet.14 Prominenteste Opfer der gegen Sozialdemokraten gerichteten Säuberungen waren in Sachsen-Anhalt Bruno Böttge und Ernst Thape, die sich 1945/46 nach vorübergehendem Sträuben für die Vereinigung von SPD und KPD eingesetzt hatten. Böttge (paritätischer SED-Landesvorsitzender, Mitglied des SED-Parteivorstandes, des Volksrates, des Landtages von Sachsen-Anhalt und Landtagspräsident) verlor seine Ämter im September 1948. Volksbildungsminister Ernst Thape floh im November 1948 in den Westen. Schwerpunkt der Angriffe war Magdeburg und Umgebung, wo sich die Hochburgen der SPD befunden hatten.15 Seit 1949 gerieten zunehmend auch Mitglieder früherer linker Splittergruppen, auf die sich der gegen Tito erhobene Vorwurf des „Trotzkismus“ anwenden ließ, und aus jugoslawischer Gefangenschaft zurückgekehrte Kriegsteilnehmer ins Visier der Kontrollkommissionen.16 Mit Hilfe dieser und weiterer Säuberungswellen sollten nicht nur alle tatsächlichen und früheren Abweichler, sondern auch potentielle Gegner getroffen werden, mit deren Widerstand gegen die Sowjetisierung zu rechnen war. Eine zweite Säuberungswelle, die sich neben den bereits erwähnten Gruppen gegen Parteimitglieder mit Westkontakten richtete, setzte nach dem Prozess gegen den früheren ungarischen Innenminister László Rajk ein, der im September 1949 in Budapest zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde.17 Es fanden daraufhin mit Ausnahme der DDR in allen Staaten des sowjetischen Machtbereichs Schauprozesse gegen kommunistische Parteifunktionäre statt, denen die im Rajk-Prozess erörterten Verschwörungskonstrukte zugrunde lagen.18 Trotz des letztlich ausgebliebenen „deutschen Rajk-Prozesses“19 kam es in der DDR auf allen Ebenen von Partei und Staat zu Verhaftungen, Parteiausschlüssen, Entlassungen und Degradierungen von Sozialdemokraten, „Trotzkisten“, Westemigranten und Parteimitgliedern, die sich in westlicher Kriegsgefan14 15

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Dokumente der SED, 2. Band, S. 107–124; Grotewohl, Dreißig Jahre später; Grotewohl, Die Fehler von 1918; Pieck, Die Novemberrevolution; Ulbricht, Die Hauptlehre von 1918. Hurwitz, Die Stalinisierung der SED; Malycha, Partei von Stalins Gnaden?; Schmidt, Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD; Stern, Dogma und Widerspruch; BStU, MfS-AU 139/55; Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/15); Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88). Teubner, Wachsamkeit und politische Weitsicht; ders., Stalin – der Besieger des Trotzkismus; Abraham, „Die große Verschwörung“; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/92; DY 30/IV 2/4/94; DY 30/IV 2/4/156; Nachlass Besser 1945–1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/6/18/2). László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht; Hodos, Schauprozesse. Ebd.; „Ich habe den Tod verdient“. Hg. von Maderthaner/Schafranek/Unfried; Kaplan /Svátek, Die politischen Säuberungen in der KPČ; Traitscho Kostoff und seine Gruppe; Weber/Staritz (Hg.), Kommunisten verfolgen Kommunisten. Weber, Schauprozeßvorbereitungen in der DDR; Kießling, Paul Merker.

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genschaft befunden hatten. Zusätzlich angeheizt wurden die Säuberungen in Sachsen-Anhalt durch den Schauprozess gegen Prof. Dr. Willi Brundert, einen früheren Sozialdemokraten, der aus dem britischen Umerziehungslager Wilton Park nach Sachsen-Anhalt zurückgekehrt war und an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie im Wirtschaftsministerium des Landes hohe Positionen bekleidet hatte. Brundert wurde im April 1950 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt und diente vor allem in der Landesregierung als Anlass für Säuberungen.20 Brundert und die aus dem Wirtschaftsministerium entfernten Fachleute überwiegend sozialdemokratischer Herkunft erfüllten die Funktion von Sündenböcken für eine verfehlte Wirtschaftspolitik und wurden durch politisch zuverlässige, aber fachlich ungeeignete Arbeiter ersetzt. Die Priorität ideologischer Unbedenklichkeit gegenüber Fachwissen und langjähriger politischer Erfahrung traf 1950/51 auch vier SED-Minister der Landesregierung (Innenminister Robert Siewert, Volksbildungsminister Richard Schallock, Wirtschaftsminister Paul Lähne und Landwirtschaftsminister Ernst Brandt), die ihre Ämter wegen KPO- bzw. SPD-Mitgliedschaft, politischer Versäumnisse oder angeblicher Spitzeltätigkeit für die Gestapo verloren. Brandt kam im Juni 1951 in Haft, wurde jedoch fünf Monate später ohne Verfahren wieder entlassen. Abgesehen von dem sudetendeutschen Sowjetemigranten Josef Hegen, der zu Siewerts Nachfolger ernannt wurde, traten an die Stelle der entlassenen SED-Minister ausschließlich jüngere, unerfahrene Parteigenossen, die erst nach Kriegsende politisch hervorgetreten waren. Mit Ausnahme des Innenministeriums wurden somit alle übrigen SED-Ministerien personell geschwächt, um durch den Parteiapparat besser beherrscht werden zu können. Im Gegensatz dazu lag die Führung innerhalb des SED-Landessekretariats als lokalem Machtzentrum in der Hand von Sowjetemigranten und früheren Mitgliedern der KPČ und KPÖ. Die Funktion der „Parteisäuberungen als Kaderpolitik“21 wurde auch außerhalb des Funktionärskorps deutlich, als die Untersuchungen 1951 im Rahmen einer allgemeinen Mitgliederüberprüfung auf alle SED-Mitglieder und Kandidaten ausgedehnt wurden. Neben der Entfernung so genannter „Parteifeinde“, Karrieristen sowie moralisch fragwürdiger oder „krimineller Elemente“ sollten auch besonders geeignet erscheinende Kader erfasst und für höhere Aufgaben vorbereitet werden. Aufgrund fehlender innerparteilicher Demokratie und demokratischer Auswahlverfahren erfolgte die personelle Erneuerung der Partei über Säuberungen und die administrative Vergabe von Ämtern. Die dritte Säuberungswelle, die im Rahmen dieser Studie betrachtet werden soll, setzte im Dezember 1952 als Folge des tschechoslowakischen Slánský-Prozesses ein. Da es sich bei 11 der 14 Angeklagten um Kommunisten jüdischer Abstammung handelte, unter denen sich einige Spanienkämpfer befanden, war 20 Beckert, Instanz; Brundert, Es begann im Theater; Kos, Politische Justiz in der DDR; BStU, MfS-AS, 1154/67; Herwegen-Brundert-Prozess (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9); Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/15). 21 Mählert, „Die Partei hat immer recht!“.

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die Zielrichtung der daran anschließenden Säuberungen klar vorgegeben.22 In den Bezirken Halle und Magdeburg – die Länder der DDR waren im Juli 1952 aufgelöst worden – gerieten sudetendeutsche Kommunisten, frühere Tschechoslowakei-Emigranten und Mitglieder der während des Krieges aufgestellten tschechoslowakischen Auslandsarmee in den Kreis der Verdächtigen. Im Gegensatz zu jüdischen Kommunisten, Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Halle und Spanienkämpfern, gegen die Parteistellen und das MfS konkrete Maßnahmen einleiteten,23 blieben Personen mit biographischen Verbindungen in die Tschechoslowakei aber weitgehend unbehelligt. In Anlehnung an die Konstrukte des Prager Slánský-Prozesses sollte im Frühjahr 1953 in Halle offenbar ein Schauprozess gegen die früheren SED-Funktionäre Friedrich und Elisabeth Ferchlandt stattfinden, denen man „Trotzkismus“, Antisowjetismus, Westkontakte, Verbindungen zu Juden und Korruption vorwarf. Als das Ehepaar Ferchlandt im Mai 1953 zu jeweils 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, gehörten antisemitische Tendenzen, die den Slánský-Prozess und die Untersuchungen von SED-Parteikontrollkommissionen und MfS bestimmt hatten, bereits der Vergangenheit an und wurden dementsprechend weder in der Anklageschrift, noch im Urteil aufgegriffen. Es war nur dem hinhaltenden Widerstand der beiden Angeklagten zuzuschreiben, dass der Ferchlandt-Prozess erst zehn Wochen nach Stalins Tod stattfinden konnte und anders als die vorangegangenen Verhöre keine antisemitischen Untertöne enthielt.24 Die Repressalien gegen Spanienkämpfer und Juden wurden zwar eingestellt, hatten jedoch ein Klima des Misstrauens geschaffen, das auch in den folgenden Jahren weiter spürbar blieb und sich für die Betroffenen nachteilig auswirkte. Im Gegensatz zur Mehrzahl der bislang erschienenen Darstellungen, die sich regional vor allem mit den gegen frühere Sozialdemokraten gerichteten Säuberungen befassten,25 ist zur Schwerpunktbildung der vorliegenden Studie zu be22 Herf, Antisemitismus in der SED; Hodos, Schauprozesse; Kaplan/Svátek, Die politischen Säuberungen in der KPČ; Keßler, Die SED und die Juden; Kießling, Absturz in den kalten Krieg; Kießling, Der Fall Baender; Lukes, Der Fall Slánský; Lustiger, Rotbuch; Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 351–457; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. 23 BStU, MfS BV Halle, AIM 971/55; BV Halle, AIM 1063/69; MfS-AP, 71/64; SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/404; Arbeitstagungen der BPKK Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/709); Untersuchungsberichte der BPKK Nov. 1952–Nov. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/744); Informationen zum Slansky-Prozeß Jan. 1953–Juni 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1860); Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961); Überprüfung von Mitgl., die im kapitalistischen Ausland waren 1953 (LHA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV /2/4/71). 24 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53. 25 Hurwitz, Die Stalinisierung der SED; Malycha, Auf dem Weg zur SED; Malycha, Partei von Stalins Gnaden?; Schmidt, Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD; Zwangsvereinigung von SPD und KPD in Sachsen-Anhalt. Die von der DDR-Geschichtsschreibung vorgelegten Forschungsergebnisse erwiesen sich als nicht verwendbar, da sie die Parteisäuberungen noch in den siebziger und achtziger Jahren als legitimen Kampf gegen „imperialistische Agentengruppen, Saboteure, Großschieber und Spekulanten“ dar-

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merken, dass die als „Trotzkisten“, Westemigranten, Westgefangene, Spanienkämpfer und Juden verfolgten Kommunisten im Zentrum der Untersuchung stehen. Um die Herausbildung stalinistischer Traditionen und Mentalitäten aufzuzeigen, an die das MfS und die Kontrollorgane der SED anknüpften, erwies es sich als notwendig, dem Hauptteil der Arbeit eine ausführliche Darstellung der zwischen 1918 und 1933 vollzogenen Parteisäuberungen und Spaltungen auf dem Gebiet des späteren Landes Sachsen-Anhalt voranzustellen. Bei der Untersuchung von Spaltungen und Säuberungen im linken Parteienspektrum der Weimarer Republik gaben Publikationen westdeutscher Historiker zwar wichtige Hinweise, sie enthielten aber im Hinblick auf Vorgänge in Magdeburg-Anhalt und selbst für den so bedeutenden KPD-Bezirk Halle-Merseburg deutliche Lücken. Es handelte sich zumeist um Überblicksdarstellungen, für deren Erarbeitung Archive in der DDR vor 1990 nicht genutzt werden konnten.26 Die in der DDR entstandenen regionalgeschichtlichen Darstellungen und Biographien boten einen nur geringfügigen Erkenntniswert, da sie die Thematik entweder ausblendeten oder mit wenigen Phrasen streiften.27 Die Versäumnisse der DDR-Historiographie folgten politischen Vorgaben, denn zur Darstellung der innerparteilichen Säuberungen hätte an sich eine Fülle von Archivmaterial im Institut für Marxismus-Leninismus zur Verfügung gestanden. Die entsprechenden Dokumente fanden sich bei der Sichtung von Beständen der KPD-Bezirksleitungen Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt, die heute im Bundesarchiv Berlin zur Verfügung stehen.28 Sie wurden vom Autor durch Materialien aus regionalen Archiven29 und Informationen aus der lokalen KPD-, USPD- und SPD-Presse30 ergänzt. Wichtige Informationen über die Fraktionierungen in der KPD gingen auch aus Ermittlungsberichten und Verhörprotokollen hervor, die das MfS bei der Beschattung bzw. nach der Festnahme früherer kommunistischer und sozialdemokratischer Funktionäre anlegte. Da die Ermittler im Sin-

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stellten. Vgl. Engelhardt, Untersuchungen, S. 75–78; Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, S. 227 f. Angress, Die Kampfzeit der KPD; Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus; Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik; Geyer, Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung; Krause, USPD; Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO); Weber, Der deutsche Kommunismus; ders., Die Wandlung; ders., Die Parteitage der KPD und SED; ders., Zu den Beziehungen zwischen der KPD und der Kommunisitschen Internationale; Wheeler, Die „21 Bedingungen“ und die Spaltung der USPD; Zimmermann, Der Leninbund. Gebhardt, Max Hoelz; Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland; Knittel, Die Märzkämpfe 1921; Kühn, Georg Schumann; Lehmann, Max Lademann; Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs; Reinowski, Bernard Koenen; Wendt/Jacob, Robert Siewert. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11; RY 1/I 3/12. Nachlässe G. Lehmann, Walter Schmidt, Willi Kunz, Georg König, Bernard Koenen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/6/2/5, V/6/5/1, V/6/9/4, V/6/10/1, V/6/13/1); StA Halle, Zeitgeschichtliche Sammlung. Klassenkampf (KPD); Volksblatt (SPD / USPD); Volksstimme (SPD); Volkszeitung (USPD).

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ne stalinistischer Verschwörungstheorien Agentennetze westlicher Spione, Saboteure, rechter Sozialdemokraten und „Trotzkisten“ zu konstruieren versuchten, durchleuchteten sie die Biographien der Verdächtigen auch unter dem Aspekt eventueller politischer Abweichungen und Fraktionsbildungen in der Vergangenheit.31 Der erste Abschnitt der Studie schließt nach einer Darstellung des „Großen Terrors“, dem in der Sowjetunion mehrere Funktionäre und einfache Mitglieder der KPD-Bezirke Magdeburg-Anhalt und Halle-Merseburg zum Opfer fielen, mit einem Kapitel, in dem die Jahre 1945 bis 1947 vor allem unter dem Gesichtspunkt der Vereinigung von KPD und SPD in der damaligen Provinz Sachsen betrachtet werden. Wie am Beispiel der SPD-Provinzialvorstandsmitglieder Bruno Böttge, Werner Bruschke und Ernst Thape aufgezeigt wird, sind bisherige Darstellungen, die vor allem den Zwangscharakter der Vereinigung in den Vordergrund stellten, nur bedingt aufrechtzuerhalten, da die Zustimmung zur Vereinigung nicht allein aufgrund von Zwangsmaßnahmen der SMA zur Unterdrückung und Einschüchterung widerständiger Sozialdemokraten erfolgte, sondern auch aufgrund politischer Fehleinschätzungen und ideologischer Motive führender Funktionäre. Darüber hinaus bekannten sich mehrere sozialdemokratische Funktionäre, die wie Sachsen-Anhalts erster Wirtschaftsminister Willi Dieker vor 1933 dem linken Parteiflügel angehört oder zur SAP übergetreten waren (so der SAP-Bezirksvorsitzende von Halle-Merseburg und spätere Rektor der Martin-Luther-Universität Rudolf Agricola), bereits 1945 zur KPD. Der spätere Ministerpräsident Werner Bruschke und eine unbekannte Zahl von SPD-Mitgliedern betätigten sich als sowjetische Informanten und trugen seit 1946 zur Zerschlagung des sozialdemokratischen Widerstandes bei. Die an diese Darstellung anschließenden drei Abschnitte bilden den Hauptteil der Arbeit und folgen den weiter oben skizzierten Säuberungswellen. Ausgehend von politischen Entwicklungen in der Sowjetunion und in Osteuropa werden deren Auswirkungen auf die SBZ / DDR und Sachsen-Anhalt dargestellt, wobei das SED-Landessekretariat, der SED-Landesvorstand und die Landesregierung stellvertretend für alle übrigen im Partei- und Staatsapparat durchgeführten Säuberungen näher betrachtet werden. In die Darstellung aufgenommen wurden auch Säuberungen an der Martin-Luther-Universität, die im Ruf linken Sektierertums und trotzkistischer Tendenzen stand. Bezogen auf den Zeitraum zwischen der Gründung der DDR (7. Oktober 1949), die annähernd mit dem Budapester Rajk-Prozess zusammenfällt, und dem Beschluss zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR (II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952) kommen weitere Einzeldarstellungen hinzu, die sich mit den Säuberungen in der Parteipresse, in Massenorganisationen, bei der Post, Reichsbahn und in Chemiebetrieben befassen. Im letzten Abschnitt werden die Auswirkungen des Prager Slánský-Prozesses auf die Bezirke Halle und Magde31

BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54; BV Halle, AOP 281/54; BV Halle, AOP 179/56; BV Halle, AP 761/56; BV Halle, AU 193/53; MfS-AU 139/55.

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burg thematisiert. Schwerpunkt der Darstellung sind antisemitische Tendenzen in der Tätigkeit der Bezirksparteikontrollkommissionen (BPKK), VVN und MfS-Bezirksverwaltung Halle. Bei der Untersuchung der zwischen Herbst 1949 und Frühjahr 1953 durchgeführten Säuberungen in der sachsen-anhaltischen SED fanden vor allem Dokumente aus Beständen des früheren MfS sowie aus dem Landeshauptarchiv Magdeburg und dem Landesarchiv Merseburg Verwendung, die bislang nur wenig genutzt oder gänzlich unbekannt waren. Neben Protokollen des SED-Landessekretariats und Untersuchungsberichten der Parteikontrollkommissionen erwiesen sich hierbei besonders Kaderakten der SED-Bezirksleitung Halle und Personalakten aus dem Bestand der früheren Landesregierung Sachsen-Anhalt als bedeutend.32 Ergänzt durch Dokumente des MfS illustrieren sie die Funktionsweise der Säuberungen und belegen ihre Steuerung durch Parteiinstanzen. Zugleich entfaltet sich ein breites Panorama kommunistischer Biographien, die nicht nur als „ein Leben für die Partei“33 verstanden werden können, sondern die geprägt waren von Kämpfen gegen äußere und innere „Feinde“, gegen echte oder zumeist imaginierte Gegner und in denen Niederlagen, persönliche Demütigungen und Enttäuschungen dominierten. Angesichts der Bereitschaft vieler Kommunisten, zur Durchsetzung ihres erstrebten, aber letztlich nicht realisierbaren Ideals auch die Anwendung von Staatsterror mitzutragen, verblasst der Respekt vor der Konsequenz, mit der sie ihrer Idee treu blieben und Verfolgung, Haft und Emigration auf sich nahmen – eine Erkenntnis, zu der frühere Altkader und Apologeten des DDR-Sozialismus auch 15 Jahre nach dem Untergang der DDR noch nicht in der Lage sind.34 Die eingangs zitierten Worte Johannes R. Bechers, der 1956 davon sprach, dass „mit dem Sozialismus die menschliche Tragödie in einer neuen Form ihren Anfang genommen“ und der Sozialismus „erst die menschliche Tragik in Freiheit gesetzt“ habe,35 erscheinen daher nur auf den ersten Blick überzogen, denn sie treffen gerade hinsichtlich der Verfolgung von Kommunisten durch Kommunisten den Kern des Problems. Im Namen einer scheinbar rationalen, wissenschaftlich begründeten Weltanschauung, für die Kommunisten ihr Leben eingesetzt hatten, wurden Terror, Willkür, Angst und Misstrauen zu bestimmenden Erscheinungen des Lebens im Stalinismus. Das auf Gewalt gegründete und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit durchgeführte „sozialistische Experiment“, wie es Becher 1956 nannte, war von Anbeginn ein „gescheitertes Experiment“.36

32 Vgl. die Quellenangaben in Anmerkung 9, 10, 20 und 23, die einige der wichtigsten Akten nennen. 33 Reinowski, Bernard Koenen. 34 Vgl. dazu als jüngstes Beispiel aus Halle das Grußwort von Josef Gerats und einige der Beiträge in Meier (Hg.), Leo Stern. 35 Behrens, Johannes R. Becher, S. 293. 36 Brzezinski, Das gescheiterte Experiment.

II.

Traditionslinien der Säuberung

1.

Die KPD Halle-Merseburg in der Weimarer Republik

1.1

Die mitteldeutsche Linke 1918–1920

Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfügte die Arbeiterbewegung im Süden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt über eines ihrer stärksten Zentren, von dem überregional bedeutsame Entwicklungen ausgingen. So wurde in Halle 1890 der Gewerkschaftsverband der Bergarbeiter gegründet und der erste SPD-Parteitag nach dem Fall des Sozialistengesetzes abgehalten. Die überregionale Bedeutung der mitteldeutschen SPD zeigte sich auch bei den letzten Reichstagswahlen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges (1912), als die SPD im Regierungsbezirk Merseburg 42,6 Prozent und im Reichstagswahlkreis Halle-Saalkreis sogar 53 Prozent der Stimmen erzielte. Der hallesche SPD-Parteibezirk galt aufgrund seines Festhaltens am marxistischen Erfurter Programm als links. Dies kam 1913 in der Ablehnung der von der SPD-Reichstagsfraktion bewilligten Rüstungskredite zum Ausdruck und erneut während der Julikrise des Jahres 1914, als sich am 28. Juli 1914 6 000 hallesche Arbeiter zu einer Antikriegskundgebung versammelten. Der linke SPDFunktionär Wilhelm Koenen stellte sich im Dezember 1914 zusammen mit zwei Dritteln der SPD-Funktionäre des Bezirks hinter Karl Liebknecht. Koenen wurde zum Wortführer der Antikriegsopposition und unterhielt bereits in den ersten Kriegsmonaten mit Hilfe eines Netzes von Straßen- und Betriebsvertrauensleuten Verbindungen zu 100 teils kriegswichtigen Betrieben des Regierungsbezirkes. Die linke SPD-Bezirksorganisation wurde im Herbst 1916 aus der Partei ausgeschlossen und beteiligte sich im Frühjahr 1917 an der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Auf Vorschlag von Wilhelm Koenen – seit 1917 Vorsitzender des USPD-Bezirksverbandes – und unter maßgeblicher Beteiligung der Betriebsvertrauensleute begann am 15. August 1917 in einer halleschen Maschinenfabrik ein vier Tage dauernder Antikriegsstreik, der auch andere Betriebe erfasste und allein in Leuna von 12 000 Arbeitern befolgt wurde. Dort bestand seit März 1917 unter der Leitung von Koenens jüngerem Bruder Bernard, der im Januar 1917 wegen AntikriegsPropaganda von der Westfront in die Leuna-Werke abkommandiert worden war, eine USPD-Betriebsorganisation. Bis zum Sommer 1917 büßte der sozialdemokratische Bezirksverband seine frühere Bedeutung beinahe vollständig ein und verlor etwa 90 Prozent seiner Mitglieder an die USPD. Die SPD konnte sich nur im Saalkreis und in den Gebieten um Naumburg, Weißenfels und Hohenmölsen einigermaßen behaupten.1 1

Mende, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung in Halle im Ersten Weltkrieg; Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern, S. 172, 176–178, 186; Krause, USPD, S. 362; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 162; Koenen, Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland, S. 12 f., 23 f.; Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Ko-

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Wenige Tage nach dem Ausbruch der Revolution griff die Bewegung am 8. November 1918 auf den Militärflugplatz von Halle und auf die in halleschen Kasernen stationierten Infanteristen und Artilleristen über. Noch am Abend desselben Tages traf der Soldatenrat mit SPD- und USPD-Vertretern zusammen, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Es bestand Einigkeit darüber, dass der Soldatenrat die städtische Verwaltung übernehmen und für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Versorgung zuständig sein sollte.2 Eine wichtige Rolle während der Ereignisse des 8. November 1918 spielte Leutnant Friedrich Ferchlandt, der 1918 als Maschinengewehr- und stellvertretender Gerichtsoffizier nach Halle gekommen war und Anfang November unter dem Einfluss des USPD-Funktionärs Otto Kilian zur USPD fand. Ferchlandt wurde vom Soldatenrat zum Militärbevollmächtigten für alle revolutionären Truppenteile in und um Halle eingesetzt.3 In den folgenden Tagen stellten die Arbeiter der meisten halleschen Betriebe die Arbeit ein und bildeten Arbeiterräte, die soziale Forderungen erhoben. Vorsitzender des halleschen Arbeiterrates, der sich vor allem aus USPD-Vertrauensmännern großer Betriebe und Mitgliedern des USPD-Ortsvorstandes zusammensetzte, war Otto Kilian. Noch am 9. November 1918 unterstellten sich der Oberbürgermeister und Magistrat der Stadt Halle dem Arbeiter- und Soldatenrat.4 Bereits in den ersten Tagen des Umsturzes wurde die unterschiedliche Zielsetzung von SPD und USPD deutlich: Während die lokale SPD-Presse die Bevölkerung am 9. November 1918 zur Schonung der Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen aufrief und die Arbeiter aufforderte, nach Beendigung des Streiks an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, um „in kurzer Zeit die Bewegung in günstigem Sinne beenden“ zu können, fassten die Anhänger der USPD am selben Tag eine Entschließung, in der sie sich „begeistert zu den Forderungen des internationalen Sozialismus“ bekannten. Sie gelobten, „alles einsetzen zu wollen für die Beseitigung des Klassenstaates der Unfreiheit, des Wuchers, [...] der Ausbeutung“ und den Sturz des Kapitalismus’ anzustreben.5 Die hallesche SPD antwortete am 21. November 1918 mit einer einstimmig angenommenen Entschließung, in der jeder Versuch, „in Deutschland bolschewistische Politik zu treiben“ als „undemokratisch und unsozialistisch“ verurteilt wurde. Im Hinblick auf die künftige Staatsform sprach sich die SPD für den vorübergehenden Verbleib der vollziehenden Gewalt in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte aus, bis durch die Nationalversammlung Gesetze erarbeitet worden seien. Auch der Arbeiter- und Soldatenrat Halle stellte sich Ende November auf die

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enen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/88, Bl. 1 f.). Volksstimme vom 9.11.1918 („Auch Halle für die Republik“). BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 86 f. Ebd., 14. Band, Bl. 211; Otto Kilian (StA Halle, Familienarchiv Nr. 5151, unpaginiert); Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern, S. 188. Volksstimme vom 9.11.1918 („Auch Halle für die Republik“); Beilage vom 9.11.1918 („Versammlungen der Unabhängigen“).

Die KPD Halle-Merseburg in der Weimarer Republik

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Seite des Rates der Volksbeauftragten und forderte auf längere Sicht die Einberufung der Nationalversammlung – „sobald die Voraussetzungen dafür gegeben sind“, wie es einschränkend hieß.6 Die linken USPD-Funktionäre im Bezirk erkannten sehr bald, dass die Zeit gegen sie arbeitete und versuchten, die revolutionäre Situation nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Als Bezirksvorsitzender der USPD und Kommissar der Arbeiter- und Soldatenräte bei der Bezirksregierung Halle-Merseburg forderte Wilhelm Koenen dementsprechend, dass man die Macht jetzt gebrauchen müsse. Der hallesche USPD-Reichstagsabgeordnete Karl Albrecht erklärte in der ersten Sitzung des neugewählten Arbeiterrates Halle am 9. Dezember 1918: „Wenn die Nationalversammlung eine Verfassung beschließt, die uns nicht gefällt, dann bleiben die Arbeiter- und Soldatenräte eben weiter bestehen, dann geht der Kampf weiter.“7 Auf dem von allen deutschen Arbeiter- und Soldatenräten beschickten Berliner Rätekongress (16.–20. Dezember 1918) fielen schließlich wichtige Vorentscheidungen für die künftige Staatsform des Reiches. Der Kongress sprach sich mit großer Mehrheit gegen das Rätesystem aus und legte den 19. Januar 1919 als Wahltermin für die Nationalversammlung fest. Drei Tage nach dem Ende des Kongresses berichtete Wilhelm Koenen in einer öffentlichen Versammlung der halleschen USPD, „dass der Kongress wohl Erfolg gebracht“ habe, wenn auch nicht in dem von der USPD erwarteten Maße. Koenen betonte, dass die Arbeiterräte auch nach dem Zusammentreten der Nationalversammlung beibehalten werden müssten. Unter dem lebhaften Beifall der Versammlungsteilnehmer erklärte er die spartakistische Theorie zur einzig richtigen, bezeichnete ihre Anwendung aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse des Reiches zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch als verfehlt. Seine Haltung zur SPD war im Vergleich dazu von wesentlich stärkeren Vorbehalten geprägt, denn er hielt Listenverbindungen mit der SPD zwar für denkbar, bezeichnete die Existenz zweier sozialistischer Parteien jedoch als historische Notwendigkeit.8 Da die Novemberrevolution nicht zu den erhofften politischen Veränderungen führte, unternahmen USPD, KPD und die von der KPD abgespaltene ultralinke Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) zwischen 1919 und 1921 mehrfach den Versuch, mit Hilfe von Streiks, bewaffneten Aktionen und unter Ausnutzung ihrer Machtbasis im mitteldeutschen Industriegebiet eine revolutionäre Wende zum Sozialismus zu erzwingen. Die Aufstandsversuche der radikalen Linken sollten jedoch nicht nur am Widerstand des Bündnisses aus Bürgertum, SPD und sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften sowie am massiven Einsatz von Regierungs- und Polizeitruppen scheitern, sondern auch infolge politischer Fehleinschätzungen, ideologischer Differenzen, 6 7 8

Volksstimme, Beilage vom 23.11.1918 („Was fordert die siegreiche Revolution von uns? Mitgliederversammlung des sozialdemokratischen Vereins für Halle und Saalkreis“); Beilage vom 29.11.1918 („Kundgebungen des A.- u. S.-Rates“). Volksstimme, Beilage vom 12.12.1918 („Giftmischerei“). Volksstimme vom 27.12.1918 („Unabhängige, Rätekongreß und Nationalversammlung“).

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innerer Uneinigkeit und mangelnder praktischer Vorbereitung. Bestand unter den mitteldeutschen Linksradikalen Übereinstimmung hinsichtlich ihrer Gegnerschaft zur SPD, so traten untereinander, d. h. vor allem zwischen USPD und KPD einerseits und der KAPD andererseits, schwerwiegende Diskrepanzen auf. Hinzu kamen innerparteiliche Spannungen in der USPD, die im Oktober 1920 zur Parteispaltung führen und den Aufstieg der KPD zur Massenpartei ermöglichen sollten. Die Auseinandersetzungen im linken Parteienspektrum trugen entscheidend zur Vertiefung der Gegensätze bei und bildeten zugleich den Anlass für die Durchführung von Säuberungen, die jedem Kurswechsel der KPD folgten. Auf der Seite der mitteldeutschen Linken agierten während der frühen revolutionären Phase zahlreiche Personen, die sich an den späteren Parteisäuberungen der KPD und SED entweder beteiligen oder auf der Seite der Opfer wiederfinden sollten. Häufig präsentierte man den unter Druck geratenen Parteimitgliedern noch Jahrzehnte später die Rechnung für tatsächliche oder vermeintliche politische Abweichungen und Fehleinschätzungen, die sie sich in den zwanziger Jahren zu Schulden hatten kommen lassen. Im Rahmen der folgenden Darstellung sollen daher nicht nur die revolutionären Ereignisse der Jahre 1919 bis 1921, sondern vor allem die dabei aufgetretenen Auseinandersetzungen zwischen SPD, USPD, KPD und KAPD näher betrachtet werden. Bereits eine Woche nach dem Gründungsparteitag der KPD entstand in Halle eine KPD-Ortsgruppe unter dem Vorsitz von Reinhold Schoenlank. Sie ging aus einer Gruppe des Spartakusbundes hervor, die im November 1918 von Schoenlank gegründet worden war.9 Als Gründungsdatum der KPD-Ortsgruppe gilt der 7. Januar 1919, an dem die halleschen Kommunisten unter dem Eindruck des Berliner Januaraufstandes einen ersten gewaltsamen Umsturzversuch durchführten. Obwohl sich die Kommunisten nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung stützen konnten, richteten sie ihre Aktionen gegen alle übrigen politischen Kräfte der Stadt: Sie drangen in das Wahlbüro der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ein und erklärten den Soldatenrat für abgesetzt. Mitglieder der von Leutnant Ferchlandt aufgestellten Matrosenkompanie besetzten die Redaktion der liberalen „Saale-Zeitung“, versuchten das Erscheinen der Zeitung zu verhindern, beschlagnahmten und verbrannten Wahlkampfmaterial der DDP und SPD. Der Bahnhof und das Gerichtsgebäude wurden besetzt, Gruppen von Demonstranten zogen durch die Stadt, Arbeiter traten in den Streik. Bei dem Versuch, Soldaten zu entwaffnen, kam es in der Reilkaserne zu Blutvergießen. Am Abend des 7. Januar 1919 gingen die Aufständischen wieder auseinander, ohne politisch etwas erreicht zu haben.10 Sozialdemokraten, Anhänger bürgerlicher Parteien, aktive Soldaten und Kriegsversehrte antworteten am 10. Januar 1919 mit einer Sympathiekundgebung für die Reichsregierung, bei der Transparente mit Aufschriften wie „Hoch 9 BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 26; AIM Halle 964/62, 2. Band, Bl. 33. 10 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 14. Band, Bl. 91, 94–100; Volksstimme, Beilage vom 8.1.1919 („Der 7. Januar in Halle“).

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die Regierung Ebert-Scheidemann“, „Nieder mit dem Terror“, „Ordnung, Freiheit und Brot“, „Gegen Spartacus“ etc. gezeigt wurden. Der Demonstrationszug endete in einem Tumult, als auf dem Marktplatz Linksradikale mit Knüppeln auf die Demonstranten einschlugen und den Tod eines Arbeiters verursachten. Ein weiterer Toter war zwei Tage später auf dem Riebeckplatz bei einer Demonstration regierungstreuer Einwohner zu beklagen, die von bewaffneten linksradikalen Arbeitern und Soldaten durch den Einsatz von Maschinengewehren beendet wurde.11 Als Gerüchte über prokommunistische Sympathien des halleschen Soldatenrates aufkamen, distanzierten sich der Soldatenrat und sein Militärbevollmächtigter Ferchlandt in einer Erklärung von allen „spartakistischen Umtrieben“. Sie garantierten die Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung“ und verbürgten sich für den „Schutz der Mitbürger und jeden Privateigentums“.12 Auch der hallesche Arbeiterrat erklärte, dass er mit dem Spartakusbund „nicht das Allermindeste gemein“ habe und dass sich unter seinen Mitgliedern keine Spartakisten befänden.13 Trotz der Niederlage gelang es der KPD in den folgenden Monaten, ihren Einfluss auf zahlreiche weitere Ortschaften des Regierungsbezirks Merseburg auszudehnen.14 Bis zum Ende des Jahres 1919 entstanden im KPD-Bezirk Mitteldeutschland, der damals den Süden des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt und das westliche Sachsen umfasste, 65 Ortsgruppen mit etwa 4 200 Mitgliedern. Sitz der Bezirksleitung, der u. a. Georg Schumann und Walter Ulbricht angehörten, war anfangs Leipzig.15 Nach dem Scheitern des aussichtslosen Aufstandsversuchs der Kommunisten kam es im Regierungsbezirk Merseburg während des mitteldeutschen Generalstreiks im Februar und März 1919 zu einer weiteren ernst zu nehmenden Machtprobe zwischen linksradikalen Kräften und der Reichsregierung. Inflation, Massenarbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und Enttäuschung unter den durch sozialistische Parolen radikalisierten Arbeitern bildeten den Hintergrund von Streiks und gewalttätigen Zusammenstößen mit staatlichen Ordnungskräften. In vielen Betrieben entstanden Betriebsräte, die weitgehende Mitbestimmungsrechte einforderten und sich als Konkurrenz zu den bestehenden Gewerkschaften betrachteten.16 Im mitteldeutschen Industriegebiet strebten die 11 12 13 14

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BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 14. Band, Bl. 104–106; Arbeiter- und Soldatenrat 1918–1920 (StA Halle, Centralbüro Kap. I, Abt. B, Nr. 12, 1. Band, Bl. 51). Volksstimme vom 14.1.1919 („Kameraden und Mitbürger!“). Arbeiter- und Soldatenrat 1918–1920 (StA Halle, Centralbüro Kap. I, Abt. B, Nr. 12, 1. Band, Bl. 27). Weitere Ortsgruppen der KPD entstanden 1919 in Ammendorf, Merseburg, Leuna, Weißenfels, Zeitz, Hohenmölsen, Bitterfeld, Holzweißig, Wolfen, Wittenberg, Querfurt, Sangerhausen, Ziegelrode, Helfta, Hergisdorf und Wansleben. Vgl. Weber, Ein kommunistischer Putsch?, S. 17. Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 65. Der KPD-Bezirk Mitteldeutschland wurde mit der Gründung der VKPD im Dezember 1920 in die beiden Bezirksorganisationen Leipzig und Halle-Merseburg aufgegliedert. Das Gebiet des VKPD-Bezirks Halle-Merseburg entsprach annähernd dem Regierungsbezirk Merseburg. Vgl. ebd., S. 123. Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, S. 107–110.

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Betriebsräte eine „Sozialisierung von unten“ an, um direkten Einfluss auf die Betriebsgestaltung nehmen zu können. Da die Reichsregierung die vom Rätekongress beschlossene Sozialisierung der Bergwerke verschleppte und allein Gewerkschaften, nicht aber Betriebsräte für die Interessenvertretung der Arbeiter zuständig sein sollten, nahm die Verachtung für die „Mehrheitssozialisten“ besonders unter den mitteldeutschen Bergarbeitern zu.17 Wegen der ausgebliebenen Anerkennung der Betriebsräte und des Bezirksbergarbeiterrates fassten sie am 23. Februar 1919 den Beschluss zur Aufnahme des Generalstreiks. Unter dem Eindruck der Ermordung Kurt Eisners wurden politische Forderungen erhoben, die auf die Errichtung einer Räterepublik hinausliefen.18 Besonderen Unmut unter den Arbeitern löste die von der Reichsregierung verfügte Verhaftung des Militärbevollmächtigten des halleschen Soldatenrates, Leutnant Friedrich Ferchlandt, aus, der „mit ausländischen Agenten des Bolschewismus engste Fühlung gehalten“ haben soll. Man warf Ferchlandt vor, von einem russischen Agenten, der unter falschem Namen in Leipzig lebte, ein revolutionäres Aktionsprogramm erhalten zu haben. Das Aktionsprogramm sah vor, das deutsche Proletariat auf den Kampf gegen die Reichsregierung vorzubereiten, Verbindungen mit der Roten Armee herzustellen und zu einem erfolgversprechenden Zeitpunkt gemeinsam loszuschlagen. Die Bergarbeiter verlangten Ferchlandts sofortige Freilassung und den Rücktritt der Regierung. Eisenbahner, Chemiearbeiter, Metallarbeiter, die Leuna-Werke und andere Betriebe schlossen sich dem Streik der Bergleute an und lösten damit in Halle eine Verkehrs- und Versorgungskrise aus. Das hallesche Bürgertum antwortete mit einem Proteststreik, der zur Schließung vieler Geschäfte, Büros, Schulen und Betriebe führte. Die SPD-Mitglieder des Arbeiterrates distanzierten sich vom Generalstreik und erteilten dem Rätesystem eine Abfuhr, indem sie auf die Legalität der gewählten Nationalversammlung und der preußischen Landesversammlung verwiesen. Bei der Abgabe dieser Erklärung schlug den Sozialdemokraten scharfer Protest entgegen, sie wurden durch Zwischenrufe, Lärm und Beschimpfungen wie „Spitzel“, „Verräter“ etc. unterbrochen. Auch die Gewerkschaftsführer distanzierten sich vom Generalstreik. In dieser Situation vertrat Wilhelm Koenen als USPD-Bezirksarbeiterrat die Auffassung, dass nun der Moment „der großen Kraftprobe“ gekommen sei. Die Anwendung schwerwiegenderer Methoden solle man sich noch aufsparen, er hoffe jedoch, dass die Bewegung „ohne militärische Komplikationen“ vorankomme. Die USPD unterwarf die bürgerlichen Zeitungen und die sozialdemokratische „Volksstimme“ der Zensur und verbot sie schließlich ganz.19 17 Volksblatt vom 22. 2.1919, 1. Beiblatt („Wie sozialisieren wir?“). 18 Volksblatt vom 24. 2.1919, Titelseite („Generalstreik im mitteldeutschen Braunkohlenrevier“). 19 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 14. Band, Bl. 223; Arbeiter- und Soldatenrat 1918–1920 (StA Halle, Centralbüro Kap. I, Abt. B, Nr. 12, 1. Band, Bl. 51); Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 22. 2.1919, 1. Beiblatt zu Nr. 90; Abendausgabe vom 24. 2.1919, 1. Beiblatt zu Nr. 92; Morgenausgabe vom 25. 2.1919, 2. Seite; Abendausgabe vom 25. 2.1919, 1. Beiblatt zu Nr. 94; Morgenausgabe vom 26. 2.1919, Titelseite,

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Mit dem Einrücken von Regierungstruppen unter dem Kommando des Generalmajors Maercker (1. März 1919) begannen die Ereignisse zu eskalieren: Als der USPD-Funktionär Bruno Böttge die Arbeiter in einer Rede auf dem halleschen Marktplatz dazu aufforderte, bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 2. März 1919 mit dem „bürgerlichen Pack“ abzurechnen, stürzten sich viele der in Rage geratenen Zuhörer auf die Soldaten, misshandelten sie und entrissen ihnen ihre Waffen. An zahlreichen Punkten der Stadt brachen Schießereien aus, denen Soldaten und zahlreiche Arbeiter zum Opfer fielen. Einem später angefertigten Bericht des halleschen Oberbürgermeisters an den Regierungspräsidenten in Merseburg zufolge gab es insgesamt 36 Tote und über 100 Verletzte. Der hallesche Pöbel plünderte und brandschatzte in der Innenstadt etwa 300 Geschäfte und verursachte dadurch einen Schaden in Höhe von ca. 12 Millionen Mark. Maercker teilte Wilhelm Koenen und Otto Kilian mit, dass der Arbeiter- und Soldatenrat ab sofort nicht mehr existiere. Der bisherige, aus 153 Mitgliedern bestehende Soldatenrat sollte aufgelöst und durch einen auf fünf oder sechs Mitglieder verkleinerten Rat ersetzt werden. Otto Kilian wurde verhaftet, da er nach Maerckers Darstellung auf Plakaten für den Sturz der Regierung eingetreten war und Widerstand gegen die einrückenden Truppen angekündigt hatte. Trotz des katastrophalen Endes ihrer Aktion gelang es der USPD, bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung 27 von 66 Mandaten, d. h. 41 Prozent der Sitze zu erringen. Die Gültigkeit der Wahl wurde jedoch bezweifelt, da wegen der Schießereien nicht überall gewählt werden konnte.20 Die Stadtverordnetenversammlung fasste dementsprechend den einstimmigen Beschluss, die Wahl für ungültig zu erklären.21 Nach der Niederschlagung des Aufstandes rechnete das sozialdemokratische Bezirksorgan „Volksstimme“ mit der USPD ab, indem es feststellte: „Die Unabhängigen, die um politischer Zwecke willen den Streik in Szene gesetzt haben, trifft die Hauptschuld an all den traurigen Begleiterscheinungen. Gewissenlos und ohne jegliches Verantwortungsgefühl haben sie den Streik entfacht, um durch ihn ihre 1. Beiblatt zu Nr. 95 und Aufruf „Zum Generalstreik“; Abendausgabe vom 26. 2.1919, zensierte Titelseite; Abendausgabe vom 4. 3.1919, Titelblatt und folgende Seite; Abendausgabe vom 5. 3.1919, Titelblatt und folgende Seite; Morgenausgabe vom 6. 3.1919, Titelseite; Abendausgabe vom 7. 3.1919, 1. Beiblatt zu Nr. 112; Volksblatt vom 6. 3.1919 („Warum wurde Genosse Kilian verhaftet?“); 8. 3.1919 („25 Tote und über 100 Verletzte!“); 10. 8.1920 („Die Klassenjustiz in Mitteldeutschland“); Volksstimme vom 26. 2.1919 („Der Generalstreik“); 4. 3.1919 („Die Wahrheit über den Streik“). 20 Ebd. Ferchlandt wurde von einem Kriegsgericht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und im Herbst 1922 aus der Haft entlassen. Er stellte sich erneut der USPD in Halle zur Verfügung, trat aber 1922 oder 1923 zur SPD über. Bis 1933 war er in zahlreichen Funktionen für die hallesche SPD und die Gewerkschaften tätig, so als Redakteur beim Volksblatt (1923–1926), zweiter Vorsitzender der SPD-Kreisleitung Halle (1923– 1929), erster Kreisvorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (1925–1929), hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Arbeitnehmer etc.. Vgl. BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 79, 87 f.; 4. Band, Bl. 90–92; 14. Band, Bl. 88–108, 221. 21 Sitzungs-Niederschriften 1919 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 6. Band, unpaginiert; außerordentliche Sitzung der Stadtverordneten vom 11. 4.1919).

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politischen Ziele zu erreichen: Sturz der Regierung, Aufrichtung einer Sowjetrepublik, Verewigung des Rätesystems als politischer Machtfaktor, das waren ihre Forderungen, und als Feigenblatt nahmen sie die wirtschaftliche Forderung, Demokratie in den Betrieben, hinzu.“22 Bestrebungen zur Wiedervereinigung von SPD und USPD schienen unter diesen Umständen von vornherein nur wenig Aussicht auf Erfolg zu besitzen. Bruno Böttge (USPD) lehnte jede Annäherung an die SPD ab und verlangte eine Säuberung der SPD von ihren rechten Führern.23 Die Beziehungen zwischen KPD und USPD waren ebenfalls von Konkurrenz und Misstrauen geprägt: So hieß es am 31. Mai 1919 in einem streng vertraulichen Rundschreiben an die sachsen-anhaltischen KPD-Ortsgruppen, durch den Übertritt von USPD-Ortsgruppen zur KPD verfüge die Partei über Parlamentsvertreter, „die in einem bürgerlichen Parlament nichts zu suchen“ hätten. Es bestehe die Gefahr, dass unter dem Namen KPD in Wirklichkeit USPD-Politik betrieben werde. Auf der für Pfingsten 1919 geplanten Konferenz zur Schaffung einer mitteldeutschen KPD-Bezirksorganisation müsse daher auch der „Kampf gegen die USP[D]“ gründlich erörtert werden.24 Die Fronten zwischen den Arbeiterparteien sollten sich während des KappPutsches im März 1920 weiter verhärten. Die Bezirksleitungen der mitteldeutschen USPD und SPD riefen am 13. März 1920 den Generalstreik aus, der in den folgenden Tagen mit großer Geschlossenheit durchgeführt wurde.25 Die Putschisten antworteten mit dem Verbot aller Zeitungen und der Verhaftung von Gewerkschaftern, Redakteuren und Funktionären der DDP, SPD, KPD und USPD, unter ihnen auch der spätere prominente Kommunist Werner Scholem. In Halle kam es bald zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Zeitfreiwilligen, die durch provozierendes Auftreten und die Erschießung unbeteiligter Zivilisten die Wut der Arbeiter auf sich zogen.26 Der Abwehrkampf der SPD beschränkte sich ausschließlich auf die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und galt nicht der Erreichung weitergehender sozialistischer Ziele.27 Im Gegensatz dazu bestand auf Seiten des linken USPD-Flügels und der KPD, die den Generalstreik nach anfänglicher Ablehnung ebenfalls unterstützte,28 keine Bereitschaft, sich mit der bevorstehenden Niederlage der Putschisten zu begnügen, denn beide Parteien sahen im Generalstreik und in bewaffneten Aktionen der Arbeiter den möglichen Beginn einer revolutionären 22 23 24 25

Volksstimme vom 4. 3.1919 („Die Wahrheit über den Streik“). Kupfer, Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt 1918–1933, S. 77. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/21, Bl. 1. Volksstimme vom 13. 3.1920, Titelseite („Die sozialdemokratische Partei Deutschlands proklamiert den Generalstreik“). 26 Mitteilungsblatt des Aktionsausschusses Halle vom 19. 3.1920 („Die Verhaftungen in Halle“); Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 30. 3.1920 („Halle und Umgegend. Die Schreckenstage in Halle“; „Niedrige Gesinnung der Deutschen Volkspartei“). 27 Volksstimme vom 30. 3.1920 („Das Kapp-Lüttwitz-Verbrechen und seine Lehren“). 28 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 138–140; ders., Die Parteitage der KPD und SED, S. 5 f.

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Entwicklung. Das ZK der USPD rief seine Anhänger dementsprechend zur Wahl „revolutionärer Betriebsräte“ auf und forderte den „sofortigen Beginn der Sozialisierung“ sowie das „volle Kontrollrecht der Betriebsräte über die Betriebsführung“.29 Die gewalttätigen Auseinandersetzungen im mitteldeutschen Industriegebiet steuerten daher erst nach der Kapitulation und Flucht der führenden Putschisten (17. März 1920) auf ihren Höhepunkt zu. In der Umgebung von Halle schlossen sich radikale Arbeiter zusammen und begannen – verstärkt durch Arbeitertruppen aus dem Mansfelder Land und Anhalt – auf Halle zuzumarschieren. Die USPD geriet in eine innere Zerreißprobe und verlor die Kontrolle über ihre radikalisierte Anhängerschaft. Der hallesche Rechtsanwalt und DDP-Vorsitzende Dr. Walter Schreiber wurde als Repräsentant der damals größten bürgerlichen Partei Halles zum Zivilkommissar der Stadt ernannt und bildete eine Kommission, der auch mehrere USPD-Funktionäre und ein KPDFührer angehörten. Schreiber hoffte, durch die Zusammenarbeit mit USPD und KPD mäßigend auf die halleschen Arbeiter einwirken und eine Verbrüderung mit den anrückenden auswärtigen Arbeitertruppen verhindern zu können. Dennoch drangen bald darauf bewaffnete Arbeiter in die Stadt ein und brachten große Teile des Stadtgebiets unter ihre Kontrolle.30 Beide Seiten gingen in den Kämpfen mit äußerster Grausamkeit vor: Gefangene Gegner und auch Unbeteiligte wurden misshandelt oder erschossen, ihre Leichen durch nachträgliche Verstümmelungen geschändet.31 Die Niederlage der radikalen Linken besiegelte das Schicksal der Arbeiterräte und Aktionsausschüsse, die am 18. Mai 1920 vom sozialdemokratischen Regierungskommissar und kommissarischen Oberpräsidenten Otto Hörsing unter Berufung auf eine Verordnung des Reichspräsidenten für aufgelöst erklärt wurden, da sie „ihre Aufgabe erfüllt“ hätten.32 Obwohl der linke USPD-Flügel in den Kämpfen nach dem Zusammenbruch des Kapp-Putsches eine schwere Niederlage erlitten hatte, erhielt die USPD bei der Reichstagswahl am 6. Juni 1920 im Wahlkreis Merseburg 45,2 Prozent der Stimmen, die KPD dagegen nur 1,6 Prozent. Im sozialdemokratisch dominierten Wahlkreis Magdeburg-Anhalt kamen USPD und KPD auf lediglich 19,2 Prozent bzw. 1,1 Prozent, während die SPD 33,6 Prozent der Stimmen erzielte. Die KPD sollte erst infolge der Auseinandersetzungen, die in der USPD wegen des geplanten Anschlusses 29 Mitteilungsblatt des Aktionsausschusses Halle vom 19. 3.1920 („Wählt revolutionäre Betriebsräte!“). 30 Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 30. 3.1920 („Halle und Umgebung. Die Schreckenstage in Halle“; „Niedrige Gesinnung der Deutschen Volkspartei“); Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 22. 31 Vgl. die Berichte in Gumbel (Hg.), Die Denkschrift des Reichsjustizministers, S. 37–39, 160–162; Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 30. 3.1920 („Halle und Umgegend. Die Schreckenstage in Halle“; „Die Beisetzung der gefallenen Arbeiter“); Hallische Nachrichten vom 30. 3.1920 („Die Schreckenstage in Halle vom 13. bis 23. März 1920“); Polizeibericht vom 29. 3. und 6. 4.1920 (StA Halle, ZGS, Karton 9, Nr. 12, unpaginiert). 32 Arbeiter- und Soldatenrat 1918–1920 (StA Halle, Centralbüro Kap. I, Abt. B, Nr. 12, 1. Band, unpaginiert).

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an die im März 1919 gegründete Kommunistische Internationale (Komintern) entstanden, an Bedeutung gewinnen und sich aus einer kleinen politischen Sekte zur Massenpartei entwickeln. Eine USPD-Delegation (Ernst Däumig, Walter Stoecker, Wilhelm Dittmann und Arthur Crispien) traf am 19. Juli 1920 in Petrograd ein, um im Auftrag des ZK der USPD auf dem II. Weltkongress der Komintern über die Aufnahme der USPD zu verhandeln. Bei den Verhandlungen sollte die Autonomie der USPD im Hinblick auf die Regelung innerparteilicher Angelegenheiten und taktischer Fragen bei grundsätzlicher Anerkennung der Komintern-Ziele gewahrt bleiben. Dieser in sich widersprüchliche Auftrag stellte eine Kompromisslösung zwischen den Auffassungen des linken und des rechten Parteiflügels dar und war geeignet, die Bereitschaft zum Beitritt zu erhöhen. Um eventuelle Bedenken zu zerstreuen, hatte ein Abgesandter der Kommunistischen Partei Russlands (KPR) der USPD-Führung zudem im April 1920 versichert, eine Verschmelzung mit der KPD und politische Säuberungen als Voraussetzung für den Beitritt seien ausgeschlossen. Lenins Buch „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, das im Juli 1920 in deutscher Sprache erschien, wurde allen Delegierten zugänglich gemacht und bildete die Grundlage für die Beschlüsse des II. Weltkongresses. Lenin griff in seiner Schrift u. a. die Führer des rechten USPD-Flügels an, bei denen es sich in Wirklichkeit um „weinerliche spießbürgerliche Demokraten“ handle, „die dem Proletariat noch tausendmal gefährlicher sind, wenn sie sich als Anhänger der Rätemacht und der Diktatur des Proletariats ausgeben“. Die Kommunisten müssten einen Kompromiss mit dem linken USPD-Flügel finden, um die Verschmelzung mit ihm zu erleichtern und sich nicht in ihrem Kampf gegen den rechten USPD-Flügel behindern zu lassen. Die USPD-Delegation unternahm während des II. Weltkongresses den Versuch, die von Lenin entwickelten 21 Aufnahmebedingungen, die weiter unten ausführlicher dargestellt werden sollen, zu entschärfen. Diesem Versuch war jedoch kein Erfolg beschieden, denn einige der abgeänderten Bedingungen wurden noch während des Kongresses in verschärfter Form wieder aufgenommen. Da die beiden rechten Delegationsmitglieder Dittmann und Crispien die Annahme der Bedingungen wegen der damit verbundenen Unterordnung der USPD unter den Willen des Exekutivkomitees der Komintern (EKKI) ablehnten, kehrte die Delegation gespalten nach Deutschland zurück.33 In die Diskussion um den Beitritt zur Komintern platzte am 20. August 1920 die Meldung, Mitglieder der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) hätten in Köthen eine Räterepublik ausgerufen. Es gab Gerüchte über die Gründung weiterer Räterepubliken in Halle, Magdeburg, Leipzig und anderen Orten Mitteldeutschlands. Die KAPD war aus dem ultralinken Flügel der KPD hervorgegangen, der im Oktober 1919 auf dem konspirativ tagenden 33 Krause, USPD, S. 191–196; Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 119; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 101–103; Lenin, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, 8. Kapitel („Keinerlei Kompromisse?“), 2. Nachtrag („Die Kommunisten und die Unabhängigen in Deutschland“).

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II. Parteitag unter maßgeblicher Beteiligung des KPD-Vorsitzenden Paul Levi aus der KPD hinausgedrängt worden war. Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Partei und über die Beteiligung an parlamentarischer und gewerkschaftlicher Arbeit gaben den Ausschlag zum Bruch mit den Linkskommunisten. Durch die Entfernung der „Utopisten“, „Syndikalisten“ und „Anarchisten“ verlor die KPD nicht nur die Hälfte ihrer Mitglieder, sondern auch einen Teil ihres ideologischen Spektrums. In den auf dem Parteitag verabschiedeten Leitsätzen hieß es, dass KPD-Mitglieder, die „diese Anschauungen über Wesen, Organisation und Aktion der Partei“ nicht teilten, aus der Partei auszuscheiden hätten. Im Januar 1920 folgte ein Beschluss des KPD-Zentralausschusses, der abweichenden Parteibezirken die Entsendung von Delegierten zu dem im Februar 1920 stattfindenden Parteitag verwehrte. Fünf KPD-Bezirksorganisationen, darunter so bedeutende wie Hamburg, Berlin und Dresden, wurden auf dem Parteitag endgültig ausgeschlossen. Die Eliminierung der Linkskommunisten markierte den Beginn der später häufig geübten Praxis, Abweichler und Minderheiten aus der Partei zu entfernen.34 Ein Großteil der aus der KPD ausgeschlossenen oder ausgetretenen Linkskommunisten sammelte sich in der am 4./5. April 1920 gegründeten KAPD, die auch in der Provinz Sachsen Fuß fassen konnte. Im Gegensatz zur KPD setzte die KAPD ausschließlich auf die revolutionäre Spontaneität der Arbeitermassen und lehnte die von der KPD angestrebte Zentralisierung der Partei unter der Führung einer Gruppe von Berufsrevolutionären ab. Die Eroberung der Macht durch eine elitäre Minderheit musste nach Auffassung der KAPD zur Entfernung von den Massen führen und eine Diktatur der Kommunistischen Partei, nicht aber die Diktatur des Proletariats zur Folge haben. Im Aufruf des KAPD-Gründungsparteitages hieß es, es sei die Hauptaufgabe der KAPD, „das deutsche Proletariat auf seinem Wege zur Befreiung von jeglichem Führertum nach Kräften zu unterstützen“. In ihrem im Mai 1920 beschlossenen Parteiprogramm verurteilte die KAPD den „parlamentarischen Kretinismus der alten Sozialdemokratischen Partei und der USP[D]“ als „Sabotage des Rätegedankens“. Nach Auffassung der KAPD stellten die Gewerkschaften „das Hauptbollwerk gegen die Fortentwicklung der proletarischen Revolution in Deutschland“ und einen der „Hauptpfeiler des kapitalistischen Klassenstaates“ dar. Sie sollten aufgrund ihres konterrevolutionären Charakters zerschlagen werden. In der Provinz Sachsen und in Anhalt konnte die KAPD 1920 einige Erfolge erzielen, so z. B. in Magdeburg, wo ein Großteil der örtlichen KPD zur KAPD übertrat, sowie in Quedlinburg, Köthen, Aschersleben, dem Mansfelder Land und einigen Orten des Saalkreises. Insgesamt betrachtet stellte die sachsen-anhaltische KAPD im Vergleich zu ihren Hochburgen in Berlin, Hamburg, Ostsachsen und im Ruhrgebiet aber nur eine Minderheit dar, die sich vor allem auf die bereits 34 Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 159 f., 182; Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 139–152, 225–227; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 331 f.; Weber, Die Parteitage der KPD und SED, S. 5.

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erwähnten Orte stützte. Im Sommer 1920 stammten lediglich 1400 der insgesamt 40 000 KAPD-Mitglieder aus der Provinz Sachsen und dem Land Anhalt.35 Zur Stärkung ihres Einflusses unter der Arbeiterschaft bediente sich die KAPD der mit ihr verbundenen Allgemeinen Arbeiter-Union (AAU). Über diese Organisation war es der KAPD möglich, revolutionäre Arbeiter in zahlreichen Betrieben zu erreichen, so etwa in den Leuna-Werken ca. 2 000 Arbeiter, die der AAU angehörten.36 Dennoch dürfen diese Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die KAPD 1920 über weit geringeren Einfluss auf die mitteldeutschen Arbeiter verfügte als die USPD. Die beinahe kabarettreife Geschichte der bereits erwähnten „Räterepublik Köthen“ stellte einmal mehr die völlige Konzeptionslosigkeit und Uneinigkeit der linksradikalen Kräfte unter Beweis. Es sollte sich zudem zeigen, dass die USPD und KPD nicht bereit waren, das Abenteuer der KAPD mitzutragen, sondern stattdessen Maßnahmen zur Niederwerfung des Aufstandes einleiteten. Die Initiative zur Ausrufung der Köthener Räterepublik soll nach USPD-Angaben von Dr. Berg, einem der KAPD angehörenden Oberlehrer und Oberleutnant, ausgegangen sein, auf dessen Anweisung hin die Köthener KAPD losgeschlagen habe. Im Köthener Rathaus konstituierte sich ein Vollzugsrat, der die Räterepublik ausrief und das Standrecht verhängte. Mehrere Personen, darunter auch Sozialdemokraten, wurden verhaftet, während man umgekehrt Insassen des Köthener Gefängnisses in Freiheit setzte. Viele der befreiten Gefangenen schlossen sich bewaffneten Arbeitern an, die in die Stadt einrückten und alle öffentlichen Gebäude besetzten. Als die USPD in Halle von den Vorgängen in Köthen erfuhr, setzte sich ihr hallescher Ortsvorsitzender Alfred Lemck mit den übrigen Linksparteien in Verbindung. Dabei stellte sich heraus, dass weder die USPD noch die KPD Aufstandsparolen ausgegeben hatten. Auch der KAPDVorstand war angeblich „wie aus allen Wolken gefallen, als er hörte, welche Vorgänge sich in Köthen abgespielt hatten“. In Abstimmung mit dem Dessauer Staatspräsidenten gelang es dem nach Köthen entsandten USPD-Bezirkssekretär Alfred Oelßner, den Vollzugsrat angesichts der auf Köthen vorrückenden Reichswehrtruppen zur Aufgabe zu bewegen. Mittlerweile hatten SPD, USPD und Gewerkschaften einen gemeinsamen Aufruf erlassen, in dem sie die Arbeiter und übrigen Einwohner der Stadt zur Wahrung von Ruhe und Ordnung aufforderten. Der linkskommunistische Putschversuch brach nach nur 15 Stunden zusammen. Der Köthener „Sommernachtsspuk“ – so die USPD-Presse – endete mit Dr. Bergs Verhaftung in Halle. SPD, USPD und KPD waren sich in ihrer Beurteilung der Ereignisse, die sie als reaktionäre Provokation und „Spitzelar35 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 21; Programm der Kommunistischen Arbeiter-Partei (KAPD), darin S. 3 f., 6; Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 139–152, 228–232, 239, 299 f.; Weber, Die Gründung der KPD, S. 328, 344; Protokolle, Tätigkeitsberichte, Überprüfungsberichte 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/70, Bl. 4). 36 Weber, Ein kommunistischer Putsch?, S. 17, 20; Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 303.

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beit“ des vermeintlichen Orgesch37 -Mitgliedes Dr. Berg bezeichneten, ausnahmsweise einig.38 Lenins 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern, die bald darauf zum Auslöser der USPD-Spaltung werden sollten, schienen die Gewähr für ideologische Reinheit und politische Konformität unter den deutschen Linksradikalen zu bieten. Dem bolschewistischen Interesse an Deutschland lag die Hoffnung zugrunde, dass mit Hilfe einer Revolution im industriell fortgeschrittenen Deutschland die materielle Basis für den Aufbau des Sozialismus in Russland geschaffen werden könne – eine Hoffnung, die 1918/19 durch das Scheitern der deutschen Linksradikalen zunächst enttäuscht worden war.39 Lenins 21 Bedingungen beruhten auf Überlegungen, wie er sie u. a. in seiner 1904 verfassten Schrift „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ entwickelt hatte. Er erläuterte darin das Modell einer Partei neuen Typs, die durch einen straffen, zentralistischen Aufbau und die Verpflichtung zu „eiserner Disziplin“ bei der Umsetzung von Parteibeschlüssen gekennzeichnet sein sollte. In seiner Stellungnahme über „Die Lage in der Partei“ sprach Lenin 1911 von „Parteifeinden“, gegen die „Parteisäuberungen“ durchgeführt werden müssten. Die neunte Allrussische Parteikonferenz fasste im September 1920 den Beschluss, eine zentrale Kontrollkommission unter dem Vorsitz von Tscheka-Chef Feliks Dzierżyński zu schaffen. Als Aufgabe der zentralen und regionalen Kontrollkommissionen wurde auf dem X. Parteitag im März 1921 die „Festigung der Einheit und Autorität der Partei“ bezeichnet. Die Kommissionen sollten gegen Bürokratismus, Karrierismus und Amtsmissbrauch in der KPR(B) sowie gegen die 37 „Orgesch“: Abkürzung für „Organisation Escherich“, eine von dem Forstrat Georg Escherich gegründete rechtsradikale Truppe. Die Behauptung, dass der Köthener Putsch durch Provokationen so genannter „Lockspitzel“ ausgelöst worden sei, um gegen linksradikale Gruppen vorgehen zu können, wurde im November 1920 während des zweiten Dessauer Prozesses gegen 13 Putschisten auch von dem angeklagten Kommunisten Walter Schmidt vertreten. Für diese These schien das schriftliche Eingeständnis eines anderen Angeklagten zu sprechen, der seine Verhaftung als „Bluff“ bezeichnete und um Freilassung bat, da er im Dienst des Garnisonskommandos Halle stehe. Schmidt will außerdem über einen weiblichen Lockspitzel ein Angebot des Grafen von Westarp zur Bildung eines nationalbolschewistischen Bündnisses erhalten haben. Andere Angeklagte hingegen, darunter auch der als Hauptangeklagter bezeichnete Köthener Arbeiter Karl Boas, stellten den Putsch als Abwehraktion gegen einen drohenden Rechtsputsch dar. Die Errichtung der Räterepublik sei nicht das Ziel gewesen, sondern man habe unter dem Druck der zur Aktion drängenden Massen gehandelt und aufgrund schriftlicher Anweisungen aus Magdeburg und von Berg losgeschlagen. Vgl. Nachlass Walter Schmidt (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/5/1, unpaginiert; Abschrift eines Artikels aus der Halleschen Allgemeinen Zeitung, Nr. 271 vom 16.11.1920). Zum Spitzel-Vorwurf vgl. auch Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, S. 60. Gotsche behauptete, die Köthener Räterepublik sei „von weißen Offizieren, die die Arbeiter zu einem solchen Unsinn verleiteten, angezettelt worden“. 38 Volksblatt vom 21. 8.1920 („Aus der Provinz“); 23. 8.1920 („Köthen – ein Sommernachtsspuk“); Volksstimme vom 21. 8.1920 („Velbert und Köthen, die neuesten RäteRepubliken“); 23. 8.1920 („Provinz und Umgegend. Das Ende Sowjet-Köthens“). 39 Geyer, Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung 1918–1932, S. 5; Colas, Säubernde und gesäuberte Einheitspartei, S. 163.

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„Verbreitung unbegründeter und nicht überprüfter Gerüchte und Verleumdungen“ vorgehen, die sich gegen die Partei und ihre Mitglieder richteten. Jede innerparteiliche Fraktionsbildung wurde wegen angeblich drohender Unterwanderung durch die „Weißen“ untersagt. Während der im Anschluss an den Kronstädter Matrosenaufstand (März 1921) durchgeführten Säuberungen, die sich vor allem gegen die Arbeiteropposition in der KPR(B) richteten, wurden innerhalb eines Jahres etwa 170 000 Parteimitglieder, d. h. 25 Prozent der gesamten Mitgliedschaft, ausgeschlossen. Das von Lenin geschaffene Instrumentarium sollte wenige Jahre später zur Durchsetzung von Stalins Alleinherrschaft und für Parteisäuberungen in allen kommunistischen „Bruderparteien“ genutzt werden. Lenins verbaler Radikalismus im Umgang mit innerparteilichen Gegnern, die er u. a. als „Hysteriker“, „Dreckskerle“, „Scheiße“, „Verräter“, „Saboteure“, „Kanaillen“ etc. diffamierte, trug zur mentalen Vorbereitung physischer Liquidierungen von „Parteifeinden“ bei.40 Lenins 21 Bedingungen für den Beitritt zur Komintern, um die auf dem außerordentlichen USPD-Parteitag von Halle (12.–17. Oktober 1920) gestritten wurde, ließen in einigen ihrer Bestimmungen ein klares Säuberungskonzept erkennen: „2. Jede Organisation, die sich der Kommunistischen Internationale anschließen will, muss regelrecht und planmäßig aus allen mehr oder weniger verantwortlichen Posten der Arbeiterbewegung (Parteiorganisation, Redaktionen, Gewerkschaften, Parlamentsfraktionen, Genossenschaften, Kommunalverwaltungen) die Reformisten und Zentristen entfernen und sie durch bewährte Kommunisten ersetzen. [...] 11. Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören wollen, sind verpflichtet, den persönlichen Bestand ihrer Parlamentsfraktionen einer Revision zu unterwerfen, alle unzuverlässigen Elemente aus ihnen zu beseitigen [...]. 12. Die der Kommunistischen Internationale angehörenden Parteien müssen auf der Grundlage des Prinzips des demokratischen Zentralismus aufgebaut werden. [...] 13. Die kommunistischen Parteien derjenigen Länder, in denen die Kommunisten ihre Arbeit legal führen, müssen von Zeit zu Zeit Säuberungen (Neuregistrierungen) des Bestandes ihrer Parteiorganisation vornehmen, um die Partei von den sich in sie einschleichenden kleinbürgerlichen Elementen systematisch zu reinigen. [...] 21. Diejenigen Parteiangehörigen, welche die von der Kommunistischen Internationale aufgestellten Bedingungen und Leitsätze grundsätzlich ablehnen, sind aus der Partei auszuschließen. [...]“41

Bereits im Vorfeld des außerordentlichen USPD-Parteitages kam es zwischen der Komintern und dem ZK der USPD zu Auseinandersetzungen aufgrund der Komintern-Forderung, nur solche Delegierte zu wählen, die sich für den Beitritt aussprachen. Im Gegensatz dazu forderte das ZK die Parteimitglieder am 30. September 1920 auf, gegen die Annahme der 21 Bedingungen zu votieren. 40 Analysen, Schriftverkehr 15. 9. 48–15. 5. 52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 63 f.); Colas, Säubernde und gesäuberte Einheitspartei, S. 149, 168 f., 171–175, 178 f.; Schäfer, Lenin und Stalin als Diktatoren; Petzold, DDR und Diktatur des Proletariats, S. 54–57, 69–71; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 294, 297; Fricke, Warten auf Gerechtigkeit, S. 11. 41 Zit. nach Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 202–207.

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In der Provinz Sachsen – so z. B. in Magdeburg und im Kreis Bitterfeld-Delitzsch – standen manche Funktionäre einer Übermacht einfacher, überwiegend junger Mitglieder gegenüber, die den Beitritt zur Komintern forderten. In den meisten Kreisen des Regierungsbezirks Merseburg zeichnete sich dafür in Mitgliederversammlungen eine große Mehrheit ab. Auf Beschluss des linken USPDBezirksvorstands Halle sollte die Wahl der Parteitagsdelegierten nicht in einer Urwahl vor sich gehen, sondern auf Versammlungen vorgenommen werden. Als das ZK damit drohte, die so gewählten Delegierten nicht anzuerkennen, lenkte der Bezirksvorstand ein. Zugleich gab er bekannt, der Bezirk Halle werde zeigen, „dass er seiner radikalen Tradition getreu“ bleibe und die Partei „in den Dienst des entschlossenen revolutionären Kampfes“ stellen werde. Prominente Vertreter des linken USPD-Flügel, darunter auch Wilhelm Koenen, bekannten sich in einem Aufruf zu den Grundsätzen der III. Internationale und forderten „praktische Solidarität [...] gegen[über] Sowjet-Russland nicht nur in Worten, sondern in Aktionen“. Die Partei solle offen erklären, dass sie entschlossen sei, „der gegenrevolutionären Gewalt die revolutionäre Gewalt entgegenzusetzen“. Die Partei müsse „in zentralistischem Sinne umgestellt“ werden, um sie „kampfkräftig zu machen für die bevorstehenden Aktionen“.42 Bei der anschließenden Urwahl der Parteitagsdelegierten, an der sich in ganz Deutschland nur 25 Prozent aller USPD-Mitglieder beteiligten,43 setzten sich die Anschlussbefürworter im Regierungsbezirk Merseburg mit überwältigender Mehrheit durch. Das galt vor allem für Gebiete, in denen der Bergbau und die Chemieindustrie dominierten. Lediglich im Kreis Zeitz-Weißenfels behielten die Anschlussgegner die Oberhand. Auf dem Parteitag stellte die USPD des Regierungsbezirks 42 Delegierte, von denen 35 für und 7 gegen den Anschluss eintraten.44 Der nach Halle angereiste Kominternvorsitzende Grigori Sinowjew versuchte die Delegierten für den Anschluss an die Komintern zu gewinnen und hielt im „Volkspark“, den die hallesche USPD mit Sowjetemblemen und Propa42 Volksblatt vom 29. 9.1920 („Aus der Partei“); 1.10.1920 („An die Partei“; „Ohne Urwahl kein Mandat!“; „Aus der Provinz“); 4.10.1920 („Aus der Provinz“); 5.10.1920 („An die Partei“). 43 Krause, USPD, S. 203. Braunthal beziffert die Wahlbeteiligung auf weniger als ein Drittel aller Parteimitglieder. Seinen Angaben zufolge votierten 144 000 USPD-Mitglieder für und 91 000 gegen den Anschluss an die Komintern. Vgl. Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 239. 44 Volksblatt vom 9.10.1920 („Aus der Provinz“); Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 139. Stimmen Stimmen (Mandate) (Mandate) dafür dagegen Halle-Saalkreis 7 526 (11) 1609 (2) Merseburg-Querfurt 5 557 (5) 930 (0) Delitzsch-Bitterfeld 1802 (3) 769 (1) Mansfelder Kreise 3 264 (7) 223 (0) Zeitz-Weißenfels 3 408 (3) 4 638 (4) Torgau-Liebenwerda 1484 (3) 98 (0) Wittenberg-Schweinitz 717 (2) 71 (0)

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gandaplakaten dekoriert hatte, eine eindrucksvolle vierstündige Rede. 236 Delegierte stimmten am 16. Oktober 1920 für den Beitritt, 156 dagegen. Dennoch wäre es falsch, Sinowjew einen übermäßig hohen Anteil am Zustandekommen dieses Votums zuzubilligen, da die Befürworter auf dem Parteitag ohnehin die Mehrheit der Delegierten stellten und Sinowjews Rede nur noch wenige Delegierte zum Überschwenken in das Lager der Befürworter veranlasste. Die unterlegenen Anschlussgegner verließen den Parteitag und setzten die Tagung an einem anderen Ort fort, womit die Spaltung der USPD auch äußerlich vollzogen war. Der linke Flügel hatte die Spaltung schon drei Tage vor Beginn des Parteitages durch die Gründung der Fraktion „USPD (Linke)“ vorweggenommen, der 22 Reichstagsabgeordnete angehörten.45 Auf Betreiben der Parteilinken fand unmittelbar nach der Beendigung des Parteitages in der Redaktion des lokalen USPD-Organs „Volksblatt“ eine politische Säuberung statt: Drei Anhänger des rechten Flügels mussten aus der „Volksblatt“-Redaktion ausscheiden. Auch im Sekretariat der Kreisleitung Halle und unter den Distriktleitern wurden Parteiausschlüsse verhängt. Von den vier Bezirkszeitungen der USPD verblieben das „Volksblatt“, die „Merseburger Arbeiter-Zeitung“ und die „Mansfelder Volks-Zeitung“ unter der Kontrolle des linken USPD-Flügels, der fast den gesamten Parteiapparat im Bezirk an sich bringen konnte. Die Spaltung der Partei war nicht mehr aufzuhalten, zumal der Zentralausschuss der KPD den linken USPD-Flügel am 23. Oktober 1920 zum Zusammenschluss mit der KPD aufrief. Der V. Parteitag der KPD (1.– 3. November 1920) fasste den Beschluss, die Parteizentrale und Presseorgane paritätisch zu besetzen sowie alle Abgeordneten auf der Grundlage der 21 Bedingungen zu kontrollieren. Nach dem Vereinigungsparteitag, der zwischen dem 4. und 7. Dezember 1920 in Berlin stattfand, schlossen sich von 800 000 USPD-Mitgliedern ca. 300 000 der „Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands“ (VKPD) an, darunter etwa 67 000 der 82 000 USPD-Mitglieder des Regierungsbezirks Merseburg. Die übrigen 15 000 Mitglieder verblieben bei der noch bestehenden, jedoch zunehmend bedeutungsloser werdenden USPD, die im September 1922 in der SPD aufging. Der Versuch, das hallesche „Volksblatt“, das bis 1917 der SPD und seitdem der USPD gehört hatte, in die VKPD einzubringen, scheiterte jedoch am Widerstand von USPD und SPD, die juristische Schritte einleiteten, um das Erscheinen der Zeitung unter kommunistischer Regie zu verhindern. Die drei Parteien einigten sich schließlich darauf, künftig keine Zeitung mehr unter dem Namen „Volksblatt“ herauszugeben. Seit dem 1. Januar 1921 gab es in Halle daher drei sich gegenseitig bekämpfende Parteizeitungen: die sozialdemokratische „Volksstimme“, den 45 Krause, USPD, S. 207–215; Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 142 f., 147; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 104 f.; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 190 f. Braunthal meint, die Abstimmung über den Anschluss an die Komintern habe mit dem zu erwartenden Ergebnis geendet, da die Delegierten durch das imperative Mandat gebunden gewesen seien. Vgl. Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 239–242.

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kommunistischen „Klassenkampf“ und die kurzlebige „Volkszeitung“ der USPD.46

1.2

„Märzaktion“ und „deutscher Oktober“ 1921–1923

Frühere Mitglieder des USPD-Verbandes Halle, die im Oktober 1920 als Anschlussbefürworter am Parteitag teilgenommen hatten,47 übernahmen in der VKPD wichtige Funktionen, so Alfred Oelßner, Alfred Lemck und Paul Bowitzky als Mitglieder der VKPD-Bezirksleitung, Werner Scholem als Abgeordneter des preußischen Landtages, Wilhelm Koenen als Reichstagsabgeordneter und Mitglied der VKPD-Zentrale.48 Bruno Böttge, der für den Beitritt zur Komintern agitiert hatte, wurde Sekretär des VKPD-Bezirks Magdeburg-Anhalt.49 Bei der Landtagswahl vom 20. Februar 1921 erzielten die Kommunisten im Wahlkreis Merseburg mit 29,8 Prozent ihr bestes Ergebnis überhaupt. Dies konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die mitteldeutsche VKPD nicht mehr an die überragende Bedeutung der USPD zwischen 1917 und 1920 anzuknüpfen vermochte. Im Gegensatz zu vielen anderen USPD-Parteibezirken hatte es im Regierungsbezirk Merseburg durch den annähernd geschlossenen Übergang zur VKPD zwar nur geringfügige Mitgliederverluste gegeben, aufgrund der Spaltung verlor die äußerste Linke jedoch bei ihren bisherigen Wählern an Sympathie. VKPD und USPD errangen im Wahlkreis Merseburg zusammengenommen fast sechs Prozent weniger Stimmen als bei den vorausgegangenen Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920. Die Spaltung der USPD hatte somit zum Gegenteil dessen geführt, was mit Hilfe des von der Komintern geforderten „Differenzierungsprozess“ erreicht werden sollte.50 46 Flechtheim, Die KPD, S. 70 f.; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 105 f.; Klein, Zwischen Burgfrieden und Komintern, S. 193; Leidigkeit / Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 120–123; Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, S. 18 f.; Kühn, Georg Schumann, S. 159–162. Alfred Oelßner bezifferte die Zahl der VKPD-Mitglieder im Bezirk Halle-Merseburg im Dezember 1920 auf 65 427 (53 264 Männer, 12163 Frauen). Wie die Partei später selbst zugab, waren diese Angaben aber weit überhöht. In Wirklichkeit dürfte es sich um etwa 20 000 zahlende Mitglieder (Stand: 1. 4.1921) gehandelt haben. Der Bezirk bestand im Dezember 1920 aus 9 Unterbezirken (Halle, Merseburg, Weißenfels, Nebra, Eisleben, Sangerhausen, Bitterfeld, Wittenberg, Mühlberg). Vgl. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/48, Bl. 1; RY 1/I 3/11/9, Bl. 1. Robert Wheeler nennt für den Regierungsbezirk Magdeburg folgende Zahlen: Von ca. 26 000 USPDMitgliedern traten demnach lediglich 8 000 der VKPD bei, weitere 8 700 verblieben bei der Rest-USPD. Die übrigen 10 000 Mitglieder bekannten sich weder zur VKPD noch zur USPD, sondern schieden aus der Arbeiterbewegung aus. Vgl. Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 148 f., 153. 47 Volksblatt vom 5.10.1920 („Halle und Saalkreis“); 8.10.1920 („Halle und Saalkreis“). 48 Gebhardt, Max Hoelz, S. 134; Wehner, Zeugnis, S. 398, 407; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 12, 187, 239, 285 f. 49 Volkszeitung vom 27. 4.1921 („Aus der Provinz. Bruno Böttge aus der VKPD ausgeschlossen“); 29. 4.1921 (Titelseite. „Kommunistisches“). 50 Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 150–153; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 162.

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Dennoch blieb die VKPD im Regierungsbezirk Merseburg aufgrund ihrer hohen Mitgliederzahl und starken Verwurzelung in der Arbeiterschaft die stärkste politische Kraft. Sie erzielte im Mansfelder Land ihre besten Wahlergebnisse und auch ein Großteil des lokalen Verwaltungsapparats befand sich in ihrer Hand.51 Karl Radek, der sich seit Herbst 1920 als Komintern-Beauftragter in Deutschland aufhielt, wirkte maßgeblich darauf hin, die VKPD auf ein offensives Konzept festzulegen, das weder ihren realen Möglichkeiten, noch der politischen Situation in Deutschland entsprach. In ihrem von Radek ausgearbeiteten „Manifest an das deutsche und internationale Proletariat“, das im Dezember 1920 auf dem Berliner Vereinigungsparteitag beschlossen wurde, behauptete die VKPD, sie habe „Kraft genug, um [...] auf eigene Faust in Aktion zu treten“.52 Vertreter der Komintern griffen in innerparteiliche Vorgänge der VKPD ein, indem sie den linken Parteiflügel zu stärken versuchten und auf die Ablösung des VKPD-Vorsitzenden Paul Levi hinarbeiteten. Levi trat schließlich aus Protest gegen die von der Komintern und ihrem Emissär Mátyás Rákosi veranlasste Spaltung der Italienischen Sozialistischen Partei als VKPD-Vorsitzender zurück, nachdem sich der Zentralausschuss auf Druck der Komintern mehrheitlich gegen ihn gewandt hatte. Anfang März 1921 erschienen drei Gesandte des EKKI (unter ihnen Béla Kun), um die VKPD-Zentrale von der Notwendigkeit einer revolutionären Offensive zu überzeugen. Infolge von Levis Rücktritt stießen sie auf nur geringen Widerstand und konnten die zum bewaffneten Aufstand entschlossenen deutschen Kommunisten für ihren Plan gewinnen. Der neue Parteivorsitzende Heinrich Brandler erklärte während einer Konferenz des Zentralausschusses am 16./17. März 1921, dass die Partei großen Kämpfen entgegengehe und „mit Aktionen einzugreifen“ habe, „um die Dinge in unserem Sinne zu ändern“. Mehrere andere Mitglieder der VKPD-Zentrale äußerten sich ähnlich und ließen die Gegner offensiver Aktionen verstummen. Da die Betriebe während der Osterfeiertage geschlossen blieben und Streiks in dieser Zeit nicht ausgelöst werden konnten, sollte der Beginn der Aktion bis nach Ostern verschoben werden.53 Während der Ruf nach Aktionen in der VKPD immer lauter wurde, kündigte der sozialdemokratische Oberpräsident der Provinz Sachsen Otto Hörsing am 16. März 1921 die bevorstehende Besetzung des Mansfelder Landes durch Polizeiverbände an, um – wie es in Hörsings Aufruf an die Bevölkerung hieß – 51 Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 20. 52 Weber, Ein kommunistischer Putsch?, S. 65 f.; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 108. 53 Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 129–135, 146–161, 173–176; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 242–245; Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 79; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 335; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 225. Ruth Fischer vertrat 1948 die Auffassung, es sei „von der Sinowjew-Béla-Kun-Gruppe in der russischen Partei eine Aktion für Deutschland ausgeheckt“ worden, „um die russischen Arbeiter von ihren eigenen Sorgen abzulenken“. Kun sei „im Februar 1921 mit einem wahrscheinlich vom Politbüro gar nicht gedeckten Geheimauftrag der Sinowjew-Gruppe nach Berlin“ gekommen.

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gegen „wilde Streiks, Raub und Plünderungen, [...] Banden-, Einzeldiebstähle, Terror, Sachbeschädigungen, Erpressungen und Körperverletzungen“ im mitteldeutschen Industrierevier vorzugehen.54 Durch die Entsendung von Polizei (19. März 1921) kam Hörsing dem bereits geplanten Ausbruch eines kommunistischen Aufstandes zuvor und diktierte der VKPD Zeit und Ort der bevorstehenden Konfrontation. Paul Bowitzky – damals Mitglied der VKPD-Bezirksleitung – gab später zu, dass die Bezirksleitungsmitglieder Alfred Oelßner und Georg Schumann bereits am Tag zuvor nach Halle gekommen waren und den Auftrag der Berliner Parteizentrale überbracht hatten, „die Aktion unverzüglich einzuleiten“. Als einer der prominentesten halleschen Kommunisten warnte Reinhold Schoenlank vor bewaffneten Aktionen, jedoch ohne Gehör zu finden. Der widersprüchliche Plan der VKPD-Zentrale sah vor, die Aktionen zu steigern, ein bestimmtes Maß jedoch nicht zu überschreiten, um sie bei Bedarf wieder abbrechen zu können. Diese Strategie der Eskalation drohte zu scheitern, als die Polizei weder Betriebe besetzte, noch gewaltsam gegen die Arbeiter vorging.55 In Bowitzkys Bericht heißt es dazu: „Am Dienstag, den 22. [März] erschien der Genosse Hugo Eberlein aus Berlin als Beauftragter der Zentrale, um die Aktion in Mitteldeutschland vorwärts zu treiben und zu leiten. Er machte nunmehr über die Durchführung der Aktion ganz konkrete Vorschläge und brachte den Auftrag der Zentrale, unter allen Umständen in Mitteldeutschland eine Parole zu schaffen, die durchschlagend für das ganze Reich in Frage kommen könnte. Dies war insofern ausserordentlich schwer, weil die zur Besetzung erschienenen Sipomannschaften sich trotz aller Provokation ausserordentlich zurückhielten. Es war selbst im Mansfeldischen nicht gelungen, sie irgendwie selbst durch Beschimpfungen aus ihrer Reserve zu locken. Sie spielten Karten, rauchten ihre Pfeife und brachten ihre Freude über die Zusammenrottung der Arbeiterschaft unverhohlen zum Ausdruck. [...] Es wurde dann von dem Genossen Müller der Vorschlag gemacht, dann doch in freundschaftlicher Weise sich mit den Sipomannschaften zu unterhalten, einzudringen in ihre Wachlokale und Unterkünfte, sie entweder dadurch zur Abwehr zu reizen, oder wenn dies nicht gelänge, ihnen einfach dann ihre Waffen gewaltsam zu entreissen. Märcker erhielt den Auftrag, in Eisleben eine Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten und bei dieser Gelegenheit in der vorbezeichneten Weise einen Konfliktstoff zu schaffen.“56

Der von der VKPD und KAPD ausgerufene Generalstreik für ganz Deutschland fand außerhalb des polizeilich besetzten Gebiets nur vereinzelt Unterstützung.57 Obwohl viele Arbeiter die Polizeiaktion verurteilten, distanzierten sich 54 Vgl. den in der Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 16. 3.1921 abgedruckten Aufruf Hörsings („Schutzmaßnahmen für unser Industrierevier“). 55 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 6; BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 26; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 178–180; Volkszeitung vom 25.11.1921 („Die Wahrheit über den Märzputsch“); 26.11.1921 („Die Blutschuld der Kommunisten“); Volksstimme vom 26.11.1921 („Der Weg in das Unglück. Zwei Berichte von Lemck und Bowitzki über die Märzaktion“). 56 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 7. 57 Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 299; Jung, Der Weg nach unten, S. 195–197; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 193; Becker, Heinrich Brandler, S. 135;

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SPD, USPD und Gewerkschaften von der Proklamation des Generalstreiks. Sie forderten ihre Anhänger dazu auf, „kaltes Blut zu bewahren und sich nicht in eine ‚Aktion‘ hineintreiben zu lassen, die nur zum Unheil und Verderben der Arbeiter ausschlagen“ könne. Georg Schumann – 1921 Pol-Leiter in der VKPDBezirksleitung – unternahm den vergeblichen Versuch, Funktionäre der SPD, USPD und Gewerkschaften für eine gemeinsame Abwehr der Polizeiaktion zu gewinnen. Eine aus SPD-, USPD- und Gewerkschaftsvertretern gebildete Kommission sprach zwar am 22. März 1921 bei Hörsing vor, um ihm ihre Bedenken gegen den Polizeieinsatz vorzutragen und Garantien einzufordern. Nachdem Hörsing der Kommission aber zugesichert hatte, dass die Polizei „nicht die wirtschaftliche und politische Bewegung der Arbeiterschaft stören“ und keine Betriebe besetzen werde, war die Isolierung der VKPD und KAPD in der mitteldeutschen Arbeiterschaft vollzogen. Beide Parteien unterhielten auf Ersuchen der KAPD zwar Verbindungen, um ihre Aktionen aufeinander abzustimmen. Dennoch brachte die VKPD-Bezirksleitung der KAPD Misstrauen entgegen. Alfred Oelßner vertrat die Ansicht, „dass man sich mit der KAP[D] nicht allzuweit einlassen dürfe“.58 Auf kommunistischer Seite verliefen die Kämpfe völlig unkoordiniert, denn es gelang dem von der VKPD-Zentrale entsandten Hugo Eberlein nicht, von Halle aus Einfluss auf die revoltierenden Arbeiter zu nehmen. Eberlein plante, die Situation durch gezielte Falschmeldungen, fingierte Entführungen prominenter Kommunisten und durch Sprengstoffanschläge, mit deren Hilfe die Kampfbereitschaft der Arbeiter weiter angeheizt werden sollte, zu verschärfen. Wie Paul Bowitzky berichtete, war Eberlein auch bereit, bei der geplanten Sprengung der kommunistischen Produktivgenossenschaft den Tod zahlreicher eigener Genossen in Kauf zu nehmen. Ein erster Sprengversuch scheiterte und versetzte Eberlein in Wut, da in Halle „nicht einmal ein anständiges Stück Zündschnur vorhanden“ sei. Es bildeten sich mehrere weitgehend unabhängig voneinander agierende Kampfverbände, die unter der Leitung der VKPD-Bezirksleitungsmitglieder Alfred Lemck und Paul Bowitzky sowie von Karl Plättner (KAPD) und dem KAPD-Sympathisanten Max Hoelz standen. Nach Darstellung eines Mansfelder Kommunisten stachelte Hoelz die Arbeiter zu gewaltsamen Aktionen an, als er in einer Ansprache forderte, „die besitzende Klasse müsse abgeschlachtet werden“. Bei den überaus brutalen Kämpfen schreckte Hoelz auch vor Plünderungen, Brandstiftungen, Sprengstoffanschlägen, Banküberfällen und Geiselnahmen nicht zurück. Im Leuna-Werk ergriffen die Arbeiter unter der Führung eines aus KAPD- und VKPD-Vertretern besetzten Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, S. 120 f. Rosenberg überschätzt die Rolle von Max Hoelz, bei dem nach seiner Auffassung „die Führung des Aufstandes“ lag. Ebenso wenig haltbar ist Rosenbergs Einschätzung, dass die VKPD-Zentrale „den Mansfelder Aufstand nicht veranlasst“ habe. 58 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 6; Volkszeitung vom 21. 3.1921 („Generalstreik der Mansfelder Arbeiter!“); 22. 3.1921 („Arbeiter, Parteigenossen!“; „An die Arbeiterschaft Mitteldeutschlands!“); 23. 3.1921 („An die Arbeiterschaft Mitteldeutschlands!“); Kühn, Georg Schumann, S. 165.

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Aktionsausschusses militärische Maßnahmen. Die Bildung gemeinsamer Aktionsausschüsse „in allen Bezirken und Orten, wo die KAPD in nennenswerter Zahl vertreten“ war, entsprach den Anweisungen der VKPD-Zentrale, die den VKPD-Bezirksleitungen am 24. März 1921 zugegangen waren. Nach Angaben von Bowitzky hatte die KAPD zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach versucht, die Zusammenarbeit mit der VKPD-Bezirksleitung zu verbessern und andernfalls mit selbständigen Aktionen gedroht. Alfred Oelßner und Hugo Eberlein meinten, man solle mit der KAPD zwar verhandeln, aber nur „um den Schein zu wahren“. Auch im Leuna-Werk kam es zwischen KAPD und VKPD zu Spannungen, die jedoch nicht allein von der VKPD verursacht wurden. So hieß es etwa in einer Anweisung der KAPD-Zentrale an ihre Ortsgruppen am 27. März 1921: „Legalen Apparat der VKP[D] (Abgeordnete, Stadträte, Betriebsräte) als Hemmung denunzieren und beseitigen. Illegale Umstellung des Parteiapparats durchführen“. Bernard Koenen, der im Leuna-Werk auf der Seite der VKPD eine führende Rolle spielte, berichtete später, „dass [sich] unter der Maske des Linksradikalismus ein fremder Einfluss in der Belegschaft breit machte“. Er habe „oft in schärfsten Auseinandersetzungen mit Vertretern der KAP[D]“ gestanden.59 Otto Gotsche trug ebenfalls zur Verbreitung von Verleumdungen gegen die KAPD bei, indem er später behauptete: „Schon auf dem Ende Februar 1921 tagenden Parteitag der KAPD wurde sichtbar, dass sie jegliches Vertrauen in der deutschen Arbeiterschaft verloren hatte; die Partei zerfiel. Die ehrlichen Arbeiter, die in der KAPD organisiert waren, hatten zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt, dass die von unzähligen Spitzeln und Provokateuren durchsetzte Partei den Weg des Putschismus beschritt. [...] Mit Sicherheit war anzunehmen, dass auch in den Märztagen 1921 in der Führung der KAPD in Mitteldeutschland noch eine große Anzahl bezahlter Agenten tätig war. Die Ergebnisse in Eisleben und in den Leuna-Werken haben das bestätigt.“60 Nach der Besetzung der Leuna-Werke endeten die blutigen Kämpfe mit der Zerschlagung von Hoelz’ Verbänden. Wie schon während des Kapp-Putsches wurden auch diesmal auf beiden Seiten bestialische Grausamkeiten begangen: Vorrückende Polizisten fanden die ausgeraubten, verstümmelten Leichen getö59 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 4–10; RY 1/I 3/11/21, Bl. 3 a-c; Hoelz, Vom „Weißen Kreuz“ zur Roten Fahne, S. 143–171; Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 35–57; Jung, Der Weg nach unten, S. 199–210; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 181–188; Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 79 f.; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 245 f.; Weber, Ein kommunistischer Putsch?, S. 22, 68–72, 76, 87, 93–95, 99–106, 123 f., 128, 143–145, 185 f.; Bock, Syndikalismus und Linksradikalismus, S. 300–304; Leidigkeit / Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 147 f.; Kühn, Georg Schumann, S. 165–168; Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution, S. 35–38; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 226; Volkszeitung vom 19. 4.1921 („Die ‚sympathisierenden‘ Aktionsgenossen“); 26.11.1921 („Die Blutschuld der Kommunisten“); Volksstimme vom 26.11.1921 („Der Weg in das Unglück. Zwei Berichte von Lemck und Bowitzki über die Märzaktion“); Klassenkampf vom 19. 3.1921; 22. 3.1921; 23. 3.1921 (jeweils Titelblatt). 60 Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, S. 59 f.

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teter Kameraden, denen man die Ohren und Nasen abgeschnitten hatte.61 Umgekehrt wurden während der Kämpfe und danach zahlreiche Arbeiter von Polizisten schwer misshandelt und „auf der Flucht“ oder standrechtlich erschossen. Um die Grausamkeit noch zu steigern, zwang man einige der Opfer, ihre eigenen Gräber auszuheben. Auf Seiten der Arbeiter fanden während der Kämpfe mindestens 145 Männer den Tod, die Polizei hatte 34 Tote und 53 teils Schwerverletzte zu beklagen. Durch den Aufstand erreichte die VKPD das Gegenteil ihrer ursprünglichen Ziele: Im Aufstandsgebiet wurden Hausdurchsuchungen vorgenommen, Waffen beschlagnahmt, Fahndungen ausgelöst und Verfahren gegen die beteiligten Arbeiter durchgeführt. Max Hoelz wurde zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Zahlreiche Arbeiter verloren in den folgenden Wochen und Monaten ihre Arbeitsplätze, so auch Bernard Koenen im Juli 1921, weil er sich entgegen seiner Zusage während des Urlaubs politisch betätigte und als Delegierter am III. Weltkongress der Komintern in Moskau teilnahm. Kommunistische Amtsvorsteher wurden auf Anordnung von Hörsing wegen Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Partei ihres Amtes enthoben.62 Ob es tatsächlich dem Einfluss der KAPD oder vielmehr mangelnder militärischer Koordination zuzuschreiben gewesen war, dass die bewaffneten LeunaArbeiter zunächst im Werk geblieben und vor dem Ende der Kämpfe großenteils abgerückt waren, während Polizeitruppen die Verbände von Max Hoelz geschlagen hatten, kann abschließend nicht beurteilt werden.63 Die darauf aufbauende „kommunistische Dolchstoß-Legende“ – so die lokale USPD-Presse64 – 61

Hallische Nachrichten vom 1. 4.1921, Titelseite („Die Kommunistenherrschaft in Gröbers“). 62 Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 58–86; Der Weiße Schrecken in Mitteldeutschland, S. 7–29; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 202–204; Volkszeitung vom 1. 4.1921 („Die Verluste der Schutzpolizei“); 21. 4.1921 („Halle und Umgebung. Die kommunistischen Amtsvorsteher ihres Amtes enthoben“); 25. 4.1921 („Halle und Umgebung. Verhaftung eines kommunistischen Bezirksleiters“); Nachlass Bernard Koenen (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/13/1, Bl. 6); Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, S. 80; Kühn, Georg Schumann, S. 170 f.; Kilian, Kirschbäume in Mansfeld, S. 27. Otto Kilian lieferte in seinem 1925 erschienenen Büchlein eine äußerst pathetische, mit blutrünstigen Holzschnitten illustrierte Schilderung der Märzkämpfe von 1921. An Vorbilder aus der Blut-und-Boden-Literatur anknüpfend, heißt es am Ende des Buches: „Das Blut unserer Kämpfer, unserer Leidensgefährten, unserer Brüder, die für die proletarische Freiheit gelitten und gestorben, das Blut tapferer, klassenbewußter Mansfelder Arbeiter, vergossen auf Befehl sozialdemokratischer Verräter, war hierher geströmt. War in die Blätter der Kirschbäume gestiegen. Die nun allherbstlich purpurn erglühen. So ganz anders gefärbt sind, als die Kirschblätter anderswo. Proletarierblut, vergossen Neunzehnhunderteinundzwanzig, färbte sie rot [...] Die Schieferhalde lag wie ein schwarzer, schmuckloser Riesensarg über der grauen, müden Landschaft, unter der das Blut des Mansfelder Arbeitsvolkes, anklagend und Vergeltung fordernd durch die Jahrhunderte strömte“. Vgl. ebd., S. 28. 63 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 3; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 187, 196 f. 64 Gegen den im Leuna-Werk tonangebenden KAPD-Vertreter Kempin wurde von einigen Arbeitern bereits während der Kämpfe der Verdacht geäußert, dass es sich bei Kempin möglicherweise um einen Spitzel handeln könnte. Auf Anfrage teilte ihnen die VKPDZentrale jedoch mit, Kempin sei absolut zuverlässig und man solle sich seinen Weisun-

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sollte sich dagegen als wichtiger Bestandteil kommunistischer Verschwörungstheorien erweisen und noch Jahrzehnte später von der parteioffiziellen SEDGeschichtsschreibung bemüht werden.65 Auch mit der SPD hatte die VKPD nach dem Ende der Kämpfe noch einige offene Rechnungen zu begleichen, weil „die sozialverräterischen und menschewistischen Führer“ nach Darstellung des Mansfelder VKPD-Parteisekretärs Joseph Schneider „den Mansfelder Arbeitern in den Rücken fielen und sich als Zuhälter der Konterrevolution erwiesen“. Schneiders Darstellung zufolge hatten sich angeblich auch bekannte SPD-Führer aus Halle an der Misshandlung von Gefangenen beteiligt, sie beschimpft und erniedrigt. Im Hinblick auf die bürgerlichen Gegner der Kommunisten meinte Schneider, man habe wohl „einige Villen der größten Verbrecher am Proletariat in die Luft gesprengt“, es sei aber versäumt worden, „die Verbrecher selbst auf die Dynamitkisten zu setzen“. Ein großer Teil von ihnen habe „schon hundertfach den Tod verdient“.66 Durch Verhaftungen und die Beschlagnahmung von Parteigeldern ging die VKPD geschwächt aus den Märzkämpfen hervor. Obwohl der allgemein einsetzende Mitgliederschwund den VKPD-Bezirk Halle-Merseburg offenbar nicht betraf, fehlten als Folge der „Märzaktion“ noch im November 1921 in vielen Ortsgruppen und Unterbezirken Funktionäre. Auch die Auflage des Parteiorgans „Klassenkampf“ fiel von 42 000 auf 33 000 Exemplare.67 Bereits kurze gen unterordnen. Erst nach dem Scheitern des Aufstandes wurde Kempin von der VKPD-Presse als Spitzel bezeichnet. Vgl. Volkszeitung vom 8. 4.1921 („Kommunistische Dolchstoß-Legende“). Joseph Schneider kritisierte in seinem 1922 erschienenen Buch zwar das passive Verhalten der Leuna-Arbeiter, erhob aber weder gegen Kempin, noch gegen die KAPD Vorwürfe. Damit dürfte feststehen, dass es sich bei der „kommunistischen Dolchstoß-Legende“ um eine nachträglich konstruierte Verschwörungstheorie handelt, die zur Entlastung der VKPD fabriziert wurde. Vgl. Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 51, 53. 65 Fritz Knittel vertrat 1956 die Ansicht, durch den unter der Leitung von Kempin (KAPD) stehenden Aktionsausschuss der Leuna-Werke sei ein „wirksamer Einsatz der LeunaArbeiter im Bezirk Halle“ verhindert und das Werk „fast kampflos von der Schupo besetzt“ worden. Vgl. Knittel, Die Märzkämpfe 1921, S. 30. Eberhard Stein bezeichnete die KAPD 1962 als „antikommunistische Sekte“; die Sowjetrussland verleumdet, „Wühlarbeit gegen die Kommunistische Partei“ betrieben und „ihre schädliche Rolle besonders während der Märzkämpfe 1921“ unter Beweis gestellt habe. Der „schädliche Einfluss der KAP[D], der Allgemeinen Arbeiterunion und der in ihren Reihen operierenden Spitzel und Provokateure“ habe sich im Winter 1920 vergrößert. Vgl. Stein, Anfänge und Entwicklung der KPD, S. 420–423. Karl-Heinz Leidigkeit und Jürgen Hermann machten 1979 die „linkssektiererische Phraseologie“ der KAPD und eigenmächtige Aktionen von Karl Plättner zur Enteignung von Betrieben und Banken verantwortlich für die Verwirrung unter den Arbeitern und für „antikommunistische Verleumdungen“ in der bürgerlichen und sozialdemokratischen Presse, die die Arbeiter als „räuberische Elemente“ dargestellt hätten. Vgl. Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 148. 66 Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 15, 58, 66. 67 Am 1. 4.1921 verfügte die VKPD im Bezirk Halle-Merseburg über 20 000 zahlende Mitglieder. Bis November 1921 stieg der Mitgliederstand auf 26 000. Am 1. 4.1922 gehörten den Arbeiterparteien nach Angaben der KPD-Bezirksleitung im Bezirk Halle-Merseburg an: KPD 24 991 Mitglieder, SPD 6 399, USPD 8 000, KAPD 50. Vgl. SAPMOBArch, RY 1/I 3/11/9, Bl. 1 f.; RY 1/I 3/11/33, Bl. 2. Robert Wheeler geht davon aus,

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Zeit nach dem Ende der Kämpfe begann sich unter den Kommunisten Kritik an der „Märzaktion“ zu regen, die sich vor allem auf die mangelnde militärische Abstimmung und fehlende Zusammenarbeit mit der politischen Leitung bezog. Die militärische Oberleitung der VKPD verwies auf zahlreiche Fehleinschätzungen, mangelhafte militärische Vorbereitungen, strategische Fehler etc. und stellte zusammenfassend fest, dass ein militärischer Sieg während der Märzkämpfe ausgeschlossen gewesen sei. Dennoch habe die VKPD einen politischen Erfolg errungen, da sie erstmals von der Defensive zur Offensive übergegangen sei. Die KAPD habe sich „als sehr undiszipliniert“ erwiesen und zwecklose Sprengungen von Villen durchgeführt.68 Am 6. April 1921 nahm die VKPD-Bezirksleitung in einem Rundschreiben an alle Ortsgruppenvorstände Stellung zum Ausgang der Märzkämpfe. Sie räumte zwar Fehler und Versäumnisse ein, sprach sich jedoch gegen eine Fehlerdiskussion zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus.69 Angesichts des katastrophalen Ergebnisses der Kämpfe sah sich Paul Levi nachträglich bestätigt: In seiner unmittelbar nach dem Ende der Kämpfe erschienenen Broschüre „Unser Weg – Wider den Putschismus“ erklärte Levi, die VKPD dürfe „nicht geschlossenen Auges in Anarchismus bakunistischer Farbe hineingezerrt werden“. Die VKPD verfüge im Bezirk Halle-Merseburg zwar über viele Anhänger, dies allein reiche jedoch angesichts des Kräfteverhältnisses in den übrigen Gebieten des Reiches nicht zur Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat aus. Nach Auffassung von Levi bestand keine akut revolutionäre Situation, u. a. auch deshalb nicht, weil die wachsende Unzufriedenheit der Massen sich nicht in Aktivität entladen habe, sondern in zunehmende Resignation umgeschlagen sei. Levi gab dem EKKI Mitschuld an der katastrophalen Niederlage, da es die Gefahr des Putschismus in der VKPD unterschätzt und auf mehr Aktivität gedrängt habe. Er wies in diesem Zusammenhang besonders den früheren USPD-Mitgliedern in der VKPD Verantwortung zu, denn im Gegensatz zu den alteingesessenen Parteimitgliedern hätten sie „die Schule nicht mit durchlebt [...], die unsere ehemalige Kommunistische Partei durchlebte“ – zweifellos eine Anspielung auf den Ausschluss der Linkskommunisten im Oktober 1919. Nach Levis Darstellung wurde die Niederlage der VKPD in Kauf genommen, um den rechten Parteiflügel eliminieren zu können. Niemand habe den getöteten mitteldeutschen Arbeitern gesagt, „dass man ihre Leichen zum dass von 67 000 VKPD-Mitgliedern (Januar 1921) im Sommer 1921 noch 66 000 übrig waren, davon 25 251 zahlende Mitglieder. Hermann Weber nennt als Wert für das Jahr 1922 23 263 Mitglieder. Vgl. Wheeler, Die 21 Bedingungen und die Spaltung der USPD, S. 154; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 370. Angress schreibt, die Mitgliederzahl der VKPD sei im Reichsgebiet von 350 000 vor Beginn der Märzaktion auf 180 443 im Sommer 1921 gesunken. Flechtheim gibt für die Zeit nach dem Aufstand 150 000 Mitglieder an. Vgl. Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 205. Becker zufolge verlor die KPD reichsweit fast 200 000 Mitglieder. Der Bestand sank auf 135 000 bis 150 000 Mitglieder. Vgl. Becker, Heinrich Brandler, S. 139. 68 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 1–3. 69 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/22, Bl. 1.

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Dynamit für die Partei verarbeiten würde“. Eine verhängnisvolle Rolle spielten nach Levis Auffassung auch die Abgesandten des EKKI, die häufig gegen die Parteizentralen der betreffenden Länder arbeiteten. So habe Mátyás Rákosi vor dem Zentralausschuss der VKPD gefordert, „die deutsche Partei müsse wieder gespalten werden“. Das EKKI arbeite „wie eine über die russischen Grenzen hinaus projizierte Tschreswytschaika [Tscheka, F. H.]“.70 Levi und seine Anhänger wurden aus der Partei ausgeschlossen. Sie sammelten sich in der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft (KAG), die gegen „putschistische Bestrebungen“, für eine stärkere Autonomie gegenüber der Komintern, für mehr innerparteiliche Demokratie und eine Gewerkschaftspolitik eintrat, die trotz revolutionärer Zielsetzung an der organisatorischen Einheitlichkeit und Geschlossenheit der deutschen Gewerkschaften festhielt.71 Mit Levi wechselten noch vier weitere VKPD-Reichstagsabgeordnete zur KAG über, unter ihnen auch der Magdeburger Teuber.72 Im VKPD-Bezirk Halle erhob sich ebenfalls Kritik, die aber von Funktionären des Bezirks und der Zentrale abgeblockt wurde. Da die Zentrale einige Kritiker des Aufstandes – unter ihnen den Redakteur Otto Kilian – im Parteiorgan „Klassenkampf“ vermutete, entsandte sie Ende April 1921 den linientreuen VKPD-Reichstagsabgeordneten Emil Höllein als kommissarischen Chefredakteur nach Halle. Kilian wurde als Redner aufs Land entsandt, um die offizielle kommunistische Lesart der „Märzaktion“ entgegen seiner persönlichen Überzeugung in zahlreichen Ansprachen zu verbreiten. In der anhaltischen VKPD wurde Landessekretär Bruno Böttge, der sich demonstrativ hinter Levi stellte, auf Betreiben des VKPD-Landesvorsitzenden Erich Besser aus der Partei ausgeschlossen. Bessers Darstellung zufolge soll Böttge mit Hilfe des befreundeten USPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Dittmann versucht haben, die anhaltische VKPD zur USPD zurückzuführen. In einer Dessauer USPD-Versammlung, an der Dittmann teilnahm, erklärte Böttge, „die VKPD habe völlig bankrott gemacht“ und „das Volk belogen und betrogen“.73 Einer sozialdemokratischen Zeitung übermittelte Böttge nach seinem Ausschluss folgende Erklärung: „Die Folgen meines Ausschlusses sind hier in Bernburg Massenaustritte [...] und Abmeldungen ganzer Ortsvereine aus der 70 Levi, Unser Weg; „Tschreswytschaika“; eigentlich „Tschereswytschainaja Komissija“; abgekürzt Tscheka: „Außerordentliche Kommission“, die erste Geheimpolizei Sowjetrusslands. 71 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 274–276; ders., Die Parteitage der KPD und SED, S. 30 f.; Eildermann, Die Märzaktion 1921 und ihre Lehren, S. 657; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 207–210; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 247; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 335 f.; Volkszeitung vom 1.12.1921 („Leviten und Moskowiter“). Die KAG ging 1922 in der USPD und mit dieser noch im selben Jahr in der SPD auf. 72 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/75, Bl. 271 f. 73 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 18 f., 25; MfS BV Halle, AU 193/53, 8. Band, Bl. 108 f.; Volkszeitung vom 23. 4.1921 („Halle und Umgebung. Die Diktatur bei den Kommunisten“); 27. 4.1921 („Aus der Provinz. Bruno Böttge aus der VKPD ausgeschlossen“); 26.11.1921 („Die Blutschuld der Kommunisten“); Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 181.

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VKPD. Meine „Hinrichtung“ ist vollzogen. Andere können nun versuchen, es besser zu tun. [...] Ich verspüre nicht die geringste Lust, Berufung gegen meinen Ausschluss einzulegen. Ein Trost bleibt mir noch immer: Mit meiner Ansicht befinde ich mich nicht in schlechter Gesellschaft. Es sind die besten Köpfe der vor kurzem noch in rüstiger Aufwärtsentwicklung begriffenen, heute schon zur Sekte verurteilten VKPD, es ist ein Levi, Däumig, Zetkin und andere.“74 Erst als sich die Richtigkeit von Levis Analyse bei der Komintern durchsetzte – Lenin und Trotzki wandten sich auf dem III. Weltkongress (22. Juni–12. Juli 1921) gegen die Verfechter der Offensivtheorie –, rückte auch die VKPD im August 1921 von der Offensivtheorie ab.75 Im Verhältnis zwischen VKPD und KAPD, die der Komintern seit November 1920 als sympathisierende Partei mit beratender Stimme angeschlossen war, führte der III. Weltkongress ebenfalls eine Klärung herbei: Die Verbindung zwischen KAPD und Komintern wurde wegen ideologischer Meinungsverschiedenheiten und der Weigerung der KAPD, sich innerhalb von zwei bis drei Monaten mit der VKPD zu vereinigen, gelöst.76 Frühere Kritiker der Märzaktion, die in der VKPD verblieben waren, rückten von ihrer ursprünglichen Einschätzung ab. Als einer der prominentesten halleschen Kommunisten interpretierte nun auch Otto Kilian die Ereignisse rückblickend als „Abwehrkampf der Arbeiter“ zur Verteidigung ihrer Errungenschaften. Im Vorwort zu einer im November 1921 erschienenen Broschüre über die Märzkämpfe schrieb Kilian, der VKPD als revolutionärer Partei sei im März „trotz der ungeeigneten Situation“ nichts anderes übrig geblieben, als „diesen Verteidigungskampf revolutionärer Proletarier“ zu unterstützen.77 Unter den nach Russland emigrierten Märzkämpfern gab es ebenfalls Diskussionen über die richtige Interpretation der Ereignisse. Die dabei aufkommenden gegenseitigen Verdächtigungen warfen ein bezeichnendes Licht auf das innerparteiliche Klima der VKPD, in der sich bereits damals Agentenhysterie ausbreitete. Die Anziehungskraft des bolschewistischen Russland dürfte nicht übermäßig groß gewesen sein, denn trotz drohender strafrechtlicher Verfolgung 74

Volkszeitung vom 29. 4.1921 (Titelseite. „Kommunistisches“). Ob – wie Erich Besser 1948 behauptete – Böttge 1921 aus der VKPD ausgeschlossen wurde, weil er während der „Märzaktion“ angeblich Aufständische zu Sprengstoffanschlägen aufhetzte und danach im Stich ließ, bleibt unklar. Bessers Behauptung erscheint vor dem Hintergrund von Böttges Sympathie für Levi und dessen Verurteilung des kommunistischen Putschismus’ jedoch wenig glaubwürdig. Vgl. Protokolle Sekretariat Juli-Sept. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/6, Bl. 250). 75 Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 212–229; Becker, Heinrich Brandler, S. 138 f.; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 227–229; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 41 f., 93 f.; ders., Zu den Beziehungen zwischen der KPD und der Kommunistischen Internationale, S. 180 f.; Melis, Ernst Thälmanns Kampf, S. 456. Heinrich Brandler wurde in einem Hochverratsprozess zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Vgl. Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 86. 76 Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 251–262; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 99; Gotsche, Die Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, S. 59. 77 Der Weiße Schrecken in Mitteldeutschland, S. 2–6.

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durch deutsche Justizbehörden versuchten einige Emigranten bereits wenige Monate nach dem Ende der Kämpfe wieder nach Deutschland zurückzukehren. Als sich einer der mitteldeutschen Kommunisten ohne Wissen der Partei unter den Schutz des deutschen Konsuls stellte und nach Bitterfeld zurückkehrte, informierte der nach Moskau emigrierte Paul Taube – er war während der Märzaktion Mitglied der Militärischen Leitung im Kreis Bitterfeld gewesen – die VKPD-Zentrale, um sie vor dem „Verräter“ und „Spitzel“ zu warnen. Die Zentrale veranlasste daraufhin wegen des Verdachts der „Spionage“ Nachforschungen über den Heimkehrer. Doch auch Paul Taube sah sich bald Verdächtigungen eines früheren Kampfgenossen ausgesetzt, der behauptete, Taube habe während der Märzkämpfe Bitterfelder Arbeiter aufgefordert, nach Hause zu gehen und ihre Waffen zu verbergen. Taube sei erst abgezogen, als man ihn aufgefordert habe, „das Maul zu halten“, da er andernfalls erschossen werde. Taube wies die Anschuldigungen als Lüge zurück und empfahl der Zentrale, auf den Denunzianten „ein wachsames Auge zu haben“, da er zu „noch viel größeren Gemeinheiten fähig“ sei.78 Als Ende November 1921 durch Enthüllungen des sozialdemokratischen „Vorwärts“, die von der lokalen SPD- und USPD-Presse nachgedruckt wurden,79 belastende Details über die Rolle der mittlerweile wieder in KPD umbenannten VKPD80 während der Märzkämpfe bekannt wurden, gerieten die Kommunisten in Erklärungsnot. Die Berliner KPD-Zentrale versuchte zunächst, die Bedeutung der veröffentlichten Dokumente herunterzuspielen und ihren Wahrheitsgehalt infrage zu stellen.81 Das hallesche KPD-Organ „Klassenkampf“ entwickelte seine eigenen Verschwörungstheorien und verstieg sich zu der grotesken Behauptung, es handle sich bei dem vom „Vorwärts“ veröffentlichten Material um das Produkt „antibolschewistischer Lügenbureaus in Helsingfors“, die früher auch gefälschte Exemplare der „Prawda“ in Umlauf gebracht hätten.82 Inneren und äußeren Feinden drohte das Blatt mit der Anwendung von 78 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/76, Bl. 427–434. 79 Die Enthüllungen des Vorwärts beruhten auf Papieren über die Märzaktion, die die preußische Polizei bei Klara Zetkin gefunden hatte, als Zetkin im Juli 1921 auf dem Weg zum III. Weltkongress die deutsch-russische Grenze passierte. Die halleschen Parteiorgane Volksstimme (SPD) und Volkszeitung (USPD) übernahmen die Berichte des Vorwärts (vgl. die Ausgaben beider Zeitungen zwischen dem 25.11.1921 und 2.12.1921). 80 Der VII. Parteitag (22.–26. August 1921 in Jena) beschloss, die VKPD wieder in „Kommunistische Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale)“ umzubenennen. Vgl. Weber, Die Parteitage der KPD und SED, S. 7. 81 Volkszeitung vom 26.11.1921 („Die Blutschuld der Kommunisten“). 82 Volksstimme vom 28.11.1921 („Die Kommunisten am Pranger“). Der von kommunistischer Seite erhobene Vorwurf der Fälschung dürfte sich wohl dadurch endgültig erledigt haben, dass die im Bundesarchiv befindlichen Exemplare der Berichte von Lemck, Bowitzky und der militärischen Oberleitung kyrillische Stempel tragen („ “), d. h., abgesehen von den Schriftstücken, die bei Klara Zetkin gefunden wurden, müssen weitere Exemplare nach Moskau gelangt sein. Vgl. SAPMO-BArch, RY 1/ I 3/11/13, Bl. 1–10.

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Terror: „Die Arbeiterschaft wird auf diese plumpen Schwindeleien und auf die mit tödlichem Hass erfüllten Lügen und Falschmeldungen seiner Feinde nicht hereinfallen. Dieser hässlichen Hetze gegenüber muss das Proletariat seine einheitliche und geschlossene Front wahren und unbarmherzig mit jedem, der sich ihr als Feind entpuppt, aufräumen. Das Proletariat muss gegen alle Finten seiner offenen und verkappten Feinde gewappnet sein, es muss zu jeder Form des Kampfes bereit sein, denn die Erfahrung hat gelehrt, dass hier die brutalen Methoden der zaristischen Ochrana83 angewandt werden, und dagegen muss es mit neuen Methoden des Kampfes vorgehen. Hier darf es keine Rücksicht und kein Bedenken geben.“84 Die Parteizentrale und mehrere Parteibezirke (darunter Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt) wandten sich nach den Veröffentlichungen des „Vorwärts“ gegen personelle Veränderungen in der Parteispitze. Begründet wurde dies mit der Befürchtung, dass Rücktritte „eine Preisgabe von Positionen an den Feind bedeuten“ würden und interne Streitigkeiten auslösen könnten. Das EKKI und das ZK der KPR hatten sich Anfang November 1921 mit der KAG befasst und festgestellt, dass die KAG zur Zersplitterung der kommunistischen Bewegung beitrage und somit den Interessen der Bourgeoisie und der SPD diene. Innerhalb der KPD versuche die KAG, „Zersetzungs- und Sprengkolonnen zu organisieren“. Es sei daher die Pflicht der KPD, „den energischen Kampf gegen diese Zerfalls- und Zersetzungsprodukte in der kommunistischen Arbeiterschaft zu führen“. Die KPD-Zentrale kam dieser Aufforderung umgehend nach, indem sie die politischen Auffassungen der KAG als unkommunistisch bezeichnete und ihr vorwarf, die „Pogromhetze“ gegen die KPD zu unterstützen. Jede direkte oder indirekte Unterstützung der KAG sei unvereinbar mit den Pflichten eines KPD-Mitgliedes. Im Verhältnis zur KAG dürfe es nur „schärfsten Kampf“ geben.85 Aufgrund der Erfahrungen während der Märzkämpfe propagierte die KPD unter Anleitung der Komintern und ihres Deutschland-Emissärs Karl Radek bis zum Herbst 1923 die Einheitsfront mit anderen politischen Kräften. Das EKKI verlangte eine intensivere Parlaments- und Gewerkschaftsarbeit der KPD, eine flexiblere Haltung gegenüber der SPD und Agitation für die Bildung von „Arbeiterregierungen“. Durch das Bündnis mit der linken Sozialdemokratie sollte die KPD stärkeren Rückhalt in Gewerkschaften und Genossenschaften finden. Da das wirtschaftliche und politische Chaos in Deutschland 1923 ideale Voraussetzungen für die Entfesselung einer Revolution zu bieten schien, traf das sowjetische Politbüro die Entscheidung zur Auslösung des „deutschen Oktobers“. Maßgeblich motiviert wurde diese Entscheidung durch den politischen Kurs Gustav Stresemanns, der als Reichskanzler und Reichsaußenminister auf einen Ausgleich mit den Westalliierten hinarbeitete und damit Deutschland in 83 Ochrana: die zaristische Geheimpolizei. 84 Zit. nach Volkszeitung vom 28.11.1921 („Halle und Umgebung. Ein Ablenkungsmanöver“). 85 Nachlass Georg Lehmann (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/2/5, Bl. 1, 4).

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das Lager der Feinde Sowjetrusslands zu führen schien. Anfang September 1923 traf in Moskau eine Delegation deutscher Kommunisten ein, um bis zum Monatsende einen konkreten Aktionsplan für bewaffnete Aufstände auszuarbeiten. Komintern-Emissäre und russische Militärspezialisten kamen nach Deutschland, um den Aufstand zu organisieren. Es wurden Waffen beschafft und so genannte „proletarische Hundertschaften“ für den Bürgerkrieg aufgestellt. Der Aufstand, der in Mitteldeutschland beginnen sollte, wurde Mitte Oktober 1923 durch den Eintritt von Kommunisten (u. a. Heinrich Brandler) in die linken sozialdemokratischen Landesregierungen von Sachsen und Thüringen vorbereitet. Am 20. Oktober 1923 begann die Reichsexekution gegen Sachsen und Thüringen, um die Koalitionsregierungen aus SPD und KPD zu stürzen. Als die linken sächsischen Sozialdemokraten am folgenden Tag während einer Betriebsrätekonferenz in Chemnitz vor der von Brandler geforderten Proklamierung des Generalstreiks zurückschreckten, unterließen es die Kommunisten, auf eigene Faust zu handeln. Durch das Einrücken von Reichswehr in Sachsen scheiterte der Aufstandsversuch, bevor er überhaupt begonnen hatte.86 Versuche der KPD, mit der SPD im Bezirk Halle-Merseburg eine Einheitsfront zu bilden, waren von der SPD-Bezirksleitung bereits im Juli 1923 zurückgewiesen worden. Die SPD bekannte sich zwar zur Einheit der Arbeiterklasse, teilte der KPD-Bezirksleitung jedoch mit, dass die sozialdemokratischen Abwehrorganisationen nur dem Schutz der Republik und Verfassung dienten. Gemeinsame weitere Beratungen hätten nur dann einen Sinn, wenn die KPD dieselben Absichten verfolge.87 In einem später herausgegebenen Aufruf verweigerte sich die SPD-Bezirksleitung dementsprechend auch der kommunistischen Forderung einer „Arbeiter- und Bauernregierung“, da dies eine von der Sowjetunion „zur Erreichung ihrer imperialistischen Ziele“ ausgegebene Parole sei.88 Dennoch kam es im September 1923 auf lokaler Ebene zu Verhandlungen zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Betriebsräten. In Naumburg wurde ein gemeinsamer Aktionsausschuss gewählt, man plante die Bildung proletarischer Hundertschaften und gegebenenfalls auch die Ausrufung von Massenstreiks. In Zeitz dagegen verhielten sich die Sozialdemokraten abwartend und verließen die bereits angelaufenen Verhandlungen mit der KPD, USPD und den Syndikalisten. Ebenso führten Vertreter von SPD, AfA (Allgemeiner freier Angestelltenbund) und ADGB in Halle Anfang Oktober 1923 das Scheitern der bereits vereinbarten gemeinsamen Sitzungen mit der KPD herbei, indem sie nicht zu den Verhandlungen erschienen.89 Ein86 Becker, Heinrich Brandler, S. 228–241; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band S. 388–421; Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, S. 145–148; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 300–304; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 49–51; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 341 f.; Nollau, Die Komintern, S. 15. 87 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/53, Bl. 44. 88 Aufruf der SPD-Bezirksleitung Halle (StA Halle, ZGS, Karton 8, Nr. 23). 89 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/18, Bl. 230; RY 1/I 3/11/53, Bl. 52.

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heitsfrontangebote, die von der KPD teils direkt, teils über Gewerkschaften, in denen sie stark vertreten war, an die SPD-Ortsverbände herangetragen wurden, veranlassten die SPD-Bezirksleitung Halle Mitte Oktober 1923, vor dem Abschluss von Sonderabkommen mit der KPD zu warnen. Ziel der Kommunisten sei es, einen Keil in die SPD hineinzutreiben, einzelne Genossen und Organisationen gegen die Gesamtpartei aufzubringen und die Parteifunktionäre gegeneinander auszuspielen. Die SPD werde sich „niemals zu unsinnigen kommunistischen Experimenten“ hergeben und eine Einheitsfront nach kommunistischem Muster bilden. Im Gegensatz dazu bestand unter sozialdemokratischen Jugendlichen durchaus Bereitschaft zur Formierung der Einheitsfront und es fanden Verhandlungen der SAJ-Bezirksleitung Halle mit der kommunistischen Jugend statt. Die SAJ-Bezirksleitung handelte jedoch nicht mit dem Einverständnis ihrer Ortsverbände: Der bedeutende hallesche Verband protestierte scharf und lehnte mit dem Hinweis auf die Verfolgung sozialdemokratischer Jugendlicher in der Sowjetunion „jegliches Streben nach einer Arbeiter- und Bauern-Regierung, nach proletarischen Hundertschaften und anderen kommunistischen Agitationsforderungen“ ab.90 Die KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg unter der Führung ihres Politischen Leiters Paul Merker verhielt sich Mitte Oktober 1923 der Situation entsprechend abwartend und trat der Forderung nach einem Generalstreik entgegen. Merker erklärte im Auftrag der KPD-Bezirksleitung, dass „sie sich nicht von Provokateuren vorschreiben lassen“ werde, „wann der Zeitpunkt zur Aufnahme des Kampfes auf der ganzen Linie gekommen“ sei. Gerüchte, denen zufolge die KPD am 17. Oktober 1923 um 12 Uhr mittags den Generalstreik proklamieren werde, seien das Werk faschistischer Provokateure, „die die Arbeiterschaft in erfolglose Teilaktionen stürzen“ wollten.91 Tatsächlich entsandten am Vormittag des 17. Oktober 1923 mehrere Betriebe Delegationen, um von der Bezirksleitung die Genehmigung zur Aufnahme des Generalstreiks zu erhalten. Aus Merkers Worten sprach die Befürchtung, dass die KPD bei vorschnellem Losschlagen eine ähnlich verheerende Niederlage wie im März 1921 erleiden könnte. Nach Mitteilung der KPD-Bezirksleitung soll bereits am 15. Oktober 1923 auf Veranlassung des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Runge eine Sitzung hallescher Kriegervereine stattgefunden haben, um die Veteranen wegen der erwarteten kommunistischen Aktionen als Schutzpolizisten einsetzen zu können. Es sollten zunächst 200 Mann aus den Kriegervereinen und 200 aus dem „Stahlhelm“ einberufen werden.92 Im mitteldeutschen Industriegebiet herrschte gespannte Ruhe. Militärische Vorbereitungen, die von Kommunisten in Zeitz, Weißenfels und Schkeuditz getroffen worden waren,

90 Volksblatt vom 12.10.1923 („Aus der Provinz. An die Ortsvereine!“); 20.10.1923 („Aus der Jugendbewegung. Die hallische SAJ nimmt Stellung“). 91 Klassenkampf vom 17.10.1923 („Halle und Saalkreis“). 92 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/33, Bl. 68–70.

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konnten durch Emissäre der Bezirksleitung gerade noch rechtzeitig abgebrochen werden.93 Trotz ihres Scheiterns ging die KPD-Zentrale auch Ende Oktober und Anfang November 1923 noch immer davon aus, dass der Aufstand nicht aufgegeben, sondern nur verschoben worden sei. Die KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg warnte zwar weiterhin vor übereilten Aktionen, rief ihre Ortsgruppen jedoch dazu auf, den Druck auf die SPD- und ADGB-Spitze durch Entsendung gemischter sozialdemokratisch-kommunistischer Betriebsdelegationen zu erhöhen. Diese Delegationen sollten die Bildung eines gemeinsamen Aktionsausschusses, gemeinsamer Hundertschaften sowie die „Entwaffnung der Faschisten“ und Bewaffnung der Arbeiterschaft verlangen.94 Auch linke Sozialdemokraten hielten weiterhin an der Idee der Einheitsfront fest und versuchten, die revolutionäre Stimmung durch agitatorische Forderungen am Leben zu erhalten: So forderte der SPD-Bezirk Zeitz-Naumburg-Weißenfels den Parteiausschluss von Reichspräsident Friedrich Ebert und die sofortige Ausrufung des Generalstreiks. Die ADGB-Ortsausschüsse Halle, Weißenfels, Wittenberg und das Kreisgewerkschaftskartell Mansfeld riefen zu einer in Weimar stattfindenden Reichskonferenz aller Ortsausschüsse auf, die das „verräterische Verhalten“ der ADGB-Führung verurteilen sollte. Unterzeichnet wurde der Aufruf von Kommunisten und linken Sozialdemokraten, so auch von Bruno Böttge, der 1921 als Levi-Anhänger aus der VKPD ausgeschlossen worden war und mittlerweile zur SPD gefunden hatte. In Sangerhausen bildete sich ein Aktionsausschuss aus SPD, KPD, ADGB, AfA und Beamtenbund. Die radikalen Sangerhäuser Beamten forderten den Eintritt in den Generalstreik.95 Unterschiedliche Bewertungen der Einheitsfronttaktik, die während einer Sitzung des KPD-Bezirksausschusses am 12. November 1923 aufeinander trafen, gaben einen ersten Vorgeschmack auf die noch bevorstehenden innerparteilichen Auseinandersetzungen: Wilhelm Koenen führte aus, dass es wegen des Rückzugs der linken Sozialdemokraten für die KPD unmöglich gewesen sei, den Generalstreik zu proklamieren. Man müsse sich dennoch weiterhin mit der SPD befassen, ihr einerseits gemeinsame Aktionsausschüsse und proletarische Hundertschaften anbieten und sie andererseits im Fall einer Verweigerung „als Verbündete des Faschismus“ bekämpfen. Otto Kilian vertrat den linken Parteiflügel und wies darauf hin, dass es vielen Arbeitern unverständlich sei, wenn die KPD immer wieder an die SPD-Führung herantrete. Dadurch werde die Bedeutung der SPD im Bezirk Halle-Merseburg nur weiter erhöht. Georg Schumann nahm eine mittlere Position ein und bezeichnete gemeinsame Verhandlungen mit der SPD zwar als richtig, man habe es jedoch versäumt, die SPD zu demaskieren und ihre „Verräter-Rolle“ herauszustellen. Am Ende der Sitzung verabschiedete der Bezirksausschuss eine auffallend kurze Entschließung, in 93 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/18, Bl. 277. 94 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/22, Bl. 66–68. 95 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/18, Bl. 252.

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der die Ratlosigkeit der Partei deutlich zum Ausdruck kam: Es sei notwendig, so hieß es, „die Gewerkschaften mit revolutionärem Geist zu erfüllen und zu Kampforganen für die proletarische Diktatur zu gestalten“.96 Angesichts massenhaft austretender Gewerkschaftsmitglieder97 musste dies ein frommer Wunsch bleiben.

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Bolschewisierung 1924/25

Auf die Niederlage im Oktober folgte das Verbot der KPD vom 23. November 1923 bis 1. März 1924. Die KPD verlor in dieser Zeit etwa 170 000 von 295 000, d. h. 60 Prozent ihrer zahlenden Mitglieder.98 Im KPD-Bezirk HalleMerseburg bestand die Partei illegal weiter und hielt nach Angaben der Bezirksleitung trotz des Verbots „Hunderte von Versammlungen“ ab.99 Nach der Wiederzulassung der Partei setzte die offene innerparteiliche Abrechnung mit Heinrich Brandler und August Thalheimer ein, denen man das Scheitern der Einheitsfronttaktik vorwarf. Beide hatten schon seit dem VIII. Parteitag (28. Januar – 1. Februar 1923) in schweren Auseinandersetzungen mit der linken Opposition gestanden, die von Ruth Fischer, Arkadi Maslow, Ernst Thälmann, Paul Schlecht, Arthur Rosenberg und Werner Scholem geführt wurde. Während der Kontroverse um die Oktober-Niederlage trennte sich ein Großteil des rechten Parteiflügels von Brandler und Thalheimer und bildete die so genannte „Mittelgruppe“. Auf einer in Halle stattfindenden Tagung des Zentralausschusses gelang es der Mittelgruppe am 19. Februar 1924 mit Zustimmung der Komintern, alle Vertreter des rechten Parteiflügels von der Parteispitze zu verdrängen. Bei der Schaffung einer neuen KPD-Führung setzte Grigori Sinowjew als Kominternvorsitzender auf die Mittelgruppe, die nach seinen Vorstellungen mit dem linken Parteiflügel zusammenarbeiten sollte. Die Enttäuschung, die sich nach der Oktober-Niederlage in der Partei ausbreitete, ließ einen Großteil der radikalisierten KPD-Mitglieder jedoch nicht der Mittelgruppe, die in sich heterogen und ideologisch wenig profiliert war, sondern dem linken Parteiflügel zuströmen. Dies wurde auf den meisten der im Februar und März 1924 abgehaltenen Bezirksparteitage deutlich.100 Ruth Fischer und Werner Scholem versuchten dem linken Kurs auch im KPD-Bezirk Halle-Merseburg zum Durchbruch zu verhelfen. Auf Diskussionsabenden der halleschen KPD kritisierte Scholem im März 1924 die frühere Einheitsfronttaktik der KPD und machte sie für die Niederlage im Oktober 1923 96 Ebd., Bl. 265–270. 97 Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, S. 136; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 296. 98 Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 342 f. 99 Klassenkampf vom 27. 5.1924 („Bezirks-Parteitag Halle-Merseburg“). 100 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 55 f., 60; ders., KPD und Kommunistische Internationale, S. 188.

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verantwortlich. Bei der Abstimmung über drei Resolutionen, die von der Linken, der Mittelgruppe und der Rechten eingebracht wurden, zeigte sich die starke Verwurzelung der Linken in Halle: Werner Scholems linke Resolution erhielt 106 Stimmen, während Georg Schumann, der für die Bezirksleitung eine am Beschluss des EKKI zur Oktober-Niederlage orientierte Resolution eingebracht hatte, 100 Stimmen erzielte. Weit abgeschlagen war der rechte Flügel mit nur acht Stimmen, für den der frühere Spartakist und Mitbegründer der halleschen KPD, Reinhold Schoenlank, gesprochen hatte.101 In Scholems mehrheitlich angenommener Resolution hieß es: „Die Funktionäre der Ortsgruppe Halle stellen fest, dass die Politik der Einheitsfronttaktik [...] das Versagen der KPD im Oktober vorigen Jahres verursacht hat. Die Versammlung billigt ausdrücklich die Ansichten der Parteiopposition in dieser grundlegenden Frage. Die Versammlung erklärt, dass im Oktober der revolutionäre Entscheidungskampf historisch notwendig war. Die Situation war für diesen entscheidenden Kampf reif. [...] Die Versammlung stellt sich auf den Boden der Parteiopposition und sieht die Aufgabe des Parteitages darin, der Partei eine klare linke Führung zu geben.“102 War die Mittelgruppe auf den Diskussionsabenden in Halle noch knapp unterlegen, so gelang es ihr, sich auf dem Bezirksparteitag am 16. März 1924 trotz des Erscheinens von Ruth Fischer, die eine militante Rede hielt, gegen die Linke durchzusetzen. Im Hinblick auf die fehlgeschlagene Einheitsfronttaktik erklärte Ruth Fischer: „Für diese Politik trägt auch die Parteimehrheit die Verantwortung, weil sie diese Politik unterstützt hat. Mit diesen Schwankungen innerhalb der Partei muss jetzt endgültig aufgeräumt werden. Das kann aber nur geschehen, wenn die Führung der Partei diesen Leuten entrissen, der Linken übertragen und die Mittelgruppe ideologisch liquidiert wird. [...] Die Ideologie des Zentrums werden wir nicht schlucken, weil sie der gefährliche Feind in der Partei ist. Wir werden der gefährlichen Auffassung der Mittelgruppe keine Konzessionen machen, sondern unsere Linie wie bisher auch gegenüber der Exekutive vertreten. Die Diskussion innerhalb der Partei hat nach den bisherigen Ergebnissen gezeigt, dass die Parteimehrheit mit der bisherigen Führung nicht mehr einverstanden ist. Die Parteimitglieder verlangen einen Linkskurs unter Führung der bisherigen Opposition.“103

Dennoch erhielt die Resolution der Bezirksleitung 27 Stimmen, während auf die Linke lediglich 18 Stimmen entfielen. Damit hatte im Parteibezirk HalleMerseburg entgegen den Abstimmungsergebnissen in den meisten übrigen Bezirken nicht die Linke, sondern die Mittelgruppe gesiegt.104 Um die Linke zu 101 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 208; Klassenkampf vom 14. 3.1924 („Halle und Saalkreis. Die hallischen Funktionäre über die taktischen Fragen in der Partei“). 102 Klassenkampf vom 14. 3.1924 („Halle und Saalkreis. Die hallischen Funktionäre über die taktischen Fragen in der Partei“). 103 Klassenkampf vom 18. 3.1924 („Bezirksparteitag der KPD Halle-Merseburg“). 104 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 208; Klassenkampf vom 17. 3.1924 („Bezirksparteitag der KPD Halle-Merseburg“); Weber, KPD und Kommunistische Internationale, S. 188.

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versöhnen und wohl auch, um sie besser kontrollieren zu können, wurden fünf Vertreter des linken Parteiflügels in die Bezirksleitung gewählt. Die Linke war jedoch nicht bereit, sich mit ihrer Niederlage abzufinden, sondern bezeichnete das Wahlergebnis als inkorrekt, da die Bezirksleitung angeblich entgegen den Statuten an der Wahl teilgenommen hatte. Nur zehn Tage später verweigerten die in die Bezirksleitung gewählten Linken aus Protest gegen die „vorgekommenen Unkorrektheiten“ und wegen der „Ausschaltung von der Delegation zum Reichsparteitag und zum Zentralausschuss“ ihre Mitarbeit. Sie forderten stattdessen einen neuen Bezirksparteitag.105 Im Gegensatz dazu waren die Verhältnisse im KPD-Bezirk Magdeburg-Anhalt wesentlich klarer: Hier setzten sich die Linken mit 38 Stimmen gegen 5 Anhänger der Mittelgruppe und 6 Rechte durch.106 Die Bezirksleitung Halle-Merseburg geriet Ende März/Anfang April 1924 nicht nur wegen des offenen Protests linker Parteifunktionäre zunehmend in Schwierigkeiten, sondern auch aufgrund der linksradikalen Stimmung an der Basis: Aus mehreren Ortsgruppen, so z. B. aus Halle, Ammendorf, Eisleben und Wittenberg, trafen Resolutionen ein, in denen sich die Parteibasis mit teils überwältigender Mehrheit hinter den linken Flügel stellte. Die Ortsleitung Naumburg, die auf der Seite der Mittelgruppe stand, wurde von ihren eigenen radikalisierten Mitgliedern gestürzt. Vertreter der Linken verbreiteten in den Ortsgruppen „schärfste Antibonzenstimmung“ und warfen der Bezirksleitung vor, sie betreibe „Futterkrippenpolitik“, d. h. Politik zu ihrem eigenen Vorteil. In großen Teilen der Mitgliedschaft herrschte eine ultralinke Stimmung, die die ideologischen Grenzen zur KAPD verschwimmen ließ. Eine bedeutende Rolle bei der Organisierung der linken Opposition im KPD-Bezirk Halle-Merseburg spielten neben den aus anderen Gebieten (z. B. Leipzig) angereisten Referenten vor allem Hedwig Krüger, Otto Kilian und Hans Urban.107 Die kommenden Ereignisse in Halle-Merseburg wurden durch den IX. Parteitag der KPD bestimmt, der zwischen dem 7. und 10. April 1924 in Frankfurt am Main stattfand. Während die Delegierten des Parteibezirks Magdeburg-Anhalt auf dem Parteitag geschlossen links standen, zeigte sich die Delegation aus Halle-Merseburg zwischen Linken und Mittelgruppe gespalten. Das Wahlergebnis für die neue KPD-Zentrale bedeutete einen völligen Bruch mit der Vergangenheit: Bei 11 von 15 Mitgliedern der Zentrale handelte es sich um Linke, nur

105 Klassenkampf vom 17. 3.1924 („Bezirksparteitag der KPD Halle-Merseburg“); 28. 3.1924 („Die Parteiorganisationen zur Lage der Partei. Erklärung“). 106 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 62. 107 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/13, Bl. 204–211; Klassenkampf vom 24. 3.1924 („Die Diskussion über die taktischen Fragen der Partei“); 28. 3.1924 („Die Parteiorganisationen zur Lage der Partei“); 31. 3.1924 („Aus der Partei“); 3. 4.1924 („Zur Parteidiskussion“). Zu Gunsten der Linken sprachen sich u. a. folgende Ortsgruppen aus: Halle (302:85), Eisleben (68:6), Ammendorf (36:21), Wittenberg (48:43). Andere Ortsgruppen wie Merseburg, Morl, Annaburg, Piesteritz und die Betriebszelle Leuna stellten sich hinter die Bezirksleitung.

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vier gehörten der Mittelgruppe an.108 Der Frankfurter Parteitag besiegelte zugleich auch das Schicksal der Mittelgruppe in Halle-Merseburg. Wilhelm Koenen wechselte die Fronten, schloss sich den Linken an und leitete damit den Zerfall der Mittelgruppe im Bezirk ein. Georg Schumann – er hatte bei der Reichstagswahl vom 4. Mai 1924 ein Mandat im Wahlkreis Merseburg errungen – musste auf Beschluss der KPD-Zentrale zugunsten von Hedwig Krüger, einer führenden Linken des Bezirks, verzichten.109 Schumann trat dennoch weiterhin als Repräsentant der Mittelgruppe auf und musste im Ortsverband Halle bei den Delegiertenwahlen für den erneut angesetzten Bezirksparteitag (24./25. Mai 1924) eine Niederlage gegen die Linke unter Hans Urban hinnehmen, die alle sechs halleschen Delegierten stellte. Auf dem Bezirksparteitag wurde die von den Linken eingebrachte Resolution zur Parteitaktik angenommen. In der Resolution hieß es u. a., wirtschaftliche und politische Probleme könnten nicht in einer Koalition mit der SPD, „sondern nur durch die Aufrichtung der Diktatur des Proletariats und der sozialistischen Wirtschaftsordnung“ gelöst werden. Voraussetzung dafür sei der „Vernichtungskampf“ gegen die SPD, die „restlos vernichtet werden“ müsse. Die Mehrheit des Bezirksparteitages vertrat die Auffassung, „dass es nunmehr auch notwendig sei, innerhalb der politischen Leitung des Bezirks Veränderungen vorzunehmen“, um „ein gedeihliches Zusammenarbeiten zwischen dem Bezirk und der neuen Zentrale“ zu gewährleisten. Bei der Wahl der neuen Bezirksleitung siegte die Linke gegen die Mittelgruppe mit 25:14 Stimmen.110 Der neuen Bezirksleitung gehörten Vertreter des linken Flügels an, die sich während der Auseinandersetzungen im Frühjahr 1924 profiliert hatten, so Paul Richter (Org-Leiter), Otto Kilian (Agitprop-Sekretär) und Hedwig Krüger.111 Um die linke Mehrheit zu sichern, delegierte das ZK im Juli 1924 als neuen PolLeiter Kurt Rosenbaum aus dem Ruhrgebiet nach Halle. Im Januar 1925 übernahm Max Lademann anstelle des für ungeeignet befundenen Emil Grabow das Amt des Gewerkschaftssekretärs. Lademann sollte einige Monate später an die Spitze der Bezirksleitung rücken und in den kommenden Jahren eine entscheidende Rolle bei der Eliminierung der innerparteilichen Opposition spielen.112 Im Ortsverband Halle sammelten sich die Linken um Otto Kilian, der als Agitprop-Sekretär, preußischer Landtagsabgeordneter und Redakteur des „Klassenkampf“ tätig war.113 Unter Kilians Führung schlug die KPD-Fraktion in der hal108 Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 2. Band, S. 22; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 62 f., 65, 72 f. 109 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 76; Klassenkampf vom 22. 5.1924 („Halle und Saalkreis“). 110 Klassenkampf vom 24. 5.1924 („Die hallische Mitgliedschaft zur Partei-Taktik“); 26. 5.1924 („Der Parteitag der Konsolidierung“; „Die Beschlüsse des Bezirks-Parteitages der KPD Halle-Merseburg“); 27. 5.1924 („Bezirks-Parteitag Halle-Merseburg“). 111 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/1, Bl. 16 f. 112 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 126, 149; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 261 f. 113 Leidigkeit/Hermann, Auf leninistischem Kurs, S. 197; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 17, 181.

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leschen Stadtverordnetenversammlung einen militant linksradikalen Kurs ein, der am 2. Juni 1924 in folgender Erklärung gipfelte: „[Die KPD-Fraktion] wird den schärfsten Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft führen nach den grundsätzlichen Auffassungen und taktischen Methoden der Kommunistischen Internationale und der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie erklärt ausdrücklich, dass sie sich an keine anderen Gesetze und Vorschriften gebunden erachtet, als an die ihrer Auftraggeber, die Kommunistische Partei und die in ihr vereinigten [...] Arbeitermassen. Die kommunistische Fraktion erklärt weiter, dass sie die Stadtverordnetenversammlung wie alle übrigen Parlamente des Staates lediglich als Tribüne im Klassenkampf der Arbeiter gegen die kapitalistische Ausbeuter- und Betrügergesellschaft betrachtet. Sie wird auch hier jede sich bietende Gelegenheit benutzen, um den Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse zu führen zu dem Zwecke, die bürgerliche Gesellschaft und den kapitalistisch-militaristischen Klassenstaat zu zertrümmern, die ökonomische und politische Macht in die Hände der Arbeiterschaft zu legen und die Diktatur des Proletariats aufzurichten. [...] Die kommunistische Fraktion will schon heute keinen Zweifel darüber lassen, dass sie die Sozialdemokratie als Verächter der Revolution, als Nutznießer und Mamelucken des bürgerlich-kapitalistischen Klassenstaates nicht als eine Arbeiterpartei anerkennt.“114

Da die kommunistischen Fraktionsmitglieder nicht zum Widerruf dieser Erklärung bereit waren, sondern an ihrer Obstruktionspolitik festzuhalten gedachten, wurden sie drei Wochen später von den Stadtverordnetensitzungen ausgeschlossen. Mit dem Ausschluss der Kommunisten endete zwangsläufig auch ihre Mitarbeit in den städtischen Ausschüssen und Deputationen. Alle noch vorliegenden Anträge der KPD-Fraktion wurden entweder vertagt oder abgewiesen. Proteste der KPD-Fraktion gegen den Ausschluss und die „gewaltsame Entfernung aus dem Sitzungssaale“ blieben unberücksichtigt. Erst als im September 1924 einer der Ausgeschlossenen aus der gemeinsamen Front ausscherte und seine Zustimmung zur Erklärung der KPD-Fraktion widerrief, entschlossen sich auch die übrigen kommunistischen Stadtverordneten im Oktober 1924 zum Widerruf.115 Die KPD-Fraktion hatte politisch nichts erreicht, sondern einen schweren Gesichtsverlust erlitten. Ein weiteres Indiz für die zunehmende Militanz des linken Fischer-MaslowKurses war die Schaffung des „Roten Frontkämpferbundes“ (RFB), der offiziell am 29. Juli 1924 in Halle gegründet wurde.116 Im Gründungsaufruf des RFB hieß es zwar, er habe die Parole „Krieg dem imperialistischen Kriege“ auf seine Fahnen geschrieben, doch weder die Gründung des RFB zu einem Zeitpunkt, als sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum zehnten Male jährte, noch die Antikriegs-Parolen des Gründungsaufrufes waren als generelle Äch114 Sitzungsberichte 1924 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 11. Band, unpaginiert; Stadtverordnetenversammlung vom 2. 6.1924). 115 Ebd. (Stadtverordnetenversammlungen vom 20. 6.1924, 30. 6.1924, 15. 9.1924, 13.10.1924, unpaginiert). 116 1. Vorsitzender des RFB war Ernst Thälmann, 2. Vorsitzender und eigentlicher Leiter der spätere Reichstagsabgeordnete Willi Leow. Im Frühjahr 1925 verfügte der RFB bereits über 225 Ortsgruppen. Vgl. Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 93 f.

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tung von Krieg und Gewalt misszuverstehen. Die KPD-Bezirksleitung HalleMerseburg stellte dazu wenige Tage später fest, Aufgabe des RFB sei es, „Hass gegen den Kapitalismus und damit gegen den Urheber des Völkermordens“ zu schüren. Der RFB solle „nicht mit pazifistischen Phrasen Propaganda gegen den Krieg“ betreiben, sondern „den aktiven Kampf führen gegen die Kriegshetzer“. In mehreren Artikeln der Parteipresse wurden die „Klassenkampf“-Redakteure nicht müde, Pazifismus als „gefährliche Waffe der Bourgeoisie“ zu bezeichnen. Die militante Agitation des Blattes gipfelte schließlich in der entlarvenden Parole: „Nieder mit dem Pazifismus – Gegen den imperialistischen Krieg hilft nur der Bürgerkrieg.“ Der RFB-Bezirksvorstand Halle-Merseburg ging am 31. Juli 1924 aus einer Kundgebung so genannter „Arbeiterfrontkämpfer“ hervor und konnte nach Angaben der KPD-Bezirksleitung bereits während dieser Gründungsversammlung den Beitritt von etwa 1 000 Arbeitern verzeichnen. Die RFB-Gründung in Halle wurde von den übrigen politischen Kräften der Stadt äußerst kritisch kommentiert, so auch von der SPD, die den RFB als Fortsetzung der verbotenen proletarischen Hundertschaften betrachtete. Die KPD wies die Behauptung einer solchen Analogie als Vorwand für ein möglicherweise geplantes Verbot des RFB zurück.117 Die Weichen für weitere innerparteiliche Auseinandersetzungen in der KPD wurden auf dem V. Weltkongress der Komintern (17. Juni – 8. Juli 1924) gestellt. Sinowjew definierte die zur Hauptaufgabe erklärte Bolschewisierung als „Schaffung einer festgefügten, wie aus einem Stein gehauenen, zentralisierten Organisation“ und schöpferische Anwendung des Bolschewismus. Ruth Fischer trat auf dem Kongress mit der Forderung auf, „aus der deutschen Partei eine einheitliche, geschlossene bolschewistische Partei zu machen“.118 Die zunehmende Unterordnung der KPD zeigte sich im Bezirk Halle-Merseburg u. a. darin, dass auf Anweisung von Bela Kun, der sich im Namen der Agitprop-Abteilung des EKKI an die KPD-Zentrale wandte, die Pressearbeit des „Klassenkampf“ seit August 1924 einer schärferen Kontrolle unterzogen wurde. Um Inhalt und Form des Blattes zu kontrollieren, sollten drei Monate lang täglich jeweils drei Exemplare zur Auswertung nach Moskau geschickt werden. Die Ultralinken in der Redaktion des „Klassenkampf“ schreckten dennoch nicht davor zurück, einen Aufruf des EKKI im Dezember 1924 politisch umzufrisieren, indem sie die darin enthaltene verpönte Wendung „Regierung der Arbeiter und werktätigen Bauernschaft“ durch „Diktatur aller Werktätigen in Stadt und Land“ ersetzten.119 Unter dem Schlagwort „Bolschewisierung“ begann zugleich auch eine Auseinandersetzung mit „Luxemburgismus“, „Trotzkismus“ und den spartakistischen 117 Klassenkampf vom 29. 7.1924 (Aufruf „Achtung! Proletarische Frontkämpfer!“); 2. 8.1924 („Roter Frontkämpferbund und Kommunistische Partei“; „Der Pazifismus – eine gefährliche Waffe der Bourgeoisie“; abgedruckte Parole: „Nieder mit dem Pazifismus. Gegen den imperialistischen Krieg hilft nur der Bürgerkrieg“). 118 Geyer, Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung, S. 18 f.; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 84 f.; Nollau, Die Komintern, S. 18. 119 Weber, KPD und Kommunistische Internationale, S. 198, 200.

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Traditionen der KPD. Ausschlaggebend für die Ablehnung des „Luxemburgismus“ waren nicht allein dessen ideologische Unterschiede zum Leninismus, wie sie beispielsweise in Rosa Luxemburgs „Spontaneitätstheorie“, ihrer Ablehnung des Terrors sowie in abweichenden Haltungen zur nationalen Frage und Bauernschaft zum Ausdruck kamen, sondern es sollten auch die auf dem rechten Parteiflügel stehenden spartakistischen Freunde Rosa Luxemburgs getroffen werden. Während der innerparteilichen Auseinandersetzungen in der KPR stellte sich die KPD-Führung auf Sinowjews und Stalins Seite. Die KPD lehnte Trotzkis Theorien als antileninistisch-menschewistisch ab und begrüßte seine Ablösung als Kriegskommissar im Januar 1925.120 In einem Artikel der Moskauer „Inprekorr“, den der hallesche „Klassenkampf“ am 20. Januar 1925 übernahm, wurden Trotzkis Ideen als ideologische Abweichung vom Leninismus interpretiert, die sich in folgenden Irrtümern äußerte: – Unterschätzung der Rolle des Bauerntums, – Unverständnis für die treibenden Kräfte der russischen Revolution, – menschewistische Auffassung der Rolle der Partei, – Verdrehung der Partei- und Revolutionsgeschichte.121 In einem programmatischen Artikel Grigori Sinowjews, den der „Klassenkampf“ ebenfalls abdruckte, hieß es, Bolschewisierung bedeute in der Sowjetunion „ideologischen Kampf gegen den Trotzkismus“ und „Liquidierung des Trotzkismus als einer ‚berechtigten Schattierung‘ in der KPR“. Die Meldung von Trotzkis Absetzung als Kriegskommissar wurde vom „Klassenkampf“ als Wiederherstellung der innerparteilichen Geschlossenheit auf leninistischer Grundlage begrüßt. Ein politischer Richtungswechsel deutete sich auf der Titelseite der nächsten Ausgabe an, als Lenin anlässlich seines ersten Todestages mit einem vorangestellten Stalin-Zitat gewürdigt wurde.122 Am 22. Januar 1925 schließlich veröffentlichte das Blatt eine erste offizielle Stellungnahme des Politbüros der KPD, in der es hieß: „Wir begrüßen die Abberufung Trotzkis von seinem Posten als Volkskommissar für Krieg und Marine, die wir lange erwartet haben. [...] Der Kampf gegen den Trotzkismus ist eine Frage des Kampfes gegen alle Halbheiten und kleinbürgerlichen Abweichungen, die uns gerade in dieser schwierigen Periode an der Erfüllung unserer Aufgaben hindern. In dieser Uebergangsperiode haben wir den unverfälschten Leninismus bitter notwendig. [...] Die deutsche Partei ist solidarisch mit der russischen Partei in ihrem Kampf gegen den Trotzkismus. Die deutsche Arbeiterklasse versteht in ihren besten Teilen diese bolschewistische Härte gegen jeden, der den Aufbau des Sowjetstaates stört. Im Zeichen Lenins hat die russische Arbeiterklasse gesiegt. Im Zeichen Lenins wird die Arbeiterklasse der ganzen Welt siegen.“123 120 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 89–97. 121 Klassenkampf vom 20.1.1925 („Trotzki völlig isoliert“). 122 Klassenkampf vom 20.1.1925 („Was ist Bolschewisierung? Von G. Sinowjew“; „Die KPR einig für den Leninismus! Entscheidung über Trotzki“); 21.1.1925 („Der Genius der Revolution“). 123 Klassenkampf vom 22.1.1925 („Zur Abberufung Trotzkis“).

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Fünf Tage später wurden die Funktionäre des KPD-Bezirks Halle-Merseburg auf die antitrotzkistische Parteilinie eingeschworen. Vor 295 versammelten Genossen hob Pol-Leiter Kurt Rosenbaum die vermeintlich antileninistischen Ansichten Trotzkis hervor und ließ über eine Resolution abstimmen, in der die halleschen Funktionäre Trotzkis Amtsenthebung mit lediglich drei Gegenstimmen und acht Stimmenthaltungen billigten. Die ausbleibende Diskussion und das Stillhalten des rechten Flügels machten deutlich, dass man Trotzkis Demission in der halleschen KPD für zu unerheblich hielt, um eine innerparteiliche Krise heraufzubeschwören. Die von den Versammlungsteilnehmern verabschiedete Resolution enthielt die Forderung, gegen „Versöhnler in den eigenen Reihen“ und gegen schwankende Genossen, die sich der SPD annähern wollten, den „unbarmherzigsten Kampf“ zu führen. Mitglieder, die sich nicht auf der offiziellen Parteilinie befänden, könnten in Zukunft keine Funktionen mehr bekleiden. Rosenbaum informierte die KPD-Zentrale über sein Vorhaben, oppositionelle Funktionäre vorzuladen, um sie zur Anerkennung der Parteilinie zu zwingen oder andernfalls ihrer Ämter zu entheben. Er hatte außerdem vor, politisch abweichende Parteiangestellte bei der Zentrale zu melden, „damit durch Enthebung von ihrem Anstellungsverhältnis die letzten Reste rechter Geschichten liquidiert werden können“.124 Nach Intervention des EKKI sah sich die Parteiführung im April 1925 zu einer abrupten Rechtswendung veranlasst. Ausschlaggebend dafür war die zunehmende Isolierung der Partei, die bei der Reichstagswahl im Dezember 1924 sowie durch rückläufige Mitgliederzahlen und nachlassenden gewerkschaftlichen Einfluss deutlich geworden war. Entgegen der bisherigen Parteilinie sollten von nun an linke Radikalismen in der Gewerkschaftsfrage und bei der Bildung der Einheitsfront überwunden werden. Obwohl die meisten KPD-Bezirke – darunter auch Halle-Merseburg – den Rechtsschwenk des Zentralausschusses billigten, kam es bei dem Versuch, die unter der Führung von Werner Scholem stehenden Ultralinken zu entmachten, zu schweren Fraktionskämpfen in der gesamten Partei.125 Innerparteilichen Abweichlern begegnete man im Bezirk Halle-Merseburg mit Unversöhnlichkeit: Sie wurden durch die Verhängung von Redeverboten mundtot gemacht, während der Kurs der Parteiführung unter den einfachen Parteimitgliedern immer häufiger durch bloße Akklamation zu bereits fertig vorliegenden Resolutionen durchgesetzt werden sollte.126 Der auf dem rechten Parteiflügel stehende Reinhold Schoenlank war bereits im Juli 1924 von seiner Tätigkeit als Parteiredner und Referent entbunden worden. PolLeiter Kurt Rosenbaum begründete dies mit Schoenlanks freundlicher Haltung gegenüber der SPD sowie mit gegenteiligen Auffassungen in der Frage der pro124 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 152; Klassenkampf vom 28.1.1925 („Die Linie der Partei ist festgelegt – An die Arbeit, Genossen! Bericht der halleschen Funktionärversammlung der KPD im ‚Volkspark‘“). 125 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 101–103, 106–111. 126 Volksblatt vom 21. 9.1925 („Kommunistisches Topfschlagen“); 24. 9.1925 („Die Revolte in der KPD“).

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letarischen Diktatur und bolschewistischen Parteiorganisation. Rosenbaum teilte der KPD-Zentrale mit, eine weitere Tätigkeit Schoenlanks „würde das Schicksal der Partei im Bezirk besiegeln“ und es sei daher davon abzuraten, ihn weiter als Kursleiter zu verwenden. Schoenlank forderte die Eröffnung eines Ausschlussverfahrens gegen sich selbst, um die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. Dies wiederum hielt die Bezirksleitung (noch) nicht für nötig und ratsam.127 Über den innerparteilichen Zustand der KPD Halle-Merseburg in den Jahren 1924/25 berichtete ein Parteimitglied rückblickend: „Es war ein eigenartiger, ein beinahe trauriger Zustand, der seit einem Jahre in unseren Parteiversammlungen herrschte. Da dachten und formulierten die Parteiinstanzen – und die disziplinierten Mitglieder fühlten sich nur zum Echo, zu leeren Wiederholungen und Bekräftigungen verpflichtet. Die Diskussion war eine eingelaufene, mechanische Funktion geworden. Die bolschewistische Disziplin [...] war zu einer Farce geworden, zu einer dem Bolschewismus völlig fremden und ihm gegensätzlichen, mehr preußischen ‚Disziplin‘, die sich in einem starren Dekretieren und Parieren auswirkte. [...] Wehe dem, der sich nicht fügte – wenn er nicht flog, wurde er zumindest als ‚Brandlerianer‘, ‚Trotzkist‘ oder sonstwie ‚gebrandmarkt‘. Fest und fertig stand die Meinung der resolut amtierenden Genossen!“128

Auf dem X. Parteitag der KPD, der vom 12. bis 17. Juli 1925 in Berlin tagte, trafen die Linken (Ruth Fischer) und Ultralinken (Werner Scholem) aufeinander. In der bedeutenden Politischen Kommission des Parteitages saßen fast ausschließlich Linke, darunter aus Halle-Merseburg Pol-Leiter Kurt Rosenbaum sowie aus Magdeburg-Anhalt Pol-Leiter August Creutzburg und Org-Leiter Erich Besser. Da es Dimitri Manuilski als Vertreter der Komintern nicht gelang, seine Vorschläge auf dem Parteitag durchzusetzen, sondern dadurch eine Wiederannäherung von Linken und Ultralinken ausgelöst wurde, ließ die Reaktion Moskaus nicht lange auf sich warten. Die Vorwürfe an die Adresse der KPDFührung – Fehler in der Gewerkschaftsfrage und im Verhältnis zur Komintern, Errichtung einer innerparteilichen Diktatur, Unterstützung „antikommunistischer Tendenzen“ der Ultralinken etc. – wurden vom EKKI in einem „Offenen Brief“ zusammengefasst, dem auch das ZK der KPD zustimmte.129 Nach der Veröffentlichung des „Offenen Briefes“ am 1. September 1925 begann im Bezirk Halle-Merseburg die so genannte „Parteidiskussion“.130 Die nach wie vor bestehenden politischen Meinungsverschiedenheiten trafen auf einer Funktionärssitzung, die am 17. September 1925 im halleschen „Volkspark“ stattfand, hart aufeinander: Pol-Leiter Kurt Rosenbaum gab seinen Rücktritt bekannt. Otto Kilian erklärte sich zwar mit der Änderung des politischen Kur127 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 54–59; RY 1/I 2/3/76, Bl. 186. 128 Volksblatt vom 24. 9.1925 („Die Revolte in der KPD“); Leserbrief des KPD-Mitglieds F. Schulz aus Schkeuditz, der am 22. 9.1925 im Klassenkampf veröffentlicht und zwei Tage später vom Volksblatt übernommen wurde. 129 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 114–125; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 2. Band, S. 76–78. 130 Volksblatt vom 8. 9.1925 („Der Kriegsschauplatz in der KPD“).

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ses einverstanden, betonte aber zugleich, „dass vieles in dem Exekutivbriefe nicht richtig sei“.131 Rosenbaum wandte sich noch am selben Tag an das ZK der KPD und begründete seinen Rücktritt damit, dass eine gute Zusammenarbeit mit den meisten Mitgliedern der KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg kaum möglich gewesen sei. Er habe häufig Widerstand vorgefunden und bitte um seine Zurückversetzung ins Ruhrgebiet, von wo man ihn im Juli 1924 gegen seinen Willen nach Halle geschickt habe. Abgesehen vom Jugendsekretär der Bezirksleitung und Max Lademann, den Rosenbaum als guten, wenn auch in politischen Fragen noch etwas schwachen Gewerkschaftssekretär charakterisierte, übergab Rosenbaum dem ZK zum Abschluss seiner Tätigkeit in Halle vernichtende Einschätzungen über die wichtigsten Mitglieder der Bezirksleitung:132 „Paul Richter, Orgsekr[etär], ‚anerkennt‘ jetzt die Beschlüsse, begreift sie nicht [...], stark fraktionell eingestellt, kann als ‚halbultralinks‘ bezeichnet werden. In der Arbeit sehr schwach und schwerfällig. Als Orgsekretär eines größeren Bezirks ganz unmöglich, was ich mehrfach der Z[entrale] mitgeteilt und Austausch verlangt habe. Otto Härtel, UB [Unterbezirks-] Sekretär Halle, erkennt alles an, hat gar keine Stellungnahme, ist gegen Heranziehung von Genossen, scheinbar aus Angst vor fähigen Kräften, vertritt heute diese, morgen jene Meinung, ist vollkommen unfähig. Arthur Sämisch, Bezirkskassierer, erkennt ‚aus Disziplin‘ alles an, politische Null, macht Politik aus ‚moralischen‘ Gründen, großer Spießer, sehr guter Kassierer, müsste als Sekretär ausscheiden und als technischer Angestellter bleiben. [...] Kilian, Landtagsabg[eordneter], nicht ernst zu nehmen, bezeichnet sich als ultralinks, stimmt modehalber dem [EKKI-] Brief zu. Krüger, Hedwig, Landtagsabg[eordnete], nicht ernst zu nehmen, ultralinks, schwätzt sonst sehr viel, schweigt jetzt ‚zweckmäßigkeitshalber‘.“133

Eine endgültige Klärung der künftigen Parteilinie fand an der Spitze der KPDBezirksleitung Halle-Merseburg Ende September 1925 statt: Bei der Wahl des provisorischen Bezirksleiters unterlag Georg Schumann gegen Max Lademann mit 7:16 Stimmen. Eine Entschließung der Bezirksleitung, die sich für die vorbehaltlose Annahme des EKKI-Briefes aussprach, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Die von der ultralinken Gruppe um Otto Kilian eingebrachte Entschließung erhielt dagegen nur eine einzige Stimme.134 Der Parteibezirk Magdeburg-Anhalt sprach sich mit 14:3 Stimmen für den „Offenen Brief“ aus.135 Im Politbüro verloren die Ultralinken ihre Positionen, Repräsentanten der Mittelgruppe stellten nur eine Minderheit der Politbüromitglieder. Ruth Fischer und Arkadi Maslow gehörten dem Politbüro zwar noch bis November 131 132 133 134 135

Volksblatt vom 21. 9.1925 („Kommunistisches Topfschlagen“). SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 126–128. Ebd., Bl. 129. Volksblatt vom 3.10.1925 („Die Auswirkungen des KPD-Kurswechsels“). Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 128.

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1925 an, verloren aber ihren Einfluss, während die eigentliche Führung auf kominterntreue Linke wie Ernst Thälmann und Philipp Dengel überging.136 Mit Max Lademann setzte sich auch an der Spitze des Parteibezirks HalleMerseburg ein kominterntreuer Linker durch. Unter Berücksichtigung seiner Biographie kann man davon ausgehen, dass sich Lademann durch Militanz auszeichnete: Er kam 1920 mit dem linken Flügel der USPD zur KPD, kämpfte 1921 aktiv in der „Märzaktion“ und wurde noch im selben Jahr Sekretär des von radikalen Bergarbeitern dominierten KPD-Unterbezirks Querfurt-Sangerhausen-Mansfeld. Dort organisierte er proletarische Hundertschaften und 1924 den RFB. Aufgrund seiner Teilnahme an den Vorbereitungen für den „deutschen Oktober“ wurde Lademann im März 1924 zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die man ihm aber nach Erringung eines Reichstagsmandats im Mai 1924 erließ. Lademann verfügte aufgrund seiner Funktionen im ADGB und im Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) über gewerkschaftliche Beziehungen, die im Hinblick auf die angestrebte Verbreiterung der kommunistischen Massenbasis sehr vorteilhaft erschienen und zu Lademanns Wahl beigetragen haben dürften.137

1.4

Stalinisierung 1925–1929

1.4.1 Schläge gegen den rechten Parteiflügel Bereits wenige Tage nach seinem Sieg gegen Georg Schumann begann Max Lademann mit eisernem Besen auszukehren: Als Reinhold Schoenlank, der unter Rosenbaum nicht mehr als Referent tätig sein durfte, die Wiederherstellung seiner Rechte verlangte, teilte Lademann dem Politbüro mit, dass gegen Schoenlank nach dem Ende der Parteidiskussion ein Parteiverfahren eingeleitet werde.138 In den Jahren zuvor war Schoenlank nicht immer für einen realpolitischeren und innerparteilich demokratischeren Kurs der KPD eingetreten, sondern er hatte sich selbst an der Durchsetzung der offiziellen Parteilinie beteiligt. So teilte er der VKPD-Zentrale im August 1921 mit, dass er zusammen mit Georg Schumann gegen eine aus früheren USPD-Genossen bestehende LeviGruppe ankämpfen müsse, die heimlich Sabotage betreibe. In gleichem Maße wandte er sich damals gegen die im Bezirk weit verbreitete KAPD-Stimmung und unterwarf die Parteipresse seinen eigenen Angaben zufolge einer scharfen Kontrolle, um opportunistische und ultralinke Anschauungen zu unterdrücken.139 In den folgenden Jahren geriet Schoenlank jedoch immer häufiger in 136 Ebd., S. 126 f., 137. 137 Lehmann, Max Lademann, S. 5–9, 12–15, 19; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 201; Hermann Weber hält Berichte über Lademanns Beteiligung am russischen Bürgerkrieg für „reine Erfindung“. 138 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 135. 139 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/53, Bl. 15–17.

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Konflikt mit dem schwankenden Kurs der KPD-Führung, so auch im Herbst 1925 wegen seiner Tätigkeit für das kryptokommunistische Blatt „Mitteldeutsches Echo“. Der Herausgeber des Blattes – der seit Juni 1924 als „Hospitant“ zur KPD-Stadtverordnetenfraktion in Halle gehörende USPD-Funktionär Carl Kürbs – hatte sich vor der Gründung des „Mitteldeutschen Echos“ (1. Oktober 1924) mit Wilhelm Koenen über dessen Inhalt verständigt und der KPD ein Kontrollrecht eingeräumt. Da dieses Kontrollrecht von der KPD als Zensurgenehmigung ausgelegt wurde und Pol-Leiter Kurt Rosenbaum die publizistische Unterstützung kommunistischer Kampagnen verlangte, beschwerte sich Kürbs im Dezember 1924 beim Politbüro der KPD. Er befürchtete, dass solche Eingriffe den kommunistischen Charakter der Zeitung zu deutlich in Erscheinung treten lassen könnten und beharrte weiterhin auf dem offiziellen Anspruch einer „unabhängigen Tageszeitung“. Rosenbaum wiederum teilte der KPD-Zentrale im Juli 1925 mit, das „Mitteldeutsche Echo“ habe sich zu einem „antibolschewistischen Organ“ entwickelt. Schoenlank und der Redakteur Conrad Finkelmeier bezögen eine politisch „unerträgliche Haltung“, weshalb es die KPD-Bezirksleitung für notwendig gehalten habe, die Zensur über das Blatt zu verhängen. Die Einstellung der Zeitung erschien Rosenbaum nicht ratsam, da sie der örtlichen KPD im Fall eines Verbots ihres Parteiorgans „Klassenkampf“ von Nutzen sein konnte.140 Kürbs und mit ihm drei weitere Mitglieder der kommunistischen Stadtverordnetenfraktion legten im September und Dezember 1925 ihre Mandate nieder.141 Schoenlanks Tage als KPD-Mitglied waren im Oktober 1925 endgültig gezählt. Als Anlass für seinen Parteiausschluss diente ein Artikel im „Klassenkampf“, in dem Schoenlank u. a. die Spaltung der USPD als schweren Fehler bezeichnete und Levis Position nach der „Märzaktion“ unter140 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 150; RY 1/I 3/11/18, Bl. 252; RY 1/I 3/11/55, Bl. 33 a, b; Sitzungsberichte 1924 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 11. Band, unpaginiert; Sitzung vom 2. 6.1924); Krause, USPD, S. 301, 363. Krauses Angabe, der im Oktober 1920 zum rechten Flügel der USPD gehörende Kürbs sei 1922 durch die Verschmelzung von USPD und SPD wieder Sozialdemokrat geworden, beruht auf einem Irrtum, da Kürbs im Oktober 1923 im Namen der USPD-Ortsgruppe Halle um Aufnahme in die KPD ersuchte. Die KPD vereinbarte mit ihm, möglichst den gesamten USPD-Bezirksverband zum Übertritt zu veranlassen, war jedoch auch bereit, sich bei einem Misslingen des Planes mit der USPD-Ortsgruppe Halle zu begnügen. Da Kürbs in einem Schreiben der KPD-Bezirksleitung vom 9. 7.1925 noch immer als „USPMann“ bezeichnet wurde, scheint die geplante Verschmelzung der halleschen USPD mit der KPD gescheitert zu sein. Ein Jahr zuvor – am 2. 6.1924 – war Kürbs der KPDStadtverordnetenfraktion als Hospitant beigetreten und hatte seine Erklärung mit „C. Kürbs, USPD“ unterzeichnete. Er begründete den Beitritt zur KPD-Fraktion damit, dass er sich „nicht wieder als Einzelner von dem Mitarbeiten in der Kommission ausschalten“ lassen wolle, wie dies seit Januar 1923 der Fall gewesen sei. Er habe sich deshalb veranlasst gesehen, „mit einer größeren Fraktion hierüber in Fühlung zu treten“. 141 Sitzungsberichte 1925 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 12. Band, unpaginiert; Sitzungen vom 17. 9.1925 und 7.12.1925). Es handelte sich um die Stadtverordneten Hopf, Richter und Hirsemann. Paul Richter hatte im März 1924 zu den Linken gehört, die gegen ihren Willen in die von der Mittelgruppe beherrschte Bezirksleitung gewählt worden waren. Unter Rosenbaum gehörte er der Bezirksleitung als Org-Sekretär an.

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stützte. Das ZK begründete Schoenlanks Ausschluss damit, dass die Partei jedem verschlossen bleiben müsse, der den Versuch mache, „sich als Agent einer gegnerischen Partei in ihren Reihen zu betätigen und es unternimmt, die Organisation der Partei zu unterminieren“.142 In einer von Bernard Koenen eingebrachten Resolution des Unterbezirks Merseburg, dem Schoenlank angehörte, wurden Schoenlanks „reformistische Auffassungen, [...] sein Versuch, die Liquidierung der KPD durch historische Entstellungen zu beweisen, sowie sein offener Übergang zur antibolschewistischen Front“ verurteilt. Für solche Auffassungen dürfe in der KPD kein Platz sein.143 Möglicherweise war Bernard Koenens Vorgehen gegen Schoenlank auch als Reaktion darauf zu erklären, dass er kurz zuvor selbst im Verdacht der Fraktionstätigkeit gestanden hatte: Anfang Oktober 1925 berichtete Lademann dem Politbüro über Fraktionsbildungen unter Mitgliedern des rechten KPD-Flügels und der Mittelgruppe im Bezirk Halle-Merseburg. Die Verbindungen reichten Lademanns Angaben zufolge bis in das Rheinland und Ruhrgebiet. Lademann bemerkte dazu, es sei schwierig, Beweise vorzulegen, da der Briefwechsel über Deckadressen laufe und die daran beteiligten Genossen das Material nach Empfang vernichteten. Auch Georg Schumann habe über eine Deckadresse Briefe nach Halle geschickt. Als wichtigste Ausgangspunkte rechter Aktivitäten nannte Lademann Irmgard Rasch (Gewerkschaftsredakteurin beim „Klassenkampf“), Hans Höcker (Sekretär der IAH), Kurt Weise (Sekretär der „Roten Hilfe“) und Gustav Borrmann (Leiter der Buchhandlung der Produktiv-Genossenschaft Halle). Weitere Verbindungen im Bezirk bestanden angeblich nach Weißenfels, Sangerhausen, Wittenberg, ferner zu Bernard Koenen (Merseburg), Karl Baumgärtel (Delitzsch) und Otto Heinchen, der im Auftrag von Irmgard Rasch Fraktionen im Mansfelder Land bilden sollte. Ziel der Rechten sei es, die zur Parteiführung stehende Bezirksleitung zu stürzen und nach der Übernahme des Parteiapparates eine gegen die Komintern gerichtete Politik zu betreiben. Treffen der Fraktionsmitglieder fanden nach Lademanns Darstellung unter der Tarnung von „Lenin-Kursen“ statt, die zunächst im Café Wilhelm in Halle begannen und dann in Privatwohnungen fortgesetzt wurden. Lademann hatte die Absicht, Parteiausschlüsse zu beantragen.144 Die ausgeschlossenen Redakteure des „Mitteldeutschen Echos“, Reinhold Schoenlank und Conrad Finkelmeier, erklärten am 1. Januar 1926 ihren Beitritt zur SPD, wofür sie folgende Gründe anführten:

142 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/76, Bl. 187, 189 f. 143 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/19, Bl. 18 f. 144 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 233 f.; RY 1/I 3/11/22, Bl. 118 f. Georg Schumanns Parteikarriere in Halle-Merseburg neigte sich ihrem Ende zu: Er wurde im April 1926 wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD-Zentrale während des „deutschen Oktobers“ verhaftet und fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft gehalten. 1927 wechselte er als Pol-Leiter in den KPD-Bezirk Westsachsen. Vgl. Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 296 f.; Kühn, Georg Schumann, S. 206–213.

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„Die Lage der Arbeiterbewegung in Deutschland wurde in den letzten Jahren durch die Kommunistische Partei in einer verhängnisvollen Weise beeinflusst. Die oft wechselnde Leitung dieser Partei, stets ohne eigene Initiative, war ein gefügiges Werkzeug in den Händen der russischen Politik. Sie, die Kommunisten, mochten glauben, eine Revolutionierung der Welt durch Organisation von blanquistischen145 Abenteuern zu erreichen. Sie spalteten daher die Arbeiterbewegung, schwächten ihre Kampfeskraft und ebneten der Reaktion in der ganzen Welt den Boden für ihre unumschränkte Klassenherrschaft. Diejenigen, die warnend ihre Stimmen in der Kommunistischen Partei erhoben und darauf drängten, den Weg zur Einigung des Proletariats einzuschlagen, wurden kaltgestellt oder ausgeschlossen. [...] Aus diesen Gesichtspunkten heraus erklären wir daher unseren Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. [...] Wir werden bleiben, was wir waren: revolutionäre Marxisten, Sozialisten. Möge unser Schritt ein Ansporn sein für alle die, die ebenso denken wie wir: die Wiedervereinigung der deutschen Arbeiterklasse zu beschleunigen.“146

Als Finkelmeier im Februar 1926 seinen Übertritt zur sozialdemokratischen Fraktion in der halleschen Stadtverordnetenversammlung bekannt gab, erklärte der kommunistische Abgeordnete Günther im Namen der KPD-Fraktion, dass Finkelmeier „wegen unwürdigen Verhaltens“ aus der KPD-Fraktion entfernt worden sei. Weitere Mandatsniederlegungen kommunistischer Stadtverordneter, die offiziell mit der Verlegung des Wohnsitzes oder „Gesundheitsrücksichten“ begründet wurden, folgten im Laufe des Jahres.147 Schoenlank stellte sich auf den linken Flügel der SPD und kämpfte in den folgenden Jahren vergeblich für die Einheit der Arbeiterklasse. Seine früheren KPD-Genossen nahmen es ihm übel, dass er nun als SPD-Referent gegen die KPD auftrat. Auch als Sozialdemokrat folgte Schoenlank seinen persönlichen politischen Überzeugungen, was ihm ein einjähriges Redeverbot eingebracht haben soll.148

1.4.2 Der Kampf gegen die Ultralinken Nach diesen ersten Schlägen gegen Exponenten des rechten Parteiflügels begann sich die Bezirksleitung Halle-Merseburg mit ultralinken Kräften zu befassen. Lademann und die übrigen kominterntreuen Funktionäre der Bezirkslei-

145 Blanquismus: nach dem französischen Sozialisten Auguste Blanqui (1805–1881) benannte radikal-sozialistische Richtung, die sich zur Durchführung der Revolution nicht auf eine Massenorganisation, sondern auf Aktionen einer konspirativen Minderheit stützen wollte. 146 Zit. nach Volksblatt vom 4.1.1926 („Dem Sozialismus gehört die Zukunft. Uebertritt führender Kommunisten zur Sozialdemokratie“). 147 Sitzungsberichte 1926 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 13. Band, unpaginiert; Sitzungen vom 22. 2.1926, 6.12.1926, 20.12.1926). Auf Druck der KPD-Fraktion in der halleschen Stadtverordnetenversammlung legte Finkelmeier sein Mandat am 21. 3.1927 nieder. Vgl. Sitzungsberichte 1927 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 14. Band, unpaginiert; Sitzungen vom 7. 3.1927 und 21. 3.1927). 148 BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 26, 29, 50 a.

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tung konnten sich in ihrem Vorgehen auf Stalin berufen, der zwischen Januar und März 1926 in mehreren Reden vor dem Präsidium des EKKI mit der Fischer-Maslow-Gruppe – der „negativsten aller negativen Gruppen der Kommunistischen Partei Deutschlands“ – sowie mit Werner Scholem und Hugo Urbahns abrechnete.149 Im KPD-Bezirk Halle-Merseburg besaßen die Ultralinken Anfang 1926 vor allem in der Ortsgruppe Zeitz starken Rückhalt. Dies zeigte sich u. a. darin, dass in Zeitz einer der radikalsten Ultralinken, der mittlerweile ausgeschlossene Hannoveraner Iwan Katz, als Korreferent in einer Versammlung auftreten sollte. Die KPD-Ortsgruppe Zeitz intervenierte mehrfach bei der Bezirksleitung, um eine Diskussion über Katz in Gang zu bringen, stieß jedoch auf schroffe Ablehnung. Begründet wurde dies von der Bezirksleitung damit, dass Katz „verbrecherisch“ und „schurkisch an der Partei gehandelt“ habe und wegen parteischädigenden Verhaltens aus der KPD ausgeschlossen worden sei. Im Hinblick auf Parteimitglieder, die mit Katz gebrochen und Reue gezeigt hatten, teilte man den Zeitzer Genossen mit, die Partei werde „um jeden ehrlichen Arbeiter mit heißem Herzen kämpfen, aber Psychopathen, wildgewordene Intellektuelle und Spießbürger [...] mit eiserner Rücksichtslosigkeit ausmerzen“. Die Bezirksleitung informierte das Politbüro darüber, dass Max Benkwitz als Leiter der Ortsgruppe Zeitz im Verdacht stehe, solche „Quertreibereien“ entweder stillschweigend zu dulden oder heimlich zu unterstützen. Sollte die Ortsgruppe Zeitz auf ihrer Haltung beharren, müsse man Benkwitz möglicherweise seiner Funktion entheben.150 Im Parteibezirk Halle-Merseburg stand die große Mehrheit der Unterbezirksleitungen und Ortsgruppen hinter den Beschlüssen des EKKI und dem Kurs des ZK. Allerdings musste der für den 27./28. März 1926 vorgesehene Bezirksparteitag um einen Monat verschoben werden, um die Mitgliedschaft auf die offizielle Parteilinie einschwören zu können. Abgesehen von Zeitz und vorübergehend auch Weißenfels, wo die Ultralinken im Gegensatz zu Zeitz jedoch niedergestimmt werden konnten, beschränkte sich die Opposition im Bezirk auf einzelne Funktionäre, die eine Rechtswendung der Partei befürchteten.151 Zu ihnen gehörte Burkhart Springstubbe, ein früherer Redakteur des „Klassenkampf“, der im April 1926 während einer Versammlung hallescher Kommunisten mit Org-Leiter Max Lademann aneinander geriet. Die von Springstubbe eingebrachte Resolution enthielt alle wesentlichen Merkmale ultralinker Positionen: Anstatt weiter auf die „Stimmzettelillusion“ des Parlamentarismus zu setzen, sei es notwendig, ohne Rücksicht auf die Bestimmungen der Weimarer Verfassung die „Machtfrage in den Vordergrund“ zu rücken. An die Stelle der zweideutigen Parole der „Arbeiter- und Bauernregierung“ müsse die revolutionäre Diktatur der Arbeiterräte treten. Springstubbe solidarisierte sich mit Krupskaja, Sinowjew und Kamenew und forderte volle Diskussionsfreiheit über 149 Stalin, Über den Kampf gegen die rechten und „ultralinken“ Abweichungen; ders., Rede in der deutschen Kommission des VI. Erweiterten Plenums des EKKI. 150 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 172–174. 151 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/2, Bl. 254 f.

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alle mit der innersowjetischen Entwicklung zusammenhängenden Fragen. Er sprach dem ZK und der Bezirksleitung sein Misstrauen aus, da sie „keine revolutionäre Politik“ betrieben, „sondern jede Massenbewegung im Rahmen der Weimarer Verfassung gehalten“ hätten. Dies ziehe letzten Endes die organisatorische Liquidierung der KPD nach sich, was durch die angeblich beschlossene Liquidierung der RGI, des geheimen Militärapparats der KPD und die Entmilitarisierung des RFB bewiesen werde.152 Lademann erstattete dem Politbüro anschließend folgenden Bericht über Springstubbes Äußerungen: „Das Gerede von der ‚relativen Stabilisierung‘ [des Kapitalismus, F. H.] sind menschewistische Fantasien. Die heutige Situation erfordere eine konkret revolutionäre Politik. In der Komintern seien die Dinge so weit gediehen, dass sich Bela Kun in den verschiedensten Artikeln über die Stabilisierung des Kapitals freue. Die Kommunistische Internationale sei sich absolut nicht klar über die Perspektive. Der 14. Parteitag der RKP habe den Kurs zur Liquidierung eingeschlagen. Und wir sehen heute in Russland ein Hinneigen zum Monarchismus. Der Boden wird den Kulaken übergeben, es haben ernste Verhandlungen stattgefunden, den Kulaken noch mehr Boden als bisher zu sichern (Entnationalisierung des Bodens). Die Politik der RKP ist verhängnisvoll. Die NEP wird als 100-prozentiger Sozialismus ausgegeben. Bucharin und Stalin sind Antileninisten geworden, die heute propagieren, die NEP in allen kapitalistischen Staaten einzuführen.“153

Springstubbe blieb völlig isoliert und wurde bald darauf aus der KPD ausgeschlossen.154 Im Vorfeld des Bezirksparteitages (24./25. April 1926) forderten Parteizellen der halleschen Betriebe eine an der Linie des ZK und der Komintern orientierte Bezirksleitung, die „auch alle rechten Tendenzen energisch zurückweist“. Die Gruppe um Ruth Fischer könne infolge ihrer schwankenden Haltung und ihrer „Methode der doppelten Buchführung“ kein Vertrauen beanspruchen, sondern arbeite nur den „ultralinken Antibolschewisten“ in die Hände. Mehrere Ortsgruppen fassten Beschlussanträge, in denen der Ausschluss rechter und ultralinker Gruppen – darunter auch die aus dem Bezirk stammenden Teilnehmer einer Berliner Konferenz der Katz-Gruppe – gefordert wurde. Die KPD-Zelle der Leuna-Werke verlangte, „gegen die parteizersetzenden Methoden und liquidatorischen Auffassungen der Gruppen KorschSchwarz sowie Urbahns-Fischer, zu welcher in unserem Bezirk die Genossen Kilian und Kögler zählen“, energisch vorzugehen.155 Dennoch konnte diese scheinbare Einmütigkeit nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in einigen Parteigliederungen des Bezirks Widerstand regte: Besonders heftiger Widerstand 152 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/21, Bl. 112–117. 153 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 202. 154 Ebd., Bl. 202, 204. Springstubbe soll ausgeschlossen worden sein, weil man ihm vorwarf, unter Pseudonym in einer linkskommunistischen Zeitschrift geschrieben zu haben. Vgl. Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 2. Band, S. 152. 155 Klassenkampf vom 22. 4.1926 („Mehr Vertrauen zur Kampfkraft der Partei! Zur Parteidiskussion in unserem Bezirk“; „Die Leunazelle einmütig hinter den Beschlüssen der Erweiterten Exekutive. Für schärfsten Kampf gegen alle parteizersetzenden Gruppierungen“); 23. 4.1926 („Anträge zum Bezirksparteitag“).

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schlug Org-Leiter Max Lademann auf einer Stadtdelegiertenkonferenz der ultralinken Ortsgruppe Zeitz entgegen. Dort wandte sich die Mehrzahl der Diskussionsredner gegen die Politik des ZK und der Komintern, der man vorwarf, eine Rechtsschwenkung vollzogen zu haben. Auch die in Moskau ausgeklügelte These von der „relativen Stabilisierung“ des Kapitalismus stieß in Zeitz auf Ablehnung, da die Situation in Deutschland nach dem Verständnis der Zeitzer Kommunisten „akut revolutionär“ war. Es herrsche, so hieß es, „eine gewisse Barrikadenstimmung, die die Partei zu revolutionären Kämpfen dränge“. Die Entschließung der Bezirksleitung wurde in Zeitz mehrheitlich abgelehnt, eine Sympathie-Erklärung für die aus der KPD ausgeschlossenen hannoverschen Ultralinken um Iwan Katz dagegen angenommen.156 Auf dem Bezirksparteitag setzten sich die Anhänger des ZK erwartungsgemäß mit überwältigender Mehrheit durch. Ernst Thälmann hielt ein Referat über die politische Lage und die bevorstehenden Aufgaben. Ein Antrag der Ultralinken, ihren Vertreter Kögler als Korreferenten zuzulassen, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.157 Der Bezirksparteitag stellte sich vorbehaltlos hinter die Beschlüsse des EKKI und nahm mit 125:6 Stimmen eine Resolution an, in der es hieß: „Der Bezirksparteitag billigt besonders die durch die Erweiterte Exekutive erfolgte scharfe Verurteilung der unbolschewistischen, kominternfeindlichen Auffassungen und Methoden, wie sie seit dem Erscheinen des Offenen Briefes von einigen ultralinken Führern vertreten wurden und wie sie heute wieder verstärkt von der Gruppe Korsch-RolfSchwarz vertreten werden. Er billigt die bereits getroffenen Maßnahmen des ZK. [...] Ebenso entschieden lehnt der Bezirksparteitag die von der Gruppe Ruth FischerUrbahns vertretenen politischen Ansichten und Auffassungen ab. [...] Gerade die Ruth Fischer-Maslow-Urbahns-Gruppe ist augenblicklich die gefährlichste und schädlichste Gruppierung in unserer Partei, da sie unter dem Deckmantel einer kominternfreundlichen und parteitreuen Argumentation antileninistische und unmarxistische Begriffe und Anschauungen mit aller ihr zu Gebote stehenden Demagogie und Diplomatie in die Partei einschmuggeln will. Diese Gruppe ist weiterhin von dem Unglauben und Pessimismus an die sieghafte Kraft des Proletariats wie an den Aufstieg und sozialistischen Aufbau Sowjet-Russlands behaftet und hindert durch ihr defaitistisches Geschrei [...] die Partei an der Zusammenfassung aller ihrer Kräfte. [...] Der Bezirksparteitag beauftragt die neue Bezirksleitung, mit aller Schärfe gegen die parteifeindlichen Strömungen vorzugehen.“158

Im weiteren Verlauf der innerparteilichen Auseinandersetzung wurden Ruth Fischer und Arkadi Maslow aus der KPD ausgeschlossen. Eine Konferenz der Pol-Leiter und Redakteure aus den Bezirken billigte diese Maßnahme am 27. August 1926 mit 83:7 Stimmen. Die Bezirksleitung Halle-Merseburg unter156 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/2, Bl. 254 f.; Klassenkampf vom 23. 4.1926 („Stadtdelegiertenkonferenz Zeitz“). 157 Klassenkampf vom 26. 4.1926 („Der Bezirksparteitag hat gesprochen. Kampfansage gegen alle Feinde Sowjet-Rußlands – Bekenntnis für die Linie der Komintern – Gelöbnis für revolutionäre Arbeit unter den Massen“). 158 Ebd.

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stützte den Ausschluss mit nur einer einzigen Gegenstimme, da „offene Renegaten in der Partei nichts zu suchen“ hätten. Im KPD-Bezirk Magdeburg-Anhalt fiel das Ergebnis mit 19:4 Stimmen knapper aus. Hier war es vor allem der Ende 1925 abgesetzte Org-Leiter Erich Besser, der sich mit der russischen Opposition solidarisierte. Im Vergleich zu Halle-Merseburg zeigte sich die Linksopposition im Parteibezirk Magdeburg-Anhalt stärker zersplittert: Vor allem in Bernburg, Dessau und Magdeburg fielen neben Ruth Fischers und Arkadi Maslows politischen Vorstellungen auch Theorien von Urbahns, Kötter, Korsch, Katz und Schwarz auf fruchtbaren Boden. Versammlungen, in denen ihre Anhänger aufeinander trafen, wurden in Magdeburg-Anhalt auch von KAPD-Leuten, Mitgliedern der AAU, Syndikalisten und Angehörigen anderer linksradikaler Sekten besucht. Ideologische Übereinstimmung bestand zwischen allen diesen Gruppen hinsichtlich ihres kritischen Verhältnisses zur politischen Entwicklung in der Sowjetunion.159 Die linksoppositionellen Gruppen in der KPD begannen Unterschriften für eine Solidaritätserklärung zugunsten der „Leningrader Opposition“ zu sammeln, die von 700 KPD-Funktionären unterzeichnet und am 11. September 1926 als „Brief der 700“ veröffentlicht wurde. Neben prominenten linken KPDFührern wie Urbahns und Scholem unterschrieben auch die aus dem KPD-Bezirk Halle-Merseburg hervorgegangenen preußischen Landtagsabgeordneten Otto Kilian und Hedwig Krüger. Unter der Losung „Zurück zu Lenin, zum wirklichen echten, unverfälschten Leninismus“ wurde darin festgestellt, dass allein die Leningrader Opposition, d. h. Sinowjew, „die Tradition Lenins wirklich fortsetzt“.160 Unter dem Druck der Parteiführung zogen einige Unterzeichner ihre Unterschrift wieder zurück oder behaupteten, ihre Namen seien ohne ihr Wissen unter den „Brief der 700“ gesetzt worden. Auch Hedwig Krüger teilte dem ZK mit, sie habe „nirgends eine Unterschrift gegeben“. Nur zwei Tage später vollzog sie eine erneute Wendung und erklärte sich mit den Unterzeichnern solidarisch. Für den Fall, dass die KPD-Zentrale Maßnahmen gegen die Unterzeichner ergreifen sollte, bat sie darum, mit ihr „genauso zu verfahren“.161 Eine Resolution der Stadtdelegiertenkonferenz Halle, in der am 19. September 1926 alle Unterzeichner zur Rücknahme ihrer Unterschriften und die Bezirksleitung zu schärferen Maßnahmen gegen eventuelle Verweigerer aufgefordert wurden, erhielt zwar 106 von 142 abgegebenen Stimmen, zeigte jedoch, dass es in Halle noch immer eine starke ultralinke Minderheit gab. Um die Linksoppositionellen zu spalten, enthielt die Resolution neben der Feststellung, dass in einer bolschewistischen Partei keine Fraktionen geduldet werden dürften, auch die Zusage, eine „von der allgemeinen politischen und taktischen 159 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/12/15, Bl. 1, 4, 23 f., 27 f., 49 f., 69–71, 81–84; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 161. 160 Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 162–164. 161 Klassenkampf vom 16. 9.1926 („Fälschungen“); 18. 9.1926 („Aus der Partei. Der Standpunkt der Genossin Krüger vom 14. Sept. und der Standpunkt der Genossin Krüger vom 16. September“).

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Linie der Partei abweichende Meinung im Rahmen der Partei äußern und vertreten zu können“. Der von der Opposition angeführte Mangel an innerparteilicher Demokratie treffe nicht zu, sondern sei eine bewusste Verdrehung. Fraktionszusammenkünfte und die Sammlung bzw. Fälschung von Unterschriften wie im Fall von Hedwig Krüger hätten nichts mit innerparteilicher Demokratie zu tun.162 Die Bezirksleitung versuchte, die Unterzeichner zur Rücknahme ihrer Unterschriften und zur Abgabe von Reue-Erklärungen zu bewegen, in denen sie sich zur Parteidisziplin bekannten, jegliche Fraktionstätigkeit verurteilten und die Verbindung zu den Ausgeschlossenen aufzugeben versprachen.163 Begleitet wurden die Auseinandersetzungen von einer Werbekampagne für Stalins Buch „Probleme des Leninismus“, das Ende September 1926 als fünfter Band der „Marxistischen Bibliothek“ erschien. Der 450 Seiten umfassende Sammelband enthielt Schriften und Referate aus den Jahren 1924 bis 1926, in denen Stalin mit dem linken Parteiflügel um Trotzki, Sinowjew und Kamenew abrechnete.164 Auch Stalins Vorlesungen, die er im April 1924 an der Swerdlow-Universität gehalten hatte, wurden in das Buch aufgenommen. Über die Notwendigkeit innerparteilicher Säuberungen hieß es darin: „[Die] kleinbürgerlichen Gruppen dringen auf die eine oder die andere Weise in die Partei ein und tragen in sie den Geist des Schwankens und des Opportunismus, den Geist der Zersetzung und der Unsicherheit hinein. Sie sind es hauptsächlich, die die Quelle der Fraktionsmacherei und des Zerfalls bilden, die Quelle der Desorganisation und Sprengung der Partei von innen heraus. Gegen den Imperialismus kämpfen, wenn man solche ‚Bundesgenossen‘ im Rücken hat, heißt in die Lage von Leuten geraten, die von zwei Seiten beschossen werden – von der Front und vom Hinterland. Deshalb ist der schonungslose Kampf gegen solche Elemente, ihre Verjagung aus der Partei die Vorbedingung für den erfolgreichen Kampf gegen den Imperialismus. [...] Der Weg zur Entwicklung und Festigung der proletarischen Parteien führt über ihre Säuberung von Opportunisten und Reformisten, von Sozialimperialisten und Sozialchauvinisten, Sozialpatrioten und Sozialpazifisten. Die Partei stärkt sich, indem sie sich von opportunistischen Elementen reinigt.“165

Die Teilnahme der aus Halle-Merseburg stammenden Ultralinken Max Benkwitz, Paul Richter und Frieda Lehmann an der Berliner Reichskonferenz der linken Opposition zog im Dezember 1926 die Einleitung eines Schiedsgerichtsverfahrens nach sich. Die Angelegenheit endete für Benkwitz mit einer Rüge.166 Zugleich setzte sich die Bezirksleitung mit Otto Kilian und seiner Kritik am EKKI und der innersowjetischen Entwicklung auseinander. In der am 16. Januar 162 Klassenkampf vom 20. 9.1926 („Für die Einheit der Partei! Resolution zur Stadtdelegiertenkonferenz der Stadt Halle am 19. September 1926“). 163 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 171. 164 Klassenkampf vom 16. 9.1926 („Zur Parteidiskussion: Stalin: ‚Probleme des Leninismus‘“); 25. 9.1926 („Stalin: ‚Probleme des Leninismus‘“); 28. 9.1926 („Zur Parteidiskussion: Stalin: ‚Probleme des Leninismus‘“). 165 Stalin, Fragen des Leninismus, S. 69 (VIII. Abschnitt: Die Partei). 166 SAPMO-BArch, RY 1/ I 3/11/25, Bl. 241, 243, 246–248; Zimmermann, Der Leninbund, S. 36 f. 167 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/12, Bl. 1–3.

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1927 abgehaltenen Sitzung der erweiterten Bezirksleitung blieb Kilian isoliert und unterlag mit 1:66 Stimmen.167 Die bereits stark dezimierte linke Opposition kam auf dem XI. Parteitag der KPD (2.–7. März 1927 in Essen) kaum noch zu Wort. Ursprünglich hätte der Parteitag bereits im November 1926 stattfinden sollen, er war jedoch nach bewährtem Muster verschoben worden, um die Opposition ausschalten zu können. In den KPD-Bezirken Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt hatten die Bezirksparteitage mit klaren Siegen der ZK-Linie gegen die Linksopposition geendet (118:7 bzw. 85:15 Stimmen). Auf dem Essener Parteitag trat Johannes Schröter – Pol-Leiter der Bezirksleitung HalleMerseburg – mit der Forderung auf, gegen alle rechten und linken Abweichungen schärfstens vorzugehen. Die KPD-Bezirke Halle-Merseburg, Berlin-Brandenburg und Hamburg-Wasserkante stellten den Antrag, Funktionäre, die sich mit Maslow, Scholem etc. solidarisierten, zur Niederlegung ihrer Landtagsmandate aufzufordern und ihnen das Recht zur Ausübung von Parteiämtern für die Dauer eines Jahres zu verwehren.168 Otto Kilian und Hedwig Krüger sowie zehn weitere Landtags- und Reichstagsabgeordnete solidarisierten sich am 17. März 1927 in einer Erklärung mit den in Essen gemaßregelten Linksoppositionellen. Im Gegensatz zu Kilian, der aller Funktionen enthoben wurde, schwenkte Hedwig Krüger nachträglich wieder auf die Linie des ZK ein.169 In den folgenden Wochen hielten Ultralinke aus Weißenfels, die zusehends in das Fahrwasser des Syndikalismus und der KAPD gerieten, in den größeren Städten des Bezirks (Halle, Weißenfels und Zeitz) Versammlungen ab. Die KPD-Bezirksleitung versuchte dieser Versammlungstätigkeit entgegenzuwirken, indem sie zunächst Korreferenten schickte und später die Anweisung herausgab, solchen Veranstaltungen fernzubleiben. Darüber hinaus wurden auch Kilian und Benkwitz im Sommer 1927 wieder aktiv: Es gelang Kilian, in der „Roten Marine“ von Halle Unterstützung zu finden. Er organisierte Versammlungen, auf denen die Linksoppositionellen Ruth Fischer und Paul Schlecht sprachen. Um parteitreue KPD-Spitzel zu täuschen, trafen sich die Oppositionellen des Bezirks in einem bürgerlichen Lokal und meldeten ihre Versammlung als Veranstaltung eines fiktiven Sportklubs namens „Merkur“ an. Auch im Hinblick auf Benkwitz’ ultralinke Aktivitäten verfügte die Bezirksleitung über äußerst detaillierte Informationen, die auf ein gut ausgebautes Spitzelnetz schließen lassen: So ging der Bezirksleitung im August 1927 ein Bericht über eine von Benkwitz geleitete Fraktionssitzung in Zeitz zu, auf der Hugo Urbahns gesprochen hatte. Der Bericht enthielt Informationen über die Teilnehmer der Sitzung, ihre Redebeiträge und die Ausgabe von Mitgliedskarten, die als Vorstufe für eine bevorstehende Abspaltung der Zeitzer Ultralinken betrachtet wurden. Der Spitzelbericht verschwieg auch nicht, dass sich Urbahns und die übrigen Teilnehmer zu Beginn der Sitzung „über die Überwachung 168 Klassenkampf vom 8. 3.1927 („Nach dem Parteitag – an die Arbeit!“); Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 170–177; ders., Der deutsche Kommunismus, S. 282–285. 169 Zimmermann, Der Leninbund, S. 68 f.; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 178.

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durch parteitreue Elemente lustig gemacht“ hätten. Ein Exemplar des Berichts und Fotografien der ausgegebenen Karten reichte die Bezirksleitung an das ZK weiter. Anders als im Fall Kilian zeigte sich die Bezirksleitung gegenüber den Zeitzer Ultralinken, die als „sehr gute Proleten“ eingeschätzt wurden, noch immer nachsichtig. Möglicherweise befürchtete sie, dass die gesamte Ortsgruppe Zeitz durch kompromissloses, hartes Durchgreifen an die Urbahnsgruppe verloren gehen könnte.170 Als Hauptursache für die Krise der KPD machten die halleschen Ultralinken den Vertrauensverlust vieler Mitglieder in die Richtigkeit des politischen Kurses von Partei und Komintern aus. Den Mitgliedern sei die Möglichkeit zur aktiven politischen Mitwirkung genommen worden, indem ihnen die Leitung alles aufoktroyiere. Oppositionellen Mitgliedern habe man ihre Parteirechte entzogen und Redeverbote gegen sie verhängt, so etwa gegen die prominenten Linken Otto Kilian, Frieda Lehmann und Anna Schumann. Durch den auf einer Funktionärssitzung am 9. August 1927 beschlossenen Ausschluss oppositioneller RFB-Mitglieder sei „Pogromstimmung“ im RFB und dem „Roten Frauen- und Mädchenbund“ (RFMB) ausgebrochen. Die Leitung des RFMB, darunter auch Frieda Lehmann und Anna Schumann, wurde abgesetzt. Als neue Leitung bestimmte die KPD-Bezirksleitung Genossinnen, die als politisch zuverlässig galten, dem RFMB aber nicht in jedem Fall angehörten.171 Die Ultralinken sahen sich verbalen Attacken und zunehmend auch Tätlichkeiten ausgesetzt. Gewaltbereitschaft und Hass entluden sich erstmals am 23. August 1927 im Anschluss an eine Sympathiekundgebung für die am selben Tag hingerichteten amerikanischen Anarchisten Sacco und Vanzetti:172 Ein KPD-Unterbezirksleiter beschimpfte Otto Kilian als „Lump“ und drohte, ihm „ein paar in die Fresse zu hauen“. Parteitreue Genossen umstellten das Haus eines KPDMitglieds, bei dem Kilian vermutet wurde, und erkundigten sich nach Kilian. Auf die Frage, was sie von Kilian wollten, erhielt der Genosse zur Antwort: „Kilian ist ein Parteispalter wie Katz. Der kriegt seine Dresche!“173 Zur Vorbereitung des Bezirksparteitages (1./2. Oktober 1927) fasste die Bezirksleitung Anfang September 1927 den Beschluss, Kilian zur Niederlegung seines Stadtverordneten-Mandats innerhalb von drei Tagen aufzufordern. Darüber hinaus sollte ihm das ZK sein Landtagsmandat entziehen. Max Benkwitz 170 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/41, Bl. 61, 66–68, 70; RY 1/I 3/11/25, Bl. 252 f. 171 Nachlass Georg Lehmann (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/2/5, Bl. 45–51). 172 Nicola Sacco (* 1891) und Bartolomeo Vanzetti (* 1888), zwei aus Italien stammende Arbeiter mit anarchistischer Überzeugung, wurden im Mai 1920 unter dem Vorwurf, einen Zahlmeister und einen Wachmann erschossen und beraubt zu haben, verhaftet und im Juli 1921 für schuldig befunden. Mehrere Versuche, eine Wiederaufnahme des skandalös verlaufenen Prozesses zu erreichen, scheiterten in den folgenden Jahren. Auch weltweite Demonstrationen und Interventionen namhafter Persönlichkeiten, darunter Albert Einstein, Thomas Mann und der Vatikan, konnten Sacco und Vanzetti nicht retten. Sie wurden am 9. 4.1927 zum Tode verurteilt und am 23. 8.1927 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. 173 Nachlass Georg Lehmann (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/2/5, Bl. 49 f.).

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war mittlerweile als Pol-Leiter der Ortsgruppe Zeitz durch einen zuverlässigeren Genossen ersetzt worden, beharrte zwar weiterhin auf seinen politischen Ansichten, unterwarf sich im Gegensatz zu Kilian jedoch der Parteidisziplin. In einer Erklärung distanzierte er sich von Urbahns und allen Versuchen zur Parteispaltung. Dieser Sinneswandel war vermutlich damit zu erklären, dass die KPD-Führung Benkwitz nur bei Einstellung seiner Fraktionstätigkeit Unterstützung in einem bevorstehenden Prozess vor dem Reichsgericht in Aussicht stellte. Ende 1927 konnte die Bezirksleitung befriedigt feststellen, dass die Zersplitterung und Schwächung der linken Opposition weiter fortgeschritten war.174 Ein zwischen Kilian und der Bezirksleitung vereinbarter Kompromiss175 sollte nur von kurzer Dauer sein: Schon im Januar 1928 kam es zum endgültigen Bruch mit Pol-Leiter Johannes Schröter und Karl Baumgärtel, der als „Brandlerist“ galt und zu Kilians großer Verbitterung dennoch Mitglied der Bezirksleitung geworden war. Schröter und Baumgärtel sollen Kilians eigenen Angaben zufolge mit der Verbreitung von Enthüllungen gedroht haben, die zum Teil auf angeblich gestohlenem Material beruhten. Nach schweren Auseinandersetzungen mit Schröter erklärte Kilian am 28. Januar 1928 seinen Austritt aus der KPD. Er gab zugleich bekannt, dass er sein Landtagsmandat künftig als „Linker Kommunist“ ausüben werde.176 Zur Begründung führte er an: „Es ist mir unmöglich, weiter die Verantwortung mit zu tragen für die gegenwärtige, einer revolutionären Leninschen Linie entgegengesetzte Politik der Komintern, insbesondere die Methoden der Ausschließungen, Beschimpfungen, Verdächtigungen, Bedrohungen, Verbannungen alter Revolutionäre, kurzum den Stalinkurs. Es ist mir unmöglich, die Politik der KPD und insbesondere die der Halleschen Bezirksleitung zu rechtfertigen, da sie ein Hohn auf die Grundgedanken der revolutionären Arbeiterbewegung, die Aufgaben einer wirklichen Kommunistischen Partei ist und dahin führt, dass die Partei von den Gegnern nicht mehr ernst genommen wird. [...] Ich habe mich in der Partei um die Korrektur der falschen Linie der Stalinpolitik bemüht. Das Ergebnis war, dass ich die Gewaltmethoden dieser Politik zu spüren bekam. Man hat mich unter Entfesselung einer Pogromstimmung bis an den Ausschluss getrieben. Unter dem Bruch der Statuten hat man mich mundtot gemacht, zur Fraktionsarbeit gezwungen. [...] Ich glaube, den Kampf gegen diesen Kurs besser führen zu können, wenn ich mich von dem Gesinnungsterror der Schröter-Klique [sic] befreie, wenn ich als revolutionärer Kommunist, der ich auch nach meinem Schritt bleiben werde, zunächst die Partei verlasse.“177

Die Ereignisse eskalierten am 3. Februar 1928, als Kilian und Urbahns auf einer Versammlung im halleschen Volkspark sprechen wollten: Außer ultralinken Kilian-Anhängern und einer Schutzgarde der ultralinken „Roten Marine“ erschienen auch zahlreiche parteitreue KPD-Mitglieder, KAPD-Leute, SPD-Funktionäre und Anarchisten. Die anwesenden KPD-Mitglieder und die von der 174 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/12, Bl. 11, 16–19, 21–24, 233–235; RY 1/I 3/11/41, Bl. 74–76; Weber, Die Wandlung , 1. Band, S. 181; 2. Band, S. 72. 175 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/37, Bl. 9–18. 176 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/41, Bl. 103, 105 f. 177 Ebd., Bl. 105.

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KPD-Bezirksleitung aufgebotenen RFB-Männer hatten zunächst die Absicht, Urbahns und Kilian gewaltsam von der Rednertribüne zu entfernen. Da sie ihren Plan aufgrund des starken Polizeiaufgebots von 250 Mann nicht durchführen konnten, schlugen sie eine andere Taktik ein und hinderten die Ultralinken durch fünf Stunden anhaltendes Brüllen daran, ihre Reden zu halten. Es brach ein Tumult aus, der Saal wurde geräumt, die Auseinandersetzungen setzten sich vor dem Versammlungslokal fort und gingen in Schlägereien über, die sich die ganze Nacht hinzogen.178 Die KPD-Bezirksleitung fasste am 5. Februar 1928 den Beschluss, 18 Parteimitglieder zum Austritt aus der „Roten Marine“ zu zwingen und bei Weigerung aus der Partei auszuschließen. 12 weitere ultralinke Parteimitglieder wurden sofort ausgeschlossen.179 Die Bezirksleitung rechnete mit Kilian endgültig ab und stellte dazu Informationsmaterial zusammen, in dem nach dem Vorbild stalinistischer Verschwörungstheorien Kilians gesamte politische Biographie als Verrat interpretiert wurde: Kilian habe 1919 „vor dem einziehenden Bluthenker“ General Maercker kapituliert und die Entwaffnung einer roten Matrosenkompanie verfügt. 1921 sei er den kämpfenden Arbeitern in den Rücken gefallen und habe Arbeitertruppen daran gehindert, ihren bedrängten Mansfelder Genossen zu Hilfe zu eilen. Die „Märzaktion“ sei von ihm und Levi als „Putsch der KPD“ verurteilt worden. Immer dann, wenn die Partei in Schwierigkeiten geraten sei, habe Kilian versucht, diese Schwierigkeiten durch „negative Kritik und Nörgeleien zu vergrößern“.180 Anderen Ultralinken gegenüber wandte die Bezirksleitung subtilere Mittel an: Als Hedwig Krüger, die sich zwischen 1924 und 1927 trotz gelegentlicher Rückzüge immer wieder als Exponentin des ultralinken Parteiflügels profiliert hatte, im Februar 1928 eine Stelle im Berliner Parteiapparat übernehmen sollte, intervenierte die Bezirksleitung beim ZK. Die Bezirksleitung wies darauf hin, dass sich Krüger nicht für Sekretariatsarbeiten eigne und „infolge ihrer mangelhaften Tätigkeit“ auch nicht wieder als Landtagskandidatin aufgestellt werde. Ein Denunziantenbericht, in dem man ihr anlastete, beim Friseur Gerüchte über Streitigkeiten in der Bezirksleitung verbreitet zu haben, diente der Bezirksleitung als Anlass, weiteren Druck auf sie auszuüben.181 Politisch isoliert und in wirtschaftlich hoffnungsloser Lage, wandte sich Hedwig Krüger hilfesuchend an das ZK: „25 Jahre meines Lebens habe ich nur der Partei gewidmet, ich habe meine Ehe, meine Familie, meine Freiheit der Partei geopfert und wäre jederzeit bereit, denselben Weg noch einmal zu gehen für meine Partei, und jetzt soll eine persöhnliche [sic] Hetze eines einzelnen Genossen [...] ausreichen, um mich aus der Partei auszuschließen. Genossen, das wäre für mich wohl der bitterste Schlag meines Lebens. Max Lademann hat einmal gesagt: ‚Wen ich stürzen will, der stürzt‘, und das nächste Opfer seiner Rache soll ich 178 179 180 181 182

SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/19, Bl. 94 f.; Zimmermann, Der Leninbund, S. 72. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/12, Bl. 57, 67 f. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/23, Bl. 80, 83 f. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 13–16. Ebd., Bl. 18 (Hervorhebungen im Original).

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sein. [...] Ich stehe mit Kilian weder direkt noch indirekt in Verbindung, meine Ansicht über die Genossen, die die Partei spalten, kennt ihr ja, da bin ich unversöhnlich. Also meine Bitte, helft mir, diese Angelegenheit zu überbrücken.“182 Die Bezirksleitung versicherte dem ZK, es bestehe nicht die Absicht, Hedwig Krüger aus der KPD hinauszudrängen. Man sei aber dennoch „fest davon überzeugt, dass die Genossin Krüger in jeder Stellung versagen“ werde. Dem im Mai 1928 gewählten Preußischen Landtag gehörte sie nicht mehr an.183 Otto Kilian verfolgte seinen politischen Weg unterdessen konsequent weiter und beteiligte sich am 8./9. April 1928 zusammen mit Urbahns, Scholem, Ruth Fischer und anderen an der Gründung des „Leninbundes“, für dessen Organ „Suhler Volkswille“ er schrieb. Vier weitere Kommunisten aus dem Bezirk Halle-Merseburg, die zur Gründung aufgerufen hatten, waren entweder aus der KPD ausgeschlossen worden oder selbst ausgetreten. Auf dem Gründungskongress erklärte Kilian, die KPD „lebe nur noch von der revolutionären Phrase, hinter der kein Wille zur Tat stehe“.184 Der Leninbund beabsichtigte, in allen aussichtsreich erscheinenden Parteibezirken (darunter auch Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt) eigene Kandidatenlisten zu den Parlamentswahlen aufzustellen. Innerhalb der KPD und des RFB sollten Fraktionen gebildet werden. Für oppositionelle RFB-Mitglieder wählte der Gründungskongress eine Reichsleitung, die ein eigenes Organ herausgab.185 Antitrotzkistische Verschwörungstheorien, die aus Moskau lanciert und u. a. gegen den Leninbund vorgebracht wurden, gehörten zu diesem Zeitpunkt bereits zum gängigen ideologischen Inventar der Bezirksleitung Halle: So hatte Pol-Leiter Johannes Schröter im November 1927, als die Aushebung einer Druckerei der russischen Linksopposition in Leningrad bekannt geworden war, in einer erweiterten Bezirksleitungssitzung über die Auffindung trotzkistischer Korrespondenz berichtet, aus der sich angeblich Hinweise auf Trotzkis und Sinowjews internationale Verbindungen zu Ruth Fischer, zu oppositionellen, teils anarchistischen Gruppen in Holland, Frankreich, Italien und der Tschechosloswakei sowie zu weißgardistischen Offizieren und anderen Konterrevolutionären ergaben.186 Das Vorgehen der Geheimpolizei GPU gegen die russische Linksopposition wurde von Schröter gerechtfertigt, indem er sagte: „Wir wissen, dass die GPU eine der wichtigsten Organisationen der Herrschaft der Arbeiterklasse ist. Ohne GPU, die die Verschwörungen in den eigenen Reihen aufdeckt, die untersucht, welche Leute in die Partei hineinwollen usw., ist das Bestehen der Diktatur des Proletariats über183 Ebd., Bl. 20; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 21. 184 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 37; Otto Kilian (StA Halle, Familienarchiv Nr. 5151, unpaginiert); Klassenkampf vom 20. 4.1928 („Die proletarischen politischen Gefangenen der Strafanstalt Sonnenburg gegen den ‚Lenin-Bund‘“); Zimmermann, Der Leninbund, S. 101–103. 185 Volksblatt vom 10. 4.1928 („Die Leninisten. Urbahns gründet einen Lenin-Bund. Eigene Listen für die Parlamente“); Klassenkampf vom 11. 4.1928 („Wahllisten der Verräter“). 186 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/12, Bl. 29 f.

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haupt nicht möglich. Heute sagt Trotzki, die GPU richte ihre ganze Stoßkraft gegen die Opposition und sie verurteilen deshalb das Bestehen der GPU. Auch für uns ist das Bestehen eines solchen Apparates eine Notwendigkeit. Wer keine bösen Geschichten im Sinne hat, der braucht sich vor diesem Apparat nicht zu fürchten, sondern der muss begrüßen, dass unsere Partei dadurch geschützt wird.“187 In einem Rundschreiben an die Ortsgruppen, Unterbezirks- und Stadtteilleitungen des Parteibezirks Halle-Merseburg hieß es, der Parteiausschluss von Trotzki und Sinowjew sei die notwendige Konsequenz ihrer parteifeindlichen Arbeit und fortgesetzten Hetze gegen den Sowjetstaat. Um nicht die Diktatur des Proletariats zu gefährden und die Sowjetunion imperialistischen Mächten auszuliefern, habe Trotzkis „verbrecherischer“ Kurs nicht weiter geduldet werden können. Die Ortsgruppen sollten sich anhand von sowjetischem Propagandamaterial, das der KPD zur Verfügung gestellt wurde, in der offiziell erwünschten Art und Weise zur Entmachtung der sowjetischen Linksopposition äußern.188 Der von den Stalinisten erhobene Vorwurf des „Trotzkismus“ traf auf den Leninbund nur bedingt zu. Der Bund stellte sich ausdrücklich auf die theoretische Grundlage des Leninismus und lehnte die stalinistische These vom Aufbau des Sozialismus in einem Land als „nationale Beschränktheit“ und Revision des Marxismus-Leninismus ab. Kleine Gruppen des Leninbundes bildeten sich in mehreren Orten des Bezirks Halle-Merseburg, so in Halle und Zeitz. Max Benkwitz und die Mehrheit der Zeitzer Linken stellten sich jedoch auf die Seite des ZK. Mitgliedern des Leninbundes in Zeitz ging ein Schreiben von Max Lademann zu, in dem er ihnen als „Handlangern der Bürgerblockbourgeoisie“ mitteilte, dass sie wegen „Fraktions- und Spaltungsarbeit“ aus der KPD ausgeschlossen worden seien. Im KPD-Bezirk Magdeburg-Anhalt konnte der Leninbund in Bernburg, Dessau und Magdeburg Fuß fassen. Bereits im Mai 1928 kam es innerhalb des Leninbundes zu ersten Spaltungen, als Ruth Fischer, Arkadi Maslow, Werner Scholem und andere prominente Linke ihren Austritt erklärten. Die Hochburg des Leninbundes im Unterbezirk Suhl ging durch den Anschluss der Mitglieder an die SPD verloren. Als Hugo Urbahns 1930 erklärte, die Sowjetunion habe aufgehört, ein Staat der Arbeiter zu sein, trat der trotzkistische Flügel der Organisation aus und formierte sich im März 1930 unter dem Namen „Vereinigte linke Opposition der KPD“.189

187 Ebd., Bl. 30. 188 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/38, Bl. 115 f. 189 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 11; RY 1/I 3/12/15, Bl. 87; Untersuchungsberichte Juni 1952–Febr. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1861, unpaginiert; Schreiben des „Freiheit“-Redakteurs Fleischer an die BPKK vom 9. 6.1954); Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 181–185; 2. Band, S. 181.

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1.4.3 Gegen Rechte und „Versöhnler“ Die Zusammenarbeit kominterntreuer Linker mit einer kleinen Gruppe gemäßigter Parteiführer war auf dem Essener Parteitag (März 1927) zwar offiziell sanktioniert worden, doch die Parteiführung hielt es nach der Eliminierung der Ultralinken für notwendig, die in der Partei verbliebenen Rechten und die ihnen nahe stehenden „Versöhnler“ als potentielle Kritiker einer stalinistischen Orientierung der KPD auszuschalten. Stalin und die Komintern stützten sich auf Thälmann und verhalfen damit nach der Entmachtung der Ultralinken paradoxerweise einem ultralinken Kurs in der KPD zum Durchbruch. Während der Tagung des 9. EKKI-Plenums im Februar 1928 bezeichnete Stalin den rechten Flügel der KPD als Hauptgefahr. In einem am 29. Februar 1928 geschlossenen Geheimabkommen kam die KPD-Delegation mit der sowjetischen Delegation überein, „die verschärfte Aufmerksamkeit der Parteimitglieder auf den Kampf gegen die rechte Gefahr in der Partei [...] zu lenken“. Jede „Duldsamkeit gegenüber den Trägern der rechten Gefahr“ sei auszuschließen. Die Auswahl der Parteifunktionäre, der Reichstagsabgeordneten und Mitarbeiter der Gewerkschaftsabteilung, in der viele Mitglieder des rechten Parteiflügels tätig waren, müsse diesen Forderungen entsprechen. Außer Thälmann und weiteren Linken unterzeichneten unter sowjetischem Druck auch Arthur Ewert und Gerhart Eisler als führende Vertreter der Versöhnler dieses Abkommen.190 Damit war die Entmachtung der Rechten und Versöhnler in der KPD bereits beschlossene Sache, noch bevor sie im Anschluss an die so genannte „WittorfAffäre“ (September 1928) mit Hilfe von Parteiausschlüssen und Degradierungen durchgesetzt wurde. Der innerparteilichen Abrechnung voraus ging der VI. Weltkongress der Komintern (17. Juli – 1. September 1928), auf dem die Komintern analog zu Stalins Angriffen gegen den rechten Flügel der KPdSU eine Linkswendung vollzog. Thälmann griff während des Kongresses den rechten Flügel der KPD an, dem er „Opportunismus“ und „Renegatentum“ vorwarf. Ewert verteidigte die Versöhnler, verlangte mehr innerparteiliche Demokratie und warnte vor künftigen Fraktionskämpfen. Komintern-Chef Nikolai Bucharin unterstützte zwar Thälmann und dessen Angriffe gegen den rechten Flügel, sprach sich jedoch gegen die Verdrängung des Versöhnlers Ewert aus der Parteileitung aus. Die enge Verzahnung des parallelen Vorgehens gegen den rechten Flügel der KPdSU und der KPD sollte wenig später durch den Vorwurf, Bucharin habe die Ausschaltung der „Opportunisten“ und „Versöhnler“ in der KPD hintertrieben, erneut unter Beweis gestellt werden. Bucharin, Rykow und Tomski wurden auf dem April-Plenum 1929 als „rechte Opportunisten“ ausge-

190 Weber, KPD und Kommunistische Internationale, S. 204 f., 207 f.; ders., Die Wandlung, 1. Band, S. 186 f., 191.

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grenzt und ihrer Funktionen enthoben. Bucharin verlor seine Funktion im EKKI und wurde im November 1929 aus dem Politbüro ausgeschlossen.191 In der KPD spitzte sich der Kampf zwischen Linken und Rechten im Herbst 1928 zu: Die Exponenten des rechten KPD-Flügels kritisierten vor allem die um sich greifende Bürokratisierung innerhalb der KPD, KPdSU und Komintern, den Mangel an innerparteilicher Demokratie und die gängige Praxis, Ämter und Delegiertenposten ohne vorherige Abhaltung von Wahlen auf Weisung der Parteiführung zu vergeben. Eine Gelegenheit zur Änderung des politischen Kurses durch die Absetzung von Thälmann bot sich dem rechten Parteiflügel und den Versöhnlern im September 1928, als Thälmann wegen der Vertuschung einer Geldunterschlagung seines engen Freundes John Wittorf im KP-Bezirk Wasserkante in Schwierigkeiten geriet. Der von Albert Bassüner, einem aus dem Parteibezirk Halle-Merseburg stammenden ZK-Kandidaten, unterstützte Antrag, Thälmann aus der Partei auszuschließen, erwies sich auf dem ZK-Plenum vom 26. September 1928 zwar als nicht durchsetzbar, doch es wurde der Beschluss gefasst, Thälmanns Funktionen vorläufig ruhen zu lassen. Da Stalin zugunsten von Thälmann intervenierte, stellte sich das EKKI nicht nur hinter Thälmann, sondern es verurteilte zugleich auch die Haltung des rechten und versöhnlerischen KPD-Flügels. Auf einer Sitzung der erweiterten Bezirksleitung von Halle-Merseburg trafen am 11. Oktober 1928 Vertreter der drei Parteiflügel aufeinander: Der als Emissär des Thälmann-Flügels angereiste Walter Ulbricht warf den Rechten und Versöhnlern in der KPD vor, Fraktionspolitik zu betreiben und die Wittorf-Affäre für eine Änderung des politischen Kurses ausnutzen zu wollen. Pol-Leiter Johannes Schröter verteidigte demgegenüber die Einleitung einer Untersuchung gegen Thälmann und nahm die von Ulbricht angegriffenen Versöhnler in Schutz. Er verwahrte sich gegen die Behauptung, nicht konsequent genug gegen rechte Strömungen in der Partei vorgegangen zu sein und kündigte weitere Auseinandersetzungen mit Bassüner an. Schröters Kritik galt auch dem diktatorischen innerparteilichen Kurs der Thälmann-Führung, der die KPD „aktionsunfähig“ machen werde. Bucharin zitierend führte Schröter aus, wer „mit rein organisatorischen Mitteln jeden Widerspenstigen oder Andersdenkenden in der Partei“ erledigen wolle, werde „aus der Partei eine Partei von gehorsamen Dummköpfen machen und dabei die Kommunistische Partei zugrunde richten“. Bassüner wies darauf hin, dass die Eliminierung des rechten Flügels und der „Unterdrückungsfeldzug gegen kritische Elemente“ bereits seit längerer Zeit geplant gewesen seien. Die „Politik des Still- und Maulhaltens der Kriegsimperialisten von 1914“ feiere nun ausgerechnet in der KPD ihre Wiederauferstehung.192 Am 18. Oktober 1928 hob das ZK der KPD den Beschluss zur Amtsenthebung Thälmanns mit 25:6 Stimmen wieder auf. Gegen die Aufhebung des Be191 Hedeler/Stoljarowa (Hg.), Nikolai Bucharin, S. 7–9, 112–115, 229–231; Geyer, Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung, S. 34; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 195–199. 192 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/12, Bl. 145–165; Becker, Heinrich Brandler, S. 280 f.

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schlusses stimmten u. a. Johannes Schröter, Albert Bassüner und der aus Halle-Merseburg hervorgegangene Georg Schumann. Das ZK forderte vom Politbüro personelle Umbesetzungen zu Lasten der Rechten, die als „Agenten des Feindes im eigenen Lager“ verleumdet wurden, sowie Maßnahmen gegen die Versöhnler. Trotz der Entscheidung des ZK solidarisierten sich im Herbst 1928 mehrere KP-Zeitungen, Orts- und Bezirksleitungen mit dem gemaßregelten rechten oder versöhnlerischen Flügel. Mit Ausnahme des halleschen Parteiorgans „Klassenkampf“ gelang es der Thälmann-Fraktion jedoch, im Herbst 1928 die gesamte Parteipresse unter ihre Kontrolle zu bringen. Halle-Merseburg blieb zunächst noch eine Hochburg der Versöhnler, während die Bezirksleitung Magdeburg-Anhalt geschlossen auf der Seite des ZK stand.193 Die Geschlossenheit der versöhnlerischen Bezirksleitung von Halle-Merseburg zeigte Anfang November 1928 erste Risse: Der vom Politbüro entsandte Hermann Remmele konnte seinen Auftraggebern am 6. November 1928 melden, dass Org-Sekretär Max Lademann sich „in allen politischen Fragen scharf und rücksichtslos“ gegen die Versöhnler gewandt habe. Besonders bei Pol-Leiter Johannes Schröter, der nach Remmeles Einschätzung „in einer verteufelten Lage“ steckte, lagen die Nerven blank: Als er die Versöhnler zu verteidigen versuchte, erlitt er während einer Sitzung der Bezirksleitung „einen Zusammenbruch und Wutanfall“ und legte seine Funktion nieder. Er nahm sein Amt erst wieder an, als ihm die Bezirksleitung das Vertrauen aussprach. Bei der Formulierung einer gemeinsamen Erklärung bekam Schröter Remmeles Angaben zufolge „wieder einen Anfall“, worauf die Sitzung unterbrochen werden musste.194 Schröter und Remmele standen sich am 25. November 1928 in einer Sitzung der erweiterten Bezirksleitung erneut gegenüber. In einer Abstimmung unterlag Remmele zwar mit 7:40 Stimmen gegen eine von den Versöhnlern unterstützte Resolution. In einigen Unterbezirken deutete sich Anfang Dezember jedoch bereits ein Umschwung zugunsten der Thälmannschen Linie an, so bei Abstimmungen auf den Unterbezirkskonferenzen von Halle-Saalkreis, Weißenfels-Zeitz und Torgau-Liebenwerda. Andere Unterbezirke (Merseburg, Mansfeld, Sangerhausen-Nordhausen und Wittenberg-Bitterfeld) standen dagegen weiterhin auf der Seite der Bezirksleitung.195 Albert Bassüner wurde als prominenter Vertreter des rechten Flügels am 29. Dezember 1928 aus der KPD ausgeschlossen. Anhaltende Diskussionen und Aktivitäten in Bassüners Ortsgruppe Wittenberg ließen es aus der Sicht der Parteiführung geraten erscheinen, im 193 Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO), S. 86–89; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 207–209. 194 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 49. 195 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/19, Bl. 112–123; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 213 f. Mehrheitlich für das ZK entschieden sich Halle-Saalkreis mit 44:18, Weißenfels-Zeitz mit 24:18 und Torgau-Liebenwerda mit 21:0 Stimmen. Mehrheitlich für die Bezirksleitung Halle-Merseburg entschieden sich Merseburg mit 32:3, Mansfeld mit 27:15, Sangerhausen-Nordhausen mit 15:3 und Wittenberg-Bitterfeld mit 37:1 Stimmen. Auf der Unterbezirkskonferenz Wittenberg-Bitterfeld wurden außerdem noch 5 Stimmen für die Rechten abgegeben.

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Januar 1929 durch die Entsendung von Franz Dahlem erneut zu intervenieren. Nach einem Referat Dahlems stellten sich die Teilnehmer der erweiterten Bezirksleitungssitzung am 15. Januar 1929 hinter den „Offenen Brief des EKKI über die rechte Gefahr in der KPD“. Eine Resolution Schröters, in der sich die Bezirksleitung gegen den vom EKKI erhobenen Vorwurf des Versöhnlertums im KPD-Bezirk Halle-Merseburg verwahrte, wurde von der Versammlung mit 31:15 Stimmen angenommen. Die Resolution enthielt die Feststellung, dass – anders als vom EKKI im „Offenen Brief“ behauptet – „der Einfluss der Rechten nicht stärker, sondern schwächer geworden“ sei und die Bezirksleitung ihre „unversöhnliche Haltung [...] gegen den hauptsächlichsten Träger der rechten Gefahr im Bezirk, [Albert] Bassüner“ durch dessen Parteiausschluss unter Beweis gestellt habe. Es wurde nicht nur „eine breit angelegte systematische ideologische Kampagne zur Ueberwindung der opportunistischen Gefahr in der KPD“ sowie die „systematische Ueberwindung jeder versöhnlerischen Stellung gegenüber den Rechten“ gefordert, sondern zugleich auch die „weitgehendste Anwendung der innerparteilichen Demokratie, die Entfaltung der Selbstkritik“, was eine eiserne Parteidisziplin nicht ausschließe, sondern voraussetze.196 Obwohl Franz Dahlems wesentlich schärfer formulierte Resolution auf der Versammlung nur 15 Stimmen erhalten hatte, wurde sie vom „Klassenkampf“ dennoch veröffentlicht: „Die BL [Bezirksleitung, F. H.] stellt fest, dass auf Grund der unklaren Stellung, die monatelang zwischen dem ZK der Partei und der BL bestand, hervorgerufen insbesondere auch durch die Stellung des Pol-Leiters des Bezirks, des Genossen Schröter, zur Linie und zur Taktik der Partei, die Rechten im Bezirke diese Differenzen ausnutzen konnten, um ihre offene fraktionelle Arbeit besser zu organisieren. So brachten es die Genossen König und Drescher in der Frage der Festlegung der Forderungen im Metallarbeiterkampf fertig, der BL eine bestimmte Taktik aufzuzwingen. [...] Die BL erklärt, dass sie eine Reihe von politischen Auffassungen ablehnt, wie sie der Genosse Hans Schröter durch seine gemeinsamen Abstimmungen mit der Gruppe der Versöhnler in den Sitzungen des ZK, auf der Reichskonferenz und in dem bekannten Dokument der sieben Versöhnler [...] zum Ausdruck gebracht hat.“197

Wenige Tage später wurden die von Dahlem erwähnten Paul Drescher und Georg König – König war 1918 Teilnehmer des KPD-Gründungsparteitages gewesen und amtierte seit 1928 als Geschäftsführer der halleschen Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV)198 – aus der Partei ausgeschlossen. Beide hatten eine kritische Haltung zum VI. Weltkongress eingenommen und sich geweigert, die kommunistische Gewerkschaftspolitik mitzutragen. Andere Abweichler wurden vom Sekretariat der Bezirksleitung ultimativ zur Anerkennung ihrer Fehler, Beachtung der Parteidisziplin, der Beschlüsse des ZK, 196 Klassenkampf vom 19.1.1929 („Für den Offenen Brief“); Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 67 f. 197 Klassenkampf vom 21.1.1929 („Für den Offenen Brief“). 198 Nachlass Georg König (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/10/1, Bl. 63).

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des Programms der Komintern etc. aufgefordert oder mit Parteiausschluss bestraft.199 Die Versöhnler im KPD-Bezirk Halle-Merseburg verloren nun endgültig ihre Mehrheit. Im persönlichen Umgang der Bezirksleitungsmitglieder untereinander trat eine weitere Verschärfung ein. Ende März 1929 geriet der harte Kern der Versöhnler – Pol-Leiter Johannes Schröter, Agitprop-Sekretär Karl Baumgärtel und Rudolf Sachs – in den Verdacht, sich zu einer Fraktionssitzung verabredet zu haben. Zwei dem Thälmann-Flügel angehörende Sekretariatsmitglieder überwachten das Haus, in dem Sachs wohnte, bis dieser um 2 Uhr morgens vom Skatspielen zurückkehrte. Von Sachs zur Rede gestellt, führten die beiden Bewacher zu ihrer Rechtfertigung an, sie hätten es für ihre Pflicht gehalten, „verdächtigen Erscheinungen auf den Grund zu gehen“. Sachs beschwerte sich bei Lademann, verlangte eine Abstellung der „Lumpen-Methoden“ und verständigte auch Schröter und Baumgärtel. Diese beschimpften die beiden Spitzel als „Schufte“, „Gesindel“ etc. und drohten ihnen im Fall weiterer Überwachungsmaßnahmen mit der Anwendung von Gewalt (Baumgärtel: „Den ersten, der mir vor die Augen kommt und mich bespitzelt, schieße ich über den Haufen“). Schröter verlieh Baumgärtels Drohung Nachdruck, indem er einen Revolver aus der Schublade nahm und ihn einem der Spitzel vor die Augen hielt. Lademann, der nach Schröters Auffassung Anweisungen zur Überwachung von Parteimitgliedern erteilt hatte, nutzte die sich bietende Gelegenheit und berichtete dem Politbüro über seine „Vermutung fraktioneller Arbeit“. Schröter habe die Absicht, „jede Möglichkeit der praktischen Parteiarbeit zu unterbinden“.200 Unklarheiten über die wahren Hintergründe der ideologisch verbrämten Auseinandersetzungen bestanden bei vielen Parteimitgliedern zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr. In einem Bericht über Äußerungen von Mitgliedern der Unterbezirksleitung Delitzsch, die von den Versöhnlern um Karl Baumgärtel dominiert wurde, hieß es im April 1929: „Alle politischen Differenzen zwischen der Thälmannklique [sic] und den Genossen der Versöhnlergruppe seien von der Mehrheit des ZK an den Haaren herbeigezogen worden, es seien nur Haarspaltereien, um die Mitglieder gegen die Gegner Thälmanns aufzuputschen. Wenn in der Bezirksleitung Halle-Merseburg heute eine Mehrheit für das ZK vorhanden sei, so sei das darauf zurückzuführen, dass die angestellten Genossen aus Angst, ihre Stellung zu verlieren, umgefallen seien. [...] Auch die Komintern mache Fehler. Das sei besonders im Falle Trotzki der Fall. Die Sowjetregierung habe Trotzki nur deswegen in das kapitalistische Ausland verbannt, weil sie ihn in der Sowjetunion fürchte, in diesem Punkte habe die SPD-Presse absolut recht. Lademann sei ein Mensch, der absolut unfähig sei und niemals den Bezirk führen könne. [Alfred] Grade sei deswegen umgefallen, weil er eine neue Wohnung in Halle habe und sich deswegen seine Stellung sichern müsse.“201

199 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/40, Bl. 41–44; Klassenkampf vom 25.1.1929; 4. 2.1929 („Aus der Partei“). 200 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 70–72; RY 1/I 3/11/40, Bl. 90 f. 201 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/21, Bl. 229.

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Max Lademann und Alfred Grade (Chefredakteur des „Klassenkampf“), die zunächst zur Gruppe der Versöhnler gezählt hatten, konnten ihre Positionen im Bezirk halten, weil sie auf die Linie des ZK einschwenkten. Auf dem Bezirksparteitag (27./28. April 1929) stellten die verbliebenen Versöhnler um Johannes Schröter, Bernard Koenen und Karl Baumgärtel nur noch 10 Delegierte, denen 110 Anhänger der ZK-Linie gegenüberstanden. Nur zwei Tage nach dem Ende des Bezirksparteitages erhielten Schröter, Baumgärtel und Sachs ihre von Max Lademann unterzeichneten Kündigungsschreiben. Bernard Koenen wurde in die Genossenschaftsarbeit abgeschoben, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder Wilhelm, der sich auf die Seite der Parteimehrheit stellte und 1929 Schröters Nachfolge antrat.202 Prominente Exponenten des rechten KPD-Flügels wie Heinrich Brandler, August Thalheimer und andere wurden zur Jahreswende 1928/29 aus der Partei ausgeschlossen. Bei den anschließenden Säuberungen wurden gegen etwa 6 000 Mitglieder Parteiausschlüsse verhängt. Etwa die Hälfte der aus der KPD ausgeschlossenen Mitglieder sammelte sich in der am 30. Dezember 1928 gegründeten Kommunistischen Partei-Opposition (KPO). Abgesehen von Sachsen, Hessen und der KPO-Hochburg Thüringen blieb die neue Partei fast überall in Deutschland eine unbedeutende Splittergruppe. In Halle-Merseburg existierte zwar eine KPO-Bezirksorganisation, der Schwerpunkt des Mitgliederbestandes beschränkte sich jedoch auf Wittenberg. Dort gelang es im Februar 1929 dem früheren ZK-Kandidaten Albert Bassüner, der nun führendes Mitglied der KPO war, sein Amt als ADGB-Vorsitzender gegen den Widerstand der KPD zu behaupten. Brandler und Bassüner hielten in Wittenberg und Piesteritz Versammlungen ab, die großen Zulauf fanden. Auf einer von 500 Zuhörern besuchten öffentlichen Versammlung erklärte Brandler am 26. März 1929, Parteidisziplin bedeute in der KPD „Hände an die Hosennaht und Heil Thälmann“. In Wahrheit verteidige der rechte Parteiflügel den Leninismus gegen die ultralinke Revision. In der Diskussion warf ein parteitreuer Redner einem der KPO angehörenden Betriebsrat vor, er habe sich geweigert, „Zahlen über die Rüstungen im Stickstoff- und Sprengstoffwerk zu nennen“. Dieser Vorwurf implizierte mangelnde Verbundenheit zur Sowjetunion, die mit Hilfe kommunistischer Informanten Industrie- und Militärspionage in Deutschland betrieb.203 Durch Austritte und Ausschlüsse verlor die mitteldeutsche KPD einige ihrer namhaftesten Mitglieder: So wurde der in Piesteritz wohnhafte Parteiliterat Hans Lorbeer aus der KPD ausgeschlossen, weil er für das KPO-Organ „Arbeiterpolitik“ geschrieben hatte.204 Der frühere Agitprop-Sekretär der KPD-Bezirksleitung Karl Baumgärtel und der Gewerkschaftsfunktionär Georg König 202 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 74, 76 f.; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 222; 2. Band, S. 16 f., 68, 141, 186–188, 201, 291. 203 SAPMO-BArch, RY 1/ I 3/11/19, Bl. 150–152; Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO), S. 92–101, 115, 119; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 67 f. 204 Behrens, Johannes R. Becher, S. 123–126.

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traten nach ihrem Parteiausschluss der KPO bei. Solche Übertritte prominenter Parteimitglieder konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die KPO in den Bezirken Halle-Merseburg und Magdeburg-Anhalt über keinen Masseneinfluss verfügte. Beide Bezirke und Niedersachsen stellten zusammengenommen lediglich fünf Prozent aller KPO-Mitglieder. Die KPO verstand sich als die eigentliche kommunistische Partei in Deutschland, sie trat für eine aktive Arbeit innerhalb der bestehenden freien Gewerkschaften ein und bezog eine distanzierte Haltung zum Stalinismus. Wie die KPD hielt sie jedoch am Ziel der Diktatur des Proletariats, dem Prinzip des demokratischen Zentralismus und der Ablehnung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie fest. Dies hinderte die KPD und Komintern aber nicht, KPO-Mitglieder als „Sozialfaschisten“, „Anarcho-Syndikalisten“ und „übelste Agenten des Klassenfeindes“ zu verleumden. Vor allem in den Jahren 1929 und 1930 kam es zu brutalen Überfällen von KPD-Schlägertrupps auf KPO-Versammlungen und zu schweren Ausschreitungen gegen ihre Redner und Funktionäre.205 Der Kampf gegen Abweichler wurde in der KPD konsequent und unnachgiebig geführt: Seit 1927 gab es eine regelmäßig stattfindende „Reichskontrolle“. Ziel dieser Überprüfungen war die Säuberung der Partei von unzuverlässig erscheinenden Funktionären, an deren Stelle bedingungslos ergebene Apparatschiks treten sollten.206 Bei der Überwachung von Abweichlern spielte auch der seit 1920 bestehende illegale Militärapparat der KPD („M-Apparat“) eine wichtige Rolle. Zum M-Apparat gehörten mehrere Unterabteilungen, die sich mit Informationsbeschaffung, Zersetzung von Polizei und Reichswehr, Zersetzung der übrigen Arbeiterparteien und Unterwanderung rechtsorientierter Gruppen befassten. Teil des Geheimapparats der KPD war außerdem der für Terror zuständige „T-Apparat“, der Sabotageakte und politische Morde verübte. Mord als politisches Kampfmittel gegen Abweichler und Spitzel aus den eigenen Reihen konnte der KPD bereits im Frühjahr 1925 im so genannten „Tscheka-Prozess“ vor dem Leipziger Reichsgericht nachgewiesen werden. Nach dem Geständnis eines der Angeklagten sollen die Mitglieder der deutschen Tscheka bei ihren Aktionen von sowjetischen Spezialisten angeleitet worden sein und sich mit der deutschen Parteiführung abgestimmt haben. Fememorde an abtrünnigen Kommunisten waren noch bis zum Ende der Weimarer Republik an der Tagesordnung. Der M-Apparat der KPD wurde gegen innerparteiliche Gegner eingesetzt, indem er Briefe an Oppositionelle abfing, Wohnungen durchsuchte, Überfälle organisierte und oppositionelle Versammlungen ausspionierte. Politische Gegner, Spitzel, Provokateure, Denunzianten und Abweichler aus den eigenen Reihen wurden vom M-Apparat auf „Schwarzen Lis-

205 Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO), S. 121, 198; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 349; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 68; Becker, Heinrich Brandler, S. 284, 294 f.; Nachlass Georg König (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/10/1, Bl. 73–75). 206 Müller, Permanenter Verdacht und „Zivilhinrichtung“, S. 252–255.

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ten“ erfasst. Dossiers über Parteimitglieder dienten dem Aufbau eines „zentralen Abwehrarchivs“.207 Infolge der ultralinken Wendung fanden manche der früheren Oppositionellen wieder zur KPD zurück, so im August 1929 auch der führende Leninbündler Otto Kilian. Kilians Sinneswandel dürfte nicht nur politische Ursachen gehabt haben, sondern auch von wirtschaftlichen Überlegungen motiviert gewesen sein, da er nach der Übernahme der Druckerei Schlesinger zahlreiche Aufträge der KPD erhielt.208 Die kommunistische Fraktion der halleschen Stadtverordnetenversammlung, der er wieder beitrat, machte vor allem durch permanentes Skandalieren, Stören und die mit Abstand größte Zahl von Ordnungsrufen auf sich aufmerksam. Im Sitzungsprotokoll vom 12. August 1929 hieß es dazu: 1. Der Stadtv[erordnete] Härtel erhält einen Ordnungsruf, weil er die Festsetzung der Löhne als „Frechheit“ bezeichnet. 2. Der Stadtv[erordnete] Lüttich wird zur Ordnung gerufen, weil er die Sitzung als „Quasselbude“ bezeichnet. 3. Der Stadtv[erordnete] Spies erhält einen Ordnungsruf, weil er dem Gebot, Ruhe zu halten, nicht nachkommt. 4. Frau Stadtv[erordnete] Lehmann, welche ruhestörende Zwischenrufe sich erlaubt, erhält, weil sie den wiederholten Aufforderungen zur Ruhe nicht nachkommt, einen Ordnungsruf. 5. Einen zweiten Ordnungsruf erhält Stadtv[erordneter] Lüttich, weil er in seinen Ausführungen die Verhältnisse der Sowjet-Republik schildert und dem Herrn Vorsteher erklärt: „Für Sie wäre es gut, wenn Sie dort einmal hingingen.“ 6. Ferner erhielt Stadtv[erordneter] Härtel einen zweiten Ordnungsruf, weil er trotz mehrmaliger Erinnerung nicht zur Sache spricht. Daraufhin wird ihm das Wort entzogen.209 Dieses Verhalten war Teil der antiparlamentarischen Obstruktionspolitik, mit der die KPD an ihrer linksradikalen Phase von 1924/25 anknüpfte. Mehr noch als zuvor diente die hallesche Stadtverordnetenversammlung der KPD nun als Tribüne für propagandistische Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern, wobei die als „feige“, „politisch verlumpt“ und bestechlich diffamierten Sozial-

207 Ebd., S. 255 f.; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 142; Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution, S. 53 f., 76–80; Striefler, Kampf um die Macht, S. 282–291; Weber, KPD und Kommunistische Internationale, S. 203; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 223 f., 404 f. 208 Sitzungsberichte 1929 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 16. Band, unpaginiert; Sitzung vom 12. 8.1929); Otto Kilian (StA Halle, Familienarchiv Nr. 5151, unpaginiert); Zimmermann, Der Leninbund, S. 182, 186. 209 Sitzungsberichte 1929 (StA Halle, Stadtverordnetenbüro VII IV Nr. 3, 16. Band, unpaginiert; Sitzung vom 12. 8.1929). Weitere Beispiele ließen sich anführen.

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demokraten das Hauptangriffsziel darstellten.210 Auf dem XII. Parteitag (9.–16. Juni 1929 in Berlin-Wedding) hatte es in einer programmatischen Erklärung geheißen, die Sozialdemokratie sei gegenwärtig „der Hauptfeind des revolutionären Proletariats“, der sich in zunehmendem Maße auf das Kleinbürgertum und auf die so genannte „Arbeiteraristokratie“ stütze, eine „bestochene, verbürgerlichte Oberschicht von Spitzeln, Aufpassern, gutbezahlten Staats- und Gewerkschaftsbeamten“. Das 10. Plenum des EKKI prägte im Juli 1929 die Formel, dass „eine besondere Form des Faschismus in Ländern mit starken sozialdemokratischen Parteien der Sozialfaschismus“ sei. In Übertragung der Sozialfaschismus-Theorie auf die Gewerkschaftspolitik sollte die KPD jede Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Gewerkschaftsleitungen aufgeben, selbständige Arbeitskämpfe führen und sich außerhalb der Gewerkschaften organisieren. Auf eigenen Listen kandidierten die Kommunisten erstmals bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 1929. In den Jahren 1930/31 entstanden tausende kommunistischer Betriebsgruppen, deren Mitglieder in der „Revolutionären Gewerkschafts-Opposition“ (RGO) und in kommunistischen Gewerkschaften wie dem „Roten Metallarbeiterverband“, dem „Roten Bergarbeiterverband“ etc. organisiert waren. Diese Neuorientierung der Gewerkschaftspolitik hatte zur Folge, dass die KPD ihre Positionen im ADGB einbüßte und bei Streikaktionen isoliert blieb.211 Bernard Koenen, der diese Folgen offenbar vorausgesehen und zunächst eine gegenteilige Position vertreten hatte, schwenkte auf den neuen Kurs ein, erkannte seine „falsche Auffassung bezüglich der Gewerkschaftsfrage“ an und befolgte die Generallinie der Partei.212 Mit dem XII. Parteitag wurde der Stalinisierungsprozess in der KPD weitgehend abgeschlossen. Dies zeigte sich nicht nur in der Auswahl der Delegierten, unter denen sich als einziger Versöhnler lediglich der Hallenser Karl Lüttich befand, sondern auch in der Parteitagsregie: Um nach außen ein Bild der Geschlossenheit zu bieten, beschränkte sich die Mitwirkung der Delegierten auf die Akklamation zu Resolutionen, die alle mit jeweils nur einer Gegenstimme angenommen wurden. Die Versöhnler kamen kaum noch zu Wort, Diskussionen fanden nicht mehr öffentlich statt. Als Lüttichs Rede ständig durch Zwischenrufe gestört wurde, gab er resigniert auf und verzichtete auf weitere Ausführungen.213

210 Ebd., unpaginiert; Sitzung vom 21.10.1929. Die von Hermann Weber unter Berufung auf eine Mitteilung des früheren Klassenkampf-Chefredakteurs und Stadtverordneten Alfred Grade vertretene Auffassung, die KPD-Fraktion habe in Halle aktiv mitgearbeitet, lässt sich anhand der Sitzungsberichte nicht aufrechterhalten. Vgl. Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 342, Anmerkung 110. 211 Klassenkampf vom 10.11.1928 (Punkt VIII der „Resolution über den VI. Weltkongreß der Komintern“); Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO), S. 173–175; Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 182 f., 190–192; Geyer, Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung, S. 34. 212 In den Fängen des NKWD, S. 335. 213 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/26, Bl. 74; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 223–232. Der KPD-Bezirk Halle-Merseburg stellte auf dem Parteitag 17 Delegierte.

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Der Weg in die Katastrophe 1929–1933

Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Faschismus“ und die damit einhergehende Verharmlosung der faschistischen Gefahr durch die KPD nahm 1929 nicht zuletzt unter dem Eindruck des „Berliner Blutmais“ und des RFB-Verbots zu.214 Brünings Notverordnungspolitik wurde von der KPD 1930 als „ausreifende, wenn auch noch nicht ausgereifte Diktatur“ sowie als „Regierung der Durchführung der faschistischen Diktatur“ interpretiert. Aufgrund der sozialdemokratischen Tolerierungspolitik gegenüber Brüning erhob die KPD den Vorwurf, die SPD sei die soziale Hauptstütze von Brüning und der hinter ihm stehenden Monopolbourgeoisie. Durch die Propagierung der „Einheitsfront von unten“ sollten die sozialdemokratischen Arbeiter von ihrer Führung getrennt, die Macht der SPD in den Gewerkschaften gebrochen und dem Kabinett Brüning ein bedeutender Teil seiner sozialen Basis entzogen werden. Anders als im Fall eines formellen Bündnisses der Parteiführungen ließ sich mit Hilfe dieser Strategie sowohl die Gefahr einer Vereinnahmung durch die weit größere SPD, als auch die Verwässerung der reinen kommunistischen Lehre verhindern. Einzelne KPD-Funktionäre gingen 1931 so weit zu behaupten, „eine offene faschistische Diktatur, der ein klassenbewusstes, kampfentschlossenes, in seiner Masse geeintes Proletariat“ gegenübertrete, sei im Vergleich zu einer sozialdemokratischen Koalitionsregierung das kleinere Übel. Mit solchen Aussagen, denen Thälmann widersprach, verband sich die irrige Vorstellung, dass eine faschistische Regierung lediglich das Vorspiel zur Diktatur des Proletariats darstelle.215 Im Kampf gegen die SPD schreckte die KPD nicht davor zurück, sich zeitweilig mit der DNVP und NSDAP zu verbünden und in deren Agitation gegen den Versailler Vertrag und den Young-Plan einzustimmen. Durch betont nationale Töne, wie sie in der programmatischen Erklärung vom 24. August 1930 „zur nationalen und sozialen Befreiung des Deutschen Volkes“ zum Ausdruck kamen (Annullierung der Verträge von Versailles und Locarno, des YoungPlans, aller Reparationen und internationalen Schulden), durch die Gewinnung nationalbolschewistisch orientierter Intellektueller und Offiziere sowie durch ideologische Verrenkungen (Interpretation der „proletarischen Revolution“ als „Volksrevolution“), versuchte die KPD, Wähler in rechtsradikalen Kreisen zu gewinnen. Diese Taktik hatte jedoch nur geringen Erfolg, da die KPD – abgesehen von der Reichstagswahl am 6. November 1932 – zwischen 1930 und 1932 vor allem durch Erstwähler und auf Kosten der SPD, kaum aber unter NSDAP-Anhängern Stimmengewinne erzielte.216 Bei der Reichstagswahl vom 214 Bei Zusammenstößen kommunistischer Demonstranten mit der Polizei wurden in Berlin am 1. 5.1929 31 Arbeiter getötet. Beide Seiten trugen Verantwortung für die gewaltsame Eskalation der Demonstration – die Kommunisten, weil sie das zuvor verhängte Demonstrationsverbot ignorierten, die Polizei aufgrund ihres äußerst brutalen Vorgehens. Vgl. Dorpalen, SPD und KPD, S. 89. 215 Ebd., S. 80, 89–91. 216 Ebd., S. 92–94; Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 242.

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14. September 1930 konnte die KPD im Wahlkreis Halle-Merseburg ihre Spitzenposition zwar weiter ausbauen, jedoch dicht gefolgt von der NSDAP, die neunmal mehr Stimmen als 1928 erzielte und die geschwächte SPD auf den dritten Platz verwies. Als Erklärung für den sensationellen Wahlerfolg der NSDAP zog der „Klassenkampf“ „die verräterische und arbeiterfeindliche Politik der bürgerlichen Parteien, vor allem aber auch der Sozialdemokratie“ heran. Dennoch gestand das Blatt in einem Anflug von Selbstkritik ein, dass der KPD eine wichtige Rolle im Kampf gegen den Faschismus zufalle und deshalb eine genaue Überprüfung der Parteiarbeit sowie die Aufdeckung eigener Fehler und Schwächen notwendig seien, um eine Erklärung für den Erfolg der NSDAP und den verhältnismäßig geringen Fortschritt der KPD in Halle zu finden.217 Eine kurz darauf veröffentlichte Erklärung des ZK beendete diese selbstkritische Episode und stellte die Fehleinschätzung der NSDAP erneut unter Beweis: „Die Nationalsozialisten sind die gekauften Agenten des Finanzkapitals, die bezahlten Henkersknechte des Young-Planes. Ihre ganze Politik dient der Verteidigung des Kapitalismus gegen die drohende proletarische Revolution. [...] Die Faschisten, die mit 107 Mandaten in den neuen Reichstag einziehen, müssen unvermeidlich das Vertrauen ihrer 6,4 Millionen Wähler zerstören, ihre Erwartungen enttäuschen, ihre Forderungen mit Füßen treten. Darum trägt der Wahlerfolg Hitlers mit unentrinnbarer Sicherheit den Keim zu einer künftigen Niederlage in sich. Der 14. September war der Höhepunkt der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland. Was nachher kommt, kann nur Niedergang und Abstieg sein. Der Faschismus ist die letzte Karte der Bourgeoisie, die sie gegen die drohende Revolution der Arbeiterschaft ausspielt. [...] Wir können die Millionen, die zu uns gekommen sind – im Gegensatz zu den Nazis – nicht nur halten, sondern wir müssen und werden weitere Millionen dazu erobern.“218

Die Teilnahme der KPD an dem von der NSDAP und DNVP getragenen „Volksentscheid für die Auflösung des Preußischen Landtages“ (9. August 1931) erfolgte auf sowjetisches Betreiben und hatte das Ziel, eine der wichtigsten sozialdemokratischen Machtpositionen zu zerstören. Die Beteiligung der KPD löste allgemeine Irritationen aus und veranlasste die hallesche SPD, in Anspielung auf das Bündnis der KPD mit rechtsradikalen Kräften von „Kommu-Nazis“ und „Stahlhelm-Kommunisten“ zu sprechen.219 Verstärkt wurde die Verbitterung über das kommunistisch-faschistische Bündnis vor allem dadurch, dass das ZK der KPD zu Jahresbeginn noch eine gegenteilige Position vertreten und auf die „reaktionären Ziele des faschistischen Volksbegehrens“ hingewiesen hatte.220 217 Klassenkampf vom 15. 9.1930 („Machtvoller Vormarsch der KPD“; „Die KPD die stärkste Partei in Halle“). 218 Klassenkampf vom 17. 9.1930 („Unser Wahlsieg und der Kampf gegen den Faschismus“). 219 Volksblatt vom 22. 7.1931 („Kommunisten mit dem Stahlhelm“); 5. 8.1931 („Sowjetstern am Stahlhelm“); 10. 8.1931 („Glänzender Sieg der Republik“; „Den Kopf eingerammt. Die republikanische Mauer war stärker als die weichen Birnen der Kommu-Nazis“). 220 Klassenkampf vom 6. 3.1931 („‚Volksbegehren‘ in den Betrieben“).

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Auch Wilhelm Koenen warnte in der Juli-Ausgabe des mitteldeutschen KPDFunktionärsorgans „Der bolschewistische Kurs“ vor den demagogischen Zielen des Volksentscheids und bezeichnete ihn als „Zustimmung zum offenen Faschismus“.221 Der abrupte Kurswechsel der Parteiführung verursachte unter den Mitgliedern des KPD-Bezirks Halle-Merseburg Unruhe und wurde nicht überall kritiklos akzeptiert. In Gräfenhainichen (Kreis Bitterfeld) opponierten 14 Parteimitglieder gegen den neuen Kurs und erklärten ihren Austritt aus der KPD. Wilhelm Koenen wurde seiner Funktion als Pol-Leiter von Halle-Merseburg enthoben und in den Hintergrund gedrängt.222 Der KPD und den mit ihr verbündeten Rechtsparteien gelang es zwar, im Wahlkreis Halle-Merseburg 54 Prozent der Stimmberechtigten für den Volksentscheid zu gewinnen und damit nicht nur den preußischen Durchschnitt von 37 Prozent deutlich zu übertreffen, sondern zugleich auch das höchste Ergebnis in ganz Preußen zu erzielen223 – dennoch ging die Abstimmung für die KPD letztlich verloren. Eine neue ideologische Herausforderung entstand für die Linksparteien seit dem 4. Oktober 1931 durch die Gründung der „Sozialistischen Arbeiterpartei“ (SAP) unter dem Vorsitz von Max Seydewitz und Kurt Rosenfeld. Die SAP ging aus dem abgespaltenen linken Flügel der SPD hervor, der nicht länger zur Tolerierung des Kabinetts Brüning bereit war. Die neue Partei wurde zum Sammelbecken für enttäuschte linke Sozialdemokraten und Mitglieder kommunistischer Splittergruppen, die sowohl den „Reformismus“ der SPD als auch den Radikalismus der KPD ablehnten.224 Es traten ihr u. a. Reste der USPD, ein Teil der KPO sowie vereinzelt auch Trotzkisten, KAPD-Leute und Mitglieder des Leninbundes bei. Die großzügige Aufnahme dieser Gruppen hatte zur Folge, dass die zwischen ihnen bestehenden ideologischen Differenzen in die SAP hineingetragen wurden. Bereits im Sommer 1932 war der Niedergang der SAP infolge von Wahlschlappen und Mitgliederverlusten erkennbar.225 Im Bezirk Halle-Merseburg konnte die SAP trotz einiger Anfangserfolge kaum an Boden gewinnen: Bereits wenige Tage nach Gründung der SAP verurteilte der SPD-Bezirksausschuss Halle die Abspaltung als „arbeiterschädliche Aktion der Seydewitz-Rosenfeld-Gruppe“. In einer einstimmig gefassten Entschließung des Bezirksausschusses wurde „die Spaltertätigkeit der Seydewitz221 Volksblatt vom 7. 8.1931 („Wilhelm Koenen über den Volksentscheid“). 222 Volksblatt vom 8. 8.1931 („Kreis Bitterfeld. Kommunistische Arbeiter verlassen die Verräterpartei“); Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 188. 223 Volksblatt vom 10. 8.1931 („Glänzender Sieg der Republik“; „Den Kopf eingerammt“). In einigen Stimmbezirken des Wahlkreises Merseburg wurden zum Teil noch weit höhere Ergebnisse für den Volksentscheid erzielt, so z. B. im Saalkreis 61 %, in Querfurt 64 %, in Eckartsberga 67 % und in Delitzsch 60 %. Die preußische Landesregierung, SPD und republikanischen Verbände hatten zuvor an ihre Anhänger appelliert, den Volksentscheid zu boykottieren oder mit „Nein“ zu stimmen. Im Wahlkreis Magdeburg votierten 42 % der Stimmberechtigten für den Volksentscheid. 224 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 307–311; Matthias, Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, S. 119. 225 Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, S. 282–290.

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Rosenfeld-Gruppe“ als „Verbrechen an der Arbeiterklasse“ interpretiert.226 Der einzige regionale Erfolg der SAP in Halle-Merseburg beschränkte sich auf den linksorientierten SPD-Verband Zeitz: Dort fasste die „Sozialistische Arbeiterjugend“ (SAJ) Anfang Oktober 1931 den Beschluss, sich der SAP anzuschließen. Dies war sicherlich kein Zufall, denn auch auf Reichsebene gewann die SAP vor allem unter SAJ-Mitgliedern und jungen Sozialdemokraten Anhänger. Mehrere Funktionäre der örtlichen SPD und Gewerkschaften erklärten ihren Austritt aus der SPD.227 Der relative Erfolg der SAP in Zeitz erscheint vor dem Hintergrund langjähriger linkssozialistischer Tendenzen der Zeitzer SPD beinahe folgerichtig: Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, hatte sich während der innerparteilichen Diskussion im Herbst 1920 der auf dem rechten USPDFlügel stehende Kreis Zeitz-Weißenfels gegen den Anschluss der USPD an die Komintern ausgesprochen und damit eine Minderheit im Bezirk repräsentiert. Ende 1921 wurde Zeitz von der KPD noch immer als „alte USP[D]-Hochburg“ eingeschätzt, die im Gegensatz zu den übrigen Gebieten des Bezirkes noch nicht von der KPD beherrscht werde.228 Bei der Wiedervereinigung des rechten USPD-Flügels mit der SPD im Jahre 1922 trug die Zeitzer USPD zur Stärkung des linken SPD-Flügels bei.229 Linkssozialistische Tendenzen zeigten sich Mitte der zwanziger Jahre auch durch enge Verbindungen zu Austromarxisten, die einen dritten Weg zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus anstrebten. 1927 erschienen in Zeitz mehrere namhafte Referenten aus Wien, unter ihnen auch der prominente Austromarxist und Soziologe Dr. Max Adler, um Schulungsprogramme für örtliche SPD-Funktionäre durchzuführen.230 Im Oktober 1931 gelang es der SAP, in Zeitz eine von 500 Personen besuchte öffentliche Versammlung einzuberufen. Ideologische Differenzen zur KPD traten auf dieser Versammlung deutlich zutage, als ein kommunistischer Diskussionsredner die Programmatik der SAP und ihre Haltung zur KPD scharf verurteilte. Die Gründung der SAP sei ein „Verbrechen“, weil die SAP-Arbeiter dadurch von der Schließung der Einheitsfront unter Führung der KPD abgehalten würden.231 Um unzufriedene Sozialdemokraten und SAP-Sympathisanten als Mitglieder zu werben, veranstaltete die KPD in Zeitz eine öffentliche Versammlung, auf der es ihr zwar gelang, mehrere neue Mitglieder zu gewinnen – Arbeiter mit dem Parteibuch der SPD oder SAP befanden sich jedoch kaum darunter.232 Zustrom erhielt die SAP auf Bezirksebene vereinzelt auch aus den Reihen der KPO, deren führende Mitglieder Albert Bassüner und Karl 226 Volksblatt vom 8.10.1931 („Mitteldeutschland treu zur Partei“). 227 Volksblatt vom 8.10.1931 („Wie ist die Lage in Zeitz?“); Klassenkampf vom 17.10.1931 („Auf dem Wege zur Einheitsfront“); Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, S. 280. 228 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/9, Bl. 1 f. 229 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/33, Bl. 83. 230 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/41, Bl. 80 f. 231 Klassenkampf vom 24.10.1931 („Abrechnung mit der Sumpfpartei“); 26.10.1931 („SAP – Verbrechen an der Arbeiterklasse“). 232 Klassenkampf vom 29.10.1931 („Wir schmieden die rote Einheitsfront“).

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Baumgärtel sich ihr im Jahre 1932 anschlossen.233 Obwohl die SAP vor allem in Zeitz Unterstützung fand (sie soll etwa 90 bis 100 Mitglieder stark gewesen sein) und mit dem in Zeitz tätigen Handelsschullehrer Dr. Rudolf Agricola an der Spitze eine SAP-Bezirksleitung für Halle-Merseburg aufbauen konnte,234 blieb sie im Regierungsbezirk Merseburg dennoch eine kleine isolierte Gruppe, die von der SPD und KPD gleichermaßen abgelehnt wurde. Der am 5. Juni 1932 von Otto Hörsing gegründeten Sozial-Republikanischen Partei Deutschlands (SRPD)235 gelang es in noch weit geringerem Maße, sich aus einer kleinen politischen Sekte am rechten Rand der SPD zur echten Alternative für enttäuschte Wähler aus der Arbeiterschaft zu entwickeln. Die Einschätzung der neu entstandenen linken Splittergruppen und die Ausdeutung der eigenen Parteigeschichte waren Thema einer innerparteilichen Kampagne, die in der KPD Ende 1931 einsetzte. Da Stalin Rosa Luxemburg und andere deutsche Linke im Oktober 1931 als Antileninisten bezeichnet und mit Trotzki in Verbindung gebracht hatte, sah sich Ernst Thälmann am 19. Februar 1932 auf einer Plenartagung des ZK zu einer Abrechnung mit Rosa Luxemburg veranlasst, der er „vom Standpunkt der Bolschewisierung der Partei“ schwere Fehler vorwarf. Thälmann führte aus, dass der „Luxemburgismus“ keine Verbindung zum Marxismus-Leninismus herstellen könne, „sondern stets einen Übergang zum Sozialfaschismus, zur Ideologie der Bourgeoisie“ darstelle.236 Rosa Luxemburg habe sich in all jenen Fragen geirrt, in denen ihre Meinung von der Meinung Lenins abgewichen sei, erklärte Thälmann apodiktisch, womit er zweifellos auf Luxemburgs 1918 entstandene kritische Schrift „Die russische Revolution“ anspielte.237 Er bekräftigte nochmals den angeblich sozi233 Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 67 f. 234 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 258); Aufnahmeanträge A – Am 1948–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/1, Bl. 122–124); Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, S. 276. 235 „Neue Kampf-Front“, Wahlsonderausgabe der SRPD, ca. Oktober 1932 (StA Halle, ZGS, Karton 8, Nr. 23). 236 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 269–271. 237 Rosa Luxemburg prägte in ihrer Schrift „Zur russischen Revolution“ das berühmt gewordene Wort „Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden“. Sie wies auf die Bedeutung freier Wahlen, von Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit hin und kritisierte die zunehmende Bürokratisierung, Aushöhlung der politischen Partizipation der Bevölkerung sowie die um sich greifende Cliquenwirtschaft und Gewaltbereitschaft in Russland. Aufgabe des Proletariats sei die Schaffung einer sozialistischen Demokratie, nicht die Abschaffung der Demokratie. Die Diktatur des Proletariats müsse vom Proletariat als Klasse und nicht durch eine Gruppe von Parteiführern ausgeübt werden. Luxemburg begründete die Entwicklung in Russland mit den dort herrschenden äußeren Umständen (Erster Weltkrieg, Okkupation etc.), wandte sich aber gegen eine nachträgliche theoretische Verbrämung und Verabsolutierung der russischen Erfahrungen. Vgl. ebd., S. 118–121; Angress, Die Kampfzeit der KPD, S. 29–33; Petzold, DDR und Diktatur des Proletariats, S. 75 f.; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 40–48. Dennoch wäre es zu einseitig, Luxemburgs ideologischen Standort allein aufgrund dieser Äußerungen zu bestimmen. Ihre Unterstützung und Solidarität galt weiterhin den Bolschewiki, sie verwarf die Idee der parlamentarischen Demokratie und trat für die Diktatur des Proletariats ein. In einigen Fragen, wie z. B. Lenins vorüberge-

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alfaschistischen Charakter der SPD, die „die soziale Hauptstütze der Bourgeoisie“ und „der aktivste Faktor der Faschisierung“ sei. Gegen sie und andere „Spielarten des Sozialfaschismus“ wie die SAP und KPO müsse sich der Hauptstoß der KPD richten. Verhandlungen mit der SPD, SAP und KPO dürfe es nicht geben. Angebote der KPD zur Bildung einer linken Einheitsfront richteten sich bis zum Ende der Weimarer Republik im Sinne einer „Einheitsfront von unten“ stets an die Arbeiter, nicht aber an die Funktionäre der übrigen Arbeiterparteien, die als „Verräter“, „Demagogen“, „Agenten“ und „Saboteure“ verleumdet wurden. Die Dessauer KPD wurde dementsprechend im Juli 1932 vom Sekretariat des ZK getadelt, da sie mit der SPD-Unterbezirksleitung verhandelt hatte.238 Die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 zeigte schließlich, dass die KPD auf Reichsebene zwar von ihren früheren Angriffen gegen die SPD profitieren und hinzugewinnen konnte – der erdrutschartige Sieg der NSDAP ließ den Wahlerfolg der KPD jedoch verblassen. Im Wahlkreis Halle-Merseburg war im Vergleich zu anderen Gebieten eine noch weit stärkere Polarisierung der Bevölkerung zu verzeichnen: Hier lagen sowohl die KPD, die gegenüber der letzten Reichstagswahl vom 14. September 1930 sogar leicht verloren hatte, als auch die NSDAP mit 24,8 Prozent bzw. 43,6 Prozent der Stimmen deutlich über dem Reichsdurchschnitt. Obwohl die mitteldeutsche KPD von der NSDAP weit überflügelt worden war, behauptete sie in einem so genannten „Kampfgelöbnis des 31. Juli“, die KPD habe den größten Wahlsieg ihrer Geschichte errungen. Der Vormarsch der NSDAP sei zum Stillstand gebracht worden. Nun komme es darauf an, durch eine „klare, rücksichtslose Abgrenzung und einen verschärften Kampf gegen die Politik der SPD [...] die sozialdemokratischen Arbeiter für die rote Einheit in der Antifaschistischen Aktion zu gewinnen“.239 Der letzte Bezirksparteitag der KPD in Halle-Merseburg (3./4. Dezember 1932) stellte einmal mehr die politischen Fehleinschätzungen der Kommunisten am Vorabend der nationalsozialistischen Machtübernahme unter Beweis: Nach Auffassung der Bezirksleitung waren SPD, NSDAP und DNVP „die drei wichtigsten Parteien des Klassenfeindes“, gegen die sich „das Feuer des Angriffes“ richten müsse. Im Bezirk war die SPD vor allem in den Gewerkschaften und Großbetrieben (Leuna, Mansfeld, Wittenberg) verwurzelt, wo sich wichtige Betriebsfunktionen in den Händen von Sozialdemokraten und KPO-Leuten befanden. Die von der KPD-Bezirksleitung und der gesamten Partei vertretene Kritik an der vermeintlich falschen Einheitsfrontpolitik im Leunawerk zeigte, dass die Einbeziehung von SPD-Funktionären bei der Bildung einer echten Einhenden Zugeständnissen an das bäuerliche Privateigentum und das Selbstbestimmungsrecht der im Russischen Reich lebenden Völker, nahm sie eine radikalere Position als Lenin ein, indem sie beides vehement ablehnte. Vgl. Jesse, Demokratie oder Diktatur, S. 202–212. 238 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 185 f., 194 f., 269–271; ders., Die Wandlung, 1. Band, S. 241. 239 Klassenkampf vom 1. 8.1932 („Rote Freiheitsbanner führen zum Sieg!“).

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heitsfront nach wie vor abgelehnt wurde. Im Hinblick auf die überragenden NSDAP-Wahlerfolge räumte die KPD Versäumnisse bei der Gewinnung der zur NSDAP übergelaufenen Angestellten und niederen Beamten ein. Die NSBO habe vor allem unter der Arbeiterschaft der großen Chemiebetriebe Anhänger gefunden. Dennoch gab sich die KPD-Bezirksleitung überzeugt davon, dass die zur NSDAP übergegangenen Arbeiter durch eine Verstärkung der „ideologischen Offensive auf der Basis der Linie der Partei (Kampf gegen [das] Versailler System auf [der] Grundlage des proletarischen Internationalismus)“ zurückgewonnen werden könnten.240 Die ideologische Selbstzerfleischung der KPD-Bezirksorganisation setzte sich unterdessen fort: So nahm man im Unterbezirk Bitterfeld Betriebsrätewahlen und Erwerbslosenaktionen zum Anlass für Auseinandersetzungen mit „späteren Renegaten des Kommunismus“. Ein hartnäckiger Kampf gegen „reformistische Gemeindevertreter“ in den eigenen Reihen, d. h. gegen Funktionäre, die in der Tradition der USPD standen, fand in mehreren Ortschaften des Unterbezirks statt. Der Unterbezirk Wittenberg, in dem der frühere ZK-Kandidat und Rechtsabweichler Albert Bassüner bis zu seinem Parteiausschluss im Dezember 1928 über Einfluss verfügt hatte, meldete seit 1930 noch immer Auseinandersetzungen mit „brandleristischen Elementen“. Dass ideologische Diskussionen an der Parteibasis oft weniger rigide ausfielen, musste die Bezirksleitung im Unterbezirk Mansfeld feststellen, wo KPD-Mitglieder freundschaftliche Beziehungen zu „Reformisten“ und „Brandleristen“ unterhielten. In mehreren Ortsgruppen des Unterbezirks Naumburg kam es zu Auseinandersetzungen mit innerparteilichen Abweichlern, die aus der KPD ausgeschlossen wurden.241 Geradezu beispielhaft fasste die Unterbezirksleitung Halle die nach ihrer Auffassung dringendsten Aufgaben im Dezember 1932 folgendermaßen zusammen: 1. Liquidierung des Masseneinflusses der SPD, insbesondere innergewerkschaftlich und in den Betrieben. 2. Schärfste Frontstellung gegen alle brandleristischen Einflüsse außerhalb und innerhalb der Parteizellen, Beseitigung aller sektiererischen, linksopportunistischen Zersetzungserscheinungen, also aktiver Zweifrontenkampf. 3. Unausgesetzte Steigerung der Massenaktivität gegen alle Formen des Faschismus in allen Schichten der werktätigen Bevölkerung, insbesondere aber in den Betrieben. 4. Stärkstes Herausarbeiten der führenden Rolle der KPD.242 Auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 reagierte das ZK der KPD mit einem Aufruf zum Generalstreik an die Adresse von 240 Vom Mansfeldstreik zur Streikwelle gegen Papenkurs! Bericht der Bezirksleitung Halle-Merseburg der KPD zum 21. Bezirksparteitag am 3. und 4.12.1932 in Halle (StA Halle, ZGS, Karton 10, Nr. 5, Abschnitt „Unser Kampf um die Massen“, darin S. 1–4, 9 f.). 241 Ebd., Abschnitt „Die Rolle der Partei“, darin S. 2–5. 242 Ebd., S. 6–8.

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ADGB, SPD und christlichen Gewerkschaften.243 Der Appell richtete sich jedoch zunächst an die Masse der Arbeiter und erst in zweiter Linie an die genannten Organisationen, d. h. er bedeutete keine Abkehr vom Konzept der „Einheitsfront von unten“.244 Die kommunistische Propaganda setzte ihre Kampagne gegen die SPD fort, indem sie den Funktionären der SPD nicht nur den teils berechtigten Vorwurf der Untätigkeit im Kampf gegen die NS-Regierung245 machte, sondern ihnen auch unterstellte, mit der NSDAP und anderen rechtsorientierten Kräften zu kooperieren.246 Mit dem Hinweis auf die Unterstützung, die Hindenburg 1932 bei der Reichspräsidentenwahl durch die SPD erfahren hatte, forderte die hallesche KPD die „Klassengenossen in der SPD“ auf, sich nicht noch einmal „von den Leipart, Wels und Konsorten“ verraten zu lassen, sondern sich der antifaschistischen Einheitsfront anzuschließen.247 Eine Zusammenarbeit mit Abweichlern aus den eigenen Reihen schied für die KPD wegen deren Stigmatisierung als Verräter, Agenten und fragwürdige Elemente sowie aufgrund unüberbrückbarer ideologischer Differenzen von vornherein aus. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, besaß etwa die Verleumdung der KAPD als „Spitzelsekte“ eine lange Tradition. Dementsprechend hasserfüllt berichtete das hallesche KPD-Organ „Klassenkampf“ über eine KAPD-Versammlung, die Anfang Februar 1933 in Leimbach bei Querfurt stattfand: „Der ‚Referent‘ [der KAPD, F. H.] zeigte nicht nur, dass er von politischen Dingen keinerlei Ahnung hat, sondern vor allem, dass die ‚KAPD‘ ein Spitzel- und Denunziantenladen erster Ordnung ist. Die Organisation wird, da ihre Mitglieder immer mit reichlich Geld ausgestattet sind, von irgendeiner Stelle unterhalten. Die Mitgliedschaft setzt sich überall aus Leuten zusammen, die durch Unterschlagungen, Provokationen usw. aus den Reihen der Arbeiterorganisationen ausgestoßen wurden. Dass Russland in der gehässigsten Art herabgewürdigt wurde, ist selbstverständlich. Hierbei übertraf der Redner sogar die SPD-Lügenhetzer. Der freche Anwurf, Stalin benutze die Sektionen der Komintern nur um sein Geschäftchen zu machen, zeigt die Verlumptheit dieser ‚Kommunisten‘.“248

Bald folgten erste Verhaftungen und Hausdurchsuchungen bei KPD-Leuten, in kommunistischen Lokalen, Sportvereinen und Schulen.249 Das gewaltsame Vor243 244 245 246

Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 339 f. Dorpalen, SPD und KPD, S. 97 f., 105. Ebd., S. 101 f. Klassenkampf vom 31.1.1933 („Judas Ischarioth am Werke! Der neue Klassenverrat der SPD. Sie wollen die Arbeiterschaft an den Faschismus ausliefern“; „SPD toleriert den faschistischen Bürgerblock“); 1. 2.1933 („Severing-Braun begrüßen Hitler“; „Die SPD beim faschistischen Luftschutz. So unterstützt die Sozialdemokratie die Kriegsvorbereitungen der deutschen Bourgeoisie“; „Was die KPD und was die SPD tut. Der Klassenverrat der SPD und die erbärmliche Haltung des Volksblatt“); 3. 2.1933 („SPD für Nazivorsteher in den Gemeinden“). Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen. 247 Klassenkampf vom 1. 2.1933 („Klassengenosse in der SPD, erinnere dich!“). 248 Klassenkampf vom 6. 2.1933 („Die KAP-Spitzelsekte will sich mausig machen“). 249 Klassenkampf vom 2. 2.1933 („Kommunistenhatz in Mitteldeutschland“); 4. 2.1933 („Nazi-Mordbanden durchziehen die Dörfer“; „Oeffentliche Versammlung von Polizei aufgelöst!“); 6. 2.1933 („Ueberall Haussuchungen bei KPD-Funktionären“); 7. 2.1933

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gehen der Nationalsozialisten erreichte in Mitteldeutschland im so genannten „Eislebener Blutsonntag“ (12. Februar 1933) seinen Höhepunkt, als mit Spaten, Äxten und Pistolen bewaffnete SS- und SA-Kolonnen in eine Turnhalle des „Roten Arbeitersportverbandes“ eindrangen. Drei Kommunisten wurden dabei getötet und 28 schwer verletzt. Unter den Verletzten befand sich Bernard Koenen, dem sein rechtes Auge ausgeschlagen wurde. Koenen wurde als Polizeigefangener ins Krankenhaus eingeliefert, bis er mit Hilfe eines Freundes fliehen und in der Privatklinik eines mit der KPD sympathisierenden jüdischen Arztes unterkommen konnte. Nach wechselnden Verstecken schickte ihn die KPD 1933 mit einem gefälschten Schweizer Pass in die Sowjetunion.250 Weitere teils prominente, teils unbekannte mitteldeutsche Kommunisten folgten ihm oder befanden sich bereits vor 1933 in der Sowjetunion. Andere flohen in westliche Länder, so z. B. Heinz Schmidt (Mitglied der Bezirksleitung Halle-Merseburg) nach England, wo er der KPD-Emigrationsleitung angehörte. Vorsitzender der englischen Emigrationsleitung war Bernard Koenens Bruder Wilhelm. Neben diesen Prominenten gelangten mehrere einfache KPD-Mitglieder nach England, Frankreich, Holland, in die Tschechoslowakei und andere Länder.251 Viele der in Mitteldeutschland zurückgebliebenen Kommunisten wurden verhaftet und ermordet. Unter ihnen befanden sich mehrere Funktionäre, Reichstags- und Landtagsabgeordnete der KPD, die aus dem Parteibezirk Halle-Merseburg hervorgegangen oder zeitweise in Halle tätig gewesen waren, so Hedwig Krüger, Werner Scholem, Max Lademann, Otto Schlag, Georg Schumann und Otto Kilian.252 („Schutzhaft gegen KPD-Funktionäre in Zeitz“); 10. 2.1933 („Die ersten Folgen der Pogromhetze“); 11. 2.1933 („Abgewehrter Ueberfall der Nazis auf das Volkshaus Bitterfeld“). 250 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 1–4); Reinowski, Bernard Koenen, S. 12–36. 251 Namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/3, Bl. 20, 26); Analysen, Schriftverkehr 15. 9. 48– 15. 5. 52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 18); Informationen, Schriftverkehr mit den KPKK H-M Aug. 1946–Nov. 1954 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/27, Bl. 107); Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 2–9); Schumacher (Hg.), M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik, S. 335; In den Fängen des NKWD, S. 23, 33, 75, 89, 118 f., 138, 170, 197, 207, 242 f., 254. 252 Hedwig Krüger (1924 MdR, 1924–1928 MdL) wurde 1934 verhaftet, war bis 1935 in den Konzentrationslagern Lichtenburg und Moringen gefangen und verstarb im selben Jahr in Halle. Werner Scholem (1921–1924 MdL, 1924–1928 MdR) befand sich als jüdischer Kommunist u. a. in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, wo er am 17. 7.1940 „auf der Flucht erschossen“ wurde. Nach Angaben von Ruth Fischer soll er zuvor „sowohl von den Nazis wie von den kommunistischen Lagerinsassen ständig gequält worden“ sein. Max Lademann (1924 MdR, 1924–1933 MdL) kam im April 1933 in Haft und wurde in den folgenden Jahren in Gefängnissen und im KZ Sachsenhausen gefangen gehalten. Er fand am 21. 3.1941 als Mitglied eines Kommandos von Bombenentschärfern des KZ Sachsenhausen, zu dem er sich wegen versprochener geringfügiger Hafterleichterungen gemeldet hatte, den Tod. Otto Schlag (1928–1933

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Propagandistisch verklärte Vorstellungen vom künftigen Leben in der Sowjetunion begleiteten wohl die meisten mitteldeutschen KPD-Emigranten auf ihrem Weg in das „Vaterland aller Werktätigen“. Entscheidendenden Anteil daran hatten Berichte über vermeintliche Erfolge der sowjetischen Industrialisierung und Kollektivierung, die angeblich hervorragende Ernten und eine bessere Versorgung als in kapitalistischen Ländern gewährleisteten. Breiten Raum in der Berichterstattung des halleschen KP-Organs „Klassenkampf“ nahmen bis 1933 Meldungen über die Sozialleistungen der Sowjetunion ein, in der es im Unterschied zu den von der Weltwirtschaftskrise erschütterten westlichen Staaten „keine Furcht vor Alter, Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit“ gebe. Die Sowjetunion sei „der reichste Staat der Welt“ und „das einzige Land ohne Agrarkrise“.253 Scheinbar bestätigt wurden solche Meldungen durch Berichte begeisterter KPD-Mitglieder, die am sowjetischen Aufbau teilnahmen oder als Besucher in die Sowjetunion kamen. Bereits Anfang der zwanziger Jahre war die KPD-Bezirksleitung mit Anträgen von Arbeitern und Technikern aus der Metallbranche überhäuft worden, die unter dem Druck der katastrophalen wirtschaftlichen Situation Deutschlands hofften, eine Einreise-Erlaubnis in die

MdL), Leiter der RGO in Halle, wurde zwischen 1933 und 1939 in den KZs Lichtenburg, Esterwegen und Sachsenhausen inhaftiert. Er verstarb am 22. 4.1944 an den Folgen der Haft. Georg Schumann (1921–1924 MdL, 1928–1933 MdR) war bis 1939 in mehreren Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert und wurde am 11.1.1945 im Untersuchungsgefängnis Dresden hingerichtet. Otto Kilian (1919 für die USPD in der preußischen Nationalversammlung, 1921–1928 für die KPD MdL), 1933 verhaftet, befand sich bis 1945 in mehreren Konzentrationslagern, zuletzt in Bergen-Belsen, wo er kurz vor Kriegsende an Typhus verstarb. Max Benkwitz aus Zeitz (1924 MdR), der sich seit 1934 in Haft befand, zuletzt von 1939 bis 1945 im KZ Buchenwald, überlebte. Kurt Rosenbaum (MdR 1924–1928) – Pol-Leiter und Vertrauensmann von Ruth Fischer in Halle – gilt als verschollen. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung kann man vermuten, dass er ermordet wurde. Von den aus dem KPD-Bezirk Magdeburg-Anhalt hervorgegangenen Abgeordneten fand Pol-Leiter Ernst Grube (1924–1932 MdL, 1924 und 1932/33 MdR) am 14. 4.1945 in Bergen-Belsen den Tod. Ernst Brandt (1932/33 MdR) war mit kurzen Unterbrechungen zwischen 1933 und 1945 in mehreren Zuchthäusern und KZs (Sonnenburg, Lichtenburg, Buchenwald, Neuengamme) inhaftiert. Der Magdeburger Org-Leiter Walter Kassner (1928–1933 MdL) befand sich zwischen 1935 und 1945 in Haft, u. a. in den Zuchthäusern Coswig und Halle. Der Chefredakteur der Magdeburger Parteizeitung Tribüne, Franz Moericke (1924–1928 MdL), war zwischen 1933 und 1935 sowie 1944/45 in mehreren Zuchthäusern inhaftiert. Vgl. Schumacher (Hg.), M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik, S. 117, 344 f., 354, 471, 506–509, 523–525; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 19–21, 144 f., 177, 181, 201 f., 224 f., 262, 275, 285 f., 296 f.; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 2. Band, S. 74; Stein, Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945, S. 66 f.; Lehmann, Max Lademann, S. 19–22; BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 5. Band, Bl. 158 f., 273. 253 Beispielhaft für die Berichterstattung des Klassenkampfes über die Verhältnisse in der Sowjetunion ist die am 30. 9.1932 erschienene „Sondernummer Sowjetunion“, der die eingefügten Zitate entnommen wurden.

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Sowjetunion zu erhalten.254 Aus der Sowjetunion zurückkehrende Arbeiterdelegationen wurden feierlich empfangen und zur Berichterstattung in Versammlungen von Betrieben, Gewerkschaften, Massenorganisationen, Freidenker-, Sport- und Mietervereinigungen herangezogen. Die Veranstaltungen trugen einen offiziell überparteilichen Charakter und sollten „die politischen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse in Sowjetrussland den schandbaren Verhältnissen der deutschen Bürgerblockpolitik“ gegenüberstellen.255 Der hallesche Architekt und KPD-Funktionär Martin Knauthe, der mehrfach über den sowjetischen Aufbau berichtete, spielte bei der Vermittlung eines positiven Sowjetunion-Bildes eine wichtige Rolle. Zusammen mit Elisabeth und Ernst König, die sich 1929 zehn Wochen lang in der Sowjetunion aufgehalten und dabei 500 Fotos von Siedlungen, Schulen, Betrieben, Baustellen und einer Sowchose angefertigt hatten, führte Knauthe Lichtbildvorträge durch, an denen jeweils bis zu 200 Zuhörer aus Arbeiterorganisationen und auch Intellektuelle teilnahmen.256 Während eines Vortrags, den er im Juli 1931 in Halle hielt, versuchte Knauthe, die von bürgerlichen und sozialdemokratischen Zeitungen verbreiteten negativen Schlagzeilen über die Sowjetunion zu widerlegen. Er rief die Zuhörer dazu auf, „der Sowjetunion nicht nur Vertrauen und Sympathie entgegenzubringen, sondern dieses Land, in dem eine neue Welt ohne Ausbeutung, Hunger und Not aufgebaut wird, auch gegen alle seine Feinde zu verteidigen“.257 Über die sowjetischen Aufbauleistungen im Ural berichtete Knauthe seinen Genossen im September 1932: „Siedlungen mit mehrstöckigen Standardhäusern sind aus den Wäldern des Urals gewachsen. Kulturelle Anlagen werden von Anbeginn jeder Siedlung in großem Umfange mit errichtet. Große Gemüse- und Kartoffelplantagen versorgen die viele tausend Mann starken Belegschaften der großen Werke. [...] Bei meiner Einarbeit in die hiesigen Verhältnisse finde ich das größte Entgegenkommen aller verantwortlichen Stellen. [...] Genossen und Genossinnen in Mitteldeutschland! Erst wenn man in Sowjetrussland selbst die riesigen Anstrengungen des russischen Proletariats beim friedlichen Aufbau des Sozialismus sieht, erkennt man, welch wichtige Rolle in der revolutionären Arbeit gerade der mitteldeutschen Arbeiterschaft zukommt. Lasst Euch nicht unterkriegen, Genossen! Kämpft weiter für ein sozialistisches Deutschland!“258

Diese und ähnliche Schilderungen stellten jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der sowjetischen Wirklichkeit dar. Mehrere hallesche Arbeiter, die der Histori254 255 256 257

SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/33, Bl. 30. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/38, Bl. 116 f. BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 2. Band, Bl. 205 f. Klassenkampf vom 4. 7.1931 („Sowjet-Rußland ist ein großer Bauplatz. Architekt Knauthe berichtet über seine Reise nach der Sowjetunion“). 258 Klassenkampf vom 30. 9.1932 („Architekt Knauthe, Halle, schreibt aus der Sowjetunion“). Knauthe unterhielt während seines Aufenthalts in der Sowjetunion regelmäßigen Kontakt zur Bezirksleitung Halle-Merseburg: So teilte er der Redaktion des Klassenkampf Anfang November 1932 anlässlich des fünfzehnten Jahrestages der Oktoberrevolution die Inbetriebnahme des ersten russischen Kalibergwerkes mit und sandte „den klassenbewußten mitteldeutschen Arbeitern [...] brüderliche Grüße“. Vgl. Klassenkampf vom 7.11.1932 („Telegramm aus dem roten Ural“).

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ker Otfried Dankelmann 1959/60 über ihre Erlebnisse beim sozialistischen Aufbau in den Jahren 1930 bis 1932 befragte, berichteten übereinstimmend von schwierigen Arbeits- und Lebensverhältnissen. Obwohl die Versorgung ausländischer Arbeiter und Spezialisten durch ihnen vorbehaltene Verkaufsstellen und die Gewährung von Sonderverpflegung über dem Landesdurchschnitt lag, kam es häufig zu Versorgungsengpässen.259 Ein Monteur, den die hallesche Maschinenfabrik Wegelin & Hübner im Mai 1930 zum Aufbau einer Kunstseidefabrik nach Mogilew geschickt hatte, berichtete: „Die Montage begann, als die Werkhallen noch ohne Dach waren. [...] Der Fabrikbau wies einige ernste Mängel auf, deren Behebung die Inbetriebnahme der Maschinen natürlich verzögerte. Am 1. Mai 1931 wurde schließlich die erste Maschine in Gang gebracht. [...] Als nahe der Fabrik ein größeres Wohnhaus errichtet wurde, in das die deutschen Spezialisten zuerst einzogen, erleichterte das die Kontrollarbeit wesentlich. Trotzdem wurde die geforderte Qualität lange nicht erreicht. Die Selbstkosten überstiegen bei weitem die errechnete Höhe. Nach Ansicht der deutschen Techniker waren die Maschinen und Einrichtungen mit 4 000 Belegschaftsmitgliedern doppelt besetzt, weshalb auch nach und nach die Hälfte der Arbeiter in anderen Betrieben eingesetzt wurde. Natürlich waren auch die Erfahrungen und Kenntnisse der meisten dort beschäftigten russischen Arbeiter sehr gering. Sie kamen ja überwiegend vom Lande oder aus oft noch sehr rückständig eingerichteten Industriebetrieben.“260

Es gelang dem Regime zwar, Grundlagen für eine neue Schwerindustrie und die Einführung moderner Technologien in der Sowjetunion zu schaffen. Diese Erfolge wurden jedoch mit Sklavenarbeit, enormem Verschleiß an Material und Arbeitskraft, Inflation, Konsumverzicht und sinkendem Lebensstandard großer Bevölkerungsteile teuer erkauft. Fehlplanungen, mangelnde Produktqualität, schwere Betriebsunfälle, schlechte Arbeitsmoral und Bilanzfälschungen waren an der Tagesordnung und sollten zu bleibenden Erscheinungen des Sowjetsystems werden. Im Agrarsektor verursachte die gewaltsam forcierte Zwangskollektivierung Anfang der dreißiger Jahre eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte. Als Reaktion auf die erzwungene Schaffung von Kolchosen töteten viele Bauern ihr Vieh und schränkten die Aussaat von Getreide ein. Es entstand eine bäuerliche Aufstandsbewegung, die 1930 etwa drei Millionen Menschen erfasste und die Parteiherrschaft in einigen Gebieten hinwegfegte. Auch in den Städten reagierte die Bevölkerung mit Streiks, Hungerdemonstrationen und Angriffen auf Einrichtungen der Staatsmacht. Das Regime brach den Widerstand mit Gewalt: Allein 1930 wurden von der OGPU über 20 000 Menschen zum Tod durch Erschießen verurteilt. Im Rahmen der „Liquidierung der Kulaken als Klasse“ wurden 1930/31 ca. 1,7 Millionen Menschen in Lager der OGPU nach Sibirien und im Norden des Landes deportiert. Drei Millionen weitere flohen in die Städte und neuen Industriezentren oder 259 Dankelmann, Die Handelsbeziehungen Deutschlands zur Sowjetunion, Anhang Nr. 35, 36, 37. 260 Zit. nach ebd., Anlage Nr. 36.

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wurden unter unvorstellbaren Bedingungen umgesiedelt. Infolge staatlicher Getreide-Requirierungen und stark gesunkener Erträge fanden 1932/33 ca. fünf Millionen Menschen den Hungertod. Kannibalismus war unter den von Flecktyphus und anderen Krankheiten gezeichneten Überlebenden weit verbreitet.261 Das Regime reagierte auf diese katastrophale Entwicklung mit wachsendem Terror, ließ Ingenieure und Wirtschaftsplaner als die angeblich Verantwortlichen verhaften und in Schauprozessen anklagen. Vorläufer solcher Prozesse, die einer bestimmten Regie folgten und in denen mit manipuliertem Beweismaterial gearbeitet wurde, hatte es bereits unter Lenin gegeben: So wurde der Chef der Baltischen Flotte im Juni 1918 aufgrund fingierter Beschuldigungen wegen angeblich konterrevolutionärer Tätigkeit zum Tode verurteilt und anschließend erschossen. Im April 1921 forderte Lenin die Anwendung von Terror gegen „Gesindel, das sich bei den Kommunisten eingeschlichen“ habe, d. h. „auf der Stelle gerichtliche Aburteilung und unbedingt Erschießung“. Von 10 000 revoltierenden Kronstädter Matrosen, die sich nach der Niederschlagung des Aufstandes noch in der Festung befanden, wurden über 2 000 erschossen und 6 500 zu Haftstrafen verurteilt. 1922 folgten Prozesse gegen kirchliche Würdenträger, Sozialrevolutionäre und Fabrikanten. Die Einzelheiten des Prozessverlaufs gegen die Sozialrevolutionäre wurden im Politbüro und im EKKI vorab besprochen. Im Prozess gegen die Fabrikanten intervenierte Lenin persönlich und legte seine Erwartungen zum Ausgang des Verfahrens schriftlich nieder. Auch das Instrumentarium zur Durchführung weiterer Massenrepressalien ging auf Lenin zurück, so z. B. die Einrichtung des ersten „koncentration lager“ – die Bezeichnung wurde aus der deutschen Sprache übernommen – zur Einweisung weißgardistischer Offiziere, Prostituierter und Alkoholiker im August 1918. Im Februar 1919 markierte die psychiatrische Zwangseinweisung der führenden Sozialrevolutionärin Maria Spiridonowa den Beginn des missbräuchlichen Einsatzes der Medizin zur Eliminierung politischer Gegner.262 Im ersten großen stalinistischen Schauprozess („Schachty-Prozess“ 1928) wurden 50 russische und drei deutsche Techniker der Sabotage in Bergwerken des Donezbeckens beschuldigt, die sie angeblich im Auftrag westlicher Geheimdienste durchgeführt hatten. Sie sollen außerdem beabsichtigt haben, „im Falle einer Intervention [...] den katastrophalen Zusammenbruch des gesamten Industriezweiges zu organisieren, die Verteidigungsfähigkeit des Landes schwer zu schädigen und damit den intervenierenden Mächten bei der Überwindung

261 Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 34–37, 84–94; Stalin. Briefe an Molotow 1925–1936, S. 205 f., 243–246; Hildermaier, Geschichte der Sowjetunion, S. 372–377, 391–401; Bonwetsch, Stalinismus in der Sowjetunion; Jakowlew, Blutige Vergangenheit, S. 15–21, 32, 231. Bonwetsch beziffert die Zahl der Hungertoten in den Jahren 1932/33 auf 3,8 Millionen. 262 Stalin. Briefe an Molotow 1925–1936, S. 55–61; Colas, Säubernde und gesäuberte Einheitspartei, S. 155 f., 177, 180, 185 f.; Foitzik, Stalinistische Säuberungen; Watlin, Bolschewismus, S. 29, 404; Jakowlew, Blutige Vergangenheit, S. 238 f.

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des Widerstandes der Roten Armee behilflich zu sein“.263 Im Gegensatz zu späteren Schauprozessen kam es aus der Sicht des Anklägers zu einigen Pannen, da manche der Angeklagten während der Verhandlung von ihren früheren Geständnissen abrückten und ihre Aussagen mehrfach änderten. Den Vernehmern gelang es jedoch, die Angeklagten durch Drohungen, Schlafentzug und körperliche Misshandlungen zur erneuten Bekräftigung ihrer Geständnisse zu zwingen. Elf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, fünf von ihnen sofort hingerichtet.264 1930 folgte der Prozess gegen die so genannte „Industriepartei“, in dem acht Wissenschaftler und Funktionäre des Staatlichen Plankomitees (Gosplan) angeklagt wurden, eine „gegenrevolutionäre Schädlingsorganisation“ gebildet sowie Spionage im Auftrag der Franzosen und Engländer betrieben zu haben. Stalin bestimmte die Tendenz des Verfahrens, indem er den Chef der OGPU anwies, die Gefangenen über ihre Verbindungen zu westeuropäischen Regierungen und die Vorbereitung einer militärischen Intervention in der Sowjetunion aussagen zu lassen. Im Gegensatz zum Schachty-Prozess waren die Angeklagten intensiver eingeschüchtert worden, denn alle bekannten sich schuldig. Die ursprünglich verhängten Todesurteile wurden in zehnjährige Haftstrafen umgewandelt. Allerdings waren im Umkreis der Ermittlungen 2 000 weitere Personen verhaftet und 48 Beschuldigte bereits vor Beginn des „Industriepartei“-Prozesses hingerichtet worden.265 Die westliche Öffentlichkeit erhielt durch Presseberichte zumindest ansatzweise Kenntnis über die politische Motivation und Verletzung elementarer juristischer Regeln in den genannten Prozessen wie auch im Menschewisten-Prozess von 1931. In Deutschland erhoben vor allem sozialdemokratische Blätter scharfen Protest, nicht allein wegen der im Menschewisten-Prozess konstruierten konspirativen Verbindungen der Angeklagten zur SPD (das Ziel dieser Verbindungen soll der Sturz der sowjetischen Regierung gewesen sein), sondern auch, weil man die Prozesse als Farce, als „schauerliche Komödie“ und Vorspiel für eine „Blutorgie“ durchschaute.266 Das sozialdemokratische „Volksblatt“ aus Halle machte dabei keine Ausnahme, denn es bezeichnete bereits den Schachty-Prozess (1928) als „politisches Propaganda-Schaustück“,267 was beim 263 Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 46 von 1928, S. 820. Zit. nach Dokumente der SED, 4. Band, S. 213; Bonwetsch, Stalinismus in der Sowjetunion, S. 22–24. Noch bis in die achtziger Jahre hielten offizielle sowjetische Darstellungen an der stalinistischen Verschwörungstheorie des Schachty-Prozesses fest. Vgl. dazu das 1979 unter dem Titel „Militärtschekisten“ erschienene Buch des früheren Generalmajors des sowjetischen Geheimdienstes Sergej Ostrjakow, das 1985 in deutscher Übersetzung vom Militärverlag der DDR herausgegeben wurde. Ostrjakow, Militärtschekisten, S. 114. 264 Waksberg, Gnadenlos, S. 59–64; Conquest, Stalin, S. 204–207. 265 Müller, Frühe Schauprozesse in der Sowjetunion, S. 393; Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 59 f.; Pirker (Hg.), Die Moskauer Schauprozesse 1936–1938, S. 55–58; Waksberg, Gnadenlos, S. 72–75; Conquest, Stalin, S. 208; Jakowlew, Blutige Vergangenheit, S. 232. 266 Müller, Frühe Schauprozesse in der Sowjetunion, S. 389–398. 267 Klassenkampf vom 4. 7.1928 („Asiaten! oder Heuchelei und Verdrehungsmanöver des halleschen Volksblatt“).

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kommunistischen „Klassenkampf“, der die offizielle sowjetische Darstellung vorbehaltlos übernahm,268 wüste Proteste auslöste: Der Schachty-Prozess sei kein Prozess gegen die technische Intelligenz der Sowjetunion, sondern lediglich gegen jene gerichtet, die „mit den Kapitalisten verwachsen“ seien und die „Gesinnung von Söldlingsingenieuren beibehalten“ hätten. Die Anklage gelte nicht nur den „politisch und moralisch verkommenen korrupten Söldlingen des Kapitals“, sondern der Prozess sei eine Anklage gegen die bürgerliche Gesellschaft, „die die konterrevolutionäre Sabotageorganisation im Kohlenrevier der Sowjetunion Jahre hindurch finanziert und organisiert“ habe. Aus den Urteilen (u. a. 11 Todesurteile) spreche weder Rachsucht, noch Härte, sondern Milde – sofern Milde „im Rahmen der proletarischen revolutionären Selbstverteidigungsmaßnahmen zulässig“ gewesen sei. Menschlichkeit erhalte „erst im proletarischen Staat überhaupt einen Sinn“.269 Im Vergleich dazu trat in der Berichterstattung zum Prozess gegen die „Industriepartei“ (1930) die inzwischen vollzogene Stalinisierung der mitteldeutschen KPD noch wesentlich deutlicher zutage: Die KPD begnügte sich nicht mehr damit, die offizielle sowjetische Darstellung zu übernehmen, sondern organisierte nach sowjetischem Vorbild mit Hilfe der ihr angeschlossenen Organisationen (RGO, IAH, Arbeitersportler etc.) Versammlungen, in denen die Parteimitglieder in einstimmig verabschiedeten Entschließungen ihrer Empörung über die „Saboteure des sozialistischen Aufbaus“, „Feinde der proletarischen Diktatur“, „gekauften Agenten des Imperialismus“, „konterrevolutionären Banditen“ etc. Ausdruck verliehen und schwerste Strafen forderten. So verlangten die Kumpel des Mansfelder Landes in einer der täglich eintreffenden Entschließungen, „das scharfe Schwert der proletarischen Diktatur“ müsse „alle Konterrevolutionäre zerschmettern“. Versammlungen in Wittenberg und Neumark forderten: „Vernichtet die Saboteure! An die Wand mit diesen Kreaturen! Wir fordern den Tod der Feinde der Sowjetmacht!“. 250 Vertreterinnen des Allgemeinen Konsumvereins Halle (AKV) verlangten vom Obersten Gerichtshof der UdSSR die „Vernichtung aller Schädlinge am sozialistischen Aufbau“.270 Im weiteren Verlauf der Kampagne offenbarte sich unter den mitteldeutschen Kommunisten eine ständig wachsende Gewaltbereitschaft, die Ende November 1930 268 Klassenkampf vom 20. 6.1928 („Der Schachty-Prozeß“); 21. 6.1928 („Der SchachtyProzeß“); 22. 6.1928 („Die Auslands-Verbindungen der Donez-Saboteure“); 29. 6.1928 („Schluß mit den Saboteuren des sozialistischen Aufbaues“; „Feiges Gesindel!“); 5. 7.1928 („Heute fällt in Moskau das Urteil“); 6. 7.1928 („Tod den Saboteuren des Sozialismus!“); 11. 7.1928 („Die Abrechnung mit den Totengräbern des Sozialismus“). 269 Klassenkampf vom 30. 6.1928 („Krylenko hält Abrechnung“); 7. 7.1928 („Das Echo vom Schachty-Prozeß. Das scharfe Schwert der Gerechtigkeit“). 270 Klassenkampf vom 26.11.1930 („Mansfeldkumpel fordern: Zerschmettert die Feinde der proletarischen Diktatur!“); 27.11.1930 („Vernichtet die Feinde des sozialistischen Aufbaus!“; „Aus Mitteldeutschland“); 28.11.1930 („Massen heraus!“; „Vernichtung der Schädlinge!“; „Mitteldeutsche Werktätige, tut Eure Pflicht“; „Entschließung“); 29.11. 1930 („Massenkundgebung in Weißenfels gegen die Saboteure des sozialistischen Aufbaus“; „Vernichtet die Verbrecher der Industriepartei“; „Greift durch, wir helfen Euch!“).

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in Pogromstimmung umschlug: Einem KPD-Funktionär brandete in Naumburg frenetischer Jubel entgegen, als er erklärte, die Arbeiterschaft begrüße es, „dass die Konterrevolutionäre in der Sowjetunion an die Wand gestellt“ würden. Die Versammlungsteilnehmer bildeten Sprechchöre und riefen: „An die Wand mit dem Gesindel! Es lebe die Diktatur des Proletariats, es lebe die Sowjetunion, es lebe Sowjet-Deutschland!“ Die in Halle tagende Landeskonferenz der Arbeiterschützen erklärte sich bereit, „wenn notwendig, das Urteil an den Mitgliedern der Industriepartei selbst zu vollstrecken“.271 Möglicherweise bewogen diese kaum noch zu kontrollierenden Ausbrüche von Hass und Gewalt die KPD während des nur drei Monate später stattfindenden Menschewistenprozesses zu größerer Zurückhaltung. Die KPD-Presse übernahm zwar die absurden Behauptungen der Anklageschrift,272 rief ihre Leser zu Demonstrationen und Versammlungen auf, in denen Resolutionen gegen die „Kanaillen“ und „übelsten Kreaturen [...] der deutschen Sozialdemokratie“ abgesegnet wurden273 – dennoch ließ sich die Intensität der Kampagne keinesfalls mit der Aufstachelung der Parteimitglieder während des Prozesses gegen die „Industriepartei“ vergleichen. Es bleibt aber festzuhalten, dass die mitteldeutschen Kommunisten bereits die vor dem „Großen Terror“ veranstalteten Schauprozesse vorbehaltlos mittrugen. Unter dem Eindruck der Prozesse verstärkte sich zweifellos auch die Bereitschaft zur Abrechnung mit den Gegnern der KPD. Thälmann hatte bereits am 6. September 1930 während des Reichstagswahlkampfes in Halle erklärt, es werde „eine Zeit kommen, wo wir gemeinsam mit den Millionen Werktätigen mit der Bourgeoisie und ihren Handlangern russisch reden“. Die Verhaftung der „Industriepartei“ war zwei Tage zuvor bekannt gegeben worden.274 Den sowjetischen Vernehmern, Anklägern und Richtern bot sich in den frühen Schauprozessen die Möglichkeit, erste Erfahrungen für die zwischen 1936 und 1938 stattfindenden ausgefeilten Prozess-Inszenierungen gegen Lenins engste Kampfgefährten zu sammeln. Die andauernde Beschwörung von Feindbildern (Spione, Saboteure, ausländische Agenten, Trotzkisten etc.) erzeugte ein 271 Klassenkampf vom 29.11.1930 („Reformistische Bonzen blitzen überall ab“); 1.12.1930 („Landestagung der Arbeiterschützen“). 272 Klassenkampf vom 24. 2.1931 („Die II. Internationale auf der Anklagebank“); 27. 2.1931 („Vor dem Prozeß gegen die II. Internationale“); 28. 2.1931 („Die SPD finanziert die menschewistische Konterrevolution“); 2. 3.1931 („Hilferding führt die Interventionskasse“; „Die Menschewiki wollten Hungersnot organisieren“); 3. 3.1931 („II. Internationale vor dem proletarischen Gericht“); 4. 3.1931 („Internationale der Kriegshetzer am Pranger“); 6. 3.1931 („Abramowitsch und Dan im Kreuzverhör“; „Die Verschwörerzentrale in der Lindenstraße“; „Attentäter gegen die Arbeiterklasse!“); 9. 3.1931 („Krylenko fordert Todesstrafe“); 10. 3.1931 („Die Menschewiki verurteilt“). 273 Klassenkampf vom 6. 3.1931 („Mitteldeutsche Proleten zum Menschewistenprozeß“); 9. 3.1931 („Heraus zur Demonstration“); 11. 3.1931 („Revolutionäre Jugend verteidigt den Sozialismus“). 274 Klassenkampf vom 4. 9.1930 („Sowjetfeinden das Handwerk gelegt!“); 8. 9.1930 („Unser Ziel: Sowjet-Deutschland. Rede des Genossen Thälmann in der hallischen Massenversammlung am 6. September“).

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Klima der Angst, das oppositionelle Regungen im Keim ersticken und die Bevölkerung zum Schulterschluss mit dem Regime veranlassen sollte. Darüber hinaus sollten tatsächliche und potentielle Gegner in den eigenen Reihen, wie z. B. Nikolai Bucharin, der im Gegensatz zu Stalin an den bürgerlichen Spezialisten festhalten wollte, eingeschüchtert werden. Ebenso hatte Walerian Kuibyschew als Vorsitzender des Obersten Volkswirtschaftsrates allen Grund besorgt zu sein, wenn sich zahlreiche Beschäftigte seines Sektors plötzlich der Spionage und Sabotage bezichtigten. Da sich unter den angeklagten Technikern und Ingenieuren mehrere Ausländer befanden, die aus Idealismus oder während der Weltwirtschaftskrise auf der Suche nach Arbeit in die Sowjetunion gekommen waren, erhielten die frühen Schauprozesse zudem eine fremdenfeindliche Komponente, die an tradierte Vorurteile anknüpfte. Es entsprach daher der stalinistischen Verfolgungslogik, wenn während des „Großen Terrors“ deutsche Arbeiter verhaftet und wegen angeblich antisowjetischer Agitation, Sabotage und Spionage verurteilt wurden. Die Denunziationen gingen zum Teil von zuvor verhafteten sowjetischen Arbeitern aus, die man während der Verhöre zur Belastung ihrer deutschen Kollegen zwang.275 Die in die Sowjetunion eingereisten KPD-Mitglieder konnten sich zwar auf Artikel 12 der 1925 erlassenen Verfassung der RSFSR berufen, worin ihnen aufgrund ihrer politischen Betätigung Asyl zugesichert wurde,276 sie unterlagen aber dennoch einer lückenlosen Überwachung. Dossiers des M-Apparates der KPD waren der Kaderabteilung der Komintern bereits vor der Zerschlagung der Partei in Deutschland zugegangen. Auch die Einreise abkommandierter oder emigrierter deutscher Kommunisten in die Sowjetunion erfolgte erst nach Zustimmung der KPD und der Hilfsorganisation MOPR, die über die Erteilung eines Visums mitentschieden. Seit 1935 nahm eine zehnköpfige KPD-Kommission eine Überprüfung der Parteibiographie von Mitgliedern vor, die in die KPdSU überwechseln wollten. 1935/36 schloss sich eine „Überprüfung der Parteidokumente“ an. Die Arbeit solcher Kommissionen diente der Aussonderung von „Parteischädlingen“ und „schlechten Elementen“, d. h. der listenmäßigen Erfassung von Kommunisten, die wegen ideologischer Abweichungen, früherer Mitgliedschaft in kommunistischen Splittergruppen oder moralischer Bedenken verdächtig erschienen. Alle in die Sowjetunion eingereisten KPD-Leute mussten mehrfach Lebensläufe einreichen und detaillierte Fragebögen beantworten, in denen Angaben zur Herkunft und politischen Vergangenheit, zu Beziehungen und Verwandtschaftsverhältnissen abgefragt wurden. Hinzu kamen Befragungen im Anschluss an Auslandseinsätze. Das gesammelte Material wurde der Kaderakte beigefügt, die im Laufe der Zeit durch Beurteilungen, Denunziationen, Spitzelberichte, schriftliche Selbstbezichtigungen, selbstkritische Stellungnahmen in Parteiversammlungen etc. einen beachtlichen Umfang annehmen konnte. Auf diesem Material beruhende Auskünfte sowie Berichte über „Trotz275 Scherbakowa, Das Schicksal der deutschen Emigranten, S. 268–270; Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 63–66. 276 Bahne, Verfolgung deutscher Kommunisten, S. 239.

Säuberungen und Schauprozesse in der Sowjetunion

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kisten“ und „Versöhnler“ gingen über die Kaderabteilung des EKKI dem NKWD zu. Das EKKI-Material wurde vom NKWD um weitere Berichte angereichert und bildete häufig die Grundlage für die Konstruktion einer Anklage.277 Die in die Sowjetunion emigrierten deutschen Kommunisten erlitten bereits vor den Schauprozessen des „Großen Terrors“ erste Verluste durch Verhaftungen und Ausweisungen. Einer der prominentesten deutschen Kommunisten, Max Hoelz, der frühere Kommandeur der „Roten Garden“ im Mitteldeutschen Aufstand von 1921, fand 1933 unter mysteriösen Umständen den Tod. Hoelz war 1928 aus dem Gefängnis entlassen worden und 1929 in die UdSSR übergesiedelt, wo man ihn zunächst als proletarischen Helden gefeiert und ein Treffen mit Stalin arrangiert hatte. Hoelz scheute sich nicht, Kritik an sowjetischen Funktionären zu üben und auf die schlechten Lebensbedingungen ausländischer Arbeiter hinzuweisen, weshalb er schon bald in ernste Schwierigkeiten geriet. Die gegen ihn von der KPD, der MOPR und der Komintern erhobenen ideologischen Vorwürfe („Disziplinlosigkeit“, „Individualismus“, „unkommunistisches Verhalten gegenüber Frauen“ etc.) schienen sich durch seine selbstbewusste Einmischung in innersowjetische Belange und nicht zuletzt auch durch die Verwicklung in mehrere Schlägereien zu bestätigen. Hinzu kam, dass er 1920/21 der KAPD nahe gestanden und sich erst nach seiner Inhaftierung wieder der KPD angenähert hatte. Ausreiseanträge nach Deutschland wurden von der KPD-Führung und der Komintern abgelehnt, weshalb sich Hoelz wenige Wochen nach Hitlers Machtübernahme mit einem Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Verbindung setzte. Bedingt durch seine zunehmenden Depressionen und Verfolgungsängste, glaubte Hoelz schließlich in den Personen seiner Umgebung Spitzel der GPU zu erkennen, gegen die er sich in seinem Moskauer Hotelzimmer verschanzte. Man fand seine Leiche am 16. September 1933 am Ufer des Flusses Oka. Die offizielle Version, derzufolge Hoelz ertrunken sein soll, wurde bereits damals angezweifelt und kann heute als widerlegt gelten.278 Eine erste größere Säuberungsaktion gegen deutsche Emigranten fand 1934 bei der „Deutschen Zentral-Zeitung“ statt. Sie endete mit der Verhaftung, Verurteilung oder Ausweisung mehrerer Redaktionsmitglieder wegen angeblicher 277 Müller, Menschenfalle Moskau, S. 47–58; ders., Permanenter Verdacht und „Zivilhinrichtung“, S. 257–264. 278 Müller, Menschenfalle Moskau, S. 104–126; Weber, „Weiße Flecken“, S. 93; Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus, 1. Band, S. 170 f. Mehrere Indizien lassen es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass Hoelz Opfer eines Attentats der GPU wurde: Da Hoelz als ausgezeichneter Schwimmer bekannt war, wirkt die offizielle Todesursache „Ertrinken“ wenig glaubhaft. Wie Hoelz’ Witwe später erfuhr, soll sich der GPUChef von Gorki mit dem Mord an Hoelz gebrüstet haben. Hoelz wurde demnach von mehreren GPU-Leuten durch Schläge auf den Kopf bewusstlos geschlagen und anschließend ins Wasser geworfen. Der Tathergang ist zugleich eine Erklärung dafür, dass es Hoelz’ Witwe vor der Beisetzung untersagt war, sich dem Leichnam zu nähern. Dennoch bemerkte sie Gesichtsverletzungen und ein Tuch, mit dem der Hinterkopf der Leiche abgedeckt war. Vgl. Müller, ebd., S. 123, 125.

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Traditionslinien der Säuberung

Bildung einer „konterrevolutionären faschistischen Organisation“. Anfang 1935 dehnte sich die Verfolgung auf frühere „Versöhnler“ und „Trotzkisten“ aus, von denen einige ebenfalls verhaftet oder aus der KPD ausgeschlossen wurden. Gegen Ende desselben Jahres leitete die Kaderabteilung Untersuchungen gegen Angehörige des M-Apparates der KPD ein, da man ihnen die Schuld an der Verhaftung Ernst Thälmanns gab.279 Die Beseitigung zahlreicher KPD-Funktionäre und einfacher Parteimitglieder setzte in größerem Umfang mit dem Moskauer Schauprozess gegen Sinowjew und Kamenew (19.–24. August 1936) ein, der auch als „Prozess gegen das trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum“ bekannt wurde.280 Die Angeklagten bezichtigten sich unter der Folter sämtlicher Verbrechen, die das Prozess-Drehbuch vorsah (Spionage, Sabotage, Schädlingstätigkeit, Terror, Verrat, Verschwörung, Teilnahme am KirowMord etc.). In den entfesselten Hassausbrüchen des Anklägers Andrej Wyschinski und der Presse verloren die Angeklagten jede Ähnlichkeit mit Menschen und mutierten zu „Abschaum“, „Auswurf“, „tollgewordenen Kettenhunden des Kapitalismus“, „elenden Pygmäen, Möpsen und Kläffern“, einem „verachtungswürdigen, nichtigen Häuflein von Abenteurern“ etc., für das es nur eine Lösung gab – die Erschießung.281 Unter den zum Tode Verurteilten des Schauprozesses befanden sich auch fünf jüdische KPD-Mitglieder russischer Abstammung, von denen vor 1933 drei wegen „trotzkistischer Opposition“ in Widerspruch zur Generallinie der Partei geraten oder ausgeschlossen worden waren. Sie waren mit Zustimmung des ZK der KPD in die UdSSR eingereist, gestanden aber unter der Folter, auf Anweisung von Trotzki, Ruth Fischer und Arkadi Maslow gehandelt zu haben, um sich in der Sowjetunion konterrevolutionär zu betätigen und Stalin, Shdanow, Woroschilow, Ordshonikidse und Kaganowitsch zu ermorden.282 Die in jahrelanger Sammeltätigkeit angelegten Dossiers über KPD-Mitglieder konnten während des „Großen Terrors“ eine lebensbedrohende Bedeutung erlangen, so z. B. in Form einer zwanzigseitigen Liste „trotzkistischer und feindlicher Elemente“, die dem NKWD am 2. September 1936 von der Kaderabtei279 Müller, „Wir kommen alle dran“, S. 131–133. 280 Prozessbericht über die Strafsache des trotzkistisch-sinowjewistischen terroristischen Zentrums. 281 Ebd., S. 120, 122, 125, 167; Pirker (Hg.), Die Moskauer Schauprozesse 1936–1938, S. 123–150. Im Prozess gegen Bucharin, Rykow und 19 weitere Angeklagte (2.–13. März 1938) beschimpfte Wyschinski die Angeklagten als „übelriechenden Haufen menschlichen Abschaums“, „trotzkistisch-sinowjewsches Geschmeiß“, „Tiere in Menschengestalt“, „räudige Hunde“ und „verfluchtes Otterngezücht“. Bucharin verleumdete er als „verfluchte Spottgeburt von Fuchs und Schwein“. Vgl. Prozessbericht über die Strafsache des antisowjetischen „Blocks der Rechten und Trotzkisten“, S. 683, 690, 739, 742, 754; Waksberg, Gnadenlos, S. 143–145. 282 Prozessbericht über die Strafsache des trotzkistisch-sinowjewistischen terroristischen Zentrums, S. 86–92, 102–109, 114–117; Schauprozesse unter Stalin 1932–1952, S. 141 f., 145, 152 f., 164–169; Weber, „Weiße Flecken“, S. 27 f.; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 93 f., 107; Pirker (Hg.), Die Moskauer Schauprozesse 1936–1938, S. 147–149.

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lung übergeben wurde. Die Liste enthielt Namen, Biographien und ideologische Abweichungen von 44 emigrierten KPD-Mitgliedern.283 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit waren bei den anlaufenden Säuberungen besonders gefährdet: Am 24. Juli 1937 verfügte das NKWD per Erlass Säuberungen unter den Mitarbeitern von Betrieben mit großer strategischer Bedeutung (Wasserwerke, Forschungsinstitute etc.), denen Ausländer und Personen mit Auslandsverbindungen sowie „aktive antisowjetische Elemente“ zum Opfer fielen. In einem operativen Befehl, den NKWD-Chef Nikolai Jeschow am 25. Juli 1937 unterzeichnete, hieß es, „dass der deutsche Generalstab und die Gestapo eine großangelegte Spionage- und Diversionstätigkeit in wichtigen Betrieben, in erster Linie in der Verteidigungsindustrie“, organisierten und sich dazu vor allem deutscher Staatsbürger bedienten. Ziel der deutschen Agentengruppen sei es, „Diversionshandlungen für die Zeit des Krieges vorzubereiten und zu diesem Zweck geeignete Kräfte auszubilden“. Bis zum 1. September 1937 sollten auch die in der zivilen Produktion und Landwirtschaft tätigen Deutschen erfasst werden. Ebenso wurden über Deutsche, die aus politischen Gründen in die Sowjetunion emigriert waren und die in der Verteidigungsindustrie arbeiteten, Dossiers und kompromittierende Unterlagen zusammengestellt. Weitere Maßnahmen gegen Deutsche und andere nationale Minderheiten wurden ergriffen, als das Politbüro dem NKWD am 31. Januar 1938 die Erlaubnis erteilte, die „Operation zur Zerschlagung der Spionage- und Diversionsgruppen von Polen, Letten, Deutschen, Esten, Finnen, Griechen, Iranern, Charbinern, Chinesen und Rumänen“ fortzusetzen.284 Die Verhaftungen erfassten nach und nach eine immer größere Zahl von KPD-Leuten, darunter auch die später hingerichteten Mitglieder und Kandidaten des Politbüros Hugo Eberlein (1921 Beauftragter der VKPD-Zentrale im Mitteldeutschen Aufstand), Leo Flieg, Heinz Neumann, Hermann Schubert, Fritz Schulte und Heinrich Süßkind. Hermann Remmele – er war 1928 gegen die Versöhnler im Parteibezirk Halle-Merseburg eingesetzt worden – und Werner Hirsch, dem man vorwarf, Mitglied einer fiktiven trotzkistischen „HoelzWollenberg-Organisation“ gewesen zu sein, fanden ebenfalls den Tod.285 Bis April 1938 wurden der deutschen Vertretung beim EKKI 842 verhaftete deutsche Kommunisten gemeldet, eine Zahl, der eine relativ hohe Dunkelziffer hinzugerechnet werden muss. Da über 70 Prozent aller in die Sowjetunion emigrierten deutschen Kommunisten verhaftet wurden, schmolzen die Parteigruppen in den Städten zusammen und verschwanden in einigen Fällen völlig. Aufgrund neuerer Berechnungen geht man heute davon aus, dass nachweislich mindestens 1100 KPD-Mitglieder während des „Großen Terrors“ festgenommen wurden. Mindestens 300 von ihnen wurden hingerichtet, verstarben in La-

283 Müller, „Wir kommen alle dran“, S. 137 f. 284 Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 270–272, 277. 285 Müller, Menschenfalle Moskau, S. 104, 314, 429–434.

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Traditionslinien der Säuberung

gern oder gelten bis heute als verschollen.286 Etwa 1 000 KPD-Leute, Angehörige von Verhafteten und deutsche Arbeiter wurden in Abstimmung mit der deutschen Botschaft vom NKWD an die Gestapo übergeben. Diese Auslieferungspraxis bezog sich auch auf deutsche Kommunisten jüdischer Abstammung.287 Unter den während des „Großen Terrors“ verhafteten mitteldeutschen Kommunisten befanden sich mit Bernard Koenen, Martin Knauthe, Joseph Schneider und Otto Unger auch vier prominente Funktionäre der mitteldeutschen KPD. Lediglich Koenen sollte die Verhaftung überleben. Martin Knauthe, der seinen deutschen Genossen 1931/32 begeistert über den sowjetischen Aufbau berichtet hatte, wurde im März 1938 verhaftet und zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt. Wie sein Sohn Hans fand auch er den Tod im Gefängnis oder Lager. Unger wurde im November 1937 verhaftet und im März 1938 erschossen, Schneider kam 1939 in Magadan ums Leben. Es liegt die Vermutung nahe, dass u. a. zeitweilige politische Abweichungen in den zwanziger Jahren den Hintergrund für die Verhaftung von Koenen, Schneider und Unger bildeten: Schneider war 1919 Parteisekretär in Mansfeld und 1921 während des Mitteldeutschen Aufstandes Verpflegungskommissar und Verwalter requirierter Gelder bei Max Hoelz gewesen, der 1936 posthum als Zentrum einer trotzkistischen Organisation „entlarvt“ worden war. Möglicherweise kosteten Schneider nicht nur die von ihm geführten Gespräche „trotzkistischen Inhalts“, sondern auch seine früheren Verbindungen zu Hoelz das Leben. In seinem 1922 erschienenen Buch über die mitteldeutschen Märzkämpfe hatte er sich zwar von Max Hoelz distanziert, der nach seiner Auffassung „ein tatkräftiger Revolutionär, aber weder Sozialist noch Kommunist“ war und dem „jegliche sozialistische Schulung“ fehlte, doch zugleich fanden sich in Schneiders Buch auch Zitate von Sinowjew und Trotzki. Das Buch endete mit dem Trotzki-Zitat „Die Revolution geht nicht über Rosen“ und der Schlussfolgerung, „dass das Proletariat dem Terror der Reaktion nur den Terror der Arbeiter entgegenstellen“ könne.288 Der aus Halle-Böllberg stammende Buchhändler Otto Unger – er war in den zwanziger Jahren u. a. Abgeordneter des Provinziallandtages in Merseburg gewesen – galt wie Koenen als Versöhnler und hatte deshalb 1928 seinen Posten als Agitprop-Sekretär der Bezirksleitung Wasserkante (Hamburg) verloren.289 Bernard Koenen wurde 1938 wegen angeblicher Zugehörigkeit zum „Antikomintern-Block“ verhaftet.290 Als Mitglied einer KPD-Kommission, der auch die unter demselben Vorwurf verhafteten Funktionäre Walter Dittbender und 286 Weber, „Weiße Flecken“, S.10, 76–123; Müller, Permanenter Verdacht und „Zivilhinrichtung“ S. 263 f. Studer/Unfried, Der stalinistische Parteikader, S. 84 f. 287 Weber, „Weiße Flecken“, S. 34–36, 82 f., 142. 288 Schneider, Die blutige Osterwoche im Mansfelder Land, S. 41–44, 58, 88. 289 Weitere biographische Angaben in Weber, „Weiße Flecken“, S. 113 f., 119 f.; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 329; Müller, Menschenfalle Moskau, S. 136, 275; In den Fängen des NKWD, S. 118, 207, 242 f. 290 Müller, Menschenfalle Moskau, S. 142; In den Fängen des NKWD, S. 334 f.

Säuberungen und Schauprozesse in der Sowjetunion

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Paul Schwenk angehörten, war es Koenens Aufgabe gewesen, über den Parteiausschluss von KPD-Mitgliedern zu befinden. Die mit Koenens Decknamen „Stafford“ unterzeichneten Einschätzungen von Parteimitgliedern, deren Ausschluss vorgeschlagen wurde, enthielten Vorwürfe wie „versuchte Gruppenbildung“, „Verbindung zu partei- und sowjetfeindlichen Elementen“, „Zweifel gegenüber den Sowjetbehörden“ etc.291 – Vorwürfe, die geeignet waren, Verfolgungsmaßnahmen gegen die betreffenden Personen auszulösen. Wie das weitere Schicksal Koenens und vieler anderer deutscher Kommunisten zeigt, ließ sich die eigene Verhaftung jedoch auch durch systemkonformes Verhalten und Zuarbeit für die sowjetischen Organe nicht verhindern. Wilhelm Pieck intervenierte am 20. April 1938 schriftlich bei Komintern-Chef Dimitroff, um die Freilassung von Koenen, Dittbender, Schwenk und anderen zu erreichen. Das Sekretariat des ZK sei „fest überzeugt“ davon, dass Koenen und mehrere andere Verhaftete „sich keiner verbrecherischen Handlung gegen den Sowjetstaat schuldig gemacht und auch keine Verbindungen mit sowjetfeindlichen Elementen unterhalten“ hätten. In einem Auskunftsbericht wurde auf Koenens langjährige politische Tätigkeit und seine Ämter verwiesen. Weiter hieß es, er sei „aktiv in der Verteidigung der Parteilinie gegen Trotzkisten, Brandleristen, Versöhnler und gegen die Remmele-Neumann-Gruppe“ gewesen. Lediglich während des Weddinger Parteitages habe er „eine falsche Auffassung bezüglich der Gewerkschaftsfrage“ vertreten, seine „falsche politische Einstellung“ jedoch später erkannt und die Parteilinie befolgt.292 Koenen kam tatsächlich am 24. April 1938 frei, Schwenk verblieb noch bis 1941 in Haft, Dittbender wurde am 2. März 1939 als Mitglied einer „antisowjetischen, trotzkistischen Terrororganisation“ und „Spion“ erschossen. Nach erneuter Verhaftung kam Koenen Ende 1940 endgültig frei und wurde 1942 Mitglied des ZK der KPD.293

291 In den Fängen des NKWD, S. 324 f.; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 224, Bl. 103. 292 In den Fängen des NKWD, S. 333–335. 293 Weber, „Weiße Flecken“, S. 127 f., 130, 180–182; Müller, Menschenfalle Moskau, S. 142, 186; In den Fängen des NKWD, S. 119, 333, 342 f. Nach Angaben von Herbert Wehner soll sich Koenen über die in der Haft erlittenen Folterungen beschwert haben und nach Weiterleitung dieser Beschwerde an Stalin erneut verhaftet worden sein. Vgl. Wehner, Zeugnis, S. 213 f. Wolfgang Leonhard schrieb Koenens Erblindung auf einem Auge irrtümlich Folterungen durch den NKWD zu. Vgl. Leonhard, Die Revolution, S. 241 f.

108 Tab. 1:

Traditionslinien der Säuberung

Opfer des „Großen Terrors“ unter KPD-Mitgliedern der Provinz Sachsen294

Name

Geburtsdatum, Beruf Funktionen

weiteres Schicksal

Abramowitz, Alice

19. 3.1901 in Halle Stenotypistin

seit 1919 Sekretärin im ZK und bei der Komintern (Sinowjew), 1934 Kurier in Paris und Moskau

Mai 1935 zu 4½ Jahren Arbeitslager verurteilt, von 1945 bis 1955 erneut in Haft

Berger, Franz

1. 6.1900 in Halle Schlosser

Unterbezirk Bitterfeld, Sekretär der Genossenschaftsabteilung des ZK

1932 in die UdSSR, Juli 1937 verhaftet, vermutlich umgekommen

6. 3.1892 in Fischbach/Thüringen Maler

1923/24 Org.- bzw. Pol-Leiter im Bezirk Magdeburg-Anhalt, 1924–1928 und 1930–1933 MdR für den Wahlkreis Magdeburg, ZK-Mitglied

1933 Emigration nach Holland, April 1935 Emigration in die UdSSR, Oktober 1937 verhaftet, zum Tode verurteilt, zu 25 Jahren Haft begnadigt, 1938 umgekommen

Creutzburg, August

Fruck, Richard

4. 2.1903 in Teicha Bauschlosser

keine

1931 in die UdSSR, September 1937 verhaftet, Januar 1938 an Deutschland ausgeliefert, bis 1945 im KZ Buchenwald

Hadrossek, Luise

1. 9.1902 in Halle Kontoristin

Sekretärin bei Wilhelm Pieck

1925 bis 1928 und ab 1932 in der UdSSR, November 1937 verhaftet, überlebte

Knauthe, Hans

?

?

1939 zu 10 Jahren Haft verurteilt, umgekommen

1889 in Dresden Architekt

Parteifunktionär im Bezirk Halle-Merseburg

1932 in die UdSSR, März 1938 verhaftet, zu 8 Jahren Lager verurteilt, 1942 umgekommen

Knauthe, Martin

294 In den Fängen des NKWD, S. 23, 33, 75, 89, 118 f., 138, 170, 197, 207, 243, 254; Schumacher (Hg.), M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik, S. 165; Studer/Unfried, Der stalinistische Parteikader, S. 172–174, 290 f., 297 f.; BStU, MfS BV Halle, AIM 1594/66, 2. Band, Bl. 117 f.; 3. Band, Bl. 119.

Säuberungen und Schauprozesse in der Sowjetunion

Name

Geburtsdatum, Beruf Funktionen

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weiteres Schicksal

Koenen, Bernard

17. 2.1889 in Hamburg Metallarbeiter

Mitglied der Bezirks- 1933 Emigration in leitung Halle-Merse- die UdSSR, zweimal verhaftet, entlassen burg

Liebmann, Oskar

25. 3.1898 in Oelze Glasarbeiter

KPD-Ortsgruppenleiter, 1933 illegale Arbeit im Bezirk Halle-Merseburg

1933 Emigration in die UdSSR, Juli 1937 verhaftet, 1941 oder 1943 umgekommen

Peters, Herbert

29. 7.1904 in Zeitz

Verbindungsmann der Komintern

September 1938 verhaftet, 1940 zu 3 Jahren Haft verurteilt, Tod am 3. 2.1945 im Lager Karaganda

Schaf, Fritz

?

KJVD-Mitglied aus Halle

September 1937 verhaftet, Gefängnis Butyrka (Moskau)

Schneider, Joseph

18. 3.1882 in Hontheim (Eifel) Redakteur

1921 Emigration in 1921 Kommissar bei die UdSSR, verhaftet, Max Hoelz 1939 umgekommen

Unger, Otto

5. 9.1893 in HalleBöllberg Buchhändler

1921 Mitglied der Zentrale des KJVD, 1926 Agitpropsekretär der Bezirksleitung Wasserkante

1934 Emigration in die UdSSR, November 1937 verhaftet, März 1938 zum Tode verurteilt und erschossen

Wernicke, Karl

8.1.1906 in Halle Schlosser

1921 Mitglied des KJVD, 1929 KPD

1931 als Arbeiter in die UdSSR, 1936 verhaftet

110

3.

Traditionslinien der Säuberung

Neubeginn 1945–1947

Der Zweite Weltkrieg ging für die mitteldeutsche Bevölkerung im April 1945 zu Ende. Amerikanische Truppen drangen bis an die Elbe vor und besetzten fast das gesamte Gebiet der früheren preußischen Provinz Sachsen. Die aus Moskau eingeflogene Initiativgruppe um Anton Ackermann konnte lediglich in vier östlich der Elbe gelegenen Landkreisen aktiv werden. Eine erste provisorische Leitung des KPD-Bezirks Provinz Sachsen wurde in Halle am 20. April 1945 u. a. von Georg König (KPO), Alois Pisnik (KPÖ) und Otto Härtel (KPD) gegründet. Am 18. Mai 1945 kam als weiterer prominenter Kommunist Robert Siewert hinzu, der sich im Auftrag des Buchenwalder Parteiaktivs nach Halle begab. Siewert war im Januar 1929 als Anhänger des rechten Flügels aus der KPD ausgestoßen worden und hatte sich der KPO angeschlossen, für die er als aktiver Funktionär – u. a. als Mitglied der KPO-Bezirksleitung Westsachsen – tätig wurde. Nach 1933 gehörte er der illegalen Reichsleitung der KPO an, wurde 1935 verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. In der Haft näherte er sich wieder der KPD und wurde nach seiner Überführung in das KZ Buchenwald Mitglied der kommunistischen Widerstandsorganisation. Siewert übernahm als Kapo das Baukommando I und rettete in dieser Funktion zahlreichen Häftlingen das Leben. Er war einer der wenigen kommunistischen Häftlinge, die am 18. September 1944 für den in Buchenwald ermordeten Ernst Thälmann eine Gedenkveranstaltung organisierten, auf der Siewert die Trauerrede hielt. Dies war nicht nur wegen der fernbleibenden KPD-Leute, die Thälmanns Ermordung für nicht erwiesen hielten, bemerkenswert, sondern auch, weil die Veranstaltung einem Mann galt, dessen politischer Kurs 1929 Siewerts Parteiausschluss zur Folge gehabt hatte.295 Neben Siewert schlossen sich 1945/46 zahlreiche weitere KPO-Mitglieder wieder der KPD an, da sich die Ursache ihrer Abspaltung – der ultralinke Kurs der KPD und Komintern in den Jahren 1928/29 – durch den demonstrativ gemäßigten, realpolitischen Kurs der KPD erledigt zu haben schien.296 Frühere KPO-Leute gelangten in teilweise einflussreiche Positionen, so etwa der bereits erwähnte Georg König (ein Bekannter Siewerts aus dem KZ Buchenwald), der im April 1945 zusammen mit Rudolf Maisel (KPD), dem bürgerlichen Prof. Dr. Theodor Lieser und anderen an der Kapitulation und Rettung der Stadt Halle maßgeblichen Anteil gehabt hatte. Anfang Mai 1945 wurde König zum Leiter der politischen Abteilung des Polizeipräsidiums Halle ernannt. In dieser Funktion oblag ihm die Entlassung von Personen, „die für die Führung der Geschäf295 BStU, MfS-AP 1672/66, Bl. 8 f.; BArch, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 14534, Band 2, Bl. 23–25; Personalakte Robert Siewert (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA S 144, Bl. 2–5); Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 61 f.; Tjaden, Struktur und Funktion der „KPD-Opposition“ (KPO), S. 117 und Anhang I, S. 10; Wendt/Jacob, Robert Siewert, S. 20–28, 32 f.; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 304; Kogon, Der SS-Staat, S. 89–91; SBZ-Handbuch, S. 457 f. 296 Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 372.

Neubeginn 1945–1947

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te ungeeignet“ waren. Ähnlich wie Siewert hatte sich König seinen eigenen Angaben zufolge während der Haft in Buchenwald um seine Mitgefangenen verdient gemacht, als er 1938 im Auftrag des kommunistischen Lagerwiderstands die unmenschlichen Verhältnisse im Straßenbaukommando untersuchte und Vorschläge zur Abstellung des vor allem gegen jüdische Häftlinge gerichteten Terrors unterbreitete. Die übrigen Häftlinge des Kommandos erklärten sich daraufhin bereit, ihre eigene Arbeitsleistung zugunsten der Juden zu erhöhen.297 Als die Sowjets gemäß den in Jalta vereinbarten Zonengrenzen am 1. Juli 1945 in die gesamte Provinz Sachsen und nach Anhalt einrückten, räumte Siewert aufgrund seiner Ernennung zum Ersten Vizepräsidenten in der Provinzialverwaltung Sachsen den Vorsitz der KPD-Bezirksleitung zugunsten von Bernard Koenen.298 Koenen war der prominenteste von etwa 20 Sowjetemigranten, die seit Juni 1945 auf Anweisung des ZK in die Provinz Sachsen kamen. Er galt trotz seiner Inhaftierung durch den NKWD juristisch und politisch als vollständig rehabilitiert.299 Abgesehen von Koenen befand sich unter den Mitgliedern der KPD-Bezirksleitung zunächst nur noch ein weiterer Emigrant aus der Sowjetunion – der junge Peter Florin, der über Frankreich in die Sowjetunion gekommen war und dort die Kominternschule besucht hatte. Beim überwiegenden Teil der übrigen Bezirksleitungsmitglieder handelte es sich dagegen um Verfolgte des NS-Regimes, die in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen waren.300 Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang Erich Behnke, Ludwig Einicke, Otto Walter und Alois Pisnik, denen in den folgenden Jahren noch eine beachtliche politische Karriere bevorstehen sollte: Erich Behnke, vor 1933 Redakteur der halleschen Parteizeitung „Klassenkampf“, hatte sich zwischen 1933 und 1940 mehrfach in den Konzentrationslagern Lichtenburg und Buchenwald befunden,301 Ludwig Einicke in Buchenwald, Majdanek, Auschwitz und Mauthausen.302 Otto Walter – zwischen 1930 und 1933 Parteisekretär im KPD-Bezirk Halle-Merseburg – war von Dezember 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges inhaftiert gewesen.303 Der österreichische Kommunist Alois Pisnik war während des Krieges

297 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 11. Band, Bl. 88, 116; Nachlass Georg König (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/10/1, Bl. 41, 59–62, 67, 73–75). 298 BStU, MfS-AP 1672/66, Bl. 9; SBZ-Handbuch, S. 458. Seit Juli 1945 gab es anstelle der früheren KPD-Bezirke Magdeburg-Anhalt und Halle-Merseburg eine Bezirksorganisation für die gesamte Provinz Sachsen. Die drei Unterbezirksleitungen entsprachen den Regierungsbezirken Magdeburg, Dessau und Halle-Merseburg. SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/59, Bl. 11–13; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 110. 299 Erler, Rückführung deutscher Opfer des Stalinismus, S. 426; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 104. 300 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/59, Bl. 9–11. 301 Sekretariat-Protokolle 9.11.–23.11. 50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/23, Bl. 69). 302 Personalakte Ludwig Einicke (LHA Magdeburg, Rep K 3, MdI, PA E 96, 1. Band, Bl. 2). 303 SBZ-Biographie, S. 367.

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zur Verbüßung einer zehnjährigen Zuchthausstrafe in das hallesche Zuchthaus „Roter Ochse“ gelangt und nach der Befreiung in Halle geblieben.304 Eine erste planmäßige Überprüfung der politischen Vergangenheit führender Funktionäre, die mit Hilfe von Fragebögen, Lebensläufen und Charakteristiken durchgeführt wurde, stand im September 1945 auf der Tagesordnung. Wie nicht anders zu erwarten, trat dabei ein weit verzweigtes Netz persönlicher und politischer Verflechtungen zutage, die sich wie im Fall des Österreichers Alois Pisnik – nun stellvertretender Pol-Sekretär der Bezirksleitung – teilweise bis ins Ausland erstreckten. Pisnik wurde durch Anfrage beim ZK der KPÖ überprüft, das seinerseits Erkundigungen in Pisniks Geburtsort einzog. Die Überprüfung ergab, dass gegen Pisnik nichts vorlag und der von ihm eingereichte Lebenslauf der Wahrheit entsprach.305 Nicht jeder KP-Funktionär konnte jedoch auf eine heroische, makellose Vergangenheit verweisen, denn einige hatten vor den unmenschlichen Haftbedingungen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen kapituliert. Selbst gegen Robert Siewert wurden im Herbst 1945 Vorwürfe laut, die sich vordergründig auf seine Haltung im KZ Buchenwald bezogen, in Wirklichkeit aber politischen Interessen folgten: Mit dem Argument, Siewert sei „Verbindungsmann zwischen der Lagerleitung und den Häftlingen in Buchenwald gewesen“, versuchte die CDU Siewerts Entlastung durch den Provinzausschuss der Antifaschistischen Parteien und damit auch seine Position als Erster Vizepräsident ins Wanken zu bringen. Die CDU bat um Aussetzung der Entscheidung und verlangte, Siewerts Vergangenheit als Kapo weiter aufzuklären. Die Vertreter der drei übrigen Parteien kamen zu dem Ergebnis, dass Siewert als tragbar bezeichnet werden könne, da ihn keiner seiner früheren Mithäftlinge belastet habe.306 Als im September 1945 Vorwürfe gegen Erich Behnke, den Leiter der Kommunalabteilung in der KPD-Bezirksleitung, wegen seines Verhaltens im KZ Lichtenburg erhoben wurden, gab dies Veranlassung für eine Untersuchung. Der frühere Reichstagsabgeordnete Max Benkwitz aus Zeitz, der zusammen mit Behnke und weiteren Genossen aus dem Parteibezirk Halle-Merseburg auf der Lichtenburg inhaftiert gewesen war, berichtete zunächst, es habe dort keine politisch motivierten Gruppenbildungen unter kommunistischen Gefangenen gegeben, sondern die Haltung der Genossen sei „eine vollkommen einheitliche“ gewesen. Diese Behauptung entsprach jedoch nicht den Tatsachen, da es unter den kommunistischen Häftlingen durchaus politische Irritationen gegeben hatte. Die Verunsicherung der inhaftierten Kommunisten äußerte sich u. a. in Diskussionen über die Frage, ob die nationalsozialistische Machtübernahme als Niederlage der Arbeiterklasse interpretiert werden müsse oder nicht. Auch die über Rundfunk verbreitete Auffassung von Fritz Heckert, der behauptet hatte, die Nationalsozialisten könnten sich nicht länger als bis Ende 1934 oder An304 Ebd., S. 265. 305 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/59, Bl. 11, 15. 306 Personalakte Robert Siewert (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA S 144, Bl. 37 f.).

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fang 1935 halten, wurde heftig diskutiert. Benkwitz relativierte seine oben erwähnte Behauptung, indem er berichtete, Erich Behnke habe 1933 eine Weihnachtsansprache „direkt im Sinne der Nazis“ gehalten und seine Ansprache mit dem Ruf „Sieg Heil“ beendet. Die Witwe des an den Folgen der Haft verstorbenen halleschen Kommunisten Otto Schlag erwähnte einen Brief Behnkes, in dem Behnke seine Frau Ende 1933 angewiesen haben soll, beim Polizeipräsidium einen Antrag auf Entlassung aus dem KZ Lichtenburg zu stellen. Er habe dem Kommunismus abgeschworen und wolle sich in Zukunft ganz ins Privatleben zurückziehen. Ob Zufall oder nicht: Behnke wurde im Februar 1935 entlassen. In einem anonymen, undatierten Schreiben hieß es, Behnkes Haltung im KZ Lichtenburg sei „sehr schwach“ gewesen. Er habe jede Form des Widerstandes als zwecklos abgelehnt und im Herbst 1933 anlässlich der damals abgehaltenen Reichstagswahl und Volksabstimmung verlangt, für Hitler zu stimmen – eine Version, die Max Benkwitz fünf Jahre später bestätigen sollte. Der Großteil der Lichtenburger Häftlinge votierte Benkwitz’ Angaben zufolge 1933 für Hitler. Behnke versuchte, die gegen ihn erhobenen Behauptungen zu entkräften und benannte einige Zeugen, deren Aussagen vom Sekretariat jedoch als nicht besonders wertvoll eingeschätzt wurden, da sie „offenbar ebenfalls in der gleichen Weise etwas zu fürchten hätten“. Aufgrund des gegen ihn eingeleiteten Untersuchungsverfahrens ruhten Behnkes sämtliche Funktionen bis zur endgültigen Klärung der Anschuldigungen. Es gelang ihm jedoch, in den folgenden Jahren weiterhin bedeutsame Positionen in Staat und Partei auszuüben, so als Leiter der Personalabteilung der Stadtverwaltung Halle, Hauptabteilungsleiter für Kommunalpolitik in der Provinzialregierung, Hauptabteilungsleiter im Landtag von Sachsen-Anhalt und als Chefredakteur der halleschen Parteizeitung „Freiheit“.307 Auch gegen den prominenten Magdeburger Kommunisten Ernst Brandt – vor 1933 Sekretär der KPD-Bezirksleitung Magdeburg-Anhalt, Bezirkssekretär der RGO, 1932/33 MdR und 1945 1. Sekretär der KPD-Unterbezirksleitung Magdeburg – wurden schwere Vorwürfe erhoben. Brandt war zwischen 1933 und 1945 mit nur kurzen Unterbrechungen in mehreren Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert gewesen und hatte im KZ Buchenwald dem 307 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 22; Untersuchungsberichte betr. Erich Behnke Sept. 1945–Okt. 1959 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1858, unpaginiert; Betr. Genossen Behnke, Lina Schlag, 5. 9.1945; Aussagen des Genossen Benkwitz im Falle Behnke, 13. 9.1945; anonymer undatierter Bericht über den Fall B.; Behnke an die Bezirksleitung der KPD, 24.10.1945; Bezirksleitung der KPD an Behnke, 7.11.1945; LPKK an Sekretariat Gen. Weber, 8.11.1950; Biographie Erich Behnke, 1959); Kaderakte Erich Behnke (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/74, Bl. 3–17, 166–176). Nachdem Hitler am 14.10.1933 die Auflösung des Reichstages verkündet hatte, fand am 12.11.1933 eine Volksabstimmung über die Politik der Reichsregierung und eine „Reichstagswahl“ statt, bei der die NSDAP als einzige Partei antrat. Bei der Volksabstimmung erhielt Hitler 95,1 % Ja-Stimmen, bei der Reichstagswahl 92,1 %. Im KZ Dachau betrug die Zustimmung 99,5 %. Vgl. Kershaw, Hitler, 1. Band, S. 625, 897 (Anmerkung 309).

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kommunistischen Widerstand angehört. Nach seiner vorübergehenden Entlassung im Mai 1943 soll er Kontakte zur Gestapo unterhalten haben. Der 1945 gegen Brandt erhobene Vorwurf entstand aufgrund der bei Entlassungen aus dem KZ üblichen Auflagen, d. h. die Entlassenen mussten sich regelmäßig bei der Gestapo melden und waren verpflichtet, alle ihnen bekannt werdenden Widerstandsaktionen sofort anzuzeigen. Zur Aufklärung von Brandts Vergangenheit fand im Juli 1945 eine erste Überprüfung statt, an die sich in den folgenden Jahren weitere anschließen sollten.308 Mehreren anderen Kommunisten, die später in hohe Funktionen gelangten, so etwa Paul Lähne (Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt) und Rudolf Maisel (FDGB-Landesvorsitzender), warf man ebenfalls vor, Verbindungen zur Gestapo unterhalten zu haben.309 Aufgrund der Erfahrung von Spaltung, Niederlage und Verfolgung bemühten sich viele Sozialdemokraten und Kommunisten in den ersten Monaten nach Kriegsende um die Schaffung besserer Beziehungen. Trotz des bestehenden Verbots politischer Betätigung unter amerikanischer Besatzung, kam es in der Provinz Sachsen bereits im April und Mai 1945 zum organisatorischen Wiederaufbau von SPD und KPD sowie zur Gründung antifaschistischer Gruppierungen. Es fehlte nicht an Versuchen, die frühere Spaltung der Arbeiterbewegung durch die Neugründung linker Vereinigungen zu überwinden: So initiierten Sozialdemokraten in Weißenfels unter maßgeblicher Beteiligung des SPD-Funktionärs Fritz Drescher eine „Antifaschistische Front“. Drescher hatte bereits vor 1933 Überlegungen zur Schaffung einer einheitlichen Arbeiterpartei angestellt und später Kontakt zur Gruppe „Neu beginnen“ unterhalten. In Eisleben und Umgebung wurde im April 1945 auf Initiative der beiden Kommunisten Robert Büchner und Otto Gotsche eine „Partei der Werktätigen“ gegründet. Die Wahl des Parteinamens sollte trotz des bestimmenden Einflusses der Eislebener Kommunisten zum Ausdruck bringen, dass sich die „Partei der Werktätigen“ als Linkspartei abseits einer einseitig sozialdemokratischen oder kommunistischen Ausrichtung verstand.310 In Köthen planten frühere SPD- und KPD-Mitglieder die Gründung „einer einzigen vereinigten Linkspartei“. Diese Partei konstituierte sich noch im Juni 1945 unter amerikanischer Besatzung und trug den Namen Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), ohne Bezüge zu der vor 1933 bestehenden SAP herzustellen. Bis zum Einrücken sowjetischer Truppen gehörten der Partei etwa 300 Mitglieder an. Die Brüchigkeit solcher Einigungsbestrebungen wurde jedoch deutlich, als die zahlenmäßig schwachen Köthener Kommunisten die SAP in eine KPD-Ortsgruppe umzuwandeln versuchten. Die Köthe308 BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 1. Band, Bl. 186; 5. Band, Bl. 158 f., 273; MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 26 f.; SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/59, Bl. 13; DY 30/ IV 2/4/285, Bl. 110; Kaderakte Ernst Brandt (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/138, unpaginiert); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 47 f., 70 f., 74, 105 f. 309 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/285, Bl. 110. 310 BStU, MfS BV Halle, KD Wsf ZMA 2685, Bl. 2; Malycha, Neugründung der SPD im Land Sachsen-Anhalt, S. 9–11; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 60–65, 89 f.

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ner Sozialdemokraten reagierten mit Abgrenzung und gründeten Mitte Juli 1945 eine SPD-Ortsgruppe. Auch der namhafte Weißenfelser Sozialdemokrat Fritz Drescher hielt trotz Mitarbeit in der „Antifaschistischen Front“ Distanz zu revolutionären Vorstellungen.311 Bei der Besetzung wichtiger Verwaltungspositionen berücksichtigte die KPD gemäß ihrer Volksfront-Taktik auch bürgerliche und sozialdemokratische Politiker, ohne jedoch entscheidende Machtpositionen aus der Hand zu geben. Bernard Koenen und der ZK-Beauftragte Gustav Gundelach baten in diesem Sinne den von den Amerikanern als Präsident der Provinzialverwaltung eingesetzten Dr. Erhard Hübener (LDP) um die Fortsetzung seiner Tätigkeit. Auch die übrigen Personalvorschläge zur Besetzung des Kabinetts gingen von der KPD-Bezirksleitung, dem ZK und der SMA aus. Eine letzte Überprüfung der Kandidaten erfolgte durch den Chef des NKWD in der SBZ, Iwan Serow, der die Kandidaten zusammen mit Walter Ulbricht am 12. Juli 1945 in Berlin empfing und befragte. Hübener unterstanden vier Vizepräsidenten, von denen je einer der KPD (Robert Siewert) und SPD (Ernst Thape) sowie zwei der LDP (Dr. Erich Damerow, Willy Lohmann) angehörten. Da Lohmanns Amt nach seinem Unfalltod (September 1945) kurzfristig von Werner Bruschke (SPD) und danach von Willi Dieker, einem 1945 zur KPD übergetretenen früheren Sozialdemokraten, übernommen wurde, verschob sich das Kabinett in den folgenden Monaten weiter nach links. Die wahren Machtverhältnisse wurden besonders deutlich angesichts der Befugnisse des Ersten Vizepräsidenten Robert Siewert, dessen Ernennung auf Vorschlag von Walter Ulbricht erfolgt war: Von den Siewert unterstehenden Abteilungen wurden die Personalabteilung, Justizabteilung, Polizeiabteilung und die Abteilung für Arbeit und Sozialfürsorge von KPD-Leuten geleitet. Siewert trieb die Entnazifizierung voran und sorgte für die bevorzugte Einstellung von KPD-Mitgliedern oder Sympathisanten in den Polizeidienst. An der Spitze der zum Verantwortungsbereich von Ernst Thape (SPD) gehörenden Abteilungen Volksbildung und Presse/Propaganda standen ebenfalls KPD-Leute.312 Im Provinzialvorstand der SPD, der am 10. August 1945 gebildet wurde, dominierten Funktionäre, die sich bis zum Jahresende aus jeweils unterschiedlichen Motiven als Befürworter der Vereinigung von SPD und KPD profilierten. Exemplarisch soll daher die politische Prägung der Vorstandsmitglieder Bruno Böttge, Werner Bruschke und Ernst Thape näher betrachtet werden: Bruno Böttge muss aufgrund seiner politischen Vergangenheit zweifellos als linker Sozialdemokrat eingeschätzt werden. Er war 1917 von der SPD zur USPD übergetreten und vor seiner Rückkehr in die SPD zeitweise Funktionär der 311 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 27; MfS BV Halle, KD Wsf ZMA 2685, Bl. 2; Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/5/81, Bl. 149 f.); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 68 f. 312 Personalakte Robert Siewert (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA S 144, Bl. 2–5); SBZHandbuch, S. 162; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 130–133; Bruschke, Für das Recht der Klasse, S. 108.

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VKPD gewesen. Während des Generalstreiks der Bergarbeiter im Februar und März 1919 hatte Böttge an der Aufwiegelung der Arbeiter mitgewirkt und sie dazu aufgefordert, bei den Wahlen zur halleschen Stadtverordnetenversammlung am 2. März 1919 mit dem „bürgerlichen Pack“ abzurechnen. Er sprach sich gegen eine Wiederannäherung der USPD an die SPD aus und agitierte stattdessen 1920 für den Beitritt zur Komintern. Seine Karriere als VKPD-Landessekretär in Anhalt endete nach der „Märzaktion“ im April 1921, als er wegen seiner Unterstützung für Paul Levi aus der VKPD ausgeschlossen wurde. Im Oktober 1923 gehörte er als Exponent des linken SPD-Flügels zu den Befürwortern einer Einheitsfront mit den Kommunisten. 1945 verfügte Böttge über gute Kontakte zur SMA. Man kann davon ausgehen, dass Böttges linksradikale Vergangenheit sein späteres politisches Handeln entscheidend beeinflusste.313 In einem Brief vom 25. März 1954, den Böttge sechs Tage nach seiner Verhaftung an Walter Ulbricht schrieb, stellte er seine Haltung in der Frage des Zusammenschlusses von SPD und KPD rückblickend wie folgt dar: „Ich war für die Vereinigung der KPD u[nd] SPD. Ich war aber gegen eine so frühe Vereinigung. Als aber die große gemeinsame Konferenz im Dezember 1945 in Berlin tagte [die so genannte „Sechzigerkonferenz“ vom 20./21. Dezember 1945, F. H.], an der ich teilnahm und nach einer eingehenden anschl[ießenden] Aussprache mit General Kohikoff [Kotikow, F. H.] in Halle war ich überzeugt, dass die Vereinigung angesichts der großen Aufgabe, vor der die Arbeiterklasse in Deutschland stand, je eher je besser durchzuführen war. Ich habe mich dann auch mit aller Energie für die Vereinigung eingesetzt, auch gegen den verbissenen Widerstand einer Anzahl SPD-Funktionäre. Aber was stellte ich mir in der neuen Partei vor? Nicht etwa eine SPD alten Stils. [...] Du, Genosse Ulbricht, wirst lächeln, wenn ich Dir sage, noch damals stellte ich mir in der neuen Partei so eine Art USPD vor.“314

Zu Böttges Sinneswandel soll bereits vor der Berliner Sechzigerkonferenz, auf der die Weichen für die bevorstehende Vereinigung gestellt wurden, u. a. ein Besuch von Erich Gniffke beigetragen haben, der Böttges eigener Darstellung zufolge erklärte, „dass die Rote Armee bereit wäre, hinter die Oder zurückzugehen, wenn wir uns mit der KPD vereinigen“.315 Der Werdegang von Werner Bruschke zeigt, dass die Unterstützung oder Ablehnung des kommunistischen Einheitskonzepts nicht ausschließlich mit der politischen Orientierung maßgeblicher Funktionäre erklärt werden kann, denn Bruschke entstammte dem traditionell auf dem rechten Parteiflügel stehenden SPD-Bezirksverband Magdeburg. Vor 1933 hatte er dem SPD- und SAJ-Bezirksvorstand Magdeburg angehört und sich bis zu seiner Inhaftierung (1939) in ei313 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 19, 25; MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 71–77, 172; SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/18, Bl. 252; Saale-Zeitung (Abendausgabe) vom 4. 3.1919, Titelseite; Kupfer, Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt 1918–1933, S. 77, 159–161; Volkszeitung vom 27. 4.1921 („Aus der Provinz. Bruno Böttge aus der VKPD ausgeschlossen“); 29. 4.1921 (Titelseite. „Kommunistisches“). 314 BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 49. 315 Ebd., Bl. 172.

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ner Magdeburger SPD-Widerstandsgruppe betätigt.316 Glaubt man seiner 1981 erschienenen Autobiographie, in der er sein gesamtes politisches Wirken als permanenten Kampf gegen den reoformistischen Kurs der SPD darstellte, so arbeitete er bereits während der Inhaftierung in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau sehr gut mit kommunistischen Gefangenen zusammen. Im Gegensatz dazu will Bruschke eine Zusammenarbeit mit dem gleichfalls inhaftierten früheren SPD-Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher aufgrund politischer Differenzen strikt abgelehnt haben. Bruschkes Darstellung zufolge war es dem Einsatz kommunistischer Häftlinge zu verdanken, dass er trotz seiner Invalidität (er ging infolge einer Wirbelsäulenerkrankung an Krücken) keinem der Vergasungstransporte zugeteilt wurde, die aus Sachsenhausen und Dachau nach Auschwitz und in „Euthanasie“-Anstalten abgingen.317 Nach der Befreiung befürwortete Bruschke im Sommer 1945 zwar eine enge Zusammenarbeit mit der KPD auf Partei- und Gewerkschaftsebene, er lehnte das kommunistische Konzept damals aber noch ab. Bruschke verhielt sich nach Darstellung von Böttge sehr vorsichtig und machte seine Äußerungen von der Meinung anderer Funktionäre abhängig. Seine Wandlung zum vorbehaltlosen Unterstützer des kommunistischen Einheitskurses lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit damit erklären, dass er, wie der Chef der SMA General Alexander Kotikow später eingestand, als Informant für die SMA arbeitete.318 Ernst Thape schließlich gehörte zu jenen Sozialdemokraten, die unter dem Eindruck der NS-Diktatur – wenn auch mit größerer Skepsis als viele andere – die Schaffung einer vereinigten sozialistischen Bewegung anstrebten. Bis Ende 1945 hoffte er auf faire Behandlung der SPD durch die sowjetische Besatzungsmacht.319 Während der Inhaftierung im KZ Buchenwald (1939–1945) hatte Thape in einem Volksfrontkomitee mitgearbeitet, das im Frühjahr 1944 gegründet worden war und dem Sozialdemokraten, Linkssozialisten, Kommunisten und vereinzelt auch Vertreter bürgerlicher Parteien angehörten. Er war zudem führendes Mitglied des „Bundes demokratischer Sozialisten“, der am 13. April 1945 in Buchenwald gegründet und programmatisch zwischen SPD und KPD angesiedelt war. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitgefangenen, die aufgrund jahrelanger Isolierung in den ideologischen Denkkategorien der Weimarer Zeit stecken geblieben waren, bewahrte sich Thape seinen unabhängigen, 316 Kaderakte Werner Bruschke (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/162, unpaginiert; Grundbuch). 317 Bruschke, Für das Recht der Klasse, S. 73–76. Bruschke schreibt, Transporte nichtarbeitsfähiger Häftlinge seien aus Sachsenhausen „in die Kliniken Buch bei Berlin“ abgegangen und dort vernichtet worden. Bruschke meint damit sicherlich Vergasungstransporte, die im Juni 1941 aus Sachsenhausen in die Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna und im Frühjahr 1942 in die Tötungsanstalt Bernburg abgingen. Vgl. Hirschinger, „Zur Ausmerzung freigegeben“, S. 134–146; Hoffmann, Todesursache Angina, S. 87–93; Böhm/Schilter, Pirna-Sonnenstein, S. 37 f. 318 BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 174; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 170, 179, 248 f. 319 Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 46 f., 231–233, 236 f.

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kritischen Geist und gelangte zu politischen Einschätzungen, die nicht nur von den „im Denken erzkonservativen“ Kommunisten – so Thapes Einschätzung – missbilligt wurden, sondern auch von vielen seiner eigenen Parteifreunde. In einer Rede, die er am 24. April 1945 vor ehemaligen Häftlingen hielt, versuchte Thape, die ideologischen Unterschiede zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten im Verhältnis zum Eigentum herauszuarbeiten, indem er erklärte, der Kommunist sei „der kleine Spießbürger, der im Erwerb zu kurz gekommen“ sei. Es gehe aber nicht um die Frage, wer die Produktionsmittel besitze, sondern um die „richtige Verwertung der Arbeitskraft“.320 Weiter führte er aus: „Wer radikale sozialistische Politik in der Zukunft machen will, der gehe mit den Engländern und den Amerikanern, der gehe mit dem Westen, und wer Angst hat vor echtem Radikalismus, wer gerne seine Ruhe haben möchte und mit dem Alten und Überlieferten zufrieden ist, der orientiere sich nach Russland, nach dem Osten. Der Sozialismus kommt aus dem Westen, von dort, wo der hoch entwickelte Kapitalismus die Voraussetzungen für ihn geschaffen hat; denn der Sozialismus kann erst kommen nach dem Kapitalismus.“321 Dennoch hielt Thape an der Idealvorstellung einer politisch geeinten Arbeiterbewegung fest und organisierte noch vor der offiziellen Wiederzulassung der Parteien in Magdeburg zusammen mit der KPD einen „Volksfrontausschuss“. Thape und der Leiter des KPD-Unterbezirks Magdeburg Ernst Brandt einigten sich im Juni 1945 darauf, dass „im Interesse der Arbeiterschaft [...] eine Einheitspartei angestrebt werden“ müsse. Man kann davon ausgehen, dass Thape kurz nach Kriegsende gute Beziehungen zur KPD unterhielt, da er Anfang Juli 1945 auf Empfehlung der KPD von den Sowjets nach Halle berufen wurde, um als Zweiter Vizepräsident in die Provinzialverwaltung Sachsen einzutreten.322 Thape glaubte, dass sich die Sozialdemokraten in der angestrebten Einheitspartei allein aufgrund ihrer größeren Zahl und ihrer geschulten Funktionäre auf Dauer durchsetzen könnten. Die Mitgliederzahlen schienen Thape recht zu geben: Im Januar 1946 gehörten der SPD in der Provinz Sachsen und in Anhalt 131 000 Mitglieder an, der KPD dagegen nur 99 000.323 Werner Bruschke überlieferte 1950 eine Äußerung Thapes, in der Thapes Unterschätzung der Kommunisten deutlich zum Ausdruck kam: So soll Thape die künftige Einheitspartei mit einem Auto verglichen haben, bei dem die SPD den Motor und die KPD den Fahrer stelle. Den KPD-Genossen am Steuer gestand Thape lediglich zu, dass sie immerhin schon hupen könnten.324 Bereits in seinem 1945 verfassten „Buchenwalder Tagebuch“ hatte Thape geäußert, dass die 320 Overesch, Ernst Thapes Buchenwalder Tagebuch, S. 635, 652–654, 660–662, 666–668; Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 174, 245. 321 Zit. nach Overesch, Ernst Thapes Buchenwalder Tagebuch, S. 662. 322 Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 47, 87 f.; Overesch, Ernst Thapes Buchenwalder Tagebuch, S. 636. 323 Weber, Kommunisten 1945 in der SBZ, S. 29. 324 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 60 f.).

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Kommunisten „durch ihre Zwiespältigkeit zwischen Deutschland und Russland, zwischen Demokratie und zentralistischer Leitung in die größten Schwierigkeiten“ geraten und die Sozialdemokraten dadurch „ganz automatisch zur Verantwortung und zur bestimmenden Autorität“ gelangen müssten. Thape vertraute zudem auf die menschliche Integrität der KPD-Funktionäre und hoffte auf ein Arrangement mit ihnen. Er betrachtete die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Einheitspartei als Chance zur Überwindung des Misstrauens der sowjetischen Besatzungsmacht gegenüber den Sozialdemokraten.325 Die nach Kriegsende anzutreffende Einheitseuphorie vieler Sozialdemokraten kühlte in den folgenden Monaten deutlich ab, nicht nur aufgrund mangelnder Fairness der Kommunisten bei der Besetzung von Ämtern und dem klar zutage tretenden Hegemonieanspruch der KPD, sondern auch, weil die SPD aufgrund ihres schnell wachsenden Mitgliederbestandes und ihrer zahlreichen erfahrenen Funktionäre allen Grund zu größerem Selbstbewusstsein hatte. Die Wahlniederlagen der österreichischen und ungarischen Kommunisten im November 1945 und die Aussicht auf freie Wahlen im besetzten Deutschland veranlassten das ZK der KPD, die Kampagne zur Schaffung einer Einheitspartei mit massiver Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht voranzutreiben. Als äußerer Anlass für die beginnende Annäherung beider Parteien dienten gemeinsame Seminare und Feiern zu Ehren der russischen Oktoberrevolution und der deutschen Novemberrevolution, auf denen die Haltung der SPD im Jahre 1918 u. a. durch den Sozialdemokraten Werner Bruschke scharf verurteilt wurde.326 Um die Zustimmung ablehnender oder zögernder Sozialdemokraten zu erhalten, schien die KPD auch zu vorübergehenden Konzessionen bereit (Durchführung der Fusion nur für ganz Deutschland und nach gesamtdeutschen Parteitagen, paritätische Besetzung von Leitungsfunktionen, sozialistische Programmatik auf einer „mittleren Linie“). Besondere Bedeutung besaß in diesem Zusammenhang der von Anton Ackermann (KPD) propagierte „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“, der eine Absage an die Kopie des sowjetischen Modells darstellte und an den viele Sozialdemokraten ihre Hoffnungen knüpften. Dennoch zeigte sich bereits im Herbst 1945, dass die KPD nicht zur Einhaltung der gegebenen Zusagen bereit war: Wilhelm Pieck löste am 14. September 1945 in einer Berliner SPD-Versammlung einen Tumult aus, als er die „Anwendung des Marxismus-Leninismus“ als notwendig bezeichnete. Walter Ulbricht führte in seiner Rede auf der halleschen Revolutionsfeier am 7. November 1945 aus, die kommende Einheitspartei müsse als Partei neuen Typus unter der ideologischen Prämisse des Marxismus-Leninismus geformt werden.327

325 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 228–237); Overesch, Ernst Thapes Buchenwalder Tagebuch, S. 660. 326 Bruschke, Für das Recht der Klasse, S. 104–107. 327 Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 176–178, 181; Müller, Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus, S. 366 f.

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Die Kampagne zur Schaffung der Einheitspartei gewann in Sachsen-Anhalt durch gemeinsame Versammlungen der Mitglieder und Betriebsgruppen, gemeinsame Tagungen, Schulungsabende, Aufrufe etc. an Schwung.328 Linksorientierte SPD-Funktionäre wie Bruno Böttge waren bemüht, „alle Widerstände in der Parteiorganisation zu bereinigen“. Böttge besuchte zusammen mit Bernard Koenen gemeinsame Kundgebungen von SPD und KPD, versuchte Differenzen zwischen beiden Parteien auszuräumen und galt deshalb bei kritischen Sozialdemokraten, mit denen er sich persönlich verfeindete, als Exponent der künftigen Einheitspartei. Am 8. Februar 1946 nahm Böttge an einer Konferenz der SPD- und KPD-Landesvorsitzenden bzw. ersten Sekretäre aus Sachsen, Thüringen und der Provinz Sachsen in Leipzig teil. Dort wurde beschlossen, die Fusion auch ohne Zustimmung der Berliner Parteiführungen auf Landes- und Provinzebene vorzunehmen.329 Wie sich der aus der SPD kommende stellvertretende Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts Prof. Willi Brundert 1949 erinnerte, soll aber nicht nur Böttge, sondern auch der wesentlich skeptischere Ernst Thape Ende 1945 zu den Befürwortern der Vereinigung von SPD und KPD gezählt haben: „Soviel ich aus Berichten weiß, muss Thape in der Zeit der Fusionsbestrebungen (Dez[ember] 45 bis Frühjahr 1946) innerhalb der ehemaligen SPD einer der stärksten Initiatoren für den Zusammenschluss gewesen sein. Es ist mir wiederholt gesagt worden, dass bei den ehem[aligen] SPD-Genossen, die ursprünglich Einwendungen gegen die Fusion erhoben, Thapes und weniger Böttges Haltung ausschlaggebend gewesen ist für den Fusionsgedanken. Als ich im Herbst 1946 nach Halle kam, habe ich bei Thape die gleiche elane SED-Haltung beobachtet. Der Grund hierfür lag m. E. [meines Erachtens] in der Nachwirkung der Buchenwald-Zeit, der Mitarbeit im Buchenwald-Komitee und der Freundschaft zu Robert Siewert.“330 Die Sowjets wurden aktiv und trieben die Schaffung der Einheitspartei mit Hilfe von Unterdrückungsmaßnahmen voran: Sozialdemokratische Versammlungen wurden verboten, Werbemaßnahmen unmöglich gemacht, kritische SPD-Funktionäre beeinflusst, eingeschüchtert, bedroht und ihrer Posten enthoben. Das sozialdemokratische „Volksblatt“ unterlag sowjetischer Zensur. Öffentliche Reden von SPD-Funktionären mussten der SMA zur Genehmigung vorgelegt werden. Verhaftungen von Funktionären dienten der Eliminierung von Einheitsgegnern wie auch der Einschüchterung schwankender SPD-Leute.331 In Magdeburg sollte bereits vor der Vereinigung beider Parteien auf Provinzebene (8. April 1946) unter Beteiligung des aus Halle angereisten Kommunisten Alois Pisnik und des Magdeburger KPD-Chefs Ernst Brandt politische 328 Böhm / Grüner, Chronik zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Bezirk Halle 1945/46, S. 12–26; Bruschke, Für das Recht der Klasse, S. 121–124. 329 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 115 f., 131); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 241, 245. 330 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 9. 331 Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 230, 234–236, 256 f.

Neubeginn 1945–1947

121

Klarheit geschaffen werden: Der als Einheitsgegner bekannte Org-Sekretär Albert Deutel und Bildungssekretär Rudolf Dux verloren ihre Posten im Magdeburger SPD-Bezirksvorstand.332 Unter den Verhafteten befand sich der sozialdemokratische Regierungspräsident von Magdeburg, Otto Baer, der nach Auseinandersetzungen mit der SMA vom NKWD verhaftet und zehn Wochen lang festgehalten wurde. Ebenso wurde der Vorsitzende des SPD-Bezirksverbandes Magdeburg Gustav Schmidt-Küster auf Druck der SMA abgelöst und im Februar 1946 kurzzeitig verhaftet. An die Stelle der Einheitsgegner traten Befürworter wie Hermann Prübenau.333 Zusammenfassend betrachtet vollzog sich unter den maßgebenden SPDFunktionären der Bezirke Magdeburg, Dessau und Halle zwischen Dezember 1945 und April 1946 ein Sinneswandel, der politischen Fehleinschätzungen, dem Druck der Ereignisse und nicht zuletzt dem Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht zuzuschreiben war. Bruno Böttge machte dazu in einem Verhör am 31. März 1954 die in Tabelle 2 aufgeführten Angaben, die trotz der Situation, in der sie entstanden, plausibel erscheinen. Die Unzufriedenheit ehemaliger Sozialdemokraten begann in Sachsen-Anhalt vor allem seit dem Frühjahr 1947 zuzunehmen, da die Kommunisten nicht zur Einhaltung der vereinbarten Parität bereit waren. Widerständige Sozialdemokraten wurden durch Vorladung beim NKWD, der mittlerweile seine Spitzel in deutschen Verwaltungen und Organisationen platziert hatte, eingeschüchtert oder mit Verhaftung bedroht. Anfang April 1947 wurde das „illegale ‚Zentrum‘ der sozialdemokratischen Organisation in Halle“ um Parteisekretär Karl Behle und Reichsbahnrat Georg Otten verhaftet. Man warf ihnen vor, Material von den Ostbüros der SPD in Berlin und Hannover erhalten und Berichte über die politische und wirtschaftliche Situation in der SBZ geliefert zu haben. Hinzu kamen Ermittlungen der von den Sowjets angeleiteten politischen Polizei K 5, die innerhalb der Deutschen Zentralverwaltung des Inneren und der Innenministerien der Länder aufgebaut wurde. Zu den Denunzianten gehörten auch Sozialdemokraten, die sich dadurch persönliche Vorteile zu verschaffen versuchten. Andere leisteten Widerstand, nahmen Kontakt zum Ostbüro der SPD auf, trafen sich im privaten Kreis oder benutzten ihre staatlichen Funktionen, um den Einfluss früherer Kommunisten zu begrenzen. Viele einfache Parteimitglieder resignierten, zogen sich aus der Parteiarbeit zurück oder erklärten ihren Austritt.334 Besonders schwerwiegende Folgen zog die Spitzeltätigkeit der früheren Sozialdemokraten Waldemar Kasparek und Edith Fügner nach sich. Fügner, die sich Einblick in die Kartei des Ostbüros verschafft hatte, berichtete im März 1947 über oppositionelle Sozialdemokraten in der Provinz Sachsen. Als Funk332 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 74 f.). 333 Schmeitzner, Genossen vor Gericht, S. 293 f.; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 76, 243. 334 Schmeitzner, Genossen vor Gericht, S. 297; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 439–441, 445–449, 459–467, 587–589.

122 Tab. 2:

Traditionslinien der Säuberung

SPD-Funktionäre zur Frage der Vereinigung mit der KPD (nach Angaben von Bruno Böttge im März 1954)335 vor der Berliner nach dem Berliner „Sechzigerkonferenz“ nach der Berliner Vereinigungsparteitag „Sechzigerkonferenz“ (20./21. Dezember (21./22. April 1946) 1945)

Ernst Thape (Magdeburg)





+–

Werner Bruschke (Magdeburg)





+

Hermann Prübenau (Magdeburg)



0

+–

Albert Deutel (Magdeburg)







Paul Verdieck (Dessau)



0

+–

Fritz Jungmann (Dessau)



0

0

Bruno Böttge (Halle)



+

+

Paul Schmidt (Halle)

+

+

+

Paul Peters (Halle)







Otto Kunze (Halle)



0

+–

Hugo Saupe („Volksblatt“)

+

+

+

Willi Bernhard



+

+

+ +– 0 –

= Befürworter der Vereinigung von KPD und SPD = Mitarbeit trotz Bedenken = Stimmenthaltung, abwartende Haltung = Gegner der Vereinigung von KPD und SPD

tionäre der illegalen SPD wurden dadurch Kurt Brenner (Instrukteur der SEDStadtleitung Halle), Paul Peters (Geschäftsführer der Druckerei am Waisenhausring in Halle), Fritz Drescher (Vizepräsident der Bezirksverwaltung Merseburg), der Weißenfelser SED-Kreisvorsitzende Willi Thorwardt, der Weißenfelser Stadtrat Glaubrecht und weitere SPD-Leute bekannt.336 Über die abenteuerlichen Umstände von Edith Fügners Tätigkeit als Doppelagentin berichtete der inhaftierte Sozialdemokrat Kurt Strich dem MfS während eines Verhörs im Februar 1954: 335 BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 170–175. 336 Berichte über Fraktionstätigkeit u. Wühlarbeit in der Partei 1947/48 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/2, Bl. 1–4).

Neubeginn 1945–1947

123

„Die Fügner hat sich 1946 oder 1947 nach Westdeutschland abgesetzt [...]. Auf Grund eines Berichtes vom Genossen Otto Walter vor dem Sekretariat habe ich erfahren, dass die Fügner für das Ostbüro der SPD in Hannover gearbeitet habe. Sie hat dann versucht, sich der KPD in Westdeutschland anzuschließen, woraufhin sie auf Betreiben des Ostbüros inhaftiert wurde. Aus dem Gefängnis hat sie illegal einen Brief durch eine inhaftierte Genossin herausgebracht und diesen an Otto Walter [...] gesandt, worin sie um eine Unterredung an einem Grenzort in der damaligen Ostzone gebeten hat. Diese Unterredung hat stattgefunden. Otto Walter gab in dem Bericht bekannt, dass die Fügner ihm eine Aufstellung von ehemaligen SPD-Mitgliedern übergeben hat, welche angeblich in irgendeiner Beziehung zum Ostbüro stehen sollten. Auf dieser Liste stand nach Angaben des Genossen Walter auch mein Name und der Name des damaligen Oberbürgermeisters von Zeitz namens Moder, Bernhard. Moder wurde auf Grund dieser Liste seiner Funktion enthoben. [...] Die Fügner ist später in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zurückgekehrt und ist dann beim Konsum im Kreise Wolmirstedt eingesetzt worden. [...] Aus dem Bericht des Genossen Walter ging hervor, dass der Brenner durch irgendeine Stelle gewarnt wurde, dass die Fügner etwas gegen ihn unternehmen wolle und er sich noch in Sicherheit gebracht hat.“337

Der Doppelagent Waldemar Kasparek unterhielt Kontakte zu oppositionellen Sozialdemokraten, worüber er den SED-Landesvorstand im August 1946 informierte.338 Da sich Kasparek auf Veranlassung von Bernard Koenen und Otto Walter weiter in verdächtigen sozialdemokratischen Gruppen bewegte, wurde er am 8. April 1947 vom NKWD in Halle verhaftet. Dort versuchte man Kaspareks eigener Darstellung zufolge „mit allen Mitteln“, durch „körperliche und seelische Qualen“ Geständnisse zu erpressen. Ob Kaspareks Entlassung im September 1947, die auf Anweisung der SMAD in Karlshorst erfolgte, mit dem Beginn seiner Tätigkeit für den NKWD zusammenhängt, bleibt unklar. Kasparek nahm Verbindung zum Berliner Ostbüro auf, wo er einer Befragung durch hochrangige Mitarbeiter unterzogen und auf Glaubwürdigkeit geprüft wurde. Danach galt er als vertrauenswürdig und erhielt hochkarätige Informationen, die er bis zu seiner Enttarnung im Januar 1949 an den NKWD und Paul Laufer vom „Abwehrreferat“ der SED weitergab. Verhaftung oder Flucht mehrerer oppositioneller Sozialdemokraten waren das Ergebnis von Kaspareks Tätigkeit.339 Das Misstrauen der Sowjets galt jedoch nicht nur früheren Sozialdemokraten, sondern auch Altkommunisten, die während der NS-Herrschaft emigriert oder inhaftiert gewesen waren. Am Beispiel der Brüder Bernard und Wilhelm Koenen, von denen der eine in sowjetischem, der andere in englischem Exil überlebt hatte, nahm Sergej Tjulpanow (Leiter der Propagandaverwaltung der 337 BStU, MfS-AS 95/55, Band 7 b, Bl. 150 f. 338 Berichte über Fraktionstätigkeit u. Wühlarbeit in der Partei 1947/48 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/2, Bl. 5–9, 25–29); BStU, MfS AS 1154/67, Bl. 58. 339 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 209–245, 248–255, 269, 273, 276–279, 284, 287–291, 295 f., 300 f., 335 f., 339 f., 345, 475–477; Knabe, Die unterwanderte Republik, S. 474 f. Mike Schmeitzner schreibt, Kasparek sei „im Juli 1947 aus der Haft entlassen“ worden, „um sich im Hannoveraner Ostbüro der SPD ‚umzusehen‘“: Vgl. Schmeitzner, Genossen vor Gericht, S. 297.

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Traditionslinien der Säuberung

SMAD) am 17. September 1946 in einem Lagebericht Stellung zur Vergangenheit früherer KPD-Leute: „Da sind die Moskauer Kommunisten, das sind die 100-prozentigen. Da sind die Emigranten, bereits eine zweite Gruppe, weil sie aus anderen Ländern kommen. Deshalb liegt hier vielleicht ein Körnchen Wahrheit; denn jener Bruder [Wilhelm] Koenens, der Erster Sekretär im Bundesland Sachsen ist, ist Sekretär in der Provinz Sachsen. Was also die Beurteilungsfähigkeit, die Methoden und die Beziehungen zu den bürgerlichen Parteien betrifft, so ist der englische Koenen in seinen Formulierungen weniger genau. Er ist kein Massenarbeiter, die Arbeiter verstehen ihn nicht so [gut]. Ihm fehlt das Geschick, das der andere hat. 12 Jahre Emigration haben sich in gewissem Sinne ausgewirkt. Die dritte Gruppe, das sind die Häftlinge, das ist ein Volk, das weder Sektierertum noch Abhängigkeitshaltung kennt und wo Euch selten jemand sagt, dass er Kommunist oder Sozialdemokrat ist, sondern er sagt: ‚KZ‘, und weist sein Zeichen vor. Eine [weitere] Gruppe sind Genossen, die aus Mexiko gekommen sind.340 Ich habe diese Gruppe noch nicht ausreichend studiert und traue mich nicht, etwas [zu ihr] zu sagen.“341

Neben KPD-Mitgliedern, die aus sowjetischem Exil zurückkehrten, begannen in der SBZ vor allem sudetendeutsche Kommunisten an Bedeutung zu gewinnen. Noch im Jahre 1945 stellte die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KPČ) der KPD 30 000 sudetendeutsche Parteimitglieder zur Verfügung, von denen ein beträchtlicher Teil ideologisch streng überprüft worden war. Ihnen folgten 1946 weitere 15 000 sudetendeutsche KPČ-Mitglieder. Hinzu kamen kommunistische Emigranten und ca. 2 000 Sozialdemokraten, die sich bereits in der Tschechoslowakei für die Vereinigung von KPD und SPD ausgesprochen hatten. Die Masse der übrigen sudetendeutschen Sozialdemokraten (ca. 68 000) wurde bezeichnenderweise nicht in die SBZ, sondern in die amerikanische Besatzungszone ausgewiesen. Offiziell verließen die sudetendeutschen Kommunisten das Land freiwillig – davon konnte jedoch keine Rede sein, denn die meisten verloren ihren gesamten Besitz und durften lediglich 120 Kilo Gepäck ausführen. Da die KPČ in den industrialisierten deutschsprachigen Randgebieten der ČSR über einen stärkeren Rückhalt verfügte als im Zentrum des Landes und die Sudetendeutschen im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil in der KPČ stark vertreten waren, kann man davon ausgehen, dass es sich bei den in die SBZ übersiedelten KPČ-Mitgliedern um besonders aktive Kommunisten handelte. Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit der KPD-Mitglieder, die seit 1933 von wesentlichen politischen Entwicklungen abgeschnitten gewesen waren, kannten die sudetendeutschen Kommunisten die seit Mitte der dreißiger Jahre entwickelte Volksfront-Taktik und wurden somit zu einer zuverlässigen Stütze der SED. Die weitere Entwicklung ihrer Karrieren sollte zeigen, dass sie in der SBZ bzw. DDR zwar weniger auf repräsentative Ämter in 340 So z. B. Paul Merker. Der Anfang 1929 abgelöste Pol-Leiter des KPD-Bezirks HalleMerseburg, Hans Schröter, emigrierte über Frankreich ebenfalls nach Mexiko. Im Gegensatz zu Merker beteiligte er sich aber nicht an politischer Arbeit und verblieb nach Kriegsende in Mexiko. Vgl. Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 291. 341 Zit. nach Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 79 f.

Neubeginn 1945–1947

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Staat und Partei hoffen durften, aber vor allem im diplomatischen Dienst, Militär und Staatssicherheitsdienst der DDR führende Positionen einnahmen.342 Trotz zunehmender Repressionen gegen ehemalige Sozialdemokraten und einzelne Mitglieder kommunistischer Splittergruppen vermied es die sowjetische Besatzungsmacht 1946/47, die SED durch umfangreiche und offen zugegebene Parteisäuberungen zu schwächen. Dies hätte zu einem Zeitpunkt, als sich die sowjetische Führung noch verschiedene deutschlandpolitische Optionen offen hielt, nicht ihren Absichten entsprochen und sollte sich erst 1948 ändern. Als äußerer Anlass zur Bekämpfung aller vom stalinistischen SozialismusModell abweichenden ideologischen und nationalen Sonderwege sollte der Konflikt mit Jugoslawien im Sommer 1948 dienen.

342 Foitzik, Kadertransfer, S. 310 f., 319 f., 322–324.

III. Säuberungen in der SED 1948/49 1.

Der Bruch mit Tito

Der sowjetische Druck auf die kommunistischen Parteien Osteuropas begann sich infolge der Eskalation des Kalten Krieges weiter zu verstärken. Als Reaktion auf die Verkündung der Truman-Doktrin im März 1947 und den MarshallPlan entschloss sich Stalin, anstelle der 1943 aufgelösten Komintern eine Nachfolgeorganisation zu schaffen. Auf einer zwischen dem 21. und 27. September 1947 im polnischen Szklarska Poręba abgehaltenen Tagung, an der die osteuropäischen kommunistischen Parteien sowie die italienische und französische KP teilnahmen, erklärte Andrej Shdanow, es hätten sich nach 1945 zwei Lager herausgebildet – ein imperialistisch-antidemokratisches und ein antiimperialistisch-demokratisches, zu dem er die Sowjetunion und ihre Verbündeten rechnete. Die SED griff Shdanows Aussagen ungehend auf und machte sie zum Gegenstand intensiver Propaganda- und Schulungstätigkeit. Dem Kommunistischen Informationsbüro (Kominform), dessen Gründung auf der Beratung von Szklarska Poręba bekannt gegeben wurde, gehörte die SED im Gegensatz zu den übrigen osteuropäischen „Bruderparteien“ allerdings nicht an. Die Schaffung des Kominform verdeutlichte die sowjetische Absicht, die osteuropäischen kommunistischen Parteien auf einen an der KPdSU und am sowjetischen Modell ausgerichteten Kurs festzulegen.1 Im Kominform akzeptierte besonders die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ) das sowjetische Modell ohne jeden Vorbehalt. Tito – seit 1937 Generalsekretär der KPJ – hatte sich während des „Großen Terrors“ von seinen liquidierten Parteigenossen distanziert und sie als Trotzkisten, Verräter, Spione, parteifremde Elemente etc. verleumdet. Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion führte Tito 1938/39 in sowjetischem Auftrag „die Reinigung der Partei von verdächtigen Elementen“ durch. Kein einziger der jugoslawischen Parteiführer, die den „Großen Terror“ und interne Säuberungen überstanden hatten, vertrat danach noch Auffassungen, die als antisowjetisch oder antistalinistisch ausgelegt werden konnten.2 Dementsprechend wurden größere Industriebetriebe, Handel und Banken in Jugoslawien bereits kurz nach Kriegsende im Rahmen eines Fünf-Jahres-Planes, der sich am sowjetischen Vorbild orientierte, verstaatlicht. Auch Eingriffe in den landwirtschaftlichen Privatbesitz befanden sich im Vergleich zu den übrigen sowjetischen Satellitenstaaten Ende der vierziger

1 2

Malycha, Partei von Stalins Gnaden, S. 93–97; Braunthal, Geschichte der Internationale, 3. Band, S. 179–181, 184–186. Braunthal, Geschichte der Internationale, 3. Band, S. 440 f.; Bartsch, Revolution und Gegenrevolution, S. 14; Andrew/Mitrochin, Das Schwarzbuch des KGB, S. 446 f. Vgl. zum Verhältnis zwischen KPJ und Komintern auch Mujbegovič/Vujoševič, Die Kommunistische Partei Jugoslawiens und die Komintern.

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Säuberungen in der SED 1948/49

Jahre in einem fortgeschrittenen Stadium.3 Dennoch besaßen die Jugoslawen trotz ihrer traditionell prorussischen Haltung und ideologischen Übereinstimmung ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, das sich auf die Erfahrungen des Partisanenkampfes und die Befreiung des Landes aus eigener Kraft gründete. Rückwirkend betrachtet erschienen Auseinandersetzungen mit dem sowjetischen Hegemonieanspruch in Jugoslawien deshalb wesentlich wahrscheinlicher als in anderen osteuropäischen Staaten, deren kommunistische Regime ihre Existenz ausschließlich der militärischen Macht der Roten Armee verdankten. Das Zerwürfnis zwischen Stalin und Tito begann sich 1947/48 nicht aufgrund ideologisch unterschiedlicher Auffassungen herauszubilden,4 sondern entzündete sich am Verhältnis Jugoslawiens zu seinen Nachbarstaaten: Jugoslawien verfügte über sehr enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Albanien, dessen kommunistische Partei im November 1941 erst durch die Vermittlung jugoslawischer Berater geschaffen worden war. Ein Wirtschaftsabkommen, die Einführung der serbokroatischen Sprache in albanischen Schulen, die Ausbildung albanischer Spezialisten in Jugoslawien etc. vertieften die Abhängigkeit Albaniens und ließen einen Anschluss an Jugoslawien immer wahrscheinlicher erscheinen.5 Zu Bulgarien gab es ebenfalls enge Beziehungen, die auch nach Vorstellung des bulgarischen Staatschefs Georgi Dimitroff in eine Föderation mit Jugoslawien münden sollten. Seit Titos Staatsbesuchen in Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der Tschechoslowakei beobachtete die Sowjetunion die jugoslawische Außenpolitik mit wachsender Besorgnis. Tito war überall begeistert empfangen worden und hatte mit den gastgebenden Ländern Abkommen geschlossen, in denen sich die Vertragspartner zu gegenseitiger militärischer Hilfe verpflichteten und vereinbarten, keiner Allianz beizutreten. Die Sowjetunion wertete die Alleingänge Titos als Missachtung ihrer Autorität und befürchtete, ihre osteuropäischen Satellitenstaaten zu verlieren, 3 4

5

Hatschikjan, Die wechselvolle Kontinuität, S. 4; Prpić, Herrschaft Titos, S. 89; Brockmann, Titoismus als besondere Form des Kommunismus, S. 43. Bianchini, Säuberungen und politische Prozesse in Jugoslawien, S. 79; Prpić, Herrschaft Titos, S. 80–82, 89–94; Bartsch, Revolution und Gegenrevolution, S. 16 f., 19. Bianchini, Prpić und Bartsch verweisen darauf, dass sich Merkmale des jugoslawischen Sonderweges wie z. B. mehr Handlungsspielraum für die Gemeinden und die Selbstverwaltung in Betrieben als neue Legitimationsgrundlage des Regimes erst 1949/50 nach dem Bruch mit der Sowjetunion herausbildeten. Um den sowjetischen Vorwurf, Jugoslawien betreibe eine Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse, zu entkräften, wurde 1949 das Kleingewerbe verstaatlicht. Die Landwirtschaft sollte nach sowjetischem Vorbild völlig kollektiviert werden. Dieser Versuch wurde wegen des Widerstands der Bauern jedoch abgebrochen und man begnügte sich damit, den bäuerlichen Grundbesitz auf 10 Hektar zu senken. Ein am 30. 3.1953 erlassenes Gesetz gestattete es den Bauern, aus den Kolchosen auszutreten, wovon sehr viele Gebrauch machten. Seit 1954 wurden die Arbeiter an den Gewinnen ihrer Betriebe beteiligt. Bezeichnenderweise lehnte es Tito ab, von „Titoismus“ zu sprechen, sondern er verstand sich als Marxist, der nach einer Möglichkeit zur praktischen Umsetzung des Marxismus suchte. Vgl. dazu auch Zitate in Brockmann, Titoismus als besondere From des Kommunismus, S. 50 f., 54; Grebing, Der Revisionismus, S. 142 f. Hodos, Schauprozesse, S. 25–28.

Der Bruch mit Tito

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zumal Dimitroff im Januar 1948 die geplante jugoslawisch-bulgarische Föderation als ersten Schritt für die spätere Einbeziehung der übrigen osteuropäischen Staaten in eine von der Ostsee bis zum Mittelmeer reichende Konföderation bezeichnete. Stalin setzte solchen Plänen andere Föderationsprojekte entgegen.6 Zugleich missfiel Stalin die jugoslawische Industrialisierungspolitik, da er Jugoslawien die Rolle eines von sowjetischen Waffen und Ersatzteilen abhängigen Rohstofflieferanten zugedacht hatte. Auch der jugoslawische Widerstand gegen sowjetische Versuche, ein eigenes Nachrichten- und Agentennetz im Lande aufzubauen, führte zu Streitigkeiten. Da die Kommunistische Partei Jugoslawiens (KPJ) nicht einlenkte, zog die Sowjetunion alle Berater ab. Das ZK der KPdSU beschuldigte Tito in mehreren Briefen an das jugoslawische ZK der Abweichung vom Marxismus-Leninismus, des „Antisowjetismus“, „Trotzkismus“ und „Bucharinismus“. Als Tito auf seiner unnachgiebigen Haltung beharrte und zwei sowjetfreundliche Kabinettsmitglieder, Industrieminister Hebrang und Finanzminister Žujović, verhaften ließ, erteilte Stalin Berija im Mai 1948 den Auftrag, „Titoisten“ in den sowjetischen Satellitenstaaten aufzuspüren und sie in Schauprozessen anzuklagen. Am 28. Juni 1948 verabschiedete das Kominform eine von der Sowjetunion eingebrachte Resolution, in der Titos Politik scharf verurteilt wurde. Der sowjetische Geheimdienst begann, Maßnahmen gegen Tito in Erwägung zu ziehen. Umgekehrt schlug der jugoslawische Geheimdienst UDBA mit stalinistischen Methoden zurück und verhaftete mehrere von Titos Leibwächtern unter dem Vorwurf sowjetischer Agententätigkeit. Tausende einfacher Parteimitglieder kamen als angebliche „Kominformisten“ in Lagerhaft, wo sie grausam misshandelt wurden und teilweise den Tod fanden. Der UDBA deckte außerdem einen sowjetischen Plan auf, dessen Ziel es gewesen sein soll, das Politbüro der KPJ beim Billard in Titos Villa mit automatischen Waffen niederzumähen.7 Obwohl die SED dem Kominform nicht angehörte, stellte sie sich am 3. Juli 1948 in einer Entschließung des Zentralsekretariats hinter die KominformResolution. In der Entschließung hieß es u. a., dass „die klare und eindeutige Stellungnahme für die Sowjetunion heute die einzig mögliche Position für jede sozialistische Partei“ sei. Die wichtigste Lehre aus den Ereignissen in Jugoslawien sei die Umgestaltung der SED zu einer Partei neuen Typus, wofür man „den Kampf gegen alle Feinde der Arbeiterklasse, insbesondere gegen die Schu6

7

Nach Angaben des an den Gesprächen teilnehmenden Milovan Djilas soll Stalin drei kleinere Föderationen zwischen den osteuropäischen Staaten oder aber die Angliederung der Balkanstaaten an Russland, Polens und der Tschechoslowakei an Weißrussland, Ungarns und Rumäniens an die Ukraine erwähnt haben. Vgl. Heidlberger, Jugoslawiens Auseinandersetzung, S. 205. Hodos, Schauprozesse, S. 22–31, 261; Heidlberger, Jugoslawiens Auseinandersetzung, S. 207–214; Braunthal, Geschichte der Internationale, 3. Band, S. 448–452; Grebing, Der Revisionismus, S. 141; Brockmann, Titoismus als besondere Form des Kommunismus, S. 36–40; Bianchini, Säuberungen und politische Prozesse in Jugoslawien, S. 64 f.; Vukmanovič-Tempo, Mein Weg mit Tito, S. 195–210; Hatschikjan, Die wechselvolle Kontinuität, S. 5 f.; Andrew/Mitrochin, Das Schwarzbuch des KGB, S. 447–449.

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macher-Agenten, mit rücksichtsloser Schärfe“ führen müsse.8 Auf der 12. Tagung des SED-Parteivorstandes (28./29. Juli 1948) bekräftigte Walter Ulbricht erneut die außerordentliche Bedeutung der Kominform-Resolution und forderte die anwesenden Funktionäre dazu auf, das Kommuniqué in der Partei ausführlich zu diskutieren. Im Anschluss an Ulbricht referierte Otto Grotewohl zum Thema „Die Novemberrevolution und die Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“. Die Wahl des Themas hatte weniger mit dem 30. Jahrestag der Novemberrevolution von 1918 zu tun – hier war keine Eile geboten – , sondern es sollte vielmehr unter dem Eindruck der jugoslawischen Ereignisse eine generelle Abrechnung mit allen oppositionellen Strömungen in der SED, vor allem aber mit überzeugten Sozialdemokraten, vorbereitet werden. Wie Sergej Tjulpanow, der Leiter der Propagandaverwaltung der SMAD, wenig später in einem Memorandum festhielt, legte Grotewohl in seinem Referat „die Wurzeln des Opportunismus und Reformismus in der deutschen Sozialdemokratie bloß“. Grotewohl betonte, der Platz aller Sozialisten sei an der Seite der UdSSR. Man solle die Fehler der KPJ ernsthaft studieren, um zu erkennen, wohin Abweichungen vom Marxismus-Leninismus führen könnten.9 Als Ursache für das „Versagen“ der SPD im Jahre 1918 machte Grotewohl die ausgebliebene Parteisäuberung vor 1914 verantwortlich.10 Anton Ackermann, der die These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus propagiert hatte, sah sich veranlasst, Selbstkritik zu üben. Er betonte nun, dass es nur einen Weg zum Sozialismus gebe, der ohne die Hilfe und Freundschaft der UdSSR unmöglich sei.11 Wichtigstes Ergebnis der 12. Tagung des Parteivorstandes war die Verabschiedung eines Säuberungsbeschlusses unter dem Titel „Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“. Die Parteiführung legte darin fest, „hemmende und feindliche Kräfte, die in die Partei eingedrungen sind, auszumerzen“ und in den Parteileitungen Untersuchungskommissionen einzusetzen. Beschleunigte Ausschlussverfahren sollten eingeleitet werden gegen Mitglieder, „die eine parteifeindliche Einstellung vertreten, die eine sowjetfeindliche Haltung bekunden, die an Korruptionsaffären, Schiebereien, kriminellen Verbrechen direkt oder indirekt beteiligt sind, die über ihre politische Vergangenheit in der Nazizeit wahrheitswidrige Angaben gemacht haben, bei denen begründeter Verdacht besteht, dass sie im Interesse parteifeindlicher Kräfte (Agenten des Ostsekretariats der SPD) oder als Spione und Saboteure fremder Dienste in der Partei wirken.“12 Bereits einen Tag nach der Fassung des Säuberungsbeschlusses versammelte sich das sachsen-anhaltische SED-Landessekretariat, um über die stattgefun8 Dokumente der SED, 2. Band, S. 81 f. 9 Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 169–172. 10 Grotewohl, Die Fehler von 1918, S. 879–883. Vgl. auch das Grotewohl-Zitat bei Ulbricht, Die Hauptlehre von 1918, S. 893. 11 Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 169–172. 12 Dokumente der SED, 2. Band, S. 83–85.

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dene Parteivorstandssitzung zu beraten. Der frühere Sozialdemokrat Fritz Jungmann berichtete, es sei beschlossen worden, innerhalb der Partei eine Säuberung durchzuführen. Die politische Tätigkeit der SED müsse sich auf „marxistischer Grundlage und der Freundschaft zur SU bewegen“. Der Altkommunist Ludwig Einicke schlug vor, einen Berliner Referenten an der nächsten Landesvorstandssitzung zu beteiligen, wofür er Otto Grotewohl oder Max Fechner empfahl. In Anlehnung an die vorangegangene Sitzung des SED-Parteivorstandes sollten dabei Erfahrungen der Novemberrevolution und Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung thematisiert werden.13 In Anspielung auf innerparteiliche Probleme, die es mit Schumacher-Anhängern in der ehemaligen SPD-Hochburg Magdeburg gab, unterbreitete der frühere Sozialdemokrat Paul Wessel den Vorschlag, die Kampagne über die Novemberrevolution zur Bearbeitung der Magdeburger Stadtbezirke zu verwenden. In einer am 24. Juli 1948 verabschiedeten Resolution hatte das Landessekretariat vor allem im Hinblick auf einige Betriebe und die Stadtverwaltung Magdeburg ernsthafte Schwächen in der Parteiarbeit festgestellt. Weiter wurde behauptet, dass sich Gegner der SED „in erster Linie in ihrer verleumderischen Propaganda auf die Genossen der früheren Sozialdemokratischen Partei“ konzentrierten, um die Arbeiterschaft erneut zu spalten. Wie Alois Pisnik berichtete, waren die innerparteilichen Probleme in Magdeburg nach Ansicht von Walter Ulbricht nicht richtig angepackt worden, denn man habe sich nicht genügend mit den Schumacherleuten beschäftigt. Ulbricht lege auf die ideologische Seite großes Gewicht. Ulbrichts Kritik veranlasste das Sekretariat, die Kampagne über die Novemberrevolution in Magdeburg durchzuführen.14 Die unterschiedliche Interpretation der Ereignisse von 1918 und der Geschichte der Weimarer Republik diente als Prüfstein für die ideologische Festigkeit früherer Sozialdemokraten. Es war deshalb sicherlich kein Zufall, dass der ehemalige Sozialdemokrat Max Fechner, der einer Diskussion über die Novemberrevolution auf der 12. Tagung des SED-Parteivorstandes durch sein Fernbleiben ausgewichen war, ausgewählt wurde, um anlässlich der Sitzung des SED-Landesvorstandes Sachsen-Anhalt am 4. August 1948 zu referieren. Fechner erwies sich als gelehriger Schüler Grotewohls und übertrug die Erfahrungen von 1918 auf die Gegenwart, indem er sagte: „Wir müssen erkennen, dass auch die Gegenwart uns bereits wieder beweist, dass, wer den marxistisch-leninistischen Weg verlässt, auf eine falsche Ebene gerät. [...] Ich denke da besonders an die Lehren, die uns das Schicksal der KP Jugoslawiens vermittelt. Jugoslawien begriff nicht mehr die führende Rolle der Arbeiterklasse im Bündnis mit Stadt und Land, beseitigte und untergrub die innerparteiliche Demokratie, um sie durch ein despotisches Regime zu ersetzen. Die Abkehr von der Gemeinschaft [der] sozialistischen Front bedeutete eine Abkehr von der Sowjetunion und den Volksdemokratien. Wenn die jugoslawischen Genossen nicht begreifen, was diese Loslösungsbestrebungen 13 Protokolle Sekretariat Juli–Sept. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/6, Bl. 100, 106 f.). 14 Ebd., Bl. 93–96, 107 f.

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bedeuten, werden sie in die Arme des Imperialismus getrieben, ihre Unabhängigkeit verlieren und zu einem bürgerlichen Staat degradiert werden.“15

Am Tag zuvor hatten Grotewohl und Ulbricht das ZK der KPdSU über die bevorstehende Parteisäuberung informiert und Michail Suslow mitgeteilt: „Es wird über die Schaffung einer Parteikontrollkommission nachgedacht. Bis jetzt wurden Anschuldigungen gegen einzelne Funktionäre durch die sogenannte Berufungskommission überprüft, eine Unterabteilung der Kaderabteilung. Diese Kommission verfügt bis heute über keine Sondervollmachten bezüglich einer selbständigen detaillierten Untersuchung der jeweiligen Fälle. Deshalb wird nun die Schaffung einer Parteikontrollkommission diskutiert, die das Recht haben wird, Vergehen von Parteifunktionären eigenständig zu untersuchen und dem Zentralen Sekretariat ihre Vorschläge zu unterbreiten.“16

Nachdem die Kommission des SED-Parteivorstandes ihre Arbeit an den offiziellen Thesen zur Novemberrevolution beendet hatte, wurden diese dem SEDParteivorstand auf seiner 13. Tagung (15./16. September 1948) zur Beschlussfassung vorgelegt und angenommen. An der Diskussion über die Thesen beteiligten sich acht Funktionäre, von denen wiederum nur zwei aus der SPD kamen (Otto Grotewohl und Helmut Lehmann). Wie Tjulpanow in einem Memorandum zur 13. Tagung des Parteivorstandes vermerkte, fiel „die passive Haltung der ehemaligen Sozialdemokraten“ sowie „eine gewisse Niedergeschlagenheit und Gleichgültigkeit gegenüber den zur Diskussion gestellten theoretischen Fragen“ auf. „Fragen des ideologischen Kampfes gegen die Schumacherleute“ sei keine Aufmerksamkeit gewidmet worden.17 Wie zu erwarten, galten die in den Thesen vorgebrachten Anschuldigungen fast ausschließlich gemäßigten Sozialdemokraten, so den „Revisionisten“, „Opportunisten“ und „Zentristen“, die 1914 ins Lager der Bourgeoisie übergelaufen seien, sowie rechten sozialdemokratischen Führern, die nach 1918 „die kapitalistische Herrschaft gerettet und der Reaktion den Weg geebnet“ hätten, was „im weiteren Verlauf zum Faschismus und zum Sturz in die nationale Katastrophe“ geführt habe. Rechtsradikale Kräfte seien vor 1933 gestärkt worden, weil die Sozialdemokraten Deutschland den westlichen Imperialisten ausgeliefert und „eine Erfüllungspolitik auf Kosten des werktätigen Volkes“ betrieben hätten. Alle Bemühungen der KPD zur Bildung einer antifaschistischen Einheitsfront habe die SPD-Führung abgelehnt. Aus diesen Erfahrungen ergebe sich, dass die sozialistische Revolution in Deutschland und anderen Ländern „nur im engsten Bündnis mit der Sowjetunion“ siegen könne.18 Entgegen dem Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juni 1945, in dem die Kopie des sowjetischen Vorbilds als „nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutsch-

15 Protokolle von Vorstandssitzungen Aug.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/4, Bl. 21). 16 Zit. nach Bordjugow, ZK der KPdSU(B), S. 302. 17 Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 173–178. 18 Dokumente der SED, 2. Band, S. 107–124.

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land“ entsprechend abgelehnt worden war, vertrat der SED-Parteivorstand in seiner Entschließung nun eine gegenteilige Linie: „In der Ostzone Deutschlands [wurden] die Lehren aus der geschichtlichen Erfahrung gezogen. Die Einheit der Arbeiterklasse wurde auf der Grundlage des Klassenkampfes hergestellt. Dadurch war es möglich, unter Führung der Arbeiterklasse eine Politik des Blocks aller fortschrittlichen antifaschistischen Kräfte zu betreiben, die die alten Machtgruppen ausschaltet. Damit wurde die Grundlage für ein wahrhaft demokratisches Regime errichtet, das den werktätigen Massen den entscheidenden Einfluss sichert. [...] Der damit beschrittene Weg ist kein besonderer deutscher Weg zum Sozialismus, der ein friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus möglich machen könnte. Der Versuch, einen solchen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus zu gehen, würde dazu führen, das große historische Beispiel der Sowjetunion zu missachten, die Grundlagen des Marxismus-Leninismus über die Fragen des Sieges des Sozialismus aufzugeben. Es würde ein Abgleiten auf den westeuropäischen Scheinsozialismus, das heißt in den Opportunismus und Nationalismus sein.“19

Die Entschließung endete mit der Feststellung, dass die SED zu einer revolutionären Kampfpartei des Marxismus-Leninismus umgestaltet werden müsse, in der „straffe Disziplin“ und demokratischer Zentralismus herrschten. Durch Kritik und Selbstkritik sollten „alle feindlichen und schädlichen Elemente ausgemerzt werden“.20 Die enge Verbindung zwischen der gegen die Sozialdemokratie gerichteten Interpretation der Novemberrevolution von 1918 und den Ereignissen in Jugoslawien zeigte sich auch darin, dass der Parteivorstand neben den Thesen zur Novemberrevolution noch am selben Tag (16. September 1948) eine Entschließung „über die Lage in der KP Jugoslawiens und die Lehren für die SED“ herausgab. Darin wurde die Bildung einer Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) und von Parteikontrollkommissionen für jedes Land und jeden Kreis angekündigt. Die Parteikontrollkommissionen hatten demnach die Aufgabe, „den Kampf zu führen gegen die im Auftrage ausländischer Kräfte tätigen feindlichen Agenten“, die besonders vom Ostbüro der SPD entsandt würden. Außerdem sollten sie gegen Korruption, Amtsmissbrauch und Karrierismus in der SED vorgehen. Da die KPdSU auf dem Weg zur „Partei neuen Typus“ als Vorbild diente, beschloss das Zentralsekretariat am 20. September 1948, die offizielle Parteigeschichte der KPdSU zur Grundlage der Parteischulung zu erheben. Die sowjetische Parteigeschichte sollte im „MassenSelbststudium“, auf politischen Bildungsabenden, in Parteischulen, auf der Parteihochschule „Karl Marx“ und bei der Weiterbildung von Lehrern der Parteischulen vermittelt werden.21 Wie aus Wilhelm Piecks Aufzeichnungen hervorgeht, erfolgte der Aufbau der Parteikontrollkommissionen in enger Absprache mit den Sowjets: Während einer Besprechung beim Obersten Chef der SMAD Marschall Wassili Sokolowski, an der am 30. Oktober 1948 Pieck, Grotewohl, Semjonow und weitere sowjetische Vertreter teilnahmen, wurden u. a. auch die Lage in der SED, die 19 Ebd., S. 122. 20 Ebd., S. 124. 21 Ebd., S. 97–106, 128–130.

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„Verschärfung des Klassenkampfes“ und die damit verbundenen Parteisäuberungen erörtert. Am 10. November 1948 führte Pieck Gespräche mit Generaloberst Nikolai Kowaltschuk (Chef des sowjetischen Geheimdienstes MGB in der SBZ), in denen es um die innerparteiliche Lage, ideologische und politische Erziehung, sowie um die beabsichtigte „Säuberung von Agenten und Spekulanten“ ging. Auch die Besetzung des Vorsitzes der Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) mit Hermann Matern und Otto Buchwitz wurde auf der Besprechung geklärt – zehn Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe durch den SED-Parteivorstand. Eine generelle Festlegung des künftigen politischen Kurses erfolgte während der Moskaureise von Pieck, Grotewohl und Ulbricht (12. –24. Dezember 1948). In einer schriftlichen Ausarbeitung, die Pieck vermutlich dem Politbüro der KPdSU zuleitete, hieß es im Hinblick auf die innerparteiliche Lage, bis Mai 1948 sei versucht worden, die SED „auf der Basis der Parität zu manövrieren“. In der ersten Hälfte des Jahres 1948 hätten parteifeindliche Elemente den Versuch unternommen, „Positionen in der Partei zu erringen und die Entwicklung zu einer marxistisch-leninistischen Partei zu verhindern“. Mittlerweile habe jedoch eine ideologische Diskussion auf marxistisch-leninistischer Grundlage eingesetzt, wobei die Jugoslawien-Resolution des Kominform eine bedeutende Hilfe gewesen sei. Man habe damit begonnen, „die offen feindlichen und korrupten Elemente aus der Partei zu entfernen, ohne dass schon eine systematische Säuberung“ stattfinde. Weitere Einzelheiten wurden am 18. Dezember 1948 in einer vierstündigen Besprechung bei Stalin erörtert und dem Zentralsekretariat am 27. Dezember 1948 von Pieck mitgeteilt.22 Die Ergebnisse der Moskaureise fanden ihren Niederschlag in einem Beschluss des SED-Parteivorstandes vom 24. Januar 1949, demzufolge die soziale Zusammensetzung der Mitgliedschaft durch die bevorzugte Aufnahme von Arbeitern, Aktivisten und linken Intellektuellen verändert werden sollte. Zugleich wurde für die Aufnahme in die SED eine Kandidatenzeit eingeführt, die für Arbeiter ein Jahr und für alle übrigen Anwärter zwei Jahre betrug. Die Aufnahme als Kandidat erfolgte nach Empfehlung durch zwei Parteimitglieder, die der SED mindestens zwei Jahre angehören mussten. Umgekehrt war es auch möglich, Mitglieder zur Bewährung wieder in den Kandidatenstand zurückzuversetzen. Der Vorstand beschloss außerdem die Schaffung eines Politbüros, dem Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Helmut Lehmann, Franz Dahlem, Friedrich Ebert und Paul Merker angehörten. Die Schaffung des Politbüros stellte eine unverblümte Anknüpfung an das Vorbild der KPdSU dar, die bereits seit 1919 über ein Politbüro verfügte. Beim Politbüro wie auch bei den SED-Landesvorständen sollten Kleine Sekretariate gebildet werden. Die Kleinen Sekretariate der Landesvorstände bestanden aus jeweils sieben Mitgliedern, die vom Politbüro bestätigt werden mussten und unter denen sich neben den beiden Landesvorsitzenden „die politisch befähigtsten Mitglieder aus dem 22 Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 241 f., 244, 252 f., 262, 269–271.

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Landesvorstand“ befinden sollten, so auch der Ministerpräsident und Innenminister. Im Hinblick auf die ZPKK gab der Parteivorstand deren personelle Zusammensetzung unter dem Vorsitz von Hermann Matern und dem früheren Sozialdemokraten Otto Buchwitz bekannt. Die Aufgaben der früheren Parteischiedsgerichte gingen an die neuen Kontrollkommissionen über.23 Beim Aufbau der ZPKK und der Festlegung ihrer Aufgaben orientierte man sich am Vorbild der seit 1920 bestehenden sowjetischen Kontrollkommissionen, wofür eine Information in deutscher Übersetzung vorlag.24 Die ZPKK sollte aus zwei gleichberechtigten Vorsitzenden, sieben Sekretären und drei Kandidaten bestehen, die ihr unterstehenden Landesparteikontrollkommissionen (LPKKs) aus einem Vorsitzenden, vier Sekretären und zwei Kandidaten, die Kreisparteikontrollkommissionen (KPKKs) aus drei Mitgliedern und zwei Kandidaten. Die Kommissionsmitglieder wurden vom Vorstand der jeweiligen Parteiebene gewählt, d. h. die ZPKK vom Parteivorstand, die LPKKs von den Landesvorständen, die KPKKs von den Kreisvorständen. Darüber hinaus benötigten die Mitglieder der LPKKs und KPKKs eine Bestätigung durch die nächsthöhere Parteiebene. Die Mitglieder der Kontrollorgane mussten sich durch unbedingte Parteitreue, gute politische Kenntnisse und moralische Integrität auszeichnen, sie durften nicht nationalsozialistisch belastet sein und sollten möglichst aus der Arbeiterschaft stammen. Um der ZPKK angehören zu können, mussten die Mitglieder mindestens zehn Jahre in der Arbeiterbewegung politisch tätig gewesen sein. Für die LPKK genügte eine Tätigkeit von acht und für die KPKK von fünf Jahren.25 Im Vergleich zum ersten Säuberungsbeschluss des Parteivorstandes (29. Juli 1948) erhielten die durch den Beschluss vom 16. September 1948 neu geschaffenen Kontrollorgane umfassendere Befugnisse: 1. „Unerbittlicher Kampf gegen alle Abweichungen von der Grundlinie der Partei. 2. Darüber zu wachen, dass die von der Partei durch ihre Beschlüsse gestellten politischen und wirtschaftlichen Aufgaben durchgeführt werden. 3. Ausschalten feindlicher Einflüsse und Agenten, besonders des hannoverschen Ostbüros. 4. Sauberhaltung der Partei von korrupten und zersetzenden Elementen. 5. Verhinderung von Missbrauch von Funktionen in Partei, Wirtschaft und Verwaltung durch Mitglieder der Partei. Entfernung [...] von Karrieristen und solchen Mitgliedern, die durch ihr Verhalten das Ansehen der Partei gröblichst geschädigt haben.“26

Die Parteikontrollkommissionen sollten alle ihnen bekannt werdenden Vergehen von Parteimitgliedern untersuchen und Nachforschungen einleiten. Die dabei vorgesehene Verhängung von Strafen („Verwarnung“, „Rüge“, „strenge Rü23 Dokumente der SED, 2. Band, S. 213–217. 24 Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 63–74). 25 Ebd., Bl. 75–78; Dokumente der SED, 2. Band, S. 97–99. 26 Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 77).

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ge“ und Parteiausschluss) war an sich nichts Neues, sondern hatte schon in der Zuständigkeit der früheren Schiedsgerichte gelegen. Im Vergleich dazu besaßen die Kontrollkommissionen jedoch auch die Kompetenz, Versetzungen und Degradierungen von Parteimitgliedern in Partei- und Staatsämtern zu beschließen. Matern instruierte die Vorsitzenden der LPKKs, sich überall dort, wo es nötig erschien, einzumischen und gegebenenfalls auch mit der Polizei zusammenzuarbeiten.27 Unter Materns Führung entwickelten sich die Parteikontrollkommissionen zu einem Disziplinierungsinstrument, das im Sinne von Ulbrichts machtpolitischen Ambitionen tätig wurde und zur Ausschaltung potentieller Konkurrenten in der Parteiführung beitrug.

2.

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Erste konkrete Maßnahmen zur Durchführung des Säuberungsbeschlusses, den der SED-Parteivorstand am 29. Juli 1948 gefasst hatte, erörterte das SED-Landessekretariat am 6. September 1948. Auf Vorschlag der Personalpolitischen Abteilung wurde beschlossen, bei den Kreisvorständen und großen Ortsgruppen Untersuchungskommissionen einzusetzen, die Material gegen „parteifeindliche Elemente“ sammeln sollten. An das Schiedsgericht beim Landesvorstand erging der Auftrag, Ausschlussverfahren mit äußerster Beschleunigung zu erledigen. In so genannten „Schumacher-Zentren“, wozu man fast alle größeren Städte Sachsen-Anhalts zählte, sollte der Landesvorstand direkt eingreifen. Die personalpolitischen Abteilungen der Kreisvorstände sollten dem Landesvorstand umgehend das über „Schumacherleute, Agenten und Saboteure gesammelte Material“ übergeben. Für September 1948 legte das Landessekretariat eine Säuberungskampagne in den Kreis- und Stadtverwaltungen sowie in der Landesregierung fest.28 Bruno Böttge, der den SED-Landesverband SachsenAnhalt zusammen mit Bernard Koenen paritätisch führte, versuchte, gegen die antisozialdemokratische Stoßrichtung der beschlossenen Säuberungen aufzutreten und verwies auf ideologische Schwankungen, die es auch unter früheren KPD-Mitgliedern gab. Das Sitzungsprotokoll vermerkte dazu: „Gen[osse] Böttge: Von Seiten der früheren KP[D]-Genossen gibt es noch viele Genossen, die in jedem SP[D]-Genossen einen politisch minderwertigen Menschen sehen. Es wurde nicht gesagt, was gegen die Trotzkisten im Geiseltal29 usw. unternommen wurde. Gen[osse] Böttge erwähnt das, damit nicht der Anschein erweckt werden soll, als sollte die ganze Aktion auf den Schultern früherer SP[D]-Genossen ausgetragen werden. [...] [Dem] Gen[ossen] Böttge wurde einmal gesagt, die Vereinigung sei vollzogen, die SPD wird gesäubert, übrig 27 Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 372–379. 28 Protokolle Sekretariat Juli–Sept. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/6, Bl. 181 f.). 29 Böttge meinte damit die radikalen Altkommunisten im Bergbaugebiet Geiseltal.

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bleiben die KP[D] und die neuen Mitglieder, die nach 1945 kamen. Dieser Eindruck muss vermieden werden.“30 Bernard Koenen wies Böttges Einwände zurück, da „Trotzkisten und scheinradikale Elemente“ im Gegensatz zu den oppositionellen Sozialdemokraten weder über materielle Mittel, noch über eine Organisation im Westen und in Berlin verfügten. Deshalb müsse sich der Angriff mit allen Mitteln gegen die „Schumacherarbeit“ richten, die die Spaltung der SED und der Arbeiterklasse betreibe.31 Wenige Tage später wurde Böttge entmachtet und zum Rücktritt als Landesvorsitzender gezwungen, worüber weiter unten ausführlicher berichtet werden soll.32 Aus Spitzelberichten des bereits an anderer Stelle erwähnten früheren Sozialdemokraten Waldemar Kasparek ging hervor, dass es in Sachsen-Anhalt im August und September 1948 mehrere Zentren sozialdemokratischen Widerstandes gab. Kasparek nannte hierbei u. a. Otto Runge (Leiter des Amtes für Arbeit und Sozialfürsorge im Landratsamt des Saalkreises) und Kurt Müller (Leiter des Wohnungsamtes in Weißenfels), die Kontakte zum Ostbüro der SPD unterhielten. Ein weiterer oppositioneller Sozialdemokrat in hoher Funktion war Kurt Weiß (Leiter der Kommunalabteilung beim SED-Landesvorstand). In Staßfurt wurde Genossenschaftsleiter Albert Deutel, der mehrere SED-Funktionäre im Sinne von Kurt Schumacher zu beeinflussen versuchte, festgestellt. Als Leiter der illegalen SPD in Sachsen-Anhalt bezeichnete Kasparek Paul Peters (Direktor des SED-Verlagswesens in Halle). Wie Kasparek aus einem persönlichen Gespräch mit Peters wusste, hatte das Ostbüro in Hannover Peters Anfang August 1948 die Weisung erteilt, äußerst vorsichtig vorzugehen. Besonders der als Hauptabteilungsleiter im Landwirtschaftsministerium des Landes tätige Fritz Drescher dürfe nicht gefährdet werden. Enge Beziehungen habe das Ostbüro mit dem mittlerweile nach Hannover geflohenen Kurt Brenner unterhalten, der im SED-Parteihaus Halle von Kurieren aufgesucht worden sei. Eine wichtige Rolle im Magdeburger SPD-Widerstand spielte Kasparek zufolge Regierungsrat Julius Bredenbeck (Leiter des Bergbauamtes in Eisleben). Er habe vom Ostbüro einen Vervielfältigungsapparat erhalten.33 Paul Laufer vom SED-„Abwehrreferat“, der Kaspareks Aktionen führte und später im MfS zum Leiter der für die Bearbeitung von SPD und DGB zuständigen Abteilung aufsteigen sollte,34 erwog, mit Kaspareks Hilfe einen Kurier des Ostbüros nach Halle zu locken und durch Kasparek Informationen über Verbindungen des Ostbüros nach Magdeburg zu erhalten.35 Anfang September 30 Protokolle Sekretariat Juli–Sept. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/6, Bl. 195). 31 Ebd., Bl. 196. 32 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 119). 33 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 235 f., 475 f. 34 Knabe, Die unterwanderte Republik, S. 44, 158, 163, 165, 167, 169 f., 175, 373, 474 f. 35 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 238 f.

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1948 wurden mehrere Sozialdemokraten (u. a. Fritz Drescher, Paul Peters, Julius Bredenbeck) und ein Kurier des Ostbüros, der sich auf dem Weg von Halle-Ammendorf nach Weißenfels befand, verhaftet. Da das Ostbüro fürchtete, die bei dem Kurier vermutlich gefundenen Aufzeichnungen könnten weitere oppositionelle Sozialdemokraten gefährden, erhielt Kasparek eine 12 Namen umfassende Liste von Personen, die er kontaktieren und warnen sollte. Unter ihnen befanden sich weitere Sozialdemokraten in wichtigen Positionen, so z. B. Oberregierungsrat Kurt Brandt aus Eisleben (Leiter des Finanzamts), Walter Oelschlägel (SED-Kreissekretariat Sangerhausen) und ein gewisser Famula (Chefredakteur des Landessenders in Halle). Kasparek wandte sich sofort an Laufer, um neue Instruktionen zu erhalten. Bevor Kasparek die gefährdeten Sozialdemokraten aufsuchte, sprach er am 17. September 1948 beim NKWD in Halle vor, wo man von ihm verlangte, in Zukunft nicht mehr mit der SED, sondern nur noch mit dem NKWD zusammenzuarbeiten. Auf Anweisung des NKWD sollte Kasparek über die Stimmung in der SED und Vorgänge im Parteiorgan „Freiheit“ berichten. Die von Kasparek im Auftrag des Ostbüros gewarnten SPD-Leute lehnten es ab zu fliehen, da sie sich entweder nicht gefährdet fühlten, unter Überwachung standen oder für sich keine berufliche Perspektive im Westen sahen. Kurt Brandt kehrte enttäuscht von Westberlin nach Eisleben zurück, da er im Ostbüro keine Zusage für seine künftige berufliche Tätigkeit erhalten hatte. Er war besonders gefährdet, da er nach Information von Kasparek mit einem vom NKWD angeworbenen Invaliden namens Glaubrecht zusammenarbeitete, dessen für den NKWD bestimmte Spitzelberichte Kurt Brandt fälschte. Kurt Brandt wurde am 24. September 1948 vom NKWD verhaftet. Die vom Abwehrreferat der SED und vom NKWD erzielten Einbrüche im Ostbüro hatten zur Folge, dass auf Willy Brandts Veranlassung organisatorische Veränderungen vorgenommen wurden. Bezogen auf Halle und Umgebung ordnete Willy Brandt eine vorläufige Einstellung der Arbeit des Ostbüros an, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt habe.36 Wesentliche Orientierungen für die beginnende systematische Parteisäuberung gab Walter Ulbricht auf einer Sitzung des SED-Landessekretariats am 6. Oktober 1948: Er betonte, dass die Jugoslawien-Resolution des Kominform Bedeutung für die „Verschärfung des Klassenkampfes“ in der SBZ besitze und 36 Ebd., Bl. 221, 241, 244 f., 248–255, 269, 278 f., 288, 291. Das Abwehrreferat der SED trennte sich am 10.1.1949 von Kasparek, der unter dem Decknamen „Rösler“ geführt worden war. Drei Tage zuvor war er ohne Auftrag des Ostbüros in Halle erschienen und hatte sich unter Verletzung der Konspiration beim NKWD gemeldet. Das Abwehrreferat überließ Kasparek dem NKWD, der ihn noch immer ausschließlich für sich beanspruchte. Im Ostbüro brachte man Kasparek Ende Januar 1949 aufgrund seiner Entlassung aus NKWD-Haft (September 1947) und wegen der Verhaftung eines von ihm nach Halle gelotsten Kuriers Ende 1948 starkes Misstrauen entgegen. Der mittlerweile in den Westen geflohene Ernst Thape beschuldigte Kasparek der Zusammenarbeit mit sowjetischen Dienststellen. Am 1. 4.1949 wurde Kasparek durch ein Telegramm, unterzeichnet von einem gewissen „Klaus“, von Berlin nach Halle gelockt. Er galt seitdem als vermisst. Vgl. ebd., Bl. 211–214, 224 f.

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ein bedeutendes Dokument darstelle, das die Theorie des Leninismus erläutere. Es gebe keinen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus, der letztlich zur Politik Kurt Schumachers führe, sondern zum Sozialismus gehörten die Diktatur des Proletariats sowie die Kollektivierung und Enteignung der Produktionsmittel, worüber sich viele Parteimitglieder nicht klar seien. Ein Teil der feindlichen Agenten stehe außerhalb der Partei, „die meisten aber in der SED“.37 Ulbricht führte weiter aus: „Es ist schwierig, die Grenze zu ziehen zwischen einem Agenten und jemand[em], der auf dem Weg des Versumpfens ist. Es hat sich erwiesen, dass eine Reihe Zusammenhänge zwischen der Verfaultheit mancher Leute aus der alten Arbeiterbürokratie und den Agenturen bestehen. Es gibt Leute, die durch ihre Verbürgerlichung ein guter Nährboden für jede Agentur sind. Das ZS [Zentralsekretariat, F. H.] konnte das in Sachsen-Anhalt studieren. [...] Das ZS hat auf Grund eigener Feststellungen Kenntnis erhalten, dass in einigen Großstädten Sachsen-Anhalts in der Verwaltung Leute sind, die entweder direkte Schumacheragenten sind oder Hilfsstellung leisten. Sie sitzen bis in den Polizeiapparat und K 5. Selbstverständlich haben die Staatsorgane das Recht zu säubern. Das wurde bisher nicht gemacht, weil die Frage vor der Partei offen gestellt werden soll, damit keine schiefe Diskussion entsteht. In den nächsten Monaten müssen wir mit diesen Dingen fertig werden. Wir können den 2-Jahres-Plan nur durchführen, wenn wir uns gewissermaßen auf die Partei stützen können.“38 Ulbricht äußerte sein Unverständnis darüber, dass es in der früheren SPDHochburg Magdeburg nicht möglich sein sollte, „einige Exempel zu statuieren“. Die gegnerische Gruppierung in Magdeburg müsse „aufgerollt werden“, sonst käme man zu keiner Klärung. Wenn dies nicht bald geschehe, werde die Säuberung von staatlichen Organen durchgeführt, obwohl eine Säuberung durch die Partei besser sei. Als der ehemalige Sozialdemokrat Paul Wessel im Anschluss an Ulbrichts Ausführungen zu bedenken gab, dass in Weißenfels „verschiedene linke Elemente in der Partei auf allen früheren SPD-Genossen herumhämmern, als ob sie alle ausgeschlossen werden müssten“ und dies mit der Frage verband, „ob man diesen linken Leuten sofort scharf entgegentreten“ solle,39 ließ Ulbrichts Antwort eine baldige Ausdehnung der Säuberungen auf so genannte „Trotzkisten“ erahnen: „Man soll sie [die „Trotzkisten“, F. H.] sofort kritisieren. Es ist aber der Unterschied zu machen: die Schumacherleute sind die Feinde – die anderen haben eine falsche Auffassung. Es kann allerdings auch sein, dass sie vom Amerikaner beauftragt sind, wie in einigen Fällen festgestellt wurde. Das amerikanische Spionagesystem arbeitet immer doppelt: auf der einen Seite sind die Schumacherleute, andererseits werden trotzkistische Gruppierungen organisiert. In Po37 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 30, 34, 36, 38.) 38 Ebd., Bl. 34 f. 39 Ebd., Bl. 35, 39.

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len und Berlin ist das der Fall. In Thüringen wurde eine solche Gruppe von der SMA verhaftet. Der ideologische Kampf muss sofort aufgenommen werden, man darf sich aber von der großen Linie nicht abbringen lassen: Hauptfeinde sind die Schumacherleute.“40 Ulbrichts Hinweis auf die thüringische Spionagegruppe bezog sich zweifellos auf die Festnahme des Erfurter KPO-Funktionärs Alfred Schmidt, der 1948 von den Sowjets verhaftet, zum Tode verurteilt und anschließend zu 25 Jahren Arbeitslager begnadigt wurde. Die Tätigkeit ehemaliger KPO-Mitglieder wurde von den Sowjets bereits seit mehreren Monaten misstrauisch beobachtet: So hatte Tjulpanow im November 1947 berichtet, die KPO leiste zwar keine aktive Fraktionsarbeit, versuche aber, „auf führende Posten in der SED und KPD zu gelangen“. Aus Tjulpanows Sicht standen die früheren KPO-Mitglieder den Anhängern Kurt Schumachers ideologisch nahe, verbargen dies jedoch hinter linken Phrasen. Sie beschuldigten die Sowjetunion aufgrund ihrer Westverschiebung des Imperialismus sowie der Abkehr vom Internationalismus, verlangten ein Ende der Demontagen und Reparationen und machten die sowjetische Besatzungspolitik für die schlechten Lebensbedingungen der deutschen Arbeiterschaft verantwortlich. Wie die Schumacher-Anhänger, so seien auch die KPOGruppen nicht durch die Partei, sondern erst durch die von sowjetischen Organen vorgenommenen Verhaftungen entlarvt worden.41 Das Landessekretariat reagierte auf Ulbrichts Kritik und fasste drei Wochen später (29. Oktober 1948) auf Vorschlag des früheren Sozialdemokraten Hermann Prübenau den Beschluss, SED-Mitglieder, die in der Magdeburger Verwaltung leitende Funktionen bekleideten, durch den Kreisvorstand Magdeburg auf ihre politische Zuverlässigkeit überprüfen zu lassen und ihre „politische Klarheit“ mit Hilfe der Parteischule zu erhöhen. Auch die Betriebsgruppenarbeit in der Verwaltung sollte verstärkt werden. Bernard Koenen forderte „eine scharfe Wendung in Magdeburg“ und kündigte die Entsendung von Beauftragten des Landesvorstandes nach Magdeburg an. Für diesen Einsatz vorgesehen waren vor allem ehemalige SPD-Mitglieder, während frühere KPD-Leute nach Bitterfeld, Zeitz und Weißenfels, wo sich linksradikale Tendenzen gezeigt hatten, geschickt werden sollten.42 Koenen schwenkte zunehmend auf Ulbrichts radikale, unnachgiebige Position ein und vertrat auch gegenüber linksradikalen Kräften eine harte Linie. So verlangte er auf der Landesvorstandssitzung vom 16./17. März 1949, ideologische Fragen mit größerer Schärfe anzupacken und in der SED Klarheit darüber zu schaffen, dass Trotzkisten und oppositionelle Sozialdemokraten „Agenten gegen das Proletariat und Deutschland, Verräter an der Arbeiterklasse“ und „Verbrecher“ seien. Die Politik Kurt Schumachers und der Trotzkismus seien nichts anderes „als eine gewisse Fortsetzung des al40 Ebd., Bl. 39. 41 Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 143 f., 183 f. 42 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 111, 118 f.).

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ten Militarismus, des Imperialismus, Faschismus in Deutschland auf neue Art“.43 Mit dem Beschluss des Landessekretariats vom 5. November 1948, so schnell wie möglich Kreisparteikontrollkommissionen (KPKKs) zu schaffen, begann in Sachsen-Anhalt der Aufbau von Parteikontrollkommissionen. Die LPKK sollte für die KPKKs Richtlinien erarbeiten und einen Modus zur Überprüfung ihrer Entscheidungen finden. Zum Vorsitzenden der LPKK bestimmte das Landessekretariat den Altkommunisten Erich Besser, dessen politische Vergangenheit ihn auf den ersten Blick für das Amt zu empfehlen schien.44 Besser hatte von 1917 bis 1920 der USPD und bis 1933 der KPD angehört. In den zwanziger Jahren war er KPD-Abgeordneter im Landtag des Freistaats Anhalt gewesen und hatte sich damals bei seinen sozialdemokratischen Gegnern einen schlechten Ruf erworben. Von 1933 bis 1935 und 1944/45 war er in Konzentrationslagern inhaftiert. Anfang 1947 machte Besser durch seine unversöhnliche Haltung gegenüber anhaltischen Sozialdemokraten erneut auf sich aufmerksam.45 Dennoch hätte Bessers Ernennung zum LPKK-Vorsitzenden zahlreiche Altkommunisten aufhorchen lassen müssen: Zwischen 1923 und 1927 unterstützte Besser den Fischer-Maslow-Kurs und unterwarf sich der Parteilinie erst, als man ihm mit Parteiausschluss drohte. Besser musste den Vorsitz der anhaltischen KPD-Landtagsfraktion niederlegen und wurde von Hermann Matern, dem damaligen Pol-Leiter des Parteibezirks Magdeburg-Anhalt und späteren Chef der ZPKK, zum Hauptkassierer des Bezirks degradiert. Das Amt des Hauptkassierers war nicht nur politisch unbedeutend, sondern entpuppte sich im Bezirk Magdeburg-Anhalt als ausgesprochene Strafarbeit: Als Besser die Kasse übernahm, standen einem Guthaben von 67 Pfennigen 20 000 Mark Schulden gegenüber. Er erhielt den Auftrag, die Kasse zu sanieren, was ihm nach eigener Aussage innerhalb eines Jahres gelang. Aufgrund seiner „konspirativen Fähigkeiten“, die er während der parteiinternen Auseinandersetzungen in den zwanziger Jahren angeblich unter Beweis gestellt hatte, galt Besser nach Aussage eines langjährigen politischen Weggefährten als sehr verschwiegener Mensch – eine weitere Eigenschaft, die ihn für die Übernahme des LPKK-Vorsitzes geeignet erscheinen ließ.46 Die Zusammenstellung der KPKKs stieß in Sachsen-Anhalt zunächst auf Schwierigkeiten, da viele bewährte Parteimitglieder arbeitsmäßig überlastet waren und außerdem eine Tendenz bestand, die KPKKs im eigenen Interesse mög-

43 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 16./17. 3.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/5, Bl. 215 f.). 44 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 131, 138 f.). 45 Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 12); Kupfer, Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt 1918–1933, S. 117; Kaderakte Erich Besser (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/92, Bl. 2–21); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 438 f. 46 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 7, 11, 19–21, 29, 37, 43, 46, 51, 59.

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lichst schwach zu besetzen.47 Hinzu kam, dass bei der Besetzung der KPKKs Vorschriften missachtet wurden und daher mehrfache Umbesetzungen notwendig waren. Das Landessekretariat sah sich am 30. November 1948 zur Ablehnung einiger KPKKs veranlasst, weil ihnen keine Arbeiter und Bauern angehörten oder ausschließlich frühere KPD-Mitglieder nominiert worden waren. Die Schwierigkeiten bei der Besetzung der KPKKs hielten im Dezember 1948 weiter an, als erneut Einwände wegen zu starker KPD-Präsenz, geringer persönlicher Eignung oder fragwürdigen Verhaltens während der NS-Herrschaft erhoben wurden.48 Im März 1949 mussten drei Mitglieder der LPKK ausgetauscht werden, da sie der Partei noch keine acht Jahre angehörten und somit nicht die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der LPKK erfüllten.49 Noch im Juni 1949 teilte die LPKK den SED-Kreisvorständen mit, dass die KPKKs nur unter Vorbehalt bestätigt worden seien, um ungeeignete oder politisch zu schwache Genossen auswechseln zu können.50 Zu Beginn seiner Tätigkeit als LPKK-Vorsitzender versuchte Erich Besser, falschen Vorstellungen über die Arbeit der Kontrollkommissionen entgegenzutreten und Bedenken zu zerstreuen, indem er ihre Aufgaben anlässlich der Landesvorstandssitzung vom 16./17. März 1949 wie folgt definierte: „Die Kommissionen sollten geschaffen werden zu dem Zwecke, um [...] tätig zu sein für die Durchführung der Beschlüsse der Partei. Sie haben dafür in ihrem Gebiete Sorge zu tragen. Sie haben dabei beizutragen für die innere Festigung der Partei. [...] Während die Kommissionen ihre Aufgabe nicht wesentlich darin sehen, als Henkertruppe zu fungieren, sind sie auch nicht darauf aus, möglichst viele Ausschlüsse aus der Partei zu verzeichnen. In erster Linie sind es politische Fragen, die von diesen Kommissionen in Angriff zu nehmen und durchzuführen sind.“51 Besser wies außerdem darauf hin, dass die KPKKs weder Beschlagnahmungen noch Hausdurchsuchungen durchführen dürften. Dafür sei die Polizei zuständig. Personen, die im Verdacht stünden, Verbindungen zum Ostbüro zu unterhalten oder Spionage zu betreiben, müsse man zunächst das Parteibuch abnehmen und nach ihrem Ausschluss weiterhin beobachten, um parteifeindliche Gruppenbildungen zu verhindern. Dies sei ebenfalls Aufgabe der Kontrollkommissionen.52 Auf der Landesvorstandssitzung vom 10. Mai 1949 äußerte sich Besser erneut über die Aufgaben der Parteikontrollkommissionen, da bei einem Großteil der Funktionäre und Mitglieder darüber noch immer „absolu47 Ulrich Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 374. 48 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 205–207, 284, 289–292). 49 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 62 f.). 50 Nachlaß Besser 1945–1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/6/18/1, Bl. 31). 51 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 16./17. 3.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/5, Bl. 195). 52 Ebd., Bl. 198 f.

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te Unklarheit“ herrsche. Die Kommissionen seien keine Fortsetzung der bisherigen Untersuchungsausschüsse und Schiedsgerichte, sondern sie hätten „sehr konkrete politische Aufgaben“ zu erfüllen. Sie dienten dazu, „die Politik der Partei zu aktivieren, die innerparteilichen und ideologischen Auseinandersetzungen zu fördern“ und seien so etwas wie das Gewissen der Partei. Für ihre Tätigkeit gebe es keine Grenzen. Als Hauptfeind stellte Besser den „Reformismus“ und die „rechten Opportunisten“ heraus. Auch der „Agententätigkeit“ des Westens und dem Ostbüro müsse entgegen getreten werden. Zugleich wies er die Anwesenden darauf hin, dass die jugoslawische Militärmission in Berlin Propagandamaterial an SED-Funktionäre verschicke und einen zersetzenden Einfluss ausübe. Die Kontrollkommissionen hätten die Aufgabe erhalten, Heimkehrer aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft zu registrieren und zu beaufsichtigen. Als Grundsatz bei der Betrachtung aller Fragen gelte: „Was der Partei dient und hilft, ist richtig, das muss für jeden Genossen oberstes Gesetz werden“. Nicht die eigene Meinung, sondern die Meinung der Partei sei maßgebend. Als Werner Bruschke nach diesen Ausführungen die Diskussion im Landesvorstand eröffnen wollte, wagte sich niemand mehr zu äußern.53 Im Sommer 1949 standen dementsprechend vor allem oppositionelle Sozialdemokraten und Heimkehrer aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft im Mittelpunkt der Untersuchungen: Dabei wurden u. a. in Stendal vermehrt so genannte „Schumachertendenzen“ und Flugblätter festgestellt. In den Leuna-Werken fand man Plakate mit der Aufschrift „Hier liegen unsere sozialen Errungenschaften begraben“. Aus Dessau wurde die Drohung eines JugoslawienHeimkehrers gemeldet, der behauptet hatte, „die Amerikaner kämen wieder und die Genossen würden dann aufgehängt“. Für SED-Aufnahmeanträge von Heimkehrern war offiziell eine individuelle Prüfung vorgesehen. Sofern die Heimkehrer vor 1933 einer Arbeiterpartei angehört hatten und während der NS-Herrschaft politisch unbelastet geblieben waren, sollten sie umgehend aufgenommen werden. Andernfalls erhielten sie den Status eines Kandidaten.54 Dennoch zeigte die listenmäßige Erfassung von Heimkehrern aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft, dass man sie als potentiellen Unsicherheitsfaktor betrachtete. Zu einigen jugoslawischen Gefangenenlagern wurde vermerkt, dass dort Schulungen stattgefunden hätten, darunter im Belgrader Lager Nr. 4 angeblich „Funktionärskurse“ und eine „besondere Agentenausbildung“.55 Berichte von Jugoslawien-Heimkehrern zeigten jedoch, dass man den prokommunistischen Gefangenen bei der Gestaltung ihres politischen Lebens im Lager weitgehend freie Hand ließ. Resolutionen, die von den Gefangenen verfasst wurden, fanden die Unterstützung der jugoslawischen Lagerführung und auch 53 Protokolle von Landesvorstandssitzungen Mai–Juli 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/6, Bl. 1 f., 8 f., 15, 21). 54 Protokolle über Sitzungen der LPKK April–Dez. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/13a, Bl. 18–22). 55 Namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3, Bl. 61, 80).

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Feiern zum 1. Mai und zu Ehren der russischen Oktoberrevolution konnten durchgeführt wurden. Die Gefangenen veranstalteten im Lager Spendensammlungen zugunsten französischer Bergarbeiter und der im griechischen Bürgerkrieg kämpfenden Partisanen. Schulungen, die teils von Jugoslawen, teils von Gefangenen durchgeführt wurden, bezogen sich auf Themen wie Imperialismus, Faschismus, Sozialismus und die aktuelle politische Entwicklung in Deutschland.56 Eine Sonderstellung unter den Jugoslawien-Heimkehrern nahmen Kommunisten ein, die als Mitglieder deutscher Strafeinheiten zu den Partisanen übergelaufen waren und den Kampf an ihrer Seite fortgesetzt hatten. Unter ihnen befanden sich auch der aus Bad Lauchstädt stammende Arthur Fritzsche und der Hallenser Walter Kirschey, die 1943 bzw. im Februar 1945 unter Lebensgefahr übergelaufen waren. Während die SED an Fritzsche – er war in der SBZ seit 1946 als einfacher Arbeiter tätig – kein besonderes Interesse zeigte, sollten Kirscheys Vergangenheit und seine politische Karriere, die ihn als Hauptabteilungsleiter in die Landesregierung von Sachsen-Anhalt führte, Anlass für Untersuchungen geben: Kirschey hatte sich als Lehrer an der Belgrader AntifaSchule betätigt und wurde vor der Heimreise nach Deutschland von einer Vertreterin des ZK der KPJ gebeten, sich in Berlin an die jugoslawische Vertretung zu wenden, „um die freundschaftliche Verbindung mit Jugoslawien aufrechtzuerhalten“. Als Kirschey die jugoslawische Vertretung in Berlin aufsuchte, wurde er dort von einem Offizier um Auskünfte über die SED gebeten, die er aber verweigert haben will. 1948 schickte man ihm die Antwort der KPJ auf die Beschlüsse des Kominform zu. Er lieferte das Material umgehend beim SED-Landessekretariat ab.57 Obwohl es vereinzelte Hinweise für die Tätigkeit jugoslawischer Stellen auf dem Gebiet der SBZ gab, kann die generelle Einbeziehung von Heimkehrern aus Jugoslawien in die Parteisäuberungen nur als Teil der um sich greifenden Agentenhysterie verstanden werden. Ein beim Konsumgenossenschaftsverband Sachsen-Anhalt tätiger Jugoslawien-Heimkehrer berichtete zwar, die Jugoslawen hätten versucht, „alle Leute, die die jugosl[awische] Entwicklung für richtig hielten, als Agenten anzuwerben“. Im Dezember 1948 habe es während des Rücktransports in das Quarantänelager Pirna Gerüchte über eine Tätigkeit deutscher Kriegsgefangener für Jugoslawien gegeben.58 Dem Bericht war je56 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/156, Bl. 46, 75–83; Nachlaß Besser 1945–1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/6/18/2, Bl. 143). 57 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 338, 340; Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 78); Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 2–9, 224–230); Kaderakte Arthur Fritzsche (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/308, unpaginiert; Angaben im Fragebogen); Kühnrich/Hitze, Deutsche bei Titos Partisanen 1941–1945, S. 104, 197 f., 229. 58 Überprüfungsberichte Jan.–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/53, Bl. 134, 148).

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doch zu entnehmen, dass sich diese Informantentätigkeit nicht gegen deutsche oder sowjetische Interessen richtete, sondern ausschließlich auf die Feststellung von in Deutschland lebenden jugoslawischen Emigranten und Kriegsverbrechern bezog. Über den Verlauf einer Versammlung, in der das antifaschistische Komitee des Lagers Pirna alle als jugoslawische Informanten angeworbenen ehemaligen Kriegsgefangenen zur Meldung aufforderte, heißt es: „[Es] meldeten sich [...] 2 junge Antifaschisten, denen man die Heimkehr verweigert hätte, wenn sie nicht den Auftrag annahmen. Sie sagten, sie hätten Geld und Zigaretten bekommen und sollten jugoslawische Staatsangehörige und Kriegsverbrecher, die nicht dem Rückkehrruf der jugosl[awischen] Regierung gefolgt seien, ausfindig machen und ihren Standort nach Jugoslawien mitteilen. Später hörte ich noch, dass an einem bestimmten Tage ein jugosl[awischer] Kurier nach Staßfurt in den Wartesaal kommen und den jungen Antifaschisten empfangen sollte. [...] Im März und April 1949 wurden mir 6 Exemplare [der Zeitung] „Der Schaffende“59 von Belgrad aus unbestellt zugesandt.“60

Einer der beiden Heimkehrer berichtete, er sei unmittelbar vor der Repatriierung von einem jugoslawischen Offizier dazu aufgefordert worden, eine Erklärung etwa folgenden Inhalts zu unterschreiben: „Ich bin bereit, mitzukämpfen gegen Weltimperialismus und Reaktion. Aufgrund dessen werde ich nach meiner Rückkehr nach Deutschland weiterhin mit dem jugoslawischen Nachrichtendienst in Verbindung treten. Mein Kennwort wird sein ‚Burg‘“.61 Die Auswertung von Zeitungen deutscher Kriegsgefangener in Jugoslawien,62 die der LPKK vorlagen, hätte den Kommissionsmitgliedern die Haltlosigkeit ihrer Bedenken vor Augen führen müssen, da das Zerwürfnis zwischen Stalin und Tito in keiner einzigen dieser Zeitungen und Informationsmaterialien thematisiert oder für Tito Partei ergriffen wurde. Die Schriften besaßen vielmehr eine durchgehend prokommunistische, prosowjetische, antiwestliche und gegen die Politik Kurt Schumachers gerichtete Tendenz. Sofern der Empfang der Zeitschriften nicht gemeldet wurde, konnte dies mit Parteiausschluss geahndet werden.63 Trotz ihrer äußerst schmalen Materialbasis ging die ZPKK davon aus, dass deut59 Der Schaffende war eine Gewerkschaftszeitung deutscher Kriegsgefangener. Die Zeitung befasste sich vor allem mit Gewerkschaftsfragen und der Entwicklung in Deutschland. Vgl. ebd., Bl. 144. 60 Ebd., Bl. 134. 61 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/156, Bl. 7. 62 Dazu gehörten die Zeitungen Neues Leben und Der Aufbau – Zeitschrift für Arbeitsinitiative u. –Einsatz der Kriegsgefangenen in Jugoslawien sowie Propagandamaterial („Informationsmaterial für antifaschistische Ausschüsse“; „Material für Kundgebungen und Feiern anläßlich der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ und „Referentenmaterial für antifaschistische Lagerversammlungen“). Vgl. Nachlaß Besser 1945–1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/6/18/2, Bl. 49–94). 63 Vgl. dazu das Parteiverfahren gegen den Jugoslawien-Heimkehrer Eduard D., der im Januar 1950 aus der SED ausgeschlossen wurde, weil er „seit dem 15.12.1948 [...], ohne es zu melden, die jugoslawische Zeitung ‚Der Schaffende‘ erhalten“ hatte und der Verdacht bestand, „dass er innerhalb der Partei trotzkistische Arbeit leistet“. Die von D. begangene Unterschlagung von Parteigeldern rangierte in der Begründung des Ausschlusses dagegen erst an vierter Stelle. Überprüfungsberichte Okt. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/36, Bl. 94).

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sche Kriegsgefangene vom jugoslawischen Geheimdienst als Agenten angeworben worden waren. In enger Anlehnung an die oben erwähnten Heimkehrerberichte stellte das ZPKK-Mitglied Herbert Wittholz noch im Februar 1951 fest: „Im März/April 1948 begann der UDV (jugosl[awischer] Geheimdienst) mit einer Sichtung aller Karteien in den Kriegsgefangenenlagern. Alle ehemaligen Angehörigen deutscher Nachrichten-Einheiten wurden in Listen erfasst. Von Mitte Oktober bis Ende Dezember 1948 wurden die Erfassten verhört. [...] In den meisten dieser Verhöre wurde erpresserisch vorgegangen. Besonderem Druck waren diejenigen ausgesetzt, die in der „russ[ischen] Zone“ beheimatet waren. Dann wurden Verpflichtungen für Aufträge in der Heimat gefordert. Sinngemäß lautete die Verpflichtung etwa folgendermaßen: „Ich bin bereit mitzukämpfen gegen Weltimperialismus und Reaktion. Ich werde nach Rückkehr in meine Heimat weiterhin mit dem jugoslawischen Nachrichtendienst in Verbindung bleiben“. Verbrämt und getarnt wurde diese Verpflichtung mit dem Auftrag, an der Auffindung ehemaliger Ustascha-Angehöriger (5. Kolonne) mitzuwirken, die sich besonders in Sachsen aufhalten sollen. Wer zu dieser Verpflichtung bereit war, dem wurde Geld (bis zu 1000 Dinar), Zigaretten und Kleidung angeboten und gegeben. Für Empfangenes musste quittiert werden. Es wurden Kennworte und Erkennungszeichen gegeben sowie der Ort des 1. Zusammentreffens vereinbart. In einigen Fällen waren es Bahnhofs-Restaurants.“64

Seit Sommer 1949 begann sich auch der Kampf gegen die „Trotzkisten“ zu verschärfen: Um einen Überblick über den inneren Zustand der Partei zu erhalten, wandte sich die ZPKK am 25. Juli 1949 an die LPKKs, stellte ihnen einen umfangreichen Fragenkatalog zu, den die LPKKs wiederum an die untergeordneten KPKKs weiterreichten. Erfragt wurden darin u. a. „parteifeindliche Auffassungen“, wozu „opportunistische und Schumacher-Tendenzen“ sowie Linkssektierer, Trotzkisten, ehemalige KPO-Mitglieder, nationalistische und antisowjetische Stimmungen gezählt wurden. Von besonderem Interesse war auch die Feststellung eventuell vorhandener „Gruppen- und Cliquenbildungen“. Die im August 1949 eintreffenden Berichte der sachsen-anhaltischen KPKKs machten deutlich, dass von einem abgeschlossenen Verschmelzungsprozess in der SED keine Rede sein konnte. Nach wie vor agierten frühere KPD- und SPDMitglieder vielerorts nebeneinander oder gegeneinander. In den Kreisen Magdeburg, Torgau und Jerichow I waren sowohl frühere SPD- als auch KPD-Mitglieder ihren Ansichten aus der Zeit vor 1933 treu geblieben, während sich ehemalige SPD-Leute im Kreis Wolmirstedt und in Köthen von der Parteiarbeit zurückzogen oder der Partei im Kreis Weißenfels angeblich „unsichtbare Widerstände in den Weg“ legten. Im Kreis Dessau traten „Schumacher-Tendenzen“ vor allem unter Gewerkschaftern auf, im Kreis Salzwedel unter Lehrern. Widerstand unter sozialdemokratischen Arbeitern regte sich in Stendaler und Tangermünder Betrieben, wo Parolen wie „Nieder mit der SED, es lebe die SPD“, „Der Arbeiter lebt schlechter als ein Zuchthäusler“ und „Die Bonzen werden immer dicker und die Kinder kriegen Wasserköpfe“ an Fabrikwände gekritzelt wurden. In Wolmirstedt war während der Wahlen zum 3. Deutschen Volkskongress die Losung „Die SPD wählt mit nein“ angebracht worden. Maß64 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/156, Bl. 170.

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nahmen zur Unterdrückung des sozialdemokratischen Einflusses meldeten die KPKKs aus den Kreisen Haldensleben und Halberstadt: Drei von fünf SEDMitgliedern, die in Haldensleben als „Verfechter des Sozialdemokratismus“ und „Schumacher-Agenten“ entlarvt wurden, flohen in den Westen, zwei wurden aus der SED ausgeschlossen. In Halberstadt sollten vier SED-Stadtverordnete, die früher der SPD angehört hatten, abgelöst werden, weil sie Auseinandersetzungen mit Vertretern bürgerlicher Parteien scheuten. Drei weitere als Schumacher-Anhänger geltende SED-Leute wurden ausgeschlossen.65 Die Verfolgung oppositioneller Sozialdemokraten wird auch anhand von Urteilen sowjetischer Militärtribunale (SMT) deutlich: Zwischen Januar und Juni 1949 wurden in Sachsen-Anhalt demnach 95 SED-Mitglieder verurteilt, von denen 39 der SPD, aber nur eines der KPD angehört hatten. Den weiter oben erwähnten prominenten Sozialdemokraten Julius Bredenbeck, der dem SED-Landesvorstand angehörte, verurteilte das SMT Sachsen-Anhalt am 19. Januar 1949 wegen der Verbreitung eines sozialdemokratischen Buches und Westkontakten als „Agent des Ostbüros“ und „Schumacherling“ zu 25 Jahren Lagerhaft. Vier Magdeburger Sozialdemokraten wurden wegen „antisowjetischer Agitation, Aufbewahrung und Verbreitung reaktionärer Literatur sowie Spionage für das Ostbüro“ zu je 25 Jahren, zwei weitere zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Der SMT-Vorsitzende des Landes Sachsen-Anhalt stellte im Juli 1949 fest, dass „auf Geheiß Schumachers das Spionagenetz zur Verbesserung der Konspiration in Fünfergruppen umstrukturiert“ worden sei. Konspirative sozialdemokratische Gruppen hätten sich seit Anfang 1947 „in Betrieben und Einrichtungen, dann in Stadtbezirken, Kreisen und schließlich im Bundesland“ gebildet. Es sei daher notwendig, die Wachsamkeit zur Entlarvung von „Agenten des Ostbüros“ zu erhöhen.66 Wie aus Berichten der KPKKs hervorgeht, regte sich aber auch unter Altkommunisten Widerstand: So wurden in Halberstadt „offen trotzkistische Auffassungen“ eines Genossen bekannt, der einen Kreisparteischüler aufgefordert hatte, sich nicht mit der offiziellen Parteigeschichte der KPdSU zu begnügen, „sondern Quellenmaterial zu studieren, vor allen Dingen Trotzki“. Besonderen Unmut lösten unter eingefleischten Altkommunisten die bevorzugte Versorgung der Intelligenz und die Blockpolitik der SED aus. Arbeiter der Leuna-Werke forderten, die Spitzenfunktionäre sollten mit gutem Beispiel vorangehen und auf Vergünstigungen verzichten. In Halberstadt verlangten zwei Genossen unter Berufung auf den proletarischen Internationalismus, „dass man jetzt den Kampf führen muss um die sozialistische Weltrepublik“. Auch in einer Ortsgruppe des Kreises Querfurt vertraten einige Genossen die Auffassung, „dass alles viel zu langsam geht, dass die Partei von ihrem Ziel abweicht, dass man auf die Barrikaden steigen müsse“. Ähnlich dachte man in Torgau, wo die Po65 Berichte der KPKK über den Verschmelzungsprozeß in der Partei Juli–Aug. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/106, Bl. 1, 9, 13, 16, 22, 37, 55, 67 f., 80, 105 f., 110 f., 116 119 f., 163–165). 66 Schmeitzner, Genossen vor Gericht, S. 269–272, 317 f.

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litik der Partei manchen Genossen als zu versöhnlerisch erschien. Man müsse stattdessen „mit dem Gewehr aufs Land gehen“, die Entwicklung „mit der Waffe vorwärts“ treiben und in der SBZ „den Sozialismus einführen“. In Teicha (Saalkreis) wurden altkommunistische Losungen aus der Zeit vor 1933 wie „Heil Moskau“ und „Rotfront lebt“ entdeckt. Im Kreis Salzwedel fiel eine 10 bis 15 Personen umfassende Gruppe von „Antifa-Umsiedlern“ aus der Tschechoslowakei auf, die eine „scharfe linkssektiererische Haltung“ einnahm. Auch in anderen Kreisen gingen die KPKKs gegen „Gruppen- und Cliquenbildungen“ vor, so in einer Ortsgruppe des Saalkreises, wo die betreffenden Personen aus ihren leitenden Funktionen entfernt wurden. Gruppen, die sich in zwei Abteilungen der Buna-Werke gebildet hatten, wurden von der dortigen KPKK „bereinigt“ und anschließend weiter überwacht.67 Wie die ZPKK auf ihrer Zonenkonferenz am 3./4. September 1949 in Halle feststellte, war der Aufbau der Parteikontrolle auch im Herbst 1949 – einen Monat vor Gründung der DDR – noch immer nicht abgeschlossen.68 Neben der Verpflichtung, den Aufbau der Kontrollkommissionen schneller zum Abschluss zu bringen, benannten die Kommissionen in einer auf der Konferenz gefassten Entschließung die Zielobjekte ihrer Kontrolltätigkeit wie folgt: „Der amerikanische Imperialismus bereitet den dritten Weltkrieg vor, um zu versuchen, seine Welteroberungspläne durchzusetzen. [...] Alle Mittel werden angewandt, die SU, die Volksdemokratien und alle Friedenskräfte zu verleumden und zu diffamieren. Die Tito-Bande verkauft das jugoslawische Volk an den amerikanischen Imperialismus und versucht, diesen Verrat mit nationalistischer Hetze gegen die Sowjet-Union zu verdecken. [...] Mit scheinrevolutionären Phrasen wird unser nationaler Kampf um die Einheit Deutschlands von Trotzkisten, Schumacher-Agenten und scheinradikalen Elementen im Interesse des amerikanischen Imperialismus zu misskreditieren versucht. [...] Agenturen dieser Politik dürfen in den Reihen unserer Partei keinen Platz haben. Gegen sie muss unermüdlich und unversöhnlich der Kampf geführt werden.“69

In den nun folgenden drei Kapiteln sollen die innerparteilichen Säuberungen, die zwischen Sommer 1948 und Herbst 1949 in Partei und Staat stattfanden, am Beispiel des SED-Landessekretariats, der Landesregierung Sachsen-Anhalt und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingehender betrachtet werden.

67 Berichte der KPKK über den Verschmelzungsprozess in der Partei Juli–Aug. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/106, Bl. 1, 6, 16, 19, 28, 68, 80). 68 Protokolle über Beratungen mit den KPKK Mai 1949–Sept. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/18, Bl. 79 f.). 69 Ebd., Bl. 78.

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SED-Landessekretariat und Landesvorstand

Da die LPKK und KPKKs erst nach einer mehrere Monate anhaltenden Aufbauphase aktiv wurden, blieb die Säuberung des SED-Landesvorstandes 1948 anderen Gremien vorbehalten. Der Landesvorstand hatte nie seine eigentlichen Aufgaben wahrgenommen, d. h. es erfolgte durch ihn keine politische Anleitung und Führung des Parteiapparates. Infolge der zahlenmäßigen Vergrößerung des Vorstands um Mitglieder, die überwiegend im Parteiapparat, den Massenorganisationen und der Landesregierung tätig waren, nahm seine Bedeutung ab und schrumpfte auf die eines repräsentativen Organs.70 Prominentestes Opfer der Säuberungen von 1948 wurde der frühere Sozialdemokrat Bruno Böttge, der neben Bernard Koenen paritätisch als SED-Landesvorsitzender von SachsenAnhalt amtierte. Die Untersuchungen gegen Böttge wurden auf Beschluss des SED-Zentralsekretariats im September 1948 von Franz Dahlem, Helmut Lehmann, Paul Wessel und Alois Pisnik durchgeführt.71 Auslöser der Ermittlungen gegen Böttge waren Berichte über finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der Überführung von SPD-Geldern in die Kasse der SED. Nach Angaben der früheren Hauptkassiererin beim SPD-Bezirksvorstand wies die Kasse des SPD-Bezirksverbandes Halle unmittelbar vor dem Zusammenschluss mit der KPD einen Stand von 1 200 000 Reichsmark auf. Im Hinblick auf die weitere Verwendung des Geldes habe Böttge entschieden, 300 000 RM an die SED-Provinzkasse und 600 000 RM an die SED-Bezirkskasse zu überweisen. Die übrigen 300 000 RM seien auf seine Anweisung hin „zur besonderen Verwendung in der SPD-Bezirkskasse verblieben“ und auf zwei Konten gesammelt worden. Die Angaben über die beabsichtigte Verwendung des Geldes gehen auseinander: Wie der frühere SPD-Funktionär Friedrich Ferchlandt in einer gegen Böttge gerichteten Denunziation im September 1947 behauptete, schaffte Böttge 375 000 RM beiseite, um sie vor der Überführung in die Einheitspartei zu retten. Zur Vereinigung mit der KPD besaß Böttge als „fanatischer Kommunistenfresser“ angeblich kein Vertrauen. Ferchlandts Darstellung zufolge war außer Böttge, mit dem ihn schon vor 1933 Feindschaft verband, auch „Genosse Otto Grotewohl bei der Verbringung der Gelder zugegen [...] und eine Reihe weiterer als ehrenhaft bekannte Parteigenossen gleichfalls anwesend“. Böttges Hauptkassiererin wiederum erinnerte sich daran, dass ein Teil des Geldes zum Einbau und zur Möblierung von Wohnungen für die SPD-Funktionäre Bruno Böttge, Paul Verdieck, Paul Wessel und Böttges Sekretärin im Parteihaus der SPD in Halle verwendet wurde. Als eines der beiden schwarzen Konten durch Zufall bekannt wurde, habe Böttge ihr den Auftrag erteilte, die Konten aufzulösen und die noch vorhandenen 122 000 RM abzuheben. Das Geld sei teils an die SED-Provinzkasse, teils nach Berlin überwiesen worden. Die Angelegenheit kam im November 1947 vorübergehend zum Stillstand, als 70 Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 510 f. 71 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 109).

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der Denunziant Ferchlandt wegen Korruptionsvorwürfen aus der SED ausgeschlossen wurde. Anonyme Anrufer, die Ferchlandt in der Umgebung von Böttge vermutete, teilten ihm mit, es lägen „Geheimberichte bei der NKWD“ über ihn vor. Er solle in den Westen fliehen, da die SMAD seine Verhaftung beschlossen habe.72 Da sich Ferchlandt als Opfer einer Intrige sah, die dem Schutz Böttges diente, erneuerte er seine Vorwürfe im Juli 1948. Es sei Böttges Ziel gewesen, Gelder für die angestrebte Neugründung der SPD beiseite zu schaffen, denn er habe die SED immer als „kurzfristiges Gebilde ohne Aussicht auf längeren Bestand“ betrachtet.73 Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung warf man Böttge vor, das Geld sei von SPD-Leuten, die ein „Spionagenetz in Halle“ unterhalten hätten, zur „Finanzierung der Agenten des Spionagebüros der SPD in Hannover benutzt“ worden. Böttge verteidigte sich und erklärte, man habe offenbar eine günstige Gelegenheit abgewartet, um ihn abzusetzen. Er bat um Überweisung der Angelegenheit an die Parteikontrollkommission, sah sich auf Beschluss des ZK der SED aber zum Rückzug aus dem Parteivorstand und zur Niederlegung seines Amtes als Vorsitzender des SED-Landesvorstands Sachsen-Anhalt gezwungen. Am 14. September 1948 unterzeichnete Böttge eine entsprechende Erklärung. Wie Böttge rückblickend eingestand, empfand er die Parteistrafe als „harte Strafe [...], die viel viel schwerer ins Gewicht fällt, als wenn eine Bestrafung durch den Strafrichter erfolgt wäre“.74 Die SED-Spitze begnügte sich jedoch nicht mit Böttges Rücktritt von seinen Parteiämtern, sondern betrieb auch im Landtag, dem Böttge als Abgeordneter und Landtagspräsident angehörte, seine Entmachtung. Böttge stellte sich diesen erneuten Angriffen mutig entgegen und verlangte in einem Brief an Oberst Rodionow (SMA des Landes Sachsen-Anhalt) eine Anhörung durch das SEDZentralsekretariat und die SMA. Unter Verweis auf seine im Jahre 1917 wegen Antikriegs-Propaganda erfolgte Verurteilung zu drei Jahren Festungshaft und die Inhaftierung im KZ, teilte er Rodionow mit, dass er nicht in den Westen fliehen werde, sondern jederzeit zur Verfügung stehe – „auch ohne Verhaftung“. Innenminister Robert Siewert wurde aktiv und leitete Sicherungsmaßnahmen gegen Böttge ein: Er verlangte von Böttge, die ihm zur Verfügung gestellte Waffe herauszugeben, und informierte ihn über das Verbot, die Westsektoren von Berlin zu durchfahren. Zu Böttges Überwachung stellte Siewert vier Kriminalbeamte ab. Auch im Landtag erschienen Beamte, um das Fraktionszimmer der SED zu untersuchen. Pieck und Grotewohl wandten sich am 21. September 1948 an den SED-Landesvorstand und gaben ihre als „Empfehlungen“ umschriebenen Anweisungen für Böttges Ablösung. Böttge legte das Amt des Land72 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 8. Band, Bl. 106–110, 119–122, 170 f., 195; MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 62, 88 f. 73 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 8. Band, Bl. 160–162. 74 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 109–119); BStU, MfSAU 139/55, 1. Band, Bl. 29 f., 88; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 605–610.

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tagspräsidenten und seine Mandate als Abgeordneter des Landtages und des Volksrates nieder, womit seine 42-jährige Tätigkeit in der Arbeiterbewegung endete.75 Werner Bruschke, der sich stets durch Willfährigkeit ausgezeichnet hatte, rückte auf Böttges Positionen als Landesvorsitzender und Mitglied des SED-Parteivorstandes nach.76 Das Ostbüro der SPD zeigte sich interessiert an den Hintergründen von Böttges Entmachtung und versuchte, über Mittelsmänner Material zu beschaffen. Dokumente, aus denen hervorging, dass Böttge 1933 im KZ Roßplatzkaserne Halle angeblich Mitgefangene denunziert haben soll, wurden ausgerechnet dem Spitzel Waldemar Kasparek übergeben, der sie an das SED-Abwehrreferat weiterreichte.77 Nach seinem Rücktritt von allen Ämtern bemühte sich Böttge um einen beruflichen Neubeginn. Er informierte Koenen und Bruschke über sein Vorhaben, in den Vertrieb amtlicher Vordrucke und einer Anzeigen-Zeitung einzusteigen, was vom Innenministerium im Januar 1949 genehmigt wurde.78 Böttges weitere Laufbahn sollte jedoch eine andere Wendung nehmen, da die Mitglieder des Landessekretariats am 30. November 1948 über seine berufliche Zukunft beraten und beschlossen hatten, den beiden Parteivorsitzenden in Berlin vorzuschlagen, „Böttge ausserhalb des Landes eine wirtschaftliche Existenz zu geben“. Pläne, Böttge als Ministerialdirektor bei einer Mecklenburger Planungsbehörde, Direktor einer Werft oder als Oberbürgermeister von Rostock einzusetzen, zerschlugen sich. Auf Beschluss des ZK wurde Böttge im Februar 1949 zum Kur- und Verwaltungsdirektor des Ostseebades Heiligendamm ernannt, wo er durch angebliche „Fraktionstätigkeit innerhalb der Ortsgruppe, Saufgelage und Anpöbeln von Gästen, [...] Korruptionsgeschäfte“ etc. auffiel.79 Böttges tiefer Fall war damit aber noch längst nicht abgeschlossen, sondern setzte sich in den folgenden Jahren unter dem Vorwurf des „Opportunismus“ und aufgrund seiner sozialdemokratischen Vergangenheit weiter fort. Die weiteren gegen Böttge ergriffenen Maßnahmen sollen daher in einem Exkurs kurz dargestellt werden. Böttge wurde im Januar 1951 aus der SED ausgeschlossen, Anfang Juli „wegen Fluchtverdacht“ vom MfS verhaftet, nach sechs Tagen jedoch wieder aus der Haft entlassen. Aufgrund seines Parteiausschlusses verlor Böttge im September 1951 seine Stellung als Kur- und Verwaltungsdirektor und kam danach bis März 1952 als Bürgermeister in einem kleinen Ort namens Löcknitz (Be75 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 131 f., 137–145, 150, 152, 157); BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 88. 76 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/283, Bl. 67; Sowjetische Politik in der SBZ 1945–1949, S. 181; SBZ-Handbuch, S. 508. 77 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 248 f., 254. 78 Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 155–157, 159, 162). 79 BStU, MfS-AP 7626/56, Bl. 13; MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 89; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/283, Bl. 73, 77; Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/7, Bl. 210).

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zirk Neubrandenburg) unter. Ende 1953 setzte er sich in mehreren Briefen an Walter Ulbricht gegen verschiedene Anschuldigungen zur Wehr und verwahrte sich gegen die Stigmatisierung als Parteifeind. Doch infolge der Verhaftung der früheren sozialdemokratischen Funktionäre Kurt Strich und Paul Verdieck am 4. November 1953 begann sich das Netz um Böttge immer enger zusammenzuziehen: Böttge wurde am 19. März 1954 um 1.30 Uhr nachts nach entsprechenden Aussagen Verdiecks verhaftet. Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes legten dem mittlerweile 63-Jährigen in seiner Wohnung in Malchin (Bezirk Neubrandenburg) Handschellen an, verbanden ihm die Augen und transportierten ihn zum Zuchthaus „Roter Ochse“ nach Halle. Als offizielle Begründung für seine Inhaftierung diente der Vorwurf der „Teilnahme an einer illegalen Tätigkeit gegen die Entwicklung im Gebiet der jetzigen DDR und die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands im Sinne des Ostbüros der SPD“. In den ersten Tagen nach seiner Verhaftung wurde Böttge ausschließlich über innerparteiliche Vorkommnisse in den Jahren 1945 bis 1948 befragt. Gegenstand der Verhöre waren die Haltung einzelner SPD-Funktionäre vor, während und nach dem Zusammenschluss mit der KPD sowie die als illegale Zusammenkünfte betrachteten Gespräche unter ihnen nach Konferenzen und Landtagssitzungen. Eine von Böttge eingereichte Haftbeschwerde lehnte das Bezirksgericht Halle wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr ab. Um Böttge zu verunsichern, drosselten die Vernehmer ihr Tempo, indem sie ihn während der ersten 40 Hafttage im März und April 1954 insgesamt nur siebenmal verhörten. Nicht nur die Anwendung psychologisch ausgefeilter Verhörmethoden, sondern auch die Sorge um seine kranke Frau, zu der er keinen Kontakt aufnehmen durfte, begann Böttge zu zermürben. In zwei Briefen, die zwischen demütiger Selbstkritik und trotziger Selbstbehauptung schwankten, wandte er sich an Walter Ulbricht und bat ihn darum, „dass die Ermittlungen beschleunigt und endlich die für einen alten Funktionär harte und unwürdige Haft aufgehoben wird“ – wie zu erwarten ohne Erfolg. Böttges Untersuchungshaft wurde mehrfach mit der Begründung verlängert, dass zur Beweisführung noch umfangreiche Zeugenvernehmungen in der DDR und Ermittlungen in den Westsektoren von Berlin notwendig seien. In den anschließenden, teils neunstündigen Verhören gab Böttge fast alles zu, was ihm seine Vernehmer in den Mund legten, und belastete vor allem Paul Verdieck, Paul Wessel und Kurt Strich schwer. Bezogen auf seine politische Vergangenheit vor 1933 räumte er ein, er habe als USPD-Funktionär in Halle und Anhalt gegen die KPD gearbeitet und durch seine „arbeiterfeindliche“ Tätigkeit letzten Endes dazu beigetragen, „die politische Entwicklung in Deutschland zu Gunsten der Faschisten zu gestalten“. Die Unterstellung der Vernehmer, er habe 1933 während seiner vier Monate dauernden Gefangenschaft in der halleschen Rossplatz-Kaserne im Auftrag der Lagerleitung Spitzeldienste geleistet und Mitgefangene verraten, wurde von Böttge jedoch vehement zurückgewiesen. Seine vorübergehende Mitgliedschaft in der VKPD, aus der er im April 1921 als Gefolgsmann Paul Levis ausgeschlossen worden war, war den Vernehmern offenbar unbekannt und wurde von Böttge wohlweislich nicht er-

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wähnt. Stattdessen behauptete er, er sei 1924 von der USPD in die SPD zurückgekehrt. Als SPD-Funktionär habe er seine „verräterische Tätigkeit an der deutschen Arbeiterklasse“ in der Endphase der Weimarer Republik u. a. durch die Behauptung getarnt, dass die geforderte Aktionseinheit „nur ein PropagandaTrick der KPD sei“. Böttge wurde am 14. Mai 1955 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt, aber bereits im November 1956 begnadigt. 1965 erwog die MfS-Bezirksverwaltung Rostock, Böttge „positiv auszunutzen“ und ihn für die Bereitstellung einer konspirativen Wohnung (KW) zu gewinnen. Da sich Böttges Wohnhaus bei einer Überprüfung aber als ungeeignet für die Einrichtung einer KW erwies, rückte das MfS von seinem Plan ab.80 Doch zurück ins Jahr 1949: Die Verdrängung ehemaliger Sozialdemokraten aus hohen Parteiämtern zeigte sich nicht zuletzt auch bei der Bildung des Kleinen Sekretariats des SED-Landesvorstandes, die aufgrund des bereits erwähnten Parteivorstandsbeschlusses vom 24. Januar 1949 notwendig wurde. Unter den sieben Mitgliedern des Kleinen Sekretariats befanden sich im März 1949 lediglich zwei frühere Sozialdemokraten (Finanzminister Werner Bruschke und Paul Verdieck), aber fünf Kommunisten (Bernard Koenen, Innenminister Robert Siewert, Alois Pisnik, Otto Walter und der als künftiger Wirtschaftsminister vorgesehene Paul Lähne).81 Hinsichtlich ihrer politischen Vergangenheit war die Gruppe der früheren KPD-Mitglieder im Kleinen Sekretariat zu dieser Zeit noch sehr heterogen. In ihr spiegelte sich die ganze Bandbreite kommunistischer Biographien der dreißiger und vierziger Jahre wider: Bernard Koenen war während des „Großen Terrors“ in sowjetischer Haft gewesen. Robert Siewert hatte der KPO als Funktionär angehört und erst im KZ Buchenwald wieder zur KPD gefunden. Otto Walter war von den Nationalsozialisten inhaftiert worden, ebenso Alois Pisnik, der der KPD erst 1945 beitrat und zuvor der KPÖ angehört hatte. In der politischen Vergangenheit von Paul Lähne – 1931 wegen angeblicher Unterschlagung von Parteigeldern aus der KPD ausgeschlossen – stellte die ihm nachgesagte Verbindung zur Gestapo einen besonders dunklen Punkt dar.82 Bereits wenige Wochen nach der Bildung des Kleinen Sekretariats ergab sich die Notwendigkeit zu Veränderungen: Otto Walter wurde nach Ber-

80 BStU, MfS-AP 7626/56, Bl. 12–14, 18 f., 27–29; MfS-AS 6/54, 20. Band, Bl. 126; MfSAS 376/62, 7. Band, Bl. 120; MfS-AS 140/79 1724/54, Bl. 1 f., 9, 14; MfS-ASt I c 1/74, 6. Band, unpaginiert; MfS-ASt I c 2/74, 1. Band, Bl. 60; MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 14 f., 24–26, 29–33, 44–52, 57–61, 71–86, 89 f., 94–98, 112–115, 132 f., 138–147, 174 f., 321 f.; Band 3b, Bl. 253–258; 6. Band, Bl. 457–473; 8. Band, Bl. 37–40, 46–48, 53–56; 9. Band, Bl. 18–21, 29–31; MfS-AU 139/55 GA, Bl. 123 f. 81 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 42, 44). 82 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/285, Bl. 110; Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 11); Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/15, Bl. 58).

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lin abberufen, wo ihn in den folgenden Jahren eine steile Karriere erwartete.83 Walters Position im Kleinen Sekretariat wurde im Juni 1949 von dem an der Polizeischule Kochstedt tätigen sudetendeutschen Altkommunisten Rudolf Weber übernommen, der 1930/31 die Moskauer Leninschule absolviert und sich von 1938 bis 1945 in sowjetischer Emigration aufgehalten hatte.84 Webers Berufung in das Kleine Sekretariat stärkte die „moskowitische“ sowie die nicht aus dem früheren Reichsgebiet stammende Gruppe innerhalb des Sekretariats und markierte den Beginn einer Entwicklung, die in den folgenden Monaten immer deutlicher werden sollte. Die von Alois Pisnik im April 1949 vorgeschlagene Verteilung der Aufgaben und Abteilungen auf die Mitglieder des Kleinen Sekretariats unterstrich erneut den Einfluss der Sowjetemigranten und ehemaligen KPÖ- bzw. KPČ-Mitglieder: Auf die beiden Vorsitzenden Koenen und Bruschke entfielen die Zuständigkeiten für die LPKK, staatliche Verwaltung und Justiz, Polizei und Presse. Aufgrund von Bruschkes zeitlicher Belastung durch sein Ministeramt kann man allerdings annehmen, dass die offiziell gemeinsamen Aufgaben in Wirklichkeit von Bernard Koenen erledigt wurden. Weber kümmerte sich um die Personalabteilung, Parteischulung, Massenagitation und den Bereich Kultur und Erziehung, Pisnik um die Kasse sowie um die Abteilungen für Organisation, Wirtschaft, Frauen, Arbeit und Sozialpolitik. Dem früheren Sozialdemokraten Paul Verdieck verblieben die Abteilungen Landwirtschaft, Kommunales, Jugend und die Geschäftsleitung. Innenminister Siewert und Wirtschaftsminister Lähne besaßen im Kleinen Sekretariat keine bestimmten Zuständigkeiten. Für das Kleine Sekretariat wurde die Abhaltung von mindestens einer Sitzung pro Woche vereinbart, nach deren Abschluss die Mitglieder des Kleinen Sekretariats den zuständigen Hauptabteilungsleitern Anweisungen erteilen sollten. Das Große Sekretariat tagte im Unterschied zum Kleinen Sekretariat dagegen nur im Abstand von 14 Tagen. Als zusätzliche Teilnehmer an Sitzungen des Großen Sekretariats waren vorgesehen die Hauptabteilungsleiter des Landesvorstands, die SED-Minister der Landesregierung, Vertreter von LPKK, FDGB, FDJ, DFD, VdgB, MAS, des Konsum, der Parteizeitungen „Freiheit“ und „Volksstimme“ sowie Generalstaatsanwalt Werner Fischl und der Polizeichef des Landes Sachsen-Anhalt Josef Hegen85 – auch er ein sudetendeutscher Altkommunist und Sowjetemigrant an entscheidender Stelle, der 1950 zum Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt und Mitglied des Kleinen Sekretariats aufsteigen sollte. 83 Otto Walter wurde 1953 zum Generalinspekteur der Volkspolizei und stellvertretenden Staatssekretär im Innenministerium ernannt, war ab 1954 im Ministerium für Staatssicherheit tätig und stieg danach zum stellvertretenden Minister für Staatssicherheit und Generalmajor der Volkspolizei auf. Vgl. SBZ-Biographie, S. 367. 84 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 85 f., 112, 114, 135, 137); Analysen, Schriftverkehr 15. 9. 48–15. 5. 52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 14). 85 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 85 f., 90 f.).

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Landesregierung Sachsen-Anhalt

Die Bildung der ersten gewählten Landesregierung von Sachsen-Anhalt erfolgte im November und Dezember 1946 in enger Abstimmung zwischen dem SEDLandessekretariat und dem Berliner Parteivorstand. Unter Bezugnahme auf die vorausgegangene Vorstandssitzung in Berlin vereinbarte das Landessekretariat am 16. November 1946, vier Landesministerien zu beanspruchen. Die SED verfolgte zunächst die Absicht, auch den Ministerpräsidenten zu stellen, beschränkte sich aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Landtag jedoch auf die Besetzung der Ministerien, wobei zunächst die Ministerien für Inneres, Wirtschaft, Volksbildung und Justiz in Aussicht genommen wurden. Da die SED die Übernahme des Ministerpräsidentenamtes durch Dr. Erhard Hübener (LDP) als „Zwischenlösung“ betrachtete, hieß es im Protokoll der Sekretariatssitzung dementsprechend, es solle „versucht werden, Hübener später abzuziehen“.86 Bei der endgültigen Besetzung der Ministerien konnte sich die SED schließlich nicht nur die Mehrzahl, sondern auch die bedeutendsten Ressorts sichern: Es unterstanden ihr das Ministerium des Innern (Robert Siewert), das Ministerium für Wirtschaft und Verkehr (Willi Dieker), das Ministerium der Finanzen (Werner Bruschke),87 das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft (Ernst Brandt) und das Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft (Ernst Thape). Im Februar 1947 gehörten bereits 1182 von 2072 im Regierungsapparat tätigen Mitarbeitern, d. h. 57 Prozent, der SED an. LDP und CDU stellten lediglich 350 (17 %) bzw. 250 (12 %) Mitarbeiter.88 Systematische Säuberungen und Verhaftungen von Mitarbeitern der Landesregierung fanden im Herbst 1948 statt. Das SED-Landessekretariat fasste dazu in seiner Sitzung vom 6. September 1948 folgenden Beschluss: „Im Laufe des September [1948] werden die verantwortlichen Funktionäre der Landesregierung zusammengenommen, um auch hier die Frage der Säuberung der Partei zu stellen. Die in Vorbereitung befindliche Kampagne der Entlassungen bei den Verwaltungen soll von der personalpolitischen Abteilung gründlich gelenkt werden mit dem Ziel, unzuverlässige Personen [...] bei dieser Gelegenheit aus der Verwaltung zu entfernen.“89 Bereits zwei Tage zuvor war als eines der prominentesten Säuberungsopfer der frühere SPD-Funktionär Fritz Drescher wegen „Führung einer sozialdemokratischen Untergrundbewegung“ verhaftet worden. Er hatte im Juni 1947 seine Funktion als Mitglied des SED-Bezirksvorstands von Halle-Merseburg verloren und war stattdessen zum Leiter der Hauptabteilung Forstwirtschaft im 86 Protokolle von Sekretariatssitzungen Mai–Dez. 1946 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/1, Bl. 181, 183). 87 Bruschke war von der SED zunächst für das Amt des Landwirtschaftsministers vorgesehen gewesen. Vgl. ebd., Bl. 200. 88 Berichte der Betriebsgruppe Landesregierung 1946–1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/98, Bl. 23). 89 Protokolle Sekretariat Juli–Sept. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/6, Bl. 181 f.).

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Ministerium für Land- und Forstwirtschaft ernannt worden. Drescher galt als Funktionär der illegalen SPD und wurde mit Paul Peters sowie mit Kurt Brenner – damals Instrukteur der SED-Stadtleitung Halle und Leiter eines SPD„Spionagenetzes“ – in Verbindung gebracht.90 Gründe für Dreschers Verhaftung gab es aus der Sicht von SED und SMA genug: Er verbat sich Eingriffe in seine Arbeit und geriet deshalb während seiner Tätigkeit im Landwirtschaftsministerium immer wieder mit der SED-Betriebsgruppenleitung in Konflikt. Für Auseinandersetzungen sorgte auch Dreschers Entscheidung, politisch belastete, aber fachlich unverzichtbare Mitarbeiter zu halten. Er wandte sich gegen die von der SMA geforderte massenhafte Lieferung von Holz und begründete dies damit, dass ein unverhältnismäßig großer Holzeinschlag den Wasserhaushalt gefährde und die Gefahr einer Borkenkäferplage erhöhe. Dreschers Warnung wurde in einen Vorwurf gegen ihn selbst umgekehrt, als Otto Walter im Landessekretariat behauptete, die Forstabteilung vernachlässige die Bekämpfung der Borkenkäferplage. Bereits im Mai 1948 hatte die Parteizeitung „Freiheit“ Drescher angegriffen, weil FDJ-Brigaden nur zögerlich zur Borkenkäferbekämpfung eingesetzt worden seien. Dies entsprach zwar den Tatsachen, war aber vor allem damit zu erklären, dass die FDJ-Brigaden weder über eine entsprechende fachliche Anleitung, noch über Unterkunft und Verpflegung für ihren Einsatz verfügten. Dreschers vermeintliche Versäumnisse bei der Bekämpfung der Borkenkäfer sollten später zu einem politischen Fall aufgebauscht werden. Drescher plante, in die Westzonen zu fliehen, begab sich aber vorher zur Kur in den Harz. Dort wurde er wenige Tage vor seiner geplanten Flucht verhaftet.91 Wohl in Anspielung auf Aktivitäten des Ostbüros und Dreschers Verhaftung erhob Walter Ulbricht in einer Sitzung des Landessekretariats am 6. Oktober 1948 den Vorwurf, dass es zwischen „Agenten“ und dem Regierungsapparat „sehr enge Beziehungen“ gebe. Dies sei der Beweis dafür, „dass in Sachsen-Anhalt eine organisierte feindliche Agentur in der Partei“ existiere. Manche Funktionäre seien bereits während der Weimarer Republik verbürgerlicht, hätten 1945 Verbindung zu bürgerlichen Kreisen aufgenommen und sich als Agenten anwerben lassen. Nachdem man sie aus dem Parteiapparat entfernt habe, seien sie im Staatsapparat untergekommen.92 Zusammen mit 13 weiteren ehemaligen Sozialdemokraten (Parteifunktionäre sowie Angestellte der Landesregierung und kommunaler Verwaltungen aus dem Raum Halle / Merseburg / Weißenfels/Bitterfeld) wurde Drescher, der als „Leiter der nachrichtendienstlichen Fünfer-Gruppe im Lande Sachsen-Anhalt“ galt, am 17. Juni 1949 vom SMT in Halle der „Gruppenbildung“, „Spionage“ und „antisowjetischen Pro90 Berichte über Fraktionstätigkeit u. Wühlarbeit in der Partei 1947/48 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/2, Bl. 1–4, 25–29); Berichte, Auseinandersetzungen (Handakte Bernard Koenen) März 1946–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/88, Bl. 113 f.). 91 Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 611–617. 92 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 30, 34).

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paganda“ für schuldig befunden und zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er kehrte erst im Oktober 1955 als Schwerkranker aus dem Lager Workuta zurück und floh im November 1955 in die Bundesrepublik.93 Ulbrichts Vorwurf der „Agententätigkeit“, den er gegenüber Mitarbeitern der Landesregierung erhob, war insgesamt betrachtet zwar völlig überzogen, ließ sich im Hinblick auf die Zusammenarbeit einzelner oppositioneller Sozialdemokraten mit dem Ostbüro jedoch nicht ganz von der Hand weisen. Über die Beziehungen eines Mitarbeiters des Landesnachrichtenamtes zu dem Westberliner Journalisten Werner Nieke, der dem Umkreis des Ostbüros zugerechnet wurde, berichtete der für das SED-Abwehrreferat und den NKWD arbeitende Spitzel Waldemar Kasparek: „Ich fuhr nach Halle und besorgte Material für die Ostzonenredaktion des Herrn Werner Nieke, zum Teil von dem mir angegebenen Mitarbeiter Hans Müller, der beim Landesnachrichtenamt der Landesregierung von Sachsen-Anhalt beschäftigt ist. Zunächst handelte es sich bei diesen Materialien um rein politische Dinge, bis ich eines Tages von Nieke den Auftrag erhielt, auch Stadtpläne mit Einzeichnungen der Dienststellen der russischen Besatzungsmacht, der Kasernen und sonstiger wichtiger militärischer Teile zu beschaffen. Diesen Auftrag hatte ich an Müller zu übermitteln, der dann auch die Pläne von Halle und Wittenberg mit den entsprechenden Einzeichnungen beschaffte, ebenso einen Organisationsplan der Landesregierung von Sachsen-Anhalt, einen Organisationsplan der Justizverwaltung und Fernsprechbücher der Landesregierung. Als ich Werner Nieke bei der Uebergabe des Organisationsplanes der Landesregierung darauf aufmerksam machte, dass dieser Plan, um Müller nicht zu gefährden, zurückgegeben werden müsste, sagte dieser es zunächst zu. Im Verlaufe einer Unterredung kam dann die Sprache darauf, dass Müller leichtsinnigerweise mit einigen seiner Mitarbeiter davon gesprochen hat, dass er Verbindung mit dem „Telegraf“ hatte. Nieke ließ mir gegenüber Müller sofort fallen und erklärte, dann könne der ihm nichts mehr nützen und wenn er verhaftet sei, dann sei er selbst daran schuld.“94

Die nächste Attacke des SED-Landessekretariats richtete sich Ende Oktober 1948 gegen das Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft, das dem früheren Sozialdemokraten Ernst Thape unterstand. Nicht Thape war das direkte Ziel der Säuberung, sondern sein engster Mitarbeiter Otto Halle, ein Altkommunist, der als Leiter der Zentralabteilung gut und sachlich mit Thape zusammenarbeitete.95 Halles Absetzung wurde mit Hilfe einer Delegierung zur Parteihochschule nach Kleinmachnow bemäntelt und damit begründet, dass er „bisher keine Möglichkeit zur Schulung“ gehabt habe. Bernard Koenen berichtete dazu auf der Sitzung des Landessekretariats am 29. Oktober 1948, es sei mit Anton Ackermann und Paul Wandel vereinbart worden, Otto Halle „noch in den laufenden 8-Monats-Kurs der Parteihochschule“ aufzunehmen. Halle sollte auf Beschluss des Landessekretariats bereits drei Tage später in Klein93 BStU, MfS BV Halle, KD Wsf ZMA 2685, Bl. 2, 6; Schmeitzner, Genossen vor Gericht, S. 318 f.; Malycha, Partei von Stalins Gnaden, S. 209; Malycha, Auf dem Weg zur SED, S. 40; Fricke, Warten auf Gerechtigkeit, S. 72; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 89. 94 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 216. 95 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 233).

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machnow eintreffen und für die Zeit des Kurses vom Volksbildungsministerium beurlaubt werden. Sein Posten wurde am 1. November 1948 von dem Altkommunisten Ludwig Einicke übernommen, verbunden mit dessen Ernennung zum Ministerialdirektor, Leiter der Allgemeinen Abteilung und stellvertretenden Minister. Einicke erschien vermutlich aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit als Landessekretär der Abteilung Parteischulung, Kultur und Erziehung besonders geeignet für die Übernahme des Postens und spielte in den folgenden Jahren die Rolle der „grauen Eminenz“ im Volksbildungsministerium.96 Unter dem Eindruck von Dreschers Verhaftung, Halles Absetzung und der Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typs“ zog Volksbildungsminister Ernst Thape vier Wochen später Konsequenzen: Er floh am 28. November 1948 nach Westberlin und erklärte einen Tag später seinen Austritt aus der SED. In einem Brief an den SED-Landesvorstand von Sachsen-Anhalt nannte Thape für seinen Entschluss u. a. folgende Gründe: „Die Verhaftungen vieler Sozialdemokraten waren für mich jedes Mal eine starke Belastungsprobe, aber ich nahm sie als politische Unglücksfälle in Kauf, solange ich glaubte, noch für Gesamtdeutschland wirken zu können. Die Verhaftung von Fritz Drescher war für mich der Wendepunkt. Einer der populärsten und ehrlichsten Sozialdemokraten, der unter den Nazis die schwersten Opfer für seine Überzeugung brachte, ist spurlos verschwunden [....]. Seit dem Verschwinden Dreschers ist mir klar, dass Sozialdemokraten innerhalb der SED nur geduldet werden, wenn sie ihre Vergangenheit verleugnen und schamlos vor der kommunistischen Minderheit zu Kreuze kriechen.“97

Thape bescheinigte der SED mangelnde innerparteiliche Demokratie, die Zerstörung der „Einheit der Arbeiterklasse“ und den Ausverkauf deutscher Interessen. Die beabsichtigte Umwandlung der SED zur Partei neuen Typs diene nur dazu, die Partei zum „Werkzeug der russischen Außenpolitik“ zu machen. Es sei für ihn nicht möglich, auf Geheiß der SED mit den Blockparteien bessere Beziehungen zu unterhalten als zu westdeutschen Sozialdemokraten.98 Den anschließenden Säuberungen im Volksbildungsministerium fielen bis zum Jahresende fünf leitende Angestellte zum Opfer: Karl Linke (Leiter der Schulabteilung), Hans Lichtblau (Referent für Jugendförderung), Adelheid Weddigen (Referentin für die Volksbildungsämter) und die für mehrere Schulaufsichtskreise zuständigen Herbert Schlüter und Änne Justus. Alle fünf gehörten der SED an und waren, abgesehen von Adelheid Weddigen, bis 1946 Mitglied der SPD gewesen. Die Entlassung der früheren Sozialdemokraten wurde offiziell mit angeblich „inkonsequenter Erfüllung“ ihrer Aufgaben, politischer Unzuverlässigkeit und „reformistischen Tendenzen“ begründet.99 Als Thapes 96 Ebd., Bl. 111, 124; Beurteilungen 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 328, unpaginiert; Einstellungen leitender Angestellter vom 1.10.1948 bis 31. 3.1949); Personalakte Ludwig Einicke (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA E 96, 1. Band, Bl. 2, 3 c). 97 Protokolle Sekretariat Okt.–Dez. 1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/7, Bl. 233). 98 Ebd., Bl. 228–237. 99 Beurteilungen 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 328, unpaginiert; Entlassung leitender Angestellter vom 1.10.1948 bis 31. 3.1949).

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Nachfolger sah das Landessekretariat im März 1949 den früheren Sozialdemokraten und 1. Zonenvorsitzenden der Gewerkschaft der Lehrer und Erzieher Richard Schallock vor. Im Kleinen Sekretariat fand eine Aussprache über seine künftigen Aufgaben als Volksbildungsminister statt.100 Auf den ersten Blick erschien Schallock als ehemaliger Volksschullehrer und erfahrener Parteifunktionär – er war vor 1933 Vorsitzender des SPD-Bezirks Ostpommern und Mitglied des Preußischen Landtages gewesen – kaum weniger geeignet als sein Amtsvorgänger Ernst Thape. Ein Vergleich ihrer Biographien zeigt jedoch, dass Thape der wesentlich profiliertere Sozialdemokrat war: Während der annähernd gleichaltrige Schallock im Ersten Weltkrieg das EK II erhalten hatte und erst 1919 zur SPD gestoßen war, bekannte sich Thape bereits seit frühester Jugend zur Sozialdemokratie und emigrierte 1913 nach Belgien, Frankreich und in die Schweiz, um dem Militärdienst in der kaiserlichen Armee zu entgehen. Die Nationalsozialisten verhängten zwar sowohl gegen Thape als auch gegen Schallock Berufsverbote und ließen beide mehrfach verhaften, langjährige Lagerhaft und Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten im Lager blieben Schallock im Gegensatz zu Thape jedoch erspart. Thapes „Gradlinigkeit und Festigkeit“ – so Robert Siewert – stand Schallocks eingeschränkte Arbeitskraft infolge einer schweren Kriegsverletzung und Diabetes gegenüber. Schallock hatte 1917 den rechten Unterschenkel verloren, galt als 60 Prozent arbeitsbehindert und musste sich bereits vier Wochen nach seiner Ernennung zum Volksbildungsminister durch den Altkommunisten Ludwig Einicke vertreten lassen. Schallocks Tätigkeit begann aufgrund gesundheitlicher Probleme, die auch während der folgenden zwei Jahre bis zu seiner Ablösung weiter anhalten sollten, tatsächlich erst im August 1949. Differenzen zwischen ihm und seinem Stellvertreter Einicke traten bereits kurz nach der Amtsübernahme auf.101 Schallocks Ernennung zum Volksbildungsminister führte zur Schwächung des Amtes, was den Interessen kommunistischer Hardliner entsprach. Zum 31. Dezember 1948 und 31. März 1949 wurden insgesamt 530 Angestellte der Landesregierung entlassen, von denen 187 (36 %) der SED, 77 (14 %) der LDP, 49 (9 %) der CDU, 1 (0 %) der NDP und 216 (41 %) keiner Partei angehörten.102 Fünf Mitarbeiter der Landesministerien wurden zwischen Oktober und Dezember 1948 verhaftet, zwanzig weitere flohen aus der SBZ. Da vier der fünf verhafteten Mitarbeiter und acht der zwanzig geflohenen der SED angehörten, wies Georg Heidler (Personalchef des Innenministeriums) 100 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 20, 28). 101 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 721, Bl. 14, 21, 23; Personalakte Richard Schallock (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA Sch 397, Bl. 2, 3a, 15, 17, 21, 25); Personalakte Ernst Thape (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA T 117, Bl. 4, 15 f.); Sekretariat-Protokolle 29. 3.–31. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/36, Bl. 2, 12). 102 Persönliche Akten Heidler 1945–1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 175, 1. Band, Bl. 5).

160 Tab. 3:

Säuberungen in der SED 1948/49

Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter in Ministerien des Landes Sachsen-Anhalt (Stand: März 1949)103

Angedavon SED stellte insgesamt

davon davon davon davon davon parLDP CDU NDP DBD teilos

Ministerpräsidium

182

78 (5 KPD, 5 SPD)

20

19

0

0

65

Ministerium des Innern

500

276 (54 KPD, 57 SPD)

39

8

5

0

172

Ministerium für Wirtschaft und Verkehr

677

374 (71 KPD, 132 SPD)

44

33

0

0

226

Ministerium für Landund Forstwirtschaft

267

130 (31 KPD, 39 SPD)

31

18

1

0

87

Ministerium für Handel und Versorgung

314

154 (6 KPD, 16 SPD)

52

19

0

0

89

Ministerium für Finanzen

360

173 (23 KPD, 61 SPD)

56

17

0

0

114

Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik

217

105 (27 KPD, 34 SPD)

27

30

0

0

55

Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft

152

94 (24 KPD, 18 SPD)

12

4

0

0

42

40

15 (3 KPD, 6 SPD)

5

2

0

0

18

Ministerium der Justiz

103 Personalstruktur 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 346, Bl. 8 f., 28 f., 46 f., 56–59, 81 f., 90 f., 98 f., 107 f., 114 f.).

Säuberungen in Sachsen-Anhalt

161

während der Landesvorstandssitzung vom 16./17. März 1949 darauf hin, dass bei der Anstellung von SED-Mitgliedern in wichtigen Positionen „eine gegenseitige Abstimmung mit der Partei erfolgen“ müsse. Es sei notwendig, ausgiebige Erkundigungen einzuholen. Die Übermacht der SED unter den Mitarbeitern der Landesregierung hatte bis zu diesem Zeitpunkt weiter zugenommen: Im Februar 1949 bestand die SED-Betriebsgruppe der Landesregierung aus 1898 Mitgliedern, die in zwölf selbständigen Betriebsgruppen organisiert waren.104 Im März 1949 gehörten 61 Prozent der Regierungsmitarbeiter der SED an, während auf die LDP lediglich 18 Prozent und auf die CDU 9 Prozent entfielen. 11 Prozent waren parteilos.105 Abgesehen vom Ministerpräsidium, Innenministerium und Volksbildungsministerium, in denen Altkommunisten gegenüber früheren SPD-Mitgliedern zahlenmäßig dominierten bzw. ihnen etwa gleichkamen, verfügten ehemalige Sozialdemokraten in allen übrigen Ministerien noch immer über beträchtlichen Einfluss. Im Wirtschaftsministerium, unter dessen SED-Mitgliedern sich mehr als ein Drittel frühere Sozialdemokraten befanden, sollten im Laufe des Jahres 1949 durchgreifende Säuberungen stattfinden. Bei der politischen Überprüfung der Mitarbeiter stellte sich im März 1949 heraus, dass frühere Sozialdemokraten auch unter den leitenden Angestellten des Wirtschaftsministeriums noch immer Einfluss besaßen, denn 12 der 77 SED-Mitglieder unter 128 leitenden Angestellten hatten der SPD, aber nur zwei der KPD angehört. Nach Überprüfung der Personalakten wurden 21 Mitarbeiter des Ministeriums zur Entlassung vorgeschlagen. Außer gegen CDU- und LDP-Mitglieder sowie ehemalige Nationalsozialisten und Wehrmachtsangehörige richtete sich die Säuberung auch gegen Mitarbeiter, die zur SED und Sowjetunion eine ablehnende Haltung einnah-

104 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 16./17. 3.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/5, Bl. 44); Berichte der Betriebsgruppe Landesregierung 1946–1948 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/98, Bl. 198). 105 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 16./17. 3.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/5, Bl. 43). Die für März 1949 angegebenen Zahlen über die Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter wurden von Georg Heidler während der Landesvorstandssitzung am 16./17. 3.1949 genannt. In Heidlers Handakten aus dem Bestand des Innenministeriums finden sich dagegen stark abweichende Angaben: Demnach beschäftigte die Landesregierung Anfang Februar 1949 2832 Mitarbeiter, von denen 1428 (50 %) der SED, 292 (10 %) der LDP, 167 (6 %) der CDU, 4 (0%) der NDP und 941 (33 %) keiner Partei angehörten. In einer Erhebung, die den im März 1949 erreichten Stand dokumentiert, wurden 2768 Mitarbeiter genannt, von denen 1423 der SED, 296 der LDP, 153 der CDU, 6 der NDP und 890 keiner Partei angehörten. Neueinstellungen wurden zwischen Juli und Oktober 1948 nach folgendem Proporz vorgenommen: SED 36–39 %, LDP 5–6 %, CDU 3–4 %, Parteilose 51–54 %. Diese Zahlen verdeutlichen zwar ebenfalls die führende Rolle der SED, doch scheint der Anteil der Parteilosen, d. h. der unpolitischen Fachkräfte, Anfang 1949 noch recht hoch gewesen zu sein. Die Gründe für die zahlenmäßigen Abweichungen in Heidlers Berichten bleiben unklar. Vgl. Persönliche Akten Heidler 1945–1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 175, 1. Band, Bl. 21, 146, 149 f., 153); Personalstruktur 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 346, Bl. 8 f.).

162

Säuberungen in der SED 1948/49

men.106 Wirtschaftsminister Willi Dieker hatte das Landessekretariat bereits im Februar 1949 darüber informiert, „dass er aufgrund eines ärztlichen Attestes nicht mehr in der Lage“ sei, „den Posten des Wirtschaftsministers weiterhin zu versehen“. Der für die personalpolitische Abteilung zuständige Otto Walter wurde vom Kleinen Sekretariat beauftragt, mögliche Nachfolger vorzuschlagen.107 Bei Diekers Demission dürften außer den offiziell angeführten gesundheitlichen Gründen – er litt unter einer sehr schmerzhaften chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse – auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben: Dieker hatte nach der Befreiung aus dem Gefängnis Magdeburg (April 1945) zwar eine Ortsgruppe der KPD im brandenburgischen Kirchmöser gegründet, aber vor 1933 auf dem linken Flügel der SPD gestanden. Während der NS-Herrschaft war es ihm nach zweijährigem Berufsverbot gelungen, als Werbeleiter in der Industrie unterzukommen. Von nicht unerheblicher Bedeutung war sicherlich auch seine enge Verbindung zu Ernst Thape, der ihm 1945 eine Stelle im Apparat der Landesregierung verschafft und ihn zu seinem persönlichen Referenten gemacht hatte.108 Im Dezember 1946 fertigte Thape über den mittlerweile zum Wirtschaftsminister aufgestiegenen Dieker eine Charakteristik an, aus der seine langjährige freundschaftliche Beziehung zu Dieker deutlich wurde: „Willi Dieker ist mir bekannt seit etwa 1928. Wir arbeiteten gemeinsam in der Redaktion der „Magdeburger Volksstimme“. Er war schon immer ein sehr lebendiger, redegewandter Mann, der immer das Bedürfnis hatte, den Parteiapparat aus behaglicher Ruhe aufzuscheuchen und zur revolutionären Tat voranzutreiben. Deshalb kam er häufig mit der Parteibürokratie in Konflikt. Nach 1933 bewunderte ich Dieker, wie er so schnell sich in der Industrie eine neue Existenzgrundlage zu schaffen imstande war. Seine Fähigkeit, mit Menschen umzugehen und sein offener Blick für das Wesentliche brachten ihn bald als Propagandist in der Industrie voran. Er hielt aber stets Fühlung mit den alten Parteifreunden. Wenige Stunden vor meiner Verhaftung im Jahre 1939 waren wir noch zusammen und hörten gemeinsam in meiner Wohnung die englischen Nachrichten. Als ich kurze Zeit nach meiner Einsetzung zum Vizepräsidenten seine Adresse erfuhr, bemühte ich mich sofort, ihn zum Mitarbeiter zu gewinnen und habe seitdem nur immer wieder bestätigt bekommen, dass er ein sehr kluger, arbeitsfreudiger Sozialist ist, dem es nicht darauf ankommt, die Welt zu interpretieren, sondern sie zu verändern.“109

Als Diekers Nachfolger war seinen eigenen Angaben zufolge zunächst der frühere Sozialdemokrat Dr. Willi Brundert vorgesehen, ein im Wirtschaftsministerium tätiger Ministerialdirektor. Auf Anfrage von Bernard Koenen und einem 106 LHA Magdeburg, Rep K 6 MW, Nr. 10915, unpaginiert; Bericht über die durchgeführte Überprüfung der leitenden Angestellten des Ministeriums Wirtschaft und Verkehr im Monat März 1949. 107 Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juli 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 20); Personalakte Willi Dieker (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA D 104, Bl. 54). 108 BStU, MfS BV Rostock, AIM 2902/85, Bl. 26–37, 94–97; Personalakte Willi Dieker (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA D 104, Bl. 1–4, 17, 38 f.). 109 Personalakte Willi Dieker (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA D 104, Bl. 38).

Säuberungen in Sachsen-Anhalt

163

Offizier der SMA, ob sich Brundert als möglicher Nachfolger eigne, will Dieker 1949 geantwortet haben, dass er Brundert „fachlich für qualifiziert genug halte, nicht aber politisch“. Diekers Bemerkung besaß insofern Bedeutung, weil Brundert im Oktober 1949 verhaftet und im April 1950 unter dem Vorwurf der Agententätigkeit in einem Schauprozess zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt werden sollte. Das Kleine Sekretariat einigte sich im März 1949 auf den Altkommunisten Paul Lähne (Zonenvorsitzender der IG Bergbau) als neuen Wirtschaftsminister. Lähne konnte im Gegensatz zu Dieker auf eine langjährige enge Verbindung zum Proletariat verweisen: Vor 1933 war er als Bergarbeiter, Landarbeiter und Fabrikarbeiter tätig oder arbeitslos gewesen. Er hatte dem RFB, der KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg und dem Bezirkskomitee der RGO angehört. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft befasste sich Lähne mit antifaschistischer Lagerarbeit und begann anschließend mit dem Aufbau der Bergarbeitergewerkschaft in der Provinz Sachsen. Dieker schied am 1. April 1949 aus dem Amt des Wirtschaftsministers. Auf Beschluss des Landessekretariats sollte er im Oktober 1949 zum Präsidenten der Industrie- und Handelskammer ernannt werden, fand sich aber im November 1949 als Direktor des DiamaltWerks in Halle-Diemitz wieder. 1954 gab Dieker rückblickend zu, dass er „1949 unabhängig von [seinem] im April vereinbarten Ausscheiden [seinen] Dienst hätte quittieren müssen, weil der Agent Dr. Brundert, der Verbrechen gegen das Volkseigentum beging“, als Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium tätig war.110 Im Mai 1949 wurden auf Veranlassung der Deutschen Verwaltung des Inneren (DVdI) weitere Überprüfungen durchgeführt, die Mitarbeitern der Personalabteilung, Dolmetschern, Zöllnern sowie Angestellten galten, die mit Verschlusssachen zu tun hatten. Die Überprüfung sollte anschließend auf Bearbeiter von Verschlusssachen und Personalangelegenheiten in den Kreisen und Gemeinden ausgedehnt werden.111 Parallel dazu begann auf Anweisung der DVdI die polizeiliche Erfassung von Angestellten der Landesregierung, der nachgeordneten Dienststellen, Stadt- und Kreisverwaltungen sowie kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die sich in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten. Das Dezernat K 5 der Landespolizeibehörde verzeichnete 50 frühere Jugoslawien-Gefangene auf Listen, die der DVdI im August 1949 zugingen. Die Mehrzahl der Angestellten erschien unbedenklich, da sie weder Briefe, noch „illegales Material“ aus Jugoslawien erhielten oder über anderweitige Verbindungen verfügten. Um noch bestehende Unklarheiten auszuräumen, vereinbarte die K 5 mit der Oberpostdirektion Halle, die Post verdächtiger An110 BStU, MfS BV Rostock, AIM 2902/85, Bl. 37, 41; Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juli 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8 , Bl. 28, 42, 44 f.); Protokolle Sekretariat Juli–Dez. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/9, Bl. 324, 328); Personalakte Willi Dieker (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA D 104, Bl. 59); Personalakte Paul Lähne (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA L 190, Bl. 2, 4). 111 Schriftwechsel in Personalangelegenheiten 1948/49 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 164 a, Bl. 26).

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Säuberungen in der SED 1948/49

gestellter durch Vertrauensleute öffnen und überprüfen zu lassen. In den Landesministerien wurden drei Mitarbeiter bekannt, die sich jahrelang in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden oder an Lagerschulungen teilgenommen hatten. Ein im Innenministerium tätiger Kraftfahrer, der der SED angehörte und in Gefangenschaft als Fahrer für das jugoslawische Innenministerium gearbeitet hatte, sollte an weniger verantwortungsvoller Stelle eingesetzt werden und künftig nur noch Lastwagen steuern.112 Mit welchen Methoden SED-Funktionäre in den Ministerien gegen einfache SED-Mitglieder vorgingen, zeigte sich während einer im Juli 1949 vorgenommenen Überprüfung der SED-Betriebsgruppenarbeit im Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik. Die Überprüfung ergab, dass der Betriebsgruppenvorsitzende Otto Bovensiepen persönliche Schwächen seiner Parteigenossen ausnutzte, „um sie auf diese Weise aus der Partei und dem Ministerium zu entfernen“. Es wurden „bündelweise Akten verfertigt“, die sich mit persönlichen Anschuldigungen befassten und dazu beitrugen, jegliches Vertrauen untereinander zu zerstören.113 Infolge zunehmender Repressionen stieg die Zahl der Flüchtlinge unter den Mitarbeitern der Landesregierung weiter an: Zwischen Januar und Dezember 1949 flohen 39 Mitarbeiter, von denen 14 der SED angehörten, nach Westen. Unter den geflohenen SED-Mitgliedern befanden sich zwei Referenten aus dem Innenministerium, ein Referatsleiter des Wirtschaftsministeriums, ein Amtsrat und Referent des Finanzministeriums sowie ein im Ministerpräsidium tätiger Oberregierungsrat.114 Sie sollten nicht die letzten qualifizierten Fachkräfte der Landesregierung sein, die aus ihren Ämtern entfernt wurden oder sich dem ideologischen Druck durch Flucht entzogen. Der Höhepunkt der Säuberungen, die nach der Gründung der DDR unter veränderten Vorzeichen fortgesetzt und intensiviert wurden, war auch in den Ministerien des Landes noch längst nicht erreicht.

112 Berichte an die Deutsche Verwaltung des Inneren 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 158 a, Bl. 89–96, 114); Personalstruktur 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 346, Bl. 56–59, 114 f.); Überprüfung der Personalabteilung des Ministeriums des Innern 1950 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 567, Bl. 3). 113 Berichte der KPKK über Verschmelzungsprozeß in der Partei Juli–Aug. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/106, Bl. 4). 114 Namenslisten u. statistische Aufstellungen über fristlose Entlassungen, Westflucht u. Inhaftierungen 1949–1952 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 401, Bl. 3 f.).

Säuberungen in Sachsen-Anhalt

2.3

165

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Im Interesse der Aufrechterhaltung von Forschung und Lehre erwies es sich für die SMA und SED als unmöglich, alle nazistisch belasteten oder aufgrund ihrer bürgerlich-demokratischen Auffassungen missliebigen Lehrkräfte von der Martin-Luther-Universität zu entfernen. Ein umfassender Elitentausch fand daher zwischen 1945 und 1948 nicht statt. Dennoch wurden bereits mit der Wiedereröffnung der Universität am 1. Februar 1946 Maßnahmen ergriffen, um die Studentenschaft zur sozialistischen Intelligenz von morgen zu formen. So sollte u. a. durch die Dozententätigkeit von Mitgliedern der SED-Landesleitung und ohne Rücksicht auf deren fehlende wissenschaftliche Qualifikation die Vermittlung marxistisch-leninistischer Grundkenntnisse gewährleistet werden.115 Die Philosophische Fakultät beugte sich den bestehenden Machtverhältnissen und erhob im Februar 1946 keine Einwände gegen die Erteilung von Lehraufträgen für Marxismus und Historischen Materialismus, gab jedoch keine Einschätzung hinsichtlich der dafür vorgeschlagenen Dozenten Bernard Koenen und Reinhold Schoenlank ab, „da ihr die Grundlagen zur Beurteilung der wissenschaftlichen Eignung“ Koenens und Schoenlanks fehlten. Im Gegensatz zu Schoenlank, der vermutlich aufgrund mangelnder Linientreue nicht zum Einsatz kam, setzte Koenen seine nebenberufliche akademische Karriere fort, erhielt mit Wirkung vom 1. September 1947 einen Lehrauftrag über „Grundprobleme der sozialen und politischen Fragen der Gegenwart“ und avancierte anlässlich seines 60. Geburtstages (1949) zum ordentlichen Professor für den Lehrstuhl „Soziale Problematik der Gegenwart“. Begründet wurde dies mit den angeblich „umfangreichen Arbeiten, die Prof. Koenen auf diesem Gebiet bereits geleistet“ habe.116 Den studentischen Widerstand gegen den Machtanspruch der SED versuchten SMA und SED durch Verhaftungen und Relegierungen zu brechen. Zwischen Mai und Juli 1948 wurden nachweislich acht Studenten vor allem von der Besatzungsmacht, zum Teil auch von deutscher Polizei verhaftet. Sie verschwanden zunächst spurlos. Einige wurden Wochen später wieder freigelassen, die übrigen blieben jedoch verschwunden und wurden „wegen Nicht-Zurückmeldung“ exmatrikuliert. Abgesehen von zwei Fällen – einem Studenten, der zum Geldumtausch anstehende Menschen fotografiert hatte, und einem weiteren, der dem Hochschulausschuss der LDP angehörte – wurde an der Universität nichts über die Verhaftungsgründe bekannt. Rektor Otto Eißfeldt, der sich um Aufklärung bemühte, indem er Eingaben an den Ministerpräsidenten, das Volksbildungsministerium, den Polizeipräsidenten und die SMA richtete, wurde ebenfalls im Unklaren gelassen.117 Die Reaktion der Studenten auf die Verhaftung ihrer Kommilitonen ließ nicht lange auf sich warten. Am Morgen 115 Bohse/Eberle, Entnazifizierung und Elitenaustausch, S. 523–528. 116 Ebd., S. 525; Personalakte Bernard Koenen (UA Halle, PA 9171, unpaginiert). 117 Verhaftung von Studenten 1948 (UA Halle, Rep 4, Nr. 1585, unpaginiert).

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Säuberungen in der SED 1948/49

des 30. November 1948 wurden im Haupt- und Nebengebäude der Universität 350 antikommunistische Flugblätter folgenden Inhalts entdeckt: „Kommilitonen! Immer drückender wird der kommunistische Terror. Ganz Ostdeutschland leidet unter der Zwangsherrschaft einer kleinen Gruppe von Söldnern einer ausländischen Macht. Millionen hungern, während Bonzen Gelage feiern. Tausende aufrechter Demokraten schmachten wieder in den Konzentrationslagern, weil sie ihre politische Gesinnung klar ausgesprochen haben. Eine dilettantische Wirtschaftsplanung zerstört unsere Wirtschaft und beseitigt unsere letzten Existenzmöglichkeiten. Kommilitonen! Wollt Ihr weiter zusehen, wie man Eure Mitstudenten von Eurer Seite weg aus dem Hörsaale heraus verhaftet? Wollt Ihr weiter zusehen, wie das Niveau der Ostzonen-Universitäten langsam aber sicher auf das einer gehobenen Berufsschule herabsinkt? Wollt Ihr Euch weiter von kommunistischen Bonzen in Pflichtvorlesungen Phrasen erzählen lassen und warten, bis Ihr vollständig zur marxistischen Parteischule werdet? Wollt Ihr weiter Eure Interessen von roten Studentenräten, Kuratoren und Beamten vertreten lassen? Kommilitonen! Denkt an die Bewegungen vor 1848. Immer waren es Studenten, die gegen Unterdrückung und Unfreiheit standen. [...] Erinnert Euch der alten studentischen Tradition und Aufgabe: Kämpfer für Freiheit und Fortschritt zu sein. [...] Es geht jetzt nicht mehr um politische Weltanschauungen, es geht um die Existenz der abendländischen Kultur und die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft überhaupt. Darum helft uns im Kampf um Freiheit, Recht und Menschlichkeit. Leistet Widerstand, wo Ihr könnt.“118

Widerstand ging jedoch nicht nur von bürgerlichen Regimegegnern aus, sondern regte sich auch unter linksintellektuellen und sozialdemokratisch orientierten Studenten in der SED. In der zweiten Hälfte des Jahres 1948 machten sich mehrere der SED angehörende Studenten durch ihre Kritik am Stalinismus, Verbreitung westlicher Zeitungen, Kontakte zur SPD und Teilnahme an der Eröffnung der Freien Universität in Westberlin verdächtig. Studenten, die aus den Westzonen stammten und nach ihrer Übersiedlung teilweise um Aufnahme in die SED ersuchten, begegnete man ebenfalls mit Misstrauen. Entsprechende Informationen wurden von Denunzianten und der SED-Betriebsgruppe an Parteistellen weitergereicht. Umgekehrt erteilte das Ostbüro dem als SEDSpitzel tätigen früheren Sozialdemokraten Waldemar Kasparek den Auftrag, Erkundigungen über die ehemaligen SPD-Mitglieder Friedrich Elchlepp (Kurator) und Prof. Willi Brundert einzuziehen, um Erkenntnisse über deren Zuverlässigkeit zu gewinnen. Wie Kasparek seinen eigentlichen Auftraggebern im „Abwehrreferat“ der SED Anfang September 1948 mitteilte, zählte er Brundert „zur Leitung der illegalen Schumacher-Organisation in Sachsen-Anhalt“. Elchlepp sei „mächtig gegen die KPD“. Im Material der MfS-Bezirksverwaltung Halle fand sich zudem eine von unbekannter Hand gefertigte Skizze, auf der weitverzweigte trotzkistische Verbindungen konstruiert wurden: Ausgehend von Erika König (Juristische Fakultät) wurden Bezüge zu ideologisch verdächtig erscheinenden Prominenten hergestellt, so zu ihrem Vater Georg König (früher Landespolizeichef, KPO), Georg Königs Vorgesetztem Robert Siewert (Innenminister, KPO) sowie zu Reinhold Schoenlank (bis 1926 KPD, dann SPD).119 118 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 112 f. 119 Ebd., 2. Band, Bl. 98–109; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/383, Bl. 236 f., 244, 476.

Säuberungen in Sachsen-Anhalt

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Im Mai 1949 begann die Suche nach jugoslawischen Staatsangehörigen und Angestellten der Universität, die sich in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten. Über das Volksbildungsministerium erhielt der Verwaltungsdirektor der Universität eine entsprechende Anweisung zur Überprüfung der Mitarbeiter. Die für die Hauptabteilung II (Personal und Schulung) des Innenministeriums bestimmten Meldungen sollten im Einzelnen Angaben zu folgenden Fragen enthalten: Parteizugehörigkeit vor 1933, von 1933 bis 1945, nach 1945. Letzter Dienstgrad bei der deutschen Wehrmacht. Dauer der Kriegsgefangenschaft. Teilnahme an Lehrgängen und Schulungen während der Kriegsgefangenschaft. 5. Tätigkeit als Lehrkraft. 6. Funktionen in Kriegsgefangenenlagern. 7. Tätigkeit in Dienststellen des Gewahrsamstaates.120

1. 2. 3. 4.

Wie der Verwaltungsdirektor der Universität dem Volksbildungsministerium mitteilte, konnten unter den Mitarbeitern keine früheren Kriegsgefangenen in jugoslawischem Gewahrsam festgestellt werden. Bei einer der mehrfach vorgenommenen „Personal-Sondererhebungen“ wurden im Juni 1949 jedoch zwei Jugoslawien-Gefangene bekannt, die bei der nächsten Erhebung – vermutlich aufgrund ihrer Entlassung – nicht mehr genannt wurden.121 Wie bereits erwähnt, kamen Zweifel an der ideologischen Linientreue außerdem bei intellektuellen SED-Mitgliedern aus dem studentischen Milieu auf. Besonders deutlich wurde dies während der Aufdeckung angeblich trotzkistischer Aktivitäten unter halleschen Studenten im Sommer 1949. Auslöser der Untersuchung war ein Gespräch, in dem der FDJ-Landesvorsitzende Robert Menzel Erich Honecker über die Verwendung trotzkistischer Schriften in Studentenzirkeln der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Leipzig informierte. Menzels Bericht zufolge beabsichtigte ein Genosse namens Walter Ulbrich, diese Schriften bei Kursen hallescher Studenten an der Leipziger Universität „zum vergleichenden Studium der Geschichte der KPdSU(B)“ zu verwenden. Menzel attestierte Ulbrich, mit dem er deshalb über die Komintern, die „Tito-Clique“ und die Rolle der Sowjetunion diskutierte, insgesamt zwar parteikonformes Verhalten, verlangte aber von ihm, den Vorfall zu melden.122 Im Gegensatz dazu teilte Honecker Franz Dahlem mit: „Tatsache ist, dass Gen[osse] Walter Ulbrich nicht von der Notwendigkeit der führenden Rolle der KPdSU(B) überzeugt ist, dass er in Diskussionen mit dem Gen[ossen] 120 Politische Arbeiten und Statistiken 1948–1952 (UA Halle, Rep. 7 a, Nr. 243, unpaginiert). 121 Ebd., unpaginiert; Schreiben und Statistik des Verwaltungsdirektors der MLU an den Minister für Volksbildung vom 22. 6.1949. 122 Trotzkistische Umtriebe im Bezirk Halle Juli 1949–Febr. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/141, Bl. 1, 3 f.).

168

Säuberungen in der SED 1948/49

Robert Menzel von der Notwendigkeit sprach, dass die Partei eine selbständigere Politik durchführen muss und dass bei einem weiteren Sieg des Sozialismus in den europäischen Ländern die führende Rolle der KPdSU(B) sowieso automatisch aufgehoben wird. Soweit ich durch den mündlichen Bericht des Gen[ossen] Menzel informiert bin, rekrutiert sich der [...] Zirkel zu einem Teil aus Genossen, die früher der KPO, dem SJV und der SAP angehörten. Eine ernsthafte Untersuchung der Angelegenheit halte ich sowohl in Halle als auch an der Universität Leipzig für erforderlich.“123

Weitere Meldungen und Überprüfungen führten zu dem Ergebnis, dass es sich sowohl bei Ulbrich als auch bei einigen anderen Beteiligten um ideologische Abweichler handelte: Ulbrich war seit 1929 Mitglied der KPO, 1931 Pol-Leiter der Breslauer KPO-Jugend, 1933 Mitglied der illegalen KPO-Leitung Breslau gewesen und im August 1945 auf Vorschlag von Robert Siewert zum Jugendreferenten in der Abteilung Volksbildung der Provinzialregierung ernannt worden. 1947 schied er auf eigenen Wunsch als Leiter der Allgemeinen Abteilung im Volksbildungsministerium des Landes aus, um sich an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig zu immatrikulieren.124 Die inkriminierten „trotzkistischen Schriften“ stammten von dem Hallenser Otto Hermann, einem früheren Elektroinstallateur, der sich durch intensives Selbststudium zum politisch und belletristisch gebildeten Intellektuellen entwickelt hatte. Hermann gehörte in den zwanziger Jahren der AAU und KAPD an, wechselte 1928 von der KPD zur anarchistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) und brachte auch völkischen Theorien, die von Prof. Dr. Hans Hahne (damals Leiter des Provinzialmuseums in Halle) vertreten wurden, Interesse entgegen. Bei einigen Genossen galt Hermann dementsprechend als „ausgesprochene Suchernatur“ von hohem Intellekt, aber starkem ideologischem Wankelmut. Auch Hermann verdankte seinen politischen und beruflichen Aufstieg nach 1945 Innenminister Robert Siewert, bei dem er als Regierungsrat und persönlicher Referent tätig wurde. Im September 1948 schied Hermann als Mitarbeiter der Landesregierung aus, angeblich aufgrund seiner Weigerung, „Anschuldigungen gegen verschiedene Funktionäre zurückzunehmen“. Anfang 1949 wurde er „wegen Zersetzungsarbeit“ aus der SED ausgeschlossen. Mit Hilfe seiner umfangreichen marxistischen Bibliothek setzte Hermann sein privates Quellenstudium fort, versorgte mehrere Genossen mit inkriminierter Literatur (u. a. Bucharin) und verteilte an der Martin-Luther-Universität angeblich „titoistisches Material“.125 Diesem Material zugerechnet wurde auch das folgende Flugblatt einer ominösen „Kampfgruppe zur Rettung der Unabhängigkeit der kommunistischen Parteien Europas“, das Hermann in Umlauf gebracht haben soll: 123 Ebd., Bl. 2. 124 BStU, MfS-AP 612/66, Bl. 14 f.; Personalakte Walter Ulbrich (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA U 10, unpaginiert). 125 BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 11–13, 15–17, 23 f., 39; Trotzkistische Umtriebe im Bezirk Halle Juli 1949–Febr. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/141, Bl. 3 f., 12–14, 17).

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„Genossen! Bleibt den alten internationalen Idealen treu! Die bewährtesten Funktionäre der Partei sind entschlossen, den alten beschworenen Prinzipien des Marxismus-Leninismus treu zu bleiben. Wir werden nicht kapitulieren! Wir werden dafür sorgen, dass die Partei zu jener Politik zurückgeführt wird, von der sie die gekauften Kreaturen der Pieck-Grotewohl-Kamarilla abgedrängt haben. Tito, der glorreiche Chef der Sozialisten Jugoslawiens, gibt uns allen ein Vorbild an Kühnheit und kompromissloser Treue. Die Politik des Kreml führt zur Verfälschung der revolutionären Prinzipien der Arbeiterbewegung und versklavt die kommunistischen Parteien im Dienste einer brutalen imperialistischen Sonderpolitik Stalins und seiner Clique, die nur die Macht Russlands im Auge hat. Nicht Tito hat verraten, sondern das Moskauer Politbüro und sein willfähriges Werkzeug: die Kominform! Stalinismus – das ist Verrat am Marxismus-Leninismus! Es lebe die kommunistische Internationale! Kampf und Tod dem Klassenverräter Stalin und seinen gekauften Helfershelfern! Reiht Euch ein in die zahllose Schar klassenbewusster Kämpfer ganz Europas, deren leuchtendes Vorbild Tito ist.“126

Noch Monate später wurde im Slawistischen Seminar (Prof. Häussler) und in der Juristischen Fakultät jugoslawisches Material entdeckt. Prof. Häussler soll die aus Jugoslawien erhaltenen Broschüren und Bücher nur widerwillig abgeliefert und in einer Parteiversammlung geäußert haben, es sei selbstverständlich, „dass ein Wissenschaftler Trotzki studieren muss“.127 Infolge einer Denunziation, die über die SED-Betriebsgruppe der Martin-Luther-Universität an die LPKK weitergeleitet wurde, geriet im November 1949 eine Gruppe „trotzkistischer“ Studenten aus Hamburg ins Visier der LPKK: Einer der Studenten, die von der Hamburger KP zum Studium in die DDR delegiert worden waren, erschien verdächtig, weil er in Hamburg Kontakte zu einem Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes unterhalten hatte. Ein anderer, dessen Vater als Trotzkist den Tod im KZ gefunden hatte, wurde denunziert, weil er sich gegen die Verleumdung der Trotzkisten als „Banditen“ zur Wehr setzte.128 Nach Rücksprache zwischen LPKK-Chef Erich Besser und der ZPKK wurden die Ermittlungen zur „Trotzkistentätigkeit bei der Gewifa Leipzig [Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät Leipzig, F. H.] bzw. Universität Halle““ im Februar 1950 „der inneren Verwaltung zur weiteren Bearbeitung übergeben“.129 Das MfS begann Material über einige der als ideologisch schwach und „intellektuelle Spinner“ charakterisierten Hamburger Studenten zu sammeln. Zusammen mit einem Hamburger Kommilitonen soll Walter Ulbrich, der aufgrund von Honeckers Denunziation im Juli 1949 als geistiger Urheber galt, in Leipzig „nachts trotzkistische Zirkel organisiert“ haben.130 Über den Hamburger Studenten Werner Dreyer hieß es in einer Denunziation, die dem MfS vorlag:

126 BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 14. 127 BStU, MfS-AU 139/55, 7. Band, Bl. 76; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/23, Bl. 45, 49. 128 Trotzkistische Umtriebe im Bezirk Halle Juli 1949–Febr. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/141, Bl. 33, 36–39). 129 Ebd., Bl. 51. 130 BStU, MfS-AU 139/55, 7. Band, Bl. 62, 64 f., 77 f.

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1. Für D[reyer] ist Klaus Zweiling131 entscheidend. Stalin kann nur grobe Definitionen geben, deshalb ist er nicht maßgebend, da er nicht in das Wesen, in die Einzelheiten der Erscheinungen eindringen kann. Zweiling ist aber von der Partei abgeschossen worden. 2. Die Geschichte der KPdSU(B) ist zum Studium ungenügend, weil sie nur Probleme anreißt. Er [Dreyer] muss auch andere Bücher lesen, selbst wenn sie von der anderen Seite kommen, um die Richtigkeit der Stalinschen Definitionen bestätigt zu finden. 3. Da Stalin kein Naturwissenschaftler ist, muss er sich auf Zweiling und Kofler132 stützen.133 Es ist nicht bekannt, mit welchem Ergebnis die Ermittlungen des MfS endeten. Anhand des weiteren Schicksals der beiden Hauptverdächtigen Otto Hermann und Walter Ulbrich werden jedoch ganz unterschiedliche Verläufe der weiteren Lebenswege erkennbar: Berichte, die 1953/54 über Hermann angefertigt wurden, vermitteln einen zwiespältigen Eindruck und lassen ihn als „Doppelzüngler“ erscheinen. Obwohl sich Hermann am 17. Juni 1953 unter die demonstrierenden Einwohner von Halle mischte und anschließend eine Namensliste aller teilnehmenden SED-Mitglieder anfertigte, hielt es das MfS im März 1954 dennoch für notwendig, einen Überprüfungsvorgang gegen Hermann wegen des Verdachts „trotzkistischer Zersetzungstätigkeit“ einzuleiten. Da sich keine belastenden Momente gegen den zum Lagerarbeiter herabgesunkenen Hermann feststellen ließen, wurde der Vorgang im Dezember 1954 eingestellt.134 Walter Ulbrich übte 1950 Selbstkritik und zeigte dadurch, dass er von nun an „konsequent auf dem Boden des Marxismus-Leninismus“ und zu den „Prinzipien der Partei neuen Typus“ stand. Er schloss sein Studium als Diplom-Wirtschaftler noch im selben Jahr ab und machte eine beeindruckende Karriere, die ihn 1956 als Abteilungsleiter ins DDR-Bauministerium führte. Von 1957 bis zum Bau der Berliner Mauer stellte er dem MfS seine Wohnung für konspirative Zusammenkünfte mit Informanten aus Westberlin und der Bundesrepublik zur Verfügung. Eine erneute Nutzung der Wohnung für konspirative Zwecke wurde von Ulbrich 1965 zwar wärmstens befürwortet, scheiterte aber daran, dass sie 1961 durch Dekonspiration bekannt und somit für das MfS wertlos geworden war.135

131 Klaus Zweiling (1900–1968): 1921 SPD, 1931 SAP, 1933 illegale Arbeit, 1933–1937 Zuchthaus und KZ, Strafdivision, 1945 KPD, 1946 SED, 1946–1950 Chefredakteur des theoretischen Organs Einheit, April 1950 Absetzung von Parteifunktionen. 132 Leo Kofler (1907–1995): marxistischer Wissenschaftler jüdischer Herkunft, Juli 1938 Emigration aus Österreich in die Schweiz, im September 1947 Übersiedlung in die SBZ, Lehrtätigkeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 1948 Habilitation und Professur für Mittlere und Neuere Geschichte, Diffamierung als „Trotzkist“, 1950 Beurlaubung, Austritt aus der SED, Flucht in die Bundesrepublik Deutschland. 133 BStU, MfS-AU 139/55, 7. Band, Bl. 70. 134 BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 34 f., 38–40. 135 BStU, MfS-AP 612/66, Bl. 18 f., 31 f., 64 f., 69.

IV. Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952 1.

Die Suche nach dem „deutschen Rajk“

Innerparteiliche Säuberungen fanden nach 1945 in allen osteuropäischen kommunistischen Parteien statt. Ihr Ziel war es, ideologische Abweichler und Gegner des sowjetischen Hegemonieanspruchs mit Hilfe von Parteikontrollkommissionen, Geheimpolizei und Schauprozessen zu eliminieren. Schauprozesse stellten eine besondere Form der Säuberung dar, in der sich den Stalinisten die Möglichkeit bot, ihre Gegner vor einer breiten Öffentlichkeit moralisch zu diskreditieren und sich selbst politisch zu legitimieren. Wie in den während des „Großen Terrors“ veranstalteten Schauprozessen gegen die alte Garde der Bolschewiki, sollte auch durch die Prozesse gegen Koči Xoxe (Albanien, Mai 1949), László Rajk (Ungarn, September 1949), Traitscho Kostoff (Bulgarien, Dezember 1949) und zahlreiche Mitangeklagte ein Exempel zur Einschüchterung politischer Gegner statuiert werden. Xoxe, Rajk und Kostoff wurden stellvertretend für den nicht greifbaren Tito verurteilt und hingerichtet, um potentielle Nachahmer eines nationalkommunistischen Kurses abzuschrecken. Die Auswahl der Opfer erfolgte recht willkürlich, denn mit Ausnahme von Xoxe, der den titoistischen Flügel der albanischen KP repäsentierte, handelte es sich bei Rajk und Kostoff um treu ergebene Stalinisten, die in ihren Ländern mit harter Hand regierten. Kostoff hatte 1935 in Dimitroffs Auftrag unter den in Bulgarien verbliebenen Resten der illegalen Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) Säuberungen durchgeführt. Rajk war in den ersten Nachkriegsjahren rücksichtslos gegen bürgerliche Parteien und die katholische Kirche vorgegangen. Während man Kostoff, der im Gegensatz zu Dimitroff einer der schärfsten Gegner einer bulgarisch-jugoslawischen Föderation war, seine Kritik an dem für Bulgarien unvorteilhaften Wirtschaftsvertrag mit der Sowjetunion vorhalten konnte, handelte es sich bei dem während des Krieges als Untergrundkämpfer im Land verbliebenen Rajk um das Opfer innerparteilicher Machtkämpfe gegen die „moskowitische“ Clique um Generalsekretär Mátyás Rákosi. Auch in Bulgarien erfasste die Verhaftungswelle ausschließlich Kommunisten, die während der dreißiger und vierziger Jahre in Bulgarien geblieben waren, darunter ein Mitglied des Politbüros, mehrere ZK-Mitglieder, Minister, hochrangige Offiziere und Geheimpolizisten. An ihre Stelle traten zuverlässige MoskauEmigranten der BKP. Aus der Sowjetunion angereiste Verhörspezialisten des Geheimdienstes MWD sorgten im Auftrag Stalins und Berijas dafür, dass sich die angeklagten ungarischen und bulgarischen Kommunisten als Werkzeuge Titos, als Agenten des amerikanischen, englischen und französischen Geheimdienstes, monarchistische und faschistische Polizeispitzel etc. bezichtigten. Die Geständnisse der Verhafteten wurden in Folterverhören erpresst und anschließend zu Prozess-Drehbüchern verarbeitet. Mit Ausnahme von Kostoff, der monatelang nicht gebrochen werden konnte und sein Geständnis im Gerichtssaal widerrief, hielten sich alle übrigen Angeklagten an den vereinbarten Ablauf. Ob-

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

wohl man ihnen vor der Verhandlung eine Aussetzung der Todesstrafe zugesagt hatte, um sie zu kooperativem Verhalten zu veranlassen, wurden die meisten aber dennoch zum Tode verurteilt und hingerichtet. Rajk bewahrte bis zuletzt Haltung und brachte noch unter dem Galgen Hochrufe auf Stalin, Rákosi und die Partei aus. Hunderte weiterer Menschen, darunter Freunde, Verwandte, Anhänger und Kollegen der Verurteilten, wurden in den folgenden Monaten ebenfalls verhaftet, verurteilt, teilweise hingerichtet oder in Lagern und Gefängnissen inhaftiert.1 Der Rajk-Prozess diente als Schulbeispiel für die noch folgenden osteuropäischen Schauprozesse und wurde von Geheimdienstlern aus allen osteuropäischen Staaten besucht. Im Hinblick auf künftige Säuberungen in der DDR wurde die Bedeutung des Prozesses durch die Herausgabe der ins Deutsche übersetzten Prozessdokumente Ende 1949 erhöht, während der offizielle Bericht zum Kostoff-Prozess – abgesehen von Presseartikeln über den Verlauf des Prozesses2 – erst 1951 in einer Übersetzung aus dem Russischen erschien.3 Nicht mehr allein der Vorwurf des „Titoismus“ stand im Zentrum der Anklage gegen „Rajk und Komplicen“, sondern vor allem Kontakte ins westliche Ausland und damit gemäß stalinistischer Logik imaginäre Verbindungen zu westlichen Geheimdiensten. Begünstigt wurde diese Verschwörungstheorie durch die Tatsache, dass die ungarischen Kommunisten im Gegensatz zu ihren albanischen und bulgarischen Genossen, die während des Zweiten Weltkrieges in ihren Ländern verblieben oder in die Sowjetunion emigriert waren, weitaus intensivere Kontakte ins westliche Ausland unterhalten hatten. Eine besonders bedeutsame Rolle spielten in diesem Zusammenhang Verbindungen der Schweizer Emigration zu dem Amerikaner Noel Field, der aufgrund seiner Kontakte zum Vertreter des amerikanischen Geheimdienstes OSS in der Schweiz, Allen Dulles, in den Verschwörungskonstrukten der Ankläger zum amerikanischen Topagenten stilisiert wurde. Field war 1904 in einer New Yorker Quäker-Familie geboren und in pazifistischem Geist erzogen worden. Er trat 1925 als Beamter des Auswärtigen Dienstes in das State Departement ein, wo er sich unter seinen Kollegen schon bald den Ruf eines „christlichen Kommunisten“ erwarb. 1927 wurde er von einer Amerikanerin als Agent des sowjetischen Nachrichtendienstes angeworben. 1936 verließ Field den Diplomatischen Dienst, um für den Völkerbund in Genf zu arbeiten. Zwei Jahre später beantragte er während eines Aufenthalts in Moskau seine Aufnahme in die 1 2

3

Hodos, Schauprozesse, S. 29–35, 41–56, 85 f., 101–108; Fricke, Warten auf Gerechtigkeit, S. 29–35, 40–42; Troebst, Vernichtungsterror und „Säuberungen“, S. 474, 480 f. In der halleschen Parteizeitung Freiheit erschienen zum Kostoff-Prozess folgende Artikel: „Wachsamkeit – nationale Pflicht“ (6.12.1949); „Die Tito-Clique vor dem Tribunal in Sofia“ (9.12.1949); „Ungeheuerliche Verbrechen der Tito-Clique“ (10.12.1949); „Umfassende Zeugenvernehmung im Kostoff-Prozess“ (12.12.1949); „Höchststrafe für die bulgarischen Verräter gefordert“; „Die Kostoff-Tito-Verschwörung“ (jeweils 14.12. 1949); „Von Sofia bis Dessau“ (17.12.1949). László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht; Traitscho Kostoff und seine Gruppe.

Die Suche nach dem „deutschen Rajk“

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KP der USA, wurde jedoch auf Empfehlung des sowjetischen Geheimdienstes Mitglied der Schweizer KP und von der Komintern als geheimes Mitglied registriert. Im März 1941 übernahm Field in Marseille das Büro des Unitarian Service Committee (USC), einer amerikanischen Wohlfahrts- und Hilfsorganisation. Field soll in Südfrankreich fünf Millionen Dollar amerikanischer Spendengelder an linke Emigranten verteilt und vielen von ihnen durch die Beschaffung von Papieren zur Flucht aus Internierungslagern verholfen haben. Nach der Besetzung Südfrankreichs durch deutsche Truppen im November 1942 setzte er seine Tätigkeit als Leiter der USC-Zentrale in Genf fort, unterstützte vor allem jüdisch-kommunistische Flüchtlinge und frühere Mitglieder der Internationalen Brigaden. Field wurde für die kommunistischen Exilanten auch als Kurier tätig und erhielt von ihnen zahlreiche Informationen, die er an Allen Dulles weiterleitete. Dulles revanchierte sich seinerseits mit Geld und Pässen, die den kommunistischen Emigranten zugute kamen. Die Zusammenarbeit des Wohltäters und Sowjetagenten Field mit dem amerikanischen Geheimdienst entsprach der damaligen politischen Situation, in der ideologische Differenzen im Interesse des gemeinsamen Abwehrkampfes gegen das nationalsozialistische Deutschland an Bedeutung verloren. Es ist nicht bekannt, ob Field während seiner Arbeit für das USC weiterhin für den sowjetischen Geheimdienst tätig war oder ob er nach der Beteiligung an der Ermordung eines sowjetischen Überläufers, womit er sich noch Jahre später brüstete, „abgeschaltet“ wurde. Mehrere Ereignisse deuten jedoch darauf hin, dass sich Fields Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst seit 1938 lockerten: Nachdem seine Führungsoffiziere Ende der dreißiger Jahre zu Verrätern erklärt worden waren, bildete sich zwischen Field und dem neuen Führungsoffizier kein Vertrauensverhältnis mehr heraus. Field lehnte eine Zusammenarbeit mit ihm ab und trug damit zur Verstärkung des sowjetischen Misstrauens bei.4 Als die Konflikte zwischen der Sowjetunion und dem Westen nach Kriegsende wieder aufbrachen, sollten Fields parallel unterhaltene Verbindungen zum OSS und zu kommunistischen Emigranten zahlreiche Parteifunktionäre ins Verderben stürzen. Die Verdächtigungen gegen Field und das USC als potentielle Agentenzentrale waren Teil einer umfassenden sowjetischen Verschwörungstheorie, in die auch Mitarbeiter der Hilfsorganisation „American Relief Association“ (ARA) einbezogen wurden. Die ARA hatte während der sowjetischen Hungerkatastrophe in den Jahren 1921/22 11 Millionen Russen und Ukrainer mit Nahrungsmitteln versorgt. Um Stalins Ablehnung des Marshall-Plans rechtfertigen zu können, wurden ARA-Mitarbeiter genötigt, sich der Spionage für die USA zu bezichtigen.5 Dieser Vorwurf wurde auch gegen die vom USC unterstützten Exil-Kommunisten erhoben, so gegen Tibor Szönyi, der vom unga4 5

Hodos, Schauprozesse, S. 57–63, 79 f.; Kaplan/Svátek, Die politischen Säuberungen in der KPČ, S. 506–508; Lukes, Der Fall Slánský, S. 473–475; Teubner, Exilland Schweiz, S. 158. Andrew/Mitrochin, Das Schwarzbuch des KGB, S. 47 f.

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rischen Geheimdienst AVH und sowjetischen „Beratern“ im Rajk-Prozess benutzt wurde, um weitreichende Verbindungen eines imaginären Agentennetzes in andere osteuropäische Länder zu konstruieren: „Volksanwalt: [...] Sie erwähnten, dass die Amerikaner auch aus Staatsangehörigen anderer Volksdemokratien gewisse Gruppen organisiert, über die Grenze geschickt und mit einer Spionagetätigkeit betraut haben. In welche Staaten haben die amerikanischen Spionageorganisationen solche Gruppen eingebaut, und standen Sie mit irgendeiner dieser Gruppen in Verbindung? [...] Szönyi: Ich habe in Verbindung mit der Tschechoslowakei konkrete Kenntnis davon, dass dort eine solche Geheimorganisation von der amerikanischen Kundschafterzentrale ausgebaut wurde, besonders weiß ich das von der Person Pawliks. [...] Volksanwalt: Und in anderen Ländern? Szönyi: In bezug auf andere Länder habe ich in Verbindung mit Deutschland von einer solchen Gruppe Kenntnis. Volksanwalt: Wer waren dort diese Personen? Szönyi: Dem Namen nach weiß ich von einer Person, Politzer. [...] Dann weiß ich, dass es auch in Polen eine solche Verbindung gab, doch kenne ich sie dem Namen nach nicht. [...] Außerdem waren in allen jenen Ländern, wo durch Vermittlung Noel Fields ein solches Hilfsorgan der unitarischen Hilfsorganisation ausgebaut wurde, diese Organe eigentlich überall Deckorgane des amerikanischen Geheimdienstes.“6

Als Reaktion auf die im Rajk-Prozess herausgestellte angebliche Spionagetätigkeit von Kommunisten im Auftrag westlicher Geheimdienste erfolgte in der Arbeit der ZPKK und der LPKKs im Herbst 1949 eine Neuorientierung. Generaloberst Serow richtete im September 1949 zwei Direktiven an Ulbricht, in denen die Schaffung eines Ausschusses bei der ZPKK zur Aufdeckung von Verbindungen zwischen Field und deutschen Kommunisten aus schweizerischem und südfranzösischem Exil gefordert wurde. SED-Funktionäre in wichtigen Partei- und Staatsämtern sollten aus ihren Positionen entfernt werden, sofern sie längere Zeit in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft verbracht bzw. in westlicher Emigration gelebt hatten. Vor dem Sonderausschluss der ZPKK, der unter dem Vorsitz von Hertha Geffke, einer Vertrauten des sowjetischen Geheimdienstes MWD, stand, wurden zahlreiche SED-Parteifunktionäre verhört und zur Abgabe schriftlicher Erklärungen veranlasst. Die Protokolle gingen dem MWD zu, der die Aussagen seinen politischen Absichten entsprechend manipulierte und die potentiellen Angeklagten eines späteren Schauprozesses auswählte.7 ZPKK-Chef Hermann Matern gab den versammelten LPKKVorsitzenden am 21. Oktober 1949 bekannt, dass neben den aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Genossen nun auch Heimkehrer aus englischer und amerikanischer Gefangenschaft sowie Westemigranten über-

6 7

László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, S. 202. Hodos, Schauprozesse, S. 181 f.

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prüft werden müssten. Eine Konzentration ehemaliger SPD-, SAP- und KPOMitglieder in Parteileitungen und anderen wichtigen Gremien sollte nach Materns Vorstellung durch die Kontrollkommissionen verhindert werden. Die Überprüfung von Funktionären, die während des Krieges Westkontakte unterhalten hatten, wurde zwar durch einen Beschluss des Politbüros vom 18. Oktober 1949 gedeckt – bei der Einbeziehung ehemaliger politischer Abweichler handelte es sich jedoch um einen Alleingang Materns und des hinter ihm stehenden Walter Ulbricht.8 Zur Herausgabe der Rajk-Prozessdokumente verfasste Kurt Hager am 29. Oktober 1949 ein Vorwort, in dem er seiner Empörung über den „Horthy-Spitzel Rajk, die Trotzkistengruppe Szönyis“, „die schurkischen Methoden“ der „trotzkistischen Spione und Provokateure“ etc. freien Lauf ließ. In Übertragung der „Lehren“ aus dem Rajk-Prozess auf Deutschland behauptete Hager, die „amerikanischen Imperialisten und ihr Schwarm deutscher Trabanten“ bedienten sich „früherer Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter an der Arbeiterbewegung, reaktionärer Elemente in den bürgerlichen Parteien und vor allem der Beauftragten ihrer jugoslawischen titoistischen Agentur“, um die Festigung der DDR zu verhindern. Die Wachsamkeit gegenüber den Feinden der DDR dürfe nicht erlahmen. Jeder „faule Liberalismus gegenüber der Schädlingsarbeit der TitoAgenten und anderer Trotzkisten“ sei „ein Verbrechen an der Arbeiterklasse“.9 Hagers rhetorischer Übereifer war nicht allein ideologischem Fanatismus zuzuschreiben, sondern in Anbetracht von Hagers Vergangenheit als England-Emigrant in dieser Schärfe wohl auch als persönliche Rechtfertigung zu verstehen. Einige besonders exponierte Westemigranten und frühere Abweichler versuchten den aufkommenden Verdächtigungen entgegenzuwirken, indem sie zum Beweis ihrer ideologischen Unversöhnlichkeit in der vom SED-Parteivorstand herausgegebenen Zeitschrift „Einheit“ scharfmacherische Aufsätze veröffentlichten: So erschien im November 1949 ein gegen Tito gerichteter Artikel von Willi Eildermann (vor 1933 Redakteur des halleschen „Klassenkampf“ und der Magdeburger „Tribüne“), der bis 1942 in Algerien interniert gewesen war und sich danach der britischen Armee angeschlossen hatte.10 An Eildermann anknüpfend behauptete der Schweiz-Emigrant Hans Teubner, der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg sei ohne die „Zerschmetterung des Trotzkismus“ fraglich gewesen. In den Moskauer Prozessen habe man mit den „Bestien des Imperialismus Schluss gemacht“ und „die Attentäter auf den Sozialismus“ erschossen. Stalin habe bewiesen, dass dem Trotzkismus mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr beizukommen sei, sondern nur noch mit den „Methoden der Ausrottung und der Zerschmetterung“. Diese Erkenntnis besitze angesichts der Aktivitäten trotzkistischer Agenturen in Deutschland besondere Bedeutung. Wem Teubner 8 Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 380–383. 9 László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, S. 5–11. 10 Teubner, Exilland Schweiz, S. 130 f.; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 104 f.; Eildermann, Die Entartung der Tito-Clique, S. 1013–1020.

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die geforderte Liquidierung zugedacht hatte, wurde anhand seiner Ausfälle gegen Ruth Fischer, Arkadi Maslow, Werner Scholem und andere aus der KPD entfernte Ultralinke deutlich, die er als „oppositionelles Geschmeiß“ und „Abschaum“ beschimpfte.11 Am 10. November 1949 fasste die ZPKK die bis dahin bekannt gewordenen „Erkenntnisse“ über die Schweizer Emigration zusammen. Sie unterschied dabei mehrere nationale und ideologisch unterschiedlich ausgerichtete Emigrationsgruppen, so die ungarische, jugoslawische, tschechoslowakische, polnische, jüdische, bürgerliche, sozialdemokratische, trotzkistische und kommunistische Emigration.12 Zusammenfassend hieß es über die Schweizer Emigration: „[Die] Emigranten erhielten keine Arbeitszuweisungen, [sondern] waren auf Unterstützungen angewiesen und mussten sich selbst irgend eine Betätigung suchen – aus diesen Zwangsumständen heraus ergab sich die Möglichkeit einer Werbung durch Agenten. Die geführten Diskussionen waren zu einem Teil anarchisch. Ein Teil war auf ein gutes Verhalten in der Schweiz abgestellt. Unter links eingestellten Emigranten war bereits im ersten Jahre des Krieges eine Tätigkeit englischer und amerikanischer Agenten zu verzeichnen. Im Sommer 1944 verstärkte sich diese Tätigkeit. Die Ansichten des ehemaligen Leiters der amerikanischen KP, Browder,13 wurden in deutscher und französischer Sprache von Field [und] Lompar14 in Emigrantenkreisen verbreitet. [...] Vorbereitende Maßnahmen des amerikanischen Geheimdienstes wurden seinerzeit nicht erkannt. Über jeden Emigranten wurden geeignete Feststellungen erhoben und gegebenenfalls genützt. Der amerikanische Geheimdienst wusste genau, wer aus der Emigration zurückkehrte, da er selbst die Ausrüstung (Bekleidung etc.) aus seinen Mitteln finanzierte.“15

Im Exil aufgetretene ideologische Abweichungen erregten ebenfalls Verdacht. Die sowjetische Volksfront-Konzeption hatte unter orthodoxen Genossen, die weiterhin an der Diktatur des Proletariats festzuhalten gedachten, Irritationen und Diskussionen ausgelöst. Der am 23. August 1939 abgeschlossene deutschsowjetische Nichtangriffspakt traf viele Exilkommunisten im Kern ihres Selbstverständnisses und ließ sie nach Erklärungen für ein Bündnis suchen, dessen Erörterung sie noch wenige Tage zuvor als völlig undenkbar zurückgewiesen hatten. In ihren Rechtfertigungsversuchen lehnten sie sich eng an die „Erklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands zum Abschluss des Nichtangriffspaktes zwischen der Sowjetunion und Deutschland“ 11 Teubner, Stalin – der Besieger des Trotzkismus. 12 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 60–62. 13 Earl Browder (1891–1973): Beitritt zur Sozialistischen Partei Amerikas im Alter von 15 Jahren, 1917/18 und 1919/20 inhaftiert, 1921 Eintritt in die KPUSA, 1930 Generalsekretär, 1932 Parteivorsitzender, 1936 und 1940 Präsidentschaftskandidat. 1944 verlor Browder seine Parteifunktionen, weil er erklärt hatte, Kommunismus und Kapitalismus könnten friedlich nebeneinander existieren. Nach Kritik durch die sowjetische Parteiführung wurde Browder 1946 aus der KPUSA ausgeschlossen. 14 Mischa Lompar war nach Einschätzung der ZPKK „Leiter der jugoslawischen Emigrantengruppe, Agent im amerikanischen Spionagedienst und Mithelfer Allan Dulles“. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 61. 15 Ebd., Bl. 60, 62.

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vom 25. August 1939 an und kaschierten ihre Enttäuschung mit der Behauptung, der Nichtangriffspakt sei kein Beistandspakt, durch den „das Zustandekommen von Bündnissen zur Verteidigung gegen die faschistischen Aggressoren“ eingeschränkt werden könnte, sondern es bestehe noch immer die Möglichkeit einer sowjetischen Allianz mit England und Frankreich. Das Einschwenken auf die Generallinie des ZK war umso notwendiger, da das ZK Kritiker des Hitler-Stalin-Paktes – so auch „unter trotzkistischem Einfluss stehende Emigrationsgruppen“ – in die Nähe „trotzkistischer Verbrecher“ gerückt hatte.16 Neben diesen ideologischen Schwankungen gaben aus späterer Sicht auch vielfältige Kontakte deutscher Exilkommunisten zu Gruppierungen und Persönlichkeiten aus der Schweizer Arbeiterbewegung und der deutschen Emigrantenszene, so zu Sozialdemokraten, SAP-Mitgliedern und Vertretern der Gruppe „Neu beginnen“, Grund zur Besorgnis. Nach der Internierung der Exilanten in Lagern kamen Kontakte zu „Sektenanhängern, Nihilisten“ und „Phantasten“ hinzu.17 Die von den Sowjets gesteuerte Kampagne gegen „Titoisten“, „Trotzkisten“ und „westliche Agenten“ nahm bereits Ende 1949 hysterische Züge an. Am 8. Dezember 1949 ordnete das DDR-Innenministerium an, künftig allen Mitarbeitern der jugoslawischen Militärmission den Aufenthalt in der DDR zu verweigern. Begründet wurde dies damit, dass Angehörige jugoslawischer Organe unter dem Schutz ihrer Mission eine „verbrecherische Tätigkeit“ entfaltet hätten, um „die gesetzliche Ordnung im Bereich der Deutschen Demokratischen Republik“ zu stören.18 Trotz dieser und zahlreicher weiterer Maßnahmen musste sich Wilhelm Pieck in einer Besprechung am 24. Dezember 1949 von Wladimir Semjonow vorwerfen lassen, dass es in der SED ideologische Schwächen gebe und bisher „kein Kampf gegen [den] Titoismus“ stattgefunden habe. Die Berichterstattung der Presse über die Prozesse gegen Rajk und Kostoff bezeichnete Semjonow nicht nur als unzulänglich, sondern er behauptete, es habe sich hier ein „völliges Versagen“ gezeigt. Man müsse überprüfen, „ob nicht Agenten im Apparat“ seien und „Verbindungen“ zu Persönlichkeiten im Westen bestünden.19 Erste Ermittlungen zu dem in der SBZ geplanten Schauprozess begannen im Juni 1949 mit der Verhaftung eines Studenten namens Bernd Steinberger, der seine ungarische Frau in der Schweiz kennengelernt hatte. Infolge der Untersuchungen des ZPKK-Sonderausschusses gerieten weitere Mitglieder der Schweizer KPD-Emigration unter Druck. In einem Gespräch, das am 19. April 1950 zwischen Armeegeneral Wassili Tschuikow (Chef der Sowjetischen Kon-

16 Foitzik, KPD und der Hitler-Stalin-Pakt; Teubner, Exilland Schweiz, S. 56–60. 17 Teubner, Exilland Schweiz, S. 67–73, 154 f., 195. Die Gruppe „Neu beginnen“ wurde 1933 in Prag gegründet und versuchte eine sozialistische Einheitsbewegung auf der Grundlage einer authentischen Interpretation des Marxismus zu schaffen. 18 Freiheit vom 9.12.1949 („Eine notwendige Maßnahme“). 19 Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 321.

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trollkommission (SKK)20) und ZPKK-Chef Hermann Matern stattfand, erkundigte sich Tschuikow nach „trotzkistischen Verbindungen“ deutscher Kommunisten. Matern verwies auf die laufenden Ermittlungen der ZPKK und auf einen bevorstehenden Besuch Mielkes bei Ulbricht, „um sich mit diesen Materialien vertraut zu machen und zu entscheiden, wie mit ihnen weiterzuarbeiten“ sei. Neben der Bearbeitung der gesammelten Materialien durch die Partei galt die Übergabe der Angelegenheit an die DDR-Staatssicherheit als weitere Option. Matern berichtete auch über Noel Fields Kontakte zu Franz Dahlem, Paul Merker, Willi Kreikemeyer, Lex Ende etc. und vertrat die Ansicht, dass man zwar einige Trotzkisten entlarvt habe, von einer organisierten Gruppe bislang aber noch nicht sprechen könne. Dies werde sich durch eine Intensivierung der Suche aber sicherlich ändern.21 Wilhelm Pieck führte dazu auf dem III. Parteitag der SED (20.–24. Juni 1950) aus: „Der Rajk-Prozess erbrachte den einwandfreien Beweis, dass die von Field geworbenen Agenten von Allen Dulles und seinen Mithelfern mit politischen Aufgaben betraut wurden [...] und dass Field eine solche Tätigkeit auch unter den deutschen Emigrantengruppen ausgeübt hat. [...] Die Aufgabe besteht darin, die Wachsamkeit der Partei zu erhöhen und die trotzkistische Agentur aus unseren Reihen auszumerzen.“22 In einer Besprechung zwischen Pieck, Tschuikow, Semjonow und dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semitschastnow wurde am 3. Juli 1950 hinsichtlich der „Untersuchungen über parteifeindl[iche] Elemente“ festgelegt, „Direktiven“ an die „Staatssicherheit Zaisser“ und die „[Z]PKK Matern“ ergehen zu lassen.23 Im Entwurf einer Erklärung des ZK und der ZPKK vom 22. August 1950 wurde schließlich der Parteiausschluss von fünf SED-Funktionären und die Funktionsenthebung weiterer fünf – unter ihnen Paul Merker – angekündigt. Die Haltung des ZK gegenüber Merker begann sich jedoch bereits während der am 24. August 1950 stattfindenden ZK-Sitzung zu verschärfen, als Hertha Geffke erklärte: „Bei Paul Merker möchte ich noch mitteilen, dass sich gerade in den letzten Tagen noch neue politische Momente ergeben haben, 20 Die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) löste die SMAD, deren Chef seit April 1949 Tschuikow gewesen war, am 11.10.1949 ab. 21 Bordjugow, Das ZK der KPdSU(B), S. 305. 22 Zit. nach Hodos, Schauprozesse, S. 183. Dulles' Kontakte zu kommunistischen Emigranten stellten insgesamt betrachtet Ausnahmen dar. Er unterhielt während des Krieges vor allem Verbindungen zu bürgerlichen und militärischen Widerstandskreisen in Deutschland. Eine besondere Förderung sollten nach seiner Auffassung die Sozialdemokratie und das Zentrum als Stützen eines demokratischen Nachkriegsdeutschland erfahren. Vgl. Mauch, Das Dritte Reich und die Politik des amerikanischen Geheimdienstes, S. 182–188. Der in die Schweiz emigrierte deutsche Kommunist Hans Teubner berichtete über Kontakte von Funktionären der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS) und deutscher sozialdemokratischer Emigranten zu Dulles. Er nannte in diesem Zusammenhang vor allem den späteren bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner, ging jedoch nicht auf seine eigenen angeblichen Kontakte zum OSS ein, derer ihn das ZK und die ZPKK in ihrer Erklärung vom 24. 8.1950 bezichtigten. Vgl. Teubner, Exilland Schweiz, S. 193–195; Dokumente der SED, 3. Band, S. 211. 23 Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 351.

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dass wir also die Untersuchung als noch nicht abgeschlossen betrachten müssen [...]. Auch bei Paul Merker zeigen sich die Ursachen in seinem Verhalten, insbesondere in seinen politischen Schwächen. Etwas, was uns erst kürzlich zur Kenntnis kam, was uns der Genosse Anton Ackermann mitgeteilt hat, war die Haltung des Genossen Merker beim Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes. Hier war seine Äußerung verheerend, dass man daraus [auf] eine antisowjetische Einstellung schließen musste.“24 Der Text der ZK-Erklärung ging vor seiner Veröffentlichung nochmals dem Politbüro zu, das am 29. August 1950 beschloss, Merker „an die Spitze der aus der Partei Auszuschließenden“ zu stellen. Damit rückte Merker plötzlich in den Mittelpunkt eines künftigen DDR-Schauprozesses. Schon auf der ZK-Sitzung vom 24. August 1950 hatten mehrere Redner – unter ihnen Walter Ulbricht und der als Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit tätige Erich Mielke – nach stalinistischem Muster versucht, frühere Fehler und ideologische Abweichungen mit aktuellen Verfehlungen zu verbinden. Mielke beschimpfte die beschuldigten Funktionäre als „kleinbürgerliche Feiglinge“, die während des Krieges nur ihre eigene Rettung im Auge gehabt hätten und forderte eine Verschärfung des Textes. Er hatte die Absicht, einen „Schulfall für die Genossen“ zu schaffen, „die die ganzen Fragen der Geschichte der Arbeiterparteien noch nicht kennen, ohne dabei in Einzelheiten zu verfallen, ohne mehr zu sagen, [als] notwendig sein wird“. Ulbricht verlangte eine Durcharbeitung der Erklärung in der gesamten Partei und rechnete mit der Entlarvung von Agenten in den Betrieben, wo es immer wieder zu Sabotage und Brandstiftungen komme. In den Leitungen von Großbetrieben säßen Agenten und es sei unverständlich, dass Personen, die Verbindungen zu ehemaligen KPO-Mitgliedern und Trotzkisten unterhielten, auf ihren Positionen verblieben. Wilhelm Pieck, der zunächst noch zu bremsen versucht hatte, gab klein bei und erklärte, er sei „absolut damit einverstanden“, was Ulbricht gesagt habe.25 In der vom Politbüro redigierten Fassung erschien der Text der ZK-Erklärung offiziell unter dem Datum des 24. August 1950 als „Erklärung des Zentralkomitees und der Zentralen Parteikontrollkommission zu den Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee Noel H. Field“. Darin wurden elf SED-Funktionäre namentlich erwähnt, denen man vorwarf, enge Beziehungen zu Field unterhalten zu haben. Sechs von ihnen (Paul Merker, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Willi Kreikemeyer, Lex Ende und Maria Weiterer) wurden aus der SED ausgeschlossen. Vier weitere enthob man ihrer Funktionen und kündigte eine Fortsetzung der Untersuchungen an. Paul Bertz – bis Kriegsausbruch Mitglied der Pariser Auslandsleitung der KPD und nach seiner Flucht aus einem südfranzösischen Internierungslager seit Juli 1940 in der Schweiz26 – hatte das Ergebnis der Un24 Zit. nach Weber, Schauprozess-Vorbereitungen, S. 441. 25 Ebd., S. 442–444; Otto, Erich Mielke, S. 547 f. 26 Teubner, Exilland Schweiz, S. 81.

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tersuchungen nicht abgewartet, sondern sich bereits im April 1950 das Leben genommen. Ausgangspunkt der abenteuerlichen und wirren Erklärung des ZK war die Feststellung, dass die Prozesse gegen Rajk und Kostoff den Beweis für eine Unterwanderung der Arbeiterbewegung durch britische und amerikanische Geheimdienste während des Zweiten Weltkrieges erbracht hätten. Bereits während des Spanischen Bürgerkrieges habe Field seine humanitäre Tätigkeit benutzt, um sich das Vertrauen der Spanienkämpfer zu erschleichen und für geheimdienstliche Zwecke Informationen über sie zu sammeln. Durch mangelnde Wachsamkeit und Vertrauensseligkeit deutscher Emigranten sei es ihm später gelungen, in Südfrankreich und der Schweiz in die deutsche Emigration einzudringen und ihre Mitglieder an sich zu binden. Bei einigen der Emigranten seien zu Beginn des Zweiten Weltkrieges „politisch-ideologische Abweichungen“ aufgetreten, die sie „für die Werbetätigkeit der imperialistischen Agenturen anfällig“ und zu „Werkzeugen des Klassenfeindes“ gemacht hätten. Über Paul Merker und Lex Ende hieß es, sie hätten 1939 kein Verständnis für den Hitler-Stalin-Pakt gezeigt und seien „auf die Verleumdungen der trotzkistischen Agenten des Imperialismus gegen die Sowjetunion“ hereingefallen.27 Da die ZKErklärung auf der vom sowjetischen MWD redigierten Fassung der Untersuchungsergebnisse des ZPKK-Sonderausschusses beruhte, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit Mitarbeiter des MWD hinter diesen wie auch hinter allen übrigen Verleumdungen vermuten.28 Die ZK-Erklärung endete mit der Schlussfolgerung, dass bis zum III. Parteitag der SED in der Parteiführung „versöhnlerische Tendenzen“ gegenüber Parteifunktionären vorhanden gewesen seien, die in der Vergangenheit ernste Fehler begangen hätten. Die Tätigkeit feindlicher Agenturen sei durch solche Funktionäre begünstigt worden. Es gebe zahlreiche Betriebe und Parteiorganisationen, in denen Cliquen „trotzkistischer Organisationen (Brandleristen, ISK-Leute29 usw.)“ vorhanden seien, die dort ihre feindliche Tätigkeit fortsetzten. Alle Grundorganisationen wurden aufgefordert, ihre Parteiarbeit zu überprüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.30 Weitere Indizien deuten darauf hin, dass in der DDR mit Hochdruck an der Vorbereitung eines Schauprozesses gearbeitet wurde: In einem Arbeitsplan für September/Oktober 1950, den Walter Ulbricht am 7. September 1950 Wilhelm Pieck zukommen ließ, wurde „die Durchführung von Prozessen gegen die Agenten des angloamerikanischen Geheimdienstes“ festgelegt. Um einen reibungslosen Ablauf der Prozesse zu gewährleisten, sollten Polizei und Justiz einer verstärkten Kontrolle hinsichtlich der Untersuchungsführung und der Strafzumessung unterzogen werden. Ulbricht vermerkte dazu, es müsse „ein Schlag gegen die Gerichte und Untersuchungsorgane geführt werden, die Verbrecher decken“ und eine „Säuberung des Justizministeriums [...] und des Apparates des 27 28 29 30

Dokumente der SED, 3. Band, S. 197–199, 202 f. Hodos, Schauprozesse, S. 183; Kießling, Willi Kreikemeyer, S. 16 f. ISK = Internationaler Sozialistischer Kampfbund. Dokumente der SED, 3. Band, S. 212 f.

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Obersten Gerichts von offensichtlich feindlichen Elementen und Saboteuren“ stattfinden. Für besonders wichtige Verfahren sah Ulbricht den Einsatz eigens ausgewählter Untersuchungsrichter und Staatsanwälte vor. Die Arbeit der Strafvollzugsorgane sollte durch Artikel in der Parteipresse in ihrer Bedeutung gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang war auch die Herausgabe der Reden und Artikel des sowjetischen Tscheka-Chefs Feliks Dzierżyński in deutscher Übersetzung vorgesehen. Ulbrichts Forderung, für die „sorgfältige Aufdeckung der feindlichen illegalen Gruppen innerhalb der SED (insbesondere der Trotzkisten)“ zu sorgen, machte die Zielrichtung der geplanten Verfolgungsmaßnahmen deutlich.31 Auf Anweisung des MfS sollten bis zum 22. Dezember 1950 alle in der DDR bearbeiteten sowie bereits archivierten Vorgänge über „trotzkistische Erscheinungen“, d. h. über frühere Mitglieder von SAP, KPO, Leninbund, KAPD, „Titoisten“ etc., nach Berlin gemeldet werden.32 Die in der ZK-Erklärung genannten Funktionäre Maria Weiterer, Paul Merker und Lex Ende entgingen zunächst der Verhaftung, wurden aber ihrer Positionen enthoben: Weiterer erhielt eine Stelle als Buchhalterin in einem halleschen VEB, Merker – von Beruf Kellner – musste in Luckenwalde eine HOGaststätte übernehmen. Der frühere Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, Lex Ende, wurde in den sächsischen Uranbergbau delegiert. Die übrigen Ausgeschlossenen, d. h. Leo Bauer, Bruno Goldhammer und Willi Kreikemeyer, wurden verhaftet, außerdem Bauers Frau und Schwägerin sowie Fields Pflegetochter Erika Glaser. Glaser erschien nicht nur aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit deutschen und ungarischen Flüchtlingen in der Schweiz verdächtig, sondern auch, weil sie nach dem Krieg tatsächlich kurze Zeit für den amerikanischen OSS gearbeitet und nach ihrem Austritt aus der KPD (1947) den amerikanischen Offizier Robert Wallach geheiratet hatte. Zur Entlarvung angeblicher Westverbindungen ordnete man der fiktiven Verschwörergruppe außerdem die beiden hochrangigen westdeutschen KPD-Funktionäre Fritz Sperling – auch er ein Schweiz-Emigrant – und Kurt Müller zu, die 1950/51 in die DDR gelockt und verhaftet wurden. Es nützte Müller und Sperling nichts, dass sie ihrerseits in der westdeutschen KPD gegen Abweichler und „Parteifeinde“ vorgegangen waren. Viele der auf ihr Betreiben hin ausgeschlossenen KPD-Mitglieder hatten Kontakte zur antistalinistischen „Gruppe Arbeiterpolitik“ unterhalten, die von Heinrich Brandler geleitet wurde und in der Tradition der KPO stand.33 Müller wurde aus der westdeutschen KPD ausgeschlossen, weil er angeblich „laufend Verbindung zum Geheimdienst einer ausländischen Macht“ unterhalten und „feindliche Elemente in die Partei eingebaut“ hatte.34 Erich Mielke ließ 31 Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 359. 32 BStU, MfS-BdL/Dok Nr. 002064, Bl. 1. 33 Hodos, Schauprozesse, S. 60, 182–186; Fricke, Warten auf Gerechtigkeit, S. 81 f.; Beckert, Instanz, S. 176–207; Keßler, Die SED und die Juden, S. 79, 81 f.; Weber, Schauprozess-Vorbereitungen, S. 462–465. Müller war 2. Vorsitzender der westdeutschen KPD, Sperling sein Nachfolger. 34 Freiheit vom 13. 5.1950 („Erhöht die Wachsamkeit – stärkt die Partei. Kurt Müller aus der KPD ausgeschlossen“).

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es sich nicht nehmen, Müller und andere Verhaftete selbst zu verhören. Müller sollte u. a. zugeben, Mitglied einer trotzkistischen Organisation zu sein und über seine Beziehungen zur Gruppe um Heinz Neumann und Hermann Remmele aussagen, die während des „Großen Terrors“ in der Sowjetunion liquidiert worden waren.35 Über die Vorbereitung des geplanten ostdeutschen Schauprozesses berichtete Müller 1956 in einem Brief an Otto Grotewohl: „Mielke erklärte mir [...] ganz offen: ‚Sie sind doch ein politischer Mensch und müssen begreifen, dass wir in Deutschland einen großen Prozess zur Erziehung der Partei und der Massen brauchen. In diesem Prozess werden Sie der Hauptangeklagte sein.‘ Er fügte hinzu: ‚Wir brauchen einen Prozess wie den Rajk-Prozess in Budapest‘ und erklärte mir, dass dieser Prozess [...] unbedingt in acht bis neun Monaten steigen müsse. Als ich Mielke auf seine dauernden Forderungen nach Aussagen sagte, dass ich unschuldig sei und nicht wisse, was ich aussagen solle, antwortete er: ‚Ich verbiete Ihnen, das Wort unschuldig hier noch einmal zu gebrauchen. [...] Ich habe Ihnen doch das Protokoll des Rajk-Prozesses übergeben lassen. Da wissen Sie doch, was Sie auszusagen haben.‘ Diese Forderung, eine dem Rajk-Protokoll entsprechende Aussage zu machen, um den Rajk-Prozess in Berlin zu kopieren, wurde dann im Laufe der ‚Vernehmung‘ von Mielke und anderen ständig wiederholt. Dabei wurden die mannigfaltigsten Methoden des physischen und psychologischen Druckes angewandt.“36

Auch Leo Bauer wurde im Gefängnis von Mielke aufgesucht und über die Durchführung eines Prozesses in der Art der Verfahren gegen Rajk und Kostoff unterrichtet. Der ostdeutsche Schauprozess sollte nach Mielkes Angaben „spätestens im Februar 1951 gegen Merker, Ende, Kreikemeyer, Goldhammer“ und Bauer geführt werden. Wie Fritz Sperling später berichtete, waren in den Verhören Faustschläge, Schläge mit Gegenständen, stundenlanges Stehen und Fesselungen üblich. Auf diese Art und Weise versuchte man, ihn zur Belastung mehrerer SED-Funktionäre wegen angeblicher Agententätigkeit und Zusammenarbeit mit der Gestapo zu zwingen.37 Für das Ausbleiben des geplanten ostdeutschen Schauprozesses waren aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl innenpolitische als auch außenpolitische Motive entscheidend. Es wurden zwar Verfahren durchgeführt, nicht aber in Form eines großen öffentlichen Schauprozesses: Bernd Steinberger, Erika Wallach, Kurt Müller und Bruno Goldhammer wurden nach Moskau überstellt, dort zum Tode verurteilt und später zu 25 Jahren Haft begnadigt. Sie kamen erst Mitte und Ende der fünfziger Jahre frei und mussten – sofern sie nicht in die Bundesrepublik übersiedelten – zu ihren Erlebnissen schweigen.38 Selbst aus der Sicht eines überzeugten „Tschekisten“ wie Erich Mielke hätte die Veranstaltung eines großen Schauprozesses sehr gefährliche persönliche Folgen nach sich ziehen können. Eine bedeutsame Rolle spielte dabei die Verbindung zwischen Mielke und Willi Kreikemeyer, die sich im Spanischen Bürgerkrieg und in Frankreich begegnet waren. Im Oktober 1949 hatte Kreikemeyer für die ZPKK 35 36 37 38

Otto, Erich Mielke, S. 542–546. Zit. nach Weber, Politische Säuberungen, S. 123 f. Weber, Schauprozess-Vorbereitungen, S. 464–466. Keßler, Die SED und die Juden, S. 82.

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einen Bericht über seine Kontakte zu Noel Field angefertigt und dabei in einer Anlage über 200 Deck- und Klarnamen deutscher, österreichischer und italienischer Kommunisten genannt, die während ihres französischen Exils von Kreikemeyer mit Geldern Fields unterstützt worden waren – unter ihnen auch Erich Mielke alias „Fritz Leistner“ bzw. „Fritz Leissner“. Im Juni 1950 zwang Hertha Geffke Kreikemeyer vor dem Untersuchungsausschuss der ZPKK zur Enthüllung der Identität von „Leistner“ und zahlreichen weiteren Genossen, die auf Kreikemeyers Liste genannt worden waren. Kreikemeyer wusste, dass Mielke – hinter Staatssicherheitsminister Zaisser der zweitmächtigste Mann im MfS – Westemigrant war, während seines Exils in Frankreich einen Ausreiseantrag nach Mexiko gestellt und Gelder einer als amerikanische Agentenzentrale verdächtigten Organisation erhalten hatte. Kreikemeyer machte Mielke indirekt auf sein Wissen aufmerksam, indem er einen in der Haft verfassten Brief, der an Mielke übergeben werden sollte, an „Staatssekretär Leistner“ adressierte. Möglicherweise sind Kreikemeyers Verschwinden und seine nach wie vor mysteriösen Todesumstände nur unter Berücksichtigung der potentiellen Bedrohung erklärbar, die er für Mielke darstellte.39 Aber auch außenpolitische Erwägungen ließen einen ostdeutschen Schauprozess wahrscheinlich nicht opportun erscheinen, denn ein Schauprozess kurz nach Gründung der DDR wäre für die Reputation des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden alles andere als zuträglich gewesen. Durch den Tod von Bertz, Kreikemeyer und Ende (er verstarb 1951 in einem Betrieb des Uranbergbaus40) fielen zudem mehrere potentielle Angeklagte aus und man hät39 Kießling, Willi Kreikemeyer, S. 8 f., 24 f., 27; Otto, Erich Mielke, S. 64, 70–72, 82–85, 88 f., 145–149, 524. Wilfriede Otto weist Wolfgang Kießlings Vermutung, dass es sich bei Kreikemeyers Suizid um eine nachträgliche Fälschung des MfS handelte, zwar nicht ausdrücklich zurück, hält einen Freitod aufgrund persönlicher Verzweiflung, Bedrohung und Demütigung aber für plausibel. Kreikemeyers Spur verliert sich bereits wenige Tage nach seiner Verhaftung. Im Gegensatz zu den übrigen Verhafteten gibt es über Kreikemeyer weder Akten, Protokolle, Zeugenaussagen, Anklagematerial etc. Leo Bauer berichtete nach seiner Haftentlassung, er habe noch im Dezember 1951 im Gefängnis Klopfzeichen mit Kreikemeyer ausgetauscht. Westliche Medien berichteten, Kreikemeyer sei zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und nach Moskau abtransportiert worden, im Gefängnis Berlin-Lichtenberg verstorben oder weiterhin in Brandenburg inhaftiert. Im September 1953 ordnete Erich Mielke die Vernichtung von Kreikemeyers Utensilien an, die ihm bei der Einlieferung in die Haftanstalt abgenommen worden waren. Das MfS legte Kreikemeyers Todestag im Oktober 1954 auf den 31. 8.1950 – sechs Tage nach Haftantritt – fest und bemühte einige Zeugen, die Kreikemeyers angeblichen Selbstmord durch Erhängen schriftlich bestätigen sollten. Es gab weder einen ärztlich beglaubigten Totenschein, noch Hinweise auf den Verbleib von Kreikemeyers Leiche. Im Entwurf für eine Information des MfS, die 1955 mit größter Wahrscheinlichkeit für die SED-Führung angefertigt wurde, hieß es wiederum, Kreikemeyer sei „nach Auskunft der zuständigen Organe der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken [...] während seines Aufenthaltes im Gefängnis erkrankt und am 27. Januar 1955 verstorben“. Die endgültige Fassung des Schreibens enthielt kein Datum. Vgl. Kießling, Willi Kreikemeyer, S. 22 f., 29, 37, 39, 44–49, 53. 40 Lex Ende war als Buchhalter im VEB Hüttenwerk Muldenhütten tätig und verstarb am 15.1.1951 an Herzschlag. Es gibt weder Hinweise auf einen unnatürlichen Tod, noch

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te Zeit benötigt, um neue Opfer ausfindig zu machen und für ihre Rolle zu präparieren. Die Auswirkungen eines Schauprozesses auf die noch bestehenden Ambitionen zur Wiedervereinigung Deutschlands wären zu einer Zeit, als die Sowjetunion Vorschläge zur Schaffung eines wiedervereinigten, neutralen Deutschland unterbreitete, äußerst negativ gewesen. Im Gegensatz zu den jugoslawischen Anrainerstaaten Ungarn, Rumänien und Bulgarien, dem traditionell antirussischen Polen und der unbesetzt gebliebenen Tschechoslowakei bestand aus sowjetischer Sicht für die DDR möglicherweise eine geringere Notwendigkeit zur Durchführung von Schauprozessen, um tatsächliche und potentielle Gegner einzuschüchtern.

2.

Säuberungsziele in Sachsen-Anhalt

2.1

Westemigranten und Kriegsgefangene

Während des Rajk-Prozesses im September 1949 sorgte die lokale Parteipresse für die Verbreitung der im Prozess vorgebrachten Verschwörungstheorien. Der politischen Zielrichtung des Verfahrens entsprechend kamen Titos Funktion als Auftraggeber subversiver Aktionen und Rajks angebliche Tätigkeit im Dienst westlicher Geheimdienste zur Sprache.41 Verstärkt wurde die Wirkung des Rajk-Prozesses in Sachsen-Anhalt seit Oktober 1949 durch die Vorbereitung eines Schauprozesses gegen Dr. Leo Herwegen (Arbeits- und Sozialminister von Sachsen-Anhalt, CDU) und Prof. Dr. Willi Brundert (Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt, SED). Brundert, der vor 1933 der SPD angehört hatte und nach seiner Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft im Wirtschaftsministerium und als Professor an der Martin-Luther-Universität tätig wurde, sollte in Sachsen-Anhalt als Anknüpfungspunkt für die Intensivierung der Säuberungen unter früheren Sozialdemokraten, Mitarbeitern der Landesregierung und der Martin-Luther-Universität dienen. Besondere Bedeutung besaß in diesem Zusammenhang Brunderts Aufenthalt in eng-

41

kann man davon ausgehen, dass Ende schwere Zwangsarbeit leisten musste. Sein Tod wurde aber mit größter Wahrscheinlichkeit durch die erfahrenen Demütigungen und die damit verbundene psychische Belastung beschleunigt. Lex Ende versuchte sich immer wieder vor Arbeitskollegen zu rechtfertigen und wollte im ZK vorsprechen, vermutlich um seine Rehabilitierung zu erreichen. Vgl. Keßler, Die SED und die Juden, S. 72–74. Freiheit vom 14. 9.1949 („Titos Spione waren in Ungarn am Werk. Das Ende einer Verschwörung gegen Ungarn“); 17. 9.1949 („Die Titobande auf der Anklagebank in Budapest. Der Tito-Spion Rajk enthüllt einen ungeheuerlichen Anschlag auf den Weltfrieden“); 19. 9.1949 („Titospione gestehen ihre Verbrechen ein“; „Titos Anschlag gegen Ungarn“); 20. 9.1949 („Verbrecher“; „Aufschlussreiche Geständnisse der Tito-Spione“); 22. 9.1949 („Todesstrafe für Titos Spione in Ungarn beantragt. Wieder ein hoffnungsloser Versuch der geschichtlichen Rückentwicklung gescheitert“); 23. 9.1949 („Titos Spione heucheln Reue“); 26. 9.1949 („Das Gericht der Geschichte brach den Stab. Drei Todesurteile im Prozess gegen die Tito-Spione. Staatsanwalt legt Berufung gegen zu mildes Urteil ein“); 27. 9.1949 („Tito-Verrat – Teil eines internationalen Komplotts“).

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lischer Kriegsgefangenschaft und seine Lehrtätigkeit in der westlich von London gelegenen Lagerschule Wilton Park, wo er im Rahmen der antifaschistischen Umerziehung deutscher Kriegsgefangener gearbeitet hatte. Mit dem Hinweis auf die angeblichen Verbrechen der „Herwegen-Clique“, über die weiter unten berichtet werden soll, und die späte Entlarvung „solcher Agenten der Feinde wie Brundert“, forderte Bernard Koenen im Vorfeld der Landesdelegiertenkonferenz (2.–4. Dezember 1949) erneut den „rücksichtslosen Kampf um ideologische Klarheit und Wachsamkeit“ in der SED.42 Am 2. Dezember 1949 führte Koenen in seinem mehrstündigen Rechenschaftsbericht u. a. aus, die Entlarvung von Herwegen und Brundert bestätige die Lehren des Rajk-Prozesses, über den die Mitgliedschaft bislang ungenügend aufgeklärt worden sei. Man habe in letzter Zeit einiges erfahren über die Methoden, die von den Westmächten zur Anwerbung von Agenten in Kriegsgefangenenlagern angewendet würden. Dies bedeute zwar keine generelle Verdächtigung von Parteigenossen, die sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden hätten, Vorsicht sei wegen der in die Verwaltungen, Massenorganisationen und Parteien eindringenden Agenten jedoch angebracht. Mit höchster Wachsamkeit müsse man auch „Trotzkisten“ und „Schumacher-Leuten“ als den „ausgesuchtesten Handlangern der Monopolkapitalisten“ begegnen.43 Walter Ulbricht, der als Vertreter des Politbüros an der Landesdelegiertenkonferenz teilnahm, wurde im Hinblick auf die anvisierten Säuberungsziele noch deutlicher und erklärte dazu in seiner Rede am 4. Dezember 1949: „Der Fall Brundert zeigt uns, wie auf lange Sicht Agenten geschickt werden, die als Kriegsgefangene oder auch als Emigranten usw. in England waren und dort systematisch geschult wurden. Man muss daher die ganze Vorgeschichte jedes einzelnen prüfen. [...] Das gilt nicht nur gegenüber Personen, die aus England kamen, das gilt für Leute aus der jugoslawischen Gefangenschaft, von denen ein Teil geschult wurde und [die] als Agenten der Amerikaner nach Deutschland zurückgekommen sind. Ihr seht, wie notwendig es ist, alles zu tun, um die Wachsamkeit zu verstärken.“44 Bereits am 7. November 1949 war der LPKK von der ZPKK ein „Plan zur Überprüfung der Genossen aus der westlichen Emigration und Kriegsgefangenschaft“ zugegangen.45 Wie die Anfang November 1949 erstellten Berichte der 42 Freiheit vom 2.12.1949 („In fester Verbundenheit mit den Massen. Durch Kritik und Selbstkritik zu neuen Erfolgen. Von Bernard Koenen, Landesvorsitzender der SED Sachsen-Anhalt“). 43 Freiheit vom 3.12.1949 („Unsere Partei die führende Kraft. Rechenschaftsbericht des Genossen Koenen“); 10.12.1949 („Bericht und Aufgabenstellung des Genossen Bernard Koenen vor den Delegierten der Landeskonferenz am 2. bis 4. Dezember 1949 im Volkspark in Halle“). 44 Freiheit vom 9.12.1949 („Aktuelle Fragen der Politik. Aus der Rede von Walter Ulbricht, Mitglied des Politbüros und Vorsitzender des Sekretariats der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf der Landes-Delegiertenkonferenz der SED für Sachsen-Anhalt am 4. Dezember 1949“). 45 Protokolle über Sitzungen der LPKK April–Dez. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/13a, Bl. 40).

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KPKKs zeigen, spielte die durch den Rajk-Prozess angestoßene Entwicklung an der Basis zunächst noch keine Rolle. So stellte die KPKK Jerichow II fest, dass „der Kampf gegen Opportunismus, Trotzkismus und Sektierertum im Kreisgebiet nicht mit aller Schärfe geführt“ und „in noch keiner Versammlung zum Rajk-Prozess“ Stellung genommen worden sei. Die KPKK Leuna merkte selbstkritisch an, dass man die Entwicklung in Jugoslawien in der Diskussion zur nationalen Frage zu wenig beachtet habe und übergab der LPKK eine 15 Namen umfassende Liste von Belegschaftsmitgliedern, die aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt waren. Allein die KPKK Halberstadt hielt sich zugute, dass der Kreisvorstand bei Einstellungen „sehr vorsichtig und wachsam“ sei und „Heimkehrer aus Jugoslawien und den Weststaaten [...] bisher nicht in höhere Funktionen“ übernommen habe.46 Die Diskussionen in den Kreisen bewegten sich im November 1949 vorwiegend um die HO, das Verhältnis zur Sowjetunion sowie um die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. In Diskussionen traten mehrfach Redner auf, die einen deutschen Weg zum Sozialismus forderten und die Entwicklung der SED zur „Partei neuen Typus“ ablehnten. Solche Anschauungen wurden als „trotzkistisch“ und „antisowjetisch“ gebrandmarkt und führten etwa in der SED-Betriebsgruppe der Eisengießerei Torgau zur Entfernung von Leitungsmitgliedern. Die KPKKs wurden dazu angehalten, „negativ“ auftretende und „trotzkistische Auffassungen“ vertretende Mitglieder und Funktionäre zu melden.47 Trotz vereinzelter Hinweise auf oppositionelle Anschauungen musste sich die LPKK im Dezember 1949 letztlich eingestehen, dass es im SED-Landesverband Sachsen-Anhalt keine parteifeindlichen Gruppierungen gab.48 In dem bereits erwähnten „Plan zur Überprüfung der Genossen aus der westlichen Emigration und Kriegsgefangenschaft“ vom 7. November 1949 wurden die bevorstehenden Überprüfungen als „ernste Aufgabe“ bezeichnet, die so gelöst werden müsse, dass sie zur Festigung der Partei beitrage. Ausdrücklich einbezogen wurden auch die aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Parteimitglieder. Um die Überprüfungen bis zum 1. März 1950 durchführen zu können, sollten die ZPKK und LPKKs jeweils mindestens zwei Prüfungsausschüsse bilden. Vor Beginn ihrer Tätigkeit mussten sich die dafür ausgewählten Genossen einem dreitägigen Schulungskurs unterziehen, in dem folgende Themen behandelt wurden: 1. Lehren und Erfahrungen des Kampfes der KPdSU(B) gegen die Feinde der Partei. 2. Entschliessung des Informbüros zum Verrat der Tito-Clique und die Rolle der Tito-Bande. 3. Die Verhältnisse in der vergangenen Emigration. 46 Berichte der KPKK über Verschmelzungsprozess in der Partei Okt.–Nov. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/107, Bl. 56, 80, 138 f., 143). 47 Ebd., Bl. 10, 40, 48 f. 48 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/385, Bl. 102, 152.

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4. Methoden der Anglo-Amerikaner in der Beeinflussung der Kriegsgefangenen und ihre Heranbildung von Agenten. 5. Die Arbeit des Ostbüros und anderer Agenturen.49 Nach den Bestimmungen des Plans sollten der zentrale Parteiapparat, die Landesvorstände, Kreisvorstände in den Zonengrenzkreisen sowie die Parteipresse und Parteiverlage überprüft werden, außerdem der Regierungsapparat, die Landesregierungen, Industrieleitungen, Leitungen in Verkehr und Handel, Massenorganisationen, FDGB-Industriegewerkschaften, FDJ-, DFD- und Konsumleitungen, ferner leitende Funktionäre in den Kommunalverwaltungen der Kreise und kreisfreien Städte. Die Ermittlungen stützten sich zunächst auf Personalakten, die bei Bedarf durch schriftliche Ergänzungen und im Protokoll festgehaltene Aussprachen ergänzt werden sollten. Zugleich enthielt der Plan die Anweisung, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, ob es in Leitungen und Behörden eine übermäßig hohe Konzentration von Genossen gab, die ihre Emigrationszeit bzw. Kriegsgefangenschaft in denselben Ländern verbracht oder früher abweichende Auffassungen vertreten hatten.50 Die bald darauf erstellten Listen enthielten die Namen prominenter wie auch einfacher Parteimitglieder, die sich in westlicher Gefangenschaft oder Emigration befunden hatten.51 Verzeichnisse englischer und amerikanischer Kriegsgefangenenlager gaben vereinzelt Hinweise auf Aktivitäten, die man als subversiv einschätzte: Zum amerikanischen Lager Campbell wurde beispielsweise vermerkt, dass es sich bei den Mitarbeitern der dortigen Kriegsgefangenenzeitung um „Agenten und Trotzkisten“ gehandelt habe. In der „KriegsgefangenenHochschule“ des Lagers Fort Getty (Rhode Island) sollen die Schüler Aufträge erhalten haben, in Fort Wetherill (Rhode Island) soll „ausgesprochene Sowjethetze“ betrieben worden sein. Zum englischen Lager Ascot hieß es, dort habe eine „Vorbereitung für Agenten- und Spionagetätigkeit“ stattgefunden, bei der man u. a. Trotzkis Autobiographie als Literatur verwendet habe. Die in Ascot geschulten Kriegsgefangenen hätten später für das Ostbüro der SPD gearbeitet. Inspirator der Schulung sei der Trotzkist Bernhard Menne gewesen, der 1924 im Auftrag von Ruth Fischer die Chefredaktion des halleschen Parteiorgans „Klassenkampf“ übernommen und sich nach seinem Ausschluss aus der KPD (1928) der SPD angenähert hatte.52 Bei nüchterner Betrachtung hätten die Schulungen in den amerikanischen Lagern Fort Getty, Fort Wetherill und Fort Eustis (Virginia) keinen Anlass zur Sorge bieten dürfen, denn sie erfassten Kriegsgefangene, die für ihre künftigen Aufgaben als Verwaltungsfachleute und Polizisten in der amerikanischen Besat49 Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 6 f.). 50 Ebd., Bl. 6–8. 51 Namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3, Bl. 1–24, 54–57, 61–66). 52 Ebd., Bl. 75–79; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 15, 17, 48, 53, 56; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 218.

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zungszone ausgebildet wurden. Darüber hinaus endeten die letzten Schulungen in diesen Lagern bereits im Winter 1945 oder spätestens im Frühjahr 1946, als sich das amerikanisch-sowjetische Zerwürfnis erst zu entwickeln begann. Entgegen dem offiziell geäußerten Vorwurf, die Westalliierten hätten in ihren Lagern Agenten ausgebildet, berichtete ein SED-Mitglied aus Halle im Dezember 1949 über den Inhalt der Schulung deutscher Kriegsgefangener in amerikanischen Gefangenenlagern: „Innerhalb [des] Lagers wurde von amerikanischer Seite eine demokratische Umschulung durchgeführt. Auf Grund der wenigen Teilnehmer wurde es ein Zwang, diese demokratische Umschulung zu besuchen. [...] In den demokratischen Umschulungen wurden zuerst Filme gezeigt, in denen die Entwicklung der Vereinigten Staaten in kultureller, technischer und wissenschaftlicher Hinsicht zum Ausdruck kam. Dann ging man dazu über, die Form der Demokratie der Vereinigten Staaten zu behandeln und als einzig richtige Form zu erklären. Diskussionen hierüber wurden von seiten der Kriegsgefangenen so gut wie nicht geführt, denn diese Art der Umschulung hinterließ bei den Kriegsgefangenen wenig Eindruck.“53

Solche und ähnliche Schilderungen gingen den Untersuchungskommissionen in Sachsen-Anhalt auch von zahlreichen anderen ehemaligen Kriegsgefangenen zu. Die Gefangenen wurden über die amerikanische Verfassung und amerikanische Geschichte belehrt, man zeigte ihnen Spiel- und Dokumentarfilme, in denen u. a. Verbrechen in deutschen Konzentrationslagern thematisiert wurden. Ein ehemaliger Gefangener, der 1949 beim FDGB-Landesvorstand Sachsen-Anhalt arbeitete, berichtete, dass der für die demokratische Umerziehung zuständige amerikanische Offizier versucht habe, „die sich weiter entwickelnden anti-sowjetischen Tendenzen“ unter den Gefangenen zu unterbinden und das beginnende Zerwürfnis mit der Sowjetunion „nicht in Erscheinung treten zu lassen“. Es war der Initiative des amerikanischen Offiziers zuzuschreiben, dass im Lager russischer Sprachunterricht erteilt wurde.54 Eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen der ZPKK und LPKK spielte die britische Kriegsgefangenenschule Wilton Park, in die nach Angaben eines ehemaligen Kriegsgefangenen allein aus Lagern in Ägypten und Libyen etwa 300 Gefangene geschickt worden sein sollen. Nach Einschätzung der ZPKK gelangten aus dem ägyptischen Lager El Daba „auch ehemalige Gestapospitzel [...] nach England auf die Wiltonpark-Schule“, wo sie Aufträge für ihren Einsatz in Westdeutschland und Westberlin erhalten hätten. Unter den Schülern seien keine KPD-Genossen gewesen und es habe wenig marxistische Literatur zur Verfügung gestanden. Ziel der Schulung unter der Leitung eines „Oberst im Spionagedienst“ namens Köppler sei die „Vorbereitung für Agenten-, Presse- und Rundfunkdienste“ gewesen. Aus der Sicht der ZPKK machte sich Köppler auch dadurch verdächtig, dass er nach Darstellung eines Wilton-Park-Absolventen seine Schüler darum bat, nach ihrer Entlassung weiterhin schriftlich mit ihm in 53 Überprüfungsberichte Dez. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/34, Bl. 30). 54 Ebd., Bl. 41.

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Verbindung zu bleiben. Die ehemaligen Kriegsgefangenen sollten außerdem von britischen Behörden angeschrieben werden und um Berichte über ihre Eindrücke in Deutschland und ihre persönliche Entwicklung gebeten werden.55 Die Gründung der Lagerschule Wilton Park ging auf Winston Churchill zurück, der 1944 eine Beteiligung Großbritanniens am Wiederaufbau der Demokratie in Deutschland gefordert hatte. Auch die nach dem Krieg amtierende Labour-Regierung und besonders Außenminister Ernest Bevin hielten an dieser Zielsetzung fest. Zwischen Januar 1946 und Juni 1948 durchliefen mehr als 4 000 deutsche Kriegsgefangene Wilton Park. Die Lagerschule stand unter der Leitung des deutsch-jüdischen Emigranten Dr. Heinz Köppler, der von Anfang an offene, freie Diskussionen förderte. Die Atmosphäre in Wilton Park entsprach nicht der eines Kriegsgefangenenlagers, sondern erinnerte vielmehr an das Internat einer Hochschule. Für die humane und offene Atmosphäre des Lagers spricht auch die Tatsache, dass keiner der Gefangenen (überwiegend Akademiker, aber auch Offiziere und jüngere Soldaten) seine Bewegungsfreiheit außerhalb des Geländes zur Flucht nutzte. Der Unterricht bezog sich vor allem auf die Themen Demokratie, englische Landeskunde, deutsche Geschichte, deutsches Recht, Wirtschaft, Handelspolitik und den Nürnberger Prozess. Das Lehrerkollegium bestand zum Teil aus meist sozialdemokratisch orientierten deutschen Emigranten, zum Teil aus Engländern. Wilton Park wurde regelmäßig von Mitgliedern der britischen Regierung, von Parlamentariern, Intellektuellen (so z. B. Bertrand Russell) und hochrangigen Vertretern der britischen Wirtschaft besucht, die Vorträge hielten und mit den Gefangenen Gespräche führten. Der im Oktober 1949 verhaftete Sozialdemokrat Willi Brundert war einer der ersten deutschen Kriegsgefangenen in Wilton Park und als Leiter eines satirischen Puppentheaters, das Direktor Köppler und sein Kollegium aufs Korn nahm, sicherlich einer der prominentesten.56 Über andere englische Lager wurde den Kontrollorganen bekannt, dass im Lager Nr. 306 eine „Universität“ gegründet worden war, an der Funktionäre der Labour-Party Vorlesungen hielten. Als einige kommunistische Gefangene den Versuch unternahmen, mit den Labour-Funktionären über den historischen Materialismus zu diskutieren, wurde dies von der englischen Lagerleitung unterbunden und mit der Verhängung von Strafarbeiten geahndet.57 Aus Berichten ehemaliger Kriegsgefangener ging außerdem hervor, dass Kurt Schumacher 1946 beim Besuch eines Gefangenenlagers eine Rede gehalten hatte, in der er sich zur Kriegsschuld Deutschlands und zu einem Wirtschaftsbündnis mit den Westalliierten bekannte. Seine Ausführungen über die Verhältnisse in der SBZ sollen die Gefangenen stark beeindruckt und zahlreiche aus der SBZ stammende Lagerinsassen dazu bewogen haben, für ihre bevorstehende Entlassung Ad55 Ebd., Bl. 35; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 17, 57; DY 30/IV 2/4/95, Bl. 3, 41 f. 56 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 31–36; SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/4/95, Bl. 2 f., 34, 39–42; http://www.wiltonpark.org.uk/web/about/wphistory.html (Stand vom 18. 5. 2003).

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ressen von Bekannten in Westdeutschland anzugeben. Viele ehemalige Gefangene bescheinigten ihren englischen Bewachern und auch englischen Zivilisten faires Verhalten und politische Toleranz: So berichtete ein ehemaliger Kriegsgefangener von den Bemühungen englischer Quäker, die sich um das Wohlergehen der Gefangenen sorgten und auch „der sich anbahnenden sowjetfeindlichen Propaganda entgegentraten“. Aufgrund der prosowjetischen Haltung der englischen Quäker ließ sich daraus wohl kaum eine Verbindung zu dem Quäker Noel Field und seinem „Unitarian Service Committee“ konstruieren.58 Im Lager Ascot, wo sich vor allem Gefangene aus der Strafdivision 999 befanden,59 bewiesen der englische Lagerkommandant Major Steed und sein amerikanischer Kulturoffizier ein außergewöhnlich hohes Maß an Liberalität und politischer Toleranz, indem sie die politischen Aktivitäten kommunistischer Gefangener förderten. Ein ehemaliger Gefangener berichtete dazu: „Captain Sauter, der die kulturelle Betreuung der Lagerinsassen hatte, [...] besorgte Bücher für die Bibliothek und vieles Andere. So wird der Außenstehende erstaunt sein, dass wir außerordentlich viele Bücher von russ[ischen] Schriftstellern der Jetztzeit, Marx, Engels, Lenin u.v. [und vieles] Andere im Lager hatten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Sozialistische Gruppe im Lager die aktivste war. Die Posten waren fast ausschließlich von Männern besetzt, die der KPD angehörten oder ihr nahe standen. Dies muss auch dem engl[ischen] Lagerführer bekannt gewesen sein und zu gern hätte ich heute einmal erfahren, welche Rolle dieser Major Steed dabei spielte. War er engl[ischer] Kommunist?“60

In einigen Lagern unternahmen die Briten kurz vor Kriegsende den Versuch, deutsche Kriegsgefangene als Fallschirmagenten für den Einsatz in Deutschland zu rekrutieren. Sie verfolgten dabei aber weder antisowjetische Absichten, noch versuchten sie, die Nachkriegsordnung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Im Interesse einer raschen Niederwerfung Deutschlands waren sie zur Zusammenarbeit mit kommunistischen deutschen Kriegsgefangenen bereit, ohne die mit der Sowjetunion vereinbarten Interessensphären in Frage zu stellen. Ein hochrangiger Mitarbeiter des FDGB-Landesvorstands Sachsen-Anhalt, der sich 1944/45 in einem britischen Kriegsgefangenenlager in Belgien befunden hatte, berichtete 1949: „Hier [im Lager, F. H.] wurde ich zum ersten Mal von einem Offizier des Secret-Service politisch verhört. [...] Ich antwortete ihm, dass ich Kommunist sei und in Deutschland illegal gearbeitet habe. Daraufhin richtete er an mich die Frage, ob ich gewillt sei, mit einem Sabotagetrupp hinter der deutschen Linie abzuspringen. Ich gab meine Zustimmung und bat ihn, mich möglichst in der Breslauer Umgebung einzusetzen, da ich die Hoffnung hatte, mich dann zu meiner illegalen Gruppe in Breslau durchzuschlagen. 57 Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 242). 58 Überprüfungsberichte Dez. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/34, Bl. 31, 41, 51). 59 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 53. 60 Überprüfungsberichte Dez. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/34, Bl. 78).

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Er antwortete mir, dass er diesen Wunsch nicht erfüllen könne, da Breslau unter der Einflusssphäre der Sowjets läge. [...] Ihn interessierten vor allem Angaben über unsere illegale Arbeit. Ferner wollte er wissen, ob wir hierbei von der Sowjetunion unterstützt worden seien. [...] Eine offensichtliche Hetze gegen die Sowjetunion wurde damals nicht betrieben“61

Im Gegensatz zu zahlreichen Kriegsteilnehmern, die aus englischer Gefangenschaft in die SBZ zurückkehrten, stammten lediglich fünf der auf einer Liste verzeichneten England-Emigranten aus Sachsen-Anhalt. Unter ihnen befanden sich Wilhelm Koenen – vor 1933 Mitglied des Reichstages und ZK-Mitglied – sowie die früheren Mitglieder der KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg Albert Röhr und Heinz Schmidt. Wilhelm Koenen und Heinz Schmidt hatten in England zur Emigrationsleitung der KPD gehört, einer sehr kleinen Gruppe Intellektueller, die zunächst lediglich 15 Mitglieder umfasste und erst nach dem Münchner Abkommen um ca. 280 Exilanten aus der Tschechoslowakei anwuchs. Nach Einschätzung des amerikanischen Geheimdienstes OSS versuchte die Londoner Gruppe unter Wilhelm Koenen, ihren Einfluss auf andere Gruppen auszudehnen und eine Einheitsfront aufzubauen. Als bedeutendsten Erfolg der Londoner KPD-Leute verbuchte der OSS die Gründung des kryptokommunistischen „Freien Deutschen Kulturbundes“ (FDKB) im Frühjahr 1939, dem etwa 1 000 Mitglieder, davon 95 Prozent Juden, angehörten. In mehreren anderen Organisationen wie der „Freien Deutschen Hochschule“, der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) und dem „Kriegshilfe-Komitee der deutschen Flüchtlingsfrauen“ übernahmen KPD-Mitglieder wichtige Ämter. Koenen und Schmidt gehörten außerdem in führenden Funktionen zur „Bewegung Freies Deutschland“ – Koenen als Vizepräsident und Schmidt als Sekretär. Die Unterlagen der LPKK enthielten in Bezug auf Schmidt den Vermerk, er habe „ausgedehnte Verbindung mit britischen Kreisen und Regierungsstellen“ unterhalten.62 Dies musste umso bedenklicher erscheinen, da der OSS und der britische MI 5 in der Endphase des Zweiten Weltkrieges versucht hatten, Mitglieder der „Bewegung Freies Deutschland“ in das Reich einzuschleusen. Ein OSS-Offizier namens Joseph Gould erhielt den Auftrag, sieben antifaschistische deutsche Emigranten für Geheimaufträge ausfindig zu machen. Die von Gould ausgewählten Kandidaten stammten alle aus der Arbeiterschaft, verfügten über Erfahrungen in illegaler politischer Tätigkeit und waren vor ihrer Emigration in deutschen Gefängnissen inhaftiert gewesen. Sie erhielten ein achtwöchiges Agententraining, eine kurze Fallschirmausbildung und sprangen Mitte April 61 Ebd., Bl. 50 f. 62 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/92, Bl. 1, 11; DY 30/IV 2/4/94, Bl. 18 f., 27, 34; namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3, Bl. 12, 18, 20, 25 f.); Söllner (Hg.), Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland, S. 263 f. Die „Bewegung Freies Deutschland“ war eine Reaktion auf die am 13. 7.1943 in der Sowjetunion erfolgte Gründung des „Nationalkomitees Freies Deutschland“(NKFD). Es bildeten sich daraufhin 1943/44 auch in anderen Ländern Gruppen der „Bewegung Freies Deutschland“.

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1945 bei Berlin, Leipzig, im Ruhrgebiet und den bayerischen Alpen ab. Ihr Auftrag lautete, Informationen über Truppenbewegungen, Rüstungsbetriebe und die Stimmung der deutschen Bevölkerung zu beschaffen und diese nach England zu funken. Da der Einsatz zu spät erfolgte und zwei der abgesetzten Agenten den Tod fanden, war er weitgehend sinnlos.63 Unter den ausgewählten deutschen Kommunisten befand sich auch das frühere Mitglied der KPDBezirksleitung Halle-Merseburg Albert Röhr, der sich den Amerikanern auf Vorschlag der deutschen Emigrationsleitung für ein Fallschirmtraining zur Verfügung stellen sollte. Unter den Decknamen „Adolf“ bzw. „Heinz Blum“ war Röhr bis 1933 Leiter des AM-Apparats der KPD Halle-Merseburg gewesen und besaß dementsprechende militärische und nachrichtendienstliche Kenntnisse. Wie Röhr im November 1949 angab, beschlich ihn bei der Vorstellung, in amerikanischem Auftrag über dem Reichsgebiet abzuspringen, ein ungutes Gefühl, da er „dann als Agent der Amerikaner gegolten hätte“. Eine starke Erkältung machte Röhrs Einsatz zunichte und bewahrte ihn nach eigener Einschätzung „vor dem Schicksal anderer, die entweder bei dem Einsatz umgekommen sind, oder heute mit besonderen Augen angesehen werden“.64 Die nach England emigrierten deutschen Kommunisten schlossen sich mit Emigrantengruppen aus mehreren anderen Ländern im „International Centre“ zusammen, zu dessen Vorsitzenden in Birmingham der Hallenser Albert Röhr gewählt wurde. Aufgrund von Querelen mit britischen Behörden, die Einfluss zu nehmen versuchten und die Mitglieder der Emigrantenvereinigung zur Beibringung von jeweils zwei Bürgen verpflichten wollten, trat das „International Centre“ effektiv aber nie in Erscheinung.65 Dem Bericht von Albert Röhr zufolge unterhielt die deutsche Gruppe neben Verbindungen zu tschechischen und österreichischen Emigranten vor allem zur englischen Konsumgenossenschaft und englischen Kirchengemeinden engere Kontakte. In Diskussionen mit englischen Christen soll Wilhelm Koenen die unorthodoxe Auffassung vertreten haben, Kommunismus sei nur eine andere Form des Christentums. Die Beziehungen zu französischen und spanischen Gruppen waren weniger intensiv und zur britischen KP gab es „nur eine getarnte Verbindung“. Die Arbeit der deutschen Emigrantengruppe bestand vor allem darin, Versammlungen abzuhalten, Schulungen durchzuführen und bei Veranstaltungen befreundeter Organisationen Referenten zu stellen. Es wurden Sammlungen zugunsten der Roten Armee veranstaltet, Frauen strickten warme Wintersachen für sowjetische Soldaten.66

63 Goldstein, Drei Berliner sprangen über Berlin ab. 64 BStU, MfS-HA IX/11 SV 1/81, Band 278, Bl. 98, 100; Kaderakte Albert Röhr (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/938, unpaginiert; Lebenslauf Röhrs vom 18.11.1949). 65 Kaderakte Albert Röhr (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/938, unpaginiert; Lebenslauf Röhrs vom 18.11.1949; Ergänzung zum Lebenslauf vom 24. 3.1953). 66 Ebd. Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 115); Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 188.

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Als Gesamteinschätzung der englischen Emigration fand sich im Material der ZPKK und LPKK der Hinweis, die Emigranten seien durch das „Unitarian Service Committee“ unter der Leitung von Noel Field unterstützt worden, „Noel H. Field – Mitarbeiter des Allan Dulles, Leiter des OSS – Office of Strategic Services – europäische Zentrale des amerikanischen militärischen Kundschafterdienstes“.67 Das Misstrauen gegen die deutschen Emigranten in England sollte einige Monate später durch die oben erwähnte Erklärung des ZK und der ZPKK vom 24. August 1950 weiter verstärkt werden. Darin hieß es, Noel Fields Bruder Hermann habe sich an der Evakuierung deutscher und tschechoslowakischer Emigranten nach England beteiligt. Dadurch sei es dem amerikanischen OSS und dem britischen „Intelligence Service“ angeblich möglich gewesen, „umfangreiche personelle Unterlagen über die antifaschistische Emigration und dadurch die für ihre Tätigkeit notwendigen Voraussetzungen“ zu beschaffen.68 Linke Gruppierungen der Emigrationszeit wurden von den Kontrollkommissionen mit Misstrauen betrachtet und hinsichtlich ihrer politischen Orientierung und personellen Zusammensetzung verzeichnet. Dazu zählte die 1939 gegründete Sozialistische Union, der die SOPADE (Exil-SPD), die Gruppe „Neu beginnen“, die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) und die Landesgruppe deutscher Gewerkschaftler (LDG) angehörten. Bei der Sozialistischen Union dominierte nach Einschätzung der ZPKK eine kominternfeindliche Einstellung: Die Gruppe „Neu beginnen“ habe „trotzkistischen Elementen das Auftreten“ erleichtert, die SAP sei „trotzkistisch zersetzt“, beim „kommunistenfeindlich und offen anti-sowjetisch auftretenden“ ISK seien „trotzkistische Argumentationen“ anzutreffen. In der LDG stellten die Kommunisten zwar ein Drittel der Mitglieder, doch die Leitung lag überwiegend in den Händen der SOPADE und der „Renegaten“ vom ISK. Die ZPKK stellte bedauernd fest, dass es in der LDG „keine Auseinandersetzungen mit den Trotzkisten und dem Nur-Gewerkschaftlertum“ gegeben habe. Andere Splittergruppen wie der „Freiheitsbund Deutscher Sozialisten“ und der „Wolf-Nelki-Kreis“ galten ebenfalls als trotzkistisch.69 Im Hinblick auf Sachsen-Anhalt spielten unter den erwähnten Splittergruppen lediglich die SAP und der ISK, der in den dreißiger Jahren über eine illegale Gruppe in Magdeburg verfügt hatte,70 eine gewisse Rolle. „Agenten, Trotzkisten, sonstige fragwürdige Elemente“ sowie Emigranten und Kriegsgefangene mit unbekanntem Aufenthalt wurden auf gesonderten Listen erfasst und mit abwertenden Einschätzungen charakterisiert. Dazu zählten

67 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 18; namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3, Bl. 25). 68 Dokumente der SED, 3. Band, S. 199. 69 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/94, Bl. 21 f., 38, 40 f.; namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/3, Bl. 28–37). 70 Eberhard, Illegal in Deutschland, S. 318.

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Bemerkungen wie „Trotzkist, Maquis-Fallschirmspringer,71 Agent, Nazi-Agent, Fremdenlegionär, demoralisiertes Element, Wiltonpark-Schüler, dunkle Figur, ewiger Meckerer, zweifelhaftes Element, Gestapo-Agentin“ etc.72 Besonders infam war der Vorwurf, sich als „Maquis-Fallschirmspringer“ am antifaschistischen Widerstandkampf beteiligt zu haben, da er die Zugehörigkeit zur französischen Widerstandsbewegung während des Zweiten Weltkrieges kriminalisierte. Frankreich gehörte in den dreißiger Jahren zu den wichtigsten Emigrationsländern für politisch bzw. rassisch verfolgte Deutsche und bot bis 1938 etwa 30 000 deutschen Emigranten Zuflucht. 1938/39 gelangten 2 500 deutsche Mitglieder der Internationalen Brigaden – überwiegend Kommunisten – von Spanien kommend nach Südfrankreich, wo man sie in Lagern internierte. Unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Kommunisten wurde 1941 innerhalb der Résistance die „Travail Allemand“ (TA) gegründet, die unter den Besatzungstruppen antifaschistische Propaganda betreiben und Widerstandsgruppen aufbauen sollte. Im Herbst 1943 kam das „Comité Allemagne libre pour l’ouest“ (CALPO) unter dem Vorsitz des Kommunisten Otto Niebergall hinzu. Um dem Anspruch als parteiübergreifende Vertretung aller deutschen Emigranten in Frankreich, Belgien und Luxemburg zu genügen, wurden die SPD, DVP, DNVP, Zentrumspartei und Gewerkschaften durch jeweils einen Vizepräsidenten repräsentiert. Neben propagandistischen Aufgaben und der Beschaffung militärischer Informationen, beteiligten sich vor allem ehemalige Spanienkämpfer am Partisanenkampf gegen die deutsche Besatzungsmacht.73 Kontakte des CALPO zu französischen Organisationen wie dem Nationalrat der Résistance und dem Comité de la Libération unter Charles de Gaulle trugen ebenfalls zur Stärkung des Misstrauens gegenüber Frankreich-Emigranten bei. In der Endphase des Krieges waren deutsche Antifaschisten für die psychologische Kriegsführung der französischen Armee tätig, um deutsche Soldaten zum Überlaufen zu veranlassen. Im Februar und März 1945 kam das CALPO in Verhandlungen mit Vertretern von US-General Eisenhower überein, deutsche Résistance-Kämpfer – darunter auch ehemalige Spanienkämpfer – in einem dem OSS unterstehenden Trainingslager für den Absprung über Deutschland ausbilden zu lassen. Der geplante Einsatz von 35 Fallschirmagenten erübrigte sich jedoch durch den Kriegsverlauf.74 Neben dem Vorwurf der Agententätigkeit bestanden auch in ideologischer Hinsicht Bedenken, da es der KPDFührung und der Komintern nicht im gleichen Maße wie vor 1933 möglich gewesen war, die Emigranten einer dauernden politischen Kontrolle zu unterziehen. Sie hatten in Frankreich mit ideologisch unterschiedlich ausgerichteten 71

„Maquis“ = „Dickicht, Gebüsch, Gestrüpp“. Bezeichnung für die bewaffnete französische Widerstandsbewegung, die sich in abgelegenen Waldgebieten sammelte. 72 Namentliche Aufstellung von Emigranten und Splittergruppen (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/3, Bl. 62–72); SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/4/92, Bl. 13, 15, 17 f., 31. 73 Leo, Deutsche im französischen Widerstand. 74 Ebd.; http:// www.drafd.de/htdocs/veranst/resist (Stand vom 24. 5. 2003).

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Gruppen verkehrt und vielfältige internationale Kontakte geknüpft. Solche Bedenken schienen sich u. a. durch den folgenden Bericht eines Emigranten aus Oschersleben zu bestätigen: „Im Frühjahr 1933, Ende März, emigrierte ich nach Paris, um mich den Verfolgungen durch die Nazis zu entziehen. [...] Die politische Verworrenheit in der Emigration, die durch das Auftreten trotzkistischer Splittergruppen bis zur Unerträglichkeit gesteigert wurde, veranlasste mich, meine politische Aktivität in die Gewerkschaftsarbeit zu verlagern. Ich wandte mich besonders gegen das intellektuelle Spinnertum, das sich in der Emigration breitmachte und der Emigration jeglichen proletarischen Charakter nahm. Neben den Brandleristen mit ihrem Leo [Trotzki] bestand eine Unzahl von trotzkistischen Gruppierungen wie Landau,75 Bauer,76 Wassermann, Maslow u. a. Jeder dieser Helden nahm für sich in Anspruch, ein zweiter Lenin zu sein. Es bestand ferner eine SAP-Gruppe, die als einzige sich aus proletarischen Elementen zusammensetzte und von Jakob Walcher geführt wurde. In dieser Gruppe habe ich häufig verkehrt. [...] Ich arbeitete meist als Maurer und kam hier mit italienischen Emigrantengruppen, Kommunisten, Maximalisten77 und Bordigisten78 zusammen. [...] Ich konnte mich in Paris auch mit Arabern, die Mitglied des ‚Étoile Nord-Africain‘79 waren, befreunden und den Befreiungskampf ihrer versklavten Heimatvölker studieren. Auch mit jungen indo-chinesischen Revolutionären pflegte ich Umgang.“80 75 Kurt Landau (1903–1937): österreichischer Kommunist, zeitweilig Anhänger von Leo Trotzki, 1927 einer der Gründer der linksoppositionellen KPÖ(O). Landau wurde später aus der KPÖ-Opposition ausgeschlossen und gründete die Kommunistische Opposition – Marxistisch-Leninistische Linke. Er gehörte zusammen mit Trotzkis Sohn Leon Sedow dem Büro der Internationalen Linksopposition (ILO) an, wurde nach Auseinandersetzungen mit Trotzki aber auch aus der ILO ausgeschlossen. 1936 ging er zusammen mit seiner Frau, die Frankreich verlassen musste, nach Spanien. Dort unterhielt er umfangreiche Kontakte zu linken Splittergruppen (u. a. zur SAP) und wurde Mitglied des Internationalen Sekretariats der spanischen POUM, die im Ruf einer trotzkistischen Partei stand. Landau wandte sich gegen eine Zusammenarbeit mit moskautreuen Kommunisten in der Volksfront, wurde 1937 in Barcelona vom sowjetischen Geheimdienst entführt und ermordet. 76 Otto Bauer (5.9.1881–4. 7.1938): Hauptvertreter des Austromarxismus, seit 1934 in Emigration. 77 „Maximalisten“: Zahlenmäßig stärkste mittlere Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens unter der Führung von Giacinto Serrati. Da Serrati auf dem Parteitag von Livorno (15.–21.1.1921) die Annahme der einundzwanzigsten Bedingung für den Beitritt zur Komintern, d. h. den geforderten Ausschluss aller Parteimitglieder, die die Leitsätze der Komintern ablehnten, verweigerte, kam es zur Spaltung. Die linke Fraktion unter der Führung von Amadeo Bordiga und Nicola Bombacci verließ die Partei und gründete die Kommunistische Partei Italiens (KPI). 78 „Bordigisten“: Anhänger des italienischen Linkskommunisten Amadeo Bordiga (1889–1970). Im Juli 1920 trat Bordiga auf dem II. Weltkongress der Komintern als Führer des linken Flügels der Sozialistischen Partei Italiens für die Annahme der Beitrittsbedingungen ein. Später wandte er sich gegen die Stalinisierung der Komintern. Während einer Tagung des EKKI im Februar 1926 verteidigte er als Mitglied der deutschen Kommission die linke KPD-Opposition. Nach dem Zerwürfnis mit Gramsci und Togliatti wurde Bordiga 1930 wegen „Trotzkismus“ aus der KPI ausgeschlossen. 79 „Étoile Nord-Africain“: 1926 gegründete nationalistische Bewegung Algeriens. Der Étoile Nord-Africain forderte die sofortige und bedingungslose Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich und wurde deshalb 1929 und erneut 1937 verboten. 80 Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 219).

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Die antiwestliche Zielrichtung der Untersuchungen wurde Anfang 1950 auch bei der Überprüfung der Grenzkreise Wernigerode, Blankenburg, Gardelegen, Salzwedel, Oschersleben, Haldensleben und Magdeburg deutlich. Die Überprüfung betraf die SED-Kreisvorstände, Stadtverwaltungen, Stadträte, den FDGB und einzelne Betriebe. Als Verdächtige wurden Personen festgestellt, die sich in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten, sowie ehemalige Offiziere bzw. Unteroffiziere der Wehrmacht und NSDAP-Mitglieder.81 Wie der Vorsitzende der LPKK Sachsen-Anhalt, Erich Besser, auf einer Sitzung am 30. Januar 1950 bekannt gab, war es den Mitgliedern und Mitarbeitern der LPKK und KPKKs nicht gestattet, Verbindungen in den Westen aufzunehmen oder bereits bestehende Verbindungen weiter aufrechtzuerhalten.82 Zur selben Zeit dehnten sich die Überprüfungen auf weitere Organisationen und Institutionen aus, die man westlicher Kontakte verdächtigte. Dazu zählten u. a. Mitglieder von Esperanto-Gruppen und frühere Logen-Mitglieder. Begründet wurde dies im Fall der Logen damit, dass sie „international von Amerika aus geleitet“ würden und versucht hätten, vor allem SPD-Funktionäre und Mitglieder der proletarischen Freidenkerbewegung an sich zu binden. Die Logen beabsichtigten, „die fortschrittlichen Kräfte an sich heranzuziehen, um sie von dem konsequenten Kampf der Arbeiterklasse zu entfernen“.83 Ende Januar 1950 konnten die Überprüfungen bei der Landesregierung, den Landesvorständen von SED und FDGB, in der VVN, FDJ, VdgB und DFD, bei der Handwerkskammer, Industrie- und Handelskammer, Post, Reichsbahn sowie den Redaktionen und Verlagen als vorerst abgeschlossen gelten. Lediglich die Konsumgenossenschaft, Versicherungsgesellschaften und ein Teil der landwirtschaftlichen Genossenschaften mussten noch überprüft werden.84 Da die Kontrollkommissionen von manchen Funktionären auf Kreisebene als Konkurrenzorgane oder Bedrohung empfunden wurden, stießen ihre sich ausweitenden Aktivitäten mancherorts auf Widerstand. Auch in der Bevölkerung gab es Beschwerden gegen die Willkür, mit der die Kommissionen Ausschlüsse verhängten, ohne die betreffenden Parteimitglieder vorgeladen und ihnen Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben zu haben. Selbst Wladimir Semjonow fühlte sich deshalb dazu veranlasst, Wilhelm Pieck am 14. Februar 1950 auf die Willkür der ZPKK unter Hermann Materns Leitung hinzuweisen.85

81 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 105–111); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 21. 82 Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/14, Bl. 3). 83 Überprüfungsberichte und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/45, Bl. 1); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 44. 84 Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/14, Bl. 1). 85 Badstübner/Loth (Hg.), Wilhelm Pieck, S. 334.

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2.2

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Sozialdemokraten

Der im April 1950 veranstaltete Schauprozess gegen den sachsen-anhaltischen Arbeitsminister Dr. Leo Herwegen (CDU) und den stellvertretenden Wirtschaftsminister Prof. Dr. Willi Brundert (SED, früher SPD) sollte als Anlass für weitere Säuberungen dienen, die sich vor allem gegen Sozialdemokraten, zum Teil auch gegen frühere Mitglieder kommunistischer Splittergruppen richteten. Auf Initiative des Vorsitzenden der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKSK), Fritz Lange, waren am 28. Oktober 1949 mehrere Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrates der Deutschen Continentalen Gas Gesellschaft (DCGG) wegen angeblicher Verschiebung von Vermögenswerten in den Westen verhaftet worden. Unter dem Vorwurf, die beabsichtigte Enteignung der Gesellschaft hintertrieben zu haben, erfolgte am selben Tag auch die Verhaftung von Brundert und Herwegen. Die Verhafteten wurden kurz darauf von Halle in das Gefängnis Gommern (bei Magdeburg) überführt, das Gefangenen der ZKSK vorbehalten war, dort in Sträflingsanzüge eingekleidet und voneinander isoliert. Brundert sollte in endlosen Tag- und Nachtverhören mürbe gemacht und zu den gewünschten Aussagen gezwungen werden. Fritz Lange ermahnte Brundert zur Zusammenarbeit und wies ihn darauf hin, dass er in dem bevorstehenden Prozess eine ähnliche Rolle zu spielen haben werde wie der als Kronzeuge der Anklage dienende Wissenschaftler Leonid Ramsin im sowjetischen „Industriepartei-Prozess“ von 1930. Andernfalls drohe ihm die Todesstrafe. In der Zeit vom 6. Dezember bis 12. Dezember 1949 wurde Brundert fast pausenlos von sowjetischen und deutschen Vernehmern – so auch von Paul Laufer (ZPKK) – verhört.86 Hintergrund der Verhaftungen waren Auseinandersetzungen über den wirtschaftspolitischen Kurs, die seit 1945 zwischen verschiedenen Instanzen ausgetragen wurden. Nach Darstellung von Friedrich Ferchlandt, der bis 1933 der SPD angehört und ab 1945 als KPD-Mitglied das „Amt für die Sicherung der Wirtschaft“ geleitet hatte, bemühten sich mehrere Institutionen, die Sequestration von Betrieben einzuschränken. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Willi Dieker – vor 1933 SPD-, ab 1945 KPD-Mitglied und nach Ferchlandts Worten ein „Blender ohne politisches Fundament, erzogen auf dem Boden des typischen Magdeburger Reformismus“ – wandte sich gegen sowjetische Betriebsübernahmen in Form von SAG-Betrieben und trat für behutsame Sequestrationen ein. Dieker setzte sich für den Verbleib von Wirtschaftsfachleuten ohne Rücksicht auf deren Parteizugehörigkeit ein und versuchte, die Betriebsleitungen gegen äußere politische Interventionen zu stärken. Als Differenzen mit Ferchlandts Sicherungsamt auftraten, entzog ihm Dieker die Bearbeitung der DCGG und unterstellte sie sich selbst. Dieker sei, so Ferchlandt, „der Reaktion in die Hände“ gefallen und habe „sein völliges Versagen in wichtigen politi86 Brundert, Es begann im Theater, S. 32 f., 36–39; Kos, Politische Justiz in der DDR, S. 399.

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schen Fragen, seine mangelnde Entschlusskraft zur Entfernung von Faschisten, Imperialisten und Saboteuren“ unter Beweis gestellt.87 Glaubt man Ferchlandts Darstellung, so bestand zwischen Dieker und seinem wichtigsten Mitarbeiter Willi Brundert folgende Arbeitsteilung: „Dieker: Der Mann mit den radikalen Schönredereien und den reformistischen Plänen, immer unklar und verworren, unfähig zur Durchführung seiner Absichten ohne den sog[enannten] Fachmann, aber ehrgeizig und betriebsam. Brundert: zwar Reformist wie Dieker, aber erfahren und gewandt, ehrgeizig und vermeintlich auf der Höhe seiner Erfolge, findet für Diekers Wünsche die wirtschaftlichtechnische Formulierung und rechtliche Grundlinie [...] als rechte Hand und Gehirnwindung seines Freundes und Chefs Dieker.“88

Brundert war bereits vor 1933 als SPD-Jugendfunktionär in Halle und Magdeburg tätig gewesen, hatte während des Studiums an der Martin-Luther-Universität die Sozialistische Studentenschaft geleitet sowie dem Republikanischen Studentenbund, dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front angehört. Seinen eigenen Angaben zufolge leistete er seit 1939 als „engster Mitarbeiter im Arbeitskreis [von] Dr. Carlo Mierendorff und Prof. Reichwein“ Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Im November 1944 geriet Brundert in Holland in britische Kriegsgefangenschaft und durchlief mehrere Lager. Wie er 1946 in einem Fragebogen angab, war er in Gefangenschaft „Dozent für [die] Ausbildung der Studenten [in] Rechtswissenschaft und in Camp 18 Hauptredner für staatsrechtliche und verfassungsgeschichtliche Fragen“. Vor seiner Entlassung im September 1946 nahm er an Lehrgängen in Wilton Park teil und arbeitete anschließend als Oberregierungsrat in der Provinzialverwaltung. Er leitete die Hauptabteilung Planung und Verwaltung und stieg zum stellvertretenden Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt auf. Da ihm seine Dozententätigkeit in englischer Kriegsgefangenschaft und besonders der Aufenthalt in Wilton Park den Vorwurf der Agententätigkeit einbrachten, rückte Brundert schon bald an die Spitze der Beschuldigten. Unter dem Druck der Verhöre gab Brundert Anfang Dezember 1949 zu, Wilton Park sei eine Agentenschule gewesen, in der die Gefangenen „vollkommen für die englische Politik und Auffassung präpariert wurden, um späterhin in diesem Sinne [...] zu wirken“. Man habe den Gefangenen in Wilton Park zwar keine konkreten Aufträge erteilt, durch ideologische Beeinflussung aber „Agenten des englischen 87 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 8. Band, Bl. 55–69. 88 Ebd., Bl. 63. Über Ferchlandts Motive für die Erhebung solcher Beschuldigungen gab Dieker 1954 in einer ausführlichen autobiographischen Darstellung folgendes an: „Der 1. Leiter der ‚Sequester-Abteilung‘, der frühere Genosse Ferchland[t] und seine Frau, mussten im vergangenen Jahre mit 15 Jahren Zuchthaus bestraft werden, weil sie sich auf verschiedene Art und Weise bereichert hatten. Damals hatte Ferchland[t] versucht, auch mich einzuschläfern, indem er wiederholt unter Hinweis auf meine bescheidene Wohnung vorschlug, mir doch auch eine Villa mit dem notwendigen Komfort aus Beschlagnahmungen durch ihn beschaffen zu lassen. Als ich ihn hinauswarf und in einer Abteilungsleiterbesprechung anprangerte, begann er mich bei der Partei zu beschuldigen.“ Vgl. BStU, MfS BV Rostock, AIM 2902/85, Bl. 40.

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Monopokapitals“ aus ihnen gemacht. In internem Material der SED-Landesleitung hieß es dementsprechend, Brundert sei „der zweite aktive und direkte Helfer der DCGG in den führenden Stellen der Regierung“ gewesen. Er habe „entsprechend seiner wirtschaftspolitischen Einstellung, die er aus der Agentenschule in England“ mitbrachte, gehandelt und die Leitung der DCGG unterstützt. Die ZKSK hatte zunächst ein Schnellverfahren vorgesehen, nutzte jedoch die sich bietende Gelegenheit zur Durchführung eines Schauprozesses.89 Bernard Koenen und Werner Bruschke nahmen nach Brunderts Verhaftung Kontakt zu Walter Ulbricht auf, der eine Einmischung in die Angelegenheit jedoch offiziell ablehnte. Ulbricht verwies auf die Zuständigkeit der ZKSK und sagte, er wisse aus Erfahrung, dass die Kontrollkommission niemanden grundlos beschuldige. Koenen und Bruschke wurden von Ulbricht an Fritz Lange verwiesen, der nach Bruschkes Darstellung Brunderts Agententätigkeit lückenlos belegen konnte.90 Der Vorwurf der Agententätigkeit stellte jedoch eine rein hypothetische Beschuldigung dar, die bereits kurz nach Brunderts Verhaftung in das Anklagekonstrukt aufgenommen wurde: So hieß es in einem am 21. November 1949 angefertigten Zwischenbericht, dass die von der ZKSK vorgesehene Pressemitteilung keine Hinweise zu Brunderts Agententätigkeit enthalten solle, „da sonst die Möglichkeit der Aufdeckung einer eventuell tatsächlich vorhandenen Zusammenarbeit mit Agenten und Spionagetätigkeit vollkommen unmöglich gemacht und der politische Gegner gewarnt würde“. Durch den Verweis auf „eine klare Verständigungslinie [zwischen] Brundert, Böttge, Wolfram vom FDGB, Wessel, Dieker [und] Thape“ deuteten sich in dem Bericht weitere Maßnahmen gegen prominente Sozialdemokraten an.91 Walter Ulbricht nahm Brunderts Verhaftung zum Anlass, um während der Landesdelegiertenkonferenz am 4. Dezember 1949 Parteifunktionäre des SED-Landesverbandes Sachsen-Anhalt anzugreifen und unausgesprochen weitere Säuberungen zu fordern: „Wir wissen, dass die Feinde Agenten in unser Gebiet geschickt haben, die auf lange Sicht arbeiten. Zu diesen Leuten gehörte auch Brundert, der von der englischen Wilton-Park-Schule kommt. Er wurde dort geschult in der Richtung der Rettung der alten kapitalistischen Herrschaft in Deutschland. Ich habe die Arbeiten Brunderts studiert. Brundert hat kapitalistische Theorien bei uns in die Praxis umsetzen wollen. Dass das die Aufgabe eines Agenten ist, wissen wir, aber dass es bei uns Parteifunktionäre gibt, die das zugelassen haben, das ist schlimm. [...] Es wäre ihm gelungen, wenn es nicht Genossen gegeben hätte, die besser aufpassen als unsere Genossen im Wirtschaftsministerium in Sachsen-Anhalt.“92 89 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 6, 13–37; Republikanischer Studentenbund Ortsgruppe Halle 1914–1936 (UA Halle, Rep 4, Nr. 1793, Bl. 20, 23, 25); Sozialistische Studentenschaft 1923–1933 (UA Halle, Rep 4, Nr. 1795, Bl. 18 f., 21, 23 f.); Herwegen-BrundertProzess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/8, Bl. 9, 34 f., 39); Personalakte Willi Brundert (LA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA B 351, Bl. 15 f.); Kos, Politische Justiz in der DDR, S. 405–407. 90 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 63). 91 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 7 f., 37 f. 92 Freiheit vom 9.12.1949 („Aktuelle Fragen der Politik. Aus der Rede von Walter Ulbricht, Mitglied des Politbüros und Vorsitzender des Sekretariats der Sozialistischen

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Die Zielrichtung der bevorstehenden Säuberungen wurde deutlich, als Ulbricht alte sozialdemokratische Auffassungen für das Bemühen um formaljuristisch korrekte Lösungen bei der Bodenreform und Sequestration verantwortlich machte. Namentlich nannte er in diesem Zusammenhang den aus dem SEDLandesverband Sachsen-Anhalt hervorgegangenen Paul Wessel (Mitglied des Kleinen Sekretariats des Politbüros) und den früheren sachsen-anhaltischen Wirtschaftsminister Willi Dieker.93 Die SED-Propaganda begann bereits im Dezember 1949 mit der Einstimmung der Bevölkerung auf den geplanten Prozess und ordnete ihn durch den gezielten Hinweis auf die Aburteilung von Rajk und Kostoff propagandistisch in einen größeren internationalen Kontext ein. In einem Leitartikel des halleschen Parteiorgans „Freiheit“ hieß es dazu: „Es ist eine gerade Linie, die von den Spekulationen der Westmächte auf die Niederlage der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg, vom Verrat der trotzkistischen Tito-Banditen zur Rajk-Verschwörung in Ungarn, zum Kostoff-Prozess in Sofia, aber auch zu den Spionen und Saboteuren im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und auch in unserem Lande Sachsen-Anhalt geführt hat. Immer sitzen in Wirklichkeit die Imperialisten auf der Anklagebank. [...] In wenigen Wochen wird in unserem Lande Sachsen-Anhalt der große Prozess gegen die Schiebergesellschaft von Dessau [...] beginnen. Er wird diese gerade Linie des kalten Krieges erneut erkennen lassen. Er wird zeigen, mit welchen Methoden in der Deutschen Demokratischen Republik vom Monopolkapital gekaufte Subjekte arbeiten, um die alte Macht der enteigneten Monopolherren wieder herzustellen.“94

Als Vorsitzender der federführenden ZKSK überprüfte und korrigierte Fritz Lange die Anklageschrift in zahlreichen Punkten, um die „Schuld“ der Angeklagten deutlicher herauszuarbeiten und sie charakterlich negativer darzustellen. Einblick in die Anklageschrift und Besprechungen mit ihren Pflichtverteidigern waren den Beschuldigten erst kurz vor Beginn des Prozesses möglich. Zeugen wurden auf Antrag von Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer, einem früheren Reichsgerichtsrat, nicht vernommen und entlastendes Material nicht zugelassen. Da Generalstaatsanwalt Werner Fischl parallel zu den Untersuchungen der ZKSK eigene Ermittlungen durchführte, geriet er in Gegensatz zu Fritz Lange, der auf die Veranstaltung eines Schauprozesses hinarbeitete. Fischl ging zwar ebenfalls davon aus, dass es bei der DCGG Vermögenverschiebungen gegeben hatte, er betrachtete jedoch nicht Brundert, sondern Dieker als einen der Hauptschuldigen. Nach Auffassung der ZKSK erbrachten Fischls Ermittlungen Material, auf dem Brundert seine Verteidigung aufbauen konnte. Es waren vermutlich diese Diskrepanzen und Fischls freundschaftliche Beziehungen zu Brundert, die dazu führten, dass der Prozess auf Beschluss des Politbüros auf die Generalstaatsanwaltschaft der DDR übertragen wurde.95 Einheitspartei Deutschlands, auf der Landes-Delegiertenkonferenz der SED für Sachsen-Anhalt am 4. Dezember 1949“). 93 Ebd. 94 Freiheit vom 17.12.1949 („Von Sofia bis Dessau“). 95 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 11, 78–81; Kos, Politische Justiz in der DDR, S. 408–412; Brundert, Es begann im Theater, S. 37.

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Der Herwegen-Brundert-Prozess diente zugleich als Anlass, um die letzten Überreste einer am Gesetz orientierten, politisch neutralen Rechtsprechung in Sachsen-Anhalt zu beseitigen und den Vormachtanspruch der SED im Justizapparat endgültig durchzusetzen. In einer Vorlage des Referats Justiz, die für die Sitzung des Landessekretariats am 1. Februar 1950 erarbeitet wurde, hieß es, die bürgerliche Rechtstradition sei noch immer nicht überwunden worden. Den neueingestellten Genossen fehle es an politischem Wissen und Verbundenheit mit der Arbeiterklasse, um diese Tradition zu überwinden.96 Als Konsequenz wurden folgende Forderungen formuliert: 1. Die Beteiligung der Arbeiter und klassenbewussten Genossen an den Richter- und Rechtspflegerlehrgängen muss von den Kreisvorständen garantiert werden. 2. Zur Überwindung der alten Rechtslehre ist in der nächsten Zeit der politischen Schulung größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. [...] 3. Die SED-Betriebsgruppen müssen zum Motor der politischen Arbeit innerhalb der Justizbehörden werden. [...] 4. Alle aufsichtsführenden Richter, Staatsanwälte, geschäftsleitende Angestellte und Angestellte des mittleren Dienstes müssen in der nächsten Zeit auf ihre Tätigkeit hin überprüft werden. Um diese Aufgabe durchzuführen, muss mehr als bisher die Abteilung Rechtssprechung beim Justizministerium beachtet werden. Hier muss eine enge Zusammenarbeit mit der Personalabteilung des Justizministeriums erfolgen. 5. Jede Beförderung, Neueinstellung und Versetzung muss unter Berücksichtigung der Förderung der politisch zuverlässigen Kräfte erfolgen.97 Eine Woche später beschloss das Landessekretariat, „unter Beteiligung der Öffentlichkeit den Kampf um die Beseitigung der reaktionären Elemente in der Justiz“ zu führen. Um einige so genannte „Musterbeispiele“ zu schaffen, wurden fünf Richter, die der CDU und LDP angehörten oder nationalsozialistisch belastet waren, auf einer Namensliste zusammengefasst. Sie sollten durch Stellungnahmen von Gerichten, Betrieben, Presse, Parteien und Massenorganisationen öffentlich an den Pranger gestellt werden. Darüber hinaus sah der Beschluss des Landessekretariats eine Überprüfung und Anleitung der SEDBetriebsgruppen im Justizministerium, Oberlandesgericht, Landgericht und der Generalstaatsanwaltschaft vor. Nach der Überprüfung der Gerichte und Staatsanwaltschaften war die Erstellung einer Liste vorgesehen, auf der in Zusammenarbeit mit der Kaderabteilung alle zu befördernden oder abzulösenden SED-Mitglieder des Justizapparats verzeichnet werden sollten.98 Auch Sozialdemokraten gehörten zu den Opfern dieser Säuberungen: Paul Neumann (Vorsitzender des Arbeitsgerichts Herzberg), der im Herbst 1949 vom NKWD neun 96 Protokolle Sekretariat Dez. 1949–Febr. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/11, Bl. 30 f.). 97 Ebd., Bl. 31 f. 98 Ebd., Bl. 62, 69, 97 f.

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Wochen lang inhaftiert worden war, floh Ende Juni 1950 in den Westen. Sein Vater (2. Vorsitzender des Landesarbeitsgerichts Halle) folgte ihm wenige Tage später. Kurt Otte (Präsident des Landesarbeitsgerichts) galt aus gesundheitlichen Gründen als arbeitsunfähig und wurde auf Beschluss des Landessekretariats abgelöst. Letzter Auslöser für diese Entscheidung waren „wiederholte Fehlurteile“ und der Vorwurf, „die Agenten- und Saboteurtätigkeit der Imperialisten“ unterstützt zu haben.99 Vor Beginn des Herwegen-Brundert-Prozesses in Dessau erschienen in den Zeitungen Resolutionen von Betrieben und Massenorganisationen, in denen harte Strafen gefordert wurden: Mitarbeiter des VEB Elektromotorenwerkes Wernigerode verlangten, der Prozess müsse „ein abschreckendes Beispiel werden für alle diejenigen, die den demokratischen Aufbau stören und sich am Volkseigentum bereichern“ wollten. Falsches Mitleid für diese „Verräter am deutschen Volk“ sei fehl am Platze. Die Belegschaft des Eisenhüttenwerkes Thale forderte, dass „mit den gewissenlosen Verbrechern am Volkseigentum abgerechnet werden“ müsse. Weitere Resolutionen ähnlichen Inhalts folgten.100 Zur Einstimmung der Bevölkerung wurde Dessau mit Plakaten und Spruchbändern geschmückt.101 Durch die Abhaltung der Verhandlung im Saal des Landestheaters Dessau, auf dessen Bühne das Gericht wie in einer Theatervorstellung vor Zuschauern agierte, sollte der Schaueffekt gesteigert werden. Fritz Lange steuerte den Prozess aus der Intendantenloge des Theaters, indem er Ernst Melsheimer und Richterin Hilde Benjamin Zettel mit Anweisungen überbringen ließ. An der Wand hinter dem Richtertisch war ein System von Neonröhren angebracht worden, um die geschäftlichen Verflechtungen der DCGG bildlich darzustellen. Sobald die Geschäftsbeziehungen der DCGG im Prozess zur Sprache kamen, leuchteten die Neonröhren auf und erweckten bei den Zuschauern den Eindruck einer großen, bedrohlich wirkenden Spinne.102 99 Personalakte Paul Neumann jun. (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA N 114, unpaginiert); Personalakte Paul Neumann sen. (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA N 98, unpaginiert); Personalakte Kurt Otte (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA O 44, unpaginiert). 100 Freiheit vom 21. 4.1950 („Härtestes Urteil für die Verbrecher am Volkseigentum. Die Werktätigen Sachsen-Anhalts verlangen Genugtuung für die Verbrechen der HerwegenBrundert“); Brundert, Es begann im Theater, S. 50 f. 101 Zur „Ausgestaltung des Stadtbildes“ in Dessau wurden vom Landessekretariat u. a. folgende Losungen genehmigt: „Schützt das Volkseigentum vor Agenten, Spionen und Saboteuren des anglo-amerikanischen Kriegsblocks“; „Wir grüßen den Obersten Gerichtshof der Deutschen Demokratischen Republik“; „Unsere demokratische Justiz dient dem deutschen Volke“; „Die Volkskontrollausschüsse – eine Waffe zur Vernichtung der Volksschädlinge“; „Die Volkspolizei – unser bester Freund im Kampf zur Festigung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“. Vgl. Sekretariat-Protokolle 5. 4.–26. 4.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/13, Bl. 103 f.); Freiheit vom 25. 4.1950 („Wir klagen das Monopolkapital an. Beginn des Prozesses gegen die Söldner der Konzernherren der Dessauer Deutschen Conti-Gas-Gesellschaft“). 102 Kos, Politische Justiz in der DDR, S. 412, 416. Die hallesche Parteizeitung Freiheit verglich das Arrangement aus Neonröhren am 25. 4.1950 mit einem Polypen: „Die Rückwand der Bühne ist für eine riesengroße schematische Darstellung der sinnverwirren-

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Die Verhandlungsführung durch Hilde Benjamin und Ernst Melsheimer zeigte das tiefe Misstrauen, das man Brundert aufgrund seiner Ausbildung, beruflichen Position und politischen Vergangenheit entgegenbrachte. Melsheimer versuchte sich bei den überwiegend ungebildeten Prozess-Zuschauern anzubiedern und unterbrach Brundert mehrfach, weil dieser nach Darstellung des Parteiorgans „Freiheit“ „seine Aussage in ein unverständliches, professorales Intellektuellendeutsch“ kleidete und es den Werktätigen im Saal dadurch erschwerte, „seinen geschraubten Redensarten zu folgen“. Melsheimer konnte sicherlich mit der Sympathie der Zuschauer rechnen, als er Brundert daraufhin ermahnte, ein einfaches und unverfälschtes Deutsch zu sprechen. Hilde Benjamin behauptete, Brundert sei während des Aufenthalts in Wilton Park zum Anhänger des politischen Systems in England und zum Feind der Sowjetunion geworden. Brundert verneinte dies und erwiderte, er habe sich bei seiner Rückkehr nach Deutschland für die SBZ und die SED entschieden. Dies entsprach zweifellos den Tatsachen, da Brundert bereits 1946 gegenüber Willi Dieker erklärt hatte, er habe seine frühere prowestliche Haltung aufgegeben. Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer hielt Brundert entgegen, man könne aus seiner Rückkehr in die SBZ genau das Gegenteil schließen, denn „Agenten gehen nicht nach West-, sondern nach Ostdeutschland“.103 Mit dieser Unterstellung entsprach Melsheimer den Vorgaben des Politbüros, das am 28. Februar 1950 beschlossen hatte, „die Rolle des Monopolkapitals, seine Zersetzungsarbeit mit Hilfe käuflicher Agenten und deren verbrecherischer Tätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik“ im Prozess aufzeigen zu lassen.104 In der Berichterstattung wurden dementsprechend Brunderts Tätigkeit in Wilton Park und die damals entstandenen Verbindungen zu westdeutschen SPD-Funktionären besonders herausgestellt. In einer Broschüre über den zweiten Verhandlungstag hieß es dazu: „1944 geriet er als Leutnant in englische Kriegsgefangenschaft und wurde auf Veranlassung des ihm von früher bekannten, nach England emigrierten Dr. Borinski, in die berüchtigte britische Agentenschule in Wilton-Park aufgenommen, wo Borinski als Lehrer tätig war. Brundert versuchte, den dort erhaltenen Unterricht als harmlos hinzustellen und nannte die darin vertretene Richtung lediglich „anglophil“, was er allerdings im weiteren Verlauf der Verhandlung – wenn auch in gewundenen Formulierungen – in „antisowjetisch“ übersetzte. Brundert blieb sogar noch zu einem zweiten Lehrgang auf der gleichen Schule und musste zugeben, dass dies als Auszeichnung zu werten war. [...] Großes Aufsehen erregte die Feststellung, dass einer der Lehrer der Agentenschule, der dort unter dem englischen Namen Dr. Holt in englischer Uniform auftrat, dann unter seinem wahren Namen Waldemar von Knörringen nach Deutschden Kapitalsverflechtung des DCGG-Konzerns in Anspruch genommen. Gerade diese Darstellung zeigt den rund 1200 Werktätigen aus allen Teilen der Republik, wie sich ein Konzern mit Polypenarmen, alles seiner Macht unterwerfend, über ganz Deutschland, ja über die Landesgrenzen Deutschlands hinweg, ausbreiten konnte.“ 103 Beckert, Instanz, S. 80–82; Brundert, Es begann im Theater, S. 45–49; Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/15, Bl. 88); Freiheit vom 26. 4.1950 („Verschwörung gegen Demokratie und Frieden“). 104 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 101; Beckert, Instanz, S. 76.

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land zurückgekehrt und heute Vorsitzender der SPD in Bayern ist. Auch der heute in der SPD in Stuttgart führende Schoettle war unter englischem Namen in der SpionageAgentenschule als Lehrer tätig.“105

Brundert und vier weitere Angeklagte verzichteten am letzten Prozesstag auf ihr Schlusswort und schlossen sich den Ausführungen der Verteidigung an. Das hallesche Parteiorgan „Freiheit“ stellte befriedigt fest, die Verteidiger hätten sich „der objektiven Rechtsfindung im Sinne unserer demokratischen Ordnung“ gewachsen gezeigt. Es sei nicht Aufgabe der Verteidigung, „aus Schwarz Weiß zu machen“, sondern zusammen mit dem Gericht „zur Ergründung der Wahrheit als der Grundlage für ein gerechtes Urteil beizutragen“. Brundert wurde zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren verurteilt. Es war nicht möglich, Berufung gegen das Urteil einzulegen. Hilde Benjamin wies darauf hin, dass dem Gericht Tausende von Resolutionen aus der gesamten DDR zugegangen seien, in denen schwerste Strafen für die Angeklagten gefordert wurden. Die Todesstrafe sei dennoch nicht gegen die Angeklagten verhängt worden, sondern bleibe den im Westen lebenden Hintermännern vorbehalten.106 Im Anschluss an die Urteilsverkündung war auf dem Theatervorplatz eine gegen die Verurteilten gerichtete Kundgebung geplant, auf der Ministerpräsident Werner Bruschke sprechen sollte. Da sich jedoch nur etwa 300 Menschen zu der von Lautsprechern übertragenen Urteilsverkündung einfanden und danach wieder auseinandergingen, wurde Bruschkes Einsatz hinfällig. Brundert verbrachte die folgenden Jahre bis zu seiner Entlassung, die am 19. März 1957 nach Begnadigung durch den Präsidenten der DDR erfolgte, in den Zuchthäusern Brandenburg-Görden, Halle und im Kommandanturgebäude der halleschen SMA, wo er durch Isolationshaft, Hunger, Kälte, grelle Dauerbeleuchtung und Verhöre gequält wurde. Er sollte über sozialdemokratische Widerstandszentren in Sachsen-Anhalt, seine Verbindungen nach Westberlin und die Ausbildung in Wilton Park aussagen, widerstand jedoch allen Drohungen, Erpressungs- und Korrumpierungsversuchen. In der Strafvollzugsanstalt Brandenburg hatte Brundert maßgeblichen Anteil an der Gründung einer Widerstandsgruppe, wovon das MfS aber erst nach Brunderts Entlassung und Flucht in den Westen Kenntnis erhielt.107 Anfang Mai 1950 nutzte das SED-Landessekretariat die sich bietende Gelegenheit, um mit prominenten ehemaligen Sozialdemokraten wie Willi Dieker, Adam Wolfram, Paul Wessel und Paul Verdieck abzurechnen. Dieker, der gute Beziehungen zu SPD-Politikern wie Ernst Reuter (bis 1933 Magdeburger Oberbürgermeister) und dem aus Magdeburg stammenden Erich Ollenhauer unterhalten hatte, wurde von Innenminister Hegen verdächtigt, Maßnahmen zur Verteidigung von Brundert ergriffen und zu diesem Zweck ein Exposé angefertigt 105 Nachlass Besser 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/6/18/6, Bl. 1). 106 Freiheit vom 29. 4.1950 („Der Generalstaatsanwalt hatte das Wort“); 2. 5.1950 („Im Namen des Volkes. Höchststrafe für Herwegen, Brundert und Methfessel. Zuchthausstrafen von 2–12 Jahren für die übrigen Angeklagten“). 107 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 82–84; MfS-ASt 7/80, Bl. 339; MfS BV Potsdam, AOP 488/62, Bl. 228, 228 a; Brundert, Es begann im Theater, S. 49, 53–62, 69 f.

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zu haben. Dieker wies Hegens Vorwurf zurück, wurde vom Sekretariat jedoch zur Abgabe einer schriftlichen Erklärung aufgefordert.108 Als Dieker trotz des Eingeständnisses ideologischer Unklarheiten den Vorwurf der Fraktionsbildung von sich wies, ging Koenen zum Angriff über: „Gen[osse] Koenen: Auf dem Parteitag [II. Landesparteitag der SED im September 1947, F. H.] seid ihr als Gruppe geschlossen unter Führung von Paul Wessel und Brundert aufgetreten. [...] Und Du hast zu der Gruppe gehört. Gen[osse] Dieker: (Schüttelt mit dem Kopf): Nein. Gen[osse] Koenen: Am nächsten Tage (nach dem II. Landesparteitag) ist von Euch Rechenschaft verlangt worden. Ich habe damals in Bezug auf Planung gesagt, dass unsere Genossen noch ungeheuer viel zu lernen haben über die Planarbeit. Ihr seid dagegen gewesen. Ihr hattet besondere Wege im Kopf, von Brundert angeführt. Es hat dick organisierte Gruppen gegeben. Es ist mir unangenehm, dass ich immer wieder dasselbe wiederholen soll, während ein Teil der Genossen von damals nicht hier ist. Wessel ist nicht da, Strich ist nicht da, Verdieck ist nicht da. (Gen[osse] Dieker: nein). (Zu Gen[ossen] Dieker gewendet): Wenn Du „nein“ sagst, Willi, dann bist Du im Irrtum. (Gen[osse] Dieker widerspricht). Ihr habt Euch organisiert, Wessel und Brundert und Wolfram und Du, hier im Sekretariat seid Ihr geschlossen aufgetreten. Darin kam keine Freundschaft zur Sowjetunion zum Ausdruck, zum Ausdruck kam: Die sollen uns Deutsche doch in Ruhe lassen, was sollen wir von denen lernen. Die verfluchte Einstellung von Brundert kam darin zum Ausdruck. [...] Man kann natürlich Fehler machen, hineingezogen werden, ohne es gewusst zu haben, aber mitgemacht hast Du. (Zu „mitgemacht hast Du“ stimmt der Gen[osse] Dieker zu). Gen[ossin] Berg: Es gab keine großen Meinungsverschiedenheiten zwischen Dir und ihnen. In den entscheidenden Fragen bist Du in ihrer Richtung mitgegangen. (Dieker stimmt zu).“109

Dieker, der seit November 1949 in Halle einen Zweigbetrieb des Diamalt-Werks München treuhänderisch leitete, sollte in der DDR-Wirtschaft zwar weiter vorankommen (er stieg 1952 zum Leiter des Fischkombinats Rostock-Saßnitz auf), blieb jedoch angreifbar und politisch bedeutungslos.110 1954 bemerkte er dazu rückblickend: „Die Jahre nach dem Prozess [gegen] Brundert waren für mich sehr schwer. Ich glaube, es gibt kaum eine ernstere Prüfung für die Treue eines Genossen zur Sache unserer Partei, als eine solche Kaltstellung, verbunden mit einer öffentlichen Kritik, aus der zahlreiche Menschen (auch Nichtgenossen) für sich das Recht zu allen möglichen Schikanen und Verfolgungen herleiteten. Ich habe meine Berufsarbeit und meine Parteiarbeit trotz ständiger körperlicher Misere unbeeinflusst fortgesetzt und ständig an der Vervollkommnung meines Wissens im Marxismus-Leninismus gearbeitet. Meine Eltern starben [...] in meiner westfälischen Heimat; ich habe das Elternhaus nicht aufgesucht, um mich nicht dem Verdacht irgendeiner westlichen Konspiration auszusetzen. Durch die Entwicklung in Westdeutschland wuchsen auch die Spannungen zwischen Geschwistern 108 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 55 f.; Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 79). 109 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 89 f.). 110 BStU, MfS BV Rostock, AIM 2902/85, Bl. 37, 42–44.

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und Verwandten. [...] Wenn ich auch nur ein Zehntel des Opportunismus im Leibe hätte, der mir wohl insgeheim immer noch nachgesagt wird, wäre ich längst westwärts gedampft. [...] Aber ich stehe – erst recht nach den harten letzten Jahren – auf dem Boden unserer Partei.“111

Als Kombinatsleiter bewies Dieker seine Parteitreue durch gute Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst, dem er regelmäßige Hinweise zukommen ließ. 1953 wurde er als Kombinatsleiter abgelöst und in einen VEB nach Köthen versetzt, wo ihm die örtliche Kreisdienststelle des MfS in Bezug auf seine politische Vergangenheit eine Zusammenarbeit mit der Gestapo unterstellte. Nach Rostock zurückgekehrt (1956), erklärten sich Dieker und seine Frau 1958 bereit, das MfS durch die Bereitstellung einer konspirativen Wohnung („KW Hermann“) zu unterstützen. Die KW Hermann wurde vom MfS auch noch mehrere Jahre nach Willi Diekers Tod (16. April 1980) genutzt.112 Diekers gegensätzliche Haltung in Wirtschaftsfragen soll gemäß Koenens Darstellung von Paul Wessel initiiert worden sein. Wessel war seit April 1946 Mitglied des SED-Landessekretariats, bis Ende 1948 Leiter der Wirtschaftsabteilung des SED-Landesvorstands Sachsen-Anhalt und ab Januar 1949 Mitglied des Kleinen Sekretariats des Politbüros. Nach interner Einschätzung befand er sich mit seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen „auf der Linie des Staatskapitalismus und des Monopolkapitalismus“, wobei seine Motive aus der Sicht der SED-Landesleitung klar auf der Hand lagen: Wessel hatte bis 1932 der SPD angehört, war dann der SAP beigetreten und hatte während der NS-Herrschaft als Meister in der Filmfabrik Wolfen gearbeitet. Für diese Tätigkeit wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ausgezeichnet. 1946 kam er über die SPD zur SED.113 Als Wessel Mitte Mai 1950 im Hinblick auf die DCGG für die fehlende Anwendung der Parteilinie verantwortlich gemacht wurde, begannen sich die Verschwörungstheorien gegen frühere Sozialdemokraten immer stärker auszuweiten: Wessel, so hieß es, habe in einer von Bruno Böttge geführten fraktionellen Gruppe mitgearbeitet, zu der auch der nach Westen geflohene Kurt Brenner gehörte – damals Wessels Mitarbeiter und als Leiter der Abteilung Handel und Versorgung im SED-Landesvorstand Paul Verdieck unterstellt. Als weiteres Mitglied der Fraktion galt Fritz Drescher, der nach seiner Verhaftung im Jahre 1948 im Gulag verschwunden war und „als Schumachermann besonders auch die Borkenkäferentwicklung in unserem Lande zu verantworten“ gehabt haben soll. Adam Wolfram (2. Landesvorsitzender des FDGB) und Fritz Jungmann (Präsident der Landeshandwerkskammer) nahmen nach Auffassung der SED-Landesleitung an der Fraktionsarbeit teil, während man dies im Fall von Paul Verdieck stark vermutete. Über andere prominente Sozialdemokraten wie Hermann Prübenau, Ernst Thape und Willi Dieker hieß es, sie seien von

111 Ebd., Bl. 41 f. 112 Ebd., Bl. 14 f., 17, 44, 80, 152 f., 195–197. 113 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/8, Bl. 32 f., 40–42); SBZ-Handbuch, S. 142, 145, 505, 509.

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den Fraktionsmitgliedern benutzt worden. Brundert soll in allen wirtschaftlichen Fragen Berater und Vertrauensmann gewesen sein.114 Auf Anweisung des Politbüros erarbeitete das Landessekretariat einen Beschluss über die „Lehren aus der Entlarvung des Herwegen-Brundert-Komplotts“, die vom Politbüro am 13. Juni 1950 in Anwesenheit der sachsen-anhaltischen Sekretariatsmitglieder behandelt wurden. Zusammenfassend enthielt der Beschluss die Feststellung, der Hauptfehler in der Arbeit des Landessekretariats habe darin bestanden, Opportunismus in Form von Sozialdemokratismus zugelassen und die ideologische Auseinandersetzung vernachlässigt oder unterlassen zu haben. Obwohl der SED-Parteivorstand 1948 auf seiner 11., 12. und 13. Tagung Lehren „aus dem Titoismus als der trotzkistischen Agentur des amerikanischen Imperialismus“ und aus den Fehlern der deutschen Sozialdemokratie gezogen habe, seien grundlegende Auseinandersetzungen mit „Fraktionsmachern“ im Landessekretariat unterblieben. Das Dokument enthielt Angriffe gegen mehrere Sozialdemokraten, so gegen Paul Wessel, dem man erneut vorwarf, auf dem II. Landesparteitag der SED eine Übergabe der Planung an deutsche Stellen gefordert und einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus propagiert zu haben. Dem Kreis der Verschwörer um Brundert wurde auch der in den Westen geflohene Erich Gniffke zugerechnet.115 Auf der Sekretariatssitzung vom 14. Juni 1950 erklärte Bernard Koenen, Gniffke betreibe „sein Gewerbe als Agent der Engländer“ und habe sich 1947 um Brundert als persönlichen Mitarbeiter bemüht. Die ehemaligen Sozialdemokraten müssten sich eingestehen, dass sie jahrelang einer falschen politischen Linie gefolgt seien. Die anwesenden Sozialdemokraten kamen Koenens Forderung umgehend nach und überboten sich mit Selbstkritik: Werner Bruschke betonte, dass viele frühere Sozialdemokraten keinen Zugang zu leninistischen Auffassungen fänden, „weil sie niemals Marxisten“ gewesen seien. Brundert habe nur aufgrund theoretischer Unklarheiten zahlreicher Funktionäre Politik im Auftrag von Wilton Park betreiben können. Willi Dieker bekannte zahlreiche Versäumnisse, so auch, dass er die Bedeutung von Fachkräften im Wirtschaftssektor überschätzt und Brundert zu selbständig habe agieren lassen. Dieker wollte keinen Zweifel an seiner „Entwicklung zur revolutionären Haltung“ aufkommen lassen, gab jedoch zu, dass ihm Kenntnisse des Leninismus fehlten. Er bat um die Genehmigung zum Besuch von Fernkursen und der Parteischule, um seine theoretischen Lücken zu schließen. Dieker, Wessel und Wolfram wurden vom Politbüro zur Abgabe schriftlicher Erklärungen aufgefordert. Prübenau unterstützte die Forderung, ein Bekenntnis gegen den Sozialdemokratismus abzulegen, beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass er „gegen dieses Gift immun“ sei. Koenen meinte, Böttge habe versucht, USPD-Politik zu betreiben und dabei die Parteilinie „mit Cliquen- und Fraktionswirtschaft“ sowie persönlichen 114 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 103). 115 Freiheit vom 23. 6.1950 („Einige Lehren für die Landesorganisation Sachsen-Anhalt der SED aus der Entlarvung des Herwegen-Brundert-Komplotts“).

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Intrigen durchkreuzt. Fritz Jungmann vermutete, Böttge habe Gelder verschwinden lassen, um sie für die Neugründung der USPD zu verwenden.116 Böttge stellte ein leichtes Angriffsziel dar, denn er war seit seiner Entmachtung im Herbst 1948 ohnehin ein politisch toter Mann, auf den man vieles abwälzen konnte. Mehrere Diskussionsredner vertraten die Ansicht, Böttge habe in der Partei eine Diktatur errichtet und versucht, Spitzel auf frühere KPD-Mitglieder anzusetzen. Alle seien vor Böttges Brutalität zurückgewichen. Innerparteiliche Konkurrenten soll Böttge bei der SMAD als Rechtssozialisten oder Doppelzüngler denunziert und Parteigenossen während der „Saufgelage“ im Keller des Stadtschützenhauses, dem provisorischen Sitz des Landtages, mit ironischen Bemerkungen überschüttet haben. Jungmann schilderte Böttge als intriganten, machthungrigen und schwer durchschaubaren Politiker. Adam Wolfram berichtete, Böttge habe „rücksichtslos Genossen runtergeputzt und wie dumme Jungen hingestellt“, wenn sie im Sekretariat eine andere Meinung vertraten. Bei „feucht-fröhlichen Sitzungen“ sei Böttge aufgesprungen und habe Genossen geohrfeigt. Jeden, der sich nicht beugte, habe er „rücksichtslos mit allen unsauberen Mitteln an die Wand gedrückt oder beseitigt“. Werner Bruschke unterbrach Wolframs Diskussionsbeitrag, um darauf hinzuweisen, dass die früheren Sozialdemokraten „nicht von der KP abgeschossen“ worden seien. Wolfram bestätigte Bruschkes Behauptung und schob die Verantwortung dafür früheren SPD-Genossen zu. Ihm sei von Böttge häufig der Vorwurf gemacht worden, KPD-Politik zu betreiben, weil er mit früheren Kommunisten gut zusammengearbeitet habe. Hermann Prübenau wurde seiner eigenen Darstellung zufolge von dem betrunkenen Böttge als NKWD-Spitzel bezeichnet.117 Neben früheren Sozialdemokraten in Ministerien und Massenorganisationen, deren politisches Schicksal weiter unten näher betrachtet werden soll, stellten die im Norden des Landes und besonders im SED-Kreisverband Magdeburg vermuteten oppositionellen Sozialdemokraten ein vorrangiges Säuberungsziel dar. Trotz der vorausgegangenen Säuberungen war Ende 1949 noch immer ein Kern alter Sozialdemokraten in den nördlichen Kreisen präsent. Als zusätzlich belastende Faktoren kamen bei einem beträchtlichen Teil der Kreisvorstandsmitglieder Aufenthalte in westlicher Kriegsgefangenschaft hinzu, die aber in den meisten Fällen nicht von längerer Dauer waren. Auf einer gemeinsamen Sitzung des Kreissekretariats Magdeburg mit Vertretern des Landessekretariats verlangte Bernard Koenen am 18. April 1950, einen entscheidenden Schlag gegen die „Schumacherei“ zu führen, die eine „Form der Arbeit der Amerikaner“ sei. Im Gegensatz zu Koenens plumpen Phrasen bewies Werner Bruschke in seiner Analyse wesentlich mehr Realitätssinn, indem er das schwierige Verhältnis von KPD und SPD vor 1933 sowie die ablehnende Haltung vieler SPD-Funktionäre zur Fusion mit der KPD für die 116 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 42–47, 51, 62, 78–80, 88–90, 94). 117 Ebd., Bl. 53, 59, 67 f., 79, 94 f., 97.

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Säuberungsziele in Sachsen-Anhalt

Tab. 4:

Zusammensetzung der SED-Kreisvorstände im Norden SachsenAnhalts Ende 1949118

Kreisvorstand

Zahl der Mitglieder

davon in westdavon vor 1933 davon nach 1945 licher KriegsParteiParteimitglieder gefangenschaft mitglieder119 gewesen

Magdeburg

40

11 KPD 11 SPD

18

3

Calbe

35

7 KPD 15 SPD

13

10

Haldensleben

24

5 KPD 9 SPD

10

6

Oschersleben

31

3 KPD 6 SPD

22

11

Wolmirstedt

36

6 KPD 9 SPD

21

?

Jerichow I

35

11 KPD 7 SPD

17

4 (2 Jugoslawien)

Osterburg

30

7 KPD 7 SPD

16

10

Gardelegen

31

6 KPD 5 SPD

20

10

Salzwedel

36

6 KPD 12 SPD

18

11

118 Überprüfung der Kreisvorstände Bezirk Magdeburg Personal 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/4, Bl. 1–4, 9–14, 20, 24, 31 f., 36 f., 46 f., 60 f., 83 f.). 119 Nicht in jedem Fall wurde das so genannte „Parteialter“ aufgrund einer KPD- oder SPDMitgliedschaft vor 1933 festgelegt, sondern es finden sich in den Übersichten auch Angaben über Mitgliedschaften in den Jugendorganisationen SAJ und KJVD sowie in der KPČ und der tschechoslowakischen Sozialdemokratie. Bei der Auswertung wurden sie jeweils der SPD oder KPD zugerechnet. Da es in den Kreisvorständen nur sehr vereinzelt frühere Mitglieder linker Splittergruppen (SAP, ISK, AAU) gab, wurde auf eine gesonderte Aufführung dieser Mitgliedschaften verzichtet.

210

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

auftretenden Probleme verantwortlich machte.120 Das SED-Kreissekretariat Magdeburg gab eine selbstkritische Stellungnahme ab, in der es opportunistische und versöhnlerische Erscheinungen sowie die Förderung parteifeindlicher Elemente im SED-Kreisverband Magdeburg eingestand. Auch die Arbeit der Magdeburger Massenorganisationen – vor allem des FDGB und des DFD – wurde als mangelhaft eingeschätzt. Im FDGB kam dies angeblich in Form „mangelnder Parteidisziplin, Nichtanerkennung der Führung der Partei, Nurgewerkschaftertum und Praktizismus“ zum Ausdruck, im DFD durch zahlenmäßige Schwäche und ein niedriges ideologisches Niveau. Besonders schwer wog die Selbstkritik des 2. Sekretärs Otto Paul, der Fraktionstätigkeit in Zusammenarbeit mit „Parteischädlingen“ eingestand. Paul wurde ebenso aus der SED ausgeschlossen wie der als Agent des Ostbüros geltende Rudolf Thiele, der im Magdeburger Kreisvorstand als Leiter der Abteilung für Staatliche Verwaltung und Wirtschaft tätig war. Der Vorwurf der Agententätigkeit gründete sich darauf, dass Thiele Namenslisten führender SED-Genossen in verschiedenen Parteieinheiten, Massenorganisationen, Betrieben und staatlichen Verwaltungen angefertigt hatte, ohne dies plausibel begründen zu können. Es wurde daher vermutet, Thiele habe die Namenslisten als Grundlage für den Versand von „Schumachermaterial“ erstellt.121 Ein weiterer Höhepunkt in der Kampagne gegen ehemalige Magdeburger Sozialdemokraten wurde im Juni 1950 durch die Aufdeckung einer „Schumachergruppe“ in der Stadtverwaltung erreicht. Dieser Gruppe rechnete man Oberbürgermeister Rudolf Eberhardt, Stadtbaurat Erich Koss und Stadtkämmerer Dietrich zu. Alle drei wurden entlassen, Rudolf Eberhardt verlor darüber hinaus sein Landtagsmandat. Eberhardt und Koss wurden später zu je fünf Jahren Zuchthaus verurteilt und flohen nach ihrer Entlassung in die Bundesrepublik.122 Hermann Prübenau – Leiter der Abteilung Kommunalpolitik im SED-Landesvorstand – geriet ebenfalls in den Strudel der Magdeburger Säuberungen. Die LPKK hatte Prübenau im Januar 1950 „Reste früherer Verbindungen“ zu sozialdemokratischen Kreisen unterstellt, „da er seinem Wesen nach zur Konspiration bzw. Intrige“ neige. In einer Beurteilung, die von der Kaderabteilung im Juni angefertigt wurde, hieß es, Prübenau habe weder zur Aufdeckung des „Spionagekomplotts“ in der Magdeburger Parteiorganisation, noch zur Auswertung des Herwegen-Brundert-Prozesses Stellung genommen.123 Auf der Sekretariatssitzung vom 14. Juni 1950 versuchte Prübenau, seinen Sturz durch Selbstkritik und Ergebenheitsadressen zu verhindern: 120 Sekretariat-Protokolle 5. 4.–26. 4.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/13, Bl. 86, 88 f., 93 f.). 121 Freiheit vom 25. 4.1950 („Magdeburger Kreisvorstand beseitigt ernste Hindernisse in der Parteiarbeit. Starker opportunistischer Einfluss hinderte den Kampf gegen Reaktionäre und für Nationale Front“). 122 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 157, 165 f., 168 f., 173, 181 f.); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 94. 123 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 122–127.

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211

„Gen[osse] Prübenau: Ich bin nun 11 Monate beim LV [Landesvorstand, F. H.] und muss sagen, dass das Ergebnis meiner Arbeit schlecht ist. Noch nie bin ich in meiner Arbeit so unglücklich gewesen wie jetzt. Früher habe ich mit dem Gen[ossen] Pisnik über dieses und jenes gesprochen. Hier habe ich mich unbeschreiblich vereinsamt gefühlt. Nicht ein einziger Genosse aus dem Sekretariat hat mehr mit mir gesprochen. Dies ist ein Vorwurf für mich, kennzeichnend aber auch für das Sekretariat. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals nicht mehr für die Partei, für die Arbeiterklasse, für den Sieg des Sozialismus zu kämpfen. Genossen, vielleicht könnt ihr mir helfen. Ich bin bereit, mir helfen zu lassen. Ich weiss, dass der schwerste Vorwurf ist, schlecht gearbeitet zu haben. Vielleicht habe ich mich zu viel mit mir selbst beschäftigt. Jedenfalls fühle ich mich nicht auf dem richtigen Posten und kann auf diesem nicht das notwendige Arbeitsvolumen erreichen. Gen[osse] Grotewohl sagte mir bei einer Aussprache, dass es nicht entscheidend ist, ob jemand Sekretär oder dergleichen ist, sondern dass er dort, wo er steht, der Partei am meisten nützt. [...] Persönlich verletzt durch eine Zurücksetzung bin ich nicht. Gen[osse] Koenen: [...] Die Berichterstattung des Gen[ossen] Prübenau über Magdeburg hört auf mit dem Erscheinen des Gen[ossen] Eberhardt und seinem falschen Verhalten und es ist notwendig, dass Gen[osse] Prübenau gerade hierzu noch Stellung nimmt. [...] Du bist Leiter der Kommunalpolitik und in Magdeburg dreht es sich um Kommunalpolitik. [...] Ein Abteilungsleiter für Kommunalpolitik speziell aus Magdeburg [...] muss in der Partei beweisen, dass er ohne angestoßen zu werden, seine Arbeit macht.“124

Am folgenden Tag befasste sich das Landessekretariat mit Prübenaus künftiger politischer Perspektive. Prübenau hatte die Absicht, sich auf eine berufliche Tätigkeit zurückziehen. Das Landessekretariat forderte ihn auf, künftig nicht mehr in Magdeburg zu wohnen und zu arbeiten, „da sowohl das Landessekretariat als auch die Kreisleitung Magdeburg es nicht für zweckmäßig halten“ würden. Prübenau wurde zum technischen Leiter in der Druckerei der halleschen Parteizeitung „Freiheit“ degradiert.125 Auch der Präsident der Landeshandwerkskammer, Fritz Jungmann, hielt dem Kesseltreiben nicht länger stand und setzte sich am Morgen des 6. Juli 1950 nach Westberlin ab. Noch am selben Tag informierte Koenen die Sekretariatsmitglieder über Jungmanns Flucht. Als mögliche Begründung führte Bruschke eine Überprüfung der Handwerkskammer durch das Finanzministerium im November und Dezember 1949 an. Der Verbleib von Haushaltsmitteln und Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung von Jungmanns Fahrtkosten waren damals beanstandet worden. Koenen schloss aus Bruschkes Bericht, dass Jungmann „viel stärker innerlich belastet“ gewesen sei als bisher vermutet. Er habe wohl „deswegen den Kopf verloren“.126 In Wirklichkeit gaben wohl andere Gründe den Ausschlag für Jungmanns Flucht, denn seine Ernennung zum Präsidenten der Landeshandwerkskammer war auf Vorschlag von Bruno Bött124 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 81 f.). 125 Ebd., Bl. 121, 126, 129, 135, 234, 236; BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 12. 126 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 168 f., 177, 180); LHA Magdeburg, Rep K 6, MW Nr. 10915, unpaginiert.

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

ge erfolgt. Bereits im Juni 1949 hatte sich Jungmann strikt gegen parteipolitische Einmischungsversuche in die Belange des Handwerks verwahrt und mit Rücktritt gedroht. Bei der Einstellung von Mitarbeitern waren von Jungmann nicht so genannte „fortschrittlich denkende Genossen“, sondern vor allem frühere SPD-Mitglieder berücksichtigt worden, die in der Landeshandwerkskammer sämtliche Abteilungsleitungen besetzten.127 Nur wenige Tage vor seiner Flucht hatte die „Freiheit“ eine scharfe Stellungnahme abgedruckt, in der Jungmann u. a. erklärte, die Lehren aus dem Herwegen-Brundert-Prozess verpflichteten die SED dazu, „jede Abweichung in der Partei unnachsichtig auszutilgen“. An die im Gerichtssaal verwendete schematische Darstellung der DCGG-Verflechtungen anknüpfend, behauptete Jungmann, die dem Sozialdemokratismus und Praktizismus verhafteten Genossen seien den „Konzernhyänen“ „wie die Fliegen im Spinnennetz“ verfallen gewesen. Um sich gegen das Abgleiten in Sozialdemokratismus und Sektierertum zu wappnen, stellten die Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin die einzig verlässliche Leitlinie in der täglichen politischen Arbeit dar.128 Im Vorfeld des III. Parteitages der SED (20. – 24. Juli 1950) kamen das Landessekretariat und das Politbüro überein, das „Herwegen-Brundert-Komplott“ auf dem Parteitag zu behandeln. Eine aus den Sekretariatsmitgliedern Otto Gehre, Alois Pisnik und Rudolf Weber bestehende Kommission erhielt den Auftrag, Material über den Herwegen-Brundert-Prozess zu sammeln und auszuwerten. Kurz vor Beginn des Parteitages bestimmte das Landessekretariat Werner Bruschke als Diskussionsredner zum Thema „Sozialdemokratismus“.129 Mit seinem „Diskussionsbeitrag“ schien Bruschke die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, als er forderte, mit der Duldsamkeit, „wie sie bisher oft gegenüber ideologischen Abweichungen geübt“ worden sei, „endgültig Schluss zu machen“.130 Bezogen auf die Auseinandersetzungen mit ehemaligen Sozialdemokraten in Magdeburg führte er aus: „Stärker als irgendwo sonst hatte sich das Schumacher-Ostbüro hier die Aufgabe gestellt, Boden zu gewinnen, für die Spaltung zu arbeiten. Sogar Herr Reuter aus Westberlin wurde bemüht. Er hielt Rundfunkansprachen an seine lieben Magdeburger mit dem Versprechen auf baldige Befreiung. In Magdeburg stellte man sich in Funktionärkreisen der Sozialdemokratischen Partei nach einem Ausspruch von dem damaligen Landesvorsitzenden Boettge vor, dass die Sozialdemokraten bei der Vereinigung der neuen Partei durch ihre Funktionäre die Qualität stellen würden und dass damit von vornherein feststünde, die Führung der Partei würde in ihre Hände gegeben sein. Diese dumme Überheblichkeit war ein gefährlicher Vorbehalt gegen die Vereinigung und der Ausgangspunkt für die sozialdemokratische Linie in Magdeburg. [...] Es ging weiter bis zur parteifeindlichen Haltung. In Magdeburg gab es bestimmte Punkte des Gegners, gab es Schumacher-Politik innerhalb der Partei. Sie war vorhanden in einigen Betrie127 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 152–163. 128 Freiheit vom 27. 6.1950 („Die verderbliche Rolle des Sozialdemokratismus. Von Fritz Jungmann, Mitglied des Parteivorstandes der SED“). 129 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 40, 115–117, 138, 200). 130 Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, S. 116.

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213

ben. Sie war anzutreffen in der Stadtverwaltung. Sie erstreckte sich selbst bis in das Kreissekretariat.“131

Obwohl Bruschke mit dieser Rede seine Fähigkeit zu völliger Selbstverleugnung unter Beweis gestellt hatte, bemängelte Wilhelm Pieck, dass Bruschke nicht die erforderlichen Schlussfolgerungen gezogen habe. Dies veranlasste Otto Gehre während der Sitzung des Landessekretariats am 1. August 1950 zu der Frage, ob Bruschkes „Diskussionsbeitrag“ vor dem Parteitag bereits bekannt gewesen sei. Bernard Koenen, den Wilhelm Pieck auf dem Parteitag ebenfalls kritisiert und zum Eingeständnis „ernster Fehlschläge und Fehler“ genötigt hatte,132 gab Gehre zur Antwort, ihm und anderen Genossen habe nichts vorgelegen, wohl habe er Bruschke aber „1½ Seiten hinterlassen über das, was er sprechen soll“.133

2.3

„Trotzkisten“ in der Landesparteikontrollkommission (LPKK)

Der SED-Landesverband Sachsen-Anhalt verfügte mit Erich Besser an der Spitze der LPKK über einen Funktionär, der sich an entscheidender Stelle durch Härte und Unversöhnlichkeit auszeichnete. Besser wurde nicht müde, die Parteimitglieder zur Erhöhung der Wachsamkeit und ihres ideologischen Niveaus aufzufordern. Anfang Dezember 1949 empfahl er den Teilnehmern der Landesdelegiertenkonferenz, sich mit der offiziellen „Geschichte der KPdSU(B)“ und dem Rajk-Prozess zu befassen, um Kräfte erkennen zu können, die den Aufbau zu behindern und die SED zu zersetzen versuchten.134 Im Hinblick auf die Verhaftung von Arbeitsminister Dr. Leo Herwegen (CDU) und Ministerialdirektor Prof. Dr. Willi Brundert (SED) forderte Besser am 10. Dezember 1949 in einer Landtagsdebatte den „verstärkten Kampf der fortschrittlichen Kräfte gegen derartige volksfeindliche Elemente“ in allen Parteien.135 Auch in den folgenden Monaten und bei anderen Gelegenheiten trat Besser als Scharfmacher auf, so z. B. während der Landesvorstandssitzung vom 20. März 1950, in der verlangte, es müsse mit „bürgerlicher Behaglichkeit und Bequemlichkeit“ Schluss gemacht werden.136 In der Landesvorstandssitzung vom 23. April 1950 führte Besser aus: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Feind im eigenen Lager stets der gefährlichste Feind ist. Und unsere Partei ist zu verglei131 Ebd., S. 116 f. 132 Ebd., S. 313 f.; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/73, Bl. 1 f. 133 Sekretariat-Protokolle 1. 8.–8. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/16, Bl. 8, 13–15). 134 Freiheit vom 10.12.1949 („Aus der Diskussion der Delegierten und der Sprecher von Delegationen aus Organisationen und Betrieben auf der Landesdelegiertenkonferenz der SED“). 135 Freiheit vom 12.12.1949 („Einmütig gegen die Volksfeinde. Die 49. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt“). 136 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 17.1. u. 21. 3.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/8, Bl. 418, 422).

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chen mit einer Festung, deren Tore zwar noch offen stehen, wobei jedoch zu beachten ist, dass in diese Festung nur zuverlässige Elemente hineinkommen dürfen. Und aus dieser Festung zu entfernen sind alle die, die eines Tages, vielleicht heute schon, in Vorbereitung stehend gewillt und bereit sind, dieser unserer eigenen Festung in den Rücken zu fallen. [...] Alle trotzkistischen Elemente, alle diejenigen, die ihre Aufgabe [...] darin sehen [...], versöhnend wirken zu müssen, und alle diejenigen, die glauben, dem Sozialdemokratismus zu verfallen, sind auszumerzen.“137 Besser lehnte sich in seiner Wortwahl eng an ähnliche Verlautbarungen Stalins an, die im Dezember 1949 in der „Einheit“ veröffentlicht worden waren. Stalin hatte die Partei bereits im Jahre 1905 mit einer Festung verglichen, „deren Tore sich nur dem Würdigen öffnen“ dürften.138 In der offiziellen „Geschichte der KPdSU(B)“ hieß es dazu: „Die Partei ist der führende Trupp der Arbeiterklasse, ihre vorgeschobene Festung, ihr Kampfstab. Man darf nicht zulassen, dass in dem führenden Stab der Arbeiterklasse Kleingläubige, Opportunisten, Kapitulanten, Verräter sitzen. [...] Festungen werden am leichtesten von innen genommen. Um den Sieg zu erringen, muss man vor allem die Partei der Arbeiterklasse, ihren führenden Stab, ihre vorgeschobene Festung von Kapitulanten, von Deserteuren, von Streikbrechern, von Verrätern säubern.“139 Obwohl sich Besser bei seinen scharfmacherischen Reden auf entsprechende Äußerungen Stalins berufen konnte, war ihm entgangen, dass im Landessekretariat ein entscheidender Schlag gegen ihn vorbereitet wurde – ein Schlag, der unter dem Vorwurf des Trotzkismus’ seine Entmachtung zum Ziel hatte. Als Ansatzpunkt dienten Gerüchte, die im März und April 1950 von Franz Dyba, einem übel beleumundeten früheren Bürgermeister des Dorfes Edderitz bei Köthen, ausgingen. Dyba berichtete, Besser habe 1936/37 ihm und anderen Genossen gegenüber bedauert, „dass Stalin nicht rechtzeitig erschossen“ worden sei. Stalins despotische Herrschaft versetze die gesamte Sowjetunion in Angst und Schrecken, während Trotzki, den Besser nach Dybas Angaben als politisches Vorbild bezeichnete, der Welt eine neue politische Alternative bieten könne. 1939 soll Besser den Hitler-Stalin-Pakt als erneuten Beweis für Stalins „verräterische Rolle“ und politische Unfähigkeit interpretiert haben. Es ist unklar, was Dyba zur riskanten Verbreitung solcher Behauptungen gegen den mächtigen LPKK-Chef veranlasste. Möglicherweise spielte dabei Dybas gescheiterte Bewerbung um das Amt des Köthener Oberbürgermeisters eine Rolle, wofür nach seiner Auffassung Besser die Verantwortung trug: Wie Dyba 1950 berichtete, hatte ihn Besser 1946 bei der Entgegennahme seiner Bewerbungsunterlagen kalt abgefertigt und ihm lediglich mitgeteilt, er werde zu gegebener Zeit benachrichtigt werden. Dyba erhielt nie eine Mitteilung über die Gründe, die zur Ablehnung seiner Kandidatur führten, erfuhr jedoch aus einem Ge137 Protokolle von Vorstandssitzungen April–Juni 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/9, Bl. 74 f.). 138 Zweiling, Stalin und die Partei, S. 1100 f. 139 Zit. nach Teubner, Stalin – der Besieger des Trotzkismus, S. 1140 f.

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spräch mit dem befreundeten Altkommunisten Alfred Kettig, Besser habe ihn (Dyba) wegen der Verbreitung von Berichten über sein politisches Verhalten in Magdeburg und dem KZ Sachsenhausen als Denunzianten bezeichnet.140 Mehrere anhaltische Altkommunisten bestätigten Dybas Behauptungen und fügten weitere Informationen hinzu. Über seine während des Krieges abgehaltenen Besprechungen mit anderen Genossen berichtete Alfred Kettig: „K. erklärte mir, dass er mit Gen[ossen] B[esser], den er als alten Kommunisten und Landtagsabgeordneten mit Freuden aufgesucht hatte, eine stundenlange Unterhaltung gepflegt habe, in der er [Besser, F. H.] soviel Pessimismus und besonders herabsetzende Äußerungen und Ansichten über die Sowjetunion getan habe [...]. Er teilte mir auch mit, dass Gen[osse] B[esser] die Rolle Trotzkis verteidigt habe und die der Linken. Sie seien alle alte Bürgerkriegsgeneräle, die alte bolschewistische Garde, die eine revolutionäre internationale Politik machen wollten, aber von Stalin gehindert würden, der nach der Macht strebe, um eine nationalistische großrussische Politik zu machen. K. erklärte, dass die alle mit der Gestapo zusammengearbeitet hätten, Verräter am sozialistischen Aufbau seien und mit Recht erschossen wurden. Dazu habe ihm der Gen[osse] B[esser] gesagt, das sehe man doch an der Schwachheit und am ewigen Zurückziehen der Sowjetarmee. Während Nazi-Hitler es verstanden habe, die geübten und gelernten Generalstäbler und gute deutsche Militaristen zu werben, habe Stalin seine militärische Führerschicht niedergesäbelt und sei somit aktionsunfähig. Das Einzige, was sie vergessen hätten, [sei], auch gleich Stalin mit totzuschlagen.“141

Die Aufforderung zur Abfassung ihrer Berichte erhielten Kettig und ein weiterer Altkommunist von Rudolf Weber, der in seiner Funktion als Kadersekretär der SED-Landesleitung Ermittlungen gegen Erich Besser eingeleitet hatte. Ein weiterer Bericht wurde von Erich Eichholz (1. Sekretär des SED-Kreisvorstands Magdeburg) veranlasst. Ohne Zweifel besaß auch Eichholz ein persönliches Interesse an der Eliminierung des LPKK-Chefs, da er zwischen 1925 und 1927 dem als trotzkistisch geltenden Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) angehört hatte. Darüber hinaus stellte die frühere sozialdemokratische Hochburg Magdeburg im Frühjahr 1950 ein bevorzugtes Säuberungsziel dar, das im Zuge des Herwegen-Brundert-Prozesses besonders intensiv bearbeitet wurde. Bruchstückhafte Informationen über die von Franz Dyba erhobenen Beschuldigungen sickerten im April oder Mai 1950 zwar bis zu Besser durch, der jedoch nichts unternahm, nachdem Dyba infolge eines Autounfalls schwerverletzt ins Krankenhaus Köthen eingeliefert worden war und dadurch neutralisiert erschien. Als genügend Beweismaterial gegen Besser vorlag, wurde er am 10. Juni 1950 telefonisch zum Staatssicherheitsdienst in Halle bestellt und verhaftet.142

140 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 2, 5, 13 f., 35 f., 55–58. 141 Ebd., Bl. 8 f (vom Verfasser stilistisch und orthographisch verbesserte Wiedergabe des Originaltextes). Vgl. auch ähnliche Erinnerungsberichte ebd., Bl. 11 f., 15 f. 142 Ebd., Bl. 7, 11, 24, 45, 57, 61; BStU, MfS-HA IX/11 SMT, 14. Band, Bl. 206; Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/6, Bl. 19).

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Den Vorwand für Bessers Einbestellung zur halleschen Dienststelle des MfS bildeten angebliche Unklarheiten über seine innerparteiliche Entwicklung, besonders Bessers ultralinke Vergangenheit in den Jahren 1923 bis 1927. Paul Laufer, der Besser beim Staatssicherheitsdienst erwartete und im Auftrag der ZPKK verhörte, befragte Besser noch am Tag der Verhaftung über seine Haltung zu Ruth Fischer und über Vorgänge, die sich 1921 im Anschluss an die „Märzaktion“ der KPD ereignet hatten. Während des am folgenden Tag fortgesetzten Verhörs wurde Bessers gesamte Biographie durchleuchtet. Als man Besser mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen konfrontierte, stritt er alles ab oder relativierte seine früheren Aussagen über Stalin und die militärischen Niederlagen der Roten Armee. Vernehmungen der Denunzianten und weiterer Altkommunisten, die in den folgenden Tagen durchgeführt wurden, förderten nur wenig Neues zutage, sondern bestätigten die bereits bekannten Vorwürfe. Neu waren hingegen Informationen darüber, dass Besser während der Schauprozesse gegen sowjetische Parteiführer „die Sinowjew-Bucharinsche Richtung“ vertreten haben soll. Den Tatsachen entsprechend vermerkte Paul Laufer, Besser sei „nicht für Trotzki, aber für Sinowjew“ gewesen. Entlastende Aussagen und die Vermutung eines Bekannten, Besser sei möglicherweise „das Opfer einer Intrige“ geworden, wurden nicht weiterverfolgt oder mit dem Hinweis auf politische und theoretische Schwächen der Zeugen abgetan.143 Am 29. Juni 1950 fasste der Staatssicherheitsdienst in einem Schreiben an Bernard Koenen den Stand der Ermittlungen folgendermaßen zusammen: „Durch konkrete Zeugenaussagen ist erwiesen, dass B[esser] während der Kriegsjahre mit illegal kämpfenden Genossen in Magdeburg Auseinandersetzungen hatte, deren Ziel es war, den Widerstand der illegal kämpfenden Genossen gegen den Faschismus zu lähmen und zu schwächen. [...] B[esser] stand bis 1927 auf dem linken Flügel der damaligen KPD und unterstützte die Politik [von] Ruth Fischer und Maslow. Nur weil er vor die Alternative gestellt wurde, entweder Parteiausschluss oder die Linie der Partei einzuhalten, bekannte er sich formell zur Linie der Partei. [...] B[esser] bestreitet zwar, von der Gestapo Aufträge erhalten zu haben, was aber dadurch erwiesen sein dürfte, dass er nach seiner Entlassung aus der Lichtenburg im August 1935 sofort in Magdeburg ein Kolonialwarengeschäft eröffnete. [...] Es ist anzunehmen, dass B[esser] im Auftrage der Gestapo das Geschäft eröffnet hat, um mit einer großen Anzahl von Menschen zusammenzukommen, u. a. auch mit den in Magdeburg illegal arbeitenden Genossen, die er durch seine trotzkistisch-opportunistische Einstellung zu beeinflussen versuchte. [...] Die Ermittlungen werden noch weiter fortgesetzt.“144

Am folgenden Tag informierte Koenen die Mitglieder des SED-Landesvorstands über Bessers Ablösung und Verhaftung. Er wies darauf hin, dass Besser als LPKK-Vorsitzender „nicht die Parteilinie zur Grundlage seiner Arbeit gemacht“, sondern eine Linie verfolgt habe, die „im weitgehenden Maße eine sektiererische gewesen“ sei. Diese sektiererische Einstellung habe sich auch in der Arbeit der KPKKs widergespiegelt und sei in allen Aussprachen mit Besser im143 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 17–34, 37–54. 144 Ebd., Bl. 87 f.

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mer klar zum Ausdruck gekommen.145 Die öffentliche Bekanntgabe von Bessers Absetzung erfolgte auf der 4. Landesdelegiertenkonferenz (30. Juni 1950 – 2. Juli 1950). Bernard Koenen erklärte in seinem Rechenschaftsbericht, Besser habe sich als LPKK-Vorsitzender nicht auf die Ahndung von Verstößen gegen die Parteilinie konzentriert. Die Arbeit der Kontrollkommissionen in Sachsen-Anhalt habe stattdessen vor allem „in der Untersuchung von persönlichen Differenzen und Belastungen von Mitgliedern“ bestanden. Die Verantwortung für die allseits gefürchteten Untersuchungen sollte somit allein Besser zugeschoben werden, dessen Entmachtung eine Entspannung der Verhältnisse anzudeuten schien. Bessers Fanatismus und sein Einblick in politische und persönliche Verfehlungen hatten sich für einige SED-Funktionäre offenbar zu einer existentiellen Bedrohung entwickelt, die aus der Sicht der Betroffenen nur durch die Eliminierung des LPKK-Chefs beseitigt werden konnte. Koenen nutzte die Gelegenheit, um an alle Delegierten zu appellieren, „gegenüber Sektierertum und trotzkistischen Erscheinungen in unserer Partei und in der Öffentlichkeit äußerste Aufmerksamkeit zu entfalten“. Der Trotzkismus müsse sowohl auf ideologischem Gebiet, als auch im politischen Verhalten aufgedeckt und zerschlagen werden.146 Währenddessen befand sich Erich Besser weiterhin im Gewahrsam des Staatssicherheitsdienstes. In einem am 21. Juni 1950 verfassten Brief an seine Frau Anna, der vom Staatssicherheitsdienst einbehalten wurde, zeigte sich Besser in politischer Hinsicht ungebrochen, indem er ihr mitteilte, er sei sich „keiner klassen- oder parteischädigender Handlung“ seit 1945 bewusst. Aus einem gleichfalls abgefangenen Brief vom 5. Juli 1950 – Besser befand sich seit fast vier Wochen in den Fängen des MfS – sprach dagegen wachsende Verzweiflung: Besser bat seine Frau, einen Notar mit der Abfassung eines Testaments zugunsten ihrer Kinder und Enkel zu beauftragen und ihn dabei unberücksichtigt zu lassen. Er gab seiner Frau zu bedenken, dass ihnen aufgrund ihres Alters „plötzlich etwas Ernsthaftes zustoßen“ könnte. An die ihm noch verbleibende Lebenszeit stelle er ohnehin „keine Ansprüche mehr“, denn er selbst brauche nichts außer frischer Wäsche und neuer Schuhe.147 Besser wurde von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, die er in einem sowjetischen Straflager verbüßen sollte. Anna Besser wandte sich nach dem spurlosen Verschwinden ihres Mannes an die SMAD, an Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Generalstaatsanwalt Ernst Melsheimer, an das MfS, das Justizund das Innenministerium der DDR, um etwas über seinen Verbleib zu erfahren. Sofern Anna Bessers Eingaben überhaupt beantwortet wurden, beschränkten sich die behördlichen Antwortschreiben in den folgenden Jahren auf die ste145 Protokolle von Vorstandssitzungen April–Juni 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/9, Bl. 365–367). 146 Freiheit vom 3. 7.1950 („Im Kampf um die Einhaltung der Linie und die Durchführung der Beschlüsse wächst die Partei. Aus dem Rechenschaftsbericht des Genossen Bernard Koenen“). 147 BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 1. Band, Bl. 100–105.

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reotype Mitteilung, dass ihre Briefe an die zuständigen Stellen weitergeleitet würden. Auskunft über den Aufenthaltsort ihres Mannes und über die ihm zur Last gelegten Taten erhielt sie nicht. Erich Besser kehrte mit einem Transport vorzeitig entlassener deutscher Gefangener am 19. Oktober 1955 aus der Sowjetunion in die DDR zurück, wurde nichtöffentlich rehabilitiert und wieder in die SED aufgenommen.148 Als Nachfolger auf dem Posten des LPKK-Vorsitzenden war der Altkommunist Max Benkwitz vorgesehen. Benkwitz wurde am 28. Juli 1950 vom Landessekretariat bestätigt und sollte auf der Landesvorstandssitzung vom 2./3. August 1950 „gewählt“ werden.149 Otto Gehre wies die Vorstandsmitglieder darauf hin, dass Benkwitz gerade wegen einer wichtigen Besprechung bei der ZPKK, wo sich auch seine Papiere befänden, abwesend sei. Aufgrund der bereits erteilten Zustimmung der ZPKK und Benkwitz’ hohem Bekanntheitsgrad erübrige sich eine Darstellung seines politischen Werdeganges, worauf das Sekretariatsmitglied Lene Berg – wohl unter dem Eindruck von Bessers Entlarvung als „Trotzkist“ – zu vorsichtigerem Vorgehen riet. Sie schlug vor, Benkwitz mit der Arbeit beginnen zu lassen, aber erst nach Eintreffen der bei der ZPKK liegenden Kaderunterlagen über die Ernennung zum LPKK-Vorsitzenden abzustimmen. Sie begründete dies damit, dass sich vielleicht „aus seiner Entwicklung und aus seinen Unterlagen diese oder jene Fragen“ ergeben könnten. Lene Bergs Vorschlag wurde von der Versammlung einstimmig angenommen.150 Auf der folgenden Landesleitungssitzung (31. August 1950) erschien Max Benkwitz und informierte die Anwesenden über seine eindrucksvolle politische Biographie: Er gehörte seit 1920 der KPD an, hatte an den Kämpfen während des Kapp-Putsches teilgenommen und war 1924 Reichstagsabgeordneter der KPD gewesen. Seit 1924 gehörte er der Bezirksleitung an und war Leiter des Unterbezirks Zeitz. Gerichte, darunter auch das Reichsgericht Leipzig, verurteilten ihn in den zwanziger Jahren mehrfach wegen „Zersetzung der Schupo“, „Vorbereitung zum Hochverrat“, illegaler Weiterführung des 1929 verbotenen Roten Frontkämpfer-Bundes (RFB) und „Verächtlichmachung der Republik“ zu Haftstrafen. Während der NS-Herrschaft war Benkwitz zehn Jahre lang in Konzentrationslagern inhaftiert, zuletzt im KZ Buchenwald, wo er sich am kommunistischen Lagerwiderstand beteiligte. Vor seiner Wahl zum LPKK-Vorsitzenden gab Benkwitz eine Ergebenheitsadresse ab, indem er sagte, er werde „auch in Zukunft nur die Interessen der Partei wahren“ und Bernard Koenens vorangegangene Ausführungen als „Wegweiser und Ansporn“ betrachten, um „die 148 BStU, MfS-HA IX/11 SMT 14. Band, Bl. 203–212; MfS-AS 6/54 16. Band, Bl. 11, 13; 42. Band, Bl. 36, 144 f., 194, 196; Kaderakte Erich Besser (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/92, Bl. 2–21, Fragebogen und Grundbuch); Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 71. 149 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 234 f.). 150 Vorstandssitzungen Protokolle 2./3. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/10, Bl. 392 f.).

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Feinde unserer Partei zu beseitigen und die Partei auf den Weg einer Partei neuen Typus zu bringen“.151 Lene Bergs Mahnung, Benkwitz’ Ernennung zum LPKK-Vorsitzenden nicht zu überstürzen, erwies sich als richtige Entscheidung, da ihn das Sekretariat des ZK „als nicht ausreichend für diese Funktion“ ablehnte. Benkwitz sollte durch einen geeigneteren Genossen ersetzt werden und das Amt des LPKKVorsitzenden bis dahin nur provisorisch ausüben. Noch am Tag seiner Ablehnung gingen Schreiben an mehrere Altkommunisten ab, in denen das ZK um Auskunft über Benkwitz ersuchte. Auch Willi Kreikemeyer, mit dem Benkwitz zwischen 1930 und 1933 zu tun gehabt hatte, erhielt ein solches Auskunftsersuchen, das aber infolge von Kreikemeyers Verhaftung am 25. August 1950 unbeantwortet blieb. Ein aus Zeitz stammender früherer Mithäftling des KZ Buchenwald teilte dem ZK mit, Benkwitz habe vor 1933 auf dem linken Flügel der KPD um Scholem, Urbahns und Ruth Fischer gestanden und sich später dem Leninbund angeschlossen. Durch sein Selbststudium sei es Benkwitz jedoch gelungen, „das verbrecherische Treiben der Trotzkisten zu erkennen“ und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen.152 Benkwitz hatte entgegen dieser Darstellung zwar nie dem Leninbund angehört, doch seine politische Vergangenheit war weniger makellos als von ihm selbst dargestellt: Wie er anlässlich einer im Januar 1951 stattfindenden Arbeitstagung der LPKK und KPKKs freimütig zugab, hatten er und der ZPKK-Vorsitzende Hermann Matern Mitte der zwanziger Jahre die Politik von Ruth Fischer und Arkadi Maslow mitgetragen, allerdings nur – so Benkwitz wörtlich – „solange sie die Meinung der Partei war“. Benkwitz unterhielt aber auch nach Fischers und Maslows Absetzung noch Kontakt zu ihnen. Seit Anfang 1926 unterstützte die von Benkwitz geleitete Ortsgruppe Zeitz den oppositionellen ultralinken Flügel der Partei, für den der bereits ausgeschlossene Funktionär Iwan Katz in einer Versammlung als Korreferent zugelassen werden sollte. Die Bezirksleitung Halle-Merseburg erwog deshalb in einem Schreiben an das Politbüro der KPD Benkwitz’ Absetzung als Leiter der Ortsgruppe Zeitz. Im Dezember 1926 nahm Benkwitz an einer Konferenz der linken Opposition teil. Er trat dort als ultralinker Scharfmacher auf und richtete an Fischer und Maslow den Vorwurf, „dass sie in Moskau doch wieder umfallen würden“. Im August 1927 organisierte er in Zeitz Fraktionssitzungen linker Funktionäre, auf denen Hugo Urbahns als Vertreter der Ultralinken sprach. Benkwitz wurde daraufhin als Pol-Leiter der Ortsgruppe Zeitz abgesetzt. Er brach die Kontakte zur linken Opposition erst im Herbst 1927 unter dem Druck eines bevorstehenden Prozesses vor dem Reichsgericht ab, da ihm die KPD-Führung bei Fortsetzung seines „fraktionellen Treibens“

151 Protokolle 31. 8.–28. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/11, Bl. 171 f.); Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 72. 152 Kaderakte Max Benkwitz (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/78, Bl. 29, 32 a, unpaginiert; Schreiben des ZK an Willi Kreikemeyer vom 28. 8.1950).

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den Entzug jeglicher Unterstützung angedroht hatte.153 Durch diese Kontakte hatte sich Benkwitz zwar desselben „Verbrechens“ schuldig gemacht wie sein abgesetzter und verhafteter Amtsvorgänger Erich Besser, Benkwitz’ Biographie ließ im Gegensatz zu Besser jedoch keine Zweifel an seiner Rolle während des Dritten Reiches aufkommen. Ein weiterer Kriegsschauplatz gegen Benkwitz, der Ende 1950 noch immer kommissarisch amtierte, wurde von zwei LPKK-Mitgliedern eröffnet, die bei Bernard Koenen und der ZPKK intervenierten, um Benkwitz als LPKK-Vorsitzenden zu stürzen. Als Anlass dienten Benkwitz’ „starke versöhnlerische Tendenzen“, die sein Verhalten gegenüber einem wegen Wirtschaftsdelikten verhafteten Landrat angeblich bestimmt hatten. Die beiden Denunzianten schlugen vor, Benkwitz zu einer selbstkritischen Stellungnahme zu veranlassen, anhand derer das ZK und die ZPKK entscheiden sollten, „ob der Genosse Max Benkwitz weiterhin in der Funktion als Vorsitzender der LPKK bleiben“ könne. Der Vorstoß verfehlte jedoch seine Wirkung, da das SED-Landessekretariat befürchtete, in die Angelegenheit verwickelt zu werden.154 Nicht nur das gegen Benkwitz einsetzende politische Kesseltreiben, sondern auch seine angegriffene Gesundheit (er litt unter einem Magengeschwür und starker Bronchitis) schwächten seine Wirksamkeit als LPKK-Vorsitzender. Benkwitz fühlte sich überfordert und wies auf die Schwäche der übrigen LPKK-Mitglieder hin, auf die er sich nicht stützen könne. In einer Einschätzung, die im April 1951 angefertigt wurde, hieß es, Benkwitz sei auf Grund seines Gesundheitszustandes und Alters für die Arbeit in der LPKK „nicht mehr ausreichend“ und solle seinem Wunsch entsprechend für andere Aufgaben eingesetzt werden. Seine Erkrankungen und Kuraufenthalte begannen sich 1952 zwar zu häufen, er blieb aber dennoch weiter im Amt und wurde erst im August 1952 auf die Position des KPKK-Vorsitzenden von Halle zurückgenommen.155 Auch in fortgeschrittenem Alter diente Benkwitz weiterhin dem SED-Staat, indem er dem MfS 1957 unter dem Decknamen „Nelke“ sein Wohnzimmer für konspirative Treffen zur Verfügung stellte und dafür im Gegenzug monatlich 20 Mark kassierte. Als Begründung für die 1966 erbetene Einstellung von „Nelke“ führten der mittlerweile 77-jährige Benkwitz und seine Frau an, dass zu viele und zeitlich ungünstig terminierte Treffen stattfänden. Sie könnten deshalb „nicht einmal verreisen“. Zusätzlicher Aufwand entstand ihnen dadurch, dass sie aus Sorge, das MfS und seine Informanten könnten ihre Wohnzimmersessel beschmutzen, diese vor jedem Termin durch Stühle ersetzten. Im April 1967 153 SAPMO-BArch, RY 1/I 3/11/25, Bl. 172, 174, 243; RY 1/I 3/11/12, Bl. 233–235; Protokolle über Arbeitstagungen Jan.–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/4/19, Bl. 15); Untersuchungsberichte Juni 1952–Febr. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1861, unpaginiert; Schreiben des Freiheit-Redakteurs Fleischer an die BPKK vom 9. 6.1954); Weber, Die Wandlung, 1. Band, S. 146; 2. Band, S. 72; Klassenkampf vom 10.12.1926 („Die Reichskonferenz der Parteispalter“). 154 Kaderakte Max Benkwitz (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/78, Bl. 32 a, 33–41). 155 Ebd., Bl. 42 a, 43, 50, 52 c, 55, 58, Eintragungen im Grundbuch.

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empfahl die MfS-Dienststelle Zeitz, die inoffizielle Zusammenarbeit abzubrechen. Zur offiziellen Durchführung von Ermittlungen könne das Ehepaar Benkwitz dennoch „auch in der nächsten Zeit weiterhin ausgenutzt werden“.156 Angesichts ihrer „trotzkistischen“ Vergangenheit erscheint Bessers und Benkwitz’ Ernennung zum LPKK-Vorsitzenden auf den ersten Blick zwar paradox, sie folgte jedoch der Logik stalinistischer Herrschaft, denn auch Stalin duldete neben sich einflussreiche Funktionäre wie Sergej Kirow, Andrej Wyschinski, Lawrenti Berija und andere, die er durch beiläufig ausgestreute Bemerkungen über ihre früheren politischen Irrtümer gefügig machte. Die bloße Furcht vor der Entdeckung dunkler biographischer Punkte genügte, um Parteifunktionäre zu absoluter Ergebenheit zu verpflichten.157 KPD-Veteranen, die vor 1933 wegen Fraktionstätigkeit aus der Partei ausgeschlossen worden waren oder wie Besser und Benkwitz dem Ausschluss nur knapp entgingen, mussten jederzeit mit der Erneuerung der gegen sie erhobenen Vorwürfe rechnen. Aus der Sicht beider LPKK-Vorsitzender und vor dem Hintergrund ihrer trotzkistischen Vergangenheit stellten demonstrative ideologische Unversöhnlichkeit und absolute Linientreue somit die einzige Möglichkeit dar, um sich keinen weiteren Verdächtigungen auszusetzen. Darüber hinaus eigneten sich ultralinke Eiferer aufgrund ihrer ideologischen Disposition besser für die Durchführung von Säuberungen als gemäßigte „Versöhnler“ oder frühere Anhänger des rechten Parteiflügels. Die wachsende Gefahr, zu der sich Erich Besser aufgrund seines rigorosen Vorgehens für die übrigen Parteifunktionäre des Landes zu entwickeln begann, wurde durch seine Verhaftung und Deportation in die Sowjetunion gebannt. Die Ernennung des gesundheitlich angeschlagenen Max Benkwitz zu Bessers Nachfolger und seine von Anfang an betriebene politische Schwächung erscheinen in diesem Zusammenhang als logische Folge der Ära Besser. Ein LPKK-Vorsitzender wie Benkwitz, der trotz Krankheit und Überforderung zwei Jahre lang auf seinem Posten gehalten wurde, trug zweifellos zur Beruhigung vieler Funktionäre bei.

156 BStU, MfS BV Halle, AIM 732/67, Bl. 15–18, 25–27, 124 f. 157 Sergej Kirow hatte vor der Oktoberrevolution linksliberale Positionen vertreten und die Provisorische Regierung unterstützt. Andrej Wyschinski gehörte den Menschewiki an. Gegen Berija wurde der Vorwurf erhoben, er habe 1918/19 in Baku als Informant für den aserbaidschanisch-nationalistischen Mussawat-Geheimdienst gearbeitet. Berija verteidigte sich mit dem Hinweis, seine Mitarbeit sei auf Beschluss der Partei erfolgt, worüber er bereits 1920 Rechenschaft abgelegt habe. Anastas Mikojan sah sich 1937 Stalins Vorwurf ausgesetzt, dass er während des Bürgerkrieges als einziger Kommissar aus Baku überlebt habe, während alle übrigen erschossen worden seien. Im Fall von Andrej Andrejew erinnerte Stalin 1937 öffentlich daran, dass Andrejew 1921 in der Diskussion um die Gewerkschaftsfrage Trotzkis Standpunkt unterstützt hatte. Vgl. Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 164–166, 342, 345 f.; A. Maximowitsch, Dossier über Berija; N. Kwantaliani, Wie er an die Macht kam. In: Nekrassow (Hg.), Berija, S. 175, 183 f.

222 2.4

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Paul Merker und andere „anglo-amerikanische Agenten“

Am 7. September 1950 – eine Woche nach der Bekanntgabe von Paul Merkers Parteiausschluss im „Neuen Deutschland“ – nahm das SED-Landessekretariat Stellung zur Erklärung des ZK und der ZPKK vom 24. August 1950 über die „Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee Noel H. Field“. Das Landessekretariat begrüßte die Aufdeckung der „klassen- und parteifeindlichen Tätigkeit der in dem Dokument genannten Personen“. Die Veröffentlichung und gründliche Behandlung des Dokuments sei „eine starke Waffe der Partei und der Arbeiterklasse im Kampf gegen die anglo-amerikanischen Kriegsbrandstifter, gegen den Imperialismus, gegen die Feinde des Friedens und der Arbeiterklasse“ und diene sowohl der Erziehung der Mitglieder, als auch der Stärkung und Festigung der gesamten Partei. Mit Hilfe des ZK-Dokuments könnten „kleinbürgerliche Sorglosigkeit, Vertrauensseligkeit“ und „unpolitisches Verhalten zu politischen Fragen und Fehlern“ überwunden werden. Auch in der SED von Sachsen-Anhalt gebe es Beispiele dafür, wie die Klassenwachsamkeit infolge persönlicher Verbundenheit der Mitglieder und Funktionäre untereinander herabgesetzt oder eingeschläfert worden sei. Dies habe den „Fall Brundert“, den „Fall Besser“ und weitere ähnliche Vorkommnisse erst ermöglicht. Das Sekretariat erteilte Alois Pisnik, Lene Berg und Rudolf Weber den Auftrag, unverzüglich eine konkrete Anleitung zur Durcharbeitung des Dokuments in den unteren Parteiorganen auszuarbeiten. In dieser Anleitung sollten die Parteimitglieder zur Meldung abweichender Meinungen und parteischädigenden Verhaltens veranlasst werden, um den Parteikontrollorganen bei der Aufdeckung „parteifeindlicher Elemente“ zu helfen.158 Der Einfluss des ZK-Dokuments auf personalpolitische Entscheidungen spiegelte sich bereits in der Sekretariatssitzung vom 7. September 1950 wider, als über die Besetzung mehrerer vakanter Posten an der Spitze von SED-Kreisleitungen und deren Kaderabteilungen beraten wurde: Fast alle Positionen gingen an altgediente Kommunisten und an Parteimitglieder, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft Lagerschulungen durchlaufen oder sich anderweitig politisch betätigt hatten. SED-Mitglieder, die längere Zeit in westlicher Kriegsgefangenschaft gewesen waren, befanden sich dagegen nicht mehr unter den Kandidaten für sensible Tätigkeitsbereiche. Ebenso entsprach es den im Rajk-Prozess und im Dokument des ZK vorgebrachten Verschwörungstheorien gegen frühere Spanienkämpfer und die französische KP-Emigration, dass ein sudetendeutscher Kommunist, der als Mitglied der Internationalen Brigaden und 1939/40 als französischer Soldat gegen den Faschismus gekämpft hatte, für das Amt des 2. Sekretärs in Wittenberg abgelehnt wurde. Das Sekretariatsprotokoll vermerk-

158 Sekretariat-Protokolle 7. 9.–18. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/20, Bl. 2–5).

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te hierzu, man müsse den Genossen auf die Parteischule schicken und seine „Vergangenheit prüfen“.159 In enger Anlehnung an die Verlautbarung des Landessekretariats zum Dokument des ZK nahmen am folgenden Tag auch die LPKK und KPKKs Stellung zu den Ereignissen. Die Kommissionsmitglieder verpflichteten sich, „ihre ganze Kraft dafür einzusetzen, dass das Dokument des ZK in allen Grundeinheiten durchgearbeitet wird und daraus die notwendigen Schlüsse gezogen werden“.160 Die Kampagne begann jedoch recht schleppend und die LPKK musste sich im Oktober 1950 eingestehen, dass das Dokument „nur in vereinzeltem Maße“ behandelt worden sei. Im Laufe der Zeit wurden schließlich überall zustimmende Erklärungen abgegeben, auch wenn das ZK-Dokument vor allem unter früheren kommunistischen Abweichlern für Unruhe gesorgt haben dürfte. Dies legt zumindest ein Bericht der KPKK Saalkreis nahe, in dem es hieß, das Thema habe „in einem Teil der Ortsgruppen, die vor 1933 starke KPD-Minderheiten besaßen, [...] lebhafte Diskussionen“ ausgelöst. Offiziell führte man diese Diskussionen darauf zurück, dass es in den Ortsgruppen des Saalkreises Altkommunisten gab, die Paul Merker bereits seit Anfang der zwanziger Jahre aus seiner Tätigkeit in der KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg kannten.161 Im September und Oktober 1950 führte die LPKK mehrere Dienstfahrten durch, um die Arbeit der KPKKs zu überprüfen. In den dabei entstandenen Berichten wurde die um sich greifende Agentenhysterie immer deutlicher: So war nach Einschätzung der LPKK in Osterburg und Zerbst „verstärkte Agententätigkeit“ zu verzeichnen. In Schönebeck, Leuna und Halberstadt mussten Mitglieder der KPKK wegen ihres Aufenthalts in westlicher Kriegsgefangenschaft, früherer Mitgliedschaft in der KAPD und einem Kriegerverein ausgewechselt werden. In den KPKKs Haldensleben und Magdeburg traf es die in westlicher Kriegsgefangenschaft gewesenen KPKK-Vorsitzenden. Kirchlich gebundenen KPKK-Mitgliedern legte die LPKK nahe, aus der Kirche auszutreten. Den wohl gravierendsten Fall stellte Genthin dar: Der Genthiner KPKK-Vorsitzende wurde seines Postens enthoben, weitere KPKK-Mitglieder hatten sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden. Eine Genthiner Gruppe, mit der sich das MfS befasste, unterhielt Verbindung zum Vorsitzenden der „Unabhängigen Gewerkschafts-Opposition“ (UGO), eine andere bestand aus ehemaligen KPD-Mitgliedern und wies „starke sektiererische Tendenzen“ auf. Aus Leuna wurde ein anonymer Brief bekannt, in dem einem KPKK-Mitglied aufgrund seiner Tätigkeit schwerwiegende Konsequenzen für die Zeit nach einem antikommunistischen Umsturz angedroht wurden. Unterzeichnet war der Brief mit „Kampfbund ge159 Ebd., Bl. 2, 8 f., 43 f., 46 f., 50–52. 160 Protokolle über Beratungen mit den KPKK Mai 1949–Sept. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/18, Bl. 2–4). 161 Überprüfungsberichte, Tätigkeitsberichte, Monatsberichte der LPKK Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/58, Bl. 131, 135); Protokolle, Tätigkeitsberichte, Überprüfungsberichte 1951 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/4/70, Bl. 124).

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gen Unmenschlichkeit“.162 Ob es sich bei diesem Drohbrief tatsächlich um eine Aktion der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) handelte oder ob Sympathisanten lediglich den leicht veränderten Namen der Organisation für eigene Zwecke benutzten, lässt sich abschließend nicht entscheiden. Zumindest die für die KgU typische Bedrohung von SED-Funktionären schien für die Authentizität des Schreibens zu sprechen und somit den Beweis für Aktivitäten einer mit westlichen Geheimdiensten kooperierenden antikommunistischen Organisation zu liefern. Als Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung durch westliche Geheimdienste leitete die 1948 gegründete KgU Informationen an die CIA und die Organisation Gehlen (Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes) weiter und übernahm die Vermittlung von DDR-Bürgern, die für Spionage geeignet erschienen.163 Aufgrund „erhöhter Agententätigkeit“ führten SED-Mitglieder und Funktionäre in Absprache mit der Volkspolizei schließlich in ganz Sachsen-Anhalt einen nächtlichen Wachdienst durch.164 Josef Hegen – seit April 1950 Nachfolger von Innenminister Robert Siewert – berichtete auf der Sekretariatssitzung vom 14. September 1950 über die „Tätigkeit des Gegners im Lande“ und machte dabei ausschließlich westliche Auftraggeber für den Widerstand der DDR-Bevölkerung und für Fehlschläge in Industrie und Landwirtschaft verantwortlich: „Der Gegner hat fast keine Möglichkeit für eine legale Tätigkeit. Dadurch ist er gezwungen, seine Maßnahmen mehr in der Richtung des Terrors durchzuführen. Er stützt sich dabei auf die amerikanische und englische Spionage, zum Teil auf die französische, und macht sich die Erfahrungen des internationalen Spionagenetzes zu nutze. Diesem Vorgehen stehen unsere Funktionäre und Mitglieder hilflos gegenüber. [...] Einige dieser Gruppen, die ausgehoben wurden, waren bewaffnet. Ihre Aufgabe war, sich mehr Waffen und Munition zu beschaffen; dafür lagen konkrete Pläne vor: Die DDR wird nicht lange bestehen und sie wollen bei dieser Arbeit dabei sein. [...] FDJ-Gruppen wurden durch Jugendliche überfallen. Gruppen junger Menschen haben versucht, auf die Polizei Überfälle durchzuführen. Es bestand die Absicht, Handgranaten zu bekommen. Es finden Zusammenkünfte früherer Offiziere statt, das Zentrum ist das Harzgebiet, Magdeburg und zum Teil Stendal. Sabotage und Betriebssabotage: Die Brandstiftungen sind bekannt. Brandblättchen und Brandstreifen wurden gefunden. Sehr viele Brände von mit Getreide beladenen Wagen sind zu verzeichnen. Im Harz soll an den Hauptstraßen die Virenkrankheit an Rübenfeldern entdeckt worden sein.“165

Die Zuweisung der Verantwortung für Ernteausfälle an innere und äußere Feinde besaß zu diesem Zeitpunkt bereits eine längere Tradition. Schon im Mai und Juni 1950 waren in Sachsen und Sachsen-Anhalt wegen der Kartoffelkäferpla162 Überprüfungsberichte, Tätigkeitsberichte, Monatsberichte der LPKK Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/58, Bl. 60 f., 63, 83, 85, 87, 89 f., 94–97, 124, 128, 131, 136). Die Unabhängige Gewerkschafts-Opposition (UGO) wurde 1946 im Berliner FDGB gegründet. Ihr gehörten hauptsächlich SPD-Mitglieder an. 163 Maddrell, Blütezeit der Spionage, S. 27–29. 164 Überprüfungsberichte, Tätigkeitsberichte, Monatsberichte der LPKK Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/58, Bl. 137). 165 Sekretariat-Protokolle 7. 9.–18. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/20, Bl. 72–74).

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ge, die man ausschließlich angeblichen Abwürfen amerikanischer Flugzeuge zuschrieb, hysterische Kampagnen entfacht worden. In Sachsen-Anhalt fanden sich größere Mengen von Kartoffelkäfern vor allem in den ländlichen Gebieten um Genthin, Torgau, Quedlinburg und im Saalkreis. Die Käfer sollten von freiwilligen Helfern, Schulklassen, Gewerkschaftsmitgliedern, Feuerwehren, Volkspolizisten und der VdgB bekämpft werden. Da in vielen Gemeinden aber bereits vor der angeblichen Sabotage-Aktion amerikanischer Flugzeuge massenhaft Käfer aufgetreten waren, entlarvte sich die Behauptung der SED als Propagandalüge. Selbst Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Ernst Brandt räumte ein, dass die Käfer sich vor allem in Schrebergärten und auf kleinbäuerlichen Anbauflächen ausbreiteten, bei denen „die ungenügende Bekämpfung bereits aus dem Vorjahre ganz klar in Erscheinung“ getreten sei. Dennoch fassten Gewerkschaften und Betriebe – so z. B. die Buna-Werke, LeunaWerke und das „Mifa“-Fahrradwerk in Sangerhausen – Resolutionen, in denen „das provokatorische Vorgehen amerikanischer Gangster“ scharf verurteilt wurde. Die Regierung der DDR setzte zur Untersuchung der Vorgänge eine außerordentliche Kommission unter dem Vorsitz des damals noch amtierenden Staatssekretärs im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Paul Merker ein. Merker berichtete dem Ministerrat am 15. Juni 1950, der Abwurf von Kartoffelkäfern durch amerikanische Flugzeuge sei erwiesen. Als Beweis für diese Behauptung führte Merker die Auffindung von Käfern in den Einflugschneisen westlicher Flugzeuge und in städtischen Wohngebieten an. Merker berichtete auch über die Züchtung von Käfern in einer amerikanischen Versuchsanstalt, die Erkenntnisse des japanischen Generals Shiro Ishii – ein Spezialist für bakteriologische Kriegsführung – verwerte. Ishiis Auslieferung an ein sowjetisches Kriegsgericht sei seinerzeit von General Mac Arthur abgelehnt worden. Das hallesche Parteiorgan „Freiheit“ kommentierte das massenhafte Auftreten der Käfer mit der Feststellung, dass die „anglo-amerikanischen Menschenfeinde“ zur Erreichung ihrer Ziele nun zu „noch heimtückischeren und noch gemeingefährlicheren Mitteln“ griffen, weil „die von ihnen abgesandten Agenten, Saboteure und Diversanten in der Deutschen Demokratischen Republik nicht voll zum Zuge“ kämen. Wer heute Kartoffelkäfer abwerfe, um die Ernte zu gefährden, der werde morgen Atombomben und Pestbazillen einsetzen. Kartoffelkäferfunde in den Städten wertete das Blatt als Beweis für schlechtes Zielen der amerikanischen Piloten. Als Folge der fehlerhaften Durchführung des Einsatzes habe das amerikanische Hauptquartier eine Untersuchungskommission eingesetzt und der Westpresse die Anweisung erteilt, die Kartoffelkäferabwürfe „mit lächerlichen Argumenten anzuzweifeln“. Eine Karikatur, die einen Kartoffelkäfer mit Mac Arthurs Physiognomie unter einer Lupe zeigte, sollte nicht nur den angeblichen Urheber der zu erwartenden Missernte entlarven, sondern zugleich auch Assoziationen mit Ungeziefer und Schädlingen, die es zu vernichten galt, hervorrufen.166 166 Freiheit vom 26. 5.1950 („Amerikanische Flugzeuge werfen Kartoffelkäfer ab. In Sachsen und Sachsen-Anhalt verbrecherische Anschläge auf die Volksernährung der Deut-

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Merkers spätere Entlarvung als „Agent“ bot die Gelegenheit, ihn aufgrund seiner Tätigkeit im DDR-Landwirtschaftsministerium für alle Fehlschläge in der DDR-Landwirtschaft verantwortlich zu machen. Im Hinblick auf einen künftigen Prozess gegen Merker fasste ein Mitarbeiter der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKSK) am 11. Oktober 1950 die gegen Merker zu erhebenden Vorwürfe unter der Überschrift „Material gegen den ehemaligen Staatssekretär Paul Merker“ zusammen. Die Vorwürfe reichten von Problemen bei der Ersatzteilbeschaffung in den Maschinenausleihstationen (MAS) über die massenhafte Aufgabe von Neubauernstellen, Mängel in der Schädlingsbekämpfung und Düngemittelversorgung bis hin zu Versäumnissen bei der Impfung von Schweinen. Die Vorlagen der ZKSK endeten in jedem einzelnen Punkt mit der Feststellung, dass Merker die angeführten Probleme entweder falsch angepackt oder an Personen delegiert habe, die bereits als Agenten enttarnt worden seien oder zumindest im Verdacht der Sabotage und Spionage stünden.167 Die Absicht der ZKSK war klar: Wie im Fall Herwegen-Brundert, bei dem die ZKSK federführend an der Erstellung des Anklagekonstrukts beteiligt gewesen war, sollte auch um Paul Merker ein weit verzweigtes Agentennetz gesponnen werden, das scheinbare Erklärungen für die verfehlte Politik der SED bot. Verhaftungen griffen in Sachsen-Anhalt Anfang 1951 um sich: In Kochstedt (Kreis Stendal) wurden nach einem Handgranatenanschlag auf den dortigen 1. Sekretär fünf Personen verhaftet. Im Kreis Wittenberg deckten die Sicherheitsorgane eine Widerstandsgruppe auf, die Flugblätter verteilt hatte. Ein Mann, der in Betrieben Stalin-Büsten mit Friedenstauben beklebte, wurde festgenommen. Ehemalige KPO-Mitglieder aus Wittenberg wurden zur Abgabe von Reue-Erklärungen in der Presse genötigt. In einer Funktionärsversammlung stellte der vor 1933 aus der KPD ausgeschlossene Parteiliterat Hans Lorbeer Brandlers „verräterische Rolle“ heraus und ermahnte die früheren KPO-Mitglieder, dass jeder, „an den herangetreten werde“, die Pflicht habe, dies der Partei zu melden. In Delitzsch wurde der ehemalige Gewerkschaftssekretär der KPD-Bezirksleitung Halle-Merseburg Karl Baumgärtel festgestellt, der nach seinem Ausschluss aus der KPD zunächst der KPO und 1932 der SAP beigetreten war. In einem Bericht über ihn hieß es, Baumgärtel tarne sich so geschickt, „dass seine Tätigkeit nicht spürbar“ sei.168 Um die Spur der in Ungnade gefalschen Demokratischen Republik“; „Die Gangster können uns nicht einschüchtern“; „Mobilisiert alle zur Vernichtung des Kartoffelkäfers“); 27. 5.1950 („Die Feinde der Werktätigen entlarven sich selbst. Flammende Proteste gegen den Abwurf von Kartoffelkäfern durch amerikanische Flugzeuge“); 3. 6.1950 („USA-Gangster mit der Kartoffelkäferaktion unzufrieden. Mc Cloy schaltet sich ein – Die ‚Boys‘ haben nicht exakt gearbeitet“); 16. 6.1950 („Die Wahrheit über den Abwurf von Kartoffelkäfern. Stellungnahme des Ministerrates – Eindeutige Beweise für das amerikanische Attentat“); 24. 6.1950 („Verstärkt den Kampf gegen den Kartoffelkäfer. Von Ernst Brandt, Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt“). 167 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/288, Bl. 1–8, 12. 168 Protokolle über Arbeitstagungen Jan.–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/4/19, Bl. 20, 34, 46 f.); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der

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lenen Funktionären zu tilgen, begann unter Anleitung der ZPKK und LPKK im Herbst 1950 eine noch 1951/52 andauernde Säuberungsaktion gegen verdächtige Literatur. Verfemtes kommunistisches Schriftgut aus der Zeit vor 1933 befand sich noch in den Bücherschränken zahlreicher Parteigenossen. In einem Denunziantenbericht über das altkommunistische Ehepaar Willy und Anna Sasse (beide waren 1932 aus der KPD ausgeschlossen worden, Anna Sasse gehörte 1950 dem Landtag von Sachsen-Anhalt als SED-Abgeordnete an169) hieß es im August 1950: „Anlässlich eines Besuches in Aschersleben (in der Zeit ungefähr Febr[uar]/März 1949) erlebte ich folgendes: Ich interessierte mich für den Bücherschrank nebst Inhalt. Mir fiel eine große Anzahl alter Literatur der KPD auf, unter anderem Schriften von Trotzki, Kamenew, Radek usw. [...] Es wurde auch versucht, die trotzkistische Literatur vor mir zu verstecken. Mir wurde im Januar 1950 auch sehr nachdrücklich angedeutet, dass es ‚Parteispitzel‘ gebe. [...] Ich [betrachte] W[illy] und A[nna] Sasse nicht nur als politisch verirrte, sondern als geschickte Doppelzüngler und bewusste Parteischädlinge. Meldung erfolgt erst jetzt, da ich anfangs noch fälschlicherweise der Auffassung war, dass der Trotzkismus lediglich eine ideologische Strömung in der Partei ist. Erst der Rajk-Prozess, die Ereignisse in den Volksdemokratien, meine persönliche Anwesenheit in Budapest, ließen mir den Schädlingscharakter des Trotzkismus voll und ganz bewusst werden.“170

Auf der Landesleitungssitzung vom 28. September 1950 appellierte Bernard Koenen an die Parteimitglieder, sie sollten „ihre alten Schwarten durchsehen, um aufzuräumen“ und bei der Partei abliefern, „was sie an Dreck noch liegen haben“. Koenen empfahl, nur „klare Literatur“ wie die Schriften von Marx, Engels, Lenin und Stalin zu lesen.171 Verbotene Bücher und Broschüren wurden auf Orts- und Kreisebene sowie in Parteischulen eingezogen, gingen anschließend der LPKK zu und wurden an das ZK-Archiv weitergereicht. Aufgrund einer Anweisung der ZPKK an die LPKK vom 10. November 1950 sollten Paul Merkers Schriften vernichtet werden.172 Die Aussonderungsaktion erfasste auch klassische Schriften von Lassalle, Bebel, Bernstein und Kautsky sowie Schriften, deren Verbreitung aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr opportun erschien. Dazu zählte beispielsweise ein Buch des sowjetischen Politbüromitglieds Nikolai Wosnessenski, der im Oktober 1950 als Hauptangeklagter des

169 170 171 172

SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/80, Bl. 113 f.); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/81, Bl. 1, 5, 294 f., 297). BStU, MfS-AU 139/55, 7. Band, Bl. 80, 82, 84. Ebd., Bl. 82 f. Protokolle 31. 8.–28. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/11, Bl. 337). Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 53, 57–62, 65–67, 71–86, 89, 92–94). Zu den eingezogenen Schriften von Paul Merker gehörten folgende Veröffentlichungen: „Die landwirtschaftlichen Genossenschaften in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung“, „Die Landwirtschaftsplanung und der Bauer“, „Die Partei in den volkseigenen Gutsbetrieben“, „Sozialdemokratismus“, „Sozialdemokratie und Gewerkschaften“, „Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems“, „Das kleine Handbuch für Heimkehrer“.

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so genannten „Leningrader Falls“ zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war,173 ein Buch mit dem Titel „Rolle und Bedeutung der Volksdemokratie“ von Georgi Dimitroff und selbst SED-Schrifttum („100 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei“ und zwei Veröffentlichungen Edwin Hoernles über die Bodenreform). Auf Beschluss des Landessekretariats (29. März 1951) sollte in den Kreisen Literatur von Paul Merker und Leo Kofler festgestellt, „unverzüglich zur Landesleitung gebracht und hier vernichtet werden“. Eine Bücherliste, die der SED-Landesleitung im März 1951 von der KPKK Weißenfels zuging, illustriert die völlige Verunsicherung über den ideologischen Kurs wohl am besten, enthielt sie neben inkriminierter Literatur doch selbst Werke von Marx, Engels und Lenin. Ihre Werke fanden jedoch Gnade vor dem strengen Blick der Säuberer und wurden von der Liste genommen.174

3.

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Die Überprüfungstätigkeit der Kontrollkommissionen bezog sich bis Ende 1950 vor allem auf Parteimitglieder, die im Parteiapparat, in Massenorganisationen, der staatlichen Verwaltung und in Betrieben führende Funktionen bekleideten. Für viele SED-Funktionäre, unter ihnen auch der ZPKK-Vorsitzende Hermann Matern, war jedoch seit längerer Zeit klar, dass dies nur der Auftakt zu einer alle Mitglieder umfassenden Überprüfung und Parteisäuberung sein konnte. Auf dem III. Parteitag der SED (20.-24. Juli 1950) wurde das ZK dementsprechend beauftragt, „zu gegebener Zeit einen Umtausch der Parteimitgliedsbücher als Mittel zur Erziehung der Partei und zur Verbesserung ihrer Zusammensetzung durchzuführen“.175 Flächendeckende Parteisäuberungen hatten in der Sowjetunion unter dem offiziellen Signum „Überprüfung und Umtausch der Parteidokumente“ bereits mehrfach stattgefunden (1921, 1929, 1933, 1935/36) und mit dem Ausschluss von 11 Prozent bis 25 Prozent der Mitglieder (1929 bzw. 1921) geendet. Die Durchführung der Überprüfung war entweder mit Hilfe von Fragebögen erfolgt (1921), von der Parteikontrollkommission (1929), eigens dafür gebildeten Säuberungskommissionen (1933) oder den Parteiorganisationen (1935) vorgenommen worden.176 Gestützt auf die Entscheidung des III. Parteitages fasste das ZK am 27. Oktober 1950 den Beschluss zur „Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten sowie Umtausch der Parteimitgliedsbücher und Kandidatenkarten“ zwischen dem 15. Januar 1951 und 30. Juni 1951. Vom 15. November 1950 bis 30. Juni 1951 sollten weder Kandidaten aufgenommen, noch in die Mitglied173 Schauprozesse unter Stalin 1932–1952, S. 375–401. 174 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/41, Bl. 57, 65–67, 92–94); Sekretariat-Protokolle 22. 3.– 29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 69, 81). 175 Dokumente der SED, 3. Band, S. 589. 176 Studer/Unfried, Der stalinistische Parteikader, S. 95–103.

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schaft überführt werden. Ziel der Mitgliederüberprüfung war es, genaue Kenntnisse über die politische Vergangenheit und künftigen Entwicklungsmöglichkeiten jedes einzelnen Mitgliedes zu erhalten sowie „parteifremde, feindliche oder moralisch unsaubere Elemente und Karrieristen“ aus der Partei zu entfernen. Die Mitglieder sollten zudem stärker mobilisiert und für die vor ihnen liegenden Aufgaben – so z. B. für die Erfüllung des am 1. Januar 1951 beginnenden Fünfjahrplanes – geschult werden. Zur Begründung der bevorstehenden Parteisäuberung hieß es im Beschluss des ZK: „Die Erfahrungen lehren, dass die imperialistischen Agenturen sich besonders bemühen, klassenfremde und vor allem kleinbürgerliche Elemente sowie frühere Anhänger und Mitglieder parteifeindlicher Gruppierungen: KPO, ISK, trotzkistische und andere ähnliche Gruppen für ihre feindliche Tätigkeit einzusetzen. Die Rajk- und Kostoff-Prozesse, die Tätigkeit von Agenten der faschistischen Tito-Clique in Deutschland und die Ergebnisse der Untersuchungen über die Zusammenarbeit von ehemals leitenden Funktionären der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands mit der anglo-amerikanischen Agentengruppe Field beweisen, dass der Feind auf weite Sicht arbeitet. Er wird seine Anstrengungen ständig verstärken, Positionen in der Partei zu organisieren.“177

Walter Ulbricht wandte sich am 1. Dezember 1950 in einem offenen Brief an alle Parteimitglieder und Kandidaten und verlangte darin eine Erhöhung des Arbeiteranteils in der SED.178 Dies war zwar bereits am 24. Januar 1949 in einem Beschluss des Parteivorstands gefordert, aber trotz mehrmaliger Verschärfung der Aufnahmebedingungen nicht verwirklicht worden.179 Die Problematik war auch im Juni 1950 im SED-Landessekretariat zur Sprache gekommen, als Alois Pisnik feststellte, dass der Anteil der Arbeiter und Landarbeiter sinke, während die Zahl der Angestellten in der SED zunehme. Im Gegensatz zu früheren Jahren, als der Abgang von Parteimitgliedern durch Neuaufnahmen ausgeglichen worden sei, müsse man nun einen Mitgliederschwund verzeichnen. Bernard Koenen kommentierte Pisniks Bericht mit dem Eingeständnis, dass die SED bei Arbeitern „besondere Schwierigkeiten“ habe und verlangte „besondere Maßnahmen“ in der politischen Arbeit mit den Werktätigen.180 177 Dokumente der SED, 3. Band, S. 239 f. 178 Ebd., S. 274–280. 179 So konnten aufgrund eines Politbürobeschlusses vom 22. 2.1949 Neueintretende ab 1. 3.1949 nur noch als Kandidaten der SED aufgenommen werden. In den „Richtlinien für die Aufnahme von Kandidaten in die Mitgliedschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ bestimmte das Politbüro am 31.1.1950, dass die Empfehlung zur Aufnahme in die Mitgliedschaft nach Beendigung der Kandidatenzeit von zwei Bürgen ausgesprochen und begründet werden musste. Die Aufnahmeanträge wurden in einer Mitgliederversammlung behandelt, wobei man die Kandidaten hinsichtlich ihrer Parteiverbundenheit, Teilnahme an der Parteiarbeit, Erweiterung ihres politischen Wissens etc. prüfte. Die anwesenden Mitglieder hatten das Recht, die Kandidaten zu befragen. Eine endgültige Entscheidung über den künftigen Status der Kandidaten wurde vom Sekretariat des zuständigen Kreisvorstandes getroffen. Vgl. Dokumente der SED, 2. Band, S. 213–217, 219, 445–447. 180 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 129, 134).

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Bis zum Jahresende formierten sich auf DDR-, Landes- und Kreisebene Überprüfungskommissionen sowie Grundkommissionen, die von den jeweils übergeordneten Institutionen bestätigt werden mussten. Es wurden außerdem Sonderkommissionen gebildet, deren Aufgabe es war, die Regierung, Verwaltungen und Massenorganisationen zu überprüfen. Jedes Parteimitglied musste einen Fragebogen beantworten, einen Lebenslauf verfassen und drei Passbilder einreichen. Nach dem Überprüfungsgespräch und anhand der eingereichten Materialien legten die Grundkommissionen den Kreiskommissionen eine von vier Entscheidungsmöglichkeiten zur Bestätigung vor (Aushändigung eines neuen Parteibuchs, Zurückversetzung in den Kandidatenstand, Streichung, Ausschluss). Bei der Streichung handelte es sich um eine milde Form von Parteiausschluss, die dem ehemaligen Mitglied trotz attestierten Unverständnisses für die Politik der SED den Status eines ansonsten loyalen DDR-Bürgers zugestand. Für neu bestätigte Parteimitglieder legte man in der zuständigen Kreisleitung ein Grundbuch an, in dem alle in Zukunft durch Fragebögen, Lebensläufe etc. bekannt werdenden Informationen eingetragen wurden. Eine zusätzliche Registrierung der Mitglieder erfolgte beim ZK der SED.181 Auf der Landesleitungssitzung vom 12. Dezember 1950 führte Bernard Koenen aus, man habe 1945 Mitglieder in die Partei aufgenommen, die vor 1933 weder der Arbeiterbewegung angehört, noch Voraussetzungen für die Mitarbeit in einer marxistisch-leninistischen Partei besessen hätten, sondern aus dem Dritten Reich ideologisch belastet hervorgegangen seien. Manche von ihnen hätten sich 1945 von der Roten Armee die Errichtung einer Räterepublik erhofft, seien jedoch entäuscht worden, andere wiederum brächten keine Sympathie für einen Sozialismus sowjetischer Prägung auf. Auch die soziale Zusammensetzung der Partei entspreche nicht mehr dem Charakter einer Arbeiterpartei. Koenen erwartete eine Verkleinerung der Partei zu Lasten nichtproletarischer Bevölkerungsgruppen und forderte zugleich den Kampf „um jedes einzelne Arbeitermitglied in der Partei“. Die Säuberung der Partei von passiven Mitgliedern – „so wie es einige wildgewordene Spießer möchten“ – käme dagegen einer Zerstörung der Partei gleich. Man brauche keinen Wettbewerb, „um eine Höchstzahl von Rausgeschmissenen zu erreichen“. Diese Linie entsprach den Vorgaben des ZK-Beschlusses vom 27. Oktober 1950, in dem der Ausschluss inaktiver Parteimitglieder verworfen worden war. Aufgrund der Forderung des ZK, zur politisch-ideologischen Vorbereitung der Mitgliederüberprüfung den „Kampf Thälmanns um die Partei neuen Typus und gegen feindliche Gruppierungen breit zu erklären“ und dabei die Rolle Brandlers und Trotzkis klarzustellen, referierte Koenen ausführlich über die ideologischen Abweichungen aus der Zeit vor 1933, die er verteufelte und mit „altem Gepäck“ verglich, das es abzuwerfen gelte. In Anlehnung an Thälmann, der 1932 mit Rosa Luxemburg abgerechnet hatte, zählte Koenen zu diesem ideologischen Ballast auch das „schwere Erbe des Luxemburgismus“. Man dürfe nicht verges181 Dokumente der SED, 3. Band, S. 241 f.; Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 410.

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sen, dass Rosa Luxemburg „grundfalsche Theorien in die Partei gebracht“ und dadurch den Sieg der Arbeiterklasse behindert habe. Genossen, die vor 1933 der KAPD, AAU, KPO oder SAP angehört hätten, müssten zu ihrer politischen Vergangenheit schriftlich Stellung nehmen. Die Landesprüfungskommission, das Landes- oder Zentralsekretariat sollten dann über eine Veröffentlichung des Materials entscheiden. Koenen räumte zwar ein, dass sich unter den früheren Abweichlern viele „ehrliche revolutionäre Arbeiter“ befänden, unterstellte den kommunistischen Splittergruppen aber dennoch Verbindungen zum Trotzkismus, „der von Anfang bis Ende Verrat am Leninismus gewesen“ sei. Ein Trotzkist bleibe ein Trotzkist und „Agent des Imperialismus, so wie es das Beispiel Jugoslawien“ zeige.182 Wie der dem ZK zugeleitete Personalvorschlag zur Zusammensetzung der Landeskommission deutlich machte, hielten darin vor allem das Landessekretariat, die Kaderabteilung und LPKK die Fäden in der Hand.183 Die Organisations- und die Kaderabteilung wurden vom Landessekretariat beauftragt, Vorschläge für die Kreiskommissionen zu erarbeiten.184 Bei den Kreiskommissionsmitgliedern handelte es sich um Parteisekretäre, um Mitarbeiter aus den Kaderabteilungen, den Abteilungen für Organisation und Agitation, örtliche Funktionäre der Massenorganisationen, teils um Arbeiter und Aktivisten. Häufig gehörten den Kreiskommissionen auch Mitglieder der KPKKs an. Die Kommissionenmitglieder sollten nicht nur über Ausschlüsse entscheiden, sondern umgekehrt auch zur Auffüllung von Lücken in Kreissekretariaten, FDJ-Sekretariaten, Betriebsparteiorganisationen etc. geeignet erscheinende Kader bei der Kaderabteilung melden. Kurz vor Beginn der Mitgliederüberprüfung musste sich das Landessekretariat Fehler in der Zusammensetzung der Kommissionen eingestehen, da man die erforderliche theoretische Vorbildung der betreffenden Genossen nicht beachtet habe. Außerdem sollten in den Kreiskommissionen „auch ein Bauer und in jedem Falle mindestens eine Frau“ mitarbeiten.185 Zur Instruktion der Grundkommissionsmitglieder ging den 1. Sekretären der Kreise Anfang Januar 1951 eine Rededisposition zu, die sich eng an Koenens Ausführungen während der bereits erwähnten Landesleitungssitzung vom 12. Dezember 1950 anlehnte. Das Material enthielt die Forderung, die soziale Zusammensetzung der Partei zugunsten der Arbeiterschaft und zu Lasten aller 182 Protokolle von Landesleitungssitzungen Nov.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/1/13, Bl. 336–350, 404, 406). Zur Verurteilung von Rosa Luxemburgs Ideen vgl. auch Bartel, Stalin – Freund und Helfer, S. 1084 f. 183 Sekretariat Protokolle 9.11.–23.11. 50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV L 2/3/23, Bl. 181 f.). 184 Sekretariat Protokolle 30.11.–11.12.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/24, Bl. 3 f.). 185 Protokolle von Landesleitungssitzungen Nov.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/13, Bl. 420–427); Sekretariat-Protokolle 6.1.–12.1.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/27, Bl. 9 f., 44, 47); Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 79).

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übrigen gesellschaftlichen Gruppen zu verändern, allerdings mit folgenden Einschränkungen: „Großbauern“ und Unternehmer sollten als „klassenfremde Elemente“ generell zwar nicht in der Partei verbleiben, Ausnahmen waren jedoch denkbar, so z. B. bei aktiver politischer Arbeit und genauer Umsetzung politischer Vorgaben. Handwerker galten als Werktätige, konnten bei einer entsprechenden Anzahl von Beschäftigten und großem Anlagekapital (Maschinen) aber auch dem Unternehmertum zugerechnet werden. Ähnlich zwiespältig betrachtete man die Angestellten: Viele entstammten zwar der Arbeiterschaft, hatten jedoch infolge ihres sozialen Aufstiegs die „einstmalige innerliche Verbundenheit zur Partei aufgegeben“. Intellektuelle und Fachkräfte in Großbetrieben sollten trotz der vorangegangenen Kampagnen gehalten werden, da die SED noch nicht über genügend ausgebildete Arbeiter- und Bauernkinder verfügte, um die bürgerlichen Spezialisten ersetzen zu können.186 Alois Pisnik konnte auf der folgenden Landesleitungssitzung (31. Januar / 1. Februar 1951) über erste Ergebnisse der angelaufenen Überprüfungen berichten: Demnach arbeitete der größte Teil der Grundkommissionen bereits, in einigen Fällen waren sie jedoch noch nicht vollständig oder mussten nachträglich umbesetzt werden. Bis Anfang Februar 1951 wurden nach Pisniks Angaben in Sachsen-Anhalt insgesamt 5 376 Miglieder und Kandidaten überprüft, von denen 150 in den Kandidatenstand zurückversetzt, 101 gestrichen und 28 ausgeschlossen wurden. 59 Fälle verwies man an die Kreiskommissionen oder an die KPKKs. Pisnik kommentierte das Ergebnis mit der Bemerkung, dass man ursprünglich mit dem Parteiausschluss vieler Mitglieder gerechnet habe, nun aber ins „Versöhnlertum“ verfallen sei. Ausschlüsse würden nur in ganz seltenen Fällen ausgesprochen, was er für „politisch nicht richtig“ halte. Pisniks Angaben zufolge wurden die Überprüfungen insgesamt „in einem kameradschaftlichen Rahmen“ durchgeführt. Es gab jedoch auch Grundkommissionen, die wie Vernehmungsorgane auftraten und die vorgeladenen Genossen durch gezielte politische Fragen einschüchterten. Da die theoretischen Kenntnisse einfacher Arbeiter oft unterentwickelt und ihre rhetorischen Fähigkeiten begrenzt waren, fielen sie dem Überprüfungsverfahren in Sachsen-Anhalt überdurchschnittlich häufig zum Opfer. Pisnik nannte dazu einige konkrete Beispiele, so z. B. aus Freyburg, wo Arbeiter nicht vor der Kommission erschienen, da man ihrer Meinung nach Mitglieder, die mit dem Marxismus-Leninismus nicht vertraut waren, ohnehin aus der Partei entferne. Der in der SED schwelende Generationskonflikt trat offen zutage, als altgediente Genossen eine Überprüfung durch junge, in stalinistischem Geist erzogene Parteimitglieder verweigerten. Ältere Genossen sahen dazu aufgrund ihres jahrzehntelangen Kampfes für die Ziele der Arbeiterbewegung keine Berechtigung und fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt. Allein im Kreis Quedlinburg gab es 113 Altkommunisten, die eine Überprüfung mit dem Hinweis auf ihre langjährige KPD-Mitgliedschaft und er186 Parteiüberpüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/5/79, Bl. 35, 39–45).

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wiesene Parteitreue ablehnten. In Eckartsberga erschien kein einziges Mitglied des Parteivorstandes vor der Grundkommission. An der Parteibasis gingen zudem Gerüchte über das Ziel der Überprüfungen um: So forderten sich etwa Genossen eines Zerbster Betriebes zur Abgabe falscher Antworten auf, weil sie glaubten, dass man die theoretisch gefestigten Genossen in den Uranbergbau nach Aue delegieren wolle. In der Zerbster Bevölkerung war man der Meinung, dass bei den Überprüfungen „die ehemaligen SPD-Mitglieder über die Klinge springen müssten“. Auch in Magdeburg betrachtete man die Kommissionen als Untersuchungsausschüsse, die sich vor allem gegen frühere Sozialdemokraten richteten. Fragen über „Sozialdemokratismus“ wurden in Magdeburg dementsprechend häufig gestellt, kaum jedoch zu den vor 1933 bestehenden linken Splittergruppen. In Querfurt lud man zu Beginn der Überprüfung ausschließlich ehemalige SPD-Mitglieder vor.187 An zahlreichen Orten Sachsen-Anhalts waren während der Überprüfungen ideologischer Fanatismus und Hysterie zu beobachten: Arbeitern aus dem Kreis Wolmirstedt standen vor Aufregung „förmlich die Schweißperlen auf der Stirn“, da sie mit ihrem Parteiausschluss rechneten. Auch im Kreis Schönebeck gab es „Untersuchungsausschüsse, die wie Untersuchungsrichter“ vorgingen. Bergarbeiter des Mansfelder Landes wurden von ihren parteilosen Kollegen durch die Bemerkung verängstigt, sie sollten sich vorsehen und für den Fall ihrer Verhaftung „lieber eine Decke mitnehmen“. Die Tätigkeit der Grundkommissionen im Kreis Merseburg besaß einen ausgesprochen inquisitorischen Charakter, indem die Befragten mehrfach mit den immer gleichen Fragen konfrontiert wurden („Was ist wichtiger: Die Einheit Deutschlands oder die Vormachtstellung der Partei?“). Andere Grundkommissionen stellten ähnlich sinnlose Fragen, wie z. B. „Wer war der erste Friedenskämpfer?“ oder „Was für ein Buch schrieb Lenin 1925?“. Die in Leuna arbeitende Kommission konfrontierte die vorgeladenen Genossen mit Fragen, die sie selbst nicht beantworten konnte, so z. B. mit der Frage, ob es vor 1933 eine revolutionäre Partei gegeben habe oder nicht. Leuna galt als politisch unsicheres Terrain, da dort „sehr negativ diskutiert“ wurde, die Arbeiter den Rias hörten und eine feindselige Haltung gegenüber Angehörigen der Intelligenz einnahmen. Zahlreiche Genossen erklärten, sie seien der SED nur unter Zwang oder wegen angedrohter Entlassung beigetreten. Mehrere Meister und Angestellte aus Leuna erschienen vor der Kommission mit unausgefüllten Fragebögen, um ihren Parteiaustritt zu erklären. Sie begründeten dies mit zu hohen Mitgliedsbeiträgen, so wie dies auch in Dessau und unter Lehrern und Angestellten im Kreis Kölleda der Fall war. Die PropagandaAbteilung der SED-Landesleitung wertete die Parteiaustritte im Leuna-Werk als Beweis dafür, „dass die feindliche Agitation auch in die Parteiorganisation des Werkes eingedrungen“ sei. Offenbar betrachteten viele Leuna-Arbeiter die Ver187 Protokolle Landesleitungssitzungen 31.1.–1. 2.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/14/1, Bl. 262–266, 269–272); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 1, 4 f., 24); Bordjugow, Das ZK der KPdSU(B), S. 346.

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weigerung der Beitragszahlung als Möglichkeit, die SED zu verlassen, ohne ihren Parteiaustritt erklären zu müssen. Bezeichnenderweise befanden sich unter den bis Mitte April 1951 in den Leuna-Werken vorgenommenen 109 Streichungen 65 Genossen, die keine Mitgliedsbeiträge mehr zahlten. Manche von ihnen hatten schon vor 1933 der KPD angehört. Hinzu kamen ideologische Zweifel und persönliche Enttäuschungen wie im Fall eines Leunaer Meisters, der vor der Kommission erklärte, er habe wegen des im Zuge der Field-Affäre verhafteten Willi Kreikemeyer das Vertrauen in die Partei verloren.188 Ähnliche Schwierigkeiten traten im Chemiekombinat Buna auf, wo zahlreiche Mitarbeiter ihren Austritt aus dem FDGB erwogen. 2100 der 3 000 SED-Mitglieder des Kombinats hatten die Absicht, wegen der Erhöhung der Mitgliedsbeiträge aus der Partei auszutreten. Mit Hilfe propagandistischer Maßnahmen, Diskussionen und Versammlungen konnte zwar ein Meinungsumschwung herbeigeführt werden, es musste nach Einschätzung der Kreisleitung jedoch weiterhin mit einem Verlust von ca. 300 Mitgliedern gerechnet werden.189 Übereinstimmender Tenor der auch aus anderen Gebieten der DDR eintreffenden Meldungen war die Feststellung, dass in weiten Teilen der Mitgliedschaft „Angst vor der Überprüfung“ herrsche. In der ZPKK war im Januar 1951 gar von einer „gewissen Angstpsychose, [...] besonders bei einfachen Arbeitern“ die Rede.190 Walter Ulbricht hatte am 12. Januar 1951 auf einer Sitzung des sachsen-anhaltischen Landessekretariats davon berichtet, dass die Parteimitglieder in vielen Ortsgruppen „riesiges Lampenfieber vor den politischen Fragen“ der Grundkommissionen hätten. Da das ZK sich bei der Ankündigung der Mitgliederüberprüfung auf Thälmanns Kampf gegen parteifeindliche Gruppierungen bezogen habe, seien in vielen Ortschaften innerhalb kürzester Zeit sämtliche Thälmannbiographien ausverkauft gewesen. Er habe daraufhin die Anweisung erteilt, sofort neue Biographien zu schicken. Ulbricht warnte davor, generell alle kirchlich gebundenen Mitglieder, „Großbauern und Kapitalisten“ aus der SED auszuschließen. Eine solche Vorgehensweise sei nicht durch das Parteistatut gedeckt.191 Ulbricht sah sich zu dieser Warnung vermutlich deshalb veranlasst, weil es in den Grundkommissionen Forderungen gab, unterschiedslos alle Intellektuellen, Großbauern und Unternehmer aus der Partei zu entfernen.192 188 Protokolle über Arbeitstagungen Jan.–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/4/19, Bl. 20, 23–25, 27, 30 f., 39, 43); Sekretariat-Protokolle 13. 3.– 12. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/33, Bl. 153, 156 f.); Arbeit des Klassengegners im VEB Leuna-Werke April 1951–April 1954 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/3/606, Bl. 2 f., 6, 8); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 3, 133). 189 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/81, Bl. 1, 3, 51, 54). 190 Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 404, 408. 191 Sekretariat-Protokolle 6.1.–12.1.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/27, Bl. 72, 93 f.). 192 Protokolle, Tätigkeitsberichte, Überprüfungsberichte 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/70, Bl. 122).

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Im Hinblick auf christliche SED-Mitglieder war auf einer Sitzung der Landeskommission bereits Anfang Januar 1951 verlautet, die Zugehörigkeit zur Kirche rechtfertige nicht die Auffassung, „dass diese Genossen nichts in der Partei zu suchen“ hätten, im Allgemeinen überwog jedoch eine negative Einstellung. Orthodoxe Parteimitglieder stellten im Kreis Merseburg die Frage, warum es keine gegen die Kirche gerichtete Freidenkerbewegung mehr gebe. Einige Vorkommnisse schienen ihre skeptische Haltung gegenüber kirchlich gebundenen SED-Mitgliedern zu untermauern: In Sachsenburg (Kreis Kölleda) wollten mehrere katholische Umsiedler aus der Bukowina und den früheren deutschen Ostgebieten ihre Parteibücher zurückgeben, woraus man umgehend auf „systematische Hetze der katholischen Kirche“ schloss. In Leimbach (Kreis Querfurt) wurde ein Pfarrer, der „marxistische Bibelstunden“ abhielt, für die Verweigerungshaltung von 52 Prozent der dortigen SED-Mitglieder verantwortlich gemacht.193 Aus dem Kreis Wolmirstedt hieß es dagegen: „In der vorigen Woche ist bei uns ein Pfarrer überprüft worden, der durchaus als positiv zu bezeichnen ist. Er predigt von der Kanzel über den Kampf für den Frieden. Er ist seit 1945 Mitglied der Partei, beteiligt sich an jeder Versammlung. Die Grundkommission hat sich 2½ Stunden mit ihm unterhalten. Wir mussten abbrechen, weil er in Fragen des dialektischen Materialismus weit voraus war. Er lehnt die Gottesverleugnung ab. Er meinte, wir wären versöhnlerisch, weil wir ihn nicht aus der Partei ausschließen. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass er sein [Mitglieds-] Buch bekommt.“194 Eine im März 1951 angefertigte statistische Aufstellung über die in den Kreisen tätigen SED-Funktionäre machte deutlich, welche innerparteilichen Veränderungen mittlerweile vor sich gegangen waren: Frühere SPD-Mitglieder, ehemalige Kriegsgefangene, die sich längere Zeit in westlichem Gewahrsam befunden hatten, sowie Funktionäre der ersten Stunde stellten nur noch eine Minderheit dar. Dies galt in besonderem Maße für die Leiter der Kaderabteilungen und KPKK-Vorsitzenden, unter denen sich viele Altkommunisten befanden. Darüber hinaus hatten in diesen besonders sensiblen Bereichen überdurchschnittlich häufige Personalwechsel stattgefunden.

193 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 1, 5, 132 f., 155, 158, 160); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/83, Bl. 242, 252). 194 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/80, Bl. 156, 165).

236 Tab. 5:

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

SED-Funktionäre in den Kreisen des Landes Sachsen-Anhalt (Stand: März 1951)195

insgesamt

1. Sekretäre

2. Sekretäre

Leiter der Kaderabteilung

Vorsitzende der KPKK

35196

35

36

29197

Parteimitgliedschaft vor 1933

SPD: 1 KPD: 7

SPD: 1 KPD: 7

SPD: 9 KPD: 15

SPD: 4 KPD: 25

Parteimitgliedschaft nach 1945

SPD: 10 KPD: 17 SED: 8

SPD: 9 KPD: 14 SED: 12

SPD: 6 KPD: 20 SED: 10

SPD: 3 KPD: 23 SED: 3

länger als 6 Monate in westlicher Gefangenschaft

in Funktion seit

3

1946: 1947: 1948: 1949: 1950: 1951:

1 2 1 7 9 15

3

1946: 1947: 1948: 1949: 1950: 1951:

0 2 3 7 13 10

1

1946: 1947: 1948: 1949: 1950: 1951:

0 0 1 4 12 19

1

1946: 1947: 1948: 1949: 1950: 1951:

0 0 0 3 21 5

Das ZK der SED zog in einer Entschließung am 17. März 1951 eine vorläufige Zwischenbilanz der bis dahin stattgefundenen Überprüfungen, die sehr zwiespältig ausfiel. Vor allem gegenüber „parteifremden, parteifeindlichen, moralisch unsauberen Elementen und Karrieristen“ hätten sich versöhnlerische Tendenzen gezeigt, da man solche Mitglieder oft nicht ausgeschlossen, sondern lediglich gestrichen oder in den Kandidatenstand zurückversetzt habe. Ebenso seien alte Genossen aufgrund ihrer jahrzehntelangen Tätigkeit für die Partei nicht gründlich genug überprüft worden. KPD-Mitglieder, die nach 1933 der 195 Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED IV / L 2/3/32, Bl. 104–108). 196 In der Statistik fehlen bei einer Soll-Stärke von 36 je ein 1. und 2. Sekretär, deren Posten im März 1951 nicht besetzt waren. 197 Von 36 KPKK-Vorsitzen blieben im März 1951 sieben unbesetzt. Lediglich 15 waren bereits bestätigt, 11 wurden kommissarisch besetzt.

Die Mitgliederüberprüfung des Jahres 1951

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NSDAP oder SA beitraten, habe man zu nachsichtig behandelt, wie sich überhaupt viele Kommissionen über die Gefährlichkeit der früheren „parteifeindlichen Gruppierungen“ unklar seien. Im Gegensatz dazu bezeichnete das ZK den Ausschluss, die Streichung oder Zurückversetzung von Arbeitern wegen ideologischer Schwächen und mangelnder Aktivität als sektiererisch. Die Kommissionen hätten häufig zu abstrakte Fragen gestellt und es sei notwendig, die ausgeschlossenen Arbeiter nochmals zu überprüfen, um die Beschlüsse zu korrigieren. Die Zusammensetzung von Kommissionen, in denen versöhnlerische oder sektiererische Tendenzen aufgetreten seien, müsse verändert werden. Am 20. April 1951 griff das Sekretariat des ZK ein und erteilte Anweisungen zur Verbesserung der Mitgliederüberprüfung: Es stellte fest, dass die Überprüfungen nicht zum vorgesehenen Termin (30. Juni 1951) abgeschlossen werden könnten und deshalb neue Grundkommissionen gebildet werden müssten. Zudem habe sich gezeigt, dass die Kommissionen noch nicht in der Lage seien, „getarnte Parteifeinde“ zu erkennen und zu entlarven.198 LPKK-Chef Max Benkwitz orientierte die Arbeit der KPKKs daraufhin vor allem auf frühere Splittergruppen und erteilte ihnen folgende Aufgaben: 1. Wo sind heute noch feindliche Gruppierungen vorhanden? 2. Wo befanden sich während der Jahre 1919–1933 feindliche Gruppierungen? 3. In welchen Städten traten diese feindlichen Gruppierungen ganz besonders auf? 4. Gibt es heute noch Anzeichen davon, wo Genossen auf dem Standpunkt stehen, dass man sich auch mit der Lehre von Trotzky [sic] beschäftigen muss? 5. Wie ist der Zustand der VVN? Welche parteifeindlichen Strömungen sind in der VVN zu bemerken? 6. Wo bilden sich feindliche Gruppierungen, die auf Grund moralischer Verfehlungen aus der Partei ausgeschlossen worden sind? 7. Wo ist opportunistische Tätigkeit von Schumacher-Leuten zu verzeichnen? Wie arbeiten die Elemente, die auf Grund einer opportunistischen oder linkssektiererischen Einstellung aus der Partei ausgeschlossen oder entlarvt sind?199 Berichte aus mehreren Kreisen zeigten, dass es Mitte 1951 noch immer starken Widerstand gegen die Überprüfung gab. Aus der Ortsgruppe Hohenmölsen wurde bekannt, dass dort 120 Mitglieder eine Überprüfung ablehnten. In Magdeburg, wo es in den zwanziger Jahren eine sehr aktive KAPD-Gruppe gegeben hatte, versuchten sich vor allem frühere KAPD-Mitglieder einer Überprüfung zu entziehen. Man ging in Magdeburg deshalb dazu über, Mitglieder „parteifeindlicher Gruppen“ auf Listen zu erfassen, wobei man sich der Mithilfe früherer Abweichler bediente. Einige KAPD-Leute wurden verhaftet. Links198 Dokumente der SED, 3. Band, S. 402–414, 476–478. 199 Protokolle von Kommissions-Sitzungen Aug. 1950–Juli 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/11, Bl. 59).

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radikale Äußerungen sind aus Lützen und von KAPD-Leuten aus Merseburg überliefert, die 1945 die Ausrufung der Diktatur des Proletariats erwartet hatten und enttäuscht worden waren. Linkes Sektierertum war auch unter den Bergarbeitern des Mansfelder Landes – zwischen 1918 und 1923 ein wichtiger Stützpunkt der KAPD – anzutreffen. Wie es in einem Bericht hieß, spukten dort noch immer „anarchistische und ultralinke Losungen [...] in den Köpfen einzelner Genossen“ herum. Ein mittlerweile aus der SED entferntes VVN- Mitglied aus Nebra plante angeblich die Gründung einer eigenen Partei, „da die SED nicht revolutionär genug“ sei.200 Ein Altkommunist – selbst Mitglied einer Grundkommission – sprach sicherlich vielen seiner Gesinnungsgenossen aus dem Herzen, als er erklärte: „Die jetzt am Ruder sind, getrauten sich 1945 nicht aus ihren Mauselöchern heraus und jetzt wollen sie uns alte Kommune mit irgendwelchen Redensarten beeinflussen. Wir alten Kommunisten bleiben aber trotzdem die, die wir vor 1933 gewesen sind. Es wird sich zeigen, wenn sie auf die Barrikaden gehen, wer dabei ist. Wenn ihr mich jetzt aus der Kommission oder gar aus der Partei rausschmeisst, werde ich immer ein alter Kommunist bleiben.“201 Die Bedeutung der linken Splittergruppen wurde nach Auffassung der Landeskommission auch in Köthen unterschätzt, wohin 1945 durch Flucht und Vertreibung mehrere SAP-Mitglieder gelangt waren. Zu ihnen gehörte der amtierende 1. Kreissekretär Kirstein, der vor 1933 eine „leitende Persönlichkeit der SAP in Breslau“ gewesen war. Bei drei weiteren Mitgliedern der Kreisleitung Köthen handelte es sich um Mitglieder der Köthener SAP-Gründung im Juni 1945, die mit der vor 1933 bestehenden SAP in ideologischer Hinsicht nichts zu tun hatte. Die Landeskommission schlug vor, Kirstein von seiner Funktion als 1. Sekretär der Kreisleitung Köthen sofort zurückzuziehen. Kurz darauf wurde Kirstein wegen „parteifeindlicher Arbeit“ aus der SED ausgeschlossen.202 Am 11. Juli 1951 rief LPKK-Chef Max Benkwitz die KPKK-Vorsitzenden dazu auf, sich mit den Entscheidungen der Grund- und Kreiskommissionen zu befassen, vor allem im Hinblick auf die Zurückstufung, Streichung und den Ausschluss von Arbeitern. Sachsen-Anhalt war beim Stand der Mitgliederüberprüfung gegenüber anderen Ländern der DDR mittlerweile auf den vierten Rang abgerutscht und lag mit einer Quote von 64,4 Prozent deutlich hinter Sachsen (71 %). Benkwitz wies darauf hin, dass es in einigen Kreisen außerordentlich viele Austritte gegeben habe, die man aber durch eine systematische Bearbeitung großenteils wieder rückgängig machen könne. Aus Delitzsch wurde be200 Ebd., Bl. 60 f., 65; Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/81, Bl. 1, 6); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 132 f.). 201 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/83, Bl. 563 f.). 202 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/81, Bl. 148–150, 152); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 262, 265 f.).

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kannt, dass dort einige Grundkommissionen in den Protokollen positive Wertungen abgegeben und dennoch Ausschlüsse verhängt hatten. In Zeitz annullierte die Kreiskommission 30 Prozent der von den Grundkommissionen gefassten Beschlüsse. Im Kreis Herzberg verhängten die Kommissionen bis Anfang Juni 1951 gegen ca. 14 Prozent der überprüften Mitglieder Streichungen und Ausschlüsse, womit Herzberg 10 Prozent über dem Landesdurchschnitt lag. Dies veranlasste einen Vertreter der örtlichen KPKK zu der Bermerkung, die Mitgliederüberprüfung sei „zu einer Parteibereinigung ausgeartet“. In Ortschaften mit starker sozialdemokratischer Tradition habe man „gleich den ganzen Anhang aus der Partei mit hinausgeworfen“. In Leuna war es bis Anfang Juli gelungen, die Zahl der Mitglieder, die eine Überprüfung ablehnten, von ursprünglich 600 (11 %) auf 350 zu senken. Es handelte sich bei den Verweigerern überwiegend um ältere Mitarbeiter der Schlosser- und Reparaturwerkstätten, die sich auf eine gemeinsame Haltung verständigt hatten. Auch im Kreis Wernigerode verweigerten zahlreiche Mitglieder die Überprüfung, andere waren nicht bereit, Fotos für die Parteidokumente herstellen zu lassen. Benkwitz vermutete hinter solchen Schwierigkeiten „eine gewisse Feindarbeit“.203 Die Abteilung Agitation der SED-Landesleitung erhielt Anfang August den Auftrag, umgehend Argumentationshilfen auszuarbeiten, um widerstrebende Genossen zur Abgabe von Fotos zu bewegen. Dabei sollte folgenden häufig angeführten Begründungen für die Verweigerung von Fotos entgegengetreten werden: „a) b) c) d)

Bilder werden als Steckbrief benutzt. Bilder werden bei Ausbruch des Krieges in die Hände der Feinde fallen. Es fehlt nur noch, dass man wie bei der SS tätowiert wird. Im Alter lässt man sich nicht mehr fotografieren, weil man dann bald stirbt.“204

Während man Einsprüche, die von „Fragebogenfälschern, Karrieristen und Kriminellen“ gegen Beschlüsse der Grund- und Kreiskommissionen eingereicht wurden, prinzipiell nicht erörterte, konnten sich ehemalige SS-, SA-, NSDAP-, Wehrmachts- und Polizeiangehörige Chancen auf eine Berücksichtigung ihrer Einsprüche ausrechnen, sofern sie die Mitgliedschaft in diesen Organisationen nicht verschwiegen hatten. Den Ausschlag sollten in ihrem Fall Kriterien wie Alter, soziale Herkunft und die seit 1945 geleistete politische Arbeit geben. Bei Mitgliedern, die wegen unmoralischen Verhaltens ausgeschlossen worden waren, sollte festgestellt werden, ob es sich um einen „Dauerzustand“ oder lediglich um „eine einmalige Entgleisung“ handelte. Abweichler und Sektierer mussten sich deutlich von ihrer politischen Vergangenheit distanzieren, um nicht als 203 Protokolle über Beratungen mit den KPKK Mai–Aug. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/20, Bl. 13, 19, 21 f., 59 f., 86); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/80, Bl. 320, 329). 204 Sekretariat-Protokolle 27. 7.–9. 8.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/40, Bl. 118, 144).

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

„Doppelzüngler“ zu gelten.205 Am 2. August 1951 gab Benkwitz folgende Prognose zur weiteren Entwicklung ab: „Die Überprüfung ist mit ihrem Abschluss und mit der Aushändigung der Mitgliedsbücher noch nicht beendet. Die Tore der Partei bleiben nach wie vor geschlossen. Niemand soll jetzt glauben, dass nun die Tore der Partei weit aufgemacht werden, damit alles wieder hereinströmen kann. Dazu ist wiederum ein Beschluss unseres ZK notwendig. Ob er auf dem nächsten Plenum gefasst wird, wissen wir noch nicht. Aber eines steht fest, aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Partei in der nächsten Zeit nur für die Arbeiter zugänglich sein.“206 Am selben Tag befasste sich auch das Landessekretariat mit dem Stand der Überprüfung und stellte selbstkritisch fest, dass durch Verweigerer und ausgetretene Mitgliedern „ein großer Prozentsatz von Arbeitern verloren“ gehe. Die Ursachen der Verweigerungen und Austritte müssten erkannt werden, mit dem Ziel, „um jeden Arbeiter zu ringen“. Von 367 887 SED-Mitgliedern und Kandidaten in Sachsen-Anhalt (Stand vom 31. Dezember 1950) waren bis zum 30. Juli 1951 317 980, d. h. 86,4 Prozent, überprüft worden. Hinzu kamen 12 064 (3,3 %), die ihren Austritt erklärt oder die Überprüfung verweigert hatten. Die schlechtesten Überprüfungsquoten wurden in den landwirtschaftlich geprägten nördlichen Kreisen Sachsen-Anhalts erzielt, so in Genthin lediglich 75 Prozent, in Salzwedel 78 Prozent und in Gardelegen 79 Prozent. Doch es zeigten sich bezeichnenderweise auch in proletarischen Gebieten wie Bitterfeld, Buna und Merseburg mit Ergebnissen zwischen 79 und 82 Prozent ähnliche Erscheinungen. Diese unter dem Landesdurchschnitt liegenden Überprüfungsquoten in typischen Arbeiterbezirken ließen sich nicht mehr allein mit technischen Schwierigkeiten erklären, sondern waren Ausdruck einer allgemeinen Verweigerungshaltung proletarischer SED-Mitglieder: Buna hatte mit 13 Prozent den höchsten Anteil von Austritten und verweigerten Überprüfungen zu verzeichnen, gefolgt von Leuna (8 %), Merseburg (7 %) und Bitterfeld (6 %).207 Bis Mitte August 1951 stieg die Überprüfungsquote im Landesdurchschnitt zwar auf fast 90 Prozent, doch das Landessekretariat musste sich eingestehen, „dass eine Verbesserung des sozialen Verhältnisses innerhalb der Partei nicht eingetreten“ war. Darauf deutete auch ein Beschluss hin, in dem das Landessekretariat die Organisationsabteilung anwies, anhand ausgewählter Beispiele aufzuzeigen, wie sich die soziale Zusammensetzung „durch Umschreibungen von Arbeitern in das Angestelltenverhältnis“ verändert habe.208 Auch die so genannte „kadermäßige Auswertung der Überprüfung“, d. h. die Gewinnung neuer, geeignet erscheinender Kader, blieb trotz einiger positiv vermerkter Beispie205 Protokolle über Beratungen mit den KPKK Mai–Aug. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/20, Bl. 85, 90–92). 206 Ebd., Bl. 93. 207 Sekretariat-Protokolle 27. 7.–9. 8.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/40, Bl. 84, 87 f., 101–103). 208 Sekretariat-Protokolle 16. 8.–23. 8.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/41, Bl. 1, 5, 41 f.).

241

Die Mitgliederüberprüfung des Jahres 1951

le hinter den Erwartungen zurück: Bei den meisten der überprüften und vorgeschlagenen Parteimitglieder handelte es sich um leitende Funktionäre aus dem Partei-, Wirtschafts- und Staatsapparat sowie aus den Massenorganisationen. Der Anteil der für höhere Aufgaben vorgeschlagenen Industrie- und Landarbeiter lag bei lediglich 25 Prozent. Mitarbeiter der Landesregierung besaßen wesentlich bessere Chancen, in höhere Positionen aufzurücken, als die von der Landeskommission überprüften Mitglieder der Kreiskommissionen und Kreisleitungen oder Mitarbeiter der Massenorganisationen.209 Tab. 6:

Kadermäßige Auswertung der Mitgliederüberprüfung in SachsenAnhalt (15.1.–31. 7.1951)210 Anzahl der überprüften Mitglieder und Kandidaten

Überprüfung durch

Landeskommission

davon Vorschläge, die zur Auswertung weitergeleitet wurden

1598

246 (15 %)

Landessonderkommission Massenorganisationen

378

87 (23 %)

Landessonderkommission Regierung

420

179 (43 %)

Tab. 7:

Voraussichtlicher weiterer Einsatz der Kreis- und Sonderkommissionsmitglieder 1951211

Einsatz vorgesehen als bzw. in Parteisekretäre für Betriebe

Orts- oder Betriebsebene 9

Org.-Instrukteure Sekretäre

10

Instrukteure für Wirtschaft und Landwirtschaft

Kultur 209 Ebd., Bl. 66–69. 210 Ebd., Bl. 68. 211 Ebd., Bl. 71 f.

Landesebene 5

21

Kader-Instrukteure

Agitation, Presse und Rundfunk

Kreisebene

2

4

17 4

2

10

17

2 7

6

DDR-Ebene

242

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Einsatz vorgesehen als bzw. in

Orts- oder Kreisebene Betriebsebene

Staatssicherheit / Volkspolizei

Landesebene

DDR-Ebene

1

2

11

23

15

1

FDJ

2

3

3

1

FDGB

4

6

3

DFD

1

11

4

16

3

4

4

Verwaltungen / Ministerien

VdgB (BHG), MAS Sportausschuss

2

Konsum Nationale Front, übrige Massenorganisationen Wirtschaft / Landwirtschaft

5

24

Parteischulen zusammen

65

7

4

50

15

12

8

1

204

90

3

Am 31. August 1951 konnte die Parteiüberprüfung in Sachsen-Anhalt als weitgehend abgeschlossen gelten. Von den am 31. Dezember 1950 vorhandenen 324 567 SED-Mitgliedern im Land waren bis Ende August 1951 288 217 überprüft und von den Kommissionen folgendermaßen eingeschätzt worden: Beschluss I (Ausgabe des Parteidokuments) Beschluss II (Zurückversetzung in den Kandidatenstand) Beschluss III (Streichung) Beschluss IV (Parteiausschluss)

271 078 Mitglieder (94,2 %) 2 667 Mitglieder (0,9 %) 8 270 Mitglieder (2,9 %) 5 641 Mitglieder (2,0 %)212

Zurückversetzungen in den Kandidatenstand wurden zu etwa jeweils der Hälfte mit mangelnder Parteierfahrung bzw. zu geringer Parteiverbundenheit begründet. 4 333 (52 %) der Streichungen erfolgten, weil die Mitglieder als parteifremde Elemente galten. 73 Prozent der Parteiausschlüsse wurden wegen angeblich parteifeindlicher Einstellung verhängt, gefolgt von Einschätzungen der Betreffenden als „Karrieristen“, wegen „moralischer Unsauberkeit“ oder krimineller Vorstrafen. Es bleibt unklar, wie viele frühere Mitglieder linker Split212 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/86, Bl. 1). In der Statistik sind 561 Mitglieder, deren Einstufung noch ausstand, nicht berücksichtigt.

Die Mitgliederüberprüfung des Jahres 1951

243

tergruppen sich unter den Ausgeschlossenen befanden. Summarische Parteiausschlüsse scheint es gegen sie jedoch nicht gegeben zu haben, denn nach dem Abschluss der Parteiüberprüfung gehörten der SED in Sachsen-Anhalt noch immer 594 frühere Mitglieder linker Splittergruppen an. Da diese Zahl relativ gering erschien, sollte sie nochmals nachgeprüft werden. Die überwiegende Mehrheit der im August 1951 noch ausstehenden Überprüfungen kam aus verschiedenen Gründen nicht mehr in Betracht: 10 902 Mitglieder (3,4 % der früheren Gesamtstärke) hatten die Überprüfung verweigert, 7 955 (2,5 %) waren vorher ausgetreten. Zusammen mit den gestrichenen und ausgeschlossenen Parteigenossen hatte die SED in Sachsen-Anhalt somit insgesamt 32 768 Mitglieder, d. h. 10 Prozent ihrer Stärke, verloren. Bei 14170 weiteren Mitgliedern erübrigte sich eine Überprüfung, da statistische Fehler vorlagen. 2 094 Mitglieder konnten bis Ende August 1951 wegen Krankheit noch nicht überprüft werden, 1 229 Fälle wurden zur Entscheidung an die KPKK, LPKK oder ZPKK übergeben.213 Tab. 8:

Soziale Herkunft der Überprüfungsverweigerer und ausgetretenen SED-Mitglieder in Sachsen-Anhalt (Stand: 31. August 1951)214 Prozentualer Anteil an der Mitgliedschaft (Stand: 31.12.1950)

Prozentualer Anteil an Überprüfungsverweigerern

Prozentualer Anteil an ausgetretenen Mitgliedern

Arbeiter

43,2

33,4

34,3

Angestellte

19,7

9,1

9,6

Bauern

6,9

14,6

11,9

Handwerker, Gewerbetreibende, Unternehmer

6,2

12,1

8,5

Intelligenz

5,0

0,7

1,2

19,0

30,0

34,5

Hausfrauen, Rentner

213 Ebd., Bl. 1, 7–9, 11, 15. 214 Ebd., Bl. 1, 7–9.

244 Tab. 9:

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Soziale Zusammensetzung der SED Sachsen-Anhalt im Dezember 1950 und August 1951215 Mitglieder am 31. Dezember 1950

Mitglieder am 31. August 1951

Differenz

Arbeiter

140 045 (43,2 %)

123 521 (42,8 %)

(- 0,4 %)

Angestellte

64 093 (19,7 %)

76 708 (26,6 %)

(+6,9 %)

Bauern

22 333 (6,9 %)

15 976 (5,5 %)

(-1,4 %)

Handwerker, Gewerbetreibende, Unternehmer

20 036 (6,2 %)

12 447 (4,3 %)

(-1,9 %)

Intelligenz

16 380 (5,0 %)

11433 (3,9 %)

(-1,1 %)

61680 (19,0 %)

48 938 (16,9 %)

(- 2,1 %)

Hausfrauen, Rentner

Nach Abschluss der Überprüfung fasste das ZK am 20. Oktober 1951 eine Entschließung, in der es hieß, die Partei werde ihre Tore am 1. November 1951 „für die Besten aus der Arbeiterklasse, für die Aktivisten, Neuerer, für die vorbildlichen werktätigen Bauern und die fortschrittliche Intelligenz“ öffnen. Bekräftigt wurde diese Absicht durch einen Aufruf, mit dem sich die Partei am 17. November 1951 nochmals an Arbeiter, Bauern etc. wandte und sie ausdrücklich zum Parteieintritt aufforderte. Die Partei öffne ihre Tore nur „den Besten und Würdigsten“, denn die Mitgliedschaft in der SED sei „eine hohe Ehre und Verpflichtung“.216 Obwohl das ZK eine insgesamt positive abschließende Bilanz der Mitgliederüberprüfung zog, musste es dennoch zugeben, dass wichtige Ziele nicht erreicht worden waren: Streichungen und Ausschlüsse, die man zunächst gegen Arbeiter und Bauern verhängt hatte, waren zwar teilweise wieder zurückgenommen worden, doch der prozentuale Anteil der Bauern und Landarbeiter in der Parteimitgliedschaft sank. Der Arbeiteranteil wurde nicht wie ursprünglich geplant erhöht, sondern blieb annähernd auf dem gleichen Stand. Bei den aus der Partei entfernten Arbeitern und Bauern votierten die Kommissionen häufig für Ausschluss, während Angestellte und andere Kategorien von Mitgliedern oft mit der politisch und moralisch weniger belastenden Streichung davon kamen. Wie in Sachsen-Anhalt, so konnten die Angestellten – also die so genannten „Kleinbürger“, die man ursprünglich aus der Partei drängen wollte – 215 Ebd., Bl. 2. 216 Dokumente der SED, 3. Band, S. 601, 629 f.

Die Mitgliederüberprüfung des Jahres 1951

245

als einzige soziale Gruppe auch im DDR-Maßstab ihren Anteil unter den Parteimitgliedern erhöhen. Das ZK fand für diese unangenehme Tatsache die fadenscheinige Erklärung, dass durch die Überprüfung erstmals „eine richtige Eingruppierung der sozialen Zusammensetzung vorgenommen“ worden sei, d. h., dass Arbeiter, die sich in den vergangenen Jahren qualifiziert und Funktionen im Staats- und Wirtschaftsapparat übernommen hatten, nun nicht mehr als Arbeiter, sondern als Angestellte gezählt wurden. Das ZK musste allerdings zugeben, dass die sinkende Zahl bäuerlicher Mitglieder ein Beweis für die ungenügende Parteiarbeit auf dem Lande sei.217 Die LPKK Sachsen-Anhalt gelangte Ende November 1951 zu der Einschätzung, dass man mit Hilfe der Überprüfung zwar parteifeindliche Kräfte aus der SED entfernt und damit „dem Klassenfeind einen empfindlichen Schlag“ versetzt habe. Die nach wie vor anhaltende Entlarvung „parteifeindlicher Elemente und Agenten“ zeige jedoch, dass dies nur teilweise gelungen sei. So wie der anglo-amerikanische Imperialismus in Jugoslawien die Partei durch Verräter, Agenten und Provokateure unter seine Kontrolle gebracht habe und wie es die Erfahrungen der Bruderparteien in Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei lehrten, versuchten die Gegner auch in der DDR, die Partei „von innen heraus zu erobern“.218 ZPKK-Chef Hermann Matern zeigte sich ebenfalls unzufrieden und zog die Ergebnissen der Mitgliederüberprüfung noch im Mai 1953 heran, um weitere Säuberungen zu rechtfertigen: „Bei der Ueberprüfung erhielten viele das Parteibuch, die [später] als Feinde, Betrüger, Karrieristen und Schwindler entlarvt wurden. Wir sagten bereits damals im Bericht über die Ergebnisse der Ueberprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten, dass es ein gefährlicher Irrtum wäre, anzunehmen, dass nunmehr alle Elemente, die nichts in unserer Partei zu suchen haben, bereits entfernt wären. Es kommt jetzt darauf an, in jedem Falle nachzuprüfen, wie es möglich war, dass die später Entlarvten das Parteibuch erhalten haben und wie sie bei der Ueberprüfung durchschlüpfen konnten. Die Untersuchung muss in der Richtung gehen, ob diese Elemente nicht Freunde und Helfer hatten, die sie unterstützten, das Parteibuch zu ergaunern.“219

217 Ebd., S. 589–601. 218 Sekretariat-Protokolle 22.11.–29.11.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/50, Bl. 201, 203). 219 Freiheit vom 21. 5.1953 („Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky. Referat von Hermann Matern auf dem 13. Plenum des ZK“).

246

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

4.

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft

4.1

SED-Landessekretariat und Landesvorstand

Innerhalb des sieben Mitglieder umfassenden Kleinen Sekretariats hielten frühere Kommunisten, d. h. vor allem die beiden Sowjetemigranten Bernard Koenen und Rudolf Weber, entscheidende Machtpositionen. Diese Tendenz, die sich bereits bei der Schaffung des Kleinen Sekretariats im Frühjahr 1949 gezeigt hatte, sollte sich nach der Gründung der DDR weiter verstärken. Im Dezember 1949 wurde das Kleine Sekretariat des SED-Landesvorstandes auf Beschluss des Politbüros von sieben auf neun Mitglieder erweitert. Bernard Koenen vertrat in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass sich das Kleine Sekretariat – auch wenn man „nicht formal an der Parität festhalten“ wolle – aus fünf ehemaligen KPD-Leuten und vier früheren SPD-Mitgliedern zusammensetzen sollte.220 An die Stelle des bisherigen 2. Sekretärs Werner Bruschke, der im Dezember 1949 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm und damit dem Sekretariat automatisch angehörte, sollte ein anderer ehemaliger Sozialdemokrat treten. Nach der Überprüfung von 40 früheren SPD-Mitgliedern, von denen sieben in die engere Wahl kamen, fiel die Wahl auf Otto Gehre.221 Gehre war vor 1933 Mitglied des SPD-Ortsvorstandes Dessau, Stadtverordneter und Funktionär in der Ortsverwaltung des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV) gewesen. Bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1935 hatte er einer Widerstandsgruppe angehört, war 1937 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und bis November 1940 im KZ Buchenwald inhaftiert worden. Nach 1945 wurde er erneut als SPD-Funktionär und Mitglied des Landesvorstandes der IG Metall aktiv.222 Während der Diskussion über die Kandidatenvorschläge zur Besetzung des Kleinen Sekretariats, die auf der Landesvorstandssitzung vom 26. November 1949 stattfand, wurde Gehre von dem Köthener Kreisleiter Kirstein (einem ehemaligen SAP-Funktionär) mit der provokanten Frage konfrontiert, wie er zum „Reformismus“ stehe. Innenminister Robert Siewert kam Gehre zu Hilfe und bestätigte, dass sich Gehre in Buchenwald so verhalten habe, „wie sich ein politischer Häftling zu verhalten“ hatte. Bei Diskussionen über den Marxismus-Leninismus habe Gehre bereits im Lager eine positive Haltung bezogen und nach 1945 „mit reformistischen Ansichten gebrochen“.223 Gehres Aufnahme in das Kleine Sekretariat stand danach nichts mehr im Wege. Dem Kleinen Sekretariat gehörten schließ220 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 30. 8.–4.12.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/7, Bl. 645). 221 Ebd., Bl. 566. 222 Kaderakte Otto Gehre (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/321, Bl. 1–11); Überprüfungsberichte Jan.–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/52, Bl. 2 f.); Freiheit vom 5.12.1949 („Vorwärts zu neuen Erfolgen!“). 223 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 30. 8.–4.12.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/7, Bl. 577 f.).

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

247

lich folgende Mitglieder an: Von der KP Bernard Koenen, Robert Siewert, Alois Pisnik, Rudolf Weber und die frühere Sowjetemigrantin Lene Berg, von der SPD Otto Gehre, Werner Bruschke, Paul Verdieck – auch er ein früheres Mitglied der Dessauer Widerstandsgruppe224 – und Rudolf Schröder, der sich 1945 drei Monate lang im amerikanischen Kriegsgefangenenlager Andernach befunden hatte. Um eventuelle Bedenken zu zerstreuen, verwies Schröder darauf, dass Andernach ein Lager gewesen sei, in dem „die Gefangenen unter freiem Himmel liegen mussten“ und wo es „keine Beziehungen zu amerikanischen Spionagezentralen“ gegeben habe.225 Die Zuständigkeiten für die staatliche Verwaltung, Polizei, Justiz, Presse, Nationale Front und LPKK lagen in der Hand von Bernard Koenen. Alois Pisnik war für Organisation, Jugend, Arbeit und Sozialpolitik sowie die Kasse verantwortlich, Rudolf Weber gebot über die Kaderabteilung. Lene Berg besaß die Zuständigkeiten für die Bereiche Schulung und Werbung sowie Kultur und Erziehung. Demgegenüber verblieben für die drei ehemaligen Sozialdemokraten Otto Gehre, Paul Verdieck und Rudolf Schröder lediglich die überwiegend weniger bedeutenden Abteilungen Wirtschaft, Kommunalpolitik, Frauen, Landund Forstwirtschaft, Geschäftsleitung und Massenagitation. Abgesehen von Schröder gab es unter den Mitgliedern des Kleinen Sekretariats keine Westemigranten oder früheren Kriegsgefangenen in westlichem Gewahrsam.226 Auch in den personellen Vorschlägen für den neuen Landesvorstand spiegelte sich das Misstrauen gegenüber Heimkehrern aus westlicher Kriegsgefangenschaft und ideologischen Abweichlern wider. Zwei Kandidaten wurden abgelehnt, weil sie sich längere Zeit in anglo-amerikanischer Gefangenschaft befunden und dort zum Teil politisch betätigt hatten. Gegen einen weiteren Kandidaten, der sich im KZ vom Zeugen Jehovas zum Kommunisten gewandelt hatte, gab es ebenfalls Bedenken, die aber von Robert Siewert mit dem Hinweis auf die politischen und rhetorischen Fähigkeiten des vorgeschlagenen Genossen zurückgewiesen wurden.227 Im Januar 1950 begann sich die Untersuchungskommission mit der politischen Vergangenheit der Mitarbeiter des Landesvorstandes zu befassen. Die Überprüfungen ergaben bei einem Drittel der Mitarbeiter belastende Momente, d. h. vor allem Aufenthalte in westlicher Kriegsgefangenschaft, aber auch frühere Mitgliedschaften in der NSDAP, KPO

224 Überprüfungsberichte Jan.–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/4/52, Bl. 2 f.). Während des Krieges verbreitete Verdieck in der Dessauer Zuckerraffinerie unter Regimegegnern Nachrichten abgehörter ausländischer Sender. 225 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 30. 8.–4.12.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/7, Bl. 646). 226 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/30, Bl. 22; Überprüfung Landesvorstand SED Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/50, Bl. 1.); Protokolle Sekretariat Juli-Dez. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/9, Bl. 417, 421). 227 Landesvorstand SED Sachsen-Anhalt Protokolle 30. 8.–4.12.1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/7, Bl. 553 f., 558 f.).

248

Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

und dem ISK.228 Die Mehrzahl der Mitarbeiter, die sich in amerikanischer, englischer oder französischer Gefangenschaft befunden hatten, konnte aufgrund ihres kurzen Aufenthalts mit Nachsicht rechnen. Anders verhielt es sich dagegen im Fall mehrjähriger Gefangenschaft, vor allem im Hinblick auf Mitarbeiter in sensiblen Bereichen: So sollte ein Abteilungsleiter der Kaderabteilung, der als Angehöriger der Strafdivision 999 1943 in US-Gefangenschaft geraten war, auf Vorschlag der Überprüfungskommission anderweitig eingesetzt werden, da er während seines dreijährigen Lageraufenthalts an einem vierzehntägigen Lehrgang teilgenommen hatte. Einen weiteren ehemaligen Kriegsgefangenen aus der Strafdivision 999 wollte man anderweitig verwenden, da er „mit englischen Offizieren, von denen anzunehmen ist, dass sie dem ‚Intelligence Service‘ angehörten, in Berührung“ gekommen sei. Ein Sachbearbeiter der Kaderabteilung machte sich dadurch verdächtig, dass er in amerikanischer Gefangenschaft nicht zu der vergleichsweise kleinen Gruppe deutscher Soldaten gehört hatte, die als Gegner des NS-Regimes auftraten. Darüber hinaus hatte er im Lager an einem Lehrgang teilgenommen, weshalb die Kommission seinen Abzug aus der Kaderabteilung vorschlug. Die Kommission kam auch im Fall einer in der Kaderabteilung tätigen England-Emigrantin „der langen Aufenthaltsdauer wegen“ zu derselben Einschätzung. Insgesamt betrachtet verlangte die LPKK einen personellen Umbau und Ausbau der Kaderabteilung, da die dort geleistete Arbeit „politisch gesehen nicht stark genug und auch nicht gründlich genug“ gewesen sei.229 Forderungen nach Ablösung, weiterer Überprüfung oder Bewährung wurden von der Kommission auch im Hinblick auf frühere NSDAP- und SA-Mitglieder vorgebracht, so z. B. im Fall des Leiters der Organisationsabteilung, der angegeben hatte, er sei 1939 der SA beigetreten, um dort „Zersetzungsarbeit zu leisten“. Im Gegensatz dazu durften ehemalige KPO-Mitglieder im Januar 1950 offenbar selbst dann noch mit Nachsicht rechnen, wenn sie verantwortungsvolle Positionen bekleideten, so etwa Walter Blass (Sekretär des Kleinen Sekretariats), dem „Abweichungen irgendwelcher Art weder nachgesagt noch nachgewiesen“ werden konnten. Begründet wurde diese Entscheidung auch damit, dass eine engere Zusammenarbeit zwischen Blass und der Sachbearbeiterin Ursula Wohlenberg, die ebenfalls der KPO angehört hatte, nicht bestand. Eine Konzentration früherer Abweichler unter den Mitarbeitern des Kleinen Sekretariats wurde demnach nicht befürchtet.230 Zu einem ähnlich beruhigen228 Überprüfung Landesvorstand SED Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/50, Bl. 4–12, 62–114, 178–192, 267–284, 340–369, 382–387, 394–397, 418–439, 459–514, 525–531). 229 Ebd., Bl. 178, 186, 188, 192; Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 54 f.); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/30, Bl. 37–40. 230 Überprüfung Landesvorstand SED Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/50, Bl. 4, 6, 9, 62–64, 70, 278); Analysen, Schriftverkehr 15. 9. 48–15. 5. 52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 54); SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/30, Bl. 22, 37, 40.

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

249

den Ergebnis führte die Mitgliederüberprüfung der Landesleitung im Mai 1951: Unter 96 überprüften Genossen befanden sich zu diesem Zeitpunkt nur noch je ein früheres Mitglied der KPO und des ISK sowie ein Westemigrant. Es wurden zwar 19 Männer festgestellt, die sich in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten, man kann jedoch davon ausgehen, dass ihre Gefangenschaft nicht von längerer Dauer gewesen war. Frühere Sozialdemokraten spielten in der Landesleitung mit einem Anteil von nur noch 18 Prozent gegenüber Kommunisten (50 %) und neu in die SED aufgenommenen Mitgliedern keine Rolle mehr.231 Dieselbe Entwicklung hin zur Konformität ließ sich 1950 im Kleinen Sekretariat beobachten: Dort erreichte die Dominanz der „Moskowiter“ und früheren KPÖ- bzw. KPČ-Mitglieder nach dem Rücktritt von Innenminister Robert Siewert, worüber weiter unten berichtet werden soll, im Frühjahr 1950 ihren Höhepunkt: Siewerts Nachfolger Josef Hegen stammte aus der Tschechoslowakei, wo er von 1929 bis 1934 dem ZK der KPČ angehört hatte, und hielt sich seit 1935 fast ausschließlich in der Sowjetunion auf.232 Abgesehen von Alois Pisnik handelte es sich somit bei vier der fünf kommunistischen Mitglieder des Kleinen Sekretariats um Sowjetemigranten. Unter dem Aspekt der früheren Parteizugehörigkeit betrachtet, stellten die KPD und KPČ je zwei Mitglieder (Bernard Koenen und Lene Berg bzw. Rudolf Weber und Josef Hegen) und die KPÖ ein Mitglied (Alois Pisnik). Bei Webers und Hegens Berufung in das Kleine Sekretariat spielte neben ihren Aufenthalten und Schulungen in der Sowjetunion sicherlich auch ihre Verbindung zum Sicherheitsapparat eine wichtige Rolle: Weber war an der Polizeischule Kochstedt tätig gewesen, Hegen war zunächst Chef der Landespolizeibehörde Sachsen-Anhalt und danach Innenminister.233 Im Vergleich zu den früheren KPD-Mitgliedern kam Weber, Hegen und dem Österreicher Alois Pisnik zugute, dass sie den ortsansässigen deutschen Kommunisten erst seit ihrer Übersiedlung in die SBZ bekannt waren und somit keine Informationen über eventuell vorhandene politische Abweichungen und sonstige Verfehlungen aus der Zeit vor 1933 gegen sie vorlagen. Das „Herwegen-Brundert-Komplott“ sollte im Landessekretariat als Anlass für Angriffe auf ehemalige Sozialdemokraten dienen, so auch auf das Sekretariatsmitglied Paul Verdieck, dessen Demontage sich während mehrerer Sitzungen Anfang Juni 1950 vollzog. Verdieck versicherte, dass er mit Brundert nichts zu tun gehabt, sondern ihn wegen seiner Kontakte zu alten Genossen für vertrauenswürdig gehalten habe. Als Bernard Koenen ein Schuldeingeständnis der Sekretariatsmitglieder verlangte, die vor der Fraktionsarbeit anderer Genossen zurückgewichen seien, übte auch Werner Bruschke Selbstkritik: Er habe gewusst, „dass mit Böttge etwas los war“, habe es aber wie alle anderen versäumt, 231 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/84, Bl. 212–220). 232 SBZ-Biographie, S. 132. 233 Ebd.; Protokolle von Sekretariatssitzungen Jan.–Juni 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/8, Bl. 137).

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die Frage offen anzusprechen. Bruschke, Verdieck und mehrere andere namhafte Sozialdemokraten wurden zur Teilnahme an einer Aussprache mit dem Sekretariat verpflichtet. Mit Hilfe dieser Aussprache sollte „die Grundlage für die schriftlichen Stellungnahmen der Genossen, die sie dem Sekretariat zur eventuellen Veröffentlichung in der Presse einreichen sollen, geschaffen werden“. Verdieck übte Selbstkritik, gestand engen Kontakt zu Bruno Böttge ein und bekannte, stärker „sozialdemokratisch belastet“ zu sein, als er selbst geglaubt habe. Es sei Böttges Plan gewesen, die SED auf die Linie der früheren USPD zu führen, wozu er und andere Genossen „bewusst oder unbewusst Handlangerdienst geleistet“ hätten. Sie hätten die von wenigen Leuten betriebene Fraktionsarbeit als Mitläufer unterstützt und dafür „Prügel“ verdient. Verdiecks Sturz ließ sich trotz umfassender Selbstkritik nicht mehr aufhalten: Er wurde Anfang Juli 1950 auf Beschluss des Sekretariats und „mit Einverständnis der Ärztekommission 14 Tage in Erholungsurlaub“ und anschließend zur Landesparteischule geschickt. An Verdiecks Stelle trat nach Überprüfung durch das ZK und das Landessekretariat der 1. Sekretär des Kreises Haldensleben Rudolf Krüger.234 Krüger entstammte zwar ebenfalls der Sozialdemokratie, war im Vergleich zu Verdieck jedoch ein vom neuen Staat deutlich geprägter jüngerer Funktionär: Er hatte 1948/49 die Bezirksparteischule und die Parteihochschule „Karl Marx“ besucht und in der FDJ hohe Funktionen bekleidet. Da das ZK und die Kaderabteilung in Berlin Krügers Ernennung zum Sekretariatsmitglied vorab billigten, stellten weder sein militärischer Rang in der Wehrmacht (Wachtmeister) und seine Kriegsauszeichnungen (EK II, Sturmabzeichen), noch seine 14-tägige US-Gefangenschaft im Mai 1945 ein Hindernis für die Wahl zum Sekretariatsmitglied dar. Krüger wurde auf der Landesleitungssitzung vom 2./3. August 1950 mit nur einer Stimmenthaltung zu Verdiecks Nachfolger „gewählt“.235 Auf Beschluss des Landessekretariats wurde Verdieck im September 1950 mit dem Amt des Direktors der Gebietsvereinigung volkseigener Güter Halle (GVVG) abgefunden und dort von „starken Funktionären“ umgeben, die die Gewähr dafür boten, dass „die GVVG richtig geleitet“ wurde. Ab Mai 1951 übernahm er als stellvertretender Niederlassungsleiter die DHZ Chemie in Halle und danach die Leitung der halleschen DHZNiederlassung Pharmazie und Krankenhausbedarf.236 1952 begann sich die MfS-Bezirksverwaltung Halle im Rahmen von Untersuchungen gegen Kurt Strich auch für Verdieck zu interessieren und legte am 1. April 1952 zu ihm sowie zu Paul Wessel, Paul Gerisch, Hermann Prübenau und weiteren ehemaligen Sozialdemokraten den Gruppenvorgang „Salpeter“ an. Alle standen im Verdacht der Fraktions- bzw. Gruppenbildung und Verbindung zum Ostbüro der SPD, da sie alle „mehr oder weniger der Ideologie des Sozialdemokratismus verfallen“ gewesen seien. Insbesondere Böttge, Wessel 234 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 11– 14, 27 f., 105–107, 168, 175, 203, 210); Sekretariat-Protokolle 1. 8.–8. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/16, Bl. 1, 5). 235 Vorstandssitzungen Protokolle 2./3. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/1/10, Bl. 389–391). 236 Sekretariat-Protokolle 7. 9.–18. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/20, Bl. 2, 9, 55); BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 122–124.

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251

und Verdieck hätten die Gruppe, in der Brunderts Verurteilung auf scharfe Kritik gestoßen sei, zusammengehalten. Parteifunktionären gegenüber habe Verdieck im April 1950 geäußert, man könne aus Brunderts Schulung in Wilton Park nicht den Schluss ziehen, dass er englischer Agent sei, denn „in der Sowjet-Union gebe es für die Kriegsgefangenen auch Schulen“.237

Paul Verdieck und Kurt Strich wurden am 4. November 1953 im Anschluss an eine Sitzung der SED-Kreisleitung Halle „wegen Fraktionsbildung und zersetzender Tätigkeit innerhalb der SED im Sinne des Ostbüros der SPD“ verhaftet. In den anschließenden Verhören gab Verdieck zu, „vor 1933 im Sinne der rechten SPD-Führung gearbeitet zu haben, indem er in seinen Referaten den Marxismus verfälschte, die Linie der rechten SPD-Führung vertrat und die Sowjetunion sowie die Rolle Lenins und Stalins verleugnete“. Er räumte außerdem ein, nach 1945 an Zusammenkünften ehemaliger SPD-Funktionäre teilgenommen zu haben, in denen Ulbricht kritisiert und ein deutscher Weg zum Sozialismus gefordert worden sei. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, wurde am 19. März 1954 aufgrund von Verdiecks Aussagen Bruno Böttge verhaftet, der seinerseits Strich und Verdieck schwer belastete. Unter dem Druck eines neunstündigen Verhörs gab Böttge am 2. Juni 1954 zu, er habe Verdieck als Sekretär für Landwirtschaft eingeschleust, weil ihm Verdieck als „Verfechter der arbeiterfeindlichen und verräterischen Politik der rechten SPD-Führung“ bekannt gewesen sei. Verdiecks angeblich schädliche Tätigkeit in der Landwirtschaft Sachsen-Anhalts habe darin bestanden, „reaktionäre Großbauern bei der Sabotierung der Volkswirtschaft“ zu decken.238 Nach einem weiteren neunstündigen Verhör unterschrieb Böttge folgende Aussage: „Dem Verdieck, Paul wurde übertragen, dass er als Sekretär der Abteilung Landwirtschaft der SED für das gesamte Gebiet Sachsen-Anhalt [...] in verlassene großlandwirtschaftliche Betriebe, deren Besitzer flüchtig wurden, reaktionäre Elemente als Treuhänder einzusetzen hatte. Diese reaktionären Elemente sollten Menschen sein, die die gleiche arbeiterfeindliche Tätigkeit, wie sie von der Gruppe der Opportunisten beschlossen wurde, vorbehaltlos durchführten, um die von mir gebildete Gruppe von Parteifeinden in der weiteren Zeit im Verein mit den eingesetzten reaktionären Elementen noch aktionsfähiger zu machen“.239

Unter Zusammenfassung der von Böttge, Strich und Verdieck erzwungenen Aussagen hieß es im Schlussbericht des Staatssicherheitsdienstes am 22. September 1954: „Die Beschuldigten Böttge [...], Strich [...], Verdieck [...] sind Agenten der amerikanischen und deutschen Imperialisten und der von ihnen geschaffenen Spionage-, Diversions- und Terrorzentrale „Ostbüro der SPD“. In deren Auftrage und Interesse schufen sie eine illegale Organisation mit dem Ziel, die politische und wirtschaftliche Macht der Deutschen Demokratischen Republik zu untergraben und die alten bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse wiederherzustellen. Unter Ausnutzung ihrer hohen Staats- und 237 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 11–13, 16, 38, 99 f. 238 BStU, MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 57, 60, 78 f., 112–115, 125 f., 138–147, 174 f., 321 f., 366–372; Band 3b, Bl. 266–269. 239 Ebd., 1. Band, Bl. 84.

252

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Wirtschaftsfunktionen betrieben sie Schädlingstätigkeit im Staats- und Wirtschaftsapparat der Deutschen Demokratischen Republik, hemmten die demokratische Entwicklung auf dem Lande und desorganisierten den Handel und die Materialversorgung. Sie betrieben Boykott- und Kriegshetze gegen demokratische Einrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik und versuchten, die freundschaftlichen Beziehungen des deutschen Volkes zu anderen Völkern zu stören. Die Beschuldigten sind Verräter an der Arbeiterklasse und am gesamten deutschen Volk. Sie behinderten in der Zeit des schweren Kampfes gegen Faschismus und Krieg die Herstellung einer breiten Einheitsfront aller Antifaschisten. Als Agenten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) haben sie in den Jahren 1933/34 im Konzentrationslager Mitgefangene, aufrechte Widerstandskämpfer gegen das faschistische Regime an ihre Auftraggeber verraten.“240

Böttge, Strich und Verdieck wurden am 14. Mai 1955 vom 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Halle verurteilt. Verdieck erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren, die er bis zu seiner Begnadigung im November 1956 verbüßte.241 Auch der frühere Sozialdemokrat Otto Gehre konnte seine Stellung im Landessekretariat trotz erwiesener Willfährigkeit nicht behaupten: Im August 1950 erhielt Gehre zwar ein Mandat als Landtagsabgeordneter, im November 1950 kam das Amt des SED-Fraktionsvorsitzenden hinzu, doch bereits im folgenden Jahr wurde er als Hauptabteilungsleiter im Staatssekretariat für Materialversorgung nach Berlin weggelobt. Überlastung und Überforderung, möglicherweise auch die späte Erkenntnis, politisch missbraucht worden zu sein, ließen ihn 1956 psychisch zusammenbrechen. Auf ärztlichen Rat hin musste Gehre seine Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Vertragsgerichts aufgeben und eine leichtere Arbeit im halleschen VEB Maschinen- und Apparatebau annehmen. Infolge erneuter Überlastung gab Gehre, der mittlerweile ohnehin das Rentenalter erreicht hatte, 1960 auch diese Arbeit auf. Eine Ärztekommission erklärte ihn zum arbeitsunfähigen Invaliden.242

4.2

Parteipresse und Druckereien

Als die LPKK im Januar 1950 eine Überprüfung der Parteiredaktionen und Parteiverlage vornahm, deutete zunächst nichts auf grundlegende Veränderungen an der Spitze der sachsen-anhaltischen Parteizeitungen hin. Die Chefredakteure der Magdeburger „Volksstimme“ und der halleschen „Freiheit“, Robert Büchner und Fritz Beyling, konnten auf jahrzehntelange Parteiarbeit und ihre Teilnahme am antifaschistischen Widerstandskampf verweisen: Büchner trat 1921 dem KJVD bei, wurde 1932 an die Moskauer Leninschule delegiert, leistete 1934/35 illegale Arbeit für den KJVD in Berlin und Hamburg und war fünf Jahre lang inhaftiert. Beyling gehörte dem KJVD bereits seit seinem 10. Lebensjahr an, arbeitete vor 1933 für mehrere kommunistische Zeitungen (u. a. für den halleschen „Klassenkampf“), war 1933 Mitglied der illegalen Parteileitung 240 Ebd., Band 3b, Bl. 239–241. 241 Ebd., 6. Band, Bl. 457–473; MfS-AU 139/55 GA, Bl. 123 f. 242 Kaderakte Otto Gehre (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/321, Bl. 1–11, 25, 30).

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des Bezirks Magdeburg-Anhalt und befand sich mehrere Jahre im Zuchthaus. 1947 übernahm er den Landesvorsitz der VVN. Beylings französische Kriegsgefangenschaft, in die er 1943 als Mitglied der Strafdivision 999 geraten war, stellte allerdings einen nicht zu unterschätzenden Schönheitsfehler in seiner ansonsten makellosen Biographie dar.243 Im Januar 1950 erschien die LPKK in der Verlagsleitung, Hauptredaktion und Merseburger Lokalredaktion der „Freiheit“, um eine Überprüfung vorzunehmen. Die Überprüfung der übrigen acht Lokalredaktionen war im Rahmen der Kreiskontrolle vorgesehen. Die Kommission vermerkte Beylings Aufenthalt in französischer Kriegsgefangenschaft, hielt ihn aber dennoch für „besonders geeignet“. Als tragbar eingeschätzt wurden auch die in der Hauptredaktion tätigen Mitarbeiter Hermann Rogowski (Politikredakteur, dreijährige amerikanische Gefangenschaft), Rudolf Pichler (Kulturredakteur, französische Emigration) und Eugen Podrabsky (leitender Redakteur der Volkskorrespondentenabteilung, KPO). Die Kommission verwies auf zwei Redakteure aus Zeitz und Weißenfels, die in englischer Gefangenschaft an einer Lagerzeitung mitgearbeitet und das Schulungslager Wilton Park besucht hatten. Einer der beiden Redakteure sollte wenige später nach Rücksprache mit der Kaderabteilung entfernt werden, „da er nicht über die notwendigen Qualitäten“ verfügte.244 Darüber hinaus beschaffte sich die LPKK Namenslisten, auf denen insgesamt 184 Mitarbeiter mit sämtlichen früheren und aktuellen Parteizugehörigkeiten verzeichnet waren.245 Die oben genannten Redakteure mussten außerdem Lebensläufe einreichen, die unter den gegebenen Umständen sehr parteikonform ausfielen. So behauptete Eugen Podrabsky (KPO), der während seiner Emigration in der Tschechoslowakei Kontakte zu KPO- und SAP-Leuten unterhalten hatte, dass er Anschluss an die KPČ gefunden habe – „wenn auch nach einem langen Prozess“.246 Zu Podrabskys weiterer Entlastung trug vermutlich auch seine Mitwirkung an Veranstaltungen der Martin-Luther-Universität bei, die im Dezember 1949 aus Anlass von Stalins 70. Geburtstag stattfanden. Für sechs Gastvorlesungen über „Die Bedeutung der Vorlesungen Stalins an der Swerdlow-Universität im Jahre 1924“ wurde Podrabsky das Auditorium maximum zur Verfügung gestellt und somit Gelegenheit gegeben, sich von früheren Kontak243 Analysen, Schriftverkehr 15.9.48–15.5.52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 15 f.). 244 Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/67, Bl. 1 f., 4); Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97 f.). 245 Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/4/67, Bl. 4–6, 47–52). In einer Aufstellung, die von der LPKK am 22. 3.1950 angefertigt wurde, finden sich abweichende Zahlen: Demnach wurden bei der Freiheit 283 Mitarbeiter erfasst, von denen 13 näher überprüft wurden. 12 hatten sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden, eine Person in Emigration. Gegen vier Mitarbeiter wurden Bedenken geäußert, gegen zwei weitere „starke Bedenken“. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 18. 246 Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/67, Bl. 39 f.); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/385, Bl. 638.

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

ten zu „Parteifeinden“ zu distanzieren.247 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, hatte Stalin 1924 in seinen Vorlesungen mit der innerparteilichen russischen Opposition abgerechnet und Parteisäuberungen gefordert. Fritz Beyling ergriff als Chefredakteur und VVN-Landesvorsitzender noch weitergehende Maßnahmen, um eventuelle Bedenken wegen seines Aufenthalts in französischer Kriegsgefangenschaft zu zerstreuen. Er reichte nicht nur seinen Erfahrungsbericht über antifaschistische Lagerarbeit ein, den er Franz Dahlem bereits 1946 übergeben hatte, sondern kolportierte auch die Geschichte seines Abwehrkampfes gegen vermeintliche Spitzel des französischen Geheimdienstes in einem algerischen Kriegsgefangenenlager. Pate stand dabei László Rajks Geständnis über seine Anwerbung durch das französische „Deuxième Bureau“ im Internierungslager Gurs – ein Anklagekonstrukt, das in der DDR Ende 1949 durch den deutschsprachigen Prozessbericht Verbreitung gefunden hatte.248 Darüber hinaus fügte Beyling seinem Bericht an LPKK-Chef Erich Besser noch folgende Denunziation bei: „Nach Kriegsende organisierte die französische Verwaltung für das Kriegsgefangenenwesen in Zusammenarbeit mit der Kirche und dem Zweiten Büro (Agenten- und Spionagedienststelle in der französischen Armee) für das gesamte nordafrikanische Territorium eine [...] Schule in einem ehemaligen Kloster [...]. Der Personenkreis, der für dieses Schulungslager „ausgewählt“ wurde, war nicht besonders gross. Das betreffende Schulungslager war durchschnittlich von etwa 60 „Kursanten“ besucht. Es ist augenscheinlich, dass in diesem Schulungslager unter dem Deckmantel der „Vorbereitung für die geistliche Betreuung der Deutschen“ brauchbare Elemente für Agentenarbeit entwickelt wurden. Dafür spricht auf alle Fälle das hohe Interesse des Zweiten Büros an diesem Lager. [...] Die Hauptbemühungen der französischen Gefangenenverwaltung liefen auf die Anwerbung von deutschen Kriegsgefangenen für die französische Fremdenlegion hinaus. Dabei gelang 1944 ein einmaliger Einbruch in unsere Reihen [...]. Über die diesen Ausbrechern etwa gestellten Zumutungen müsste der zur Zeit wohl im Kreise Gardelegen tätige Genosse Walter Rank Näheres sagen können, der damals trotz unserer Vorhaltungen mit zur französischen Fremdenlegion überging. Später ist ein solcher Einbruch in unsere Reihen dank erhöhter Wachsamkeit nicht mehr geglückt.“249

Beylings Denunziation zeigte – wenn auch verspätet – Wirkung: Walter Rank, der seit 1949 als 1. Sekretär der Kreisleitung Gardelegen amtierte und seine Vergangenheit als französischer Fremdenlegionär bis dahin verheimlicht hatte, wurde enttarnt. In mehreren Lebensläufen und Stellungnahmen versuchte er, 247 Senatsprotokolle 1946–1949 (UA Halle, Rep. 7, 807, unpaginiert; Senatssitzung vom 28.11.1949). 248 Rajk sagte dazu aus: „In Gurs und später in Vernet ließ ein Offizier des französischen Kundschafterorgans ‚Deuxième Bureau‘ mich als ehemaliges Mitglied der internationalen Brigade, das eine trotzkistische Tätigkeit entfaltete, bei mehreren Gelegenheiten zu sich rufen und erbat Berichte darüber, was im Lager vor sich gehe. [...] Dem französischen Offizier, dem Leiter des Deuxième Bureau, berichtete ich darüber, dass im Lager eine starke trotzkistisch-jugoslawische Gruppe am Werke sei und welche Personen ungefähr die Leiter dieser Gruppe seien.“ Vgl. László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, S. 49 f. 249 Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/67, Bl. 11–14).

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den freiwilligen Eintritt einer Gruppe deutscher Kommunisten aus dem algerischen Lager Djelfa IV in die Fremdenlegion damit zu begründen, dass dadurch französische Streitkräfte für die Invasion Frankreichs im Jahre 1944 frei geworden seien. Bei der Entscheidung für die Fremdenlegion sei es darum gegangen, den Kampf gegen den deutschen Faschismus zu unterstützen. Nach „den Erfahrungen mit Rajk, Kostoff, Merker, Brundert usw.“ bestehe jedoch Klarheit darüber, dass die Partei über die politische Vergangenheit ihrer Funktionäre informiert sein müsse, weshalb er sein Schweigen bedauere. Rank wurde im Februar 1952 seines Postens enthoben. Die Kaderabteilung hatte zunächst die Absicht, ihn zum Instrukteur für Kulturarbeit bei der Landesvereinigung der VdgB zu degradieren. Als neue Verwendung fand sich für Rank schließlich ein Sitz im Kreisvorstand Köthen der Konsumgenossenschaft.250 Eine frühere Ablösung war Rank vermutlich nur aufgrund der personellen Schwäche der SED im Kreis Gardelegen erspart geblieben. Weitere Maßnahmen gegen Redakteure der Parteipresse ließen nach der ersten Überprüfung im Januar 1950 nicht lange auf sich warten: Im Mai 1950 zeigte sich das Landessekretariat beunruhigt über zunehmende Unabhängigkeitsbestrebungen der „Volksstimme“ unter der Leitung ihres Chefredakteurs Robert Büchner. Unter Berufung auf einen Beschluss des Politbüros bestand das Landessekretariat darauf, die „Volksstimme“ der direkten Anleitung durch den Landesvorstand zu unterstellen. Nach Meinung des Landessekretariats reagierte Büchner auf diese Forderung mit „provokatorischem Verhalten“ und ließ sich in seinen Leitartikeln Abweichungen von der Generallinie der Partei zuschulden kommen. Man beschloss daher, Büchners Artikel zu sammeln und ihn anschließend beim Landessekretariat vorzuladen. Die „Volksstimme“ sollte künftig täglich telefonisch und telegrafisch instruiert werden, während mit der Redaktion der „Freiheit“, deren „Reorganisation“ man aufgrund ihrer Zusammensetzung als besonders schwierig einschätzte, tägliche Absprachen geplant waren. Um der Meinung führender Funktionäre des SED-Landesverbandes Sachsen-Anhalt stärkere Geltung zu verschaffen, sollten außerdem „zehn grundsätzliche Artikel von Sekretären oder Mitgliedern“ des Landesvorstands veröffentlicht werden. Die Kontrolle ging soweit, dass selbst Kürzungen wichtiger Artikel vor der Drucklegung mit dem Landesvorstand abgesprochen werden mussten. Als Konsequenz aus Büchners und Beylings Versäumnissen beschloss das Landessekretariat, beide „schnellstens auf die Parteihochschule“ zu schicken. Im Fall von Beyling wurde dies mit mangelnder Schulung für seine Tätigkeit als Chefredakteur und seiner angeblich eigenen Einsicht in diesen Mangel begründet.251 Wegen Büchners bevorstehender Delegierung an die Partei250 Kaderakte Walter Rank (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/904, unpaginiert; Fragebogen vom 10. 4.1951; Lebensläufe vom 10. 4.1951 und 6.12.1953; Stellungnahme vom 17. 8.1951); Sekretariat-Protokoll 31.1.1952 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/3/57, Bl. 1, 13, 130). 251 Sekretariat-Protokolle 4. 5.–26. 5.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/14, Bl. 1, 8 f., 33, 35, f.).

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hochschule unterbreiteten Mitarbeiter des Landessekretariats im August 1950 Vorschläge für die neu zu besetzende Chefredaktion der „Volksstimme“. Auch für die hallesche Parteipresse fiel eine wichtige Entscheidung, als Horst Sindermann seine Tätigkeit als zweiter stellvertretender Chefredakteur der „Freiheit“ antrat.252 Halle sollte für Sindermann zum Ausgangspunkt einer bemerkenswerten Karriere werden, die ihn in den folgenden Jahren von der Chefredaktion der „Freiheit“ über die Position des 1. Sekretärs der Bezirksleitung Halle bis ins ZK und Politbüro führte.253 Beyling konnte seine Karriere ebenfalls fortsetzen, übernahm das Amt des Generalsekretärs der VVN (1951–1953) und wurde 1953 zum Leiter des Presseamtes des Ministerpräsidenten berufen.254 Erich Behnkes Tätigkeit in der Chefredaktion der halleschen „Freiheit“ endete im September 1950 durch Rückversetzung auf seinen früheren Posten als Hauptabteilungsleiter im Landtag von Sachsen-Anhalt. Es war in diesem Zusammenhang sicherlich kein Zufall, dass sich die LPKK im Herbst 1950 erneut mit den bereits nach Kriegsende geäußerten Vorwürfen wegen Behnkes Verhalten im KZ Lichtenburg befasste. Max Benkwitz teilte dem Landessekretariat mit, Behnke habe im KZ eine „gemäßigte Linie“ eingeschlagen. Auch Behnkes Auftritt während der Lager-Weihnachtsfeier im Jahre 1933 kam wieder zur Sprache: Während Benkwitz bei den Ermittlungen im September 1945 noch Behnkes „Sieg Heil“-Ruf am Ende der Festrede erwähnt hatte, sprach er nun etwas nebulös von „Bemerkungen, die einen Teil der Genossen in Gegensatz zu dem Genossen B[ehnke] kommen ließen“. Ein weiterer Vorwurf an Behnke, der bereits während der KZ-Haft gegen ihn erhoben worden war, konnte jedoch durch Ermittlungen der LPKK entkräftet werden: Nicht Behnke, sondern der spätere Zeitzer Kreisleiter Artur Überschaer hatte im Juni 1934 aus der Haft einen den Nationalsozialismus verherrlichenden Brief an die Gauleitung Halle-Merseburg gerichtet, den das hallesche NS-Organ „Mitteldeutsche Nationalzeitung“ (MNZ) aufgriff und veröffentlichte. In seinem Brief feierte Überschaer Hitlers Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als „Meilensteine auf dem Wege zum deutschen Sozialismus“. Nationalsozialismus sei das, „was weite Kreise der Arbeiterschichten von dem Begriff Sozialismus ersehnten“. In 17 Monaten habe der Nationalsozialismus weit mehr für die Arbeiter erreicht als der Kommunismus in fast 17 Jahren. Der Verdacht der Autorschaft war unter den Mitgefangenen des KZ Lichtenburg sofort auf Behnke gefallen, wohl nicht nur aufgrund seines anbiedernden Verhaltens im Lager, sondern auch, weil die MNZ den Brief als „Schreiben eines zur Zeit noch inhaftierten ehemaligen kommunistischen Funktionärs und Mitgliedes der Klassenkampfredaktion“ angekündigt hatte. Durch die Befragung von Überschaer, der seine Autorschaft unter Tränen eingestand, konnte 1950 aber zumindest dieser unberechtigte 252 Sekretariat-Protokolle 1. 8.–8. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/16, Bl. 18, 26 f.). 253 Weber, Kleine Geschichte der DDR, S. 220. 254 SBZ-Biographie, S. 35.

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Verdacht gegen Behnke ausgeräumt werden.255 Behnke sah sich aufgrund seines Verhaltens im KZ Lichtenburg auch in den folgenden Jahren noch mehrfach zur Rechtfertigung veranlasst.256 Weitere Säuberungen gegen das Presse- und Verlagswesen liefen im September 1950 an und betrafen innerhalb weniger Tage sechs Verlage und Druckereien (Bauernverlag, Tiefdruck-Verlag, Druckerei Freiheit, Druckerei der Werktätigen, Gravo-Druck und Druckerei Hermes).257 Auf Beschluss des Landessekretariats sollten in Eisleben ebenfalls eine „genaue Untersuchung der Druckereien auf alte Archive“ vorgenommen, die vorgefundenen Materialien protokolliert und „unter sicheren Verschluss“ genommen werden. Hinzu kam eine gründliche personelle Überprüfung. Die Durchführung dieser Anweisungen oblag der KPKK „in Verbindung mit den Organen der Staatssicherheit“ und der Kriminalpolizei.258 Die Untersuchung der Mitteldeutschen Druckerei (Zweigstelle Eisleben) durch die KPKK und Kripo führte beinahe erwartungsgemäß zur Entdeckung von „nazistischem und militaristischem Material“. Wie solche Funde tatsächlich zu bewerten sind, zeigte das Verhalten eines verunsicherten Redakteurs, der Fotos vom „Eislebener Blutsonntag“ (12. Februar 1933) vorsorglich an die KPKK übergab. Es spielte dabei keine Rolle, dass die Fotos für einen antifaschistischen Artikel über den „Eislebener Blutsonntag“, bei dem 1933 u. a. Bernard Koenen schwer verletzt worden war, verwendet werden sollten. Darüber hinaus fand sich auf dem Dachboden der Mitteldeutschen Druckerei weiteres Material, das die Kripo später genauer sichten wollte. Bis dahin blieb der Dachboden versiegelt.259 Bei Überprüfungen der parteieigenen und privaten Druckereien wurde vor allem in SED-Druckereien neben NS-Propagandamaterial (z. B. Hitlerbilder) auch „trotzkistisches Material“ in Schreibtischen, Redaktionsräumen und in den Wohnungen von Redakteuren der Parteizeitungen entdeckt. Die LPKK zog aus diesen Feststellungen den Schluss, dass in den parteieigenen Druckereien „rücksichtslos durchgegriffen“ werden müsse. Wenn man von anderen „Sauberkeit und Reinheit“ verlange, so gelte dies in noch größerem Maße für die SED.260

255 Untersuchungsberichte betr. Erich Behnke Sept. 1945–Okt. 1959 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1858, unpaginiert; Abschrift des MNZ-Artikels „Bekenntnis eines ehemaligen KPD-Funktionärs“; Aussagen des Genossen Benkwitz im Falle Behnke, 13. 9.1945; LPKK an Sekretariat Gen. Weber, 8.11.1950; Biographie Erich Behnke, 1959). 256 Kaderakte Erich Behnke (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/74, Bl. 34–36, 87). 257 Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/57, Bl. 114 f.). 258 Sekretariat-Protokolle 23. 8.–30. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/19, Bl. 52, 55 f.). 259 Überprüfungsberichte, Tätigkeitsberichte, Monatsberichte der LPKK Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/58, Bl. 73–77). 260 Sekretariat-Protokolle 31. 8.–28. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/1/11, Bl. 322); Berichte, Untersuchungen, Informationen Aug. 1950–Dez. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/65, Bl. 132).

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Ende 1950/Anfang 1951 verloren neun Redakteure der halleschen „Freiheit“ und fünf Redakteure der Magdeburger „Volksstimme“ ihre Arbeitsplätze. Als Entlassungsgründe wurden „kleinbürgerliche Tendenzen und Herkunft“, westliche Kriegsgefangenschaft und in zwei Fällen höhere Dienstgrade bei der Wehrmacht angeführt. Unter den Entlassenen befand sich Hermann Rogowski, der im Januar 1950 wegen seiner dreijährigen US-Gefangenschaft von der LPKK befragt worden war. Rogowski wurde auf Beschluss des Landessekretariats entlassen, da man ihm und anderen Redakteuren den verspäteten Abdruck eines Grotewohl-Interviews und weitere Versäumnisse vorwarf. Durch die bevorzugte Einstellung von Redakteuren, die der Arbeiterschaft entstammten, verstärkte sich das proletarische Element in den Redaktionen. Frühere SPD-Mitglieder stellten gegenüber ehemaligen KPD-Leuten und neu in die SED aufgenommenen Mitgliedern nur noch eine Minderheit dar.261 Tab. 10: Soziale und politische Zusammensetzung der Redaktionen der Parteizeitungen „Freiheit“ und „Volksstimme“ im März 1951262 „Freiheit“

„Volksstimme“

Mitarbeiter

58

33

davon Arbeiter

32

18

davon höhere Schüler

13

2

2

0

davon Angestellte

10

12

davon Akademiker

1

0

davon Landarbeiter und Bauern

Partei vor 1933

SPD KPD

4 2

SPD KPD

5 5

Partei nach 1945

SPD KPD SED

7 9 36

SPD KPD SED

9 7 17

261 Sekretariat-Protokolle 7. 9.–18. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/20, Bl. 106 f.); Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 119). 262 Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 120 f.).

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Im Rahmen der Parteiüberprüfung stellte die Landeskommission im Juli 1951 fest, dass sich die Arbeit der „Freiheit“ und die Anleitung durch das Landessekretariat verbessert hätten. Es sei Horst Sindermann gelungen, „eine positive Umstellung im Redaktionskollektiv“ herbeizuführen. Allerdings herrsche zwischen den Redakteuren, die noch immer als zu wenig parteiverbunden galten, und den in der Redaktion tätigen Arbeitern teilweise offene Feindschaft. Die Redakteure verstünden es noch immer nicht, „die Prawda als Vorbild für ihre Arbeit zu nehmen“. Eugen Podrabsky (KPO), der in der „Freiheit“ vom 21. März 1951 mit seiner KPO-Vergangenheit abgerechnet hatte, wurde von der Landeskommission als Leiter der Landesredaktion bestätigt. Podrabsky galt als ideologisch stark und war einer der aktivsten Parteiarbeiter. Vier weitere Redakteure sollten jedoch ausgewechselt werden. Im Fall des stellvertretenden Chefredakteurs Arthur Engel legte die Landeskommission wegen Kontakten zum Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter eine nochmalige Überprüfung fest.263 Im Februar 1952 waren bei der „Freiheit“ und der „Volksstimme“ noch immer 30 Mitarbeiter, die sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden hatten (davon sechs länger als ein Jahr), und drei Westemigranten beschäftigt. Eugen Podrabsky befand sich nicht mehr unter ihnen.264

4.3

Massenorganisationen

Unterschiedliche politische Traditionen und soziale Milieus ließen bei der Säuberung der Massenorganisationen unterschiedliche Ergebnisse erwarten. Im Gegensatz zu allen übrigen Massenorganisationen erschien etwa die überwältigende Mehrheit der FDJ-Mitglieder allein aufgrund ihres geringen Alters unverdächtig und frei von ideologischen Abweichungen aus der Zeit vor 1933. Die Qualität vieler FDJ-Sekretäre und Abteilungsleiter im FDJ-Landesvorstand wurde zwar als ungenügend eingeschätzt,265 doch keiner der FDJ-Funktionäre war in den zwanziger und dreißiger Jahren alt genug gewesen, um sich in der KPD an internen Fraktionskämpfen zu beteiligen oder als Westemigrant späteren Verdächtigungen auszusetzen. Die Überprüfung durch die LPKK Anfang 1950 führte dementsprechend zu dem Ergebnis, dass sich unter 99 überprüften FDJ-Mitarbeitern keine Emigranten und frühere Mitglieder von Splittergruppen befanden. Lediglich sechs waren in westlicher Kriegsgefangenschaft gewesen.266 Auch die VdgB erschien hinsichtlich „trotzkistischer“ Erscheinun263 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 344, 355 f.); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/5/84, Bl. 168–170, 173); Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 401. 264 Überprüfungsberichte Jan. 1950–Febr. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/67, Bl. 61). 265 Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 114). 266 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 20.

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gen unverdächtig, da die KPD auf dem Land nur schwach verwurzelt gewesen war. Im Hinblick auf Westgefangene und Westemigranten gab es bei der Überprüfung der VdgB-Landesleitung kaum Beanstandungen: 35 von 155 Überprüften hatten sich zwar in westlicher Gefangenschaft befunden, doch nur gegen zwei wurden Bedenken erhoben. Auffallend war jedoch ein hoher Anteil früherer Unteroffiziere und Offiziere der Wehrmacht. Um festzustellen, in welchem Maße sich in der VdgB Großbauern und Gutsverwalter organisiert hatten, war eine nochmalige Überprüfung vorgesehen.267 Dennoch sollten die Säuberungen im Gefolge des ungarischen Rajk-Prozesses und des Herwegen-Brundert-Prozesses für die Massenorganisationen zur entscheidenden Zäsur werden. In besonderem Maße galt dies für den FDGB, da Gewerkschaftsarbeit eine traditionell sozialdemokratische Domäne war, in der sich auch gemäßigte Kommunisten („Versöhnler“ und KPO-Leute) betätigten. Alois Pisnik stellte auf der Sekretariatssitzung vom 14. Juni 1950 fest, dass frühere Sozialdemokraten vor allem in der Wirtschaft und den Massenorganisationen versucht hätten, wichtige Positionen zu besetzen. Sie seien zwar nicht überall erfolgreich gewesen, aber es gebe in den Gewerkschaften starke sozialdemokratische Tendenzen. Im Zusammenhang mit Brunderts „Entlarvung“ erwähnte Innenminister Josef Hegen auch „eine Reihe entscheidender Stellen in den Massenorganisationen“. Wenn es solche „Agenturen“ gegeben habe, erhebe sich die Frage, mit welchen noch in der DDR verbliebenen Kräften sie zusammengearbeitet hätten.268 Selbst in ideologisch an sich unverdächtigen Massenorganisationen wie dem DFD und dem Kulturbund sollten 1950 Überprüfungen und Säuberungen stattfinden: Während personelle Umbesetzungen im DFD-Landesvorstand mit individuellen politischen Belastungen begründet wurden, galten im Kulturbund vor allem Esperanto-Zirkel, in denen sich Veteranen aus der kommunistischen Esperantobewegung organisiert hatten, aufgrund ihrer internationalen Kontakte als Sicherheitsrisiko. In der folgenden Darstellung sollen daher personelle Veränderungen im FDGB-Landesvorstand, an der Spitze des DFD und Auseinandersetzungen mit den Esperantisten im Kulturbund näher betrachtet werden.

4.3.1 Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) Der Anspruch der Kommunisten, in den traditionell sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften eine dominierende Rolle zu spielen, trat bereits während der Konstituierung der Landesgewerkschaftsbünde im Sommer und Herbst 1945 offen zutage: Vier der fünf Landesgewerkschaftsbünde, die sich in den Ländern und Provinzen der SBZ bildeten, standen unter der Leitung ei267 Ebd.; Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97, 104). 268 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 100, 108).

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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nes kommunistischen Vorsitzenden. Die am 15. September 1945 in Halle tagende FDGB-Landeskonferenz für die Provinz Sachsen wählte dementsprechend die beiden Kommunisten Rudolf Jäger und Hermann Rößler zum 1. und 2. FDGB-Vorsitzenden. Auf der im Februar 1946 abgehaltenen Landeskonferenz wurden sie von Rudolf Maisel (KPD) und Adam Wolfram (SPD) abgelöst. Im April 1947 bestätigte die Landesdelegiertenkonferenz Maisel und Wolfram in ihren Ämtern.269 Obwohl die starke Verwurzelung der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften bei den im Dezember 1949 stattfindenden Überprüfungen umfassende Säuberungen erwarten ließ, fiel das Überprüfungsergebnis zunächst eher mager aus: Von 839 Mitarbeitern, die man im FDGB-Landesvorstand, in den Landesvorständen der Industriegewerkschaften und den Kreisvorständen erfasste, wurden nur 172 näher überprüft. 31 von ihnen hatten sich in westlicher Kriegsgefangenschaft aufgehalten, in Emigration dagegen kein einziger. Gegen lediglich vier Mitarbeiter wurden Bedenken erhoben. In der FDGB-Landeskasse und der FDGB-Vermögensverwaltung sowie in den Landesvorständen der IG Chemie und der IG Land und Forst wurde eine Konzentration ehemaliger Wehrmachtsangehöriger vom Unteroffizier bis zum Hauptmann festgestellt. Um diese Konzentration aufzulösen, hielt die Überprüfungskommission eine „Umgruppierung“ im Landesvorstand der IG Chemie für notwendig. Bei fünf Angestellten des Landesvorstands der IG Land und Forst, die sich in westlicher und jugoslawischer Gefangenschaft befunden hatten, war auf Anraten der Kommission eine personelle Umbesetzung geplant.270 Die Verhaftung von Willi Brundert sollte schließlich zum Anlass für umfassendere Säuberungen im FDGB-Landesverband Sachsen-Anhalt werden. Der 2. FDGB-Landesvorsitzende Adam Wolfram – ein früherer Sozialdemokrat und verantwortlich für die Wirtschaftsabteilung im FDGB-Landesvorstand – hielt die Verhaftung von Brundert, mit dem er befreundet war und politisch übereinstimmte, für eine „Riesenschweinerei“ und konnte sich Brunderts Verhaftung nur dadurch erklären, dass man „Brundert in irgendeiner anderen Angelegenheit nichts am Zeug flicken konnte“. Wolfram setzte sich sowohl mit dem SEDLandesvorstand als auch mit Walter Ulbricht in Verbindung und bat darum, den Wahrheitsgehalt der Gerüchte über Brundert zu prüfen. Als Ulbricht und der Vorsitzende der ZKSK, Fritz Lange, Brunderts Schuld als erwiesen darstellten, unternahm Wolfram nichts mehr, sondern bemühte sich um die Beschaffung von Material zu seiner eigenen Verteidigung.271 Zwei überaus beflissene Mitarbeiter des FDGB-Bundes- bzw. Landesvorstands führten daraufhin an einem Sonntag im November 1949 eine so genannte „Hausbegehung“ durch, bei der 269 Müller, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, S. 629–631, 651. 270 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 19; Überprüfungsberichte Dez. 1949–Jan. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/34, Bl. 65 f., 70). 271 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 178–180; MfS-AS 1154/67, Bl. 10; SekretariatProtokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/15, Bl. 66 f.).

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

u. a. Wolframs Dienstzimmer durchsucht wurde. Sowohl der 1. FDGB-Landesvorsitzende Rudolf Maisel als auch Bernard Koenen missbilligten die Anwendung solcher „Sherlock-Holmes-Methoden“ (Koenen), da sie geeignet seien, die Einheit der Arbeiterschaft zu zerstören. Wolfram wurde von Maisel über die Durchsuchung informiert und wandte sich mit einer Beschwerde an FDGBChef Herbert Warnke. Am 5. Dezember 1949 trat die vom FDGB-Bundesvorstand zur Untersuchung der „DCGG-Affäre“ eingesetzte Kommission zusammen. Mehrere Vorsitzende von Einzelgewerkschaften sprachen Wolfram das Misstrauen aus. Man warf ihm außerdem vor, Betriebsleiter ohne vorherige Genehmigung eingesetzt, die Enteignung einer Malzfabrik rückgängig gemacht und sich für die Freilassung von Verhafteten eingesetzt zu haben. Noch schlimmer traf es Wolfram auf der außerordentlichen Sekretariatssitzung des FDGBLandesvorstands am 16. Dezember 1949: Wolfram übte zwar in sehr allgemeiner Art und Weise Selbstkritik, beharrte jedoch darauf, von der „DCGG-Affäre“ erst kurz zuvor erfahren und im Einvernehmen mit dem SED-Landessekretariat gehandelt zu haben. Er habe Brundert „immer für einen ehrlichen Menschen gehalten“ und gut mit ihm zusammengearbeitet. Maisel stellte sich hinter Wolfram und wies darauf hin, dass nicht ausschließlich Wolfram Schuld trage, denn oft genug sei der FDGB-Landesvorstand durch Parteibeschlüsse vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Auch Maisel gab eine selbstkritische Stellungnahme ab, in der er versprach, seine Schwächen künftig „mit aller Härte“ abzustellen. Ein vom Bundesvorstand entsandter Funktionär zeigte sich befriedigt über Maisels Selbstkritik, unterstellte Wolfram dagegen mangelnde Parteiverbundenheit und theoretische Mängel. Die Zeit der Parität zwischen früheren Sozialdemokraten und Kommunisten sei endgültig vorbei, denn nun heiße es: „Die Besten in die Leitungen“.272 Nach Abschluss des Herwegen-Brundert-Prozesses wurde der Druck auf den FDGB-Landesvorstand weiter erhöht: Wie es im Sitzungsprotokoll des SEDLandessekretariats vom 4. Mai 1950 hieß, zählten der FDGB-Landesvorstand, der FDGB-Kreisvorstand Dessau und die IG Metall zu denjenigen Organisationen, in deren Zuständigkeitsbereich der „Angriff der Konzernherren und ihrer Agenten“ erfolgt war. Der FDGB-Landesvorstand und dessen 2. Vorsitzender Adam Wolfram hätten eine Haltung bezogen, durch die „Brundert in seiner Selbstherrlichkeit weitgehend gedeckt“ worden sei. Wolfram habe niemals kritisch gegen Brundert Stellung genommen, sondern ihn häufig unterstützt. Hinweisen und Beschwerden, die von Magdeburger FDGB-Funktionären über die DCGG vorgebracht worden waren, sei Wolfram nicht mit letzter Konsequenz nachgegangen.273 Ende Juni 1950 übte Wolfram in einer schriftlichen Stellungnahme Selbstkritik, die von der Parteizeitung „Freiheit“ veröffentlicht wurde. Wolfram bekannte sich darin zu folgenden Versäumnissen: 272 BStU, MfS BV Halle, AP 157/56, Bl. 23–28, 44–47. 273 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 94, 96 f.).

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263

„Da ich von 1946–1948 Leiter der Wirtschaftsabteilung im Landesvorstand des FDGB war, fühle ich mich mitverantwortlich für die Wirtschaftspolitik, die damals gemacht wurde. Der größte Mangel unserer Wirtschaftspolitik bestand darin, dass wir uns in Vorstellungen einer reformistischen Wirtschaftsdemokratie bewegten und es unterließen, ein gründliches Studium der marxistisch-leninistischen Theorie durchzuführen, um eine feste Grundlage für unsere tägliche Arbeit zu erhalten. Eine unentwickelte Klassenwachsamkeit führte zu der Vorstellung, es kann ja nichts passieren, da die maßgebenden Funktionen in Staat und Wirtschaft von Vertretern der Arbeiterklasse besetzt sind. [...] Es war mein Fehler, dass ich nicht erkannte, wie im Fall der DCGG die alten Monopolisten zu einem raffinierten Schachzug ansetzten, um ihren Einfluss in der Energiewirtschaft zu behaupten und neu zu festigen.“274

Darüber hinaus wurden im Juni 1950 beim FDGB Unterschlagungen festgestellt, die Mitte Juli 1950 zur Amtsniederlegung des 1. Landesvorsitzenden Rudolf Maisel führten. Maisels erzwungene Demission war jedoch nicht nur der Entdeckung einer „schwarzen Kasse“ zuzuschreiben, sondern es gab dafür weitere schwerwiegend erscheinende Gründe: Wie bereits erwähnt, trug Wolfram nach Auffassung von Maisel im Hinblick auf die DCGG keine Schuld, sondern beide unterhielten weiterhin freundschaftliche Beziehungen. Es wurde außerdem bekannt, dass Maisel mit seinem Privatchauffeur Paul Schwefel regelmäßige „Saufgelage“ veranstaltet haben soll. Schwefel wiederum war während der amerikanischen Besatzungszeit nach Halle gekommen, hatte sich in seinem erlernten Beruf als Schneidermeister niedergelassen und später vor allem für sowjetische Offiziere und ziviles sowjetisches Personal gearbeitet. Dieser Umstand und Schwefels aufwendiger Lebensstil, dessen Finanzierung allein aus den Einkünften seiner Schneiderei kaum möglich erschien, setzten ihn dem Verdacht aus, als amerikanischer Agent tätig zu sein. Schwefels heimliche Wohnungsauflösung und Flucht in die USA untermauerten diesen Verdacht. Dennoch erwirkte Maisel die Freilassung von Schwefels Frau, als diese nach dem Verschwinden ihres Mannes festgenommen wurde. Im Hinblick auf Maisels antifaschistische Tätigkeit wurde zudem der Verdacht laut, Maisel habe möglicherweise mit der Gestapo zusammengearbeitet, da er sich 1936 nach dem Auffliegen einer illegalen Druckerei nur acht Monate in Haft befunden hatte.275 Untersuchungen des MfS gegen Adam Wolfram wurden im Oktober 1950 eingestellt, da sich für die ihm unterstellte Spionagetätigkeit keine Beweise fanden. Der Vorwurf, „während der Nazizeit als Angehöriger der Schutzpolizei einem Sonderkommando in der ČSR angehört zu haben“, blieb jedoch bestehen.276 Der „Umtausch der Parteidokumente“ sollte weiteren Mitgliedern des FDGBLandesvorstandes Probleme bereiten: Nach der Überprüfung erhielten im April 1951 zwar 20 Vorstandsmitglieder ihre Parteibücher – Leo Schaffer, Paul 274 Freiheit vom 29. 6.1950 („Ursachen und Folgen mangelnder Wachsamkeit. Von Adam Wolfram“). 275 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 3. Band, Bl. 9; 11. Band, Bl. 67, 69–75, 79 f., 87 f.; Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 182). 276 BStU, MfS BV Halle, AP 157/56, Bl. 3, 59 f.

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Brandt und der frühere Spanienkämpfer Oskar Brandschädel sollten jedoch wegen Schulung in jugoslawischer Gefangenschaft, Mitgliedschaft in der KPO und ungeklärter Westemigration nochmals überprüft werden. Alle drei erhielten letztlich neue Mitgliedsbücher, doch Brandt wurde trotz einer selbstkritischen Stellungnahme zur „parteifeindlichen Arbeit der KPO“ von seiner Funktion im FDGB abgezogen.277 Brandschädel, der 1936 als Gewerkschaftsobmann und Instrukteur in der Brüsseler Emigrationsleitung u. a. mit Erich Mielke zusammengearbeitet hatte, sollte einen weiteren Bericht über seine bewegte Vergangenheit abgeben: Er war im Oktober 1936 nach Spanien gegangen und nach dem Abzug der Internationalen Brigaden 1938/39 in mehreren südfranzösischen Lagern interniert worden. Es folgte ein vierjähriger Aufenthalt beim militärischen Arbeitsdienst („Service Préstataire“) im Lager St. Antoine (Montauban), aus dem Brandschädel als Franzose entlassen wurde. Er schloss sich französischen Partisanen an und gelangte im August 1944 als französischer Fremdarbeiter nach Wolfen.278 Die Überprüfung ergab, dass Brandschädel nicht gegen Beschlüsse der Emigrationsleitung, die ohnehin sehr häufig verändert wurden, gearbeitet hatte. Es bestanden daher keine weiteren Einwände mehr gegen die Aushändigung des Parteibuches an Brandschädel.279 Adam Wolframs Sturz setzte sich währenddessen weiter fort: Er wurde nach den Wahlen im Oktober 1950 als Landtagspräsident abgelöst und von der SEDLandesleitung zur Verwaltungsakademie Forst Zinna delegiert. Im August 1951 floh Wolfram in den Westen. In einem Brief an die SED-Landesleitung teilte er mit, dass gegen ihn wegen Planüberschreitung beim Wiederaufbau des Stadttheaters Halle ungerechtfertigterweise Strafanzeige erstattet worden sei. Da er wisse, „wie man in solchen Fällen handelt“, habe er es vorgezogen, die DDR zu verlassen.280

4.3.2 Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) Der im März 1947 gegründete DFD trat mit dem Anspruch an, eine „einheitliche, überparteiliche, überkonfessionelle“ und demokratische Frauenorganisation zu sein, deren Ziel darin bestehe, für die Sicherung des Friedens, Einheit Deutschlands, Gleichberechtigung der Frau und internationale Zusammenar277 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 247, 249, 262, 271, 344, 353); namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 2 f., 12); SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/156, Bl. 75–79. 278 Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/209, Bl. 107–110); Kaderakte Oskar Brandschädel (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/140, unpaginiert). 279 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 262, 271). 280 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 97 f., 178–180; MfS-AU 139/55, 1. Band, Bl. 129; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 232.

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beit mit Frauen anderer Länder zu wirken. Schon bald sollte sich jedoch zeigen, dass die SED über den DFD Einfluss auf die gesamte weibliche Bevölkerung auszuüben versuchte. Dies war von umso größerer Bedeutung, da Frauen die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Der offiziell überparteiliche Charakter des DFD sollte nicht zuletzt dadurch demonstriert werden, dass zunächst vor allem parteilose und bürgerlichen Parteien angehörende Frauen an der Spitze der Landesvorstände standen – so auch im Landesverband SachsenAnhalt, der 1947/48 von der parteilosen Vorsitzenden Dr. Paula Hertwig geführt wurde. 2. Landesvorsitzende war die Ärztin Dr. Margarete von der Esch, die vor 1933 dem völkischen „Schutz-und Trutzbund“ und der DNVP angehört hatte. Während der NS-Herrschaft meldete Dr. von der Esch Behinderte zur Zwangssterilisation, nach 1945 wurde sie Mitglied der CDU. Auf der 2. Landeskonferenz im April 1948 konnte Dr. von der Esch ihre Position im DFD halten. Als neue 1. Landesvorsitzende trat Rose Gerisch (SED) an Dr. Hertwigs Stelle.281 Kurz vor der 3. Landeskonferenz (28./29. März 1950) erreichten die um sich greifenden Säuberungen auch den DFD-Landesvorstand. Die LPKK vermerkte im Februar 1950, dass das Landessekretariat des DFD „mit viel zu schwachen Kräften besetzt“ sei. Die Partei müsse sich darum bemühen, dem DFD zur Unterstützung seiner Arbeit „qualifizierte Genossen“ zur Verfügung zu stellen. Eine im Vorzimmer der Landessekretärin beschäftigte hauptamtliche Mitarbeiterin sollte auf Vorschlag der LPKK abgezogen werden, da sie seit 1944 als Polizeioberassistentin tätig gewesen war. In einer von der DFD-Landesvorsitzenden Rose Gerisch und sechs weiteren Mitarbeiterinnen unterzeichneten Charakteristik hieß es zudem, die Vorzimmerdame führe gelegentlich Telefongespräche in polnischer Sprache, weshalb „eine Überprüfung ihres Lebenswandels und ihres Bekanntenkreises angebracht“ sei. Abgesehen von solchen Beweisen ausgeprägter Diensteifrigkeit distanzierte sich Rose Gerisch auch von ihrer früheren Mitgliedschaft im Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), dem sie nach dem Austritt aus der SPD von 1925 bis 1933 angehört hatte. Gerisch berichtete, die früheren ISK-Genossen im Westen seien „durch ihren 12jährigen Aufenthalt in England auf eine vollkommen falsche opportunistische und reformistische Linie geraten“, so dass die im Osten lebenden ehemaligen ISK-Mitglieder jede Verbindung mit ihnen ablehnten.282 Trotz ideologischer Bedenken gegenüber dem ISK kam auch die LPKK zu einer überraschend milden Einschätzung von Gerischs politischer Vergangenheit, indem sie feststellte: „Beachtlich ist, dass die ehemalige linke opportunistische Grup281 Städtische Beamte (Ärzte) 1939–1943 (StA Halle, Personalamt 001–2/4 Nr. 28, 2. Band, Bl. 20); Personalakte Dr. Margarete von der Esch (StA Halle, Mikrofilm Nr. 23, K 19, unpaginiert; Bericht des Stadtmedizinalrates Prof. Dr. Walter Schnell vom 16. 9.1935); Hirschinger, „Zur Ausmerzung freigegeben“, S. 62, 68; Weber, Demokratischer Frauenbund Deutschlands, S. 691, 695, 698, 709. 282 Überprüfung des Landesvorstands DFD 1. 2.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/7, Bl. 3 f., 8).

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pe der ISK nach der Rückkehr aus der Emigration aus England sich vollständig im Schlepptau der Schumacherclique befindet. Da diese Angaben dem Landesvorstand bekannt sind, die Genossin Rose Gerisch auf Grund ihrer Tätigkeit im Parteiapparat und ihrer gewählten Mitgliedschaft zum Landesvorstand wiederholt überprüft ist und bei unserer erneuten Überprüfung sich Anhaltspunkte für eine Abberufung aus ihrer Funktion nicht ergeben haben, kann sie ihre Funktion weiter bekleiden.“283 Am 16. März 1950 fasste das Landessekretariat den Beschluss, Rose Gerisch als DFD-Landesvorsitzende zu bestätigen. Diese eher nachsichtige Haltung gegenüber hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des DFD sollte sich wenige Monate später verändern. Eine Verwarnung, die im August 1950 vom Landessekretariat ausgesprochen wurde, erscheint rückblickend als erster Vorbote von Rose Gerischs bevorstehender Ablösung – dies umso mehr in Anbetracht des unbedeutenden Anlasses: In Absprache mit dem DFD-Bundesvorstand hatte Gerisch an einer Tagung von CDU-Funktionärinnen in Quedlinburg teilgenommen, um politisch engagierte Frauen aus den Reihen bürgerlicher Parteien für den DFD zu gewinnen. Da sie die Tagung als Werbeveranstaltung betrachtete, auf der tatsächlich einige Neuaufnahmen für den DFD verzeichnet werden konnten, erschien ihr die Teilnahme an einer CDU-Parteiveranstaltung politisch unbedenklich. Bernard Koenen vertrat hingegen die Auffassung, dass Gerisch zuvor die Genehmigung der Partei hätte einholen müssen, denn immerhin sitze sie „als Genossin im DFD“. Das Landessekretariat sprach eine Verwarnung aus und bestimmte, dass Rose Gerisch „sich in Zukunft in allen politisch wichtigen Fragen“ mit dem Sekretariat in Verbindung setzen müsse.284 Im November 1950 erteilte die Kaderabteilung des ZK schließlich die Anweisung, Rose Gerisch wegen ihrer früheren Zugehörigkeit zum ISK als DFDLandesvorsitzende abzulösen. Vorläufig sollte die DFD-Landessekretärin Friedel Brock-Oley an Gerischs Stelle treten. Da Brock-Oley Mitglied im Deutschen Frauenwerk (DFW) – einer der NS-Frauenschaft angeschlossenen Organisation – gewesen war, wollte das Landessekretariat vor ihrer Wahl zur DFD-Landesvorsitzenden jedoch die Zustimmung des ZK einholen. An die Stelle der überzeugten Sozialistin Gerisch, die zwischen 1923 und 1933 der SPD bzw. dem ISK angehört und sich aufgrund ihrer politischen Überzeugung von 1938 bis 1940 in Haft befunden hatte, trat von nun an eine Frau mit zumindest bemerkenswerter politischer Vergangenheit: Friedel Brock-Oley war vor 1933 zwei Jahre lang SPD-Mitglied und ab 1940 im DFW organisiert gewesen. Kurz vor der absehbaren Vereinigung von KPD und SPD trat sie im Februar 1946 der KPD bei, wurde Mitglied des SED-Kreisvorstandes Schweinitz und absolvierte 1950 einen sechsmonatigen Lehrgang an der Landesparteischule. Ohne einen erlernten Beruf vorweisen zu können, entsprach sie weit weniger dem 283 Ebd., Bl. 3. 284 Protokolle Sekretariat Febr.–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/12, Bl. 46, 55, 101); Sekretariat-Protokolle 1. 8.–8. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/16, Bl. 18, 23, 31 f.).

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Bild einer selbständigen, modernen Frau als Rose Gerisch, die als Klavierlehrerin gearbeitet hatte.285 Nach der ZK-Erklärung vom 24. August 1950 verlor auch die frühere Schweiz-Emigrantin Irene Mode ihr Amt als Kulturreferentin des DFD-Landesvorstands. Irene Mode war in der Schweiz und in England aufgewachsen, hatte sich in der Schweiz einer Gruppe deutscher Exil-Kommunisten und der „Bewegung Freies Deutschland“ angeschlossen, in dem ihr Mann, der jüdische Orientalist und Archäologe Dr. Heinz Mode, eine bedeutende Rolle spielte. In der Schweiz war sie Noel Field begegnet und zeitweilig als Sekretärin für den im Zuge der Field-Affäre verhafteten Leo Bauer und für Maria Weiterer tätig gewesen, die in der ZK-Erklärung namentlich genannt und aus der SED ausgeschlossen worden war. Bevor Irene Mode 1949 nach Halle übersiedelte, lebte sie zwei Jahre in München, wo sie sich bei der Vorbereitung des Deutschen Volkskongresses und in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) engagierte. Nach Bekanntwerden der ZK-Erklärung reichte Irene Mode einen Bericht über ihre Emigration ein. Sie verlor zwar ihre Funktion im DFD, eine Parteistrafe blieb ihr jedoch erspart.286 Im Rahmen des Umtauschs der Parteidokumente wurden die führenden Genossinnen des DFD Sachsen-Anhalt im März 1951 erneut politisch überprüft: Im Fall der kommissarischen Vorsitzenden Friedel Brock-Oley gab zwar ihre frühere Mitgliedschaft im DFW Anlass für Bedenken, doch Brock-Oley galt als „klassenbewusst, parteiverbunden und diszipliniert“. Im Mai 1951 erhielten acht überprüfte Genossinnen des DFD-Landesvorstands ihre Parteibücher. Der weitere Verbleib in ihren Funktionen sollte im Fall von zwei Mitarbeiterinnen jedoch überprüft werden, da ihre Ehemänner wegen Diebstahls bzw. wegen Fragebogenfälschung aus der SED ausgeschlossen worden waren. Dieselbe Form von Sippenhaft wurde gegen die frühere Vorsitzende Rose Gerisch und ihren Mann Paul, der als Gewerkschaftssekretär bei der IG Handel tätig war, angewendet: Beide sollten aufgrund früherer Mitgliedschaft im ISK von der Zentralkommission überprüft werden und Stellungnahmen abgeben. Paul Gerisch erhielt das Parteibuch, nachdem er wegen seiner früheren Zugehörigkeit zu einer „parteifeindlichen Gruppierung“ Selbstkritik geübt hatte. Rose Gerisch wurde aus der SED ausgeschlossen.287

285 Sekretariat Protokolle 9.11.–23.11. 50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/23, Bl. 2, 9, 56, 88, 95); Analysen, Schriftverkehr 15. 9. 48–15. 5. 52 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/6, Bl. 11). 286 BStU, MfS BV Halle, AIM 1063/69 P, Bl. 35, 64 f.; MfS BV Halle, AOP 63/54, Bl. 18; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/115, Bl. 156; Überprüfung des Landesvorstands DFD 1. 2.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/7, Bl. 3, 6). 287 BStU, MfS BV Halle, AOP 179/56, Bl. 107–109; Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 254, 260, 262, 269, 397); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/84, Bl. 111).

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4.3.3 Esperantisten im Kulturbund (KB) Kunstsprachen wie Esperanto und Ido besaßen zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund ihrer völkerverbindenden Idee hohes Ansehen in der Arbeiterbewegung und fanden besonders in Mitteldeutschland überdurchschnittlich viele Anhänger. 1911 wurde in Leipzig der Deutsche Arbeiter-Esperanto-Bund (AEB) gegründet, in dem sich bis 1933 zahlreiche Sozialdemokraten und Kommunisten, aber auch parteilose Arbeiter sammelten. Im AEB-Bezirk Westsachsen, zu dem die südlichen Teile der preußischen Provinz Sachsen gehörten, dominierte im Gegensatz zu anderen Bezirken das kommunistische Element. Im Norden der Provinz und in Anhalt konzentrierten sich die Esperantisten vor allem auf Magdeburg und Dessau. Die politische Orientierung vieler AEB-Mitglieder, enge Kontakte zur Sowjetunion sowie die von den Nationalsozialisten aufgestellte Behauptung, Esperanto schwäche „wesentliche Werte völkischer Eigenart“, führten 1933 zum Verbot des AEB und zur Verfolgung seiner Mitglieder. Nachweislich drei Arbeiter-Esperantisten aus Halle und den umliegenden Dörfern wurden während der NS-Herrschaft ermordet, fünf weitere in Konzentrationslagern und Gefängnissen inhaftiert. In der Sowjetunion wurde die EsperantoBewegung während des „Großen Terrors“ zerschlagen.288 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vollzog sich der Wiederaufbau von Esperanto-Gruppen in der SBZ häufig innerhalb des Kulturbundes und vereinzelt in der FDJ. Unter dem Eindruck der gegen Tito gerichteten Kampagne und als Folge der Abschottung gegen westliche Einflüsse erschien die von den Esperantisten angestrebte Aufrechterhaltung internationaler Kontakte jedoch unerwünscht. Zur Unterdrückung der Esperanto-Gruppen wurden daher Anfang 1949 staatliche Maßnahmen ergriffen: In den am 12. Januar 1949 erlassenen Ausführungsbestimmungen der „Verordnung zur Überführung von Volkskunstgruppen und volksbildenden Vereinen in die bestehenden Massenorganisationen“ verfügte die Deutschen Verwaltung des Inneren die Auflösung von „Kunstsprachengruppen“ und von „Ido- und Esperanto-Sprachecken in den Zeitungen und Zeitschriften“.289 Im November 1949 verbreitete die „Einheit“ die Behauptung, Esperanto werde von den Amerikanern benutzt, „um wüste amerikanische Kriegshetze zu treiben“. Wie bereits aus dem Titel des Aufsatzes („Ein neuer Mythos des XX. Jahrhunderts“) zu erkennen war, unterstellte der Autor dem „Amerikanismus“ eine Wesensgleichheit mit der NS-Ideologie. Er begründete dies mit dem Streben der Amerikaner nach Weltherrschaft, antikommunis288 Kolbe, Deutscher Arbeiter-Esperanto-Bund, 1. Teil, S. 7, 11 f., 31 f. 2. Teil, S. 9 f., 94 f. Bezogen auf das Gebiet des späteren Landes Sachsen-Anhalt bestanden vor 1933 in folgenden Orten Gruppen des AEB-Bezirks Westsachsen: Ammendorf, Bitterfeld, Delitzsch, Diemitz, Dieskau, Döllnitz, Eilenburg, Gröbers, Halle, Holzweißig, Jeßnitz, Naumburg, Sandersdorf, Weißenfels, Zeitz. Vgl. ebd., S. 9; Blanke, Geschichte des Esperanto-Verbandes, S. 5; Lins, Esperanto-Institut in Sachsen, S. 26 f.; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/25, Bl. 116. 289 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 19); Blanke, Geschichte des Esperanto-Verbandes, S. 5 f.

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tischen Ressentiments und der Diskriminierung ethnischer Minderheiten in den USA.290 Die Aktionen gegen Esperanto erreichten in Sachsen-Anhalt bald darauf ihren Höhepunkt: In einem Rundschreiben vom 15. Dezember 1949 forderte die LPKK die KPKKs auf, ihre Kreise bis zum Ende des Jahres auf eventuell vorhandene Esperantogruppen zu überprüfen. Abgesehen von den Kreisen Magdeburg, Köthen, Jerichow I, Weißenfels und Mansfelder Gebirgskreis erstatteten alle KPKKs Fehlanzeige. Eine nennenswerte Esperantogruppe war lediglich in Magdeburg vorhanden, wo fünf Esperantisten (darunter vier SED-Mitglieder) bekannt wurden. Beim Kulturbund Weißenfels gab es eine aus 10 Teilnehmern (vor allem früheren Esperantisten) bestehende Arbeitsgemeinschaft für östliche Sprachen, die unter dem Verdacht stand, sich insgeheim mit Esperanto zu beschäftigen. In den übrigen Kreisen handelte es sich dagegen nur um Einzelpersonen.291 Die KPKK Jerichow I wurde im Januar 1950 aktiv, nachdem ihr von einem SED-Mitglied namens Fritz Roseneck Ido-Material und persönliche Briefe des in Köthen lebenden Genossen Paul Bohne, einem 64-jährigen Invalidenrentner und AEB-Veteranen, übergeben worden waren.292 Der Jerichower KPKK-Vorsitzende Ernst führte eine Befragung Rosenecks durch, in der die damals kursierenden Verschwörungstheorien zur Sprache kamen: „Gen[osse] Ernst: Du hast uns gestern hier Material abgegeben über die Ido-Beweg[ung] und auch Briefe, die Du bekommen hast. Was hat Dich dazu bewogen? Gen[osse] Roseneck: Ich habe die ‚Einheit‘ vom Nov[ember] 49 gelesen, dass diese Esperanto- und Kunstsprachengruppen das Weltbürgertum benutzt gegen uns. Ich bin zu diesem Material durch meinen Freund gekommen, den ich im Kriege kennen lernte, er wohnt in Köthen und heißt Paul Bohne. [...] Er hat im Ausland eigentlich schon viel mitgemacht. Vielleicht ist es ihm nicht einmal bewusst, dass er für die andere Seite arbeitet. Er [be]schreibt sich doch selbst als alter Sozialist und hat sich auch in Griechenland dementsprechend benommen. Die Nazipartei hat sich seinerzeit mit ihm beschäftigt. [...] Gen[osse] Ernst: Bist Du von Griechenland nach Jugoslawien gekommen? Gen[osse] Roseneck: Wir sind am 20. 6. rausgezogen worden, über Belgrad gekommen, aber nur bis zum Bahnhof und zur nächsten Wehrmachtsstation, nicht einmal in die Stadt sind wir gekommen.“293

Die KPKK Weißenfels befasste sich mit einem weiteren Esperanto-Veteranen, dem damals 74-jährigen Emil Galle, der vor 1933 der KPD angehört hatte und Leiter der Esperantogruppe Weißenfels gewesen war. Die KPKK machte Galle darauf aufmerksam, dass „Esperanto heute ausschließlich von Tito benutzt 290 Heymann, Mythos des XX. Jahrhunderts, S. 996, 1000, 1002. 291 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/25, Bl. 149, 154; Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 7, 11, 13 f., 23–50). 292 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 11, 16, 18 f.). 293 Ebd., Bl. 16 f.

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

wird, um in den demokratischen Ländern zersetzend zu wirken“, worauf Galle antwortete, die Esperantisten würden sich dagegen zur Wehr zu setzen wissen. Esperanto sei in der DDR wohl unerwünscht, „weil diese Sprache im überaus hohen Maße in der Westzone gepflegt werde und unsere Besatzungsmacht einen Gedankenaustausch mit der Westzone nicht besonders wünsche“. Obwohl es im Kreis Weißenfels nur sehr wenige Esperantisten gab, von denen lediglich einer schriftlich mit dem Ausland verkehrte, erteilte die KPKK Weißenfels dem städtischen Volksbildungsamt den Auftrag, die sofortige Auflösung der Esperantogruppe beim Kulturbund zu erwirken. Nach der Auflösung der Esperantogruppe beabsichtigte die KPKK Weißenfels im Februar 1950, „den infragekommenden Personenkreis unter Kontrolle zu halten, um etwaige illegale Zusammenkünfte zu unterbinden“.294 Die Unterdrückungsmaßnahmen der ZPKK, LPKKs und KPKKs gegen die Esperantisten wurden vor allem mit deren angeblich „antidemokratischer Zersetzungsarbeit“ begründet. Aus einem Rundschreiben des Amtes für Information ging im Februar 1950 hervor, dass die Esperantisten „antidemokratisches Zersetzungsmaterial“ aus den USA und mehreren europäischen Städten, so z. B. aus Sofia, erhielten. Darunter befand sich u. a. eine in Bergen (Kreis Wanzleben) eingetroffene Broschüre linker amerikanischer Esperantisten, in denen für „Sozialistischen Industrie-Unionismus“ geworben wurde. Kuriositäten wie eine in Bernburg aufgefundene Esperanto-Fassung der DDR-Nationalhymne („Germana nacia himno“) trafen auf das Unverständnis der Kontrollorgane. Die Esperantisten begannen sich illegal zu versammeln und über geeignete Gegenmaßnahmen, wie z. B. die Sammlung von Unterschriften, zu beraten. Während einer Zusammenkunft von ca. 25 der SED angehörenden Esperanto-Funktionären aus Sachsen-Anhalt und Thüringen, die am 19. März 1950 in Halle stattfand, wurde von einem Diskussionsredner darauf verwiesen, dass die Unterdrückung von Esperanto mit den Bestimmungen der DDR-Verfassung nicht vereinbar sei. Die Diskussion endete ohne konkreten Beschluss, doch Wut, Enttäuschung und Verbitterung unter den Esperantisten nahmen weiter zu.295 Stellvertretend für die unter den Esperantisten herrschende Stimmung hieß es in einem Brief: „Wir müssen uns damit abfinden, dass unser Staat neben dem faschistischen Portugal der einzige ist, der Esperanto verbietet. Meine Gedanken sind klar. So wie Hitler, Mussolini, Franko [sic] usw. kein Interesse hatten, dass sich Werktätige aller Nationen mit Hilfe einer leicht erlernbaren Zwischensprache verständigten, so hat man [es] auch bei uns nicht. Man sagt uns nicht die Wahrheit, geht um die Sache herum wie die Katze um den heißen Brei. [...] Lasst sie weiter reden von Disciplin [sic] usw. Mich berührt das nicht mehr. Ich verwies schon einmal auf einen, der die sture Parteidisciplin brach und dafür büßen musste: Zuchthaus! Dann Ermordung! Das war der Preis, den er und Rosa zahlen mussten für die Parteidisciplin der damaligen SPD. [...] Da giebt [sic] man sich nun die größte Mühe, in der Korrespondenz gegen den Opportunismus zu polemisieren, den kommunistischen Ideen die Bahn zu brechen und alles ist Sch..... Man muss 294 Ebd., Bl. 2, 23. 295 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/25, Bl. 42 f., 115, 142 f., 148, 158, 160.

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froh sein, dass man überhaupt noch Post bekommt vom Ausland. Es ist doch unmöglich, dass man so dumm sein kann und nicht begreifen will, wie wichtig wir Esperantisten im Kampf gegen den USA-Imperialismus sein würden, ließe man uns freie Hand. [...] Aber so wie man die Idee des Marxismus-Leninismus nicht ausrotten konnte im 12jährigen Reich, so kann man auch heute die Esperantisten nicht ausrotten.“296

Allen Unterdrückungsmaßnahmen zum Trotz blieben die Weißenfelser Esperantisten weiterhin aktiv: Während eines Seminars, das die Kreiskommissionen im März 1951 im Rahmen der Mitgliederüberprüfung abhielten, kamen die Auslandsbeziehungen der Weißenfelser Esperantisten erneut zur Sprache. Sie hatten mittlerweile Verbindungen bis in die Volksrepublik China geknüpft und lasen die Zeitung „Neues China“, worauf sich sofort die Frage erhob, ob dies möglicherweise „eine illegale Zeitung“ sei. Die Kommissionen vertraten die Auffassung, Esperanto führe zum Kosmopolitismus, sei zwar nicht verboten, werde aber nicht mehr gefördert.297 Maoismus war 1951 als verdächtige Ideologie noch unbekannt.

4.4

Landesregierung Sachsen-Anhalt

Als Folge der antiwestlichen Zielrichtung der Untersuchungen sahen sich zur Jahreswende 1949/50 zahlreiche Mitarbeiter der Landesregierung Verdächtigungen ausgesetzt, die für viele Betroffene mit Degradierungen und Entlassungen endeten. Eine Erhebung, die im März 1949 durchgeführt worden war, hatte gezeigt, dass sich unter den damals 2768 Mitarbeitern der Landesregierung 535 frühere Kriegsteilnehmer befanden, die in westlicher oder jugoslawischer Gefangenschaft gewesen waren. Im Vergleich dazu erschien die Zahl von lediglich acht Westemigranten zwar bedeutungslos, doch einige der Emigranten bekleideten einflussreiche Positionen.298 Bei den Untersuchungen wurden außerdem drei Mitarbeiter festgestellt, die vor 1945 durch ihre Tätigkeit im Auswärtigen Amt, in Botschaften und Konsulaten Auslandskontakte unterhalten hatten. Besonderes Misstrauen brachte man Mitarbeitern entgegen, die im Mai und Juni 1945 während der amerikanischen Besatzungszeit bei US-Dienststellen beschäftigt gewesen waren. Neben zahlreichen Arbeitern, Putzfrauen, Kellnerinnen, Köchen, Küchenhilfen etc. wurden im Rahmen dieser Untersuchungen auch einige hochrangige Mitarbeiter erfasst, die der SED angehörten und als Referenten oder Abteilungsleiter beschäftigt waren. Besonders erwähnenswert erscheinen in diesem Zusammenhang die im Wirtschaftsministerium tätigen Ministerialdirektoren Christian Herpich und Otto Jentsch, die von den Amerikanern als Sachbearbeiter für politische Überprüfungen und im Wohnungswesen eingesetzt worden waren. Im 296 Ebd., Bl. 43. 297 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/83, Bl. 402, 409). 298 Personalstruktur 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 346, Bl. 8 f.).

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Tab. 11: Anteil der Westemigranten und westlichen Kriegsgefangenen in der Landesregierung Sachsen-Anhalt (Stand: März 1949)299 Mitarbeiter insgesamt

davon Westemigranten

davon in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft gewesen

Ministerpräsidium

182

0

24 (12 USA, 8 England, 2 Frankreich, 1 Belgien, 1 Jugoslawien)

Ministerium des Innern

500

2

75 (35 USA, 27 England, 8 Frankreich, 2 Norwegen, 1 Jugoslawien, 2 interniert)

Ministerium für Wirtschaft und Verkehr

677

3 (1 England, 1 Frankreich, 1 China)

169 (87 USA, 62 England, 20 Frankreich)

Ministerium für Land- und Forstwirtschaft

267

0

55 (32 USA, 11 England, 11 Frankreich, 1 Jugoslawien)

Ministerium für Handel und Versorgung

314

1 (ČSR)

59 (22 USA, 34 England, 3 Frankreich)

Ministerium für Finanzen

360

0

73 (42 USA, 26 England, 5 Frankreich)

Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik

217

2 (1 Belgien, 1 China)

36 (24 USA, 11 England, 1 Frankreich)

Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft

152

0

40 (22 USA, 14 England, 4 Frankreich)

40

0

4 (4 USA)

Ministerium der Justiz

299 Ebd., Bl. 28 f., 46 f., 56–59, 81 f., 90 f., 98 f., 107 f., 114 f.

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

273

Innenministerium fielen der Altkommunist Erich Voigt und der Kraftfahrer Hans Bartsch auf: Voigt war unter amerikanischer Besatzung für die Politische Polizei tätig gewesen und leitete 1949 die Küche des Innenministeriums. Bartsch hatte bereits unter amerikanischer Besatzung als Kraftfahrer gearbeitet. Hinzu kam Gustav Weinert, ein früherer Sozialdemokrat und Wilton-ParkAbsolvent, der seit Januar 1949 Referatsleiter im Ministerpräsidium war.300 Soweit durch Akten belegbar, verloren die meisten von ihnen zwischen Herbst 1949 und Frühjahr 1950 ihre Stellungen. Die Kündigungen erfolgten offiziell „auf eigenen Wunsch“ oder „aus innerbetrieblich-organisatorischen Gründen“. Ebenso erging es dem für die Wirtschaftsplanung im Ministerpräsidium zuständigen Walter Kirschey, dessen Entlassung die LPKK aufgrund seiner Tätigkeit als Lektor in jugoslawischer Gefangenschaft empfahl.301 Von besonderem Interesse war der Fall von Ilse-Monika Fantasny, die einer kommunistischen Familie entstammte und es bis zur Referentin im Arbeitsministerium, zum Vorstandsmitglied der SED-Betriebsgruppe und BGL-Mitglied gebracht hatte. Am 12. Januar 1950 sah sich Fantasny einer Vernehmung durch den Personalchef des Innenministeriums, Georg Heidler, ausgesetzt, der ihre fristlose Entlassung „wegen Fragebogenfälschung“ bekannt gab. In der Vernehmung kamen folgende Vorwürfe zur Sprache: „Ab 19.4.1945 mit Hilfe [von] Helm Wimberg, einem v[on] d[en] Amis mitgebrachten neuen Pol[izei-] Präsidenten, im Büro der politischen Kommission tätig, zusammen mit Georg König [vor 1933 KPO, F. H.]. 3 Tage später im Vorzimmer der Ami-CIC-Stelle. CIC hatte Naziaktivisten-Kartei mitgebracht. Monika F[antasny] half beim Erstellen der Listen dieser Naziaktivisten und hatte die Registrierung der in Haft zu nehmenden Nazis zu bearbeiten. Herpich hat dieselbe Tätigkeit f[ür] d[as] amerik[anische] GeneralGouvernement (Haus der Einheit) ausgeübt. [...] Monika Fantasny antwortete auf die an sie gerichteten Fragen wie folgt: [...] Bei CIC habe ich besonders für Captain Wolf gearbeitet, der positiv zur Sowjetunion eingestellt war. Zu diesem habe ich bei seinem Abschied gesagt: „Ich betrachte Sie nicht als Feind, sondern als Freund“. Auf Empfehlung von Georg König bin ich zur Prov[inzial-] Verwaltung als Stenotypistin gekommen.“302

300 Ermittlungen 1948/49 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 245 b, unpaginiert); Angestellte Allg. Abt. des MdI 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 541, unpaginiert; Namensliste „Personen, die in Magdeburg bei der amer. Besatzungsmacht beschäftigt waren“; Namensliste „Nachweisung derjenigen Angestellten der Landesregierung Sachsen-Anhalt, die während der amerikanischen Besatzungszeit bei dieser Behörde tätig waren“; Namensliste „Angestellte der Landesregierung Sachsen-Anhalt, die von 1918– 1945 im Außendienst [Außenministerium, Botschaften, Gesandtschaften, Konsulaten] beschäftigt waren“); SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/4/95, Bl. 21; DY 30/ IV 2/4/101, Bl. 6; BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 33. 301 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 7, 41, 338, 340; Personalakte Alfred Dietzler (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA D 135, Bl. 40, unpaginiert); Personalakte Ilse-Monika Fantasny (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA F 8, unpaginiert); Personalakte Erich Voigt (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA V 24, 1. Band, Bl. 2–4, 40, 43); Personalakte Gustav Weinert (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA W 207, Bl. 2, 9, unpaginiert). 302 Personalakte Ilse-Monika Fantasny (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA F 8, unpaginiert; Aktenvermerk vom 12.1.1950).

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Als weiterer Anlass für Säuberungen in den Landesministerien sollte die Verhaftung von Arbeitsminister Dr. Leo Herwegen (CDU) und Ministerialdirektor Prof. Dr. Willi Brundert (SED) dienen: Am 22. November 1949 beriet das Landessekretariat über den Ablauf einer außerordentlichen Kabinettsitzung, in der die angeblichen Verbrechen von Herwegen, Brundert und Mitarbeitern der DCGG zur Sprache kommen sollten. Es fasste den Beschluss, dass in der Sitzung eine „ideologische Klarstellung in der Regierung“ gefordert und die Frage gestellt werden sollte, „inwieweit die Regierung selbst Lehren aus den Erfahrungen anderer Länder (wie jetzt Rajk – Tito) gezogen“ habe. Für das Ende der Kabinettsitzung war eine Abstimmung über eine u. a. von Innenminister Robert Siewert, Wirtschaftsminister Paul Lähne und Landwirtschaftsminister Ernst Brandt ausgearbeitete Resolution vorgesehen. Darin sollte mit Bezug auf den Rajk-Prozess vor allem die Verpflichtung aller Angestellten, Arbeiter und Mitarbeiter der Ministerien zu größter Wachsamkeit zum Ausdruck kommen. Das Sekretariat war sich einig, dass die SED den Verlauf der Kabinettsitzung „in der Hand behalten“ müsse.303 Auf der Landesdelegiertenkonferenz Anfang Dezember 1949 erfolgten weitere wichtige Weichenstellungen für die beabsichtigte Säuberung der Landesministerien: Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, richteten Walter Ulbricht und Bernard Koenen schwere Angriffe gegen die Ministerien für Inneres und Wirtschaft. Darüber hinaus vertrat Koenen in seinem Rechenschaftsbericht die Auffassung, dass die SED-Betriebsgruppen an den bisherigen Entlarvungen nur selten beteiligt gewesen seien, sondern dass diese zumeist „von anderer Stelle“ ausgingen. Ein anwesender Vertreter der SED-Betriebsgruppe der Landesregierung übte Selbstkritik und gab zu, dass die Wachsamkeit innerhalb der Betriebsgruppe infolge des schwachen ideologischen Niveaus nur sehr wenig entwickelt sei.304 Die Säuberung der Ministerien begann bereits drei Tage nach dem Ende der Landesdelegiertenkonferenz: Zwischen dem 7. und 17. Dezember 1949 wurden die Personalakten aller bei der Landesregierung tätigen SED-Mitglieder durch eine aus drei Personen bestehende Kommission der LPKK überprüft. Die Untersuchungen bezogen sich erwartungsgemäß vor allem auf die Punkte Kriegsgefangenschaft, Emigration und illegale Arbeit. Dabei wurden auch alle Formen möglicher Verbindungen zu verdächtigen Kreisen untersucht, d. h. im Fall westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft Schulungen, Lagerarbeit und eventuelle Tätigkeit als Referent, hinsichtlich der Emigration „Verbindung mit ausländischen Genossen, verwandtschaftliche Beziehungen im Ausland, Korrespondenz mit Verwandten im Ausland, besonders England und Amerika“ sowie bezüglich illegaler Arbeit Angaben zur Tätigkeit der Gruppe, 303 Protokolle Sekretariat Juli-Dez. 1949 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/9, Bl. 376–378). 304 Freiheit vom 10.12.1949 („Bericht und Aufgabenstellung des Genossen Bernard Koenen vor den Delegierten der Landeskonferenz am 2. bis 4. Dezember 1949 im Volkspark in Halle“; „Aus der Diskussion der Delegierten und der Sprecher von Delegationen aus Organisationen und Betrieben auf der Landesdelegiertenkonferenz der SED“).

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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ihrer Mitglieder und Decknamen.305 Auf Namenslisten erfasst wurden 399 Mitarbeiter, die sich in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden hatten. Mitarbeiter, die längere Zeit in Gefangenschaft gewesen waren, wurden durch Unterstreichung besonders gekennzeichnet, so dass für eine intensivere Untersuchung noch 97 SED-Mitglieder verblieben. Da man bei den Überprüfungen feststellte, dass von 578 untersuchten Personen in leitenden Positionen lediglich 16 aus der Arbeiterschaft stammten, sollte zugleich auch der Arbeiteranteil erhöht werden.306 In einer namentlich nicht unterzeichneten, inhaltlich und sprachlich äußerst rüden Stellungnahme, die sich im Material der LPKK fand, war die Rede davon, bis zum 15. März 1950 weitere 10 Prozent Arbeiter bei der Landesregierung unterzubringen und bis zum 1. Mai 1950 einen Arbeiteranteil von 25 Prozent anzustreben. Die Tätigkeit der dafür einzusetzenden Kommission werde zwar einen „Aufstand“ auslösen, der aber hilfreich sei, „um reinen Tisch zu machen“. Weiter hieß es: „Es müssen Arbeiter aus den Betrieben hereingeholt werden, Arbeiter aus der BGL udgl. [und dergleichen, F. H.], die durch ihre Betriebsfunktionen schon eine kleine Ahnung von den wirtschaftlichen Dingen und dem bürotechnischen Kram haben. Keine Wirtschaftsleute aus den Kreisämtern holen. Lieber kleine Nazis, die in der Zwischenzeit gearbeitet haben, das ist besser.“307 Diese Politik entsprach dem Vorgehen Stalins, der Ende der zwanziger Jahre damit begonnen hatte, die während der NEP-Periode in führende Positionen gelangten bürgerlichen Spezialisten durch fachlich fragwürdige, aber ideologisch zuverlässige Arbeiter zu ersetzen. Traurige Höhepunkte des Vorgehens gegen bürgerliche Spezialisten waren der bereits an anderer Stelle erwähnte Schachty-Prozess und der Prozess gegen die so genannte „Industriepartei“ gewesen. Das Material der LPKK enthielt den dementsprechenden Hinweis, dass es im Staatsapparat von Sachsen-Anhalt zu wenig „leninistisch“ denkende Mitarbeiter gebe. Viele Mitarbeiter säßen da „als Federhalter, nicht als Faust“. Um eine „Verstärkung des Arbeiterelements“ zu erreichen, schlug die LPKK im März 1950 vor, 113 Personen zu entlassen und 70 weitere zu versetzen.308 Wie aus einem Bericht der Personalabteilung des Innenministeriums an den SED305 Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 78). 306 Ebd., Bl. 99–113; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 3, 39 f. 307 Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 8 f., Hervorhebung im Original). 308 Ebd.; Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97 f.). Andere Quellen nennen leicht abweichende Zahlen: Auf einer Liste der zur Entlassung bzw. Versetzung vorgeschlagenen Mitarbeiter der Landesregierung wurden 197 Personen, darunter Abteilungsleiter, Referenten, Sachbearbeiter, Stenotypistinnen etc., genannt. Vgl. ebd., Bl. 112–115. In einem Bericht über die personelle Überprüfung der Landesregierung vom 10. 2.1950 wurden 128 Mitarbeiter zur Entlassung vorgeschlagen. 81 weitere sollten versetzt werden. Vgl. LHA Magdeburg, Rep K 6 MW Nr. 10915, unpaginiert.

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Landesvorstand hervorgeht, wurden zum 31. März 1950 123 Mitarbeiter entlassen und 63 weitere versetzt. Bei den aus politischen Gründen und zur Erhöhung des Arbeiteranteils verfügten Entlassungen stellten SED-Mitglieder das größte Kontingent: Von 123 entlassenen Mitarbeitern gehörten 63 der SED an, 21 der LDP, 11 der CDU, 2 der NDP, 26 waren parteilos. Nach Einschätzung der LPKK handelte es sich um Personen, „welche entweder in der Vergangenheit erheblich politisch belastet“ oder als leitende Mitarbeiter in Konzernen tätig gewesen waren. Hinzu kamen „alte verknöcherte Berufsbeamte, Berufsmilitaristen und dergleichen mehr“. Von Versetzungen betroffen waren vor allem die Personalabteilungen der Ministerien, da ihre Mitarbeiter „den dort zu stellenden Anforderungen nicht entsprachen“. Ein beträchtlicher Teil der 94 neu eingestellten Mitarbeiter kam in sensiblen Bereichen wie dem Innenministerium (19) und beim Ministerpräsidenten (25) zum Einsatz.309 Die Verwendung unerfahrener Arbeiter in verantwortlichen Positionen hob sie einerseits aus der Masse heraus, vergrößerte andererseits aber ihre Abhängigkeit von Anweisungen des Apparats, dem sie ihr Wohlergehen auch in materieller Hinsicht verdankten. Da es die sozialen Aufsteiger kaum als erstrebenswert empfunden haben dürften, in den erlernten Beruf zurückzukehren, erhöhte sich ihre Bereitschaft, Anweisungen von oben kritiklos umzusetzen. Auch nach dem Ende des Herwegen-Brundert-Prozesses wurde die Suche nach Schuldigen in der Landesregierung fortgesetzt. Im April 1950 gingen der ZPKK über die Personalabteilung des DDR-Innenministeriums sämtliche Personalakten der Landesregierung zu.310 Das Landessekretariat lastete in einer kurz darauf erstellten internen Einschätzung vor allem dem Wirtschaftsministerium und dem Innenministerium eine besonders schwere Verantwortung an, denn es sei „den Konzernherren der DCGG und ihren Agenten“ durch einflussreiche Personen in der Landesregierung erleichtert worden, ihre Tätigkeit auszuüben.311 Daraus zog man folgende Schlussfolgerungen: 1. Unsere Grundanschauung, zwar nicht einfach die Fachleute zu negieren, aber an ihre Seite klassenbewusste intelligente Arbeiter zu setzen, wurde im allgemeinen nicht durchgesetzt [...].

309 Schriftwechsel mit dem Landesvorstand der SED 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 164, Bl. 22); Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97 f.). Auf einer Namensliste der am 1. 4.1950 in die Landesregierung eingestellten Betriebsarbeiter sind 71 Personen erfasst, die nach folgendem Schlüssel auf die Ministerien verteilt wurden: Wirtschaftsministerium 26, Ministerpräsidium 16, Innenministerium 11, Volksbildungsministerium 4, Landwirtschaftsministerium 4, Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik 4, Ministerium für Handel und Versorgung 3, Finanzministerium 3. Vgl. Beschäftigungsnachweise der Ministerien 1948–1950 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 387, Bl. 223–225). 310 Kaderakte Paul Albrecht (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/15, Bl. 43). 311 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 94).

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2. Gegenüber leitenden Funktionären, den Ministern, den Personalabteilungen durchzusetzen, dass für politisch besonders wichtige Funktionen Fachleute ganz besonders untersucht werden müssten und nur nach eingehender Prüfung eventuell eine Zulassung erhalten könnten, wurde ebenfalls nicht durchgesetzt [...]. 3. Die Überprüfung Brunderts [als] Ministerialdirektor wurde nicht mit der Konsequenz durchgeführt, dass ein bedingungsloser Kampf gegen seine Befürworter und Bürgen aufgenommen wurde. 4. Brundert hatte in der Parteiorganisation, auch im Landesvorstand und im Sekretariat, weitgehende ideologische Unterstützung in der Richtung eines „besonderen deutschen Weges zum Sozialismus“. [...] Er fand Rückhalt und Unterstützung in Ablehnung wichtiger entscheidender Methoden und Organisationsformen, wie sie in der Sowjetunion entwickelt worden sind. Er fand Unterstützung und Rückendeckung in der Herabsetzung der Planungstätigkeit der SMA bei gleicher Hervorkehrung einer selbstverständlichen Überlegenheit, einer selbständigen Planung von deutschen Stellen, in denen seine Absichten zur Geltung kamen.312 Während der Sekretariatssitzung vom 4. Juni 1950 forderte Bernard Koenen Ministerpräsident Werner Bruschke dazu auf, seinen Ministern „konkrete schriftliche Stellungnahmen zum Herwegen-Brundert-Komplott“ abzuverlangen.313 Im Beschluss des Landessekretariats über die „Lehren [...] aus der Entlarvung des Herwegen-Brundert-Komplotts“, die am 13. Juni 1950 im Politbüro behandelt wurden, hieß es, es habe in der Personalabteilung der Landesregierung keine Klarheit über die leitenden Mitarbeiter geherrscht. Zur „Erlangung vollster Klarheit“ führte das Landessekretariat folgende Methoden an: Beschaffung persönlicher Angaben, Äußerungen von Bürgen, „Aufdeckung von eventuell falschen Angaben und Verheimlichung politisch gegnerischer Handlungen und Verbindungen“.314 Unter den im Jahre 1950 Entlassenen befanden sich auch Altkommunisten wie Reinhold Schoenlank, die sich ihre persönliche Integrität zu bewahren versuchten. Schoenlank – vor 1933 einer der prominentesten halleschen Kommunisten – war 1925 wegen „Opportunismus“ aus der KPD ausgeschlossen worden und hatte seine politische Tätigkeit anschließend in der SPD fortgesetzt. Nach dem Krieg übernahm Schoenlank im Sozialministerium die Leitung des Referats Allgemeine Fürsorge. Nicht nur Schoenlanks Bruch mit der KPD, sondern auch seine freimütig geäußerte Kritik am sowjetischen Modell erregten bereits 1945/46 den Argwohn orthodoxer Kommunisten. Nach kritischen Äußerungen über die SED stellte das Sekretariat im April 1947 Überlegungen an, 312 Ebd., Bl. 97. 313 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 11 f.). 314 Freiheit vom 23. 6.1950 („Einige Lehren für die Landesorganisation Sachsen-Anhalt der SED aus der Entlarvung des Herwegen-Brundert-Komplotts“).

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wie man am besten gegen Schoenlank vorgehen könne: Bruno Böttge forderte eine Ausdehnung des öffentlichen Redeverbots auf innerparteiliche Veranstaltungen. Ludwig Einicke und Otto Walter verlangten, den erblindeten Schoenlank in ein Altersheim oder eine Blindenanstalt einzuweisen. Bernard Koenen empfahl ebenfalls, Schoenlank solle sich in einem Heim „erholen“. Die Auseinandersetzungen hielten in den folgenden Jahren an, so etwa im April 1948, als Schoenlank die Anwendung der marxistischen Theorie auf die besonderen nationalen Verhältnisse jedes einzelnen Landes verlangte.315 In Auseinandersetzungen mit seinem stalinistischen Vorgesetzten Otto Bovensiepen, der ihm zwar fachliches Können, aber Realitätsverlust aufgrund von „Blindheit, Misstrauen und Übernervosität“ bescheinigte und ihm seinen Ausschluss aus der KPD vorwarf, konnte Schoenlank vor allem mit der Sympathie von Arbeitsminister Dr. Leo Herwegen rechnen. Durch Herwegens Verhaftung im Oktober 1949 bot sich die Gelegenheit, mit Schoenlank endgültig abzurechnen. Hinzu kam wohl auch, dass Schoenlank und zwei weitere Mitarbeiter des Ministeriums im November 1949 mit dem Ostbüro der SPD in Verbindung gebracht wurden. Auf Antrag der SED-Betriebsgruppe wurde Schoenlank im Juni 1950 unter dem erneuten Vorwurf des Opportunismus aus der SED ausgeschlossen.316 Zuvor hatte mit der KPKK Halle folgende aufschlussreiche Diskussion stattgefunden: „Gen[osse] Köppe: Du wirst beschuldigt, Ausdrucksformen gebraucht zu haben, aus denen man entnehmen muss, dass Du mit der Partei nicht mehr verbunden bist. (Liest das Protokoll der Landesregierung vor). Gen[osse] Schoenlank: Ich habe kein Wort davon gesagt, [außer] dass damals 1922 oder 23 Genosse Stalin noch nicht die Rolle spielte wie heute. [...] Stalin konnte damals noch nicht die Rolle spielen wie heute, denn damals lebte ja Lenin noch. Gen[osse] Panse: [...] In der Geschichte der KPdSU steht, dass Stalin nicht nur ein großer Praktiker, sondern auch ein großer Theoretiker vor Beginn der Entwicklung der KP in Russland war. Bücher, die bereits 1912 geschrieben [worden] sind, sind heute große theoretische Werke Stalins. [...] Gen[osse] Köppe: Du hast gesagt, Du bildest Dir eine eigene Meinung. Unsere Meinung ist die Meinung der Partei. Gen[osse] Schoenlank: Ich habe gesagt, ich habe das Recht, mich kritisch zu äußern. [...] Ich sage noch einmal, dass die Beschlüsse der Partei auch für mich bindend sind, dass ich mir [aber] das Recht der Kritik, einer eigenen Urteilsbildung, vorbehalte. [...] In jeder Frage besteht das Recht der Parteigenossen, sie zu kritisieren und abzuwenden. Ein Entwurf einer Parteileitung ist von vornherein weder gut noch schlecht. Wir haben

315 BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 29–32, 37–40; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 90, 257, 452 f., 459. 316 BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 24; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/407, Bl. 87; Personalakte Reinhold Schoenlank (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA Sch 303, unpaginiert; Fachliche und politische Charakteristik Reinhold Schoenlank, August 1948); Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle März–Juli 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/55, Bl. 22, 26).

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uns da genug geirrt. [...] Ich habe gesagt, es gibt Leute, die nur Schallplatten im Kopfe haben und nicht selbst denken. Ich muss selbst denken und erkennen.“317

Obwohl Schoenlank nach seiner Entfernung aus dem Ministerium politisch isoliert war, hielt es der Staatssicherheitsdienst noch im März 1954 für notwendig, einen Überprüfungsvorgang gegen ihn „wegen Sozialdemokratismus bez[iehungsweise] Trotzkismus“ einzuleiten. Die Untersuchung führte zwar zu dem Ergebnis, dass Schoenlank „sektiererisch, rechthaberisch [und] streitsüchtig“ sei, „komische Reden“ führe und für die Arbeit der Nationalen Front wie überhaupt für die Entwicklung in der DDR nur Spott übrig habe. Da er aber völlig zurückgezogen lebte und sich bei einem Besuch durch den Geheimen Informator (GI) „Scholle“ keine weiteren Verdachtsmomente ergaben, wurde der Vorgang im Dezember 1954 eingestellt. In den letzten Lebensjahren vor seinem Tod (1960) wandelte sich Schoenlank vom ehemaligen Gründer der halleschen KPD und linken Sozialdemokraten zum Quäker – eine Wandlung, die den religiösen Kern seines politischen Engagements enthüllte.318 Schoenlank war jedoch nur ein besonders prominentes Beispiel für mehrere andere unangepasste Mitarbeiter der Landesregierung, denen man 1950 ihre angeblich „trotzkistische Einstellung“ und „parteischädigendes Verhalten“ zum Vorwurf machte. Über den im Oktober 1950 ausgeschlossenen Mitarbeiter des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft Georg Mummert, der zwar als „Opfer des Faschismus“ (OdF) anerkannt war, als früheres KPO-Mitglied aber „auf der trotzkistischen Linie“ arbeitete und während des Krieges aus der Strafdivision 999 zu den Westalliierten übergelaufen war,319 hieß es in einem Bericht der KPKK Halle: „Die Betriebsgruppe beschäftigt sich bereits seit einem dreiviertel Jahr mit M[ummert], um ihn auf den richtigen Weg zu bringen. Zum Studieren wurde ihm Material zur Verfügung gestellt, aber trotz allem wich er stets den Grundfragen aus und wollte damit beweisen, dass die Partei nicht immer Recht hat. Er blieb auch weiterhin auf seinem früheren Standpunkt stehen, dass Tito nicht als Faschist zu bezeichnen wäre. Als man auf die ganzen Zusammenhänge hinwies und er eine klare Stellungnahme zu den Prozessen [gegen] Rajk und Kostoff nehmen sollte, sagte Mummert, dass er darüber noch nichts gelesen habe, somit also eine bewusste Voreingenommenheit bestand, da er das

317 Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle März–Juli 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/55, Bl. 23–26). 318 BStU, MfS BV Halle, AOP 281/54, Bl. 7, 50, 50 a, 54–57; AIM Halle 964/62, 2. Band, Bl. 33 f. Es gibt Hinweise dafür, dass der Staatssicherheitsdienst im März 1954 gegen mehrere Prominente, die wegen „Sozialdemokratismus“ oder „Trotzkismus“ aus der SED ausgeschlossen worden waren, Überprüfungen einleitete, so auch gegen Otto Hermann, einen früheren Mitarbeiter von Innenminister Robert Siewert. Der Überprüfungsvorgang gegen Hermann wurde gleichzeitig mit der Untersuchung gegen Schoenlank eingeleitet (24. 3.1954) und beendet (20.12.1954). Die Schlussberichte wurden vom gleichen Mitarbeiter angefertigt. Vgl. BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 4, 39. 319 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 5; BArch, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 16974, 1. Band, Bl. 9 f., 42 f.; Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 230).

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Material noch nicht gelesen hatte. Die Abstimmung ergab, dass alle Anwesenden für den Ausschluss waren bei einer Stimmenthaltung.“320

Die Säuberungen machten auch vor Ministern nicht halt: Im Laufe des Jahres 1950 verloren drei der SED angehörende Minister – Innenminister Robert Siewert, Wirtschaftsminister Paul Lähne und Landwirtschaftsminister Ernst Brandt – aus jeweils unterschiedlichen Gründen ihre Ämter und wurden durch zuverlässiger erscheinende Genossen ersetzt. Bei der Zusammenstellung der neuen Landesregierung im November 1950 bestimmte das SED-Landessekretariat, dass die SED neben Ministerpräsident Werner Bruschke vier Minister für die Bereiche Inneres, Wirtschaft, Landwirtschaft und Volksbildung stellen sollte, die übrigen Parteien dagegen nur jeweils einen. Als Innenminister war weiterhin der Nachfolger von Robert Siewert, Josef Hegen (SED), vorgesehen, als Minister für Industrie, Aufbau und Verkehr – so die neue Bezeichnung des früheren Wirtschaftsministeriums – Kurt Opitz (SED). Für die Neubesetzung des Landwirtschaftsministeriums kam Willi Maikath (SED) in Betracht. Der gesundheitlich angeschlagene Volksbildungsminister Richard Schallock (SED) sollte Anfang 1951 durch einen anderen Genossen ersetzt werden, wofür die Kaderabteilung bereits Vorschläge erarbeitete. Die übermächtige Position der SED im Kabinett wurde zusätzlich gestärkt durch die Besetzung des Ministeriums für Arbeit, Sozialfürsorge und Gesundheit mit Dr. Otto Rühle (NDPD) und durch den der DBD angehörenden Minister ohne Geschäftsbereich Richard Richter.321 Rühle hatte der NSDAP angehört, war 1943 bei Stalingrad in sowjetische Gefangenschaft geraten und dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) beigetreten. Er gehörte 1948 zu den Mitbegründern der NDPD, war seit 1949 1. Landesvorsitzender der NDPD in Sachsen-Anhalt und nach kurzer Tätigkeit im Innenministerium 1949/50 Chef des wieder aufgelösten Verkehrsministeriums. Richard Richter (DBD) hatte vor seinem Beitritt zur DBD der SED angehört.322 Die politische Säuberung der Landesministerien hielt 1951 im Zuge der Mitgliederüberprüfung weiter an. Das Landessekretariat setzte dazu im Januar 1951 eine aus vier Personen bestehende Sonderkommission ein, der kommunistische Arbeiter der Buna-Werke und Gewerkschafter angehörten. Kein Mitglied der Sonderkommission hatte sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden oder war SPD-Mitglied gewesen.323 Im Rahmen der Mitgliederüberprüfung wurden Maßnahmen gegen ein Viertel der 1165 SED-Mitglieder und Kandidaten im Apparat der Landesregierung ergriffen: 36 von ihnen versetzte man in den Kandidatenstand zurück, 205 wurden gestrichen, 54 ausgeschlos320 Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/57, Bl. 96). 321 Sekretariat Protokolle 9.11.–23.11.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/23, Bl. 50, 88, 93, 182, 223); SBZ-Handbuch, S. 165 f. 322 SBZ-Biographie, S. 293. 323 Sekretariat-Protokolle 6.1.–12.1.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/27, Bl. 26 f.).

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sen. Die Ausschlüsse und Streichungen erfolgten wegen Fragebogenfälschung, Korruption, „Trotzkismus“ oder weil es sich um „klassenfremde und nicht parteiverbundene“ Mitarbeiter handelte. 127 Genossen, von denen bis zum Jahresende 25 in höhere Verwaltungsfunktionen eingesetzt wurden, galten als entwicklungsfähig.324 Die Informationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) zog am 13. Dezember 1951 eine Bilanz der Mitgliederüberprüfung und stellte hinsichtlich der Säuberungen in der Landesregierung fest: „Eine besonders starke Anhäufung parteifeindlicher Elemente wurde im Regierungsapparat des Landes Sachsen-Anhalt aufgedeckt. Viele von ihnen hatten verantwortliche Führungsposten eingenommen. Im Laufe der Überprüfung wurden hier 28 verantwortliche Mitarbeiter der Regierung entlarvt und aus der Partei ausgeschlossen, darunter 16 Leiter verschiedener Abteilungen und Ressorts. Unter den Ausgeschlossenen befanden sich beispielsweise der Leiter der Hauptabteilung Erfassung im Ministerium für Landwirtschaft, Otto Wolf, der früher Nazi gewesen ist und während seiner Arbeit im Ministerium eine Reihe von Wirtschaftsverbrechen beging, indem er sich systematisch mit Spekulation befasste; oder der Leiter der Hauptabteilung der Staatlichen Verwaltung im Ministerium des Innern, Paul Albrecht, ein schlimmer Verbrecher, der während des Naziregimes Antifaschisten an die Gestapo ausgeliefert hatte.“325

Allen Säuberungsmaßnahmen zum Trotz befanden sich Ende 1951 noch immer zahlreiche Personen im Regierungsapparat, deren politische Vergangenheit dunkle Punkte aufwies: So hatten ohne Hinzurechnung von Mitgliedschaften in der NSV und DAF fast 10 Prozent aller Mitarbeiter der NSDAP oder ihren Gliederungen angehört. 30 Prozent der männlichen Mitarbeiter waren in der Wehrmacht als Unteroffiziere, Feldwebel oder Offiziere tätig gewesen. 31 Prozent der Männer hatten sich in westlicher oder jugoslawischer Kriegsgefangenschaft befunden, davon über ein Drittel länger als ein halbes Jahr. Die Kaderabteilung der SED-Landesleitung kommentierte diese Fakten mit der Feststellung, es werde erforderlich sein, „die in der Landesregierung noch vorhandenen Konzentrationen durch entsprechende Überprüfungen und Änderungen zu beseitigen“.326 Dennoch gab die Beschäftigung von Westgefangenen bei näherer Betrachtung keinen Grund zur Sorge: Von 91 Hauptabteilungsleitern und Abteilungsleitern, die im Januar 1952 in der Landesregierung tätig waren, hatte sich die überwiegende Mehrzahl entweder überhaupt nicht oder nur sehr kurze Zeit in westlicher Gefangenschaft befunden. Bei lediglich vier leitenden Angestellten betrug die Dauer der Gefangenschaft mehr als ein halbes Jahr. Im Hinblick auf Westemigranten und frühere Mitglieder linker Splittergruppen war bis zu diesem Zeitpunkt eine fast hundertprozentige Säuberung der Ministerien erfolgt: Anfang 1952 befanden sich im Apparat der Landesregierung nur noch ein England-Emigrant und sechs ehemalige Mitglieder von Splittergrup324 Sekretariat-Protokolle 20.12.–28.12.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/53, Bl. 90, 103 f.); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 226, 229–231). 325 Zit. nach Bordjugow, Das ZK der KPdSU(B), S. 343. 326 Sekretariat-Protokolle 20.12.–28.12.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/53, Bl. 90, 92–94).

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pen. Abgesehen von zwei Abteilungsleitern handelte es sich ausnahmslos um gewöhnliche Angestellte in niedrigen Positionen.327 Die seit Anfang 1950 betriebene Verstärkung des proletarischen Elements im Apparat der Landesregierung zeigte ebenfalls Wirkung: Im Dezember 1951 stammten 59 Prozent der 1979 Mitarbeiter aus der Arbeiterklasse. Legte man nicht die soziale Herkunft, sondern den erlernten Beruf als Maßstab zugrunde, so handelte es sich bei 42 Prozent der Belegschaftsmitglieder um Arbeiter. Im Gegensatz zu den offiziell verbreiteten Erfolgsmeldungen über die in den Regierungsapparat eingegliederten „Arbeiter aus der Produktion“, sah sich die Kaderabteilung im Dezember 1951 zu der kritischen Bemerkung veranlasst, dass diese Arbeiter „nur ungenügend weiter entwickelt und für ihren Einsatz in höheren Funktionen vorbereitet“ worden seien. Um solche Schwächen zu beheben, schlug die Kaderabteilung vor, eine Übersicht aller bei der Regierung tätigen Arbeiter, Landarbeiter und „werktätigen Bauern“ zu erstellen, um ihre weitere Qualifizierung und den Einsatz in leitenden Funktionen vorzubereiten. Die Personalabteilung des Innenministeriums sollte beauftragt werden, die soziale Zusammensetzung vor allem in den Ministerien für Handel und Versorgung, Landwirtschaft und Volksbildung zu verändern und bei Neueinstellungen bevorzugt Mitarbeiter aus der Arbeiter- und Bauernschaft zu berücksichtigen.328 Diese Maßnahmen konnten jedoch nur noch sehr begrenzt Wirkung erzielen, da die Länder der DDR per Gesetz vom 23. Juli 1952 aufgelöst wurden.

4.4.1 Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Bei der Darstellung der Säuberungen in den einzelnen Ministerien muss zunächst die Situation im Wirtschaftsministerium näher betrachtet werden. Die Verhaftung von Prof. Dr. Willi Brundert bot die Möglichkeit zur Durchführung umfassender Säuberungen des Ministeriums, indem nach dem stalinistischen Prinzip der Kontaktschuld weitere Verdächtige festgestellt wurden. Um die Fäden der vermeintlichen Verschwörung zu entwirren, reichten die Untersuchungen bis in die Anfänge des sachsen-anhaltischen Wirtschaftsministeriums zurück. So stellte das Landessekretariat fest, dass der bis März 1949 amtierende Wirtschaftsminister Willi Dieker während einer längeren Erkrankung im Jahre 1947 durch Ernst Thape vertreten worden war. Thape wiederum sei „als Schumachermann entlarvt“ worden, in den Westen geflohen und ein „ausgesprochener Vertreter des besonderen Weges“ gewesen. Von Thape habe man eine gründliche Überprüfung von Brunderts politischer Vergangenheit nicht erwarten können, denn Thape sei bemüht gewesen, Brunderts Eignung als Fachmann und SED-Mitglied besonders herauszustellen. Auch Dieker habe sich Brundert 327 Beschäftigungsnachweise der Ministerien 1948–1950 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 387, Bl. 176–183, 190–195). 328 Sekretariat-Protokolle 20.12.–28.12.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/53, Bl. 90 f., 105, 108 f.).

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nicht entgegen gestellt, sondern ihn gewähren lassen und nichts dagegen unternommen, dass Aufsichtsrats- und Vorstandsposten von Personen aus bürgerlichen Kreisen und aus dem Umfeld der Konzerne besetzt wurden, anstatt in den Aufsichtsräten „eine erdrückende Mehrzahl von zuverlässigen und erprobten Vertretern der Arbeiterschaft“ unterzubringen.329 Bereits im November 1949 wurde Kurt Eppendörfer, ein Bekannter Brunderts aus der Lagerschule Wilton Park,330 mit der Begründung entlassen, er habe unter dem Einfluss von Brundert als Leiter der Personalabteilung eine falsche Personalpolitik betrieben. Neben Brundert galt Wilhelm Kemper (Vorsitzender der SED-Betriebsgruppe im Wirtschaftsministerium) als derjenige, der alle Organisations- und Verwaltungsfragen erledigte. Als Leiter der Kontrollinspektion oblag ihm die Kontrolle von Industrie- und Wirtschaftsunternehmungen im Fall von Wirtschaftsvergehen. Kemper hatte vor 1933 der SPD angehört, war seit Oktober 1946 Mitglied des Landtages, gehörte ab September 1947 dem SED-Landesvorstand an und begann Ende 1947 nach Rücksprache mit Dieker als Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium. Nach Diekers Entlassung opponierte Kemper gegen Wirtschaftsminister Paul Lähne und den Altkommunisten Fritz Bressau (Leiter der Hauptabteilung Industrie). Als das „Neue Deutschland“ im Dezember 1949 einen Artikel des Leiters der ZKSK, Fritz Lange, veröffentlichte, in dem Brundert scharf angegriffen wurde, rief Kemper das Partei-Aktiv zusammen und nahm gegen den Artikel Stellung. Eine für den SED-Landesvorstand und den Zentralvorstand bestimmte Resolution zugunsten von Brundert, der Kemper als fachlich und politisch sehr qualifizierten Mitarbeiter schätzte, kam auf der Besprechung zwar nicht zustande, doch es stellten sich zahlreiche Mitarbeiter auf Brunderts Seite, indem sie auf dessen hervorragende Arbeit verwiesen und sich gegen seine Verhaftung aussprachen. Kempers Entlassung aus dem Wirtschaftsministerium erfolgte am 31. März 1950 offiziell aufgrund „organisatorischer Veränderungen“.331 Seinen Ausschluss aus der SED „wegen parteischädigenden Verhaltens“332 begründete die LPKK im Juni 1950 wie folgt: „Er gehörte [...] dem engeren Kreis um Brundert an. Im Ministerium führte K[emper] seine konspirative Arbeit fort. Er versuchte in geschickter Form, ideologisch unklare Genossen im negativen Sinne zu beeinflussen. Nach der Verhaftung Brunderts erklärte er, dass Brundert gar nicht so schuldig sei, wie man es aus Propaganda-Gründen hin329 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 94, 96). 330 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 33. 331 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 108–110); Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/14, Bl. 12, 14–16); Personalakte Kurt Eppendörfer (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA E 68, 2. Band, unpaginiert; Schreiben der Hauptabteilung II an Eppendörfer vom 8.11.1949); Personalakte Wilhelm Kemper (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA K 344, Bl. 1–4, 25, 41 f.); SAPMOBArch, DY 30/IV 2/4/105, Bl. 148. 332 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 121, 128).

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zustellen versucht. [...] Er erklärte in Gesprächen, dass Gen[osse] Lähne nicht in der Lage sei, den Fragenkomplex zu übersehen, er ist fachlich unzulänglich und unfähig. Ferner erklärte er, dass die alten SP[D]-Leute mit Gewalt aus dem Ministerium gedrängt würden. Die Haltung des Kemper vor der LPKK war nicht die eines Marxisten-Leninisten, sondern die eines ausgesprochenen Trotzkisten.“333

Es schien zunächst so, als könnte Wirtschaftsminister Paul Lähne in besonderem Maße von Brunderts Verhaftung profitieren, da es ihm endlich gelang, Brundert als lästigen Konkurrenten loszuwerden. Schenkt man einem im Februar 1950 angefertigten Bericht Lähnes an DDR-Industrieminister Fritz Selbmann, Bernard Koenen und Willi Stoph Glauben, so lief bei Lähnes Amtsübernahme im April 1949 die Verbindung zu mehreren Hauptabteilungen über die von Brundert geleitete Hauptabteilung Planung und Verwaltung, d. h. Brundert hielt alle Fäden in der Hand. Lähnes Darstellung zufolge soll Brundert versucht haben, diese Arbeitsweise beizubehalten und den gesamten Apparat des Ministeriums zu übernehmen, während er Lähne vorwiegend repräsentative Aufgaben zudachte. Nach Meinung vieler ehemaliger Sozialdemokraten wurde Lähne mit dem Amt des Wirtschaftsministers betraut, um sie aus dem Ministerium zu entfernen. Lähne nutzte die Gelegenheit und unterstellte sich die Personalabteilung, die bisher in Brunderts Einflussbereich gelegen hatte. In seinem Bericht an Selbmann, Koenen und Stoph kündigte Lähne die bevorstehende Entlassung von etwa 20 Mitarbeitern an, unter ihnen die zum Kreis um Brundert zählenden Wilhelm Kemper und Ullrich. Als Begründung für ihre Entlassung führte Lähne mangelnde Zuverlässigkeit und parteifeindliches Verhalten an. Anstelle der entlassenen Mitarbeiter sollten nach Lähnes Vorstellung „aus den Betrieben neue, uns nahe stehende proletarische Kräfte“ gewonnen werden.334 Die Durchführung der Entlassungen kann jedoch nicht allein Lähnes Einfluss zugeschrieben werden, denn die LPKK war im Hinblick auf Brunderts engste Mitarbeiter bereits im Januar 1950 zu folgendem Ergebnis gelangt: „Kollin, Buchhaltungsabt[eilung]: In den Siebel-Flugzeugwerken als Prokurist oder Stellvertreter gewesen. Brundert hat ihn geholt, Brundert forderte, dass er eingestellt wird. Kettmann, Leiter der Rechtsabt[eilung]: Früher in der Industrie gearbeitet. Nach der Kapitulation Verbindung mit Robertson. Er hat gesagt, dass er mit der Spionageabteilung Robertson zu tun gehabt hat. [...] Brundert forderte seine Einstellung. [...] Ullrich: war in englischer Gefangenschaft, sagt darüber nichts in seinem Lebenslauf. Er war in derselben englischen Schule wie Brundert.“335

Neben Kollin, Kettmann und Ullrich wurden der Gruppe weitere Personen in einflussreichen Stellungen zugerechnet: Zu ihnen zählte u. a. der Leiter der Ab333 Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/14, Bl. 14–16). 334 LHA Magdeburg, Rep K 6, MW Nr. 10915, unpaginiert; Schreiben und beiliegender Bericht Lähnes an Fritz Selbmann vom 17. 2.1950. 335 Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 8 f., Hervorhebung im Original).

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teilungen für Reparationen und Verschlusssachen, Winand, der auf Anweisung des FDGB-Landesvorstands wegen „opportunistischer Tendenzen“ seines Amtes als Landesvorsitzender der IG Öffentliche Betriebe enthoben und im Ministerium untergebracht worden war. Winand wurde am 31. März 1950 entlassen und verhaftet, da er im Verdacht stand, „Verbindung mit republikfeindlichen Kreisen“ zu unterhalten. Verhaftet wurde auch der frühere Hauptabteilungsleiter für Wirtschaftsplanung, Ministerialdirektor Stahl, „weil er mit den USA-Imperialisten Verbindung hatte“. Mehrere Mitarbeiter des Ministeriums flohen in den Westen oder kamen ebenfalls in Haft.336 Als Nachfolger der entlassenen und verhafteten Mitarbeiter wurden im Frühjahr 1950 35 Genossen aus Betrieben vorgemerkt und an ihren Arbeitsplätzen aufgesucht. Von 28 angetroffenen Kandidaten galten 14 als ungeeignet für die Arbeit im Ministerium. Begründet wurde dies zumeist damit, dass sie „zu schwach“ seien, in einem Fall auch mit „sehr langer französischer Gefangenschaft“.337 Wirtschaftsminister Lähne geriet bald ebenfalls in den Strudel der Säuberungen und wurde auf dem III. Parteitag von Ministerpräsident Bruschke angegriffen. Im Hinblick auf die Personalpolitik des Wirtschaftsministeriums führte Bruschke aus: „[Im] Wirtschaftsministerium, unter Verantwortung eines Ministers, der Genosse ist, besitzen von 14 Abteilungsleitern 8 akademische Grade. Das braucht an sich noch kein Fehler zu sein, wenn es fortschrittliche Menschen sind, die aufgeschlossen und bereitwillig ihre Aufgaben auf der Grundlage unserer demokratischen Ordnung lösen. Im Vordergrund stand aber nicht die demokratische Zuverlässigkeit, sondern nur die spezielle fachliche Eignung. Das erweist sich aus der gefährlichen Tatsache, dass für die 14 Abteilungen kein Arbeiter aus den Betrieben herangezogen wurde.“338 Weitere Angriffe gegen Lähne wurden im Oktober 1950 von Albert Röhr (1949/50 Personalleiter des Wirtschaftsministeriums) vorgetragen. Röhr hatte allen Grund, mit Lähne abzurechnen, nachdem ihm Lähne unter Berufung auf Absprachen mit der Kaderabteilung der SED-Landesleitung seine Entlassung mitgeteilt hatte. Besonders gedemütigt fühlte sich Röhr wohl auch durch Lähnes zynisches Angebot, er solle in Zukunft eben „Steineklopfen gehen“. Röhr holte zum Gegenschlag aus, verwies in einem Schreiben an die LPKK und ZPKK auf seinen Kampf gegen Brundert, Kemper, Eppendörfer etc. und behauptete, Lähne habe Brundert die Möglichkeit gegeben, seine Position im Ministerium zu stärken. Brunderts Sekretärin sei „zur Vertrauten des Genossen Lähne“ aufgestiegen und Mitglied einer Kommission gewesen, die die Personalabteilung überprüfen sollte. Röhrs Angriffe gegen Brundert mussten umso mehr verwundern, da Brundert sich im Januar 1949 mit einer äußerst positiven Charakteristik für Röhr eingesetzt hatte. Darin hatte es geheißen, Röhr besitze die 336 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 107–114). 337 LHA Magdeburg, Rep K 6, MW Nr. 10915, unpaginiert (Bericht über die Einstellungsaktion – Besuch der Genossen in den Werken – Auswahl, 5. 4.1950). 338 Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, S. 115.

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erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten für seine Tätigkeit u. a. „durch vielseitige Berufstätigkeit im In- und Ausland (Emigration)“. Vor dem Hintergrund seines achtjährigen Aufenthalts in englischer Emigration fühlte sich Röhr zu besonders scharfem Vorgehen als Personalleiter verpflichtet, was Lähne missbilligte. Röhr teilte der Kaderabteilung der SED-Landesleitung in diesem Zusammenhang mit, Lähne habe sich „sehr geärgert [über] die Zusammenarbeit mit Organisationen“, die sich bei der Personalabteilung „über bestimmte Leute Aufklärung holten“. Als ein von Brundert geförderter Mitarbeiter auf Anordnung der ZKSK verhaftet wurde, habe ihm Lähne vorgeworfen, mit kriminalistischen Methoden zu arbeiten und dabei mehr Schaden anzurichten, „anstatt die Menschen zu erziehen“. Lähne und der für die Kaderabteilung der SED-Landesleitung zuständige Rudolf Weber kamen überein, Röhr aus dem Ministerium zu entfernen und ihn zum Besuch der Kreisparteischule „Max Lademann“ zu veranlassen.339 Dort sah sich Röhr aufgrund „versöhnlerischer Tendenzen“ und abweichender Auffassungen zum Charakter des Zweiten Weltkrieges weiteren Verdächtigungen ausgesetzt. In einem Denunziantenbericht hieß es dazu: „Bei der Diskussion über den Beschluss des ZK (Ausschluss Paul Merker usw.) fragten wir Genossen R[öhr], ob sie in England als Kommunisten nicht auch mit Aufträgen betraut worden sind, um den französischen Kommunisten bei der Zersetzungsarbeit der faschistischen Armeen zu helfen. Dabei erklärte uns R[öhr], dass er von unserer Zentrale der KP in England den Auftrag hatte, als Fallschirmjäger abzuspringen in Deutschland, um für die Amerikaner und Engländer Agententätigkeit zu leisten. Dies hätte er abgelehnt, hätte es aber auch wegen Krankheit nicht ausführen können. Auf unser weiteres Befragen widersprach sich R[öhr] und sagte, dass er selbstverständlich den Parteiauftrag durchgeführt hätte, aber er konnte doch nicht, er wurde krank. [...] Anschließend verweigerte uns Genosse R[öhr] weitere Auskünfte wegen Schweigepflicht.“340

Nach seiner Entlassung aus dem Wirtschaftsministerium wurde Röhr im Februar 1951 zum technischen Leiter des Volkseigenen Wohnungsunternehmens Halle degradiert.341 Doch auch Minister Lähne, der Röhrs Sturz betrieben hatte, konnte sich nicht länger behaupten und wurde im November 1950 durch Kurt Opitz ersetzt. „Überheblichkeit und ein Verhältnis mit seiner Sekretärin“ – so die Volkspolizei Halle in einem späteren Aufklärungsbericht – scheinen für Lähnes Ablösung jedoch weniger die Verantwortung getragen zu haben als die Folgen des Herwegen-Brundert-Prozesses und Lähnes angebliche Zusammenarbeit mit der Gestapo. Lähne wurde im Mai 1951 zum Sachbearbeiter im VEB

339 Kaderakte Albert Röhr (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/938, unpaginiert; Schreiben an die LPKK vom 31.10.1950 und an die Kaderabteilung der SED-Landesleitung vom 8.10.1950); Personalakte Albert Röhr (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA R 362, Bl. 4, 24 f.). 340 Kaderakte Albert Röhr (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/938, unpaginiert, Bericht über das Auftreten des Gen. Albert Röhr in der Kreisparteischule „Max Lademann“ während des letzten Sechswochenlehrgangs, 8.1.1951). 341 Ebd., unpaginiert; Beurteilung des Kollegen Albert Röhr durch das Volkseigene Wohnungsunternehmen Halle, 16. 3.1953.

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Braunkohlenwerk Halle-Ammendorf degradiert und spielte politisch keine Rolle mehr.342 Sein Nachfolger Kurt Opitz, von Beruf kaufmännischer Angestellter, war zum Zeitpunkt der Amtsübernahme erst 32 Jahre alt und gehörte der SED lediglich als Kandidat an. Allein schon aufgrund seines Alters konnte er auf keine politische Tätigkeit in der Arbeiterbewegung vor 1933 verweisen, sondern war Mitglied der HJ, DAF, NSV und zeitweilig auch der SA gewesen, wohin man ihn 1938 angeblich „überwiesen“ hatte. Aus der SA war er offiziell „nach 3 Monaten wegen Nichterscheinens zum Dienst ausgeschlossen“ worden. Opitz nahm am Zweiten Weltkrieg teil, wurde mit dem EK II ausgezeichnet und geriet im Mai 1945 in sowjetische Gefangenschaft. Bis zu seiner Entlassung im November 1949 durchlief er politische Schulungen, stieg zum Schulungsassistenten und Lagerpropagandisten auf und war zuletzt Mitglied der Zentralen Lektorengruppe der Antifaschistischen Abteilung beim Innenministerium der Lettischen SSR in Riga. Aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, erklärte Opitz innerhalb von nur vier Wochen seinen Beitritt zur SED, FDJ, DSF und zum FDGB. Im Januar 1951 befürwortete das Landessekretariat den Vorschlag der Organisations- und der Kaderabteilung, Opitz vorzeitig als vollwertiges Mitglied in die Partei aufzunehmen.343 Zur Begründung hieß es im Antrag der Organisationsabteilung: „Der Gen[osse] Kurt Opitz ist Zentralschüler. Eine Verkürzung der Kandidatenzeit kann auf Grund seiner aussergewöhnlich guten und aktiven Parteiarbeit nur befürwortet werden. Gen[osse] Opitz ist Aktivist und Schöpfer des ersten Aktivistenplanes [...], ideologischer Vorbereiter des Schnelldrehverfahrens [und] Propagandist des Aktivistenplanes für alle Volkseigenen Betriebe der DDR.“344 Weitere Säuberungen schlossen sich an, so im Frühjahr 1951, als auf Beschluss des Landessekretariats eine erneute Überprüfung der SED-Betriebsgruppe und der leitenden Funktionäre im Wirtschaftsministerium stattfand, bei der die „ideologische politische Lage“, Schulungsarbeit, Stimmung unter den Mitarbeitern und Agitationsarbeit besonders beleuchtet werden sollten.345 Ende April 1951 schied der Leiter der Hauptabteilung Industrie Franz Krause aus, der als Lähnes Stellvertreter u. a. mit der Bearbeitung von Verschlusssachen zu tun gehabt hatte: Krause war zwischen 1933 und 1935 Mitglied einer Zeitzer Widerstandsgruppe um den früheren SAP-Bezirksvorsitzenden Dr. Rudolf Agricola gewesen und gehörte in tschechoslowakischem Exil zusammen mit dem ehemaligen SAP-Reichsvorsitzenden Max Seydewitz zur Leitung der „Revolutionären Sozialisten“. Bei dem Versuch, nach Bolivien zu emigrieren, wurde 342 BStU, MfS BV Halle, AOG 3378/64, Bl. 5, 7; SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/4/285, Bl. 110; Sekretariat-Protokolle 9.11.–23.11.1950 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/3/23, Bl. 88, 93). 343 Sekretariat-Protokolle 6.1.–12.1.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/27, Bl. 2, 7, 20). 344 Ebd., Bl. 20. 345 Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 69, 78, 123–128).

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Krause 1938 in Italien verhaftet und bis zu seiner Auslieferung an das Deutsche Reich (1941) in Italien gefangen gehalten. Es war wohl Krauses politischer Vergangenheit zuzuschreiben, dass er im April 1951 als stellvertretender Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt abgelöst und zum DDR-Handelsministerium nach Ostberlin „weggelobt“ wurde. Er starb 1954 im Alter von nur 54 Jahren.346 Im Hinblick auf den abgelösten Wirtschaftsminister Paul Lähne ergriff die LPKK im Mai 1951 weitere Maßnahmen, indem sie Lähne eine Rüge erteilte und seinen Abzug von der Landesparteischule Ballenstedt verlangte. Begründet wurde dies damit, dass Lähne auf einem Fragebogen seinen Ausschluss aus der KPD im Jahre 1931 verschwiegen hatte, der wegen der Unterschlagung von Parteigeldern erfolgt sein soll. Die Ausübung hauptamtlicher und verantwortlicher Funktionen in Partei, Wirtschaft, Verwaltung und den Massenorganisationen sollte Lähne bis zum 1. Mai 1953 verwehrt bleiben. Lähne versuchte, gegen die Entscheidung der LPKK anzugehen und wandte sich an Bernard Koenen und Hermann Matern. Seine Interventionen führten jedoch zu keinem Erfolg. Die LPKK ließ sich im Juli 1952 lediglich darauf ein, Lähne „eine ehrenamtliche Funktion in der VVN oder anderen Massenorganisationen“ zuzugestehen. Ein Antrag auf vorzeitige Löschung von Lähnes Parteistrafe wurde im März 1953 mit der Begründung abgelehnt, dass es dafür noch zu früh sei. Nach Ablauf des befristeten Funktionsentzugs im Mai 1953 solle Lähne „erst beweisen, wie die parteierzieherische Maßnahme auf ihn gewirkt“ habe.347 Auch gegenüber Willi Brundert, der nach seiner Entlassung aus der Strafvollzugsanstalt Brandenburg (1957) in die Bundesrepublik geflohen war, beharrte die SED auf ihrer unversöhnlichen Haltung. Als Brundert im April 1961 an einer SPD-Veranstaltung in Bad Godesberg teilnahm, um die Inhaftierung politischer Gefangener in der DDR anzuprangern, reagierte die SED-Propaganda umgehend, indem sie die gegen Brundert erhobenen Vorwürfe erneut ins Feld führte. Als hätte es seit 1956 keine Entstalinisierung gegeben, übergab Werner Bruschke einem Redakteur des lokalen Parteiorgans „Freiheit“ den offiziellen Bericht zum Herwegen-Brundert-Prozess, aus dem das Blatt ausführlich zitierte. Die Zitate vermittelten den Eindruck, Brundert sei völlig zu Recht als „aktiver Agent des Imperialismus“ und wegen „Sabotagearbeit“ verurteilt worden, worauf die „Freiheit“ befriedigt feststellte: „So sieht also jener Kronzeuge aus, der in der DDR „wegen seiner politischen Ueberzeugung“ verfolgt

346 Personalakte Franz Krause (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA K 408, unpaginiert); Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, S. 372–375. 347 Protokolle von Kommissions-Sitzungen Aug. 1950–Juli 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/11, Bl. 77, 210); Protokolle über Sitzungen der LPKK Jan.–Dez. 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/15, Bl. 22, 58); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L2/5/82, Bl. 226, 233); Protokolle über Sitzungen der BPKK Juli 1952–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/677, unpaginiert; Protokoll Nr. 7 der Kommissionssitzung am 11. 3.1953).

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wurde.“348 Beim MfS wurde Brundert zu dieser Zeit aufgrund seiner Zugehörigkeit zum „Kuratorium Unteilbares Deutschland“ bearbeitet. Er galt als Kontaktmann des Ostbüros mit Verbindungen zum Verfassungsschutz. Weitere Verdachtsmomente ergaben sich, da Brundert entlassenen ehemaligen Mitgefangenen materiell sowie durch die Vermittlung von Wohnungen und Studienplätzen zu helfen versuchte. Um Brunderts Verbindungslinien in die Strafvollzugsanstalt Brandenburg aufzuklären, plante das MfS 1961, einen Informanten aus dem Umkreis der früheren Gefangenen in die Bundesrepublik einzuschleusen und Kontakt zu Brundert aufnehmen zu lassen.349

4.4.2 Ministerium des Innern Die Ermittlungen gegen Willi Brundert lösten auch im Innenministerium Säuberungen aus, die sich bereits am 4. Dezember 1949 in Walter Ulbrichts Rede auf der Landesdelegiertenkonferenz ankündigten. Ulbricht verlangte, die Biographie jedes verantwortlichen Funktionärs im Staatsapparat genau zu überprüfen und nicht „so leichtfertig [zu] behandeln, wie das offenbar an einigen Stellen der Fall“ gewesen sei. Die Personalabteilung des Innenministeriums dürfe „kein Klub der Harmlosen sein“. Auch Bernard Koenen wies in seinem Rechenschaftsbericht darauf hin, dass die Arbeit der Personalabteilungen verbessert werden müsse. Man suche immer nur dringend benötigte Fachleute und vernachlässige die politische Wachsamkeit.350 In der daran anschließenden „Diskussion“ sah sich Innenminister Robert Siewert zur Abgabe einer selbstkritischen Erklärung veranlasst: „Nicht immer ist bei uns alles getan worden, um ein völlig eindeutiges Bild über jeden verantwortlichen Mitarbeiter in der Verwaltung zu bekommen. In manchen Fällen kann ich mich einer gewissen Leichtgläubigkeit gegenüber Angaben nicht freisprechen. [...] In dieser Hinsicht muss die Arbeit der Personalabteilung und die der Personalreferenten wesentlich verbessert werden. In den Fällen Thape, Drescher und Brundert zeigt sich, dass wir Opfer ideologischer Unklarheiten geworden sind – meiner Ansicht nach Opfer des Sozialdemokratismus. [...] Die mangelhafte Wachsamkeit gegenüber Feinden unserer demokratischen Ordnung kann nur überwunden werden durch die Schaffung der notwendigen ideologischen Klarheit. [...] Ferner möchte ich hinzufügen, dass wir den politischen Vorgängen der letzten Zeit viel zu wenig Beachtung geschenkt haben. 348 Freiheit vom 26. 4.1961 („Wer ist Brundert?“). Vgl. dazu Bruschkes Darstellung des Herwegen-Brundert-Prozesses in seiner 1981 erschienenen Autobiographie, in der Brunderts „Agentenschulung“ an der „berüchtigten britischen Agentenschule in Wiltonpark“ ebenfalls erwähnt wird. Bruschke, Für das Recht der Klasse, S. 166–170. 349 BStU, MfS BV Potsdam, AOP 488/62, Bl. 228, 228 a, 236. 350 Freiheit vom 9.12.1949 („Aktuelle Fragen der Politik. Aus der Rede von Walter Ulbricht, Mitglied des Politbüros und Vorsitzender des Sekretariats der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auf der Landes-Delegiertenkonferenz der SED für Sachsen-Anhalt am 4. Dezember 1949“); 10.12.1949 („Bericht und Aufgabenstellung des Genossen Bernard Koenen vor den Delegierten der Landeskonferenz am 2. bis 4. Dezember 1949 im Volkspark in Halle“).

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Ich denke da an den Rajk-Prozess. Er ist nicht so ausgewertet worden, wie es notwendig gewesen wäre. Ich möchte daraus die Lehre ziehen und für mich und die Genossen, die mit mir zusammenarbeiten, die Verpflichtung übernehmen, unsere Arbeit wesentlich zu verbessern.“351

Angesichts der seit 1949 zunehmenden Säuberung der SED von früheren Mitgliedern linker Splittergruppen erscheint der Vorwurf mangelnder Wachsamkeit an die Adresse des Innenministeriums weniger als wirkliche Ursache, sondern vielmehr als vorgeschobener Grund für Siewerts sich andeutende Amtsenthebung. Bereits in den Jahren zuvor hatten frühere KPO-Mitglieder vereinzelt ihre Funktionen verloren, unter ihnen auch Sachsen-Anhalts Polizeichef Georg König, der 1947 als Sonderbeauftragter des Wirtschaftsministeriums in das Mineralölwerk Lützkendorf delegiert und 1948 als Kulturdirektor in die Farbenfabrik Wolfen abgeschoben wurde. König war ein besonders enger Mitarbeiter von Siewert gewesen, mit dem der Innenminister jede Entscheidung abgesprochen hatte.352 Die Ernennung von Wilhelm Zaisser zu Königs Nachfolger im März 1947 erscheint rückblickend betrachtet als erstes Anzeichen für die beginnende Schwächung der früheren KPO-Mitglieder im Innenministerium zugunsten der Moskauer Fraktion: Zaisser hatte vor 1933 für den illegalen Militärapparat der KPD und für die Komintern gearbeitet, war während des Spanischen Bürgerkrieges unter dem Decknamen „General Gómez“ Kommandeur der XIII. Internationalen Brigade gewesen und hatte danach verschiedene Funktionen in Moskau bekleidet.353 Ohne Siewert und dessen KPO-Vergangenheit ausdrücklich zu erwähnen, forderte LPKK-Chef Erich Besser bereits im Oktober 1949 die Ablösung des Innenministers.354 Im Januar 1950 erhob die LPKK erneut die Forderung, Siewert und den Leiter der Personalabteilung im Innenministerium, Georg Heidler, von ihren Funktionen in der Landesregierung zu entbinden, da sie ihren Aufgaben nicht gewachsen seien.355 Als kommender Mann in der Personalabteilung des Innenministeriums galt Heidlers Stellvertreter Otto Kipp, ein früherer Spanienkämpfer und Buchenwaldhäftling, der 1946 von Robert Siewert ins Ministerium geholt worden war. Kipps politischer Einfluss nahm in den folgenden Jahren durch die Wahl zum Vorsitzenden der SED-Betriebsgruppe des Innenministeriums und Vorsitzenden der Hauptbetriebsgruppe der Landesregierung kontinuierlich zu. Es spielte dabei offenbar keine Rolle, dass Kipp unter 351 Freiheit vom 10.12.1949 („Aus der Diskussion der Delegierten und der Sprecher von Delegationen aus Organisationen und Betrieben auf der Landesdelegiertenkonferenz der SED“). 352 BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 26; Nachlass Georg König (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/10/1, Bl. 63). 353 Personalakte Georg König (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA K 140, Bl. 25 f.); SBZHandbuch, S. 1062 f. 354 Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 383. 355 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 41; Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 8 f.).

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dem Vorwurf, als 2. Kapo des Buchenwalder Krankenbaus Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt zu haben, im Juni 1945 vom amerikanischen Geheimdienst CIC verhaftet und nach Bayern verschleppt worden war. Kipp und der 1. Kapo des Krankenbaus Ernst Busse hatten in Buchenwald zwar viele kommunistische Gefangene gerettet, indem sie diese als Tuberkulosekranke oder nicht transportfähige Kranke auf der Isolierstation unterbrachten, zugleich aber auch das „Spritzer-Kommando“ geleitet, das auf Befehl der SS Häftlinge ermordete und auf Anweisung kommunistischer Lagerorganisationen Gefangene beseitigte, die als Gestapoagenten, Verräter oder „gefährliche Elemente“ galten. Kipp soll außerdem Gefangene abgespritzt haben, von denen man annahm, dass sie sich mit Tuberkulose, Ruhr oder Typhus infiziert hatten. Aufgrund dieser Vorwürfe verblieb Kipp bis August 1946 im amerikanischen Internierungslager Dachau und gelangte erst nach mehrfacher Intervention ehemaliger Mithäftlinge, unter ihnen auch Eugen Kogon, den Kipp nach eigener Darstellung vor dem Abtransport in das berüchtigte KZ Mauthausen bewahrt hatte, wieder in Freiheit. Ernst Busse entsandte ehemalige Buchenwalder Gefangene bis nach Frankreich, um auf frühere Mithäftlinge dahingehend einzuwirken, im Fall eines Prozesses keine belastenden Aussagen über ihn und Kipp abzugeben. Auf Anraten des später als „Agent“ verhafteten Leo Bauer und weiterer Mitglieder des KPD-Landesvorstands Hessen kehrte Kipp nach seiner Entlassung in die SBZ zurück, wo er von zwei Mitgliedern des SED-Parteivorstandes über seine Erlebnisse befragt wurde. Kipps Tätigkeit in der Landesregierung Sachsen-Anhalt stand daraufhin nichts mehr im Wege. Im Juli 1949 bescheinigte man ihm, er sei als stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Personal und Schulung „seinen Aufgaben voll gewachsen“ und „infolge seines weit über dem Durchschnitt stehenden Allgemeinwissens“ auch für höhere Aufgaben geeignet. Er wurde auf die Parteihochschule „Karl Marx“ delegiert, um sich für die vorgesehene Ernennung zum Hauptabteilungsleiter zu qualifizieren. Aufgrund äußerst positiver Einschätzungen, in denen ihm die Schule seine besondere Eignung „für staatliche Kontrolle, Staatssicherheit, [als] Propagandist und Parteierzieher“ attestierte, schien sich zunächst alles im Sinne von Kipps Karriere zu entwickeln.356 Hinzu kam, dass die Position des in die Kritik geratenen Personalchefs Georg Heidler durch dessen Tod im Januar 1950 vakant wur356 Kaderakte Otto Kipp (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/560, Bl. 1–3, 7, 12, 28, 36–38, 54, 78–81); Berichte an die Deutsche Verwaltung des Inneren 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 158 a, Bl. 303); Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 265, 267, 299, 321, 325, 328 f., 334–342; Stein, Konzentrationslager Buchenwald 1937–1945, S. 146–149. Kogon zeigte sich für seine Rettung auch dadurch bei Kipp erkenntlich, dass er ihm und Busse in seinem Buch „Der SS-Staat“ bescheinigte, sie hätten sich „auf die rein organisatorische und personelle Seite des mehr und mehr anwachsenden Revierbetriebes beschränkt und viel zur weiteren Konsolidierung der Verhältnisse beigetragen“. Er erwähnte zwar die Liquidierung von Gefangenen, die sich mit führenden kommunistischen Häftlingen überworfen hatten, im Block 61, brachte Busse und Kipp damit aber namentlich nicht in Verbindung. Vgl. Kogon, Der SS-Staat, S. 164, 282 f.

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de.357 31 Mitarbeiter der Personalabteilung wurden im selben Jahr zur Entlassung bzw. Umbesetzung vorgeschlagen. Als Begründung diente u. a. ihre Vergangenheit als NSDAP-Mitglieder, „alte Berufsbeamte“, Wehrmachtssoldaten oder Kriegsgefangene in amerikanischem Gewahrsam. Andere waren als „Westgänger“ bekannt geworden oder galten als „politisch völlig indifferent“.358 Am 1. März 1950 beschloss das Landessekretariat, beim Politbüro um Siewerts Abberufung zu ersuchen. Begründet wurde dies mit der wenig überzeugenden Behauptung, man wolle dadurch „falsche Auslegungen, vor allem in Verbindung mit dem Herwegen-Brundert-Fall“ vermeiden. Zwei Tage später wies die LPKK bei der ZPKK auf die Dringlichkeit einer personellen Umbesetzung hin und forderte sie auf, beim Politbüro vorstellig zu werden. Am 14. April 1950 wurde Siewert als Innenminister abgelöst und mit dem Amt des stellvertretenden Leiters der Hauptabteilung Bauwesen im DDR-Bauministerium abgefunden. Probleme traten bei der Regelung seiner Nachfolge auf: Das Landessekretariat war nicht bereit, den als Nachfolger vorgesehenen sudetendeutschen Altkommunisten Josef Hegen unwidersprochen zu akzeptieren, sondern behauptete, Hegen sei „nicht der geeignete Vorschlag für diese Funktion“ und außerdem gesundheitlich angeschlagen. Hinter dieser fadenscheinigen Begründung stand vermutlich die Befürchtung, dass sich Hegen – gestützt auf seine kommmunistische Musterbiographie und ganz im Gegensatz zu dem wegen seiner KPO-Vergangenheit verwundbaren Siewert – für die übrigen Mitglieder des Landessekretariats zum Problem entwickeln könnte. Querelen gab es auch bei der Suche nach einem Nachfolger für den verstorbenen Personalchef Heidler: Im Gegensatz zu Hegen, den das Landessekretariat offiziell als zu schwach ablehnte, schätzte die Kaderabteilung des Berliner Parteivorstands den Personalvorschlag des Landessekretariats als „nicht stark genug“ ein. Da das Landessekretariat auf seinem Vorschlag beharrte, wurde Kaderchef Rudolf Weber beauftragt, in Berlin mit dem Parteivorstand zu verhandeln.359 Das Landessekretariat konnte sich mit seinen Personalvorschlägen zur Neubesetzung des Innenministeriums letztlich nicht durchsetzen und musste Hegens Ernennung zum Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt hinnehmen. Otto Kipp spielte zu diesem Zeitpunkt als Heidlers potentieller Nachfolger keine Rolle mehr, da die Kaderabteilung des Parteivorstandes bei der Überprüfung seines Lebenslaufs einige dunkle Punkte entdeckt hatte: Aus der Sicht der Kaderabteilung erregte Kipps überraschende Freilassung aus amerikanischem 357 Georg Heidler verstarb am 30.1.1950 in der Universitätsklinik Halle infolge eines Magenleidens. Vgl. Personalakte Georg Heidler (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA H 345, Bl. 41–43). 358 Überprüfung der Personalabteilung des Ministeriums des Innern 1950 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 567, Bl. 3 f.). 359 Protokolle Sekretariat Febr.–März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/12, Bl. 1, 6 f., 30, 34); Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97 f.); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1613, Bl. 102; Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 403.

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Gewahrsam, die 1946 trotz schwerwiegender Vorwürfe nach 14 Monate dauernder Untersuchungshaft erfolgt war, ebenso Verdacht wie die Tatsache, dass Kipp eine vergleichsweise geringe Zuchthausstrafe von lediglich einem Jahr und acht Monaten erhalten hatte, nachdem er 1937 aus nationalspanischer Haft an die Gestapo ausgeliefert worden war. Da nicht festgestellt werden konnte, ob Kipp „bestimmte Verpflichtungen bei den Amerikanern eingegangen“ war, fasste das Sekretariat des Politbüros im Mai 1950 den Beschluss, Kipp auf den unbedeutenden Posten des 1. Sekretärs im Kreis Bitterfeld abzuschieben. Spätere Erwägungen, ihn zum 2. Sekretär der SED-Landesleitung zu ernennen oder in Westdeutschland einzusetzen, scheiterten an Kipps ungeklärter Vergangenheit. Kipps Westeinsatz erschien wenig ratsam, da ihm mit großer Wahrscheinlichkeit „nochmalige Haft [und ein] entsprechender Prozess durch die Amerikaner“ gedroht hätten. In einem solchen Prozess wäre nicht nur Kipps Tätigkeit im Buchenwalder Krankenbau aufgeklärt, sondern auch der offiziell gepflegte Buchenwald-Mythos entlarvt worden. Kipp verblieb in Bitterfeld, wo er wenig Schaden anrichten konnte.360 Zum Nachfolger Heidlers als Leiter der Personalabteilung wurde schließlich Kurt Siegmund berufen. Siegmund hatte sich vor 1933 im KJVD betätigt und in den dreißiger Jahren dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Jugendinternationale in Moskau angehört. Da er in der Sowjetunion sicherlich den dort üblichen Überprüfungen unterzogen worden war, dürften auch sein Exil in Schweden und ein Auftrag, der ihn 1941 nach Holland geführt hatte, nicht als Hinderungsgründe für die Übernahme des Amtes ins Gewicht gefallen sein.361 Robert Siewert stand trotz seiner Degradierung noch immer in der Schusslinie und geriet weiter unter Druck, als ihn das Politbüro zur Abgabe einer Stellungnahme zum Herwegen-Brundert-Prozess verpflichtete. Siewerts Volkskammer-Kandidatur für die VVN wurde vom Landessekretariat am 1. August 1950 mit der Begründung abgelehnt, es sei „unzweckmäßig“, ihn „nach seinem Abzug aus Sachsen-Anhalt wieder zu popularisieren“.362 Um wenigstens seine Stellung im DDR-Bauministerium zu behalten, sah sich Siewert am 25. Januar 1951 im „Neuen Deutschland“ zu einer öffentlichen Abrechnung mit der KPO veranlasst: „Die KPO [entwickelte sich] nach 1933, wie alle opportunistischen Gruppierungen, zu einer Agentur des anglo-amerikanischen Imperialismus. Das wurde deutlich sichtbar bei der Stellungnahme der Auslandsgruppe der KPO gegen die Volksfrontpolitik in Frankreich und Spanien und in ihrem Zusammengehen mit der trotzkistischen

360 Kaderakte Otto Kipp (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/560, Bl. 53 f., 60–62, 65 f.). 361 Sekretariat-Protokolle 4. 5.–26. 5.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/14, Bl. 44, 49, 67); Peters, Exilland Schweden, S. 119, 134. 362 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 138); Sekretariat-Protokolle 1. 8.–8. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/16, Bl. 1 f.).

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„POUM“363. Nach und nach geriet sie immer mehr in den antibolschewistischen Sumpf, was vor allem in ihrer konterrevolutionären Stellungnahme gegen den Genossen Stalin und die Sowjetunion zum Ausdruck kam. [...] 1939, im Konzentrationslager Buchenwald, beim Abschluss des Nichtangriffspaktes der Sowjetunion mit Hitler-Deutschland, habe ich mich rückhaltlos für die Politik der KPdSU eingesetzt, die bedingungslose Anerkennung der Sowjetunion und der führenden Rolle der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Kampf gegen die faschistischen Aggressoren, gegen die Imperialisten, für die Befreiung der Arbeiterklasse, gefordert. Allen Gegnern dieser Auffassung bin ich mit aller Entschiedenheit entgegengetreten. In diesen Auseinandersetzungen habe ich wieder zur Partei zurückgefunden und wurde deshalb in das Parteiaktiv der KPD des KZ Buchenwald aufgenommen.“364

Siewerts Artikel wurde am 15. März 1951 als unbefriedigend kritisiert.365 Im Juni 1951 – die Parteiüberprüfung war in vollem Gange – verwies Siewert auf den inkriminierten Artikel, distanzierte sich erneut von der KPO und wurde daraufhin als „noch geeignet“ für seine Position im DDR-Bauministerium eingeschätzt. Wie er der überprüfenden Sonderkommission erklärte, empfand er seine Versetzung nach Berlin keineswegs als Degradierung, sondern behauptete, es wäre möglicherweise besser gewesen, „diesen Wechsel noch ein Jahr früher vorzunehmen“. Die Sonderkommission beschloss, ihm das Mitgliedsbuch auszuhändigen, da er seine frühere parteifeindliche Betätigung überwunden habe und an sich arbeite.366 In Sachsen-Anhalt machte man derweil Siewert und besonders seine KPO-Vergangenheit für die angeblich mangelhafte soziale und politische Zusammensetzung des Innenministeriums verantwortlich. Dennoch registrierten die Prüfer, dass sich der Arbeiteranteil auch im Innenministerium erhöht hatte. Diese Arbeiter seien – bildlich gesprochen – „die Hechte im Karpfenteich, die so manchen alten mit Moos bewachsenen Karpfen aufgescheucht oder angeknabbert“ hätten – und der Karpfenteich habe sich erfreulicherweise noch nicht beruhigt. Die Kommission war der Ansicht, dass Paul Albrecht nicht mehr stellvertretender Innenminister bleiben könne. Obwohl er seit 1929 in der Arbeiterbewegung stehe, habe er während der NS-Herrschaft seine Ge363 POUM = Partido Obrero de Unificación Marxista (Arbeiterpartei der marxistischen Vereinigung), revolutionäre sozialistische Gruppe unter der Führung von Joaquín Maurín und Andrés Nin, wurde zu Unrecht des Trotzkismus verdächtigt und war vor allem in Katalonien verwurzelt. Die Stalinisten unterstellten der POUM während des Spanischen Bürgerkrieges, Komplizen Francos zu sein und verfolgten ihre Funktionäre und Mitglieder. Im Mai 1937 eröffneten Polizeieinheiten, die den Kommunisten unterstanden, in Barcelona den Angriff auf die POUM und die Anarchisten. Im Juni 1937 wurde die Parteiführung der POUM verhaftet. Andrés Nin kam unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben. Der Schauprozess gegen sieben Mitglieder des Exekutivkomitees, der Parteizeitung und des ZK der POUM endete im Oktober 1938 mit hohen Freiheitsstrafen, obwohl die Vorwürfe der Anklage (Spionage und Hochverrat) nicht bewiesen, sondern von zahlreichen Entlastungszeugen widerlegt wurden. Vgl. Tosstorff, „Ein Moskauer Prozess in Barcelona“, S. 193–216. 364 Zit. nach Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 476. 365 Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 304. 366 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1613, Bl. 89 f. 367 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/84, Bl. 376 f., 379 f.).

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sinnung verraten und lasse sich bei schwierigen Entscheidungen möglicherweise von seiner Vergangenheit beeinflussen.367 Hintergrund dieser Vorwürfe war Albrechts Verhalten im Jahre 1938, als er sich in einem Sorgerechtsstreit an das Amtsgericht Berlin gewandt hatte. Um einen politisch zuverlässigen Eindruck zu erwecken und den angeblich verderblichen Einfluss seiner geschiedenen Frau zu belegen, wies Albrecht das Gericht darauf hin, dass seine Frau „einige Zeit mit einem arbeitsscheuen Juden“ zusammengelebt habe und noch immer mit früheren kommunistischen Freunden verkehre. Sein Sohn sei erst nach mehrfacher Aufforderung Mitglied der HJ geworden. Auch habe er sich schon mehrfach dazu veranlasst gesehen, „gegen falsche Auffassungen des Jungen, vornehmlich in der Judenfrage, sehr energisch Stellung zu nehmen“. Diese Vorgänge wurden bereits im Sommer 1946 durch Albrechts geschiedene Frau bekannt, worauf das SED-Zentralsekretariat den SED-Landesvorstand aufforderte, „den Genossen Albrecht wegen seines Verhaltens im Jahre 1938 zur Verantwortung zu ziehen“. Albrecht sollte 1947 zwar „zu gegebener Zeit“ als Landrat von Genthin abgesetzt werden, konnte seine Position im November 1949 aber durch den Wechsel ins Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt weiter verbessern.368 Dort holte ihn seine Vergangenheit 1½ Jahre später endgültig ein: Die Landeskommission erwog im Juni 1951, Albrecht aufgrund seines Verhaltens im Dritten Reich aus der Partei auszuschließen. Bernard Koenen plädierte für ein scharfes Vorgehen und verlangte, Albrecht nach Rücksprache mit Innenminister Hegen sofort seiner Funktion zu entheben. Während der Landeskommissionssitzung vom 25. Juli 1951 bezeichnete Koenen Albrechts Parteiausschluss als einzige in Frage kommende Möglichkeit, der auch die Landeskommission zustimmte. Als Begründung führte die Landeskommission an, Albrecht habe „während der Nazizeit eine ganz schlechte Haltung an den Tag gelegt“, die angesichts seiner Vergangenheit als RGO-Funktionär umso unerklärlicher sei.369 Albrechts Tätigkeit im Innenministerium endete im August 1951. Er verfiel in Depressionen, unter deren Einfluss sich seine seit längerer Zeit bestehende Lungentuberkulose weiter verschlechterte. Da er zwischen 1921 und 1927 Mitglied der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)“ (FAUD(S))370 und Funktionär der anarchistischen Jugendbewegung gewesen war, führte 368 Kaderakte Paul Albrecht (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/15, Bl. 2–5, 8–10, 16 f., 25, 28, 38); Personalakte Paul Albrecht (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA A 83, Bl. 73, 76). 369 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 308, 313, 344, 357 f.). 370 Die FAUD(S) wurde auf einer Konferenz, die vom 27. bis 30.12.1919 in Berlin stattfand, gegründet. Sie lehnte die Zusammenfassung der Arbeiter in sozialistischen Parteien ab und verwarf jede Form von Zentralisation und staatlicher Organisation. Die Arbeiter sollten sich statt dessen in selbstverwalteten, nach Berufen gegliederten revolutionären Gewerkschaften und in so genannten „Arbeiterbörsen“ – lokalen Zusammenschlüssen der einzelnen Gewerkschaften – organisieren. Deren Aufgabe sollte es sein, nach der Revolution planwirtschaftliche Maßnahmen und Verwaltungsaufga-

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Albrecht diese anarcho-syndikalistische Vergangenheit als offizielle Erklärung für sein profaschistisches Verhalten im Jahre 1938 an.371 Albrecht teilte dem SED-Landessekretariat dazu im März 1952 mit: „Die letzte Ursache, warum ich damals [...] in kleinbürgerlicher Weise nationalistische Argumente anführte, sehe ich in der Zersetzung meines proletarischen Klassenbewusstseins durch den kleinbürgerlichen Anarchismus. Daraus erklärte sich sowohl mein Zurückweichen vor dem Klassenfeind aus Furcht vor den Quälereien bei einer dritten Verhaftung, wie mein schwerwiegender Fehler in der jüdischen Frage. Der Anarchismus, diese typisch kleinbürgerlich-reaktionäre Bewegung, war und ist ja der Verbündete des Monopolkapitalismus, dem er in allen Fragen des proletarischen Klassenkampfes Hilfsdienste leistet, indem er vor allem den Glauben an die Kraft der Arbeiterklasse zerstört und durch die Verbreitung kosmopolitischer Tendenzen die nationale Unterdrückungspolitik des Imperialismus unterstützt. [...] Ich bitte, mir die Möglichkeit der Mitarbeit in den Massenorganisationen zu geben, sobald es mein Gesundheitszustand gestattet. Ich will durch die Arbeit [...] die Voraussetzungen schaffen, dass ich wieder Mitglied der SED werden kann.“372

Gegen Mitarbeiter, die sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden hatten, ging das Innenministerium in der zweiten Hälfte des Jahres 1951 noch rigoroser als früher vor: Bis zum 31. Dezember 1951 wurden 48 Mitarbeiter entlassen, obwohl die meisten von ihnen nur wenige Wochen in Kriegsgefangenschaft gewesen waren. Es handelte sich fast ausschließlich um SED-Mitglieder, unter ihnen mehrere Oberreferenten und Referenten sowie der BGL-Vorsitzende Werner Augustin.373 Viele der aus politischen Gründen entlassenen Mitarbeiter konnten nur sehr langsam wieder Fuß fassen und mussten sich zunächst in unbedeutenden Funktionen bewähren. Paul Albrecht etwa wurde im April 1952 Mitglied des DSF-Stadtbezirksvorstandes IV in Halle, zwei Jahre später Mitarbeiter des FDGB-Bezirksvorstandes.374 Auch dem zum 1. Kreissekretär von Bitterfeld degradierten stellvertretenden Personalchef Otto Kipp erwuchsen noch mehrere Jahre nach der Entfernung aus dem Ministerium politische Schwierigkeiten aufgrund seiner ungeklärten Vergangenheit und Tätigkeit als stellvertretender Personalleiter: Nach dem 17. Juni 1953 wurde Kipp, dem man vorwarf, „vor den Provokateuren kapituliert“ zu haben, wegen parteischädigenden Verhaltens seiner Funktion enthoben und aus der SED-Bezirksleitung Halle entfernt. Die Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) und ZPKK erhielten den Auftrag, Kipps gesamte politische Tätigkeit nach 1945 zu überprüfen. Alle noch

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ben durchzuführen. Verstaatlichungen lehnte die FAUD(S) als „Staatskapitalismus“ und damit „schlimmste Form der Ausbeutung“ ab. Voraussetzung einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaftsordnung sei die „radikale Beseitigung jeder politischen Macht“, d. h. das Ende der Beherrschung des Menschen durch den Menschen. Vgl. Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus, S. 153–167, 363–367. Kaderakte Paul Albrecht (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/15, Bl. 22 f., 45 f., 49 f., 54 f.); Personalakte Paul Albrecht (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA A 83, Bl. 78, 81, 85 f.). Kaderakte Paul Albrecht (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/15, Bl. 46). Verschiedene Personalangelegenheiten 1948–1951 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 239, Bl. 56–59, 67 f.). Kaderakte Paul Albrecht (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/15, Bl. 49).

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ungeklärten Fragen, die seine Emigration und Inhaftierung durch den amerikanischen CIC betrafen, wurden zur weiteren Bearbeitung an die ZPKK übergeben. Im Hinblick auf Kipps frühere Tätigkeit im Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt hieß es, Kipp habe damals „nichts Ernstliches unternommen, um die Landesregierung von unsauberen und politisch unzuverlässigen Menschen zu säubern und die dort bestehende Konzentration ehemaliger Anhänger von Splittergruppen (KPO) zu zerschlagen“.375 Robert Siewert sah sich im DDR-Bauministerium ebenfalls weiteren Angriffen ausgesetzt: So gab es anlässlich der „Reorganisation des Ministeriums“ im Dezember 1952 Pläne, Siewert von seinem Posten zu entfernen, da er sich „durch völlig sporadische und unorganisierte Arbeit“ auszeichne. 1966 stellte die Hauptabteilung XVIII des MfS fest, Siewert sei zeitweise „als Auskunftsperson oder zur Abdeckung op[erativer] Maßnahmen genutzt“ worden. Dennoch war Siewerts Ernennung zum Kaderleiter des Ministeriums 1958 wegen seiner KPO-Vergangenheit abgelehnt worden.376

4.4.3 Ministerium für Land- und Forstwirtschaft Als einziger prominenter Häftling des KZ Buchenwald stand nach Ernst Thapes Flucht und Robert Siewerts Entlassung nur noch Landwirtschaftsminister Ernst Brandt an der Spitze eines Ministeriums der Landesregierung SachsenAnhalt. Doch auch gegen Brandt begann sich Mitte 1950 aufgrund seiner ungeklärten politischen Vergangenheit etwas zusammenzubrauen. Er war bereits im Juli 1945 wegen angeblicher Kontakte zur Gestapo ins Visier einer Untersuchung geraten, im April 1946 verhaftet, kurz darauf aber entlassen und rehabilitiert worden. Seine Ernennung zum Minister hatte Brandt im Juli 1948 vor allem dem Umstand zu verdanken gehabt, dass man ihn wegen der unterschwellig weiter bestehenden Vorwürfe von der Parteiarbeit abzog und in den Staatsapparat versetzte. Als das Landessekretariat am 6. Juli 1950 beschloss, dass Brandt „dem Vorschlag der Ärztekommission entsprechend [...] sofort in Urlaub“ zu gehen habe, musste dies als untrügliches Zeichen seiner bevorstehenden Ablösung interpretiert werden.377 1950 sollten weitere Gründe für Brandts Entmachtung gefunden werden, indem man ihm u. a. Verstöße gegen die Verordnung vom 15. Juni 1949 über die Bildung volkseigener Güter zur Last legte, in der es hieß, dass bereits an Neubauern aufgeteilte Ländereien nicht in Volkseigentum überführt werden dürften. Hintergrund der Vorwürfe war die Tatsache, dass 1950 3 985 Neubauern 375 Kaderakte Otto Kipp (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/560, Bl. 99–101, unpaginiert; Sekretariatsvorlage der BPKK vom 10.10.1953). 376 BStU, MfS-AP 1672/66, Bl. 19, 22; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 1613, Bl. 42 f. 377 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/15, Bl. 168, 174); SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/4/285, Bl. 110; Schmidt, Zwangsvereinigung, S. 105 f.

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in Sachsen-Anhalt ihr Land aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, schlechter Wohn- und Lebensverhältnisse etc. wieder in den Bodenfonds zurückgaben. 25 Prozent der aufgegebenen Neubauernstellen fanden keinen neuen Besitzer, sondern es wurden stattdessen 1756 Hektar Land in Volkseigentum überführt. Brandt sah sich somit dem Vorwurf der Kollektivierung ausgesetzt, die man ansonsten als sozialistische Errungenschaft der Sowjetunion pries. Ein Bericht des Staatssicherheitsdienstes enthielt zudem den Vorwurf, Brandt habe im Jahre 1950 durch die mehrmalige Verschiebung einer Sitzung der Landesbodenkommission deren Arbeit sabotiert, so dass „zu übergroßer Rückgabe von Neubauernsiedlungen nicht Stellung genommen werden konnte“. Man habe das Sekretariat der Landesbodenkommission und die Unterabteilung Agrar- und Bauernpolitik im Landwirtschaftsministerium personell zu schwach besetzt, obwohl dies Brandt bekannt gewesen sei.378 Im August 1950 wurde die Geschichte von Brandts angeblicher Spitzeltätigkeit für die Gestapo erneut ausgegraben: Mit der Begründung, er sei „während der Hitlerzeit Gestapo-Beauftragter“ gewesen, wurde Brandt auf Walter Ulbrichts Anweisung von der Liste der Volkskammerkandidaten gestrichen. Mitte Oktober 1950 erörterten Ulbricht und Bernard Koenen die Besetzung des Landwirtschaftsminiteriums von Sachsen-Anhalt, wobei Ulbricht darauf hinwies, dass die ZPKK Brandt als Minister halten wolle. Die gegen Brandt vorgebrachten Einwände müssten schnellstens beim ZK geklärt werden. Anfang November 1950 wandte sich die SED-Landesleitung wegen der bevorstehenden Regierungsbildung an die ZPKK und bat um baldige Entscheidung. Ulbricht und Pieck nahmen unabhängig voneinander Stellung und kamen im Hinblick auf Brandts Vergangenheit zu konträren Einschätzungen: Walter Bartel vom Buchenwaldkomitee der VVN, der in Piecks Büro tätig war, äußerte sich in einer an das SED-Landessekretariat und die ZPKK gerichteten Stellungnahme über die in Buchenwald vereinbarten Verhaltensregeln für die Unterzeichnung von Verpflichtungserklärungen der Gestapo. In Bezug auf Brandt konnte Bartel kein Fehlverhalten feststellen, denn es war gestattet, allgemein gehaltene Erklärungen zu unterschreiben, in denen der entlassene Häftling jeder staatsfeindlichen Betätigung abschwor, sich zur Meldung von Widerstandskämpfern und zur Ablieferung antifaschistischer Schriften verpflichtete, ohne diesen Vereinbarungen später Folge zu leisten. Verboten war hingegen die Unterzeichnung von Erklärungen, die „eine Verpflichtung zur direkten Agententätigkeit“ darstellten. Darunter verstand man die Erfüllung konkreter Aufträge, Verbindung mit Gestapo-Agenten und regelmäßige Abfassung von Informantenberichten.379 Ganz im Gegensatz zu Bartels entlastenden Aussagen ließ Walter Ulbricht

378 BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 1. Band, Bl. 186, 191; 3. Band, Bl. 140 f., 190–193, 200–202; 5. Band, Bl. 160–166, 235 f., 273 f.; Niethammer (Hg.), Der „gesäuberte“ Antifaschismus, S. 87 f., 405 f., 495. 379 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/285, Bl. 101, 104–107, 111; Kaderakte Ernst Brandt (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/138, unpaginiert; Schreiben von Walter Bartel

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ZPKK-Chef Hermann Matern zwei Tage später folgende streng vertrauliche Auskunft „zur beschleunigten Erledigung“ zukommen: „In seiner praktischen Tätigkeit stützt er [Brandt, F. H.] sich nicht auf die aktiven Mitglieder der SED, sondern auf frühere Sozialdemokraten. Sich mit Speichelleckern und zweifelhaften Leuten umgebend, ließ Brandt eine Verunreinigung des Apparates des Ministeriums mit Personen zu, die kein politisches Vertrauen einflößen. [...] Nach den bei uns vorhandenen geprüften Materialien wurde Brandt, als er sich 1943 im Lager Buchenwald befand, als Gestapoagent angeworben, worauf er eine schriftliche Verpflichtung abgab. Im Zusammenhang damit, dass Brandt von den Häftlingen der Zusammenarbeit mit der Gestapo verdächtigt wurde, wurde er 1944 auf Anweisung der Hauptverwaltung für Staatssicherheit Deutschlands ‚verhaftet‘ und in ein anderes Konzentrationslager [Neuengamme, F. H.] gebracht, wo er auch als Agent der Gestapo zur Arbeit in den Reihen der Kommunisten verwendet wurde.“380

Brandt wurde am 18. November 1950 von der ZPKK befragt und verstrickte sich in Widersprüche. Ein Untersuchungsbericht endete mit dem etwas zwiespältigen Ergebnis, dass man Brandt zwar „unzulässiges Verhalten“, aber keinen Verrat vorwerfen könne. Es sei dennoch nicht ratsam, ihn in seiner Funktion als Minister zu belassen. Ob diese Untersuchung nach Ulbrichts bereits erfolgter Intervention überhaupt noch zur Klärung der Wahrheit beitragen sollte, darf bezweifelt werden. Brandt wurde noch Ende November 1950 abgelöst und durch Willi Maikath ersetzt. Brandt blieb bis April 1951 ohne Beschäftigung und Parteifunktionen, erhielt keine finanzielle Unterstützung durch die Partei und nutzte die Zeit, „um Unregelmäßigkeiten und unaufgeklärte Angelegenheiten [...] zu klären“.381 Während der Parteiüberprüfung entschied die Landessonderkommission trotz anhaltender Vorwürfe, dass man Brandt sein Mitgliedsbuch aushändigen solle. Die Kommission unterstellte ihm zwar nicht, die gegenüber der Gestapo eingegangenen Verpflichtungen eingehalten zu haben, behauptete aber dennoch, er habe „eine ununterbrochene Kette von Fehlern“ begangen. Auch wenn die ZPKK zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Verhaftung einer kommunistischen Widerstandsgruppe um Martin Schwantes nicht von Brandt verursacht worden sei, hätte Brandt keinen Kontakt zu dem später hingerichteten Schwantes aufnehmen dürfen, ohne ihn darüber zu informieren, „dass ihn die Gestapo nur als Lockvogel herumlaufen liess“. Wenn sich Brandt nicht von seinen Fehlern frei mache, erfolge unweigerlich der Parteiausschluss. Das MfS ersuchte das Politbüro nach Rücksprache mit sowjetischen Beratern im Juni 1951 um eine Entscheidung und schlug vor, den mittlerweile zum Kulturdirektor im VEB Dampfkesselbau Hohenthurm degradierten Brandt festzunehmen und eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. Brandt habe gegen das Bodenreformgesetz an die Landesleitung der SED Sachsen-Anhalt vom 7.11.1950); BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 5. Band, Bl. 158 f., 273. 380 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/285, Bl. 102 f. 381 Ebd., Bl. 112 f., 116 f.; Kaderakte Willi Maikath (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/716, Bl. 7 f., 16, unpaginiert; Fragebogen vom 14. 2.1960); BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 5. Band, Bl. 159.

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verstoßen, „indem er Zersetzungsarbeit leistete“ und die auf Kollektivierungen in der DDR-Landwirtschaft hinweisende gegnerische Propaganda förderte. Der Tatbestand der Sabotage sei durch die mehrfache Verschiebung einer Sitzung der Landesbodenkommission erfüllt. Ein weiterer Vorwurf lautete, Brandt habe westdeutschen Besuchern die Besichtigung volkseigener Güter ermöglicht und dadurch „westliche Agenten in der Erfüllung von Spionageaufträgen unterstützt“. Brandt wurde am 27. Juni 1951 vernommen und mit Zustimmung sowjetischer Berater verhaftet. Die Vernehmer warfen ihm vor, während seiner Tätigkeit als Minister gegen Gesetze verstoßen zu haben, vor allem im Hinblick auf die Bodenreform, Behandlung der Neubauern und Wiederaufforstung von Kahlschlägen. Da der Vorwurf politischer Fehlentscheidungen im November 1951 zum überwiegenden Teil „als nicht ausreichend [...] für strafrechtliche Maßnahmen gegen Brandt“ erachtet wurde, sollten auf Vorschlag von Abteilung IX der Berliner MfS-Zentrale weitere Ermittlungen darüber angestellt werden, ob Brandt die Partei rechtzeitig darüber informiert hatte, „dass er zweimal eine Erklärung bei der Gestapo unterschrieben hat“. Dazu kam es jedoch nicht mehr: Die MfS-Landesverwaltung Sachsen-Anhalt hatte sich bereits am 11. September 1951 an das MfS in Berlin gewandt und um Entscheidung darüber gebeten, ob ein Prozess stattfinden solle. Zur Begründung hieß es, dass die SED-Landesleitung aufgrund mangelhafter Kontrolle ebenfalls teilweise Schuld an den „Vorkommnissen“ trage. Da man eine Ausweitung der Ermittlungen auf die SED-Landesleitung offenbar nicht wünschte, wurde Brandt am 19. November 1951 ohne Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Verfahren gegen vier weitere Beschuldigte wurde ebenfalls eingestellt. Für zwei Abteilungsleiter des Landwirtschaftsministeriums endete die Angelegenheit dagegen im Juni 1952 mit Verurteilungen zu jeweils sechs Jahren Zuchthaus. In den folgenden Jahren war Brandt u. a. als Werkleiter der Maschinenfabrik Halle tätig und wurde mit politisch bedeutungslosen Aufgaben betraut. Im Mai 1956 stellte die Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) abschließend fest, dass er keinen Verrat an Schwantes und seinen Genossen geübt habe. Eine vollständige Rehabilitierung – sofern man sie überhaupt in Erwägung gezogen hatte – kam für Brandt zu spät. Er verstarb noch im selben Jahr.382 Brandts Nachfolger Willi Maikath – ursprünglich stellvertretender Landrat in Salzwedel und seit Juli 1950 für die Abteilung Statistik und Planung des Landwirtschaftsministeriums vorgesehen383 – gelangte ins Amt, ohne eine kommunistische Musterbiographie vorweisen zu können: Er hatte zwischen 1926 und 382 Kaderakte Ernst Brandt (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/138, unpaginiert; Schreiben der BPKK Halle vom 26. 5.1956; Lebenslauf; Ergänzung zum Lebenslauf; Beschluss der Landessonderkommission); BStU, MfS BV Halle, AU 473/51, 5. Band, Bl. 54, 70, 160–178, 235 f., 270–274, 303–307, 325, 335 f.; MfS-AS 297/61, 1. Band, Bl. 6; Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/5/82, Bl. 397, 399). 383 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 168, 171).

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1933 der SPD angehört und sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als Kleinbauer und Händler betätigt. Während des Krieges stellte er in Kämpfen gegen die Rote Armee seine besondere Tapferkeit unter Beweis, wofür er mit dem EK I und II, dem Panzerkampfabzeichen und der Nahkampfspange ausgezeichnet wurde. Nach Deutschland zurückgekehrt, trat Maikath im Juli 1945 der KPD bei. 1946 absolvierte er die Landesparteischule, 1948 einen Lehrgang an der Deutschen Verwaltungsakademie „Walter Ulbricht“. Trotz dieser recht fragwürdigen Biographie fasste das Politbüro im Dezember 1950 den Beschluss, Maikath zum Minister für Land- und Forstwirtschaft zu ernennen und bestätigte ihn im Januar 1951.384 Doch bereits nach relativ kurzer Amtszeit deuteten sich erste Schwierigkeiten an, als die Landessonderkommission im Mai 1951 feststellte, dass es im Landwirtschaftsministerium „ein Durcheinander von Kräften, die das Ministerium uneinheitlich leiten“, gebe. Maikath bearbeite zu viel allein und vernachlässige die eigentlich entscheidende Aufgabe, nämlich die „Schaffung eines einheitlichen und zuverlässigen Kaders der führenden Kräfte im Ministerium“. Die Landeskommission fasste im August 1951 zwar den Beschluss, Maikath sein neues Parteibuch auszuhändigen, sprach ihm jedoch „aufgrund seines Verhaltens in der Vergangenheit [...] die Qualifikation für die Funktion eines Ministers“ ab. Über seine Abberufung werde das Sekretariat entscheiden.385 Als Anlass für Maikaths Entlassung diente schließlich die dilettantische Durchführung eines Schauprozesses, der im Dezember 1951 gegen einen Bauern aus dem Dorf Dähre im Kreis Salzwedel veranstaltet wurde. In Absprache mit dem Ministerrat, der Justiz und Kreisverwaltung Salzwedel war im Vorfeld u. a. Maikath für die Organisation des Prozesses zuständig gewesen, in dem ein Bauer wegen Nichterfüllung des Ablieferungssolls und Sabotage der Versorgung angeklagt werden sollte. Maikath versäumte es jedoch, für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Der Prozess gegen den Bauern, dem außer einer Verurteilung wegen Schwarzschlachtung und zu geringer Ablieferungen von Milch im Jahre 1950 nichts nachgewiesen werden konnte, fand noch am Tag seiner Festnahme statt und verlief ganz anders, als es sich die SED-Landesleitung vorgestellt hatte: Mehrere Sachverständige entlasteten den Angeklagten. Die örtliche Schadenkommission verwies auf naturbedingte Beeinträchtigungen als Ursache für gesunkene Erträge. Als der Angeklagte dennoch zu einer Gefängnisstrafe von 1½ Jahren und 1 000 Mark Geldstrafe verurteilt wurde, ergriffen die aufgebrachten Zuhörer den Staatsanwalt und einen Polizisten und forderten die Freilassung des Bauern. Um nicht von der wütenden Menge gelyncht zu werden (es waren Rufe zu hören wie „Schlagt sie tot, gebt das Messer her, Kommunistenschweine!“), ließen die bedrohten Polizisten den Verurteilten wieder 384 Kaderakte Willi Maikath (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/716, Bl. 7 f., 16). 385 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/84, Bl. 383, 386); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/5/82, Bl. 359, 361).

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frei. Drei Tage später fasste das SED-Landessekretariat den Beschluss, Maikath „für sein politisch leichtfertiges Verhalten in Salzwedel zur Verantwortung“ zu ziehen.386 In einem weiteren Sekretariatsbeschluss hieß es am 28. Dezember 1951: „Der Genosse Maikath, Minister für Land- und Forstwirtschaft, erhält eine Rüge und ist in der Perspektive aus seiner Funktion zurückzuziehen. Die Arbeit des Genossen Maikath zeigt, dass er noch nicht die Qualifikation für seine Funktion als Minister besitzt. Dadurch unterlaufen ihm bei selbständigen politischen Entscheidungen Fehler und hindern ihn, die notwendigen Maßnahmen richtig durchzuführen. Obwohl er selbst [...] den Prozess in Dähre festlegte, traf er keine Maßnahmen zur ordnungsgemäßen Durchführung und kümmerte sich nicht um die Vorbereitung des Prozesses. Es wird ihm Gelegenheit gegeben, durch entsprechende Funktionen und Schulbesuch sich politisch und fachlich zu qualifizieren.“387

Das Strafgericht des SED-Landessekretariats nach dem katastrophalen Scheitern des Schauprozesses von Dähre beendete auch die Karriere von Generalstaatsanwalt Werner Fischl: Das Landessekretariat verfügte Fischls Entlassung, da „seine bisherige Arbeitsweise eine genügende Verantwortlichkeit vermissen ließ“. Fischl habe die ihm übertragenen Maßnahmen an dritte delegiert und sich ungenügend um die Durchführung der Maßnahmen gekümmert. Der am Schauprozess von Dähre beteiligte Staatsanwalt erhielt eine Rüge und wurde zu einer anderen Oberstaatsanwaltschaft versetzt, weil er erst zu Beginn des Prozesses erschienen und unvorbereitet in die Verhandlung gegangen war.388 Die Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt beendete Maikaths Tätigkeit als Landwirtschaftsminister im Juli 1952 und leitete seinen weiteren beruflichen und politischen Abstieg ein. Er wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Magdeburg ernannt, aber bereits im Oktober 1952 als „kleinbürgerlich und sozialdemokratisch“ belastet eingeschätzt. Im Mai 1953 sprach die Bezirksparteikontrollkommission Magdeburg eine erneute Rüge gegen Maikath aus, verbunden mit dem Abzug aus seiner Funktion. Im Dezember 1953 bestätigte die ZPKK die Parteistrafe gegen Maikath, der inzwischen zum Mitarbeiter des VdgB-Bezirksvorstandes Magdeburg degradiert worden war. Die ZPKK legte außerdem fest, dass Maikath keine leitenden Funktionen mehr bekleiden dürfe. Es sei falsch gewesen, ihn zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Bezirkes zu ernennen, da seine „Unfähigkeit bereits bekannt“ gewesen sei.389 Werner Fischls tiefer Fall war ebenfalls nicht mehr aufzuhalten und zog im September 1952 seine Degradierung zum Leiter der Rechtsstelle der Stadt Halle nach sich. Zuvor hatte Fischl in Berlin mehrfach gegen die in der DDR be386 Sekretariat-Protokolle 20.12.–28.12.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/53, Bl. 119, 121, 124–130). 387 Ebd., Bl. 174. 388 Ebd. 389 Kaderakte Willi Maikath (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/716, unpaginiert; Einschätzung des Genossen Willi Maikath vom 20.10.1952; Meldung des „Telegraf“ Nr. 111 vom 14. 5.1953; Schreiben der ZPKK vom 16. 2.1954; Fragebogen vom 14. 2.1960).

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stehende Rechtsunsicherheit interveniert und sich besonders gegen Verhaftungen ausgesprochen, die vom MfS ohne vorherige Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden. Fischl zog sich dadurch die Gegnerschaft von Ernst Melsheimer (Generalstaatsanwalt der DDR) und Hilde Benjamin (Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR) zu. Zusätzlich verdächtig machte er sich dadurch, dass er Beziehungen zu einer im Westen lebenden Frau unterhielt, von der er sich trotz ausdrücklicher Aufforderung nicht trennen wollte. Im Januar 1955 floh Fischl in die Bundesrepublik.390

4.4.4 Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft Durch die Verdrängung bürgerlicher Kräfte erhöhte sich zwischen 1948 und 1950 auch im Volksbildungsministerium der Anteil der SED-Mitglieder. Im Frühjahr 1951 gehörten 87 von 131 Mitarbeitern, d. h. 66 Prozent, der SED an.391 Die unterschiedliche ideologische Orientierung leitender Mitarbeiter und Ludwig Einickes Funktion als „graue Eminenz“ hinter Minister Richard Schallock verursachten im Ministerium zeitweise chaotische Zustände. In einer Sekretariatsvorlage der Abteilung Kultur und Erziehung hieß es dazu im April 1951: „Nach dem Weggang des Agenten Thape und einiger seiner engsten Mitarbeiter (Karl Linke u. a.), musste das Steuer in der Leitung des Ministeriums vollkommen herumgerissen werden. Durch die doppelte Besetzung – Gen[osse] Schallock als Minister, Gen[osse] Einicke als sein Stellvertreter – kam aber ein einheitlicher neuer Kurs nicht zustande. Im Gegenteil: Die Zersplitterung in der Leitung des Ministeriums bewirkte eine Uneinheitlichkeit in der gesamten Arbeit. In der Schulabteilung (Leitung Gen[osse] Elchlepp) wurde linksradikal gearbeitet. In der Abt[eilung] Kunst und Literatur (Leitung Herr Schwarze, LDP) herrschten Opportunismus und Schlendrian. Die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen [...] war schlecht. Klatsch und Zuträgerei nahmen überhand. Der Kampf gegen Bürokratismus und Schematismus und zur Entwicklung kollektiver und operativer Arbeitsmethoden wurde unter diesen Verhältnissen nicht erfolgreich geführt.“392

Der in der Vorlage erwähnte Leiter der Schulabteilung Dr. Friedrich Elchlepp gehörte zu den prominentesten Opfern der um sich greifenden Säuberungen: Ursprünglich aus der SPD kommend, war er im Juli 1945 der KPD beigetreten und nach kurzer Tätigkeit als Leiter der Schulabteilung in der Provinzialregierung zum Kurator der Martin-Luther-Universität ernannt worden. Als er dieses Amt im Dezember 1948 aufgeben musste, kehrte er auf seinen früheren Posten im Volksbildungsministerium zurück. Doch bereits im Juli 1950 wurde Elchlepp als Leiter der Schulabteilung „beurlaubt“, da er „den erhöhten Anfor390 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 3. Band, Bl. 72; 4. Band, Bl. 159; MfS BV Halle, AP 1034/56, Bl. 62, 65; Kos, Politische Justiz in der DDR, S. 424. 391 Sekretariat-Protokolle 13. 3.–12. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/33, Bl. 50). 392 Ebd., Bl. 50 f.

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derungen, die an den Hauptabteilungsleiter der Schulabteilung gestellt werden, nicht mehr gewachsen“ sei. Elchlepp wurde als Lehrer an die Käthe-KollwitzSchule nach Merseburg delegiert, bis man ihn drei Wochen später unter dem unzutreffenden Vorwurf der Veruntreuung verhaftete. Obwohl Elchlepp am 24. März 1951 aus der Haft entlassen wurde, verweigerte ihm das Volksbildungsministerium seine Wiedereinstellung, die einer Rehabilitierung gleichgekommen wäre.393 Die Ablösung des erkrankten Volksbildungsministers Richard Schallock war bereits Ende 1950 festgelegt worden. Schallock sollte sein Amt nur noch bis zur Bestimmung eines geeigneten Nachfolgers ausüben und dann aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten. Eine bedeutende Rolle bei Schallocks Rücktritt spielte jedoch auch der Vorwurf, sich aufgrund „geringer theoretischer Vorbildung“ nicht für das Amt des Volksbildungsministers zu eignen. Wie es in Schallocks Kaderakte hieß, habe er zu Beginn seiner Tätigkeit noch versucht, „einen neuen Geist in das Volksbildungsministerium Sachsen-Anhalt hineinzutragen“, doch schon bald darauf kapituliert, da es ihm „an der nötigen politischen Klarheit und Stärke“ fehlte. Als Nachfolgerin des am 31. Mai 1951 zurücktretenden Schallock schlug die Kulturabteilung des ZK bereits im Dezember 1950 Else Menzel vor, eine Mitarbeiterin aus dem Sektor Vorschulische Erziehung der ZK-Kulturabteilung.394 Als aussichtsreichsten Bewerber um das Amt des Volksbildungsministers betrachtete das Landessekretariat zunächst nicht die vom ZK vorgeschlagene Else Menzel, sondern Heinz Reinbothe aus Köthen, der vor 1933 Mitglied der „Roten Falken“ gewesen war und sich zwischen 1946 und 1950 vom Neulehrer bis zum Schulleiter und „Verdienten Lehrer des Volkes“ hochgearbeitet hatte. Von einer Berufung wurde jedoch abgesehen, da Reinbothe kurz nach Kriegsende Mitglied der Köthener SAP gewesen war. Die noch unter amerikanischer Besatzung gegründete Köthener SAP hatte in programmatischer Hinsicht zwar nichts mit der SAP vor 1933 zu tun gehabt, doch die Namensgleichheit genügte offenbar, um Reinbothe als Kandidaten zu disqualifizieren. Bezeichnenderweise erledigte sich seine Kandidatur zu einem Zeitpunkt, als die Landeskommission bei der Überprüfung der Kreisleitung Köthen glaubte, auf eine Konzentration früherer SAP-Mitglieder gestoßen zu sein. In einem Mitte April 1951 angefertigten Kommissionsbericht wurde auch Reinbothe namentlich erwähnt.395 Die Wahl fiel schließlich auf die vom ZK favorisierte Else Menzel, die auf einer Vorschlagsliste des Landessekretariats Ende März 1951 noch an dritter Stel393 Personalakte Dr. Friedrich Elchlepp (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA E 89, Bl. 1, 5, 10, 12 f., 19 f., 50, 52–63). 394 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 721, Bl. 2–4, 58; Kaderakte Willi Maikath (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/716, Bl. 7 f., Vorlage für das Politbüro zur Besetzung von Ministerfunktionen der Landesregierung Sachsen-Anhalt vom 1.12.1950). 395 Sekretariat-Protokolle 13. 3.–12. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/33 Bl. 14); Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 69, 75, 136); Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/81, Bl. 148–150, 152).

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le hinter Reinbothe und einem weiteren Kandidaten genannt worden war. Im Juni 1951 bestätigte das Politbüro Menzels Ernennung zur Volksbildungministerin, worauf sie ihr Amt im Dezember 1951 offiziell antrat.396 Menzels Ernennung zur Volksbildungsministerin war umso überraschender, da sie im Vergleich zu ihrem Mitbewerber Reinbothe über eine weit geringere fachliche Eignung verfügte: Sie hatte lediglich die Volksschule und ein Seminar für Kindergärtnerinnen absolviert, anschließend in ihrem erlernten Beruf und als Fürsorgerin gearbeitet. Zwischen 1936 und 1945 war Else Menzel überhaupt nicht berufstätig gewesen. Im Gegensatz zu Reinbothe schien Else Menzel aber aufgrund ihres politischen Werdegangs eine bessere Gewähr für absolute politische Zuverlässigkeit zu bieten: Sie hatte 1946 eine Antifa-Schule der Roten Armee besucht, 1946/47 in der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge gearbeitet, 1948/49 die Parteihochschule besucht und war bis August 1949 im Volksbildungsministerium Sachsen-Anhalt als Referentin für vorschulische Erziehung tätig gewesen. Weitere Stationen ihrer Karriere waren 1950 – obwohl sie nie unterrichtet hatte – die Verleihung des Titels „Verdiente Lehrerin des Volkes“ und die Ernennung zur Referentin in der Kulturabteilung des ZK.397 Else Menzels Ernennung zur Volksbildungsministerin folgte somit derselben Tendenz, die sich (abgesehen vom Innenministerium) zwischen 1948 und 1951 in allen übrigen von der SED geführten Ministerien des Landes zeigte: Verdiente Veteranen der Arbeiterbewegung wurden durch jüngere, fachlich fragwürdige und politisch unerfahrene Nachfolger ersetzt. Die Schwächung des Staatsapparats erfolgte im Interesse seiner völligen Beherrschung durch die Partei.

4.5

Post, Reichsbahn, Chemiebetriebe

Neben Institutionen des Partei- und Staatsapparates betrafen die Überprüfungen der LPKK auch Einrichtungen und Betriebe, von deren Funktionieren das Überleben des Landes in Kriegs- und Krisenzeiten abhing. Dies galt vor allem für Dienstleistungsbetriebe wie Bahn und Post sowie für Sachsen-Anhalts bedeutende Chemie-Industrie. Wie die Untersuchungsergebnisse der Anfang 1950 überprüften Reichsbahn in Halle, Torgau, Wittenberg und Altenburg sowie der Oberpostdirektion Halle zeigen, standen Aufwand und Nutzen dabei in keinem Verhältnis: Die bei der Reichsbahn beschäftigten Männer waren zwischen 1939 und 1945 aufgrund ihrer kriegswichtigen Tätigkeit von Einberufungen weitge396 Sekretariat-Protokolle 22. 3.–29. 3.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/32, Bl. 69, 75); Sekretariat-Protokolle 4. 5.–21. 6.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/37, Bl. 1, 7); Personalakte Richard Schallock (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA Sch 397, Bl. 44); Personalakte Elisabeth Menzel (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA M 392, 1. Band, Bl. 1). 397 Sekretariat-Protokolle 13. 3.–12. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/33, Bl. 76); Personalakte Elisabeth Menzel (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA M 392, 1. Band, Bl. 2).

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hend verschont geblieben. Es wurden 1950 zwar 459 Personen zur Überprüfung erfasst, im Hinblick auf Kriegsgefangenschaft und Emigration in westlichen Ländern erschienen sie jedoch unverdächtig. Auch unter den Angestellten der Post hatten sich nur wenige Personen in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden. Da die Lageraufenthalte meist von kurzer Dauer waren und die Kriegsgefangenen an keinen Schulungen teilgenommen hatten, sah selbst die LPKK keinen Grund für Beanstandungen. Dennoch hielt es das SED-Landessekretariat im September 1950 für notwendig, bei der Post Belegschaftsversammlungen „zur Unterstützung des Kampfes gegen die Ausnutzung der Post durch den Gegner durchzuführen“.398 In der Reichsbahndirektion Halle (RBD Halle) wurden nach dem HerwegenBrundert-Prozess Säuberungen eingeleitet, mit deren Hilfe die Konzentration von Sozialdemokraten in der RBD aufgelöst werden sollte. Von den SED-Mitgliedern in der RBD Halle stammten 123 aus der SPD, lediglich 18 dagegen aus der KPD. Abgesehen vom Personalleiter, einem früheren Kommunisten, handelte es sich bei 14 der insgesamt 16 Abteilungsleiter um ehemalige Sozialdemokraten höheren Alters. Wie der Parteisekretär der RBD Halle berichtete, lehnte RBD-Präsident Walter Oelkers die Anstellung „proletarischer Elemente“ mehrfach ab. Oelkers begründete dies mit dem Argument, dass langjährige Erfahrung und bestimmte schulische Voraussetzungen für eine Tätigkeit in der Verwaltung unbedingt notwendig seien. In Anbetracht von Oelkers’ politischem Werdegang als Sozialdemokrat und Gewerkschaftsfunktionär erschien diese Argumentation nicht weiter überraschend.399 Da Oelkers Verbindungen zu sozialdemokratischen Eisenbahngewerkschaftern in der Bundesrepublik unterhielt und 1949 am Vereinigungskongress der Eisenbahner in Frankfurt a. M. inoffiziell teilgenommen haben soll, geriet er ins Visier der Säuberer.400 Das Landessekretariat beabsichtigte, von Oelkers eine selbstkritische Stellungnahme gegen den „Sozialdemokratismus“ einzufordern, wozu Oelkers jedoch nicht bereit war. Während einer Sitzung des Landessekretariats berichtete Erich Behnke (Chefredakteur des Parteiorgans „Freiheit“) am 8. Juni 1950, Oelkers sei zu ihm gekommen, weil er nicht wisse, „was er schreiben soll“, denn er habe mit Brundert nichts zu tun gehabt. Im Gespräch mit Behnke ließ Oelkers anklingen, dass es sich wohl „um die Abschlachtung einiger Genossen“ handle. Oelkers und mehrere andere ehemaligen Sozialdemokraten wurden vom Landessekretariat zu einer Aussprache vorgeladen.401 Seine Rechtfertigungsversuche

398 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97, 99 f.); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/101, Bl. 19; Sekretariat-Protokolle 7. 9.–18. 9.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/20, Bl. 57, 63). 399 Überprüfungsberichte 1946–Juni 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/4/128, Bl. 120, 123, 126). 400 Kaderakte Walter Oelkers (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/815, Bl. 48). 401 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 27 f., 33–35).

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zeigten, dass es bereits in den Jahren zuvor zahlreiche Einmischungsversuche von Altkommunisten gegeben hatte: „Ich war beim Umbruch 1945 in Zwickau. [...] Nach dem Abzug der Amerikaner haben mich die Genossen aufgefordert, nach Halle zu kommen. Hier habe ich nur Gen[ossen] Siewert von früher gekannt. Gen[osse] Siewert hat mich aufgefordert, hier zu bleiben und verlangte von mir, ich soll im Verkehr arbeiten. Ich habe ihm erklärt, dass ich Eisenbahn machen will. Gen[osse] Siewert war einverstanden. [...] Es dauerte nicht lange, so kamen verschiedene Genossen von der Landesorganisation in die Verwaltung und haben mich unter die Lupe genommen, Gen[osse] Pisnik, Wessel. Erst eine kleinere Garnitur, dann waren es größere, Gen[osse] Walter, dann Weber haben eingegriffen. Aus dem Verhältnis bei der Eisenbahn ergaben sich Differenzen, die auf der Plattform des Politischen ausgetragen wurden. Zuerst war immer ein gewisses Misstrauen gegenüber der SPD. [...] Man beroch sich, bis man sich zusammenfand. Man kannte mich nicht, man wusste nicht, wie ich früher in der Arbeiterbewegung gearbeitet hatte. [...] Ich kannte weder die Verhältnisse, die sich in der SP[D] entwickelt hatten um Gen[ossen] Böttge, ich bin ganz wenig über die DCGG informiert, ich habe nur hier in diesem Kreis etwas gehört, ich bin überhaupt nicht unterrichtet.“402

Entscheidende Maßnahmen gegen Oelkers wurden Anfang August 1950 eingeleitet, als das MfS einen Mitarbeiter bei der RBD Halle unterzubringen versuchte, um Informationen zur „Aufdeckung von politischen Schweinereien in der Direktion, insbesondere über Oelkers und sein politisches Verhalten“ zu beschaffen. Durch das ZK-Dokument über die Verbindungen deutscher Exil-Kommunisten zu Noel Field, in dem auch der mittlerweile verhaftete und spurlos verschwundene Reichsbahnchef Willi Kreikemeyer erwähnt wurde, kamen im Fall Oelkers seit September 1950 neue Vorwürfe hinzu: Oelkers – so lautete die Schlussfolgerung eines ehemaligen RBD-Parteisekretärs – könne in seiner politischen Haltung möglicherweise von Kreikemeyer inspiriert worden sein. In einem für die Parteizeitungen „Freiheit“ und „Neues Deutschland“ bestimmten Artikel wurde die rhetorische Frage aufgeworfen, ob die Genossen in der RBD Halle etwa glaubten, dass „Fälle wie Kreikemeyer [...] nur in Berlin“ vorkämen. Es sei notwendig, auch in der RBD endlich Schlussfolgerungen aus Kreikemeyers Entlarvung zu ziehen.403 In einem Auskunftsbericht aus MfS-Beständen wurde Anfang November 1950 notiert, Oelkers habe „mit dem ehemaligen Generaldirektor Kreikemeyer in freundschaftlicher Verbindung“ gestanden. Seit Kreikemeyers Verhaftung werde unter den Eisenbahnern gefordert, auch „die kleinen Kreikemeyers zu beseitigen“. Am 14. November 1950 erarbeitete das MfS gegen Oelkers, der als Hauptverdächtiger galt, und gegen zwei weitere Eisenbahner einen Operativplan. Zur Begründung hieß es, bei Oelkers handle es sich um einen früheren Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionär, der enge Beziehungen zu Kreikemeyer unterhalten und versucht habe, „SPDhörige Personen in die einflussreichen Stellen der RBD Halle einzubauen“. Zehn Tage später wurde der Operativplan, der mittlerweile das Kennwort 402 Ebd., Bl. 55. 403 Überprüfungsberichte 1946–Juni 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/4/128, Bl. 114, 116–125, 129, 137, 158).

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„Speisewagen“ trug, konkretisiert und auf insgesamt 32 Personen ausgedehnt: Oelkers stand weiterhin an der Spitze, gefolgt von Karl Dittmar und Gerhard Strehle (1. und 2. Bezirksvorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft), Hermann Wendt (Vizepräsident der RBD Halle), mehreren Dezernenten der RBD Halle, sonstigen Bediensteten der Reichsbahn sowie Gewerkschaftern der IG Eisenbahn. Zu ihrer Bearbeitung sollten die besten operativen Mitarbeiter der MfSLandesverwaltung Sachsen-Anhalt herangezogen werden.404 Oelkers’ bevorstehende Verhaftung deutete sich bereits an, ließ aber im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern der Reichsbahn noch auf sich warten: Zwischen Januar und Oktober 1950 wurden acht Mitarbeiter der RBD Halle verhaftet, drei davon wegen „Wirtschaftsverbrechen“ und fünf wegen „Agententätigkeit“. Fünf der Verhafteten gehörten der SED an, zwei der LDP. Bei der RBD Magdeburg wurden im gleichen Zeitraum 13 „Agenten“ verhaftet, unter ihnen auch der Magdeburger RBD-Präsident Fehse.405 Am 15. Januar 1951 erfolgte Oelkers’ Festnahme. Die Berliner MfS-Zentrale warf ihm „Schädlingsarbeit“ innerhalb der Reichsbahn vor, setzte ihn dem „Verdacht der Gestapotätigkeit“ aus und legte fest, dass er besonders intensiv zu bewachen sei, „damit er nicht selbst Hand an sich legen“ könne.406 Am folgenden Tag informierte Alois Pisnik LPKK-Chef Benkwitz darüber, dass Oelkers eine Reihe von politischen und verwaltungsmäßigen Maßnahmen getroffen habe, „die ganz offenkundig nicht nur auf parteischädigendes, sondern auf parteifeindliches Verhalten hinweisen“. Dieses Verhalten sei Grund genug für Oelkers’ Ausschluss aus der Landesleitung und der SED. Die LPKK werde bald Material erhalten, um abschließend Stellung zu nehmen.407 In Briefen, die Oelkers wenige Tage nach seiner Verhaftung an Walter Ulbricht, Bernard Koenen, Roman Chwalek (Zentralvorstand der IG Eisenbahn), die Generaldirektion der Reichsbahn und seine Familie schrieb, widersetzte er sich den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Dies galt vor allem für die Schließung des Bahnbetriebswerkes Leipzig-Nord, die Unruhe unter den Beschäftigten ausgelöst und Störungen im Bahnbetrieb verursacht hatte, denn die Schließung sei auf Anregung der Berliner Generaldirektion und nach sowjetischem Vorbild erfolgt, um die Selbstkosten zu senken. Oelkers nannte die Vorwürfe „ungeheuerlich“ und glaubte, es seien gegen ihn „in bestimmter Richtung interessierte Kräfte am Werke“, um „etwas an den Haaren herbeizuziehen“. Er hatte die Absicht, für seine Ehre zu kämpfen, gab aber bereits am 24. Januar 1950 unter dem Druck der Vernehmungen nach, belastete zahlreiche Personen und legte Geständnisse ab über seine angebliche Agententätigkeit, Schädlings- und Zersetzungsarbeit, Sabotage des Aufbaus in der DDR durch Belassung reaktio404 BStU, MfS BV Halle, AOP 121/52, Bl. 12–14, 21 f. 405 Überprüfungsberichte, Tätigkeitsberichte, Monatsberichte der LPKK Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/58, Bl. 124, 129 f.). 406 BStU, MfS BV Halle, AOP 121/52, Bl. 3, 8 f. 407 Überprüfungsberichte 1946–Juni 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/4/128, Bl. 153).

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närer Angestellter in ihren Ämtern sowie Zuarbeit für die Gestapo in den Jahren 1942 bis 1945. Im Auftrag des Ostbüros der SPD sei es seine Aufgabe gewesen, den Bahnverkehr im Bezirk Halle zu sabotieren und das Material großem Verschleiß auszusetzen. Im Sinne dieses Auftrages habe er auch das Bahnbetriebswerk Leipzig-Nord auflösen lassen und mit Hilfe der entstehenden Desorganisation die Leipziger Messe zu stören versucht. Er sei Mitglied der „illegalen Schumacheruntergrundbewegung“ gewesen und habe seit 1948 eine „feindliche Tätigkeit“ ausgeübt. Unter dem Vorwurf, „verbrecherische Handlungen zum Schaden der Reichsbahn“ verübt zu haben, wurden Ende Januar 1951 fünf weitere Reichsbahnangestellte verhaftet, die von Oelkers genannt worden waren und früher der SPD angehört hatten. Am 27. Januar 1951 widerrief Oelkers seine bisherigen Aussagen als unwahr, brach aber drei Tage später erneut zusammen und belastete weitere Mitarbeiter der Reichsbahn in Halle, Torgau, Wittenberg und Altenburg als Saboteure. Dennoch gelangten die Vernehmer in einem Zwischenbericht am 31. Januar 1951 zu dem Ergebnis, dass Oelkers „bisher noch nicht die Wahrheit gesagt“ habe und eine „intensive Bearbeitung des Vorgangs erforderlich“ sei.408 Im März 1951 wurde ein 61-jähriger sozialdemokratischer Reichsbahner aus der Haft vorgeführt und zu Oelkers’ Westverbindungen verhört: „Frage: Was ist Ihnen über das Verhalten Oelkers’ beim Einmarsch der Amerikaner bekannt geworden? Antwort: Mir ist nur bekannt, dass Oelkers gleich nach dem Einmarsch der Amerikaner von diesen als Präsident der provisorischen RBD Zwickau benannt wurde. Daraus geht hervor, dass sich Oelkers bei den Amerikanern genauso angebiedert hat wie bei den Nazis. Frage: Welche Verbindungen Oelkers’ zu der amerik[anischen] Besatzungsmacht sind Ihnen bekannt? Antwort: Anlässlich einer Triebwagenfahrt, an welcher Oelkers, Wendt [...] und ich teilnahmen, erzählte uns Oelkers, dass er Verbindungen zu einem bevollmächtigten amerik[anischen] Offizier unterhalte und dass er diesem seine Dienste angeboten habe. Er hat damals auch den Namen des amerik[anischen] Offiziers genannt, der mir jedoch entfallen ist. Bei dieser Gelegenheit erklärte uns Oelkers, dass er mit diesem amerik[anischen] Offizier in Frankfurt/Main an höchster amerik[anischer] Stelle in Deutschland vorgesprochen habe.“409

Während einer im April 1951 abgehaltenen außerordentlichen Mitgliederversammlung der RBD Halle, an der auch Mitglieder der ZPKK, KPKK und LPKKChef Benkwitz teilnahmen, wies ein ZPKK-Vertreter darauf hin, dass die Reichsbahn ein sehr wichtiger Betrieb sei, nach dem auch der Gegner „seine Fühler auszustrecken“ versuche. Reichsbahnpräsident Willi Kreikemeyer sei ein „Agent des amerikanischen Imperialismus“ gewesen, der bis in die einzelnen 408 BStU, MfS BV Halle, AU 513/51, 1. Band, Bl. 43–45, 49–58, 218–222, 261–264; 3. Band, Bl. 322–334; 8. Band, Bl. 146 f., 149, 151. 409 Ebd., 1. Band, Bl. 147.

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RBDs ausgestrahlt habe. Der SED seien bei der Beurteilung von Kreikemeyer, Oelkers und dem Magdeburger RBD-Präsidenten Fehse keine Fehler unterlaufen, sondern es habe sich vielmehr gezeigt, „dass von oben herab entscheidende Positionen besetzt wurden mit Agenten“.410 Im Gegensatz dazu spielte Oelkers’ dienstliche und freundschaftliche Verbindung zu Kreikemeyer in den Verhören durch das MfS keine Rolle – ein weiteres Indiz dafür, dass der auf mysteriöse Art und Weise verschwundene Kreikemeyer 1951 bereits tot war. Gegenüberstellungen und Aussagen, mit deren Hilfe man Oelkers und Kreikemeyer dazu hätte bringen können, sich gegenseitig zu belasten, schieden für die Konstruktion eines westlichen Agentennetzes somit aus. Als Oelkers und sein Stellvertreter Hermann Wendt am 17. April 1952 – mehr als ein Jahr nach ihrer Verhaftung – vom Landgericht Halle zu zehn bzw. sieben Jahren Zuchthaus verurteilt wurden, fand sich dementsprechend auch in der Urteilsbegründung kein Hinweis auf mögliche Verbindungen zu Kreikemeyer und damit indirekt zu Noel Field. Selbst Oelkers’ erzwungene Selbstbezichtigungen (Agententätigkeit, Arbeit für die Gestapo und das Ostbüro der SPD, Sabotage etc.) wurden mit keinem Wort erwähnt, sondern zugunsten der zum Verbrechen aufgebauschten Schließung des Bahnbetriebswerkes Leipzig-Nord fallen gelassen.411 In der Urteilsbegründung hieß es dazu: „Die Handlungsweise der Angeklagten, d. h. das Unterlassen der notwendigen Vorbereitungen zur Schließung des Bw [Betriebswerkes] Nord, die mangelnde Prüfung und Regelung der Verhältnisse, besonders das völlige Versagen in Bezug auf die Aufklärung der im Bw Nord beschäftigten Werktätigen, sind nicht nur, wie es die Verteidigung der Angeklagten hinstellen will, als ein Fehler anzusehen, der vorkommen kann, sondern eine sträfliche Tat, die nicht nur Folgen betriebstechnischer Art mit sich brachte, sondern darüber hinaus politische Auswirkungen. Die Angeklagten haben demzufolge für die Verletzung ihrer Verpflichtung und für die Verletzung ihrer Verantwortlichkeit einzustehen. Ihr Handeln war als eine Durchkreuzung wirtschaftlicher Maßnahmen anzusehen. Das durch die Angeklagten verletzte Objekt ist, da die Wirtschaft die Grundlage für den Staat bildet, unsere antifaschistisch-demokratische Ordnung.“412

Einen weiteren Überprüfungsschwerpunkt bildeten 1949/50 die bedeutenden Chemiebetriebe Buna und Leuna. Im Vergleich zu den übrigen Parteien war die SED in der Belegschaft der Chemischen Werke Buna stark verankert: Im September 1949 besaßen 2785 von insgesamt 17365 Mitarbeitern das Parteibuch der SED, während der LDP und CDU lediglich 160 bzw. 152 Personen angehörten. Die KPKK konnte auf mehrere Versammlungen und Entschließungen verweisen, in denen die SED-Mitglieder der Buna-Werke in der geforderten Art und Weise Stellung nahmen zum „verräterischen Spiel der Tito-Clique in Jugoslawien“, zum Rajk-Prozess und der Erklärung des ZK über die „Verbindungen ehemaliger deutscher politischer Emigranten zu dem Leiter des Unitarian Service Committee Noel H. Field“. Trotz der zum Ausdruck gebrachten 410 Überprüfungsberichte 1946–Juni 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/4/128, Bl. 238–246). 411 BStU, MfS BV Halle, AU 513/51, 12. Band, Bl. 210–228, 257. 412 Ebd., Bl. 226.

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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Genugtuung darüber, „dass das verräterische, verbrecherische Verhalten der Märker [sic], Lex Ende, Kreikemeyer usw. sein Ende gefunden“ habe und der „Ausschluss der Verräter“ erfolgt sei, bestand für die Kontrollorgane aufgrund der explosiven Stimmung unter den Arbeitern dennoch Grund zur Besorgnis: Wer, so fragten viele Arbeiter, habe Wilhelm Pieck das Recht gegeben, „nach Warschau zu fahren und unsere Ostgebiete zu verschachern“. Die verordnete Freundschaft zur Sowjetunion, das „Bündnis der Arbeiter mit der Intelligenz“ und die Verstärkung der Volkspolizei stießen ebenfalls auf große Skepsis. Auf Bildungsabenden, die aus Anlass von Stalins 70. Geburtstag im Dezember 1949 durchgeführt wurden, stellten Werksangehörige die Frage, wie die DDR angesichts der Entnahme von Reparationen ein freundschaftliches Verhältnis zur Sowjetunion unterhalten könne. Immer wieder machte sich der Unmut der Arbeiter über ihre politische und wirtschaftliche Lage in regimekritischen Äußerungen oder heimlich angebrachten Parolen Luft (so z. B.: „Wilhelm Pieck, das fette Schwein, konnte ooch in Russland bleiben“. „Wir fordern freie Wahlen für ganz Deutschland“. „Weg mit der SED“. „Raus mit dem Iwan“. „Jeder Deutsche ein Kämpfer gegen den Bolschewismus“ etc.). Um Sabotageakte zu verhindern, die man der Tätigkeit feindlicher Agenturen zuschrieb, wurden zahlreiche Genossen zur Unterstützung des Werkschutzes abgestellt und die Mitarbeiter immer wieder zur Erhöhung der Wachsamkeit ermahnt. Hinzu kamen in der ersten Hälfte des Jahres 1950 mehrere Vorfälle, die nach Auffassung der KPKK Beweis genug waren für subversive Aktivitäten trotzkistischer und westlicher Auftraggeber: Im März 1950 ging der BGL Propagandamaterial einer unabhängigen kommunistischen Gruppierung zu. Im April wurde ein Genosse bekannt, der 1946/47 als Fernschreiber bei der britischen Militärregierung in Hamburg beschäftigt gewesen war und diese Tätigkeit in einem Fragebogen verheimlicht hatte. Der Fall wurde dem Staatssicherheitsdienst zur Bearbeitung übergeben. Im Mai fand man bei der Hausdurchsuchung eines in den Westen geflohenen BGL-Instrukteurs französische und englische Ausweise, wodurch sich der „Verdacht der Agententätigkeit“ weiter zu erhärten schien. Im Juni behauptete ein SED-Genosse in einem Schreiben an die Parteizeitung „Freiheit“, „in den Chemischen Werken Buna habe der Trotzkismus [die] Oberhand gewonnen“ – ein schwerwiegender Vorwurf, gegen den die KPKK sofort einschritt, indem der Denunziant aus der Partei ausgeschlossen wurde.413 Als Folge des Herwegen-Brundert-Prozesses trat im innerbetrieblichen Klima der beiden größten Chemiebetriebe des Landes eine weitere Verschärfung ein. Im April 1950 erklärte die BGL im Namen von 18 000 Buna-Mitarbeitern, jeder Saboteur und Verbrecher, der die Entwicklung in der DDR behindere, sei ein „Volksverräter“. Die Wachsamkeit in den Betrieben müsse erhöht werden. Stellvertretend für 26 000 Belegschaftsmitglieder verlangte die BGL der Leuna413 Berichte und Protokolle der Untersuchung Energieversorgung der KPKK Buna 1949–1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/49, Bl. 13 f., 62, 72 f., 85, 87, 90, 95, 97 f., 140, 157, 175, 182 f., 187).

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Werke „für alle Angeklagten die höchstzulässige Strafe“ – was auch immer darunter zu verstehen war.414 Auf Beschluss des Landessekretariats erhielten die SED-Betriebsgruppen den Auftrag, Fragen der ideologischen Wachsamkeit und Zuverlässigkeit mit aller Gründlichkeit zu stellen. Ergebnisse müssten „durch ständigen Verkehr, Beobachtung und Überprüfung“ erzielt werden, wobei dem Landessekretariat die Überprüfung von jeweils 30 Personen durch je einen Genossen realistisch erschien. Es war außerdem vorgesehen, Fachleute aus früheren Konzernen durch den Kulturbund und die Kammer der Technik einer systematischen Erziehung zu unterziehen. Ausgehend von Fachleuten, die mittlerweile der SED angehörten, sollte die politische Arbeit auf die übrigen ausgedehnt werden.415 Bei einer Überprüfung des ideologischen Standes der Parteiarbeit in den Leuna-Werken „Walter Ulbricht“ trat die Passivität oder offene Gegnerschaft vieler Belegschaftsmitglieder im März 1951 offen zutage. Zirkel für das Studium der Geschichte der KPdSU hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits wieder aufgelöst. Die Kreisabendschule war wegen Inaktivität zum Erliegen gekommen. Die Propaganda-Abteilung der SED-Landesleitung vertrat die Ansicht, dass die gesamte Parteiarbeit in Leuna durch „Versöhnlertum und Ausweichen vor gegnerischen Tendenzen“ geprägt sei. Die mangelhafte ideologische Arbeit und ungenügende Anleitung der Massenorganisationen erleichtere Feinden die Durchführung ihrer Schädlingsarbeit. Neben antisowjetischen Tendenzen und der Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze gebe es vor allem Zweifel darüber, ob die DDR den richtigen Weg eingeschlagen habe. Die Unzufriedenheit vieler Arbeiter entlud sich in mutigen, kritischen Stellungnahmen zur Versorgungslage, Normenerhöhung, Ausbeutung, politischen Indoktrination und Gängelung durch die Sowjets. Die Enttäuschung der Leuna-Arbeiter über das sowjetische Sozialismusmodell kam auch in Äußerungen zum Ausdruck, in denen es hieß, man wolle keine Russen, „den Westen aber auch nicht“. Die Gewerkschaften seien keine Interessenvertretung der Arbeiter, sondern es bestimme „ja doch Karlshorst“.416 Zur Erhöhung der Wachsamkeit und zum Schutz des Werkes vor Sabotage erarbeitete die SED-Kreisleitung Leuna im September 1952 einen umfangreichen Maßnahmenplan. Dieser Plan sah neben „offensiver Agitationsarbeit gegenüber rückständigen und feindlichen Auffassungen“ auch die Auswertung von Prozessen gegen Agenten und Spione vor. Es war außerdem geplant, unter der Belegschaft möglichst viele Mitglieder für die paramilitärische Gesellschaft für Sport und Technik (GST) zu werben. Das von den Mitarbeitern an414 Freiheit vom 21. 4.1950 („Härtestes Urteil für die Verbrecher am Volkseigentum. Die Werktätigen Sachsen-Anhalts verlangen Genugtuung für die Verbrechen der HerwegenBrundert“). 415 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 74). 416 Sekretariat-Protokolle 13. 3.–12. 5.1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/33, Bl. 153–156).

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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geblich geäußerte Bedürfnis, sich an Waffen ausbilden zu lassen, fand die Unterstützung der Kreisleitung. 4 200 Mitarbeiter der Buna-Werke hatten im Jahr zuvor Konsequenzen aus der bedrückenden Arbeits- und Lebensatmosphäre gezogen und ihre Arbeitsplätze verlassen – viele von ihnen Richtung Westen.417

4.6

Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Wie bereits in Kapitel III.2.3. dargestellt, gerieten 1948/49 neben bürgerlichen und sozialdemokratisch orientierten Studenten vor allem studentische Aktivitäten, die unter dem Verdacht des Titoismus und Trotzkismus standen, ins Visier der Sicherheitsorgane. Eine neue Säuberungswelle setzte an der Universität im Februar 1950 ein, als die LPKK zur Klärung eventuell vorhandener Westverbindungen eine Überprüfung der Professoren, Dozenten, Assistenten und Verwaltungsleiter durchführte. Es wurden dabei 420 Personen erfasst, von denen 100 der SED angehörten. Kein einziges der SED-Mitglieder hatte sich in westlicher Kriegsgefangenschaft befunden, doch drei – unter ihnen der Vorsitzende der SED-Betriebsgruppe Prof. Heinz Mode und Prorektor Prof. Rudolf Agricola – gaben Berichte über ihre Aufenthalte im Ausland und in der Emigration ab.418 Dieses zunächst beruhigend erscheinende Ergebnis wurde durch die Anklage gegen Prof. Willi Brundert sehr bald hinfällig: Brunderts Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft war 1946 auf Initiative der Universität erfolgt, da man ihn aufgrund seiner fachlichen Eignung, früheren Zugehörigkeit zur SPD und als ehemaligen Leiter der Sozialistischen Studentenschaft für vertrauenswürdig gehalten hatte. Wesentlichen Anteil an der Verschaffung der Dozentenstelle hatte Kurator Friedrich Elchlepp, der sich auf Veranlassung von Werner Bruschke an die Lagerschule Wilton Park wandte und Brundert einen Lehrauftrag anbot. Brundert erhielt mit Beginn des Wintersemesters 1946/47 einen Lehrauftrag für Steuerrecht, der kurz darauf um Wirtschaftsrecht erweitert wurde. Volksbildungsminister Ernst Thape ernannte Brundert mit Wirkung vom 1. Mai 1948 zum Professor für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht. Das SED-Landessekretariat vermerkte hierzu im Mai 1950, dass eine Überprüfung von Brunderts „Tätigkeit an der Universität durch den Volksbildungsminister Thape [...] bei der heute bekannten Einstellung Thapes natürlich nicht zu einer Klärung der Person Brunderts [...], sondern höchstens zum Gegenteil“ führen konnte. Nach der Verhaftung von Brundert zog Thapes Nachfolger Schallock Brunderts Ernennung zum Professor zurück und erkannte ihm das

417 Arbeit des Klassengegners im VEB Leuna-Werke April 1951–April 1954 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/3/606, Bl. 22 f.); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/73, Bl. 4 f. 418 Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97, 102 f.).

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

Recht zur Führung des Professorentitels ab.419 Obwohl Brundert bis zu seiner Verhaftung in einem Kreis von Juristen verkehrt hatte, dem u. a. der Dekan der Juristischen Fakultät, zwei weitere Fakultätsmitglieder und Prorektor Prof. Rudolf Agricola angehörten, konnte er von seiten seiner um Distanzierung bemühten Kollegen nicht mit Unterstützung rechnen: Als sich ein Mitglied des Lehrkörpers an die Juristische Fakultät wandte und anregte, sie solle sich für Brunderts Freilassung einsetzen, lehnte die Juristische Fakultät dies mit dem Hinweis auf das noch schwebende Verfahren ab.420 Über Brunderts angeblich gefährlichen Einfluss auf seine Studenten hieß es in der Anklageschrift: „Brundert verstand es, in seiner Eigenschaft als Professor an der Universität in Halle Einfluss auf das Denken unserer akademischen Jugend zu nehmen und hielt auch im Rahmen seiner Partei und des FDGB zahlreiche Vorträge über Wirtschafts-, Verwaltungs- und politische Fragen. Er, der nach 1933 wesentlich zur Verbreitung des nationalsozialistischen Gedankengutes beigetragen hatte und der, seinem eigenen Geständnis nach, im englischen Gefangenenlager im antisowjetischen Sinne geschult worden war, versuchte sich durch diese Vorträge in das Vertrauen der demokratischen Öffentlichkeit einzuschleichen und sie in seinem Sinne zu beeinflussen.“421

Diese Charakterisierung Brunderts unterschlug jedoch, dass sich sowohl die SED-Betriebsgruppe der Universität, als auch Kurator Elchlepp im September 1948 beim Volksbildungsminister für Brunderts Berufung zum ordentlichen Professor für Öffentliches Recht eingesetzt hatten, da Brundert in der Juristischen Fakultät „der einzige ins Gewicht fallende positive Faktor“ sei und seine Vorlesungen als Einziger „nach marxistischen Gesichtspunkten“ aufbaue.422 Zudem war Brundert im Juni 1949 während einer Senatsdebatte über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses als Scharfmacher aufgetreten und hatte verlangt, dass eine Unterstützung scheinbar unpolitischer junger Wissenschaftler „nur dann infrage kommen könne, wenn es sich um wirklich unpolitische Leute handelt und wenn durch die politische Uninteressiertheit nicht eine andere politische Einstellung getarnt wird“. Brundert war damals von dem bereits erwähnten Vorsitzenden der SED-Betriebsgruppe Prof. Heinz Mode unterstützt worden, der sich aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Schweizer Emigration befunden hatte.423 Modes Äußerung und sein Parteiamt ließen ihn 419 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 36 f.; Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 96); Personalakte Willi Brundert (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI, PA B 351, Bl. 11, 16, 22). 420 BStU, MfS-AS 1154/67, Bl. 11; Beiakte zu den Senatsprotokollen 1952 (UA Halle, Rep 7, 809, unpaginiert; Referat von Prof. Dr. Leo Stern, gehalten auf der außerordentlichen Senatssitzung am 9. 4.1952 aus Anlass der Anfrage der Dekane Gallwitz, Winkler, Schmalfuß, Ahrbeck und Lehmann, darin Bl. 5). 421 Herwegen-Brundert-Prozess März 1950 (LA Merseburg; LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/9, Bl. 9 f.). 422 LHA Magdeburg, Rep K 10 MVb Nr. 2534, unpaginiert (Schreiben der SED-Betriebsgruppe der MLU an den Kurator vom 17. 9.1948; Schreiben des Kurators an den Volksbildungsminister vom 18. 9.1948). 423 Senatsprotokolle 1946–1949 (UA Halle, Rep 7, 807, unpaginiert; Senatssitzung vom 9. 6.1949); Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS 1949/50, S. 9.

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als Mitglied der „Kommission für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ geeignet erscheinen, der er ein Jahr später angehören sollte.424 Neben Mode kreuzten sich an der Martin-Luther-Universität die Wege von drei weiteren jüdischen Linksintellektuellen, deren Karrieren in den folgenden Jahren unterschiedliche Wendungen erfahren sollten: Prof. Leo Kofler (Mittlere und Neuere Geschichte), Prof. Alfred Kantorowicz (Neueste deutsche Literatur) und Prof. Leo Stern (Neuere Geschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung). Abgesehen von Kantorowicz, der im Wintersemester 1950/51 lediglich als Gastprofessor in Halle wirkte und deshalb in der folgenden Darstellung nicht näher berücksichtigt werden soll,425 scharten sich um Kofler, Mode und Stern einander feindlich gegenüberstehende Fraktionen von Universitätsmitarbeitern und Studenten, die ihren geistigen Führern ergeben waren und in den folgenden Jahren zum Ausgangspunkt ideologisch bemäntelter, im Grunde genommen jedoch überwiegend persönlicher und machtpolitischer Auseinandersetzungen werden sollten.426 Modes und Koflers Biographie war gemeinsam, dass sie mehrere belastende Momente wie bürgerliche Herkunft und jahrelange Aufenthalte in westlicher Emigration in sich vereinigten. Darüber hinaus handelte es sich bei Kofler um einen Marxisten, der sich einer vorbehaltlosen Unterordnung unter die stalinistische Orthodoxie verweigerte. Kofler hatte Anfang der dreißiger Jahre auf dem linken Flügel der österreichischen Sozialdemokratie gestanden und emigrierte 1938 nach dem Anschluss Österreichs in die Schweiz. Ein Lehrauftrag führte ihn im Dezember 1947 an die Martin-Luther-Universität, wo man ihn im März 1948 zum Professor berief. Um sich der Angriffe des SED-Betriebsgruppenvorsitzenden Prof. Mode und dessen Anhänger zu erwehren, diffamierte Kofler sie als „Trotzkisten und Agenten westdeutscher Gewerkschaftsbüros“. Kofler unterlag, wurde Anfang 1950 vom Volksbildungsministerium entlassen, erklärte seinen Austritt aus der SED und floh nach Westberlin. Für wie gefährlich man ihn auch später noch hielt, zeigte sich, als die MfS-Bezirksverwaltung Halle im April 1953 den Auftrag erhielt, „alles über die Person des Kofler“, seine Verwandtschaft und Koflers Tätigkeit als Universitätsprofessor zu ermitteln. Die Ermittlungsergebnisse waren jedoch äußerst dürftig. Gründe für Koflers Flucht konnten angeblich nicht festgestellt werden.427 Als Resümee der Auseinandersetzungen mit Kofler konstatierte der im Volksbildungsministerium tätige Ministerialdirektor Ludwig Einicke Anfang Juni 1950, dass an der Universität „zwar einige administrative Maßnahmen durchgeführt“ worden seien, „eine breite ideologische Auseinandersetzung“ mit Koflers Theorien jedoch nicht stattgefunden habe. Es gebe keinen ideologischen 424 425 426 427

UA Halle, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse SS 1950, S. 11. UA Halle, Personal- und Vorlesungsverzeichnis WS 1950/51, S. 18, 45. BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 15 f. Ebd., Bl. 61 f.; BStU, MfS-HA XX AP 20967/92, Bl. 1–5; http://www. leo-kofler.de/ menu.html; UA Halle, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse SS 1948, S. 8, 28; WS 1948/49, S. 8, 21, 29; SS 1949, S. 6, 27; WS 1949/50, S. 12, 24.

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Kampf gegen Auffassungen, die von der Neutralität und Objektivität bürgerlicher Wissenschaft ausgingen. Eine breite Massenbewegung gegen Lehrkräfte und Studenten, „die sich offen gegen die Ziele der Nationalen Front stellten“, sei nicht zustande gekommen.428 Sechs Wochen später teilte die Kulturabteilung des Parteivorstandes in Berlin der ZPKK mit, „dass die trotzkistische Agententätigkeit an keiner Universität so stark in Erscheinung“ trete wie in Halle. Da man davon ausging, dass es Verbindungen zwischen der „Trotzkistengruppe“ an der Martin-Luther-Universität und dem SED-Landesvorstand SachsenAnhalt gab, beschränkte sich diese Information ausdrücklich auf die ZPKK unter Umgehung der LPKK Sachsen-Anhalt.429 Mitarbeiter und Studenten, die mit Kofler in Verbindung gestanden oder ihn gegen Angriffe verteidigt hatten, gerieten bald darauf in den Strudel der Säuberungen. Maßgeblichen Anteil daran hatte die SED-Betriebsgruppe, die den Parteiausschluss des Studenten Rudolf Sauerzapf beantragte, der einer der engagiertesten Verteidiger Koflers und Vorsitzender der VVN-Hochschulgruppe gewesen war.430 Begründet wurde der Antrag damit, dass Sauerzapf „Verbindung mit einigen Agenten aus dem Westen gehabt“ und seine Funktion als Betriebsgruppenleiter nur angenommen habe, „um gegen die Betriebsgruppe zu arbeiten“.431 In der Verhandlung vor der KPKK Halle berichtete ein Mitglied der SED-Betriebsgruppe über Sauerzapf: „Tatsache ist, dass Genosse Sauerzapf zu den Agenten Verbindung hatte. [...] Jetzt sind verschiedene von der Agentengruppe nach dem Westen abgewandert, u. a. auch Kofler ist entlassen. Uns ist auch bekannt, dass in der Univ[ersität] eine Gruppe besteht, die in Verbindung steht mit dem Westen. Wir sind dabei, sie täglich zu fassen. Mit 2 Mitgliedern dieser Gruppe, die inzwischen auch abgewandert sind, hatte Sauerzapf angeblich Verbindung.“432 Die KPKK wandelte den beantragten Parteiausschluss in eine strenge Rüge um und verhängte gegen Sauerzapf, der die Verbindung zu Agenten zwar bestritt, aber die „Fehler von Kofler“ mittlerweile einsah, eine einjährige Sperre für die Übernahme verantwortlicher Funktionen in Verwaltung, Wirtschaft und Massenorganisationen. Man legte ihm nahe, „ein Jahr im Betrieb zu arbeiten, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen [und] am Aufbau tatkräftig mitzuarbeiten“.433 Während der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten wurde im April 1951 festgehalten, dass die Universität über eine sehr schwache Parteileitung verfüge und sich bei der Überprüfung von Assistenten, Hilfsassistenten 428 Freiheit vom 3. 6.1950 („Warum hinken wir auf kulturellem Gebiete nach? Von Ludwig Einicke, Halle“). 429 BStU, MfS BV Halle, AIM 1063/69 P, Bl. 34. 430 UA Halle, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse SS 1950, S. 12. 431 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 65; Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED SachsenAnhalt IV/L 2/4/57, Bl. 12–14). 432 Berichte und Protokolle über Parteiverfahren der KPKK Halle Aug.–Dez. 1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/57, Bl. 13 f.). 433 Ebd., Bl. 12–14.

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und Studenten Objektivismus bemerkbar gemacht habe. LPKK-Chef Max Benkwitz berichtete, dass es an der Universität eine Gruppe gebe, die über Prof. Heinz Mode Verbindungen in die Schweiz unterhalte.434 Der Antrag, Mode aus der Partei auszuschließen,435 erfolgte vor dem Hintergrund seiner politischen Vergangenheit und der Kampagne gegen Westemigranten im Zuge der „FieldAffäre“. Mode hatte Deutschland 1932 verlassen und sich zunächst zu Studienzwecken in Ceylon aufgehalten. Ab 1935 setzte er seine Studien in Basel fort, wo er 1939 promovierte und sich 1944 habilitierte. Während seiner Emigration in der Schweiz entfaltete Mode eine rege politische Tätigkeit: Er hielt für die Schweizer Exilorganisation der KPD, der er als Sympathisant nahe stand, Lehrgänge ab und war Delegierter der KPD-Konferenzen, die im Januar und März 1945 in Zürich tagten. Mode arbeitete für die Flüchtlingszeitschrift „Über die Grenzen“ und unterhielt als Mitglied der Bewegung „Freies Deutschland“ Kontakte zu dem prominenten Theologen Karl Barth und Vertretern der Bekennenden Kirche. In der Schweiz kam er mit deutschen Kommunisten zusammen, die durch die ZK-Erklärung vom 24. August 1950 in Ungnade fallen und teilweise verhaftet werden sollten, so etwa Bruno Goldhammer, Paul Bertz, Bernd Steinberger, Bruno Fuhrmann, Wolfgang Langhoff, Fritz Sperling und Hans Teubner. In einem Fragebogen und einem Lebenslauf, die Mode im Mai 1949 bei der VVN einreichte, benannte er Teubner, Fuhrmann und Goldhammer als Zeugen für seine politische Tätigkeit in der Schweiz. 1945 wurde Mode Mitglied der KPD. Er kehrte nach Deutschland zurück und lebte bis 1948 in München, wo er u. a. für die Kulturabteilung des KPD-Landesvorstands arbeitete. Im Oktober 1948 übernahm er an der Martin-Luther-Universität eine Professur für Orientalische Archäologie und kurz darauf den Vorsitz der SED-Betriebsgruppe. Leo Kofler, dem Mode aus der Schweizer Emigration bekannt war, setzte sich 1948 für Modes Anerkennung als Opfer des Faschismus (OdF) ein. Dies sollte Mode später jedoch nicht daran hindern zu behaupten, er sei „schon immer gegen Kofler“ gewesen und habe sich „dadurch überall die Finger verbrannt“.436 Mode verstand sich in erster Linie als Kommunist und nicht als jüdischer Intellektueller. Sein oben erwähnter Lebenslauf enthielt keinen direkten Hinweis auf seine Herkunft, sondern erklärte die Emigration in der Schweiz vor allem mit politischer Verfolgung. Mode vermerkte, er habe sein Studium 1935 in Basel fortgesetzt, weil er „aus politischen Gründen nicht mehr in Deutschland bleiben konnte“. Im selben Jahr habe er seine spätere Frau kennengelernt, eine Eheschließung sei jedoch „wegen der auch in der Schweiz an434 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 104, 106); Kaderakte Max Benkwitz (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/78, Bl. 43). 435 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/84, Bl. 4–8). 436 BStU, MfS BV Halle, AIM 1063/69 P, Bl. 14–21, 37, 63; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/115, Bl. 155; Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/209, Bl. 264–266); Teubner, Exilland Schweiz, S. 60 f., 81, 222, 229, 236, 248 f., 266–269, 304, 319.

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erkannten Nazigesetzgebung nicht möglich“ gewesen. Ohne nähere Erläuterung gab er an, dass „fast alle Verwandten vergast“ worden seien.437 Modes Sturz begann am 1. September 1950 mit der Veröffentlichung des ZK-Beschlusses vom 24. August 1950 im „Neuen Deutschland“. Ein jüdischer Emigrant, der in der Schweiz zum Freundeskreis um Mode gehört hatte, teilte der ZPKK noch am selben Tag mit, dass Mode während des Krieges in Basel die „Sektion Nordwest-Schweiz“ der „Bewegung Freies Deutschland“ gegründet habe. Die in Basel ansässigen KPD-Genossen hätten eine Rede des mittlerweile als Agent entlarvten früheren Vorsitzenden der KPUSA Earl Browder verbreitet, in der Browder „die Auflösung der kommunistischen Parteien in allen Ländern propagiert“ habe. 1945 sei Mode nicht in seine Heimatstadt Berlin, sondern zu dem Agenten Goldhammer nach München gefahren. Es sei daher notwendig, die Berufung des „österreichischen Renegaten Leo Kofler“ und „des Genossen Mode aus der Münchner Umgebung von Bruno Goldhammer“ an die Universität zu überprüfen.438 Eine Namensliste von Schweiz-Emigranten, die der ZPKK vorlag, enthielt darüber hinaus den Vermerk, dass die Amerikaner sich um Mode „bemüht“ hätten. Mode wurde 1951 aus der SED ausgeschlossen, obwohl er zu Noel Field keine Verbindungen unterhalten hatte. Die unter Beteiligung von Prof. Leo Stern durchgeführte „Zerschlagung, Entlarvung und teilweise Ausschaltung“ des um Mode gescharten Kreises wurde mit „Fraktionsbildung in der Partei“ begründet. Zwei Protestschreiben Modes an die ZPKK blieben unbeantwortet. Dennoch hielt Mode der Partei weiterhin die Treue und ließ sich im November 1953 vom MfS als Geheimer Informator (GI) „Georg Pfeil“ anwerben. Das Angebot des MfS schmeichelte ihm, er verzichtete auf eine Vergütung seiner Spitzeldienste und erklärte sich in einer Verpflichtungserklärung bereit, „gegen die inneren und äußeren Feinde unserer Deutschen Demokratischen Republik den schärfsten Kampf zu führen“. Im Auftrag des MfS berichtete Mode über Mitarbeiter der Martin-Luther-Universität, nahm Kontakt zu Wissenschaftlern der Freien Universität in Westberlin auf und lieferte Informationen über seine Bekannten in München. Das MfS plante, ihn nach München übersiedeln zu lassen und dort als Residenten einzusetzen, wozu auch Mode bereit war. Nach einer längeren krankheitsbedingten Unterbrechung der Zusammenarbeit wurde der 1956 rehabilitierte und wieder in die SED aufgenommene Mode 1968 zum GMS (Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit) umregistriert. Während einer Studienreise nach Indien und Sri Lanka führte er Aufträge der HVA (Hauptverwaltung A) zu deren Zufriedenheit aus. Modes Zusammenarbeit mit dem MfS endete erst Anfang der achtziger Jahre, als sie durch Modes Emeritierung (1978), Alter und Gesundheitszustand ihren Sinn verlor.439 437 Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 264–266). 438 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/115, Bl. 165–167. 439 BStU, MfS BV Halle, AGMS 2133/85, Archivauskunft und Bl. 5 f., 11–16, 120; MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 15 f., 129; MfS BV Halle, AIM 1063/69 P, Bl. 37, 45–47, 53, 56 f., 62–65, 71 f., 86–88, 109, 121 f.; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/140, Bl. 262.

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Die weitere Entwicklung an der Universität wurde vom SED-Landessekretariat 1950/51 durch die Erarbeitung von Personalvorschlägen für die Besetzung des Rektoramtes und der Dekanate gesteuert. Unter den Kandidaten, die als mögliche Nachfolger von Rektor Prof. Eduard Winter in Betracht kamen, befand sich u. a. auch Viktor Klemperer, doch es setzte sich schließlich Prorektor Prof. Rudolf Agricola durch. Vorausgegangen waren im Sommer und Herbst 1950 Bitten des Senats an das Volksbildungsministerium, „bei der Wahl des neuen Rektors behilflich zu sein“. Der Volksbildungsminister entschied sich für Agricola als „seinen Kandidaten“, worauf der Senat am 2. Februar 1951 zur Wahl schritt: Agricola wurde mit 10 Stimmen bei 5 Enthaltungen zum neuen Rektor der Martin-Luther-Universität gewählt und trat sein Amt im Sommersemester 1951 an.440 Seine Ernennung erfolgte zu einer Zeit, als die SED einschneidende Veränderungen an den Universitäten und Hochschulen vornahm: Das ZK der SED fasste auf seiner 4. Tagung im Februar 1951 den Beschluss, in allen Fakultäten ein gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium einzuführen und sich an der Entwicklung der sowjetischen Wissenschaften zu orientieren. Zugleich wurden die Universitäten und Hochschulen durch die Schaffung eines besonderen Staatssekretariats einer noch stärkeren Kontrolle und Zentralisierung unterworfen.441 Im Hinblick auf Agricolas politische Vergangenheit erschien seine Ernennung zum Rektor sehr überraschend: Der als Diplomhandelslehrer und Berufsschullehrer in Zeitz tätige Agricola war im Oktober 1931 von der SPD zur SAP übergetreten, hatte die SAP-Bezirksleitung Halle-Merseburg geführt und bis 1933 dem SAP-Reichsvorstand angehört. Nach Verbüßung einer achtjährigen Zuchthausstrafe wegen antifaschistischer Tätigkeit wurde Agricola 1943 entlassen, unter Gestapo-Aufsicht gestellt und nach Südbaden in einen Betrieb abgeschoben. Nach Kriegsende verblieb er in seiner badischen Heimat und gab zusammen mit Theodor Heuss, dem späteren Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, die unter amerikanischer Lizenz erscheinende Heidelberger „Rhein-Neckar-Zeitung“ heraus. 1945 trat Agricola der KPD bei, deren Unterbezirk Heidelberg er leitete. Er war als Vorsitzender und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Nachrichtenagentur (DENA) in der USZone tätig. 1947 kehrte er nach Halle zurück, lehrte an der Martin-Luther-Universität zunächst Publizistik, dann Politische Ökonomie und fungierte als Direktor des später aufgelösten Instituts für Zeitungswesen.442 Vorwürfe, die 1962/63 gegen Mode und seine Mitarbeiter wegen angeblicher Tätigkeit für die CIA erhoben worden sein sollen, erscheinen vor diesem Hintergrund umso absurder. Vgl. dazu Brentjes, As I seem to remember, S. 75. 440 Sekretariat-Protokolle 1. 6.–28. 7.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/15, Bl. 141, 145, 148 f., 187, 189, 203, 210); Senatsprotokolle 1950–1951 (UA Halle, Rep 7, 808, unpaginiert; Senatssitzung vom 2. 2.1951). 441 Rektoratsübergabe 1949–1953 (UA Halle, Rep 7, 441, unpaginiert; Ansprache Agricolas anlässlich der Rektoratsübergabe am 28.11.1953 in der Aula der Universität Halle). 442 BStU, MfS BV Halle, AOP 63/54, Bl. 15 f.; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 4210, unpaginiert (Fragebögen vom 2. 8.1970 und 5. 3.1958); DY 30/IV 2/4/101, Bl. 44; Auf-

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Obwohl sich in Agricolas Biographie mehrere verdächtig erscheinende Komponenten wie politisches Abweichlertum, westliche Herkunft, Tätigkeit für eine westliche Nachrichtenzentrale und Kontakte zu bürgerlichen Spitzenpolitikern vereinigten, gab es 1950 offenbar keine Einwände dagegen, dass Agricola dem Vorstand der universitären SED-Betriebsgruppe und der Volkskammer angehörte.443 Bereits im Juni 1948 hatte die Personalabteilung des SED-Zentralsekretariats den damaligen Kaderleiter des SED-Landesvorstands Sachsen-Anhalt Otto Walter vor Agricola gewarnt: Es sei mitgeteilt worden, dass der von Heidelberg nach Halle übersiedelte Agricola und sein Chauffeur möglicherweise „für den amerikanischen Geheimdienst arbeiten“. Walter solle die Sache im Auge behalten und eventuell bekannt werdende Informationen mitteilen.444 Zuträger des MfS begannen jedoch erst nach dem ZK-Beschluss vom 24. August 1950 mit der Sammlung belastender Indizien gegen Agricola. So hieß es in einer Aktennotiz, Agricolas Frau, die zwischen 1945 und 1947 als Dolmetscherin für die französische oder amerikanische Besatzungsbehörde tätig gewesen sein soll, habe im Winter 1949/50 über Lebensmittelsendungen aus der Schweiz berichtet, die sie während der Tätigkeit ihres Mannes in Heidelberg erhalten habe. Sie erwähnte auch Verbindungen zu einem amerikanischen Offizier, der ein „prima Kommunist“ sei. In der Aktennotiz hieß es dementsprechend, es müsse untersucht werden, „ob dieser Amerikaner identisch mit Noel Field ist“.445 Am 1. Februar 1951 legte der Staatssicherheitsdienst unter dem Kennwort „Berlin“ einen Vorgang zu Agricola an. Zur Begründung hieß es darin: „Agricola ist Trotzkist. Er steht im Verdacht, Verbindungen nach der Schweiz und Berlin, sowie zu Old Field [sic!], Merker und Leo Bauer zu haben. Des weiteren hat er Verbindungen zum Landesvorstand der SED in Halle und verschiedenen Professoren an der Universität in Halle.“446 Spitzel des MfS sammelten Material und stellten Agricolas personelle Verbindungen fest. Es war geplant, weitere V-Leute zu werben und über sie Verbindung in die Bundesrepublik aufzunehmen. Vermutlich sollten dadurch nähere Einzelheiten über Agricolas Tätigkeit vor seiner Übersiedlung nach Halle festgestellt werden. Ein Informant namens „Stendal“ berichtete im Mai 1951, Agricola und Theodor Heuss hätten einmal gemeinsam Urlaub im Schwarzwald gemacht. Prof. Mode sei 1948 von Agricola, Kofler und dem SAP-Gründer Max

443 444 445 446

nahmeanträge A-Am 1948–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/1, Bl. 122–124); Sekretariat-Protokolle 10. 8.–14. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/3/17, Bl. 31); UA Halle Personal- und Vorlesungsverzeichnisse WS 1947/48, S. 5, 12; SS 1948, S. 5, 14; WS 1948/49, S. 5, 14; SS 1949, S. 3, 8, 18; WS 1949/50, S. 7 f., 14; SS 1950, S. 9 f., 17; WS 1950/51, S. 11 f., 19; SS 1951, S. 13 f., 21; Seydewitz, Es hat sich gelohnt zu leben, S. 276, 372 f.; Groos, Akademische Existenz in Reformnot, S. 189 f.; Volksblatt vom 8.10.1931 („Wie ist die Lage in Zeitz?“). Sekretariat-Protokolle 10. 8.–14. 8.1950 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV /L 2/3/17, Bl. 31). BStU, MfS BV Halle, AP 761/56, 2. Band, Bl. 163. BStU, MfS BV Halle, AOP 63/54, Bl. 13 f., 17 f. Ebd., Bl. 5.

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Seydewitz in die SBZ geholt worden. Angeblich gab es auch Verbindungen zu Maria Weiterer, die durch die ZK-Erklärung vom 24. August 1950 ihre Funktionen und SED-Mitgliedschaft verloren hatte und während eines Besuchs in Halle bei Agricola gewohnt haben soll. Besonders eingesetzt für Agricolas Wahl zum Rektor habe sich Maria Burstein (Arbeiter- und Bauernfakultät Halle), die wiederum über Verbindungen zu einigen nach Jugoslawien emigrierten tschechoslowakischen Kommunisten verfüge. Um das Maß an Verdächtigungen voll zu machen, berichtete „Stendal“, dass Studenten, die Agricola beim Umzug in seine neue Wohnung halfen, beim Verpacken von Büchern u. a. Werke Trotzkis entdeckt hätten.447 Während das MfS erste Ermittlungen einleitete, geriet Agricolas Position auch durch die Ernennung von Prof. Leo Stern zu seinem Stellvertreter ins Wanken: 1901 als Sohn eines jüdischen Kleinbauern unter dem Namen Jonas Leib Stern bei Czernowitz (Nordbukowina) geboren, war Stern seit 1928 an der Wiener Universität als Assistent des bekannten Austromarxisten Prof. Max Adler tätig. 1931/32 begann er sich von Adler politisch zu distanzieren und gehörte 1933 zur Linksopposition der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SDAPÖ), von der er im Oktober 1933 zur KPÖ übertrat. Nach den Februarkämpfen in Wien wurde Stern 1934 fünf Monate lang inhaftiert. 1935/36 floh er über die Tschechoslowakei in die Sowjetunion, in deren Auftrag er sich unter dem Parteinamen „Franz Schneider“ am Spanischen Bürgerkrieg beteiligte. Bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion war Stern u. a. für die Presseabteilung der Komintern, die Internationale Leninschule sowie als Professor für Neuere Geschichte in Moskau tätig. Er kehrte 1945 als hochdekorierter Oberstleutnant der Roten Armee nach Österreich zurück und wirkte anschließend als Gastprofessor an der Universität Wien. An der Martin-LutherUniversität erhielt Stern im Sommersemester 1950 nach Berufung durch DDRVolksbildungsminister Paul Wandel einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte „unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiterbewegung“. Auf Vorschlag von Agricola wurde Stern im Mai 1951 vom Staatssekretariat für Hochschulwesen zum stellvertretenden Rektor ernannt. Mit Beginn des Studienjahres 1951/52 war er zudem Prorektor für das gesellschaftswissenschaftliche Grundstudium.448

447 Ebd., Bl. 11, 18, 20. 448 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 57, 174–177, 179; 2. Band, Bl. 81; SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/11/ v. 2833, Bl. 8–10, 39, 53, Kurzbiographie vom 23.12. 1970; Kaderakte Prof. Dr. Leo Stern (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/1104, unpaginiert; Eintragungen im Grundbuch); namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 40); Senatsprotokolle 1950–1951 (UA Halle, Rep 7, 808, unpaginiert; Schreiben des Staatssekretariats für Hochschulwesen an Rektor Prof. Agricola vom 31. 5.1951); UA Halle, Personal- und Vorlesungsverzeichnisse SS 1950, S. 15, 29; WS 1950/51, S. 17; SS 1951, S. 19, 33; Studienjahr 1951/52, 1. Abschnitt, S. 19, 26; Keßler, Vom Gefechtsstand in den Hörsaal, S. 53–63; Lustiger, Schalom libertad, S. 229.

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Später geäußerte Vermutungen, Stern sei Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes gewesen,449 lassen sich anhand der in deutschen Archiven verfügbaren Akten zwar nicht mit Sicherheit belegen, erscheinen aufgrund verschiedener Indizien aber möglich: So gab Stern im Hinblick auf seinen Einsatz im Spanischen Bürgerkrieg an, er habe „von Januar 1937 bis April 1938 [...] als Mitarbeiter der Kaderabt[eilung] des EKKI einen Sonderauftrag durchzuführen“ gehabt. Als er sich am 7. Juli 1941 freiwillig zur Roten Armee meldete, sei er „bald darauf dem Volkskommisariat für Verteidigung zur besonderen Verwendung zugeteilt“ worden, auf dessen Befehl er „einen bestimmten wissenschaftlichen Sonderauftrag durchgeführt“ habe. Ein weiterer militärischer Sonderauftrag führte ihn zwischen Mai 1943 und September 1944 in die Etappe, wo er für das „Sowjetische Informationsbüro“ tätig wurde. Er will während dieser fast 1½ Jahre einige Aufsätze und „Lehrbehelfe“ geschrieben haben. Vom Kriegsende bis zu seiner Übersiedlung in die DDR (Juni 1950) war Stern Mitarbeiter der Abteilung Information und Zensur der Sowjetischen Kontrollkommission in Wien.450 An der Universität Halle schien sich zunächst fast alles im Sinne von Stern zu entwickeln, der Rektor Agricola bei Abwesenheit und Krankheit vertrat. Linientreue Universitätslehrer und Studenten hielten Agricola für einen Doppelzüngler und warfen ihm Nachgiebigkeit gegenüber regimekritischen Kräften vor.451 Dennoch musste auch Stern einige Anfangsschwierigkeiten überwinden, so etwa, als die SED-Landesleitung Sterns Aufnahme in die Partei mit dem Hinweis auf seine österreichische Staatsangehörigkeit zunächst ablehnte. Burchard Brentjes – ein Mitglied der Fraktion um Prof. Mode – verlangte, dass Stern sein bisheriges Parteimitgliedsbuch vorlegen müsse. Stern versuchte Brentjes’ Glaubwürdigkeit mit der Behauptung zu erschüttern, dass Brentjes „aktiver Faschist, eine große Stütze des Nazireiches [und] ein aktiver HJ-Führer gewesen“ sei. Stern erhielt das SED-Mitgliedsbuch erst im Dezember 1951 auf Beschluss des Politbüros. Bei den noch bevorstehenden jahrelangen Auseinandersetzungen versuchte sich Stern an Brentjes u. a. dadurch zu rächen, dass er seit 1950 belastendes Material über ihn sammelte.452 Brentjes’ Feindschaft gegenüber Stern sollte noch 1996 – 14 Jahre nach Sterns Tod – in der öffentlich geäußerten Behauptung gipfeln, Stern sei NKWD-Offizier gewesen. Wichtige universitäre Entscheidungen seien „im Kaffeekränzchen der Frau Stern gefallen“.453

449 Brentjes, As I seem to remember, S. 74 f. Vgl. dazu die Erwiderung von Sterns Witwe, Frau Alice Stern aus Halle, Zu den „Erinnerungen“ des Herrn Prof. Burchard Brentjes. 450 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2833, Bl. 8–10, 41, 53. 451 BStU, MfS BV Halle, AOP 63/54, Bl. 21 f. 452 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 58, 60 f., 126, 128 f.; 2. Band, Bl. 89; MfS-AP 5813/72, Bl. 63; SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2833, Bl. 34. 453 Brentjes, As I seem to remember, S. 74 f. Zwei von Leo Sterns Brüdern – Manfred und Wolfgang Stern – waren nachweislich für den GRU, den Nachrichtendienst der sowjetischen Streitkräfte, tätig. Vgl. Behrend, „Retter von Madrid“ und Opfer Stalins.

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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Weitere dunkle Wolken über Sterns Karriere begannen im Mai 1951 aufzuziehen, als dem Staatssicherheitsdienst Sterns Interesse für „trotzkistische Literatur“ bekannt wurde. Stern benötigte diese Literatur vermutlich für die Forschungsgemeinschaft „Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, die er im Herbst 1950 am Institut für deutsche Geschichte gegründet hatte und leitete.454 Er wandte sich mehrere Male an den Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek und bat ihn um Zutritt zu einem mehrfach gesicherten Verschlussraum, in dem „verbotene staatsfeindliche Literatur“ vor dem Abtransport gelagert wurde. Um die Zustimmung des Bibliotheksdirektors zur Herausgabe der inkriminierten Schriften zu erreichen, stellte ihm Stern seine Unterstützung in anderen Angelegenheiten in Aussicht.455 Im Herbst 1951 wurde Sterns Karriere durch eine Affäre, die von ideologischem Fanatismus und persönlichen Verleumdungen gekennzeichnet war, erneut gefährdet. Auslöser der Debatte war ein am 4. September 1951 in der „Freiheit“ abgedruckter Artikel von Stern über Stalins 1950 erschienenes Traktat „Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft“. Stalins Arbeit bedeutete eine Abkehr von den obskuren Theorien des bislang in Ehren gehaltenen sowjetischen Sprachwissenschaftlers N. J. Marr und seiner Schüler, die von ihren Lehrstühlen an sowjetischen Universitäten und Hochschulen entfernt wurden.456 Stern pries Stalins Gedanken als „die tiefsten Erkenntnisse [...], die jemals ein genialer Denker ausgesprochen“ habe und stellte fest, dass bislang alle in der Sowjetunion geführten Diskussionen über theoretische Fragen die „richtunggebende Klarstellung“ letztlich durch Stalin erfahren hätten. Äußerer Anlass für Sterns Artikel war eine wissenschaftliche Konferenz, die die Propaganda-Abteilung des ZK am 23./24. Juni 1951 nach Ostberlin einberufen hatte. Die Ergebnisse der Konferenz wertete Stern als Argumente „im Kampf gegen die zersetzenden Einflüsse der reaktionären Ideologien des amerikanischen Imperialismus“, wozu er Kosmopolitismus, Objektivismus, Formalismus, „Rechtssozialismus“, „Sozialdemokratismus“ und Opportunismus sowie die „marxistische Phraseologie“ trotzkistischer Agenturen rechnete.457 Sterns Artikel veranlasste seinen Hilfsassistenten Kurt Büttner zu der Behauptung, Stern entstelle den Marxismus-Leninismus, da er nicht die Entwicklung der Produktivkräfte, sondern die Sprache als „Kontinuum der Gesellschaft“ bezeichnet und „das Wesentliche der Lehre Stalins nicht richtig verstanden“ habe. Stern 454 Kowalski, Leo Sterns Beitrag, S. 25. 455 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 10, 137. 456 Der 1934 verstorbene Marr hatte eine Theorie entwickelt, in der alle Wörter aus den Silben „rosch“, „sal“, „ber“ und „jon“ abgeleitet wurden. Da man seine pseudowissenschaftliche Theorie für wahrhaft marxistisch hielt, wurden Marrs Gegner aus ihren Positionen entfernt, hingerichtet oder in Arbeitslager eingewiesen. Vgl. Conquest, Stalin, S. 271, 379; Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 724; Fetscher, Von Marx zur Sowjetideologie, S. 136 f. 457 Freiheit vom 4. 9.1951 („Professor Dr. Leo Stern: Ein Meisterwerk des schöpferischen Marxismus“).

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nutzte eine Anfang Oktober 1951 stattfindende Arbeitsbesprechung im Historischen Seminar, um mit Büttner abzurechnen. Zu Beginn der Besprechung gab Stern bekannt, dass das Stenogramm der Sitzung umgehend dem ZK zugeleitet werde. Danach attackierte er Büttner wegen dessen früherer Zugehörigkeit zur HJ und beschimpfte ihn Büttners eigener Darstellung zufolge mit Worten wie „Karrierist“, „Betrüger“, „vulgärer Marxist“, „Wortklauber“, „Talmudist“ etc.458 Zu Büttner gewandt rief Stern mit erhobener Faust aus: „Du wolltest mich abschießen. Als es Dir auf geradem Wege nicht gelang, versuchtest Du es mit nazistischen Umtrieben. Doch das wird Dir nicht gelingen. Du hast überhaupt immer gemäht wie ein Sensenmann, aber jetzt bin ich da, und ich bin der Stein, der Dir die Sense aus der Hand schlägt.“459 Stern gab Büttners Entlassung als Hilfsassistent bekannt und verhängte Hausverbot gegen ihn. Als Büttner, der sich mittlerweile an die Propaganda-Abteilung des ZK gewandt hatte, eine Woche später zu einer Aussprache bei Stern erschien, warf ihm dieser erneut vor, ihn „abschießen“ und aus ihm „einen zweiten Kofler machen“ zu wollen.460 Stern sammelte Berichte und betrieb Büttners Parteiausschluss. Mit der Begründung, Büttner habe „Stern kritisieren wollen, ohne die Bezirksleitung vorher um ihre Zustimmung zu bitten“, wandelte die Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) den Ausschluss später in eine Rüge um. Auch auf ideologischem Gebiet blieb Büttner letztlich Sieger, da sich die Propaganda-Abteilung des ZK bei der Erörterung der theoretischen Fragen zu seinen Gunsten entschied. Während einer Besprechung, an der auch Vertreter des ZK teilnahmen, wurde Stern am 28. November 1951 zur Abfassung eines Aufsatzes zum Thema „Der Marxismus über die Sprachwissenschaft, insbesondere über das Problem des Kulturerbes“ verpflichtet, der in einer bedeutenden wissenschaftlichen Zeitschrift erscheinen und als Basis für wissenschaftliche Diskussionen dienen sollte.461 Stern beklagte sich darüber, dass seitens der Propaganda-Abteilung des ZK der Versuch unternommen werde, ihn „mit aller Gewalt zum Sektierer“ zu stempeln. Zu seiner Verteidigung übergab er nicht nur Material über Kurt Büttner, sondern attackierte auch Rektor Agricola, der sich vor der Arbeit und Verantwortung drücke und „bei schwierigen Situationen ins Bett“ gehe. Bürgerliche Professoren hätten Agricolas Briefe an westdeutsche Wissenschaftler erwähnt, „in denen grobe grammatikalische Fehler enthalten seien“. Stern behauptete weiter, Agricola trage „eine Larve“, er sei falsch, „ohne Seele, ein Feigling, gegen jeden misstrauisch“. Agricolas Wa-

458 Berichte und Analysen zur Lage an der Universität und TH Chemie 1951/52 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/9.01/1399 a, Bl. 23–25). 459 Ebd., Bl. 25. 460 Ebd., Bl. 25 f. 461 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 58 f., 132, 134; MfS-AP 5813/72, Bl. 63; Berichte und Analysen zur Lage an der Universität und TH Chemie 1951/52 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/9.01/1399 a, Bl. 1–3).

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gen werde nicht kontrolliert, weil er Abgeordneter der Volkskammer sei, „und so würden Schmuggelwaren aus dem Westen herüber gebracht“.462 Agricola hielt den Anwürfen nicht stand und bat Bernard Koenen am 2. Januar 1952 um Abzug von seiner Funktion als Rektor der Martin-Luther-Universität. Drei Tage später wiederholte er seine Bitte und beantragte eine Untersuchung gegen sich wegen der Verhaftung einiger hochrangiger Universitätsmitarbeiter „und in Bezug auf die Beschuldigungen, die sein Volkskammermandat betreffen“.463 Die offizielle Übernahme des Rektorats durch Stern sollte sich zwar noch fast zwei Jahre hinziehen und erst nach seiner Wahl am 23. Oktober 1953 erfolgen, doch in Wahrheit führte Stern das Rektorat infolge von Agricolas krankheitsbedingter Abwesenheit bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt. Mit dem Hinweis auf Agricolas schlechten Gesundheitszustand, seinen Mangel an Autorität und Agricolas Methode, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Parteilinie zu umgehen, empfahl das Staatssekretariat für Hochschulwesen in Berlin dementsprechend schon im Oktober 1952, Vorbereitungen für die Wahl eines neuen Rektors zu treffen.464 Der vom MfS gegen Agricola angelegte Vorgang „Berlin“ wurde im April 1954 eingestellt. Beweise für eine feindliche Tätigkeit hatten sich nicht ergeben. Nach vorübergehender Tätigkeit an der Akademie der Wissenschaften wurde Agricola 1956 als Generalkonsul nach Helsinki delegiert, wo er in den folgenden Jahren durch politische Unsicherheit (Volksaufstand in Ungarn, Mauerbau), mangelnde Wachsamkeit und Alkoholismus negativ auffiel. Das MfS begann erneut Material über ihn zu sammeln.465 Eine gute Gelegenheit, sich persönlich und politisch zu profilieren, ergab sich für Agricolas künftigen Nachfolger Leo Stern Anfang 1952, als fünf Dekane wegen der Verhaftung mehrerer Studenten beim Rektor intervenierten und die Beratung von Maßnahmen zur „Aufklärung und Beruhigung der Angehörigen der Universität“ verlangten. Über die Studenten, die wegen „Bildung einer verbrecherischen Organisation“, Verbreitung „antisowjetischer Hetzliteratur“ und Spionage zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt wurden oder noch abgeurteilt werden sollten,466 führte Stern während einer außerordentlichen Senatssitzung am 9. April 1952 aus:

462 Berichte und Analysen zur Lage an der Universität und TH Chemie 1951/52 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/9.01/1399 a, Bl. 3–5, 29, 35 f.). 463 Ebd., Bl. 35 f. 464 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 4210, Bl. 33; Rektoratsübergabe 1949–1953 (UA Halle, Rep 7, 441, unpaginiert; Ansprache Agricolas anlässlich der Rektoratsübergabe am 28.11.1953 in der Aula der Universität Halle; Mitteilung von Prof. Leo Stern im Oktober 1953). 465 BStU, MfS BV Halle, AOP 63/54, Bl. 41; MfS-AP 8131/72, Bl. 5, 39–42, 78 f., 85, 91. 466 Beiakte zu den Senatsprotokollen 1952 (UA Halle, Rep 7, 809, unpaginiert; Referat von Prof. Dr. Leo Stern, gehalten auf der außerordentlichen Senatssitzung am 9. 4.1952 aus Anlass der Anfrage der Dekane Gallwitz, Winkler, Schmalfuß, Ahrbeck und Lehmann, darin Bl. 9).

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„Der Großteil der Verhafteten gehört der staatsfeindlichen Organisation „Freies Parlament“ an. Die Organisation wurde von dem westlichen sogenannten Bund Deutscher Jugend (BDJ) im Auftrage des amerikanischen Geheimdienstes aus faschistischen und deklassierten Elementen geschaffen. Der Stab der Organisation befand sich im amerikanischen Sektor von Berlin, Wildenowstraße 40. Die Tätigkeit der Organisation wurde von den Amerikanern und von den westdeutschen Industriellen finanziert und gelenkt. Den Angehörigen der Organisation wurden Aufgaben zur Störung des Ablaufs der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, der Schaffung von terroristischen Banden in der Deutschen Demokratischen Republik, der Sammlung von Spionageinformationen sowie die Verbreitung von Hetzliteratur und Flugblättern gestellt. Von den Angehörigen war geplant, während der Festspiele Unruhen im demokratischen Sektor von Berlin zu provozieren, die Transport- und Verbindungsmittel zu desorganisieren und Ampullen mit entzündbaren Stoffen auszuwerfen. [...] Das Ministerium für Staatssicherheit wird auch in Zukunft [...] rücksichtslos alle Feinde des Volkes, Söldner der westlichen imperialistischen Staaten, ausmerzen.“467

Stern verwies auf die Pflicht aller Universitätslehrer, ihre Studenten nicht nur fachlich auszubilden, sondern auch politisch zu erziehen. Obwohl die staatlichen Organe in ihrer Arbeit unterstützt werden müssten, machten sich Mitglieder des Lehrkörpers, vor allem Dekane, nach Sterns Auffassung „objektiv zu Förderern dieser destruktiven staatsfeindlichen Elemente“, indem sie sich schützend vor sie stellten.468 Die angegriffenen Dekane wiesen diesen Vorwurf zwar zurück, sahen sich aber neun Tage später genötigt, im Senat einer Entschließung zuzustimmen, in der alle Universitätslehrer aufgefordert wurden, die Regierungsmaßnahmen zu unterstützen und den Staatsorganen mehr als bisher zu vertrauen.469 Die Steuerung der Kampagne erfolgte durch das SED-Landessekretariat, das am 24. April 1952 den Beschluss fasste, die Propaganda-Abteilung mit der Erstellung eines Plans „für die Verstärkung der politischen und wissenschaftlichen Arbeit an der Universität, die Entlarvung und Zerschlagung feindlicher Nester und Kräfte“ zu beauftragen. Die Parteiarbeit sollte vor allem auf ideologischem Gebiet verstärkt werden und der „Isolierung der Agenten“ dienen.470 Im Sinne dieser Vorgaben vertrat Stern am 9. Mai 1952 vor dem Senat die Auffassung, es werde einer „zähen, langwierigen und geduldigen Erziehungsarbeit bedürfen, bis unsere Universität aus einer vom USA-Imperialismus bevorzugten Infiltrationsstätte für kriminelle, asoziale und staatsfeindliche Elemente zu einer in politisch-moralischer Hinsicht unerschütterlichen Hochburg des demokratischen Staatsbewusstseins geworden“ sei.471 Er erwähnte in diesem Zusammenhang zwei Studenten und einen Mitarbeiter der Universität, die

467 Ebd., darin Bl. 9 f. 468 Ebd., darin Bl. 10 f. 469 Ebd.; Stellungnahme von Prof. Dr. Leo Stern vor dem Akademischen Senat am 9. 5.1952, darin Bl. 1–3. 470 Sekretariat-Protokoll 24. 4.1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV / L 2/3/63, Bl. 3–7). 471 Beiakte zu den Senatsprotokollen 1952 (UA Halle, Rep 7, 809, unpaginiert; Stellungnahme von Prof. Dr. Leo Stern vor dem Akademischen Senat am 9. 5.1952, darin Bl. 4).

Säuberungen in Partei, Staat, Wirtschaft, Wissenschaft

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festgenommen worden waren, weil sie der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) angehört haben sollen.472 Zur persönlichen Absicherung verwies Stern häufig auf seine enge Freundschaft mit Staatssicherheitsminister Zaisser und drohte damit, „Akten über ihn ablehnende Personen der Staatssicherheit zu übergeben“. Aus seiner öffentlichen Äußerung, er sei „Kadermann der Kommunistischen Internationale gewesen und habe viele der heute führenden Genossen anzuleiten gehabt“, kann man schließen, dass Sterns Freundschaft zu Zaisser auf die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg zurückging. Nach Zaissers Entmachtung (1953) arbeitete Stern teils erfolgreich darauf hin, potentielle Informanten des MfS aus seinem beruflichen Umfeld zu entfernen, so etwa den Kaderleiter der Universität, dessen Sohn für das MfS tätig war. Stern unterstellte dem MfS, Personen aus seiner Umgebung als Informanten werben zu wollen und erklärte einigen Genossen gegenüber, „man solle sich nicht zum Werkzeug der Staatssicherheit machen“, denn auch dort gebe es Feinde. Umgekehrt war Stern sehr daran interessiert, Informationen und Stimmungsberichte aus den verschiedensten Fakultäten und Instituten zu erhalten. Dazu bediente er sich mehrerer Personen, die ihn regelmäßig aufsuchten und Berichte lieferten.473 Sterns „feindliche Einstellung gegenüber dem MfS“ wurde in einem Auskunftsbericht vom Dezember 1958 wie folgt zusammengefasst: „Alles bisher Festgestellte zeigt die Ursachen für das Misstrauen Sterns gegenüber der Arbeit des MfS. So warf er den Organen im Bezirk Halle vor, dass sie ihn operativ bearbeiten und bezichtigte leitende Genossen der Lüge. Stern, der selbst konspirative Mittel benutzte, um gegen ihn unliebsame Personen zu intrigieren, sah hinter jeder ihn kritisierenden Person einen Mitarbeiter des MfS. Die freundschaftliche Verbindung zwischen ihm und dem ehemaligen Minister für Staatssicherheit, Zaisser, benutzte er in verschiedenartiger Weise als Druckmittel. Den Personen, bei welchen er eine Zusammenarbeit mit dem MfS vermutete, warf er vor, ohne „seine Erlaubnis“ konspirativ Material zu sammeln und anzufertigen. Sein Wunsch wäre es, alle Personen, die mit dem MfS arbeiten, zu kennen und über den Inhalt ihrer Mitteilungen informiert zu werden.“474

Vorausgegangen waren Verdächtigungen, Stern vertrete eine opportunistische Linie und gebiete der Verbreitung bürgerlicher Ideen an der Universität keinen Einhalt. Stern wiederum wandte sich schriftlich an Bernard Koenen – damals 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle – und machte darauf aufmerksam,

472 Senat: Protokolle und Entschließungen 1952 (UA Halle, Rep 7 a + b, 12, unpaginiert; Stellungnahme von Prof. Dr. Leo Stern vor dem Akademischen Senat am 9. 5.1952, darin Bl. 13). 473 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 67, 128 f., 137–140; 2. Band, Bl. 82, 85, 90 f. Während eines Gespächs, das der Autor mit Sterns Witwe, Frau Alice Stern aus Halle, am 8. 3. 2004 führte, bestritt Frau Stern, dass sich ihr Mann und Zaisser bereits aus dem Spanischen Bürgerkrieg kannten. Leo Stern habe sich vor seiner Übersiedlung in die DDR immer als Österreicher verstanden und mit deutschen Genossen nur wenig zu tun gehabt. 474 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 2. Band, Bl. 90.

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Die Verschärfung der Säuberungen 1949–1952

dass an der Martin-Luther-Universität durch „linkes Sektierertum“ und „wilden Radikalismus“ die höchste Quote westflüchtiger Wissenschaftler unter allen Universitäten der DDR erreicht worden sei. Auch ein Brief an Franz Dahlem konnte im Mai 1959 nichts mehr daran ändern, dass Sterns Tätigkeit als Rektor im Juni 1959 endete.475 Aus dem Machtkampf von Stern, Agricola, Mode und Kofler gingen somit letztlich alle Beteiligten als Verlierer hervor.

475 Hübner, Leo Stern als Rektor, S. 74–77.

V.

Das Feindbild „Zionismus“ 1952/53

1.

Der Slánský-Prozess und seine Folgen

Das repressive politische Klima ließ in der DDR innerhalb weniger Jahre jeden Ansatz von Eigeninitiative ersticken und Staat wie Partei erstarren. Zur Überwindung der lähmenden Angst, die weite Teile der Gesellschaft beherrschte und in Passivität verfallen ließ, schien die SED Anfang 1952 eine selbstkritische Phase einzuläuten, in der Missstände überraschend offen angesprochen wurden. So warf das Zentralorgan „Neues Deutschland“ am 25. Januar 1952 die Frage auf, ob „die Wirklichkeit in der DDR dem demokratischen Charakter“ der Gesetze entspreche, verbunden mit dem Hinweis, dass Demokratie die Voraussetzung für „jene Atmosphäre der Aufgeschlossenheit und des freudigen Vorwärtsdrängens aller“ sei. Solche und ähnliche Äußerungen deuteten jedoch nicht auf einen radikalen Kurswechsel der SED-Führung hin, sondern waren lediglich Teil einer gegen die Auswüchse der Partei- und Staatsbürokratie gerichteten Kampagne. Sie erfolgten zu einem Zeitpunkt, als sich die „Stalin-Note“ (10. März 1952) in Vorbereitung befand und eine Verbesserung des demokratischen Erscheinungsbildes der DDR dringend geboten schien. Das selbstkritische Intermezzo endete dementsprechend bereits im April 1952 nach der Ablehnung der Stalin-Note. Pieck, Ulbricht und Grotewohl erhielten Stalins neue Direktiven, die sich an der Sicherung des Status quo orientierten. Stalin verlangte die Schaffung einer Volksarmee, ein Ende pazifistischer Töne, und nicht zuletzt auch die Durchführung von Prozessen. In der ZPKK waren seitdem ebenfalls keine selbstkritischen Äußerungen mehr wie noch Anfang April 1952 zu hören, als man übereingekommen war, bei Parteistrafen vom Prinzip der Vergeltung abzukommen und stattdessen die Erziehung der Parteimitglieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Anfang Mai 1952 betonte Hermann Matern erneut, dass es noch immer Feinde in der Partei gebe, die als Basis für „Terrorakte, Diversionsakte und Spionagearbeit“ dienen könnten.1 Hinter den Kulissen war der harte Kurs ohnehin fortgesetzt worden: Mit Hinweis auf die von Wilhelm Pieck auf dem III. Parteitag geübte Kritik an der Arbeit des SED-Landessekretariats von Sachsen-Anhalt und besonders an Bernard Koenen, hatte die ZPKK am 28. Februar 1952 festgestellt, dass in der Zwischenzeit keine entscheidenden Verbesserungen stattgefunden hätten. Während der Parteiüberprüfung sei Koenen Mitgliedern der Landeskommission entgegen getreten, „die eine kritische Beurteilung der schlechten Kaderpolitik der Landesleitung Sachsen-Anhalt“ verlangt hätten. Es sei ihm damals gelungen, eine unkritische Analyse der Kaderpolitik durchzusetzen. Die Weiterbeschäftigung bestimmter Genossen im Apparat der SED-Landesleitung trotz angeblich fehlender „kaderpolitischer Voraussetzungen“ stellte nach Ansicht der ZPKK ein „sehr ernstes Zeichen von Versöhnlertum“ dar. Genannt wurden hierbei 1

Mählert, „Die Partei hat immer recht!“, S. 421–424.

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Das Feindbild „Zionismus“ 1952/53

u. a. die früheren KPO-Mitglieder Walter Blass und Ursula Wohlenberg. Blass war mittlerweile zwar als Büroleiter des Sekretariats abberufen worden, aber nicht aus der Landesleitung entfernt, sondern mit der Leitung der Abteilung Agitation beauftragt worden. Pressereferentin Wohlenberg, die gelegentlich als Koenens persönliche Referentin arbeitete, stammte aus den USA und erhielt von dort trotz gegenteiliger Beteuerungen Pakete. Da Koenen nach Auffassung der ZPKK sein „Versöhnlertum“ noch nicht überwunden hatte, schlug die ZPKK dem Sekretariat des ZK vor, ihn auf der kommenden Landesdelegiertenkonferenz nicht wieder zur Wahl zu stellen.2 Damit war Koenens Sturz als 1. Landessekretär von Sachsen-Anhalt noch vor der am 23. Juli 1952 verfügten Auflösung der Länder beschlossene Sache. Koenen führte sein Amt noch bis August 1952 weiter und wurde im Januar 1953 als Botschafter nach Prag versetzt.3 Der Beschluss zum Aufbau des Sozialismus in der DDR, der auf der 2. Parteikonferenz (9.–12. Juli 1952) verkündet wurde, ließ weitere Verfolgungsmaßnahmen erwarten. Begründet wurde dies von der 2. Parteikonferenz damit, dass es zum Aufbau des Sozialismus erforderlich sei, „den feindlichen Widerstand zu brechen und die feindlichen Agenten unschädlich zu machen“.4 Aus den Säuberungen der osteuropäischen „Bruderparteien“ wurden folgende Lehren gezogen: „Die Partei und jedes einzelne ihrer Mitglieder müssen größere revolutionäre Wachsamkeit üben und einen entschiedenen Kampf gegen versöhnlerische Tendenzen gegenüber den Feinden der Partei und des Volkes führen. Das Verbrechen der Tito-Clique, die verbrecherische Tätigkeit der Gruppe Slansky in der Tschechoslowakei, der Gruppe Gomulka5 in Polen und die parteifeindliche Haltung Lucas und Georgescus6 in Rumänien zeigen, wie der Feind seine verbrecherische Tätigkeit in unseren Reihen durchzuführen versucht. Dagegen kann sich die Partei nur schützen durch einen entschiedenen Kampf gegen Versöhnlertum gegenüber den Feinden und durch die breite Entfaltung der Kritik und Selbstkritik, durch die Entfaltung der Wachsamkeit aller Parteimitglieder und der Werktätigen.“7

2 3

4 5 6

7

SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/73, Bl. 1–14. SAPMO-BArch, DY 30/ IV 2/11/ v. 224, Bl. 7 f.; Freiheit vom 12.1.1953 („Bernard Koenen – neuer Botschafter in der ČSR“). Altersgründe für Koenens Versetzung scheiden aus, da er 1958 als Botschafter abgelöst und zum 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle ernannt wurde. Vgl. SBZ-Biographie, S. 179 f. Dokumente der SED, 4. Band, S. 73. Wladislaw Gomulka wurde seit Juni 1948 auf Betreiben von Generalsekretär Boleslaw Bierut schrittweise entmachtet, im August 1951 verhaftet und im Dezember 1954 entlassen. Innenminister Teohari Georgescu und Finanzminister Vasile Luca bildeten zusammen mit Außenministerin Ana Pauker eine Troika, die 1952 von Generalsekretär Gheorghe Gheorghiu-Dej entmachtet wurde. Pauker, Luca und Georgescu verloren ihre Ämter. Luca wurde verhaftet und im Oktober 1954 von einem Militärgericht in einem Geheimprozess zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde aufgrund seines Gnadengesuchs in lebenslängliche Haft umgewandelt. Luca starb 1960 im Gefängnis. Dokumente der SED, 4. Band, S. 77.

Der Slánský-Prozess und seine Folgen

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Die Verfasser des Drehbuchs für den Rajk-Prozess hatten während der Vernehmungen dafür gesorgt, dass die Ermittlungen nicht nur auf Ungarn beschränkt blieben, sondern auch auf die Nachbarländer ausgedehnt werden konnten. Beim Verhör von Tibor Szönyi war u. a. der Name des Leiters des staatlichen tschechoslowakischen Reisebüros ČEDOK Gejza Pavlík gefallen. Pavlík, der als rassisch Verfolgter in die Schweiz geflohen war, hatte in der Emigration Verbindung zu Noel Field und Szönyi unterhalten. Nach 1945 leitete er eine USCZweigstelle in der Tschechoslowakei. Er wurde auf Ersuchen des ungarischen Geheimdienstes AVH verhaftet und im Mai 1949 zusammen mit seiner Frau von Prag nach Budapest überstellt. AVH- und Sowjet-Offiziere erfolterten von den verhafteten Ungarn, von Pavlík und Field, der am 11. Mai 1949 in Prag festgenommen und an Ungarn ausgeliefert worden war, 60 Namen tschechoslowakischer Kommunisten, die angeblich an einer „titoistisch-imperialistischen Verschwörung“ teilgenommen hatten. Auf Anweisung von Klement Gottwald und Generalsekretär Rudolf Slánský wurde Ende Juni 1949 eine Parteikommission gebildet, die Empfehlungen für erste Verhaftungen aussprach. Als die tschechoslowakischen Behörden im Sommer 1949 keine weiteren Schritte einleiteten, geriet das Verschwörungskonstrukt des Rajk-Prozesses mit seinen weit verzweigten internationalen Verbindungen ins Wanken. Druck aus Moskau, Budapest und Warschau, wo man eine polnische „Field-Gruppe“ aufgedeckt hatte, ließen die Tschechoslowaken einlenken. Anfang Oktober 1949 traf eine Gruppe des MWD in Prag ein, um den „tschechoslowakischen Rajk“ ausfindig zu machen.8 Die in der Tschechoslowakei um sich greifenden Verhaftungen betrafen KPFunktionäre, die sich in englischer Emigration befunden hatten, sowie ehemalige Spanienkämpfer, „Trotzkisten“, frühere Sozialdemokraten, slowakische Kommunisten (so genannte „bürgerliche Nationalisten“), schließlich sogar Offiziere des Sicherheitsdienstes. Obwohl sich Außenminister Vladimir Clementis und mehrere stellvertretende Minister unter den Verhafteten befanden, erschien keiner von ihnen bedeutend genug, um in einem Schauprozess als Hauptangeklagter präsentiert zu werden. Der geplante Prozess musste daher 1950/51 immer wieder verschoben werden. Als Stalin im Juli 1951 die Ablösung des Generalsekretärs der KPČ Rudolf Slánský forderte, weil dieser der Partei angeblich „großen Schaden zugefügt“ und falsche Personalentscheidungen getroffen habe (gemeint war die große Zahl jüdischer Kommunisten in leitenden Positionen), kam eine neue Figur ins Spiel. In den Verhören verhafteter KPČ-Funktionäre war Slánskýs Name bis dahin immer häufiger genannt worden. Slánský wurde im September 1951 als Generalsekretär abgelöst und nach längerem Sträuben Gottwalds auf Intervention von Stalin am 24. November 1951 verhaftet. Slánskýs Verhaftung erschien auf den ersten Blick überraschend, da er als „Wachhund Moskaus, der auf Gottwald aufpassen sollte“, galt 8

Kaplan/Svátek, Die politischen Säuberungen in der KPČ, S. 506–516; Lukes, Der Fall Slánský, S. 476–481; Hodos, Schauprozesse, S. 128–131.

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und 1938 nicht ins westliche Ausland, sondern in die Sowjetunion emigriert war. Seine unnachgiebige Haltung als stalinistischer Apparatschik hatte Slánský oft genug unter Beweis gestellt, nicht zuletzt durch die Verhängung von ca. 140 Todesurteilen gegen politische Oppositionelle in eigens geschaffenen Gremien unter Umgehung der Justiz. Slánskýs bevorstehende Liquidierung musste von den verschont bleibenden KP-Funktionären als unverhüllte Drohung Moskaus und als Geste der Einschüchterung interpretiert werden.9 Nach weiteren Verhaftungen standen insgesamt 14 ranghohe Funktionäre der KPČ als Angeklagte fest. Elf von ihnen, darunter Slánský, waren jüdischer Abstammung. Antisemitische Tendenzen hatten sich bereits während des ungarischen Rajk-Prozesses im September 1949 gezeigt, als der Staatsanwalt den damals mitangeklagten Tibor Szönyi fragte, ob er Mitglied der zionistischen Bewegung gewesen sei, worauf Szönyi antwortete, „dass die zionistische Bewegung im allgemeinen sehr eng mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammenarbeitete“. Dem Hauptangeklagten László Rajk versuchte man eine jüdische Abstammung unterzuschieben. Rajk wies diese Unterstellung zurück und verstieg sich dabei zu der Bemerkung, seine Abstammung sei „arisch“. Im Fall der beiden jüdischen Angeklagten Tibor Szönyi und András Szalai ließ es sich das Gericht nicht nehmen, im Urteil darauf hinzuweisen, dass Szönyi „vor 1945 Tibor Hoffmann“ und Szalai „vor 1945 Erwin Ländler“ hießen.10 Im Slánský-Prozess verwies das Gericht ebenfalls auf die jüdische Abstammung der Angeklagten, stellte ihre „zionistische Wühltätigkeit“ im Dienste der amerikanischen Imperialisten besonders heraus, deckte frühere Kontakte zu zionistischen Organisationen, zu „jüdischen Kapitalisten“, den USA und Israel auf. Israel saß symbolisch mit auf der Anklagebank, da es über seinen früheren Botschafter angeblich Spionageverbindungen zu zwei Angeklagten unterhalten hatte.11 Ganz im Sinne der gewandelten sowjetischen Nahost-Politik machte die antizionistische Stoßrichtung des Prozesses die Abkehr der Tschechoslowakei, die Israel als eines der ersten Länder völkerrechtlich anerkannt, mit Waffen beliefert und durch die geheime Ausbildung von Soldaten unterstützt hatte, von ihrer früheren proisraelischen Haltung deutlich.12 Trotz der unverkennbar antisemitischen Tendenz des Prozesses sollte der Vorwurf des Antisemitismus u. a. dadurch entkräften werden, dass das Prozessdrehbuch den jüdischen Angeklagten in absonderlicher „Logik“ eine Zusammenarbeit mit Antisemiten unterstellte: So gestand Artur London neben seiner angeblich trotzkistischen Betätigung, geheimdienstlichen Tätigkeit und Zusammenarbeit mit Field, Dulles, Rajk, Kos9

Lukes, Der Fall Slánský, S. 465–472, 481, 486–496; Kaplan/Svátek, Die politischen Säuberungen in der KPČ, S. 515 f., 523–549. 10 Bartosek, Prozesse gegen kommunistische Parteiführer, S. 469–477; László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, S. 101 f., 201 f., 373; Lustiger, Schalom libertad, S. 286–293. Lustigers Annahme, Rajk sei Jude gewesen (S. 288), ist falsch und widerspricht Hodos’ Angaben, der Rajk als den einzigen Nichtjuden in der ungarischen Führungsspitze bezeichnet. Vgl. Hodos, Schauprozesse, S. 71. 11 Hodos, Schauprozesse, S. 138–140; Keßler, Die SED und die Juden, S. 85–87. 12 Lukes, Der Fall Slánský, S. 463.

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toff, Tito etc. auch die Auslieferung von Widerstandkämpfern an die Gestapo und die Verantwortung für den Tod Hunderter von Juden in Frankreich während der deutschen Besatzung ein.13 Der Angeklagte André Simone alias Otto Katz musste folgende Erklärung abgeben: „In welchen Ländern ist der Antisemitismus am stärksten? In den USA und in Großbritannien. Ich habe mich mit dem Spionagedienst dieser Staaten verbunden. Durch welche Staaten wird der Nazismus wiederbelebt? Durch die USA und Großbritannien. Ich habe mich mit dem Spionagedienst dieser Staaten verbunden. In welchem Staat gibt es ein Gesetz gegen Rassenverfolgung und Antisemitismus? In der Sowjetunion. Und ich habe mich gegen die Sowjetunion mit Antisemiten [...] verbunden. [...] Ich war Schriftsteller. [...] Ein solcher Ingenieur der Seele wie ich gehört an den Galgen. Der einzige gute Dienst, den ich noch erweisen kann, ist der, allen jenen als Warnung zu dienen, denen durch ihren Charakter und andere Eigenschaften die Gefahr droht, dass sie den gleichen Weg zur Hölle antreten könnten, wie ich. Je härter die Strafe sein wird, desto größer wird die Warnung sein.“14

Elf der vierzehn Angeklagten wurden am 27. November 1952 zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 hingerichtet. Slánský ergab sich in sein Schicksal, legte keine Berufung gegen das Urteil ein und verzichtete auf einen Abschiedsbrief. Als der Henker ihm die Schlinge um den Hals legte, sagte er noch: „Danke! Ich bekomme, was ich verdient habe!“ Die Leichen der Hingerichteten wurden anschließend verbrannt, die Asche in Säcke gefüllt und auf einer vereisten Straße in der Umgebung von Prag ausgestreut. Nichts sollte von den Toten zurückbleiben. Das Eigentum der Hingerichteten und ihrer Familien wurde unter den verschont gebliebenen Parteiführern zu niedrigsten Preisen verschleudert.15 Zur überproportional hohen Auswahl jüdischer Schauprozess-Opfer trugen sowohl innere als auch äußere Faktoren der sowjetischen Politik bei. Antisemitische Tendenzen, die zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurden, hatte es in der Sowjetunion bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens gegeben. Trotzki, Sinowjew und Kamenew wurden Mitte der zwanziger Jahre aufgrund ihrer jüdischen Abstammung als „Elemente ohne Wurzeln in ihrem Vaterland“ diffamiert – eine Umschreibung, die zwar den Gebrauch des Begriffs „Jude“ vermied, zugleich aber an den traditionellen russischen Antisemitismus anknüpfte. In der Presse erschienen antisemitische Karikaturen und Gedichte, in denen Trotzki und Sinowjew angegriffen wurden.16 Dem „Großen Terror“ fielen neben Parteiführern jüdischer Abstammung wie Sinowjew, Kamenew und Radek Tausende weiterer jüdischer Kommunisten zum Opfer, unter ihnen auch Täter wie NKWD-Chef Genrich Jagoda. Fast alle jüdischen Vereinigungen wurden aufgelöst, darunter sogar die Immigrationsabteilung des sowjetischen Innenministeriums, die mit geringem Erfolg versucht hatte, ausländische Juden 13 14 15 16

Lustiger, Schalom libertad, S. 290. Zit. nach Freiheit vom 28.11.1952 („Gerechte Strafe für Slansky und seine Bande“). Lukes, Der Fall Slánský, S. 496; Hodos, Schauprozesse, S. 140. Trotzki, Stalin, S. 507 f.

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für die Ansiedlung im Jüdischen Autonomen Gebiet Birobidschan17 zu werben. Die gesamte Parteileitung und führende Vertreter der staatlichen Verwaltung Birobidschans wurden liquidiert. Um die seit dem Frühjahr 1939 bestehenden diplomatischen Kontakte mit dem nationalsozialistischen Deutschland nicht zu gefährden, wurden Juden aus dem diplomatischen Dienst entfernt. Außenminister Maxim Litwinow, der sich für eine gegen Deutschland gerichtete Annäherung an die Westmächte eingesetzt hatte, musste zurücktreten. An seine Stelle trat der „Arier“ Wjatscheslaw Molotow. Nach dem Abschluss des HitlerStalin-Pakts verstummte die sowjetische Kritik an der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten. Im Herbst 1940 lieferte die Rote Armee über 42000 polnische Kriegsgefangene, die aus den deutsch besetzten westpolnischen Gebieten stammten, an die deutsche Wehrmacht aus. Unter ihnen befanden sich Tausende jüdische Gefangene, die fast alle in deutschen Lagern ermordet wurden. Die Ausrottung der polnischen Juden wurde in den sowjetischen Medien erst wenige Wochen nach dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges erwähnt.18 Die antisemitische Welle erlebte Ende der vierziger Jahre einen erneuten Aufschwung: Da Stalins Hoffnungen auf eine „volksdemokratische“ Entwicklung Israels, dessen Gründung er zur Schwächung des britischen Einflusses im ölreichen Nahen Osten und als potentiellen Verbündeten gegenüber den prowestlichen arabischen Monarchien zunächst befürwortet hatte, enttäuscht wurden, schlug die anfängliche politische und militärische Unterstützung Israels schon bald in offene Feindschaft um. Da die Beziehungen sowjetischer Juden zu im Ausland lebenden Verwandten Misstrauen erweckten, ergriff das Regime repressive Maßnahmen: Jiddischer Sprachunterricht, Rundfunksendungen in jiddischer Sprache, Zeitungen und Bücher wurden verboten, Theater, Museen und Bildungseinrichtungen geschlossen. Jüdische Studienbewerber versuchte man mit Hilfe einer inoffiziellen Quotierung von den Universitäten zu verdrängen. Jüdische Ärzte, Wissenschaftler, Techniker, Justiz-, Armee- und Polizeiangehörige wurden entlassen. Die Mitglieder des 1948 aufgelösten Jüdischen Antifaschistischen Komitees ließ Stalin großenteils liquidieren oder inhaftieren. Im MGB liefen aufgrund der „Entdeckung eines zionistischen konspirativen Zentrums“ Untersuchungen gegen jüdische Geheimdienstler an. Ein geplanter Schauprozess gegen die jüdischen Mitglieder der so genannten „Ärzte-Verschwörung“, deren Ziel die Ermordung Stalins und weiterer Sowjetführer gewesen sein soll, wurde durch den Tod des Diktators am 5. März 1953 verhin17

Mit der 1928 beschlossenen Errichtung des Jüdischen Autonomen Gebiets Birobidschan reagierte das Regime auf zionistische Stimmungen unter den sowjetischen Juden. Durch die Ansiedlung von Juden in Birobidschan sollte ihre Abwanderung nach Palästina verhindert und zugleich das strategisch wichtige, aber unterentwickelte Gebiet an der Grenze zur Mandschurei, die seit 1931 japanisch besetzt war, erschlossen werden. Die zahlenmäßige Verringerung der in ihren traditionellen Siedlungsgebieten verbliebenen Juden förderte deren Assimilierung. Vgl. Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 31. 18 Keßler, Die SED und die Juden, S. 54 f.; ders., Stalinscher Terror gegen jüdische Kommunisten, S. 97–100; Lustiger, Rotbuch, S. 82–86, 90 f., 98, 100 f.; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 32; Antonow-Owsejenko, Der Weg nach oben, S. 97–101.

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dert. Aufgrund der Berichterstattung über die angebliche „Ärzte-Verschwörung“ griff in der Sowjetunion eine Massenhysterie um sich. Aus Furcht vor Vergiftung verweigerten viele Patienten die Verschreibung von Medikamenten durch jüdische Ärzte. Juden wurden öffentlich angepöbelt und aus ihren Arbeitsstellen entlassen. Vier Wochen nach Stalins Tod erklärte das sowjetische Innenministerium, dass die Verhaftung der Ärzte zu Unrecht erfolgt und ihre Geständnisse durch ungesetzliche Untersuchungsmethoden erzwungen worden seien. Der geplante Ärzteprozess sollte den Auftakt zu einem Szenario bilden, dessen Durchführung wohl nur durch Stalins Tod verhindert wurde. Dieses Szenario sah vor, nach der öffentlichen Hinrichtung der jüdischen Ärzte auf dem Roten Platz im ganzen Land Pogrome ausbrechen zu lassen, worauf sich prominente Juden in einem vorbereiteten Aufruf an Stalin wenden und ihn bitten sollten, die Juden durch Deportationen in den Fernen Osten vor dem Volkszorn zu retten. Ziel der Deportationen sollte u. a. Birobidschan sein, wo man die Juden in Baracken internieren wollte.19 Die Säuberung der osteuropäischen „Bruderparteien“ von jüdischen Kommunisten entsprang mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur dem persönlichen Antisemitismus Stalins, sondern besaß zudem eine klar kalkulierte machtpolitische Komponente: Zwischen jüdischen Kommunisten, die in der Hierarchie der „Bruderparteien“ teilweise an der Spitze standen, und der sowjetischen Schutzmacht bestanden besonders enge Bindungen aufgrund der Erfahrung, als jüdische Kommunisten einer sowohl aus rassischen wie auch aus politischen Gründen verfolgten Minderheit anzugehören. Die Aussicht auf persönlichen Schutz durch die kommunistische Partei und die Sowjetunion machte viele jüdische Funktionäre zu besonders ergebenen Stalinisten, auf die sich Stalin bei der Durchsetzung sowjetischer Interessen verlassen konnte.20 Antisemitische 19 Keßler, Die SED und die Juden, S. 56–63; Lustiger, Rotbuch, S. 183–187, 195–198, 211–217, 220–225, 257–263. Arno Lustiger hält die von einigen Historikern vertretene Auffassung, Stalin habe die Deportation der sowjetischen Juden nach Birobidschan geplant, für fragwürdig, solange sich solche Darstellungen nicht auf dokumentarische Belege, sondern auf Zeugenaussagen und persönliche Erinnerungen stützen. Lustiger meint, man müsse „solche Behauptungen bis zum Beweis des Gegenteils als Gerücht oder Legende“ bezeichnen. Dennoch zitiert er sehr detaillierte Äußerungen des ZKFunktionärs Poljakow, der nach eigenen Angaben in die Planung der Deportationen verstrickt war. Vgl. ebd., S. 260–263; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 33, 44; Hodos, Schauprozesse, S. 126 f.; Conquest, Stalin, S. 389 f.; Waksberg, Gnadenlos, S. 430–432; Jakowlew, Blutige Vergangenheit, S. 233, 237. 20 Jüdische Kommunisten waren außer in der tschechoslowakischen KP besonders stark in der ungarischen KP vertreten, in deren Parteiführung sich vier Mitglieder jüdischer Abstammung befanden (Mátyás Rákosi, Mihály Farkas, Ernö Gerö und Józef Révai). Lediglich bei László Rajk, dem während seines Prozesses eine jüdische Abstammung unterschoben werden sollte, handelte es sich nicht um einen Juden. In Polen gelangten nach Kriegsende ebenfalls viele Juden in hohe Staats- und Parteiämter sowie in die Armee und den Geheimdienst, bis sie auf Betreiben der Sowjets entfernt wurden. Auch in Rumänien wurden zwischen 1949 und 1952 jüdische Kommunisten verhaftet oder entmachtet, so z. B. Außenministerin Ana Pauker. Vgl. Hodos, Schauprozesse, S. 71, 163, 166 f., 231–234.

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Vorurteile unter der osteuropäischen Bevölkerung wurden dadurch und besonders unter dem Eindruck der sich rapide verschlechternden politischen und wirtschaftlichen Situation weiter verstärkt. Um Unzufriedenheit und antikommunistische Stimmungen in eine Bahn zu lenken, die dem Regime nicht gefährlich werden konnte, bot sich aus Stalins Sicht die Opferung führender jüdischer Kommunisten an. In der DDR bestand aufgrund des an den europäischen Juden verübten Völkermordes eine besondere Situation, die aus der Sicht der Machthaber ein vorsichtiges Vorgehen notwendig machte. Jüdische Kommunisten wurden in der DDR erstmals im Rahmen der Überprüfung von Westemigranten in den Jahren 1949/50 verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt spielte ihre jüdische Herkunft jedoch noch keine Rolle und sie wurde auch nicht als Begründung für angeblich parteifeindliche Aktivitäten herangezogen. Dies sollte sich 1952 unter dem Eindruck des Slánský-Prozesses ändern. Offen antisemitische Säuberungen nach sowjetischem Vorbild blieben der SED aufgrund der besonderen deutschen Situation verwehrt, so dass als Hauptangeklagter in einem latent antisemitischen Schauprozess eine bekannte und politisch einflussreiche Person gefunden werden musste, die über Verbindungen zu westlichen Staaten und jüdischen Organisationen verfügte. Alle diese Merkmale deuteten auf Paul Merker als potentiellen Hauptangeklagten eines antisemitischen Schauprozesses hin: Bis zu seinem Parteiausschluss und dem Verlust aller Funktionen im August 1950 gehörte Merker aufgrund seiner Mitgliedschaft im SED-Parteivorstand, dem Zentralsekretariat und Politbüro, als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium der DDR etc. zum innersten Führungskreis. Merker war 1930 wegen „sektiererischem Linksopportunismus“, Fraktionstätigkeit, Bildung einer „unsozialistischen, kleinbürgerlichen Plattform“ etc. aus dem Politbüro und ZK entfernt worden.21 Anfang der dreißiger Jahre hatte er sich im Auftrag der Roten Gewerkschaftsinternationale in den USA und während des Krieges in mexikanischem Exil aufgehalten, wo er sich für die von den Nationalsozialisten verfolgten Juden einsetzte. Nach dem Krieg trat Merker für die moralische und materielle Gleichstellung der Juden mit politisch Verfolgten ein. Auf die Gründung des Staates Israel reagierte er mit Begeisterung und plädierte für die Aufnahme enger freundschaftlicher Beziehungen. Während der Vorbereitung des Slánský-Prozesses wurde Merker in das Anklagekonstrukt einer zionistisch-antisowjetischen Verschwörung integriert und auf Betreiben der Ermittler von drei Angeklagten (Artur London, Bedřich Geminder und Otto Katz alias André Simone) als Mitverschwörer belastet. Am 30. November 1952, wenige Tage nach dem Ende des Slánský-Prozesses, wurde Merker verhaftet.22 Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und die „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slánský“ wurden am 20. Dezember 1952 in einem 21 Weber, Der deutsche Kommunismus, S. 267–269; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 115–117. 22 Keßler, Die SED und die Juden, S. 89 f., 156–170; Kießling, Paul Merker, S. 4–6; Herf, Antisemitismus in der SED, S. 638 f.

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ZK-Beschluss zusammengefasst. Darin hieß es, „die Entlarvung der Zionisten als einer Agentur des amerikanischen Imperialismus“ entlarve zugleich „die feindliche Rolle des Agenten Paul Merker in der deutschen Emigrationsgruppe in Mexiko von 1942 bis 1946“. Merker habe damals eng mit André Simone zusammengearbeitet und Beiträge für die Emigrantenzeitschrift „Freies Deutschland“ geliefert, die „sich immer mehr zu einem Publikationsorgan zionistischer Auffassungen“ entwickelt habe und von Merker „zur Propagierung des Kosmopolitismus und der Ausplünderung Deutschlands durch die imperialistischen Mächte“ benutzt worden sei.23 Hintergrund dieser Vorwürfe war u. a. Merkers Aufsatz „Hitlers Antisemitismus und wir“, der im Oktober 1942 erschienen war und in dem Merker – anders als Ulbricht und Pieck in ihren Moskauer Verlautbarungen – Rassismus und Antisemitismus als zentrale Punkte der nationalsozialistischen Ideologie herausgestellt hatte.24 In offener Anlehnung an antisemitische Klischees der Nationalsozialisten diffamierte das ZK Merkers Eintreten für die Entschädigung enteigneter Juden als „Verschiebung von deutschem Volksvermögen“. Merkers Engagement in dieser Frage habe nur dazu gedient, „dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen“. Bei dem von Merker erwähnten jüdischen Eigentum habe es sich um „die aus den deutschen und ausländischen Arbeitern herausgepressten Maximalprofite der Monopolkapitalisten“ gehandelt, die bei der „Arisierung“ lediglich in die Hände „arischer“ Monopolkapitalisten übergegangen seien. Merkers Forderung, man solle die Juden in Deutschland als nationale Minderheit anerkennen, wurden vom ZK als Versuch interpretiert, zionistische „Spione und Diversanten in das neue Deutschland zu entsenden“. Auch sei sein Aufruf an die jüdischen Kommunisten zum Anschluss an die jüdischen Gemeinden nicht erfolgt, um ihnen Carepakete zukommen zu lassen, sondern um die Juden der „amerikanischen Agentenzentrale Joint“ zu verpflichten.25 Merker wurde vom Staatssicherheitsdienst und sowjetischen „Beratern“ pausenlos verhört, beschimpft, bedroht und als „König der Juden“ verhöhnt. Dies war kein Einzelfall, denn auch der im November 1952 verhaftete Staatssekretär im DDR-Handelsministerium Paul Baender und seine Frau wurden in Verhören antisemitisch beschimpft.26 Die Vernehmer äußerten ihr Unverständnis darüber, dass Merker sich als Nichtjude für die Belange der Juden einsetzte, „wenn er nicht in ihrem Solde oder im Solde jüdischer Organisationen stehe“. Man verlangte von ihm, sich des Trotzkismus zu bezichtigen, seine angeblichen Verbrechen einzugestehen und Personen aus dem Bekanntenkreis zu belasten. Die deutschen und sowjetischen Vernehmer beriefen sich auf Forderungen des Politbüros und erinnerten Merker an seine Pflicht als Kommunist, der Partei im Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus beizustehen. Obwohl Mer23 Dokumente der SED, 4. Band, S. 205, 208. 24 Herf, Antisemitismus in der SED, S. 637. 25 Dokumente der SED, 4. Band, S. 206–208. „Joint“ = „American Joint Distribution Committee”. 26 Kießling, Der Fall Baender, S. 168, 178 f.

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ker mit einem Todesurteil vor einem sowjetischen Militärgericht rechnete, begegnete er den Vernehmern unerschrocken und ließ sich auch durch die Drohung, man werde seine Familie „ebenfalls [...] vernichten“, nicht einschüchtern. Er erkannte Parallelen zum Schicksal von Sinowjew, Bucharin, Slánský und anderen „entlarvten“ Kommunisten und betrachtete seine Verhaftung als Teil einer gegen die USA gerichteten propagandistischen Aktion. Im Hinblick auf die Politik der SED zeigte sich Merker gegenüber dem in seine Zelle eingeschleusten Agenten zwar desillusioniert, er blieb seiner marxistischen Überzeugung jedoch treu.27 Der sowjetische „Hohe Kommissar“ Wladimir Semjonow, der offenbar um seinen Kopf fürchtete, drängte auf eine schnellere Vorbereitung des geplanten Schauprozesses und befand sich deshalb „im Winter und Frühjahr 1952/53 in einer Psychose“.28 Um die Säuberungen in der SED schneller voranzubringen, griffen die Sowjets auch auf lokaler Ebene ein: So traf am 12. Januar 1953 ein Beauftragter der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) in Magdeburg ein, um sich mit Vertretern der örtlichen Bezirksparteikontrollkommission (BPKK) über deren Arbeitsmethoden zu unterhalten. In einer mehr als dreistündigen Aussprache wies er darauf hin, dass die BPKK und ihre KPKKs „ein Aktiv von ehrenamtlichen Helfern schaffen“ müssten. Der Slánský-Beschluss des ZK sollte „eingehend studiert“ und zur Grundlage der Überprüfungstätigkeit gemacht werden. Die BPKK wurde außerdem dazu aufgefordert, sich einen Überblick über die im Bezirk lebenden Emigranten zu verschaffen.29 Am 14. Mai 1953 fasste das ZK auf seiner 13. Tagung einen Beschluss über die Auswertung der Lehren des Slánský-Prozesses: Neben der Feststellung, dass diese Lehren in vielen Parteiorganisationen nur ungenügend oder überhaupt nicht ausgewertet worden seien, betonte das ZK die Verpflichtung aller Parteimitglieder, in ihren Grundorganisationen „gegen Feinde zu kämpfen“. Dieser Kampf sei „unerlässlich zur Erziehung der ganzen Partei zur Unversöhnlichkeit, zur Härte und zum unerbittlichen Hass gegen den Klassenfeind“. Darüber hinaus forderte das ZK alle Parteimitglieder auf, sich an das ZK und die ZPKK zu wenden, sofern ihre Kritik an Missständen durch übergeordnete Parteiorgane verhindert werde. Anders als im Dezember 1952 schränkte das ZK seine antisemitischen Ausfälle im Mai 1953 zwar ein, es fuhr jedoch fort, „die Zionisten“ als „imperialistische Spionagezentrale“ und „Gesindel“ zu diffamieren.30 Stalins Tod verhinderte zwar die Veranstaltung eines großen Schauprozesses, führte jedoch nicht zur umgehenden Rehabilitierung der ausgeschlossenen und inhaftierten SED-Funktionäre. Paul Merker wurde am 29./30. März 1955 in einem Geheimprozess vor dem Obersten Gericht der DDR angeklagt und zu 27 Keßler, Die SED und die Juden, S. 94, 96, 159; Herf, Antisemitismus in der SED, S. 650 f.; Kießling, Paul Merkers „Unverständnis“, S. 144. 28 Weber, Schauprozeßvorbereitungen, S. 479. 29 Tätigkeitsberichte der BPKK August 1952–Dezember 1953 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/32, Bl. 73, 78 f.). 30 Dokumente der SED, 4. Band, S. 396, 401, 404, 409.

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acht Jahren Zuchthaus verurteilt. In enger Anlehnung an die Konstrukte des Slánský-Prozesses und des Slánský-Beschlusses des ZK fanden sich in der Urteilsbegründung weiterhin antisemitische Vorwürfe, so z. B. die Behauptung, dass sich Merker in Mexiko „nicht auf die politische, sondern auf die rassische Emigration“ gestützt, dabei besonders Anschluss „an emigrierte kapitalistische, jüdische Kreise“ gesucht und „zionistische Tendenzen“ vertreten habe. Auch der Vorwurf „engster Verbindungen zu den [...] zum Tode verurteilten Verbrechern Slansky, Geminder, Katz (Simone) und Fischl“ blieb weiter bestehen. Neben Merkers angeblicher geheimdienstlicher Tätigkeit für das französische Deuxième Bureau enthielt das Urteil auch eine vernichtende Darstellung seines politischen Wirkens in der KPD und seiner seit 1920 begangenen oder ihm unterschobenen politischen Fehler. Im Januar 1956 wurde Merker erschöpft und herzkrank aus der Haft entlassen. Die ZPKK kam im April und Mai 1956 zu der Einschätzung, dass der Spionagevorwurf gegen Merker nicht länger haltbar sei und befürwortete seine Rehabilitierung. In einem weiteren Geheimprozess, der am 13. Juli 1956 vor denselben Richtern stattfand, die ihn 1955 verurteilt hatten, wurde Merker freigesprochen. Man nahm ihn zwar wieder in die SED auf, er erhielt kurz vor seinem Tod im Jahre 1969 sogar den „Vaterländischen Verdienstorden“ in Gold, doch es gelang ihm nicht mehr, ein bedeutsames politisches Amt zu übernehmen. Als er starb, rühmte ihn ein ZK-Mitglied wegen seiner Verdienste um die Arbeiterbewegung und den Klassenkampf. Merkers politische Verfolgung und seine Schriften zur jüdischen Frage wurden dagegen beinahe erwartungsgemäß nicht erwähnt.31

2.

Säuberungen in den Bezirken Halle und Magdeburg

Die „Verschärfung des Klassenkampfes“ nach der Verkündung des sozialistischen Aufbaus forderte innerhalb der Parteiorganisationen neue Opfer und ließ die Zahl der Parteiverfahren in die Höhe schnellen. Im Bezirk Halle stieg die Zahl der Verfahren im Oktober 1952 gegenüber dem Vergleichsmonat Februar um 33 Prozent. Von 335 Parteiverfahren endeten im Oktober 1952 221 (66 %) mit Ausschlüssen. Es wurden außerdem 46 strenge Rügen (14 %), 37 Rügen (11 %) und 31 Verwarnungen (9 %) ausgesprochen.32 Die weiter um sich greifende Agentenhysterie kam in den Tätigkeitsberichten der BPKK Halle deutlich zum Ausdruck: So hieß es in einem auf November 1952 bezogenen Lagebericht, dass sich die Agenten vor allem „auf die Beschaffung von Unterlagen über die ökonomische Entwicklung, Stärke und Bewaffnung der VP [Volkspolizei, F. H.] sowie sowjetischer Truppeneinheiten“ 31

Beckert, Instanz, S. 194–207; Herf, Antisemitismus in der SED, S. 641–652; Weber, Die Wandlung, 2. Band, S. 220. 32 Arbeitspläne der BPKK Okt. 1952–Juni 1960 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/729, unpaginiert; Analyse vom 29.11.1952 über die in den Kreisen durchgeführten Parteiverfahren im Monat Oktober 1952).

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konzentrierten. Die geringe Zahl von Hinweisen aus der Bevölkerung zur Ergreifung der Agenten erklärte sich die BPKK damit, dass „das Erkennen dieser Elemente schwierig“ sei. Auch die zwischen dem 1. August und 10. November 1952 durchgeführten Strafverfahren wegen „Spionagetätigkeit“ (79) und „hetzerischer Tätigkeit“ (63) lieferten keine Beweise für die Arbeit auswärtiger Agenten, sondern belegten vielmehr Widerstandsaktionen der Bevölkerung. Die Aufschlüsselung der Angeklagten nach ihrer sozialen Herkunft zeigte, dass sich besonders häufig Arbeiter und Gewerbetreibende zur Wehr setzten (50 % der Angeklagten waren Arbeiter, 25 % Gewerbetreibende, 10 % Angestellte, 8 % „Klein- und Mittelstand“, 5 % „Großbauern“, 3 % Intellektuelle). Die Gerichte verhängten drakonische Strafen: Gegen den Anführer einer „Terrorbande“ aus Wittenberg, die Verbindungen zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) unterhielt, wurde nach nur fünfstündiger Verhandlung eine lebenslängliche Zuchthausstrafe verhängt. Sieben Angeklagte erhielten Strafen zwischen drei und zehn Jahren Zuchthaus. In einem weiteren „Spionageprozess größten Umfanges“ – so die Staatsanwaltschaft – wurden drei von neun Angeklagten, die vor allem in der Film- und Farbenfabrik Wolfen spioniert haben sollen, zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, die übrigen sechs zu je 15 Jahren. Produktionsrückstände, Betriebsstörungen und Unfälle (vor allem im Transportwesen, der Schwerindustrie und im Bergbau) wurden von der BPKK nicht als systemimmanente Erscheinungen, sondern „zum großen Teil als versteckte Sabotage“ interpretiert. Die Störungen erschienen umso mysteriöser, da ihre Ursache wie etwa im Mansfeldkombinat „Wilhelm Pieck“ nie geklärt oder wie im Fall des Eisenhüttenwerks Thale zu 70 Prozent auf betriebsbedingte Gründe und Fahrlässigkeit zurückgeführt werden konnte. Zugleich machte sich der Unmut der Bevölkerung in zunehmend gewalttätigen Ausschreitungen gegen SED-Funktionäre, einfache Parteimitglieder und Volkspolizisten Luft. Bei den Tätern handelte es sich nach Auffassung der BPKK um „Rias-verseuchte Elemente, ehemalige Faschisten, wegen politischer Delikte bereits vorbestrafte Personen und aus der Partei ausgeschlossene Elemente“. Die Staatsanwaltschaft Halle ging davon aus, dass die Taten vorsätzlich „unter der Maske der Trunkenheit“ erfolgten. Hinzu kamen Prozesse gegen „Großbauern“, die das Ablieferungssoll nicht erfüllten. Ende November 1952 waren im Bezirk Halle noch 64 Verfahren gegen Bauern anhängig.33 Inmitten dieser Atmosphäre ideologischer Hysterie trafen Ende November 1952 erste Nachrichten vom Prager Slánský-Prozess ein. Die Berichterstattung des halleschen SED-Organs „Freiheit“ beschränkte sich zunächst auf die Wiederholung der im Prozess vorgetragenen Anklagevorwürfe und Geständnisse. Es kamen nicht nur die im Prozess geäußerten antisemitischen Konstrukte zur Sprache, sondern es wurden bei der Charakterisierung der Angeklagten als 33 Tätigkeitsberichte Okt. 1952–Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/727, unpaginiert; Tätigkeitsbericht der BPKK Halle für den Monat November 1952, darin Bl. 20–23); Protokoll 18.12.1952 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/3/19, Bl. 141–149).

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„trotzkistisch-titoistisch-zionistische bürgerlich-nationale Verräter“ auch alle gängigen stalinistischen Klischees einer antisowjetischen, internationalen, jüdischen Weltverschwörung bedient.34 In einem Kommentar, der nach dem Ende des Prozesses erschien, hieß es, die „in harten Kämpfen gestählten Werktätigen“ der Tschechoslowakei hätten „die hintergründigen Absichten der USA durchschaut und ihre Agenten vernichtet“. Die „Vernichtung des Verschwörerzentrums“ wurde als „Triumph der revolutionären Wachsamkeit“ gefeiert.35 Als Folge des Slánský-Prozesses umfasste der Kreis der Verdächtigen in der DDR neben Juden, worüber weiter unten ausführlicher berichtet werden soll, und Kommunisten mit Kontakten in westliche Länder bald auch Personen, die Verbindungen in die Tschechoslowakei unterhalten hatten. Dazu zählten sudetendeutsche KPČ-Mitglieder, Soldaten der in England aufgestellten tschechoslowakischen Auslandsarmee sowie Emigranten und Kriegsgefangene, die sich in der Tschechoslowakei aufgehalten hatten. Dies entsprach den Intentionen der ZPKK, in deren Material sich eine im Februar 1953 erstellte detaillierte Auflistung mehrerer Komitees und Emigrantenorganisationen fand, die vor 1939 in der Tschechoslowakei tätig gewesen waren. Allein im „Verein zur Unterstützung deutscher Emigranten“, dessen Vorsitzender der im Slánský-Prozess zum Tode verurteilte und hingerichtete Karel Šváb gewesen war, seien 1937 23 Personen „einwandfrei als Gestapo-Agenten entlarvt“ worden. Im Hinblick auf das „Demokratische Komitee“ enthielt das ZPKK-Material den Hinweis, dass dort Emigranten aufgenommen worden seien, die unter dem Verdacht standen, „Feinde der Arbeiterklasse“ oder „Agenten der Gestapo“ zu sein. Auch das „Jüdische Komitee“ galt bereits vor dem Ausbruch des Krieges als verdächtig, da eingeschleuste Kommunisten jüdischer Herkunft seine Tätigkeit beobachteten.36 SED-Mitglieder und Kandidaten, die über Beziehungen in die Tschechoslowakei verfügt hatten, wurden bei Überprüfungen der Kreise festgestellt und an die BPKK Halle gemeldet. Die KPKKs des Bezirks Magdeburg erstatteten im April 1953 ebenfalls Meldung über alle ihnen bekannt gewordenen Westemigranten, darunter zahlreiche Genossen, die in die Tschechoslowakei geflohen waren oder früher der KPČ angehört hatten. Eine gemeinsame Erfassung von West- und Tschechoslowakei-Emigranten war vor dem Slánský-Prozess nicht üblich gewesen. Auch in anderen Organisationen begann die Suche nach tschechoslowakischen Verbindungen: So informierte ein Denunziant unter Verweis auf den Slánský-Beschluss des ZK die ZPKK darüber, dass es in Sachsen-An34 Freiheit vom 24.11.1952 („Verräter Rudolf Slansky bekennt sich schuldig“); 25.11.1952 („Verschwörer wollten volksdemokratisches System stürzen“); 26.11.1952 („Verschwörer verschleuderten fünf Milliarden Tschechenkronen“); 27.11.1952 („Das tschechoslowkische Volk fordert strengste Bestrafung der Slansky-Bande“); 28.11.1952 („Gerechte Strafe für Slansky und seine Bande“). 35 Freiheit vom 29.11.1952 („Unser Wochenkommentar. Ein Triumph der revolutionären Wachsamkeit“). 36 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/135, Bl. 1–8.

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halt unter hochrangigen Funktionären der Konsumgenossenschaft eine Konzentration von Westemigranten und sudetendeutschen KPČ-Mitgliedern gegeben habe, die sich nach 1938 in englischer Emigration aufgehalten hätten. Er empfahl, „die Dinge einmal [...] unter Einschaltung der notwendigen Organe zu überprüfen“. Bei der Überprüfung der VVN-Unterlagen des 2. Sekretärs der SED in Halle, Willi Posselt, notierte ein Sachbearbeiter im Februar 1953, Posselt sei Mitglied der tschechoslowakischen Auslandsarmee gewesen. Detaillierte Angaben über seine politische Tätigkeit in englischer Emigration fehlten.37 Als besonders typisch verdient in diesem Zusammenhang ein Prozess Erwähnung, der im Januar 1953 vor dem Bezirksgericht Halle stattfand: Elf Angeklagte wurden wegen Boykott- und Kriegshetze zu Strafen zwischen sechs Monaten Gefängnis und zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, weil sie „laufend Agenten aus der ČSR nach Westberlin [...] und Agenten aus Westberlin in die ČSR“ geschleust hätten. In einer Vorlage für das Sekretariat der Bezirksleitung Halle vertrat die Abteilung Staatliche Organe die Auffassung, dass die Strafanträge und ausgesprochenen Urteile viel zu milde ausgefallen seien. Der ausdrückliche Hinweis auf die sudetendeutsche Abstammung von Staatsanwalt Erben und Richter Kretschmar sollte vermutlich als Erklärung für die als unzureichend empfundenen Strafen dienen. Es gebe in Kretschmars Arbeit auch „noch andere Beispiele des Zurückweichens vor der Anwendung der demokratischen Gesetzlichkeit“.38 Einige der früheren KPČ-Mitglieder erkannten, in welcher Gefahr sie schwebten und ergriffen in vorauseilendem Gehorsam Gegenmaßnahmen: Ein in Zeitz lebender sudetendeutscher Altkommunist wandte sich an die SED-Kreisleitung und teilte ihr mit, dass er während des Krieges mit dem im Slánský-Prozess zum Tode verurteilten Ludvik Frejka und einem beim ZK der SED tätigen sudetendeutschen KPČ-Mitglied namens Rudolf Rossmeisel zu tun gehabt habe. Rossmeisel wiederum, der sich zwischen 1939 und 1945 in englischer Emigration aufhielt, habe Frejka 1950 gegen den Vorwurf der Feigheit verteidigt. Die SED-Kreisleitung Zeitz teilte ZPKK-Chef Hermann Matern mit, es sei aufgrund dieser Informationen notwendig, etwaige Verbindungen zwischen Rossmeisel und Frejka zu klären.39 37 Überprüfung von Mitgliedern, die im kapitalistischen Ausland waren 1953 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/71, Bl. 137–187); Informationen, Schriftverkehr mit den KPKK H–M Aug. 1946–Nov. 1954 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/27, Bl. 107); Informationen zum Slansky-Prozeß Jan. 1953–Juni 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/1860, unpaginiert; Schreiben der SEDKreisleitung Quedlinburg an die ZPKK vom 13.1.1953; Schreiben des SED-Stadtbezirks II Halle an die BPKK vom 23. 5.1953; Schreiben des SED-Kreisvorstandes Weißenfels an die BPKK vom 20. 5.1953; Schreiben der KPKK Leuna an die BPKK vom 5. 6.1953); Überprüfungsberichte Aug.–Dez. 1952 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/733, unpaginiert; Schreiben der SED-Stadtbezirksleitung IV Halle an die BPKK vom 13. 5.1953; Namensliste vom 7. 5.1953); Kameraden, die in westlicher Emigration waren N-Z 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/210, Bl. 19–25). 38 Protokoll Sekretariatssitzung 21. 5.1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/3/44, Bl. 88–91). 39 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/124, Bl. 133 f.

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Die Absetzung des früheren Sozialdemokraten Max Mittag (Sekretär der Parteiorganisation der Bezirksleitung Halle) erfolgte im März 1953 ebenfalls aufgrund familiärer Verbindungen in die Tschechoslowakei und westliche Länder: Mittag war 1938 bei dem Versuch, Ausschnitte tschechoslowakischer Zeitungen nach Deutschland zu schmuggeln, verhaftet worden. Einer seiner drei Brüder hatte in den zwanziger Jahren trotz Mitgliedschaft in der KPD bei der französischen Fremdenlegion gedient und war 1938 in die Tschechoslowakei und nach Schweden emigriert. Die beiden anderen Brüder galten wegen langjähriger amerikanischer Kriegsgefangenschaft und Verlust ihrer SED-Mitgliedschaft als verdächtig.40 Während einer Sitzung des Bezirkssekretariats hielt man Mittag entgegen, Angaben über seine politische Vergangenheit und belastende Fakten aus dem Kreis der Familie verschwiegen zu haben. Obwohl seit Monaten „ein entschiedener Kampf um die volle Ehrlichkeit der Partei gegenüber“ geführt werde, sei er „trotz der Lehren aus dem Slánský-Prozess nicht von selbst zur Partei gekommen“. Mittag wurde seiner Funktion als Parteisekretär enthoben, als Instrukteur entlassen und aus dem Apparat der Bezirksleitung entfernt. Die BPKK erhielt den Auftrag, Untersuchungen einzuleiten. Mitglieder der Bezirksleitung, denen man „unzulässiges opportunistisches Verhalten“ gegenüber Mittag zum Vorwurf machte, sollten in einer Mitgliederversammlung Stellung nehmen.41 Im Bezirk Magdeburg kam man bei der Überprüfung der Grundbücher von 248 Mitgliedern und Kandidaten, die in der SED-Bezirksleitung tätig waren oder ihrer Nomenklatur unterlagen, zu dem Ergebnis, dass sich kein Genosse in westlicher Emigration befunden hatte. Im Hinblick auf den aus der Tschechoslowakei stammenden früheren sachsen-anhaltischen Innenminister Josef Hegen, der seit der Auflösung des Landes 1. Vorsitzender des Rates des Bezirks Magdeburg war, wurde Hegens sowjetische Emigration ausdrücklich vermerkt.42 Trotz vereinzelter Verdächtigungen und Maßnahmen gegen sudetendeutsche Kommunisten und frühere ČSR-Emigranten lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Verfolgung solcher Parteigenossen dennoch weitgehend unterblieb. Vermutlich spielten KPČ-Mitglieder nach der Ausschaltung von Sozialdemokraten, Westemigranten, Westgefangenen und den noch darzustellenden Säuberungen unter Spanienkämpfern und Juden eine zu bedeutende Rolle in der SED, um gegen sie vorgehen zu können. Stalins Tod am 5. März 1953 wurde von der SED und ihren Gegnern als tiefe Zäsur erkannt, aus der jede Seite entsprechende Schlussfolgerungen zog. In den ersten Tagen nach dem 5. März machte sich in der Bevölkerung vereinzelt Panik breit, die von der BPKK Magdeburg umgehend gegnerischen Einflüssen zugeschrieben wurde. Panikkäufe in halleschen Bäckereien nahmen ein solches Ausmaß an, dass der Bedarf von den Bäckern nicht mehr gedeckt werden konn40 Protokoll Sekretariatssitzung 19. 3.1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/3/34, Bl. 450–453). 41 Ebd., Bl. 1 f., 26 f. 42 Überprüfung von Mitgliedern, die im kapitalistischen Ausland waren 1953 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/71, Bl. 134).

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te.43 Karrieristen und SED-Sympathisanten hielten es unter dem Eindruck der pompösen Trauerfeierlichkeiten für angebracht, ihre Aufnahme in die SED zu beantragen. Allein im Bezirk Halle bewarben sich bis Mitte März 1953 2 072 Personen, davon 60 Prozent Arbeiter, um Aufnahme in die Partei. Im gleichen Zeitraum wurden über 1000 Selbstverpflichtungen gesellschaftspolitischer Art (Werbung für die Parteipresse, Mitgliederwerbung für die DSF etc.) und 678 Produktionsverpflichtungen abgegeben. Nach Einschätzung der BPKK nahm die „Bewegung für freiwillige Erhöhung der Normen und Steigerung der Arbeitsproduktivität“ in den Betrieben des Bezirks Halle ständig zu. Dennoch war der BPKK nicht entgangen, dass es beispielsweise in den Buna-Werken Hinweise für Widerstandsaktionen gab. Als symptomatisch konnten auch Ereignisse gelten, die im März und April 1953 aus Ortschaften des Kreises Hettstedt gemeldet wurden: Neben Flugblättern fand sich dort an einem Kran des Walzwerks das groß angebrachte Wort „Streik“. Häuser von SED-Mitgliedern wurden mit Hakenkreuzen beschmiert. Die Zahl der Flüchtlinge – unter ihnen neben zahlreichen „Großbauern“ und Geschäftsleuten auch Arbeiter des Mansfeldkombinats – stieg. In Klostermansfeld und mehreren anderen Ortschaften gingen Ballons und Flugblätter des Ostbüros der SPD nieder. Damit schien sich die Einschätzung der BPKK vom 20. März 1953 zu bestätigten, dass „nach dem Ableben des Genossen Stalin [...] im Bezirk Halle wieder eine verstärkte feindliche Tätigkeit durch hetzerische Argumente und auch vereinzelte feindliche Handlungen festzustellen“ sei. Aus anderen Gebieten des Bezirks trafen ähnliche Meldungen ein: Gräfenhainicher SED-Funktionäre und Quedlinburger Arbeiter, die sich um Aufnahme in die Partei beworben hatten, erhielten Drohbriefe, die zum Teil von der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) ausgingen. In „feindlichen Diskussionen“ von Oberschülern und Fabrikarbeitern ging es bald nicht mehr allein um Stalins und Klement Gottwalds Tod, sondern auch um den schlechten Gesundheitszustand von Wilhelm Pieck, dessen baldigen Tod viele erwarteten. In diesem Zusammenhang verwiesen Mitglieder der Zeugen Jehovas in Raguhn auf ihre im Jahre 1952 abgegeben Prophezeiung, derzufolge 1953 drei bedeutende Staatsmänner sterben würden – zwei seien „jetzt erledigt“ und der dritte werde bald folgen. Mehrere Pfarrer nutzten Stalins Tod für Predigten über das 11. Kapitel aus dem Lukas-Evangelium (Christus’ Kampf gegen den Teufel). Die durch Denunziationen, ideologischen Fanatismus und die Begleichung persönlicher Rechnungen ausgelöste Unruhe hielt in der SED weiter an. In der Hettstedter „Gesellschaft für Sport und Technik“ (GST) wurde eine Gruppe von SED-Mitgliedern bekannt, die mit kriminalistischer Akribie Material über andere Genossen beschaffte, um diese in Zusammenarbeit mit dem MfS „aus dem Wege zu räumen“. Allen Appellen zur Erhöhung der Wachsamkeit zum Trotz sah sich in diesem Fall selbst die KPKK

43 Protokolle von Arbeitstagungen der BPKK mit den KPKKs 1952/53 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/6, Bl. 96).

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zum Einschreiten veranlasst.44 Die Parteisäuberung hielt mit unverminderter Härte an: Im ersten Quartal des Jahres 1953 wurden im Bezirk Halle 908 Parteiverfahren durchgeführt, die für die Mehrzahl der Betroffenen mit Parteiausschlüssen endete (62 % Ausschlüsse, 11 % strenge Rügen, 15 % Rügen, 12 % Verwarnungen).45 Obwohl der Slánský-Beschluss des ZK bei der Aktivierung und Schulung der Parteimitglieder eine zentrale Rolle einnehmen sollte, erfolgte seine Durcharbeitung in den SED-Grundorganisationen der Bezirke Magdeburg und Halle sehr schleppend und mechanisch. Der Vorsitzende der BPKK Halle Erich Ament kam am 19. April 1953 vor Mitgliedern und Kandidaten der KPKKs zu einer zwiespältigen Einschätzung der bis dahin erreichten Ergebnisse. Neben einigen als positiv vermerkten Resultaten (so z. B. die Entlarvung von „Agenten“ und Entfernung „feindlicher Elemente“) musste Ament feststellen, dass trotz mancher wertvoller Hinweise, die den Kontrollorganen zugetragen wurden, nur selten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Behandlung des Slánský-Beschlusses und der Entlarvung von „Parteifeinden“ nachweisbar war.46 Die KPKKs traf der Vorwurf, dass „so gut wie keine Beispiele vorhanden“ seien, „die auf feindliche Tätigkeit bzw. Einschleichen hemmender Elemente in die Partei“ hindeuteten.47 Anstatt dem ZK-Beschluss zentrale Bedeutung bei der ideologischen Erziehung der Mitglieder einzuräumen, wurde er beispielsweise in Mitgliederversammlungen des Kreises Weißenfels zusammen mit Beratungen über die Frühjahrsbestellung und das Aufbauprogramm des Kreises abgehandelt. Mitteilungen über die mangelhafte Durcharbeitung des Slánský-Beschlusses in Weißenfels drangen bis nach Berlin und veranlassten das ZK, Weißenfels am 14. Mai 1953 als negatives Beispiel zu nennen.48 Als Reaktion auf den Slánský-Beschluss des ZK sahen das SED-Bezirkssekretariat Magdeburg und die BPKK vor, zwischen April und Juni 1953 den lokalen Parteiapparat, die Parteiorganisation des Rates des Bezirkes sowie die führenden Genossen des Magdeburger Thälmann-Werkes, der Parteizeitung „Volksstimme“ und der Massenorganisationen einer Überprüfung zu unterziehen.49 Dennoch kamen diese Aktivitäten zu spät, um das ZK zufrieden zu stel44 Tätigkeitsbericht Febr. 1953–Aug. 1954 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/726, Bl. 18, 25 f., 30, 32, 44). 45 Arbeitspläne der BPKK Okt. 1952–Juni 1960 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/729, unpaginiert; Analyse vom 27. 4.1953 über die im 1. Quartal 1953 in den Kreisen der Bezirksleitung Halle durchgeführten Parteiverfahren). 46 Arbeitstagungen der BPKK Febr.–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/710, unpaginiert; „Ausführungen des Gen. Ament vor den Mitgliedern, Kandidaten der KPKK auf der Konferenz am 19. April 53“, darin Bl. 13 f.); Tätigkeitsberichte Febr. 1953–Aug. 1954 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/726, Bl. 27 f.). 47 Protokolle über Sitzungen der BPKK Juli–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/677, unpaginiert; Protokoll Nr. 10 der Kommissionsitzung am 30. 3.1953; Protokoll Nr. 11 der Kommissionssitzung am 10. 4.1953). 48 Dokumente der SED, 4. Band, S. 402. 49 Protokolle von Sekretariatssitzungen (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV /2/3/ 12, Bl. 139 f., 152 f.); Protokolle von Sekretariatssitzungen 2. 4.–16. 4.1953 (LA Mag-

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len, denn weder die Bezirksleitung noch die Kreisleitung Magdeburg-Stadt hatten nach Auffassung des ZK eigene Beschlüsse gefasst, „obgleich die Verhältnisse in Magdeburg ihnen dazu reichlich Gelegenheit geboten hätten“. Hermann Matern erwähnte in seinem Referat auf der 13. Tagung des ZK einen Parteigenossen der Maschinen-Traktoren-Station (MTS) Doberitz, der seinem für die KgU tätigen Bruder „Spionagematerial über die Maschinen-TraktorenStationen des Bezirks Magdeburg und über sowjetische Flugeinheiten“ zugespielt haben soll.50 Berichte aus den Kreisen des Bezirks Magdeburg, die zwischen Februar und Mai 1953 bei der BPKK eintrafen, bestätigten die negative Einschätzung des ZK, denn der Slánský-Beschluss war tatsächlich entweder gar nicht oder erst sehr spät, oberflächlich und formal ausgewertet worden.51 Alois Pisnik – seit der Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt 1. Sekretär der SEDBezirksleitung Magdeburg – sah sich am 29. Mai 1953 dazu veranlasst, entsprechende Fehler einzugestehen. Er verwies aber zugleich auf die erfolgreiche Entlarvung „feindlicher Elemente“, unter ihnen ein Leiter der Abteilung Leitende Organe namens Schikatzki und der Instrukteur der Agitprop-Abteilung Freck, die in der Bezirksleitung Magdeburg tätig gewesen waren. Beide wurden aus der SED ausgeschlossen. Freck floh in den Westen.52 Trotz vereinzelter Beispiele für die Tätigkeit von „Parteifeinden“ und „Agenten“ hätten sich die Bezirksleitungen und BPKKs in Halle und Magdeburg letztlich eingestehen müssen, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden konnten, weil ihre Jagd einem Phantom galt. Umso befriedigter konnte die BPKK Halle daher auf die Entlarvung einer angeblichen Agentengruppe um den ehemals prominenten Funktionär Friedrich Ferchlandt und seine Frau Elisabeth verweisen. Gegen beide sollte zwischen November 1952 und Mai 1953 ein Schauprozess nach dem Muster des Slánský-Prozesses vorbereitet werden.

deburg, BL der SED Magdeburg IV/2/3/13, Bl. 231 f.); Protokolle von Sekretariatssitzungen 23. 4.–30. 4. 53 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/3/14, Bl. 53 f.). 50 Freiheit vom 21. 5.1953 („Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky. Referat von Hermann Matern auf dem 13. Plenum des ZK“); Dokumente der SED, 4. Band, S. 401 f. 51 Protokolle von Arbeitstagungen der BPKK mit den KPKKs 1952/53 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/6, Bl. 100–102, 121, 170, 173, 184, 189, 191, 197). 52 4. Bezirksleitungssitzung 28./29. 5.1953 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV /2/1/3, Bl. 46–55).

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2.1

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Die Vorbereitung eines „Slánský-Prozesses“ in Halle

Als maßgebliches Mitglied des halleschen Soldatenrates in den Jahren 1918/19 und aufgrund seiner späteren Tätigkeit in der Landesregierung von Sachsen-Anhalt verfügte Friedrich Ferchlandt über einen hohen Bekanntheitsgrad. Ferchlandts unverbrüchliche Treue zur Partei stand bis zu seinem Parteiausschluss, der 1947 aufgrund von Korruptionsvorwürfen erfolgte, außer Frage.53 Zwischen 1947 und 1949 scheute sich Ferchlandt nicht, prominente SED-Funktionäre wie Bruno Böttge, Willi Brundert, Wirtschaftsminister Willi Dieker und Ministerpräsident Werner Bruschke sowohl aus persönlichen Gründen, als auch aus politischer Überzeugung zu denunzieren. Durch seine Leitungstätigkeit im Amt zur Sicherung der Wirtschaft besaß er zweifellos Einblick in politische Versäumnisse und Missstände, deren Aufdeckung für andere Funktionäre eine Gefahr darstellte. Umgekehrt schreckten auch Ferchlandts Gegner nicht vor der Anwendung schmutziger Methoden zurück, um ihn politisch mundtot zu machen. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, erhielt Ferchlandt 1947 anonyme Telefonanrufe, in denen ihm seine bevorstehende Verhaftung durch den NKWD und Ermittlungen der SMAD mitgeteilt wurden. Während des Parteiausschlussverfahrens im Herbst 1947 sollte Ferchlandt außer durch Korruptionsvorwürfe auch durch die Behauptung diskreditiert werden, er habe 1933 Gewerkschaftsmitglieder zum Eintritt in den „Stahlhelm“ aufgefordert. Mit Hilfe mehrerer Zeugen konnte zumindest dieser Vorwurf entkräftet werden.54 Fünf Jahre später sollte es zur endgültigen Abrechnung mit Ferchlandt kommen. Wie die BPKK Halle am 28. Oktober 1952 feststellte, gab es in der Parteiorganisation Halle Anzeichen für das „Eindringen feindlicher Kräfte“, weshalb man es für notwendig hielt, „Rücksprache mit den verantwortlichen Genossen der Stasi“ zu halten.55 Eine maßgebliche Rolle bei der Beschaffung von Informationen gegen das Ehepaar Ferchlandt spielte Rudolf Maisel, der im Juli 1950 als FDGB-Landesvorsitzender abgesetzt worden war und unter dem Vorwand persönlicher Enttäuschung Kontakte zu einer Gruppe desillusionierter Altkommunisten um Ferchlandt unterhielt. Maisel erschien fast täglich in Ferchlandts Wohnung, borgte sich verbotene Bücher und beteiligte sich während dieser Besuche an politischen Diskussionen. In Absprache mit Bernard Koenen und mit Unterstützung des MfS, dem er über seine Beobachtungen berichtete, hielt er seit Sommer 1952 Kontakt. Maisel zufolge sprach Elisabeth Ferchlandt, die er aus der Zeit vor 1933 kannte, „in gemeinster Weise“ über Pieck und Ulbricht und brachte gegenüber Stalin „großen Hass und Verachtung“ zum Ausdruck. Sie bezeichnete Stalin als „Despot“, der „die alten Genossen in Russland erle53 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 173 f. 54 Ebd., 8. Band, 55–69, 93 f., 96, 98, 100 f., 106–110, 140–144, 149–153, 160–162, 170 f., 195; 10. Band, Bl. 11, 14–16, 34 f. 55 Arbeitspläne der BPKK Okt. 1952–Juni 1960 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/729, unpaginiert; Plan vom 28.10.1952 zur Realisierung der Aufgaben im Perspektivplan).

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digt“ habe, um seine persönliche Diktatur errichten zu können. Walter Ulbricht sei „dumm“, Werner Bruschke (1. Vorsitzender des Bezirksrates Halle) ein „großer Strolch“, Staatssicherheitsminister Wilhelm Zaisser der neue „Gestapo-Chef“. Nicht der „dumme Prolet“ Ernst Thälmann, der den Moskauer Kurs in der KPD durchgesetzt habe, sei maßgebend, sondern die eigentlichen Träger der KPD vor 1933, wozu sie Heinz Neumann, Ruth Fischer, Paul Merker, Hermann Remmele, Willi Kreikemeyer, Lex Ende, Heinrich Brandler, August Thalheimer und Arkadi Maslow rechnete. In einer Aussprache mit zwei Genossinnen der BPKK berichtete Maisel, er habe „alles schriftlich mit Terminangabe den Gen[ossen] der Stasi übergeben“. Da bei der BPKK während des Gesprächs der Eindruck entstand, dass Maisel „zum App[arat] der Staatssicherheit mehr Vertrauen“ habe „als zum Kontrollorgan der Partei“, vereinbarte man ein gemeinsames Gespräch, an dem Maisel, die Staatssicherheit und die BPKK teilnehmen sollten.56 Ein Mitglied der BPKK fasste die bis etwa November 1952 gewonnenen Erkenntnisse zusammen und forderte in einer internen Vorlage die Verhaftung des Ehepaars Ferchlandt und eines ihnen zugerechneten Polizeioffiziers. Außerdem sollten die VVN und die Massenorganisationen, mit denen das Ehepaar Ferchlandt zu tun gehabt hatten, sowie ihre Verbindungen zum „Haus der Einheit“ der SED-Bezirksleitung Halle überprüft werden. Dies galt auch im Hinblick auf die Zuverlässigkeit von Genossen des Justizapparats, „die Einblick hatten in die Unterlagen im Slansky-Prozess“. Die Aktivitäten der BPKK erfolgten nicht zuletzt im eigenen Interesse, da die Ferchlandts nach Einschätzung der BPKK zusammen mit anderen Verfolgten des Naziregimes (VdN) einen „Kampf gegen das neu konstituierte Bezirkssekretariat“ führten, indem sie dem 1. Sekretär in verleumderischer Absicht eine widerrechtliche Aneignung von Sachwerten unterstellten.57 Die politische Zusammensetzung der fiktiven Agentengruppe Ferchlandt entsprach vollkommen der im Slánský-Prozess konstruierten Verschwörungstheorie eines trotzkistisch-zionistischen Komplotts im Auftrag westlicher Geheimdienste. Ferchlandt hatte sich vor 1945 zwar nicht als kommunistischer Abweichler betätigt oder im westlichen Ausland Schutz vor nationalsozialistischer Verfolgung gesucht, sondern war während des Krieges als Sozialdemokrat im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen – anders hingegen die übrigen Mitglieder der Gruppe: Ferchlandts Frau befand sich bis zu ihrer Verhaftung im Jahre 1941 zusammen mit ihrem damaligen Ehemann Ernst König in französischer Emigration, wo sie eng mit dem KPD-Dissidenten Willi Münzenberg zusammenarbeitete (er fand 1940 auf mysteriöse Art und Weise den Tod oder wurde möglicherweise von stalinistischen Agenten ermordet). Anfang der fünf56 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 138; 3. Band, Bl. 9–18, 72, 90; 4. Band, Bl. 84–87; Überprüfungsberichte Sept. 1952–Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/737, Bl. 1–7, 9, 37 f., 42–45). 57 Überprüfungsberichte Sept. 1952–Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/737, Bl. 1, 6 f., 37 f.).

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ziger Jahre unterhielt sie Kontakte nach Westberlin. Zwei Gruppenmitglieder hatten der KAPD angehört, einer galt als „Opportunist“, zwei weitere waren in englischer Gefangenschaft gewesen oder verfügten über Verwandtschaft im westlichen Ausland. Hinzu kam eine Frau, deren jüdische Herkunft in den Unterlagen der BPKK ausdrücklich vermerkt wurde. Auf einer weiteren Namensliste, die während der BPKK-Ermittlungen entstand, fanden sich Vermerke zu mehreren anderen Personen, die sich in westlicher Kriegsgefangenschaft, im Ausland und in der ČSR aufgehalten oder „enge Verbindung mit Brandler und Robert Siewert“ (KPO) gehabt hatten.58 Im Januar 1953 betonte die BPKK mit Hinweis auf den Slánský-Beschluss des ZK die besondere Bedeutung der bisherigen Untersuchungsergebnisse über die „Feindtätigkeit im Kreis Halle“ und führte weiter aus: „Auch in Halle versuchten aus der Partei ausgeschlossene feindliche Elemente zum Zweck der Agententätigkeit in die Massenorganisationen, den Staatsapparat und in die Partei einzudringen und ihre zersetzende, verbrecherische Arbeit zu betreiben. In erster Linie traten sie an Genossen heran, die irgendwie mit der Partei einmal in Konflikt geraten sind oder die wegen Maßnahmen, die gegen sie ergriffen werden mussten, verärgert oder unzufrieden sind. Stark erleichtert wurde ihnen ihre Schädlingsarbeit durch das Sektierertum alter, lange in der Arbeiterbewegung stehender Genossen, sowie durch das versöhnlerische Verhalten von Funktionären unserer Partei und den Massenorganisationen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand das 1947 aus der Partei ausgeschlossene Ehepaar Ferchlandt. Parteifeindlich – korrupt – unsauber [...]. Obwohl diese aus der Partei ausgeschlossen wurden, verkehrten laufend Funktionäre unserer Partei dort oder luden sie zu sich in die Wohnung ein. [...] Um ihre zersetzende Tätigkeit besser ausführen zu können und in die Partei einzudringen, wird vor allem die VVN benutzt.“59

Das MfS hatte mittlerweile zum Schlag gegen Fritz und Elisabeth Ferchlandt ausgeholt und beide am 7. November 1952 unter dem Vorwurf der „Verbreitung antisowjetischer Literatur und Hetze gegen die Sowjetunion und die Deutsche Demokratische Republik“ verhaftet. Mitarbeiter des MfS durchsuchten Ferchlandts Wohnung und beschlagnahmten als Beweismittel zahlreiche nationalsozialistische und antistalinistische Bücher. In einer auf den 10. November 1952 datierten Vernehmung, deren Ergebnis Friedrich Ferchlandt am 3. Januar 1953 mit der Begründung widerrief, er sei bedroht worden, wurden beide über ihre „verbrecherische Tätigkeit gegen die DDR und gegen die SU“ ver58 Protokolle über Sitzungen der BPKK Juli 1952–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/677, unpaginiert; Protokoll Nr. 3 der Sitzung der BPKK vom 26.1.1953, darin „Zwischenbericht über das Eindringen feindlicher Kräfte in die Partei im Kreis Halle“; „Personelle Feststellungen über einige im Bericht genannte Genossen sowie die Schädlinge Ferchlandt und Personen, die mit ihnen in engster Verbindung standen“); Überprüfungsberichte Sept. 1952–Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/737, Bl. 46 f.). 59 Protokolle über Sitzungen der BPKK Juli 1952–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/677, unpaginiert; Protokoll Nr. 3 der Sitzung der BPKK vom 26.1.1953, darin „Zwischenbericht über das Eindringen feindlicher Kräfte in die Partei im Kreis Halle“).

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hört. Sie stritten jegliche Verbindung zu feindlichen Organisationen ab, nahmen jedoch die Schuld für den Verleih der inkriminierten Bücher auf sich und gaben zu, durch die Weiterverbreitung der Bücher in schriftlicher Form Hetze gegen die Sowjetunion betrieben zu haben. Friedrich Ferchlandt bestätigte die Aussage seiner Frau, dass sie bei den „hetzerischen und verleumderischen Diskussionen“ stärker hervorgetreten sei als er selbst.60 In den anschließenden Verhören, die sich bis Ende März 1953 hinziehen sollten, wurde die gesamte persönliche und politische Biographie der Ferchlandts hinterfragt. Da sich beide lange widersetzten und die Verhöre unter dem Eindruck des Slánský-Prozesses eine antisemitische Wendung nahmen, die zusätzliche Befragungen notwendig machte, ersuchte das MfS beim Bezirks- und Generalstaatsanwalt um zweimalige Terminverlängerung. Mit Hilfe mehrerer Spitzel, die in die Zellen der Ferchlandts eingeschleust wurden und regelmäßig schriftliche Berichte erstellten, gelang es den Vernehmern, zusätzliche Informationen zu erarbeiten und ihre Verhörstrategie individuell anzupassen. Friedrich Ferchlandt zeigte sich gegenüber seinen neugierigen Zellengenossen weniger mitteilsam als seine Frau, gab ihnen jedoch zu verstehen, dass er seine Verhaftung Maisel verdanke, der während der gemeinsamen Diskussionen besonders radikal aufgetreten sei. Man habe alle alten Sozialisten ausgebootet und durch frühere Nationalsozialisten ersetzt.61 Friedrich Ferchlandt musste alle Kontakte offen legen, die er seit 1918 durch seine Mitarbeit in der USPD, SPD, den Gewerkschaften, anderen gemäßigt linken Organisationen und Sozialverbänden unterhalten hatte (Sozialistische Studentengruppe, Republikanischer Studentenbund, Reichsbanner Schwarz-RotGold, Liga für Menschenrechte, Deutsche Friedensgesellschaft, Internationaler Bund der Kriegsbeschädigten, Zentralverband der Arbeitsinvaliden und Witwen). Untersucht wurde auch Ferchlandts Verhalten nach 1933, so z. B. seine Funktion als Tischältester im KZ Buchenwald, wo ihm geringfügige Vergünstigungen gewährt worden waren. Die Vernehmer gaben Ferchlandt keine Gelegenheit, zu seiner Verteidigung längere Erklärungen abzugeben, sondern bestanden darauf, alle Fragen lediglich mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten.62 Der antisemitischen Zielsetzung des Slánský-Prozesses entsprechend, begannen sich die Vernehmer seit Dezember 1952 vor allem für Ferchlandts Verbindungen zu jüdischen Organisationen und jüdischen Mitgliedern sonstiger Parteien und Verbände zu interessieren. Im Laufe seiner 35-jährigen politischen Tätigkeit hatte Ferchlandt zahlreiche Kontakte zu Juden unterschiedlicher sozialer und politischer Herkunft geknüpft und – obwohl selbst kein Jude, sondern evangelisch getauft – auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme weiter unterhalten. Die Mitarbeiter des MfS notierten Ferchlandts jüdische Kontaktpersonen und machten sie in der Mehrzahl der Fälle durch den stereo60 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 3–5, 63 f., 78–80, 113; 2. Band, Bl. 3–5; 4. Band, Bl. 152; 19. Band, Bl. 67. 61 Ebd., 4. Band, Bl. 100, 138–221. 62 BStU, MfS BV Halle, AIM 964/62, 1. Band, Bl. 15.

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typen Zusatz, es handle sich um Personen „jüdischen Glaubens“, kenntlich. Insgesamt wurden während der Verhöre Verbindungen zu 14 Juden bekannt, von denen die meisten während der NS-Herrschaft ins Ausland geflohen oder ermordet worden waren: Abramowitz, Josef Abramowitz, Max Baden, Hermann Blum, Leon Elkan, Dr. Werner Fackenheim, Dr. Julius Goldmann Klafter, Moritz Lewinsky, Dr. Leo

Marcus, Dr. Siegfried Müller, Dr. Albert

Nemann, Dr. Wilhelm

Schlemmler Singer

USPD, SPD-Kreisvorstandsmitglied in Halle, ca. 1932 verstorben USPD, SPD, SED Kaufmann, Jüdische Gemeinde Halle Kaufmann in Halle, 1936 Emigration nach Italien, dann in die USA DDP, Jurist, Abteilungsleiter beim Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Halle Rechtsanwalt in Halle, Leiter der jüdischen Sportbewegung, 1939 Emigration nach England Rauchwarenhändler aus Dessau Uhrmacher in Bitterfeld, Ehefrau KPD-Mitglied, 1939 Emigration nach Polen Zahnarzt in Halle, Zentralverband deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Liga für Menschenrechte Halle, am 27. Februar 1943 nach Theresienstadt deportiert, dort umgekommen Arzt in Halle, 1939 Emigration in die USA Rechtsanwalt in Halle, Zentralverband deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, nach Osten deportiert, verschollen Rechtsanwalt in Halle, Leiter der Beratungsstelle für jüdische Auswanderer in Leipzig, umgekommen in Auschwitz Sekretärin von Dr. Nemann, umgekommen in Auschwitz Oberkantor in Halle, Mitarbeiter des „Volksblatt“ (SPD)63

Ferchlandt bemühte sich um Distanzierung und wies bei einigen der erwähnten Juden darauf hin, dass er von ihnen „nie wieder etwas erfahren“, „nie wieder etwas gehört und gesehen“ und seit ihrer Emigration „keine Verbindung mehr“ unterhalten habe.64 Über seine Verbindung zu Hermann Baden (Jüdi-

63 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 88–90, 94, 100, 105, 107, 117 f., 122 f.; 300 Jahre Juden in Halle, S. 115 f., 236 f., 243, 264, 502. Die in den Dokumenten des MfS enthaltene teils fehlerhafte Schreibweise der Namen sowie einige Angaben zum weiteren Schicksal der Juden wurden mit Hilfe des genannten Buches korrigiert und ergänzt. 64 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 1. Band, Bl. 117 f., 122 f.

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sche Gemeinde Halle) heißt es im Vernehmungsprotokoll vom 12. Dezember 1952: „Frage: Um was für eine Tagung handelte es sich, an der Sie als Delegierter teilgenommen haben im Jahre 1947, und wo fand diese Konferenz statt? Antwort: Im Frühjahr 1947 fand die erste Tagung der jüdischen Gemeinden in Deutschland in Frankfurt am Main statt, an welcher ich als Delegierter der jüdischen Gemeinde in Halle/Saale teilnahm. Über diese Tagung habe ich an die damalige sowjetische Militärverwaltung in Halle/Saale zwei Berichte [...] abgegeben. Ich selbst war damals mit dem Kaufmann Hermann Baden, wohnhaft in Halle/Saale, Goethestraße 29, Delegierter aus Halle/Saale. [...] Auch suchte ich Baden in diesem Jahre sechs- bis achtmal im Büro der jüdischen Gemeinde in Halle/Saale, Große Märkerstraße 13, auf. Im September/Oktober 1952 besuchte ich allein Baden das letzte Mal in seiner Wohnung und im Büro der jüdischen Gemeinde, Anfang bis Mitte Oktober 1952. Anfang des Jahres 1952 war Baden das letzte Mal in meiner Wohnung, soviel ich mich zur Zeit entsinnen kann. Frage: Welchen Charakter hat Ihre Verbindung zu Baden? Antwort: Mit Baden stehe ich in freundschaftlicher Verbindung und außerdem interessiert mich die Entwicklung der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Für eine Frau Margarete Minta, verwitwete Weinreb, geborene Siegmund, wohnhaft in Berlin-Nikolassee, Schopenhauerstraße 75, habe ich bis zum 30. 9. 1952 zehn Grundstücke in Halle/Saale verwaltet. Frau Minta ist jüdischen Glaubens und mir aus Halle/Saale bekannt und verzog 1937/38 nach dem Tode ihres ersten Ehemannes nach Berlin. Wegen der Adresse der jüdischen Gemeinde in Westberlin, um die Belange der Frau Minta regeln zu können, war ich das letzte Mal im Oktober 1952 in dem Büro der jüdischen Gemeinde in Halle/Saale bei Baden. Im Sommer 1951 waren Baden, dessen Ehefrau, meine Ehefrau und ich in Berlin. Dort hat Baden die jüdische Gemeinde im demokratischen Sektor [...] aufgesucht.“65

In einem Bericht vom 7. Januar 1953 vermerkten die Vernehmer, Ferchlandt habe zwischen 1925 und 1929 als hallescher Kreisvorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold „mit den jüdischen Kampfverbänden“ zusammengearbeitet. Er und seine Frau hätten mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden Sachsen-Anhalts in Verbindung gestanden und briefliche Kontakte zu dem Franzosen Marcel Rausch unterhalten, der bis 1940 im französischen Luftfahrtministerium gearbeitet hatte, dann bis 1945 Ferchlandts Mitgefangener im KZ Buchenwald und nach dem Krieg Flugplatzkommandeur in Algier gewesen war. Die MfS-Bezirksverwaltung Halle hielt es für notwendig, beim ZK wegen eventuell vorhandener belastender Unterlagen über das Ehepaar Ferchlandt anzufragen und um Entsendung eines Trotzkismus-Spezialisten zu ersuchen. Weitere Informationen wurden durch Spitzel beschafft: Während einer Unterhaltung über den Slánský-Prozess zeigte sich Friedrich Ferchland gegenüber dem in seine Zelle eingeschleusten Spitzel erleichtert, „dass er in seiner Amtstätigkeit Gott sei Dank keinem jüdischen Kapitalisten zur Rückerstattung seines Vermögens verholfen habe“. Obwohl er die Juden immer freundlich behandelt und ihnen 65 Ebd., Bl. 105, 107.

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Mitleid entgegen gebracht habe, sei die Rückerstattung jüdischen Eigentums nicht seine Aufgabe und ohnehin gegen seine Überzeugung gewesen.66 Die Vernehmungen von Elisabeth Ferchlandt folgten demselben Prinzip. Im Hinblick auf ihre KPD-Zugehörigkeit vor 1933 galt sie als Anhängerin der „Versöhnlergruppe“. Zusammen mit ihrem früheren Ehemann, dem 1945 im Zuchthaus Brandenburg umgekommenen Kommunisten Ernst König, hatte sie sich zwischen 1933 und 1941 in französischer Emigration aufgehalten und dort für den KPD-Dissidenten Willi Münzenberg gearbeitet. Münzenberg war vor 1933 Leiter der deutschen Sektion in der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) gewesen, die als „rechtsopportunistisch“ und der KPO nahestehend galt. 1933 wurde er Mitinhaber des Pariser Verlags „Edition du Carrefour“, dessen Besitzer nach Elisabeth Ferchlandts Angaben ein Jude aus der Schweiz namens Levi war. Sie berichtete außerdem, Münzenberg habe ihr 1933 den Auftrag erteilt, Geld aus seinem Schließfach, das sich bei einer Berliner Bank befand, abzuheben und ihm dieses Geld in Paris auszuhändigen. Bei der Durchführung des Auftrages sollte sie sich an den Geschäftsführer der Bank wenden, einen Juden namens Salomon. Auf die Frage der Vernehmer, wer mit Münzenberg in Paris zusammengearbeitet habe, nannte Elisabeth Ferchland mehrere jüdische Kommunisten und Linksintellektuelle, so den im Slánský-Prozess zum Tode verurteilten Otto Katz sowie Egon Erwin Kisch, Anna Seghers, Alfred Kantorowicz und Alexander Abusch. Im Hinblick auf die Emigrationszeit in Frankreich versuchten die Vernehmer, eine Verbindung zu Paul Merker zu konstruieren, dessen Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Margarete Menzel aus Halle stammte. Elisabeth Ferchlandt räumte ein, Merker und seine Lebensgefährtin 1930 in Halle getroffen zu haben. Margarete Menzel sei ihr 1940 noch einmal in Paris begegnet. Verbindungen zu Noel Fields Pflegetochter Erika Glaser und die Friedrich Ferchlandt unterstellte Mitgliedschaft in jüdischen Organisationen stritt sie ab. Auf die Frage der Vernehmer, welche Personen namens Merker ihr sonst noch bekannt seien, erwähnte Elisabeth Ferchlandt einen der SED angehörenden Bauern in Seeben, einem Dorf bei Halle. Der Bauer Merker sei ihr 1951 begegnet, als sie ihren in Seeben wohnenden Vater besucht habe. Sie habe sich mit Merker aber „nur über seine Bienenzucht“ unterhalten.67 Ebenso spielte bei Elisabeth Ferchlandts intensiver Befragung nach Werner Fischl, dem zum Rechtsrat degradierten ehemaligen Generalstaatsanwalt aus Halle, nicht nur ihre persönliche Bekanntschaft eine Rolle,68 sondern möglicherweise auch Fischls Namensgleichheit mit Otto Fischl, der im Slánský-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Die LPKK hatte bereits im Dezember 1949 eine Untersuchung von Werner Fischls politischer Vergangenheit im Westen Deutschlands gefordert, als beim Vergleich zweier Lebensläufe Widersprüche aufgefallen waren. Einem der Lebensläufe konnte man entnehmen, dass sich Fischl außer mit dem „Kapital“ von Karl Marx auch mit 66 Ebd., 4. Band, Bl. 91 f., 94, 156. 67 Ebd., 2. Band, Bl. 16, 41–43, 50–52, 58–61, 91–93; 4. Band, Bl. 92 f., 145. 68 Ebd., 4. Band, Bl. 158–160, 163 f., 188–190, 204.

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Trotzkis Werken befasst hatte.69 Fragen zu Fischls Vergangenheit konnte Elisabeth Ferchlandt 1953 aus angeblicher Unkenntnis nicht beantworten. Eine „antidemokratische Tätigkeit von Fischl“ war ihr nicht bekannt.70 Zur Erzwingung von Geständnissen setzten die Vernehmer nicht nur Hunger, Schlafentzug, endlose Verhöre71 und Drohungen ein, sondern sie bedienten sich nach dem Vorbild des NKWD auch feinerer psychologischer Methoden. Friedrich Ferchlandt wurde im Februar 1953 fast vier Wochen lang nicht verhört, ohne eine Begründung dafür zu erhalten. Wie von den Vernehmern beabsichtigt, reagierte Ferchlandt verunsichert und begann nach Erklärungen für die plötzliche Einstellung der Verhöre zu suchen. Er spielte zunächst mit dem Gedanken, sich freiwillig zur Vernehmung zu melden, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder und beschloss, künftig noch weniger auszusagen. Sein für das MfS arbeitender Zellengenosse informierte die Vernehmer über Ferchlandts Verteidigungsstrategie und empfahl, „Ferchlandt durch die Vornahme weiterer Vernehmungen Anregung zum Gesprächsstoff zu geben“. Nach der Wiederaufnahme der Verhöre konnte der Spitzel seinen Auftraggebern „eine bedeutende Belebung des Gesprächsstoffes“ in der Zelle melden. Anders bei Elisabeth Ferchlandt: Bereits Anfang Januar 1953 begann sie unter dem Druck der Verhöre sichtlich nervöser und unkonzentrierter zu werden. Sie beabsichtigte, sich in einer schriftlichen Erklärung von den Vernehmungsprotokollen, die sie bereits unterschrieben hatte, zu distanzieren und dies mit ihrem schlechten körperlichen und psychischen Zustand zu begründen. In einem Gespräch, das sie mit ihrer für das MfS arbeitenden Zellengenossin führte, tauchte erstmals ein Gedanke auf, der weiter an Bedeutung gewinnen sollte: Ihr „Sachbearbeiter“ mildere in den Protokollen manches zu ihren Gunsten ab, weshalb sie annehme, „man wolle mit ihnen einen politischen Kompromiss schließen, um die Partei nicht bloßzustellen“. Damit sei sie einverstanden. Aus der Sicht des MfS bot es sich an, Elisabeth Ferchlandt im Glauben an dieses nicht existierende Übereinkommen zu lassen, um (von minimalen Nuancierungen abgesehen) die gewünschten Geständnisse zu erhalten. Elisabeth Ferchlandt wiederum konnte in der scheinbaren Gewissheit unterschreiben, nicht widerstandslos kapituliert, sondern Verbesserungen für sich durchgesetzt zu haben. Ihr Selbstbehauptungswille trat zwar immer wieder in wütenden Ausfällen gegen die Vernehmer in Erscheinung, wurde Anfang März jedoch schwächer und machte schließlich dem Gefühl völliger Hilflosigkeit Platz.72

69 Ebd., 3. Band, Bl. 72; Berichte und Überprüfungen Dez. 1949–Mai 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/41, Bl. 97 f.); Überprüfungsunterlagen und Stellungnahmen von Genossen aus den Kreisen 1949/50 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/4/42, Bl. 119 f.). 70 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 2. Band, Bl. 120, 142 f. 71 BStU, MfS BV Halle, AIM 964/62, 1. Band, Bl. 15. 72 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, 4. Band, Bl. 162–165, 172 f., 176, 179–181, 183, 185, 187, 200, 208–210, 214, 219; 19. Band, Bl. 67.

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Am 8. März 1953 – vier Monate nach ihrer Verhaftung – brach Elisabeth Ferchlandt unter dem Druck stundenlanger Nachtverhöre zusammen und unterzeichnete alle ihr zugeschriebenen Geständnisse. Ihrer Zellengenossin berichtete sie später, sie habe ihre feindliche Einstellung gegenüber Maßnahmen der DDR-Regierung zugegeben, doch der „Sachbearbeiter“, zu dem sie etwas Vertrauen gefasst habe, schwäche manches durch entsprechende Formulierungen ab. Angesichts monatelanger Gehirnwäsche und Isolation von vertrauten Menschen, die Elisabeth Ferchlandt inneren Halt hätten geben können, begann sich zwischen Täter und Opfer eine absurde „vertrauensvolle“ Beziehung herauszubilden. Es erschien daher folgerichtig, wenn Elisabeth Ferchlandt ihrer Mitgefangenen berichtete, der Vernehmer sei sehr stolz, wenn sie ihm etwas erzähle.73 Das Verhör wurde in der folgenden Nacht zwischen 20 Uhr abends und 5 Uhr morgens fortgesetzt. Das Vernehmungsprotokoll vermerkte hierzu: „Frage: Welche antidemokratische Tätigkeit haben Sie durchgeführt? Antwort: Meine antidemokratische Tätigkeit bestand darin, dass ich leitende Staats- und Parteifunktionäre sowie Einrichtungen innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjet-Union verleumdete und beschimpfte. Weiter versuchte ich alle Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik als unrichtig nach der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus hinzustellen. [...] Frage: Mit welchem Ziel haben Sie Ihre verbrecherische Tätigkeit durchgeführt? Antwort: Mit meiner feindlichen Tätigkeit wollte ich das Staatsbewusstsein der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik und somit die bestehende Staatsordnung untergraben und vor allen Dingen die staatstragende Partei, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, treffen. Weiter versuchte ich, das Freundschaftsverhältnis zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjet-Union zu stören. Somit habe ich Zersetzungsarbeit unter der Bevölkerung innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik getrieben. Frage: Erfolgt die Errichtung des Sozialismus innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus? Antwort: Ja. Frage: Warum sind Sie damit nicht einverstanden und versuchten die Wissenschaft des Marxismus-Leninismus zu widerlegen? Antwort: Auf Grund meiner Überheblichkeit übte ich Kritik am Marxismus-Leninismus. Frage: Wie nennt man solche Personen, welche solche Tätigkeit ausüben? Antwort: Solche Personen nennt man Opportunisten innerhalb der Arbeiterbewegung. Frage: Was sind Opportunisten? Antwort: Opportunisten sind Feinde der Arbeiterbewegung und eine Agentur des Imperialismus innerhalb der Arbeiterbewegung. Frage: Also haben Sie bewusst für den amerikanischen Imperialismus innerhalb der Arbeiterbewegung Zersetzungsarbeit betrieben? 73 Ebd., 2. Band, Bl. 193 f.; 4. Band, Bl. 214.

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Antwort: Ja, ich habe bewusst Zersetzungsarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung betrieben.“74

Nachdem Elisabeth Ferchlandts Widerstand endgültig gebrochen war, versuchten die Vernehmer in den folgenden Tagen, durch weitere nächtliche Verhöre Informationen über ihre Verbindungen nach Westberlin und über frühere Auslandsreisen zu erhalten. Elisabeth Ferchlandt setzte sich dem Vorwurf der Spionage aus, als sie über einen zehnwöchigen Aufenthalt in der Sowjetunion im Jahre 1929 berichtete, bei dem sie 500 Fotos von Siedlungen, Schulen, Betrieben, Baustellen und einer Sowchose angefertigt hatte. Diese Fotos hatten zwar ausschließlich Propagandazwecken gedient und waren von ihr, ihrem früheren Mann Ernst König und dem stalinistischen Säuberungsopfer Martin Knauthe für Vorträge im Haus eines halleschen Juden namens Kuhn gezeigt worden – doch die Vernehmer schlossen sogleich die Frage an, ob sie auch nach 1945 fotografiert und wofür sie die Fotos verwendet habe.75 Eine graphische Darstellung des engen Beziehungsgeflechts, das während der Verhöre konstruiert worden war, machte die paranoiden Verschwörungstheorien der Vernehmer deutlich: Ausgehend von den beiden Zentren Elisabeth Ferchlandt und Willi Münzenberg wurden 50 weitere Personen aufgeführt, die zu Ferchlandt oder Münzenberg Verbindungen unterhalten hatten und häufig untereinander vernetzt waren. Neben den weiter oben genannten Personen befanden sich darunter auch so prominente Kommunisten wie Johannes R. Becher, der dem Kreis um Münzenberg zugerechnet wurde, sowie der frühere SED-Landesvorsitzende Bernard Koenen. Koenens Beziehung zu Elisabeth Ferchlandt beruhte zum einen darauf, dass man ihn unverdientermaßen als den Führer der halleschen „Versöhnler“ vor 1933 betrachtete, zum anderen auf Ferchlandts Bekanntschaft mit dem Altkommunisten Otto Herbert, dessen jüdische Frau Lea bis 1947 als Stenotypistin für Koenen gearbeitet hatte. Friedrich Ferchlandt wurde zu Koenen befragt und gewann den Eindruck, dass auch gegen ihn etwas im Gange sei.76 Kurz zuvor hatte Koenen die zweifelhafte Ehre gehabt, sein Amt als DDR-Botschafter in der ČSR zu einem Zeitpunkt anzutreten, als sich die tschechoslowakische Bevölkerung als Folge des Slánský-Prozesses in heller Aufregung befand.77 Der Prozess gegen das Ehepaar Ferchlandt fand am 15./16. Mai 1953 unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor dem 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Halle statt. Die Angeklagten durften sich mit ihren Pflichtverteidigern, denen der Zutritt zur Untersuchungshaftanstalt des MfS verwehrt blieb, erst kurz vor Beginn der Verhandlung beraten. Unter Berufung auf Befehl Nr. 160 der SMAD, Artikel 6 der Verfassung der DDR und Abschnitt II Artikel III der Kontrollratsdirektive 38 wurden die Angeklagten zu jeweils 15 Jahren Zuchthaus, Einziehung ihres Vermögens und weiteren Sühnemaßnahmen verurteilt. Ursprünglich hat74 75 76 77

Ebd., 2. Band, Bl. 197 f. Ebd., Bl. 205–212. Ebd., Bl. 16; 4. Band, Bl. 136 f., 145, 157, 184 f. Freiheit vom 12.1.1953 („Bernard Koenen – neuer Botschafter in der ČSR“).

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te die von der Generalstaatsanwaltschaft der DDR eingegangene Weisung für Elisabeth Ferchlandt „nur“ 12 Jahre Zuchthaus vorgesehen. Der Strafantrag war jedoch von dem am Prozess beteiligten Staatsanwalt Neubert auf 15 Jahre erhöht worden. Den mittlerweile eingetretenen politischen Veränderungen entsprechend fand das von den Vernehmern konstruierte zionistisch-trotzkistische Komplott weder in der Anklageschrift, noch in der Urteilsbegründung Erwähnung. Die Verurteilung erfolgte somit allein aufgrund der bereits 1947 erhobenen Korruptionsvorwürfe, zu denen die Ferchlandts ebenfalls intensiv verhört worden waren, sowie wegen der von ihnen angeblich betriebenen „Boykotthetze“, „Kriegshetze“, „Zersetzungsarbeit und Hetzpropaganda“. Man warf ihnen außerdem vor, sie hätten „neufaschistische Propaganda“ betrieben und durch die „Erfindung und Verbreitung tendenziöser Gerüchte den Frieden des deutschen Volkes“ gefährdet. Besonders negativ vermerkte das Gericht eine Äußerung von Friedrich Ferchlandt, der in einer Verhandlungspause sagte, der Vorsitzende des Gerichts werde in drei Jahren ebenfalls auf der Anklagebank sitzen. Abschriften des Urteils gingen den Verurteilten nicht zu.78 Es war wohl nur Ferchlandts anhaltendem Widerstand, der eine Verlängerung der Ermittlungen über Stalins Tod hinaus notwendig machte, zuzuschreiben, dass ein „hallescher Slánský-Prozess“ letztlich ausblieb. Das in monatelangen Verhören gesponnene Beziehungsgeflecht brach in sich zusammen und wurde nicht zur Basis eines groß angelegten Schauprozesses gegen Prominente aus der halleschen SED und der Jüdischen Gemeinde. Mit fast dreiwöchiger Verspätung berichtete das lokale SED-Organ „Freiheit“ am 3. Juni 1953 über den Ferchlandt-Prozess. Im Hinblick auf die gegen Fritz und Elisabeth Ferchlandt erhobenen Korruptionsvorwürfe musste sich der aufmerksame Leser allerdings fragen, warum man beide nicht bereits 1947 angeklagt und verurteilt hatte. Die politischen und damit entscheidenden Hintergründe des Prozesses wurden in folgenden Formulierungen deutlich: „Während Fritz Ferchland[t] bis 1933 im Dienste der verräterischen rechten SPD- und Gewerkschaftsführer stand, gehörte die Ferchland[t]-König unter letzterem Namen der KPD an und leistete seit 1928 im Auftrage der trotzkistischen Brandlergruppe in der halleschen Parteiorganisation Zersetzungsarbeit. 1934 ging sie über die Tschechoslowakei nach Paris, wo sie als Sekretärin des Trotzkisten Münzenberg bis 1940 arbeitete. Die dort erworbenen Kenntnisse in der Arbeit von Agenten verwertete sie nach 1945 gemeinsam mit Fritz Ferchland[t], den sie 1946 heiratete, für ihre Schädlingsarbeit. Aus den ihnen übertragenen Aemtern zogen sie persönliche Vorteile und bereicherten sich schamlos auf Kosten der Werktätigen. [...] Sie verbreiteten RIAS-Parolen, verliehen trotzkistische, antisowjetische Sudelwerke, hetzten gegen die Oder-Neiße-Friedensgrenze und gegen die Sowjetunion.“79

Friedrich Ferchlandt verbrachte einen Großteil der folgenden Jahre in der Strafvollzugsanstalt Waldheim, wo er mehrfach durch „Stimmungsmache“, „Hetze 78 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, Band 5 b, Bl. 2–8, 12–16; 19. Band, Bl. 29–32, 41–46, 62, 64, 67 f. 79 Freiheit vom 3. 6.1953 („Späte aber gerechte Sühne für zwei Feindagenten. Das Ehepaar Ferchland erhielt 15 Jahre Zuchthaus“).

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gegen die DDR“ und Verstöße gegen die Hausordnung auffiel. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden ihm dadurch, dass antikommunistische Gefangene linksorientierte Häftlinge mit Billigung des Wachpersonals schikanierten. Elisabeth Ferchlandt wurde in der Vollzugsanstalt II in Halle inhaftiert und am 17. Juni 1953 von Aufständischen befreit. Man fand und verhaftete sie, nachdem sie sich drei Tage lang in den Ruinen der halleschen Moritzburg versteckt und ihren Rechtsanwalt aufgesucht hatte. Ein Revisionsgesuch ihres Vaters, der auf die ungesetzlichen Vernehmungsmethoden der Jahre 1952/53 hinwies, wurde im Dezember 1954 mit der Begründung abgewiesen, dass bei der Durchführung des Verfahrens „weder formell noch materiell eine Gesetzesverletzung entstanden“ sei. Ebenso scheiterte im März 1956 ein Gnadengesuch des Vaters „aufgrund der außerordentlichen Gesellschaftsgefährdung“, die von den Verbrechen der Ferchlandts angeblich ausging. Elisabeth Ferchlandts Begnadigung durch Staatspräsident Wilhelm Pieck sollte sich noch bis Oktober 1956 hinziehen, während ihr Mann bereits im April frei kam. Beide wurden seit ihrer Entlassung vom MfS observiert. Friedrich Ferchlandt erhielt eine Stelle als Hofarbeiter in der Schrottabteilung des Gaswerks Halle und wurde später als Sachbearbeiter zur DHZ Chemie versetzt. Er fühlte sich unschuldig und betonte, nicht er sei 1953 verurteilt worden, „sondern die SPD“. Eine Flucht in die Bundesrepublik kam für ihn nicht in Frage, da er trotz Wiederaufnahme in die SED und Tilgung der Strafen aus dem Strafregister für die Wiederherstellung seiner Ehre und die Anerkennung als VdN kämpfen wollte. Jahrelange Bemühungen um Rückgabe seines Vermögens blieben erfolglos.80 Ab 1957 schien bei Ferchlandt ein Sinneswandel einzutreten: Er diskutierte plötzlich „sehr positiv“, wurde in der Nationalen Front aktiv, erforschte ehrenamtlich die Geschichte der mitteldeutschen Arbeiterbewegung und versuchte zusammen mit seiner Frau, verschiedene Funktionen im Wohngebiet an sich zu ziehen. Da er über weitreichende Kontakte zu früheren Sozialdemokraten verfügte, erwog das MfS im Februar 1961, Ferchlandt als GI zu werben. Er verpflichtete sich am 15. März 1961, dem MfS als GI „Philipp“ „in seinem Kampf für die Erhaltung des Friedens zu helfen“. Ferchlandt sollte „auf der Linie des Ostbüros der SPD“ und zur „Aufklärung der politisch-ideologischen Diversion“ eingesetzt werden, berichtete zunächst etwas zögerlich, lieferte dann jedoch einige diffamierende Berichte u. a. über Hermann Baden und den mittlerweile verstorbenen Mitbegründer der halleschen KPD Reinhold Schoenlank. Durch Ferchlandts Tod im Februar 1962 endete die Zusammenarbeit mit dem MfS nach weniger als einem Jahr.81 In seinem Abschlussbericht fasste Ferchlandts Führungsoffizier Leutnant Knauerhase die Leistungen des GI „Philipp“ in be80 BStU, MfS BV Halle, AU 193/53, Band 5 b, Bl. 10 f., 20; 19. Band, Bl. 61, 67 f., 75–79, 86, 104, 125, 128, 130, 140 f., 148 f.; AIM Halle 1594/66, 2. Band, Bl. 163; 3. Band, Bl. 25 f., 62, 109 f., 119 f., 143; AIM Halle 964/62, 1. Band, Bl. 15; MfS G-SKS 16507, Bl. 81 f., 142 f.; MfS-AS 6/54, 20. Band, Bl. 87. 81 BStU, MfS BV Halle, AIM 964/62, 1. Band, Bl. 9–11, 15, 17, 78, 104–109, 124–130; 2. Band, Bl. 28–34, 94; AIM Halle 1594/66, 3. Band, Bl. 167.

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merkenswerter Orthographie und unnachahmlichem Stil folgendermaßen zusammen: „Der GI war auf der Linie des Ostbüro der SPD am 15. 3. 1961 angeworben wurden. Er sollte zur Aufklärung ehem[aliger] rechter SPDler und Erscheinungen der politischidiologischen Diversion eingesetzt werden. In der Anfangszeit zeigte es sich das er in der Berichterstattung über ehemalige Mitarbeiter zurückhaldent war. Im laufe der Zusammenarbeit legte sich dieses auch und er berichtete in der letzten Zeit über derartige Personenkreise die ihm bekannt gewesen sind. In der Mitarbeit war er dann auch immer betriebt gewesen uns behilflich zu sein. Anfänglich gab es mit dem GI auch Schwierigkeiten bei der Treffdurchführung in einer KW [konspirative Wohnung, F. H.], er wollte anfänglich in keine KW gehen. Er gab an das der Weg ihm zuweit ist. Dieses Misstrauen legte sich dann auch.“82

2.2

Spanienkämpfer

Kommunisten, die während des Spanischen Bürgerkrieges in den Reihen der Internationalen Brigaden gekämpft hatten, galten in der SBZ als politisch besonders zuverlässige Kader und gelangten nach 1945 in bedeutsame Positionen. Im Januar 1949 wurden sie auf Veranlassung der Deutschen Verwaltung des Inneren (DVdI) in Zusammenarbeit mit den Innenministerien der Länder zentral erfasst, um Informationen über ihre Tätigkeit in Spanien, Emigration und spätere Inhaftierung in Konzentrationslagern zu erhalten. Da die DVdI im Rahmen dieser Erhebung nicht nur frühere Spanienkämpfer erfasste, sondern auch ehemalige Kriegsgefangene, die in der Sowjetunion Antifa-Schulen besucht oder auf sowjetischer Seite gegen die Wehrmacht gekämpft hatten, erfolgte die Umfrage nicht zur Vorbereitung von Säuberungen, sondern ausschließlich zur Informationsbeschaffung über besonders qualifiziert erscheinende Kader.83 Auch in Sachsen-Anhalt übernahmen viele der zurückgekehrten Spanienkämpfern wichtige Positionen in Partei, Staat und vor allem in den Sicherheitsorganen: Willi Sonnenberg sollte es Anfang der fünfziger Jahre zum Major des Staatssicherheitsdienstes und Leiter der Kreisdienststelle Dessau bringen. Otto Straube, Alfons Martin, Franz Stark und Werner Sager gingen zur Volkspolizei, wo sie zum Teil hohe Positionen übernahmen. Der gelernte Maschinenschlosser Heinrich Bell wurde zum Staatsanwalt ernannt, Alfred Lindert zum Oberamtsrichter beim Amtsgericht Wittenberg. Otto Kipp und Dr. Rolf Becker erhielten Positionen als Hauptabteilungsleiter in der Landesregierung SachsenAnhalt. Franz List wurde Kreiskontrollbeauftragter für den Kreis Schweinitz, Max Dankner Wirtschaftssekretär in der SED-Bezirksleitung Halle. Ernst Tippel war zwischen 1946 und 1950 für die SED-Landesleitung tätig und übernahm anschließend die Direktion der Maschinen-Ausleihstationen (MAS) im 82 BStU, MfS BV Halle, AIM 964/62, 1. Band, Bl. 131. 83 Berichte an die Deutsche Verwaltung des Inneren 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 158 a, Bl. 313, 346 f.).

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Land Sachsen-Anhalt. Hermann Obermaier wurde zum Direktor der Braunkohlenverwaltung Merseburg ernannt, gehörte der SED-Kreisleitung Merseburg und der VVN-Bezirksleitung Halle an. Helmut Erler lehrte an der Landesparteischule Ballenstedt.84 Die ursprünglich positive Einschätzung vieler Spanienkämpfer durch Parteiinstanzen und staatliche Stellen sollte sich jedoch unter dem Einfluss des Rajkund besonders des Slánský-Prozesses grundlegend verändern, da die meisten Interbrigadisten vor und nach dem Spanienkrieg Kontakte zu westlichen staatlichen Stellen unterhalten hatten. Zwischen 1949 und 1954 wurden Interbrigadisten immer häufiger Opfer von Parteisäuberungen und Schauprozessen der osteuropäischen „Bruderparteien“, so etwa in den 1950 veranstalteten ungarischen Prozessen. In Polen wurden kurz vor Beginn des Slánský-Prozesses 14 hohe Offiziere der Abwehrabteilung des Generalstabes verhaftet, bei denen es sich ausnahmslos um Juden und zumeist um frühere Mitglieder der Internationalen Brigaden handelte. Zu den Angeklagten des Slánský-Prozesses gehörten mehrere jüdische Spanienkämpfer, so Rudolf Slánský, Otto Šling, Artur London und André Simone alias Otto Katz. Zwischen September 1953 und Januar 1954 fanden in der Tschechoslowakei mehrere Geheimprozesse statt, die sich gegen hohe Beamte des tschechoslowakischen Innenministeriums und gegen Armeegeneräle richteten. Mehrere der angeklagten Spanienkämpfer wurden zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Osvald Závodský – seit 1948 Chef der tschechoslowakischen Staatssicherheit – endete am Galgen.85 Abgesehen von dem Hallenser Moses Biletzky, der 1938 als Offizier der Interbrigaden gefallen war,86 hatten Juden unter den aus dem späteren SachsenAnhalt stammenden Spanienkämpfern keine nennenswerte Rolle gespielt. Den84 Ebd., Bl. 300, 302–304; Personalstruktur 1949 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 346, Bl. 2–4); BStU, MfS BV Frankfurt, KS 41/64, Bl. 46, 57 f., 118, 133–135; SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/85, Bl. 46, 52; RY 1/I 2/3/86, Bl. 119, 160; DY 30/IV 2/4/124, Bl. 221; BArch, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 15868, Bl. 19 f.; namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/5/1902, Bl. 2 f., 16–18, 40–42); VVN-Vorstandsmitglieder 1949–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/206, Bl. 161–172); Kameraden, die in westlicher Emigration waren 1952 A-M (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/209, Bl. 2–9); Kaderakte Ernst Tippel (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /8/1152, unpaginiert; Angaben im Grundbuch). 85 Hodos, Schauprozesse, S. 109, 141 f., 232 f.; Lustiger, Schalom libertad, S. 286–292; Bartosek, Prozesse gegen kommunistische Parteiführer, S. 471–474; Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung, S. 268. 86 Nachlass Willi Kunz (LA Merseburg, BL der SED Halle V/6/9/4, unpaginiert; namentliche Aufstellung ermordeter und verstorbener KPD-Mitglieder unter der Überschrift „Ruhm und Ehre unseren Toten!“, darin Bl. 4). Biletzky stammte mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem wohlhabenden jüdischen Bürgertum. Mitglieder der Familie Biletzky betrieben in Halle eine Textilgroßhandlung sowie eine Wäsche- und Schürzenfabrik. Da ihre Namen auf Listen der jüdischen Geschäftsleute und Hausbesitzer in Halle nach 1938 nicht mehr erscheinen, kann man annehmen, dass die Familie Biletzky emigrierte. Vgl. 300 Jahre Juden in Halle, S. 90, 92, 235; Mitteilung von Prof. Dr. Max Schwab (Halle/ Saale), 12.11. 2003.

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noch sollten bis 1956 gegen mehrere von ihnen aus anderen Gründen Maßnahmen ergriffen werden. Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkrieges gelang es lediglich zwei Männern, in die Sowjetunion zu emigrieren. Die Mehrzahl der übrigen wurde dagegen in südfranzösischen Lagern (Argelès-sur-Mer, St. Cyprien, Gurs, Le Vernet, Les Milles) interniert, wo sie unter menschenunwürdigen Umständen87 lebten und in unfreiwilligen Kontakt mit französischen Behörden gerieten. Darüber hinaus hatten sich manche vor Beginn des Bürgerkrieges in französischer, belgischer, schwedischer oder tschechoslowakischer Emigration aufgehalten. Zwischen 1939 und 1941 trennten sich die Wege der Internierten: Aufgrund einer Vereinbarung im deutsch-französischen Waffenstillstandsabkommen vom 23. Juni 1940 wurden die meisten von ihnen an die deutsche Besatzungsmacht ausgeliefert und anschließend in Gefängnisse und Konzentrationslager überstellt, so nach Sachsenhausen, Buchenwald, Dachau, Mauthausen, Majdanek und Auschwitz. Einigen anderen gelang es, sich zum französischen Maquis durchzuschlagen und am Widerstandskampf teilzunehmen. Der aus Piesteritz stammende Franz List etwa schloss sich 1943 einer Partisanengruppe in Grenoble an und war Bevollmächtigter des „Comité Allemagne libre pour l’ouest“ (CALPO) in Isère. Hermann Obermaier gehörte Anfang 1943 zu einer Partisanengruppe in den Pyrenäen. Max Dankner kämpfte unter dem Decknamen „Paul Banelle“ als Oberleutnant in einer multinationalen Partisaneneinheit. Zwei weitere Spanienkämpfer aus dem späteren Sachsen-Anhalt emigrierten im November 1941 über Marokko nach Mexiko. Auf kommunistischen Druck hin wurden mexikanische Visa jedoch nur solchen Spanienkämpfern erteilt, die bereit waren, sich schriftlich für den prosowjetischen Sozialisten Juan Negrín zu erklären und Oberst Segismundo Casado – er hatte im März 1939 eine gegen Negrín gerichtete Regierung der nationalen Verteidigung ausgerufen – als Verräter zu bezeichnen. Der Chefarzt des Hospitals der 13. Interbrigade Dr. Rolf Becker ging 1939 über England nach China, um den Kampf gegen die japanischen Invasoren zu unterstützen.88 Die Internierung der Spanienkämpfer in französischen Lagern ließ sie verdächtig erscheinen und kam während des Prozesses gegen László Rajk, der Parteisekretär im Rákosi-Bataillon der Internationalen Brigaden gewesen war, zur Sprache. Rajk musste dazu vor Gericht folgende Aussagen abgeben: „Rajk: In den französischen Internierungslagern, in Saint Cyprien, in Gurs und in Vernet, war ich mit Jugoslawen zusammen. In den französischen Internierungslagern war 87 Vgl. Kießling, Absturz in den kalten Krieg, S. 15 f. 88 Namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/5/1902, Bl. 2 f., 16–18, 22, 24–30, 39–46); VVN-Vorstandsmitglieder 1949–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V /8/206, Bl. 33–37, 161–172); Berichte an die Deutsche Verwaltung des Inneren 1949/50 (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI Nr. 158 a, Bl. 300, 303); SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/126, unpaginiert (Bericht von Kurt Lichtenstein vom 10.10.1950); Beevor, The Spanish Civil War, S. 396; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 487 f.; Mayer, In der Résistance, S. 96, 108, 116; http://www.drafd.de/htdocs/veranst/resist_4.html (Stand vom 24. 5. 2003).

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eine sehr starke trotzkistische politische Tätigkeit im Gange. Die hauptsächlichen Organisatoren und gleichzeitig Vollzugsorgane dieser Politik waren die Mitglieder der jugoslawischen Gruppe. [...] Unter den wichtigsten Persönlichkeiten befanden sich Koszta-Nagy, Militsch und Wukmanowitsch, der zu jener Zeit den Decknamen ‚Tempo‘ führte, weiter Stefanowitsch und Queber. Dies waren die wichtigsten Personen. Die hier angeführten Personen waren gleichzeitig diejenigen, die nicht nur die Arbeit der jugoslawischen Trotzkistengruppe organisierten und leiteten, sondern auch die Tätigkeit der im Lager befindlichen anderen trotzkistischen Gruppen, beziehungsweise der trotzkistischen Fraktionen in den übrigen nationalen Gruppen. [...] Vorsitzender: Sie sagen, dass Sie eine trotzkistische Politik betrieben. Was war der Standpunkt dieser Gruppe? Rajk: Im wesentlichen könnte ich ihn mit einigen Worten dahin präzisieren, dass ihm gar keine politischen Prinzipien zugrunde lagen, sondern dass er in einer Widerlegung und Unterwühlung alles dessen bestand, was im Interesse der revolutionären Arbeiterbewegung lag.“89

Hintergrund von Rajks erzwungenen Aussagen war die Tatsache, dass sich im Lager Gurs neben orthodoxen Stalinisten auch Sozialisten, Anarchisten, Vertreter kommunistischer Splittergruppen und Parteilose befunden hatten, die sich zu einer eigenen Gruppe, der so genannten „9. Kompanie“, zusammenschlossen. Nach Angaben der deutschen Gruppe im Lager Gurs gehörten der 9. Kompanie im Juli 1939 lediglich 157 frühere Mitglieder der Internationalen Brigaden an (110 Deutsche, 11 Österreicher, 36 Polen, Letten und Weißrussen). Im Vergleich zu den insgesamt 1100 deutschen und österreichischen Spanienkämpfern, die Mitte 1939 in Gurs interniert waren, handelte es sich bei der 9. Kompanie also nur um eine kleine Gruppe, die aber umso heftiger von den übrigen Internierten bekämpft wurde. Im „Kampf gegen die faschistisch-trotzkistischen Agenten“ der 9. Kompanie verfasste die deutsche Lagergruppe Ende Juli 1939 einen umfassenden Bericht, der dem Politbüro der KPD zuging. Der Bericht enthielt Charakteristiken von 106 der 121 deutschen und österreichischen Mitglieder der Kompanie. Bei der Erstellung dieser Charakteristiken berücksichtigte man sowohl das Verhalten in Spanien, als auch – soweit bekannt – Angaben über die frühere Tätigkeit von Mitgliedern der 9. Kompanie in Deutschland und der Emigration. 41 von ihnen sollen wegen Spionageverdacht, aus politischen Gründen, wegen Desertion oder krimineller Delikte inhaftiert gewesen sein. Auch in anderen Lagern, so etwa in St. Cyprien, wurden aus ideologischen Gründen oder wegen „Feigheit vor dem Feind“ Parteiverfahren angestrengt und Parteiausschlüsse verhängt.90 Noch während sich ein Großteil der Spanienkämpfer in südfranzösischen Internierungslagern befand, fertigte der in Moskau unter dem Decknamen „Gustav“ arbeitende Gustav Szinda (bis Mai 1938 Stabschef der XI. Interbrigade, danach Mitarbeiter der Kaderabteilung der Ausländerkommission beim ZK der KP Spaniens) im Februar und 89 Zit. nach László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht, S. 48 f. 90 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/85, Bl. 100–103; DY 30/IV 2/4/126, unpaginiert (Bericht von Kurt Lichtenstein vom 10.10.1950).

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März 1940 Charakteristiken zu 2 267 Mitgliedern der Internationalen Brigaden an.91 Über einige der aus dem späteren Sachsen-Anhalt stammenden Spanienkämpfer fanden sich folgende negative Einschätzungen: „45. Baum, Kurt. (Sozialdemokrat). Kam am 4. 6. 1937 nach Spanien zur Antitankbatterie der 11. Brigade. Der Kamerad war an der Front sehr undiszipliniert und unkameradschaftlich, solidarisierte sich des öfteren mit schlechten Elementen, so auch mit dem Gestapo-Agenten Egon Kluthe (alias Fritz Renner). Baum nahm Verbindung auf zu dem Vertreter der II. Internationale Reventluf [Rolf Reventlow, F. H.]. Wirkte in der Truppe zersetzend, wurde des öfteren verhaftet, von exemplarischer Bestrafung wurde Abstand genommen. Politisch ein verworrenes Element. [...] 74. Bell, Heinrich. Kam am 10.1.37 nach Spanien zur 13. Brigade und später zur 45. Division als Waffenmeister. Auf Grund seiner Funktion wurde er zum Leutnant ernannt. Ueber seine militärischen Fähigkeiten ist nichts bekannt. Sträubte sich, in der Frontformation Dienst zu tun, bestand auf Grund seiner fachmännischen Qualifikation [darauf], in den hinteren Stäben verwandt zu werden. Politisch nicht klar, trat nie politisch in Erscheinung, drückte sich vor jeder politischen Arbeit, kennzeichnete sich als ein großer Schwätzer und war sehr arrogant. In letzter Zeit trat er sehr provokatorisch auf, kritisierte die politische und militärische Leitung in negativem Sinne. War unkameradschaftlich und undiszipliniert. War Mitglied der KPD, wurde von der Zelle nicht erfasst und auch nicht der KP Spaniens überführt. [...] 348. Ewert, Olla [Olga, F. H.]. Kam im April 1937 ohne Genehmigung der Partei von der dänischen Emigration nach Spanien. Sie verliess in dem Moment Dänemark, wo gegen sie eine Untersuchung eingeleitet wurde wegen Zugehörigkeit und Verbindung mit der Versöhnlerfraktion. Mit wessen Hilfe sie nach Spanien kam, wurde nicht festgestellt. In Spanien arbeitete sie im Service Sanitee [sic] der Interbrigaden in der Administration. In Spanien knüpfte sie Verbindungen an zu verdächtigen Elementen, es wurde eine Untersuchung gegen sie eingeleitet, welche aber durch die Evakuation Kataloniens nicht abgeschlossen werden konnte. Sie ist politisch höchst unklar. [...]“92

Die 1939/40 erhobenen Verdächtigungen gegen Spanienkämpfer lebten unter dem Eindruck des Rajk-Prozess wieder auf und führten 1949 zu ersten Ermittlungen im Rahmen der Überprüfung von Westemigranten. In Sachsen-Anhalt betrafen diese Untersuchungen u. a. Dr. Rolf Becker, der seit Anfang 1949 als Abteilungsleiter im Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik des Landes Sachsen-Anhalt arbeitete. Becker war 1927 Mitglied der NSDAP geworden, hatte ihrem linken Flügel um Otto Straßer angehört und vor seiner Wandlung zum Kommunisten einen öffentlichen Aufruf zur Bildung einer Hamburger Ortsgruppe der im Juli 1930 gegründeten „Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationaler Sozialisten“ (KGRNS) verbreitet. Becker ging 1937 nach Spanien, wurde zunächst Chefarzt des Hospitals der 13. Internationalen Brigade und später Mitarbeiter der Sanitätsabteilung im Kommandostab der Interbrigaden in Albacete. Die Gestapo erfasste Becker im Januar 1939, weil er „als Arzt in Rotspanien aufhältlich“ war und der KGRNS angehört hatte.93 Nach Informatio91 Otto, Erich Mielke, S. 76 f. 92 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/86, Bl. 24, 48 161. 93 BArch, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 4406, Bl. 1–3; Moreau, Otto Straßer, S. 290–294. Die Korrektheit von Beckers eigener Darstellung, er sei 1929 in Ham-

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nen, die dem MfS vorlagen, soll Becker kurz vor dem Ende des Spanienkrieges von André Marty94 „wegen politischer und organisatorischer Verfehlungen“ degradiert worden sein. Über England gelangte Becker 1939 nach China, um auf chinesischer Seite als Arzt am japanisch-chinesischen Krieg teilzunehmen. Er wurde zum gefeierten Kriegshelden, als er einem in den Bergen abgestürzten amerikanischen Piloten das Leben rettete. Amerikanische Zeitungen berichteten in großer Aufmachung über Becker, der von den Amerikanern bald darauf mit festem Arbeitsvertrag angestellt wurde. Trotz dieser auffälligen Biographie hielt das MfS Verdachtsmomente gegen Becker im Juni 1950 für nicht gegeben und brachte den Vorgang zur Einstellung.95 Doch schon Anfang 1951 sah sich Becker erneut zu detaillierten Erklärungen darüber veranlasst, wie er 1939 aus dem französischen Internierungslager St. Cyprien über England nach China gelangt war. Er wies darauf hin, dass alle Reisen im Einvernehmen mit Genossen der deutschen, britischen und chinesischen KP – darunter sogar Tschou Enlai – erfolgt seien. Die von Becker als Bürgen angegebenen prominenten Spanienkämpfer Ludwig Renn und Wilhelm Zaisser, der in Spanien als „General Gómez“ bekannt geworden war und nun das Ministerium für Staatssicherheit leitete, konnten auf Nachfrage durch die Personalabteilung des sachsen-anhaltischen Innenministeriums nur Gutes über Becker berichten. Renn hielt ihn „für einen unserer besten und pflichttreusten Ärzte“. Zaisser bezeichnete Becker als überzeugten Antifaschisten, was man „nicht von allen Ärzten der Internationalen Brigaden sagen“ könne. Beckers klare politische Argumentation habe in Spanien dazu beigetragen, „die antifaschistische Überzeugung der Mitglieder der Brigade zu festigen“. Damit waren die unausgesprochenen Vorwürfe gegen Becker vom Tisch.96 Spanienkämpfer, die keine prominenten Bürgen vorweisen konnten, hatten dagegen weniger Glück und gerieten noch vor dem Slánský-Prozess mit der Partei in Konflikt: Richard Schill wurde 1951 aus der SED ausgeschlossen und nicht mehr als VdN anerkannt. Herbert Pilzecker, der im Lager Gurs Mitglied der oppositionellen 9. Kompanie gewesen und nach der Auslieferung an die Gestapo im KZ Sachsenhausen inhaftiert worden war, verlor 1952 seinen VdN-Status, „da er nicht gleich Zeugen bringen konnte“.97

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burg Mitglied der KPD geworden, darf aufgrund seines Aufrufes für die erst im Juli 1930 gegründete KGRNS bezweifelt werden. Vgl. Fragebogen vom 10. 7.1949 in Beckers Personalakte (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA B 522, Bl. 3). André Marty (1886–1956): Mitglied des ZK der KPF, maßgeblich am Aufbau der Internationalen Brigaden beteiligt. Marty erwarb sich als Befehlshaber in Albacete den Ruf, politische Abweichler und schwankende Soldaten kurzerhand erschießen zu lassen. Er wurde 1952 aus der KPF ausgeschlossen. BStU, MfS BV Halle, AP 31/56, Bl. 3 f. Personalakte Dr. Rolf Becker (LHA Magdeburg, Rep K 3 MdI PA B 522, 2. Band, unpaginiert; Nachtrag zum Lebenslauf Dr. Rolf Becker, 19. 2.1951; Ludwig Renn an das Ministerium des Innern, 15.1.1951; Minister Zaisser an das Ministerium des Innern, 29.1.1951). SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/85, Bl. 112; namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 25 f., 33, 46).

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Schwerwiegendere Maßnahmen gegen eine größere Zahl von Spanienkämpfern wurden jedoch erst Anfang 1953 als Folge des Slánský-Prozesses ergriffen. Im Rahmen der Überprüfung von VVN-Mitgliedern, die sich in westlicher Emigration aufgehalten hatten, sichteten Sachbearbeiter der in Auflösung begriffenen VVN im Februar 1953 auch Unterlagen von Spanienkämpfern. Mehrere von ihnen wurden an die BPKK gemeldet.98 Wie aus einigen handschriftlich angefügten Kommentaren hervorgeht, begegnete man den Spanienkämpfern mit ähnlich großem Misstrauen wie anderen SED-Mitgliedern, die sich vor 1945 in westlichen Ländern aufgehalten hatten: Über den spanischen Exil-Kommunisten Juan Castellano-Naranjo, dessen Vater und Bruder 1939 von spanischen Nationalisten aufgehängt worden waren, hieß es beispielsweise, seine Unterlagen seien sehr lückenhaft, es fehlten ein Lebenslauf und Bestätigungen für die Richtigkeit seiner Angaben.99 Staatsanwalt Heinrich Bells juristische Kenntnisse wurden im Februar 1953 als so „ungenügend und äußerst dürftig“ eingeschätzt, dass er nur noch als so genannter „Haft-Staatsanwalt“ Verwendung fand. In einem Aktenvermerk hieß es, es sei bekannt, dass „die Stasi den Genossen Bell nicht gern in die Haftanstalten hineinlassen wollte“.100 Von besonderem Interesse für die Sicherheitsorgane der DDR dürften unter den in Sachsen-Anhalt wohnhaften Spanienkämpfern vor allem Personen gewesen sein, die in Spanien im Auftrag der Sowjets oder für den spanisch-republikanischen Geheimdienst „Servicio de Investigación Militar“ (SIM) tätig gewesen waren. Auch wenn über die geheimdienstliche Tätigkeit der in Sachsen-Anhalt wohnhaften früheren Mitarbeiter des SIM keine detaillierten Informationen vorliegen, sprechen die über den SIM bekannt gewordenen Tatsachen für sich: Der am 15. August 1937 gegründete SIM entwickelte sich unter kommunistischer Führung zu einer Filiale des NKWD, kopierte dessen Methoden und wuchs innerhalb kurzer Zeit auf über 6000 Mitarbeiter an. Der SIM und seine Vorläuferorganisation „Servicio Alfredo Herz“ unterhielten eigene Gefängnisse und Lager, in denen neben Spionen und Kämpfern der gegnerischen Seite auch zahlreiche Anarchisten, „Trotzkisten“ (Anhänger der POUM, SAP und KPO) und kommunistische Dissidenten im weitesten Sinne einsaßen. Nach dem Vorbild des NKWD folterte der SIM seine Opfer durch Schläge, Bäder in heißem und kaltem Wasser, Einschließen in niedrigen Stehzellen, Schlaf- und Nahrungsentzug, nächtelange Verhöre, vorgetäuschte Exekutionen, Dunkelund Einzelhaft. Durch den Einsatz von Licht und Lärm sollten die Gefangenen desorientiert und ihre Sinne abgestumpft werden. In den Lagern des SIM mussten die Gefangenen anstrengende Schanzarbeiten bei schlechter Verpflegung 98 Untersuchungsberichte der BPKK Nov. 1952–Nov. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/744, Bl. 149–152). 99 Kameraden, die in westlicher Emigration waren N-Z 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/210, Bl. 1–5). 100 Kaderakte Heinrich Bell (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/77, unpaginiert; Charakteristik der SED-Betriebsgruppe Staatsanwaltschaft Halle über Staatsanwalt Heinrich Bell, 21. 2.1953; Aktenvermerk der KPKK Halle vom 5. 6.1953).

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verrichten. Die Gefangenen sollten von Fluchtversuchen abgeschreckt werden, indem das Wachpersonal die zurückgebliebenen Kameraden geflohener Häftlinge gruppenweise erschoss. Zahlreiche Soldaten der republikanischen Armee wurden vom SIM wegen Desertion oder Befehlsverweigerung exekutiert.101 Der in Wolfen ansässige frühere SIM-Mitarbeiter Oskar Brandschädel gehörte 1936 zu den ersten Mitgliedern des Bataillons „Edgar André“ der XI. Interbrigade, war als Bataillonskommissar u. a. an der Madrider Zentralfront und während der Schlacht von Brunete tätig, um dann als Oberleutnant für den – wie er angab – „Servis Kontroll Albacete“ tätig zu werden. Hinter dieser verballhornten Bezeichnung verbarg sich der Kontrolldienst des SIM, der in der Basis der Interbrigaden in Albacete präsent war. Wie der Informant „Gustav“ im Februar 1940 angab, wurde Brandschädels Wechsel zum SIM notwendig, weil er für seine Aufgaben als Kommissar politisch nicht geeignet war. Im Überwachungsdienst des SIM leistete Brandschädel „Gustavs“ Angaben zufolge „eine gute Arbeit, war sehr aktiv, aber zu ressortmäßig“. Brandschädels geheimdienstliche Tätigkeit wurde 1940 auch von anderer Seite durch die sicherlich übertriebene Aussage bestätigt, er sei im Sommer 1937 „Chef der Geheimpolizei von Albacete“ gewesen. Aufgrund seiner Tätigkeit für den SIM unterhielt Brandschädel zweifellos Kontakt zu Wilhelm Zaisser („General Gómez“), der seit Juli 1937 Kommandant der Basis Albacete war. Vor Beginn seiner Tätigkeit in Spanien gehörte Brandschädel einem Parteizirkel in Brüssel an, wo er mit Erich Mielke zusammenarbeitete.102 Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, geriet Brandschädel bereits im Frühjahr 1951 während der Mitgliederüberprüfung aufgrund seiner Emigration in Schwierigkeiten, erhielt aber nach erneuter Überprüfung sein Parteibuch.103 Neue Vorwürfe gegen Brandschädel wurden im Februar 1953 laut, als sich drei Denunzianten mit dem Hinweis auf den Slánský-Beschluss des ZK an die BPKK Halle wandten: Brandschädel sei 1943 als französischer Fremdarbeiter unter dem Namen Charles Ebert nach Wolfen gekommen und habe es damals versäumt, mit den illegal arbeitenden Wolfener Genossen Verbindung aufzuneh101 Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung, S. 144, 156, 159–163, 166 f., 175, 234; Thomas, The Spanish Civil War, S. 492 f., 526; Beevor, The Spanish Civil War, S. 310; Braunthal, Geschichte der Internationale, 2. Band, S. 480–483, 488 f.; Courtois/Panné, Der lange Schatten des NKWD, S. 378–380. 118 f.; Becker, Heinrich Brandler, S. 329–331; Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 24–27; Nollau, Die Komintern, S. 37. 102 SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/86, Bl. 78; namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 2 f., 12); Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung, S. 237 f., 266 f.; Otto, Erich Mielke, S. 82. Wilfriede Otto datiert die Begegnung von Mielke und Brandschädel in Brüssel auf das Jahr 1939. Dies steht im Widerspruch zu Brandschädels eigenen Angaben in folgender Akte: Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 107–110). Auch „Gustav“ gab an, Brandschädel sei „im Oktober 1936 von der belgischen Emigration nach Spanien“ gekommen. Vgl. SAPMOBArch, RY 1/I 2/3/86, Bl. 78. 103 Parteiüberprüfung 1951 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt IV/L 2/5/82, Bl. 247, 249, 262, 271).

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men. Obwohl er keine gültigen Papiere besessen habe, sei er dennoch nach Kriegsende vom damaligen Kreissekretär der KPD – einem früheren „Brandleristen“ – in die Partei aufgenommen worden. Trotz der politischen Erfahrung, die man gerade bei einem Spanienkämpfer voraussetzen müsse, habe Brandschädel mit einem Klüngel rechter Sozialdemokraten, unter denen sich der nach dem Brundert-Prozess kaltgestellte Paul Wessel und ein jüdisches VVN-Mitglied namens Landau befanden, gegen die Genossen der KPD gearbeitet. Auch wenn Brandschädels Agententätigkeit aus diesen Hinweisen nicht zwingend hervorgehe, so stehe zumindest fest, dass er von Agenten missbraucht worden sei. Die Imperialisten versuchten, „Menschen, die ihnen einmal einen Dienst erwiesen haben, vollends in ihr Netz einzufangen“. Es sei daher unverantwortlich, Brandschädel weiterhin in der Funktion eines Sekretärs für gesamtdeutsche Gewerkschaftsarbeit beim FDGB-Bezirksvorstand Magdeburg zu belassen. Die Angelegenheit endete noch im selben Jahr mit Brandschädels Versetzung nach Halle.104 Auch aus der Kaderakte des in Halle wohnenden SIM-Mitarbeiters Werner Sager wird das gegen frühere Spanienkämpfer bestehende Misstrauen deutlich: Sager war 1936 zusammen mit mehreren anderen Kommunisten, Sozialdemokraten, SAP-Mitgliedern und Syndikalisten aus schwedischem Exil nach Spanien gekommen und hatte als MG-Schütze und Politkommissar in der XIV. Internationalen Brigade gekämpft. Nach seiner Verwundung an der Jarama-Front (1937) wurde Sager Mitarbeiter des SIM, zunächst als Abteilungsleiter der skandinavischen Sektion in Albacete und Valencia, dann in der spanischen und sowjetischen Sektion in Barcelona. Er schien für diese Tätigkeit vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen geeignet, die er seit 1931 im Geheimapparat der KPD-Unterbezirksleitung Lübeck gesammelt hatte. Damals war er für die Zersetzung von Reichswehr, Polizei und SAJ zuständig gewesen. In schwedischer Emigration setzte er seine konspirative Tätigkeit für die Abwehr der KPD fort. Im März 1953 wurde Sager, der durch Vermittlung von Erich Mielke innerhalb der Volkspolizei hohe Positionen innegehabt hatte (so als Amtsleiter von Eisleben, Bitterfeld, Halberstadt, Wernigerode und Leiter der Abteilung Schutzpolizei im Bezirk Halle), zur Einreichung eines Entlassungsgesuchs genötigt. Begründet wurde dies damit, dass Sager zu seinen beiden geschiedenen Ehefrauen nach wie vor Beziehungen unterhielt. Was auf den ersten Blick als private Af104 Überprüfung von Mitgliedern, die im kapitalistischen Ausland waren 1953 (LHA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/71, Bl. 131–133); Kaderakte Oskar Brandschädel (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/140, unpaginiert; Angaben über Brandschädels Arbeitsstellen im Grundbuch). Brandschädel nannte als Tag seiner Ankunft in Wolfen den 23. 8.1944. Vgl. Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 107–110). Andere Spanienkämpfer reisten – als französische Fremdarbeiter getarnt – zu einem noch früheren Zeitpunkt nach Deutschland ein, damit „genügend qualifizierte deutsche Genossen noch vor der Verwirklichung der zweiten Front durch die Amerikaner in Deutschland selbst arbeiten“. Vgl. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/126, unpaginiert (Bericht von Kurt Lichtenstein, 10.10.1950).

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färe erschien, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als politische Angelegenheit: Sagers erste Frau war in den dreißiger Jahren über die ČSR nach Norwegen und Schweden emigriert. Seine zweite Frau Alice – eine sudetendeutsche Kommunistin jüdischer Herkunft, deren Schwester in Kanada lebte – hatte den Krieg in englischer Emigration überlebt. Das MfS begann im Februar 1953, Informationen über Sager und seine geschiedene jüdische Ehefrau zu sammeln. Dabei stellte sich heraus, dass Alice Sager als Jugendliche Mitglied einer zionistischen Organisation gewesen war. In Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Geheimdienst versuchte das MfS noch bis Oktober 1953, Informationen über Alice Sager und die zionistische Jugendgruppe zu erarbeiten – allerdings ohne Erfolg. Werner Sager wurde nach seiner Entlassung aus dem Polizeidienst als Schweißer in die Maschinenfabrik Halle versetzt. Seine Parteitreue stellte er in den Tagen nach dem 17. Juni 1953 unter Beweis, als er sich „in Tag- und Nachteinsätzen positiv und vorbildlich“ verhielt. 1955 gelang es ihm zwar, zum 2. Sekretär der Betriebsparteiorganisation (BPO) aufzusteigen, doch seine Vergangenheit als Mitarbeiter des SIM holte ihn erneut ein.105 In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte Sager seinen Abzug aus Spanien, der im Dezember 1938 auf Veranlassung der sowjetischen Sektion des SIM erfolgt war, im Oktober 1955 damit, dass ein Teil des SIM damals „zur Auslands-Arbeit herausgezogen“ worden sei. Man habe ihn nach Paris geschleust, wo er Papiere für die Rückkehr nach Schweden erhielt. Verbindungen zu französischen Dienststellen und deutschen Emigranten sollen bei dieser Gelegenheit nicht zustande gekommen sein. Nach Schweden zurückgekehrt, habe er jedoch keinen Kontakt zu seiner „vorgesetzten Dienstbehörde“ erhalten und sich deshalb bei der Parteiorganisation gemeldet.106 Zusätzliche Probleme entstanden für Sager dadurch, dass der 1950 verhaftete Reichsbahnpräsident Willi Kreikemeyer in der deutschen Sektion der Interbrigaden als Kaderchef tätig gewesen war und dadurch Verbindungen zu Sager unterhalten hatte. In einer 1947 angefertigten Einschätzung hatte Kreikemeyer bestätigt, dass sich „Werner Sager in Spanien absolut einwandfrei benommen“ habe. Umgekehrt waren von der SED-Landesleitung bereits 1947 starke Bedenken gegen Sager geäußert worden, da er „in Schweden Verbindung zu trotzkistischen Elementen gehabt haben“ soll.107 Um Distanzierung bemüht, berichtete Sager fünf Jahre nach Kreikemeyers mysteriösem Verschwinden:

105 BStU, MfS-AP 71/64, Bl. 2 f., 9, 15, 18–24; MfS-HA IX /11 AS 95/65, 4. Band, Bl. 492–495; Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961, Bl. 9, 24, 26, 40, 42–47, 52 f., 60, 62 f., 77, 82); namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 2 f., 40); Peters, Exilland Schweden, S. 118 f. 106 BStU, MfS-HA IX/11 AS 95/65, 4. Band, Bl. 495 f.; Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961, Bl. 54). 107 BStU, MfS-HA IX/11 AS 95/65, 4. Band, Bl. 493; Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961, Bl. 15).

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„Schon Monate vor meiner Abreise aus Spanien hatte ich keinerlei Bindungen mehr zu Kr[eikemeyer], da eine Versetzung nach Barcelona den dienstlichen Verkehr nicht nötig machte. Ich habe seitdem keinerlei Verbindung mehr zu Kr[eikemeyer] gehabt, weder aus Norwegen, Schweden und Deutschland. [...] Sofort nach Bekanntwerden der Agententätigkeit Kr[eikemeyers] habe ich übrigens an den Gen[ossen] Hermann Matern einen Brief geschrieben, in dem ich der ZPKK einige Hinweise aus der Tätigkeit des Kr[eikemeyer] in Spanien gab, die mir damals, in Spanien, unbedeutend erschienen – aber im Lichte neuer Tatsachen eine gewisse Bedeutung haben konnten. Der Gen[osse] Matern schrieb dann auch an mich und wies darauf hin, dass meine Mitteilungen im Verfahren gegen Kr[eikemeyer] Anwendung finden würden. Mit mir zusammen in der SIM arbeitete der Gen[osse] Oskar Brandschädel, z. Zt. beim FDGB Halle, und der Gen[osse] Adolf Bayer, z. Zt. Abteilungsleiter für Gesamtdeutsche Fragen beim ZK der SED. Beide können die gemachten Angaben über meine Tätigkeit in Spanien und Verbindung zu Kr[eikemeyer] bestätigen.“108

Sagers Informationen an Matern bezogen sich auf Ermittlungen des SIM gegen den für die Interbrigaden tätigen deutschen Arzt Dr. Glaser, der in Albacete als angeblicher Agent des „Intelligence Service“ enttarnt worden war. Dieser Verdacht traf auch auf Glasers Tochter Erika zu, wovon Sager nach eigenen Angaben Kreikemeyer in Spanien informiert hatte. Kreikemeyer – so Sagers Schlussfolgerung – musste von Fields Agententätigkeit gewusst haben.109 Über die Rolle Kreikemeyers sei ihm damals jedoch ebenso wenig bekannt gewesen wie über Kurt Funk alias Herbert Wehner, der ihm in Schweden den Auftrag erteilt habe, nach Deutschland zu fahren und mit einer illegalen kommunistischen Gruppe in Hamburg Verbindung aufzunehmen. Sager reiste als blinder Passagier an Bord eines Schiffes nach Deutschland, wurde bei seiner Rückkehr vom schwedischen Zoll entdeckt und verhaftet.110 Letztlich gelang es Sager 1955, schlimmere Folgen für sich selbst durch Rechtfertigungsversuche und Denunziationen abzuwenden. An seine zerstörte Polizeikarriere konnte er zwar nicht mehr anknüpfen, doch er stieg immerhin zum Vorsitzenden des GST-Bezirksvorstandes Halle auf. Dabei konnte er „gute Erfolge in der Werbung Jugendlicher für die NVA“ verzeichnen. Als das MfS in den sechziger Jahren Ermittlungen durchführte, um kompromittierendes Material über Herbert Wehner zu sammeln, wurde 1967 auch Werner Sager über seine Kontakte in schwedischer Emigration befragt.111 Entgegen der offiziell gepflegten Heroisierung der Interbrigaden versuchten die DDR-Behörden die Rückkehr von Spanienkämpfern, die der Krieg ins Ausland verschlagen hatte, zu verhindern. Der Hallenser Hellmuth Röhr musste 108 Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961, Bl. 51). 109 Ebd., Bl. 22 f. 110 Ebd., Bl. 20 f. Vgl. dazu Wehners Darstellung von Sagers Verhaftung und seinen anschließenden Bemühungen, Sagers Auslieferung nach Deutschland zu verhindern in Wehner, Zeugnis, S. 256 f. 111 BStU, MfS-HA IX/11 AS 95/65, 4. Band, Bl. 380–404, 474 f.; Kaderakte Werner Sager (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/961, Bl. 82). Zur Kampagne des MfS gegen Wehner vgl. Knabe, Die unterwanderte Republik, S. 153–181.

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sich jahrelang gedulden, bis er im August 1951 in die Heimat zurückkehren konnte. Noch kurz zuvor war Röhrs Einreiseantrag beim ZK auf Ablehnung gestoßen, da für seine Rückkehr aufgrund ungeklärter Familienverhältnisse „keine Verantwortung übernommen werden“ könne. Sein Antrag zur Aufnahme in die SED blieb erfolglos, denn er galt aufgrund seiner abenteuerlichen Biographie als „undurchsichtige Person“: Röhr war nach dem Ende des Spanienkrieges zunächst in Gurs und Le Vernet, dann im Lager Djelfa (Algerien) interniert gewesen, wo ihn amerikanische Truppen 1943 befreit hatten. Er schloss sich der britischen Armee an, war als Chauffeur für die alliierte Militärregierung in Italien tätig und lebte bis zur Einreise in die DDR als Arbeiter in Frankreich. Zur Erhöhung des Misstrauens gegen Röhr trugen seine verwandtschaftlichen Beziehungen bei: In einer Denunziation, die im Februar 1953 von einem Angehörigen der Sicherheitsorgane ausging, wurden neben Hellmuth Röhr auch seine Brüder Albert (im Oktober 1950 aufgrund eines achtjährigen Aufenthalts in englischer Emigration als Personalleiter des sachsen-anhaltischen Wirtschaftsministeriums abgesetzt) und Gerhard erwähnt, der im Verdacht stand, in den dreißiger Jahren als Gestapo-Spitzel gearbeitet zu haben. Der Denunziant wies außerdem darauf hin, dass Hellmuth Röhrs jüdische Frau aus der Sowjetrepublik Moldawien stamme, bürgerlicher Herkunft sei und Röhr in französischer Emigration kennen gelernt habe. Im März 1953 verlor Röhr durch die Auflösung der VVN sein Amt als Mitglied der VVN-Stadtbezirksleitung. Die Tätigkeit seiner Frau als Ärztin einer halleschen Poliklinik endete im April 1953 – bezeichnenderweise einige Wochen nach der Bekanntgabe der angeblichen Verschwörung jüdischer Kreml-Ärzte gegen das Leben Stalins. Aufgrund seiner Verbindungen zu Spanienkämpfern und Frankreich-Emigranten begann sich das MfS für Hellmuth Röhr zu interessieren. Er wurde am 15. Juni 1954 unter dem Decknamen „Nik“ als GI geworben und verpflichtete sich, „den Organen der Staatssicherheit bei der Entlarvung von Spionen, Agenten, Saboteuren und allen Personen, die organisierten Widerstand gegen die DDR leisten, behilflich zu sein“. Er berichtete über seine Tätigkeit in Spanien und Frankreich und erhielt im Dezember 1954 den Auftrag, eine Namensliste der französischen Emigration zu erstellen. Eine effektive Zusammenarbeit mit dem MfS kam wegen Röhrs Magenleiden und häufiger Krankenhausaufenthalte jedoch nie zustande, so dass die Verbindung im Oktober 1955 vom MfS abgebrochen wurde.112 In Schwierigkeiten geriet auch der aus Unterröblingen bei Halle stammende Altkommunist Willi Busch. Er hatte 1918 dem Spartakusbund angehört und sich an den Kämpfen der Jahre 1920/21 beteiligt, war 1923 in die USA ausge112 BStU, MfS BV Halle, AIM 971/55, 1. Band, Bl. 9–11, 15–27; 2. Band, Bl. 17, 20; Kaderakte Albert Röhr (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/938, unpaginiert; Lebensläufe Albert Röhrs vom 18.11.1949 und 2. 5.1953; Mitteilung der Kaderabteilung der SED-Kreisleitung Halle an Albert Röhr vom 31. 3.1951); namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 2 f., 41).

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wandert und dort der KPUSA beigetreten. Busch nahm 1937/38 innerhalb der „Abraham-Lincoln-Brigade“ am Spanischen Bürgerkrieg teil und wurde nach einer schweren Verwundung in die USA zurückgebracht. Nach seiner Übersiedlung in die DDR (1954) bemühte er sich zwei Jahre lang um Aufnahme in die SED. Trotz fortgeschrittenen Alters und seiner Kriegsverletzung fand sich für ihn lediglich eine Anstellung als Transportarbeiter in der Waggonfabrik Ammendorf. Bei Vorsprachen in der Stadt- und Bezirksleitung der SED schlug ihm der Verdacht entgegen, als amerikanischer Agent tätig zu sein. Deprimiert vertraute Busch einem Freund an, dass er sich „hier noch mieser als in New York“ fühle, wo er zwei Jahre lang unter Polizeiaufsicht gestanden habe. Überall begegne ihm Misstrauen.113 Im Gegensatz zu vielen anderen Spanienkämpfern blieb der Rektor der Martin-Luther-Universität Halle, Prof. Dr. Leo Stern, unbehelligt. Manches deutet darauf hin, dass die Zuständigkeit für Stern in letzter Instanz ohnehin bei sowjetischen Organen lag: Stern war 1936 „im Auftrag der Roten Armee“ unter dem Parteinamen „Franz Schneider“114 nach Spanien gekommen und hatte dort „infolge dieses Sonderauftrages [...] einer besonderen Brigade oder einem besonderen Bataillon nicht angehört“. Er war einer von insgesamt 3 000 sowjetischen Militärberatern, Komintern-Emissären und Mitarbeitern des NKWD. Zu ihren Aufgaben gehörte nicht nur die militärische Reorganisation der spanischen Republikaner, sondern ein Großteil der sowjetischen Emissäre, unter denen es bezeichnenderweise nur 41 Kombattanten gab, befasste sich mit der Ausschaltung von Franco-Anhängern, feindlichen Agenten, Antikommunisten und Antistalinisten. Nach Maßgabe der im Slánský-Prozess gesponnenen Verschwörungskonstrukte enthielt Sterns Biographie mehrere belastende Momente: Obwohl er sich auch im Hinblick auf seine frühere Religionszugehörigkeit offiziell als „konfessionslos“ bezeichnete, war er in einer jüdischen Familie geboren worden und hatte 1935/36 mehrere Monate lang in tschechoslowakischer Emigration gelebt. Sein Bruder Manfred Stern („General Kléber“) machte sich im November 1936 bei der Abwehr des faschistischen Angriffs auf Madrid verdient, wurde aber kurz darauf seines Kommandos enthoben und nach Moskau abberufen. Dort verurteilte ihn das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR im Mai 1939 u. a. wegen des Vorwurfs, er habe 1936/37 in Spanien als deutscher Spion und durch die Verbreitung „trotzkistischer Ideologie“ die Verteidigungskraft der Spanischen Republik untergraben, zu 15 Jahren Haft. 1954 fand Manfred Stern den Tod im Gulag. Innerlich distanzierte sich Leo Stern nie von seinem Bruder, denn er nannte seinen 1946 geborenen Sohn nach ihm. Leo Sterns Witwe zufolge verfasste ihr Mann mehrere Eingaben, um Manfred Stern aus sowjetischer Gefangenschaft zu befreien. Im Verkehr mit Parteistel113 Kaderakte Willi Busch (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/167, unpaginiert). 114 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2833, Bl. 39. Stern veröffentlichte vor 1945 zahlreiche Aufsätze und Rezensionen unter den Pseudonymen Franz Schneider, L. Taylor und L. Hofmeister. Vgl. Bibliographie in Bartmuß u. a. (Hg.), Die Volksmassen – Gestalter der Geschichte, S. 561 f.

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len ließ er jedoch nichts über das Schicksal des Bruders verlauten, sondern hielt die offizielle Version aufrecht, Manfred Stern sei „Angestellter [der] Sanitätsverwaltung Chabarowsk UdSSR“ – eine verschleiernde Umschreibung von Manfred Sterns Lagertätigkeit als Feldscher.115 Für den geheimdienstlichen Charakter von Leo Sterns Tätigkeit in Spanien scheint auch zu sprechen, dass er es trotz mehrfacher Anfragen durch die Parteileitung des Historischen Instituts der Martin-Luther-Universität ablehnte, über seine Erlebnisse während des Spanischen Bürgerkrieges zu berichten.116 Dennoch behielt Stern bei offiziellen Anlässen die lokale Deutungshoheit über die Ereignisse in Spanien. Als sich der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges im Juli 1956 zum zwanzigsten Mal jährte, hielt er einen Vortrag, in dem er die offizielle stalinistische Darstellung der Ereignisse wiederholte. Stern führte aus, die im September 1936 gebildete spanisch-republikanische Regierung habe „den die Front und das Hinterland zersetzenden anarchosyndikalistischen und trotzkistischen Elementen Vorschub“ geleistet. Auch nach der Umbildung der Regierung im Mai 1937 habe es „bei der Säuberung des Hinterlandes von trotzkistischen und anarchistischen Provokateuren und der fünften Kolonne an der notwendigen politischen Energie und Konsequenz“ gefehlt.117 In den folgenden Jahren schien es zunächst so, als könne das Misstrauen gegen frühere Mitglieder der Interbrigaden im Zuge der Entstalinisierung überwunden wer115 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v. 2833, Bl. 39; namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/5/1902, Bl. 40); Kaderakte Prof. Dr. Leo Stern (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/8/1104, unpaginiert; Eintragung im Grundbuch); Lustiger, Schalom libertad, S. 223–229; In den Fängen des NKWD, S. 230; Courtois/Panné, Der lange Schatten des NKWD, S. 369–372; Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung, S. 145; Behrend, „Retter von Madrid“ und Opfer Stalins. Im Zuge der Entstalinisierung bekannte sich Leo Stern schließlich öffentlich zu seinem Bruder, dessen Andenken er 1958 eines seiner bekanntesten Bücher widmete. Vgl. die Widmung „Dem Andenken meines Bruders Manfred Stern“ in Stern, Der Einfluss der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Frau Stern konnte leider keine näheren Angaben über Leo Sterns Tätigkeit in Spanien machen, da er darüber nur sehr wenig erzählt habe. Sie erinnerte sich aber, dass ihr Mann das Schicksal seines Bruders öffentlich erwähnt habe, als eine Schule nach Manfred Stern benannt wurde. Auch das MfS habe davon erfahren. In den Leo Stern betreffenden Akten des MfS findet sich zu diesem Vorgang kein Dokument (Gespräch des Autors mit Frau Alice Stern aus Halle am 8. 3. 2004). 116 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 3. Band, Bl. 107. Mario Keßler und Sterns Witwe Alice Stern vertreten die Auffassung, Stern habe sich 1936 „zu den Internationalen Brigaden“ gemeldet. Vgl. Keßler, Vom Gefechtsstand in den Hörsaal, S. 58; Stern, „Erinnerungen“ des Herrn Prof. Burchard Brentjes, S. 175. Gegen Keßlers und Alice Sterns Darstellung spricht vor allem der 1956 festgehaltene Vermerk, dass Stern „im Auftrag der Roten Armee eingesetzt“ worden sei und „infolge dieses Sonderauftrages [...] einer besonderen Brigade oder einem besonderen Bataillon nicht angehört“ habe. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, gab er in einem Lebenslauf selbst zu, dass er „von Januar 1937 bis April 1938 [...] als Mitarbeiter der Kaderabt[eilung] des EKKI einen Sonderauftrag durchzuführen“ gehabt habe. Vgl. Namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/5/1902, Bl. 40); SAPMOBArch, DY 30/IV 2/11/v. 2833, Bl. 41. 117 Stern, Der Freiheitskampf des spanischen Volkes, S. 747.

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den. Im Juli 1961 fand aus Anlass des 25. Jahrestages eine Kundgebung im halleschen Volkspark statt, an der deutsche, tschechische, italienische und amerikanische Spanienkämpfer teilnahmen. Mittlerweile überholt geglaubte Verschwörungstheorien kamen in Sterns Festrede jedoch erneut zur Sprache. Das lokale Parteiorgan „Freiheit“ berichtete dazu: „Ihr Kampf war nicht erfolgreich, sie standen gegen eine große Uebermacht. Franco hatte die Unterstützung der Westmächte, die die Republik blockierten. Zugleich arbeitete die fünfte Kolonne der Imperialisten, die Anarchisten, die Trotzkisten, im Hinterland der demokratischen Republik. ‚Hier verdiente sich als Feind der spanischen Demokraten auch Willy Brandt seine ersten Sporen‘, sagte Professor Stern. Es wundert nicht, wenn heute das Adenauer-Regime, das die SS fördert, auch das barbarische Franco-Regime unterstützt und Adenauer sogar die Aufnahme dieses von der Welt verachteten Blutregimes in die UNO fordert.“118

2.3

Juden

Erste Verhaftungen jüdischer Parteifunktionäre wurden in der DDR noch während des Slánský-Prozesses vorgenommen und richteten sich gegen überregional bekannte Persönlichkeiten wie Paul Baender (Staatssekretär im Ministerium für Handel und Versorgung) und Hans-Heinrich Schrecker (Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung). Baender und Schrecker wurden 1954 zu zwölf bzw. acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Dem früheren Leiter von Wilhelm Piecks Präsidialkanzlei, Staatssekretär Dr. Leo Zuckermann, gelang es, der Verhaftung zu entgehen, indem er seine Verfolger im Trubel des Ostberliner Weihnachtsmarktes abschüttelte und mit der S-Bahn nach Westberlin floh. Andere im Partei- und Staatsapparat tätige SED-Mitglieder jüdischer Abstammung wurden nicht verhaftet, aber ihrer Positionen enthoben, so Albert Norden als Leiter der Presseabteilung im Informationsbüro der DDR und Hermann Axen als Sekretär des ZK.119 Auch auf Bezirksebene gab es Entlassungen und Degradierungen von SEDFunktionären jüdischer Herkunft. Unter ihnen befand sich Kurt Konecny, der im Apparat der SED-Bezirksleitung Halle für das Erziehungswesen zuständig war. Bei der Überprüfung seiner Kaderunterlagen stellte sich heraus, dass Konecny aus der Tschechoslowakei stammte und bürgerlicher, teils jüdischer Herkunft war. Keiner seiner Verwandten mütterlicherseits hatte den Zweiten Weltkrieg überlebt. BPKK-Chef Erich Ament begründete Konecnys Entlassung damit, dass dieser „auf Grund seiner gesamten Entwicklung“ nicht in der Lage gewesen sei, „die Organisierung des Kampfes gegen die hemmenden Kräfte an 118 Freiheit vom 21. 7.1961 („Brigade International stets ein Ehrenname. Internationale Kundgebung aus Anlass des 25. Jahrestages des Beginns des Befreiungskampfes des spanischen Volkes“). 119 Kießling, Absturz in den kalten Krieg, S. 8, 28–38, 41; ders., Der Fall Baender, S. 5–10, 174–180; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 120.

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den Schulen vorzunehmen“. Die BPKK fasste den Beschluss, Konecny aus dem Apparat der Bezirksleitung zu entfernen, seine Angaben gründlich zu überprüfen und ihn anderweitig im Erziehungswesen einzusetzen – vorausgesetzt, dass sich „keine weiteren belastenden Momente ergeben“ sollten.120 Ebenso hatte der aus Halle stammende frühere Sozialdemokrat Max Abramowitz 1953 als FDJ-Kreisseminarlehrer ausgedient, was ihn jedoch nicht hinderte, sich dem MfS im Februar 1954 unter dem Decknamen „Schwalbe“ als Informant zu verpflichten. Nachwirkungen des Slánský-Prozesses wurden deutlich, als Abramowitz bei der Offenlegung seiner Westverwandtschaft darauf hinwies, dass sein Vetter Markus Felixbrodt Präsident des israelischen Militärgerichts und „Zionist“ sei. Abramowitz wurde in den folgenden Jahren gegen das Ostbüro der SPD eingesetzt, er lieferte Spitzelberichte über zahlreiche Personen (u. a. über das Ehepaar Ferchlandt) sowie Interna der Jüdischen Gemeinde Halle.121 An der Martin-Luther-Universität läutete die Slánský-Kampagne eine neue Runde im Kampf zwischen den beiden jüdischen Kommunisten Prof. Leo Stern und Prof. Heinz Mode ein. Um die von Parteisekretär Burchard Brentjes gesammelte Kritik abzuwehren, veranlasste Stern eine Assistentin zu der Behauptung, „Mode sei im Zusammenhang mit Slanski [sic] wegen Zusammenarbeit mit Field aus der Partei entfernt worden“. Diese Behauptung entbehrte zwar jeder Grundlage, führte jedoch dazu, dass Brentjes, der Modes Verbindungen angeblich gekannt und verschwiegen haben soll, seine Funktion niederlegte und eine „Klärung der Angelegenheit Mode“ beantragte. Stern und sein persönlicher Referent beteiligten sich an der Verbreitung des Gerüchts, dass der „Besuch staatlicher Stellen“ bevorstehe, „die sich sehr für Mode interessieren würden“. An der Universität machte das Gerücht von Modes Verhaftung durch das MfS die Runde. Tatsächlich begann die MfS-Bezirksverwaltung Halle im Februar 1953 damit, auf Anweisung der Berliner Zentrale Material über Mode zu sammeln, das zwar nicht direkt mit Modes angeblichen Beziehungen zu Slánský und seiner jüdischen Abstammung, wohl aber mit Modes früherer Tätigkeit als Sekretär der SED-Betriebsgruppe und den Umständen des 1951 verhängten Parteiausschlusses zu tun hatte. Dem MfS ging aus Halle die Mitteilung zu, Mode habe als Emigrant in der Schweiz gelebt, wo er „mit dem Trotzkisten Kofler befreundet“ gewesen sei. Er solle als Geheimer Informator (GI) unter der Professorenschaft genutzt werden. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, verpflichtete sich Mode im November 1953 als Informant.122 120 Tätigkeitsberichte Febr. 1953–Aug. 1954 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/726, Bl. 38, 40); VVN-Vorstandsmitglieder 1949–1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/206, Bl. 109–132); Protokoll Sekretariatssitzung 11. 6.1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/3/47, Bl. 25). 121 BStU, MfS BV Halle, AIM 1594/66, 1. Band, Bl. 20, 26, 28, 86 f., 102 f., 108, 147; 3. Band, Bl. 25 f., 62, 109 f., 119 f., 132, 143, 149, 167; 4. Band, Bl. 16; MfS BV Halle, AOG 1853/84, 1. Band, Bl. 15–17, 24, 30–32, 40; 2. Band, Bl. 27, 37, 85, 160. 122 BStU, MfS BV Halle, AP 1989/67, 1. Band, Bl. 61, 66, 132; MfS BV Halle, AGMS 2133/85; MfS BV Halle, AIM 1063/69 P, Bl. 14–26, 37, 45–47, 53, 56 f., 71 f., 86–88, 109, 121 f.

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Die antijüdische Kampagne beschränkte sich 1952/53 nicht nur auf SEDMitglieder jüdischer Herkunft, sondern dehnte sich auch auf die jüdischen Gemeinden aus. Mitarbeiter des MfS erschienen in den Gemeindebüros, beschlagnahmten Akten und erfassten die Juden auf Listen. Die ZPKK verfolgte das Ziel, von Vertretern der Jüdischen Gemeinden zustimmende Erklärungen zum Slánský-Prozess und diffamierende Stellungnahmen über den angeblich faschistischen Charakter des Staates Israel zu erhalten. Der vom Westen erhobene Vorwurf des Antisemitismus sollte als Propagandalüge zurückgewiesen werden. Diese Aktionen lösten im Januar 1953 eine Fluchtwelle aus, mit der etwa 400 Juden in den Westen gelangten. Unter den Flüchtlingen befand sich neben den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden von Leipzig, Dresden, Erfurt, Magdeburg und Schwerin auch der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Halle Leon Zamorje.123 Eine Woche, bevor auch Julius Meyer (Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR) nach Westberlin floh, wurde er am 6. Januar 1953 vom stellvertretenden Vorsitzenden der ZPKK Günter Tenner einer mehrstündigen Befragung unterzogen: „Gen[osse] Meier [sic]: [...] 1946 fand eine Sitzung betr[effend] Wiedergutmachung mit Merker, Zuckermann, Nedball statt. Anwesend waren 2 Leute aus Israel. [...] Zuckermann und Merker haben sich stark für die Wiedergutmachung an den Juden eingesetzt. [...] Auf die Frage, ob Gen[osse] Meier in Prag war, antwortet er, dass er mehrere Male dort war. Er habe aber mit diesen Slanski-Leuten [sic] nichts zu tun. Er sei immer im Kreise der Auschwitzer gewesen. Das letzte Mal sei er vor 2 Jahren dort gewesen. [Otto] Fischl124 habe er einmal bei einem Empfang bei Gen[ossen] Pieck gesehen. Zuckermann oder Paul Bänder [sic] seien nicht bei ihm gewesen. Zuckermann sei vor 6 Monaten aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. [...] Gen[osse] Tenner: Hast Du den Artikel ‚Die Lehren aus dem Slanski-Prozess‘ gelesen? Gen[osse] Meier: Ich habe den Artikel sehr eingehend studiert, auch den ganzen Prozess. Mir ist vollkommen klar, dass das eine ausgesprochene Agentenzentrale war, die in der ČSR bestand. Es ist mir persönlich klar, dass es für uns doch keine Rassenfrage gibt, für mich gibt es nur eine Klassenfrage. Für mich gibt es keine Juden, sondern Verräter und Genossen. Auch die Gemeinde werden wir spalten müssen. Hier gibt es einige Menschen, die die Sache des Westens vertreten. Das Bewusstsein bei unseren Men123 Aufstellung über illegale und legale Abgänge von Mitgliedern April 1951–März 1953 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/212, Bl. 22); Keßler, Die SED und die Juden, S. 101 f.; Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 118 f., 122, 124; Lustiger, Rotbuch, S. 276 f. Die Angaben über die Zahl der geflüchteten Juden schwanken: Angelika Timm erwähnt 591 Flüchtlinge, die Ende Juni 1953 in der Jüdischen Gemeinde von Westberlin registriert wurden, und von denen die Mehrzahl zwischen Januar und März 1953 aus der DDR geflohen sei. Arno Lustiger schreibt, mehr als die Hälfte aller in der DDR wohnhaften Juden habe das Land innerhalb weniger Wochen verlassen. Christine Krause geht davon aus, dass von 1 000 durch das MfS registrierten Juden etwa die Hälfte geflohen sei. Vgl. Krause, Antifaschismus und Antisemitismus. 124 Otto Fischl (1902–1952), seit 1928 Mitglied der KPČ, 1946–1948 stellvertretender Finanzminister der Tschechoslowakei, 1949–1951 Botschafter in der DDR, 1951 verhaftet, 1952 im Slánský-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet.

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schen ist noch nicht groß. Sie würden sich für ein großes Paket heute noch genauso verkaufen wie früher. Die Frage, ob Genosse Meier früher in einer zionistischen Organisation gearbeitet hat, verneint er.“125

Auch die wenigen überlebenden Juden aus Halle hatten durch die Vermittlung von Hermann Baden, der nach seiner Rückkehr aus Theresienstadt maßgeblich an der Neugründung der Jüdischen Gemeinde in Halle beteiligt gewesen war, Joint-Pakete aus Berlin erhalten, wodurch sie automatisch in Verdacht gerieten. Nichtjüdische VVN-Funktionäre begannen, jüdische Mitglieder nach ihren Westverbindungen zu befragen und sich von ihnen zu distanzieren. Um die VVN unbelastet aus der antisemitischen Kampagne hervorgehen zu lassen, wurden Meyer und andere jüdische Mitglieder aus der VVN ausgeschlossen. Das VVN-Generalsekretariat kommentierte Meyers Flucht mit der Feststellung, es hätten sich „einige zionistische Agenten [...] zu ihren Auftraggebern in den Westberliner Agentenzentralen abgesetzt“, nachdem ihre „Doppelrolle“ in der VVN und den jüdischen Gemeinden durchschaut worden sei.126 Die erzwungene Selbstauflösung der VVN am 21./22. Januar 1953 und die endgültige Einstellung ihrer Arbeit im Februar 1953 ließen sich durch solche Aktionen jedoch nicht mehr verhindern. Begründet wurde die Auflösung damit, „dass in der Deutschen Demokratischen Republik die Fortführung des Erbes der antifaschistischen Widerstandskämpfer in jeder Weise gesichert und zur Sache des ganzen Volkes geworden“ sei.127 Erfahrene Altkommunisten und VVN-Mitglieder wie der Hallenser Otto Hermann ließen sich von solchen offiziellen Verlautbarungen jedoch nicht verwirren, sondern erklärten, die VVN sei aufgelöst worden, weil ihr „so viele Juden und alte Kommunisten“ angehörten. Die „alten KZ-Leute und Kommunisten“ seien „alle nach Westdeutschland geflohen“.128 Angebliche „Zersetzungserscheinungen und –Einflüsse des Klassengegners“ in der VVN waren von der BPKK Halle bereits am 11. Dezember 1952 ausgemacht worden. Ein Teil der „Rasseverfolgten“, die mit der Politik der DDR-Regierung nicht einverstanden seien, schüre die Unzufriedenheit unter den übrigen VVN-Mitgliedern. Dies werde den „kleinbürgerlichen intellektuellen Elementen“ (=Juden) aufgrund des in der VVN vorhandenen Sektierertums erleichtert.129 Ende Dezember 1952 wurde eine Kommission aus Vertretern der 125 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/404, Bl. 35 f., 40 f. 126 Keßler, Die SED und die Juden, S. 102; Herf, Antisemitismus in der SED, S. 640; Goeseke, Jüdische Gemeinde zu Halle, S. 275–284; Freiheit vom 24.1.1953 („Ausschluss zionistischer Agenten aus der VVN“). 127 Freiheit vom 24. 2.1953 („Die VVN erklärt ihre Aufgaben in der DDR als gelöst. Zentrales Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer gebildet“); Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, S. 123 f. 128 BStU, MfS BV Halle, AOP 280/54, Bl. 34. 129 Tätigkeitsberichte Okt. 1952–Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/727, unpaginiert; Tätigkeitsbericht der BPKK Halle für den Monat November 1952, darin Bl. 12 f.).

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BPKK und der VVN gebildet, um festzustellen, „welche jüdischen Genossen aufgefordert wurden, der jüdischen Gemeinde beizutreten und wer Carepakete erhalten“ hatte.130 In Anlehnung an den Slánský-Beschluss des ZK vom 20. Dezember 1952 zog auch die BPKK Halle ihre „Lehren“ aus den Ereignissen und griff die antisemitische Tendenz des ZK-Beschlusses umgehend auf. Während einer Schulungskonferenz der BPKK, die zwischen dem 18. und 24. Januar 1953 in Ballenstedt stattfand, erklärte BPKK-Chef Erich Ament: „Der Prozess gegen die Slansky-Banditen zeigte uns, wie man die diplomatischen Vertretungen Israels zu aktiven Spionen- und Agentenzentralen entwickelt und gebraucht hat. Dabei hat man das Mitgefühl der Massen missbraucht. Man hat verstanden, die Klassenfrage gegenüber diesen Menschen, die rassenverfolgt waren, einzuschläfern bzw. zu ignorieren. [...] Unter jüdisch-nationalistischer Flagge segelnd, getarnt als zionistische Organisationen und als Diplomaten der amerikanischen Vasallenregierung Israels, verrichteten diese amerikanischen Agenten ihr Handwerk. Die Spekulation des amerikanischen Imperialismus geht dabei darauf hinaus, sich zunutze zu machen, dass vor allem die Werktätigen in den volksdemokratischen Ländern, die im Geiste der Völkerfreundschaft und des proletarischen Internationalismus erzogen werden, Antisemitismus nicht dulden und sich mit den vom Faschismus so stark verfolgten Juden solidarisch fühlen. Die zionistische Bewegung hat nichts gemein mit Zielen der Humanität und wahrhafter Menschlichkeit. Sie wird beherrscht, gelenkt und befehligt vom USA-Imperialismus, dient ausschliesslich seinen Interessen und den Interessen der jüdischen Kapitalisten.“131

Bei seinen anschließenden Ausfällen gegen die angebliche Verschwörung jüdischer Ärzte zur Ermordung sowjetischer Parteiführer orientierte sich Ament an einer Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass und wies darauf hin, dass die Genossen Shdanow und Schtscherbakow „dieser Bande von Tieren in Menschengestalt“ zum Opfer gefallen seien. Die „Entlarvung der Bande von Giftmischern“ sei „ein vernichtender Schlag gegen die amerikanisch-britischen Kriegsbrandstifter, [...] Sklavenhalter und Kannibalen“.132 Am 30. Januar 1953 ging der BPKK vom VVN-Bezirksvorstand Halle ein Verzeichnis aller im Kreis Halle registrierten VVN-Mitglieder und als VdN anerkannten Personen zu. Unter ihnen befanden sich die beiden Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde Halle Hermann Baden und Max Abramowitz. Badens Name war durch rote Unterstreichung besonders gekennzeichnet. Die Listen enthielten insgesamt 135 Namen, von denen die VVN in 49 Fällen eine SED-Mitgliedschaft ermitteln konnte.133 Soweit feststellbar, war mindestens die 130 Protokolle über Sitzungen der BPKK Juli 1952–Dez. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/677, unpaginiert; Protokoll Nr. 3 der Sitzung der BPKK vom 26.1.1953; Zwischenbericht über das Eindringen feindlicher Kräfte in die Partei im Kreis Halle). 131 Arbeitstagungen der BPKK Jan. 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/709, unpaginiert; Referat auf der Schulungskonferenz der BPKK am 18.1.1953, Gen. Ament, darin Bl. 35–39). 132 Ebd., S. 41 f. 133 Informationen zum Slansky-Prozeß Jan. 1953–Juni 1953 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/1860, unpaginiert; Schreiben des VVN-Bezirksvorstandes Halle an die BPKK vom 30.1.1953 mit Anlagen).

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Hälfte der gemeldeten Parteigenossen nachweislich jüdischer Herkunft.134 Am 27. Februar 1953 meldete sich die „Bezirks-Abwicklungsstelle der VVN“ erneut bei der BPKK und übergab ihr eine weitere Liste mit den Namen von 12 Emigranten, unter ihnen Gustav und Helga Beutler aus Leuna, deren Angehörige in Auschwitz und Theresienstadt ermordet worden waren. Eine Überprüfung der jüdischen VVN-Mitglieder hatte laut Auskunft der Abwicklungsstelle nach der „Flucht von Meyer und Komplicen“ stattgefunden. Die Abwicklungsstelle teilte der BPKK mit, dass sie infolge der Auflösung der VVN nicht mehr in der Lage sei, die Überprüfung weiter durchzuführen und die bisherigen Untersuchungsergebnisse auszuwerten. Weitere Entscheidungen müssten daher der BPKK überlassen bleiben. Es seien „keine oder nur ungenügende Zeugenaussagen“ über die Tätigkeit der gemeldeten Genossen in der Emigration vorhanden. Dies gelte auch für die antifaschistische Organisation in Shanghai („Association of Refugees from Germany“), in der Helga und Gustav Beutler aktiv mitgearbeitet hatten. Die Überprüfung der Flüchtlingsorganisation, deren 2. Vorsitzender Gustav Beutler gewesen war, erscheine besonders notwendig, weil „in Verbindung mit den zionistischen Umtrieben im Slánský-Prozess“ eine Organisation in Shanghai erwähnt worden sei. Die Namen von sieben weiteren Emigranten – unter ihnen die beiden halleschen Juden Walter Burghardt und Karl Frankenstein – wurden von der Abwicklungsstelle wenige Tage später nachgereicht. Frankenstein hatte sich bis 1947 ebenfalls in Shanghai aufgehalten, während man Burghardt seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus in den Reihen der französischen Fremdenlegion zum Vorwurf machte.135 Nach 134 Abgleichung der Namenslisten mit den Namen emigrierter und deportierter Juden aus Halle. Vgl. 300 Jahre Juden in Halle, S. 235–249, 260–266. 135 BStU, MfS BV Halle, OD Leuna VIII 1387/82, Bl. 55–57; Untersuchungsberichte der BPKK Nov. 1952–Nov. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/4/744, Bl. 149–152); Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 72 f., 93 ff., 111–116). Die internationale Zone von Shanghai war vor allem zwischen 1938 und 1941 ein bevorzugtes Emigrationsziel, da es dort keine Einwanderungsbeschränkungen gab. Bis 1939 erfolgte die Einwanderung per Schiff, bis zum Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges mit der transsibirischen Eisenbahn über Wladiwostok und anschließender Schiffsreise über Kobe (Japan). Infolge des Krieges zwischen Japan und den USA verschlechterte sich die Situation der geflohenen Juden. Gelder amerikanischer Hilfsorganisationen blieben aus. Ab Februar 1943 mussten sich alle Juden auf Anordnung der Japaner in einem Ghetto ansiedeln. Die Repatriierung der nach Shanghai emigrierten Juden aus Halle erfolgte im August und September 1947 über Neapel, wo das Schiff aus Shanghai nach vierwöchiger Reise ankam. In Güterwaggons, die eine weitere Woche unterwegs waren, ging es anschließend in das Quarantänelager Wutha bei Eisenach. Vgl. Wetzel, Auswanderung aus Deutschland, S. 495–497; Goeseke, Jüdische Gemeinde zu Halle, S. 281 f. Die gegen jüdische Shanghai-Emigranten erhobenen Bedenken sollten Jahre später keinen Hinderungsgrund mehr für eine Anwerbung durch das MfS darstellen. Im Gegenteil: Internationale Erfahrungen und politische Arbeit im Ausland galten nun als besondere Vorzüge für die beabsichtigte Werbung inoffizieller Mitarbeiter. Als Helga Beutler 1982 für die Stellung einer „konspirativen Wohnung“ (KW) geworben werden sollte, wies der zuständige Sachbearbeiter darauf hin, dass die IMK-Kandidatin „Johanna“ „aus der Emigrationszeit [...] in China entsprechende Erfahrungen über die illegale Ar-

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Einschätzung der ZPKK waren die Emigranten in Shanghai (ca. 15 000 Juden, davon etwa 20 KP-Mitglieder) sehr „anfällig für Agenten-Tätigkeit“ gewesen. Die Demoralisierung der Emigranten werde auch dadurch deutlich, dass etwa 80 Prozent der jüdischen Frauen in Shanghai der Prostitution nachgegangen seien. Nach Kriegsende habe die Hilfsorganisation „Joint“ „starken Anteil an der ideologischen Beeinflussung der Emigranten mit Hilfe amerikanischer Offiziere“ gehabt.136 Mit welcher Geringschätzung die VVN ihre jüdischen Mitglieder behandelte, zeigen handschriftliche Notizen, die einigen Erhebungsbogen beigefügt wurden. Ein Sachbearbeiter der VVN kam bei der Auswertung von Walter Burghardts Angaben zu folgendem belastenden Ergebnis: „Keine Gewerkschaft vor 1933, SPD vor 1933. Mosaischer Konfession. Jüdisch-kapital[istischer] Kaufmann, früher selbständig. 2 erwachsene Kinder in England. Französischer Fremdenlegionär bis 1943 in Afrika. [...] Emigrantenvereinigung: legion étrangère.“137 Über den aus Polen stammenden Juden Isko Goldszer, dessen ganze Familie ermordet worden war, hieß es in einer im Februar 1953 angefertigten Notiz, er habe weder einen Lebenslauf, noch bestätigte Unterlagen über seine Emigration und Tätigkeit in Shanghai eingereicht. Eine antifaschistische Tätigkeit liege nicht vor.138 Der Name der halleschen Schauspielerin Helene Durra – sie war die Witwe des 1951 verstorbenen jüdischen Schauspielregisseurs Alfred Durra – befand sich ebenfalls auf der bei der BPKK eingehenden Liste der VVN-Abwicklungsstelle Halle, ergänzt um den Vermerk, dass sie während ihrer Emigration in New York Verbindung zu dem ehemaligen preußischen Justizminister Dr. Kurt Rosenfeld unterhalten habe und Mitglied in der „Volksfrontgruppe deutscher Emigranten“ sowie im „Deutsch-Amerikanischen Kulturbund“ gewesen sei. Der Kontakt zu Dr. Rosenfeld erschien der VVN wohl vor allem deshalb erwähnenswert, weil Rosenfeld jüdischer Abstammung und 1931 einer der Gründer und Parteivorsitzender der SAP gewesen war.139

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beit der KPD“ mitbringe. Sie wisse, „dass man Stützpunkte und zuverlässige Personen braucht, um sich mit Genossen zu treffen“. Helga Beutler verpflichtete sich, ihre Wohnung dem MfS zur Verfügung zu stellen und es „in seinem aktiven Kampf und in seiner Arbeit“ zu unterstützen. Vgl. BStU, MfS BV Halle, OD Leuna VIII 1387/82, Bl. 8, 43–46. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/118, Bl. 56. Kameraden, die in westlicher Emigration waren A–M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 112). Walter Burghardt floh später aus der DDR und beteiligte sich 1957 an einem Heimattreffen ehemaliger Hallenser in Düsseldorf. Diese Treffen fanden jeweils am ersten Dienstag des Monats statt. Vgl. BStU, MfS BV Halle, AIM 1594/66, 3. Band, Bl. 149. Kameraden, die in westlicher Emigration waren A-M 1952 (LA Merseburg, LL der SED Sachsen-Anhalt V/8/209, Bl. 178–182). Ebd., Bl. 127–130; Untersuchungsberichte der BPKK Nov. 1952–Nov. 1956 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV/2/4/744, Bl. 152); Lenk, Auf Halles Bühnen und Konzertpodien, S. 404–409; Krause, USPD, S. 369. Helene Durra und ihr Mann traten der KPUSA bei, mussten aber als Ausländer auf Beschluss der Parteileitung ihre Mitgliedschaft wieder aufgeben.

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Anzeichen einer mentalen Annäherung an den rassistischen Antisemitismus zeigten sich in Halberstadt, wo man bei der Erfassung jüdischer VVN-Mitglieder elf „Mischlinge“ feststellte.140 Nach Auffassung der KPKK Halberstadt schien es in Osterwieck Hinweise für eine zionistisch-imperialistische Verschwörung zu geben, in die eine Verfolgte des Naziregimes namens Irma Schulz verwickelt gewesen sein soll. In einem Bericht der KPKK Halberstadt hieß es dazu am 25. Februar 1953: „Irma Schulz war ein Jahr im KZ Auschwitz, und zwar mit einem gewissen Mayer, der die jüdische Gemeinde des demokratischen Sektors [von] Berlin leitete. [...] Die Sch[ulz] hat eine Tochter im Westen wohnen, die als engl[ischer] Offizier in den Reihen der engl [ischen] Armee ihren Dienst verrichtet. Ihr Dienstgrad ist Major. [...] Die Tochter ist im Jahre 1947 mit dem PKW und vier Engländern in Osterwieck bei ihren Eltern gewesen. Der PKW mit den Engländern wurde von der damaligen sow[jetischen] Kommandantur sofort nach dem Westen geschleust. Die Sch[ulz] wurde vorläufig festgenommen und später nach Westberlin zurückgeschleust. Mit der Zurückschleusung und Besorgung der Papiere für die Sch[ulz] hängt obengenannter Mayer zusammen.“141

Durch das Zusammentreffen der Konstrukte aus dem Slánský-Prozess und der angeblichen Ärzteverschwörung in der Sowjetunion bestand für jüdische Ärzte eine besondere Gefährdung. Stellvertretend für den nach Westberlin geflüchteten früheren Leiter der Präsidialkanzlei, Leo Zuckermann, wurde dessen Bruder, der ehemalige Spanienkämpfer und später an der Martin-LutherUniversität Halle lehrende Mediziner Dr. Rudolf Zuckermann, im Januar 1953 bei der Rückkehr aus mexikanischem Exil festgenommen und vom MfS verhört. Durch das Erscheinen eines sowjetischen Vernehmers nahmen die Verhöre eine gefährliche Wendung: Zuckermann sollte gestehen, im Auftrag westlicher Geheimdienste in die DDR eingereist zu sein und die Eröffnung eines Herzinstituts allein deshalb geplant zu haben, um prominente Patienten anzulocken und diese zu ermorden. Als „Beweis“ präsentierte man Zuckermann den Inhalt seiner Ärztetasche, die u. a. Injektionsnadeln und Herzmedikamente enthielt. Als Zuckermann am 1. September 1953 entlassen wurde, musste er sich unter dem Decknamen „Juan“ als Geheimer Informator (GI) verpflichten, ohne dieser Verpflichtung allerdings jemals nachzukommen.142 Andere jüdische Ärzte entzogen sich ihrer bevorstehenden Verhaftung durch Flucht: Dr. Bernard Littwak, ein ehemaliger Sozialdemokrat, der während des Spanischen Bürgerkrieges in Albacete ein Lazarett der Internationalen Brigaden geleitet und sich nach 1945 in Eisleben eine neue Existenz aufgebaut hatte, wurde von einem Freund gewarnt und konnte in letzter Minute nach Frankfurt am Main entkommen.143

140 Protokolle von Arbeitstagungen der BPKK mit den KPKKs 1952/53 (LA Magdeburg, BL der SED Magdeburg IV/2/4/6, Bl. 97). 141 Ebd., Bl. 125. 142 Kießling, Absturz in den kalten Krieg, S. 5–8, 13–22, 46–58, 62–70; namentliche Aufstellung der Spanienkämpfer 1956–1964 (LA Merseburg, BL der SED Halle IV /2/5/1902, Bl. 49); SAPMO-BArch, RY 1/I 2/3/91, Bl. 88. 143 Lustiger, Rotbuch, S. 277.

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Begleitet wurden die antijüdischen Repressalien von einer gehässigen Pressekampagne im SED-Bezirksorgan „Freiheit“, das seine Leser über die „Verbrechen“ der „Zionisten“ auf dem Laufenden hielt. Nach dem Abdruck des ZKBeschlusses über die „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ am 8. Januar 1953 folgten bis Anfang Februar Meldungen über die sowjetische Ärzteverschwörung sowie über den Ausschluss „zionistischer Agenten“ aus der VVN und der Jüdischen Gemeinde Leipzig.144 Die Parteipropaganda erkannte jedoch sehr bald, dass die antijüdische Kampagne zur Aktivierung des in der Bevölkerung virulenten Antisemitismus beitrug, der nun – quasi mit offizieller Billigung – erneut zum Ausbruch kam. Der nationalsozialistische Völkermord und nicht zuletzt der eigene antifaschistische Anspruch machten es aus der Sicht der SED erforderlich, sich im Kampf gegen den „Zionismus“ von traditionellen Antisemiten und Nationalsozialisten abzugrenzen. Nur so ist es zu erklären, dass die „Freiheit“ am 29. Januar 1953 auf der Titelseite über die Aburteilung mehrerer Personen in Magdeburg, Gera und Frankfurt/Oder wegen antisemitischer Äußerungen berichtete. Nach Meldungen, in denen Mitte Februar 1953 über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel durch die Sowjetunion und Tätlichkeiten „zionistischer Rowdies“ gegen israelische Sowjetfreunde berichtet wurde, gelangte die antijüdische Pressekampagne zum Abschluss.145 Der Druck auf die Juden der DDR ließ erst nach Stalins Tod und der Freilassung der verhafteten Kreml-Ärzte spürbar nach. Was blieb, war ein Gefühl des Misstrauens, das sich bei vielen Juden trotz der allmählich einsetzenden Entspannung hielt. Zudem konnten sich ehemalige Nationalsozialisten durch den mit staatlicher Billigung über die Medien verbreiteten Antisemitismus in ihren Ressentiments bestätigt fühlen und dem neuen Regime innerlich annähern. Die Kopie des antisemitischen Kurses der Sowjetunion bedeutete für die SED nicht nur eine immense moralische Diskreditierung, sondern war zugleich Ausdruck der Pervertierung sozialistischer Ideale. Trotz der Einstellung der antisemitischen Kampagne verlor die Jüdische Gemeinde Halle auch in den folgenden Jahren weiter an Mitgliedern: Der Mitgliederstand fiel von 126 im Frühjahr 1954 auf nur noch 19 im darauf folgenden Jahr. Obwohl 1957 wieder ein Zuwachs auf 70 Mitglieder verzeichnet werden konnte, fügte die Kampagne dem Gemeindeleben bleibende Schäden zu, von denen es sich nicht mehr erholen sollte.146 144 Freiheit vom 14.1.1953 („Terroristische Aerztegruppe in der Sowjetunion entlarvt“); 15.1.1953 („Gemeine Spione und Mörder unter der Maske von Professoren, von Aerzten. Aus einem Leitartikel der „Prawda“„); 24.1.1953 („Ausschluss zionistischer Agenten aus der VVN“); 4. 2.1953 („Jüdische Gemeinde stieß zionistischen Agenten aus“). 145 Freiheit vom 29.1.1953 („Gerechte Strafe für antisemitische Hetze“); 13. 2.1953 („Note der Sowjetregierung über den Abbruch der Beziehungen zur Regierung Israels“; „Ueberfall zionistischer Rowdies“). 146 LA Merseburg, BDVP 19/037, unpaginiert. 1966 gehörten der Jüdischen Gemeinde Halle nur noch 50 Mitglieder an (= 0,02 % der halleschen Bevölkerung). In einer am 12.10.1970 angefertigten polizeilichen Einschätzung heißt es, die Jüdischen Gemein-

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Da sich zu wenig Beweise für rechtsradikale und antisemitische Straftaten im Westen Deutschlands fanden, auf die man zur internationalen Diskreditierung der Bundesrepublik hätte verweisen können, begann das MfS 1960/61, Pläne für antisemitische Aktionen im Westen auszuarbeiten, die allem Anschein nach auch realisiert wurden. Dazu zählten fingierte Drohbriefe an HolocaustÜberlebende, vom MfS ausgearbeitete anonyme Schreiben, in denen westdeutsche Juden ihre Bestürzung über die Bedrohung durch Rechtsradikale äußerten, das Anbringen von Hakenkreuzen vor Synagogen und die Beeinflussung rechtsradikaler Gruppen.147 Unter dem Eindruck des Eichmann-Prozesses häuften sich gegenüber den in der DDR lebenden Juden Anzeichen staatlichen Interesses, wie sie noch wenige Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wären: So wurde im April 1961 zu Ehren des aus Halle stammenden jüdischen Offiziers der Interbrigaden Moses Biletzky, der 1938 in Spanien gefallen war, eine Straße der Buna-Mafa-Siedlung im Süden von Halle benannt.148 Im Rahmen der Berichterstattung zur Eröffnung der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen wies das lokale Parteiorgan „Freiheit“ darauf hin, dass KZ-Schergen in der Bundesrepublik durch „hohe staatliche Pensionen gesichert“ seien und Personen, die die antisemitischen Rassengesetze der Nationalsozialisten erarbeitet hätten, in Bonn Ministerposten erhielten – eine unverblümte Anspielung auf den Chef des Bundeskanzleramtes und früheren Kommentator der „Nürnberger Gesetze“ Hans Globke. Die Regierung der Bundesrepublik störe sich an der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, weil man dort nicht nur der Toten gedenke, „sondern zum Kampfe mahnt gegen die hochbesoldeten Judenmörder, die heute noch im Bonner Machtapparat sitzen“.149 Zwei Weißenfelser Jüdinnen wurden zu einem offenen Brief an den aus Weißenfels stammenden Beisitzer im Eichmann-Prozess Dr. Benjamin Halevy150 veranlasst, um ihm die Loyalität der in

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den in Halle und Leipzig seien überaltert und im Laufe der Jahre aufgrund von Todesfällen stark geschrumpft. Jüdische Feiertage konnten 1970 von beiden Gemeinden nur noch gemeinsam im Betsaal der Jüdischen Gemeinde Leipzig begangen werden. Da nach jüdischem Ritus Gebete nur in Anwesenheit von mindestens 10 Männern stattfinden dürfen, gab es in Halle keine religiösen Feiern mehr und selbst gemeinsame Veranstaltungen von Juden aus Leipzig und Halle konnten erst nach längerem Warten bis zum Eintreffen der erforderlichen Zahl von Männern durchgeführt werden. Nach polizeilicher Einschätzung waren religiöse Feierlichkeiten zu Jom Kippur und dem Laubhüttenfest 1970 wegen fehlender Mitglieder kaum zu erwarten. Es sei damit zu rechnen, „dass die Jüdische Gemeinde Halle in den nächsten 5 bis 10 Jahren aussterben wird, da hier kein Nachwuchs vorhanden ist“. Vgl. BStU, MfS BV Halle, Abt. XX Sachakten Nr. 863, Bl. 11; MfS BV Halle, AOG 1853/84, 2. Band, Bl. 27. Knabe, Die unterwanderte Republik, S. 126–129. Vergabe von Straßennamen bis 1990 (Stadtarchiv Halle, Abt. VI Nr. 9, unpaginiert). Freiheit vom 26. 4.1961 („Wer ist Brundert?“; „Unvergessene Stunden“). Dr. Benjamin Halevy wurde am 6. 5.1910 unter dem Namen Ernst Levi als Sohn eines Arztes geboren. Er absolvierte das Weißenfelser Reformrealgymnasium mit Auszeichnung und promovierte 1933 an der Juristischen Fakultät der Berliner Friedrich-WilhelmUniversität mit „magna cum laude“. Im November 1933 emigrierte Levi nach Palästina. 1977 kam er als Tourist nach Weißenfels, um Bekannte zu besuchen. Vgl. BStU, MfS BV Halle, AOG 1853/84, 2. Band, Bl. 160; Schramm, Ich will leben, S. 60.

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der DDR lebenden Juden zu ihrem Staat und ihre Befürchtungen hinsichtlich früherer Nationalsozialisten in der Bundesrepublik darzulegen. In dem von der „Freiheit“ veröffentlichten Brief heißt es: „[Uns] war es Beruhigung und Genugtuung zugleich, als wir erfuhren, dass auch Sie, Herr Dr. Halevy, zu diesem Gericht gehören, das Eichmann aburteilen wird. Aber nun hören wir, dass Dr. Servatius, dieser vom Bonner Staat gedungene Verteidiger, zuerst Sie und nun das ganze Gericht als ‚befangen‘ abgelehnt hat. Sie alle seien Juden, sagt er, und daher könnten Sie über diesen Judenmörder nicht zu Gericht sitzen. Am liebsten möchte man ja eine Auslieferung nach Westdeutschland, wahrscheinlich an ein ‚unbefangenes‘ Gericht aus lauter Nazis. [...] Viele von denen, die mit Schuld daran hatten, dass Sie einst bei Nacht und Nebel Ihre Heimat verlassen, dass wir Juden alle so einen grausigen Weg gehen mussten, sind dort drüben in Bonn geehrte und geachtete Männer. Sie dienen ihren alten Herren und für deren alte Interessen. Sie werden sicher darüber informiert sein, dass die rechte Hand des Bonner Kanzlers Adenauer HansJosef Maria Globke ist, haargenau der Mann, der für die Nazis die barbarischen Rassengesetze schuf und dann auch die entsprechenden Kommentare verfasste. [...] Wir Juden [...] haben seit Jahren in der Deutschen Demokratischen Republik ein gesichertes Leben. Ich habe meine Rente, und die Familie Wolfson konnte hier in Weißenfels ein Geschäft eröffnen. Wir wollen dieses Leben nicht wieder hergeben, und deshalb sehen wir oft mit Sorge auf diesen Bonner Staat.“151

Das trotz allen propagandistischen Aufwands weiter anhaltende staatliche Misstrauen gegen die Juden zeigte sich im Februar 1965, als bekannt wurde, dass im Keller der halleschen Synagoge etwa 250 personenbezogene Akten der Jüdischen Gemeinde lagerten. Der Raum wurde polizeilich versiegelt, verschlossen, durch Wachposten gesichert und vom MfS inspiziert. Informationen über den Aktenfund gingen auch an die Staatsanwaltschaft und das Innenministerium der DDR. Ausgangspunkt der Ermittlungen war ein Schriftstück aus dem Jahre 1940 gewesen, das 1964 bei Malerarbeiten im Keller der Synagoge entdeckt worden war. Darin hatte die Kommandantur des KZ Buchenwald der Jüdischen Gemeinde Halle mitgeteilt, dass eines ihrer Mitglieder „an Herzschwäche“ verstorben und bereits eingeäschert worden sei. Obwohl sich bei einer ersten Sichtung der Akten nach Einschätzung des MfS „kein belastendes Material“ fand, sollte der gesamte Bestand Anfang März 1965 in Absprache mit der Gemeindesekretärin Karin Mylius nochmals genauer gesichtet werden.152 Über Karin Mylius (geb. Löbel) war das MfS zu diesem Zeitpunkt dank einer Denunziation des GI „Philipp“ alias Friedrich Ferchlandt längst im Bilde: „Es handelt sich um ein raffiniertes Frauenzimmer, [das] bis 1955 beim Rat der Stadt tätig war. Sie setzte sich am 18.9.55 nach dem Westen ab und kam Weihnachten 1957 zurück nach Halle. Sie [...] schaffte es dann, als ‚Sekretärin‘ im Büro des Verbandes der Jüdischen Gemeinden einzuziehen. [...] Die Löbel regiert jetzt im Büro der Jüdischen Gemeinden. [...] Sie kennt alle vertraulichen Dinge Badens [Hermann Baden, früherer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle und des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, F. H.], der wohl deswegen auch Angst vor ihr hat, weil er weiß, dass 151 Freiheit vom 27. 4.1961 („Wissen Sie noch, Herr Dr. Halevy? Weißenfelser Familie schreibt an Dr. Halevy, Beisitzer im Eichmann-Prozess“). 152 BStU, MfS-HA XX 5756, Bl. 390–392.

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ein unbedachtes Wort von ihm oder die Verweigerung eines Wunsches sie zu seiner gefährlichsten Feindin machen kann, da er heimliche Konten in Westdeutschland und unkontrollierbare Beziehungen dorthin [hat]. Die Löbel – selbst ehemalige Hitleranhängerin – tarnt sich heute als angeblich verfolgte Jüdin und Bekämpferin Hitlers. Sie schmiert sich in dieser angedichteten Eigenschaft bei allen Stellen an und soll sogar ein entsprechendes Gedicht in der ‚Freiheit‘ veröffentlicht haben. Sie hat es vor einiger Zeit sogar erreicht, dass der ihr hörige alte Baden den Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Martin Riesenburger in Berlin, dazu veranlasst hat, die Löbel als angebliche Volljüdin in die Jüdische Gemeinde aufzunehmen.“153

1968 übernahm Karin Mylius das Amt der Gemeindevorsitzenden. Ihre Amtszeit, die erst kurz vor ihrem Tod im Jahre 1986 endete, war gekennzeichnet vom völligen Niedergang der Jüdischen Gemeinde Halle.154 Mehr als dreißig Jahre nach dem Beginn der antisemitischen Kampagne hatte das MfS sein Ziel erreicht.

153 BStU, MfS BV Halle, AIM 964/62, 2. Band, Bl. 28–31. 154 Helbig, Entwicklung der Jüdischen Gemeinde zu Halle, S. 288–290.

VI. Anhang 1.

Danksagung

Ich möchte mich bei allen Mitarbeitern der von mir genutzten Archive für die gute und engagierte Zusammenarbeit bedanken, besonders bei Frau Räuber (Bundesarchiv Berlin) und Frau Reißer (BStU-Außenstelle Halle), die mir beim Auffinden wichtiger Archivalien behilflich waren. Ohne ihre Zuarbeit wäre die Entstehung des Buches in dieser Form kaum möglich gewesen. Ein besonderer Dank gilt meiner Frau Kathrin für ihr Verständnis, das sie für meine aufwendigen Recherchen und die zeitraubende Erarbeitung des Textes aufbringen musste. Ich möchte das Buch dem Andenken an Prof. Hermann-Josef Rupieper (MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg) widmen, der am 31. August 2004 plötzlich und unerwartet verstorben ist. Prof. Rupieper betreute 1998/99 meine Dissertation und verfolgte auch die Entstehung des vorliegenden Buches mit großem Interesse. Er wird mir als engagierter Wissenschaftler und Förderer seiner Doktoranden und Studenten in Erinnerung bleiben. Halle, im Januar 2005

2.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Frank Hirschinger

Titel Opfer des „Großen Terrors“ unter KPD-Mitgliedern der Provinz Sachsen SPD-Funktionäre zur Frage der Vereinigung mit der KPD (nach Angaben von Bruno Böttge im März 1954) Parteizugehörigkeit der Mitarbeiter in Ministerien des Landes Sachsen-Anhalt (Stand: März 1949) Zusammensetzung der SED-Kreisvorstände im Norden Sachsen-Anhalts Ende 1949 SED-Funktionäre in den Kreisen des Landes Sachsen-Anhalt (Stand: März 1951) Kadermäßige Auswertung der Mitgliederüberprüfung in Sachsen-Anhalt (15.1.–31. 7.1951) Voraussichtlicher weiterer Einsatz der Kreis- und Sonderkommissionsmitglieder 1951 Soziale Herkunft der Überprüfungsverweigerer und ausgetretenen SED-Mitglieder in Sachsen-Anhalt (Stand: 31. August 1951) Soziale Zusammensetzung der SED Sachsen-Anhalt im Dezember 1950 und August 1951 Soziale und politische Zusammensetzung der Redaktionen der Parteizeitungen „Freiheit“ und „Volksstimme“ im März 1951 Anteil der Westemigranten und westlichen Kriegsgefangenen in der Landesregierung Sachsen-Anhalt (Stand: März 1949)

Seite 108 122 160 209 236 241 241 243 244 258 272

Anhang

386

3.

Quellenverzeichnis

3.1

Archive

Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 1. Zentrale: MfS AP 7626/56. AP 71/64. AP 612/66. AP 1672/66. AP 5813/72. AP 8131/72. MfS AS 6/54 Band 16, Band 20, Band 42. AS 95/55. AS 297/61. AS 376/62, Band 7. AS 1154/67. AS 140/79 1724/54. MfS ASt I c 1/74, Band 6. ASt I c 2/74, Band 1. ASt 7/80, Band 1. MfS AU 139/55 (9 Bände) MfS BdL/ Dok Nr. 002064 MfS G-SKS 16507 MfS HA IX/11 AS 95/65, Band 4. HA IX/11 SMT Band 14. HA IX/11 SV 1/81, Band 278. MfS HA XX 5756, Band 1. HA XX AP 20967/92 2. Bezirksverwaltung Frankfurt: KS 41/64 3. Bezirksverwaltung Halle: Abt. XX Sachakten Nr. 863 AGMS 2133/85 AIM 971/55 (2 Bände). AIM 964/62 (2 Bände). AIM 1594/66 (4 Bände). AIM 732/67. AIM 1063/69. AOG 3378/64. AOG 1853/84 (2 Bände) AOP 121/52. AOP 63/54. AOP 280/54. AOP 281/54. AOP 179/56. AP 31/56. AP 157/56. AP 761/56 (2 Bände). AP 1034/56. AP 1989/67 (3 Bände) AU 473/51 (7 Bände). AU 513/51 (14 Bände). AU 193/53 (20 Bände) KD Wsf ZMA 2685 OD Leuna VIII 1387/82 4. Bezirksverwaltung Potsdam: AOP 488/62 5. Bezirksverwaltung Rostock: AIM 2902/85

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv 1. Historisches Archiv der KPD: RY 1/I 2/3 75, 76, 85, 86, 91 RY 1/I 3/11 1, 2, 9, 12, 13, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 33, 34, 37, 38, 40, 41, 48, 53, 55, 59 RY 1/I 3/12 10, 15

Quellenverzeichnis

387

2. Zentrale Parteikontrollkommission: DY 30/IV 2/4 23, 25, 30, 73, 92, 94, 95, 101, 105, 115, 118, 124, 126, 135, 140, 156, 283, 285, 288, 383, 385, 404, 407 3. Kaderakten: DY 30/IV 2/11 224 (Koenen, Bernard), 721 (Schallock, Richard), 1613 (Siewert, Robert), 2833 (Stern, Leo), 4210 (Agricola, Rudolf)

Bundesarchiv, Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten ZC 4406. ZC 14534, Band 2. ZC 15868. ZC 16974, Band 1. Landeshauptarchiv Magdeburg 1. Bezirksleitung der SED Magdeburg: IV/2/1 3 IV/2/3 12, 13, 14 IV/2/4 6, 32, 71 2. Rep K 3 MdI: 158 a, 164, 164 a, 175, 239, 245 b, 328, 346, 349, 387, 401, 541, 567 Personalakten: PA A 83 (Albrecht, Paul), B 351 (Brundert, Prof. Dr. Willi), B 522 (Becker, Dr. Rolf), D 104 (Dieker, Willi), D 135 (Dietzler, Alfred), E 68 (Eppendörfer, Kurt), E 89 (Elchlepp, Dr. Friedrich), E 96 (Einicke, Ludwig), F 8 (Fantasny, Ilse), H 345 (Heidler, Georg), K 140 (König, Georg), K 344 (Kemper, Wilhelm), K 408 (Krause, Franz), L 190 (Lähne, Paul), M 392 (Menzel, Elisabeth), N 98 (Neumann, Paul), N 114 (Neumann, Paul), O 44 (Otte, Kurt), R 362 (Röhr, Albert), S 144 (Siewert, Robert), Sch 397 (Schallock, Richard), Sch 303 (Schoenlank, Reinhold), T 117 (Thape, Ernst), U 10 (Ulbrich, Walter), V 24 (Voigt, Erich), W 207 (Weinert, Gustav) 3. Rep K 6 MW: 10915 4. Rep K 10 MVb: 2534

Landesarchiv Merseburg 1. Landesleitung der SED Sachsen-Anhalt: IV/L 2/1 4, 5, 6, 7, 8, 9,10, 11, 13, 14 IV/L 2/3 1, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 23, 24, 27, 32, 33, 36, 37, 40, 41, 50, 53, 57, 63, 88 IV/L 2/4 2, 3, 4, 6, 7, 8, 9, 11, 13 a, 14, 15, 17, 18, 19, 20, 27, 28, 34, 36, 41, 42, 45, 49, 50, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 65, 67, 70, 106, 107, 128, 141 IV/L 2/5 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 98 IV/6/18 1, 2, 6 V/8 1, 206, 209, 210, 211, 212 2. Bezirksleitung der SED Halle: IV/2/3 19, 34, 44, 47, 606 IV/2/4 677, 709, 710, 726, 727, 729, 733, 737, 744, 745, 1858, 1860, 1861

Anhang

388 IV/2/5 1866, 1902 IV/2/9.01 1399 a

3. Kaderakten: IV /8/15 (Albrecht, Paul), IV /8/74 (Behnke, Erich), IV /8/77 (Bell, Heinrich), IV /8/78 (Benkwitz, Max), IV /8/92 (Besser, Erich), IV /8/138 (Brandt, Ernst), IV /8/140 (Brandschädel, Oskar), IV/8/162 (Bruschke, Werner), IV/8/167 (Busch, Willi), IV/8/308 (Fritzsche, Arthur), IV/8/321 (Gehre, Otto), IV/8/560 (Kipp, Otto), IV/8/716 (Maikath, Willi), IV/8/815 (Oelkers, Walter), IV/8/904 (Rank, Walter), IV/8/938 (Röhr, Albert), IV/8/961 (Sager, Werner), IV/8/1104 (Stern, Leo), IV/8/1152 (Tippel, Ernst) 4. Nachlässe: V/6/2/5 (Lehmann, Georg), V/6/5/1 (Schmidt, Walter), V/6/9/4 (Kunz, Willi), V/6/10/1 (König, Georg), V/6/13/1 (Koenen, Bernard) 5. Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei: 19/037

Stadtarchiv Halle 1. Stadtverordnetenbüro: VII IV Nr. 3 Band 6, 11, 12, 13, 14, 16 2. Centralbüro: Kap. I, Abt. B Nr. 12, Band 1 3. Personalamt: 001–2/4 Nr. 28, Band 2 Personalakte Dr. Margarete von der Esch (Mikrofilm Nr. 23, K 19) 4. Familienarchiv: Nr. 2683 (Koenen, Bernard), Nr. 3226 (Koenen, Frieda), Nr. 5151 (Kilian, Otto) 5. Zeitgeschichtliche Sammlung

Universitätsarchiv Halle 1. Rep 4: 1585, 1793, 1795 2. Rep 7: 441, 807, 808, 809 3. Rep 7 a + b: 12, 243 4. Personalakten: PA 9171 (Koenen, Bernard) 5. Personal- und Vorlesungsverzeichnisse 1947–1954

3.2

Zeitungen/Zeitschriften

Aus Politik und Zeitgeschichte (Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament), Jg. 1963, 1964, 1968, 1978, 1981. Einheit (Theoretische Zeitschrift des wissenschaftlichen Sozialismus), Jg. 1948, 1949, 1951. Freiheit (Organ der SED/Bezirk Halle), Jg. 1949–1953, 1961.

Quellenverzeichnis

389

Hallische Nachrichten (General-Anzeiger für Halle und die Provinz Sachsen), Jg. 1920, 1921. Hochschule Ost (Politisch-akademisches Journal aus Ostdeutschland), Jg. 1996, 1997. Information DRAFD (Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e. V.), Jg. 1999, 2001. Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Jg. 1993. Klassenkampf (Organ der KPD für den Bezirk Halle-Merseburg), Jg. 1921, 1923–1933. Mitteilungsblatt des Aktionsausschusses Halle, Jg. 1920. Saale-Zeitung, Jg. 1919–1921. Unsere Zeit (Zeitung der DKP), Jg. 2003, 2004. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 1967, 1968, 1972, 1975, 1976, 1981, 1983, 1988, 1994, 1996, 1999. Volksblatt (Sozialdemokratische Tageszeitung für Halle und den Bezirk Merseburg), Jg. 1919, 1920, 1923, 1925, 1926, 1928, 1931. Volksstimme (Sozialdemokratisches Organ für den Regierungsbezirk Merseburg), Jg. 1918–1921. Volkszeitung (Organ der unabhängigen Sozialdemokratie für Halle und den Bezirk Merseburg), Jg. 1921. Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Jg. 1956.

3.3

Aufsätze aus Sammelbänden und Zeitschriften

Abraham, Heinz: „Die große Verschwörung“. In: Einheit, 4 (1949) H. 8, S. 737– 743. Antonow-Owsejenko, Anton: Der Weg nach oben. Skizzen zu einem Berija-Porträt. In: Nekrassow (Hg.): Berija – Henker in Stalins Diensten, S. 11–172. Bahne, Siegfried: Die Verfolgung deutscher Kommunisten im sowjetischen Exil. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 236–242. Bartel, Walter: Stalin – Freund und Helfer des deutschen Proletariats. In: Einheit, 4 (1949) H. 12, S. 1082–1090. Bartosek, Karel: Die Prozesse gegen kommunistische Parteiführer. In: Das Schwarzbuch des Kommunismus, S. 464–480. Bartsch, Günter: Revolution und Gegenrevolution in Osteuropa seit 1948. In: APuZG, (1968) B 46, S. 3–20. Bianchini, Stefano: Säuberungen und politische Prozesse in Jugoslawien in den Jahren 1948 bis 1954. In: „Ich habe den Tod verdient“, S. 57–86. Böhm, Boris/Schilter: Thomas: Pirna-Sonnenstein. Von der Reformpsychiatrie zur Tötung chronisch psychisch Kranker. In: Nationalsozialistische Euthanasie-Verbrechen in Sachsen. Hg. vom Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein, 2. stark veränderte Auflage Dresden 1996, S. 11–53. Bohse, Daniel/Eberle, Henrik: Entnazifizierung und Elitenaustausch an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg 1945–1948. In: Rupieper (Hg.): Beiträ-

390

Anhang

ge zur Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1502–2002, S. 498–528. Bonwetsch, Bernd: Der Stalinismus in der Sowjetunion der dreißiger Jahre. Zur Deformation einer Gesellschaft. In: JHK, (1993), S. 11–36. Bordjugow, Gennadij: Das ZK der KPdSU (B), die Sowjetische Militäradministration in Deutschland und die SED 1945–1951. In: Weber/Mählert (Hg.): Terror, S. 283–349. Bourseiller, Christophe: Doktrinärer Rigorismus und strategischer Pragmatismus – Trotzki und der Trotzkismus. In: Backes/Courtois (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“, S. 213–228. Brentjes, Burchard: As I seem to remember. In: Hochschule Ost, (1996) H. 3, S. 71–82. Colas, Dominique: Säubernde und gesäuberte Einheitspartei: Lenin und der Leninismus. In: Backes/Courtois (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“, S. 147– 186. Courtois, Stéphane/Panné, Jean-Louis: Der lange Schatten des NKWD fällt auf Spanien. In: Das Schwarzbuch des Kommunismus, S. 366–386. Dorpalen, Andreas: SPD und KPD in der Endphase der Weimarer Republik. In: VfZ, (1983), S. 77–107. Eberhard, Fritz: Illegal in Deutschland – Erinnerungen an den Widerstand gegen das Dritte Reich. In: Peukert / Reulecke (Hg.): Alltag im Nationalsozialismus, S. 315–333. Eildermann, Willi: Die Entartung der Tito-Clique. In: Einheit, 4 (1949) H. 11, S. 1013–1020. Eildermann, Wilhelm: Die Märzaktion 1921 und ihre Lehren. In: Einheit, 6 (1951) H. 10, S. 648–659. Erler, Peter: Die Rückführung deutscher Opfer des Stalinismus aus der UdSSR und ihre Eingliederung in das gesellschaftliche Leben der SBZ/DDR. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 424–435. Foitzik, Jan: Kadertransfer. Der organisierte Einsatz sudetendeutscher Kommunisten in der SBZ 1945/46. In: VfZ, (1983), S. 308–325. –: Die Kommunistische Partei Deutschlands und der Hitler-Stalin-Pakt. Die Erklärung des Zentralkomitees vom 25. August 1939 im Wortlaut. In: VfZ, (1989), S. 499–514. –: Die stalinistischen Säuberungen in den ostmitteleuropäischen kommunistischen Parteien. In: Weber / Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 401–423. Geyer, Dietrich: Sowjetrußland und die deutsche Arbeiterbewegung 1918–1932. In: VfZ, (1976), S. 2–37. Goeseke, Gudrun: Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Halle nach 1945. In: 300 Jahre Juden in Halle, S. 275–286. Goldstein, Werner: Drei Berliner sprangen über Berlin ab. In: Information DRAFD, Dezember 2001, S. XXwird nachgetragenXX Groos, Peter: Akademische Existenz in Reformnot: Zum Institut für Zeitungswesen an der Universität Halle (1926–1939). In: Rupieper (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1502–2002, S. 167– 191. Grotewohl, Otto: Die Fehler von 1918. In: Einheit, 3 (1948) H. 10, S. 876–883.

Quellenverzeichnis

391

Hatschikjan, Magarditsch: Die wechselvolle Kontinuität. Zu den jugoslawisch-sowjetischen Beziehungen nach 1945. In: APuZG, (1981) B 13, S. 3–7. Helbig, Gunther: Die Entwicklung der Jüdischen Gemeinde zu Halle von 1962 bis zur Gegenwart. In: 300 Jahre Juden in Halle, S. 287–291. Herf, Jeffrey: Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED- und MfS-Archiven. In: VfZ, (1994), S. 635–667. Herrnstadt, Rudolf: Einige Lehren aus den Fehlern der Kommunistischen Partei Jugoslawiens. In: Einheit, 3 (1948) H. 9, S. 788–802. Heymann, Stefan: Ein neuer Mythos des XX. Jahrhunderts. Der „Amerikanismus“ – die „Kultur“ des sterbenden Imperialismus. In: Einheit, 4 (1949) H. 11, S. 996–1005. Hübner, Hans: Leo Stern als Rektor der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In: Meier (Hg.): Leo Stern (1901–1982), S. 67–77. Jakowlew, Alexandr N.: Blutige Vergangenheit. In: JHK, (1993), S. 226–248. Jesse, Eckhard: Demokratie oder Diktatur? Luxemburg und der Luxemburgismus. In: Backes/Courtois (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“, S. 187–212. Kaplan, Karel/Svátek, František: Die politischen Säuberungen in der KPČ. In: Weber/Mählert (Hg.): Terror, S. 487–599. Keßler, Mario: Der Stalinsche Terror gegen jüdische Kommunisten 1937/38. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 87–102. –: Vom Gefechtsstand in den Hörsaal – Leo Sterns Lebensweg bis zu seiner Berufung nach Halle. In: Meier (Hg.): Leo Stern (1901–1982), S. 53–63. Kießling, Wolfgang: Paul Merkers „Unverständnis“ für den Hitler-Stalin-Pakt. Gespräche mit dem „Sowjetfeind“. In: JHK, (1993), S. 137–144. Klein, Hans-Dieter: Zwischen Burgfrieden und Komintern. Die Unabhängige Sozialdemokratie in Halle-Merseburg 1917–1920. In: Demokratie und Emanzipation zwischen Saale und Elbe, S. 181–195. Kos, Franz-Josef: Politische Justiz in der DDR. Der Dessauer Schauprozess vom April 1950. In: VfZ, (1996), S. 395–429. Kowalski, Werner: Leo Sterns Beitrag zur Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In: Hübner (Hg.): Leo Stern im Dienst der Wissenschaft und sozialistischen Politik, S. 24–29. Lenk, Margrit: Auf Halles Bühnen und Konzertpodien. In: 300 Jahre Juden in Halle, S. 397–422. Leo, Gerhard: Deutsche im französischen Widerstand – ein Weg nach Europa. In: Information DRAFD, August 1999. XXwird nachgetragenXX Lins, Ulrich: Zur Geschichte des Esperanto-Instituts in Sachsen 1908–1936. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Esperanto-Bewegung, S. XXfehlenXX. Lukes, Igor: Der Fall Slánský. Eine Exilorganisation und das Ende des tschechoslowakischen Kommunistenführers 1952. In: VfZ, (1999), S. 459–501. Maddrell, Paul: Blütezeit der Spionage. Westliche Nachrichtendienste im geteilten Deutschland 1945–1961. In: Duell im Dunkel, S. 25–33. Mählert, Ulrich: „Die Partei hat immer recht!“. Parteisäuberungen als Kaderpolitik in der SED (1948–1953). In: Weber/Mählert (Hg.): Terror, S. 351–457. Malycha, Andreas: Die Neugründung der SPD im Land Sachsen-Anhalt und der Weg zur SED. In: Zwangsvereinigung von SPD und KPD in Sachsen-Anhalt, S. 7–29.

392

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Matthias, Erich: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. In: Matthias/Morsey (Hg.): Das Ende der Parteien 1933, S. 101–278. Mauch, Christof: Das Dritte Reich und die Politik des amerikanischen Geheimdienstes: Prognosen, Projekte und Operationen im Spannungsfeld von Dilettantismus und Mythenbildung. In: Doerries (Hg.): Diplomaten und Agenten, S. 161–188. Mayer, Herbert: In der Résistance – zwischen Atlantik und Mittelmeer. In: Doernberg (Hg.): Im Bunde mit dem Feind, S. 88–140. Melis, Ernst: Ernst Thälmanns Kampf zur Überwindung des Rechtsopportunismus in der KPD (1. Teil). In: Einheit, 6 (1951) H. 7, S. 455–463. Mende, Roswitha: Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung in Halle im Ersten Weltkrieg. In: Demokratie und Emanzipation zwischen Saale und Elbe, S. 171–180. Mujbegović, Vera / Vujošević, Ubavka: Die Kommunistische Partei Jugoslawiens und die Komintern. Dokumente zur „jugoslawischen Frage“ 1936. In: JHK, (1993), S. 187–196. Moreau, Patrick: Otto Straßer – Nationaler Sozialismus versus Nationalsozialismus. In: Smelser/Zitelmann (Hg.): Die braune Elite, S. 286–298. Müller, Reinhard: Permanenter Verdacht und „Zivilhinrichtung“. Zur Genesis der „Säuberungen“ in der KPD. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 243–264. –: „Wir kommen alle dran“. Säuberungen unter den deutschen Politemigranten in der Sowjetunion (1934–1938). In: Weber/Mählert (Hg.): Terror, S. 121–166. Müller, Werner: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB). In: Broszat/Weber (Hg.): SBZ-Handbuch, S. 626–664. –: Die frühen Schauprozesse in der Sowjetunion und die Reaktionen in der deutschen Öffentlichkeit. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 389–398. –: Gab es in Deutschland einen demokratischen Kommunismus? In: Backes/Courtois (Hg.): „Ein Gespenst geht um in Europa“, S. 323–382. Nollau, Günther: Die Komintern. Vom Internationalismus zur Diktatur Stalins. In: APuZG, (1964) B 2–3, S. 3–46. Overesch, Manfred: Ernst Thapes Buchenwalder Tagebuch von 1945. In: VfZ, (1981), S. 631–672. Petzold, Joachim: Die DDR und das Problem der Diktatur des Proletariats. In: Saage (Hg.): Das Scheitern diktatorischer Legitimationsmuster und die Zukunftsfähigkeit der Demokratie, S. 59–78. Pieck, Wilhelm: Die Novemberrevolution. In: Einheit, 3 (1948) H. 10, S. 868–876. Prpić, Ivan: Die Herrschaft Titos und die „Diktatur des Proletariats“ in Jugoslawien. In: Saage (Hg.): Das Scheitern diktatorischer Legitimationsmuster und die Zukunftsfähigkeit der Demokratie, S. 79–94. Scherbakowa, Irina: Das Schicksal der vom NKWD zwischen 1936 und 1941 an Deutschland ausgelieferten deutschen Emigranten, rekonstruiert anhand von Akten aus dem Moskauer KGB-Archiv. In: Weber/Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten, S. 265–274. Schmeitzner, Mike: Genossen vor Gericht. Die sowjetische Strafverfolgung von Mitgliedern der SED und ihrer Vorläuferparteien 1945–1954. In: Sowjetische Militärtribunale, Band 2, S. 265–344. Stalin, Josef: Rede in der deutschen Kommission des VI. Erweiterten Plenums des EKKI, 8. 3.1926. In: Einheit, 6 (1951) H. 15, S. 1103–1107.

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Anhang

400

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5.

Abkürzungsverzeichnis

AAU ADGB AEB AfA AIM AKV AM-Apparat AOP APuZG ARA AS AU AVH BArch BDJ BdL/Dok BDVP BGL BKP

Allgemeine Arbeiter-Union Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Arbeiter-Esperanto-Bund Allgemeiner freier Angestelltenbund Archivierter IM-Vorgang Allgemeiner Konsumverein Antimilitärapparat der KPD Archivierter Operativ-Vorgang Aus Politik und Zeitgeschichte American Relief Association Allgemeine Schrift Archivierter Untersuchungsvorgang Államvédelmi Hatóság (ungarischer Sicherheitsdienst) Bundesarchiv Bund Deutscher Jugend Büro der Leitung/ Dokumentenstelle Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Betriebsgewerkschaftsleitung Bulgarische Kommunistische Partei

Abkürzungsverzeichnis BL BND BPKK BPO BStU BV CALPO CDU CIA ČSR DAF DBD DCGG DENA DFD DFG DFW DHZ DKP DMV DNVP DRAFD DSF DVdI DVP EK EKKI FAUD(S) FDGB FDJ FDKB Gestapo GI GMS GPU GRU GST Gulag GVVG HA HO HVA IAH

401

Bezirksleitung Bundesnachrichtendienst Bezirksparteikontrollkommission Betriebsparteiorganisation Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Bezirksverwaltung Comité Allemagne libre pour l’ouest Christlich-Demokratische Union Central Intelligence Agency Tschechoslowakische Republik Deutsche Arbeitsfront Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Continentale Gas Gesellschaft Deutsche Nachrichtenagentur Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsche Friedensgesellschaft Deutsches Frauenwerk Deutsche Handelszentrale Deutsche Kommunistische Partei Deutscher Metallarbeiter-Verband Deutschnationale Volkspartei Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e. V. Deutsch-Sowjetische Freundschaft Deutsche Verwaltung des Innern Deutsche Volkspartei Eisernes Kreuz Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freier Deutscher Kulturbund Geheime Staatspolizei Geheimer Informator Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit Gossudarstwennoje Polititscheskoje Uprawlenije (Staatliche Politische Verwaltung) Glawnoje Raswedywatjelnoje Uprawlenije (Nachrichtendienstliche Hauptverwaltung des Generalstabs der sowjetischen Streitkräfte) Gesellschaft für Sport und Technik Glawnoje UprawlenijeLagerej (Hauptverwaltung für Lager) Gebietsvereinigung volkseigener Güter Hauptabteilung Handelsorganisation Hauptverwaltung A Internationale Arbeiterhilfe

402 IfGA IG ILO IM ISK JHK KAG KAPD KB KD K5 KGRNS KgU KJVD Kominform Komintern KPČ KPD KPD/M KPD(O) KPdSU KPF KPI KPJ KPKK KPO KPÖ KPÖ(O) KPR(B) KPUSA KW KZ LA LDG LDP LHA LKK LL LPKK LV M-Apparat MAS MdI MdL MdR MfS MGB

Anhang Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung Industriegewerkschaft Internationale Linksopposition Inoffizieller Mitarbeiter Internationaler Sozialistischer Kampfbund Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung Kommunistische Arbeitsgemeinschaft Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kulturbund Kreisdienststelle Kommissariat 5 der Deutschen Volkspolizei Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationaler Sozialisten Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kommunistisches Informationsbüro Kommunistische Internationale Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei Deutschlands – Gruppe Möller (siehe KPO) Kommunistische Partei der Sowjetunion Kommunistische Partei Frankreichs Kommunistische Partei Italiens Kommunistische Partei Jugoslawiens Kreisparteikontrollkommission Kommunistische Partei-Opposition Kommunistische Partei Österreichs Kommunistische Partei Österreichs (Opposition) Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) Kommunistische Partei der USA Konspirative Wohnung Konzentrationslager Landesarchiv Landesgruppe Deutscher Gewerkschaftler Liberaldemokratische Partei Landeshauptarchiv Landeskontrollkommission Landesleitung Landesparteikontrollkommission Landesvorstand Militärpolitischer Apparat der KPD Maschinen-Ausleih-Station Ministerium des Innern Mitglied des Landtages Mitglied des Reichstages Ministerium für Staatssicherheit Ministerstwo Gossudarstwennoi Besopasnosti (Ministerium für Staatssicherheit)

Abkürzungsverzeichnis MLPD MLU MOPR MTS MVb MW MWD NDPD NKFD NKWD NSBO NSDAP NVA OdF OSS PA PCE PDS PG POUM PSOE RBD RFB RFMB RGI RGO RIAS SA SAJ SAP SAPMO SBZ SDAPÖ SED SIM SJV SKK SMAD SMT SOPADE SPD SPS SRPD SS

403

Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Meschdunarodnaja Organisazija Pomoschtschi Borzam Revoluzij (Internationale Organisation zur Unterstützung von Kämpfern der Revolution) Maschinen-Traktoren-Station Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft Ministerium für Wirtschaft Ministerstwo Wnutrennych Del (Ministerium des Innern) Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nationalkomitee Freies Deutschland Narodny Komissariat Wnutrennych Del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationale Volksarmee Opfer des Faschismus Office of Strategic Services Personalakte Partido Communista de Espańa Partei des Demokratischen Sozialismus Parteigenosse Partido Obrero de Unificacíon Marxista Partido Socialista Obrero de Espańa Reichsbahndirektion Roter Frontkämpferbund Roter Frauen- und Mädchenbund Rote Gewerkschafts-Internationale Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition Rundfunk im amerikanischen Sektor Sturmabteilung Sozialistische Arbeiterjugend Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR Sowjetische Besatzungszone Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Servicio de Investigación Militar Sozialistischer Jugendverband Sowjetische Kontrollkommission Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sowjetisches Militärtribunal Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Exil-SPD) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei der Schweiz Sozial-Republikanische Partei Deutschlands Schutzstaffel

404 SSR StA SU UA UDBA UdSSR UGO USA USC USPD VdgB VdN VEB VfZ VKPD VP VVN ZK ZKSK ZPKK ZS

Anhang Sozialistische Sowjetrepublik Stadtarchiv Sowjetunion Universitätsarchiv Jugoslawischer Staatssicherheitsdienst Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unabhängige Gewerkschafts-Opposition United States of America Unitarian Service Committee Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Verfolgter des Naziregimes Volkseigener Betrieb Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands Volkspolizei Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Zentralkomitee Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle Zentrale Parteikontrollkommission Zentralsekretariat

Personenregister

6.

405

Personenregister

Seitenangaben mit Stern beziehen sich auf eine Fußnote.

Abramowitz, Alice 108 Abramowitz, Josef 351 Abramowitz, Max 351, 374, 377 Abusch, Alexander 353 Ackermann, Anton 110, 119, 130, 157, 179 Adler, Max 89, 321 Agricola, Rudolf 10, 18, 90, 287, 313, 314, 319–322, 324, 325, 328, Albrecht, Karl 23 Albrecht, Paul 10, 281, 294–296 Ament, Erich 345, 373, 377 Andrejew, Andrej 221* Augustin, Werner 296 Axen, Hermann 373 Baden, Hermann 351, 352, 358, 376, 377, 383, 384 Baender, Paul 337, 373, 375 Baer, Otto 121 Bartel, Walter 298 Barth, Karl 317 Bartsch, Hans 273 Bassüner, Albert 78–80, 82, 89, 92 Bauer, Leo 179, 181, 182, 183*, 267, 291, 320 Bauer, Otto 195* Baum, Kurt 363 Baumgärtel, Karl 64, 73, 81, 82, 90, 226 Bayer, Adolf 369 Bebel, August 227 Becher, Johannes R. 4, 19, 356 Becker, Rudolf 359, 361, 363, 364 Behle, Karl 121 Behnke, Erich 111, 112, 256, 257, 306 Bell, Heinrich 359, 363, 365 Benjamin, Hilde 202–204, 303 Benkwitz, Max 11, 66, 70–73, 76, 95*, 112, 113, 218–221, 237–240, 256, 308, 309, 317 Berg, Lene 205, 218, 219, 222,

247, 249 Berger, Franz 108 Berija, Lawrenti 129, 171, 221 Bernhard, Willi 122 Bernstein, Eduard 227 Bertz, Paul 179, 183, 317 Besser, Anna 217 Besser, Erich 11, 45, 46*, 60, 69, 141–143, 169, 213–218, 220, 221, 254, 290 Beutler, Gustav 378 Beutler, Helga 378 Bevin, Ernest 189 Beyling, Fritz 252–256 Bierut, Boleslaw 330* Biletzky, Moses 360, 382 Blanqui, Auguste 65* Blass, Walter 248, 330 Blum, Leon 351 Boas, Karl 33* Bohne, Paul 269 Bombacci, Nicola 195* Bordiga, Amadeo 195* Borrmann, Gustav 64 Böttge, Bruno 14, 18, 27, 28, 37, 45, 46*, 51, 115–117, 120–122, 136, 137, 149–153, 199, 206–208, 211, 212, 249–252, 278, 347 Bovensiepen, Otto 164, 278 Bowitzky, Paul 37, 39–41 Brandler, Heinrich 38, 49, 52, 82, 181, 226, 230, 348, 349 Brandschädel, Oskar 264, 366, 367, 369 Brandt, Ernst 15, 95*, 113, 114, 120, 155, 225, 274, 280, 297–300 Brandt, Kurt 138 Brandt, Paul 264 Brandt, Willy 138, 373 Bredenbeck, Julius 137, 138, 147 Brenner, Kurt 122, 123, 137, 156, 206 Brentjes, Burchard 322, 374 Bressau, Fritz 283

406 Brock-Oley, Friedel 266, 267 Browder, Earl 176, 318 Brundert, Willi 15, 120, 162, 163, 166, 184, 185, 189, 197–200, 203–205, 207, 212, 213, 249, 251, 255, 260–262, 274, 277, 282–286, 288, 289, 306, 313, 314, 347 Brüning, Heinrich 86, 88 Bruschke, Werner 18, 115–119, 122, 143, 151, 153–155, 199, 204, 207, 208, 211–213, 246, 247, 249, 250, 277, 280, 285, 288, 313, 347, 348 Bucharin, Nikolai 67, 77, 78, 102, 104*, 216, 338 Büchner, Robert 114, 252, 255 Buchwitz, Otto 134, 135 Burghardt, Walter 378, 379 Burstein, Maria 321 Busch, Willi 370, 371 Busse, Ernst 291 Büttner, Kurt 323, 324 Casado, Segismundo 361 Castellano-Naranjo, Juan 365 Churchill, Winston 189 Chwalek, Roman 308 Clementis, Vladimir 331 Creutzburg, August 10, 60, 108 Crispien, Arthur 30 Dahlem, Franz 80, 134, 149, 167, 178, 254, 328 Damerow, Erich 115 Dankner, Max 359, 361 Däumig, Ernst 30, 46 Dengel, Philipp 62 Deutel, Albert 121, 122, 137 Dieker, Willi 18, 115, 155, 162, 163, 197–200, 204–207, 282, 283, 347 Dimitroff, Georgi 107, 128, 129, 171, 228 Dittbender, Walter 106, 107 Dittmann, Wilhelm 30, 45 Dittmar, Karl 308 Drescher, Fritz 114, 115, 122, 137, 138, 155, 156, 158, 206, 289

Anhang Drescher, Paul 80 Dreyer, Werner 169, 170 Dulles, Allen 172, 173, 178, 332 Durra, Alfred 379 Durra, Helene 379 Dux, Rudolf 121 Dyba, Franz 214, 215 Dzierżyński, Feliks 33, 181 Eberhardt, Rudolf 210, 211 Eberlein, Hugo 39–41, 105 Ebert, Friedrich 51, 134 Eichholz, Erich 215 Eildermann, Willi 175 Einicke, Ludwig 111, 131, 158, 159, 278, 303, 315 Eisenhower, Dwight D. 194 Eisler, Gerhart 77 Eisner, Kurt 26 Eißfeldt, Otto 165 Elchlepp, Friedrich 166, 303, 304, 313, 314 Elkan, Werner 351 Ende, Lex 178–183, 184*, 311, 348 Engel, Arthur 259 Engels, Friedrich 8, 190, 212, 227, 228 Eppendörfer, Kurt 285 Erben 342 Erler, Helmut 360 Esch, Margarete von der 265 Escherich, Georg 33* Ewert, Arthur 77 Ewert, Olla (Olga) 363 Fackenheim, Julius 351 Famula 138 Fantasny, Ilse-Monika 273 Farkas, Mihály 335* Fechner, Max 131 Fehse 308, 310 Felixbrodt, Markus 374 Ferchlandt, Elisabeth 16, 346–349, 352–358, 374 Ferchlandt, Fritz (Friedrich) 16, 22, 24–26, 27*, 149, 150, 197, 198, 346–354, 357, 358, 374, 383 Field, Noel 172–174, 176, 178–180,

Personenregister 183, 190, 193, 222, 267, 307, 310, 318, 320, 331, 332, 353 Finkelmeier, Conrad 63–65 Fischer, Ruth 38*, 52, 53, 56, 57, 60, 61, 66–69, 71, 75, 76, 94*, 95*, 104, 141, 176, 187, 216, 219, 348 Fischl, Otto 353, 375 Fischl, Werner 200, 302, 353 Flieg, Leo 105 Florin, Peter 111 Frankenstein, Karl 378 Freck 346 Frejka, Ludvik 342 Fritzsche, Arthur 144 Fruck, Richard 108 Fügner, Edith 121–123 Fuhrmann, Bruno 317 Galle, Emil 269, 270 Gaulle, Charles de 194 Geffke, Hertha 174, 178, 183 Gehre, Otto 212, 213, 218, 246, 247, 252 Geminder, Bedřich 336, 339 Georgescu, Teohari 330* Gerisch, Paul 250, 267 Gerisch, Rose 11, 265–267 Gerö, Ernö 335* Gheorghiu-Dej, Gheorghe 330* Glaser, Erika siehe Wallach, Erika Glaubrecht 122, 138 Globke, Hans 382, 383 Gniffke, Erich 116, 207 Goldhammer, Bruno 179, 181, 182, 317, 318 Goldszer, Isko 379 Gomulka, Wladislaw 330* Gotsche, Otto 33*, 41, 114 Gottwald, Klement 331, 344 Gould, Joseph 191 Grabow, Emil 55 Grade, Alfred 81, 82, 85* Grotewohl, Otto 130–134, 149, 150, 169, 182, 211, 329 Grube, Ernst 95* Gundelach, Gustav 115

407

Hadrossek, Luise 108 Hager, Kurt 175 Hahne, Hans 168 Halevy, Benjamin 382, 383 Halle, Otto 157 Härtel, Otto 61, 84, 110 Häussler 169 Hebrang, Andrija 129 Heckert, Fritz 112 Hegen, Josef 15, 154, 204, 205, 224, 249, 260, 280, 292, 295, 343 Heidler, Georg 159, 161*, 273, 290–293 Heinchen, Otto 64 Herbert, Lea 356 Herbert, Otto 356 Hermann, Otto 168, 170, 279*, 376 Herpich, Christian 271, 273 Hertwig, Paula 265 Herwegen, Leo 184, 185, 197, 212, 213, 260, 274, 278 Heuss, Theodor 319, 320 Hirsch, Werner 105 Höcker, Hans 64 Hoelz, Max 10, 40, 42, 103, 105, 106 Hoernle, Edwin 228 Höllein, Emil 45 Honecker, Erich 167, 169 Hörsing, Otto 29, 38–40, 42, 90 Hübener, Erhard 115, 155 Ishii, Shiro 225 Jäger, Rudolf 261 Jagoda, Genrich 333 Jentsch, Otto 271 Jeschow, Nikolai 105 Jungmann, Fritz 122, 131, 206, 208, 211, 212 Justus, Änne 158 Kaganowitsch, Lasar 104 Kamenew, Lew 66, 70, 104, 227, 333 Kantorowicz, Alfred 315, 353 Kasparek, Waldemar 121, 123, 137, 138, 151, 157, 166

408 Kassner, Walter 95* Katz, Iwan 66–69, 72, 219 Katz, Otto 333, 336, 339, 353, 360 Kautsky, Karl 227 Kemper, Wilhelm 283–285 Kempin 42*, 43* Kettig, Alfred 215 Kettmann 284 Kilian, Otto 22, 27, 42*, 45, 46, 51, 54, 55, 60, 61, 67, 69–75, 84, 94, 95* Kipp, Otto 290–293, 296, 297, 359 Kirow, Sergej 104, 221 Kirschey, Walter 144, 273 Kirstein 238, 246 Kisch, Egon Erwin 353 Klafter, Moritz 351 Klemperer, Viktor 319 Knauerhase 358 Knauthe, Hans 108 Knauthe, Martin 96, 106, 108, 356 Knörringen, Waldemar von 203 Koenen, Bernard 11, 41, 42, 64, 82, 85, 94, 106, 107, 109, 111, 115, 120, 123, 124, 136, 137, 140, 149, 151, 153, 154, 157, 162, 165, 185, 199, 205, 207, 208, 211, 213, 216–218, 220, 227, 229–231, 246, 247, 249, 262, 266, 274, 277, 278, 284, 288, 289, 295, 298, 308, 327, 329, 330, 347, 356 Koenen, Wilhelm 21, 23, 26, 27, 35, 37, 51, 55, 63, 88, 123, 124, 191, 192 Kofler, Leo 170, 228, 315–318, 320, 328, 374 Kögler 67, 68 Kogon, Eugen 291 Kollin 284 Konecny, Kurt 373, 374 König, Elisabeth 96 König, Erika 166 König, Ernst 96, 348, 353, 356 König, Georg 80, 82, 110, 111, 166, 273 Köppler, Heinz 188, 189 Korsch, Karl 67–69 Koss, Erich 210

Anhang Kostoff, Traitscho 171, 172, 177, 180, 182, 200, 255, 279, 332 Kotikow, Alexander 116, 117 Kötter, Willi 69 Kowaltschuk, Nikolai 134 Krause, Franz 10, 287, 288 Kreikemeyer, Willi 178, 179, 181–183, 219, 234, 307, 309–311, 348, 368, 369 Kretschmar 342 Krüger, Hedwig 54, 55, 61, 69–71, 74, 75, 94 Krüger, Rudolf 250 Krupskaja 66 Kuhn 356 Kuibyschew, Walerian 102 Kun, Bela 38, 57, 67 Kunze, Otto 122 Kürbs, Carl 63 Lademann, Max 55, 61, 62, 64–68, 74, 76, 79, 81, 82, 94 Lähne, Paul 15, 114, 153, 154, 163, 274, 280, 283–288 Landau, Kurt 195* Lange, Fritz 197, 199, 200, 202, 261 Langhoff, Wolfgang 317 Lasalle 227 Laufer, Paul 123, 137, 138, 197, 216 Lehmann, Frieda 70, 72, 84 Lehmann, Helmut 132, 134, 149 Lemck, Alfred 32, 37, 40 Lenin, Wladimir 8, 9, 30, 33, 34, 46, 69, 90, 98, 190, 212, 227, 228, 278 Leonhard, Wolfgang 107* Leow, Willi 56* Levi, Paul 9, 31, 38, 44–46, 62, 74, 116, 152 Lewinsky, Leo 351 Lichtblau, Hans 158 Liebknecht, Karl 21 Liebmann, Oskar 109 Lieser, Theodor 110 Lindert, Alfred 359 Linke, Karl 158, 303

Personenregister List, Franz 359, 361 Littwak, Bernard 380 Litwinow, Maxim 334 Lohmann, Willy 115 Lompar, Mischa 176 London, Artur 332, 336, 360 Lorbeer, Hans 82, 226 Luca, Vasile 330* Lüttich, Karl 84, 85 Luxemburg, Rosa 58, 90, 230, 231 Mac Arthur, Douglas 225 Maercker 27, 74 Maikath, Willi 280, 299–302 Maisel, Rudolf 110, 114, 261–263, 347, 348, 350 Manuilski, Dimitri 60 Mao Tsetung 8 Marcus, Siegfried 351 Marr, N. J. 323 Martin, Alfons 359 Marty, André 364 Marx, Karl 8, 190, 212, 227, 228, 353 Maslow, Arkadi 52, 56, 61, 66, 68, 69, 71, 76, 104, 141, 176, 195, 216, 219, 348 Matern, Hermann 134, 135, 141, 174, 175, 178, 196, 219, 245, 288, 299, 329, 342, 346, 369 Maurín, Joaquín 294* Melsheimer, Ernst 200, 202, 203, 217, 303 Menne, Bernhard 187 Menzel, Else 304, 305 Menzel, Margarete 353 Menzel, Robert 167, 168 Merker, Paul 50, 124*, 134, 178–182, 222, 223, 225–228, 255, 286, 320, 336–339, 348, 353, 375 Meyer, Julius 375, 376 Mielke, Erich 178, 179, 181–183, 264, 366, 367 Mierendorff, Carlo 198 Mikojan, Anastas 221* Minta, Margarete 352 Mittag, Max 343

409

Mode, Heinz 267, 313–315, 317, 318, 320, 322, 374 Mode, Irene 267 Moder, Bernhard 123 Moericke, Franz 95* Molotow, Wjatscheslaw 334 Müller, Albert 351 Müller, Hans 157 Müller, Kurt 137, 181, 182 Mummert, Georg 279 Münzenberg, Willi 348, 353, 356, 357 Mylius, Karin 383, 384 Negrín, Juan 361 Nemann, Wilhelm 351 Neumann, Heinz 105, 107, 182, 348 Neumann, Paul 201 Niebergall, Otto 194 Nieke, Werner 157 Nin, Andrés 294* Norden, Albert 373 Obermaier, Hermann 360, 361 Oelkers, Walter 306–310 Oelschlägel, Walter 138 Oelßner, Alfred 32, 37, 39–41 Ollenhauer, Erich 204 Opitz, Kurt 280, 286, 287 Ordshonikidse, Grigori (Sergo) 104 Otte, Kurt 202 Otten, Georg 121 Pauker, Ana 330*, 335* Paul, Otto 210 Pavlík, Gejza 331 Peters, Herbert 109 Peters, Paul 122, 137, 138, 156 Pichler, Rudolf 253 Pieck, Wilhelm 107, 108, 119, 133, 134, 150, 169, 177–180, 196, 213, 217, 298, 311, 329, 337, 344, 347, 358, 373, 375 Pilzecker, Herbert 364 Pisnik, Alois 110–112, 120, 131, 149, 153, 154, 211, 212, 222, 229, 232, 247, 249, 260, 307, 308, 346

410 Plättner, Karl 40, 43* Podrabsky, Eugen 253, 259 Posselt, Willi 342 Prübenau, Hermann 121, 122, 140, 206–208, 210, 211, 250 Radek, Karl 38, 48, 227, 333 Rajk, László 14, 171, 172, 174, 175, 177, 178, 180, 182, 184, 200, 213, 254, 255, 260, 274, 279, 331, 332, 335*, 361, 362 Rákosi, Mátyás 38, 45, 171, 172, 335* Ramsin, Leonid 197 Rank, Walter 254, 255 Rasch, Irmgard 64 Rausch, Marcel 352 Reichwein, Adolf 198 Reinbothe, Heinz 304, 305 Remmele, Hermann 79, 105, 107, 182, 348 Renn, Ludwig 364 Reuter, Ernst 204, 212, 259 Révai, Józef 335* Richter, Paul 55, 61, 63*, 70 Richter, Richard 280 Riesenburger, Martin 384 Rodionow 150 Rogowski, Hermann 253, 258 Röhr, Albert 191, 192, 285, 286 Röhr, Hellmuth 369, 370 Rosenbaum, Kurt 55, 59–63, 95* Rosenberg, Arthur 52 Roseneck, Fritz 269 Rosenfeld, Kurt 88, 379 Rößler, Hermann 261 Rossmeisel, Rudolf 342 Rühle, Otto 280 Runge 50 Runge, Otto 137 Rykow, Alexej 77, 104* Sacco, Nicola 72* Sachs, Rudolf 81, 82 Sager, Alice 368 Sager, Werner 359, 367–369 Sämisch, Arthur 61 Sasse, Anna 227

Anhang Sasse, Willy 227 Sauerzapf, Rudolf 316 Saupe, Hugo 122 Schaf, Fritz 109 Schaffer, Leo 263 Schallock, Richard 15, 159, 280, 303, 313 Schikatzki 346 Schill, Richard 364 Schlag, Otto 94, 113 Schlecht, Paul 52, 71 Schlemmler 351 Schlüter, Herbert 158 Schmidt, Alfred 140 Schmidt, Heinz 94, 191 Schmidt, Paul 122 Schmidt, Walter 33* Schmidt-Küster, Gustav 121 Schneider, Joseph 10, 43, 106, 109 Schoenlank, Reinhold 24, 39, 53, 59, 60, 62–65, 165, 166, 277–279, 358 Scholem, Werner 28, 37, 52, 53, 60, 66, 69, 71, 75, 76, 94, 176, 219 Schrecker, Hans-Heinrich 373 Schreiber, Walter 29 Schröder, Rudolf 247 Schröter, Johannes 71, 73, 75, 78–82, 124* Schtscherbakow, M. I. 377 Schubert, Hermann 105 Schulte, Fritz 105 Schulz, Irma 380 Schumacher, Kurt 117, 139, 140, 145, 147, 189 Schumann, Anna 72 Schumann, Georg 25, 39, 40, 51, 53, 55, 61, 62, 64, 79, 94, 95* Schwefel, Paul 263 Schwenk, Paul 107 Sedow, Leon 195* Seghers, Anna 353 Selbmann, Fritz 284 Semitschastnow 178 Semjonow, Wladimir 133, 177, 178, 196, 338 Serow, Iwan 115, 174 Serrati, Giacinto 195*

Personenregister Servatius 383 Seydewitz, Max 88, 287, 321 Shdanow, Andrej 104, 127, 377 Siegmund, Kurt 293 Siewert, Robert 10, 15, 110–112, 115, 120, 150, 153–155, 159, 166, 168, 224, 246, 247, 249, 274, 279*, 280, 289, 290, 292–294, 297, 307, 349 Simone, André (siehe Katz, Otto) Sindermann, Horst 256, 259 Singer 351 Sinowjew, Grigori 9, 35, 36, 52, 57, 58, 66, 69, 70, 75, 76, 104, 106, 216, 333, 338 Slánský, Rudolf 15, 16, 331–333, 336, 338–342, 360, 374 Šling, Otto 360 Sokolowski, Wassili 133 Sonnenberg, Willi 359 Sperling, Fritz 181, 182, 317 Spies 84 Spiridonowa, Maria 98 Springstubbe, Burkhart 66, 67 Stahl 285 Stalin, Josif 8, 10, 13, 16, 34, 58, 66, 67, 70, 73, 77, 78, 90, 99, 104, 127–129, 134, 145, 169–173, 212, 214–216, 221*, 227, 253, 254, 275, 278, 294, 323, 329, 331, 334–336, 344, 347 Stark, Franz 359 Steinberger, Bernd 177, 182, 317 Stern, Leo 315, 318, 321–328, 371–374 Stern, Manfred 371, 372 Stoecker, Walter 30 Stoph, Willi 284 Straßer, Otto 363 Straube, Otto 359 Strehle, Gerhard 308 Stresemann, Gustav 48 Strich, Kurt 122, 152, 205, 250–252 Suslow, Michail 132 Süßkind, Heinrich 105 Šváb, Karel 341 Szalai, András 332

411

Szinda, Gustav 362 Szönyi, Tibor 173–175, 331, 332 Taube, Paul 47 Tenner, Günter 375 Teubner, Hans 175, 178*, 317 Thalheimer, August 52, 82, 348 Thälmann, Ernst 10, 52, 56*, 62, 68, 77–79, 81, 82, 86, 90, 101, 104, 110, 230, 234, 348 Thape, Ernst 14, 18, 115, 117–120, 122, 138*, 155, 157–159, 162, 199, 206, 282, 289, 297, 303, 313 Thiele, Rudolf 210 Thorwardt, Willi 122 Tippel, Ernst 359 Tito, Josip Broz 13, 14, 127–129, 145, 169, 171, 184, 186, 200, 269, 279, 333 Tjulpanow, Sergej 123, 130, 132, 140 Tomski, Michail 77 Trotzki, Leo 46, 58, 59, 70, 75, 76, 81, 90, 104, 106, 147, 169, 195, 214–216, 221*, 227, 230, 333, 354 Tschuikow, Wassili 177, 178 Überschaer, Artur 256 Ulbrich, Walter 167–170 Ulbricht, Walter 25, 78, 115, 116, 119, 130–132, 134, 136, 138–140, 152, 156, 157, 174, 175, 178–181, 185, 199, 200, 217, 234, 251, 261, 274, 289, 298, 299, 308, 329, 337, 347, 348 Ullrich 284 Unger, Otto 106, 109 Urbahns, Hugo 66–69, 71, 73–76, 219 Urban, Hans 54 Vanzetti, Bartolomeo 72* Verdieck, Paul 122, 149, 152–154, 204–206, 247, 249–252 Voigt, Erich 273 Walcher, Jakob 195 Wallach, Erika 181, 182, 353, 369

412 Wallach, Robert 181 Walter, Otto 111, 123, 153, 154, 156, 278, 307, 320 Wandel, Paul 157 Warnke, Herbert 262 Weber, Rudolf 154, 212, 215, 222, 246, 247, 249, 286, 292, 307 Weddigen, Adelheid 158 Wehner, Herbert 107*, 369 Weinert, Gustav 273 Weise, Kurt 64 Weiß, Kurt 137 Weiterer, Maria 179, 181, 267, 321 Wendt, Hermann 308–310 Wernicke, Karl 109 Wessel, Paul 131, 139, 149, 152, 199, 200, 204–207, 250, 307, 367 Westarp, Graf von 33* Wimberg, Helm 273 Winand 285 Winter, Eduard 319

Anhang Wittholz, Herbert 146 Wittorf, John 78 Wohlenberg, Ursula 248, 330 Wolf, Otto 281 Wolfram, Adam 199, 204–208, 261–264 Woroschilow, Kliment 104 Wosnessenski, Nikolai 227 Wyschinski, Andrej 104, 221 Xoxe, Koči 171 Zaisser, Wilhelm 178, 183, 290, 327, 348, 364, 366 Zamorje, Leon 375 Závodský, Osvald 360 Zetkin, Klara 46, 47* Zuckermann, Leo 373, 375, 380 Zuckermann, Rudolf 380 Žujović, Sreten 129 Zweiling, Klaus 170

Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 26: Stefan Paul Werum

Gewerkschaftlicher Niedergang im sozialistischen Aufbau Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) 1945 bis 1953 2005. Ca. 892 Seiten mit zahlreichen Tabellen, gebunden. ISBN 3-525-36902-6

Die Umwandlung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) zur kommunistischen Massenorganisation war ein zentraler Vorgang im programmatischen Übergang zum Sozialismus sowjetischer Prägung in der SBZ/DDR. Diese institutionell-organisatorische Formung von Herrschaft wird in diesem Band gesellschaftsgeschichtlich und organisationssoziologisch rekonstruiert. Nachgegangen wird nicht nur der Organisationsgeschichte des FDGB und seiner Einzelgewerkschaften, sondern auch den Reaktionen, welche die Transformation in gewerkschaftlichen Handlungs- und Interessenvertretungshorizonten bis in die Betriebe hinein hervorrief. Es wird gezeigt, dass das Verhältnis von Gewerkschaften und Staat eine neue Qualität erhielt, aber durch diesen Gestaltwandel auch die erste schwere Krise verursacht wurde, die sich im Juniaufstand von 1953 entlud.

Band 25: Thomas Widera

Dresden 1945–1948 Politik und Gesellschaft unter sowjetischer Besatzungsherrschaft 2004. 469 Seiten, gebunden ISBN 3-525-36901-8

In dieser Studie werden die Wirkungsmechanismen der Diktaturtransformation vom nationalsozialistischen zum kom-

munistischen Regime untersucht. Ihr Gegenstand sind Politik und Gesellschaft in der Stadt Dresden in den Jahren 1945 bis 1948. Eine außergewöhnlich dichte Quellenlage ermöglicht erstmalig eine minutiöse Darstellung und Analyse der Ereignisse in den Wochen und Monaten nach Kriegsende.

Band 24: Michael Richter

Die Bildung des Freistaates Sachsen Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90 2004. 1184 Seiten mit 16 Abb., 8 Karten und einem Dokumententeil auf CD, gebunden ISBN 3-525-36900-X

Am 3. Oktober 1990 verschwand die DDR von der politischen Landkarte. An ihre Stelle traten fünf neue Bundesländer, darunter der »Freistaat Sachsen«, um dessen Neubildung es 1990 zu erbitterten Auseinandersetzungen kam. Bundes- und DDR-Regierung, Sachsens Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern, regionale Akteure, alte und neue Kräfte, aber auch die Bezirke untereinander rangen um Einfluss auf die Landesbildung. Michael Richters grundlegende Darstellung analysiert die Entstehungsgeschichte dieses neuen Bundeslandes aus historischer Sicht und bietet in einer materialreichen Sammlung einen detaillierten Überblick über die Länderbildungspolitik dieser Zeit.

Die neue internationale Zeitschrift zur Erforschung nichtdemokratischer Systeme

Totalitarismus und Demokratie Totalitarianism and Democracy Zeitschrift für Internationale Diktaturund Freiheitsforschung International Journal for the Study on Dictatorship and Liberty Herausgegeben von Gerhard Besier. Beirat der Zeitschrift: Michael Burleigh (London) / Stéphane Courtois (Paris) / Emilio Gentile (Rom) / Eckhard Jesse (Chemnitz) / Peter Graf Kielmansegg (Mannheim) / Juan J. Linz (Yale) / Werner J. Patzelt (Dresden) / Kurt Salamun (Graz) / Hans-Peter Schwarz (München). Die Zeitschrift erscheint zweimal jährlich mit etwa 180 Seiten je Heft. ISSN 1612-9008

1. Jahrgang 2004 Heft 1: Herausforderungen der Demokratie Heft 2: Totalitarismus – Konzepte und Kontroversen 2. Jahrgang 2005 Heft 1: Weltanschauungsdikaturen im Vergleich Heft 2: Fluchtpunkt Realsozialismus – Politische Emigranten in Warschauer Pakt-Staaten

Totalitarismus und Demokratie / Totalitarianism and Democracy (TD) ist eine neue Zeitschrift, die sich als internationale Drehscheibe der vergleichenden, historischen wie gegenwartsorientierten Erforschung nicht-demokratischer Systeme und Bewegungen versteht. Ausgehend von den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts sollen Entstehungsbedingungen, Funktionsweisen und Auswirkungen autokratischer Systeme im europäischen und außereuropäischen Raum vergleichend analysiert werden. Darüber hinaus sind historischpolitische, sozialpsychologische und kulturelle Konstellationen, Bedingungen und Dispositionen zu ergründen, die Geist und Wirklichkeit freiheitlich-demokratischer Gesellschaften fördern. Die Zeitschrift versteht sich als ein Forum interdisziplinären Austauschs zwischen Historikern, Politikwissenschaftlern, Soziologen, Psychologen, Pädagogen, Religionswissenschaftlern und Philosophen.