Vier Erzählungen
 9783111324791, 9783110982350

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

ALTDEUTSCHE

TEXTBIBLIOTHEK

B e g r ü n d e t von H e r m a n n P a u l t F o r t g e f ü h r t von G. B a e s e c k e t H e r a u s g e g e b e n von H u g o K u h n Nr. 51

Herrand von Wildonie Vier Erzählungen

Herausgegeben von Hanns Fischer

MAX N I E M E Y E R V E R L A G / T Ü B I N G E N 1959

Alle Rechte vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1059 Printed in Germany Satz und Druck: Buchdmckerei H . L a u p p jr, Tübingeu

Einleitung Die vier kleinen Verserzählungen H e r r a n d s von Wildonie, d e s b e k a n n t e n steirischen Ministerialen aus der Zeit des Interregnums, sind n u r in der 250 J a h r e jüngeren H a n d s c h r i f t Ser. N o v . 2663 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (Bl. 217 ra, bis 2 2 0 v a ) , dem s o g e n a n n t e n Ambraser H e l d e n b u c h 1 ) überliefert. Was v o m alten W o r t l a u t d u r c h die f r ü h n e u h o c h d e u t s c h e , tirolisch g e f ä r b t e S p r a c h f o r m 2 ) hindurch e r k e n n b a r geblieben ist, bietet f ü r eine R e k o n s t r u k t i o n des ursprünglichen g r a m m a t i schen u n d orthographischen Bildes keine genügend sichere Grundlage 3 ). Nach d e m Vorgang f r ü h e r e r Herausgeber gebe ich d a h e r d e m T e x t u n t e r Verzicht auf dialektologische A m b i t i o n e n die g e w o h n t e Gestalt unserer großen mittelhochdeutschen E d i tionen, u m so die als S p r a c h d e n k m a l verlorenen Gedichte wenigstens als L i t e r a t u r d e n k m a l wieder zugänglich zu m a c h e n . Die Ergebnisse älterer t e x t k r i t i s c h e r Forschung, vor allem die der beiden G e s a m t a u s g a b e n von J . B e r g m a n n und K . F . K u m mer, sind kritisch gesichtet u n d zum Teil verwertet w o r d e n ;

') Zuletzt beschrieben durch F. Unterkircher, Der Schiern 28 (1954) S. 4-15. 2 ) Vgl. Th. P Thomton; Die Schreibgewohnheiten Hans Rieds im Arabraser Heldenbuch. Diss. (John Hopkins University) Baltimore 1954. 3 ) Dies gilt mit geringen Ausnahmen auch f ü r die übrigen Texte dieser Handschrift; vgl. z. B. 'Erec' (Leitzmann ATB 39), 'Kudrun' (Symons-Boesch ATB 5), 'Moritz von Craün' (Pretzel ATB 45), 'Meier Helmbrecht' (Panzer ATB II), 'Böse Frau' (Helm ATB 46).

VI an Stelle der Handschrift wurde eine von der Wiener Bibliotheksverwaltung freundlich besorgte Fotokopie benutzt. Der Apparat ist bewußt klein gehalten; er belegt nur die lautlich bedeutsamen (nicht die rein orthographischen) Abweichungen von der handschriftlichen Lesung, soweit sie nicht bereits in der Einleitung summarisch genannt werden. An Emendationsvorschlägen sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur die in den Text aufgenommenen und zwar jeweils mit Bezeichnung ihres Urhebers im Apparat angeführt. Lediglich durch Kursivsatz im Text sind die mit Rücksicht auf Rhythmus und Wortbild ergänzten (vom Schreiber meist ganz planlos syn- und apokopierten) e, ferner die wieder eingefügten (verallgemeinernden) s- kenntlich gemacht. In folgenden Punkten wurde grundsätzlich vom überlieferten Wortlaut abgegangen: 1. Orthographie und Lautstand: Nach Maßgabe der Etymologie ist ei (ey) durch i; au (aw) durch ü oder ou (ouw); eu (ew) durch iu (iuw); ai durch ei (selten i), n(u) durch wo; (selten ü durch u) \e(e) durch ae; ee durch 6 oder e; überall y durch i wiedergegeben. Vereinfacht sind etymologisch nicht gerechtfertigte Konsonantengeminationen, erleichtert sonstige Konsonantenhäufungen (tz, rtz, mb, tnbd, gk, ck usw.). Die Schreibung von b und p\ d und t; g und c ; k und c; cAund k; s(ss) und z;f und v; v und u ,j und i ist ebenso wie WTorttrennung und Wortverbindung in der üblichen Weise geregelt. Ersetzt ist weiterhin th durch t; cht durch ht; seltenes jif durch fh; wo erforderlich auch zw durch tw und sch durch s. Abkürzungen (ii = en; selten e — en und " = r) sind aufgelöst. Majuskeln sind nur für Eigennamen und Abschnittsanfänge verwendet. 2. Formen und Wörter: Wiederhergestellt ist die hsl. durchwegs zu -e abgeschwächte Endung -iu, ebenso der Artikel diu aus hsl. die. Das Pronomen der 3. Person Nom. (Acc.) Sg. Fem. und Nom. (Acc.) PI. (hsl. sy) ist durch si (Reimbeleg: I I I , 659 f.) wiedergegeben, der hsl. meist

VII ungeschiedene Dat. und Acc. PI. des Personalpronomens der 2. Person durch in bzw. iuch, hsl. da (hsl. do begegnet selten) bei temporalem Sinn durch do, bei lokalem durch da. Geregelt ist schließlich die schwankende Schreibung der mit da, dar verbundenen konsonantisch anlautenden Präpositionaladverbien und zwar in folgender Weise: da vor bi, für, vor, von, nach, hinder; dar vor zuo, nider. Ständig ersetzt sind außerdem folgende hsl. Schreibungen: rewter (und ähnlich) durch riller; mare durch mcere; solch (und flektierte Formen) durch solh (und flektierte Formen); ymmer, nymmer durch iemer, niemer; yemand, niemand durch ieman, nieman; yndert (ynndert), nindert durch iendert, niendert; nit (und nicht) durch niht; (ir) solt durch (ir) suU\ waynende, wainende (III, 525 einmal wainde) durch weinent; awe durch owe. Verwendete Siglen: Ba = Bartsch (GGA) Be = Bergmann (Ausgabe) F = Fischer He = Heinzel (in Kummers Ausgabe) Ha — von der Hagen (Ges. abent.) K = Kummer (Ausgabe) La = Lambel (Erz. u. Schw. J ) L = Lambel (Zs. f. d. ö. Gymn.) S = Schröder (GGN) Z = Zingerle (AfdA) Die Lesart der Handschrift ist stets ohne Sigle angeführt.

Bibliographie I. Ausgaben Joseph Bergmann: Des steyermärkischen Herrn und Sängers Herant von Wildon vier poetische Erzählungen aus der Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts. (Wiener) Jahrbücher der Literatur. Anzeigeblatt für Wissenschaft und Kunst Nr. 95 (1841) S. 1-32. Nr. 96 (1841) S. 32-54. Karl Ferdinand Kummer: Die poetischen Erzählungen des Herrand von Wildonie und die kleinen innerösterreichischen Minnesinger. Wien 1880. Friedrich Heinrich von der Hagen: Gesammtabenteuer. Stuttgart und Tübingen 1850. Bd. II S. 332-347 Nr. XLIII) ['Der betrogene Gatte']\ Bd. III S. 713-719 (Anhang) ['Die treue Gattin']. Hans Lambel: Erzählungen und Schwänke. Leipzig '1872. S. 191 bis 210 und 21883. S. 203-223 ( = Deutsche Classiker des Mittelalters 12) ['Der betrogene Gatte']. II. Abhandlungen Karl Ferdinand Kummer: Das Ministerialengeschlecht von Wildonie. Arch. f. österr. Geschichte Bd. 59 (1880) S. 177-322 [ Biographisches J. Edward Schröder: Herrand von Wildon und Ulrich von Liechtenstein. Nachrr. d. kgl. Gesellschaft d. Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Kl. 1923. S. 33-62 [Sprache, Verstechnik, Quellenfrage, Textkritik].

X Alfred Kracher: Herrand vonWildonie. Politiker, Novellist und Minnesänger. Blätter für Heimatkunde (Hrsg. vom Historischen Verein für Steiermark) 33 (1959) S. 40-53. Textkritische Beiträge enthalten noch folgende der Ausgabe Kummers: Göttingische Bartsch),

gelehrte

Anzeigen

1881,

Besprechungen

S. 1234-1244

(Karl

Zs. f. d. österr. Gymnasien Bd. 33 (1882) S. 215-228 (Hans Lambel), Anzeiger f. dt. Altert. Bd. 7 (1881) S. 151-164 (Oswald Zingerle). Weitere Literatur ist verzeichnet: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hrsg. von W. Stammler und K. Langosch. Bd. II. Berlin und Leipzig 1936. Sp. 429 f. Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Hrsg. von C. von Kraus. Bd. II (Kommentar) Besorgt von H. Kuhn. Tübingen 1958. S. 635.

I

Die treue Gattin Diu getriu kone || Wir suln von lieben dingen sagen [CCXVII ra] und leider maere gar gedagen, wan si tuont we dem herzen gar. ich hän alliu miniu jär mit leiden maeren her verzert, da von ich freuden bin behert. wan guotiu maere machent frö; diu leiden häni getan mir so, daz ich ir willicliche enbir. swä diu wal stät an mir, da wel ich daz mir rehte kumt und mich an minen freuden frumt. nu ist daz min meist«z leit, daz mir diu wal ist gar verseit. sit mir nieman niht wil sagen daz mir von rehtc müge behagen, so bin aber ich so wol gemuot, daz ich vil lieber sage guot, dan daz mir niht gezieme und ieman freude naeme. da von wil ich ein maere sagen, daz iu von rehte muoz behagen:

Überschrift:

stillen.

Ditz pöechel haysset die getrew kone.

8 hänt K] han.

19 dan Ha] daz.

9 enbir ÜT] empier.

20 sein vor fr. streicht Ba.

5

10

15

20

1 suln Be]

10 swä Be] wo.

2 Ein ritter het ein schoene wip, diu was im liep als sin lip; daz was billich. ir schocne was durchliuhtic als ein spiegelglas dar zuo was si envollen guot. swä ein wip ist so gemuot, daz si bi schoene güete hat, der lip billich ze loben stät. diu reine was so erbaere, daz ir man kein herzenswsere von den dingen nie gewan; da von mohte er si gerne hän. si was an zühten so volkomen, daz nie niht wart von ir vernomen, daz man f ü r u n z u h t mohte hän; dar umb was si ouch liep ir man. si bot ez sinen friunden wol, den gesten, als ein f r u m wip sol. ir wirt was an dem libe ein man, daz er was niht so wolgetän, als er ez gerne het gesehen. von im wil ich der wärheit jehen: er was gerumphen unde klein. der ritter vor den liuten schein, als er wser hundert jär alt; des er doch niht gen ir entgalt: er dühte si schoene als Absolon und sterker danne Sampsön. in ir herzen wart nie man, den si f ü r in wolte hän.

25

30

35

40

45

50

vor 23 nette Überschrift: Hie hebt sich an das püechel. 27 envollen F] den vollen. 28 swä Be] wo. 34 mohte F] möcht. 37 mohte i 1 ] möchte. 38 si ergänzt K. 47 er Be] es. 48 des er Ha] daz es; gen Be] gegen. 49 schoene A'] schöner. 51 ir F] irem.

3 daz machte ir gróziu frürmkeit, daz ander: er was gar bereit ze alle diu, daz iemer man an allen èren mac begän. daz tet er allez völliclich, als ob er wEere ein keiser rieh gewesen und ein der schcenste man, den al diu werlt ie gewan. willic sines muotes, sines libes, sines guotes, was er gar den undertän, an den er ère solté begàn. dà von wart sin unflsetikeit in allen landen hingeleit. Nu kam ez nach gewon |¡ heit, [CCXVII rb] daz dem ritter wart geseit von einem urlouge gròz. dar fuor vil manie sin genòz ; dar fuor ouch er durch sinen muot und t e t ez dà sö rehte guot, daz man im dä des prises jach f ü r alle die, die man dà sach (und waere er dà heime beliben, sò müeset ir iueh han verzigen, daz ich iu niemer het geseit von aller siner frümtkeit). dò er daz beste het getàn, dò muose ouch er aldà enphán etelichez herzenleit, daz manigem was vil unbereit, der ze hinderst was dà bi

55

60

65

70

75

80

53 machte Be] machet; friimikeit X] frümbkait. 55 ze Be] zu. 59 schcenste Be] schönest«. 60 al diu werlt Be] alle die weit. 64 solte Be] s61te. 74 ein zweites die ergänzt Ba. 77 het He] han. 78 frümikeit Ä] frümbkait. 80 muose F] müst; enphän Be\ emphan.

4 (von dem bin ich der sage fri). ein ouge im üzgestochen wart von einem, der sich üf in spart al die zit und in dö neit umbe alle sine friimtkeit. dem ritter tet sin smerze we, iedoch klagte er daz michels me, als er sin wip an solte sehen, daz ir waer leit an im geschehen. van ir leit daz was daz sin, sin leit was ouch ir leides pin. Siner swester sun der wart sin gereise üf diser vart; er was im ouch durch zuht verlän. den nam er von den liuten dan und sprach: «getriuwer friunt, nu var und sage der reinen süezen klär, min dinc sich habe gefüeget so,' daz ich si lemer mer unfrö. ich was e niht ein flaetic man, nu habe mir got also getan, daz ich mich schäme, daz si biliich, und welle ouch alliu tiutschiu rieh rümen und alliu diu lant, da ich bi namen bin bekant. und sage der süezen, daz ir bi min herze in allen landen si, swar ich iemer mer süle komen. ich habe da nie von ir vernomen offenbar noch heimlich, da mit si habe versmsehet mich. ir zuht si habe des niht erlän,

85

90

95

100

105

110

115

87 und Jf] vntz. 88 frümikeit Ä'] fhimbkait. 90 klagte Be] klaget. 107 rümen Ha] pawen. 111 swar wohin; süle sol.

5 si habe die ère mir getan, daz ir diu werlt sol dester baz sprechen, friunt, nu sage ir daz, ich miige sì niemer mér gesehen. du solt ir des von mir verjehen: ir schcenem libe, ir varwe klar, den müese ich sin ein marter gar, solte ich ir fürbaz wonen bi. der marter sol si wesen fri. sit ich ir niht gedienen mac, só sol auch sì deheinen tac von mir gewinnen niemer leit. » Der böte weinent von im reit und kam hin, dar er wart gesant. diu frouwe gienc gèn im zehant sì viene in zuo ir unde sprach: «vor maniger zit ich nie gesach deheinen boten alse gern, und wilt du lieber msere wem mich, friunt, von dem neven din. sage an : ist fró der hèrre min ? » daz kindel weinent sprach gèn ir: «er hat enboten, frouwe, dir sin dienest, unde swä er sì só wone dir doch sin herze bi. daz hast du wol gèn im versoli. ez habe nie schcene wip gedolt mit solhen zühten keinen man, und der als übel wser getan. sin lip || waer dir ievor ze swach, [CCXVII rc] nu sì ein solher ungemach im geschehen, daz er dir bi

120

125

130

135

140

145

121 schoenem übe K~\ schonen leib. 122 marter Be\ martrer. 130.137. 141 gèn Be\ gegen. 135 friunt He] freut; neven