Gespräche unter vier Augen [Reprint 2022 ed.] 9783112661581, 9783112661574


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German Pages 220 [440] Year 1799

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Inhalt
Vorbericht
I. Was verlieren oder gewinnen wir dabey, wenn gewisse Voiurtheile unkräftig werden?
II. über den Neufränkischen Staatseid: „ Hafs dem Königthum!"
III. Nähere Beleuchtung der Vorzüge der repräsentativen Demokratie vor der monarchischen Regierungsform
IV. Was ist zu thun?
V. Entscheidung des Rechtshandels zwischen Demokratie und Monarchie
VI. Die Universal - Demokratie
VII. Würdigung der Nsufränkischen Republik
VIII. Was wird aus dem allen werden ?
IX. Über die öffentliche Meinung
X. Träume mit offnen Augen
XI. Blicke in die Zukunft
XII. Fragment eines Gesprächs zwischen Geron und einem Unbekannten
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Gespräche unter vier Augen [Reprint 2022 ed.]
 9783112661581, 9783112661574

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GESPRÄCHE U N T E R

V I E R

A U G E N

VON

G.

M.

W I E L A N D ,

L E I P Z I G iiey G i o r g Joachim Göschen.

1799.

G

E

U N T E R

S

P

R

Ä

V I E R

1

7 9 8-

C

H

E

A U G E N .

I N H A L T .

I. Was verlieren oder gewinnen w i r dabey, wenn gewisse Voiurtheile unkräftig werden? II. Über den Neu fränkischen Staatseid: „Iiafs dem Königthum." III. Nähere Beleuchtung der Vorzüge der repräsentativen Demokratie vor der monarchischen Regierungsform. IV. Was ist zu tlton? V. Entscheidung des Rechtshandels zwischen Demokratie und Monarchie. VI- Die Universal - Demokratie. VII- Würdigung der Nsufränkischen Republik. VIII- Was wird aus dem allen werden ? IX. Über die öffentliche Meinung. X. Träume mit offnen Augen. XI. Blicke in die Zukunft. XII. Fragment eines Gesprächs zwischen Gcron und einem Unbekannten.

V O R B E R I C H T .

Gespräche unter vier Augen sind ordentlicher Weise nicht bestimmt das Publikum zum Zuhörer zu haben.

Ein paar Freunde,

die allein t u seyn glauben, besorgen weder mifsverstanden noch unredlich gedeutet zu zu werden; jeder spricht wie er denkt, und •ist versichert, dafs sein Frfeund, wenn er auch nicht immer seiner Meinung ist, oder den Gegenstand, wovon die Rede ist, in einem andern Licht oder von einer andern Seite betrachtet, i h m wenigstens eben dieselbe Gedankenfreyheit zugesteht, wozu er sich selbst berechtigt hält.

8

V O R B E R I C H T .

Aber auch ohne diese Rücksicht liegt schon in der Natur eines Gesprächs unter vier Augen eirie gewisse Sicherheit, die bey keinem andern Statt

findet,

ja

bey einem

blofsen

Selbstgespräche kaum gröfser seyn kann, und man spricht da unfehlbar manches, was in Gegenwart eines Dritten entweder gar nicht, oder doch nicht so freymüthig uxid

zurückr

haltend gesprochen worden wäre. Wahrscheinlich mufs also ein unvermit theter Lauscher an der Wand, dem die Kunst geschwind zu Schreiben oder ein ungewöhnlich glückliches Gedächtnifs zu Dienste stand, an den gegenwärtigen vertraulichen Unterredungen heimlich Theil genommen, und ein gutes Werk zu thun vermeint haben, wenn «r den Gedanken

der

redenden

Personen,

an welchen er den unverkennbaren Karakter der Wahrheitsliebie, Mäfsigung und Wohlge-

V O R I J E Ä I C H T .

9

sinntheit zu erkennen glaubte, einen dauerhaftem Leib gäbe, als die luftige Hülle, in welcher blofs gesprochne Worte, sollte ihr Inhalt auch ewig zu dauern verdienen, eben so schnell als sie gehört werden, in dem Ocean zerfliefsen, der seit Jahrtausenden so unendlich viel Weisheit und Thorheit unwiederbringlich verschlungen h a t , ohne die geringste Spur davon zurück zu lassen. Der unsichtbare Lauscher konnte seinen Einfall um so leichter bewerkstelligen, da alle diese Gespräche auf dem Landsitze eines der Inierlokutoren unter einer dichten Sommerlaube gehalten wurden, welcher man sich aus dem

benachbarten Gebüsche ohne be-

merkt zu werden nähern konnte. Wie es aber auch damit zugegangen seyn mag, so bleibt, auf alle Fälle, der Herausgeber allein für die öffentliche Bekanntmachung

10

V O R B E Ü I C H T .

verantwortlich, und nimmt die Pflicht, seine anspruchlosen und nichts böses besorgenden noch bezweckenden Freunde im Nothfall zu vertreten, um so williger auf sich, da er Eich versichert hält, dafs diese Gespräche schwerlich einen einzigen unbefangenen Leser finden werden, der im Ernste wünschen könnte, dafs sie weder aufgeschrieben noch gedruckt seyn möchten.

Quid dulci voveat

nutricala

Quam sapere et fari

quod

majus sentititi

Juvenal.

alunno,

I. W a s verlieren oder gewinnen w i r dabey, wenn

gewisse

Vorurtheile

unkräftig

werden ?

Sinibald. Darf man fragen, G e r o n , was deinen inwendigen Menschen so stark beschäftiget, dafs ich schon eine gute Weile vor dir stehe, bevor du mich gewahr wirst. Geron. Das solltest du wohl schwerlich errathen» Sinibald. Sinibald. Vielleicht doch! Arbeitest du etwa an einet neuen Konstituzion für die Westfranken ?



G E S P R Ä C H E

Getön. Die wird sich wohl bald genug von selbst machen! Sinibald. Oder an Berichtigung der Bedingungen, unter welchen die monarchische Regierungsform der republikanischen oder diese jener vorzuzie. heu s e y ? G.e r o n . Eben so gern möcht' ich einen hölzerneil Bock melken, oder mit einem Haarsieb Wasser ins Fal's der Danaiden schöpfen. Du weilst^ w i e ich über diese Dinge denke. Das ganze Weltall ist, meiner Meinung nach, eine Monarchie, und, mit allen ihren Mängeln und Gebrechen, gewifs die beste, die man je sehen wird. Diefs vorausgesetzt, möchten die Bedingungen, unter welchen auch auf diesem kleinen oder grofsen Sonnenstäubchen, das uns zu bewohnen und zu bearbeiten eingeräumt ist, die e i n k ö p f i g e Regierungsform vor der v i e l k ö p f i g e n den Vorzug behauptet und ewig behaupten wird, ziemlich leicht zu finden seyn_ Aber f ü r w e n und w o z u sollte ein Mann von neuem tbnn, was seit Plato und Aristoteles von so vielen Hunderten vergebens gethan worden? Lais die Filosofen reden oder schweigen,

UM T E R

VISA

AUOEN.

15

die W e l t geht ihren Gang: „die Könige regier e n , und die Richter sprechen das R e c h t . " — Sinibald. Aber w i e ? Geron. D^a ist eine andere Frage. Ich denke, w i e sie w o l l e n , oder s o g u t sie k ö n n e n . Sinibald. M i t beidem ist der W e l t bisher nicht viel gedient gewesen. Geron. W a s willst du ? A l l e s geht wie es k a n n ; und wiewohl es durch' so seltsame Krümmungen und Scbneckenlinien gebt, dafs wackre .Leute sich dadurch haben verleiten lassen, zu glauben, die ganze Schöpfung, und die arme Menschheit mit ihr, drehe sich, wie ein blinder Gaul in einer Rofsmühle, ewig in einem und eben demselben Kreise herum, so fällt es doch, däucht m i r , von einem J a h r h u n d e r t zum andern ziemlich stark in die Augen, daf» es v o r w ä r t s geht; und so hoffe ich denn zu G o t t , es werde sich am Ende finden, dafg alles gegangen s e y , wie es der M o n a r c h und alleinige oberste D i r e k t o r der e i n e a

»4

G E S B R A C H E

upd u n z e r t r e n n b a r e n R e p u b l i k de» W e l t a l l s haben wollte, und der grofse Zweck — Sinibald. Verzeih, dafs ich dir ins Wort falle, Ger o n ! Der g r o f s e Z w e c k der M e n s c h h e i t (denn, was ü b e r d i e s e geht, ist ü b e r u n s e r m H o r i z o n t ) kann doch wohl kein andrer seyn, als das Menschengeschlecht, dem dieser PJanet zu verwalten und zu benutzen gegeben ist, von Stufe zu Stufe endlich so weit zu bringen, dafs alle Menschen nur E i n e F a m i l i e ausmachen, die keinen andern Regenten habe, (und, wenn sie erst so weit gekommen wäre, keines andern b e d ü r f t e ) als die a l l g e m e i n e V e r n u n f t , und also zugleich die reinste lind vollkommenste M o na r c h i e , und die freyeste, wohlgeordnetste und glücklichste R e p u b l i k wäre, die sich nur immer denken läfst. G e r O n lächelnd. So w f c i t mit dir v o r w ä r t s zu fliegen, guter Sinibald, sind meine Schwungfedern night mehr elastisch genug. Ich kenne dermahlen nur Eine Republik, die gerade das ist, was sie seyn soll —

U N T E R

V I E R

A U G E N .

IG

Sinibald. Und die wäre — ? Geron, D i e , Ton welcher du und ich Mitglieder sind, und die, Dauk ihrer Unsichtbarkeit! in, m i t und u n t e r allen Monarchien, Tetrarchien 1 ) und Anarchien, Aristokratien, Demokratien, Gynäkokratien und llierokratien, ihren stillen Gang fortgeht, und so lange fortgehen wird, bis entweder die g o l d n e Z e i t , von der du sprachst, gekoiumen seyn wird, oder der allgemeine Brand, womit die S t o i k e r unserii Erdball bedrohten, dem ganzen bisherigen Wesen und Unwesen ein Ende machen, und eine neue v e r g l a s e t e Schöpfung hervorbringen wird, über deren vermutliche Beschaffenheit, und was für eine Konstituzion sich wohl für glasartige Menschen am besten 1) G e r o n

deutet vermuthlich mit diesem W o r t

auf eine Epoke, da vier grofse Mächte, vermöge des respektabeln Rechts des Welt im Kleinen,

über

die

oder das, was Geron

Stärkern,

ein

g r o f s e s S o n n e n s t ä u b c h e n nannte, willkührlich zu disponieren anfingen; eine Epoke,

deren

nähere Bestimmung die Chronologen unter sich ausmachen mögen.

16

G E S P R Ä C H E

schicken möchte, wir uns die Köpfe nicht zerbrechen wollen. Sinibald. Darüber sind wir einverstanden. Aber auf diesem Seitenwege hätten wir bald vergessen, dafs du mir meine Frage noch nicht beantwortet hast. G e r o n. Und was war es denn gleich ? — Ja, nun besinne ich mich — du wolltest wissen, womit meine Gedanken beschäftigt waren, al« du herein kamst. So rathe denn! Sinibald. Wenn es nicht eine allgemeine Friedensstiftung oder der Stein der Weisen ist, so geb* ichs auf. G e r o n. Nun, so wisse denn, Brüder! — ich arbeite — erschrick nicht! — an einer A p o l o g i e der Vorurtheile. Sinibald. D u ? an einer Apologie der Vorurtheile ? — Das gesteh' ich! da hätt' ich lange rathea können, eh' ich auf eine so seltsame Möglichkeit gefallen wäre! — Nun ja freylich sind

UNTER

VIER

A TT G E N.

IJ

die Gegenstände, worüber sich etwas Neue» «agen läfst, ziemlich verbraucht, und so kann es sich ja wohl ereignen, dafs ein Ehrenrpann, der nichts anders zu thun hat, in die Versuchung gerathen mag, sich selbst und die Welt mit P a r a d o x e n zu unterhalten, uin zu sehen, wie weit es ihm gelingen könne, ¡einer Ungereimtheit den Schein der Wahrheit zu geben. Geron. Diefs wäre denn doch nicht der Fall, lieber Sinibald. Denn, wofern ich auch nichts hessers zu thun wiifste, hab ich nicht Kinder um mich, mit denen ich — spielen könnte? Odei? kann ich nicht schlafen? Oder, wenn alles andre fehlt, mir wie Horaz helfen und — Verse machen? Sinibald. Das wäre vielleicht nicht das schlimmste* was du thun könntest. Geron. Vielleicht, wenn ich Verse machen könnt? wie M e t a s t a s i o , der di/s beneidenswerthe Talent besafs, zu jeder Tages - oder Nachtszeit, bey jedem Wetter, in jeder Gemüthssthnmung, über jeden Gegenstand, und auf WIKLAHDS säramtl. \V. XXXI. B. B

»8

G * S F R A C H E

jede Veranlassung, sogar auf a l l e r h ö c h s t e n B e f e h l , sehr schöne Verse zu machen. — Und doch, wenn mich die Feen auch mit dieser seltnen Gabe begabt hätten, würde ich meine Apologie der Vorurtheile nicht i n V e r s e i l schreiben; — und gerade defswegen, weil es mir dabey um nichts weniger zu thun ist, als, wie du meinst, mit der eiteln Kunstj paradoxen Sätzen den Schein neu entdeckter "Wahrheiten zu geben, grofs zu thun. Die schlichteste Prose, und wenn sie noch prosaischer seyn könnte als X e n o f o n s, ist, däucht mir, gerade das rechte und einzig schickliche V e h i k e l , wenn es darum zu thun ist, alte Wahrheiten gegen die Täuschungeil des Witzes und die Sofismen einer falschen oder fälschlich angewandten Filosofie in den Schutz zu nehmen. Denn dafs du ja nicht etwa neue unerhörte Dinge von mir erwartest, über eine Materie, die, ihrer Natur nach, der ausgesogenste aller Gemeinplätze ist — S i n i b a l d lachend. Um so viel gröfser wäre die Ehre, auf einem so magern und zerstampften Boden noch irgend ein oder anderes Blümchen oder Kräutehen auszufinden, das den Thieren, die ihn einige Jahrhunderte lang abgefretzt haben, entgangen wäre.

B 5 I H

VIER

A tl O I

lp

Geroh. Lafs uns ohne Bilder sprechen, Sinibald. Die gemeinnützigsten Wahrheiten sind alt, und eben darum, weil sie alt sind, wirken sie wenig. Es mag wohl einiges Verdienst dabey seyn, wenn man sie unter irgend einer neuen gefälligen Gestalt wieder in Umlauf zu setzen w e i f s : aber mir däucht, dieser Kunstgrilf thut selten eine andere Wirkung, als dafs man sich an der neuen Einkleidung ergetzt, wenn sie gefällig ist, ohne dafs die alte Wahrheit selbst dadurch in gröfsre Achtung kommt. Sinibald. Ich habe doch wohl eher gesehen, dafs eine neue Perücke einen alten wurmstichigen H e r r g o t t , oder ein neuer ^nzug eine in Verfall gekommene M u t t e r G o t t e s in einer Dorfkirche wieder zum Gegenstand der eifrigste»' Andacht bey unserm guten Landrolkei wachteG e r o n. Das irtag bey alten I d o l e n angehen, Freund; aber ich zweifle sehr, ob es mit alten Wahrheiten eben dieselbe Bewandtnifs habe. W a h r h e i t , mein Lieber, ist, w i e du weifst, So sehr für den gesunden Menschenverstand , und dieser so ganz für -jene gemacht,

20

G E S P R Ä C H E

dafs sie für ihn gar keines Auffrischens und Herausputzens bedarf; je nackter sie ihm dargestellt w i r d , je gewisser ist sie, ihn einzunehmen. Das Übel ist nur, d a f s das reine Gold der Wahrheiten, von welchen hier die Rede ist, durch-die Länge der Zeit, durch die Veränderungen der Umstände, und durch die natürlichen Folgen der menschlichen Gebrechlichkeit , nach und nach so sehr mit schlechtem Metall vermischt und verfälscht tourde, dafs es endlich a u f h ö r t e Gold zu seyn, und von dem, was es ursprünglich war, nur noch den Nahmen behielt. Und dieser Nähme ist es denn, wodurch der grofse Haufe betrogen wird, der in seiner Einfalt gewohnt ist die Zeichen mit den Sachen zu verwechseln, und unter der Gewähr des Nahniens sich verfälschte Waare für echt aufhängen zu lassen. Si nibald. Nur zu wahr! Aber was werden die Vorurtheile, die du in deinen Schutz nehmen willst, durch dieses Gleichnifs, und den Satz, den du dadurch erläutern willst, gewinnen ? Geron. Das erräthst du nicht, Sinibald? So stelle dir Wahrheiten und Yorurtheile als eine grofse Menge goldner Mjinzen von allerley Schwere,

VN T E R

V I E R

AlfGEN.

2l

Gehalt' und Jahrzalil vor, wovon einige echt, andere falsch, die meisten aber mit mehr oder weniger Kupfer dergestalt vermischt wären, dafs bey vielen sich nur die Hälfte, bey andern nur der dritte oder vierte Theil reines Gold befände. Lafs uns ein Lr unter vier Augen sprechen, meine Meinung von der Sache hier unverhohlen sagen? Unsre Bürger Direkturen sind von dem all«?n, was sich gegen den E i d , der Ihnen und der ganzen ehrbaren Welt so anstöfsig ist, sagen läfst, so völlig überzeugt, als Sie u n d — ich. Aber von der H ö h e , d e r R e v o l u z i o n herab sehen sie alle Dinge in einein ganz andern Lichte als wir andern Erdenkinder. Ob etwas, das sie wollen und verordnen,.recht, billig, anständig, oder mit den bisher in der ganzen Welt angenommenen Begriffen und Grundsätze» übereinstimmig sey, kümmert Sie wenig oder nichts. Die Aufrechthaltung ihrer Republik, an welcher nicht nur ihre dermahlige Allgewalt, sondern ihre Existenz hängt, ist das Einzige, das ihnen iNoth ist, für das sie Alles thun, Alles wagen, Alles aufopfern. Diese Haine a la royaute, die wir schwören müssen, ist eine alberne und dem Anschein nach ganz zwecklose unnütze Cec* remonie; der Schwur hat an sich selbst nicht mehr Sinn als Abrakadabra, Plektron, Aski, Kataski, und andere dergleichen Zau-

84

G e s s r ä c h e

berwörter. Aber hat niclit unsere ganze Revoluzion ihren Urfolg solchen Wörtern, wobey sich niemand was bestimmtes dachtc, zu danken? Das erste, was man zu thun hat, wenn man dem grolsen Haufen einen Ring durch die Nase zielten w i l l , ist, dafs man dem Dinge, das er sehen s o l l und n i c h t sieht, einen Nahmen schöpft, und ihm dann mit der unverschämtesten Dreistigkeit so lange versichert, er sehe das Ding, bis er es zuletzt wirklich zusehen glaubt. Auf eben dieselbe Weise kann man einem einfältigen Menschen weifs machen, er liebe oder hasse etwas, indem man ihm so lange und oft wiederhohlt, er liebe oder hasse es und müsse es hassen, bis er endlich zu glauben anfängt, es müsse dam wohl so seyn, weil kluge Leute ihn dessen so positiv versicherten: und das sonderbarste ist, dafs das Abrakadabra zuletzt seine Wirkung thut, und der IVIensch wirklich in ganzem Ernst etwas liebt oder verabscheut, das ihm Anfangs völlig gleichgültig war. Glauben Sie m i r , das ist der Schlüssel zu diesem Räthsel. Unsre Gewalthaber merkten, dafs der Hafs gegen die vormahlige königliche Regierung in den Herzen des Französischen Volkes erkaltet war, und dafs im Gegentheil eine geheime Sehnsucht nach der alten Ordnung der Dinge sich wieder in eben dem Mafse äufserte, w i e die guten Leute gewahr

tr N T E R

V I E R

A

V G E H.

g.J

w u r d e n , dals diese F r e y h e i t und G l e i c h l i e . i t , womit die Herren bisher so grolse W u n der gethan h a t t e n , n u r . l e e r e G e s p e n s t e r w a r e n , die man ihnen in einem m a g i s c h e n f i a u c h hatte erscheinen lassen. Es war die höchste Z e i t , wieder ein Zauberwort oder eine Taschenspieler-Formel zu erfinden, womit man den Folgen der L a u i g k e i t , die seit einiger Zeit unter unserm Volke überhand nimmt, entgegen w i r k e n könnte. M a n lälst uns also bey jeder Gelegenheit, einzeln und i n M a s s e , dem armen l i ö n i g t h u m H a f s schwören. Das Volk schwört, und fühlt entweder gar nichts dabey, oder w e i l s doch selbst nicht recht w a s : aber der S c h w u r w i r d so oft erneuert, w i r hören ihn so oft, und beynahe täglich, von andern s c h w ö r e n , unser Ohr und unsere L i p p e n werden seiner so gew o h n t , dals es uns zuletzt seyn w i r d , als fühlten w i r w i r k l i c h etwas widerliches und schauderhaftes bey diesem W o r t e , — und das Mittel hilft doch wenigstens eine Zeit l a n g , w a s es helfen kann. Wilihald. Ihre Erklärung läfst sich hören; w i e w o h l ich sehr zweifle, dafs i h r e politischen Zauberer, w e n n sie so etwas abzweckten, eine sonderliche W i r k u n g davon verspüren werden. Wenigstens w i r d es nicht auf lange h e l f e n ; uncl bey einem Volke, w i e das I h r i g e , das so leicht

G e i t u l e i i Von einem Äuftersten zum andern überspringt, könnte sich der erkünstelte und erzwungene Hafs des Königthums am Ende wohl gar wie» der in eine L i e b e verwandeln, deren plötzlicher Ausbruch der Republik und ihren Stiftern, und allen, die ihre Knie vor diesem B a a 1 gebeugt haben, eben so gefährlich werden könnte, als es der vierzehnte August dem Königthum war. Heribert. Davor behüte uns der gutö Genius von Frankreich! — und davor w i r d er uns hoffentlich durch den herzlichen Abscheu vor n e u e n R e v o l u t i o n e n bewahren, der jetzt, wenn mich nicht alle Anscheinungen täuschen, an die Stelle aller ihrer vorigen Ausschweifungen in den Gemüthern unsers Volkes getreten ist. Wilibald. Hoffen Sie nicht zu sanguinisch-, mein Freund! Die vielgestaltigen und niemahls ruliepden F a k z i o n s g e i s t e r arbeiten dem guten Dämon der Nazion zu eifrig entgegen, als dafs Sie auf das Bedürfnifs der Ruhe, wie stark es auch von dem Volke gefühlt wird, so sicher rechnen dürften. Aber ich wüfst'e Ihnen einen Rath, und, ich inüfste mich sehr irren, oder es ist das einzige Mittel, Ihr G em e i n w e s e n , ujitten unter seihen Sieges,

U N T E R

V I E R

A U G E N .

GY

Triumfen und Eroberungen, vor dem immer näher rückenden Untergange zu retten. Heribert. W i e Sie sprechen! Sie könnten einem, der leichter als ich zu schrecken wäre, angst und bange machen. Aber — weil doch auch der Rath eines Feindes nicht immer zu verachten ist, — Ihr einziges Rettungsmittel, wenn ich bitten darf? Wilibald. Es ist — entsetzen Sie Sich nicht gar zu sehr! — es ist— weil Sie doch keinen K ö n i g , mehr wollen, und in der Tliatauch, solang* es noch B o u r b o n s giebt, keinen haben könn e n — Ihre Konstitution vom Jahre 1795, die nach dem ungeheuern Rifs, den sie am achtzehnten Fruktidor bekommen hat, ohnehin nicht lange mehr halten kann, je eher je lieber selbst ins Feuer zu werfen, und — einen D i k t a t o r zu erwählen. Heribert. Einen Diktator? Wilibald. Oder L o r d P r o t e k t o r , oder F r 0 1 a rc h o n , oder w i e ihr ihn sonst nennen wollt.

68

G K S T K X C B X

D e r Nähme thut wenig zur Sache; w e n n es nur ein Mann ist, dem ihr die-unumschränkte Gewalt, welche das alte R o m , w e n n es um Rettung der Republik zu thun w q r , einem ad huiic actum ernannten Diktator beylegte, mit Sicherheit anvertrauen könnt. Ich räsoniere so. W e n n ihr dem Königthum nicht einen so unauslöschlichen Hafs geschworen hättet, und wieder einen König haben wolltet und könntet, so müfste es ein liebenswürdiger junger M a n n , von grofsem hohem Geist, von den grölnicn Talenten im Krieg; und 1'rieden, von unermüdlicher T h ä t i g i e i t , von eben so viel Klugheit als M u t h , von dem festesten Karakter , von reinen S i t t e n , einfach und prunklos in seiner Lebensart, immer Meister von sich selbst, ohne irgend eine Schwachheit wobey ein andrer ihn fassen k ö n n t e , zugleich offen und verschlossen, sanft und heftig, geschmeidig und h a r t , inild und unerbittlich, jedes zu seiner Z e i t , kurz, ein Mann seyri, w i e es in jedem Jahrhundert kaum Einen giebt, und dessen Genius alle andre in Respekt zu halten und zu überwältigen wüfste. E i n anderer als ein solcher könnte euch, in der aufserordentlichen L a g e , in welche die Revoluzion euch geworfen h a t , nichts helfen, Da ihr nun keinen solchen K ö n i g haben k ö n n t , so müfst ihr einen D i k t a t o r suchen, der alle diese

B S T E il

T i EK A u g e n .

89

Eigenschaften in sich vereinige. Er darf aber, aus vielerley Rücksichten, kein eigentlicher Franzose, wenigstens von keiner alten und bekannten Familie seyn; und wenn er sogar einen ausländischen Nahmen hätte, so wäre es nur desto besser. Auch mufs er eine Menge Proben abgelegt haben, dafs er alle die Eigenschaften, die ich zu eurem Diktator nöthig finde, und von denen ich ihm keine nachlassen kann, wirklich besitze; und wenn er sich bereits einen, grofsen Nahmen in der W e l t gemacht hätte, und im Besitz der allgemeinen Achtung stände, so «ehe ich nicht, was ihm noch abginge, um euer und der ganzen W e l t Retter zu werden. Das Aufserordentlichste bey der Sache ist, dafs ihr diesen Mann nicht erst Zu suchen braucht; denn, durch einen Glucksfall, den man wohl in seiner Art einzig nennen kann, i s t er s c h o n g e f u n d e ö . Her ibert. Buonaparte

also?

W i l ibald. W e r anders? Heribert. Und auf w i e lange?

9o

G

B

s i t i e

H B

Wilibald. So lange als er es ausdauert. Ich besorge, ihr werdet ihn nur zu bald verlieren. Alse je länger je besser. H e r i b e r t mit komischem Ernst.

B u o n a p a r t e D i k t a t o r der g r o f s e n N a z i o n ! Der Vorschlag hat etwas Einleuchtendes. W i r werden ihn in Überlegung nehmen. Wilibald. Ich fordre alle eure Köpfe in beiden Senaten heraus, einen bessern zu thun. Heribert. Fast sollt' ich es selbst glauben. Wilibald. Die Sache mag einige Schwierigkeiten ha,ben. Aber der Hauptpunkt ist doch, euch recht von den grofsen Vortheilen zu überzeugen, welche die A l l e i n h e r r s c h a f t , zumahl eines solchen Mannes wie mein Diktator ist, vor einer jungen, unerfahrnen, launenvollen und zwischen so vielen Parteyen und Fakzionen hin und her schwankenden D e m o k r a t i e hat, wenn es darauf ankommt, einen zu Grunde gerichteten und bereits in mora-

UNTER

Viel

A ü s I N.

9*

li'sche Verwesung gehenden Staatskörper von dreyfsig Millionen Gliedern wieder zu beleben und aufblühen zu machen. — Ich bin Ihnen ohnehin noch die Vergleichung tv-s Königtlnims mit der Demokratie schuldig, unl -wenn es Ihnen recht ist, so entledige ich mich dieser Schuld bey der ersten Gelegenheit.

III. jtfifier« B e l e u c h t u n g Vorzüge kratie v o r

der

der

angeblichen

repräsentativen

der

monarchischen

DemoRegie-

rungsform.

Wilibald. Darf

man so frey s e y n , einige etwas einfäl-

tige Fragen an Sie zu tliun, Heribert? Heribert. D e m Schein von Einfalt möchte wohl nicht viel zutrauen seyn. Aber fragen Sie immerhin, was Sie wollen. Wilibald. Nicht w a h r , die Französische Nazion ist seit dem 14» August 1 7 9 2 im Besitz der uneingeschränktesten F r e y l i e i t ?

© E i

B R Ü C H E .

Heribert. Dem R e c h t e nach hätte 6ie es vcm fehsr; seyn sollen. Wilibald. Und der völligsten G l e i c h h e i t ? H e r i b ert. Allerdings. Wilibald. Ich sage der völligsten Gleichheit; denn der Unterschied, den Talente und Reichthum machen, hat wenig zu bedeuten. Den Mangel an Talenten ersetzt Unverschämtheit, Verwegenheit und eine brüllende Stimme; und dem •Reichthum hält die Unsicherheit des Besitzers, •und der Anspruch des Habenichts an die ganze W e l t , die. Wage. Heribert. Spötteil Wilibald. Hauptsächlich aber ist die S u v e r ä n i t ä t , in der höchsten Bedeutung des Worts, ein ausschliessliches Recht der Nazion und gleichsam der grofse Diamant an eurer Freybeiukappe? Nicht w a h r ?

94

G e s F R Ä c n i Heribert Ohne Zweifel.

behend.

Wilibald. Da» heifst: Der Wille der Nazion ist Gesetz, und niemand ist berechtigt, ihr ein anderes wider ihren Willen aufzudringen ? Heribert. Halten Sie einen Augenblick I Dahinter möchte wohl eine verborgene Schlange stek. ken! — Doch ich fürchte sie nicht. Also,' j a ! es ist wie Sie sagen. Wilibald. Verzeihen Sie, dafs ich noch ein paar Fragen hinzu füge. Die neue republikanische Metafysik ist so subtil, dafs unser einer imfner besorgen inufs, sie nicht recht gefafst tau haben. Heribert. Ich für meinen Theil besorge eher, dafs sie nicht subtil g e n u g ist. Aber fragen Sie, fragen Sie immerzu! Wilibald. Ist die Nazion suverän, weil sie die M a c h t hat alles- zu thun was sie will ? odeC vermöge ihrer M e n s c h e n r e c h t e ?

U K T E R

V I I R

A ü G I IT.

95

Heribert. W a s S i e aber auch für Fragen thun!

Ich

könnte sapen, aus beiderley Grunde; dehn w e r alles thun tuverän.

kann was er w i l l , ist unfehlbar

Indessen da sich auf die blofse Macht

kein Recht gründen läfst,

so erwarten

Sie

wohl keine andre Antwort, als dafs ich sage, v e r m ö g e der a l l g e m e i n e n R e c h t e

des

Menschen. Wilibald. Aber diese sind u n v e r l i e r b a r ? Heribert. Ist es etwa die

Suveränitat

der Nazion

»licht a u c h ? , S i e ist ja das unverlierbarste aller ihrer Reihte. Wilibald. Das

soll mir lieb seyn! D e n n so haben

w i r den breitesten und gebahntesten W e g vor uns, und eine Menge problematischer Knoten lösen sich von selbst auf. Heribert. In der That giebt es keine einfachere W i s senschaft als die P o l i t i k .

Diejenigen,

die

eine so schwere, verwickelte, mit so vielen Kautelen volles

umschanzte, in ein so geheimnis-

Dunkel

eingehüllte, so

viel

Schlau-

G E S P R Ä C H E

heit und taschenspielerische Behendigkeit erfordernde Kunst aus ihr machten, haben, von -jeher nichts Gutes im Schilde geführt. W i l l bald. B r a v o ! D a r ü b e r wären w i r also im kla,reiw — N u n , mit Ihrer Erlaubnifs, meine detzte Frage: Glauben Sie wohl, d a f s d i e F ü n f raänner, denen Ihre Nazion die Vollziehungsmacht, als einen Theil der ihr selbst zuständigen höchsten G e w a l t , anvertraut hat, sich entschliefsen könnten, bey der nächsten Zusammenberufung der Urversainmlungen, es in die frey« "W'illkülir des suveränen Volks zu stellen, oh es die zeitherige von der Majorität des Direktoriums am achtzehnten Fruktidor mit eignen Händen so jämmerlich durchlöcherte Konstituzion wieder zusammen flicken, u n d , etwa nach B . R. ö d e r e rs Vorschlägen, frisch auskalfatern und neu betakeln lassen, oder lieber eine aiidce Verfossun-g, z. B . das verhafste K ö n i g t u m « , etwa auf den Fufs der .Konstituzion von 1 7 9 1 , allenfalls auch mit den nöthigen Verbesserungen, wieder herstellen w o l l e n ? — Wasmeihen S i e , Heribert? Heribert. Dazu werden sich unsre Bürger F ü n fm ä n n e r nimmermehr entschlieisen. Lieber

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noch zwanzig achtzehnte Fruktidors hinter einander! Lieber w i e d e r , wofern wir uns nicht anders zu helfen w i s s e n , R o b e s p i e r r e ' s allmächtiges Schreckensystem und die permanente Guillotine in allen Kommunen der Republik wieder aufgestellt! W o denken S i e h i n ? W a h r l i c h , die Republik würde übel dabey f a h r e n , wenn man das Volk in der S t i m m u n g , worin es gerade jetzt i s t , auf eine eo gefahrliche Probe stellen wollte. 'JVe nos inducas in lenlabioneml Wilibald. Besorgen Sie etwa einen B ü r g e r k r i e g ? D a r ü b e r können Sie ohne Kummer seyn. N e u n Z e h e n t e l der Nazion wünschen ja nichts sehnlicher als R u h e und Ordnung, JDäp wissen Sie. H e r i l ) ert. Aber w e n n n u n , w i e es allerdings nicht unmöglich w ä r e , eben diese n e u n , oder auch nur a c h t Zehentel der versammelten JNazion sich für einen K ö n i g erklärten? Wilibald. So wüfsten w i r den Willen des S u v e r ä n s ; und ein Knecht, der seines Hert en W i l l e n weifs und — W i I l A N U S süramtl. W . X X X I . B .

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ihm in die Rede fallend.

Des Suveräns, sagen S i e ? WilLbald. Nun ja freylich! Oder wäre die Nazion etwa schon nicht mehr, was sie noch vorzwey oder drey Minuten w a r ? Heribert. Aber sie kann nur Suverän seyn, in so f e m *ie Republik ist, und die Republik ist blofs in den e n t s c h i e d e n e n R e p u b l i k a n e r n Vorhanden, deren Wahlspruch, la république ou la mort! ist. Diese erkennen keine andre F r a n z ö s i s c h e N a z i OD als s i c h selbst Allé übrigen, und wenn sie auch neun und zwanzig Dreyfsigtel der Einwohner Frankreichs ausmachten, sind R o y a l i s t e n , Orleanisten, Müskadins, Vendeist e n , E m i g r i e r t e , S o n n e n b r ü d e r , Kob l e n z e r , Clichieiis, kurz alles in der Welt, nur keine F r a n z o s e n — Wilibald. D a s ist freylich ein anderes ! Heribert E s ist sehr möglich, und kommt mir selbst mehr als wahrscheinlich vor, dafs die eigent-

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liehen K e r n - R e p u b l i k a n e r bey weitem den kleinsten Theil des ganzen Volks ausmachen: aber dafür sind sie auch der s t r e i t b a r s t e und e n t s c h l o s s e n s t e . Nimmermehr würden sie sich, so lange sie noch einen Tropfen Blut zu vergiefsen haben, nach dem Willen einer royalistischen Majorität fügen, und der B ü r g e r k r i e g Wäre unvermeidlich. Wilibald. Aber, noch einmahl, was für ein R e c h t hätten diese Republikaner, dem Willen einer Majorität, die beynahe die ganze Nazion ausmacht , mit Gewalt zu widerstehen ? Denn Sie werden mir erlauben, das, was Sie vorhin von der republikanischen Art, d i e N a z i o n a u d e f i n i e r e n , sagten, für blofsen Scherz aufzunehmen. Heribert. W a s ich Sie versichern kann, ist, da Ts es unsern Republikanern sehr Ernst damit ist. Recht oder unrecht, genug s i e w o l l e n d i e R e p u b l i k ; und was sie' ernstlich wollten, haben sie noch immer, wenn sonst nichts mehr half, mit den kräftigsten aller Argumente, mit Bajonetten und Kanonen, durchgesetzt. Aber da sie für eine von der gröfsten Majorität dm Volk» feierlich angenommene und

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beschworne K o n s t i t u z i o n fechten den , hätten sie auch das Recht auf Seite.

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Wilibald. W i e können Sie, nachdem das [Direktorium., seihst die zwey wesentlichsten Grundpfeiler dieser Konstituzion umgeworfen h a t , und sich dessen, was von ihr noch übrig ist, blofs zu Maskierung und Deckung seines immer weiter um sich greifenden Despotism. bedient, w i e können Sie verlangen, dafs die Nazion noch Achtung f ü r eine solche Konstituzion trage, oder sich unter ihr sicher glaube? Heribert. Ich verlange nichts; d a s D i r e k t o r i u m v e r l a n g t e s : und, was auch seine Absichten seyn möchten, genug dafs es, so lange die Konstituzion noch in ihre» Hauptmauern s t e h t , wenigstens den A n s c^h e i n des Rechts f ü r sich h a t , und ( w a s am Ende doch allein, entscheidet) M a c h t genug besitzt, seinem W i l l e n Kraft zu geben. Wilibald. U n d w i e sieht es nun bey dieser Bewandtnifs der Sachen um die Suveränität der Nazion AUS?

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Heribert. Herrlich! glänzend, b e s s r als jemahls! Da lesen Sie. Hier stellt ein B e w e i s , der alle andern überflüssig macht. Lesen Sie in difeeem öffentlichen Blatte, dafs unter andern klugen Mafsregeln, „ d e n B ü r g e r s i n n auf die bevorstehenden Urversammlungen wieder aufzufrischen," auch d i e s e genommen worden ist, dafs die Suveränität des Volks durch ein eigenes Fest, am dreyfsigsten V e n t o s e dieses Jahres, in der ganzen Republik gefeiert werden soll. Können Sie einen einleuchtendem Beweis verlangen als diesen?

Wilibald. W i r k l i c h ? — So gestehe ich I h n e n , die Erfindung dieser neuen Maschine, dem sterbenden Glauben des Französischen Volks an seine eigne Suveränität etwas Lebensluft zu 1 z u w e h e n , ist in meinen Augen eine äufserst merkwürdige Erscheinung. Sie beweiset mir eines von beiden: entweder, dafs die dermahligen Gewalthaber von dem Verstände des Französischen Volks eine aufserordentlich geringe Meinung haben; oder däfs ihre Furcht vor dem, w a s auf den nächsten allgemeinen Volksversammlungen geschehen könnte, sehr grofs seyn mufs, da sie ihnen die möglichen

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und sogar wahrscheinlichen Folgen eines soiehen Festes zu verbergen scheint. Heribert. W i e so? Wilibald. JEs wäre doch sehr möglich, dafs ï h t Volk, w i e leichtsinnig es auch immer seyn mag, durch eine so laute A u f f o r d e r u n g zum Nachdenken beynahe gezwungen, auf den Einfall käme, sich selbst zu fragen : Ist es denn auch wahr, dafs wir der Suverän von Frankreich sind? Heribert. Diese f r a g e wäre nicht schwer zu beantworten. Wilibald. Sie wissen aber, w i e das Volk ist. Sich in weitläufige und tiefsinnige Untersuchungen, Abstrakzionen und Distinkzionen einzulassen, ist seine Sache nicht. Es giebt einen kürzern W e g ins klare zu kommen. Diogenes führte gegen den Sofisten, der seinen Zuhörern die Unmöglichkeit der Bewegung durch eine Menge spitzfindiger Argumente vordemonstriert hatte, keinen andern Gegenbeweis, als dafs er d a v o n g i n g . W i e , wenn das

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Französische Volk, um sich selbst von seiner Suveränität zu überzeugen, plötzlich de« Entschluß nähme sie a u s z u ü b e n , die Konstituzion von 1795 vollends zu kassieren, seine seitherigen Vertreter und Agenten nach Cayenne zu deportieren, und das K ö n i g t h u m zurück zu rufen? Gestehen Sie, Freund Heribert, wofern das Französische Volk wirklich so gestimmt ist, wie man mit vieler Wahrscheinlichkeit vermuthet, so könnte kein Tag au einem solchen Schritte bequemer und schicklicher seyn, als das Fest seiner Suveränität. Heribert. D a wäre das Direktorium freylich mit seinem vermeinten Präservativ garstig angeführt ! — Aber es hat keine Gefahr. Unsre Dreymänner, auf welche doch am Ende alles ankommt, haben zu viele utid grofse Proben ihrer Vorsichtigkeit abgelegt, als dafs zu besorgen wäre, sie möchten bey einer so wichtigen Gelegenheit in' eine Grube stürzen, die sie sich selbst gegraben hätten. Von den e n t s c h i e d n e n R o y a l i s t e n gilt gerade das Gegentheil. Wenn hier eine Grube gegraben wird, so däucht mich sie werde den R o y a l i s t e n gegraben; und die unkluge Voreiligkeit, womit sie bisher noch immer ihre eigenen Plane und Anstalten selbst vereitelt haben«

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tonnte ihnen. leicht bey d i e s e r V e r s u s c h u n g , in welche sie (vielleicht'absichtlich) geführt werden, aberniahl einen schlimmen Streich spielen. Auf alle Fälle werden Sie sehen, dafs die R e p u b l i k , Dank spy den eben so k r ä f t i g e n als klugen Mafsregeln ihrer Vorsteher, triumfierend aus der G e f a h r , w o fern hier eine ist, hervorgehen wird. Wilibald. Tch wünsche allen Menschen, und gewif» auch I h r e r JNazion, wiewohl sie der meinigen viel Böses getlian hat, zu aufrichtig G u t e s , als dal'» es mich nicht freuen sollte, wenn der 30. V e n t o s e in gane Frankreich ruhig und fröhlich abläuft. — Aber wenif diels auch, durch die Maisregeln des Direktoriums, auf welche Sie so eben deuteten, der Fall seyn dürfte, das beifst, wenn jede zweckinäfsige Anstalt getroffen wird, dafs das Volk seine Suveränität n i c h t ausüben k ö n n e , w i e grofse L u s t es auch dazu haben möchte, — kehrt da nicht die alte Frage w i e d e r : W a s für ein seltsames Ding ist es um ein R e c h t , das ich zwar besitze und nie verlieren noch veräulsern kann, aber nur nicht ausüben darf? W e n n der W i l l e der eminenten Mehrheit für den allgemeinen Willen gilt; w e n n dieser das höchste Gesetz im Staat,

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und die Suveränität das heiligste unverletzlichste Recht des Volkes ist: mit welcher Befugnifs dürfen blofse Staatsbeamte sich unterfangen, den Willen ihres obersten Gebieters in Fesseln zu legen ? Heribert. Glauben Sie ja nicht, die unsrigen mit dieser Frage in Verlegenheit zu setzen. W i r appellieren von dem V o l k e an d i e N a z i o n . Das Volk ist veränderlich, leicht zu bewegen, leicht zu täuschen und irre zu fuhren, leicht von einem Ton in einen andern zu stimmen. Es handelt immer nach fremdem Antrieb und momentanen Eindrucken, ist immer in der Gewalt eines jeden, der sich seiner Leidenschaften zu bemächtigen, oder ihm seine eigenen mitzutheilen weils, und Muth genug hat, sich an seine Spitze zu stellen. Nichts ist daher nothwendiger, als seine Aufwallungen und Launen von seinem f e s t e n , unwandelbaren und a l l g e m e i n e n W i l l e n zii unterscheiden. Dieser ist da, w o die a l l g e m e i n e V e r n u n f t ist; nicht in den einzelnen Departeinentern, Kommunen und Volksversammlungen, sondern in der g a n z e n N a z i o n , in so fern sie über ihre eignen Rechte und Vortheile a u f g e k l ä r t ist, oder ( w a s auf das nehmliche hinaus l ä u f t ) in so fern sie

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durch den aufgeklärtesten und von echtem Gemeingeist beseelten Theil des Volks r e p r ä ; s e n t i e r t w i r d . D i e s e m kommt es alsdann s u , die Bewegungen des Volks zu leiten, es in Übereinstimmung mit sich selbst zu erhalt e n , es vor den hinterlistigen Künsten seiner verkappten Feinde zu verwahren, und zu Beobachtung der Gesetze, die es einmahl als Aussprüche der Vernunft erkannt h a t , anzuhalten, k u r z , einer- Wankehnüthigkeit Einhält zu t h u n , die den Staat in eine ewige Anarchie stürzen w ü r d e , wenn der D e s p o» t i s m d e s G e s e t z e s ( d e n man den Vollziehern desselben mit Unrecht zur Last l e g t ) ihm nicht einen Damm entgegen thürmte^ den sie nicht ungestraft überspringen darf. W i l i b a l d lächelnd. Ich danke I h n e n , lieber Heribert, dafs Sie meinen Begriff von der V o l k s s u v e » r ä n i t ä t so schön rektificiert haben. D e n n ich gestehe, dafs ich mir immer keine rechte Vorstellung davon machen konnte, was ihr Republikaner euch dabey denkt. Sie ist also nicht u n v e r l i e r b a r , wie wir vorhin annahmen '{ Heribert. D e m R e c h t » nach, allerdings; dem G e h r a u c h nach, n i c h t . D e n n das Volk ist

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ja am seines eignen Besten willen genöthiget, die Ausübung derselben einem 'kleinen Ausschufs aus seinem Mittel aufzutragen. Wilibald. Das Volk kann sieb also nicht selbst regieren, wiewohl es das vollkommenste Recht dazu hat? kann nicht sein eigner Gesetzgeber noch Richter seyn? seine Finanzen nicht selbst verwalten ? seine Kriegsheere nicht in eigner höchster Person anführen ? — wie sehr es auch zu allem dem b e r e c h t i g t ist? Heribert. Sie scherzen, Wilibald. Wilibald. 1

Um Verzeihung! Ich rede in ganzem Ernst. Das Volk befindet sich also mit seiner Suveränität völlig in dem Fall eines unumschränkten Erb-Monarchen, der noch in der Wiege liegt: es bedarf einer Vormundschaft, die alles, was es als sein eigner Suverän zu thun hat, in seinem Nahmen beobachtet, — kurz, an seiner Statt seine Rechte wahrnimmt und seine Pflichten erfüllt? Heribert. Die Natur der Sache läfst es nicht anders zu. Nur belieben Sie den Unterschied zu

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bemerken, dafs der -unmündige Monarch sich seine Stellvertreter nicht selbst auslesen kann, das Volk hingegen bereits in dem Alter ist, die seinigen zu w ä h l e n . Wilibald. Nehmen Sie Sich in Acht, Heribert! Machten Sie mir nicht eben selbst eine Abschilderang von dem Karakter des Volks, aus welcher ganz geradezu folgt, dafs es, ungeachtet der Volljährigkeit der einzelnen Menschen, woraus seine ganze Masse besteht, eben so w e n i g zu einer solchen Auswahl taugt, als ein unmiindiger Monarch? Das Volk ist ein vielköpfiges, vielsinniges, vielzüngiges Thier, voller Leidenschaften und Vorurtheile; hitzig u n d brausend, w o es kalt und gelassen sevn, eigenwillig und starrsinnig, w o es auf Vern u n f t hören, w a n k e l h a f t , w o es unbeweglich Stehen, unentschlossen , wo es schnellbesonnen und inuthvoll seyn sollte. Seine B e r a t s c h l a gungen sind gewöhnlich tumultuarisch; u n d je gröfser die Anzahl derjenigen ist, die entweder in ihrer eigenen Einbildung, oder in der Meinung andrer, f ü r vorzügliche Köpfe gelten, in desto mehr kleine Fykzionen wird es sich spalten, desto schwerer wird es seyn, so viele Köpfe unter Einen Hut zu bringen, u n d desto weniger ist zu e r w a r t e n , dais sie

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sich in ihren Wahlen, ich will nicht sagen immer, sondern nur meistens, auf die tauglichsten und würdigsten Subjekte vereinigen werden. Lassen Sie es in irgend einem kleinen K u h s c h n a p p e l nur um die Wahl eines Thorsclireibers oder Nachtwächters zn thun sevn, überlassen Sie solche dem Volke, und sehen wie. es dabey zugehen wird! In einem gröfserh A b d e r a ists nur desto schlimmer. Doch das müssen Sie selbst bereits aus Erfahrung am besten wissen. Heribert. Nur allzu wahr! Und dennoch — W i 1 i b 31 d

ihm in die Rede fallend.

Die grofse Urquelle aller Täuschung euerer republikanischen Dogmatiker ist, dafs sie überall, wo es das Interesse ihres Systems erfordert, sich das Volk nicht so denken, w i e es wirklich ist, sondern wie es seyn müfste, wenn es sich der Rechte, die sie ihm einräumen, weislich sollte bedienen können. Diefs gilt voa euerer ganzen Konstituzion, Sie ist in einer Art von profetischem Geiste, für ein anderes Jahrhundert, für ein Volk, das erst noch dazu g e b i l d e t w e r d e n soll, gemacht, und wird nach aller Wahrscheinlichkeit eine noch so weit entfernte Zukunft nicht erleben. — Doch,

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diefs nur im Vorbeygehen, und ich bitte um Verzeihung, dafs ich Sie unterbrochen habe. Ich erinnere mich Ihres „ u n d d e n n o c h ! " 8ehr w o h l , und will Ihuen die M ü h e ersparen, Sich näher zu erklären, weil ich Ihre Meinung zu errathen glaube. D a w i r gemeinschaftlich W a h r h e i t suchen, so ist nöthig, dafs w i r immer so nahe beysammen bleiben, als möglich seyn will. Ich räume Ihnen also fcu diesem Behuf e i n , dafs ein Volk — es sey nun, dafs es sich bisher noch in einer Art v o n N a t u r s t a n d befunden, und nun entschlossen gey, künftig eine b ü r g e r l i c h e G e s e l l s c h a f t auszumachen, oder dafs es, wie die Französische Nazion, durch irgend eine Revoluzion, in jenen anarchischen Stand zurück geworfen worden — dafs dieses Volk nicht n u r b e r e c h t i g t , sondern ( w o f e r n es andere der W ü r d e v e r n ü n f t i g e r W e s e n nicht entsagen w i l l ) v e r b u n d e n ist, sich einer gesetzmäfsigen Regierung zu unterwerfen. E i n Volk, es bestehe nun aus dreyfsig tausend oder aus dreyfsig Millionen Menschen, kann vernünftiger Weise seine Suveränität nur z u einem einzigen Akt gebrauchen, nehmlich zu demjenigen, wodurch es sich derselben wieder begiebt, indem es sie entweder mehretfi Personen oder einer einzigen zur Verwaltung überträgt.

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Heribert. M i t Ihrer Erlaubnifs, «las Volk begiebt sieb Seiner Suveränitat keinesweges, indem es blofs die Last der V e r w a l t u n g auf andre wälzt. Wilibald. W a s wollen Sie damit sagen? Sie wollen doch nicht aus dem millionenköpfigen Suverän eine Art von morgenländischem S c h a c h machen, der die Regierung blofs darum au£ fremde Schultern legt, um sich desto gemächlicher und ungestörter einer wollüstigen Unthätigkeit überlassen zu können? Das Volk begiebt sich der Ausübung seiner höchsten G e w a l t , weil es sie nicht selbst verwalten k a n n ; weil kein anderes Mittel ist, zu d e m Zustand von Ordnung u n d R u h e zu gelangen, ohne welchen es sich den Genufs der Vor» theile des bürgerlichen Lebens nicht verschaffen könnte. D e r wahre Suverän im Staat ist derjenige, der d a s ' R e c h t hat die höchst« Gewalt a u s z u ü b e n ; und von dem Angen* blick a n , da das Volk sich der Ausübung dieses Rechts begeben h a t , tritt es, w i e grofs auch seine gesetzmäl'sige Freyheit immer seyn m a g , in das Verhältnifs eines U n t e r t h a n s , und ist seiner sich selbst gegebnen Obrigkeit Gehorsam schuldig. Gegen die Evidenz dieser Grundwahrheit helfen keine Distinkaionen.

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Auch sehen Sie, dafs Ihre dermahligen Gewalthaber es nicht anders verstehen, und ihren vorgeblichen Suverän sehr gut in der Zucht zu halten wissen; nicht selten mit einer Strenge, die kein Minister Ihrer letzten Könige zu wagen sich getrauet hätte. — Aber, um nicht wieder aus unserm W e g e zu kommen, w i l l ich mich über diesen Punkt, was die Theorie betrifft, in keinen Streit mit Ihnen einlassen; zumahl, da ich nicht zu läugnen begehre, dafs e s , in dem bestimmten Falle, den wir vorausgesetzt haben, von der Willkühr des Volkes abhängt, unter welchen B e d i n g u n g e a und I V I o d i f i k a z i o n e n es seine höchste Gewalt in die Hände seiner Stellvertreter legen will. Bekanntlich bilden diese Modifikazionen die verschiedenen F o r m e n der Staatsverfassung, deren weit mehrere sind als man gewöhnlich annimmt. Aber unter allen diesen Formen bleibt das Wesen der Regierung sich selbst gleich; die Bedingungen, unter welchen es möglich ist, ein von Natur freyes Volk zu regieren, sind in allen eben dieselben; die R e c h t e d e s s e n oder d e r j ' e « i g e n , w e l c h e m oder w e l c h e n die höchr ete Gewalt anvertraut ist, und die P f l i c h t e n des Volks, welches zu gehorchen schuldig ist, sind in allen eben dieselben, und umgekehrt. —

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Heribert. So dafs es also, Threr Meinung nach, einem Volke ganz gleichgültig seyn kann, ob es von einem Monarchen, oder von einer demokratischen Obrigkeit regiert werde? Wilibald. Doch nicht ganz gleichgültig. Jede dieser F o r m e n hat ihre eigenen Vorzüge und Nachtheile; und wenn Sie genau gegen einander abgewogen werden, so dürfte wohl, wie ich mir •zu behaupten getraue» der Vorzug auf Seiten der Monarchie seyn. Heribert. Da kommen wir auf einmabl so weit aus einander, dafs es schwer halten w i r d , uns wieder zusammen zu finden. Wilibald. W i r wollen also, mit Ihrer Erlaubnifs, die.-, sen letztern Punkt, wenigstens vor der Hand, unentschieden, oder, wenn Sie wollen, nach Ihrem eigenen Gutdüncken entschieden seya lassen, und blofa bey dem verweilen, was allen Regierungsformen gemein ist. Um desto eher au» der Sache, zu kommen, wollen wir nur die uneingeschränkte Monarchie und die W i J t f , A N D » « i m m t l . \Y. X X X I . B .

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vollkommene Demokratie mit repräsentativer Regierung und getheilten Gewalten, als die beiden Äufsersten, zwischen welchen alle andern liegen, gegen einander stellen, um zu sehen, was sie mit einander gemein haben. Heribert. Ich bins zufrieden. Nur verbitte ich alle kleine o p t i s c h e Kunstgriffchen, bey der Zu» sam m enstellung. Wilibald. Besorgen Sie nichts dergleichen; ich werde nicht nöthig haben, der Wahrheit durch Kunst nachzuhelfen. Fürs erste also: In der besagten Demokratie, w i e in der uneingeschränktesten Monarchie, hat sich das Volk des Gebrauchs der höchsten Gewalt begeben. Denn wiewohl es in jener den N a h m e n des Suveräns beybehält, und in Frankreich künftig sogar ein Fest seiner Suveränität mit allem gebührenden Pompe begehen wird, so wollte ich doch Sr. Populären Majestät nicht rathen, sich den Verordnungen der Bürger Direktoren, oder den Bajonetten und Kanonen der unter den Befehlen derselben stehenden Bürger Soldaten und Leibgardisten zu widersetzen. Oder glauben Sie" etwa

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Heribert. Nein, nein! Über diesen Punkt bin ich völlig Ihres Glaubens. Wur weiter! Wilibald. Zweytens: In beiden ist deöi Volke das vor einigen Jahren so hoch gepriesene M a rat i s c h e Recht der h e i l i g e n I n s u r i e k z i o u niedergelegt. Heribert. Ohne alle Bedingung? Wilibald. Ohne alle Bedingung, Heribert. Das ist hart! AVilibald. Es giebt wirklich Fälle, wo es sehr hart ist. Heribert. In der unumschränkten Monarchie mag dag Wohl so seyn, wo das Volk in politischem Sinne für N i c h t s gerechnet i s t — Wilibald. Das ist nun auch so einer von euern auf' gut Gluck angenommenen Sätzen, gegen den

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ich sehr viel einzuwenden hätte. Doch davon ein andermahl! — In der Demokratie also, meinen Sie, wäre es ein andres mit dejn Rechte der heiligen Insurrekzion ? H e r ib ert. Uniäugbar ist das Volk in mehr als Einem Falle dazu berechtigt. Wilibald. Berechtigt? Wenigstens in der Demokratie nicht m e h r als in der Monarchie. H « r x b e rt. Zum Beyspiel, wenn die obersten Vollzieher der höchsten Gewalt sich eincij wesentlichen Eingriff in die Konstituzion erlauben wollten. Wilibald. W i e , Heribert? Haben Sie vergessen, daf$ am achtzehnten Fruktidor der Casus in lerminis schon da gewesen ist ? Kann die Konstituzion wohl gröblicher verletzt werden, als wenn das Direktorium sich einer ihm ausdrücklich untersagten Disposizion über die bewaffnete Macht anmafst, um einen gewaltsamen Eingriff in die Freyheit des gesetzgebenden Körpers und «.einei eigenen Mitglieder jsu t h u » ? — Das

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Mifsfallen aller guten Bürger über diesen ungeheuern Akt von S u l t a n i s m w a r so allgemein als ihr Erstaunen; und doch rührte sich das Volk nicht! — Und w a r u m rührte es sich n i c h t ? Heribert. D i e Überraschung, der Schrecken — Wilibald. W i r d vermuthlich in jedem ähnlichen Falle dieselbe W i r k u n g thun. Aber, yras Sie als etwas ganz ausgemachtes annehmen können, ist, dafs das Direktorium, p r n Beweise, dafs es dem Volk kein R e c h t z u m A u f s t a n d zugesteht, in jedem Falle, w o es f ü r n o t b i g halten wird, „die Republik durch einen B r u c h in die K o n s t i t u z i o n zu r e t t e n , 1 » auch die nöthigen Mafsregeln nehmen w i r d , dem Volke die Ausubung eines solchen Rechts, durch eben dieselben Mittel, deren sich der entschiedenste Despot gegen unruhige Unterthanen bedient, u n m ö g l i c h z u m a c h e n . Auch versteht sich von selbst, dafs es das entscheidende Urfheil über die F ä l l e , w o diese N o t w e n d i g k e i t eintreten möchte, jedesmahl sich selbst ausschliesslich vorbehalten wird. W o bliebe denn also, was diesen Punkt betrifft, der Unterschied zwi-

G t s j n i c H e sehen den iFünfmännern in der Demokratie und dem Einzigen Mann in der unumschränkt testen aller Monarchien? H e r i b e r t die Achseln zuckebd. Also weiter. Wilibald. Drittens: In beiden ist dem Volte, dem s u v e r ä n e n so gut als dem a l l e r u n t e r « t h ä n i g s t e n , alle Macht benommen, die Staatsverfassung zu ä n d e r n , wie grofs auch immer seine .Lust dazu seyn möchtet Heribert« W i e wäre das? Wilibald» Zum Beispiel: Setzen wir den möglichen Fall, das Volk wäre der q u i n q u e v i r a l is e h e n Regierung müde und überdrüssig; es finge an zu bemerken, dafs die Vortheile, die es von seinem einzigen Prärogative, dem Wahl» recht in den rrimarversammlungen, zieht, gegen den damit verknüpften Zeitverlust, die Unter» brechung seiner gewöhnlichen Geschäfte, und alle die heillosen Folgen des ewigen Intri» guierens, Kabalierens, Aufhetzens, Verführens und Bestechen», das von einer solchen alle

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der bürgerlichen Gesellschaft und das allgemeine Beste der Menschheit verhalten. W i e einleuchtend auch die Behauptung des Englischen Dichters P o p e , For forms PP hate'er

of Government Ist Tools contest, is best, i) is best administerd,

beym ersten Anblick scheinen mag, so kann sie doch vor einer scharfen Prüfung nicht bestehen. Denn die beste Staatsverwaltung o kann zwar die einer fehlerhaften Verfassung beywohnenden Radikalgebrechen mildern und überpflastern, aber niemahls aus dem Grunde heilen; und die schlechteste kann das wesentliche Gute einer weisen und wohl berechneten Konstituzion nicht andefs als durch ihre völlige Vernichtung gänzlich unwirksam machen, Das Resultat, das, w i e ich glaube, eine unbefangene Untersuchung jedem Wahrheitsforacher, so gut w i e m i r , geben w i r d , ist dieses : die monarchische Regierungsform ist mehr auf Sicherheit und Ordnung, die demokratische mehr auf Freyheit und Gleichheit berechnet; jene ist dem Menschen, der erst noch gebildet werden soll, diese dem bereits gebildeten natürlicher und angemelsner. Indessen i ) Lafs Thoren über Form des Staats sich zanken, Die beste ist die best verwaltete.

G i s t a Ä c s

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w a l t e t der grofse Unterschied v o r , d a f s , sobald beide F o r m e n auf wirkliche Staaten u n d M e n s c h e n , w i e sie n u n eintnahl s i n d , angew a n d t , w e r d e n , die M o n a r c h i e den H a u p t z w e c k , f ü r den sie berechnet i s t , Sicherheit u n d O r d n u n g , wirklich erreicht, die D e m o k r a t i e hingegen immer w e i t hinter dem ihrigen z u r ü c k b l e i b t , weil F r e y h e i t u n d Gleichheit i n ihr immer mit O r d n u n g u n d Sicherheit i m Streit l i e g t , u n d die R e g i e r u n g jene nur auf Kosten d i e s e r , oder diete auf Kosten j e n e r g e w ä h r e n kann. Übrigens tragen b e i d e ein sehr wirksames P r i n c i p der Verderbnifs in » i c h , n u r mit dem Unterschiede, d a f s , w e n » j i n e J a h r h u n d e r t e dauern k a n n , bis sie i n e i n e n u n t e r d r u c k e n d e n D e s p o t i s m ausartet, d i e s e k a u m so viele Jahrzelmde d a u e r t , bis s i e , u m der A n a r c h i e z u v o r z u k o m m e n , die i m m e r w i e an einem d ü n n e n F a d e n über ihrer Scheitel s c h w e b t , sich in eine noch härter drückende O l i g a r c h i e verwandeln mufs. I n j e n e r erhält schon allein der festgesetzte Unterschied der Stände, Klassen u n d U n t e r a b t h e i l u n g e n , bey der offen gelafsnen Mögl i c h k e i t sich dyrch Glück oder Verdienste Jiöher h i n a u f schwingen zu k ö n n e n , durch t l ö l s e n , aus G e w o h n h e i t b e y n a h e unbemerkt e n D r u c k u n d Gegendruck das Ganze in Ordn u n g ; in d i e s e r u n t e r h a l t e n die rastloseste»

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V I E R

A U G E N .

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aller Leidenschaften, Ambizion, Eifersucht und Bnpgierde immer mehr zu haben, und die Parteyen und Fakzionen, deren Triebräder sie sind, den Staat in immer währender GährungDie Demokratie gleicht einer am Fufs eines unruhigen Vulkans liegenden Stadt, welche zwar der Erschütterungen und Ausbrüche deso selben endlich so gewohnt w i r d , dais sie ihren Untergang zu furchten aufhört, aber keinen Tag vor ihm sicher ist. In der Monarchie kann ein einziger weiser Regent wieder D t» gut machen, was mehrere unkluge, schwache oder verkehrte Vorfahrer verdorben haben; in der Demokratie kommen die Weisen und Guten entweder gar nicht, oder in so geringer Anzahl empor, dafs die sogleich gegen sie gekehrte, allgemeine und keiner Abrede benöthigte Zusammen Verschwörung der Bosen es ihnen beynalie unmöglich macht, etwas beträchtlich Gutes zu wirken. Gisinund. Diefs letztere ist, wie ich sehr besorge, oder vielmehr, w i e Geschichte und tägliche Erfahrung lehrt, eben so sehr der Fall m der Monarchie, sogar unter den weisesten und besten Regenten. Ottobert. Leider nur zu wahr! Ich w i l l aber auch Von allen diesen, in Theorie und Erfahrung

208

G e s p r ä c h s

gleich gegründeten Unterscheidungspunkten, die ich noch mit vielen andern nicht minder wichtigen vermehren könnte, für jetzt keinen andern Gebratich machen als diesen: dafs, weder die Vorzüge, noch die Gebrechen dieser an beiden äulsersten Enden der Linie liegen* den Staatsverfassungen ein so grofses Ubergewicht haben, dafs der Vortheil, der zu erwarten w ä r e , wenn eine von beiden mit Gewalt aus der W e l t geschafft werden sollte, die Kosten der Operazion nur zum zehnten Theil vergüten könnte; und dafs also unter allen vernünftigen und rechtschaffnen Menschen als eine ewig feststehende Maxime anerkannt werden müsse : dafs jede Regierung schuldig sey, die hergebrachte und bestehende Verfassung aller andern Völker zu respektieren; und dafs jede Anmafsung, einen monarchischen oder aristokratischen Staat, unter dem illusorischen Vorwand, das Volk in Freyheit und Gleichheit zu setzen, mit Gewalt der Waffen zu d e m o k r a t i s i e r e n , ein höchst ungerechter und unerträglicher Eingriff in die allgemeinen Rechte der Völker sey, welchem alle übrigen sich mit vereinten Kräften zu widersetzen nicht nur berechtigt, sondern (wenigstens ihrer eigenen Sicherheit w e g e n ) sogar verbunden sind. Wenn unser Nachbar, Belieben trägt, sein Haus einzureifsen, um ein besseres

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«der schlechteres aus den Trümmern aufzub a u e n , das mag e r ! W i r haben kein Recht, es ihm zu wehren. Aber wenn er nun käme u n d wollte u n s , unter dem Vorwand der Nachbarschaft und seines guten Willens gegen u n s , unsre Häuser ebenfalls niedfirreifsen, u n d uns nöthi^en, neue nach dem Modell des seinigen zu b a u e n , so könnte uns doch w o h l piemand verdenken, wenn w i r uns einer so unziemlichen und ungelegnen Anmafsung mit Fäusten und Fersen entgegen setzten. Gismuiid. D e r Himmel bewahre uns und alle ehrliche friedfertige Leute vor solchen Nachbarn! -— W i r sind n u n , denke ich, über alle dies« D i n g e ziemlich Einer M e i n u n g , lieber Ottobert. Aber vermuthlich wollten Sie, da Sip vorhin sagten, wir wären dem Punkte, worin wir völlig zusammen treffen w ü r d e n , unvermerkt ganz nahe gekommen, noch etwas andrem damit sagen. Ottobert. Sie gestanden j n i r , I h r Glaube, dafs ohn» Freyheit und Gleichheit kein Heil f ü r das Menschengeschlecht sey, beruhe mehr auf einem unühertäublichen G e f ü h l , als auf deutlichen Vorstellungen. Ich glaube mir diesas W i s l a i t u » lammtl. W . X X X I . B . O

210

G i s r u Ä c u

i

Gefühl deutlich genug entwickelt zu haben, um Ihnen sagen zu können, in w i e fern es Stimme der Wahrheit ist. Unläugbar ist F r e y h e i t ein natürliches, rechtmäfsiges und durch keine Verjährung verlierbares E i g e n t h u i n des Menschen, in so fern er durch seine Vernunftfähigkeit dem allgemeinen System der vernünftigen Wesen angehört. Als ein solches hat ihm die Natur ein hohes Ziel vorgesteckt, zu dessen Erreichung er alle seine Kräfte zu gebrauchen schuldig ist, und kein Wesen im Weltall kann ihn im vernunftmäfsigen Gebrauch seiner Knäfte hindern, ohne sich an den ersten und heiligsten Gesetzen der Stadt Gottes gröblich zu vergreifen. Einen Menschen zum Sklaven machen, d. i. ihn wider seinen W i l l e n als blofses thierisclies oder mechanisches W e r k z e u g gebrauchen , ist daher (den einzigen Fall, w o es zur Sicherheit und Erhaltung der Gesellschaft nöthig ist, mit den gehörigen Einschränkungen ausgenommen ) unmittelbares Verbrechen gegen die menschliche Natur, und der schandlichste, ungeheuerste aller Frevel. W a s die G l e i c h h e i t betrifft, so ist klar, dafs, wenn w i r von einer Anzahl Menschen alles abziehen, worin sie verschieden sind, und wodurch sie zu e i n z e l n e n P e r s o n e n •werdeil, etwas übrig bleibt, worin sie alle

U N T E R

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A U G •

N.

S i l

einander gleichen, nehinlich die der Menschheit eigene Art der Organisierung unsers animalischen Theils, und die Vernunftfähigkeit. Eine natürliche Folge d i e s e r Gleichheit ist, dafs jeder Mensch verbunden ist, in jedem andern seine eigene Natur, seinen Bruder in der Schöpfung, anzuerkennen, und sich jeder Art von Verletzung des Rechts desselben an Selbsterharltung und freyen Gebrauch seiner Kräfte zu enthalten. Man kann daher sehr richtig sagen, dafs die Gleichheit, an welche alle Menschen gleichen Anspruch hahen, in der F r e y h e i t schon enthalten s e y ; und das grofse Losungswort der Jakobiner, Sanskülotten ftnd Anarchisten, F r e y h e i t und G l e i c l i h ' e i t , ist ein ganz unnöthiger, oder vielmehr ein blofs zu ihren geheimen Fakzionsabsichten nöthiger P l e o n a s m u s ; denn mit dem Wort» F r e y h e i t ist schon alles gesagt. Eigentlich zu reden wird kein Mensch f r e y g e b o r e n ; oder giebt es etwa in der ganzen Natur ein abhängigeres Geschöpf als ein neugebornes Kind'? Eben so gewils ist, dafs unsre V e r n u n f t f ä h i g k e i t sich aufser dem Stande der Gesellschaft n i e entwickeln Wurde, und dafs die sehr unvollkommne Art von F.ntwicklung, die der rohe Naturmensch auf den untersten Stufen des gesellschaftlichen Standes erhalten kaiin, dem Zweck der JNatut

£12

G e s p r ä c h s

kein Genüge tbut. Der unpolicierte Mensch ist nur so lange g u t , bis eine Leidenschaft in ihm erregt w i r d ; und alle seine Leidenschaften sind gewaltthätig, stürmisch und unbändig; seine Vernunft vermag wenig und meistens nicht» über seine animalischen Triebe, Jura negat

sibi nata,



lind er lebt daher in immer währender Unsicherheit und offner Fehde mit andern seines gleichen. Diefs treibt ihn zuletzt, früher oder später, in den Stand der pölicierten Gesellschaft; den einzigen der seiner Natur und Bestimmung gemäfs ist, und aufserhalb dessen er schlechterdings nicht werden kann, was er in dem allgemeinen System der Wesen Seyn soll. Er entsagt in diesem neuen Stande keinem seiner unverlierbaren Naturrechte, und erhält für das traurige Recht der Selbsthülfe, dessen er sich vermöge der Natur dieses Standes begeben mufs, in der Garantie seiner Sicherheit, die der Staat auf sich nimmt, mehr als Ersatz. Er unterwirft sich, um seines eigenen Besten w i l l e n , einer Regierung nach Gesetzen; er soll und darf aber keinem andern gehorchen, als dem ewigen Gesetz der Vernunft , und solchen positiven Gesetzen, die mit jenem in keinerley Widerspruch stehen. Kein Volk ist daher berechtigt, sich, weder für sich selbst, noch viel weniger für seine

1IRTE R

VXKK

AUGEN.

Nachkommen, der b l o f s e n W i l l k ü h r andrer Menschen zu unterwerfen. Absolute, oder despotische Demokratie, Aristokratie und Monarchie sind also drey gleich fehlerhafte und verwerfliche Regierungsformen, und würden, eben darum weil sie der menschlichen Natur Gewalt anthun, von keiner Dauer seyn können, Wenn sie sich nicht, in ihrer innem Organisazion sowohl als in der Regierungsverwaltung, mehr oder weniger eiuer v e r » m i s c h t e n F o r m näherten; wenn die Gewalthaber sich nicht selbst die Hände bänden, und sich gefallen liefsen , dafs ihrer wiJlkuhrJichen Macht durch Religion, altes Herkommen und Sitte, Rechte gewisser Korporazionen, und festgesetzte Ordnung in d.-r Justizpflege und Staatswirthschaft, Grenzen gesetzt würden, und das Ganze dadurch einige Selbstständigkeit erhielte. D a aber die Nothwendigkeit, zu Verhütung eines gröfsern Übels ein .kleineres, so lang« bis es ganz unerträglich wird, zu ertragen, von Seiten des V o l k s , und ein an blinden Gehorsam gewöhntes, gänzlich von ihm abhängendes Kriegsheer, von Seiten des D e s p o t e n , beynahe das Einzig« sind, was in solchen Staaten die Sicherheit des V o l k e s sowohl als der R e g i e r u n g ausmacht, und die A u f h a l t u n g der furchtbaren Katastrofe gröfsten Theils von der unbe-

G E S P R Ä C H E

atimmbaren W i r k u n g nicht immer liinlang» licher moralischer Ursachen 2 ) abhängt, die B e s c h l e u n i g u n g derselben hingegen durch einen alles mit sich fortreifsenden Strom zu» fälliger Ereignisse bewirkt werden k a n n : so dringt uns schon die blofse St,a a t s k l u g h e i t mächtige und gebieterische Bewegungsgrunde auf, s o l c h e n M ö g l i c h k e i t e n zuvorz u k o m m e n , und f r e y w i l l i g zu thun, w a s zu spät i s t , w e n n man es gezwungen thun mufs. Ich weifs w o h l , dafs Staaten so w e n i g als andre einzelne Körper e w i g dauern können: aber es bleibt darum nicht w e n i g e r w a h r , dafs manche grofse Monarchie, die seit vier tausend Jahren aus der R e i h e der D i n g e verschwunden i s t , durch Anwendung der gehörigen Mittel ihre Existenz um Jahrhunderte hätte verlängern können; und dafs nur ein Staat, w o r i n die persönliche Freyheit des Burgers und die Sicherheit seiner Person und seines Eigenthums mit dem unverletzlichen und unbestrittnen Ansehen der Regierung durch ein u n z e r t r e n n l i c h e s B a n d verknüpft, durch w e i s e Grundgesetze hinlänglich bestimmt, und durch eine w o H berechnete Vertheilung 2 ) Z. B. von der Religiosität des Volks, seiner Liebe zu «ler Person des Fürsten, der Sorgfalt des Hofes, immer für Panem et Circenses zu sorgen, u. dergl.

UNTER

VIER

AWGSN.

215

der höchsten Gewalt gesichert sind, auf innere u n d äufsere R u h e , allgemeinen Wohlstand, Respekt gebietendes Ansehen unter den übrigen M ä c h t e n , und langwierige Dauer mit einetn hohen Grade von Gewifsheit rechnen kann. D e r R u h m , aus eigner Bewegung d e r S t i f ter einer solchen Staatsverfassung zu seyn, ist, w e n n mich meine Ahndung nicht t r ü g t , irgend einem weisen und grofsmüthigen Könige in dem nächst kommenden Jahrhundert aufbehalten. Denn w i e viele Ursache auch d i e B r i t t e n haben mögen, in dieser Hinsicht auf die ihrige stolz zu seyn» so zeigt doch ihr gegenwärtiges augenscheinlichen S i n k e n , dafs sie wesentliche Fehler in ihrer Anlage haben müsse, welche der verbessernden Hand der weisesten Klugheit bedürfen. Indessen könnte sie immer, da sie doch die einzige in dieser Art ist, einem künftigen I j y k u r g zum Muster dienen, söwohl• dessen, was nachzuahmen, als was zu vermeiden oder besser zu machen wäre. G i s m u n d. Sie haben Ihr W o r t gehalten, mein Freund. Möchte doch Ihnen und mir die Freude werd e n , den T a g , sollt' es auch der letzte unsere Lebens seyn, zu sehen, da ein grofser Fürst — der durch eine solche That alle Trajane u n d

a i S

G I S P R Ä C I I * .

M a r k - A u r e l e weit hinter sich liefse Göttern und Menschen diefs herrliche Schauspiel au geben grolsherzig genug w ä r e ! W i e wohl getröstet könnten w i r dann diese« Leben verlassen, urn unsern Vätern die frohe Nachricht zu bringen, dafs es einen Staat in Europa gebe, w o es ihren Enkeln erlaubt und möglich s e y , im sichern Schatten eines ewig feststehenden Throns als f r e y e , gute und glückliche Menschen zu leben!

VI.

Die U n i v « r s a l - D e m o k r a t i e .

Frankgall. N u n , Holger, was sagst du zü der nöücn Europäischen Demokratie ? H o 1 g e r. Was für einer neuen Demokratie? wäre die? Wie hiefse sie?

Wo

Frankgall. Du borst ja, Europa. H o 1 g e r. Europa eine Demokratie? Frankgall. Sie liegt zwar noch auf dqm Ambofs; aber unsre Cyklopen sind scharf darüber her, Und

218

G E S P R Ä C H S

gedenken, noch ehe man lßoo zählt, damit zu Stande zu kommen, H o 1 g e r. Da müfsten sie hurtig arbeiten. Frankgall. Dünkt dich die Zeit zu kurz? Bedenke dafs es nur einen T a g brauchte, um den vierzehn* hundertjährigen Französischen Königsthron umzuwerfen ; nur einen Tag, um dem alten Bräutigam der Adriatischen See sein einst so mächtiges Horn abzustofsen; nur einen Tag, um die dreyfache Krone des Halbgottes, der einst die gröfsten Monarchen zu seinen Füfsen sah, in eine Freyheitsmütze zu verwandeln! Glaube mir, das Wenige, was noch zu thun ist, dünkt uns die leichteste Sache von der Welt. H o 1 g e r. Wohl nicht ganz so leicht, als die Herren Bürger sichs einbilden. — Wenn ihr euch doch die lächerliche Kinderey abgewöhnen wolltet, von den Hühnern, die aus noch ungelegten Eyern kriechen sollen, zu reden als ob sie 6chon da wären, und die Haut des Bären zu verhandeln, den ihr erst noch zu. schiefsen gedenkt!

» S I L »

V I E R

AVGEIT,

319

Frankgall. Das nennst du Kinderey ? Da irrest du dich mächtig, mein guter Holger! Diese vermeinte Kinderey ist einer von den politischen Handgriffen, womit man bey einem Volke, w i e das unsrige, Wunder thut. W i r haben ihn den alten Römern abgelernt. Indem wir uns das, was noch zu thun ist, so leicht vorstellen , und den glücklichen Erfolg so gewifs nehmen als ob er schon da wäre, so ist nicht nur die Arbeit selbst, durch den guten Muth womit wir sie angreifen, schon halb gethan, sondern eben darum, weil wir uns nicht aus» .lachen .lassen wollen, weil wir unsre Ehre für den Ausgang verpfändet haben, und entweder siegen oder uns' selbst für Gecken erklären müssen, so ist S i e g o d e r T o d immer unser Losungswort, und wir siegen, weil wir keinen Augenblick daran zweifelten, dafs wir siegen würden. H o l g er. Ihr seyd gefährliche Leute, das ist gewifs; und daher kann es auch nicht anders kommen, als dafs endlich die ganze Welt wie ein einsiger Mann gegen ei^ch aufstehen wird. Fra n k g a l l . Die ganze W e l t ? Davon geht nun gleich fürs erste manches gvofse Stück ab. Di»

22©

G e s p r ä c h ®

meinst doch n i c h t , dafs w i r uns vor den Türken, Persern und Mongolen, oder vor den Kaisern von Siam, Japan u n d Monomotapa fürchten sollen? H o 1 g e r. Als oh nicht in Europa selbst noch Mächte w ä r e n , die bis Jetzt eben keine grolse L u s t «eigen, sich von euch demokratisieren z u l a s s e n ! Fran kgall. Oh sie Lust dazu haben oder faicht, gilt uns gleich viel. W i r haben schon manche» durchgesetzt, w o z u sie eben so wenig L u s t hatten. I I o 1 g e r. I h r habt freylich noch vier bis fünf Millionen K n a b e n , Jünglinge und M ä n n e r , die ihr an die Schlachtbank führen k ö n n t , w e n n euch nichts daran gelegen ist, am Ende eine blofse Amazonen-Republik übrig zu behalten, mit der wir wohl auf die eine oder andre Art fertig w e r d e n wollen. Frankgall, D u vergissest, lieber Holger, dafs die vier oder fünf Millionen, die du uns todt machen willst, nicht aus Papierschnitzeln zusammen geleimt sind. Bis es s o weit kommt, dafs

U N T E R

V I E R

A U G B W .

221

unsre E l e g a n t e n , Inkroyabe-ln und M e r v e l l i ö s e n mit dem Bajonet arbeiten lernen müssen, werden eure Sechskreuzerhelden wohl auch sehr zusammen geschmolzen seyn. Aber dahin soll es n i c h t kommen, mein F r e u n d ! Siehst du denn nicht, wie einige unsrer furchtbarsten Feinde —• oder F r e u n d e , denn das sagt ungefähr gleich viel, w i e du weifst uns selbst in die Hand arbeiten ? Meinst d u , wir hätten ihre blinde Seite nicht schon längst ausfündig gemacht, und wiifsten nicht wie es im I n w e n d i g e n dieser prächtigen Kolossen aussieht ? w i r sahen nicht wie sehr sie sich furchten, wie. schwankend ihre Meinungen, wie ungewifs ihre Entschliefsungen, wie planlos ihre Mai'sregeln $ind? w i e wenig einer dem andern traut, u n d , was noch schlimmer f ü r sie ist, w i e wenig Vertrauen sie in sich selbst setzen? H o 1 g e r. W a s du nicht alles siehst! IShomm* de bicn, qui voyez tant

dechoses,

Voycz - vous -point mon venu ?

Irr der T h a t , mein lieber Seher, liegt es nur an dir, w e n n du nicht noch weit mehr siehest. I c h , zum Exempel, sehe Monarchien, die noch ihre ganze Stärke ungeschwächt bey-

£22

G E S B R Ä C H U

sammeti haben; andere, deren Hilfsquellen zwar angegriffen, aber so unermefslich sind, dafs es nur auf die Kunst sie recht zu benutzen ankommt; noch andre, die nur aus ihrem tiefen Schlaf zu erwachen brauchen, um zu fühlen, dafs sie Kräfte genug haben, sich für ihr Leben zu wehren. Ich sehe die grofse Beherrscherin ;der Meere, mit dem Reichthum der ganzen Welt in ihrem unerschöpflichen Füllhorn, euern ungeheuern Anstalten und noch ungeheurem Rodomontaden einen unbeweglichen Muth entgegen stellen, und, euerer ¡Deklamationen und Trugschlüsse und falschen Ausrechnungen des Interesse der Nazionera. spottend, die übrigen grofsen Mächte Europens durch das stärkste aller Bande, den Trieb der Selbsterhaltung, an ihr Interesse fesseln, und sie zu einer Vereinigung ihrer Kräfte vermögen, die einen gewaltigen Strich durch euere Rechnungen machen wird. Ich sehe Völker, die noch fest an ihren glücklichen Vorurtheilen, an der Religion ihrer Väter und an der Treue gegen ihre Erbfürsten hangen, und sich durch die schalen Blendwerke, Wortspiele und Sirenentöne, womit es euein Rednern eine Zeit lang gelungen ist, euer eigenes Volk und etliche andere zu täuschen, nie bethören lassen werden; am wenigsten seitdem euere Gewalthaber aller Klassen die

UNTER

VIEH

A V G • N.

223

ganze W e l t durch i h r e H a n d l u n g e n unterrichtet haben, dafs die F r e y h e i t , die ihr u n s a u f d r i n g t , S k l a v e r e y , euere Gleichheit Anarchie' u n d euere Freundschaft eine B r a u t von K o r i n t h i s t , die nicht eher abläfst, bis sie dem U n g l ü c k l i c h e n , den sie mit ihren kalten Armen umschlungerf h ä l t , alles Blut aus den A d e r n u n d alles M a r k aus den K n o c h e n gesogen hat. Frankgall. I c h bitte d i c h , alter F r e u n d , liafs es an. d e m , w a s d u da gesehen h a s t , g e n u g seyn, u n d erlaube m i r , bevor du dich in eine völlige Fieberhitze h i n e i n deklamierst, d i c h , w o m ö g l i c h , durch eine ganz gelassene Ubersicht dessen, w a s zunächst vor u n s l i e g t j w i e d e r so viel abzukühlen, dafs d i r auch das e n t f e r n tere etwas deutlicher erscheine, als es deine g e g e n w ä r t i g e E r h i t z u n g zuläist. D e n k e nicht, dafs u n s die n e u e K o a l i z i o n , w o m i t du u n s bedrohest, verborgen seyn könne. W i r haben, b e y allem unserm anscheinenden L e i c h t s i n n u n d Ü b e r m u t h , einen scharfen B l i c k ; u n d w e n n w i r u n s nicht fürchteil, so kommt es blofs d a h e r , w e i l w i r auf alles gefafst sind. Soll ich dir unser crofses Geheimnifs verraci t h e n ? I c h darf es, w e i l meine Verrätherey euch nichts helfen w i r d , u n d uns also n i c h t

2«4

G J S S P R X C H S

schaden kann. Simsons Stärke bestand in seinen Haaren; wurden ihm diese abgeschnitten, so war er nichts als ein gemeiner. Mensch: daher hätte er sein Geheimnifs nieuiand, am aller» wenigsten der schönen Delila, entdecken sollen. Aber u n s e r Geheimnifs gleicht den Sprüchen der S i e b e n W e i s e n , * ) die jedermann auswendig weifs, und darum doch nicht weiser ist, wiewohl die Quintessenz aller praktischen Weisheit in ihnen verborgen liegt. Also kurz und gut, unser Geheimnifs ist, dafs w i r den Werth ljnd die Wichtigkeit der mor a l i s c h e n U r s a c h e n kennen, und ihre Wirkung immer mit dem Stöfs der mechanischen Kraft gehörig zu kombinieren wissen. Damit allein haben wir die Dinge gethan, die ihr als Wunder anstauntet und euch nicht erklären konntet, wiewohl nichts begreiflicher ist. — Warum z. B. fürchten wir uns Wenig vor einer neuen Koalizion? Vermöge einer ganz einfachen Ausrechnung, von deren Richtigkeit wir gewifs sind. Wir rechnen mit ruhiger Sicherheit darauf, dafs jeder sich selbst der nächste ist; dafs niemand, ohne drin, gendste Noth seine eigene Existenz daran setzt, i ) Z. B. Kenne d i c h l e i b s t — N i c h t « eu v i e l — A l l e s zur gelegnen Zeit — S i s h a u f « E n d e , u. 8. w.

U N T E R

V I E H

A U G K K .

225

einem entfernten Freunde zu h e l f e n , der durch die kleinste

Veränderung

F e i n d werden kann. Interesse

das eigene

der Umstände

ein

W i r rechnen darauf, dafs jeder

einzelnen

Macht

einer solchen Vereinigung Schwierigkelten entgegen setzt, w e l c h e , w e n n sie

auch

auf die Seite geschafft w ü r d e n , verborgene G e w i c h t e volle W i r k u n g den.

und

endlich

immer,

als

Hemm k e t t e n ,

die

derselben zurück halten w ü r -

W i r rechnen d a r a u f ,

dafs

unter

unsern falschen Freunden keiner ist, Friedens nicht so bedürftig

wäre,

allen

der des dafs da»

dringende G e f ü h l dieses Bedürfnisses die entfernten und

ungewissen

Betrachtungen, jdie

ihn zu Erneuerung des Kriegs bewegen könnt e n , w e i t überwiegen mufs; und dafs diejenig e n , die uns als Feinde am geflilirlii listen wären, da sie entweder ihre eigenen Plane z u verfolgen, oder fremde z u vereiteln haben, immer mehr

Vortheil

dabey sehen, unsre

Freund-

schaft zu s u c h e n , als unsere Rache zu reitzen. Gesetzt aber a ü c h , es gelänge der Politik und dem Golde unsers einzigen noch übrigen Feind e s , alle diese Hindernisse z u heben, so rechnen

wir

darauf,

dafs unser Geschäft

schon

gethan seyn w i r d , ehe jene mit den Anstalten, uns daran zu h i n d e r n , fertig sind. »ind w i r

sicher,

Überdiefs

dafs uns niemand, ohne z u

Schanden dabey z u w e r d e n , auf unserm eigeWISLANDB sämmtl. W . X X X I . E.

P

220

G E S C A A C I I K

nen Grund und Beden angreifen kann; und damit diefs gar nicht mehr möglich sey, haben w i r uns mit neuen Barrieren umgeben, an welchen unsre künftigen Feinde sich die Zähne schon lange zuvor stumpf gr*bissen haben werden, ehe sie unsre alte Grenze erreichen, w o ein neuer, sehr ungleicher Kampf erst von vorn angehen würde. Auch will ich dir nicht verbergen, guter Holger, dafs wir ein wenig d a r a u f rechnen, dafs, wenn man uns dazu reitzen sollte, wenigstens zwey Drittel von Germanien in eben so kurzer Zeit demokratisiert seyn sollen als Helvezien und der Kirchenstaat, die sich vor*etlichen Monaten noch so wenig, als ihr in diesem Augenblicke, davon träumen Helsen, dafs der jüngste Tag ihnen so schnell, w i e ein Dieb in der Nacht, über den Hals kommen würde. Hast du an dem allen genug, alter Freund, oder soll ich dir noch mehr sagen? H o 1 g e r. Gesetzt also, dafs eure politischen Rechnungen richtiger kalkuliert wären, als man es von euern ökonomischen glaubt, was wäre denn also euer Plan , wenn man fragen darf? Frankgall. Warum nicht? Das ist gerade eines unsrec gröfsten Geheimnisse, dafs w i r kein Geheim-

UNTER

Visa

A V9 I K

jilfs aus unsern Planen machen; w i e w o h l ich «ben nicht jedem rathen möchte, es uns nachzuthun. Unsre Meinung ist, auf dem festen Lande mit der ganzen W e l t Friede zu machen; a w a r auf unsrÄ eigenen Bedingungen, doch so^ dafs jeder, an dem uns etwas gelegen ist, «eine Rechnung dabey finde. W e i l nicht alla L e u t e so hurtig sind w i e w i r , so werden wir, indessen dal» an hesagtem Frieden gearbeitet w i r d » unser Landungsprojekt — H 01 g e r

ihm in die Bede fallend.

Das scheint in der That jetzt die Liebling»« Unterhaltung euerer ganzen Nazion zu seyn, w i e eheinahls die Eroberung Siciliens das ein« zige w a r , woran die A t h e n e r wachend und schlafend dachten, wovon sie sprachen, wovon sie alle Vortheile ausgerechnet hatten, worauf sie tausend glanzende Spekulazionen gründeten, und w a s sie für so unfehlbar hielten, dafs, Wer sich unterstanden hätte, den geringsten Zweifel in den Erfolg zu setzen, seines Lebens nicht sicher unter ihnen gewesen wäre. W e n n es euch nun mit euerm Lieblingsprojekte g i n g a w i e den Athenern mit dem ihrigen ? Frankgall. So hätten w i r einen Gelüst gehiifst, u n d doch immer, mit einem etwas starken, aber

»28

G E S P R Ä C H E

einen Staatskörper wie der unsrige noch bey weitem nicht erschöpfenden Aderlafs, unsera» ohnehin schon durch überspannte Anstren^un. gen entkräfteten Erbfeind Wunden geschlagen, wovon er sich so bald nicht wieder erhohlen würde. Aber sey versichert, Holger, wenn wir nur einmahl auf Englischem oder Irischem Boden stehen, so wollen wir der Welt bal(i zeigen, dafs wir etwas mehr als Athener sind. Holger. Wenigstens werdet ihr d a r i n weiser als s i e seyn, dafs ihr euern B u o n a p a r t e , wenn er auch beschuldiget würde, allen Marienbildern , die noch in Frankreich übrig sgyn prägen, die Nasen abgeschnitten zu haben, nicht defswegen vorladen und zurück berufen würdet, wie die Athener dem A l c i b i a d e s thaten; wiewohl nur Er allein ihren Lieblingsplan auszuführen im Stande war. Gesetzt aber, es gelänge euch, England, Schottland und Irland zu erobern, und in eine, zwey, oder drey R e p u b l i k e n n a c h e u e r m B i l d e umzuscliaflen: sb fehlten denn doch wenig, stens noch zwey gute Drittel, bis ihr ganz Europa demokratisiert hättet. Frankgall. Ich verlange auch eben nicht, dafs du mir meijne Worte so gar buchstäblich auslegest;

Í N T E R

V I E K

A U G E N .

229

wiewohl mit Hülfe der Zeit viel geschehen w i r d , was sich nicht auf einmahl bewerkstelligen 1 äIst. Genug, dafs w i r bereits hinlängliche Beweise gegeben h a b e n , dafs das berühmte Tu

reveré

imperio populo!, memento!

Romane,

das lange zuvor, eh' es dem Virgil einfiel einen Hexameter daraus zu machen, mit Flammenziigen in die Seele eines jeden Römers geschrieben war, das grofse Geschäft ist, wozu w i r uns berufen f ü h l e n , und das w i r , auf eben dem W e g e u n d durch eben dieselben M i t t e l , wie die Römer, auszuführen wissen werden. H o 1 g e r. Auf die n e u e n Römer werdet ihr euch dabey wohl keine grofse Rechnung machen,? Frankgall. Schwerlich! w i e w o h l sie uns: gute Dienste t h u n können, um den Rest von Italien vollends demokratisieren zu helfen. D e n n w i r tragen kein Bedenken, die ganze W e l t wissen zu lassen, dafs wir mit unsern Freunden u n d Alliierten auf keinen andern Fufs zu leben gedenken, als die alten Römer mit den ihrigen. D i e Natur unsrer Revoluzion und unsre ganze

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G t í í R 1 CH l

Stellung gegen die übrige W e l t erfordert nun einmabl, dafs unsre Republik eine in i l i t a l i s c h e sey. Sie ist eine Tochter der Gewalt» und kann sich nur durch Gewalt erhalten. Aber eben das, was eine nothwendige Bedin. gung ihres Dasey«s ist, w i r d , durrh eine natürliche und unfehlbare Folge, die Quelle einer Übermacht sevn, welcher alle andre Völker werden huldigen müssen. Eine grofse Nazion, die immer in VValfen ist, den Krieg als ihr eigenes Handwerk treibt, und.immer Kri'ig fuhren k a n n , weil sie ihn blofs auf Kosten ihrer F e i n d e und F r e u n d e fuhrt, mufs notbwendig endlich alle übrigen zu ihren Fülsen sehen. Und mit weichein Grunde konnten sich unsre Freuade und Verbündeten darüber beklagMi, dafs sie 1 zu unsrer Gröfse beyzutragen verbunden sind? Da w i r ihnen gern erlauben werden, von ihren Naturprodukten» ihrem Kunstfleiis und ihrer Lage zur Handlung, ynter unserin Schutz, alle nur mögliche Vorthelle zu ziehen; da wir ihnen alle Quellen des> Reichthums, die wir selbst vernachlässig e n , zu benutzen überlassen, weil bey uns alles, sogar die Künste und Wissenschaften, blofs m i l i t ä r i s c h seyn wird: so ist nicht mehr als billig, dafs sie unsre Armeen unterhalten, und so oft w i r Geld brauchen, unsre Schatzmeister sind. W e n n w i r nun vollends,

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VIER

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durch Demütliigung oder gnnzliche Vertilgung unsrer groiseu Nebenbuhlerin, den E r d e r s c h ü t t e r n d e n D r e i z a c k in die Hand bekommen haben werden, wo wäre denn noch die Monarchie, die nicht unsre F r e u n d s c h a f t auf jede leidliche Bedingung suchen müfste? W o die Macht, die uns zum Kampf heraus fordern dürfte ? Sind wir aber erst s o W e i t , so können wir das übrige, was an der vollständigen Ausführung unsers Hauptplans noch fehlt, den llatbgebern, Günstlingen und Höflingen der Könige ruhig überlassen; sicher, dafs sie, w i e gewöhnlich, ( w i e w o h l ganz gegen ihre Meinung und Absicht) mehr für uns thun werden, als wir verlangen könnten, wenn w i r sie mit schwerem Gelde dafür bezahlten. H o 1 g e r. Auf das alles habe ich z w e y Dinge zu antworten, mein lieber Projektmacher. Fürs erste h a t , glücklicher W e i s e , die Diatur selbst dafür gesorgt, dafs ihr, wenn ein so ausschweifender Plan auch wirklich der öurige w ä r e , in dem Naeionalkarakter eueres eignen Volkes ein Hinderniis finden w e i d e t , das euch mehr zu schaffen geben und weniger überwindlich seyn w i r d , als alle äufserliclien zusammen genommen. W e n n ihr der Beweise dieser Wahrheit nicht schon so viele hättet, bedürfte es wohl

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eines stärkern, als die unbegreifliche Gleich« gültigkeit ist, womit der gröfste Theil euerer Burger die Fakzionen entscheiden läfst, wer die Nazion repräsentieren soll? Könnte etwas ^ungereimter seyn, als auf die Grundsätze und Gesinnungen eines Volks, das sein wesentlich« stes Interesse mit einem solchen Leichtsinn behandelt, Staat zu inachen, und ihm alle dieFestigkeit, Energie und Beharrlichkeit zuzutrauen, die e i n s o l c h e r P l a n bey ihm vor« aussetzt? Ihr seyd so w e n i g zu R e p u b l i k a n e r n und Nachfolgernder a l t e n R o m u 1 i d e n gemacht, dafs, wenn ein paar Armeen sich morgen für einen König erklärten, euer ganzes Volk, die Jakobiner und Tenoristen ab» gerechnet, vivele Roi schreyen würde, so lang« noch ein Laut aus ihrer Itehle ginge. Frankgall. Das könnte m ö g l i c h seyn; aber dafs es nicht w i r k l i c h werde, dafür, glaube mir, ist vor der Hand gesorgt. Wer kennt unser Volk besser als wir selbst? S'ey versichert, Jnein guter Holger, dafs die zum Theil sehr hellen Köpfe, die an der Spitze unsrer Republik stehen, genau wissen, wie. das Volk manipuliert werden mufs, und auf welche von seinen Eigenschaften sich rechnen läfst. Sie wissen sehr gut, ob sie schon in ihren

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A d r e s s e n a n d i e F r a n z o s e n das Gegen* theil zeigen, dafs die grofse Mehrheit der Nazion iin Herzen königisch gesinnt ist: aber was liegt daran, so lange die Armeen aus eifrigen Republikanern zusammen gesetzt sind, und unsre Regenten, um sie immer in dieser guten Stimmung zu erhalten, auch immer dafür sorgen werden, dafs es ihnen an Gelegenheit sich um das Vaterland verdient zu machen ( w i e wir's nennen) nie fehle! So lange diefs geschieht, wird unser Volk, das sein grofses Bedürfnifs, regiert und sogar despotisiert zu werden, lebhafter fühlt als irgend ein anderes, sich vermöge eben dieser leichtsinnigen Apathie, die du ihm mit Recht vorwirfst, auch der republikanischen Regierung so lange geduldig unterwerfen, als das Direktorium die Bedingungen auch nur halbweg erfüllt oder nur erfüllen zu wollen scheint, unter welchen jedes Volk in der W e l t sich, von einem jeden beherrschen läfst, der die Zügel einmahl in den Händen hat. H o 1 g e r. Ich bitte dich, nicht zu vergessen, dafs euer Volk ein wenig veränderlich, muckisch und wetterlaunisch ist, und bey der geringsten Veran. lassung eben so schnell aus der gedankenlose* ste« Schlaffheit zur leidenschaftlichsten Schwär«

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merey überspringt, als es aus dieser, wenn sie Vertobt hat, in jene zurück sinkt. Fra nkgall. Daher- ist freylich auf Seiten derer, die urts regieren wollen, Kuust, Vorsicht und Festigkeit nöthig; uri^l auch d a m i t würden unsre Funfmänner nicht auslangen, wenn sie nicht die Klugheit hätten, den übrigen Ingredienzien ihrer Staatsverwaltung immer noch ein wenig T e r r o r i s m beyzumischen. Unser Volk mufs behandelt werden wie ein stolzes und rasches Pferd, dem man immer schmeicheln und liehkosen , aber auch iimner den Schatten der Gerte zeigen mufs, H o 1 g e r. Und so hättest du mir also- alle Auswege abgeschnitten, und die U n i v e r s a l - D e m o « l i r a t i e w i r d , alles Einwendens und Sträubens ungeachtet, über kurz oder lang in euern Händen seyn ? — Nun, wenn es denn so seyn i p u f s , was bleibt mir übrig, als den h e i l i g e n A n k e r auszuwerfen, und — Fra nkgall. «— wie die S o l y t h u r n e r , zu hoffen, daf» der heilige S a n k t U r s mit einer Halbbrigade Engel vom Hinjmel herab stürzen, und die ver-

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Tüchten Feinde der Gotter und der Menschen mit seinem flammenden Morgenstern zu B o d e n schlagen werde 'i S e y ein M a n n , alter Freund, spare deinen heiligen Anker auf irgend einen v e r z w e i f e l t e n JNothfall, und nimm deine Z u flucht nicht eher zu den Zaubennitteln der E i n bildungskraft und des Glaubens, bis die Natur keine Hulfsquelle mehr h a t , und die Vernunft wirklich keine Möglichkeit entdecken kann, dem gefiirch eten Unglück zu entgehen. A u f richtig gegen dich zu s e y n , lieber Holger, ich 6elbst, w i e w o h l i c h , d'e'r Pflicht eine« guten B ü r g e r zu F o l g e , mit der gegenwärtigen Verfassung und Regierung meines Vaterlandes zufrieden b i n , — w e i l es nicht in meiner M a c h t stebt ihm eine bessere zu geben, — hin kein so abgöttischer Verehrer unsrer Konstitution, dafs ich glauben sollte, es sey aufser ihr kein H e i l f ü r die Menschheit; oder dafs ich die Universal» Demokratie, womit irh dich erschreckt habe, nicht fiir den letzten Schritt zu einer allgemeinen Barbarey und V e r w i l d e r u n g ansehen spllte. Aber ehe es mit dqm bereits so aufgeklärten und durch eigene und fremde E r f a h r u n g e n so sehr gewitzigten E u r o p a zu dieser E x t r e m i t ä t kommen miifste, giebt es w o h l noch mehr als E i n e n A u s w e g , und ich selbst — dem du es w o h l nicht angesehen hättest — w e i f s dir ein sehr e i n f a c h e s , der Stufe unsrer K u l t u r w ü r -

G E S P R Ä C H E

diges, leicht auszuführendes, u n d , w i e mich diiukt, u n f e h l b a r e s Mitte], dem Übel zu« vorzukommen» H o 1 g e r, O du grofser und benedeyeter Helfer ia der Noth, sage an, was hast du uns noch f ü r ein A r k - a n u m im Rückhalt, welches, wenn es diese Eigenschaften hätte, dem Stein der Weisen selbst an W e r t h gleich zu schätzen wäre ? Frankgall. Käthe, H o l g er. Davits

sum

non

Ocdipus.

Frankgall. Im E r n s t , du kannst es nicht errathen? H o 1 g e r. I n ganzem E r n s t , nein! Frankgall. Es kann nichts leichteres und einfacheres erdacht werden, H o 1 g e r. D u -machst mich ungeduldig.

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Frankgall. W e n n ich dirs gesagt habe, so wird mifs damit g e h e n , w i e dem Entdecker der neuen W e l t mit dem Geheimnifs, ein E y auf die Spitze zu stellen: du wirst lachen und sagen, ist« nichts als das? H o 1 g e r. Ich bitte dich, lafs es gut' seyn, und quäle mich nicht länger. Fra nkgall. N u n so wisse denn, Freund HoJger, es i#t nicht mehr und nicht weniger, als der einfältige wohlgemeinte Gedanke: die noch übrigen unumschränkten Könige sollten freywillig und aus eigner Bewegung — H o 1 g e r. — von ihren Thronen herab steigen u n d ihre Suveränität dem Volk überlassen? Frankgall. Nein! nur — die Verfassung von G r o f s » b r i t a n n i e n in ihren Reichen einfuhren. Holger. Und dadurch, glaubst d a , w ü r d e n sie und ihre Unterthanen glücklicher seyn, und der

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Katastrofe, die du nur erst als unvermeidlich zeigtest, entgehen? Soll etwa die beneidenswürdige G l ü c k s e l i g k e i t der Britten, ihr« Z u f r i e d e n h e i t mit ihrer geaenwiirtigen Regierung, der b l ü h e n d e Z u s t a n d ihrer F i n a n z e n und ihrer S t a a t s s c h u l d , und ihr© t i e f e S i c h e r h e i t vor den Folgen der ihnen angedrohten L a n d u n g , unsre Monarchen au einem so beyspiellosen Schritte reitzen? Frankgall. D i e Brittische Konstitution ist vortrefflich; darin stimmten die gröfsten Denker und Staats« kundigen unsers Jahrhunderts immer übereinj aber sie war das Werk des Moments, und sie hat ( w i e unsre Konstituzion von 1 7 9 5 ) Fehler, deren Wichtigkeit nur die Erfahrung entdecken kannte, und für deren natürlich» Folgen sie jetzt büfsen. Naturlicher Weise lhüfsten -alle diese Mangel und Gebrechen verhiieden werden. So ist z. B. das P a r i a m e n s in England nicht f r e y genug; denn der Einflufs des Hofes neutralisiert beynahe alles, was auch eine wirklich vaterländisch gesinnte Op« posizion zum Besten der Nazion wirken könnte. U n s r e Konstituzion von 1 7 , 1 setzte die königliche Würde viel zu tief herab, so tief, dafs der Thron, und sie mit ihm, fallen mulste : hingegen ist die Macht der Brittischen Krone so

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grofs, dafs sie ihre unbestimmten Grenzen, auE Unkosten der Volksrechte, so lange erweitem kann, bis für diese gar kein Raum mehr übrig bleibt. Der König also, der den grolsen und wohltbätigen Gedanken Fafste, «einem Volke a u s e i g n e r B e w e g u n g eine Konstituzion zu geben, worin Freyheit mit Ordnung und Sicherheit unzertrennlich verbunden wäre, inüfste Einsicht und Seelengröfse genug haben, um sich selbst, und denen, die entweder als seine Rathgeber und Vollzieher seines Willens an der Regierung Theil haben, oder deren Werkzeug er, ohne es gewahr zu werden, selbst ist, die zur Sicherheit und zum Gluck des Staats nöthigen Schranken zu setzen, ohne darum die Majestät des Throns zu verletzen, und das königliche Ansehen den Eingriffen herrschsüchtiger und eigennütziger Volksvertreter preis zu geben. H o 1 g e t. Hierin die richtige Mittelstrafse zu treffen,' o dürfte schon in der blofsen Theorie weit schwerer seyn als du dir vorstellst, Frankgall. Ganz und gar nicht: im W o l l e n allein liegt die Schwierigkeit. Dafs sich für uns AdamsItinder keine ganz vollkommene, alle Knoten rein auflösende, alle Forderungen der Vernunft

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erfüllende, keiner Reibung, keiner Schwächung ihrer Springfedern unterworfene, mit Einem Worte keine e w i g e und u n v e r g ä n g l i c h e Staatsverfassung erdenken lasse, versteht sich von selbst. Die b e s t e ist — die mit den wenigsten Gebrechen behaftete. Um die Brittische Konstituzion so fehlerfrey zu machen als irgend ein Menschenwerk seyn kann, bedürfte sie nur weniger Modiiikazionen. — Mehr Gleichheit in der Repräsentazion — eine kürzere Dauer jeder Parlamentssitzung — eine bessere Polizey bey der W a h l der Repräsentanten — und eine Einschränkung des königlichen Vorrechts, so viel Mitglieder des Oberhauses zu machen, als dem König oder den Ministem beliebt; — schon allein diese Verbesserungea würden eine treffliche Wirkung thun. tlolger. W e n n du etwa einen König finden solltest, der deinem Rathe Gehör gäbe, so bitte ich dich, auch eine kleine Einschränkung des Rechts, n a c h W i l l k ü h r mit andern Mächten Händel anzufangen, oder Verbindungen einzugehen, Wovon sein unschuldiges Volk am Ende das Opfer wird, nicht zu vergessen. D i e Billigkeit , dafs die Nazion zu einer sie so nahe betreffenden Sache auch ein Wort zu reden habe, leuchtet, hoffentlich, von selbst in die Augen —

u n t e r

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Augen.

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Frankgall. Erinnere dich, lieber F r e u n d , dafs hier nichts zu r a t h e n ist, u n d dafs mein A r k a n u m nur dann helfen k a n n , wenn man au« eigner Bewegung Gebrauch davon machen, wollte. H o 1 g e r. So besorge ich sehr — Frankgall. Besorge lieber nichts. W i r haben seit zehn Jahren noch w e i t unwahrscheinlichere D i n g e erlebt. Lafs uns vielmehr hoffen, was w i r wünschen; und da wir doch wenig mehr als nichts zum Besten d f r W e l t zu t h u n vermögen , wenigstens nicht v e r z w e i f e l n dafs alles noch besser werden könne; £>_ vogue la galère Tane que -pourra voguerl

Wiilawds (Smmtl. W. XXXI. B.

Q

VIJ. Würdigung der Neufränliischen Republik aus zweyerley Gesichtspunkten.

R a y m u n d. ( j l a u h e n Sie mir, W i l i b a l d , so lang' es zwischen dem Atlantischen Meer und dem Rhein noch Männer giebt, d i e , von einem tiefen mit ihrem Selbstbewufstseyn verschmolzenen Gefühl d e r W u r d e d e s M e n s c h e n durchdrungen, die F r e y b e i t , als nothwendige Bedingung derselben, und die R e p u b l i k , als die einzige Regierungsfonn, die ihr angemessen ist, liber alles lieben, kein Interesse kennen, das sich nicht in dem Interesse derselben verlieren mufste, keinen Gedanken, keine Sorgen, keine Wünsche haben als für die Republik, und in jedem Augenblicke bereit sind, ihr, die ihnen Alles ist, ihr ganzes Selbst

G E S P R Ä C H

B.

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aufzuopfern, — so lang' es noch s o l c h e M e n s c h e n unter uns g i e b t , w i e klein auch ihre Anzahl seyn mag, sp lange w i r d die Republik bestehen, und wenn gleich die halbe W e l t sich gegen sie verschwüre» Sie hat keine Feinde zu furchten als die i n n e r n. Aber, w e n n auch Unser böser Qenius neue M a r a t und R o b e s p i e r r e , neue C o l l o t d ' H e r b o i s , S a i n t j ü s t und L e b o n gegen sie aufstehen liefse; W e n n e i n neuer 3 i s t e r M a y alle Wahren

Re-

publikaner an Einem Tage schlachtete: so w i r d ihr Blut, w i e man eheinahls von dem Blute der M ä r t y r e r sagte, u n s e m der Freyheit auf e w i g geweihten Boden mit neuen Heldea befruchten ; ihr Geist w i r d in ihre Gebeine w e h e n } sie werden unter ändern Nahinen wieder aufleben , und den schönen Kampf mit der T y » Iranney und (fen Lastern von ueuem beginnen» um ihn so lange fortzusetzen, bis ihr letzter Sieg alle Feinde der F r e y h e i t , der Tugend und der Menschheit ausgerottet haben wird* Wilibald

kalt und ruhig.

Ich hegreife, mein lieber Raymund # teig mait mit einem s o l c h e n Glauben W u n d e * thun kann; u n d , wievfrohl mich die INatur auf dieser Seite etwas stiefmütterlich behandelt hat, so fühle ich doch die Achtung, die diesem hohen Enthusiasmus gebührt, und

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G E S P R Ä C H E

betrachte es als die schönste W i r k u n g der Revoluzion, dafs sie s o l c h e M e n s c h e n aus der Dunkelheit hervor gezogen, und ihnen Gelegenheit gegeben hat, die Stelle einzunehm e n , und die Rolle zu spielen, die so erhabenen JNaturen zukommt. R a y m u n d. Sie mögen diefs aus Ironie oder im Ernst sagen, so haben Sie die Wahrheit gesagt. Wilibald. Und gleichwohl, weil weder uns noch der Republik mit Selbsttäuschung gedient seyn kann t dürfte nöthig seyn, die reine Begeisterung der Wahrheit und Tugend von dem Fanatismus gewisser mit zu viel brennbarem Stoff angefüllter I m a g i n a z i o n s - M e n s c h e n ( w e n n mir dieses Wort erlaubt i s t ) wohl zu unterscheiden, welche von den blofsen in Rauch und Dampf gehüllten Idolen jener Gottheiten so heftig begeistert und in so sturmische Leidenschaften gesetzt werden, dafs ihre Vernunft unmöglich frey und heiter genug seyn k a n n , um gewahr zu werden, dafs ihre Leidenschaft einem blofsen Truggespenst nachjagt^ welches siö, und alle die ihnen folgen, auf Irrwege verleitet, und* vielleicht zuletzt in grundlose Sümpfe oder halsbrechende Abgründe stürzen wird.

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v i e r

AUGENI

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R a y n\ u n d. Ich zweifle ob ich Sie recht verstehe.'

Ich

bitte, erklären Sie Sich deutlicher, Wilihald, Sehr gern D a ich Ihre Revolution vom A n f a n g an mit dem ganzen Interesse eines unbefangenen Weltbürgers, so gut als mir möglich w a r , beobachtet habe, so hätte ich blind 6eyn müssen, wenn ich unter denen, die f ü r die gute Sache der Freyheit am meisten gethan und gelitten haben, nicht z w e y , bey aller ihrer Ähnlichkeit sehr wesentlich verschiedene Arten von Menschen unterschieden hätte: wovon die einen, w e n n ihre Grundsätze und Mafsregeln hätten durchdringen können, die Revolution zu einer linermefslichen Wohlthat für Frank* reich gemacht haben w ü r d e n ; die apdern hingegen, w e i l sie mit den ihrigen durchdrangen, die iNazion in einen Abgrund von Jammer mit sich hinab zogen, woraus sie sich zwar seit Einführung der Konstituzion von 1 7 9 5 allmählich wieder empor arbeitet, abe^ mit so vielen Wunden und Geschwüren, dafs, ohne eina nochmalilige schmerzliche Wiedergeburt, w e n i g Hoffnung da zu seyn scheint, sie jemahls in den Zustand einer blühenden und dauerhaften Gesundheit hergestellt zu sehen.

G S S B R Ä C H « R a y m u n J, Ich merke, w o Sie hinaus wollen und w a | für Männer Sie meinen. Aber, ich bitte Sie, Welch ein armseliges Resultat wäre aus der Kßpitulazion heraus gekommen, die Ihre wohlmeinenden Allervfreltsfreupde zwischen Licht und Finsternifs, Filosofie und Fairatism, Freyheit und Knechtschaft, Volksrechten und aristokratischen Usurpazionen, stiften wollten? Ich räume Ihnen, willig ein, dafs ein B a i l l y , ein M a l o u e t , ein R o l a n d , ein A n d r e a s C h e n i e r , und die Wenigen, die man ihres gleichen nennen kann, tugendhafte, aufgeklärte und das Vaterland redlich liebende Männer waren : aber ihre Seele, w i e grofs und thätig sie auch innerhalb der Grenzen ihres Gesichtskreises seyn mochte, hatte nicht Energie und Freyheit genug, sich bis zur Idee der r e i n e n D e m o k r a t i e zu erheben, aufser welcher keine Freyheit, keine wirkliche Ein* Setzung der Menschheit in den Genufs aller ihrer Rechte und ihrer ganzen W u r d e , denk* bar ist. Hätten sie durchdringen können, so wäre wahrscheinlich ein Mittelding von einer Regierungsform, w i e die Brittische, das höchste gewesen, was w i r mit allen den gräfsli* eben Erschütterungen und Konvulsionen der Jahre ßitt und äuUerliche, Form können Frankreich zu einer Republik inachen, so lange die grofse Naaion in allen wesentlichen Zügen ihres Karakters eben dieselbe ist und bleibt, die sie ehemahls w a r . JDie Menschen machen die Republik, nicht die Konstituzion. Einein Menschen, dessen ganze Naturanlage, Erziehung, bitten und grvyoi nta Lebensweise mit dein Karakter eines wahren Republikaners in oiFenbarem Widerspruch Stullt, zu befehlen, dais er sich plötzlich in einen Republikaner verwandle, heilst einein Invaliden mit hölzernem Beiue zumuthen, dais er ein Pas de deux mit V e s t r i « tanze. Euer Volk ist nicht zur republikanischen S o f r os y n e gemacht; es kennt k'eine Mittellinie zwischen dem Aufsersten zu beiden Seiten; e a m u í s d e s p o t i s c h r e g i e r t w e r d e n , oder e s i s t g a r n i c h t z u r e g i e r e n . W a s ist» nun, da£s ihr die Benennungen geändert h a b t ? Ihr hattet Herren, die n i c h t mehr sind, w e i l ihr euch in einer Anwandlung-von Fri-yheitsdrang in den Kopf setztet, keine mehr haben zu wollen; und ihr habt euch andere

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gegeben, die sich B ü r g e r nennen lassen, Eliemahls war euere Regierung despotisch unter einer monarchisch - aristokratischen Form; jetzt ist sie despotisch unter einer pentarchischdemokratischen. Der Unterschied ist wahrlich des grofsen Aufhebens nicht w e r t h , das man davon macht. Unglücklich getiug für die M e n s c h e n , dafs es nun einmahl ihr Loos ist, immer mit Worten zu spielen und immer durch W o r t e getäuscht zu w e r d e n : aber die Natuf bleibt darum nicht weniger was sie ist. So ist e», z. B. blofser Mifsbrauch der Worte, w e n n man Despotism mit T y r a n n e y für gleichbedeutend nimmt. Trajan, Mark-Aurel, Friedrich der Einzige, Josef der Z w e y t e , waren Despoten, und werden ewig Muster trefflicher Regenten bleiben; w o h l dem Volke, dem alle hundert Jahre einer ihres gleichen zu Theil w i r d ! Ich bin also weit entfernt, euerer dermahligen Regierung die Verdienste die sie sich in mehrern Hinsichten um Frankreich erw o r b e n h a t , abzusprechen, indem ich sie ' d e s p o t i s c h nenne: ich läugne nur, dafs sie republikanisch ist, und berufe mich der Kürze halben auf den igten Fruktidor und das ganze Benehmen euerer Regierung seit dieser Epoke. R a y m u n d. Der igte Fruktidor w a r der zweyte Geburtstag der Republik: ohne ihn wäresie nicht mehr;

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ohne ihn wüfde Frankreich in alle Graue] der Anarchie, des Terrorisrn und des wüthendsten Bürgerkriegs zurück geworfen worden seyni Die Konstituzion m u f s t e verletzt werden, weil kein anderes Mittel da war sie au retten. Wenn das weltbekannte Triumvirat unsers Direktoriums sich jemahls ein Recht erworben hat, ewig als die F.rhalter des Vaterlands und der Bepublik gefeiert zu werden, so vvars am igtenFruktidor. Wilibald. Ich würde selbst nicht ermangeln, ihre Büsten in meinem Lararium aufzustellen, wenn sie durch einen nothwendigen Bruch in die Ronstituzion eine w i r k l i c h bestehende und r e c h t » a1 ä 1 s i g ; bestehende Republik gerettet hätten. Aber Frankreich ist keines von beiden: j e n e » soll sie erst durch eine künftige E r z i e h u n g werden, die euere eifrigsten Republikaner selbst kaum für möglich halten; d i e s e s kann sie lüemahls, oder, wenn Sie es schlechterdings wollen, beides nur durch e«i doppeltes W u n der werden. R a y m u n d. W a s für ein W u n d e r , darf?

wenn ich bitten

2 n as, unter unsrer verdorrten Kürbifslaube mit dein lieben Gott zu hadern anfingen, würde etwas dadurch besser werden ? — Aber, w e i l Sie doch wollen, dafs ich ernsthaft seyn soll, so nehmeri Sie wenigstens ein W o r t des T r o s t e s von mir an. Man schmählt und zürnt über das immer weiter um sich fressende leidige Revoluzionswesen, und will mit offnen Augen nicht sehen, dafs eine höhere Macht die Hand im Spiele h a t ; dafs eine von

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den grofsen Spindeln der P l a t o n i s c h e n P a r z e n abgewunden, ein grofser tn o r a 1 i« s c h e r C y k l u s durchlaufen, und eine Revo« luzion in der g a n z e n M e n s c h h e i t im Schwung ist, wodurch sie sich zuletzt auf ein mahl, zu ihrem eigenen Erstaunen, um ein beträchtliches vorwärts gerückt sehen wird. U n d wehe u n s , wenn es anders waref! D e n n War' es n i c h t s o , so würde — da bey aller unsrer K u l t u r ' u n d Aufklärung, es endlich mit der allgemeinen Verderbnifs des Herzens, der Triebfedern, Grundsätze und Maximen bereits bis zur stinkenden Fäulnifs und zur Auflösung alles bindenden L e i m s , der die menschliche Gesellschaft noch bisher im Stand eines leben« digen Korpers erhalten h a t , gekommen ist — so w ü r d e , sage ich,' ohne diese Umbildung zu einem n e u e n L e b e n , wozu ich in allem, w a s um uns vorgeht, geheime Zurüstungen tmd Anstalten zu sehen glaube, nichts anders als eine gänzliche moralische Verwesung erfolg e n , und das scheufsliche Aas, wenn es endlich ausgegährt hätte, in Staub und modernde Knochen zusammen fallen müssen. Dank sey dem Himmel, dal» noch Rettung möglich ist! dafs eine f r e y e , edle, aufrichtige Verbindung der Mächtigen und W e i s e n , zu gründlicher Heilung der moralischen Todkrankheit unsers Zeitalters, den grofsea Ü b e l n , die auf uns

tJNTSn

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und unsre Nachkommenschaft heran dringen, noch zuvorkommen könnte! Wollen die Mächtigen n i c h t , —- denn aufs W o l l e n allein kommt es hier an — so wird das grofse W e r k der Natur darum nicht weniger seinen Riesengang fortgehen. Könnten wohl Kastor und Pollux, Herkules und Theseus, und alle Starke^ der alten, mittlem und neuen Zeiten zusammen genommen,'mit ihren vereinigten Armen, einen Kometen in seinem L a u f aufhalten? Wahrlich, Freund, eben so w e nig werden alle Despoten, Demagogen, Hie« röfanten und Sofisten der ganzen W e l t mit Vereinigter Gewalt diese grofse s i t t l i c h e R e v o l u z i o n aufhalten, zu welcher alles vorbereitet ist, zu welcher sich alles hinwälzt, und die, wenn gleich unmerklich, mit jedem, Augenblicke sich dem Punkt ihrer Reife und Vollendung nähert. — Sind Sie nun zufrieden, Walther? oder Was verlangen Sie noch mehr? Walther. Nichts, als — dafs w i r den Zeitraum bis aur Erfüllung Ihrer Weissagung schon hinter unserm Rücken haben möchten!

IX. Über die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g .

Egbert. S i e haben Sieb schon mehrmahls auf die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g berufen, Sinibald, und mit einem Ton, als ob Sie ihr nicht weniger Gewicht zugeständen, als «Tie Alten dem a l l g e m e i n e n V o l k s g l a u b e n (consensus gentium * beyzulegen pflegten. Darf ich fragen, was Sie unter der öffentlichen Meinung verstanden haben wollen? Denn ich bekenne, dafs ich noch nie mit mir selbst habe überein kommen können, was ich bey dieser vieldeutigen Benennung, die man in unsern Tagen so oft zu hören bekommt, eigentliches und bestimmtes denken soll. S i n i b al d. Und ich bekenne Ihnen eben so unverhohlen, dafs mich Ihre Frage in einige Verlegen-

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heit setzt. Es wäre doch närrisch genug, wenn bey dieser Gelegenheit heraus käme, dafs ich nicht mehr von der Sache wisse als Sie selbst, und mit tausend andern wackern Leuten treuherzig an eine öffentliche Meinung geglaubt, von ihr gesprochen, und ihr wer weifs was für geheime Zauberkräfte zugeschrieben hätte, ohne etwas bestimmteres dabey zu denken, als man gewöhnlich bey Redensarten denkt, von denen man sich einbildet, dafs sie einem jeden verständlich seyen, wiewohl unter zehen vielleicht ein jeder sich etwas anderes dabey vorstellt. Auf aile* Fälle dürfte sie wohl unter die Dinge gehören, wovon sich leichter sagen läfst, was sie n i c h t sind, als was sie sind. Egbert. Ich kann nicht bergen, dafs die schwankende Bedeutung , unter welcher dieser Ausdruck im gemeinen Leben so oft gehört wird, mich beynahe auf den Gedanken gebracht hätte, es gebe gar keine Öffentliche Meinung. S i n i b a 1 d. D a hätten Sie doch wohl einen zu raschen Schluis gemacht? Egbert. Ich erkläre mich. Was ich damit sagen w i l l , ist nicht, dafs das Volk gar keine Mei* WlKXiAvss sümmtl. W. XXXI. E.

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Bungen habe; noch weniger, dafs-eine Grilje, die es sich in den Kopf gesetzt hat, nicht, unter besondern Umständen, für den Augenblick von einer grofsen und fürchterlichen Wirkung seyn könne: sondern nur, dafs es so veränderlich und wetterlaunisch, so wenig mit sich selbst in seinen Meinungen übereinstimmend, und so geneigt und gewohnt sey,' blindlings hinter einem Anführer herzutraben, dafs im Grunde bey seinen Meinungen nicht mehr, und nur allzu oft weniger Gutes heraus komme, als wenn es gar keine hätte. Sinibald. Hier wäre also gleich eine Gelegenheit, Heber Egbert, wo ich Ihnen sagen könnte, was die öffentliche Meinung, nach meinem Begriff, n i c h t ist. Ich denke aber, wir kommen am kürzesten aus der Sache, wenn w i r , bevor wir untersuchen, ob es eine öffentliche Meinung gebe, und wie viel oder wenig Aufmerksamkeit sie verdiene, erst zwischen uns selbst festsetzen, was für einen Begriff wir mit dem Wort ö f f e n t l i c h e Meinung verbinden. Tch meines Orts verstehe darunter eine Meinung, die bey einem ganzen Volke, hauptsächlich unter denjenigen Klassen, die, w e n n s i e i n M a s s e w i r k e n , das Ubergewicht machen, nach und nach Wurzel gefafst,

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und dergestalt überhand genommen hat, dafs man ihr ällentlialbifn begegnet; eine Meinung, die sich unvermerkt der m e i s t e n K ö p f e bemächtigt hat, und auch in Fällen, wo sie noch nicht laut zu werden wagt, doch, gleich einem Bienenstock der in kurzem schwärmen w i r d , sich durch ein dumpfes, immer stärker Werdendes G e m u r m e l ankündigt; da sie dann nur durch einen kleinen Zufall Luft biskoölmen d a r f , um mit Gewalt hervor zu brechen, in kurzer Zeit die gröfsten Reiche umzukehren, und ganzen Welttheilen eine neue Gestalt zu geben. Egbert. W o h l ! Ich lasse mir diese Bedeutung des Wortes gefallen; und, diefs vorausgesetzt, sage i c h : dals ein ganzes Volk, oder, was ich für eben dasselbe gelten lassen w i l l , die grofse Mehrheit eines Volkes, keine solche öffentliche Meinung häbe, und dafs es blofse Täuschung sey, wenn w i r etwas, das ihr Daseyn zu begründen scheint, bey einem Volke wahrzunehmen glauben. W a s man für die öffentliche Meinung ausgiebt, ist immer die Meinung und der Wtinsch einer kleinen Anzahl von Köpfen, denen daran gelegen ist, das Volk zum Werkzeug ihrer Absichten zu machen, und die daher ihr möglichstes thun, das Feuer,

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«las sie anblasen, ajlgenjein . zu machen. Auck ist es ihnen wohl zuweilen gelungen, ganze Nazionen zu fanatisieren; aber, wenn hundert tausend Arme sich auf einmahl heben, so geschieht es nicht, weil es von eben derselben ^ M e i n u n g , 60ildem w e i l sie von eben demselben S t ö f s in Bewegung gesetzt werden, "yVober sollte auch dein Volke, dem rohen und unwissenden, im Denken ungeübten und eines blinden' Glaubens an seine Obern gewöhne n Volk, eine andre gemeinschaftliche Meinung kommen, als die ihm entweder von sei? uen Lehrern* oder von den Gewalthabern im Staat eingeprägt w i r d ? Die Männer, die sich in vergnüglicher Selbsttäuschung überreden, dafs sie die ganze Welt mit dem Liebt ihrer Weisheit erfüllen, oder mit dem Feuer ihres Genius durchglühen, sind dem Unendlich gröfsern Theile des Volkes, unt^r welchem sie leben» nicht einmahl dem Nahmen nach bekannt, und haben ganz und gar keinen Einflufs auf die Meinungen desselben. Die V o l t a i r e n und R o u s s e a u s , die M o n t e s q u i e u s u n d M a b l y s könnten Jahrhunderte lang schreiben , das Volk weifs nichts davon, kümmert sich nicht darum, und bleibt den Meinungen seiner Grofsmütter getreu. Kommt es qber jemahls, aus Ursachen, woran das Volk im Grunde ganz unschuldig ist, zu einem Auf-

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rahr im Staate, so wirkt der erste beste hosenlose Tollkopf, der auf einen Tisch steigt und mit donnernder Stentorstimme einem sich um ihn her drängenden Haufen Unsinn predigt, in zehn Minuten mehr, als die scharfsinnigsten und beredtesten Aufklärer, Weltverbesserer und Utopien - Drechsler in der ganzen W e l t in hundert Jahren. Denn er setzt fünf hundert Brauseköpfe seiner A t t in Bewegung, die in* eben so kurzer Zeit fünf tausend andere mit sich reifsen. Der ungeheure Schneeball w i l d im Fortwälzen immer fürchterlicher; eine Myriade von Wahnsinnigen steckt die andre a n ; diejenigen, die es nicht s i n d , sind gezwungen, um desi Lebens sicher zu seyn, es zu s c h e i n e n : und so steht, ehe man Zeit hat «ich umzusehen, ein ganzes Reich in vollen Flammen, ruft eine ganze Nazion w i e aus Einem TIalse Freyheit und Gleichheit aus, ohne dafs die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g das geringste zu allein dem Unwesen beygetragen h a t ; da vielmehr im Gegentheil, sobald sich der erste Sturm legt, sogleich tausend verschiedene Meinungen zum Vorschein kommen, über welche man einander in die Haare geräth, und in deren Nahmen man nicht aufhört einander die Hälse zu brechen, bis sich endlich wieder eine G e w a l t hervor thut, die den Leuten durch Bajonette, Flintenkol-

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t>en und Guillotinen zu erkennen g i e b t , ' w a s s i e m e i n e n s o l l e n . Diefs, lieber Sini» Bald, ist die wahre Geschichte der Volksmeinungen mit wenigen Pinselstrichen nach dem Leben dargestellt! Wenigstens mufs ich gestehen, dafs mir in der Welt, so weit ich sie kenne, nichts ^ufgestofsen ist, das dem, was Sie Sich -unter der öffentlichen Meinung denken, ähnlich wäre. S i n i b a l d lächelnd.

Die, Sache wäre also hiermit auf'einmahl ahgethan, und mir bliebe nichts übrig, als, Ihnen meinen Beyfall anzuklatschen und mich, zu empfehlen, Egbert. •Verzeihen Sie l Ich habe Ihnen blofs m e i n « Meinung von der Säche gesagt, und ich bin sehr bereit zu hören, was Sie mir dagegeneinwenden wollen. Sinibald. Nein, lieber Freund! auf d i e s e m W e g e würden wir nicht weiter kommen, als dafs am Ende jeder mit seiner Meinung davon ginge; und das können wir besser jetzt gleich thun, und uns den vergeblichen Wortwechsel und die verlorne Zeit ersparen. Wenn Sie,

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w i e T r i s t r a m S h a n d y s a g t , die W a h r h e i t als e t w a s , das w i r noch nicht haben u n d eina n d e r suchen helfen w o l l e n , betrachten könn e n , so b i n ich I h r M a n n ; w o nicht — Egbert, G u t , g u t ! I c h gestehe g e r n , dafs ich zu einseitig w a r ; u n d u m zu b e w e i s e n , w i e willig ich b i n , I h n e n , w a s Sie finden w o l l e n , s u c h e n zu, h e l f e n , lassen Sie u n s damit a n f a n gen-, genauer zu b e s t i m m e n , w a s f ü r e i n e n Begriff w i r , w e n n die R e d e von öffentlicher M e i n u n g u n t e r einein Volke i s t , mit dem W o r t e V o l k verbinden. S i n 1 b a 1 d. I c h f ü r m e i n e n Theil k e i n e n a n d e r n r als den g e w ö h n l i c h e n , den der Sprachgebrauch festgesetzt h a t , w i e ich m i c h vorhin schon erklärt z u haben glaube, Egbert, I c h erinnere mich sehr w o h l , dafs Sie besonders derjenigen Klassen e r w ä h n t e n , „ d i e , w e n n sie i n M a s s e a u f s t e h e n , das U b e r g e w i c h t machen." Sollten. Sie w o h l hieru n t e r auch d i e nervigen Erdens und entferntem U r s a c h e n dieses Elends, tlieils mit den M i t t e l n demselben abzuhelfen, beschäftigen? Und w i e sQllt' es zugehen, dafs alles diefs nicht endlich mächtig auf den Geist der Nazion wirken, und bey der grüfsera Mehrheit, als dem leidenden T h e i l , eine der gegenwärtigen Ordnung der Dinge ungünstige Disposizion hervorbringen sollte, von welcher der Ubergang zu einem lebhaften ungeduldigen Verlangen nach irgend einer grofsen wesentlichen Veränderung nur ein kleiner Schritt ist?

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Egbert. Was Sie da sagen, bringt mir einei» Umstand aus dem achten Zehehd dieses Jahrhunderts ins Gedäch'tnifs, der mir so stark auffiel, tlals ich ihn schon dämähls' als ein furchtbares Vorzeichen eines nahe bevorstehenden Ausbruchs der Gährung, die sich bereits hier und da in dem Innern von Frankreich verspüren, liefs, betrachtete, ütid' mich oft wunderte, dafs eine »6 sonderbare Erscheinung sonst von nie* mand bemerkt zu werden schien. Diefs war, dafs in den letzten sechs oder sieben Jahrgängen der Bibliotheqiie universelle des Romans* ein ungewöhnlicher Geist der Freyheit, eine gewisse nur leicht verdeckte, mit unter ziemlich stärk in die Augen fallende politische Tendenz, und ein gewisser ernster, kräftiger, öfters sogar überspannter und kaustischer Ton unvermerkt herrschend wurde, der mit der anscheinenden Frivolität der Sachen gar sonderbar kontrastierte, und, da er in einem so allgemeinen Lesebuch selbst der königlichen Censur nie aufgefallen zu seyn scheint, mir desto deutlicher bewies, dafs der alte Geist der Nazion aus seinem tiefen Schlaf zu. erwachen anfange, und wahrscheinlich nicht lange mehr unthätig bleib«» werde.

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Sinibald. Solltet! nun in eitlem s o l c h e n Zeitpunkte, w o d e r G e i s t eines durch hierarchischen, aristokratischen und monarchischen Despotism lange niedergedrückten Volkes alle seine Ketten zu schütteln anfängt, und im Bf'griff ist eine nach der andern zu zerreifsen, nicht auch, natürlicher W e i s e , die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g eine b e s t i m m t e r e Gestalt gewinnen, und sich endlich so deutlich zu erkennen gehen, dafs nur eine beynahe unbegreifliche Verblendung dieMachthaber verhindern könnte, zu sehen, dafs es die höchste Zeit sey aqdre W e g e einzuschlagen, wenn sie der Katastrofe, die sie doch selbst befürchteten, zuvorkommen wollten. Sollte sich nicht mit der höchsten Wahrscheinlichkeit annehmen lassen, dafs eg in Frankreich wenigstens schon im Jahre 1788 allgemeine Meinung der gröfsern Mehrheit gewesen s e y : „ Das \ olk habe Rechte zurück zu fordern, gegen welche keine Verjährung g e l t e " — ,, F.s sey eine nicht länger zu duldende Ungerechtigkeit, dafs das Volk die Lasten des Staats a l l e i n , oder nach einer ganz unbilligen Austheilung t r a g e " — „ Willkührliches Verfahren in Sachen, welche das Eigenthum, die Ehre und persönliche Freiheit der Bürger betreffen, sey kein wesentliches Vorrecht der höchsten Gewalt, und die JNazion

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sey nicht schuldig, defswegen weil die Staatsverfassung m o n a r c h i s c h sey, sich d e s p o t i s c h beherrschen zu lassen." — Ich müfste mich sehr irren, oder diese und ähnliche Sätze lagen a l s ö f f e n t l i c h e M e i n u n g den so genannten Cahiers des d r i t t e n S t a n d e s zum Grunde, worin das Volk seinen Stellvertretern im Jahre 1789 seine damahls noch sehr gemäfsigten Forderungen und Wünsche ausführlich zu vernehmen gab. Egbert. Ich kann und will nicht gegen meine Überzeugung m^t-Ihnen haberechten, Sinibald. Ich könnte zwar einwenden, dafs die Sätze, die Sie so eben für die öffentliche Meinung des Französischen Volkes zu Anfang des Jahres 1739 erklärten, eigentlich nur die Meinung des unterrichteten und denkenden Theils gewesen sey: aber ich sehe leicht voraus, was Sie mir darauf antworten würden. In der That kommt es 'hier nicht so wohl darauf an, wer eine Meinung z u e r s t aufgebracht, oder sie am besten zu b e h a u p t e n weifs, als darauf, dafs sie, um den Nahmen der ö f f e n t l i c h e n zu verdienen , dem Geiste und der gegenwärtigen Stimmung der Nazion so angemessen und überhaupt so beschaffen sey, dafs sie, sobald sie sich laut vernehmen läfst, dem gröfsten Theile WIBI.AND» sämmtl. W . XXXI. B.

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derselben einleuchte und mit Beyfall von ihm aufgenommen werde. Ich kann daher nirht in Abrede stellen, dafs die besagten Sätze wirklich für öffentliche Meinung nicht nur in.Frankreich , sondern beynahe in ganz Europa gelten konnten. SinihalS. Ich hätte also den e r s t e n Punkt meiner Behauptung hinlänglich dargethan. Denn auch diefs werden Sie mir gern zugeben, dafs weder die Orleanssche Fakzion, noch die heimlichen Republikaner der damahligen Zeit, und am allerwenigsten das kleine Häufchen der redlichen Patrioten, die es mit de.m König und der Nazion gleich ehrlich meinten, nur dafan gedacht haben würden, den ersten entscheidenden Schritt zur Revoluzion zu wagen, wenn sie nicht gewifs gewesen wären, in jener öffentlichen Meinung eine Stütze zu firoden, die ihnen im Nothfalle den Schutz de» ganzen Volkes sicherte. Was den a n d e r n Punkt betrifft, so scheint es mir Natur der Sache zu seyn, dafs, so lange die Gährung der ganzen Staatsmasse dauert, keine Meinung sieb im Volk erhebt, die man' mit F u g und Recht eine öffentliche nennen könnte; wenn auch gleich, wie unter R o b e s p i e r r e , ein allgemeiner Schrecken die Wirkung thun kann, alle

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ror der G u i l l o t i n e zitternden Köpfe ein erzwungenes pagodenmäfsiges Ja oder Nein nicken zu machen. Aber sobald das Volk wieder frey Athem hohlen darf, von seinen Ausschweifungen und Paroxismen zurück gekommen ist, und, der ewigen Verschwörungen, Proskripzionen, Delazionen und Exekuzionen, kurz des ganzen revoluzionären Unwesens herzlich müde, sich allenthalben nach Sicherheit und Ruhe sehnt: dann ist das erste, was man mit Recht für entschiedene öffentliche Meinung ausgeben kann, die allgemeine Überzeugung, „dafs nichts als Unterwerfung unter eine gesetzmäßige Regierung und entschlofsne Anhänglichkeit an dieselbe den aufgelösten Staat, unter welcher neuen Gestalt es auch sey, ins Leben zurück rufen könne; " — und von dem Tage a n , da sich diese öffentliche Meinung stark und deutlich ausdruckt, kann man auch die w a h r e Z e i t des Anfang» einpr neuen Ordnung der Dinge rechnen, nnd für gewifs annehmen, dafs sie sich so lang' erhalten werde, als das Volk bey dieser Gesinnung verharren wird. Egbert. Die E x i s t e n z und die W i c h t i g k e i t dessen, was Sie öffentliche Meinung nennen, wäre also, für m i c h wenigstens ^ aulser Zwei-

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fei gesetzt. Nur scheint es, unglücklicher Weise, nicht möglich zu seyn, die Machthaber in einem noch bestehenden Staate, wie nahe dieser auch bereits seiner Auflösung seyn mag, yon der A u f m e r k s a m k e i t und A c h t u n g zu überzeugen, die man ihr — auch in ErHianglung edlerer Beweggründe, schon aus blo» fser Klugheit und Rücksicht auf eigene Sicher« beit und Selbsterhaltung — erzeigen sollte. Es wären aus. der neuesten Zeit auffallende Bey» spiele hiervon anzuführen: aber der Augenschein spricht überall so laut, dafs es überflüssig wäre, sich auf einzelne Fälle zu berufen. Wenn man die Herren auf das, was sie zu thun hätten, und auf die Gefahr im Verzug aufmerksam machen w i l l , so hört inan immer die Antwort: „Gerade defswegen sey es jetzt nicht Zeit, dem Volk einen solchen Beweis, was es vermöge, in die Hand zu geben; in solchen Augenblicken müsse die Regierung die Zügel schärfer anziehen als jemahls; das geringste Zeichen von Nachgiebigkeit würde von dem Volke für Schwäche und Furcht ausgelegt, und zu einem Antriebe, seinen Forderungen kein Ziel zu setzen, gemilsbraucht werden; und blofs dadurch, dals man ihm keine Furcht zeige, verhindre man es, wirklich furchtbar zu werden." — „Allerdings (hört man sie auch wohl sagen) sind Miisbräuche abzustellen, Beschwerden zii

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erleichtern, Verbesserungen zu machen: aber daran läfst sich erst alsdann denken, wenn alles wieder ruhig, und da» obrigkeitliche Ansehen so befestiget ist, dafs über den Beweggrund zu solchen Schritten kein Zweifel mehr Statt finden kann." — Nun erfolgt aber in solchen Fällen immer eines von zweyen: entweder das Volk dringt mit Gewalt durch, und die bisherige Ordnung dör Dinge stürzt zusammen; oder die alten Machthaber behalten die Oberhand; und dann kann man sich darauf verlassen, dafs an wirkliche, ernstlich gemeinte Abstellung der gerechtesten Volksbeschwerden so wenig mehr gedacht wird als an den Mann im Monde, Sinibald, Sie setzen, wie ich sehe, ein aiemlich ge« ringes Vertrauen in die W e i s h e i t und G ü t e der Väter des Vaterlandes. Egbert. Ich rede mit dein Herzen in der einen Hand, und mit der Fackel der Erfahrung in der andern* Oder sollten Sie mir auch nur ein einziges Beyspiel des Gegentheils anführen können? — Nur ein einziges, lieber Sinibald !

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Sinibald. Sie sind sehr bescheiden; und doch sollte mirs schwer fallen — Egbert. Das will ich- glauben! Sinibald

lächelnd.

Ich habe ein ziemlich ungetreues Gedächt, nifs; es wäre nicht billig, aus meiner Verlegenheit einen Schlufs zum" Nachtheil ¿ines dritten zu ziehen. Egbert. Wie ichwach auch Ihr Gedächtnifs seyn möchte, hätten Sie je ein solches Beyspiel erlebt, so würden Sie es, gerade um der Seltenheit willen, nie wieder vergessen haben. — Aber, Scherz bey Seite, Sie wissen ja so gut als ich, wie es in solchen Fällen zu geheijt pflegt. Da sind immer so viele d r i n g e n d e r e Geschäfte abzuthun — mit d i e s e m hat es noch Zeit; es wird also indessen an der berüchtigten N a g e l , der so vieles'tragen mufs, gehängt, und geräth mit zehn tausend andern, woran weder dem Referenten noch dem Richter etwas gelegen ist, unvermerkt in Vergessenheit. Oder kommt es ja durch irgend einen Zufall wieder zur Sprache, so

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finden sich, bey näherer Untersuchung der Sachen, so viele Häkchen, so viele Schwierigkeiten, die .immer verwickelter und knotiger werden, je mehr man sich mit ihrer Auflösung zu schaffen macht. Und da es, inzwischen an neuen und d r i n g e n d e m Geschäften nie fehlen kann; so kommt, natürlicher W e i s e , jenes vevhafste, womit sich niemand gern beladen läfst, abermahls an den wohlbesagten Nagel, und bleibt nun solange hangen, bis das Volk endlich die Geduld verliert , und die erste beste Gelegenheit ergreift, »ich selbst Hülfe zu schaffen. Sinibald. Das mag wohl der gewöhnliche 'Gang der Sachen gewesen seyn, als die Welt noch ^ w i e der berühmte Schwedische Kanzler O x e ns t i e r n a sagte) durch ein minimum sayientiae regiert wurde. Aber andere Zeiten, andere Mafsregeln. Seit dem Jahre 1798 reicht das Minimum nicht mehr z u , und das daher entstehende Deficit würde durch die Mittel, wodurch der Despotism allmächtig zu seyn w ä h n t , nur schlecht und unsicher gedeckt werden. Egbert. Diese Mittel reichen doch wenigstens eine Zeit lang aus; und das ists, was die Gewalt-

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h a t er, in den sogenannten Republiken so gut lind noch mehr als in monarchischen Staaten,, zu täuschen pflegt. Es hat s o l a n g e gehalten, denkt man, warum sollt* es nicht wenigstens noch halten so lange w i r leben? Unsre Nachfolger mögen dereinst sehen, wie sie zu rechte kommen; das ist dann ihre Sache, und mag auch ihre Sorge seyn! Siüibald. Der Fehler ist nur, dafs diese Art zu rechnen so unsicher ist. W e n n nun unser bau» fälliges Haus unsern Nachfolger nicht abwart e t , sondern über uns zusammen fällt, während wir es selbst noch bewohnen, wie dann ? Auch mit dem mäfsigsten Antheil von Klugheit wird kein Regent sich mehr auf solche Maximen verlassen. Kurz, nur durch so viel G e r e c h t i g k e i t und W e i s h e i t , als Menschen von Menschen zu fordern berechtigt sind, kann ein Staat, was auch seine Verfassung sey, künftig zu bestehen hoffen. W e r d i e s e Uberzeugung nicht als den einzigen reinen Gewinn aus den Ereignissen der letzten zehn Jahre gezogen hat, der mag auf eine Gefahr den Versuch noch einmahl machen , und sehen, wie weit er kommt und wie lang' es geht! Die Menschheit ist in dar Laufbahn, die ihr die Natur angewiesen hat,

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binnen etlichen Jahrtausenden merklich vorwärts geschritten. Z e h e n , zwanzig, dreyfsig Millionen Menschen in Einem Staate lassen sich nicht länger als eben so viele, m o r a l i s c h e N u l l e n behandeln. Immerhin mag der gröisere Theil dieser Millionen, in gewissem S i n n e , als u n m ü n d i g anzusehen seyn; aber sie haben den a l l g e m e i n e n M e n s c h e n v e r s t a n d zum V o r m u n d , und man darf darauf rechnen, dafs in Sachen, die das W o h l oder W e h der unendlich gröfsern Mehrheit unmittelbar betreffen, der A u s s p r u c h d i e s e s V o r m u n d s auch die ö f f e n t l i c h « M e i n u n g ist. Ich sollte I h n e n vorhin ein Beyspiel aus einem andern Fache nennen, und wufste mich in der Eile auf keines zu besinn e n : wissen Sie eines, auch n u r ein einziges , w o die öffentliche M e i n u n g ungestraft wäre verachtet w o r d e n ? Egbert. Meine Geschichtsfeundö ist sehr eingeschränkt — ich weifs keines anzuführen. Sinibald. W i e ehrwürdig wird sie also dem Verständigen in jedem Falle seyn, w o es streng erwiesen werden kann, dafs die Vernunft selbst f ü r sie entscheidet, oder, was einerley ist,

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wo anstatt das

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Gepräge der Vollkommenheit erhalten zu haben, am Ende nur wenigstens um etwas besser ausfiele, als es war, da jedermann seine Unhaltbarkeit eingestand, und die N o t w e n digkeit einer gänzlichen Umbildung zu erkennen gedrungen war. — Aber diefs sind noch nicht alle Schwierigkeiten eines solchen Geschäftes. Eben darum, weil es, seiner Natur nach, immer nur wahrscheinliche Schlüsse und nahezu eintreffende Berechnungen gestat» tet, kommt es dabey nicht sowohl auf die Aussprüche der allgemeinen Vernunft, als auf den Grad des Verstandes, die Tiefe der Einsichten, die Klarheit und Schärfe des Uberblicks bey denjenigen an, die an einem sol» eben Werke arbeiten sollen. Der kleinfite Mifs? griff, ein nicht tief genug geschöpfter Begriff der Sache, ein zu einseitiges Urtbeil, ein zu rascher Schlufs, kann von den nachtheiligsten Folgen s6yn. W i e hell u«cl wohl geordnet auch der Kopf eines Mannes seyn mag, immer bleibt e r , auch bey der gröfsten Wach* samkeit über sich selbst, den Täuschungen der Einbildung, des Gefühl» und der geheimen Triebfedern des Herzens so gut unterworfen als ein anderer; und tägliche Erfahrungen lehren uns, dafs der redlichste Will däfs seinen Stellvertretern — die r e c h t e S e i t e des Ver&mmlungssahls eingeräumt werden, und die Anzahl derselben so grofs seyn soll, als die Zahl der Abgeordneten der Reichsstädte und Gemeinen zusammen genommen. "Wenn sie damit nicht zufrieden sind, so kaiyt ich ihnen nicht helfen. Sie sehen selbst, Egbert, dafs ich, ohne neun und neunzig vom Hundert der ganzen Nazion vor den Kopf zu stolsen, den g e b o r n e n Herren nicht einen Zoll breit mehr nachgeben kann. In beiden Kammern w i r d nac^h den Köpfen gestimmt, und eine Stimme gilt so viel als die andere. Die Art und W e i s e , w i e der mittelbare Adel seine Repräsentanten erwählen will, überlasse ich seinem eignen Gutbefinden; den Gem e i n e n aber mufste eine besondere Wahlordnung vorgeschrieben werden, etwa w i e die folgende: Jeder Reichskreis wird in eine 'verhältnifsmäisige Anzahl kleiner Distrikte oder G a u e n

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eingetheilt. Tn jedem Gau versammeln sich, auf die verfassungsmässige Einladung des regierenden Kreisfürsten, alle darin angesessene H a u s v ä t e r in den Munizipalstädten, Marktflecken und wahlberechtigten Dorfschaften an einem bestimmten Sonntage in der Kirche ihres Qrts, um nach gehaltnem Gottesdienst einen W a h 1m a n n aus ihrem Mittel zu ernennen. Egbert. Ohne Unterbrechung, wap verstehen Sie unter wahlberechtigten Dorfschaften ? Sinibald. Damit das Landvolk kein ungebührliches Ubergewicht über die Bürger der Städte und Marktflecken erhalte, werden aus den volkreichsten Dörfern eines jeden Gaues nur so viele mit dem Wahlrechte versehen* als nöthig sind, um sie mit jenen auf die gleiche Anzahl zu setzen. An einem andern bestimmten Tage kommen dann die ernannten W a h l m ä n n e r in einem ungefähr in der Mitte des Gaues gelegenen Wahlorte zusammen, und erkiesen durch ein so genanntes heimliches Mehr die Anzahl von V o l k s r e p r ä s e n t a n t e n , welche die Konstituzion für jeden Kreis festsetzen wird. Diese erwählten Vertreter des dritten Standes bleiben ordentlicherWeise neun Jahre in Aktivität, und

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werden also immer mit Anfang des zehnten Jahres entweder erneuert oder bestätiget, je nachdem ihre Bevollmächtiger mit ihnen, zufrieden sind. Egbert. Diese Einrichtung wird etwas kostspielig s e y n ; denn die Wähler der W ahlirianner-sow o h l , als die letztern selbst, werden eine Entschädigung für M ü h e , Zeitverlust und Aufwand verlangen, und wer sollte diese tragen ? Sinibald. W i e , Egbert ? Trauen Sie den patriotischen Deutschen der goldnen Z e i t , in welcher alles diefs erfüllt werden wird, so wenig Liebe zum. Vaterland, und «ine so geringe Schätzung des Werthes der Rechte, die ihnen die Verfassung einräumt, z u , dafs sie nicht d i e s e unent^eldlich auszuüben, und j e n e m ein so geringes Opfer darzubringen, geneigt seyn sollten? Egbert. Verzeihen Sie mir meinen Unglauben. I c h weifs nicht, warum mir gerade die alten demokratischen Athener einfallen mufsten, die doch auch ein sehr Freyheit liebendes u n d eitelstolzes Völkchen w a r e n , und sich gleichwohl die Ausübung ihres Suveränitatsrechts jedes-

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mahl mit einem baren halben Kopfstück au£ den Mann aus der Staatskasse bezahlen liefsen. Aber fahren Sie fort, wenn ich bitten darf. Sinibald. Die Reichsstände versammeln sich, zu Folge eines von dem jeweiligen Konig in Germanien an sie ergehenden Zirkulars, ordentlicher Weise alle d r e y Jahre in einer dazu festgesetzten, mitteivin Deutschland gelegenen Reichsstadt, und arbeiten fleifsig genug, um längstens in vier Monaten wieder aus einander gehen zu können. Von ihren Verhandlungen w i r d der Nazion durch ein officielles Wochenblatt so viel bekannt gemacht, als ihr zu wissen gut und nöthig ist. Demosthenische oder Mirabeauische Reden in dieser hohen Versammlung zu halten, ist nicht erlaubt. Der Deutsche hört sich selbst nicht so gern reden, wie die alten Athener und die, neuen Franzosen; und wo weder .Leidenschaften zu erregrn, noch den Verstand der Zuhörer zu bestechen nöthig ist, da bedarf es keiner prunkenden Beredsamkeit. Jede Kammer hat ihren eigenen, beide zusammen einen gemeinschaftlichen Geschäftskreis. Die Fiirstenkammer z. B. besor£t aus« schließlich die aus den Verhältnissen des Reichs mit den übrigen Staaten entspringenden Geschäfte!, von deren Beschaffenheit und Erfolg

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sie den Gemeinen blofs die pöthigste Nachricht giebt. Jedoch darf weder ein Bündnifs, noch viel weniger ein Reichskrieg, ohne Beystimmung der letztern beschlossen werden. Jene hat überhaupt (jedoch nicht ausscliliefslich) die so genannte I n i z i a t i v e zu allgemeinen Heichsgesetzen, und leat bey jeder Reichsversammlung der Kammer der Gemeinen den Etat der- Ausgaben vor, welche, gesammten Reichs wegen, von drey Jahren zu drey Jahren zu bestreiten sind; vorausgesetzt, dafs keine unerwartete und dringende Ereignisse eine aufserordentliche Zusammenkunft der Stände nothwendig machen. Die Kammer der Gemeinen hingegen beschäftigt sich ausschließlich mit Untersuchung, Bestimmung und Vertheilung der erforderlichen Auflagen, bey welchen aber immer Rücksicht genommen wird, dafs ein Überschufs zu Sammlung eines für aufserordentliche Ausgaben bestimmten gemeinschaftlichen Schatzes übrig bleibe. Das Reichsschatzamt steht unmittelbar unter ihrer Aufsicht; die Revision der Rechnungen hingegen kommt der Fürstenkammer zu. Die allgemeine Reichspolizey, das Justizwesen, die öffentliche Erziehung, die Beförderung der Künste und Wissenschaften, des Ackerbaues, der Industrie und des Handels, die Belohnung wichtiger und. ausgezeichneter Verdienste um da« Vater-

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land, die zum Behuf des innern und äufsera Verkehrs dienlichen neuen Landstrafsen und Kanäle, die Verschönerung der neuen Hauptstadt, worin aufser den andern öffentlichen Staatsgebäuden, welche sie, als der Sitz der höchsten Reichsversammlung, enthalten müfste, dem Könige in Germanien und jedem Kreisfürsten ein eigener Pallast von Reichs .wegen erbaut und unterhalten würde, alle diese Rubriken, und, mit Einem Wort, alles was zum m ö g l i c h s t e n F l o r d e s G a n z e n nöthig und dienlich seyn w i r d , macht die Gegen« stände der gemeinschaftlichen Beratschlagung und Beschlüsse beider Kammern aus. Jede deliberiert besonders. Die zweyte macht ihren Beschlufs der ersten förmlich bekannt, und er kann von dieser nicht ohne Anzeige ihrer Beweggründe- verworfen werden; in welchem Fplle, wenn die Gemeinen es nöthig finden, so lange zwischen beiden Kammern korrespondiert wird, bis sie einverstanden sind. Sollte diefs aber nicht zu bewirken seyn, so ist der König befugt, den Beschlufs der Gemeinen durch seinen Beytritt vollgültig zu machen; ein Vorrecht, das , in mehr als Einer Rücksicht, eines der kostbarsten Juwele seiner Krone seyn wird. Wenn Mifshelligkeiten. zwischen K r e i s f ü r s t e n entstehen sollten, so vereinigen sich die übrigen zu Bewirkung

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eines billigen gütlichen Vergleichs. Gelingt es ihnen nicht, so entscheidet ein besonders hierzu niedergesetzter Gerichtshof, dessen Personal der König selbst aus den rechtsgelehrtesten und unbescholtensten Deputierten der zweyten Kaminer ernennt, nach den Gesetzen, ohne Apellazion. Alle Rechtshandel unter den übrigen höhern und niedrigem Staatsbürgern gehen den gewöhnlichen Gang, der durch ein Grundgesetz über die Gerechtigkeitspflege vor« gezeichnet worden ist. Zur Harmonie des Ganzen wird natürlicher Weise erfordert, dafs diese gemeinschaftliche Reichsverfassung das Muster der innem Organisazion eines jeden der neuen Kreise sey, in welche das ganze Reich, nach der Zahl der altfürstlichen Häuser, abgetlu-ilt worden wäre. Jedem regierenden Kreisfürsten sind L a n d s t ä n d e zugeordnet, denen die Bewahrung der gesetzmäßigen Rechte der Staatsbür« ger, die von ihnen repräsentiert werden, anvertraut ist, welche die etwanigen Beschwerden des Volks vorzutragen schuldig sind, und ohne deren freye Beystimmung der Fürst weder neue Gesetze geben, noch neue Abgaben auflegen kann. Die Landstände b e s t e hen aus den D e p u t i e r t e n der in dem Kreise angesessenen Fürsten, Grafen und HerWIENANDS sitmmtl. W . XXXI. £.

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ren, und aus den R e p r ä s e n t a n t e n des niedern Adels, ( m i t Einsclilufs aller nicht adeligen gröfsern Landeigenthünusr) w i e auch der Städte, Marktflecken und Dörfer. Jene machen die erste, diese die zweyte Kammer aus. Sie siftd so organisiert, dafs kein Stand, d. i. keine der vier Klassen von Staatsbürgern, ein politisches Übergewicht über den andern hat. Ein e n j r e r e r A u s s c I i u 1 s derselben versammelt sich jährlich auf eine bestimmte Zeit, alle zusammen gewöhnlich nur alle zehn Jahre. Der Kreisfürst, als der einzige Landesherr im ganzen Kreise, legt alsdann den gesämmten Ständen eine Berechnung der ordentlichen Staatsausgaben des Kreises für die folgenden zehn J a h r e , die aufserordentlichen hingegen dem engem Ausschufs jährlich vor. Aufser den Einkünften seiner eigentümlichen Güter bezieht er eine festgesetzte Summe zu Unterhaltung eines seiner hohen W ü r d e angemessenen Hofstaats, wobey ( w i e sich von selbst v e r s t e h t s o w o h l die Grundsätze einer guten Staatswirthschaft, als die Kräfte des Landes Und die Eigenthumsrechte des Volles das gehörige Mafs geben. Unter den ordentlichen Ausgaben, die jeder Kreis für sich zu bestreiten h a t , bezieht sioh eine der wesentlichsten auf den V e r t h e i d i g u n g s s t a n d , worin jeder, auf den Fall

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einer besondern oder allgemeinen Gefahr de» Vaterlandes, sich befinden mufs. Angenommen, dafs die neuen Kreise (deren wenigstens eben so viele heraus kommen werden, als vormahls w a r e n ) einander an Bevölkerung beynahe gleich wären, könnte die Zahl der Vertheidioer des Vaterlandes in jedem auf dreyfsig tausend Mann festgesetzt werden, von welchen der dritte Theil, als reguläre Trupp e n , immer Dienste thun, die andern z w e y Drittel aber, als Landmiliz, jährlich zweymahl in den Waffen geübt würden. Der Kreisfürst wäre auch zugleich Oberbefehlshaber der bewaffneten Macht. Bey Besetzung der übrigen Befehlshaberstellen würde, ohne Unterschied des Standes, blofs auf persönliche Eigenschaften und wirklich^ Verdienste Rücksicht gekommen. Egbert. Ihre neue Verfassung ist dem Adel nicht sehr günstig, w i e ich sehe. Sinibald. Im Gegentheil, ich glaube ihn nicht schonef und ihm selbst vorteilhafter begünstigen zu können, als indem ich ihm durch diese Einrichtung neue Antriebe verschaffe, dem immer unkräftiger werdenden Vorurtheil dar

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Geburt nachzuhelfen, "und sich, gleich seinen alten Vorfahren, durch persönliche Vorzüge auszuzeichnen» Egbert. Sie erwähnten einigetnahl eines K ö n i g » in Germanien. Sie werden Ihre neue Reichsverfassung doch nicht des erhabenen Vorzugs berauben wollen, dafs der König der Deutschen zugleich R ö m i s c h e r Kaiser ist-? Sinibald. W e m wollen Sie durch diese seltsame Frage •in Kompliment machen, lieber Egbert? Z w i schen uns beiden geht es doch rein verloren. W a s mag wohl Josef II., da er als Graf von Falkenstein auf dem Kapitol stand und die grofse Hauptstadt seines Kaiserthums übersah» von der Sache gedacht haben? Oder war der gute Römische Kaiser Karl V I I . , da ihm zu Frankfurt ( w i e ich vor mehr als 50 Jahren oft genug erzählen hörte) weder Bäcker noch Fleischer mehr auf Borg Lieferung thun wollten, etwa reicher als wenn er Kaiser im Mond geheifsen hätte? Es ist, w i e Sie wissen, schon lange h e r , seit die Deutsche Nazion dem Himmel dankt, dafs ihren Königen die Lust zu Heerzügen nach Italien und Rpm vergangen itt. W i « dem aber auch sey, genug, w i r

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haben seit Heinrich I. einen König gehabt j det von den Kurfürsten erwählte Römische Kaiser ist i n G e r m a n i e n K ö n i g ; und dabey bleibt es auch in der neuen Verfassung. Auch soll er wahrlich nicht weniger in derselben zu bedeuten haben, als seine Vorfahrer seit 1648 in der bisherigen; wiewohl ich mich in die nähere Bestimmung seiner Rechte vor der Hand noch nicht einlassen kann. Egbert. Ich mufs gestehen, so viel sich beym ersten Anblick urtheilen lälst, scheint mir Ihre neue Verfassung zu den Endzwecken, die Sie Sich dabey vorsetzen, nicht übel zu passen. Sie vereiniget die demokratische Form mit der aristokratischen und monarchischen auf eine Art, die der Nazion die wesentlichsten Vortheile einer jeden dieser Formen ohne ihre Nachtlieile und Gefahren verspricht. Das wechselseitige Vertrauen zwischen Regenten und Regierten, das in dem letzten, mit so vielen unerwarteten und furchtbaren Revoluzionen angefüllten Jahrzehend nur zu sehr erschüttert worden ist, würde dadurch wieder hergestellt und auf einen dauerhaften Grund gesetzt: immer wachsender Wohlstand und immer steigendes Ansehen im Auslande würde die natürliche unfehlbare Folge davon seyn {

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u n d , wenn w i r selbst mit aller W e l t Friede hielten, würden w i r von innen und aufsen einer Ruhe geniefsen, die um so weniger von dem bösen W i l l e n auswärtiger Mächte zu besorgen hätte, da Deutschland durch eine solche Verfassung, so zu sagen, der Schwerpunkt des ganzen Europa w ü r d e , und also allen andern Staaten daran gelegen wäre,- e» bey derselben erhalten zu helfen. Sinibald. D e r momentane Vortheil der Auswärtigen ist so veränderlich, als die Meinungen und Leidenschaften der Menschen. W o h l dem Staat, der seine Sicherheit auf seine S t ä r k e gründen kann; und dieüs würde Deutschland können., wenn seine Kräfte und Hülfsquellen koncentriert und benutzt würden, w i e es durch eine solche Verfassung geschehen könnte. E i n Keich, das nie verlegen seyn würde, 300,000 Vertheidiger des Vaterlandes — und eines Vaterlandes , das man zu lieben so viel Ursache hätte — aufzubieten und zu unterhalten, kann eich auf sich selbst verlassen. Egbert. D i e Kreisfürsten würden in der That sehr mächtige Herren vorstellen —

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Sinibald. Sie würden es s e y n , und Deutschland sich nur desto besser dabey befinden, da ihr und ibrer Häuser Interesse mit dem allgemeinen so teni* als möglich verbunden wäre, und die Verfassung sie gegen die unglückliche Macht,. Böses thun zu können, hinlänglich sicherte. Übrigens werden Sie rpir erlauben, mit S o l o n zu sagen, ich habe den Germanen nicht die b e s t e aller Verfassungen, (die ich selbst nicht kenne) sondern die beste, die iGh unter den gegebenen Umständen für möglich halte, zugedacht. Und auch von dieser sehen Sie nur den ersten Entwurf; und das Ganze, wenn es gehörig ausgeführt, koloriert und vollendet wäre, sollte ein ganz anderes Ansehen haben, als in dieser rohen Skizze. Indessen dürfte es doch schwer halten, eine Verfassung für uns auszusinnen, die sich, (vorausgesetzt, dafs Weisheit und Eintracht die Häupter der Nazion. leite) leichter ausführen liefse, in jeder Betrachtung ihrem grofsen Zweck besser ent* spräche, und in den wesentlichsten Stücken dem, was Deutschland von jeher und in «einen ehrenvollsten Epoken war, näher käme. Egbert. Nur Schade,1 dafs Sie einen einzigen D Um* stand aus der Acht gelassen haben, der, wie

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ich besorge, Ihren sowohl organisierten und mit so vieler Lebenskraft ausgerüsteten Embryo noch vor der Geburt ersticken wird. Wo bleibt bey Ihren neuen Einrichtungen d a s G l e i c h g e w i c h t zwischen b e i d e n R e l i g i o n s p a r t e y e n , welches bisher immer ein so wichtiger Gegenstand def ängstlichsten und eifersüchtigsten Aufmerksamkeit war? Sinibald. O mein Freund, aus welch eiqem Traume haben Sie mich durch dieses einzige Wort erweckt! — Wie unfreundlich nöthigen Sie mich zu mir selbst zu kommen, und zu bedenken , in welcher Zeit ich lebe! — Allerdings dachte ich nicht an ein s o l c h e s Gleichgewicht. Die Bewohner meines g e t r ä u m t e n G e r m a n i e n s haben keinen Begriff davon, dafs dem Staat viel oder wenig daran gelegen sey, was für Vorstellungen seine Bürger sich von dem U n b e g r e i f l i c h e n machen , auf welche Weise sie dem höchsten Wesen ihre Ehrfurcht bezeigen, und an was fjiir D o g m e n und M e i n u n g e n sie ihren Glauben an die moralische Weltregierung de» allgemeinen Gesetzgebers, und an die ewige Dauer unsers Geistes anknüpfen. Ihnen leuchtet freylich eine hellere Sonne! — Guter Egbert! wie dick mufa der Nebel seyn, der noch

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um unsre Augen schwimmt, dafs Ihnen eine solche Schwierigkeit nur zu Sinne steigen konnte! Egbert. Geben Sie Sich zufrieden, Sinibald, es war so schlimm nicht gemeint; und, so der Himmel will, gehört auch dieser Punkt, in der bessern Zukunft, die Sie Vorhin im Geist erblickten, unter so manche andere, Hie unsem Nachkommen noch tausendmahl traumartiger vorkommen werden, als I h r wachender Traum unsem Zeitgenossen.

XI. B l i c k e MtAoi/n

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die irej.

2 t i k u ti f t . Iliad. XX. 2i.

Hulderich. Ich kann es nicht von mir erhalten, so übel von der Zukunft zu denken. Geron. Daran hat Ihr Her® wohl mehr Antheil als Ihre Scharfsicht. Wenn ich Nesselsamen in meinen Garten säe, was kann ich anders von ihm erwarten als Nesseln ? Hulderich. Es wird aber auch so viel guter Samen ausgesät; auch d e r wird aufgehen und Früchte bringen. Geron. O ja! Wenn T r i p t o l e m o s auf Dernet e r s Drachenwagen über die Erde hinjagt, und

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seinen Weizen mit vollen Händen rechts und links herab wirft, wird ja wohl auch hier und da ein Körnchen in einen guten Boden fallen $ wenn anders die lauernden Vögel des Himmelt es nicht zu friil» gewahr werden. Hulderich. Nein, lieber Geron! in d e m Grade, wie Sie Sich's jetzt vorstellen , überwiegt das Böse das Gute nicht! Geron. Gewifs nicht im G a n z'e n, oder wie wollte es sonst bestehen können? Ich sprach blofs von den Zeiten, in die wir selbst gefallen sind, und die unsern Nachkommen bevorstehen. Hulderich. In der That sind die Aussichten nicht sehr erfreulich. Der gegenwärtige politische und sittliche Zustand der Welt läist mehr fürchten als hoffen. Aber wie bald kann ein einziger Vorfall die ganze Lage der Sache ändern! Geron. Meine Ahnungen gründen sich weder auf zufällige Zeitumstände, noch auf die Gesinnungen , Verhältnisse und Entwürfe jetzt lebender Machthaber. Ihre Wurzel liegt tiefer, in der

39 die man ihnen anzuthun versteht, in einer andern Majiier zu braten, die weniger unmenschlich scheint, aber im Grunde vielleicht eben so grausam ist. G eroa Ich denke, wenn die Vorzüge unsers Jahr? hunderts vor den sechzehnten genauer untersucht werden sollten, so wurde sich finden,

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dafs zwar einige Wissenschaften auf einen ungleich höhern Grad gestiegen sind, dafs w i r •eine zierlichere und schlauere Sprache reden, mehr Bücher schreiben, mehr lesen, und die Kunst uns selbst zu belügen ungleich mehr verfeinert haben: aber dafs wir, im Ganzen genommen, weiser, besser und glücklicher wären, davon ist mir nichts bekannt. Oder nennen Sie mir ein einziges Laster, eine einzige Thorheit, die wir w e n i g e r hätten als unsre Vorfahren; eine einzige Tugend, worin wir sie überträfen; einen einzigen Lebensgönufs, den wir vor ihnen voraus hätten, und niclit ohne alle Proporzion theurer erkauften als er werth ist. . H u l d e r i c h. Sie gehen mir scharf zu Leibe, Geron! Was kann ich Ihnen sagen, worauf ich nicht die Antwort schon auf Ihren Lippen schweben sehe? Geron. Werden die Völker etwa besser geweidet, väterlicher besorgt, und weniger gedrückt als damahls? Geht man Sparsamer mit den Früchten ihrer sauern Arbeit, mit dem Gewinn ihrer Entbehrungen, mit ihrem Blut und Leiben um? Haben wir weniger Kriege gehabt? W i s l a n d s sämratl. W . X X X I . B .

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W a r e n d i e , die über uns verhängt wurdert» gerechter, nothgedrungner? oder wurden sie, besonders in diesem letzten Jahrzehend, menschlicher und mit gröfserer Schonung des friedsamen und nützlichen Städters und Landmanns geführt ? Können Sie — damit ich alles in ein einziges Beyspiel zusammen fasse, das ich noch dazu von der reichsten und mächtigsten. Nazion unsrer Zeit borgen w i l l , -— können Sie behaupten, dafs das Volk von E n g l a n d und I r l a n d unter dem Zepter des gutmüthigem, frommen, und in allen Stücken, die zu einem braven G e n 11 e m a n gehören, musterhaften Königs Georgs III. weiser regiert wird u n d sich besser befindet, als unter der eiteln, kokettischen, neidischen, falschen, Gefühl und Popularität heuchelnden, stolzen und grausamen Königin B e i s ? — M i t nichten, werden juns alle wackern Bewohner von üld-England und alle ehrlichen Kartoffeln - Esser von E r i n entgegen rufen. Hulderich. Es ist nicht zu läiignen, dafs die höchsten und wichtigsten aller Wissenschaften und Künste, die Staatswissenschaft und Regierungsk u n s t , gerade diejenigen sind, worin das menschliche Geschlecht überhaupt noch am weitesten zurück ist.

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Geron. So sagen uns w e n i g s t e n s die redseligen Franr zösischen Solisten, die seit zehen J a h r e n ihr eigenes V o l k , u n d , so viel an ihnen i s t , die ganze übrige W e l t mit ihren emfatischen Orak e l s p r ü c h e n , geschnörkelten P e r i o d e n , und grofsen barbarisch Griechischen W ö r t e r n zum besten haben. W e n n es in der W e l t nicht g e h t , w i e es s o l l t e , so • liegt, es w a h r l i c h n i c h t daran, dafs die Grundsätze u n d M a x i m e n , w o r n a c h man handeln müfste uin recht zu t h u n , n i c h t b e k a n n t g e n u g w ä r e n , oder dafs es a n M u s t e r n u n d B e y s p i e l e n f e h l t e , woraus m a n lernen k o n n t e , w a s zu t h u n u n d zu lassen ist. W e n n es auch kein anderes Handb u c h f ü r die Regenten gäbe, als Xenofons C yr o p ä d i e u n d Fenelons T e l e m a c h , — ein paar B ü c h e r , die man noch dazu f ü r R o m a n e lesen k a n n , — so w ü f s t e ich n i c h t , w i e sich einer von i h n e n , w e n n einst die Stunde der V e r a n t w o r t l i c h k e i t f ü r i h n geschlagen haben w i r d , mit der U n w i s s e n h e i t , als einer E n t schuldigung, w a r u m er seiner Pflicht nicht aufs vollständigste genug gethan, durchhelfen wollte. Aber w o z u sage ich I h n e n d a s ? ü b e r l a s s e n w i r die Gewalthaber sich selbst, u n d d e m , der G e w a l t über s i e h a t , u n d bleiben w i r b e y u n * s e l b s t u n d beym A l l g e m e i n e n steh e n ! W e l c h e r M e n s c h t h u t seiner Pflicht g e n u g ?

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W e r handelt immer gegen andere, w i e er w i l l dafs sie gegen ihn handeln? Wer setzt seinem Ehrgeitz, seiner Habsucht, seinem Hang zur ISinnenlust Schranken, wenn es blofs von seiner Willkühr abhängt, so weit zu gehen als ihn diese Leidenschaften führen? W e r fürchtet sich nicht- gäire heimlich vor seiner Vernunft, als vor einem beschwerlichen .Zuchtmeister, •und machte sie nicht lieber zur Dienerin und Mitschuldigen seines Willens? W e r gründet nicht lieber, wenn ers vermag, die Erhaltung seiner Besitzthümer und Rechte auf sein An» sehen und seine Macht, als auf die Achtung und den guten Willen anderer Menschen ? W e r , der sich b e y m A l t e n wohl befindet, "will nicht lieber, dafs alles ewig beym Alten Weibe,, als dafs er zu irgend einer Veränderung die Hand bieten sollte, wobey nur das Oanze gewänne, und er selbst einige Aufopferungen machen mulste? u. s. w . Lassen Sie uns in unsern Busen greifen, und unser innerstes Bewufstseyn wird uns sagen, ob w i r an dem Platze der Gewalthaber auf Erden anders handeln würden als sie, da w i r ihnen jetzt schon so ähnlich sind, alä es nur immer angehen w i l l ? Selbst die sehr kleine Zahl der JEdeln und Guten, besteht sie nicht entweder aus einer Art besonders glücklich organisierter •und vom Schicksal mit ungewöhnlicher Sorg-

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falt erzogener Menschen, denen es kaum möglich wäre anders zu seyn, oder aus solchen, die uns selbst gestehen werden, dafs »ihre Tugend inj Grund ein gewaltsamer Zustand ist, worin sie sich nur durch eine nie einschlummernde Aufmerksamkeit auf sich selbst, und einen ewigen Kampf der einen Hälfte ihrer iNatur mit der andern, erhalten können ? — Noch einmahl, mein F r e u n d , vorausgesetzt, dafs wir ehrlich gegen uns selbst seyn wollen , was ist auf alle jene Fragen zu antworten ? H u i d er ich. Leider nichts, als ein stillschweigendes Ja, w e n n w i r zu verschämt zu einem lauten sind. G e r o n. Und nun lassen Sie uns sehen, wohin diese Betrachtung fuhrt. Alles, in jedem einzelnen M e n s c h e n , in jeder Klasse, in jedem politischen Körper, wie in der ganzen N a t u r , ist in einer i m m e r ' währenden vorwärts strebenden Bewegung, welche nicht Statt haben k a n n , ohne unvermerkt die Formen der D i n g e zu verändern. Ein Volk mufs also entweder ewig m i t G e w a l t in einem Zustande, der wenig vor dem viehischen voraus h a t , niedergedrückt gehalten werden; oder, ist seine Kul-

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tur einmahl abgefangen, so wird sie nach und nach, trotz allen Hindernissen und Schwierigkeiten , alle Stufen durchlaufen. Von einer Stufe zur andern erhebt, erhellt und kräftigt sich auch der Geist der Zeit, der die öffentliche Meinung bestimmt. Ein gewisser Grad von Kultur spannt die erschlafften Springfedern der Menschheit wieder, und regt Wünsche a u f , die sich mit unserm vorigen Zustande nicht mehr vertragen wollen. Sobald wir das bessere kennen , wird uns das schlechtere zu» erst unangenehm, dann verhafst, zuletzt unerträglich. So wie es bey einem Volk in den Köpfen der Menge etwas heller w i r d , w i r d es nach gerade unmöglich, ihm die G e b r e c h e n , unter welchen es leidet, länger zu vert bergen. Bald wird es auch der M i t t e l gewahr, wodurch ihm geholfen werden könnte, und jede Klasse, jeder Stand, jede Gemeinh e i t , jeder Einzelne will s e i n e n Beschwerden geholfen wissen, ohne sich darum zu bekümmern, w i e schwierig die Sache in der Ausführung 6eyn mag. In d i e s e m Punkt, und in diesem a l l e i n , fliefsen endlich die W ü n sche und Bestrebungen aller Einzelnen in einem einzigen a l l g e m e i n e n W i l l e n zusammen; und nun bedarf es nur ä u f s e r l i c h e r Veranlassungen und R e i t z e , so wird dieser W i l l e unversehens zur l a u t e n S t i m m e ;

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u n d die R e v o l i i z i o n beginnt.. Jetzt kom--. men die M i t t e l zur Sprache, wie den Beschwerden abgeholfen werden s o l l e ; und von diesem Augenblick an ,zeigen sich die zwey H a u p t k l a s s e n , aus welchen jeder Staat' nothwendig zusammen gesetzt ist, als zwey entgegen stehende P a r t e y e n . D i e eine besteht aus denen, die sich im Besitz von Macht,' Ansehen und Reichthum, Vorzügen, Privilegien und Yortheilen aller Art befinden, und nichts davon verlieren wollen: die andere,; ungleich zahlreichere, aus qllen, die wenig oder nichts zu verlieren, folglich viel oder alles zu g e w i n n e n , und (vermöge der Natur der Sache) die meisten und- erheblichsten Beschwerden zu führen bähen. D i e s . e sind Anfangs billig und gemßfsigt i a ihreii Forde-: rangen; aber befriedigt können sie doch nicht anders werden, als wofern j e n e mehr oder weniger aufopfern wollen. Und nun sind w i r auf dem P u n k t e , m alle; Wirkungen des R a d i k a l ü b e l s , wovon zu thun. Denn in allen Geschäften und Künsten des praktischen Lebens macht U ' b u n g m i t R e n n t n i l s den Meister; und beide stehen in der Gewalt eines jeden nicht ganz unfähigen Menschen. Der Fremde. Sehr tröstlich! Geron. Auf der andern Seite wird sein bescheidenes Mifstrauen in die Hinlänglichkeit seiner Einsichten ihn bewegen, sich um bewährt rechtschaffene und taugliche Gehülfen und Rathgeber umzusehen. Der Fremde. Ein schweres, mifsliches Geschäft! Welch ein Scharfblick, welche Ruhe des Geistes, und w i e viel Menschenkenntnifs wird dazu erfordert! Einem Fürsten mufs es beynahe unmöglich seyn, sich in der Wahl nie zu irren.

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G e r o n. Schwer,. aber gewifs nicht unmöglich; zumahl wenn man die Vorsicht gebraucht, keiner Vorneigung oder Abneigung Gehör zu geben, deren geheimen Grund man sich nicht recht deutlich machen kann, odet sich selbst nicht laut gestehen darf;" Der Fremde. Bedenken Sie, dafs er beynahe unter lauter U n b e k a n n t e n wählen mufs, die sich ihm immer nur von ihrer schöusten Seite zeig e n , und gegen jede Probe, worauf er sie etwa stellen möchte, im voraus von Fufs zu Kopf gerüstet sind. G e r on. Die B e k a n n t e n sind in dieser Ansicht vielleicht noch gefährlicher als die Unbekannten. Personen, die immer um uns sind, haben zu viele Gelegenheit unsre schwache Seite auszufinden und sich angenehm und unentbehrlich zu machen, als dafs es nicht dem einen oder andern gelingen sollte, sich unvermerkt u n s e r s H e r z e n s zu bemächtigen. W i r sind gegen sie nicht auf unsrer Hut, trauen ihnen alles Gute zu, sehen ihre Fehler in einem mildernden Lichte, oder werden sie aus Gewohnheit gar nicht mehr gewahr. Man kann

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ein sehr angenehmer Gesellschafter oder auch wohl ein sehr getreuer Diener, und doch weit entfernt seyn, den Grad von Zutrauen zu verdienen , dessen man jener Eigenschaften w e gen gewürdiget wird. Der

Fremde.

Um so gröfser also die Schwierigkeit, von der ich sprach. G e r 0 n. Bey a]lem dem wird ein selbst rechtschaffner Mann im Punkt der Rechtschaffenheit das /

W a h r e gar leicht vom hlofsen Schein unterscheiden. Das nehmliche gilt von allen andern Eigenschaften, Wovon er die Kennzeichen a n sich selbst findet. So w i r d , z. B. ein gesetzter besonnener M a n n , der sich selbst in seiner Gewalt h a t , und immer mit Überlegung handelt, sich niemahls einem leichtsinnigen, leidenschaftlichen und - brausenden anvertrauen. Der

Fremde.

Unglücklicher Weise giebt es keine M e n schen ohne Fehler, und was auf einem geringen Posten eine wenig bedeutende Unart ist, kann auf einem wichtigen ein grofses Laster seyn: und doch findet man sich nur gar zu oft genöthiget, bey der W a h l eines Sub-

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jekts zu einem wichtigen Posten, grofse Un» tagenden wegen irgend einer unentbehrlichen Eigenschaft, die der Mann in einem hohen Grade besitzt) zu übersehen. G e r o n. Ich zweifle,- -ob diefs, •ztiteahl in grofsen S t a a t e n , g l e i c h t der Fall seyn könnte.. Eine unentbehrliche E i g e n s c h a f t , macht darum nicht allezeit auch den M a n n unentbehrlich, der sie besitzt, sie aber zur Schutzwehre für seine Fehler oder Laster milsbraucht. Die brauchbaren, sogar die sehr vorzüglichen Menschen sind in unsern Tagen nicht so selten, dafs man genöthiget seyn sollte, einem Subjekt seiner besondern Brauchbarkeit wegen, -— di« oft nicht einmahl das ist, wofür sie gehalten w i r d , — den Mangel einer auf seinem Posten unentbehrlichen Tugend, oder gar das entgegen gesetzte Laster zu gut z a halten. Der Zum Beyspiel?

Fremde.

Geron. Mangel an Humanität, und dagegen gefühllose, bey jeder Gelegenheit in Härte und Grausamkeit ausbrechende Roheit, an einem Kriegsbefehlshaber; Leichtsinn und leidenschaftliche

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VIE&

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