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German Pages 298 Year 2012
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 237
Gesinnung und Straftat Besinnung auf ein rechtsstaatliches Strafrecht
Von
Frauke Timm
Duncker & Humblot · Berlin
FRAUKE TIMM
Gesinnung und Straftat
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 237
Gesinnung und Straftat Besinnung auf ein rechtsstaatliches Strafrecht
Von
Frauke Timm
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT
Gedruckt mit Unterstützung der Fazit-Stiftung
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Georg Freund, Marburg
Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2011/12 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-13851-7 (Print) ISBN 978-3-428-53851-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-83851-6 (Print & E-Book)
Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meiner Familie
Vorwort Leider läßt sich eine wahrhafte Dankbarkeit mit Worten nicht ausdrücken. Johann Wolfgang von Goethe
Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg im Wintersemester 2011/12 als Dissertation angenommen. Zu tiefem Dank verpflichtet bin ich meinem akademischen Lehrer und Doktorvater Prof. Dr. Georg Freund für seine große Unterstützung seit einer frühen Phase meines Studiums. Meine Promotion förderte er durch seine ungebrochene Bereitschaft zum Gedankenaustausch und das Schaffen von Freiräumen, wie sie für die Entstehung einer solchen Arbeit erforderlich sind. Herrn Prof. Dr. Dieter Rössner danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens sowie die wertvollen Anregungen zu meiner Arbeit. Dankbar bin ich ihm auch für die wohlwollende Förderung, die er mir vor und während der Promotion hat zuteil werden lassen. Meine Kollegin Dr. Katharina Reus und meine Kollegen Markus Bender, Dr. Philipp Georgy und Thomas Kröger haben durch ihren großen Sachverstand und ihre Begeisterung für den wissenschaftlichen Diskurs die gemeinsame Zeit während der Promotion zu einer unvergesslichen werden lassen. Dank gebührt ihnen für all die großen und kleinen Freuden des Miteinanders und die ehrliche Unterstützung meiner wissenschaftlichen Arbeit. Bei der Hanns-Seidel-Stiftung möchte ich mich für die Förderung der Arbeit durch die Gewährung eines Begabtenstipendiums aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) herzlich bedanken. Der Fazit-Stiftung und der VG-Wort danke ich für die großzügige Übernahme der Druckkosten für die Veröffentlichung der Dissertation. Meine Eltern, Maria und Gunnar Timm, haben meine Ausbildung stets uneingeschränkt gefördert. Ohne ihren Einsatz wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Meine Schwester, Eva Maria Shiels, hat mir durch ihren festen Glauben an den erfolgreichen Abschluss meiner Promotion viel Kraft geschenkt. Ungleich tieferer Dank gebührt ihr dafür, zu sein, wer sie ist. Said Sekander Nasruddin hat durch seine Wärme, Geduld und Lebensfreude einen unermesslichen Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit geleistet. Für sein Interesse, die unzähligen Gespräche und seine bedingungslose Unterstützung ge-
8
Vorwort
bührt ihm meine wahrhafte Dankbarkeit, die ich nicht mit Worten auszudrücken vermag. Marburg, im Juni 2012
Frauke Timm
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
A. Terminologische Vorfragen und individuelle Verantwortlichkeit für die Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
I.
Freie Entstehung der Gesinnung im Individuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
II.
Ergänzung: Freie Entstehung der Gesinnung unter dem Blickwinkel der Freudschen Psychoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
III.
Bindungswirkung der Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
IV.
Moment der Dauer als Merkmal der Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
V.
Exkurs: Gesinnung und Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
VI.
Verantwortlichkeit für die eigene Gesinnung angesichts der Determinismusdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
VII. Neurowissenschaften auf Abwegen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
VIII. Fazit der terminologischen Vorklärung: Definition der Gesinnung . . . . . . .
37
B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . .
38
I.
Strafrecht ist nicht Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
II.
Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . . .
40
1. Aufgabe und Legitimation von Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
a) Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm als notwendige normative Grundvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
aa) Strafe wehrt die Gefahr eines Normgeltungsschadens ab . . . . . .
43
bb) Kritik an der generalpräventiven Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . .
45
cc) Auswertung der Kritik an der generalpräventiven Straftheorie . .
47
dd) Strafe ist geltungssichernde ausgleichende Ahndung des Verhaltensnormverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
ee) Strafe als geltungssichernde ausgleichende Ahndung verzichtet nicht auf das Strafübel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
ff) Kritik an der Straftheorie der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
b) Legitimität von Verhaltensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
aa) Legitimer Zweck und Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
bb) Maßgeblichkeit der Adressatenperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
cc) Verhaltensnormen als Schnittmenge von Recht und Moral . . . . .
68
10
Inhaltsverzeichnis
III.
c) Legitimität von Sanktionsnormen und konkreter Sanktionsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Legitimer Stellenwert spezifischer Fehlverhaltensfolgen . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung zu Aufgabe und Legitimation von Strafe . . . . . . . 2. Gesinnungsabstinenz des Strafrechts einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Exkurs: Stellenwert der Gesinnung in der kantischen Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimität von Verhaltensnormen, die die Gesinnung verbieten . . . c) Keine abweichende Bewertung angesichts eines „Grundrechts auf Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Legitimität von Sanktionsnormen, die gesinnungsreglementierende Verhaltensnormen schützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Legitimität strafzumessungsrechtlicher Einbeziehung der Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auch Strafschärfung ist ein separates (weiteres) Übel . . . . . . . . . bb) Abweichender Stellenwert der Tätergesinnung in der Strafzumessung aufgrund unterschiedlicher straftheoretischer Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Spielraumtheorie und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unterscheidung des theoretischen Fundaments von Strafe und Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ausnahme bei bestimmten, besonders gefährlichen Gesinnungen? . . 3. Exkurs: Gefühlsschutz als Legitimationsgrund der Bestrafung des Einzelnen aufgrund seiner Gesinnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . 1. Theoretisches Fundament des Polizeirechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Straftheorie“ der Individualprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik und Richtigstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Legitimer Stellenwert individualpräventiver Erwägungen im Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellenwert der Gesinnung im Polizeirecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesinnung ist Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person . . . . b) Vereinbarkeit mit einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . c) Polizeiliche Maßnahmen gegenüber dem vollverantwortlichen Gesinnungstäter: Kapitulation des Modells der Verhaltensmotivation durch rechtliche Verhaltensnormen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Feindstrafrecht als Retter des Normenmodells? . . . . . . . . . . . . . . bb) Selbstwiderspruch des Gesinnungstäters als Grund fortdauernder Legitimation des Normenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung des Stellenwerts der Gesinnung im Polizeirecht . . .
71 74 76 76 76 79 88 88 89 90
91 92 94 99 107 110 111 111 112 115 118 122 122 124
126 129 139 141
Inhaltsverzeichnis IV.
11
Zusammenfassendes Ergebnis zur Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
C. Gesinnung als Element der Straftat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 I. Die Straftatelemente sind alleinige Kategorien der Strafzumessung . . . . . . 146 II. III.
Allgemeine Straftatkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Gesinnung als Element des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Grundsätzliche Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts aufgrund subjektiver Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Grenze der Graduierbarkeit: Die Gesinnungstat bedeutet keine gesteigerte Infragestellung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Maximalmaß des Verhaltensnormverstoßes bei Infragestellung des Rechts ohne Milderungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 b) Gründe zur Milderung des Maximalmaßes des Verhaltensnormverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 c) Keine Milderung aufgrund einer anerkennenswerten Gesinnung . . . 163 d) Hintergrund der Graduierungsbestrebungen: Potentielle Gefährlichkeit des Gesinnungstäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
IV.
3. Dennoch: Steigerung der Infragestellung des Rechts bei anstößiger Gesinnung – die Auffassung Wolfgang Frischs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4. Ideeller Unrechtsbegriff oder Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers? – Zum Unrechtsverständnis Tatjana Hörnles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Gesinnung als Element der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Täterschuldbegriffe und Schuld als unrechtliche Gesinnung . . . . . . . . . . 179 2. Wertwidrige Gesinnung als gesteigerte Herabsetzung des gegenseitigen Anspruchs auf Anerkennung – Das Schuldverständnis Brigitte Kelkers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Schuldminderung bei anstößiger Gesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Schuldminderung aufgrund eingeschränkter Normbefolgungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Schuldminderung aufgrund eingeschränkter Unrechtseinsicht . . . . . . 193
V. VI.
Zusammenfassendes Ergebnis zur Gesinnung als Element der Straftat . . . 197 Schlussfolgerung für das Verhältnis der Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . 198
VII. Hasskriminalität als neue Erscheinungsform gesinnungsgeleiteter Taten – Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sonderdogmatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Legitimität von „Gesinnungsmerkmalen“ im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Unzulässigkeit echter Gesinnungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 2. Sogenannte „Gesinnungsmerkmale“ als Konkretisierung des spezifischen Verhaltensnormverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
12
Inhaltsverzeichnis
II.
III.
IV.
3. Verbleibende Kritik an Merkmalen, die den individuellen Verhaltensnormverstoß konkretisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrecht im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendige Differenzierung gegenüber dem Themenkomplex des „Risikostrafrechts“ – Kritik der Frankfurter Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzung des eigenen Untersuchungsgegenstandes auf die Unzulässigkeit der Anerkennung des Menschen als Risiko im Strafrecht . . . . . . 3. Kennzeichen versteckt spezialpräventiver Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausgewählte Problemkreise der Vorfeldinkriminierung . . . . . . . . . . . . . . a) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Subjektiv oder objektiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sieh’, das Gute liegt so nah! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konsequenzen für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs . . dd) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafbarkeit der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 . . Gesinnungsstrafrecht in der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weitere Problembereiche: Einschlägige Vorstrafen bzw. Vortaten, Rückfallschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarkeit der Ergebnisse zur (fehlenden) Strafzumessungsrelevanz von Gesinnungen bzw. des Vorlebens des Täters mit § 46 Abs. 2 . . . . . Zusammenfassung zu den Spuren unzulässigen Gesinnungsstrafrechts im geltenden Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222 224 224 230 233 236 242 242 243 244 246 247 250 250 256 259
E. Vom Verhältnis von Freiheit und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295
Einleitung1 Die Gedanken sind frei Wer kann sie erraten? Sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen mit Pulver und Blei: Die Gedanken sind frei! (. . .)
Und sperrt man mich ein Im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke. Denn meine Gedanken Zerreißen die Schranken Und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei!2
Der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts ist einer der härtesten, der einem auf Rechtsstaatlichkeit bedachten Strafrechtssystem gegenüber formuliert werden kann. Damit einher gehen nicht zu Unrecht dunkle Befürchtungen der Unterdrückung des Andersdenkenden. Während Gedankenvielfalt Entwicklung und damit zumindest die Möglichkeit des Fortschritts bringt, bedeutet Meinungshomogenität Stillstand. Gesinnungsstrafrecht bekämpft die als anstößig empfundene Einstellung des anderen. Es gelingt, der Intoleranz Macht zu verleihen und die eigene private Moralvorstellung auf Kosten anderer Anschauungen, die unterdrückt werden, durchzusetzen. Welche Bedeutungskraft kommt aber dem Postulat der Gedankenfreiheit in Zeiten kollektiver Furcht westlicher Nationen noch zu? Im Sicherungsbestreben, das sich in der Theorie durchaus auf die Erhaltung der Kernelemente einer freiheitlichen Grundordnung richtet, geraten eben jene unerfreulich schnell in den Sog der für dringend erforderlich erachteten Veränderungen. Was wir zu schützen intendieren, ist in der ihm originären Zerbrechlichkeit besonders anfällig für Fehlentwicklungen, die das freiheitliche Konzept der Gesellschaft betreffen. Freiheit kann zwar nicht ohne Sicherheit sein – ihre Beschützerin vermag sie aber auch in höchstem Maße in ihrer Existenz zu gefährden.3 Doch scheint dieses Wissen verloren: Der Fokus richtet sich auf die Gewährleistung von Sicherheit, in deren Schatten die Freiheit allmählich verkümmert.4
1
Nachfolgende, nicht weiter gekennzeichnete Paragraphen sind solche des StGB. Volkslied, ca. 1790, bearbeitet von Hoffmann von Fallersleben, 1842. 3 Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit siehe Huber, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 592, 601 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 41, 60; Kötter, KJ 2003, 64, 73 ff.; Krauß, StV 1995, 315, 320 f. 4 Vgl. zu dieser Fehlentwicklung freiheitlich verfasster Gesellschaften nur Albrecht, StV 1994, 265 f.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379 f.; Naucke, KritV 1993, 135, 137 ff.; 2
14
Einleitung
I. Der Verlust freiheitlicher Grundsätze wird in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens beklagt. Freiheit wird mit dem Ziel erhöhter Sicherheitsgewährleistung zunehmend abgebaut. Aktuelle Diskussionen drehen sich ungebrochen häufig um die Frage, wie angesichts offenbar erheblich verschärfter Bedrohungen von Seiten der Gegner eines freiheitlich verfassten Gemeinwesens mehr Sicherheit kreiert werden kann. Die – diffuse – Gefahr ist allgegenwärtig. Verdächtig machen sich grundsätzlich Anhänger spezifischer Weltanschauungen; als allgemein gefährlich werden ganze Lebensbereiche und deren maßgebliche Akteure empfunden (öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere der Flugverkehr, das Internet etc.). Einhergehen damit immer neue Forderungen nach Reglementierungen individueller Freiheit an den vermeintlichen Schwachstellen kollektiver Sicherheit, die dem Einzelnen eine erhebliche Opferbereitschaft abverlangen. Wem das nicht Recht ist, der macht sich in seinem Protest selbst verdächtig, getreu dem Motto: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten.5 Kritik an Maßnahmen, die mehr Sicherheit der Gemeinschaft kreieren (sollen), äußern dann also nur jene, die eine Offenbarung ihrer dunklen Geheimnisse ernstlich fürchten. II. Es überrascht wenig, dass die grob nachgezeichnete Fehlentwicklung freiheitlich verfasster Gemeinschaften vor den Grenzen des Strafrechts nicht halt macht. Hier lassen sich zunehmend Vorschriften ausmachen, die weniger ein störendes Verhalten, denn die bösen Hintergedanken der Person im Blick haben.6 Die Gesinnung bietet als Gegenstand einer strafrechtlichen Abhandlung wie kein anderes Phänomen die Möglichkeit, jene neuralgischen Punkte des geltenden Strafrechts auszumachen, in denen die Grenzen der Gedankenfreiheit nicht länger gewahrt werden. Als Inbegriff des freien Denkens und Meinens der Person weist ihr strafrechtlicher Stellenwert verfassungsrechtlichen Sprengstoff auf. In ihrer Stoßrichtung weicht die vorliegende Arbeit daher wesentlich von bisherigen strafrechtlichen Abhandlungen zum Thema der Gesinnung ab. Solche haben in der Untersuchung der allgemeinen Legitimität von Gesinnungsmomenten im Strafrecht das Pferd in aller Regel von hinten aufgezäumt: Die Gesinnung als strafrechtliches Phänomen hinnehmend gehen die sich mit ihr befassenden Autoren in weiten Teilen der Frage richtiger „Verortung“ im Verbrechensaufbau nach. Unrecht oder Schuld? – So lautet nicht selten die zentrale Problemstellung, der ders., KritV 1990, 244, 246 ff., 250 f. (mit dem Fokus vor allem auf das Strafrecht) sowie Prantl, Terrorist als Gesetzgeber (zu einer allgemeiner gehaltenen Einschätzung). 5 Dass solches sicherheitspolitische Paradigma angesichts der Eingriffsintensität gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen, die durchaus jene treffen, die eigentlich nichts zu verbergen haben, nicht hält, was es verspricht, betont besonders eindrucksvoll Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 15 ff. 6 Vgl. nur die unter diesem Blickwinkel stark kritisierten Vorschriften der §§ 89a, 89b, 91 bzw. § 130 Abs. 3, 4. Siehe dazu u. a. Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 121 f.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 454; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 149, 153; Prantl, Terrorist als Gesetzgeber; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 315 ff.
Einleitung
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breiter Raum geboten wird.7 Die Gesinnung selbst verkommt dabei manches Mal zum reinen Statisten: Ihr wird nicht selten lediglich die Bedeutung zugesprochen, die Richtigkeit des jeweiligen Straftatkonzepts zu untermauern. III. Die anstehende Untersuchung wählt einen abweichenden Ansatz. Fragen der korrekten Einstufung als Straftatelement können überhaupt erst dann Relevanz entfalten, wenn die prinzipielle Vereinbarkeit des Bewertungsgegenstandes mit dem Strafrecht feststeht. Die vorliegende Arbeit soll aber gerade die Unvereinbarkeit eines freiheitlichen Strafrechts mit jedwedem Einbeziehen von Gedanken bzw. Haltungen des Individuums begründen und konkretisieren. Die Gesinnung darf nicht zum Gegenstand strafbewehrter Verbote erhoben werden. Doch nicht nur neue Erscheinungsformen der Gedankenreglementierung in Gestalt von spezifischen Verhaltensvorschriften innerhalb des Strafrechts sollen uns begegnen. Auch alte Bekannte säumen den Weg, der auf der Suche nach dem legitimen Stellenwert von Gesinnungen im Strafrecht beschritten wird. So legen die meisten Autoren ihre immerhin auf Strafbarkeitsbegründungsebene vorherrschende Skepsis gegenüber der Gesinnungsrelevanz innerhalb der Strafzumessung vorschnell ab: Der Gesinnung soll danach eine Bedeutung für die konkrete Strafhöhe zukommen.8 Auch diese Vorgehensweise wird sich in der anstehenden Untersuchung als mit einer freiheitlichen Verfassung unvereinbar erweisen. IV. Die Erkenntnis der Gesinnungsabstinenz des Strafrechts ebnet eine vertiefte Auseinandersetzung mit Zweckrichtung und Funktion des Strafrechts in einer freiheitlichen Grundordnung. Weil der Gesinnung aber kein legitimer Stellenwert im Strafrecht zukommt, muss sich der Blick über die Grenze dieses Rechtsgebiets weiten. Die Unvereinbarkeit eines freiheitlichen Strafrechts mit Gesinnungsmomenten lässt sich nicht ohne Weiteres auf andere Bereiche übertragen. Gerade die tiefe Verwobenheit der Gesinnung mit der Täterpersönlichkeit und ihre jedenfalls grundsätzliche Offenbarungstendenz bezüglich künftigen Verhaltens der Person9 schaffen eine gewisse Nähe zu stärker präventiv ausgerichteten Rechtsfeldern. Zwar wird das Strafrecht nach wie vor verbreitet als Sammelbecken verschiedenster Zweckrichtungen angesehen.10 Prävention steht neben 7 Siehe beispielhaft Berger, Gesinnungsmoment, S. 178 f.; Bockelmann/Volk, AT, § 12 A III 3; Maurach/Zipf, AT I, § 22 Rn. 52 (S. 318); Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 46 ff.; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 466 ff., 474 f.; Köhler, AT, S. 364 f., 599; Lampe, Das personale Unrecht, S. 264; Lange, JR 1949, 163, 166 ff.; Würtenberger, Situation, S. 56 f. 8 Vgl. nur Berger, Gesinnungsmoment, S. 178 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 548 ff., 552 ff.; dens., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 19 f., 55 ff.; dens., Recht der Strafzumessung, S. 210 ff.; Guckenheimer, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 1 (1921), 1, 107; Streng, Sanktionen, Rn. 441 f. sowie die Nachweise in Fn. 400. 9 Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 132 f.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 55 ff. 10 Vgl. zur Vereinigungslehre die Nachweise bei Jakobs, AT, 1/48 m. Fn. 70.
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Repression – innere Widersprüche werden nicht selten übersehen. Doch gerade die undifferenzierte Zuschreibung insbesondere spezialpräventiver Zwecke zum Strafrecht wird in der vorliegenden Arbeit als Urgrund für Fehlentwicklungen eines freiheitlichen Strafrechts ausgemacht. Den optimalen Nährboden diverser Sicherungsbestrebungen bietet ein besonders präventiv aufgestelltes Strafrecht. Die individuelle Freiheit zu wahren, wird unter diesem Vorzeichen zum schier unmöglichen Unterfangen. Hauptanliegen der nachfolgenden Untersuchung ist daher die Wahrung jener rechtsstaatlichen Errungenschaft strikter Trennung präventiver und repressiver Instrumente, wie sie in den Gebieten des Straf- und Polizeirechts verkörpert ist. Nur so kann ein freiheitliches Strafrecht gelingen. Dabei sei bereits vorab zur Klarstellung eines betont: Die in der vorliegenden Untersuchung vorgenommene Etablierung einer Straftheorie, die auf sämtliche (insbesondere spezial-)präventiven Elemente verzichtet, geht nicht einher mit einer allgemeinen Verbannung spezialpräventiver Errungenschaften aus dem System staatlicher Maßnahmen. Im Gegenteil kommt der Individualprävention zunächst als Legitimationsspur staatlicher Eingriffsinstrumentarien eigenständige Bedeutung für das Polizeirecht zu. Darüber hinaus meint eine Straftheorie, die sich von präventiven Zweckerwägungen gänzlich löst, nicht etwa das Regiment harter Strafen ohne die Berücksichtigung von Elementen, die etwa der Resozialisierung des Täters dienen können. Hier gilt es, sauber zu differenzieren: Vor dem Hintergrund des Sozialstaatsgedankens verfassungsrechtlich geboten sind (staatliche) Angebote der Resozialisierung: Dabei handelt es sich aber nicht – und insoweit droht gerade kein Systembruch mit Blick auf die eigenen Untersuchungsergebnisse – um staatliche Eingriffe, sondern vielmehr – bildlich um eine dritte Spur staatlicher Aufgaben – um Angebote, die qua Verfassung gegenüber dem Einzelnen gemacht werden müssen. Ihnen kommt insbesondere mit Blick auf ihren Legitimationsgrund ein eigenständiger Stellenwert im System staatlicher Aufgaben zu, die sich gerade nicht in Eingriffen erschöpfen. V. Die Arbeit gliedert sich folgendermaßen: Angesichts der bislang zu diesem Thema geleisteten, umfassenden Vorarbeiten können im ersten Teil in gebotener Kürze terminologische Vorfragen geklärt werden. Auch die individuelle Verantwortlichkeit für eine Gesinnung spielt hier eine Rolle. Im Anschluss daran erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Gesinnungen in einer freiheitlichen Grundordnung. Geprägt sind die Ausführungen sowie die erzielten Ergebnisse vor allem durch die Einsicht in die rechtsstaatliche Notwendigkeit der strikten Trennung präventiver und repressiver Erwägungen. Für das Strafrecht bereiten Aufgabe und Legitimation von Strafe den Boden für die Erörterung der Relevanz von Gesinnungen im Bereich von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung. Dass die Gedankenfreiheit zunehmend ins Visier von Sicherheitsbestrebungen rückt und diese Entwicklung auch das Strafrecht ereilt hat, soll an spezifischen Problemfeldern des geltenden Strafrechts aufgezeigt werden. Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts werden vor dem Hintergrund des Fest-
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haltens am Postulat der freiheitlichen Verfassung einer deutlichen Kritik unterzogen, die mit Vorschlägen zu Änderungen der Gesetzeslage in den jeweiligen Bereichen einhergeht. Größeren Raum nimmt dabei die Untersuchung der Legitimität sogenannter „Gesinnungsmerkmale“ im Strafrecht ein, die trotz im Einzelfall denkbarer Berechtigung als Merkmale zur Konkretisierung des individuellen Verhaltensnormverstoßes jedenfalls in ihrer Begrifflichkeit Schwierigkeiten aufwerfen. Abschließend wird angesichts der Fehlentwicklungen innerhalb der freiheitlich verfassten Grundordnung das hierfür maßgebliche, sensible Verhältnis von Freiheit und Sicherheit in Erinnerung gerufen. Das Wissen über die zerstörerische Kraft übertriebener Sicherheitsbestrebungen mit Blick auf die Existenz individueller Freiheit sollte jedenfalls für die Zukunft das Strafrecht einer freiheitlich verfassten Gemeinschaft bestimmen.
A. Terminologische Vorfragen und individuelle Verantwortlichkeit für die Gesinnung Die Gesinnung war in der Vergangenheit bereits Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.11 Es kann angesichts der Entwicklung des deutschen Strafrechts, die immer wieder Phasen befördert hat, in denen Momente der Gefährlichkeit des Täters für die Bestrafung als wesentlich erachtet wurden, kaum verwundern, dass terminologische Betrachtungen in diesem Bereich heute keinen echten Seltenheitswert mehr für sich verbuchen können.12 Für die anstehende Untersuchung ergeben sich hieraus sowohl Nach- als auch Vorteile. Zum einen stellt sich im Begrifflichen die (vermeintliche) Schwierigkeit, kaum Neues hinzufügen zu können. Dass etwa der Wesensgehalt der Gesinnung in einer Einstellung bzw. Haltung des Einzelnen zu gesellschaftlichen Werten13 zu erblicken ist, kann mit gutem Gewissen als Konsens bezeichnet werden.14 Allenfalls die Frage ihrer 11 Siehe McDougall, Aufbaukräfte der Seele, S. 158 ff., 162 ff., 223 f.; Pfänder, Phänomenologie des Wollens; Shand, The Foundations of Character. 12 Vgl. zu diesem Bereich die in Fn. 14 genannten Arbeiten. 13 So auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 35 ff. Dazu, dass der Gegenstand der Gesinnung für das Strafrecht die entscheidende Rolle mit Blick auf die Einordnung als Element des Unrechts oder der Schuld spiele, vgl. nur Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 146 ff. Indessen kann solche terminologische Anknüpfung der Gesinnung an die Kategorien der Straftat den Blick auf die grundlegende Frage der Legitimität der Einbeziehung von Gesinnungen im Strafrecht verstellen. Wer so verfährt, droht, maßgebliche verfassungsrechtliche Grundentscheidungen angesichts schwieriger Systemfragen zu verlieren. Zur weiteren Kritik an der Überbewertung von Verortungsstreitigkeiten und der fehlleitenden Heranziehung der Gesinnung zur Untermauerung des jeweiligen Straftatkonzepts vgl. ausführlich noch unten C. m. Fn. 403, 404. – Zuzugeben ist Kelker darin, dass die terminologischen Differenzen ihren tieferen Grund zumeist in abweichenden Straftatkonzepten finden werden. Die hiesige Vorabklärung des Begriffs der Gesinnung soll bewusst von solcher bereits strafrechtlichen Überfrachtung frei gehalten werden. Vor diesem Hintergrund schwinden dann aber die Unterschiede im Gesinnungsbegriff anderer Autoren. 14 Siehe dazu die Definitionen der Gesinnung bei anderen Autoren: Berger, Gesinnungsmoment, S. 61: „Geistige Haltung, die sich aus dem seelischen Erleben und den unmittelbar an den Geist gerichteten Wertanrufen ausbildet“; Binder, ZStrR 67 (1952), 307, 313: „Dauerhaltung der Psyche“; Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 220, 243: „(. . .) die Gesinnung, die in der Tiefe der Persönlichkeit begründete und aller Erfahrung und bewußten Willensbildung vorausgehende Haltung, über die sich (. . .) die Orientierung der Person an bestimmten Werten ergibt“; Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 19: „allgemeine Einstellung eines Menschen zu den Grundwerten aller Gemeinschaft“; Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 89: „(wertpositiv oder wertnegativ zentrierte) Werteinstellung des Täters zum Opfer und zur Tat“; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 38: Gesinnung sei eine „dauernde ethische Grundhaltung
I. Freie Entstehung der Gesinnung im Individuum
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Dauerhaftigkeit bedarf dabei noch näherer Erörterung.15 Gleichlaufende Nachforschungen in diesem Bereich lassen ihre Notwendigkeit vor dem Hintergrund des Bestrebens der Wissenschaft, neue Erkenntnisse zu erzielen, missen und sollen daher die eigene Arbeit nicht unnötig aufhalten. Bereits Gesagtes muss nicht wiederholt werden. Der Vorteil der Existenz früherer Arbeiten im Bereich der Gesinnung als Begriff ist damit schnell benannt. So kann auf einen breiten Fundus an bisher erlangtem Wissen zurückgegriffen werden, das an geeigneter Stelle brauchbar gemacht wird. Die anstehende Untersuchung kann sich im Rahmen der terminologischen Vorklärung daher auf diejenigen wesentlichen Gesichtspunkte begrenzen, von denen tatsächlich ein Erkenntnisgewinn mit Blick auf den strafrechtlichen Stellenwert anstößiger Gesinnungen zu erhoffen ist. Dabei rückt vor allem die Frage der individuellen Verantwortlichkeit der Person für das Haben, Sich-Aneignen bzw. Ablegen einer anstößigen Gesinnung in den Fokus.
I. Freie Entstehung der Gesinnung im Individuum Unabhängig von der hier bewusst noch offen gelassenen Frage nach dem Stellenwert der Gesinnung im Strafrecht steht jedenfalls eines fest: Ein irgendwie gearteter Vorwurf, der an die Gesinnung des Einzelnen anknüpfen soll, setzt die Verantwortlichkeit der Person für dieses Phänomen voraus. Die Gesinnung muss dann immerhin frei durch das Individuum gebildet werden. Soll die Gesinnung also auf Freiheit beruhen, muss dies bereits für ihren Ursprung gelten. Die Werteeinstellung des Einzelnen darf dann nichts Vorgegebenes oder Angeborenes sein. Wie entsteht aber eine Gesinnung? Die Beantwortung dieser durchaus schwierigen Frage führt hinein in die Innenwelt des Menschen und legt den Blick frei für die in diesem Zusammenhang maßgebliche Problematik des Verhältnisses von vorgegebenen und selbstständig erlangten Elementen des menschlichen Internums. Auch die Begrifflichkeiten Seele und Geist vermögen nur einen vagen Eindruck dessen zu vermitteln, was hier der Klärung zugeführt werden soll. Sie belegen zugleich, dass eine finale Abgrenzung solcher „eigenen“ und „hinzugetretenen“ Eigenschaften kaum möglich, wenn überhaupt erstrebenswert ist. Dennoch spielt es für das Maß der Freiheitlichkeit der Gesinnung des Menschen eine entscheidende Rolle, ob es sich dabei um eine „Mitgift Gottes“ oder doch um eine aus Erfahrungen und Reflektionen erlangte eigenständige Betrachtung der Dinge handelt. Wie bereits angedeutet, drücken Bezeichnungen wie Seele oder Geist lediglich das Dilemma aus, das kaum ergründet werden kann, was dem des Menschen zu den Werten der Gemeinschaft“; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 69: „eine auf die Verwirklichung sittlicher Ideale gerichtete geistige Werthaltung von gewisser Dauer“. 15 Vgl. unten A. IV.
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A. Terminologische Vorfragen
Menschen vorgegeben ist und was nicht.16 Eines offenbaren sie indessen, das auch für die anstehende Untersuchung von maßgeblicher Bedeutung ist: Es existiert zwar eine originär in ihrer Ausformung im Menschen angelegte und von Äußerlichkeiten losgelöste Seite des Internums. Jedoch erschöpft sich darin nicht die Innenwelt des Individuums; es treten vielmehr zusätzlich Einflüsse von außen an den Einzelnen heran, die er denkend aufnimmt und die seine Prägung begründen können. Will man diesen Unterschied in den Phänomenen von Seele und Geist benennen, stellte die Seele jenen ersten Bereich dar, der rein subjektiv im Menschen als in seinem Wesen zu Beginn seines Lebens angelegt ist. Der Geist entstünde nachgelagert in geschichtlicher Auseinandersetzung mit Ideen.17 Indessen will eine saubere Trennung dieser Wesensschichten nicht gelingen. Zu sehr fließen seelische Bezüge in die Sphäre des Geistes ein, beeinflussen dessen Wahrnehmung und Aufnahme äußerer Ideen.18 Diese Abhängigkeiten des Geistes von den seelischen Grundlagen können als Veranlagung, als menschliche Disposition bezeichnet werden.19 So hängt die Entwicklung des Geistes davon ab, welche Grundvoraussetzungen der Mensch mit sich bringt. Wäre dies nicht so, müssten Menschen, die in identischen Lebensverhältnissen aufwachsen, einen nahezu identischen Geist entwickeln. Selbst wenn sich diesem Gedankenexperiment die Kritik seiner faktischen Nichtrealisierbarkeit aufgrund stets dennoch auftretender Abweichungen der Lebenswege entgegenstellen könnte, muss darauf verwiesen werden, dass nicht erklärbar wäre, weshalb solche Menschen trotz der grundlegend gleichen Lebensbedingungen vollkommen verschiedene Entwicklungen gehen können. Zugleich begründet diese Bedingtheit des Geistes durch die Seele nicht dessen Unfreiheit. Anders gesprochen: Selbst wenn die Erfahrungen auch durch das angeborene So-Sein beeinflusst werden, ändert sich nichts daran, dass es zuletzt auf der freien Entscheidung des Menschen beruht, welche Ideen er aufnimmt.20 Mit einem von dem hier angestellten abweichenden Lösungsansatz nähert sich Schmidhäuser dem Problem der gegenseitigen Bedingtheit von Seele und Geist sowie der resultierenden Frage, wie der Geist noch als freier gesehen werden kann, wenn er doch in beständiger Abhängigkeit von der Seele steht. So handele es sich zunächst bei Seele und Geist „nur um einzelne Weisen“ des menschlichen 16 Dieser Begrifflichkeiten bedient sich (in Anlehnung an Hartmann, Problem des geistigen Seins, und Jaspers, Psychopathologie, S. 259 f.; dens., Philosophie, insbesondere S. 89 ff., 143 ff.) auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale. S. 44 ff. Für die Gesinnung kommt er zu dem Schluss, es handele sich um ein „geistiges Phänomen“, dessen „Ort“ die Seele sei. 17 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 45 ff. 18 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 46 f. spricht hier von einer „eigentümliche(n) wechselseitige(n) Bedingtheit von Seele und Geist“. Vgl. auch Jaspers, Philosophie, S. 90 f. 19 Jaspers, Psychopathologie, S. 358 f. Vgl. dazu noch unten A. VI. 20 Siehe zum Konzept der bedingten Freiheit noch unten A. VI., VII.
I. Freie Entstehung der Gesinnung im Individuum
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Seins, die notwendig, blickt man auf das Ganze, in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen. Das verstehende Erkennen des Menschen tastet sich nunmehr in beide Bereiche vor, indem es gelingt, das Geistige durch Erfassung der jeweiligen Ideen nachzuvollziehen sowie das Seelische nachzuempfinden. Dabei könne es dem Menschen aber ob seines Menschseins nie gelingen, das jeweils Ganze in vollem Maße zu begreifen, vielmehr dränge er „im verstehenden Erkennen (. . .) auf das Unverständliche“ 21. Insofern wären sowohl die grundlegende Freiheit des Menschen als auch dessen ursprünglichste biologische Anlagen durch seine verstehende Erkenntnis nicht ergründbar. Damit stünde der Erfahrung wechselseitiger Interdependenzen der Kategorien von Seele und Geist nicht das Prädikat der Freiheit des menschlichen Geistes entgegen, läge dieses doch weit hinter denjenigen Grenzen, die unserer Erkenntnis für immer unüberwindbar sind. Letztlich läuft dieser Erklärungsansatz Schmidhäusers auf die Aussage hinaus, dass der Mensch in seinem Versuch, in einer Metaebene das eigene Sein zu erfassen, zwingend an Grenzen stoßen muss, die nicht zu überwinden sind. In Anbetracht dieser natürlichen Barrieren vermag aufgrund der Ausformung menschlicher Denkstrukturen in Gestalt von Kausalitätsbeziehungen dem Individuum der Eindruck entstehen, bestimmte Schlussfolgerungen ziehen zu müssen (z. B.: Unfreiheit des Geistes aufgrund seelischer Bedingtheit). Einer solchen Überlegung mangelt es jedoch im Kern an der durch den menschlichen Verstand nicht zu leistenden Ganzheit des Begreifens. Allein diese Fähigkeit zugrunde gelegt wäre aber eine Überwindung der hergebrachten Gedankenmuster zu erreichen, die andere Schlussfolgerungen zuließe. Erst wenn der Mensch dazu in der Lage wäre, sich selbst in vollem Umfang zu verstehen, könnte er eine unverfälschte Aussage über das Maß eigener Freiheit trotz potentieller Beeinflussung des Geistes durch die Seele treffen. Die Argumentation Schmidhäusers limitiert sich dann auf die Einsicht, dass wir dasjenige, was wir angesichts unseres Menschseins und der damit einhergehenden geistigen Unvollkommenheit nicht zu begreifen imstande sind, nicht abschließend beurteilen können. Wir können mithin in Einzelbereichen Erkenntnisse anstreben, erlangen jedoch zu keiner Zeit den Blick auf das Ganze. Mit Hilfe des menschlichen Verstandes erzielte Ergebnisse bezüglich dieser Bereiche vermögen daher keine Aussage über die Gesamtheit zu treffen.22 Die faktische Begrenztheit des menschlichen Verstandes zugrunde gelegt, tritt dieser Ansatz unterstützend neben den eigenen Lösungsweg, der ebenfalls die Freiheit des Geistes trotz Abhängigkeiten von angeborenen Dispositionen bejaht. 21 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 61 nach einem Zitat von Jaspers, Psychopathologie, S. 358 f., 631 ff. 22 Jaspers, Philosophischer Glaube, S. 49: „Der Mensch ist stets mehr, als er von sich weiß.“ – Zur Schwierigkeit der Erfahrbarkeit des Selbst vgl. bereits Kant, Religion, S. 72, 87; ders., Versuch, S. 63 f.
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A. Terminologische Vorfragen
Die dargestellte Schwierigkeit, zwischen angeborenen und hinzugetretenen, selbst entwickelten Eigenschaften zu differenzieren, wirft bereits einen ersten Schatten auf die Betrachtung der Gesinnung. Wäre die Gesinnung die genannte „Mitgift Gottes“ oder mit anderen Worten Teil der Seele als unveränderbares, vorgegebenes Element des menschlichen Internums, liefe jedweder Vorwurf, der sie zum Gegenstand hat, sei er nun moralischer oder rechtlicher Natur,23 ins Leere. Was nicht Produkt meiner Freiheit ist, für das kann ich auch nicht zur Verantwortung gezogen werden. Nun versteht sich aber die Gesinnung als Grundhaltung des Einzelnen zu Werten. Es fragt sich, wie der Mensch diese erlangt (hat). Dabei fällt auf, dass eine Haltung zu Werten stets die Auseinandersetzung mit diesen verlangt, mithin eine Erfahrung des Werts in einer bestimmten Situation sowie die Kenntnis der damit einhergehenden Reaktionsmöglichkeiten, in denen sich unterschiedliche Haltungen zu dem Wert offenbaren können. Erforderlich kann es etwa sein, dass der Einzelne die Reaktionen anderer verfolgt, sie unterscheidet und Konsequenzen der Verhaltensweisen in irgendeiner Form – ob nun teilhabend oder nur außenstehend – erlebt. Es wäre möglich, dass bereits die sich anschließende Entscheidung für eine generelle zukünftige Reaktion auf solche Situationen vorgegeben ist. Es entspricht aber nicht der Erfahrung des Menschen.24 Vielmehr liegen zwar die Tendenzen zu bestimmten Wertehaltungen im Inneren des Individuums angelegt vor – aber nicht mehr. Grundlegende Einstellungen bedürfen einer darüber hinausgehenden jedenfalls gedanklichen Auseinandersetzung mit zu bewertenden Situationen, deren individuelle Lösung grundsätzlich nicht vorgegeben ist. Dies belegt bereits die Schwierigkeit, die solche Erfahrungen dem Einzelnen bereiten können. Wäre die Haltung unverbrüchlich vorgegeben, könnte ein Entscheidungsschwanken dem Menschen aber nicht bekannt sein. Es ist daher möglich, die Entstehung der Gesinnung auf einen eigenständigen, freien Akt des Individuums zurückzuführen. Zwar ist ihre Ausprägung durch vorgegebene Faktoren wie etwa Talente, Gefühlsanlagen oder Triebe mit beeinflusst.25 Ihre maßgebliche Entstehung ist aber auf Erfahrungen mit der Außenwelt zurückzuführen, die reflektierend aufgenommen wurden und mit der 23 Vgl. zur Verhaltensnorm als Schnittmenge von Recht und Moral unten B. II. 1. b) cc). – Für den Stellenwert der Gesinnung im Polizeirecht kommt es nicht darauf an, ob der Einzelne für deren Haben, Sich-Aneignen bzw. Ablegen vollumfänglich zur Verantwortung zu ziehen ist. Dem Gefahrenabwehrrecht kommt gerade nicht der Charakter eines allgemeingültigen, rechtlichen Tadels zu, der den Einzelnen für sein Verhalten zur Rechenschaft zieht. In der Folge können Maßnahmen der Gefahrenabwehr gerade auch gegenüber eingeschränkt bzw. nicht Verantwortlichen verhängt werden. Siehe dazu ausführlich unten B. III. 2. (insbesondere:) c). 24 Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 80: „Es ist eine Erfahrung, dass der Mensch als ,soziales Wesen‘ fortgesetzt dazu gezwungen wird, zu den ethisch-moralischen oder rechtlichen Satzungen und Geboten der Gesellschaft in irgendeiner Form Stellung zu nehmen.“ 25 Jaspers, Psychopathologie, S. 292. Vgl. allgemein Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 49 ff.
II. Ergänzung
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Zeit ein Wertegerüst haben entstehen lassen. Zu diesen Erfahrungswerten lassen sich Erziehung, gesellschaftliche Kontakte, aber auch die allgemeinen Lebensverhältnisse zählen.26 Beispielsweise ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Mensch eine eher egoistische Haltung einnimmt, wenn ihm in seinem Leben von außen wenig Nächstenliebe zuteil wurde. Der freiheitlichen Entstehung der Gesinnung steht nicht entgegen, dass es sich dabei oftmals nicht um ein bewusstes (Aneignungs-)Verhalten handeln wird.27 Es ist stattdessen anzunehmen, dass bestimmte Wertehaltungen nahezu unhinterfragt von dem eigenen Umfeld übernommen werden. Dennoch liegt aber selbst den daraus resultierenden Geisteshaltungen immerhin die Freiheit zugrunde, unreflektiert eine fremde Einstellung zu übernehmen. Der Betreffende trägt dann auch dafür die Verantwortung. Es kann damit grundsätzlich festgehalten werden, dass es sich bei der Entstehung einer Gesinnung um einen Vorgang im Inneren des Menschen handelt. Dieser Vorgang ist prinzipiell frei, weshalb der Formulierung eines Vorwurfs, der die Gesinnung des Einzelnen zum Gegenstand hat, nicht von vornherein eine Absage erteilt werden kann.28
II. Ergänzung: Freie Entstehung der Gesinnung unter dem Blickwinkel der Freudschen Psychoanalyse Eine überzeugende Darstellung der Entstehung von Gesinnungen findet sich bei Herren29, dem es gelingt, durch Einbettung dieses subjektiven Elements in das psychoanalytische Drei-Instanzen-Modell30 Freuds dessen Abhängigkeit von sowohl angeborenen als auch erworbenen Faktoren aufzuzeigen. Im Zentrum des Bewusstseins steht danach das Ich, das äußere Eindrücke verarbeitet und wertbejahende bzw. wertverneinende Entscheidungen formuliert. Dabei steht das Ich in permanenter Beeinflussung einerseits durch seine unbewussten Triebregungen (das Es) sowie durch das Über-Ich, dessen Aufgabe es ist, Verhaltensweisen kritisch auf deren Übereinstimmung mit den Wertvorstellungen, die sich von außen an das Individuum richten, zu überprüfen. Bildlich kann man sich diese Situation so vorstellen, dass von zwei entgegengesetzten Seiten Druck auf das Ich ausgeübt, an ihm gezerrt wird, sodass dieses sich mal mehr auf das Über-Ich, mal auf 26 Auch Binder, ZStrR 67 (1952), 307, 313 betont die Beeinflussung der Gesinnung durch sowohl „angeborene Strebensrichtungen des Charakters“ als auch durch „erworbene Einstellungen“. 27 Eine Einstellung verlange nach Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 16 keinen „positiven Willensakt“. Binder, ZStrR 67 (1952), 307, 313 spricht von einer Dauerhaltung, „die mehr im Hintergrunde des Bewusstseins in unscheinbarer, aber dafür umso bedeutsamerer Weise aktuell ist“. In diese Richtung auch Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63, 70. 28 Im Ergebnis wie hier Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 16 f. 29 Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 78 ff. 30 S. Freud, Psychologie des Unbewußten.
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A. Terminologische Vorfragen
das Es zubewegt. Hierin wird zugleich der Konflikt erkennbar, der sich daraus ergibt, dass das Ich sowohl den triebhaften Gelüsten des Irdischen als auch den metaphysischen Sehnsüchten der Wertewelt, die es im Wege gesellschaftlicher Erziehung verinnerlicht hat, nachzugeben geneigt ist. Dabei ist davon auszugehen, dass sowohl Über-Ich als auch Es sich in ihrer Entstehung aus angeborenen sowie erworbenen Elementen zusammensetzen. Während aber bei dem Es die angeborenen Triebstrukturen überwiegen, wurzelt das Über-Ich maßgeblich in der Erziehung des Kindes – mithin in äußeren, erworbenen Faktoren. Der Vorteil dieses Konzepts für die anstehende Untersuchung ergibt sich aus der Einordnung der Gesinnung. Bei dieser handele es sich nach Herren um eine „wertbezogene Einstellung des Ichs zu Werten“. Das Ich sehe sich stets aufs Neue Situationen ausgesetzt, in denen es zu ethischen Werten eine bejahende oder negierende Haltung einnehmen müsse.31 Die Gesinnung drücke sich daher in dem Verhältnis der Bestrebungen des Über-Ichs zu denen des Es aus. Eine solche Darstellung bringt treffend zum Ausdruck, was schon oben durch das erarbeitete Verständnis der im Grundsatz freien Entstehung von Gesinnungen festgestellt werden konnte. Die letztliche Ausformung der Gesinnung erfolgt in einem grundsätzlich freien Abwägungsprozess, in dem das Ich sowohl die Triebhaftigkeiten – oftmals unbewusst – als auch die Wertstrukturen – i. d. R. bewusst – einbezieht. Mithin kann unter Zugrundelegung des Freudschen Konzepts für die Gesinnung das Prädikat der im Grundsatz freiheitlichen Entstehung bestätigt werden.
III. Bindungswirkung der Gesinnung Ist aber die Entstehung der Gesinnung trotz Abhängigkeiten von vorgegebenen Phänomenen ein prinzipiell freier Akt des Individuums, verbleibt die Frage nach der Einflussnahme der Geisteshaltung der Person auf deren individuelles Verhalten. Sollte sich die Gesinnung zum „Herren über die Sinne“ des Einzelnen aufschwingen, fiele die Formulierung eines spezifischen Vorwurfs (wie ihn etwa der strafrechtliche Tadel bereithält) schwer. In der Tat handelt es sich bei der Wertehaltung des Einzelnen nicht um ein statisches Element des Internums. Die Gesinnung dringt vielmehr nach außen, indem sie die Verwirklichung der gedachten Werte anstrebt. Die Gesinnung „sucht die Wirklichkeit dem Ideal anzunähern“ 32 und treibt damit zu entsprechendem Verhalten an.33 Ihren Inhaber bewegt eine 31
Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 80 f. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 56. 33 Binder, ZStrR 67 (1952), 307, 325 f.; Herren, Gesinnungsmerkmale im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 74, 83; McDougall, Aufbaukräfte der Seele, S. 166 f.; Pfänder, Phänomenologie des Wollens, S. 136 ff.; Pohlreich, Ehrenmorde, S. 265 ff. Zur Gesinnung als potentieller Ausdruck der Gefährlichkeit der Person vgl. noch unten B. III. 2. a). 32
III. Bindungswirkung der Gesinnung
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ständige Sehnsucht, die gedachten Werte zu erfüllen, sodass ihn ein großes Glücksgefühl erfasst, wenn dieser Umstand tatsächlich eintritt.34 Eine Erklärung für diesen Befund lässt sich nur unschwer ausmachen: Das Individuum schafft sich sein Selbstbild anhand der Werte, die es für sich als allgemein verbindlich erachtet. Bewahrheiten sich diese Werte in der Außenwelt, bestätigt sich zugleich die eigene Identifikationsgrundlage. Indem daher ein jeder dem originären Streben nach Selbstverwirklichung Zeit seines Lebens unterlegen ist, erklärt sich der sehnliche Wunsch nach Realisierung der individuellen Idealvorstellung. Liegt hierin aber zugleich der Freiheitsverlust des Gesinnungsgeleiteten, der einem inneren Programm folgend die Kontrolle über das eigene Verhalten verliert? Diese Frage ist zu verneinen. Bereits die Möglichkeit, eine spezifische Gesinnung nachträglich abzulegen bzw. zu verändern, soll hier als Beleg dienen. Zwar weist die Gesinnung eine gewisse Beständigkeit der Haltung zu bestimmten Werten auf.35 Dennoch impliziert dies nicht ihre Unabänderlichkeit. So bedarf es zur Änderung der Geisteshaltung einer erneuten Auseinandersetzung mit Ideen, die bezüglich des jeweiligen Werts bestehen. Sollten sich neue bzw. andere Ideen aber als überzeugender erweisen als die bisher verfolgten, ist es durchaus möglich, dass der Einzelne seine Haltung zu diesem Wert revidiert.36 Die Gesinnung weist eine Verfestigung im Geistigen auf, was aber nicht deren Unabänderlichkeit mit sich bringt. Dies widerspräche insbesondere dem Modell der im Grundsatz freien Entstehung von Gesinnungen. So nutzt die Person gerade ihre Freiheit, um eine gewisse Grundhaltung auszubilden. Diese Freiheit büßt sie aber mit Entstehung der Wertehaltung nicht ein, sondern artikuliert sie fortan in Verhalten, das sich von der Gesinnung leiten lassen kann. Die Gesinnung ist und bleibt Produkt der geistigen Leistung des Individuums. Sie ist selbstentworfenes Konzept des Einzelnen, das er als Erzeugnis seines Geistes zu gegebenem Zeitpunkt kritisch hinterfragen kann und mitunter muss. Von einer Bemächtigung des freien Willens der Person durch ihre Einstellung, die sich zum „Herrn über die Sinne“ erhebt, kann grundsätzlich nicht ausgegangen werden.37 Es bleibt hingegen bei einem – die Freiheit des Individuums nicht außer Kraft setzenden – verhaltensmotivierenden Potential der Gesinnung. 34 Jaspers, Psychopathologie, S. 265 ff. spricht in diesem Zusammenhang treffend von einem „Verewigungsdrang“. 35 Vgl. zu diesem Streitpunkt, der das Moment der Dauer als Wesensmerkmal der Gesinnung betrifft, noch weiter im Text. 36 Binder, ZStrR 67 (1952), 307, 313; Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 220, 243; Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 17; Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 84 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 56 f.; McDougall, Aufbaukräfte der Seele, S. 164. Ebenso Ambos, GA 2009, 561, 582, der zwar nicht den Terminus der Gesinnung im Blick hat, wohl aber eine „Grundwahl“ für oder gegen das Recht, die aber auch wieder abgeändert werden könne. 37 Eine Ausnahme bilden Fälle der psychischen Defektsituation des Betreffenden. Vgl. dazu noch unten C. IV. 3.
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A. Terminologische Vorfragen
IV. Moment der Dauer als Merkmal der Gesinnung Die Einsicht in die Fähigkeit des Individuums, seine Geisteshaltung nachträglich abzulegen bzw. zu verändern, leitet auch Schmidhäuser aus der grundsätzlichen Freiheit der Person ab. Soll es sich um ein freies Individuum handeln, muss es imstande sein, die eigene Gesinnung zu wandeln.38 Schmidhäuser zieht hieraus jedoch die Schlussfolgerung, dass es sich bei der Gesinnung um nichts anderes als „die beständige Reihe einzelner geistiger Verhaltensweisen“ handeln könne; dem Moment der Dauer als konstitutives Merkmal der Gesinnung erteilt er eine klare Absage. Zwar gesteht er eine Tendenz im allgemeinen Begriffsverständnis zu, die eine Festlegung des individuellen Verhaltens durch eine spezifische Geisteshaltung annimmt. Indes lasse selbst der tägliche Sprachgebrauch es zu, die Gesinnung als „die Beständigkeit sich in gleicher (positiver oder negativer) Wertrichtung wiederholenden, je einzelnen geistigen Verhaltens“ zu verstehen.39 Die eigenen Ausführungen haben der Gesinnung bislang trotz des Eingeständnisses ihrer Wandelbarkeit als Phänomen des Internums jedenfalls intuitiv eine gewisse Dauer zugeschrieben. Die Abkehr Schmidhäusers vom Moment der Dauer hat zudem die Kritik weiterer Vertreter der Strafrechtswissenschaft auf den Plan gerufen.40 Es fragt sich aber, ob es des weiteren Nachdenkens über den Charakter der Gesinnung als rein situatives oder doch beständiges Element des Subjektiven überhaupt bedarf. Relevanz entfaltet die angesprochene Fragestellung lediglich unter dem Blickwinkel der Offenbarungstendenz von Gesinnungen hinsichtlich der allgemeinen Täterpersönlichkeit. Von einer beständigen Geisteshaltung lässt sich offenbar ein größerer Aufschluss über die Person des Täters erhoffen – Prognosen über künftiges Verhalten, also insbesondere die Gefahr, die von dem Betreffenden ausgeht, scheinen sich an der Gesinnung verstanden als dauerhaftes Phänomen besser aufstellen zu lassen als an nur punktuellen Ausschnitten der Täterpersönlichkeit. Die „Einzeltatgesinnung“ Schmidhäusers kann in ihrer intendierten Abkehr von allem Beständigen als reiner Beweggrund bzw. reines Motiv41 eingestuft werden.42 Deren eher lose Beziehung zur Täterpersön38
Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 80 f. Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 80 ff. Auch Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 44 versteht unter der Gesinnung keine „dauernde Artung des Täters“, wenngleich es sich hierbei um eine rein strafrechtliche Begriffsprägung handelt. Vgl. dazu, dass auch die Terminologie bei Schmidhäuser bereits durch strafrechtliche Erwägungen überlagert ist, unten Fn. 46. 40 Vgl. Berger, Gesinnungsmoment, S. 74; Erba-Tissot, ZStrR 64 (1949), 257, 270 ff.; Herren, Gesinnung im Rahmen der vorsätzlichen Tötungsdelikte, S. 83 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 32. Für das Moment der Dauer als wesentliches Element der Tätergesinnung sprechen sich ferner bereits Guckenheimer, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 1 (1921), 1, 82 ff.; McDougall, Aufbaukräfte der Seele, S. 163 ff. aus. 41 Die Begrifflichkeiten Beweggrund und Motiv werden vorliegend synonym verwendet. So auch Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 148. 39
IV. Moment der Dauer als Merkmal der Gesinnung
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lichkeit verspricht dann aber geringere Erkenntnisse über künftiges Verhalten des Einzelnen. Jedoch ist das mit Beweggründen bzw. Motiven einhergehende Informationsdefizit mit Blick auf die Täterpersönlichkeit nur ein scheinbares. Bereits Schmidhäuser verweist darauf, dass sich „im Leben weitgehend darauf“ verlassen wird, „daß gewisse Werthaltungen einer Person Bestand haben“. Selbst wenn es sich daher um einen einzelnen Vorgang geistigen Verhaltens handelt, wird dieser faktisch in seiner vermuteten „Aussagekraft“ auf die Persönlichkeitseinschätzung des Betreffenden übertragen. Das verhaltensmotivierende Potential von Gesinnungen lässt sich daher ohne größere Schwierigkeiten auf Beweggründe erweitern: wer aus einem bestimmten Grund heraus handelt (z. B.: Rassenhass), von dem kann in gewissem Umfang auch künftig entsprechendes Verhalten zu erwarten sein. Nunmehr offenbart sich, weshalb es müßig ist, über das Moment der Dauer als Wesensmerkmal der Gesinnung weitere Nachforschungen anzustellen. Zwar spricht für die Annahme, dass es sich bei der Gesinnung um etwas Beständiges handelt, die von Schmidhäuser angesprochene intuitive Festlegung von Verhalten auf dieses Phänomen durch die Rechtsteilnehmer43 sowie das von ihm offenbar empfundene Bedürfnis der sprachlichen Abhebung vom herkömmlichen Verständnis durch Einführung des Begriffs der „Einzeltatgesinnung“. Selbst wenn dem aber so sein sollte, kann eine so verstandene Gesinnung nur geringfügig mehr Aufschluss über die Täterpersönlichkeit geben als das einzelne Motiv, dem ohnehin allgemein eine solche Funktion zugeschrieben wird. Auch das Motiv weist Offenbarungstendenzen über die Persönlichkeit des Einzelnen auf und lässt auf künftiges Verhalten – soweit der Blick in die Zukunft überhaupt als faktisch möglicher beurteilt werden soll44 – schließen. Der reale Ertrag einer begrifflichen Differenzierung von Gesinnung, Motiv und Beweggrund45 verblasst vor diesem Hintergrund.46
42 Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 15; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 31. A.A. Heine, Tötung, S. 37. 43 Dieses herkömmliche sprachlich verbreitetere Verständnis von Gesinnungen als Wertehaltung jedenfalls von gewisser Dauer soll daher auch den nachfolgenden Ausführungen zugrundegelegt werden. 44 Zu den Schwierigkeiten, staatliches Handeln in rechtsstaatlich noch hinnehmbarer Weise auf Prognoseentscheidungen zu stützen siehe unten B. III. 1. c). m. Fn. 336. 45 Auch die weitere Abgrenzung gegenüber dem Phänomen des Charakters verspricht für die anstehende Untersuchung keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Die Durchsicht der einschlägigen Literatur zu diesem Thema ergibt erneut eine ausschließliche Differenzierung mit Blick auf die Offenbarungstendenz über die Persönlichkeit des Betreffenden. Verbreitet wird eine Stufung favorisiert, wonach der Charakter gegenüber der Gesinnung und dem Motiv das höchste Maß an Beständigkeit aufweist. Vgl. dazu Berger, Gesinnungsmoment, S. 70 f.; Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 15 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 26, 35, 56 f.; Jaspers, Psychopathologie, S. 357 ff.; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 147; Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 341 ff., 444; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 62.
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A. Terminologische Vorfragen
V. Exkurs: Gesinnung und Gewissen Voranstehend konnte aufgezeigt werden, dass die Gesinnung von emotionalen Momenten wie etwa der Sehnsucht nach Verwirklichung der als richtig empfundenen Werte getrieben sein kann. Dies wirft eine neuerliche Abgrenzungsfrage zur Begrifflichkeit des Gewissens auf, das offenbar ähnliche Sachverhalte umfasst wie schon die Gesinnung. Eine Abgrenzung zwischen der Gesinnung und dem Gewissen findet sich unter anderem bereits bei Schmidhäuser. Im Anschluss an Hartmann erkennt er das Gewissen als die „Art und Weise, wie das Wertgefühl im Menschen sich Geltung verschafft“ 47. Das Gewissen sei ein jedem Menschen innewohnendes Wertbewusstsein, das sich insbesondere dann melde, wenn gegen diese Werte gehandelt werde. Dennoch schreibt Schmidhäuser dem Gewissen keine lediglich negative Funktion als Reaktion auf wertwidriges Verhalten zu. Vielmehr existiere ebenfalls ein „gutes Gewissen“, das allerdings in aller Regel nicht mit solcher Gefühlsbetonung verbunden sei und daher gegenüber dem Weckruf des „immer schlechten Gewissens“ verblasse. Im Verhältnis zu der Gesinnung weise das Gewissen aber keine Bedeutungskongruenz auf. So sei die Gesinnung als „Reihe der ,verfestigten Gewissensurteile‘“ zu verstehen, mithin darauf gerichtet, sich stets so zu verhalten, dass ein „am wenigsten schlechte(s) Gewissen“ resultiere.48 Schmidhäuser misst dem Gewissen damit gegenüber der Gesinnung einen eher situativen Charakter bei. Zudem scheint sich in seiner Darstellung die Gesinnung aus den Gewissensurteilen erst zu formen, weshalb das Gewissen als die Gesinnung prägender Faktor angesehen werden könnte. Indessen wirft ein solches Verständnis Fragen auf. Unklar ist zunächst, wie dann noch im Schmidhäuserschen Konzept eine klare Abgrenzung zu dem von ihm zusätzlich eingeführten Begriff der Einzeltatgesinnung gelingen soll. Wie gezeigt, erklärt Schmidhäuser der Dauer als konstitutives Element der Gesinnung durch die „Einzeltatgesinnung“ bereits terminologisch eine entschiedene Absage. Damit käme auch der Gesin46 Dass der verbreiteten Unterteilung von Zielen, Beweggründen, Motiven und Gesinnungen in der Sache kein entscheidender Bedeutungsgehalt zukommt, erkennt bereits Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767. Zu Schwierigkeiten in der Abgrenzung vgl. Guckenheimer, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 1 (1921), 1, 82 ff. Siehe allgemein zum Motiv Pfänder, Phänomenologie des Wollens, S. 134 ff. – Indem auch dem Motiv eine Offenbarungstendenz bezüglich künftiger Gefährlichkeit des Täters zugeschrieben wird, kann selbst durch das Institut der Einzeltatgesinnung dem drohenden Vorwurf des Täterstrafrechts nicht einwandfrei entwichen werden. Eben jener scheint aber tragender Grund Schmidhäusers für die Abkehr vom Moment der Dauer, das zu sehr in eine spezialpräventive Richtung weist, zu sein. So auch Hörnle, JZ 1999, 1080, 1084 f. Indes zeigt sich hier erneut die bereits strafrechtliche Ausrichtung des Gesinnungsbegriffs, die dem Ziel einer rein etymologischen Klärung zuwider läuft. Vgl. zum Schuldbegriff Schmidhäusers noch unten C. IV. 1. 47 Hartmann, Ethik, 134 f. 48 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 63 f.
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nung eine ausschließlich situative Bedeutung zu. Allein sprachlich lässt sich dann aber kaum mehr klären, wie es sich bei der Gesinnung um eine „Reihe der verfestigten Gewissensurteile“ 49 handeln solle. Zudem erscheint eine Abgrenzung zu dem „guten Gewissen“, das also in jedem Verhalten, auf das nicht mit einem schlechten Gewissen reagiert wird, mitschwingt, nahezu ausgeschlossen. Werden die Gewissensurteile aber als ein die Gesinnung prägender Faktor erachtet, stellt sich außerdem mit besonderer Dringlichkeit die Frage, woraus sich das Gewissensurteil originär ergeben soll. Damit das Gewissen negativ reagieren kann (oder aber kein schlechtes Gewissen eintritt, weil dem „guten Gewissen“ gemäß gehandelt wurde), bedarf es dann also eines vorgelagerten Wertebewusstseins. Diese relativ konstante Haltung ist aber nach allgemeinem Verständnis die Gesinnung. Besäße das Gewissen einen nur situativen Charakter, wäre es willkürlich und damit nicht verhaltensleitend, sofern ihm nicht eine wenigstens relativ feste Einstellung zu den Werten im Allgemeinen zugrunde läge. Wie oben aber – gerade unter Berücksichtigung der Abhandlung Schmidhäusers – dargestellt, handelt es sich bei dieser Grundhaltung gegenüber den Werten um die Gesinnung. Es ist dann nicht mehr stimmig, die Gesinnung als „Reihe der verfestigten Gewissensurteile“ zu definieren und damit den Eindruck zu erwecken, erst die Gewissensurteile prägten die Gesinnung.50 Demgegenüber beruht jedes Gewissensurteil auf der in der Gesinnung zum Ausdruck kommenden Grundhaltung zu den jeweiligen Werten. Das schlechte Gewissen ist also diejenige Instanz, die innerlich eingreift, wenn man sich nicht entsprechend seiner Gesinnung verhalten hat. Zugleich ist das der Gesinnung gemäße Verhalten darauf gerichtet, das schlechte Gewissen zu vermeiden.
VI. Verantwortlichkeit für die eigene Gesinnung angesichts der Determinismusdebatte Die bislang angestellte Untersuchung zu Entstehung, Wandelbarkeit und Bindungskraft der Gesinnung hat längst die Frage nach der Determiniertheit menschlichen Verhaltens aufgeworfen. Wer der Gesinnung eine verhaltensleitende Funktion beimisst, gesteht ihr eine gewisse determinierende Kraft zu, was an der grundlegenden Freiheit des Einzelnen, die wir zur Erhebung eines strafrechtlichen oder moralischen Vorwurfs voraussetzen, Zweifel aufkommen lässt. Wenn aber die Gesinnung, wie oben dargelegt, tatsächlich verhaltensmotivierend auf die Person wirkt, führt die Beantwortung der in Rede stehenden Frage zurück zum Ursprung der Gesinnung, dem wir uns eingangs bereits gewidmet haben. Sollte dieser „frei“ sein, wäre dem Vorwurf der Determination der Wind aus den Segeln genommen. Doch auch hier fällt dem kritischen Beobachter ins Auge, 49 50
Hartmann, Ethik, S. 464; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 64. So auch Berger, Gesinnungsmoment, S. 73 f.
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A. Terminologische Vorfragen
dass eine gewisse Bedingtheit der Gesinnungsausbildung durch seelische, angeborene Faktoren bejaht worden ist.51 Zur Erinnerung: Es war die Rede davon, dass die Entstehung einer Wertehaltung des Einzelnen primär in der Auseinandersetzung mit Ideen erfolgt. Deren letztliche Ausprägung wird aber durch gewisse persönlichkeitsbedingte Vorgaben begünstigt. Damit begegnet uns am Ursprung der Gesinnung ebenfalls das Bedingtsein des Menschen, dem der fade Beigeschmack der Unfreiheit scheinbar unvermeidlich anhaftet. Kann aber „bedingte Freiheit“ denn noch wahre Freiheit sein? Und kann sie ausreichen, um gegenüber dem Einzelnen einen strafrechtlichen Vorwurf zu erheben? Es vermag die Problematik zu erhellen, sich erneut jene Faktoren zu vergegenwärtigen, die hier als „Bedingungen“ der Freiheit erachtet werden. Es handelt sich dabei im Allgemeinen um körperliche Bedürfnisse des Einzelnen, seine Gefühle, aber insbesondere auch seine persönliche Lebensgeschichte, Erfahrungen und seinen Charakter. Müsste wahre Freiheit denn aber nicht voraussetzen, dass unsere Entscheidungen in jeder Situation frei von solchen Faktoren sind? Meint nicht jede Anbindung an die Vergangenheit, die Zukunft und Gegenwart beeinflusst, den Verlust der eigenen Freiheit? Danach stünde dem Menschen sein Verhalten nicht frei, hatte es „Vorbedingungen, die so und nicht anders waren“. Wer nur bedingte Freiheit besitze, dem stünde die Zukunft gerade nicht offen. „Denn was ist das für eine Offenheit, die nur einen einzigen Weg zulässt, weil dasjenige Geschehen, das bisher Freiheit der Entscheidung hieß, aufgrund fester Vorbedingungen auf eine und nur eine Weise verlaufen kann?“ Und – zu Recht – wirft Bieri in seinem „Handwerk der Freiheit“ die Frage auf, ob „die Rede von der Offenheit der Zukunft dadurch nicht zur Farce“ werde?52 Angesichts solcher Einwände kann der Eindruck entstehen, Freiheit drücke sich ausschließlich in der vollkommenen Unabhängigkeit von inneren Vorbedingungen aus. Verlockend stünde damit die Idee absoluter Freiheit im Denken und Handeln im Raum, die der vorangestellten Untersuchung als Basis der Praxis des Sanktionierens jedweden Sinn abspräche. Denn wie könnte unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Gestalt des Schuldprinzips demjenigen ein strafrechtlicher Vorwurf ernstlich gemacht werden, der sich nicht frei für sein Verhalten entschieden hat? Wie sollte sich die Normgeltung einer unfreien Person erschließen? Strafrecht, das steht fest, verlöre seinen Sinn und damit seine Legitimation, stünde es einer Gesellschaft unfreier Subjekte gegenüber.53
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Siehe dazu oben A. III. Handwerk der Freiheit, S. 179 ff. 53 Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 210; Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 96 f. In Reaktion auf die Forderung seitens einzelner Neurowissenschaftler, fortan ausschließlich zu Sicherungszwecken zu strafen, zeichnet Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63, 64 das treffende Bild einer Gesellschaft, in der „voller Nachsicht und Verständnis“ ein jeder „prophylaktisch“ weggesperrt werden könnte, bis sich zuletzt „alle in diesem 52
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Nunmehr könnte ein solch vernichtendes Urteil zu der kurzschlussartigen Reaktion verleiten, sich umgehend der Vorstellung anzuschließen, der Mensch erfahre in seinem Verhalten keinerlei Rückbindung an innere „Vorgaben“ in Gestalt früherer Erfahrungen, Wertehaltungen oder Charaktereigenschaften. Nur so könnte das Strafrecht noch gerettet werden, ein Ansinnen, das jedem Strafrechtler mehr als eine Herzensangelegenheit sein wird.54 Der für die vorliegende Untersuchung maßgebliche Begriff der Gesinnung müsste entweder erneut überdacht oder als irrelevant, weil einem grundlegend anderen Menschenbild entsprechend ad acta gelegt werden. Doch – muss es wirklich so weit kommen? Zielführend ist es in diesem Zusammenhang, die bislang als „absolute Freiheit“ proklamierte vollkommene Loslösung von inneren Vorbedingungen genauer zu betrachten. Dabei fällt auf: Solche Vorstellung zugrundegelegt kann keineswegs von Freiheit die Rede sein. Ein Verhalten, das auf einem Willen beruht, der in keinerlei Form an meine Wertehaltung, Erfahrungen, meinen Charakter etc. gebunden ist, wäre gar nicht mehr das meine. Ein entsprechender Wille wäre ein fremder, jedwedes Verhalten verkäme zu Willkür, wäre weder für mich noch andere kontrollierbar. So erkennt Bieri: „Unbelehrbar, blind und stur“ würde ein solcher Wille „dem Besitzer seine Ziele diktieren, komme, was wolle.“ Der Wille beruhte nicht mehr auf der Überlegung des Einzelnen, das Phänomen des Entscheidens könnte es nicht mehr geben. Was verbliebe, wäre ein grenzenloser Alptraum in Gestalt vollkommener „Ohnmacht einem unberechenbaren Willen gegenüber“. Näher betrachtet stellt sich damit eindeutig heraus, dass es eine solche unbedingte Freiheit des Einzelnen nicht geben kann. Konsequent zu Ende gedacht, läge hierin die größte Unfreiheit überhaupt, sodass normative Erwartungen auch und gerade bei einer solchen Freiheitsvorstellung ins Leere liefen.55 Es ist damit gelungen, die Illusion der unbedingten Freiheit als nur scheinbar perfekt getarnte Unfreiheit zu enthüllen. Gewonnen ist mit dieser Erkenntnis indes noch wenig. Allein fest steht, dass selbst in der Vorstellung einer unbedingten Freiheit des Menschen nicht das Heil für die strafrechtliche Beurteilung gefunden werden kann. „Damit sieht es nun so aus: In beiden Richtungen, derjenigen der
Maßregelvollzug wiederfinden“. Ebenso kritisch gegenüber einem absoluten Determinismus im Strafrecht Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 275 f. 54 Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 101: „Ich möchte das Schuldstrafrecht retten.“ 55 Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 230 ff.; Borner, in: Grün u. a. (Hrsg.), Entmoralisierung des Rechts, S. 168, 174; Gerent, Handlungsalternativen, S. 30 f.; Guss, Willensfreiheit, S. 76 ff.; Laufs, MedR 29 (2011), 1 ff.; Pauen, Was ist der Mensch?, S. 164 f.; Spilgies, HRRS 2005, 43, 46; ders., Bedeutung, S. 63 ff. Unter Berufung auf David Hume stellt auch Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 449 fest, dass die Vorstellung einer unbedingten Willensfreiheit unvereinbar wäre mit dem Wunsch nach einem „friedlichen und geregelten Zusammenleben der Menschen“. Das Verhalten eines unbedingt Freien wäre weder für die Gesellschaft noch für den Einzelnen selbst kalkulierbar.
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Bedingtheit und derjenigen der Unbedingtheit, verlieren wir den Willen.“ 56 Soll das nun aber heißen, wie wir es auch drehen und wenden: Der Mensch ist unfrei? Wie bereits in der vorangestellten Untersuchung angeklungen, kann eine solche Frage ausschließlich verneinend beantwortet werden. So stellt schon Bieri fest, dass die aufgekommene Kritik an dem eingangs erläuterten System der bedingten Freiheit in den mit dem Begriff der Bedingung einhergehenden Assoziationen zu finden sein muss.57 Bedingungen werden oftmals mit Abhängigkeiten gleichgesetzt, ihnen wird die negative Funktion zugesprochen, bestimmte Verhaltensweisen des Einzelnen durch entgegentretende Forderungen zu einem gewissen Grade zu konterkarieren. Bedingungen grenzen den Handlungsspielraum ein, „das Bedingtsein gerät damit zum Widerspruch der Freiheit“. In dem hier relevanten Kontext der Bedingtheit eines Verhaltens bzw. des ihm zugrundeliegenden Willens von beispielsweise der Wertehaltung des Einzelnen ist aber nichts anderes gemeint, als dass ein bestimmtes Phänomen auf einem anderen beruhen kann. Insofern besteht ein Zusammenhang zwischen den Überlegungen und dem Willen des Einzelnen. An diesem Punkt angekommen kann ausschließlich Folgendes gelten: „Wenn wir uns klargemacht haben, dass die Sprache der Bedingtheit nicht eine Sprache des Zwangs und also der Unfreiheit ist, haben wir eines der gedanklichen Motive für die Forderung nach dem unbedingt freien Willen verloren.“ 58 Auf dieser Basis kann festgehalten werden, dass der Wille des Einzelnen dann Ausspruch seiner selbst ist, wenn er auf Überlegungen beruht.59 Diese aber stehen in direktem Zusammenhang mit seinen Dispositionen. Zuletzt entspricht es aber der Freiheit
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Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 265. Ebenso Schröder, Einführung, S. 311 f. Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 243: „Es ist ein fundamentaler Fehler, den Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit des Willens mit dem Kontrast zwischen Unbedingtheit und Bedingtheit in Verbindung zu bringen.“; ders., Handwerk der Freiheit, S. 244: „Man sucht die Freiheit am falschen Ort, wenn man sie in der Lockerung oder Abwesenheit von Bedingtheit und Bestimmtheit sucht.“ 58 Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 249 ff. Im Ergebnis ebenso Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 448 ff. 59 Ebenfalls für das Konzept der bedingten Freiheit werben Ambos, GA 2009, 561, 582; Borner, in: Grün u. a. (Hrsg.), Entmoralisierung des Rechts, S. 168, 173 ff.; Habermas, Die Freiheit, die wir meinen, Tagesspiegel 14.11.2004; Kudlich, HRRS 2005, 51 f.; Laufs, MedR 29 (2011), 1 ff.; Pauen, Was ist der Mensch?, S. 190 ff. – Die Idee einer bedingten Freiheit findet sich bereits bei Kant, Metaphysik der Sitten, A 6, 7: „Die menschliche Willkür ist dagegen eine solche, welche durch Antriebe zwar affiziert, aber nicht bestimmt wird, und ist also für sich (ohne erworbene Fertigkeit der Vernunft) nicht rein, kann aber doch zu Handlungen aus reinem Willen bestimmt werden. Die Freiheit der Willkür ist jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe; dies ist der negative Begriff derselben. Der positive ist: das Vermögen der reinen Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein.“ Trotz der Affiziertheit durch die sinnlichen Antriebe schließt Kant also nicht auf die grundlegende Unfreiheit des Menschen. Auch hier zeigt sich der Dualismus von Geist und Seele, angeborenen Triebhaftigkeiten sowie erworbenen Erkenntnissen. 57
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des Einzelnen, selbst von diesen Vorbedingungen abzuweichen, sodass unsere Gründe und Motive uns nicht zwingen können, etwas zu tun: „Es ist diese Art von letzter Offenheit, welche die Freiheit darstellt.“ 60 Das dargestellte Verständnis von der bedingten Freiheit des menschlichen Willens unterstreicht folglich die oben zu der verhaltensleitenden Funktion der Gesinnung gemachten Ausführungen. So ist es unsere Wertehaltung, die uns in den verhaltensrelevanten Situationen „bedingt“. Jedoch ist dies nicht Ausdruck der Unfreiheit des Menschen, im Gegenteil: Die Rückbindung an solche Faktoren garantiert, dass in meinem Verhalten eine Entscheidung zum Ausdruck kommt, die tatsächlich die meine ist. Zugleich bleibt stets ein Spielraum, der es ermöglicht, neue Entscheidungen zu treffen, etwa neue Werthaltungen einzunehmen und sich entsprechend zu ändern. Insofern besteht kein Widerspruch zwischen Freiheit und Bedingtheit.61 Dennoch werden nach wie vor62 Stimmen laut, die dem Konzept eines „relativen Indeterminismus“ dessen „logische Unhaltbarkeit“ vorwerfen. Die oben dargelegte Vorstellung einer bedingten Freiheit verstoße danach gegen den „Satz vom ausgeschlossenen Dritten“ (tertium non datur), weshalb es sich dabei um eine „Contradictio in Adjecto“ handele. Im Kern geht diese Kritik auf die Annahme zurück, weder Freiheit noch Unfreiheit seien graduierbar; denkbar sei nur ein Alternativverhältnis: „Absolut freier Wille – oder absoluter Determinismus“. Indessen verfängt der Vorwurf innerer Widersprüchlichkeit mit Blick auf das vorliegend zugrunde gelegte Verständnis keineswegs. Es ist letztlich – in Ermangelung hinreichender Ausführungen seitens der Kritiker63 – nicht nachvollzieh60 Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 277. Ein solches Verständnis legt offenbar auch Kudlich, HRRS 2005, 51 zugrunde, wenn er fragt: „Warum soll es nicht gerade Ausfluss der Willensfreiheit sein, sich situationsabhängig entscheiden zu können?“ – Vgl. bereits Dreher, Gerechte Strafe, S. 32 ff. 61 Der Unterschied zwischen Unfreiheit und Freiheit von Tun und Wollen liegt vielmehr in der Art und Weise der Bedingtheit. Eine falsche Bedingtheit, die Unfreiheit begründet, liegt etwa vor in Situationen der Hypnose oder Gehirnwäsche. Dazu Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 84 ff. 62 Bereits v. Feuerbach, Revision 2, S. 131 spricht davon, dass „eine Freiheit, welche determiniert werden kann“ „ein logischer Widerspruch“ sei. Aus jüngerer Zeit sei beispielhaft Spilgies, HRRS 2005, 43, 47 f.; ders., Bedeutung, S. 40 ff. genannt, auf den die nachfolgenden Zitate im Text zurückgehen. 63 Auf diesen Argumentationsmangel der Gegenmeinung weist bereits Kudlich, HRRS 2005, 51 zutreffend hin, indem er betont, dass der relative Indeterminismus wohl als „,contradictio in adjecto‘ bezeichnet“ werde, was aber noch nicht belege, dass er „eine solche ist“; ders., HRRS 2004, 218, 219. Umso befremdlicher mutet es an, dass seitens einzelner Vertreter dieser Position fehlende Argumente durch die Bereitschaft ausgeglichen werden, anderen Wissenschaftlern gröbste kognitive Unfertigkeiten vorzuwerfen. Siehe dazu etwa Friedman, in: Grün u. a. (Hrsg.), Entmoralisierung des Rechts, S. 143, 150 („Dass die naive Argumentationsweise Beckermanns und allen [sic!], die seinem Argumentationsmuster folgen, aus einem fehlenden Problembewusstsein entspringt, kennzeichnet den intellektuellen Mangel unserer Gesellschaft und ihrer Gelehrten.“), 161 (Peter Bieri versuche Probleme „mit komplizierten sprachanalytischen Methoden zu lösen“, die einer „überflüssigen Zwanghaftigkeit“ entspringen, dem Täter sei-
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bar, weshalb die Vorstellung von einer „letzten Offenheit“ einer Quadratur des Kreises gleichkomme. Insofern wird der dargestellten Kritik an dieser Stelle nicht mehr Bedeutung beigemessen, als ihrer Eignung zur Entkräftung der Idee einer bedingten Freiheit zukommt.64 Es genügt daher eine knappe Betonung der einschlägigen, oben getroffenen Kernaussagen: Dass eine Rückbindung des Willens an Faktoren wie die Wertehaltung oder den Charakter des Einzelnen erfolgt, garantiert erst die hier gemeinte Freiheit der Person: Nur so kann es sich um deren eigenen Willen handeln. Eine solche Bedingtheit entspricht nicht der Unfreiheit, wenngleich Bedingungen häufig mit Abhängigkeit assoziiert werden. Sie belegt ausschließlich, dass verschiedene Phänomene aufeinander beruhen. Ein solches Konzept wird aber nicht in sich unhaltbar oder gar widersprüchlich, wenn man dem Menschen in jeder verhaltensrelevanten Situation die Möglichkeit einräumt, doch von inneren Vorgaben abzuweichen. An einem solchen Punkt, an dem zwei (oder mehrere) verschiedene Verhaltensweisen möglich wären, entspricht es der Freiheit des Individuums, sich zu entscheiden. Hierin ist kein Widerspruch zu dem Bedingtsein durch Erfahrungen etc. zu sehen. Eben jene ermöglichen erst diese letzte Freiheit. Indem gezeigt werden konnte, dass sowohl vollkommene Bedingtheit wie auch unbedingte Freiheit in letzter Instanz zu Unfreiheit führen, ist Folgendes deutlich geworden: Der Quadratur des Kreises käme es gleich, Freiheit und Bedingtsein strikt voneinander trennen zu wollen. An der Vorstellung einer bedingten Freiheit, wie sie oben aufgezeigt werden konnte, ist daher unbedingt festzuhalten.
VII. Neurowissenschaften auf Abwegen? Doch noch aus einer anderen Richtung müssen Angriffe auf das hier zugrundegelegte Freiheitsverständnis abgewehrt werden. Infolge eines ursprünglich auf Libet zurückgehenden Experiments65 wollen einzelne Neurowissenschaftler den wahren „Herren im Hause“ 66 ausfindig gemacht haben. Alles menschliche Verhalten beruhe auf Prozessen, die sich vor der Entscheidung im Bewusstsein des nen freien Willen als Ursache seines Verhaltens nachweisen zu wollen). Auf zusätzliche verbale Entgleisungen seitens Spilgies macht schon Kudlich, HRRS 2004, 218, 220 aufmerksam, siehe die dortigen Nachweise. 64 Insbesondere der Versuch Spilgies, HRRS 2005, 43, 48; ders., Bedeutung, S. 40 ff., den relativen Indeterminismus als inneren Widerspruch zu entlarven, weist ob dessen eigenen Vorschlags eines „nicht fatalistischen Determinismus“ deutlich sichtbare innere Unstimmigkeiten auf: Die klare Abgrenzung seines Konzepts zu dem vorliegenden gelingt nicht, sodass die Streitigkeit mehr zu einer der Begrifflichkeiten denn der Inhalte verkommt. So auch Kudlich, HRRS 2004, 218, 219; ders., HRRS 2005, 51, 52. 65 Zur näheren Beschreibung des Experiments siehe Libet, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, S. 268 ff. 66 Roth, Das Magazin 3 (2001), 32 ff.
VII. Neurowissenschaften auf Abwegen?
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Menschen bereits in dessen Gehirn abgespielt haben.67 Dass er frei entscheide, sei somit eine Illusion,68 man solle daher endlich aufhören, „von Freiheit zu sprechen“ 69. Ohne vertieft auf die Kritik von dieser Seite eingehen zu wollen,70 sei jedenfalls kurz angemerkt, dass bereits das Experiment als solches sowie die daraus gezogenen Rückschlüsse auf die Freiheit des menschlichen Willens unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten jedenfalls Fragen offen lassen.71 Dies sei durch das „Manifest“ der Neurowissenschaftler unterstrichen, in dem offen eingestanden wird, das tatsächliche Funktionieren komplexer Vorgänge wie des Bewusstseins, des Willens oder der Entscheidung mit den vorhandenen Befunden nicht erklären zu können. Es sei danach „überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Mitteln erforschen könnte.“ Man befinde sich „in dieser Hinsicht“ „noch auf dem Stand von Jägern und Sammlern“ 72. Selbst wenn aber an der Richtigkeit der Ergebnisse der neueren Hirnforschung keine Zweifel bestünden, vermögen diese das hier dargestellte Verständnis von Freiheit nicht zu erschüttern. Das Strafrecht träumt eben nicht den Alptraum eines unbedingt freien Menschen. Neuronale Vorgänge treten damit lediglich neben die bereits oben angesprochenen Determinanten menschlichen Verhaltens, lassen den Menschen aber nicht zu einer „der Freiheit nicht teilhaftigen Marionette“ 73 verkommen. Die von der Hirnforschung festgestellte Determiniertheit verträgt sich mit dem vorliegend dargestellten Bild der bedingten Freiheit.74 Dazu sollen 67 Roth, Aus Sicht des Gehirns, S. 145 ff.; ders., Fühlen, Denken, Handeln, S. 443 ff. – Weil die „Wahrnehmung psychischer Vorgänge, die in uns ablaufen (. . .) immer nur ein unvollständiges und deshalb irreführendes Bild der Wirklichkeit der zu Grunde liegenden Prozesse liefern“ könne, dürfe nicht von einem Freiheitsempfinden auf das tatsächliche Bestehen einer solchen Freiheit geschlossen werden, Prinz, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 51, 54. – Den Umstand, dass gerade Hirnforscher im menschlichen Gehirn den eigentlichen Drahtzieher für jedwedes Geschehen in der Welt entdeckt haben, kommentiert mit viel Humor Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63: Cogito, ergo servus sum. 68 Wie der Mensch von Natur aus weder Räder, Rechte oder Pflichten hat, hat er auch keinen freien Willen. Er habe sich aber einen solchen „gemacht“, Prinz, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 51, 62. Den Begriff der Illusion prägen ebenfalls Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 453; Singer, Menschenbild, S. 12, 59. 69 Singer, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, S. 30 ff. 70 Eine Fülle an Nachweisen zu dem in Rede stehenden Streitstand findet sich bei Kelker, Gesinnungsmerkmale, S. 368, Fn. 129, 130. 71 Eine solche Kritik liefern beispielhaft Grothe, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 35, 37 ff., der „Bescheidenheit“ anmahnt; Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63, 68 ff. 72 Elger/Friederici/Koch u. a., Gehirn und Geist 2004, S. 30, 33 f. 73 Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 107. 74 Grothe, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 35, 45; Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 107 f.
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A. Terminologische Vorfragen
die Worte eines ihrer bekanntesten Vertreter zitiert werden: „Worum es letztlich geht, ist die Autonomie menschlichen Handelns, nicht Willensfreiheit. Autonomie ist die Fähigkeit unseres ganzen Wesens, d.h. Bewusstsein, Unbewusstes, das ganze Gehirn und den ganzen Körper zusammengenommen, innengeleitet, aus individueller Erfahrung heraus zu handeln. Gerade dies würde durch eine Willensfreiheit, die sich außerhalb des Bewertungssystems und damit gegen die Erfahrung stellt, verhindert.“ 75 Wer Willensfreiheit als unbedingte Freiheit versteht, die keinerlei Rückbindung an die Persönlichkeit, die Erfahrungen oder die Wertehaltung des Einzelnen erfährt, muss solche Rückschlüsse ziehen. Dies belegen bereits die obigen Erläuterungen. Bei genauer Betrachtung lassen sich indessen zwischen dem hier zugrunde gelegten Verständnis einer „bedingten Freiheit“ und der Rothschen „Autonomie“ kaum mehr Unterschiede festhalten. Fest steht, dass von Freiheit nicht die Rede sein kann, wenn kein Bezug zu der jeweiligen Person besteht. Wurde diese richtige Erkenntnis nach beiden Ansätzen gefunden, geht jeder weitere Streit über die Richtigkeit der spezifischen Begrifflichkeit ins Leere. Zudem lässt sich die oben genannte „letzte Offenheit, welche die Freiheit darstellt“ 76, in neurowissenschaftlichen Aussagen wiederfinden. So spricht Libet selbst von der Existenz eines Veto-Rechts: „Der bewusste Wille beeinflusst also das Ergebnis des Willensprozesses, auch wenn letzterer durch unbewusste Gehirnprozesse eingeleitet wurde“ 77. Insofern soll dem durch die Neurowissenschaften wieder ins Spiel gebrachten Streit um die Determiniertheit menschlichen Verhaltens nicht mehr Raum geschenkt werden, als ihre Erkenntnisse vor diesem Hintergrund78 verdienen: Sie bringen insofern kaum Neues,79 weshalb die Darstellung sich auf die obigen Ausführungen begrenzen kann.
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Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S. 449. Bieri, Handwerk der Freiheit, S. 277. Nach Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 128, müsse man sich vor dem „Totalurteil über einen Menschen hüten: Es bleibt immer die Grenze, die uns gezogen ist in seiner Freiheit, anders zu handeln, als er zuvor gehandelt hat.“ 77 In: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit, S. 268, 276 ff. Zum VetoRecht siehe auch Guss, Willensfreiheit, S. 91 f., 103. 78 Grothe, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 35, 36 f. zweifelt selbst eine „Revolution in der Neurowissenschaft“ an. Der Fortschritt sei „mehr methodischer als konzeptioneller Art“. Dies werde indessen oftmals aufgrund der hohen „Suggestivkraft der bildgebenden Verfahren“ verschleiert. Allein im strafrechtlichen Kontext sollte solchen Erkenntnissen kein zu hoher Stellenwert beigemessen werden. Es handelt sich hierbei um den bekannten Indeterminismus-DeterminismusStreit. 79 Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63, 64. Zu einer ähnlichen Einschätzung – freilich eingebettet in Überlegungen zum Stellenwert jüngerer neurowissenschaftlicher Erkenntnisse im Privatrecht – gelangt Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr, S. 191 f. 76
VIII. Fazit der terminologischen Vorklärung
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VIII. Fazit der terminologischen Vorklärung: Definition der Gesinnung Die terminologische Vorklärung ist damit an ihr Ende gelangt. Für die angestrebte Begriffsbildung lässt sich abschließend festhalten, dass es sich bei der Gesinnung um eine Grundhaltung zu Werten handelt, die von gewisser Beständigkeit ist, jedoch entsprechend ihrer Entstehung durch freien Willensakt geändert werden kann.
B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung Die Gesinnung provoziert wie kaum ein anderes Phänomen die Überschreitung von nur scheinbar klaren Grenzlinien zu anderen Gebieten. Eine alleinige Fokussierung der Thematik auf den Bereich des Strafrechts erweist sich ohne permanente Rückgriffe auf die Regelungsinhalte der Moral bzw. des Polizeirechts als kaum durchführbar: Wer glaubt, die Gesinnung im Haus des Strafrechts fassen zu können, dem entwindet sie sich in Kürze in einen der anderen angesprochenen Bereiche. Ein Blick über die Fachgebietsgrenze hinaus ist für den Strafrechtswissenschaftler unumgänglich, will er den Untersuchungsgegenstand umfassend greifen. Dieser Erkenntnis ist auch die Breite der vorliegenden Arbeit geschuldet, die sich nicht nur um die Bedeutung der Gesinnung im Strafrecht bemüht, sondern über dessen Grenzen hinaus ihrem Gegenstand dicht auf den Fersen bleibt. Der Gewinn, der für die Beurteilung des strafrechtlichen Bedeutungsgehalts von Gesinnungen erzielt wird, ist dabei nicht zu unterschätzen. So gelingt es, der Gesinnung im Gesamtsystem einer freiheitlichen Grundordnung ihren berechtigten Rang einzuräumen und Fehlinterpretationen, die mit einer Blickverengung auf das Strafrecht einhergehen können, von vornherein aus dem Weg zu gehen.
I. Strafrecht ist nicht Polizeirecht Als Kind der Aufklärung kann unsere Rechtsordnung ein reiches Erbe ihr Eigen nennen. Dazu zählt neben allen anderen herausragenden Errungenschaften, die wir heute oftmals für selbstverständlich nehmen und ihren hohen Wert dabei leicht in Vergessenheit geraten lassen, insbesondere die Trennung von Polizeirecht und Strafrecht. Diese kommt in unterschiedlichen Legitimationsgründen und Schutzinhalten beider Rechtsgebiete zum Ausdruck. Dabei dient das Polizeirecht der Gefahrenabwehr und soll durch frühzeitige Unterbindung gefährlichen Verhaltens gezielt Rechtsgutsverletzungen vorbeugen.80 Schutzgegenstand des Gefahrenabwehrrechts ist damit konkret das jeweils gefährdete Rechtsgut, dessen Bestand durch entsprechende Maßnahmen präventiv gewährleistet werden soll. Indes scheint die Grenzziehung anhand des Kriteriums der Gefahrenabwehr an80 Vgl. Ahlers, Grenzbereich, S. 18 ff.; Handbuch des Polizeirechts/Denninger, E, Rn. 1 ff., 11 ff., 170; Handbuch des Polizeirechts/Lisken/Denninger, C, Rn. 1 ff. Speziell zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung siehe Freund, GA 2010, 193, 196 ff. sowie unten B. III. 1. c), 2. b), c).
I. Strafrecht ist nicht Polizeirecht
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gesichts bestehender Notwendigkeiten, auf spezifisch gefährliches Verhalten auch mit den Mitteln des Strafrechts reagieren zu können, nicht einwandfrei zu gelingen: Jedenfalls solche Delikte, die für ein spezifisches Rechtsgut konkret gefährliches Verhalten pönalisieren, stellen eine legitime Schnittstelle von Polizeirecht und Strafrecht dar.81 Dies steht aber der strikten Trennung beider Bereiche keineswegs entgegen. Die These der Unvereinbarkeit von Straf- und Polizeirecht darf nicht vorschnell aufgegeben werden – Verbindungen müssen nicht unweigerlich der Trennungsidee jedwede Bestandskraft rauben, sie können im Einzelfall sogar zu ihrer Unterstützung gereichen. Für manch ein Delikt, das bei erstem Anschein die Schutzmauern des Strafrechts gegenüber präventiven Bestrebungen gefährlich ins Wanken geraten lässt, findet sich nach genauerem Hinsehen oftmals ein Merkmal, das seine legitime Zugehörigkeit zum Strafrecht letztlich doch offenbart. Indes sei hier nicht weiter vorgegriffen, die dezidierte Auseinandersetzung mit all jenen Problemfeldern, die das heutige Strafrecht zunehmend in eine präventive Richtung drängen, gar in ein Sicherungsrecht verwandeln, ist zentraler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung und wird daher an späterer Stelle ausführlich erfolgen.82 Einleitend soll aber bereits jene „sichere Bastion“ der Grenzziehung von Strafrecht und Polizeirecht betont werden, deren Verteidigung Hauptanliegen der nachfolgenden Ausführungen ist. So ist die Gefährlichkeit der Person ausschließlich Gegenstand des Polizeirechts – im Strafrecht kann allenfalls gefährliches Verhalten eine Rolle spielen. Daran vermögen selbst Verschleierungen in immer abstrakteren Abstraktheiten nichts zu ändern83: Das Strafrecht hat von Erwägungen, die sich „pönalisierend“ gegen die Gefährlichkeit der Person richten, unbedingt frei zu bleiben. Daran festhaltend wird zu der stringenten Einhaltung der Trennung von Polizei- und Strafrecht keine Alternative gesehen. Dies bezieht sich sowohl auf den Bereich im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung wie auch auf die Phase nach Begehung einer strafbaren Tat. Infolgedessen kann im Anschluss an die Straftatbegehung die zum Ausgleich einer solchen Infragestellung des Rechts seitens des Täters erforderliche Strafe durch eine (polizeirechtliche) Maßregel zu flankieren sein.84 Vor diesem
81 Allgemein werden konkrete Gefährdungsdelikte aufgrund ihrer Vergleichbarkeit gegenüber den Verletzungsdelikten als weniger problematisch empfunden, Roxin, AT I, § 11 Rn. 147 ff.; Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 28 ff. Vgl. zu den Legitimationsschwierigkeiten, die bei abstrakten Gefährdungsdelikten auftreten können, unten D. II. 2 mit den dortigen Nachweisen. 82 Vgl. unten D. 83 Die Kritik richtet sich an dieser Stelle und noch unten D. II. 1.–3. gegen die verbreitete (Un-)Sitte, im Wege der zunehmenden Etablierung abstrakter Gefährdungsdelikte eine weite Vorverlagerung des Strafrechts bis tief hinein in den Bereich der reinen Gefährlichkeit der Person bei vollkommener Ungefährlichkeit des inkriminierten Verhaltens zu schaffen. 84 Siehe zu dieser Differenzierung und den Maßregeln der Besserung und Sicherung noch unten B. III. 1. c), 2. b), c).
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Hintergrund ist nunmehr die rechtliche Bewertung des Stellenwerts der Gesinnung innerhalb einer freiheitlichen Grundordnung kritisch zu prüfen.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung Die Betrachtung richtet sich zunächst auf die Bedeutung der Gesinnung innerhalb des Strafrechts. Aufgabe und Legitimation von Strafe müssen sich in jedem für die Bestrafung des Täters relevanten Element widerspiegeln. Dies betrifft sowohl die positiven und negativen Strafbarkeitsvoraussetzungen im Bereich der Strafbegründung als auch spezielle Konkretisierungen in der staatlichen Reaktion auf strafbares Verhalten.85 Soll die Gesinnung des Täters für die rechtliche Missbilligung eines Verhaltens und die Aufstellung einer sogar strafbewehrten Verhaltensnorm oder immerhin für die genaue Art und Höhe seiner Bestrafung eine Rolle spielen, muss sich dies zwingend vor dem Hintergrund der maßgeblichen Strafzweckkonzeption sowie des dogmatischen Grundgerüsts legitimieren lassen. Die zunächst noch allgemein gehaltenen Ausführungen zu Funktion und Legitimation von Strafe in einem freiheitlichen Rechtsstaat bilden damit die Grundlage für die Klärung spezifischer Einzelfragen. 1. Aufgabe und Legitimation von Strafe Das Strafrecht ermöglicht besonders intensive Eingriffe in die Freiheitsrechte des Bürgers. Als Teil des öffentlichen Rechts unterliegt es denselben Bindungen, die allgemein zur Legitimität staatlicher Eingriffsakte aufgestellt werden.86 Insbesondere gilt für die Verhängung von Strafe die Notwendigkeit der Verfolgung eines legitimen Zwecks, der den Eingriff in elementare Freiheitsinteressen des Einzelnen zu rechtfertigen vermag. Zweckfreie Strafe – Schuldausgleich um seiner selbst willen – ist nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Eingriffe in Rechte des Bürgers von Seiten des Staates zu vereinbaren. Legitimes Strafrecht ist daher dem Rechtsgüterschutz87 verschrieben.88 85 Wie unter C. I. ausgeführt, wird der Untersuchung ein einheitliches straftheoretisches Konzept von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung zugrunde gelegt. 86 Zu den Legitimationsbedingungen staatlicher Rechtseingriffe siehe BVerfGE 45, 187, 253 f.; Appel, Verfassung und Strafe; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 139 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte; Roxin, AT I, § 1 Rn. 5. 87 Vgl. zum Rechtsgutsbegriff Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 5 ff. (§ 2); MK/ Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 45 ff.; Jakobs, AT, 2/7 ff., 12 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 137 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 21 ff., 138 ff.; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 120 ff.; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 119 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 2 ff.; Stratenwerth, Lenckner-FS, S. 377 ff. 88 Freund, AT, § 1 Rn. 2; ders., Erfolgsdelikt, S. 82 f.; ders., GA 2010, 193, 194 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47; Gropp, AT, § 1 Rn. 108 ff.; Heinrich, AT, Rn. 3 ff.;
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Die allgemein auf Anklang stoßende These, Strafrecht diene dem Schutz legitimer Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit, sieht sich aber der Schwierigkeit ausgesetzt, dass der tatsächliche Schutz für das jeweilig betroffene Rechtsgut (Leben, Körperintegrität etc.) stets zu spät kommt. Eine Bestrafung des Täters greift immer erst dann ein, wenn sich die relevante Tat ereignet hat – das konkrete Schutzgut ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu retten. Im Gegenteil ist es gerade zu derjenigen Schädigung bzw. Gefährdung gekommen, die (auch) strafrechtlich nicht gewollt ist. Das Strafrecht bietet damit allenfalls einen sekundären Schutz. Bildlich gesprochen, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen, wenn die strafende Hand des Staates den Täter ergreift.89 Für die Straftheorien hat dies den unliebsamen Effekt, dass das Ziel des Rechtsgüterschutzes jedenfalls für das konkret tangierte Interesse nicht mehr zu realisieren ist. Insbesondere im Bereich der Verletzungsdelikte, bei denen es zur Zerstörung des geschützten Interesses gekommen ist, scheint der Rechtsgüterschutzgedanke an seine Grenzen zu stoßen: Der Tote kann durch Strafe nicht in den Kreis der Lebenden zurück geholt werden, zerstörte Gegenstände erlangen nicht ihre ursprüngliche Form zurück. In manchen Bereichen kann Strafe sogar hinderlich sein, was die Wiedergutmachung eines dem Opfer zugefügten Schadens angeht: Dem Betrogenen rückt die Möglichkeit der finanziellen Schadloshaltung durch Ersatzansprüche gegenüber dem Täter in weite Ferne, sofern dieser der zusätzlichen Belastung einer Geldstrafe ausgesetzt ist. Unterliegt die eingangs geschilderte Grundaussage hinsichtlich der Schutzintention des Strafrechts also einer Fehleinschätzung und laufen darauf aufbauende Legitimationskonzepte von Strafe per se ins Leere? a) Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm als notwendige normative Grundvoraussetzung Licht ins Dunkel des Rechtsgüterschutzgedankens vermag an dieser Stelle eine Vergewisserung über jene Normenkategorien zu bringen, die das Strafrecht im Kern ausmachen.90 Dabei fällt auf, dass effektiver Schutz rechtlich relevanter InJakobs, AT, 2/7; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 18 ff.; Roxin, AT I, § 2 Rn. 1 ff.; SK/ Rudolphi, 26. Lfg. Juni 1997, Vor § 1 Rn. 2, LK II/Walter, Vor § 13 Rn. 8 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 24 f. 89 Freund, AT, § 1 Rn. 6, 12; ders., Erfolgsdelikt, S. 80 f.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 66; ders., GA 2010, 193, 195. 90 Bentham, Of Laws in General, S. 133 ff., 137 ff.; Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 155 ff.; Burkhardt, Rücktritt als Rechtsfolgebestimmung, S. 157 f.; Freund, AT, § 1 Rn. 5 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 69; ders., Erfolgsdelikt, S. 51 ff., 112 f.; ders., GA 1995, 4 ff.; ders., GA 2010, 19, 195 ff.; ders., Straftat, S. 43, 46 f.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 77 ff., 348, 356 ff.; ders., in: Eser u. a. (Hrsg.), Von totalitärem zu rechtsstaatlichem Strafrecht, S. 201, 202; ders., Stree/Wessels-FS, S. 69, 82 f.; Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 19 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 132 ff.; Otto, Jura 1995, 468, 471; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 116 ff.; ders., Restriktiver Täterbegriff; ders., Gössel-FS, S. 3 ff.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
teressen ausschließlich durch das Vermeiden gütergefährdender Verhaltensweisen seitens der Individuen zu realisieren ist. Sollen Rechtsgüter für die Zukunft vor Beeinträchtigungen sicher sein, setzt dies ein entsprechendes Vermeideverhalten der Bürger voraus. Dazu bedarf es entsprechender rechtlicher Ge- bzw. Verbote, die zu rechtlich gewolltem Verhalten motivieren. In Orientierung menschlichen Tuns oder Unterlassens an solchen Verhaltensnormen gelingt der unmittelbare Schutz von Rechtsgütern. So dient beispielsweise die rechtlich verbindliche Verhaltensnorm des Tötungsverbots dazu, direkten Lebensschutz zu garantieren. Verhaltenskontrolle setzt damit weit im Vorfeld der strafrechtlichen Beurteilung ein: Für die strafrechtlichen Sanktionsnormen verbleibt allein die Reaktion auf Verstöße gegen rechtlich legitimierte Verhaltensnormen. Die Klärung der Frage nach der Legitimität von Strafe steht damit noch aus. Indem Sanktionsnormen nicht die Eignung zur unmittelbaren Gewährleistung von Rechtsgüterschutz aufweisen, bedürfen sie eines eigenständigen Legitimationsgrundes. Dabei fällt der Blick auf die Notwendigkeit staatlicher Reaktion auf Verstöße gegen rechtlich legitimierte Verhaltensnormen, der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufgabe des Strafrechts als eines Garanten der friedlichen Koexistenz der Individuen im Staat steht. So ist die gesellschaftsvertraglich verfasste Gemeinschaft von Personen als symbolhafte Abkehr von einer Existenz der permanenten Unsicherheit gegenüber der Willkür des anderen zu bewerten.91 Solcher Befreiungsakt des Einzelnen von den Gefahren des Kriegs aller gegen alle geht jedoch einher mit der Unterwerfung (gleichsam aller) unter die gemeinsamen Normen, die sich die Gemeinschaft auferlegt. Die Verhaltensnormen selbst konstituieren das Gemeinwesen der Personen, indem sie den Zustand friedlicher Koexistenz unter der Voraussetzung ihrer anhaltenden Geltung garantieren.92 Indem die Person sich gegen die Fortdauer des Krieges im Naturzustand menschlicher Koexistenz und für die Vereinbarung einer Ordnung des Friedens entscheidet, stimmt sie zugleich der Einhaltung all jener Verhaltensnormen zu, die für das Fortbestehen der durch das Recht konstituierten Gemeinschaftsform erforderlich sind. Den Einzelnen trifft insoweit eine Beteiligungspflicht bezüglich der Einhaltung von Normen, die sich zunächst93 in der Bereitschaft zur Normbefolgung erschöpft.94 Der Normverstoß des Täters ist vor 91 Siehe ausführlich zum Modell des Gesellschaftsvertrags noch unten B. II. 2. b), E. mit den dortigen Nachweisen. 92 Vgl. Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 ff., 68 f.; dens., in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32. In diesem Sinne auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 78; Peralta, ZIS 2008, 506, 510. 93 Dazu, dass solche Obliegenheit der Person sich im Fall des Normbruchs in die Pflicht zur Duldung der Verhängung von Strafe ihr gegenüber wandelt, siehe noch unten B. II. 1. a) ee). 94 Vgl. Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 61, 68 f.; dens., in: Siller/Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 136; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 82 ff., 90; Peralta, ZIS 2008, 506, 511.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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diesem Hintergrund mehr als ein abweichendes Verhalten. Vielmehr drückt der Täter darin seine – jedenfalls punktuelle – Nichtakzeptanz der übertretenen Verhaltensnorm aus. Er tritt also in Kommunikation mit der Gemeinschaft, indem er den (unzutreffenden) Anschein vermittelt, ihm stünde trotz Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag weiterhin die Möglichkeit offen, seine eigenen über die davon abweichenden Maximen der Gemeinschaft zu stellen.95 aa) Strafe wehrt die Gefahr eines Normgeltungsschadens ab Ausgehend von dem Modell gesellschaftsvertraglich verfasster menschlicher Gemeinschaft und der Bedeutung des Normbruchs als individueller Angriff des Täters auf die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm sind unterschiedliche Zweckbestimmungen von Strafe und damit Schutzgegenstände von Sanktionsnormen denkbar. So richtet die Straftheorie der Generalprävention in ihren unterschiedlichen Spielarten mit dem Ziel der Verbrechensvorbeugung ihre Aufmerksamkeit nicht auf den einzelnen Rechtsbrecher, sondern auf künftige potentielle Täter.96 Durch Abschreckung eben jener Gruppe sollen Straftaten für die Zukunft vermieden werden (negative Generalprävention).97 Indessen treten solche Abschreckungseffekte in der Realität eher selten ein, zumal die meisten Täter kaum mit solcher Planung zur Tat schreiten, dass sie tatsächlich vorab abgeschreckt werden könnten.98 Unter anderem aus diesem Grund wird der Strafe 95 Siehe zum Charakter und der Bedeutung der Normübertretung als kommunikatives Verhalten Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 109 ff., 111 ff.; dens., in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f., 63 f.; dens., in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 34 f.; dens., in: Siller/Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 135 f. Vgl. zudem MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 68; dens., AT, § 1 Rn. 8; dens., Erfolgsdelikt, S. 83, 88 f.; dens., GA 2010, 193, 195; Frisch, BGH-FS, S. 269, 278 f., 290. In diese Richtung auch Herzog, Prävention des Unrechts, S. 113 f., 119. 96 Insoweit stehen generalpräventive Straftheorien sogenannten spezialpräventiven „Straftheorien“ gegenüber, die durch Strafe ausschließlich künftige Veränderungen bei dem einzelnen Täter hervorrufen wollen. Siehe noch ausführlich unter B. III. 1. dazu, dass es sich bei den Letzteren lediglich um das theoretische Fundament des Polizeirechts handelt. 97 v. Feuerbach, Lehrbuch, §§ 13 ff. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 29 ff. sowie Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 48 f.; Haffke, Generalprävention, S. 63, 87 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 31 f. m. Fn. 11 m.w. N., 344 f. 98 Haffke, Generalprävention, S. 74, 81; Hassemer, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29, 44 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 25; ders., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 8 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 48 ff. Eine ausführliche Kritik an der negativen Ausformung generalpräventiver Straftheorien findet sich bei Jakobs, AT, 1/27 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 18 ff. (hier unter besonderer Würdigung v. Feuerbachs); Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 23 ff. sowie Kargl, GA 1998, 53, 62 und soll aufgrund der Überzeugungskraft der dortigen Argumentationen hier nicht weiter behandelt werden.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
noch ein weiterer99, (positiv) generalpräventiver Zweck zugeschrieben. So soll Strafe der Normrestabilisierung dienen bzw. das Rechtsbewusstsein sowie die Normtreue der Allgemeinheit fördern, indem durch die Bestrafung des Täters die fortdauernde Geltung der Rechtsordnung signalisiert wird.100 Schutzgegenstand der Sanktionsnorm ist danach die Geltungskraft der jeweils übertretenen Verhaltensnorm. Zwar kann das Individuum aufgrund mangelnder Dispositionsbefugnis die Normgeltung nicht in Eigenregie aufheben – dies obliegt ausschließlich der Gruppe, die sich eben jene Verhaltensnorm als Grundlage ihres gemeinschaftlichen Miteinanders auferlegt hat101.102 Jedoch muss im Wege der Strafe jedenfalls symbolisch auf solche Anmaßung des Einzelnen reagiert werden, um nicht – so ganz deutlich die Vertreter der Straftheorie positiver Generalprävention – weitere Infragestellungen der Norm zu provozieren. Die Norm müsse vielmehr als „Orientierungsmuster für sozialen Kontakt“ 103 für die Zukunft aufrechterhalten werden. Durch die einzelne Tat, auf die strafend von Seiten des Staates reagiert wird, ist noch keine Verletzung der Normgeltung zu verzeichnen. Bleibt der Staat hingegen untätig, bereitet er den Nährboden späterer Angriffe auf die Norm, die in ihrer Summe letztlich zur Verletzung ihrer Geltung – also zu einem Normgeltungsschaden – führen können.104 Der Strafe kommt in solchem Verständnis der Straftheorie positiver Generalprävention als Wider-
99 Der Aspekt der Abschreckung wird von den meisten Vertretern generalpräventiver Ansätze allenfalls als Begleiterscheinung der eigentlich durch Strafe positiv intendierten Normrestabilisierung erachtet, vgl. Freund, Erfolgsdelikt, S. 81; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47 ff.; Jakobs, Schuldprinzip, S. 26 f.; dens., Staatliche Strafe, S. 31 f.; Peralta, ZIS 2008, 506, 512 f., 514 f.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 62 f. 100 Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 88 ff.; Freund, AT, § 1 Rn. 1 ff., 5 ff., § 2 Rn. 10 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 81, 95; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 68 ff.; ders., GA 1999, 509, 510, 534, 536 f.; ders., GA 1995, 4, 7 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 47 ff., 99 f.; ders., ZStW 99 (1987), 349, 367 ff.; Hassemer, StV 1993, 664 f.; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 775; ders., Schuldprinzip, S. 25 ff.; ders., Staatliche Strafe, S. 26 ff., 31 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 343 ff.; Peralta, ZIS 2008, 506 ff. 101 Die Veränderung von gesetzten Normen durch die Einzelperson kann auf den dafür innerhalb der Ordnung vorgesehenen Wegen verfolgt werden. Es handelt sich dabei aber um Prozesse, die auf die Zustimmung einer Mehrheit der übrigen Gesellschaftsmitglieder angewiesen sind, sodass der Einzelne im Kollektiv gestaltend tätig werden kann. In einer demokratisch verfassten Gemeinschaft werden dazu beispielsweise Wahlen genutzt. Vgl. dazu sowie zu anderen Formen der demokratischen Meinungsäußerung Degenhart, Staatsrecht I, S. 17 ff. Siehe auch Jakobs, Schuldprinzip, S. 29. 102 Auch die Strafmaßbestimmung steht in Abhängigkeit von der jeweiligen Wahrnehmung des Gewichts der übertretenen Verhaltensnorm innerhalb der Rechtsgemeinschaft. Siehe dazu bereits Hegel, Philosophie des Rechts, § 218; Jakobs, Staatliche Strafe, S. 35. 103 Das Zitat findet sich bei Jakobs, AT, 1/10. Vgl. auch dens., Staatliche Strafe, S. 28. 104 Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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spruch gegenüber dem Verhaltensnormverstoß die primäre Funktion der „Einübung von Normanerkennung“ 105 zu.106 bb) Kritik an der generalpräventiven Straftheorie Indes sind bis heute kritische Stimmen gegenüber der generalpräventiven Straftheorie nicht verstummt. Zunächst wird gegen die Theorien der Generalprävention der Vorwurf erhoben, sie richteten ihren Blick sowohl in der negativen als auch der positiven Ausformung zu sehr auf die Allgemeinheit und missachteten dabei die Subjektqualität des einzelnen Täters.107 Indem der Letztere zur Stärkung des Normbewusstseins der Allgemeinheit, ob nun im Wege der Abschreckung oder aber durch Betonung der fortdauernden Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm, abgestraft werde, verkomme er zum reinen Objekt staatlichen Handelns.108 Dies zeitige insbesondere nicht hinnehmbare strafzumessungsrechtliche Folgen. So könne in Orientierung an generalpräventiven Zwecksetzungen nicht garantiert werden, dass die Strafe dem Unwert der Tat des Einzelnen entspreche.109 Vielmehr stünde die Gefahr im Raum, den Betreffenden unabhängig von der Schwere seiner Tat besonders hart zu bestrafen, um ein eindrucksvolles Symbol für die Zukunft gerichtet an potentielle Täter zu setzen. Dies liefe mit aller Konsequenz auf staatlichen Terror hinaus, weshalb eine solche Straftheorie nicht mit der Menschenwürde des Einzelnen in Einklang zu bringen sei. Die Person des Täters verkomme in dem kritisierten Konzept zum reinen Mittel staatlichen Strafens, was seiner Rolle als vernunftbegabtem Bürger nicht gerecht werde. Mit Blick auf die Wahrung der Menschenwürde weise der 105
Jakobs, AT 1/15. Freund, AT, § 1 Rn. 8 ff., § 2 Rn. 10 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 85 ff., 88 ff., 104 ff.; ders., GA 2005, 321, 322; ders./Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 84 f.; ders., GA 1995, 4, 7 ff., 12 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff., Rn. 71; Jakobs, AT, 1/9 f.; ders., Staatliche Strafe, S. 31 ff.; ders., Schuldprinzip, S. 27; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 155 ff. 107 Calliess, NJW 1989, 1338, 1340; Frisch, BGH-FS, S. 269, 277 f.; ders., in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 137 f.; Günther, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 205, 214 ff.; Hassemer, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29, 32 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 263, 269; Kargl, GA 1998, 53, 68, 70 ff.; Köhler, Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 36 ff., 40 ff.; Lüderssen, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 54, 56 f.; Naucke, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 20 f., 26; Roxin, Sinn und Strafe, S. 10. Speziell zur Kritik an v. Feuerbach siehe Jakobs, Staatliche Strafe, S. 21 ff., 36. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage der Verletzung der Menschenwürde des Einzelnen durch die negative Generalprävention findet sich bei Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 29 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 25 ff.; dems., ZIS 2006, 274, 282. 108 Er wird – wie Kant, Metaphysik der Sitten, A 197 es eindrucksvoll ausdrückt – „unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt“. 109 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 132. Vgl. auch Hassemer, JuS 1987, 257, 265; Weigend, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 199, 200. 106
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Gedanke der Generalprävention daher einen Nachteil selbst gegenüber der Spezialprävention auf, die durch die Zielsetzung der Resozialisierung immerhin auch die Unterstützung des einzelnen Täters im Auge behalte.110 Der vernünftige Bürger wird sich indes eine solche Verobjektivierung der Person, wie sie in Gestalt von „Strafe“ auftrete, nicht zur Verhaltensmotivation gereichen lassen. Hinzukommt, dass selbst nach Ansicht manch eines Vertreters der positiven Generalprävention innerhalb der Gesellschaft eine deutliche Präferenz für den Vergeltungsgedanken bestünde. Aus diesem Grund dürften gerade retributive Strafbegründungsansätze eine besonders integrative Wirkung in der Bevölkerung zeitigen.111 Der Theorie der positiven Generalprävention wird daher entgegengehalten, diese könne die eigens formulierte Zielsetzung ausschließlich in Gestalt einer „esoterische(n) Geheimlehre“ verwirklichen.112 So büßen Normen unweigerlich ihre Glaubwürdigkeit ein, sofern der Zweck des Strafens allein an der Aufrechterhaltung des Normensystems orientiert sei. Erkenne der Teilnehmer der Rechtsgemeinschaft aber, dass allein um des Systems willen bestraft wird, tendiere die Wirkungskraft eines abgegebenen Werturteils gegen Null. Als Ausweg verbliebe dann nur noch die Flucht in die Hinterzimmer gesellschaftlicher Wahrnehmung, um den Anschein eines ernstgemeinten Tadels aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus bestünden Zweifel an der tatsächlichen Wirkkraft der Strafe, die der Gedanke der Generalprävention für sich proklamiert. Dass tatsächlich eine Abschreckung bzw. eine Stärkung des Normbewusstseins der Allgemeinheit durch das gegenüber dem Täter ausgesprochene Urteil eintrete, sei empirisch nicht nachgewiesen. Die reine Existenz einer jeden Straftat belege bereits die mangelnde Wirksamkeit der Generalprävention.113 Ferner wird gegen die positive Generalprävention vorgebracht, diese könne ihren eigenen Schutzinhalt nicht klar benennen. Vielmehr unterliege sie – „wie jede andere funktionale Theorie“ – dem Makel, die Frage nach der Legitimität ihres Gegenstands nicht zu stellen, indem wertbezogene Faktoren als vorgegeben 110 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 67 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 32. Solche Argumentation hinsichtlich spezialpräventiver Straftheorien lässt aber ihrerseits zu wünschen übrig: Soll die Person des Rechtsbrechers durch Strafe geändert werden (wie es die Individualprävention vorsieht, vgl. unten B. III. 1. a), wird sie gerade nicht in ihrer Selbstständigkeit anerkannt. Es geht dann allein um ihre Zerstörung, was nicht mit der Vorstellung des Bürgers als Person im Recht in Einklang zu bringen ist. 111 Vgl. die Nachweise bei Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 41 m. Fn. 83. 112 Vgl. Bock, ZStW 103 (1991), 636, 652 f.; Haas, Strafbegriff, S. 273; Hörnle/ v. Hirsch, GA 1995, 261, 268; Neumann, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 147 f.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 41 f. 113 Zur die empirische Seite betreffenden Kritik siehe ausführlich W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 39 f.; Bock, ZStW 103 (1991), 636, 654 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 365; ders., in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 134 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 262 f.; Weigend, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 199 f.
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erachtet würden.114 Auf diese Weise sei es möglich, im Wege der positiven Generalprävention jedweden Regelungsinhalt zu schützen, ohne dabei dessen Rechtmäßigkeit kritisch zu hinterfragen. „Maßstäbe für Zulässigkeit und Grenzen (straf-)rechtlicher Praxis“ könnten daher durch diese Theorie gerade nicht angegeben werden. Sollten also illegitime Normen etabliert werden, würden selbst diese geschützt, wodurch sich die Unrechtmäßigkeit des Vorgangs weiter vertiefe. Die einzelne Tat verkomme in einem solchen System zu einem reinen „Anlaß für zukunftsgerichtete Reaktionen, mithin zur ,Demonstration‘ der Normstabilität und -verbindlichkeit“. In der Folge bestünde das Risiko, dass die Bedeutung der Straftat als Erschütterung der Normgeltung zu ihrer „grundwesentlichen Bestimmung“ gerate.115 Primär könnte personales Verhalten dann also anhand seines Charakters der Normnegation und der damit einhergehenden Pflichtverletzung auf dessen strafrechtliche Relevanz hin überprüft werden. Hierin liege aber die Gefahr, nicht mehr den Unrechtssachverhalt als solchen zum Gegenstand der Betrachtung zu erheben, sondern maßgeblich auf den Gesinnungsunwert des Einzelnen abzustellen. Eine solche „Verabsolutierung des Normgeltungskriteriums“ stellte dann den Wegbereiter eines Gesinnungsstrafrechts dar, eingeleitet durch weit im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung angesiedelte strafbewehrte Verhaltensnormen.116 Innerhalb eines solchen Systems gerate der Täter letztlich „zum Objekt der Normgeltungsdemonstration und zum Rechtsfeind schlechthin“ 117. cc) Auswertung der Kritik an der generalpräventiven Straftheorie Als Produkt menschlicher Anstrengung weist auch das Recht eben jene Fehleranfälligkeit auf, die all dem originär anhaftet, das von Menschenhand geschaffen wurde.118 Aus diesem Grunde ist eine fortschreitende kritische Kontrolle der bereits gesetzten Verhaltensnormen zwingend erforderlich. Reiner Gesetzespositivismus birgt demgegenüber stets die Gefahr, in seinem strikten Festhalten am 114 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 38 ff., insbesondere 40 f., 66 ff. Siehe auch Naucke, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 13 ff., 19. 115 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 66. 116 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 40 f., 66 ff., 110 f.; Naucke, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 19, 26 f. Eine ähnliche Kritik äußert auch Arnold, HRRS 2006, 303, 308 f., der die Theorie der positiven Generalprävention als funktionalistische in die Nähe eines Feindstrafrechts rückt: „So mancher vehemente Befürworter dieses (am Zweckgedanken ausgerichteten, d. Verf.) Strafrechts ist ein ebensolcher vehementer Gegner des Feindstrafrechts, ohne zu bedenken, dass es gerade das funktionalistische moderne Strafrechtsverständnis ist, das die Tür zum Feindstrafrecht weit aufgestoßen hat.“ In diese Richtung geht ferner Greco, GA 2006, 96, 105 f. 117 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 69. 118 Weitere Nachweise zu potentiellen Fehlentwicklungen eines staatlichen Gefüges finden sich bei W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 44 f.
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geschriebenen Recht selbst Unrechtsregime aufrechtzuerhalten. 119 Indem sie der positiven Generalprävention die Eigenschaft zuweist, unreflektiert jedwede geltende Norm zu schützen, formuliert obige Kritik daher gegenüber der besagten Straftheorie eben jenen Vorwurf.120 Zwar vermögen solche Bedenken mit Blick auf ein ausschließliches Festhalten am Kriterium des Aufrechterhaltens der Normgeltung vordergründig verfangen. Wer also in der Theorie positiver Generalprävention mehr sehen will als ein Mittel der Verhaltenssteuerung, muss unweigerlich enttäuscht werden. Es handelt sich bei ihr lediglich um ein formales System, das die Frage nach ihrem Inhalt bewusst offen lässt.121 Diese zu beantworten, ist richtigerweise zusätzliche Aufgabe der Rechtsgemeinschaft und geschieht im Wege der (vorstrafrechtlichen) Etablierung legitimer Verhaltensnormen. Insofern greifen die dahingehenden Einwände der Kritiker der generalpräventiven Straftheorien im Ergebnis doch zu kurz. Es geht gerade nicht darum, beliebige Verhaltensnormen in ihrer Geltungskraft mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen. Vielmehr muss es sich bei dem Schutzgegenstand um legitime Verhaltensnormen handeln.122 Der Entstehung der Normen liegt damit ein Wertungsakt 119 Alexy, Geltung des Rechts, S. 70 ff. Maßgeblich durch die Rassengesetzgebung des „Dritten Reichs“ veranlasst konstatiert Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, 1945, in: Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 335: „Diese Auffassung vom Gesetz und seiner Geltung (wir nennen sie die positivistische Lehre) hat die Juristen wie das Volk wehrlos gemacht gegen noch so willkürliche, noch so grausame, noch so verbrecherische Gesetze. Sie setzt letzten Endes das Recht der Macht gleich, nur wo die Macht ist, ist das Recht.“ Vgl. auch dens., Gerechtigkeit und Gnade, 1949, in: Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 337 „Die vermeintliche Eigengesetzlichkeit des Rechts, der juristische Positivismus, mündete damals (in der Zeit des Nationalsozialismus, d. Verf.) folgerichtig in die notgedrungene Anerkennung des totalen Staates und seiner Gesetze aus“. – Zur mitunter berechtigten Kritik insbesondere an der Kausalthese Radbruchs vgl. Dreier/Paulson, Einführung in die Rechtsphilosophie Radbruchs, in: Rechtsphilosophie, hrsg. v. Ralf Dreier und Stanley L. Paulson, S. 251 f. 120 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 38 f., 44 f., 49, 54, 62, 78. Siehe auch Naucke, in: Hassemer u. a. (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 23 f. 121 Haffke, Generalprävention, S. 82 f., 85 f. Siehe zudem Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 853, der zutreffend darauf hinweist, dass die Funktionalität eines Systems nicht mit Kollektivismus oder gar Totalität gleichzusetzen ist: „Die funktionale Sicht ist auf kein bestimmtes Modell festgelegt.“ Ebenso verhält es sich konsequenterweise auch bei der spezialpräventiven „Straftheorie“. Hier kann die Ausfüllung des Bezugspunktes der Gefährlichkeit des Einzelnen bei Lichte besehen allein durch vorstrafrechtliche Wertungen erfolgen. Und auch innerhalb absoluter Straftheorien muss vorab feststehen, welche Rechtsverletzungen mit dem Instrument der Strafe vergolten werden müssen – dass nicht jedwedes Interesse durch das Strafrecht geschützt wird, muss hier ebenfalls Konsens sein. Vgl. auch Safferling, Vorsatz und Schuld, S. 92; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 61 ff. 122 Siehe dazu noch ausführlich unten B. II. 1. b) sowie Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 34 ff. Ferner sprechen sich im Sinne der Entstehung von Verhaltensnormen in einem vorstrafrechtlichen Wertungsakt Freund, AT, § 1 Rn. 11 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 27 ff., 52 ff., 82; Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 82; Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 855; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 95 f. aus. Auch Naucke, in: Hassemer u. a.
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zugrunde, der im Wege einer Güter- und Interessenabwägung die Berechtigung der jeweiligen Vorschrift in Konfrontation mit den ihr widerstreitenden Interessen festzustellen vermag. Indem aber gerade die kollidierenden Schutzinteressen bedacht und einander gegenüber gestellt werden, kann nicht davon die Rede sein, dass Normen unhinterfragt in den gesetzten Normenbestand aufgenommen werden. Insbesondere Vorschriften, die allein den Gesinnungsunwert des Täters im Auge haben, müssten sich folglich zunächst in solchem Abwägungsprozess bewähren bzw. überhaupt einem legitimen Zweck dienen. Wie anschließend noch ausführlich zu zeigen ist, wäre dies vor dem Hintergrund einer freiheitlichen Grundordnung offensichtlich unzulässig.123 Die Beantwortung der Frage, welche rechtlichen Verhaltensnormen Legitimität aufweisen, liegt folglich außerhalb dessen, was im Wege (irgend-)einer Straftheorie zu leisten ist: Auch absolute oder spezialpräventive Straftheorien können solchem Anspruch nicht genügen, was diesen als Kriterium für die Legitimität einer Straftheorie eindeutig ins Abseits stellt. Aus der Notwendigkeit des besagten vorstrafrechtlichen Wertungsakts lassen sich keine Rückschlüsse auf die Richtigkeit einer spezifischen Straftheorie ziehen – also selbst nicht mit Blick auf die Theorie der positiven Generalprävention. Zudem vermag der Verweis auf mangelnde empirische Belegbarkeit der seitens der Generalprävention formulierten Wirkkraft als taugliches Gegenargument nicht zu überzeugen. Richtig ist nur, dass eine absolute „Erfolgsgarantie“ nicht gegeben werden kann. Selbst die durch angemessene Strafe vor einem Geltungsschaden bewahrte Verhaltensnorm kann selbstverständlich erneut übertreten werden. Im Übrigen konnte nach wie vor nicht der Nachweis geführt werden, dass mit unterlassener Verhängung von Strafe keine Schwächung der Normgeltung einhergehe. Somit bietet die Bestrafung jedenfalls die Chance, der Gefahr eines drohenden Normgeltungsschadens für die Zukunft entgegenzuwirken. Solange außerdem die Möglichkeit besteht, mit den Mitteln des Strafrechts zur Restabilisierung der Normgeltung beizutragen, ist es durchaus angemessen, das Risiko der Nichtrealisierung der formulierten Zielsetzung auf denjenigen zu übertragen, der gegen die Norm verstoßen hat.124 Letztlich gibt er den Anlass für die Konfliktlage, dass mit dem eingesetzten Instrumentarium nicht mit absoluter Sicherheit der gewünschte Effekt erzielt wird.125 (Hrsg.), Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9, 23 f. macht die Vereinbarkeit der Grundrechte des Einzelnen mit der Straftheorie der Generalprävention davon abhängig, dass „der Kreis der präventionswürdigen Verhaltensweisen gerecht festgelegt ist.“ 123 Vgl. unten B. II. 2. b). 124 Freund, Erfolgsdelikt und Unterlassen, S. 105 ff. 125 Versteht man mit Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 844 f. den Bedeutungsgehalt der Strafe hingegen unmittelbar in der Selbstvergewisserung des Rechts bzw. der gesellschaftlichen Identität, erübrigen sich empirische Untersuchungen und damit die hierauf aufbauende Kritik ohnedies: Indem die Normbestätigung in solchem Konzept die zentrale Bedeutung von Strafe ausmacht, handelt es sich bei ihr nicht lediglich um eine
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Was verbleibt, ist der Vorwurf mangelnden Bezugs der verhängten Strafe zu dem von dem Täter individuell zu verantwortenden Normverstoß. Einen Ausweg aus solchem strafzumessungsrechtlichen Dilemma bietet in hinreichender Stringenz nicht allein das oftmals ins Feld geführte zusätzliche Erfordernis der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf der Ebene der Strafzumessung.126 Danach sei eine Vermeidung drakonischer Strafen durch die Einhaltung einer Zweck-Mittel-Relation zwischen Strafe und Tatschwere zu leisten.127 Jedoch ist wahrer Schutz vor überzogenen Strafen so nicht garantiert.128 Insbesondere der Abwägungsprozess öffnet im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Pforten zur Einbeziehung jedweder Erwägungen, die bei Lichte besehen von der eigentlichen Tatschwere weit entfernt sind. Etwa lassen sich utilitaristische Ideen, die von dem durch den Täters verwirklichten Unrecht zwingend wegführen, problemfrei innerhalb einer Zweck-Mittel-Relation verorten, sodass die Begründung Folge des Vorgangs, die allein empirisch fassbar sein könnte. Siehe ferner zur Richtigkeit solcher Straftheorie ausführlich unten B. II. 1. a) dd). 126 Diese Kritik trifft Freund, Erfolgsdelikt, S. 88, 109, der den Schuldgrundsatz als „strafrechtliche Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ einstuft, jedenfalls nicht vollumfänglich (kritisch zu diesem Zusammenhang von Schuldprinzip und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit freilich Ellscheid/Hassemer, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Strafe ohne Vorwurf, S. 266, 283). Freund versteht sich als Vertreter eines generalpräventiven Ansatzes (Erfolgsdelikt, S. 95: Bei seinem straftheoretischen Modell handele es sich um „ein auf Akzeptanz angewiesenes Konzept der Stabilisierung gefährdeter Normtreue“; vgl. außerdem MK/dens., Vor §§ 13 ff., Rn. 38: „Vielmehr muss der Einsatz von Strafe zweckrational durch die präventive Rechtsgüterschutzaufgabe des Staates legitimiert sein.“). In der Einsicht über die offenkundigen Mängel herkömmlicher generalpräventiver Strafkonzeptionen ist der Vorteil seiner eigenen straftheoretischen Herleitung in einer Verfeinerung durch das Postulat der „angemessen [!] missbilligenden Reaktion“ (GA 2010, 193, 195 f. m. Fn. 10. Siehe bereits dens., Straftat, S. 43, 55 ff., 73 f.; dens., GA 1995, 4, 8; dens./Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 83) zu sehen. Durch die stringente Koppelung von Strafe an den Schuldgrundsatz gelingt es ihm in Abgrenzung zu den meisten anderen „generalpräventiven“ Ansätzen, den Einzelnen nicht „lediglich als Mittel zur Befriedigung irgendwelcher Bedürfnisse der Normstabilisierung“ (Freund, Erfolgsdelikt, S. 88) zu missbrauchen. Es kommen dann aber insbesondere aufgrund der wiederholten Anreicherung seiner Strafzweckkonzeption durch den „Gedanken gerechter Vergeltung“ (vgl. Freund, AT § 1 Rn. 4; MK/dens., Vor §§ 13 ff., Rn. 39, 72) ernstliche Zweifel daran auf, ob die Gemeinsamkeiten mit anderen generalpräventiven Modellen sich nicht auf eine rein terminologische limitieren. Vgl. dazu noch unten Fn. 143. – Allgemein zu der im Zugriff auf die Schuldstrafe aufbrechenden Hilflosigkeit herkömmlicher Konzepte der positiven Generalprävention angesichts des Fehlens eigener Maßstäbe siehe auch Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 134 f. 127 Siehe Ellscheid/Hassemer, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Strafe ohne Vorwurf, S. 266, 281 ff., die im Schuldprinzip verstanden als ein sozialethischer Tadel gegenüber dem Täter den eigentlichen Urstein von Maßlosigkeit in der Strafbemessung sehen und daher den Schuld- gänzlich durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ersetzen wollen. Siehe außerdem Baurmann, Zweckrationalität und Strafrecht, S. 269 ff. 128 Vgl. auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 127 ff.; dies., JZ 1999, 1080, 1082; MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 27; Roxin, AT I, § 3 Rn. 51 ff.; Sachs, GG, Art. 20 Rn. 147; Stratenwerth, Tatschuld, S. 27 f.
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erhöhter Strafen beispielsweise unter Bezugnahme auf spezifische Vertrauensbildungsprozesse in der Bevölkerung möglich wird. Denkbar wäre vor diesem Hintergrund die härtere Bestrafung bei Vorliegen einer wertwidrigen Gesinnung des Täters. So ließe sich argumentieren, die Reaktion auf solche Verhaltensweisen dürfe nicht auf das der Tatschwere angemessene Maß begrenzt werden, erschütterten gesinnungsgeleitete Normbrüche doch in besonderem Maße das Normvertrauen der anderen Gesellschaftsmitglieder. Die härtere Bestrafung bei Vorliegen böser Gedanken könnte zudem als besonders geeignetes Instrument der Demonstration fortdauernder Richtigkeit der Normenordnung angeführt werden, getreu der Annahme: Wenn schon auf schlechte Gedanken strafrechtlich härter reagiert wird, muss es sich um einen besonders wichtigen Normenbestand handeln. Ähnlich verhält es sich mit der Statuierung des Erfordernisses „gerechter“ Strafe129 angesichts der Konturlosigkeit des Begriffs. Formale Gerechtigkeit meint per se nicht mehr als ein Postulat der Gleichbehandlung. Welche Gerechtigkeitsvorstellung aber die „richtige“ ist und im Strafrecht Geltung entfalten soll, lässt sich kaum entscheiden. Der Fragende verfängt sich hingegen unvermittelt im Netz auswegloser Argumentationsstränge, die Gerechtigkeit entweder der alleinigen Orientierung am verwirklichten Unrecht oder aber der Bezugnahme auf das Vorleben des Täters zuschreiben können.130 Vor diesem Hintergrund kann der Vorwurf, solche funktionale Theorie lasse sich allenfalls im Dickicht des Nichtwissens der Bürger tauglich aufrecht erhalten,131 nicht als gänzlich unberechtigt abgewiesen werden. In der Tat sind negative Effekte der Kenntnisnahme solchen Systems seitens des vernunftbegabten Bürgers zu erwarten. Wer das grundsätzlich freie Vernunftwesen zum Ausgangspunkt seiner Gesellschaftsordnung wählt, kann nicht mit einer Straftheorie operieren, die sich bei Anstrengung seiner kognitiven Fähigkeiten vor dem Normadressaten nicht mehr halten lässt. Dies ist aber der Fall, sofern der Einzelne nicht ausnahmslos – und dies betrifft neben der Strafbarkeitsbegründung insbesondere auch den Bereich der Strafzumessung132 – als Vernünftiger gewürdigt wird. Trägt Strafe aber die Tendenz, sich nicht mehr an dem seitens des Subjekts verwirklichten Unrecht, sondern an sachfernen, da gesellschaftlich übergreifenden Interessen zu orientieren, kann von solcher Würdigung keine Rede sein.133 129 Vgl. zum Begriff etwa Freund, AT, § 1 Rn. 10; dens., GA 2010, 193, 195 f. m. Fn. 10. 130 Siehe dazu Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 133 ff.; dies./v. Hirsch, GA 1995, 261, 269 f.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 84. 131 Vgl. dazu oben B. II. 1. a) bb). 132 Dass Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung demselben straftheoretischen Grundkonzept verschrieben sind, wird unten C. I. ausführlich dargelegt. 133 Diesen Einwand vermag auch die Gegenkritik Jakobs, Schuldprinzip, S. 30 nicht zu entkräften. Zwar wird die Aufklärung darüber, dass es bei Strafe nicht nur um den Einzelnen, sondern um ihn als „Sozialperson“ geht, für sich genommen nicht die Abkehr von der gemeinschaftlichen Ordnung bedingen. Anders verhält es sich aber, wenn
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Insbesondere die Idee der Einkleidung generalpräventiver Gedanken in einen gesellschaftlich offenbar eher akzeptierten retributiven Mantel darf vor dem Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung – einer freiheitlichen Grundordnung, in die sich das Bild des vernünftigen Bürgers fügt, – keinen Zuspruch erfahren.134 Eine entsprechende Einsicht des Normadressaten wird nach hiesiger Einschätzung nicht bei der Folge schwindender Normakzeptanz stehen bleiben. Es können damit die geäußerten Bedenken gegen die mit der Theorie positiver Generalprävention einhergehende Instrumentalisierung des Einzelnen jedenfalls für den relevanten Bereich der Strafzumessung nicht einwandfrei widerlegt werden. In einem System, das den Rechtsbrecher bestraft, um größtmögliche Rechtstreue der übrigen Gesellschaftsmitglieder hervorzurufen, besteht stets die Gefahr, dass die Person des Täters zum reinen Mittel zum Zweck verkommt. Der Blick wendet sich in solcher Straftheorie vom Täter ab und achtet damit nicht in erforderlichem Maße dessen Subjektqualität. Die Überzeugungskraft der Straftheorie positiver Generalprävention ist entscheidend geschmälert und soll daher nicht zur Grundlage der eigenen Arbeit gereichen. Es gilt anschließend, eine Strafzweckkonzeption zu entwickeln, die den besagten Mängeln Herr wird und sich uneingeschränkt mit dem Grundbild des prinzipiell vernunftbegabten Normadressaten vereinbaren lässt. dd) Strafe ist geltungssichernde ausgleichende Ahndung des Verhaltensnormverstoßes Als zentraler Kritikpunkt an der positiv generalpräventiven Straftheorie kann das Festhalten am alleinigen Erfordernis der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als ungenügendes Kriterium zur Vermeidung von Friktionen im Bereich der Strafzumessung ausgemacht werden. Hierbei handelt es sich nicht um ein hinreichendes Korrektiv zur Abkehr von drakonischen oder zumindest überhöhten Strafen, die aber in der generalpräventiven Konzeption angelegt sind. Infolgedessen gelingt es der Theorie positiver Generalprävention nicht, den Vorwurf der Instrumentalisierung des Täters zu entkräften. Was daher mit Blick auf Einsicht in die Gefahren erlangt wird, die mit einer generalpräventiven Straftheorie zwingend einhergehen: Die Verhängung unangemessen hoher Strafen, die primär nicht die Reaktion auf das verwirklichte Unrecht darstellen, sondern Interessen der Dritteinwirkung verfolgen. Solche sind im Wege der Aufklärung keinem Vernunftwesen plausibel zu machen, sondern erwecken vielmehr den Verdacht der Instrumentalisierung seiner selbst einhergehend mit ernstlichen Zweifeln daran, dass im Rahmen solcher Straftheorie Rechtssicherheit uneingeschränkt garantiert werden kann. 134 Siehe dazu statt aller Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 41 f., der zutreffend darauf verweist, dass bei Zugrundelegung einer solchen Strafzweckbestimmung staatliche Reaktion nicht mehr als Strafe, sondern vielmehr als Aufopferung zu bezeichnen wäre. Gleichsam würde der „,unaufgeklärten‘ Bevölkerung die kommunikative Gleichheit abgesprochen“.
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den Bereich der Strafzumessung evident fehlt, ist die Garantie der Rückbindung staatlicher Reaktion auf strafbares Verhalten an dessen alleinigen Gegenstand: Den individuellen Verhaltensnormverstoß der Person des Täters. Nach dem hier zugrundegelegten Verständnis kann die Gefahr ausufernder Tendenzen mit der erforderlichen Sicherheit ausschließlich durch striktes Festhalten an dem vom Täter verwirklichten Unrecht in Gestalt seines Verhaltensnormverstoßes gebannt werden. Es bedarf daher einer festen Verankerung des Ausgleichsgedankens innerhalb der Strafzweckkonzeption, um nicht über das Maß des vom Delinquenten tatsächlich zu verantwortenden Unrechts hinauszuschießen. Nur wenn Strafe als Ausgleich des Normverstoßes erachtet wird, können Bestrebungen zur Wiederherstellung der Normgeltung auf diesen Faktor begrenzt werden. Das auszugleichende Unrecht ist damit straftheoretisch auf die individuelle Infragestellung der Normgeltung durch den Täter, die allein im konkreten Verhaltensnormverstoß ihren Ausdruck findet, zu begrenzen.135 In solcher straftheoretischen Konzeption wird jedweder Instrumentalisierung der Person des Rechtsbrechers eine klare Absage erteilt. In ihrem Festhalten am Ausgleichsgedanken sieht sich die eigene Strafzweckkonzeption allerdings mit dem Vorwurf der Nähe zu absoluten Straftheorien konfrontiert.136 Deren Legitimationsgrund wird häufig – verkürzt – in gerechter Vergeltung benannt137: „Denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen
135 Zur Relevanz spezifischer Fehlverhaltensfolgen siehe noch unten B. II. 1. d). – Ausführlich zu den strafzumessungsrelevanten Faktoren siehe unten C. (insbesondere:) I. Vgl. außerdem zur Gefahr der systemfremden Einbeziehung spezialpräventiver Ideen auf dem Umweg des Unrechtskriteriums der Infragestellung der Normgeltung unten C. III. 3. 136 Allein dies galt lange Zeit – wie Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 45 ff. in Erinnerung ruft – als ausreichendes Argument zur Widerlegung des Richtigkeitsgehalts einer Theorie. So einfach soll es den Kritikern heute nicht mehr gemacht werden. Als besonders eindrucksvoll erweist sich in diesem Zusammenhang die Schilderung Hassemers, StV 2006, 312 ff., wie sich die Studenten in „alten Zeiten“ von dem mit Vergeltungstheorien einhergehenden „Muff von tausend Jahren“ durch eine offensive Hinwendung zu präventiven Straftheorien freischwammen. Heute bleibt Hassemer selbst angesichts der „Verheerungen der Prävention“ nur noch die zaghafte Frage: „War das alles wirklich eine gute Idee?“ – Die Andeutung einer Einsicht, die nach vorliegendem Dafürhalten noch nicht zu spät kommt, jedoch zu sofortigen Änderungen im strafrechtstheoretischen Denken zwingt. – Zu den Entwicklungen des deutschen Strafrechts zu einem Sicherungsrecht, das in vielen Bereichen unlängst die Handschrift eines Gesinnungsstrafrechts trägt, siehe noch ausführlich unten D. 137 So jedenfalls die absoluten Straftheorien im Sinne der Vergeltungstheorie. Vertreten werden auch sogenannte „Sühnetheorien“, die den Zweck der Strafe darin sehen, dass der Täter das Unrecht seines Verhaltens erkennt, bereut und durch die Strafe in die Gesellschaft zurückfindet. Vgl. dazu aus jüngerer Zeit Duff, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 23 ff. Wie aber bereits Roxin, AT I, § 3 Rn. 10 treffend feststellt, liegt in einer so verstandenen Sühne ein „autonomer sittlicher Akt der Persönlichkeit“, der nicht durch staatlichen Zwang erzielt werden kann. Vgl. auch Frisch, BGH-FS, S. 269, 276.
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Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.“ 138 Die Strafe habe sich dabei an dem Wiedervergeltungsrecht bzw. dem Talionsprinzip zu orientieren. So müsse derjenige, der einen anderen tötet, seinerseits sterben.139 Strafe weist nach dieser Vorstellung keinerlei Zweckerwägungen auf und dient ausschließlich der Idee der Gerechtigkeit, indem durch Zufügung eines Übels gegenüber dem Täter das durch seine Tat in die Welt gebrachte Übel vergolten wird. Absolute Straftheorien standen in der Vergangenheit besonders häufig im Kugelhagel der Kritik insbesondere der Verfechter von Präventionstheorien.140 Zentral ist dabei der Vorwurf, es ließe sich nicht überzeugend klären, wie die Zufügung eines weiteren Übels ein bereits begangenes aus der Welt schaffen sollte. Es verblieben vielmehr fortan ihrer zwei in der Welt. Bei dem oben geäußerten Bestreben, durch Strafe einen symbolischen Ausgleich des begangenen Normbruchs zu schaffen, könnte es sich nunmehr um ein der absoluten Strafzweckkonzeption entnommenes Theorem handeln. In der Folge hätte sich die eigene Strafzwecktheorie eben jenen Einwände zu stellen, die bislang mit Vehemenz gegen absolute Straftheorien vorgetragen worden sind. Indes muss Strafe im Rahmen einer absoluten Straftheorie nicht zwingend als rein externe Übelszufügung verstanden werden. In der Tat ist bereits im Verein mit Hegel die nicht zusammenhängende Aneinanderreihung zweier äußerlicher Übel als unvernünftig und damit zur Legitimation von Strafe unzureichend zu bewerten.141 Es handelt sich hierbei jedoch allenfalls um ein unfertiges Bild einer absoluten Straftheorie.142 Dagegen gelingt es, in Anlehnung an das oben zum expressiven Charakter der Strafe bereits Gesagte eine Verknüpfung von Normbruch und Strafausspruch aufzuzeigen, die der Strafe eine den Einzelnen als Ver-
138 Das Zitat ist Kant, Metaphysik der Sitten, A 197 entnommen. Kant wird von den meisten als Vertreter einer absoluten Straftheorie eingeordnet. Vgl. dazu beispielhaft die Ausführungen bei Freund, AT, § 1 Rn. 3 f. m. Fn. 5; Jakobs, AT, 1/19, dems., Staatliche Strafe, S. 11 ff.; Roxin, AT I, § 3 Fn. 6; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 17 f. Gegen solche straftheoretische Einordnung Kants sprechen sich hingegen Altenhain, KellerGS, S. 1 ff.; Bielefeldt, GA 1990, 108 ff.; Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210 ff. aus. 139 Kant, Metaphysik der Sitten, A 199: „Hat er aber gemordet, so muß er sterben.“ 140 Zur Kritik an der absoluten Straftheorie – verstanden als Schuldausgleich um seiner selbst willen – siehe Ambos, GA 2009, 561, 574; Becchi, ARSP 88 (2002), 549, 555 f.; Freund, AT, § 1 Rn. 3 ff.; dens., GA 1995, 4, 5, 9 f.; dens., Erfolgsdelikt, S. 82 f.; dens., Straftat, S. 43 ff., 73 ff.; Jakobs, AT, 1. Abschn., Rn. 17 ff.; dens., Staatliche Strafe, S. 5 ff., 15 ff.; Kargl, GA 1998, 53, 63 f.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), 730; dens., Gefährdung als Straftat, S. 31; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 25 ff.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 2 ff.; dens., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 1, 2 ff.; dens., Arthur Kaufmann-FS, S. 519, 522; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 40 ff., 45 ff.; v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 8 ff., 21. Siehe auch BGHSt 24, 40, 42. 141 Hegel, Grundlinien, § 99. Vgl. auch Frisch, BGH-FS, S. 269, 276; Jakobs, in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32. 142 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 54 ff. In diese Richtung auch Kargl, GA 1998, 53, 62.
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nunftwesen ehrende Bedeutung beimisst und ihre Legitimationsgrundlage der gängigen Kritik an absoluten Straftheorien selbstbewusst entgegentreten lässt.143 Dabei sei zunächst an die auch symbolische Bedeutung des Verhaltensnormverstoßes im gesellschaftlichen Gefüge erinnert. Im Normverstoß bringt der Täter zum Ausdruck, dass die übertretene Verhaltensnorm jedenfalls punktuell für ihn keine Geltungskraft entfalte. Vielmehr stellt er seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen und negiert damit die Allgemeingültigkeit des Rechts verkörpert durch seine güterschützenden Verhaltensnormen.144 Solche unvernünftige Anmaßung des Täters darf nicht unbeantwortet bleiben, soll nicht das Recht in seinem Bestand in Zweifel gezogen werden.145 So ist Strafe als Widerspruch gegenüber dem Normbruch der Person zu werten, durch den die Geltung des Rechts symbolisch bestätigt wird.146 Im Widerspruch gegenüber dem einzelnen Angriff 143 Die hiesige Strafzweckkonzeption kann somit dann als „absolute“ eingestuft werden, wenn anerkannt wird, dass deren Gehalt sich nicht in dem Schlagwort „Schuldausgleich um seiner selbst“ erschöpft. Vor dem Hintergrund der doch harschen Kritik an jedweder straftheoretischen Idee, die sich im Entferntesten auf der Linie einer absoluten positioniert, sind daher auch die Wortspiele einiger Autoren zu beurteilen, die den Begriff der Generalprävention so weit verstehen wollen, dass auch ihre eigene, eher im Vergeltungsbereich angesiedelte Konzeption dem noch unterfällt (vgl. die Nachweise zu Frisch und Jakobs in Fn. 146). Jedenfalls mit Blick auf Frisch ist aber eine deutliche Hinwendung zunehmend auch im Sprachlichen zu einer retributiven Straftheorie zu erkennen. Die positive Generalprävention stuft er inzwischen als „Sekundärphänomen“ ein. Von absoluten Straftheorien will er sich allein mit Blick auf deren „Zerrbilder“ in Gestalt der Straftheorien Kants und Hegels distanzieren, vgl. Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 136, 141). Solche Anstrengungen sollen vorliegend nicht weiter bemüht werden – mag auch die (Falsch-)Etikettierung zugegeben nicht selten von Vorteil sein. Besagte Autoren mögen es daher verzeihen, werden sie – teils jedenfalls terminologisch zu Unrecht – als unterstützende Nachweise der hiesigen Straftheorie herangezogen. Selbiges betrifft auch Freund, der trotz letztendlicher Entscheidung für ein positiv generalpräventives Konzept darin eine nahe Verwandtschaft zum vorliegenden straftheoretischen Modell aufbaut. In diese Richtung weist insbesondere seine wiederholte Aussage, der Generalprävention komme „neben der recht verstandenen Schuldstrafe“ keine „eigenständige Bedeutung“ zu (vgl. nur GA 1999, 509, 534). Auch die Ablehnung der Eignung zur Normrestabilisierung eines Missbilligungsurteils, das den Normbruch des Einzelnen nicht „kongruent“ wiedergebe (Erfolgsdelikt, S. 109 ff.; vgl. auch Freund, GA 2010. 193, 195 f. m. Fn. 10), legt eine Positionierung Freunds nahe, die eher dem hiesigen Konzept einer innerhalb retributiver Straftheorien angesiedelten tatproportionalen Strafzumessung entspricht. Vgl. dazu bereits oben Fn. 126. 144 Vgl. schon die weiteren Nachweise oben Fn. 95 sowie Haas, Strafbegriff, S. 262, der jedoch abweichend vom hiesigen Verständnis den Vergeltungszweck von Strafe in der Befriedigung des berechtigten Bedürfnisses der Allgemeinheit nach Genugtuung sieht. Strafe stellt also – insoweit entsprechend dem eigenen Verständnis – einen Ausgleich für den distributiven Verhaltensvorteil her, den sich der Täter im Normbruch verschafft hat. 145 Auch der vollverantwortliche Gesinnungstäter befindet sich in einem Irrtum, der seitens der Rechtsgemeinschaft nicht zu tolerieren ist. Siehe dazu unten B. III. 2. c). 146 So auch Freund, in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, S. 43, 48 f.; ders., GA 1995, 4, 7 f.; Frisch, BGH-FS, S. 269, 278 f., 307; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA,
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
auf die Norm „bleibt“ diese „wirklich“.147 – Dabei ist Strafe entgegen generalpräventiver Annahmen nicht reines Mittel zur Förderung künftigen normgemäßen Verhaltens der übrigen Gesellschaftsmitglieder. Hierbei handelt es sich allenfalls um einen Nebeneffekt, ohne den Strafe aber ohne Weiteres zu legitimieren ist und vor dem Hintergrund des oben Gesagten auch legitimiert werden muss.148 In ihrer kommunikativen Bedeutung der Wiederherstellung der Geltungskraft des Rechts ist sie damit mehr als ein bloßes Mittel zum Zweck (etwa der Einübung von Normtreue). Die Strafe selbst ist gesellschaftliche Antwort auf die fehlerhafte Infragestellung der Normgeltung durch den Täter – unabhängig von den psychischen Folgen, die dadurch bei den übrigen Gesellschaftsmitgliedern hervorgerufen werden könnten: Die Gemeinschaft sieht die ihre Ordnung konstituierenden Normen weiterhin als maßgeblich an und verweigert dem Täter die Möglichkeit, solchermaßen auf den Bestand der Rechtsordnung Einfluss zu nehmen. Die Strafe fungiert als aktives Symbol der Gesellschaft dafür, dass sie an ihrem Selbstbild festhalten will – sie ist „Selbstvergewisserung“ 149 und damit Bestätigung der gesellschaftlichen Identität.150 Wiederhergestellt wird dabei derjenige Zustand, in dem sich das Recht vor dem Verhaltensnormverstoß des Täters befunden hat. Das Erreichen eines IdealS. 1, 20 ff.; ders., in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 139 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 52, 156, 167; Hegel, Philosophie des Rechts, § 97 ff.; Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f.; ders., in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 32 ff.; ders., in: Siller/Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 135 ff.; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 111 ff. In diese Richtung ferner Herzog, Prävention des Unrechts, S. 75 ff.; 85, 115. 147 Freund, AT, § 1 Rn. 8; Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28, 33; ders., Norm, Person, Gesellschaft, S. 53; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 132 ff. 148 Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 59 f. vermerkt mit Blick auf generalpräventive Begleiterscheinungen treffend: „(. . .) sie gehören so wenig zum Begriff der Strafe, wie ihr Gegenteil – nämlich eine psychische Desorientierung, ein allgemeines Lamento – zum Begriff der Straftat gehört.“ Vgl. zudem Frisch, BGH-FS, S. 269, 278; dens., in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 136, 140 f.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 52; Haas, Strafbegriff, S. 273 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 278; Jakobs, in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 36, 39 f.; dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 114. 149 Das Zitat findet sich bei Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 844. 150 Überschneidungen der hier vertretenen, absoluten Konzeption von Strafe mit den Inhalten der positiven Generalprävention sind nicht zu übersehen. Wie Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 139 ff. aber zu Recht erkennt, liegt eben jener „Urstoff“ in absoluten Straftheorien verwurzelt, von dem sich im Begründungszusammenhang der positiven Generalprävention ein breiterer Zuspruch versprochen wird: „(. . .) hier ist in Wahrheit ein Zerrbild der sogenannten absoluten Theorien aufgebaut worden“. Jedenfalls die damit einhergehenden Schwächen der positiven Generalprävention sollten aber – wie hier – die Einsicht befördern, den berechtigten Kern der Theorie frei von vordergründig Harmonie stiftenden Verhüllungstaktiken in den „richtigen Begründungszusammenhang“ einer retributiven Straftheorie zu stellen.
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zustands absoluten Rechts ist zwar ständige Aufgabe der Normbildung durch die Gesellschaftsmitglieder. Für Defizite in dieser Hinsicht kann aber nicht der Täter irgendeiner Straftat verantwortlich gemacht werden. Strafe ist kein Mittel zur Beförderung des allgemein „Guten“, sondern nur zur Ausgrenzung des Bösen. Einer Reaktion auf abweichendes Verhalten bedürfte es hingegen nicht, wenn der Täter nicht jedenfalls den Rang eines „Gleichen“ im Gesellschaftssystem aufwiese.151 Allein die Infragestellung der Norm durch einen Gleichgestellten kann von kommunikativer Bedeutung sein. Die Aussage eines Außenstehenden oder Ungleichen ist nicht dazu geeignet, die Normenordnung zu erschüttern und kann daher aus Sicht der Gemeinschaft jedenfalls vor dem Hintergrund des Strafrechts unbeachtet bleiben.152 Strafe wäre in Ermangelung eines ernstzunehmenden kommunikativen Angriffs auf die Geltungskraft des Rechts mit letzter Konsequenz überflüssig. In der Folge wird nach dem hiesigen straftheoretischen Konzept die Person als Vernunftwesen anerkannt, indem ihr grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt wird, mit Bedeutungsgehalt die Normgeltung in Frage zu stellen.153 Die Würdigung der Gesellschaftsmitglieder als Personen im Recht setzt damit voraus, dass selbst der Rechtsbrecher trotz seiner Straftat weiterhin gleichberechtigte Anerkennung genießt.154 Ihm wird aufgrund seines Normbruchs nicht der Rang eines Gleichen entzogen, was die alleinige Anwendung von Kriegsrecht gegenüber einem Externen zur Folge haben müsste. Hier zeigt sich der originär gesellschaftliche Charakter des Strafrechts: Strafe wird aus151 Vgl. Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 61; dens., in: Siller/Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 135 f.; dens., Schuldprinzip, S. 27. Siehe zudem Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 139 f. 152 Siehe zur sachlich im Kriegsrecht verorteten Antwort auf Angriffe Außenstehender noch unten B. III. 2. c) aa). Vgl. zu diesem Aspekt auch Jakobs, in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 37 f.; dens., Norm, Person, Gesellschaft, S. 116 f. 153 Diese Fähigkeit fehlt solchen Personen, die aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften nicht dazu in der Lage sind, die Geltungskraft von Normen anzuzweifeln – oder zu stützen. Angesprochen ist damit der Bereich der schuldlos Handelnden: Wer ohne Schuld handelt, dem kann ein Normbruch nicht ernstlich attestiert werden, vgl. Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 158 f.; Freund, AT, § 4 Rn. 13 ff. m. Fn. 18, Rn. 19 ff.; dens., GA 2010, 193, 197; Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 141; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 208 ff.; Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 69; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 133 ff. Zu den Kategorien von Unrecht und Schuld als Stufen im Deliktsaufbau vgl. noch unten Einleitung zu C. 154 Vgl. Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 110 f., 116 f.; dens., in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 33 f., 37 (zum Themenkreis des Feindstrafrechts siehe S. 40 ff.); dens., Schuldprinzip. S. 27, der indes Ausnahmen anerkennt, in denen der Rechtsbrecher durch die Missachtung seiner Bürgerrolle zum „Feind der Gesellschaft überhaupt“ erwächst. Vgl. dazu Jakobs, in: Siller/Keller (Hrsg.), Rechtsphilosophische Kontroversen, S. 135, 137 sowie die Nachweise unten B. III. 2. c) aa).
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schließlich gegenüber Mitgliedern der Gesellschaft verhängt, da einerseits deren Angriff auf das Recht ernst genommen wird, andererseits aber die Antwort auf solchen Kommunikationsakt des Täters voraussetzt, dass er als Adressat der Bestätigung des Rechts in Betracht kommt. Würde er hingegen angesichts seines Normbruchs aus der Gesellschaft verbannt, bedürfte es zur Wiederherstellung des Rechts keiner weiteren Kommunikation mit ihm. Gerade in der durch Strafe formulierten Absage gegenüber dem gesellschaftlichen Gegenentwurf des Täters kommt seine Anerkennung als Person zum Ausdruck. Strafe ist damit geltungssichernde ausgleichende Ahndung des begangenen Verhaltensnormverstoßes. Die Synthese der berechtigten Elemente der angemessenen Ahndung sowie der Geltungssicherung garantiert die Begrenzung staatlicher Reaktion auf das durch den Täter verwirklichte Unrecht. Damit werden etwa Drittinteressen – wie die Stärkung eines allgemeinen Rechtsbewusstseins – als Faktoren der Degradierung des Einzelnen zum reinen Objekt staatlicher Strafe konsequent ausgeschieden. Zudem erfolgt Strafe nicht um ihrer selbst willen. Das Inselbeispiel Kants wäre nach der eigenen Strafzweckkonzeption wie folgt zu lösen: Mit der endgültigen Auflösung der bisherigen Gemeinschaft entfällt das Bedürfnis der nachträglichen Ahndung der bislang unbestraften Taten. Existiert keine Rechtsgemeinschaft mehr, gibt es auch kein Recht, das es für die Zukunft wiederherzustellen gilt. ee) Strafe als geltungssichernde ausgleichende Ahndung verzichtet nicht auf das Strafübel Gewisse Schwierigkeiten wirft im Rahmen eines solchen kommunikativen Ansatzes der Straftheorie die Erklärung der Notwendigkeit ausgerechnet der Verhängung eines Strafübels auf.155 Vor dem Hintergrund des Kommunikationsmodells könnte es naheliegen, es gegenüber dem Rechtsbrecher bei einem eindeutigen Ausspruch des Tadels zu belassen. Auch durch eine ausdrückliche Erklärung ließe sich die gesellschaftliche Ablehnung der Norminfragestellung durch den Täter ernstlich verdeutlichen. Eine Bekräftigung des Ausspruchs im Wege der Übelszufügung könnte dann dem Vorgang der Kommunikation fremd sein. Selbst der Verweis darauf, der Täter selbst habe die äußerliche Ordnung mehr als symbolhaft gestaltet, sodass eine von der Übelszufügung absehende Antwort darauf „schwächer objektiviert“ sei als die eigentliche Tat, vermag diesen Einwand nicht gänzlich zu entkräften.156 Die Notwendigkeit solcher Objektivierung ergibt 155 Zur Kritik siehe Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 266 f.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 66 ff. 156 Jakobs, in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 36. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jakobs, Staatliche Strafe, S. 26 ff., wenngleich die dortigen Ausführungen keine hinreichend deutliche Abkehr vom Gedanken der Bestrafung zu Zwecken der Drittmotivation enthalten.
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sich nicht zwingend aus dem Kommunikationsmodell. Zudem führt der Gedanke, eine strafende Reaktion, die auf die Verhängung eines Übels verzichtet, entspräche nicht der gesellschaftlichen Erwartung, die an eine Antwort auf normbrechendes Verhalten gestellt wird,157 weg von der theoretischen Grundidee der vorliegenden Straftheorie: Im Kern hätte man die Grenze zur positiven Generalprävention unlängst wieder überschritten und damit die Gefahr fehlender Rückbindung von Strafe an den tatsächlichen Normbruch der Person.158 Auch die alleinige Würdigung des seitens des Täters verletzten gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zwischen ihm und dem Opfer, das im Wege der Strafe wiederhergestellt werden könnte, vermag vor dem Hintergrund der Entprivatisierung des Konflikts durch Strafe nicht zu überzeugen.159 Wie oben angesprochen, stellt der Täter durch seinen Normverstoß die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm und damit die Grundfesten des gesellschaftlichen Miteinanders in friedlicher Koexistenz in Frage. Damit bedeutet bereits sein kommunikativer Ausspruch vermittelt durch den Verhaltensnormverstoß mehr als die Missachtung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses zum Opfer. Hierin ist ein An157 In diese Richtung zuletzt aber Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 113 f., der den Strafschmerz für notwendig hält, damit nicht „die Norm bei denjenigen, die sich um den Widerspruch nicht sonderlich scheren, zu einer unverbindlichen Empfehlung“ verkomme. Vgl. auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 119 ff.; v. Hirsch, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 47, 53 f. 158 Treffend rügt Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 68 den Stellenwert des Strafübels im Rahmen solcher Argumentation als den eines „konventionellen Symbols“. Vgl. auch Weigend, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 199, 201 f. V. Hirsch, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 47, 54 ff. räumt ein, dass ihm die Legitimation der Notwendigkeit eines Strafübels vor dem Hintergrund seiner eigenen retributiven Straftheorie allein durch Hinzuziehung präventiver Gesichtspunkte möglich erscheint. Wie v. Hirsch rechtfertigt auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 119 ff. die Übelszufügung ausschließlich mit präventiven Erwägungen. Zwar will sie vordergründig die Funktion der Abschreckung durch Strafandrohung auf spezifische Delikte begrenzen, hingegen bei den übrigen darauf rekurrieren, dass im Wege der Übelszufügung der expressive Charakter von Strafe in Form des Tadels „auch gegenüber der Allgemeinheit und vor allem gegenüber dem Opfer“ betont wird. Indes ist auch hierin letztlich eine präventive Zielsetzung erkennbar, soll doch die Erhöhung der Glaubhaftigkeit des Tadels Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft hervorrufen. 159 Strafe ist mehr als die bloße Wiederherstellung eines gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses, wird dieses verstanden als intersubjektive Beziehung zwischen Täter und Opfer (vgl. die Kritik Pawliks, Person, Subjekt, Bürger, S. 71 ff. gegenüber Köhler, Begriff der Strafe, S. 48 ff.). Solcher Straftheorie gelingt es nicht, den zwingend notwendigen überindividuellen Charakter von Strafe hinreichend zu begründen. Strafe als Übelszufügung gegenüber dem Täter mag im Regelfall die Wiederherstellung des früheren Zustands beim Opfer gar behindern. Indes kann es hierauf nicht ankommen, darf Strafe doch unter keinen Umständen mit dem zivilrechtlichen Schadensersatz gleichgesetzt werden, vgl. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 90; Freund/Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 80 ff. In der Folge kann der Terminus des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses allenfalls dann zur Legitimierung von Strafe als gesellschaftlichem Akt hinreichen, sofern er synonym für das Recht an sich – solchermaßen als umfassendes gegenseitiges Anerkennungsverhältnis aller Bürger – verwendet wird, vgl. C. IV. 2.
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griff auf die Rechtsordnung selbst verkörpert, der nicht durch Würdigung der Opfersituation ausgeglichen werden kann. Insofern scheint ein alleiniges Abstellen auf das Kommunikationsmodell die Notwendigkeit einer Übelszufügung durch Strafe nicht abschließend klären zu können. Pawlik empfindet diesen vermeintlichen Legitimationsmakel des Kommunikationsmodells als deutlichen Schwachpunkt der besagten Straftheorie.160 In der Folge bemüht er sich in seiner eigenen Strafzweckkonzeption, nach der die Strafe der Wiederherstellung des Rechts dient, um eine Abgrenzung von dem kommunikativen Ansatz.161 Unrecht bedeute darin die Verletzung der Pflicht des Bürgers, an der Erhaltung einer „Daseinsordnung der Freiheit“ mitzuwirken. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Verständnis der Rolle des Bürgers, das Pawlik etabliert.162 Der Bürger sei sowohl „Destinatär“ als auch „Mitträger“ der Rechtsordnung. Als Destinatär schulde der Bürger „jedem von seinem Verhalten betroffenen Mitbürger als solchem die Erfüllung seiner Pflichten“. Es handele sich insoweit um eine statische Perspektive. Maßgeblich sei daher die Einsicht des Täters in die Dynamik der eigenen, insoweit „doppelten“ Rolle: Die Aufrechterhaltung einer Daseinsordnung von Freiheit sei ohne die Mitwirkung des Einzelnen nicht gesichert. Infolgedessen käme es für den Bestand der Rechtsordnung entscheidend darauf an, in welchem Maß ihr der Bürger Loyalität entgegenbringt. Von dem einzelnen Bürger könne daher erwartet werden, seine Mitbürger so zu behandeln, dass „darin zugleich seine Loyalität gegenüber einer Daseinsordnung rechtlicher Freiheit zum Ausdruck kommt“. Wer hingegen Unrecht begeht, der kündige jedenfalls punktuell die von ihm abverlangte Loyalität gegenüber dem Recht auf. Strafe diene nunmehr der Wiederherstellung des Rechts, indem der Täter dulden müsse, dass „auf seine Kosten die Unauflöslichkeit des Zusammenhangs von Freiheitsgenuß und Loyalitätspflichterfüllung bestätigt wird“. Auf diese Weise gelingt es Pawlik, eine Begründung der Notwendigkeit einer Übelszufügung durch Strafe zu legitimieren: Indem der Einzelne sich Freiheit in einem Umfang angemaßt hat, der ihm kraft seiner Rolle als Bürger nicht zusteht, muss er „für seine Loyalitätspflichtverletzung mit der Entziehung eines Stücks seiner eigenen Freiheit belegt“ werden. Allerdings stellen sich die Grenzlinien zwischen der absoluten Straftheorie Pawliks und dem oben vorgestellten Modell, das Strafe als geltungssichernde ausgleichende Ahnung erachtet, weniger trennscharf dar, als sie vordergründig erscheinen mögen. Zunächst kommt selbst Pawlik nicht gänzlich ohne das Bild einer Kommunikation zwischen Täter und Gesellschaft im Gegenspiel von Normbruch und Strafe aus. So bezeichnet er die Verknüpfung von Normbestäti160
Person, Subjekt, Bürger, S. 66 ff. Vgl. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 75 ff. 162 Die nachfolgenden Zitate sind Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 82 ff., 88 ff. entnommen. 161
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gung und harter Behandlung als „eine normativ angemessene Antwort auf jene Art der Anerkennungsverletzung (. . .), die hier als das Unrecht des Bürgers bezeichnet wird. Der Name dieser Antwort lautet: Strafe.“ 163 Und auch an anderer Stelle bedient sich Pawlik der dem Kommunikationsmodell entnommenen Terminologie, indem er dem Bürger die Pflicht auferlegt, Mitbürger so zu behandeln, dass seine Loyalität gegenüber der Rechtsordnung darin „zum Ausdruck“ 164 komme. – Diese wenigen Beispiele sollen genügen, belegen sie doch eindrucksvoll, dass eine strikte Trennung seiner Straftheorie vom Kommunikationsmodell seitens Pawlik nicht einwandfrei eingehalten wird. Die Brücke zur obigen Strafzweckkonzeption lässt sich auf der Basis des voranstehend bereits Gesagten unschwer schlagen: Wer Normen als Konstituenten des Rechts versteht und Recht in einer friedlichen Koexistenz der Menschen verwirklicht sieht, der kann die einheitliche Idee zweier Straftheorien, die einerseits die Normgeltung, andererseits das Recht durch Strafe wiederhergestellt sehen wollen, kaum übersehen. Der gesteigerte Wert der Arbeit Pawliks liegt vor diesem Hintergrund darin, auf das Ungenügen des Schutzes einer terminologisch diffusen „Normgeltung“ zu verweisen. So bedarf es unbedingt der spezifischen Ausfüllung des Begriffs, um die mit dem Strafübel einhergehende Freiheitsbeschränkung des Täters zu legitimieren. Nur wer auf der Basis des Gesellschaftsvertragsmodells erkennt, dass Ziel menschlicher Gemeinschaft im Staat die Garantie größtmöglicher Freiheit aller und allein dies Schutzgegenstand der gesamten Rechtsordnung ist, der kann zu Recht die Verhängung eines Strafübels gegenüber dem Rechtsbrecher einfordern.165 Wer den Zustand der Freiheit aller gefährdet, indem er Normen, die zu dessen Aufrechterhaltung zwingend erforderlich sind, nicht achtet, der muss für diese unberechtigte Freiheitsanmaßung die Einschränkung seiner Freiheit von Seiten des Staates dulden. Auf diese Weise kommt es nach der oben eingeführten Terminologie zur Wiederherstellung der Normgeltung. Gemeint ist dabei aber zugleich nichts anderes als die Wiederherstellung des Rechts, das sich aus der Geltungskraft der Normengesamtheit – und damit einer jeden einzelnen Norm – ergibt. Und da Recht den gewählten gesellschaftlichen Status quo aufrecht erhalten 163
Person, Subjekt, Bürger, S. 91. Person, Subjekt, Bürger, S. 90, Hervorhebung durch d. Verf. 165 Wahre Freiheitsentfaltung kann ausschließlich auf der Basis eines Vertrauens in die Normtreue der anderen Bürger erfolgen. Wer in permanenter Angst vor Verhaltensnormverstößen anderer lebt, ist primär auf die Sicherung der eigenen Interessen fokussiert, was die Auslebung seiner Freiheitsrechte erschwert. Strafe wirkt daher auch als „kognitive Sicherung der Normgeltung“, indem die Individuen der Gesellschaft darauf vertrauen dürfen, dass die allgemeine Einhaltung der das gesellschaftliche Miteinander konstituierenden Verhaltensnormen grundsätzlich garantiert ist. Siehe dazu auch Albrecht, KritV 1986, 55, 56; Bung, HRRS 2006, 63, 67; Hassemer, StV 1993, 664, 665; Jakobs, Staatliche Strafe, S. 28 f.; ders., AT, 1/6 f.; ders., ZStW 97 (1985), 751, 775; ders., Schuldprinzip, S. 27; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 31 f., 132 ff., 154 ff. Freund, Erfolgsdelikt, S. 78 spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von einer „Entlastungsfunktion für den einzelnen“. 164
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
soll, kann man vor dem Hintergrund der Vorstellung einer freiheitlichen Ordnung mit Pawlik synonym auch von einer Daseinsordnung in Freiheit sprechen. Strafe dient damit nach dem hier zugrundegelegten Verständnis der Wiederherstellung des vor der Tat bestehenden Zustands der Freiheit durch Betonung der fortdauernden Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm(en) im Wege einer dem Rechtsbrecher zugefügten Freiheitseinbuße166. Strafe ist die geltungssicherende ausgleichende Ahndung des begangenen Verhaltensnormverstoßes (nebst Folgen). ff) Kritik an der Straftheorie der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung Abschließend gilt es noch, das eigene straftheoretische Konzept gegen weitere denkbare Kritik abzusichern. Auch die Straftheorie der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung könnte sich dem Einwand ausgesetzt sehen, dass Strafe, die der Stabilisierung von Normgeltung und damit des Rechts dient, allenfalls im Verborgenen ihre Legitimation aufrecht erhalten könne. So ist oben gegenüber der Theorie positiver Generalprävention die berechtigte Kritik aufgekommen, dass der Bürger sich nicht mehr von Verhaltensnormen motivieren lasse, sofern er die „wahren Absichten“ hinter einer Strafe, die sich an solchem theoretischen Konzept ausrichtet, erkenne. Zugleich sei der das Urteil Aussprechende seinerseits „nicht in erster Linie von der inhaltlichen Ernsthaftigkeit“ der Norm überzeugt und wolle lediglich die Rechtsgemeinschaft „manipulieren“ 167. In Bezug auf die Theorie positiver Generalprävention war festzuhalten, dass in der Tat solche Effekte zu erwarten sind, da in deren System die Gefahr unangemessen hoher Strafen und in der Folge die Instrumentalisierung der Person des Rechtsbrechers angelegt ist. Die Kritik verfängt aber nicht mit Blick auf das Strafzweckkonzept der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung, das die Achtung der Person als Vernunftwesen zu seinem Kernelement erhebt. Auf der Basis solcher Straftheorie dient die Aufklärung des Bürgers bezüglich der Legitimation von Strafe selbst der Aufrechterhaltung des Rechts. Den seitens des Vernünftigen gewählten Zustand einer friedlichen Daseinsordnung im Recht durch angemessene Antwort auf den Normbruch des Täters in seinem Bestand zu schützen, liegt im existenziellen Interesse eines jeden Gesellschaftsmitglieds. Von einer Offenlegung dieser Zusammenhänge kann Zuspruch erhofft werden, ist doch einem jeden Vernünftigen – mithin jedem Bürger – einsichtig, dass Strafe als Vergewisserung der Richtigkeit der bestehenden Ordnung auch ihm dienlich ist und zugleich die Person des Täters als „Gleichen“ würdigt.
166 Gemeint ist hier ein weites Verständnis der Freiheitseinbuße, das gerade auch den Entzug finanzieller Mittel als Beschneidung der liquiden Freiheit in Gestalt der Geldstrafe erfasst. 167 Vgl. Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 268.
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Indem damit die hier vertretene Straftheorie den direkten Ausgleich des seitens des Rechtsbrechers hervorgerufenen Angriffs auf die Rechtsordnung intendiert, ist die Gefahr unangemessener Strafen anders als in den übrigen Strafzweckkonzeptionen in besonderem Maße gebannt. Danach ist ausgeschlossen, dem Täter eine größere Freiheitseinbuße aufzuerlegen, als es seinem individuellen Normbruch (nebst Folgen) angemessen ist, widerspräche dies doch grundlegend dem Gedanken des Ausgleichs sowie der Würdigung der Person als Vernunftwesen. Doch selbst in umgekehrter Sicht bietet die vorliegende Strafzweckkonzeption hinreichende Garantie der Angemessenheit von Strafen: Soll nicht die Antwort auf die Infragestellung des Rechts durch den Täter ungenügend, da aufgrund zu geringer Strafhöhe die Bedeutung seines Rechtsbruchs bagatellisierend, ausfallen, darf Strafe nicht hinter dem Ausmaß der Rechtsverletzung zurückbleiben.168 Auch aus diesem Grund ist die Einsicht des Normadressaten in die straftheoretischen Hintergründe geboten. Insofern verfängt die Kritik der Notwendigkeit von Verschleierungen der Systemorientierung von Strafe, die der Wiederherstellung des Rechts dient, nicht. Nach allem Gesagten kann daher nicht ernstlich der Vorwurf erhoben werden, die vorliegende Strafzweckkonzeption erkenne den Einzelnen nicht in seiner Subjektqualität an. Während präventive Theorien stets mit dem Makel behaftet sind, die Person des Täters im Akt der Bestrafung als reines Mittel zum Zweck zu degradieren, trifft dies auf die hier zugrundegelegte Straftheorie nicht zu. Im Gegenteil ist die Person wesentlicher Ausgangspunkt der Begründung von Strafe, kann doch allein der die Normgeltung negierende Ausspruch eines Gleichen ernstlichen Reaktionsbedarf hervorrufen. Indem seine Tat als potentielle Gefahr für den Bestand der Rechtsordnung wahrgenommen und ihr gegenüber eine angemessene Antwort in Gestalt von Strafe formuliert wird, wird der Rechtsbrecher in seiner Person als ein „Vernünftiges geehrt“ 169.170 168 Siehe dazu Frisch, BGH-FS, S. 269, 280. Vgl. zur Relevanz spezifischer Fehlverhaltensfolgen B.II.1.d) sowie zum Konzept tatproportionaler Strafzumessung unten C. I. 169 Hegel, Philosophie des Rechts, § 100. 170 Nicht weiter eingegangen wird an dieser Stelle auf die in Rechtsprechung und Lehre überwiegend vertretene „Vereinigungstheorie“, die zur Legitimität von Strafe auf die verschiedenen Zwecke rekurriert, die oben getrennt voneinander behandelt worden sind. Siehe dazu die Nachweise bei Jakobs, AT, 1/48 m. Fn. 70 sowie Heinrich, AT, Rn. 19. Die Unterlegenheit der Vereinigungstheorie gegenüber dem hiesigen Legitimationskonzept von Strafe ergibt sich aus ihrer mangelnden Eignung zur Eliminierung der mit den Präventionstheorien einhergehenden Schwierigkeiten (vgl. Roxin, Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 11: „Die Fehler der einzelnen Theorien heben einander auch keineswegs auf, sondern multiplizieren sich.“ Dennoch geht Roxin, Arthur Kaufmann-FS, S. 519 ff. seinerseits in die Richtung einer Vereinigungslehre.). Des Weiteren muss die Vereinbarkeit von spezialpräventiven Überlegungen mit der Idee der Schuldvergeltung grundlegend bezweifelt werden: Soll eine Person durch Strafe verändert werden, liegt hierin die radikalste Ablehnung ihrer Selbstständigkeit, die hingegen Kernelement von Schuldvergeltung ist. Vgl. zu diesem Aspekt insbesondere Jakobs, in: Kodalle (Hrsg.), Strafe muß sein! Muß Strafe sein?, S. 29, 31 f. sowie unten B. III. 1. Die Vereinigungstheorie vermengt mit der Zielsetzung besonders hoher Einzelfallgerechtigkeit
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Der Gegenstand von Sanktionsnormen kann abschließend wie folgt bestimmt werden: Als Instrument des mittelbaren Rechtsgüterschutzes ist ihr Schutzgut in der Wiederherstellung des Rechts als des vor der Tat bestehenden Zustands der Freiheit durch Bestätigung der fortdauernden Geltungskraft der seitens des Täters übertretenen Verhaltensnorm im Wege der dem konkreten Verhaltensnormverstoß (nebst Folgen) angemessenen Freiheitseinbuße zu sehen. b) Legitimität von Verhaltensnormen Kein denkbares Strafrechtssystem ist dazu in der Lage, Aussagen über den Inhalt der schutzwürdigen Verhaltensnormen zu treffen.171 Sanktionsnormen fungieren nicht als Garanten rechtsstaatlich zulässiger Verhaltensnormen. Die korrekte, die Vorgaben eines freiheitlichen Rechtsstaats wahrende Bestimmung des Rechtsguts von Verhaltensnormen sowie der konkreten Art dessen Schutzes durch das Ge- bzw. Verbot spezifischer Verhaltensweisen ist ein dem Strafrecht vorgelagerter Schritt. Sanktionsnormen haben nachgelagert allein die Funktion, die insoweit aufgestellten rechtlichen Verhaltensnormen in ihrer fortdauernden Geltungskraft zu schützen, um den Bestand des Rechts zu garantieren. Fragen der Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen müssen bereits im vorstrafrechtlichen Bereich beantwortet werden. aa) Legitimer Zweck und Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes In dieser entscheidenden Phase der Schaffung eines rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens sind die Maßstäbe einer freiheitlichen Grundordnung zu wahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Verhaltensnormen als rechtlich mit Zwang durchsetzbare Ge- bzw. Verbote grundsätzlich jedenfalls die Handlungsfreiheit des Individuums beeinträchtigen. Ferner ist die Störung weiterer Interessen nicht ausgeschlossen. In der Folge ist die Aufstellung rechtlicher Verhaltensnormen maßgeblich durch die ihr originär anhaftende Konfliktlage widerstreitender Güter und Interessen gekennzeichnet. Sollen Verhaltensnormen dem Anspruch einer freiheitlichen Ordnung, das größtmögliche Maß an Freiheit aller Individuen zu gewährleisten, entsprechen, bedarf es durch sie eines gerechten Interessenausgleichs. Die Etablierung rechtlicher Verhaltensvorschriften ist daher dominiert durch Fragen der Verhältnismäßigkeit (i. w. S.) solchen Eingriffs in Rechte der Individuen.172 letztlich Unvereinbares und ist ob der ihr innewohnenden Systemlosigkeit abzulehnen. So auch Calliess, NJW 1989, 1338, 1339. 171 Vgl. schon oben B. II. 1. a) cc). 172 Freund, Herzberg-FS, S. 225, 229 f.; ders., AT, § 1 Rn. 4, 12 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 52 ff., 73 ff., 109 ff.; ders., GA 1995, 4, 6 f.; ders., Straftat, S. 43, 46 f.; Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 82 f.; Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 21 f.;
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Die Verhaltenskontrolle durch Aufstellung einer Norm muss zu dem angestrebten Schutz eines Rechtsguts geeignet, erforderlich und angemessen i. e. S. sein. Geeignetheit setzt dabei die generelle Tauglichkeit des Mittels (rechtliche Verhaltensnorm) zum angestrebten Zweck (Rechtsgüterschutz) voraus. Erforderlichkeit ist immer dann gegeben, wenn das angestrebte Ziel nicht mit einem weniger schwerwiegenden Eingriff ebenso effektiv erreicht werden könnte. Sofern das Mittel zur Verhaltenssteuerung in einem adäquaten Verhältnis zum angestrebten Zweck steht, ist letztlich auch die Angemessenheit einer Verhaltensnorm als Begrenzung individueller Freiheit gegeben. Gegenseitige Interdependenzen der dargestellten Kontrollschritte bei der Frage nach der allgemeinen Verhältnismäßigkeit der Etablierung einer rechtlichen Verhaltensnorm sind unumgänglich.173 Indes handelt es sich dabei um reine Systemimmanenz, die dem Bedürfnis nach Abschichtung nicht widerspricht. Sofern Erwägungen der Angemessenheit eines staatlichen Eingriffsakts in Form rechtlicher Verhaltensge- bzw. -verbote Rückschlüsse auf deren Geeignetheit oder Erforderlichkeit zulassen, kommt darin lediglich der allgemeine Gedanke des Interessenwiderstreits zum Ausdruck, der federführend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umspannt. Es werden damit aber nicht die Phasen der Prüfung eben jener vorgelagerten Schritte irrelevant. Vielmehr ermöglicht die insoweit abgeschichtete Kontrolle den vorzeitigen Ausschluss solcher staatlichen Akte, die „bereits nicht“ geeignet oder erforderlich sind, was eine dezidierte Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Interessen und deren jeweiligem Gewicht etc. erspart. Jedenfalls prüfungsökonomisch lässt sich damit die Berechtigung der getrennten Bereiche von Geeignetheit und Erforderlichkeit rechtfertigen. Die nachträglich festgestellte Unangemessenheit eines Eingriffsakts i. e. S. sowie deren Ausstrahlungswirkung auf vorangestellte Prüfungsabschnitte vermag hieran nicht zu rütteln. Jedoch geht im allgemeinen Abwägen oftmals ein Schritt unter, der aber gerade im Kontext der Verhaltenssteuerung durch rechtliche Verhaltensnormen besondere Aufmerksamkeit erfordert. Bevor Fragen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit i. e. S. diskutiert werden können, ist von entscheidender Bedeutung, ob sich für eine konkrete Verhaltensvorschrift überhaupt ein mit der freiheitlichen Ordnung in Einklang zu bringender – insoweit legitimer – Zweck benennen lässt. So verdient eine Verhaltensanforderung bereits dann das Prädikat der Rechtsstaatlichkeit nicht, wird mit ihr ein Ziel verfolgt, das mit den Grund-
Haffke, Generalprävention, S. 68 f., 76 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 182 f. („Garant für Liberalität kann deshalb nur die Meta-Regel sein, nach der die kollidierenden Güter bei der Normgenese gewichtet werden.“), 185 f.; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 61 ff. – Vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot; Grabitz, AöR 98 (1973), 568 ff.; M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit; Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145 ff.; HB des Staatsrechts I/Schmidt-Aßmann, § 24 Rn. 87; Stern, Staatrecht III, HB 2, § 84 II 1 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414 ff. 173 Vgl. Freund, GA 2010, 193 f.; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 81 ff.
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ideen dieses Programms nicht in Einklang zu bringen ist. Wenn nämlich der mit der Verhaltensnorm intendierte Zweck seinerseits nicht Ausdruck einer freiheitlichen Grundordnung ist, bedarf es einer Prüfung der Geeignetheit oder weiterer, nachgelagerter Schritte nicht mehr. Vorgeschlagen wird daher, die kritische Potenz des Kriteriums eines legitimen Zwecks zu nutzen und bereits im Vorfeld des Einsteigens in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit solche staatlichen Eingriffsakte auszuscheiden, die nicht in Einklang mit den Anforderungen der Verfassung stehen.174 Ebenfalls bereits eine Frage der Legitimität des mit der konkreten Verhaltensnorm verfolgten Zwecks ist dessen Bestimmbarkeit. Diffuse Güter, die in ihrem Wertgehalt kaum mehr greifbar sind, lassen sich zur Verhaltenskontrolle nicht in legitimer Weise heranziehen. Dem potentiellen Normadressaten muss bildhaft vor Augen stehen, welches Gut durch eine spezifische Verhaltensanforderung geschützt werden soll. Ist hingegen der Sinn einer „Verhaltensnorm“ nicht oder nur unter in der konkreten Situation nicht zu leistender Geistesanstrengung erfassbar, kann dem Betreffenden allenfalls blinder Gehorsam abverlangt werden. Dies ist aber mit dem Bild des vernunftbegabten Bürgers als Kernelement einer freiheitlich verfassten Gemeinschaft nicht in Einklang zu bringen. Echte Verhaltensmotivation gelingt ausschließlich auf der Basis verstehbarer Regelungen des Miteinanders. Normverständnis setzt aber unmittelbar am Schutzgegenstand der Verhaltensvorschrift an.175 Unbestimmbare Rechtsgüter stellen daher keinen legitimerweise mit rechtlichen Verhaltensnormen zu verfolgenden Zweck dar. 174 Zwar durchdringt der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit von Hoheitsakten sämtliche Ebenen der Verhältnismäßigkeitsprüfung i. w. S. Folglich wird etwa Proportionalität nicht allein in der Herstellung einer verhältnismäßigen Relation zwischen widerstreitenden Interessen erzielt. Es bedarf vielmehr einer dritten Bezugsgröße, die bestimmt, ob nunmehr Verhältnismäßigkeit hergestellt wird. Als solches „Drittmaß“ kann die grundgesetzlich vorgegebene Ordnungs- und Wertstruktur fungieren (vgl. M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 24; Stern, Staatrecht III, HB 2, § 84 II 4c ff; Wendt, AöR 104 (1979), 414, 455 f.). Eher trefflich ist indes, wie vorgeschlagen an früherer Stelle anzusetzen. Fragen der Geeignetheit und Erforderlichkeit mit Blick auf einen verfassungswidrigen Zweck zu diskutieren, rückt diese Kriterien fälschlich in ein jedenfalls verfassungs-autarkes Licht. Es muss sich daher bei dem Verfolgen eines verfassungskonformen Zwecks um die wesentliche Grundvoraussetzung für den Einstieg in die Verhältnismäßigkeitsprüfung handeln. Man kann diesen Aspekt durchaus als Element der Geeignetheit verstehen (so Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 79; M. Ch. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 60 f.; Stern, Staatrecht III, HB 2, § 84 II 2a.). Wer Geeignetheit nicht mit Zweckmäßigkeit gleichsetzt, muss auf dieser Ebene auch die Frage stellen, ob das mit der Etablierung einer rechtlichen Verhaltensnorm angestrebte Ziel mit den Vorgaben der freiheitlichen Grundordnung in Einklang steht. Ein verfassungswidriger Zweck ist prinzipiell ungeeignet. Überzeugend ist aber, die Überprüfung der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des angestrebten Zwecks als eigenständigen Filter der Geeignetheitskontrolle heranzuziehen. Wie hier Freund, Erfolgsdelikt, S. 53 f.; ders., GA 2010, 193, 193; Sachs, GG, Art. 20 Rn. 149. 175 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 94 ff. Siehe weiter zur Kritik an (mitunter diffusen) Universalrechtsgütern unten D. II. 1.–4. m.w. N.
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bb) Maßgeblichkeit der Adressatenperspektive Verhaltensreglementierung durch das Aufstellen von rechtlich verbindlichen Verhaltensnormen dient dem präventiven Schutz von Rechtsgütern.176 Dabei macht es wenig Sinn, Verhaltensnormen entgegen den faktischen Möglichkeiten des potentiell Normunterworfenen durchsetzen zu wollen. Es gilt vielmehr im Bereich der Verhaltensnormbegründung der Grundsatz des ultra posse nemo obligatur. Danach sind solche Anforderungen gegenüber dem Individuum unzulässig, die ihm mehr abverlangen, als es konkret zu leisten imstande ist. Erkennt der potentielle Normadressat daher irrtumsbedingt die konkreten Schädigungsmöglichkeiten seines Verhaltens nicht und war diese Fehleinschätzung für ihn auch nicht vermeidbar, so kann von ihm nicht verlangt werden, davon abzuweichen. Im Wege der Etablierung von Verhaltensnormen ist echte Verhaltensmotivation ausschließlich dann erfolgreich zu erzielen, wenn sie sich an der ex ante-Perspektive des Normadressaten ausrichtet. Anderenfalls würden unrealistische, da unmöglich zu erfüllende Verhaltensanforderungen an die Mitglieder der Rechtsgemeinschaft gestellt werden, die sich aber nicht legitimieren ließen.177 Dabei können vor dem Hintergrund des Bestrebens um einen effektiven Rechtsgüterschutz ausschließlich solche Irrtümer Berücksichtigung finden, die dem Einzelnen unvermeidbar sind. Anderenfalls ließe sich der Schutz von Rechtsgütern gegenüber dem Unachtsamen nicht realisieren. In der Folge ist die Prämisse der Verbindlichkeit der Adressatenperspektive zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen nicht gleichbedeutend mit reiner Subjektivität. Hingegen gilt es, der Sicht des potentiell Normunterworfenen einen angemessenen Stellenwert in der Perspektivenfrage einzuräumen. Dem entspricht es aber, wenn allein individuell unvermeidbare Irrtümer als Anlass zu nicht eingreifender Verhaltensreglementierung gereichen können.178 Dass ausschließlich die Adressatenperspektive maßgeblich zur Verhaltensbeurteilung sein kann, ergibt sich noch aus einem weiteren Grund. Indem das Strafrecht die Vermeidung potentieller Rechtsgutsstörungen intendiert, wäre es unsachgerecht, bestimmte Verhaltensweisen, die ex ante aus Sicht des betroffenen Normadressaten eine Störungsmöglichkeit aufweisen, im Wege des Perspektiven176
Vgl. bereits B. II. 1. Siehe dazu ausführlich Freund, AT, § 2 Rn. 23 ff.; GA 1991, 387, 390 ff.; MK/ dens., Vor §§ 13 ff. Rn. 162 ff.; dens., Erfolgsdelikt, S. 56 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 76, 124 f., 128, 352 ff., 357 f., 425; dens., Straftat, S. 135, 175 ff.; übereinstimmend Georgy, Verantwortlichkeit von Amtsträgern, S. 20; siehe außerdem W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 151; Heckler, Ermittlung der Rücktrittsleistung, S. 85 ff.; Rudolphi, Armin Kaufmann–FS, S. 371, 377 ff. Gegen eine Orientierung an der Adressatenperspektive spricht sich hingegen Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 60 ff., 169 ff. aus. 178 Freund, Erfolgsdelikt, S. 55 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 128 ff. Vgl. auch Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 182 ff. 177
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
wechsels als erlaubt zu beurteilen.179 Sieht der Einzelne die Möglichkeit der Güterbeeinträchtigung und beruht diese Vorstellung nicht lediglich auf unrichtiger Subsumtion unter die gesetzlichen Merkmale einer Straftat (Wahndelikt), trifft ihn ein Handlungsverbot.180 Dem kann auch nicht entgegenstehen, dass aus anderer Perspektive die wahren – ungefährlichen – Umstände des Täterverhaltens zu Tage treten. Normen wären ungeeignet, menschliches Verhalten zu beeinflussen, könnte der Normadressat sich nie sicher sein, ob seine eigene Sichtweise der Verhaltensbeurteilung zugrunde gelegt wird.181 Es könnte vielmehr ein gewisses Vertrauen darauf entstehen, dass die Sachlage im Nachhinein doch nicht so gewesen ist, wie sie sich dem Betreffenden in der konkreten Situation dargestellt hat. Der Geltungskraft einzelner Verhaltensnormen träte damit die Hoffnung auf deren situatives Nichtvorliegen entgegen. Die Frage der Tragbarkeit eines bestimmten Risikos stünde also im Ermessen des Einzelnen und nicht in dem der Rechtsordnung. Derjenige, der selbst bei erhöhter Schädigungswahrscheinlichkeit den Rechtsgütern anderer noch Risiken zumutet, stellte somit eine erhebliche Gefahr für die Rechtsordnung dar: Indem er sich häufiger für das risikoreiche Verhalten entschiede, käme es zu einer gesteigerten Zahl an tatsächlichen Güterbeeinträchtigungen. Allein legitim kann es daher sein, dem Einzelnen in Abhängigkeit von seiner eigenen Perspektive bestimmte Ge- oder Verbote aufzuerlegen. Nach dem Gesagten sind ausschließlich solche Verhaltensnormen rechtlich zu legitimieren, die sich an der ex ante-Perspektive des potentiell Normunterworfenen orientieren. Es kann daher keine Verhaltensnormen geben, die dem Einzelnen mehr abverlangen, als er nach seinen individuellen Fähigkeiten zu leisten imstande ist. Dem entspricht es im Sinne eines effektiven Rechtsgüterschutzes aber gerade auch, vermeidbare (auf Fahrlässigkeit beruhende) Irrtümer des Normadressaten für die Geltung einer spezifischen Verhaltensanforderung als unbeachtlich zu erachten. cc) Verhaltensnormen als Schnittmenge von Recht und Moral Verhaltensnormen bilden eine natürliche Schnittmenge von Recht und Moral182.183 Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist dabei die legitime Möglich-
179 Freund, AT, § 2 Rn. 25 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 56 ff., 98 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 76 ff. 180 Zum Wahndelikt siehe Freund, AT, § 8 Rn. 34 ff.; Heinrich, AT, Rn. 681 ff.; Köhler, AT, S. 455 ff., 463. 181 Freund, Erfolgsdelikt, S. 57 ff., 75 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 353 ff. 182 Zur Unterscheidung von Ethik und Moral siehe Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 870. 183 Siehe zu der Differenzierung von strafrechtlichem und moralischem Unrecht etwa Günther, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 205, 214 f.; Heine, Tötung, S. 55 ff.; Kühl, Lampe-FS, S. 439 ff.
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keit staatlicher Zwangsanwendung angesichts eines Normverstoßes.184 Rechtlichen Verhaltensnormverstößen darf grundsätzlich mit staatlichem Zwang begegnet werden. Dass nicht eine jede rechtliche Verhaltensnorm strafbewehrt ist, bedingt kein abweichendes Ergebnis. Es handelt sich dabei allein um die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die strafrechtliche Reaktion auf ein Verhalten einen besonders intensiven Eingriff des Staates in die Rechte und Interessen des Bürgers ausmacht. In der Folge ist im Anschluss an die Etablierung rechtlicher Verhaltensnormen in einem zweiten Schritt die Frage der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Sanktionsnorm zum Schutz der jeweiligen Verhaltensnorm zu klären.185 Entsprechendes gilt für die konkrete Rechtsfolgenbestimmung bei einem bestimmten – ganz konkreten – Verhaltensnormverstoß (nebst Folgen). Der nur lückenhafte strafrechtliche Schutz von Verhaltensnormen ändert nichts an deren durchweg rechtlichem Charakter. Auch moralische Vorschriften treffen u. a. Aussagen über die Regelung des menschlichen Miteinanders. Bei Verstoß gegen ein Ge- bzw. Verbot der Moral werden in der Regel vergleichbare Missbilligungseinschätzungen bei denjenigen, die davon Kenntnis erlangen, hervorgerufen wie bei einem Verstoß gegen eine rechtliche Verhaltensnorm. Zudem sind zwischenmenschliche Reaktionen – etwa in Form gesellschaftlicher Ächtung des Normbrechenden – nicht selten zu erwarten.186 Jedoch legitimieren Verstöße gegen Moralvorschriften unter keinen Umständen eine staatliche Zwangsmaßnahme. „Sanktionierungen“ im interindividuellen Sektor haben keinen allgemeinverbindlichen Charakter. Dieser kommt allein staatlichem Handeln zu. Staatlichem Zwang in Gestalt von Strafe haftet stets eine Aussage über die Allgemeingültigkeit einer übertretenen Vorschrift an. Diese entfaltet für jedes Mitglied der Gesellschaft (das sich in der entsprechenden Situation befindet) Geltung, sodass der Staat als symbolhafter Zusammenschluss der Bürger ein universelles Zeichen der Nichtakzeptanz eines spezifischen Verhaltens zu setzen vermag. Hingegen kommen Moralvorstellungen in großer Vielfalt und oftmals erheblichen inhaltlichen Abweichungen innerhalb der Gesellschaft vor.187 Das Leben gemäß einer individuellen Moral tangiert aber die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft nicht in ihren legitimen Rechten. Dementsprechend hat das Recht in denjenigen Sphären menschlicher Koexistenz zu schweigen, in denen die Grundvoraussetzung einer freiheitlichen Ordnung – Garantie eines Höchstmaßes an Freiheit aller – nicht gefährdet ist. Moralische Vor184 Vgl. dazu, dass das Verhältnis von Recht und Moral sich nicht auf die Unterscheidung von Äußerem und Inneren reduzieren lässt, bereits die überzeugenden Ausführungen bei Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 131 ff. 185 Vgl. dazu im Anschluss B. II. 1. c). 186 Siehe Günther, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 205, 213 f.; Haas, Strafbegriff, S. 258; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 115. 187 So auch Guckenheimer, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 1 (1921), 1, 84 ff.
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schriften verbleiben damit auf einer nicht hoheitlich durchdrungenen Ebene: Dem Staat wird insoweit keine moralische Deutungshoheit zuteil.188 Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Die Legitimität eines Verbots des Beischlafs zwischen Verwandten lässt sich allenfalls vor dem Hintergrund eines individuell vorliegenden Abhängigkeitsverhältnisses eines der Beteiligten rechtfertigen. Unter diesen Umständen steht die Befürchtung im Raum, dass der „unterlegene“ Part, mithin derjenige, der in einem jedenfalls stark emotionalen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Verwandten, mit dem er den Beischlaf vollzieht, steht, dies nicht aus freien Stücken tut. Zum Schutz vor Gefahren für die sexuelle Selbstbestimmung, die noch nicht das Ausmaß des den §§ 174 ff. zugrunde liegenden Verhaltensunrechts erreicht haben, aber doch in rechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen beeinträchtigen, ist das Verbot des sogenannten „Inzest“ jedenfalls in diesem engen Bereich zu rechtfertigen.189 Sofern aber eine entsprechende Konfliktlage in Ermangelung eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses nicht besteht, lässt sich die Legitimität des Verbots nicht länger aufrecht erhalten. Es kann sich dann allenfalls noch um eine Vorschrift handeln, die in der Moralvorstellung einzelner Gesellschaftsmitglieder vorherrscht. Eine rechtliche Verhaltensnorm ist aber nicht zu legitimieren, was erst recht die Unzulässigkeit des strafrechtlichen Verbots des § 173 zur Folge haben muss.190 Rechtliche Verhaltensnormen sind folglich strikt von reinen Moralvorstellungen zu trennen. Während Letztere durchaus hohe Bedeutung im Leben des Individuums einnehmen können, handelt es sich dabei dennoch nicht um einen Bereich, der der rechtlichen Reglementierung zugängig gemacht werden darf. Dies liefe dem Anspruch eines freiheitlichen Rechtsstaats zuwider, ausschließlich solche Freiheitssphären gegeneinander abzustecken, die durch das Verhalten anderer gefährdet sind. Moralvorstellungen sind aber in großer Vielzahl nebeneinander in einer Gesellschaft möglich, ohne dass freiheitsrechtliche Konfliktlagen auftreten. Dass es im Einzelfall eine Schwierigkeit darstellen kann, trennscharf diejenigen Interessen zu benennen, die durch das Recht zu schützen sind, zeigt das Beispiel des strafbewehrten Verbots des Beischlafs zwischen Verwandten. Eine weitere Verkomplizierung der Gemengelage bildet der Umstand, dass rechtliche Verhaltensnormen regelmäßig zugleich (ethisch valide) moralische sind.191 Allein der 188
Vgl. Haas, Strafbegriff, S. 258 f. Ob dies indes für die Legitimation der Strafbewehrung solcher Verhaltensnorm ausreicht, ist jedenfalls zweifelhaft. Ablehnend äußern sich dazu Hassemer, BVerfGE 120, 255, 268 f.; Roxin, StV 2009, 544, 546 f. 190 Gegen die Legitimität des § 173 sprechen sich in Abkehr von BVerfG 120, 224 ff. Greco, ZIS 2008, 234; Hassemer, BVerfGE 120, 255 ff.; Hörnle, NJW 2008, 2085; Noltenius, ZJS 2009, 15; Roxin, StV 2009, 544; Ziethen, NStZ 2008, 617 aus. 191 Neumann, ZStW 99 (1987), 567, 590 verweist zu Recht darauf, dass Strafgesetzgebung in der Regel die „Transformation von Sozialnormen in Rechtsnormen“ erfasse. 189
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insoweit oftmals viel weitere Kreis moralischer Normen darf nicht in jedem Fall rechtliche Reglementierung für sich in Anspruch nehmen. Die Verwachsungen von Recht und Moral sollen aber nicht abschrecken von der rechtsstaatlich zwingend erforderlichen Abgrenzung solcher Interessen, die allein im Wege moralischer Normen Schutz erfahren dürfen, gegenüber denjenigen, die mit den Mitteln des Rechts zu schützen sind. Dabei gilt es, die Sensibilität von Freiheitsrechten stets im Blick zu halten, um nur mit größter Vorsicht der rechtlichen Möglichkeit zwangsweiser Durchsetzung Zugeständnisse zu machen. c) Legitimität von Sanktionsnormen und konkreter Sanktionsanordnung Im Anschluss an das bislang Gesagte ist es Aufgabe der Sanktionsnormen, durch strafende Reaktion auf einen Normbruch die Geltungskraft der desavouierten Verhaltensnorm wiederherzustellen. Strafgesetze treffen daher keine unmittelbare Aussage darüber, welches Verhalten ge- bzw. verboten ist. Diese Beurteilung wird in einem dem Strafrecht vorgelagerten Schritt im Wege der Etablierung rechtlicher Verhaltensnormen getroffen. In den Strafgesetzen wird ausschließlich geregelt, auf welche Verhaltensnormverstöße bei u. U. zusätzlichem Erfordernis weiterer Sanktionsvoraussetzungen mit Strafe zu reagieren ist. Dabei ergibt sich die Antwort auf die Frage, welche Verhaltensnormen strafrechtlichen Schutz erfahren, aus dem Vorgang der Abwägung widerstreitender Güter und Interessen. Für die Aufstellung von Sanktionsnormen sowie deren konkreter Sanktionsanordnung spielt damit die Wahrung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erneut die entscheidende Rolle. Dabei ist der besondere Charakter von Strafe als hoheitliche Maßnahme mit erheblicher Eingriffsintensität zu berücksichtigen. Strafe als staatlicher Eingriffsakt weist das Spezifikum auf, dass neben die Übelszufügung in Gestalt von Geld- oder Freiheitsstrafe der Ausspruch eines Tadels gegenüber dem die Norm Desavouierenden tritt. Hiermit sind zwar Stigmatisierungseffekte verbunden. Indes bedeutet dies keine Ausgrenzung des Täters, sondern es liegt darin vielmehr ein Akt der Kommunikation. Der Tadel fungiert als Appell gegenüber dem Normbrüchigen sowie sämtlichen anderen Personen, die von dem Verhaltensnormverstoß Kenntnis erlangen, die Einsicht zu fassen bzw. an der einmal gewonnenen Einsicht festzuhalten, dass solches Verhalten falsch war. Ein so verstandener Schuldausspruch ehrt den Täter als grundsätzlich Vernünftigen, indem Normkonformität durch Überzeugung, nicht aber Vgl. auch Heine, Tötung, S. 55 ff., 58 ff.; Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 886 (mit dem Hinweis auf das der Moral sowie dem Recht gleichsam anhaftende Kriterium der Verallgemeinerbarkeit); ders., Lampe-FS, S. 439 ff. – Ausführlich zur aufgeworfenen Fragestellung der Trennung von Recht und Moral, die hier in einer dem naturrechtlichen Denkansatz folgenden Weise beantwortet wurde, siehe Hoerster, JZ 1982, 265 ff.; Kelsen, in: Hoerster (Hrsg.), Recht und Moral, S. 21, 29; Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 131 ff.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Zwang erzeugt werden soll.192 Der Vorgang entspricht dem kommunikativen Grundkonzept von Strafe. Diese behauptet durch einen symbolischen Widerspruch die Geltung des Rechts gegenüber der davon abweichenden Anmaßung des Täters, seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen zu stellen. Durch Strafe wird zum Ausdruck gebracht, dass der Normbrecher in seiner Einschätzung bezüglich der allgemeinen Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm irrt – nämlich nicht nur als Fahrlässigkeits- sondern erst recht als Vorsatztäter vernunftwidrig handelt (oder unterlässt). Die Gesellschaft zeigt ihm deutlich seine Grenzen durch ein klares Bekenntnis zu den sie konstituierenden Normen. Dabei achtet sie selbst den die Norm Desavouierenden in jeder Phase als Gleichberechtigten – der höchstpersönliche Tadel ist damit ein Appell an die Einsichtsfähigkeit des Individuums.193 Geeignet zur Wiederherstellung des Rechts sind also nur solche Sanktionsnormen sowie -anordnungen, durch die die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm wiederhergestellt werden kann. Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit einer Sanktionsnorm ist die Vorgabe zu achten, dass es sich beim Einsatz von Strafe um die mildeste unter allen gleich effektiven hoheitlichen Maßnahmen handeln muss. Dabei kann das Spezifikum des sozialethischen Tadels, der mit Strafe einhergeht, deren Eingriffsgrad gegenüber anderen staatlichen Akten erhöhen. Es ist daher zu prüfen, ob nicht andere Hoheitsakte – in Gestalt von schadensersatzrechtlichen Regelungen oder Verwaltungs- bzw. Berufsrecht – eine mildere, wenngleich ebenso effektive Antwort auf normmissachtendes Verhalten bieten. Hierin kommt gleichsam der ultima ratio-Charakter von Strafe zum Ausdruck: Soll Strafrecht nur äußerstes Instrument staatlicher Reaktion auf Verhaltensnormverstöße bleiben, müssen beschreitbare Wege im Bereich anderer Rechtsgebiete vorrangig gewählt werden.194 Im Rahmen des Abwägungsvorgangs, der als maßgebliches Kriterium einer jeden Etablierung von Sanktionsnormen sowie der Bestimmung von Art und Ausmaß der konkreten Strafe zugrunde liegen muss, ist insbesondere die Bedeu192 Vgl. Freund, Erfolgsdelikt, S. 86; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 114 ff.; dies./v. Hirsch, GA 1995, 261, 275; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 154; v. Hirsch, ZStW 94 (1982), 1048, 1069 ff. Vgl. zur sozialethischen Missbilligung des Täterverhaltens verkörpert im Strafausspruch noch BVerfGE 96, 245, 249 m.w. N.; BVerfG NJW 2004, 739, 744; BGH NJW 2000, 1427; Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 876 ff.; dens., Lampe-FS, S. 439, 441 f. sowie die Ausführungen und Fülle an Nachweisen bei Frisch, in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 134 m. Fn. 63, 57; Haas, Strafbegriff, S. 244 ff. insbesondere m. Fn. 37 ff., der sich selbst jedoch dagegen ausspricht, in staatlicher Strafe gleichsam einen Tadel „im Namen der Sozialethik“ zu sehen. In diese Richtung äußern sich kritisch bereits Ellscheid/Hassemer, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Strafe ohne Vorwurf, S. 266 ff., 281 ff. 193 Siehe dazu schon oben B. II. 1. a). 194 Vgl. Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 70; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 89 ff., 95 f. Zur ultima ratio-Funktion staatlichen Strafens siehe außerdem Freund, AT, § 1 Rn. 50 f., § 6 Rn. 68k (Fn. 84).
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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tung der konkreten Verhaltensnorm für das gesellschaftliche Miteinander zu berücksichtigen. Umso wichtiger eine Verhaltensnorm für den Bestand der friedlichen Koexistenz der Individuen im Staat ist, desto höher ist die Notwendigkeit ihrer Strafbewehrung einzuschätzen. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, welches Rechtsgut durch die in Rede stehende Verhaltensnorm geschützt wird. Dass es im Strafrecht nicht um den Schutz solcher Normen gehen kann, die weniger bedeutsame Rechtsgüter erfassen, entspricht dem Ausnahmecharakter von Strafe. Eine Begrenzung auf die Strafbewehrung solcher Vorschriften, die verfassungsrechtlich verankerte Rechtsgüter erfassen, liegt daher nahe. Für die Beurteilung, ob eine Verhaltensnorm des strafrechtlichen Schutzes bedarf, spielt es außerdem eine entscheidende Rolle, welches Gewicht das personale Fehlverhalten aufweist, das sich im Normverstoß nebst spezifischen Fehlverhaltensfolgen realisiert. Reines Bagatellunrecht bzw. Ordnungsverstöße ohne echtes Gefährdungspotential sind nicht als hinreichend gewichtig für das Eingreifen von Strafe zu beurteilen.195 Als allgemein umspannendes Prinzip der Etablierung von Sanktionsnormen und deren konkreter Sanktionsanordnung ist bereits an früherer Stelle der Ausgleichsgedanke betont worden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als solcher garantiert nicht die Wahrung schuldangemessener Strafen, sodass es jedenfalls der Feststellung bedarf, dass das Schuldprinzip den Verhältnismäßigkeitsgedanken im Strafrecht konkretisiert.196 So handelt es sich bei der Schuldangemessenheit von Strafe um das maßgebliche Kriterium, das insbesondere bei der Höhe der im Wege einer Sanktionsnorm angeordneten Reaktion auf einen Normbruch unbedingt zu wahren ist. Eine Sanktionsnorm bzw. konkrete Sanktionsanordnung, die sich nicht am Schuldprinzip orientiert, ist bereits nicht zur Wiederherstellung der Normgeltung geeignet. Zu milde Strafen genügen nicht dem Ausgleich des Normverstoßes, sodass es nicht gelingen kann, die Norm wieder vollständig in Geltung zu setzen. Aber auch zu hohe Strafen werden nicht dem Ausgleichsgedanken und damit der Anforderung an legitime Sanktionsanordnungen gerecht. Sie widersprechen der Würdigung des Täters als eines Vernünftigen, indem er zum reinen Objekt staatlichen Strafens degradiert wird: Der Zusammenhang zwischen Normverstoß und Strafe geht verloren, sodass eine Bestrafung willkürlich ist. Die Infragestellung der Verhaltensnorm ist nur noch loser Anlass zum Strafausspruch, was zudem Auswirkungen auf die grundsätzliche Normakzeptanz hat: Strafbewehrte Verhaltensnormen, deren Verstöße über die Maßen geahndet werden, verlieren ihre allgemeine Anerkennung. Schnell entsteht der Eindruck, es 195
MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 188 ff., 221 ff.; ders., AT, § 4. BGHSt 2, 194, 200 f.; Freund, Erfolgsdelikt, S. 88; ders., Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, S. 67 ff.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 367; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 88 ff. A.A. Ellscheid/ Hassemer, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Strafe ohne Vorwurf, S. 266, 281 ff., zur Kritik vgl. schon oben B. II. 1. a) cc). 196
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
mit reinen Machtinstrumenten zu tun zu haben, was zugleich die Überzeugung von der (denkbaren) Richtigkeit der betreffenden Verhaltensnorm erschüttert. d) Legitimer Stellenwert spezifischer Fehlverhaltensfolgen Seine individuelle Infragestellung der Normgeltung vollzieht der Täter in einem konkreten Fehlverhalten, durch das er gegen eine spezifische Verhaltensnorm verstößt. Ob sein Verhalten schädigende Folgen für das geschützte Rechtsgut zeitigt, spielt für den grundsätzlichen Angriff auf das Recht keine Rolle. Dennoch setzen viele Tatbestände des StGB den Eintritt spezifischer Fehlverhaltensfolgen als weitere Voraussetzung neben dem konkreten Verhaltensnormverstoß voraus. Zudem werden durchaus strengere Strafen an ein Verhalten geknüpft, das schädigende Folgen für das angegriffene Rechtsgut zeitigt. Dabei ist die Voraussetzung des Einsatzes von Strafe zunächst allein ein durch den Täter verwirklichtes personales Fehlverhalten. Dieses ist in der geistigen Infragestellung der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm durch den Einzelnen zu sehen. Strafe tadelt die Anmaßung des Täters, seine eigenen Maximen über die allgemeinen gesellschaftlichen und sich selbst über die Geltungskraft des Rechts zu stellen. Dabei vollzieht sich der Angriff des Täters auf das Recht in seinem individuellen Fehlverhalten, das ihm folglich primär zum Vorwurf gemacht wird. Der Täter kann jedenfalls nicht in erster Linie wegen der Herbeiführung einer spezifischen Fehlverhaltensfolge zur Rechenschaft gezogen werden. So hängt der Eintritt von Fehlverhaltensfolgen oftmals stark vom Zufall ab und kann daher nicht als vorrangiger Anknüpfungspunkt des durch Strafe verkörperten Tadels gegenüber dem Normbrecher taugen. Der im Wege von Strafe ausgesprochene Vorwurf knüpft vielmehr an den Kern des Rechtsangriffs des Täters an, den individuellen Verhaltensnormverstoß.197 Die Verursachung spezifischer Fehlverhaltensfolgen kann aber in einem zweiten Schritt Bedeutung erlangen. So kann es für die Bestimmung der angemessenen Sanktionierung des Verhaltens eine Rolle spielen, ob dieses im Versuchsstadium stecken geblieben ist oder es aber letztlich zur Verletzung des durch das Verhalten angegriffenen Rechtsguts gekommen ist. Zwar tangiert die Frage der Herbeiführung eines Verhaltenserfolgs nicht den geistigen Angriff des Einzelnen auf das Recht – dieser ist unabhängig vom Eintritt spezifischer Fehlverhaltensfolgen. Jedoch ist dem Täter in Rechnung zu stellen, dass es sich (trotz aller zugegebenen Bedeutung des Zufalls als eigenständiger Faktor der Erfolgsherbeiführung) bei dem eingetretenen Schaden gerade um diejenige Folge handelt, die
197 MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 323; ders., AT, § 2 Rn. 53, 59 ff.; ders., HerzbergFS, S. 225, 229; ders./Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 82; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 98 f.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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am Ende des schadensträchtigen Verlaufs steht, den der Täter durch sein Fehlverhalten in Gang gesetzt hat. Erst durch seinen Verhaltensnormverstoß hat er die Gefahr geschaffen, dass jener Erfolg eintritt, zu dessen Vermeidung ein spezifisches Ver- bzw. Gebot legitimiert war. Die Verantwortung für die Realisierung des schadensträchtigen Verlaufs trifft damit in vollem Umfang den Täter.198 Nunmehr manifestiert sich der individuelle Angriff auf die Normgeltung durch den Eintritt der Fehlverhaltensfolgen für jeden sichtbar in der Außenwelt. Die Infragestellung des Rechts erfolgt mit einem besonderen Nachdruck, der die Bedeutung des Fehlverhaltens als Missachtung der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm unterstreicht. Solche Manifestation der Nichtakzeptanz der Verhaltensnorm ruft ein gesteigertes Maß an Gegensteuerung mit dem Ziel der Wiederherstellung des Rechts auf den Plan. Realisiert sich das personale Verhaltensunrecht durch den Eintritt spezifischer Fehlverhaltensfolgen, muss die strafende Reaktion nachdrücklicher ausfallen, als es bei folgenlosem Verhalten der Fall ist.199 Die Relevanz von Fehlverhaltensfolgen auf der Ebene der Strafbemessung ändert aber nichts am Charakter des Verhaltensnormverstoßes als primärer Voraussetzung des Einsatzes von Strafe. Auch für die angemessene Strafhöhe spielt das Gewicht des individuellen Verhaltensnormverstoßes die entscheidende Rolle. So divergiert nicht nur im Bereich der Differenzierung zwischen Vollendung und Versuch das Gewicht des individuellen Verhaltensnormverstoßes in Abhängigkeit von seiner Nähe zur eigentlichen Rechtsgutsverletzung. Je abstrakter die Gefährlichkeit eines Verhaltens für das jeweilige Schutzgut einzuschätzen ist, desto schwächer fällt das konkrete Fehlverhaltensunrecht aus. Einem derart abgeschwächten Verhaltensunrecht muss aber immerhin durch eine verminderte Strafhöhe in der Ahndung des Verhaltensnormverstoßes Rechnung getragen werden. Dies gilt etwa für jene Verhaltensweisen, die allenfalls auf einem besonders hohen Abstraktionsniveau eine Gefährlichkeit für das konkrete Schutzgut aufweisen. Die Realisierung des durch das Fehlverhalten in Gang gesetzten schadensträchtigen Verlaufs ist damit lediglich ein vom Kern des strafrechtlichen Vorwurfs abgeleiteter Faktor, der weiterhin im personalen Fehlverhalten des Einzelnen zu sehen ist. Vor diesem Hintergrund allein lässt sich das strafbewehrte Verbot von bestimmten Verhaltensweisen erklären, die im Stadium des Versuchs stecken geblieben sind: auch hier kann das spezifische Gewicht des darin verkörperten Angriffs auf das Recht hinreichend sein, um den Einsatz von Strafe beim im Versuch zu erblickenden Verhaltensnormverstoß zu legitimieren.200
198
MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 328 ff.; ders., AT, § 2 Rn. 46 ff. Freund, Erfolgsdelikt, S. 94, 99; ders., AT, § 2 Rn. 60; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 516 f.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 59; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 98 f. 200 Vgl. zur Strafbarkeit des Versuchs noch unten D. II. 4. a). 199
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
e) Zusammenfassung zu Aufgabe und Legitimation von Strafe Der Erarbeitung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung ist eine Vergewisserung über die allgemeinen dogmatischen und straftheoretischen Grundlagen vorangestellt. In diese hätte die Gesinnung sich, wollte sie strafrechtliche Relevanz entfalten, bruchlos zu integrieren. Als notwendige normative Grundprämisse konnte die Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen erarbeitet werden. Indem Strafe erst auf bereits begangene Normbrüche reagiert, kommt sie für den Schutz des jeweils betroffenen Rechtsguts letztlich immer zu spät. Präventiver Rechtsgüterschutz lässt sich allein durch die Etablierung rechtlicher Ver- bzw. Gebote erzielen, die den Normadressaten zu entsprechendem Verhalten motivieren sollen. Indem solche Vorschriften stets aber jedenfalls die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen tangieren, müssen sie vor verfassungsrechtlichem Hintergrund legitimierbar sein. Sie müssen daher ein anerkennenswertes Interesse verfolgen, für dessen Schutz sie geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel hoheitlichen Handelns sind. Um nicht faktisch unrealisierbare Verhaltensanforderungen an den Einzelnen zu stellen, haben sich Verhaltensnormen darüber hinaus an der Adressatenperspektive zu orientieren. Während durch Verhaltensnormen im Wege der Verhaltensmotivation präventiver Rechtsgüterschutz betrieben wird, verfolgen Sanktionsnormen das Ziel, die fortdauernde Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm zu sichern. Dabei ist der Status des vernunftbegabten und gleichberechtigten Bürgers als Ideal einer freiheitlichen Grundordnung zu wahren. Befreit von jedwedem, die Freiheit des Einzelnen in diesem Kontext real gefährdenden, präventiven Element ist Strafe die geltungssichernde ausgleichenden Ahndung des konkreten Verhaltensnormverstoßes (nebst Folgen). 2. Gesinnungsabstinenz des Strafrechts einer freiheitlichen Grundordnung Auf der Basis der Erkenntnisse zu Aufgabe und Legitimation von Strafe kann nunmehr der Stellenwert von Gesinnungen im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung untersucht werden. Der Fokus richtet sich auf die Bereiche von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung. a) Exkurs: Stellenwert der Gesinnung in der kantischen Rechtsphilosophie Schon eingangs wurde die Vielschichtigkeit der Gesinnung, die kaum im Wege einer Begrenzung auf das Strafrecht umfassend ausgeleuchtet werden kann, betont. Will man die Zugriffsmöglichkeiten des Staates in die Gedanken und Haltungen der Bürger rechtlich bestimmen, mag ausgehend von dem Bild einer frei-
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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heitlichen Grundordnung ein kurzer Seitenblick auf Kant als Vater des Idealismus erhellen.201 Dabei stellt sich die Frage, wie in der Philosophie Kants der Stellenwert subjektiver Merkmale des Einzelnen im Strafrecht beurteilt wird. Wird pönalisierender Ausgleich aufgrund einer rechtsfeindlichen Einstellung der Person verlangt? Dem steht offenbar zunächst die von Kant geprägte Idee einer strikten Trennung äußerlichen und innerlichen Verhaltens als Bewertungsgegenständen von Recht und Moral entgegen.202 In der Metaphysik der Sitten beschreibt Kant die notwendigen Elemente „aller Gesetzgebung“. Dabei handelt es sich einerseits um Gesetze, die eine gebotene Handlung „objektiv als notwendig“ vorstellen, sowie andererseits die Triebfedern, die „den Bestimmungsgrund der Willkür zu dieser Handlung subjektiv mit der Vorstellung des Gesetzes“ verknüpfen. Es sei dann allerdings zwischen ethischer und juridischer Gesetzgebung zu differenzieren: „Diejenige, welche eine Handlung zur Pflicht, und diese Pflicht zugleich zur Triebfeder macht, ist ethisch. Diejenige aber, welche das letztere nicht im Gesetze mit einschließt, mithin auch eine andere Triebfeder, als die Idee der Pflicht selbst, zuläßt, ist juridisch.“ Die „bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze, ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben“ sei als Legalität zu bezeichnen, während eine Handlung, „in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist“, der Moralität entspreche. Konsequent führt Kant in der Folge aus, dass eine rechtliche Gesetzgebung ausschließlich äußere Pflichten erfassen könne, „weil diese Gesetzgebung nicht verlangt, daß die Idee dieser Pflicht, welche innerlich ist, für sich selbst Bestimmungsgrund der Willkür des Handelnden sei“. Demgegenüber schließe die ethische Gesetzgebung die innere Triebfeder der Handlung in ihrer Bewertung mit ein, weshalb es sich bei ihr um „keine äußere“ handeln könne. Daraus folge zugleich, dass das Recht ausschließlich Zugriff auf äußere Handlungen nehmen dürfe: „Eine Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.“ Eine Einbeziehung der inneren Einstellung des Einzelnen wird damit lediglich der Ethik zugestanden: „(. . .) denn ein jeder kann frei sein, obgleich seine Freiheit mir gänzlich indifferent wäre, oder ich im Herzen derselben gerne Abbruch tun möchte, wenn ich nur durch meine äußere Handlung ihr nicht Eintrag tue.“ Solange mithin äußere Freiheitssphären durch
201 Dabei soll keine Gleichsetzung der eigenen straftheoretischen Grundkonzeption mit derjenigen Kants nachgeschoben werden. Hingegen wurde an früherer Stelle B. II. 1. a) dd) betont, dass die Aneinanderreihung zweier Übel ohne weitergehenden Bedeutungsgehalt, wie sie bei Kant noch erfolgt, zur Legitimation von Strafe nicht hinreicht. Die Orientierung an Kants Konzept soll hingegen seine Bedeutung als Vordenker des freiheitlichen Rechtsstaats würdigen und lässt gegebenenfalls Rückschlüsse auf die eigene Lösung des Problemkreises der Gesinnungen im Strafrecht zu. 202 Nachfolgende Zitate finden sich bei Kant, Metaphysik der Sitten, A 13 ff., 33.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
das Verhalten des Einzelnen nicht beeinträchtigt werden, steht es dem Recht nicht zu, auf seine (schlechten) Gedanken sanktionierend zu reagieren. Die kantische Unterscheidung lässt sich so verstehen, dass im Recht und damit auch im Strafrecht jedwede Heranziehung subjektiver Elemente kategorisch abzulehnen sei. Aus welcher Triebfeder der Einzelne damit bei der konkreten Tat gehandelt hat, wäre aus Sicht des Rechts bedeutungslos, das Verhalten könnte ausschließlich anhand seiner nach außen feststellbaren Merkmale Gegenstand strafrechtlicher Bewertung sein.203 Indessen wird heute darüber gestritten, ob Kant tatsächlich in diesem Sinne zu verstehen ist. So wird die oben dargestellte Differenzierung der Bezugspunkte von juridischer und ethischer Gesetzgebung teilweise als lediglich auf rechtmäßiges Verhalten anwendbar erklärt.204 Im Bereich rechtswidrigen Verhaltens seien demgegenüber zudem Elemente des Internums für die Bestrafung im rechtlichen Kontext von Bedeutung. Gegen diese Haltung habe sich außerdem Kant selbst nicht gesperrt, der beispielsweise für die Annahme eines Verbrechens vorsätzliches Verhalten verlange, nämlich das „Bewusstsein“, dass die Handlung eine „Übertretung“ des Gesetzes sei.205 Ferner solle nach Kant die Höhe der Strafe von der „inneren Bösartigkeit des Verbrechers“ abhängig sein, weshalb selbst im Strafzumessungsbereich subjektive Elemente bei Kant keine unerhebliche Rolle zu spielen scheinen.206 Auch heutige Vertreter eines freiheitlich fundierten Rechts, die ihre Theorie ausdrücklich von Kant ableiten, sind sich in der Frage des Stellenwerts der Gesinnung des Täters im strafrechtlichen Kontext uneins. So wird einerseits vor Schwierigkeiten der Einbeziehung innerer Motive und anderer subjektiver Merkmale gewarnt, während von anderer Seite eine Vereinbarkeit solcher Vorgehensweise mit der kantischen Trennung von Recht und Ethik proklamiert wird.207 Eher zu einer strik203 Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 72, 76 ff. So ist auch Hegel, Philosophie des Rechts, § 94 zu verstehen: „Bei dem Moralischen, das heißt bei der Reflexion in mich, ist auch eine Zweiheit, denn das Gute ist mir Zweck, und nach dieser Idee soll ich mich bestimmen. Das Dasein des Guten ist mein Entschluß, und ich verwirkliche dasselbe in mir; aber dieses Dasein ist ganz innerlich und es kann daher kein Zwang stattfinden. Die Staatsgesetze können sich also auf die Gesinnung nicht erstrecken wollen, denn im Moralischen bin ich für mich selbst, und die Gewalt hat hier keinen Sinn.“ Ders., Philosophie des Rechts, § 106: „Beim strengen Recht kam es nicht darauf an, was mein Grundsatz oder meine Absicht war; diese Frage nach der Selbstbestimmung und Triebfeder des Willens, wie nach dem Vorsatze, tritt hier nun beim Moralischen ein.“ 204 So beispielhaft Engisch, Suche nach Gerechtigkeit, S. 91; Schmidhäuser, GallasFS, S. 81, 82 ff. Ernstlich überzeugen kann eine solche Differenzierung nicht, muss doch gerade im Bereich des rechtswidrigen Verhaltens, das staatliche Reaktion auf den Plan ruft, besondere Vorsicht im Umgang mit den Freiheitsrechten der Person geübt werden. Zur weiteren Argumentation in diese Richtung vgl. die überzeugenden Ausführungen Grünewalds, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 114 ff. 205 Metaphysik der Sitten, 224. 206 Metaphysik der Sitten, 333. 207 Siehe dazu den Überblick bei Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 400 ff. Kelker selbst will in Anlehnung an Köhler, AT, S. 373 das Gesinnungsmo-
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ten Trennung tendiert Kühl 208, indem er „jedes Auftauchen des Begriffs ,Gesinnung‘ “ „kritisch (. . .) betrachten“ will. Zwar könne man bestimmte Formen der inneren Beteiligung des objektiv rechtswidrig Handelnden, wie etwa den Vorsatz, Absichten oder Motive eher dem „Zugriff des Rechts (. . .) preisgeben“ als die Gesinnung des Täters. Doch selbst in dem Eingeständnis, dass die „Rückkehr zu einer rein objektiven Verbrechenslehre“ „heute wohl keine Alternative mehr ist“, scheint eine gewisse Wehmut mitzuklingen, die an dieser Stelle als Hinweis auf die nach wie vor bestehende Aktualität der Frage einer Begrenzung des Rechts auf äußeres Verhalten genügen soll. Die knappe Exegese der kantischen Philosophie zum besagten Themenkomplex ergibt damit keine klare Marschroute. Es lässt sich allenfalls eine leichte Tendenz gegen die grundlegende Einbeziehung von Gesinnungen im Strafrecht feststellen. Als erste Orientierung mag dies genügen. Die Untersuchung hat nachfolgend die bereits eingeschlagenen Bahnen weiter zu verfolgen. b) Legitimität von Verhaltensnormen, die die Gesinnung verbieten Die Ausführungen zu dem Verhältnis von Recht und Moral, wie es in der kantischen Philosophie angelegt ist, haben eines verdeutlicht: Die oben als legitimatorisch notwendig erarbeitete dogmatische Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm wird kaum gewahrt. Im Gegenteil gehen Argumente, die je für sich genommen lediglich eine bestimmte Normebene betreffen, durcheinander, was eine differenzierte Betrachtung erschwert. Es wird daher nachfolgend Wert darauf gelegt, die dogmatisch gebotene Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnormen auch mit Blick auf die Argumentation der Gesinnungsrelevanz in diesen Normbereichen zu wahren. Diese Vorgehensweise legt offen, dass es sich bei dem Verbot einer Gesinnung um kein originär strafrechtliches Thema handelt. Die Diskussion hat hier vielmehr – wie so oft – weit im Vorfeld der eigentlichen strafrechtlichen Würdigung anzusetzen, wenngleich diese nachfolgend nicht unterschlagen werden soll.209 Die strafrechtliche Überfrachtung einer Thematik trägt kaum zur Vereinfachung der Suche nach einer angemessenen Problemlösung bei. Solche Hürden überwindend kann man sich dem eigentlichen Kern des Problems widmen: Der Frage nach der Legitimität solcher Verhaltensvor-
ment als Ausdruck des Grades der Missachtung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses gegenüber der Person des Opfers durch den Täter als die Schuld steigernden Faktor berücksichtigten. Kritisch äußert sich in diesem Zusammenhang Kühl, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 139, 148. Zu dem Stellenwert der Gesinnung im Modell Kelkers siehe noch unten C. IV. 2. 208 Zitate bei Kühl, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 139, 148 ff., 154. Vgl. dens., Bedeutung der Rechtsphilosophie, S. 40 f. 209 Siehe zur Legitimität von Sanktionsnormen, die spezifische Gesinnungen verbzw. gebietende Verhaltensnormen zum Gegenstand haben, unten B. II. 2. d).
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
schriften, die in spezifischer Weise das Verbot des Habens, Sich-Aneignens bzw. das Gebot des Ablegens einer wertwidrigen Einstellung enthielten. Was soll dagegen sprechen, die rechtsfeindliche Gesinnung der Person in einem freiheitlichen Rechtsstaat zum Gegenstand eines Verbots zu erheben? Eines steht jedenfalls fest: Wer das Übel an seiner Wurzel packen will, der kann keinen effektiveren Ausgangspunkt staatlichen Eingriffs wählen als die bösen Gedanken des Einzelnen. Warum also sollte die Rechtsgemeinschaft den Verstoß gegen eine bereits etablierte Verhaltensnorm (beispielsweise das Verbot, einen anderen Menschen zu töten) abwarten, wenn doch schon vorab anhand der Einstellung einer Person erkennbar ist, dass in ihr die sprichwörtliche Zeitbombe tickt – es also nur eine Frage der Zeit ist, bis es zum Rechtsbruch ihrerseits kommen wird? Kann das Recht mehr sein als ein zahnloser Tiger, wenn es sich den Weg zur offenbar effektivsten Gewährleistung von Sicherheit für schützenswerte Interessen selbst abschneidet? Die jedenfalls gefühlsmäßige Ablehnung entsprechender Verhaltensnormen könnte – wie Jakobs vermutet210 – von einem verbreiteten Naturalismus herrühren, der dem Menschenbild vieler zugrundeliegt. Danach sei die Einflusssphäre des Staates begrenzt durch die Haut des Menschen. In der Folge dürfe er nicht auf das zugreifen, was hinter dieser natürlichen Grenze vorzufinden sei. Indessen wird in diesem Kontext Jakobs bereits insoweit gefolgt, als dem Recht ein normatives Verständnis zugrunde liegen muss. So geht die naturalistische Argumentation in zweierlei Hinsicht fehl: Zum einen ist es durchaus denkbar, dass in bestimmte, hinter der Grenze der menschlichen Hülle verortete Sphären in legitimer Weise eingegriffen werden kann. Anderenfalls ließe sich bereits die rechtlich oftmals bedeutsame Unterscheidung von vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten nicht rechtfertigen.211 Darüber hinaus kann nicht jedes menschliche Verhalten per se dem staatlichen Zugriff unterliegen. So darf jedenfalls dann nicht in den Verhaltensbereich des Einzelnen eingegriffen werden, wenn dieser nicht die Interessenssphären Dritter störend beeinträchtigt. Das Verhalten darf also nicht mit einem Risiko behaftet sein, das von Seiten der Rechtsordnung zum Schutze des betroffenen entgegenstehenden Rechtsguts nicht toleriert werden kann.212 Es handelt sich dann um neutrales Verhalten, in das der Staat ebenso wenig eingreifen darf wie in die intimsten Gedanken der
210
ZStW 97 (1985), 751, 754. Siehe dazu noch unten C. III. 1. 212 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 94 f., 271; Haas, Strafbegriff, S. 252; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 754 ff.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 453 ff.; Puschke, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung, S. 9, 27; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 392 ff.; Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 17 ff.; v. Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S. 37 ff. 211
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Person.213 Die Begründung für diese Beurteilung staatlicher Eingriffsbefugnisse ist im normativen Bereich zu suchen und lässt sich unmittelbar in jener freiheitlichen Ordnung finden, die unserer Gesellschaft und unserem Menschenbild zugrunde liegt.214 Sonach setzt sich die Gemeinschaft aus grundsätzlich freien Individuen zusammen, die trotz des gesellschaftlichen Zusammenschlusses in größtmöglichem Umfang von ihrer persönlichen Freiheit Gebrauch machen wollen. Die Vereinbarung, sich in einem Staat den Normen einer gemeinsamen Ordnung zu unterwerfen, wird getragen von dem Wunsch, den mit dem natürlichen Zustand unbegrenzter Freiheit aller verbundenen Gefahren für den jeweils Schwächeren zu entkommen.215 Zwar büßt das Individuum als Teil des Ganzen die Fähigkeit zu schrankenloser Freiheit ein. Jedoch überwiegen die damit einhergehenden Vorzüge, weshalb der Einzelne bereitwillig auf einen Teil seiner Freiheit verzichtet, um die ihm verbleibenden Freiheitsrechte geschützt zu wissen. Ohnehin wird der Einzelne in dem Zustand potentiell unbegrenzter Freiheit angesichts der Überlegenheit anderer Individuen regelmäßig nicht dauerhaft von dieser Fähigkeit Gebrauch machen können.216 Neben das Ziel der Selbsterhaltung tritt der folgende Gedanke: Im Naturzustand herrscht permanente Unsicherheit über den Status der eigenen Freiheitsinteressen. Weil aber kein Individuum es sich erlauben kann, die Unrechtshandlung des jeweils anderen abzuwarten, wählt ein jeder „die Strategie eines offensiven Misstrauens“, sodass er sich stets bereit hält, in den Zustand des Krieges überzugehen.217 Dank Kant wissen wir: Der Einzelne tut „im höchsten Grade
213 Freund, AT, § 8 Rn. 22; ders., Erfolgsdelikt, S. 96 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 298 f.; Haas, Strafbegriff, S. 252; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 74; Kühl, ZStW 116 (2004), 870, 889 f.; ders., Lampe-FS, S. 439, 454; Lampe, Das personale Unrecht, S. 259; Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 28. Hegel, Philosophie des Rechts, § 106, weist darüber hinaus darauf hin, dass der staatliche Zugriff auf die Einstellung des Einzelnen aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist: „In diese Überzeugung des Menschen in sich kann man nicht einbrechen; ihr kann keine Gewalt geschehen, und der moralische Wille ist daher unzugänglich.“ 214 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 114 ff., 119 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 47 f.; Müller-Franken, Bethge-FS, S. 223, 249 f. – Vgl. außerdem schon oben B. II. 1. a) dd). 215 Hobbes, Leviathan, S. 95 f., 131 ff.; Hume, Of the Original Contract, S. 207, 211 f.; Rousseau, Social Contract, S. 237, 244 ff., 254 ff., 262 ff., 277 ff.; v. Feuerbach, Lehrbuch, § 8; Freund, Erfolgsdelikt, S. 78; Kant, Metaphysik der Sitten, A 157 f.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 199 ff.; Müller-Franken, Bethge-FS, S. 223, 250. 216 Dabei kommt es nicht auf einen irgendwie gearteten anthropologischen Befund an. Ob der Mensch seiner Natur nach eher schlecht oder gut ist, kann dahinstehen: Jedenfalls wird in einem unrechtlichen Zustand menschlichen Zusammenlebens ein jeder stets von seinem Recht Gebrauch machen „zu thun, was ihm recht und gut dünkt“. In diesem Bestreben wird er aber nicht vor Gewalttätigkeiten gegenüber anderen zurückschrecken. Siehe dazu Kant, Metaphysik der Sitten, A 163 ff. 217 Hobbes, Leviathan, S. 95 f.; Kant, Metaphysik der Sitten, A 157 f.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 201.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
daran unrecht in einem Zustande sein und bleiben zu wollen, der kein rechtlicher ist, d. i. in dem niemand des seinen wider Gewalttätigkeiten sicher ist“ 218. Es entspricht damit der Verpflichtung der Menschen „als vernünftige Wesen (. . .), ihr Verhältnis zueinander nach Regeln des Rechts zu gestalten“.219 Die geschlossene Vereinbarung zur Gründung einer Gemeinschaft steht und fällt indessen mit der Gewährleistung größtmöglicher Freiheitssphären aller ihrer Mitglieder.220 Damit ist vorausgesetzt, dass lediglich dann in die Rechte des Einzelnen eingegriffen werden darf, sofern durch deren Ausleben in unzulässiger Weise die Freiheit Dritter beeinträchtigt wird. Hieraus ergibt sich, dass der Mensch von seiner Freiheit in dem Maße Gebrauch machen kann, in dem er nicht störend die Sphäre anderer tangiert. Aus der Idee der Garantie größtmöglicher Freiheit aller als wesentlicher Voraussetzung des Abschlusses eines „Gesellschaftsvertrages“ ergeben sich zwingend die grundsätzliche Freiheit der Gedanken sowie die damit korrespondierende Unzulässigkeit staatlichen Eingreifens in diesen Bereich. Eine Einschränkung dieser Freiheit darf dem Einzelnen von Seiten des Staates lediglich unter der Voraussetzung auferlegt werden, dass anderenfalls die Freiheit Dritter störend beeinträchtigt wird. Dies ist jedoch im Falle der ausschließlich im Internum der Person verbliebenen Gedanken, die also nicht in Gestalt eines auch äußerlich störenden Verhaltens in die Außenwelt getreten sind, nicht vorstellbar.221 Selbst wenn die Gedanken als Gesinnung verhaltensleitenden Charakters sind, kann staatliches Eingreifen nicht allein aufgrund dieses Motivationspotentials legitimiert werden. In letzter Instanz besteht die 218
Metaphysik der Sitten, A 157 f. Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 202. So auch Müller-Franken, Bethge-FS, S. 223, 250. 220 Bei Kant bedeutet die Abkehr vom Naturzustand hin zum bürgerlichen Status keinen Freiheitsverlust. Vielmehr werde lediglich die Modalität der Freiheit gewandelt: Was vorher wilde und gesetzeslose Freiheit war, findet sich im Staat als sichere Freiheit wieder. Dennoch finden sich die entscheidenden Parallelen zu dem im Text dargelegten Gedankengang auch bei Kant: Freiheitseinschränkungen dürfen nicht willkürlich erfolgen, was immer dann der Fall ist, wenn Freiheit ungleich oder ungerecht verteilt wird. Vgl. dazu auch Hobbes, Leviathan, S. 100 f., 136 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 44 ff.; Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, S. 222 ff.; Rousseau, Social Contract, S. 237, 277 f. 221 Vgl. Jakobs, ZStW 95 (1985), 751, 758 ff. So auch Freund, Erfolgsdelikt, S. 96 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten, S. 298 f.; Hegel, Philosophie des Rechts, § 94; Kühl, Bedeutung der Rechtsphilosophie, S. 41; Köhler, AT, S. 453 f.; Rath, Gesinnungsstrafrecht, S. 22 ff.: „Kompetenzüberschreitungen (des Rechts) sind demzufolge zum einen möglich durch Vorschriften zur Regelung des reinen Denkens, des bloßen Wünschens, Hoffens und Beabsichtigens sowie des Glaubens – ohne dass sich mit diesen Subjektiva überhaupt irgendeine äußere Handlung verbindet.“ Besonders deutlich auch auf S. 27: „Dass sich aber die Gefährlichkeit eines Verhaltens allein durch eine, eventuell auch besonders intensive Verletzungsintention für sich genommen erhöht, dürfte bereits nur kaum als möglich vorstellbar sein. Stets werden zusätzliche äußere Faktoren hinzutreten müssen, damit eine Gefahrerhöhung eintreten kann.“ – In diese Richtung auch Günther, in: Jung u. a. (Hrsg.), Recht und Moral, S. 205, 214 f. 219
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Möglichkeit, in dem (praktizierten) eigenen Verhalten nicht der Gesinnung zu entsprechen. Solches Verhalten mag durch interne Faktoren wie etwa das Gewissen abgestraft werden. Indessen hat dies keinerlei Einfluss darauf, dass der Einzelne nicht doch die Freiheit aufweist, sich gegen die (möglicherweise falsche) innere Wertehaltung zu entscheiden. Aus diesem Grund kann weder im privaten Kontext noch (erst recht nicht) von staatlicher Seite bruchlos von der Gesinnung auf späteres Verhalten geschlossen werden. Es handelt sich ausschließlich um Gefährlichkeitsprognosen, die an dieser Stelle angestellt werden können.222 Für die Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen können solche aber nicht ohne Weiteres hinreichen.223 Ein freiheitliches Menschenbild zugrundegelegt, muss doch dem Einzelnen unbedingt die Möglichkeit eingeräumt werden, sich mit wertnegierenden, gesellschaftlich schädlichen Ideen auseinanderzusetzen. Geben wir ihm nicht die Chance, das Böse kennenzulernen, wie sollte er sich dann jemals frei für das Gute entscheiden?224 Eben diese Erkenntnis muss dem vernünftigen Bürger aber jederzeit offen stehen. Es ist damit noch ein zusätzlicher Aspekt angeklungen, der die Freiheit der Gedanken als zwingend im Rahmen einer freiheitlich verfassten Gesellschaftsordnung festschreibt.225 Wer die Vernunft des Einzelnen zum Ausgangspunkt seiner Gemeinschaftsordnung wählt, muss dem Menschen die Gelegenheit belassen, im Wege der Vernunftbefragung (richtige) Entscheidungen zu treffen.226 Alles andere bedeutete schlechthin die Abkehr von unse222
Vgl. schon oben A. III. sowie noch ausführlich unten B. III. 2. Angesichts realer Bedrohungen durch islamistischen Fundamentalismus oder Rechtsradikalismus kann aber die unerfreuliche Bereitschaft des Gesetzgebers festgestellt werden, dasjenige aufs Spiel zu setzen, was wir eigentlich zu schützen intendieren – die Aufrechterhaltung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Vgl. zu dieser Fehlentwicklung und den Anforderungen an die legitimen strafrechtlichen Verteidigungsmöglichkeiten der „wehrhaften“ Demokratie, die nicht vor ihren eigenen Determinanten kapitulieren darf, noch unten D., E. 224 Ist es denn überhaupt möglich, das Gute als Gutes zu erkennen, ohne je dem Bösen begegnet zu sein? 225 Das Recht auf Denkfreiheit wurzelt in der Menschenwürde aus Art. 1 I GG, GG/ Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II Rn. 28. Weil die Meinungsfreiheit notwendig aus der Gedankenfreiheit hervorgeht, bedarf es hier keiner dahingehenden Differenzierung in der Argumentation, vgl. dazu Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff. 226 Wie sehr wünschen wir unserem Erzfeind Übel an den Hals? Wie oft stellen wir uns vor, der Erfüllung dieses Wunsches eigens nachzuhelfen? Und doch werden wir nicht tätig, und doch verbleiben wir in äußerlich friedfertiger Haltung. Wer aber wollte selbst solche Gedankenspiele verbieten? Nur jener, der übersieht, wie schnell eben diese Vorstellungen im menschlichen Bewusstsein aufkeimen können. Auch deren oftmals empfundene Unkontrollierbarkeit begründbar durch situative Gefühlsausbrüche gibt dringenden Anlass zum Befund ihrer strafrechtlichen Bedeutungslosigkeit. Und noch ein Weiteres tritt hinzu: Manchem mag der Gedanke der Rache am Erzfeind zur seelischen Befriedigung genügen. Für ihn stellen sie ein erhebliches Freiheitsempfinden dar, das durch die Tat selbst nicht in gleichem Maße erfahrbar wäre. Welchen Sinn kann es dann haben, einen solchen „Gedankentäter“ strafrechtlich zu belangen? 223
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
rem Menschen- und Staatsbild.227 Dies lässt sich besonders deutlich im Bereich politischer Gesinnungen belegen. So steht das mit gesinnungsverbietenden Vorschriften nicht selten intendierte Festschreiben bestimmter politischer Auffassungen dem originär demokratischen Bestreben der Fortentwicklung durch stetiges Hinterfragen relativ verfestigter Anschauungen diametral entgegen und führt den wünschenswerten Prozess der Meinungsbildung im Diskurs unterschiedlicher Positionen ad absurdum.228 Ohnedies klingen Zweifel an der Überzeugungskraft solcher Ansichten an, deren „Geltung“ ausschließlich im Wege rechtlicher Setzung garantiert werden kann. Hier zittert die Demokratie vor ihren Kindern und schrickt vor der eigenen Wahrheit zurück. Ein Vertrauen in die Richtigkeit eines Systems, das aus Sicht des Gesetzgebers mit wesensfremden Mitteln gewahrt werden müsse, kann dann nicht mehr ernstlich proklamiert werden. Vor dem Hintergrund der Ideale einer freiheitlich demokratischen Grundordnung mutete daher befremdlich an, wollte der Gesetzgeber den Austausch mit „unrichtigen“ (weil für gefährlich empfundenen) Anschauungen im Wege des spezifischen Gesinnungsverbots im Keim ersticken. Es formulierte sich vielmehr wie von selbst die Frage: Welche Sprengkraft hat das Andersdenken für das selbst gewählte System wirklich? Vermag die Demokratie sich im Meinungspluralismus nicht mehr zu behaupten und welche Berechtigung kann sie als System dann noch haben? Werden Weltanschauungen unterdrückt, kann dies neben dem Stagnieren der gesellschaftlichen Weiterentwicklung noch eine zusätzliche Konsequenz haben. Während im freien Austausch unterschiedlicher Positionen immerhin die Chance besteht, durch stichhaltige Argumentation von der Richtigkeit einer bestimmten Ansicht zu überzeugen, wird dieser Weg durch Setzung einer einzig „richtigen“ politischen Gesinnung im Ursprung beschnitten. Dürften Argumente nicht mehr ohne Furcht vor staatlichem Zwang ausgetauscht werden – und nichts anderes hätten gesinnungsreglementierende Normen zur Folge –, könnten gerade jene Haltungen, die dem Einzelnen als unrichtig und sogar gefährlich für das Be227 Dazu Köhler, AT, S. 453 f.: „Die verbrecherische Intention (. . .) kann als solche keine Straftat sein. Denn damit würde dem Subjekt, indem man seiner wirklich entschlossenen Tat vorgreift, die prinzipielle Rechtsvernünftigkeit abgesprochen.“ Vgl. ferner W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 95; Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 123 f. – Treffend auch Dencker, StV 1988, 262, 266: „Eine Gesellschaft, die nicht bereit ist, diese Kosten der Freiheit zu ertragen (gemeint ist die Hinnahme der Möglichkeit strafbaren Verhaltens als Gegenstück der totalen Kontrolle im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung, d. Verf.), erliegt dem diskreten Charme des Polizeistaats. Freiheit, das muß (. . .) wohl deutlich betont werden, gibt es nicht kostenlos.“ Siehe auch BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 101. Vgl. zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit noch unten E. 228 Vgl. zum politischen Strafrecht noch unten D. II. 4. „Lebenselement“ der freiheitlich-demokratischen Staatsordnung ist „die ständige geistige Auseinandersetzung“, der „Kampf der Meinungen“, BVerfGE 5, 85, 205; 7, 198, 208; 10, 118, 121; 12, 113, 125; 20, 56, 97; 33, 1, 15 f.; 93, 266, 292; 102, 347, 363; BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 4f., 86; EGMR NJW 1992, 613, 615; HB des Staatsrechts VI/Schmidt-Jortzig, § 141 Rn. 6 ff.; GG/Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II Rn. 31 ff.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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stehen einer freiheitlichen Grundordnung erscheinen, eine ungewollte Verfestigung erfahren.229 Neben den Reiz des Verbotenen tritt dann die schlichte Unmöglichkeit, den anderen im Wege argumentativen Austausches von gegenteiligen Ideen zu überzeugen. Dass auf diese Weise gerade Effekte erzielt werden, die der Gesetzgeber vermeiden will bzw. muss, liegt auf der Hand. Der Gedankenfreiheit kommt im Kanon der Freiheitssphären des Individuums ein exponierter Stellenwert zu. So ist die Freiheit des Denkens Grundvoraussetzung jedweden freiheitlichen Verhaltens.230 Wer seine Gedanken nicht ungestört fassen kann, ist prinzipiell der Fähigkeit beraubt, diese in die Tat umzusetzen. So kommt in jedem menschlichen Verhalten dessen Freiheit zum Ausdruck, sich für gerade dieses entschieden zu haben. Die Freiheit der Gedanken ist daher grundlegende Voraussetzung der Persönlichkeitsentfaltung. Wer im Denken bzw. in seinem geistigen Ausdruck, dem Meinen, reglementiert wird, ist nicht dazu in der Lage, seine Individualität vollumfänglich zu verwirklichen.231 Auf diese Weise lässt sich eindeutig das im „Willensstrafrecht“ 232 ausgedrückte Verlangen, die „Wurzel des Übels“ zu erfassen, erklären: Bevor der Einzelne die Straftat begeht, spielt diese sich – jedenfalls bei vorsätzlichem Verhalten233 – in seinem gedanklichen Bewusstsein ab.234 Wenn aber schon dieser Vorgang unterdrückt werden könnte, käme der Mensch erst gar nicht auf die Idee, die Normen zu verletzen. Trotz (oder gerade wegen) der damit scheinbar verbundenen Sicherheitsoptimierung eine Erwägung, die im Rechtsstaat keinen legitimen Stellenwert einnehmen kann. Anhand der bislang angestellten Überlegungen lassen sich damit die verheerenden Folgen des Ver- oder Gebots von Gedanken bzw. Gesinnungen des Einzelnen aus Sicherheitsgründen aufzeigen: In aller Stringenz würde eine solche Vorschrift gerade das bewirken, was sie mit Macht verhindern will: Die Aufhebung der freiheitlichen Grundordnung. Der Gesellschaftsvertrag weist allein so lange seine Gültigkeit auf, wie er garantiert, dass seitens der staatlichen Gewalt das höchstmögliche Maß an Freiheit aller gewährleistet wird. Sofern aber der Staat in 229
W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 103, 161 f., 194 f. BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 3; BVerfGE 7, 198, 208; EGMR NJW 1992, 613, 615; Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1 ff.; HB des Staatsrechts VI/SchmidtJortzig, § 141 Rn. 1 f.; GG/Starck/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1. 231 Vgl. dazu, dass die solchermaßen individual-grundrechtliche Schutzwirkung der Meinungs- bzw. Gedankenfreiheit Voraussetzung für deren konstituierende Wirkung im Rahmen der demokratischen Grundordnung ist, auch BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 4 ff., 21 ff.; BVerfGE 12, 113, 125; 20, 56, 98 ff.; 85, 23, 31; Scheuner, VVDStRL 22 (1965), 1, 62 ff.; GG/Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II Rn. 28; GG/ Starck/Starck, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 8 ff. 232 Siehe dazu ausführlich unten B. III. 1. a), C. IV. 1. 233 Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, S. 11, 15 will das Willensstrafrecht ausschließlich auf diese Verhaltensform begrenzen. 234 Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 772. 230
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Freiheitssphären eingreift, ohne dass dies zum Schutze der Freiheit anderer erforderlich ist, entzieht er sich eigenständig seine Legitimationsgrundlage. Ein rechtliches Verbot in solchem Bereich basierte nicht auf einer freiheitlichen Grundordnung, die aber allein seine Legitimation bilden kann. Die Staatsgewalt zielte nicht mehr auf die Gewährleistung eines freien Zusammenlebens der Subjekte ab, sondern allein auf den Erhalt des Staates selbst. Die Rede ist von Totalität.235 Abschließend lässt sich damit eindeutig sagen, dass innerhalb einer freiheitlichen Grundordnung Verhaltensnormen, die ausschließlich das Haben, Sich-Aneignen bzw. Ablegen einer anstößigen Gesinnung im Blick haben, per se ausgeschlossen sind. Soll nicht Totalität Einzug halten, muss der Staat sich davor hüten, rechtliche Beurteilungen der Wertehaltung des Einzelnen etablieren zu wollen. Aus der Feststellung, dass eine rechtliche Verhaltensnorm legitimerweise nicht ausschließlich auf das Haben einer wertwidrigen Gesinnung als Indikator einer spezifischen Gefährlichkeit des Individuums gestützt werden kann, ergibt sich im Umkehrschluss das Folgende: Sollen die Täterinterna überhaupt ins Blickfeld der rechtlichen Verhaltensbeurteilung gelangen, bedarf es dazu – quasi als Anlass – zunächst eines grundsätzlich störend in Erscheinung tretenden Verhaltens. Ein Verhalten, das nach der Sachlage, wie sie sich dem Betreffenden in der konkreten Situation bietet, mit keinen rechtlich nicht hinnehmbaren Schädigungsmöglichkeiten verbunden ist, darf nicht allein aufgrund der damit einhergehenden – ganz zufälligen – tadelnswerten Einstellung des Betreffenden zu verbotenem Verhalten erhoben werden.236 Es verhält sich vielmehr gerade entgegengesetzt: Primär gilt es, festzustellen, ob ein Verhalten aus der Adressatenperspektive solche Schädigungsmöglichkeiten für fremde Interessen mit sich bringt, die rechtlich nicht toleriert werden können. Reine böse Gedanken stellen solche Schädigungsmöglichkeiten nach dem Gesagten unter keinen Umständen dar. Erst wenn diese ermittelt werden konnten, kann es sich um rechtlich relevantes Verhalten handeln.237 Wie oben bereits dargelegt, ergibt sich ein Normbruch aus einem Verhalten, durch das der Einzelne gegen eine bestimmte Verhaltensvorschrift verstößt. Das missbilligte Verhalten setzt sich aber sowohl aus subjektiven als auch objektiven Momenten zusammen.238 Eine trennscharfe Unterscheidung ist ohne Sinnverlust nicht möglich, aber auch gar nicht erforderlich. Der Normverstoß als
235 So auch Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 98; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 754. Vgl. auch Dibelius, Grenzen des Staates, S. 36. 236 Vgl. noch unten D. II. zur Kritik an der zunehmenden strafgesetzlichen Etablierung von Verhaltensnormen, die ein per se neutrales Verhalten verbieten. 237 Vgl. W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 88 ff.; Dencker, StV 1988, 262, 263; Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 220, 236; Freund, Erfolgsdelikt, S. 96 ff.; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 760 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 43 f.; Radtke/ Steinsiek, ZIS 2008, 383, 392 ff.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 296 ff.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 160 f.
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allein maßgebliches Kriterium für das legitime Eingreifen von Strafe innerhalb eines Rechtgüterschutzstrafrechts bildet daher ein Konglomerat von subjektiven und objektiven Momenten, die in keinem Fall unabhängig voneinander betrachtet werden können. Damit einhergehend verbietet die angestrebte Vermeidung einer reinen Gedankenreglementierung, „schlechte“ Gedanken als ausschließliche Voraussetzung des Eingreifens staatlicher Reaktion herauszustellen. Es ist infolgedessen davor zu warnen, grundsätzlich nicht störendes Verhalten wegen einer damit einhergehenden anstößigen Gesinnung des Einzelnen zu einem rechtlich missbilligten zu erheben. Um dem – dann berechtigten – Vorwurf der Gesinnungskontrolle zu entgehen, muss in subjektiver sowie – unbedingt – in objektiver Hinsicht ein Verstoß gegen eine rechtlich legitimierbare Verhaltensnorm vorliegen.239 Daran kann selbst die negative Einkleidung einer grundsätzlich wertneutralen Verhaltensweise durch entsprechende sprachliche Wendungen nichts ändern: Ein farbloses Verhalten erhält selbst dann kein unrechtes Gesicht, wird ihm ein besonders negativ besetzter Name verliehen. So erlangt das neutrale „Werben“ nicht allein dadurch seinen Unrechtscharakter, dass es als „Propaganda treiben“ umschrieben wird.240 Wenngleich die insbesondere medienwirksame Verzerrung von Begrifflichkeiten einen gewissen Modegrad erreicht haben mag: Im Strafrecht darf sie nicht den Blick auf die Beurteilung des notwendigen Unrechtsgehalts eines Verhaltens verstellen. Es bleibt damit trotz aller potentiellen sprachlichen Hürden und Finten bei der Notwendigkeit der Bestimmung des rechtlich relevanten Charakters einer Verhaltensweise als störende. Dem Etikettenschwindel darf nicht Vorschub geleistet werden.
238 Freund, Erfolgsdelikt, S. 98 spricht in diesem Zusammenhang von einem „Gesamtgefüge, bei dem Objektives und Subjektives lediglich unselbständige Teilaspekte des für das Strafrecht bedeutsamen ,Normbruchs‘ darstellen“. 239 Zu Recht erkennt daher Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 184 ff., dass die von Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 753 ff. vorgeschlagene Differenzierung von rein internem und externem Verhalten nicht in hinreichender Trennschärfe die Kriterien strafbaren Verhaltens zum Ausdruck bringt. Es hilft nicht weiter, „die Normwidrigkeit eines Verhaltens aufgrund einer Abgrenzung der Externa von den Interna zu bestimmen. Denn was als extern zu gelten hat, weil es Gegenstand eines Interessenkonflikts ist, ist methodisch richtig im Rahmen der Normgenese zu behandeln“. Gemeint ist also die stets erforderliche Durchführung einer Güter- und Interessenabwägung bei der Begründung legitimer Verhaltensnormen. Indessen hat auch Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 756 diesen Gesichtspunkt keineswegs übersehen und stellt daher richtigerweise fest: „Sowenig ein bloßer Gedanke eine Störung des Zusammenlebens abgeben kann, sowenig kann es jedes andere Verhalten, das sich in der Privatsphäre hält, solange die Privatsphäre nicht mit derjenigen eines anderen Menschen konkurriert, und dann ist sie nicht mehr privat.“ Den Charakter des „Internen“ weisen mithin auch bei Jakobs allein diejenigen Verhaltensweisen auf, die bei einer Abwägung mit widerstreitenden Interessen einen Vorrang der eigenen Schutzbedürftigkeit für sich verbuchen können. 240 Zu diesem und weiteren Beispielen vgl. W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 97.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
c) Keine abweichende Bewertung angesichts eines „Grundrechts auf Sicherheit“ Eine abweichende Einschätzung der Legitimität von Verhaltensnormen, die in spezifischer Form das Haben einer Einstellung verbieten, lässt sich auch nicht vor dem Hintergrund eines „Grundrechts auf Sicherheit“ erzielen. Dieses beinhalte einen Anspruch des Bürgers auf solche Normen, die durch Steuerung gesellschaftlicher Prozesse Sicherheit vor den Übergriffen anderer produzieren sollen.241 Unter diesem Gesichtspunkt könnte erneut ins Feld geführt werden, dass sich die Gewährleistung eines Höchstmaßes an Sicherheit ohne Zweifel durch frühestmögliche Kontrolle des Individuums realisieren ließe. Das Eingreifen in die Gedankenfreiheit könnte vor diesem Hintergrund als Garant von Sicherheit legitimierbar sein. Jedoch lässt sich ein „Grundrecht auf Sicherheit“ letztlich in seinem materiellen Gehalt auf die Zusammensetzung von gefährdeten Individualinteressen der Rechtsteilnehmer reduzieren. Es handelt sich insofern um nichts anderes als einen Oberbegriff für rechtlich schutzwürdige individuelle Rechte.242 Für das Verbot reiner (schlechter) Gedanken vermag das „Grundrecht auf Sicherheit“ daher nicht mehr zu leisten, als die bisherige Untersuchung ergeben hat: Die Legitimität solcher Vorschriften lässt sich in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht herstellen.243 d) Legitimität von Sanktionsnormen, die gesinnungsreglementierende Verhaltensnormen schützen Die Feststellung, dass Vorschriften, die das Haben, Sich-Aneignen oder NichtUnterdrücken von spezifischen wertwidrigen Gesinnungen verbieten, in einem freiheitlichen Rechtsstaat keine Legitimität für sich beanspruchen könnten, erüb241 Sicherheit versteht Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 21 ff. als status positivus libertatis. 242 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 22 ff. will sogar so weit gehen, ideelle Rechtsgüter wie die Ehre aus der Sicherheitsthematik gänzlich auszuscheiden. Siehe auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 15. – Die Diskussion verläuft hier analog der Debatte um einen eigenständigen Gehalt eines Rechtsguts des „öffentlichen Friedens“. Vgl. dazu ausführlich unten D. II. 4. 243 Hingegen weist das Credo nach einem auch strafrechtlich selbstständig zu schützenden „Grundrecht auf Sicherheit“ erhebliche Gefahren für den Bestand des rechtsstaatlichen Strafrechts auf. So deutet die darin angelegte Verschleierung seines wahren materiellen Gehalts eindeutig in eine präventive Richtung, die auch die – im Strafrecht nicht gewollte – Etablierung spezialpräventiver Elemente nicht von vornherein auszuschließen vermag. Im Strafrecht ist Vorsicht in der Schaffung scheinbar „neuer“ Rechtsgüter geboten: Trotz berechtigter Ausweitung des Strafrechts auf den Bereich abstrakter Gefahren angesichts ihrer erhöhten praktischen Häufigkeit und des damit oftmals einhergehenden hohen Ausmaßes des drohenden Schadens muss eine Grenze des „Risikostrafrechts“ gegenüber dem Faktor Mensch gewahrt werden. Der Einzelne darf nicht allein aufgrund seiner Persönlichkeit zum strafrechtlich relevanten Risiko erhoben werden. Siehe zu diesem Themenkomplex noch ausführlich unten B. III. 1. b), D. II. 2.
II. Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung
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rigt grundsätzlich die strafrechtliche Beurteilung von Sanktionsnormen, die eben solche „Verhaltensnormen“ schützen wollten. Das Verbot bestimmter Geisteshaltungen ist nicht mit dem Programm einer freiheitlichen Grundordnung in Einklang zu bringen, sodass bereits die Benennung eines legitimen Zwecks solcher Vorschrift zum Scheitern verurteilt ist. Dass eine entsprechende Sanktionsnorm sich ebenfalls nicht legitimieren ließe, ist Ergebnis eines erst recht-Schlusses: Verstößt staatliche Reglementierung in einem bestimmten Bereich des menschlichen Miteinanders ganz allgemein gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, muss dies erst recht für die denkbar härteste staatliche Eingriffsmaßnahme – Strafe – gelten. Die Frage der Rechtmäßigkeit eines Verbots, das in irgendeiner Form das Haben einer Gesinnung erfasst, ist keine strafrechtliche. Im Gegenteil ließ sich bereits im vorstrafrechtlichen Bereich die Illegitimität solcher Vorschriften herausarbeiten. Für das Strafrecht kann kein abweichendes Ergebnis erzielt werden. Der Schutz rechtswidriger „Verhaltensnormen“ ist nicht Aufgabe des rechtsstaatlichen Strafrechts. Sanktionsnormen, die gesinnungsreglementierende Vorschriften schützen, sind in der Folge ebenso illegitim wie die ihnen zugrunde liegenden Verhaltensnormen. e) Legitimität strafzumessungsrechtlicher Einbeziehung der Gesinnung Nach dem bislang Gesagten verdient ein freiheitliches Strafrecht jedenfalls für den Bereich der Strafbarkeitsbegründung angesichts der Illegitimität entsprechender Verhaltensnormen das Prädikat der Gesinnungsabstinenz. Für die Strafzumessung haben sich bereits bei der Auswertung der kantischen Philosophie Unstimmigkeiten ergeben, die eine Einbeziehung der Gesinnung für die Bemessung der Strafe nicht gänzlich auszuschließen vermochten. In diese Richtung gehen auch mehrheitliche Bestrebungen innerhalb der heutigen Strafrechtswissenschaft, deren Vertreter der Gesinnung straftatsystematisch fast durchgängig einen gewissen Stellenwert beimessen.244 Unterstützt wird solches Vorgehen jedenfalls prinzipiell durch die seitens der Rechtsprechung in der praktischen Anwendung nicht gescheute245 Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 Var. 2, der Umstände benennt, die bei der Zumessung eine Rolle spielen sollen. Hier lässt sich wie selbstverständlich nachlesen, dass „die Gesinnung, die aus der Tat spricht“ einen solchen Faktor ausmache. Welche Schwierigkeiten hinter solcher Formulierung lauern, lässt sich dabei allenfalls erahnen.
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Vgl. dazu die Literaturnachweise unten Einleitung zu C. Vgl. nur BGH NJW 1979, 1835; StV 1987, 343; NJW 1987, 2687; NStZ 1991, 81; NStZ-RR 2002, 105; OLG München, StRR 2010, 73, 73 f.; OLG Oldenburg NJW 1968, 1293, 1294. 245
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
aa) Auch Strafschärfung ist ein separates (weiteres) Übel Analog der Problematik innerhalb der Strafbarkeitsbegründung ist es für den Bereich der Strafbemessung entscheidend, ob es sich bei einer Strafschärfung, die an eine wertwidrige Gesinnung des Einzelnen anknüpft, überhaupt um eine Bestrafung der Gedanken handelt, die oben als mit den Vorgaben einer freiheitlichen Grundordnung unvereinbar abgelehnt werden konnte. Vorbringen ließe sich, dass bei Vorliegen einer rechtswidrigen Tat ohnehin Strafe verhängt werden müsse. Dass nun in der Bemessung der Strafe auf die Haltung des Täters zu dem Wert, den er verletzt hat (oder sogar zu ganz anderen Werten – der Phantasie sind insoweit offenbar keine Grenzen gesetzt246), Bezug genommen wird, stelle keine gesonderte Gesinnungsbestrafung dar: Es komme ja nur noch auf die Frage des „Wie“ der Strafe, nicht aber auf das „Ob“ an, für das ganz andere Regeln zu gelten hätten. Deutlich formuliert liefe eine solche Argumentation darauf hinaus, dass allein innerhalb der grundsätzlichen Strafbarkeitsbegründung echtes Gedankenstrafrecht ausgeschlossen wäre – sofern es um Fragen von Art und Höhe der Strafe ginge, könnte die Gesinnung des Täters hingegen durchaus eine Rolle spielen. Hierfür ließe sich ins Feld führen, dass insbesondere das im Rahmen der Strafbarkeitsbegründung ausschlaggebende Risiko von Verdachtsstrafen entfalle, sofern sich die negative Haltung des Einzelnen in einer rechtswidrigen Tat realisiert habe. Jetzt bestünde nicht mehr die Gefahr, eine Person zu bestrafen, die womöglich doch nicht ihrer Geisteshaltung entsprechend gehandelt hätte, mithin nicht zum Rechtsbruch übergegangen wäre. Indem es nämlich zur Tatbegehung gekommen sei, hätte der Täter gewissermaßen seine Gedankenfreiheit verspielt; Strafe dürfte nunmehr selbst die schlechte Einstellung des Einzelnen berücksichtigen. Indes spielt es für die Frage nach einem Eingriff in die Gedankenfreiheit der Person zunächst keine Rolle, ob dieser im Wege einer strafbewehrten Verhaltensnorm, die jedenfalls auch die Gesinnung des Einzelnen im Blick hat, oder aber durch die Verhängung eines aufgrund der Einstellung des Täters erhöhten Strafmaßes erfolgt. In jedem Fall lässt sich ein Übel ausmachen, das allein an die schlechten Gedanken anknüpft und damit originäres Gesinnungsstrafrecht darstellt. So lässt sich bei der Strafzumessung eindeutig ein überschießender Anteil isolieren, der ausschließlich an die Geisteshaltung des Täters anknüpft.247 Dieses 246 Diesem Umstand ist etwa auch das seitens Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767 ff. empfundene Bedürfnis geschuldet, eine klare Abgrenzung außertatbestandlicher von tatbestandlichen Gesinnungen vorzunehmen, von denen aus seiner Sicht allein die letzteren im Strafrecht einen Stellenwert einnehmen dürfen. Vgl. die Stellungnahme zum Konzept Frischs unten C. III. 3. 247 Dies gilt jedenfalls in der Theorie: Die häufig in der Strafbemessung vorzufindende Intransparenz von Gerichtsentscheidungen wird es in der Praxis erschweren, den spezifischen Anteil der Gesinnung am Strafmaß klar auszumachen. Siehe zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit von Strafzumessungsentscheidungen allgemein
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separate – zusätzliche – Übel wird allein aufgrund der schlechten Gedanken des Einzelnen verhängt. Es richtet sich also ein spezifischer Teil der Bestrafung unmittelbar gegen die Gesinnung der Person. Dabei gilt es mit Blick auf die Strafzumessung, sich nicht durch die prinzipielle Notwendigkeit von Strafe blenden zu lassen. Dass Strafe aufgrund des erfolgten Normbruchs notwendig und legitim ist, bedeutet keinen Freischein für die Missachtung allgemeiner Grundsätze in einem freiheitlichen Rechtsstaat. So „verspielt“ der Täter nicht etwa seine Gedankenfreiheit, indem er eine rechtswidrige Tat begeht. Im Anschluss an das oben Gesagte hat er lediglich zu dulden, dass seine Freiheit in einem Umfang beschnitten wird, der seinem Normbruch entspricht. Der Letztere ist jedoch durch die Geisteshaltung des Betreffenden bei der Tat grundsätzlich nicht beeinflusst, sondern erschöpft sich in der Rechtsverletzung durch das konkrete – vom Wissen des Täters getragene – Verhalten.248 Anders verhält es sich allenfalls, wenn durch die Einstellung des Betreffenden die objektive Gefährlichkeit seines Verhaltens erhöht wird. Hiervon kann beispielsweise bei der Anwendung besonderer Brutalität ausgegangen werden, deren Ursprung in einer den angegriffenen Wert erheblich negierenden Wertehaltung zu finden sein kann. Jedoch ist es auch hier bei Lichte besehen nicht die Gesinnung der Person, die einen höheren Unwert verkörpert, sondern allein die im jeweiligen Verhalten tatsächlich realisierte Gefahr, die aus einer Gesinnung erwachsen kann.249 Damit lässt sich festhalten, dass auch bei Verhängung einer härteren Strafe aufgrund einer wertwidrigen Geisteshaltung des Täters bei Tatbegehung die Bestrafung seiner Gedanken im Raum steht. Diese lässt sich aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat unter Heranziehung der obigen Argumentation nicht legitimieren. bb) Abweichender Stellenwert der Tätergesinnung in der Strafzumessung aufgrund unterschiedlicher straftheoretischer Fundierung Die voranstehenden Ausführungen haben eines bislang vorweggenommen: Die Legitimation von Strafe wird umfassend verstanden. Sie zieht sich nicht auf die theoretische Begründung der Notwendigkeit von Strafe in einem freiheitlichen Rechtsstaat zurück, sondern findet ihre praktische Anwendung u. a. auch in den
Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 49 ff., 55 ff.; Maurer, Komparative Strafzumessung, S. 126 ff. 248 Dass die Überlegung, die Infragestellung des Rechts seitens des Täters bei Vorliegen einer rechtsfeindlichen Gesinnung im Zeitpunkt der Tatbegehung sei eine gesteigerte, die ihrerseits eine erhöhte Strafe erforderlich mache, im individualpräventiven Polizeirecht verwurzelt ist, soll unten C. III. 3. ausführlich dargelegt werden. Eine solche Vermengung unterschiedlicher Rechtsgebiete und deren Legitimationszwecke wird vorliegend vehement abgelehnt. Aus Darstellungsgründen muss an dieser Stelle noch von einer Würdigung spezialpräventiver Unrechts- oder Schuldbegriffe in der Literatur abgesehen werden. 249 Vgl. dazu noch unten C. III. 4.
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für die Strafhöhe maßgeblichen Faktoren. Der Strafzweck entfaltet sonach sowohl innerhalb der Strafbarkeitsbegründung (Straftatlehre) als auch der Strafzumessung und dem Strafprozess seine legitimierende Kraft und kann nicht auf einer der für die Bestrafung des Einzelnen relevanten Ebenen außer Acht gelassen werden. Vor diesem Hintergrund konnte jeder Form des Gesinnungsstrafrechts im Rahmen von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung kategorisch als unvereinbar mit den Grunddeterminanten eines freiheitlichen Rechtsstaats – verkörpert im straftheoretischen Konzept – eine Absage erteilt werden. Das eigene Verständnis der Gesinnungsabstinenz der Strafzumessung steht und fällt jedoch mit dem Festhalten an solchem gemeinsamen Legitimationskonzept innerhalb der einzelnen Bereiche des Strafrechts. Zur Vergewisserung seiner Richtigkeit lohnt daher ein kurzer Seitenblick auf die herkömmliche Strafzumessungslehre. Vor allem die für das Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung maßgebliche Ausscheidung spezialpräventiver Erwägungen, die die Gefährlichkeit des Einzelnen als Person im Blick haben, muss sich zudem innerhalb der Strafbemessung bestätigen. Von Interesse ist damit nachfolgend primär die Frage des legitimatorischen Gleichklangs von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung. Auffassungen, die einen solchen verneinen wollen, ist in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zu schenken. (1) Spielraumtheorie und Kritik Beherrscht wird die strafzumessungsrechtliche Landschaft sowohl in Praxis als auch Lehre von der sogenannten Spielraumtheorie.250 Sachlich handelt es sich dabei um eine Vereinigungslehre, die den Spagat zwischen relativen und absoluten Straftheorien anstrebt. Der Spielraumtheorie liegt die Vorstellung zugrunde, dass einer bestimmten Tat nicht eine konkrete schuldangemessene Strafe zugeordnet werden könne, sondern allein ein Spektrum solcher Strafen. Innerhalb des damit entstandenen Rahmens schuldangemessener Strafe obliege es dem Rechtsanwender, die spezifische Ausgestaltung des konkreten Strafmaßes durch präventive Gesichtspunkte vorzunehmen. Insbesondere spezialpräventive Erwägungen, die ausschließlich auf die (künftige) Gefährlichkeit des Täters blicken, könnten auf diese Weise im Rahmen der Strafzumessung fruchtbar gemacht werden. Damit fielen vorhandene Gegensätze der unterschiedlichen „Straftheorien“ weniger ins Gewicht – ein Kompromiss, der offenbar beide Lager zufriedenstellen soll. Allein ein Überschreiten des Maßes der Schuldangemessenheit sei ausgeschlossen, während die Zulässigkeit seines Unterschreitens kontrovers beurteilt wird. In 250 BGHSt 7, 28, 28 ff.; BGHSt 20, 264, 264 ff. Vgl. die Darstellung bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 232 ff., 263 ff.; Frisch, BGH-FS, S. 269, 271 ff.; Haas, Strafbegriff, S. 274 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 23 ff. mit einer Fülle an weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. Ferner MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 59 f.; Schaffstein, Gallas-FS, S. 99 ff.; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 20; Streng, Sanktionen, Rn. 480 ff.
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ihrer Etablierung präventiver Gesichtspunkte in der Strafbemessung widerspricht die Spielraumtheorie also dem vorliegenden Verständnis von Strafe, wonach Prävention in keiner Ebene der Bestrafung einen legitimen Stellenwert einnimmt. Sie ist daher geeignet, ein erheblich abweichendes Bild relevanter Strafzumessungsfaktoren zu zeichnen. Die Spielraumtheorie ist aber in mehrfacher Hinsicht berechtigten Zweifeln ausgesetzt.251 Die Kritik kann zunächst noch allgemein gehalten werden. So ist bereits die Umsetzung des theoretischen Konzepts der Spielraumtheorie in der Praxis kaum vorstellbar. Als hinderlich für die praktische Realisierung erweist sich dabei der Mangel eines klaren Rahmens schuldangemessener Strafe. Wie weit bzw. eng der Schuldrahmen gefasst ist, lässt sich der Spielraumtheorie nicht entnehmen und birgt so erhebliche Rechtsunsicherheiten. In der Tat sind deutlich ungleiche Strafen die unmittelbare Konsequenz. Ferner entspricht die Ausfüllung des Schuldrahmens mit präventiven Aspekten kaum der Vorgehensweise in der praktischen Wirklichkeit. So fehlen in aller Regel die erforderlichen prognostischen Kenntnisse, die aber realistische spezial- oder generalpräventive Sanktionswirkungen erst möglich machen können. Mit Blick auf individualpräventiv notwendige Hintergrundinformationen über den Täter liegt darin wohl ein den Rechtsanwender faktisch überforderndes Bedürfnis. In der Folge gerät die Verbindung präventiver Gesichtspunkte mit dem Schuldausgleich innerhalb der Strafzumessung in ihrer praktischen Häufigkeit und Relevanz ins Hintertreffen. Für den Rechtsanwender birgt dies im Übrigen nicht nur Nachteile: Die Spielraumtheorie stellt an ihn keine besonders hohen Anforderungen hinsichtlich der Begründung des konkreten Strafmaßes – oftmals genügen reine Floskeln. Zu Recht wird die Spielraumtheorie von Kritikern daher als „Theorie der eingeschränkten Richtigkeitskontrolle“ 252 betitelt. Unabhängig von der Frage nach dem legitimen Stellenwert präventiver Erwägungen innerhalb der Strafzumessung als Teilbereich von Strafe kann die Spielraumtheorie als Strafzumessungskonzept nicht überzeugen. Offen bleibt aber, ob nicht auf andere Weise präventive Gesichtspunkte in der Strafzumessung Berücksichtigung finden können. So ergibt sich aus der Kritik an der Spielraumtheorie nicht unmittelbar die Ausscheidung jedweder präventiver Überlegungen aus dem Bereich der Strafbemessung. Es gilt hingegen, weiter zu prüfen, ob nicht doch eine Differenzierung des theoretischen Fundaments von Strafe in deren grund251 Vgl. die ausführliche Kritik bei Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 23 ff., 63 ff. Siehe auch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 268 ff., 277 ff.; Freund, GA 1999, 509, 533 m. Fn. 90; Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 361 ff., 751, 786 ff., 790 ff.; dens., BGH-FS, S. 269, 274 ff. (mit weiterführender Kritik); dens., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 155, 159 ff.; Hörnle, JZ 1999, 1080 f.; Kohlschütter, Dekonstruktion, S. 166 ff.; MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 60; Schünemann, in: Eser/ Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209, 210 ff., 213 ff.; Streng, Sanktionen, Rn. 481 ff. 252 Vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 35 f.
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sätzliche Erforderlichkeit auf der einen und die Strafzumessung auf der anderen Seite denkbar ist. Erst ein klares Nein als Antwort auf solche Fragestellung kann letzte Zweifel an der Richtigkeit der Gesinnungsabstinenz der Strafzumessung ausräumen. (2) Unterscheidung des theoretischen Fundaments von Strafe und Strafzumessung Die Abkehr von einer teleologischen Fundierung der Strafzumessung, die sich mit dem Strafzweck deckt, erklärt, wer auf die „notwendige Differenzierung zwischen dem Existenzgrund einer sozialen Institution und den Prinzipien, die ihre Arbeitsweise im einzelnen regeln“ rekurriert.253 Danach könne eine Unterscheidung von Straftheorie und Strafzumessungstheorie auf der Idee fußen, dass für die Existenzgrundlage eines Systems andere Regeln gelten als für seine praktische Ausgestaltung. Letztere könne als beschränkendes Prinzip fungieren, um offenbar zu weitreichende Konsequenzen der Grundkonzeption in einen angemessenen Rahmen zu fassen. Als Vergleich dient die Rechtsfigur des zivilrechtlichen Vertrags.254 Dessen Ratio sei allgemein auf die Verwirklichung des individualisierten Willens gerichtet. Komme es hingegen zwischen den vertragschließenden Parteien zu Missverständnissen, seien diese im Wege einer objektiven Auslegung zu beheben. Hieran sei ersichtlich, dass die grundlegende teleologische Ausrichtung eines Rechtsinstituts nicht zwingend auf jede denkbare Anwendungsvariante durchschlägt. Im Gegenteil seien Einschränkungen erforderlich, die bewusst von dieser Zweckrichtung abwichen. Ähnlich verhielte es sich im Gesundheitswesen. Zwar erfolge die Einrichtung und Unterhaltung von Krankenhäusern zum Nutzen der Allgemeinheit; die Aufnahme von Patienten richte sich hingegen nicht nach utilitaristischen Maßstäben. Auf das Strafrecht übertragen wollen Vertreter solcher Auffassung die Straftheorie der Generalprävention verpflichtet sehen. Im Bereich der Strafzumessung sei hingegen eine Beschränkung der mit solchem Utilitarismus einhergehenden Legitimationsweiten erforderlich. Als Lösungsvariante wird seitens Hörnle die von dem generalpräventiven Strafzweck losgelöste tatproportionale Strafzumessung angeboten, die ihrerseits – verstanden als Straftheorie – im Lager der absoluten einzuordnen wäre.255 Indes kann sich die besagte Differenzierung von Straftheorie und Strafzumessungstheorie angesichts der einschlägigen Kritik nicht behaupten.256 Dies folgt
253
Siehe dazu Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 126 f. Die Beispiele stammen von Hart, Prolegomenon, S. 8 ff. 255 Vgl. zu diesem strafzumessungstheoretischen Konzept Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 108 ff. (3. Teil). Siehe ferner dazu noch unten C. I. 256 Siehe zur weiteren Kritik auch Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 53; Weigend, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 199, 203. 254
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unmittelbar aus einer genaueren Analyse der angebotenen Beispielsfälle, die allenfalls einen entfernten Bezug zur strafrechtlichen Problematik der theoretischen Fundierung von Strafe und Strafzumessung aufweisen. Letztere ist nach den Vertretern des Differenzierungsmodells durch einen Konflikt unterschiedlicher Zweckrichtungen geprägt. So richte sich die Straftheorie nach den Grundsätzen der Generalprävention, während innerhalb der Strafzumessung retributive Erwägungen brauchbar gemacht werden sollen. Es handelt sich dabei – wie frühere Ausführungen gezeigt haben257 – um straftheoretische Konzeptionen, die erheblich voneinander abweichen und deutlich unterschiedliche Folgen für das Strafrecht zeitigen. Ein solcher Konfliktfall divergierender Zielsetzungen ist jedoch für das Beispiel des zivilrechtlichen Vertrags nicht zu verzeichnen. Zwar könnte solcher Eindruck entstehen, indem das grundsätzlich am Parteiwillen ausgerichtete Institut in der Auslegung durch objektive Methoden durchdrungen wird. Allerdings dient auch diese Auslegungsmethode allein dazu, dem individuellen Willen beider Parteien in größtem Umfang trotz des Missverständnisses noch gerecht zu werden. Eine optimale Umsetzung des Willens der Vertragsparteien ist aufgrund deren abweichenden Verständnisses der getroffenen Vereinbarung in einem konkreten Punkt nicht mehr zu realisieren. Um aber den Vertrag nicht in seiner Gesamtheit zu gefährden (was selbst die partielle Verwirklichung des Parteiwillens zunichte machte), entspricht es den Interessen beider Vertragschließenden, dass ihrem Willen jedenfalls in bestmöglicher Weise Rechnung getragen wird. Insoweit weicht die objektive Auslegung nicht von der grundlegenden Zielrichtung des zivilrechtlichen Vertrags ab. Dann müsste es dabei nämlich um etwas anderes gehen als die Umsetzung des individuellen Parteiwillens. Dem ist aber gerade nicht so. Zwar kann die objektive Auslegungsmethode dazu führen, dass der Wille eines Vertragsschließenden nicht optimal umgesetzt wird – indem beispielsweise dem Verständnis des anderen Teils hinsichtlich einer getroffenen Vereinbarung Recht gegeben wird. Dies läuft aber nicht dem Grundzweck von Verträgen zuwider, sondern ist vielmehr unmittelbarer Ausdruck ihrer Zielsetzung. Damit der Vertrag nicht gänzlich scheitert, wird objektiv ermittelt, worauf sich der Parteiwille richtet.258 Hierin liegt also im Gegensatz zur strafrechtlichen Problematik kein Konfliktfall unterschiedlicher Zweckrichtungen. Im Gegenteil dient die objektive Auslegungsmethode in besonderem Maße der Realisierung der grundlegenden Ratio solcher Verträge. Während damit die Methode der objektiven Auslegung von Willenserklärungen einerseits dem grundlegenden Zweck dient, einen Vertragsschluss trotz Unstimmigkeiten über den konkreten Vertragsinhalt von Seiten der Parteien zu ermöglichen, kommt noch ein Weiteres hinzu. So legt die Annahme, eine objektive
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Vgl. oben B. II. 1. Siehe auch Larenz/Wolf, BGB AT, § 2 Rn. 43. Vgl. außerdem die Nachweise in der nachfolgenden Fn. 258
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Auslegung von Willenserklärungen widerspräche der prinzipiellen Intention des zivilrechtlichen Vertrags, den individualisierten Willen zu verwirklichen, zu Unrecht dem allgemeinen Zivilrecht eine Vorstellung absoluter Willensherrschaft der Vertragsschließenden zugrunde. Indem aber bei Auftreten eines Missverständnisses ermittelt wird, wie die Erklärung von Seiten des Erklärungsempfängers objektiv zu verstehen war, offenbart sich gerade die Entscheidung des Gesetzgebers für den Vertrauensschutz bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu Lasten eines einseitigen Willensdiktats. Zwar legt die Privatautonomie grundsätzlich den Schwerpunkt auf den selbstbestimmten Willen des Erklärenden. Sofern aber der Erklärungsempfänger durch die Rechtsfolgen der Willenserklärung in seiner Rechtssphäre tangiert ist, muss er sich hierauf jedenfalls einstellen können. Die Willenserklärung darf ihm gegenüber daher nur insoweit eine Wirkung entfalten, wie sie von ihm zu verstehen war. Hierfür spricht insbesondere, dass der Erklärende es grundsätzlich in der Hand hat, welches Mittel bzw. welche Form er zur Kommunikation seines Gedankeninhalts wählt. Es ist dann auch gerechtfertigt, ihm das Risiko aufzubürden, dass er letztlich den objektiven Erklärungsinhalt gelten lassen muss. Die reine Willensherrschaft wird sonach durch das Bedürfnis des Vertrauensschutzes angemessen begrenzt. Indem es damit zu einer sachgerechten Begrenzung des Ziels der optimalen Umsetzung des individualisierten Parteiwillens kommt, wird aber der selbstbestimmte Wille nicht bedeutungslos, sodass der allgemeinen Intention zivilrechtlicher Verträge durch die Methode objektiver Auslegung nicht widersprochen wird.259 Kaum übertragbar auf die anstehende Thematik ist zudem das Beispiel aus dem Gesundheitswesen. Einrichtung und Erhaltung von Krankenhäusern dienen zwar der Allgemeinheit und scheinen damit zuvörderst eine utilitaristische Zwecksetzung zu verfolgen. Indes ist hierin nicht das alleinige Ziel solcher staatlichen Maßnahmen zu erblicken. Es geht dabei vielmehr gerade auch um die Gesundheit des Einzelnen, die von Staates Seite gefördert wird – und dabei erfüllt die öffentliche Hand eine klassische Schutzpflicht dem Einzelnen gegenüber. Der Blick auf utilitaristische Erwägungen kann einen gleichzeitigen, den individuellen Interessen der Person Rechnung tragenden Zweck nicht verhüllen. Dann aber fügt sich die von dem Allgemeinnutzen befreite Aufnahme von Patienten in ein Krankenhaus außerhalb von Krisensituationen260 problemlos in das gezeichnete Bild der Krankenversorgung in einem freiheitlichen Staat. Auch hier ist ein Konflikt divergierender Zielsetzungen nicht zu verzeichnen, sodass der Vergleich mit der Fundierung von Straf- und Strafzumessungstheorie hinkt.
259 Vgl. zur Auslegung von Willenserklärungen Boecken, BGB AT, Rn. 243 ff.; Brox/Walker, BGB AT, Rn. 125 ff.; Faust, BGB AT, § 2 Rn. 10 ff.; Larenz/Wolf, BGB AT, § 28 Rn. 1 ff., insbesondere Rn. 13 f., 34 ff.; Medicus, BGB AT, § 24 Rn. 323 ff. 260 Beispielsweise in Kriegszeiten kann es naheliegen, die Aufnahme von Patienten anhand des Allgemeinnutzens zu entscheiden.
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Die vorgeschlagene Differenzierung von Straf- und Strafzumessungstheorie kann damit nicht überzeugen. Bestrebungen in diese Richtung scheinen ohnehin einem eher sachfernen Beweggrund verschrieben, der in der Vermeidung von Vorverurteilungen des Konzepts tatproportionaler Strafzumessung als „absolute Straftheorie“ zu finden ist.261 Weit verbreitet innerhalb der deutschen Strafrechtswissenschaft ist nach wie vor die kategorische Ablehnung all dessen, das im Entferntesten an eine retributive Straftheorie erinnert.262 Die Heftigkeit der ihm entgegentretenden Ablehnung vermag durchaus abzuschrecken. Wer Unvoreingenommenheit des Adressatenkreises gegenüber der eigenen Strafzumessungstheorie erzielen will, hält sich daher in weiser Voraussicht weit entfernt von jedweder mit absoluten Straftheorien einhergehenden negativen Konnotation. Trotz allen Verständnisses für solche Vorgehensweise angesichts der momentanen Situation im deutschen Strafrecht können derartige Erwägungen aber den Bruch einer notwendigen Einheit letztlich nicht rechtfertigen. Strafe umfasst sämtliche Bereiche, in denen sanktionierend auf einen Normverstoß des Täters reagiert wird. Bereits aus dieser kaum ernstlich zu bestreitenden Erkenntnis ergibt sich die innere Verbundenheit von Straftheorie und Strafzumessung.263 Insbesondere das verhängte Strafmaß stellt neben dem im Schuldspruch zum Ausdruck kommenden Tadel der Person den maßgeblichen Rechtseingriff dar, der durch ein theoretisches Konzept zu legitimieren ist. Die Ausformung des Strafübels steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit dem theoretischen Fundament von Strafe und darf nicht – aus Angst vor Unstimmigkeiten in diesem Bereich – isoliert betrachtet werden. Solche Isolation wird dem beschriebenen Stellenwert der Strafzumessung aus Sicht des Täters nicht gerecht und schafft außerdem dort künstliche Grenzen, wo sie sich nach den Gesetzen der Logik unter keinen Umständen erheben dürften. Zudem liegen hierin nicht zu unterschätzende Gefahren für den Einzelnen: Fußt die Strafbemessung nicht auf dem straftheoretischen Konzept, ist nach dem hiesigen Verständnis von Strafe keine Rückbindung an den Normbruch des Einzelnen garantiert. Es droht viel261 Auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 126 wehrt sich gegen die Etikettierung des tatproportionalen Strafzumessungsmodells als absolute Straftheorie. 262 Siehe dazu schon oben B. II. 1. a) dd). 263 Vgl. statt aller Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 7 ff., 14 f., 19 ff. m.w. N.; dens., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 1, 7; dens., BGH-FS, S. 269, 269. Siehe außerdem die Ausführungen bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 48 ff.; Duff, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 23, 24 ff.; Freund, GA 2005, 321 ff.; dems., GA 1995, 4 ff., insbesondere 9 ff., 14; dems., Straftat, S. 43 ff.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 111 ff.; Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 196 f.; Volk, ZStW 97 (1985), 871, 902 ff.; Weigend, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 199, 203. Auch v. Hirsch, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 47, 49 ff., 52 ff. vertritt grundsätzlich (allein für die Begründung der Notwendigkeit eines Strafübels will er auf präventive Überlegungen zurückgreifen) eine retributive Straftheorie, die ihm die überzeugende theoretische Fundierung der tatproportionalen Strafzumessung ermöglicht.
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mehr die sachwidrige Einbeziehung präventiver Gesichtspunkte einhergehend mit all jenen Nachteilen, die Prävention durch Strafrecht verkörpert.264 Die theoretische Gleichsetzung von Strafe und Strafzumessung ist daher nicht allein dem Wunsch nach Einheitlichkeit des Systems geschuldet. Sie entspricht vielmehr dem Bedürfnis, gerade in der unmittelbaren Reaktion auf strafbares Verhalten in Gestalt der Sanktion jene Leitlinien aufrecht zu erhalten, die eine angemessene Würdigung des Individuums als eines vernunftbegabten Teilnehmers einer freiheitlich demokratischen Ordnung unbedingt erforderlich macht. Wenngleich dieser Einwand mangelnder Rückbindung an den konkreten Normbruch des Einzelnen die Vertreter einer tatproportionalen Strafzumessung in der Sache nicht trifft, da es ihnen insbesondere um die Eingrenzung der in Gestalt der Spielraumtheorie ausufernden präventiven Strafzumessungsfaktoren geht,265 ist ihnen doch eines entgegenzuhalten: So fehlt es an einer entschlossenen Übertragung richtiger Einsichten hinsichtlich der Mangelhaftigkeit der Präventionstheorien auf die Ebene der Straftheorie.266 Wer erkennt, dass legitime Strafzumessung nicht unter Einbeziehung von individual- bzw. generalpräventiven Aspekten erfolgen kann, der muss in aller Konsequenz sein Urteil ebenfalls über die straftheoretischen Grundlagen fällen. Tut er dies – zu Recht –, so sollte er auch den Mut aufbringen, für die gewonnenen Ergebnisse offen einzutreten. Solche können dann aber nur so ausfallen, dass präventive Überlegungen bereits straftheoretisch nicht von zentraler Bedeutung sein dürfen. Alles andere widerspricht der notwendigen Einheit von Strafe, deren Zweckgedanke nicht nur das materielle Strafrecht, sondern auch die Ebenen von Strafzumessung und Strafprozess durchdringt. Die sachgerechte Lösung verschiedener Einzelprobleme lässt sich ausschließlich vor diesem Hintergrund überzeugend bewältigen. Straftheore264 Die Berücksichtigung präventiver Gesichtspunkte in der Strafhöhenbemessung ist als ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gesetzlichkeitsgrundsatz zu bewerten. Nach Art. 103 Abs. 2 GG ist die Möglichkeit zur Bestrafung spezifischen Verhaltens daran gebunden, dass eben dieses im Gesetz als strafbar gekennzeichnet wird. Bereits die Vorschriften des Besonderen Teils des StGB dürfen legitimerweise ausschließlich die Strafbarkeit spezifischer Fehlverhaltensweisen erfassen (zu durchaus problematischen Sanktionsnormen des geltenden Rechts vgl. unten D. I., II.). Indem aber die individuelle Gefährlichkeit des Einzelnen bzw. der Einfluss der Bestrafung auf das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit orientiert an den Maßstäben der freiheitlichen Grundordnung keine Erwähnung finden dürfen, lässt sich die Strafhöhenbestimmung nicht ohne Missachtung des verfassungsrechtlichen Gesetzlichkeitsgrundsatzes auf solche Faktoren ausdehnen. 265 Dass im Gewande der Spielraumtheorie die Gefahr des Einflusses nicht zu begrenzender subjektiver Wertung auf die Strafzumessung vergrößert wird, betont zu Recht Hörnle, JZ 1999, 1080 ff.; dies., Tatproportionale Strafzumessung, S. 36 ff. 266 Vor diesem Hintergrund ist auch an den grundsätzlich retributiven Straftheorien v. Hirschs, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 47, 54 ff. und Hörnles, Tatproportionale Strafzumessung, S. 119 ff. insoweit Kritik zu üben, als dass diese für die Legitimation der Übelszufügung auf präventive Erwägungen zurückgreifen. Eine solche Notwendigkeit besteht nicht, wie schon frühere Ausführungen belegen B. II. 1.
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tische Unklarheiten widersprechen hingegen der zutreffenden Intention einer Herausnahme präventiver Gesichtspunkte aus dem Bereich der Strafzumessung und sollten vermieden werden. f) Ausnahme bei bestimmten, besonders gefährlichen Gesinnungen? In jüngerer Zeit scheint es nunmehr spezifische Gesinnungen zu geben, die in der öffentlichen Wahrnehmung offenbar ganz besonders ins Gewicht fallen und deren Bedeutung bereits im geltenden StGB Niederschlag gefunden hat.267 Es kann hier schon aus Raumgründen nicht darum gehen, einschlägige Deliktstatbestände auf ihre rechtliche Legitimität hin im Detail kritisch zu hinterfragen.268 Vielmehr soll aufgezeigt werden, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung neuer Deliktstatbestände auf bestimmte Haltungen in Teilen der Bevölkerung reagiert hat und weiterhin reagiert. Ob indessen bei den nachfolgend genannten Vorschriften ausschließlich die Gesinnung des Einzelnen zum Gegenstand der Bestrafung erhoben wird, bleibt anderen Untersuchungen vorbehalten. So ist es im gegenwärtigen Kontext hinreichend, auf die Existenz solcher Vorschriften, die jedenfalls nicht ganz einwandfrei ein per se rechtlich zu missbilligendes Verhalten und immerhin zusätzlich die Haltung der Person strafrechtlich erfassen, hinzuweisen und eine Tendenz aufzuzeigen, die noch in Zukunft die Strafrechtswissenschaft sowie -praxis beschäftigen wird.269 Bevor indes auf eine Form des 267 Der gesetzgeberische Eifer geht einher mit einem in der Bevölkerung zu verzeichnenden, zunehmenden Bedürfnis nach mehr Sicherheit, das nicht immer mit der tatsächlichen Sicherheitslage in Einklang steht. Siehe dazu auch Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 52 ff. (mit dem Verweis darauf, dass die gesteigerte Komplexität einer Vielzahl für relevant erachteter gesellschaftlicher Bereiche hierfür (mit-)ursächlich ist); Kötter, KJ 2003, 64, 71 f.; Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 44 ff., 58 ff., (der darauf verweist, dass die Geschichte der Angst älter ist als heutige Terrorängste); Sieber, NStZ 2009, 353 m.w. N.; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 12 f.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 154. 268 Zur Legitimität des § 130 siehe die ausführliche Würdigung bei Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 282 ff. Vgl. auch Reichard, Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten, S. 96 ff., 104 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 162 ff. Fragen der Legitimität der §§ 89a, b, 91 entbrennen vorwiegend an dem Aspekt der Überbetonung des Präventiven im strafrechtlichen Kontext, der insbesondere in der Bestrafung an sich neutraler Alltagshandlungen aufgrund einer damit einhergehenden negativen Absicht und einer erheblichen Vorfeldinkriminierung zum Ausdruck kommt. Ferner wird die Vereinbarkeit der besagten Vorschriften mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – auch mit Blick auf die bedeutsame Strafhöhe der geplanten Normen – diskutiert. Siehe ausführlich dazu Gierhake, ZIS 2008, 397, 401 ff.; Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 120 ff.; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 388 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353, 361 ff.; Walter, KJ 2008, 443, 448 f.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 149, 155 f.; Zöller, GA 2010, 607, 614 ff. Kritisch zur grundlegenden Erweiterung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit des Staats und seiner Bürger siehe Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 38 ff. 269 Diese Einschätzung teilen Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 33 ff., 89 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353, 354. Auch mit dem Gesetzentwurf 16/12428 muss – trotz des
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angemessenen Umgangs mit solchen Gesetzgebungsbestrebungen einzugehen ist, sollen zunächst die relevanten Vorschriften sowie die in den jeweiligen Deliktstatbeständen jedenfalls indirekt miterfassten Gesinnungstypen klar benannt werden. Die Rede ist von Normen, die ein Verhalten verbieten, das von einer nationalsozialistischen oder islamistischen Gesinnung des Täters begleitet ist.270 Aus dem Bereich der nationalsozialistischen Haltung sei auf § 130 Abs. 3, 4 verwiesen, die das öffentliche bzw. in einer Versammlung vorgenommene Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von Handlungen, die in Zeiten des Nationalsozialismus begangen worden sind, bzw. von dessen Gewalt- und Willkürherrschaft verbieten.271 Aus dem Bereich der islamistischen Haltung sind beispielhaft die Vorschriften zur Bildung einer terroristischen Vereinigung (§§ 129a f.) sowie die §§ 89a (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 89b (Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat), 91 (Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat)272 zu nennen.273 Mit Blick auf die vorliegend primär dem islamistischen Extremismus zugeschriebenen Deliktstatbestände ist zwar einzuräumen, dass im Gegensatz zu § 130 Abs. 3, 4 keine explizite Nennung der betreffenden Gesin-
offenbar gelungenen Lückenschlusses (vgl. Fn. 273) – nicht das letzte Wort in Sachen Terrorbekämpfung gesprochen worden sein. Insbesondere die bereits in der Gesetzesbegründung erkannte Dynamik des Strukturwandels innerhalb der Terrororganisationen sowie der zunehmende Auslandsbezug der in Rede stehenden Verbrechen bieten auch für die Zukunft potentielle Regelungsbereiche. 270 Die Auswahl der hier näher untersuchten Gesinnungen ist der Aktualität des Gesetzentwurfs BT-Drs. 16/12428 v. 25.3.2009 geschuldet. Als Bedrohung wurden lange Zeit vor allem linksextreme Einstellungen empfunden, vgl. Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 326 f. Ein Wandel in dieser Einschätzung kann bis heute nicht ernstlich behauptet werde, wie etwa aktuelle Bestrebungen des Gesetzgebers in die Richtung einer verschärften Ahndung von Verstößen gegen § 113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) belegen – eine Reaktion auf erhöhte Gewaltanwendung insbesondere von Demonstrationsteilnehmern gegenüber Polizisten. Dass es sich dabei gerade auch um Demonstranten handeln wird, die dem linksautonomen Milieu zuzuordnen sind, liegt auf der Hand. Siehe dazu BR-Drs. 98/10 (Beschluss v. 07.05.10) sowie den GE Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Stand: 12.10.2010, BMJ-0-15-37. Vgl. allgemein zu dem Phänomen des politischen Extremismus Everts, Politischer Extremismus, insbesondere S. 13 ff.; Jaschke, Fundamentalismus in Deutschland. 271 In diesen Kontext gehören freilich auch die aktuellen Bestrebungen, verschärft im Bereich der von durch Hass motivierten Straftaten neue strafrechtliche Reaktionsmöglichkeiten zu schaffen. Der Hass gegen bestimmte Opfer beruht nicht selten auf einer rechtsextremistischen Gesinnung des Täters, BR-Drs. 577/00. Vgl. zur Hasskriminalität noch unten C. VII. 272 Siehe zum „Entwurf eines Gesetzes zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten“ RegE, BT-Drs. 16/12428 v. 25.3.2009. 273 Mit der Schaffung der neuen Paragraphen soll laut dem Gesetzentwurf das Ziel verfolgt werden, auch Einzeltäter, die gerade nicht in einer terroristischen Organisation eingebunden sind und daher nicht nach § 129a erfasst werden können, möglichst effektiv strafrechtlich zu verfolgen. Die bislang von § 129a und § 30 offen gelassene Lücke soll auf diese Weise zur Herstellung verstärkter Sicherheit geschlossen werden.
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nung im Gesetzestext erfolgt.274 Indes ergibt sich insbesondere aus der einschlägigen Entwurfsbegründung, dass gerade die Schaffung der besagten neuen Vorschriften (§§ 89a, b, 91) in unmittelbarem Zusammenhang mit der als Bedrohung empfundenen Verbreitung islamistischen Gedankenguts steht und als Gegenwehr auf mit solcher Ideologie begründete terroristische Delikte verstanden wird.275 Zwar betont zuletzt auch das Bundesverfassungsgericht, dass trotz einer Vorschrift wie § 130 Abs. 4 die Zurückdrängung nationalsozialistischer Meinungen dem freien gesellschaftlichen Diskurs überlassen sein und spezifische Meinungsäußerungen allenfalls insoweit eingeschränkt werden sollen, als diese eine klare Tendenz zum Hervorrufen von Rechtsbrüchen seitens Dritter in sich tragen.276 Seine Legitimität erlange die Vorschrift folglich primär aufgrund der erforderlichen Sicherstellung der Friedlichkeit innerhalb der Bevölkerung, die durch aggressive Verbreitung einer nationalsozialistischen Denkweise gefährdet sei.277 274 Verwundern muss den neutralen Betrachter in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass Terrorismus in der aktuellen Debatte vorwiegend (wenn nicht ausschließlich) als Ausfluss islamistischer Weltanschauungen erachtet wird. Wenn dies auch ein sehr häufiger und in der öffentlichen Wahrnehmung wohl schillerndster Phänotyp des besagten Verbrechensfeldes sein mag, so dürfen Formen beispielsweise des politischen oder nationalistischen Terrorismus nicht übersehen werden. Auch vor diesem Hintergrund ist der Entwurfsbegründung jedenfalls Einseitigkeit in ihrer Argumentation vorzuwerfen, was aber verstärkt den Eindruck entstehen lässt, es hier mit dem Erliegen gegenüber den „Versuchungen einer wählerwirksamen Erfüllung von Sicherheitserwartungen“ zu tun zu haben (Zitat nach Sieber, NStZ 2009, 353, 354). – Eine Darstellung der verschiedenen Erscheinungsformen des Terrorismus findet sich bei Hirschmann, in: Frank/ Hirschmann (Hrsg.), Terrorismus als internationale Herausforderung, S. 27, 40 ff. Zu bestehenden Schwierigkeiten und den daraus resultierenden Unsicherheiten in der trennscharfen Bildung eines Terrorismusbegriffs siehe nur Zöller, GA 2010, 607, 610 m.w. N. 275 Zwar ist im Gesetzentwurf 16/12428 das Bemühen erkennbar, die geplanten Vorschriften nicht einseitig auf die Fallgruppe des islamistischen Terrorismus zuzuschneiden, indem an verschiedenen Stellen zusätzlich auf ähnliche Gefahren hingewiesen wird, die von „Einrichtungen der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene“ ausgehen. Indes wird deutlich, dass Letztere im gegebenen Kontext gegenüber den „erheblichen Gefahren“ seitens islamistisch motivierter Täter offenbar weniger ins Gewicht fallen, sodass diese auch in der Gesetzesbegründung den Schwerpunkt bilden. Dies ergibt sich unter anderem aus der Auflistung aktueller Geschehnisse, die sich der Gesetzentwurf zum Anlass nimmt: Jene entstammen sämtlich dem Bereich des internationalen, islamistischen Terrorismus (Kofferbomber, Anschläge auf Passagierflugzeuge). Argumentativ darf die allenfalls nachgelagerte Nennung der rechtsextremistischen Szene hingegen nicht unterschätzt werden – unterstreicht diese doch wie keine andere die Wichtigkeit des Anliegens, verstärkt auch gegen Personen vorgehen zu wollen, die einer islamistischen Ideologie anhängen. Es bestätigt sich damit die bereits oben formulierte Beobachtung, in der aktuellen Debatte einen Schwerpunkt auf nationalsozialistische und islamistische Gesinnungen zu legen, die durch den Entwurf mit Blick auf ihre Gefährlichkeit nahezu eine Gleichsetzung erfahren haben. 276 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 64, 67 f., 73 ff. 277 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 77 f., 81. Hierbei handelt es sich um die seitens des Gerichts vollzogene Auslegung des Begriffs des „öffentlichen Friedens“, der Schutzgegenstand des § 130 Abs. 4 sein soll. Zu den mit solchen – diffu-
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Mit Blick auf § 130 Abs. 3 finden sich außerhalb der in Rede stehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ähnliche Argumentationslinien, wenn auch zweifelnde Stimmen in diesem Kontext Gehör finden müssen.278 Unabhängig aber von der rechtlichen Legitimität des § 130 Abs. 3, 4 muss die besagte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter einem anderen Blickwinkel besondere Würdigung erfahren – verweist diese doch ganz eindeutig auf die oben bereits angedeutete, festzustellende Tendenz in die Richtung eines weniger an den strikten verfassungsrechtlichen Vorgaben orientierten Umgangs mit Verhaltensweisen, die Ausdruck einer spezifischen Gesinnung sind. So stellt das Bundesverfassungsgericht zwar zunächst fest, dass § 130 Abs. 4 grundsätzlich kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 1, 2 GG darstellt.279 Unter herkömmlichen Maßstäben müsste dies nunmehr die rechtliche Beurteilung zur Folge haben, dass die Vorschrift nicht in verfassungsrechtlich gerechtfertigter Weise die Meinungsfreiheit der Person beschränkt.280 Der Meinungsäußerungsfreiheit wäre sonach der Vorrang einzuräumen; § 130 Abs. 4 träfe das Prädikat der Verfassungswidrigkeit. Statt aber diese rechtstechnisch korrekte Schlussfolgerung zu ziehen, betont das Bundesverfassungsgericht den besonderen Ausnahmecharakter von Meinungskundgaben, die eine propagandistische, positive Bewertung des nationalsozialistischen Regimes enthalten. Unter Verweis auf das bislang unübertroffene Ausmaß an Leiden, das der Nationalsozialismus über Europa und die gesamte Welt gebracht hat, sowie die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in europäischen Gesetzeswerken zum Ausdruck kommende Abkehr von eben jener menschenverachtenden Ideologie begründet das Gericht die sich mit Blick auf nationalsozialistische Meinungsäußerungen bietende „einzigartige“ „Sonderkonstellation“, die das von Art. 5 Abs. 2 GG aufgestellte Erfordernis der Allgemeinheit meinungsbeschränkender Gesetze nicht für sich beanspruchen können soll.281 sen – Universalrechtsgütern ohnedies einhergehenden Legitimationsschwierigkeiten siehe D. II. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die insoweit bestehenden Bedenken bezüglich einer Heranziehung eines solchen Rechtsguts einwandfrei durch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts auflösen lassen. 278 Siehe Lackner/Kühl, § 130 Rn. 8a; MK/Miebach/Schäfer, § 130 Rn. 64 f.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, § 130 Rn. 1a, 16 m.w. N., die sich stets nicht einwandfrei für die Rechtmäßigkeit der besagten Vorschriften aussprechen. Noch kritischer, wenn auch im Ergebnis ebenfalls die Legitimität bejahend, Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 315 ff. 279 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 61. Zu den Vorschriften des strafrechtlichen Staats- und Verfassungsschutzes soll nach BVerfGE 28, 191, 199; 47, 198, 232 gelten, dass die Annahme „allgemeiner“ Gesetze sich damit begründen lasse, dass deren eigentlicher Regelungsinhalt nicht die Meinung als solche, sondern der Schutz des Staates und der Verfassung vor Angriffen auf ihren Bestand sei. Weshalb aber die Wirkung solcher Regelungen auf die Meinungsäußerung ausgeblendet werden können, ergibt sich aus der dargelegten Argumentation jedenfalls nicht ohne Weiteres. 280 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 55 ff. Siehe auch Huster, NJW 1996, 487, 488 f.
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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass zumindest eine Bereitschaft besteht, Ausnahmen von den allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorgaben mit Blick auf den Bereich der nationalsozialistischen Gesinnungen vorzunehmen. Nicht ganz ausgeschlossen ist damit, dass trotz gegenteiliger Betonung seitens des Gerichts282 selbst Exzeptionen vom Verbot der reinen Gesinnungsbestrafung toleriert würden, sollte sich – wie teilweise bereits angeklungen283 – die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts doch bei näherer Betrachtung als Verschleierung solchen Gesinnungsstrafrechts entpuppen. Ähnliche Opferbereitschaft von Seiten des Gesetzgebers mit Blick auf die allgemeinen Regeln der Legitimität von Strafnormen findet sich jüngst, wie bereits angesprochen, im Bereich islamistischer Weltanschauungen. Ob der breiten, durchaus berechtigten Kritik insbesondere an den geplanten neuen Vorschriften drängt sich hier der Verdacht geradezu auf, es mit gesinnungsstrafenden Normen zu tun zu haben. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht doch in gewissen Bereichen – wie es die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in Teilen jedenfalls nahe legen – Ausnahmen von den oben formulierten Regeln zum Stellenwert der Gesinnung im Strafrecht gemacht werden dürfen.284 Dies hätte zur Folge, dass im Kontext der besagten, für besonders negativ empfundenen Haltungen deren Be281 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 61, 64 ff. Die damit vollzogene punktuelle Abkehr von der Sonderrechtslehre wurde bereits – in zutreffender Antizipation – seitens Huster, NJW 1996, 487, 489 ff. kritisiert, der trotz der anzuerkennenden Sonderstellung des Auschwitzleugnens als spezifische Meinung eine solche Vorgehensweise als nicht vertretbar erachtet. – Anders hingegen Reichard, Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten, S. 104 ff., der allerdings die Menschenwürde als primären Schutzgegenstand des § 130 Abs. 3, 4 benennt und eine Schranke der Meinungsfreiheit neben Art. 5 Abs. 2 GG auch in kollidierendem Verfassungsrecht erkennt. In diese Richtung geht auch BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 192, 195, der die Legitimation von Vorschriften des strafrechtlichen Staats- und Verfassungsschutzes in der Entscheidung der Verfassung für die „streitbare (wehrhafte) Demokratie“ sieht. Politisches Wirken sei dann nicht von der freiheitlichen Demokratie getragen, wenn es sich gerade gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wendet. Die streitbare Demokratie sei als Prinzip zwar keine unmittelbare Grundrechtsschranke, rechtfertige aber die Annahme eines allgemeinen Gesetzes in solchen Fällen. Kritisch dazu etwa Buscher, NVwZ 1997, 1057, 1058. 282 BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 67: „Art. 5 I und II GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen.“ 283 Bertram, NJW 2009, Nr. 50, XII. 284 Selbst wenn dies seitens des Bundesverfassungsgerichts offenbar auch mit Blick auf rechtsextremistische Gesinnungen nicht erwünscht ist, mutet die vielfach zitierte Entscheidung dennoch als Dammbruch hinsichtlich des bislang unverbrüchlichen Stellenwerts des in einer freiheitlichen Demokratie ganz besonders wichtigen Grundrechts der Meinungsfreiheit an. Die potentiellen negativen Folgen eines Richterspruchs, der Ausnahmen des grundlegend allenfalls durch allgemeine Gesetze eingeschränkten Rechts der freien Meinungsäußerung etabliert, dürfen nicht unterschätzt werden: Was heute noch (nur) für nationalsozialistische Weltanschauungen gilt, könnte morgen auch für andere wertwidrige Gesinnungen eingefordert werden.
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rücksichtigung innerhalb der Strafzumessung bzw. bereits bei der Strafbarkeitsbegründung erfolgen könnte. Zunächst gilt es daher, der Frage nachzugehen, ob sich nicht doch ein Unterschied nationalsozialistischer oder islamistischer Gesinnungen gegenüber anderen ausmachen lässt. So handelt es sich bei beiden in der Tat um besonders emotional aufgeladene Bereiche: Die nationalsozialistische Gesinnung berührt das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und bringt ein bis dahin nicht gekanntes Ausmaß an Menschenverachtung zum Ausdruck.285 Ferner muss die Abkehr vom nationalsozialistischen Terrorregime als identitätsbildender Faktor der Bundesrepublik Deutschland erachtet werden, was zusätzlich den besonderen Wert des Grundgesetzes unterstreicht.286 In Konfrontation mit nationalsozialistischem Gedankengut sind gesteigerte, durchaus emotionale Gegenreaktionen zu erwarten, die in gewaltsamen Konflikten enden können, zumal heutige Formen des nationalsozialistischen Denkens sich häufig in einer allgemeinen Ausländerfeindlichkeit entladen, was eine große Gruppe potentieller Opfer nach sich zieht.287 Damit ist bereits der zweite wesentliche Faktor angesprochen, der die Sonderstellung der nationalsozialistischen Einstellung verdeutlicht: Die erhöhte Gewaltbereitschaft ihrer Anhänger, auf die besonders häufig mit Gegengewalt seitens ihrer Opponenten reagiert wird. Rechtsradikale Aufmärsche sind zumeist von einer größeren Zahl an ideologischen Gegenspielern begleitet, was in aller Regel brutale Ausschreitungen in Form gegenseitiger Gewaltdelikte sowie erhebliche Sachbeschädigungen zur Folge hat.288 Indessen tritt neben die Angst vor Gewalt sowie das emotional aufgeladene Unverständnis gegenüber einer geistigen Unterstützung der allseits bekannten Schrecken des Nationalsozialismus ein Umstand, der auch im Bereich islamistischer Gesinnungen eine besondere Rolle spielt und daher an diesem Beispiel verdeutlicht werden soll. In Zeiten internationalen Terrors wächst die Angst (nicht nur) in westlichen Nationen vor Terroranschlägen im eigenen Lande. Was aber neben das Entsetzen gegenüber brutalsten Gewaltdelikten und die Furcht, selbst Opfer zu werden, tritt, ist die Erkenntnis, dass nicht Einzelindividuen oder Gruppen der eigentliche Gegenstand des Angriffs werden sollen.289 Ziel terroristischer 285
BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 65. BVerfG, 1 BvR 2150/08, Beschluss v. 4.11.2009, 65; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 334 f. 287 Zur terminologischen Vielschichtigkeit des Rechtsextremismus, dem neben Antisemitismus auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zugehörig sind, siehe Reichard, Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten, S. 10 f.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 3 ff. 288 Reichard, Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten, S. 29 f. 289 Es lässt sich hier eine Parallele zu der Erscheinungsform der Hasskriminalität ziehen. Der Täter verletzt durch sein Verhalten zwar unmittelbar einzelne Individuen. Hinter der Tat steht allerdings der eigentlich intendierte Angriff auf ein größeres, indes nicht unmittelbar greifbares Objekt: Die Gruppe derjenigen, die dieselben Merkmale 286
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Gewaltakte ist ganz primär die Verfasstheit westlicher Gesellschaften, die zur Kapitulation vor der vermeintlichen Stärke einer fremden Weltanschauung gezwungen werden soll.290 Selbst in vereitelten Terroranschlägen kommt daher das Bestreben eines zunehmend allein noch durch die Ideologie miteinander verbundenen Gegners291 zum Ausdruck, die Unfähigkeit westlicher Gesellschaften, sich absolut vor Gewaltakten zu schützen, aufzuzeigen. Was verbleibt, sind Angst und Schrecken in weiten Teilen der Bevölkerung.292 Ein Ausweg aus dem Zustand permanenter Bedrohung wird allenfalls durch die Abkehr von deren eigener freiheitlicher Grundordnung hin zu einer jedenfalls in westlichen Gesellschaften mehrheitlich nicht gewollten Staatsform (Theokratie bzw. Diktatur) angeboten – ein Schritt, der der Aufopferung sämtlicher aufklärerischer Ideale und des freiheitlichen Menschenbildes gleichkommt.293 Was damit gegenüber der Bedrohung durch islamistische und nationalsozialistische Gesinnungen, die ihrerseits eine Abkehr von demokratischen Gesellschaftsformen fordern, auf dem Spiel steht, ist nicht weniger als die Freiheit aller Gesellschaftsmitglieder und die Vorstellung von Leben, wie sie originär mit dem Bild demokratischer Rechtsstaaten verbunden ist. Als weiteren Faktor, der eine Sonderstellung solcher Gesinnungen zu begründen vermag, tritt damit die Angst vor dem Horrorszenario einer nicht freiheitlichen Staatsform auf den Plan.
aufweisen wie das Opfer, bzw. im Fall des Terrorismus der Staat als Konglomerat jedenfalls mehrheitlich ideologisch ähnlich aufgestellter Individuen. Allerdings handelt es sich hierbei um nicht mehr als den – ganz offensichtlichen – Beleg für die bereits an früherer Stelle aufgestellte These, dass Gesinnungstäter im Regelfall nach bestmöglicher Umsetzung ihrer Ideologie in die Wirklichkeit streben werden. Es ist daher deren deliktischem Verhalten wesensimmanent, die jeweils konkurrierende Ideologie zum Gegenstand des Angriffs zu erheben, was zugleich die unmittelbar Verletzten in die Rolle an sich – nämlich als Person – bedeutungsloser „Bauernopfer“ verbannt. 290 So auch Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 12 f., 19 ff.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 154; Zöller, GA 2010, 607, 611 ff. 291 Die Organisation der Terrornetzwerke erfolgt eher lose, einzelne Terrorzellen fungieren häufig ohne größere Koordination innerhalb der nur wenig ausgeprägten Gruppenhierarchie: Al Qaida dient in den einschlägigen Kreisen mehr als Erkennungssiegel, denn als Zeichen tatsächlicher Einbindung in die Strukturen des benannten Terrornetzwerks. So auch Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 27 f. 292 Zutreffend daher Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 9. „Der Terrorist (. . .) verseucht den Geist der Gesetze und verdirbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“, der auch aufzeigt, wie westliche Gesellschaften sich im Bestreben um mehr Sicherheit zunehmend von ihrem eigenen Ideal entfernen – eine Entwicklung, die einzuhalten zentrales Anliegen auch der vorliegenden Arbeit ist. Vgl. dazu unten E. sowie Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 11 ff., 16 f.; Zöller, GA 2010, 607, 612 ff. Zur Verschärfung dieses Effekts dürfte die abnehmende Opferbereitschaft der Mitglieder westlicher Gesellschaften beitragen, die insofern einen optimalen Nährboden der strategischen Vorgehensweise internationaler Terroristen bietet, Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 28 ff.; Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 15 ff. 293 Gerade auch Glaubensgegensätze dürften die Debatte über die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus bestimmen.
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Sowohl für nationalsozialistisches als auch islamistisches Gedankengut ist in jüngerer Zeit deren erhebliche Breitenwirkung kennzeichnend. Angesichts zunehmender sozialer Konflikte, die das Leben in westlichen Gesellschaften erreicht haben, finden immer mehr, insbesondere junge Menschen ihren Halt in extremistischen Weltanschauungen und den zugehörigen Gruppenstrukturen, die identitätsstiftend sein können.294 Indem sich aber eine Vielzahl der Anhänger solcher Ideologien in besonderem Maße mit dem besagten Gedankengut und ihren jeweiligen Bezugspersonen innerhalb der Gruppe identifizieren, wächst ihre Bereitschaft (zumeist angestachelt durch Rädelsführer)295, notfalls gewaltsam deren Ziele zu verwirklichen. Hierin kann ein weiterer Aspekt gesehen werden, der die Besonderheit der besagten Gesinnungen gegenüber anderen hervorzuheben vermag. Indes ist zu unterstreichen, dass es sich bei den bislang vorgestellten Erklärungsansätzen für die Sonderstellung nationalsozialistischer sowie islamistischer Gesinnungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, die in Gestalt einzelner Paragraphen Einzug ins deutsche Strafrecht gehalten haben, um reine Gefährlichkeitserwägungen handelt. So spricht einiges dafür, dass insbesondere die Breitenwirkung, aber auch das Ausmaß potentieller Schäden, die durch Anhänger einer solchen Ideologie herbeigeführt werden können, sowie der Schutzgegenstand – namentlich die Individualinteressen der direkten Opfer neben der freiheitlichen Grundordnung in ihrem Bestand – eine besondere Gefährlichkeit der besagten Ideologien bedingen. Wer sich mithin eine entsprechende Gesinnung aneignet, kann unter Umständen besonders gefährlich für die Gesellschaft werden.296 Da die besagten Weltanschauungen im diametralen Gegensatz zu einer freiheitlichen 294 Ausführlich zu den Umständen, die in der islamischen Welt die Entscheidung junger Menschen für den Schritt zum Selbstmordattentat bzw. der Teilnahme am Dschihad vorwiegend begründen, siehe Kucklick/Luczak/Reuter, in: Frank/Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr, S. 263, 264 ff. 295 Zu den genauen Abläufen der Vorbereitung des Einzelnen auf das Selbstmordattentat siehe Kucklick/Luczak/Reuter, in: Frank/Hirschmann (Hrsg.), Die weltweite Gefahr, S. 263, 266 ff. 296 Hierin dürfte wohl auch die primäre Motivation des Gesetzgebers für die Schaffung der §§ 89a, b, 91 liegen: So legt der Gesetzentwurf 16/12428 eine deutliche Betonung darauf, dass es sich bei islamistisch geprägten Personen um „sehr gefährliche Täter, deren Gewaltbereitschaft (. . .) besonders hoch ist“, handeln kann. Dass darin eine rein spezialpräventive Erwägung liegt, die zwar Gefahrenabwehrrecht, nicht aber Strafrecht zu legitimieren vermag, wird schlicht übersehen. Sieber, NStZ 2009, 353, 355 spricht in diesem Zusammenhang zutreffend von der Einstufung des Strafrechts als „Teilgebiet eines allgemeinen Sicherheitsrechts, in dem Strafrecht und Polizeirecht zu verschwimmen drohen“. In diesem Sinne auch Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 121 f.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 149, 153, die insbesondere auch darauf verweist, dass Hauptanliegen der neuen Strafvorschriften die Schaffung weitläufiger Ermittlungsinstrumentarien im Bereich terroristischer Akte sein mag, was jedoch „reine Straftatprävention“ zur Folge habe. Eindrucksvoll zu lesen ist in diesem Zusammenhang auch die Abhandlung Prantls, Terrorist als Gesetzgeber, zur grundsätzlichen Entwicklung des Rechtsstaats zum Präventivstaat. Vgl. dazu auch unten D., E.
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Grundordnung stehen und ihre Verwirklichung ausschließlich in der Vernichtung des jetzigen Gesellschaftssystems sehen, muss bei ihren Anhängern von einer erhöhten Bereitschaft ausgegangen werden, die eigenen Ziele bzw. die der Gruppe notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Die oben aufgeführten Gesichtspunkte begründen damit zwar in jedem Fall eine Sonderstellung der besagten Gesinnungen. Diese erstreckt sich allerdings ausschließlich auf einen Vergleich des Gefährlichkeitsgrads derjenigen Personen, die sich eine solche Gesinnung aneignen, gegenüber Anhängern anderer Überzeugungen. Für die Verhaltensnormlegitimation und das Strafrecht kann aus diesen Überlegungen daher keine andere Bewertung abgeleitet werden als die bereits festgestellte: Gefährliche Gesinnungen nehmen keinen Stellenwert im Strafrecht ein – weder im Rahmen von Strafbarkeitsbegründung noch von Strafzumessung.297 Mithin kann eine Ausnahme von den oben aufgestellten Grundsätzen selbst für die in der aktuellen Debatte stets – unter dem Blickwinkel der ihnen immanenten Gefährlichkeit – hervorgehobenen Gesinnungen nicht eingeräumt, sondern muss als systemwidrig verworfen werden. 3. Exkurs: Gefühlsschutz als Legitimationsgrund der Bestrafung des Einzelnen aufgrund seiner Gesinnung? In jüngerer Zeit wurde insbesondere durch Hörnle auf einen theoretischen Ansatz aufmerksam gemacht, der von den der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegten abweichende Legitimationsanforderungen an strafrechtliche Vorschriften setzen will.298 So referiert Hörnle, dass nach Feinberg Verbotsnormen mit dem Hervorrufen stark negativer Gefühle begründet werden könnten, also auch dann, wenn durch das inkriminierte Verhalten keine Schädigung an Rechten der Person bewirkt werde. Dabei sei das alleinige Haben eines stark negativen Gefühls nicht ausreichend. Vielmehr müsste sich in einem komplexen Abwägungsvorgang ergeben, ob es sich um eine Emotion handelt, vor deren Hervorrufen der Einzelne strafrechtlichen Schutzes bedürfe.299 Hörnle selbst kommt in ihrem Werk „Grob anstößiges Verhalten“ zu dem Ergebnis, dass eine nicht geringe Zahl der im StGB etablierten Sanktionsnormen keiner zweckrationalen Legitimation zugänglich sei und allenfalls dann verstanden werden könne, wenn man die „emotionale Besetzung des Themas“ be297 Allein im Bereich des Polizeirechts kann und muss es eine Rolle spielen, ob ein potentieller Störer Anhänger einer islamistischen oder nationalsozialistischen Ideologie ist. Von diesen Personen können gesteigerte Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, weshalb hier gegebenenfalls präventive Maßnahmen erfolgen müssen. Siehe zu dieser Einteilung unten B. III. sowie einleitend oben B. I. 298 Siehe dazu ausführlich Hörnle, Verhalten, S. 78 ff., 108 ff.; dies., in: Hefendehl u. a. (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 268 ff. 299 Feinberg, Harm to Others, S. 14 f.; ders., Offense to others, S. 1, 35; Hart, Law, Liberty and Morality, S. 42 ff., 46 ff.
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achte.300 Solche Vorschriften dienten keinem anerkannten Recht einer Person, das durch das untersagte Verhalten verletzt werde. Was nach eingehender Prüfung des Legitimationsgegenstandes dann noch verbliebe, seien allenfalls verletzte Gefühle von Personen. Dabei sei zwar zu beachten, dass selbst bei denjenigen Vorschriften, die den Schutz eines anerkannten Rechts dienten, unweigerlich bei Vornahme des verbotenen Verhaltens auch Gefühle des Opfers bzw. der Bevölkerung verletzt würden, da Rechtsverstöße in der Regel negative Gefühle bei den übrigen Gesellschaftsmitgliedern hervorriefen.301 Sofern die besagte Vorschrift aber primär „handfeste Güter“ schütze, werfe dieser zusätzlich erzielte Gefühlsschutz keine Legitimationsschwierigkeiten auf. Anders verhalte es sich indes, könne gerade kein solch anerkanntes Interesse ausgemacht werden. Dabei seien insbesondere Verstöße gegen gesellschaftliche Tabus geeignet, besonders intensive Emotionen zu wecken, weshalb es sich hierbei um spezifische Gefühlsschutzdelikte handele.302 Als Beispiel einer reinen Gefühlsschutzvorschrift nennt Hörnle unter anderem § 140.303 300 Hörnle, Verhalten, S. 334; dies., in: Hefendehl u. a. (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 268, 269 ff. 301 Hörnle, in: Hefendehl u. a. (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 268. 302 Hörnle, in: Hefendehl u. a. (Hrsg.), Rechtsgutstheorie, S. 268, 268 f., 277 ff. 303 Zunächst verdeutlicht Hörnle, Verhalten, S. 242 ff., dass es sich bei § 140 in Gestalt des nachträglichen Belohnens von Straftaten nicht um ein legitimes Gefährdungsdelikt handeln könne. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn die Belohnung Anreiz für spätere Taten böte. Indes wäre dies bereits durch das Verbot der Anstiftung bzw. § 146 Abs. 1 Nr. 2 erfasst. Gegen die Legitimität eines Gefährdungsdelikts in Form der Billigung von Straftaten wendet Hörnle sich aufgrund des Stellenwerts der Meinungsfreiheit im freiheitlichen Staat. Wenn feste Rahmenbedingungen für das Haben einer Meinung geschaffen werden, nimmt der Gesetzgeber der – eigentlich gerade darauf ausgerichteten und angewiesenen – Demokratie gewaltsam die „Möglichkeit von Mehrheitsveränderungen“. Darüber hinaus ließe sich nicht klären, weshalb zwar die nachträgliche Billigung unter Strafe gestellt sei, nicht aber viel gefährlichere Formen der Indoktrination wie z. B. die manipulative (Gesinnungs-)Beeinflussung „junger, sozial marginalisierter oder sonst anfälliger“ Menschen. Für Hörnle steht daher fest: „Bei § 140 überschneiden sich der Schutz moralischer Vorstellungen und Gefühlsschutz.“ – Beides unzureichende Gegenstände von im Strafrecht zu legitimierenden Normen. Daher (konsequent): „§ 140 sollte aufgehoben werden.“ – Jedoch weicht Hörnle, Verhalten, S. 315 ff. mit Blick auf § 130 Abs. 3 offenbar ihrerseits von der bis dahin klaren Linie ab. So gelingt es ihr nach zutreffender und ausführlicher Untersuchung nicht, ein Recht bzw. Interesse ausfindig zu machen, das die Legitimität der benannten Vorschrift nach den bis dahin zugrunde gelegten Parametern im Strafrecht begründet. Die Einführung des § 130 Abs. 3 kann die Autorin sich nicht anders als durch die Verletzung eines Tabus erklären, die mit dem Auschwitz-Leugnen einhergeht und erhebliche negative Gefühle in weiten Teilen der Bevölkerung weckt. Wenngleich Hörnle noch an früherer Stelle (Verhalten, S. 115) darauf verweist, dass trotz der Gefahr, angesichts öffentlicher Reaktionen selbst in den Strudel der Ächtung eines Tabubruchs zu geraten, „intellektuelle Redlichkeit“ es gebiete, „in einer strafrechtswissenschaftlichen Abhandlung Tabuschutz als solchen auch offen zu bezeichnen“, scheint sie doch die Konsequenzen dieser richtigen Erkenntnis selbst nicht vollumfänglich tragen zu wollen. So stellt sie mit Blick auf § 130 Abs. 3 fest, dass die historische Schuld Deutschlands, das Ansehen der BRD im Ausland sowie deren tief in Abgrenzung zum Nationalsozialismus verwurzeltes Selbstverständnis und
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Die Bedeutung des Gefühlsschutzansatzes für die vorliegende Untersuchung ergibt sich aus der Überlegung, dass die Anstößigkeit bestimmter Gesinnungen aus dem Bruch eines Tabus folgen kann, den das Haben dieser Einstellung mit sich bringt. Wer eine geistige Haltung einnimmt, die in besonderem Maße von den Wertvorstellungen des Großteils der Gesellschaft abweicht, dem wird ohne größere Schwierigkeiten eine anstößige bzw. verwerfliche Gesinnung attestiert werden. Das Haben einer solchen Haltung kann mithin besonders negative Gefühle hervorrufen, die von tiefster Abneigung bis zu großer Angst reichen werden. Wer nunmehr das Hervorrufen stark negativer Emotionen als Legitimationskriterium strafrechtlicher Sanktionsnormen ausreichen lässt, dem stünde der Weg zur reinen Gesinnungsbestrafung frei – gerade bei stark vom gesellschaftlichen Konsens abweichenden Denkweisen und Wertehaltungen wäre eine Bestrafung aufgrund der damit einhergehenden erheblichen emotionalen Reaktionen in der Bevölkerung geradezu geboten. Allerdings verwirft bereits Hörnle zu Recht den Gefühlsschutzansatz als taugliches Legitimationsmodell rechtlicher Verhaltensnormen.304 Kritisiert wird danach, dass in einem Strafrecht, das Gefühle der Bevölkerung zu seinem Schutzgegenstand erhebt, ohne Weiteres moralische Normen zu strafbewehrten gemacht werden können. Die notwendige Differenzierung rein moralischer Normen von
die damit einhergehenden „emotionalen Aspekte“ für die Tabuisierung und gegen eine Aufhebung des Verbots sprechen. Zweifelsohne weisen die seitens Hörnle ins Feld geführten Gesichtspunkte ihre Richtigkeit (mit Blick auf die Begründung des Tabus) auf. Doch verträgt sich ihre Schlussfolgerung – § 130 Abs. 3 diene allein dem Tabuschutz (Verhalten, S. 334 f.) – nicht mit der von ihr getroffenen grundlegenden These, reiner Tabuschutz legitimiere keine strafrechtlichen Normen (siehe dazu Hörnle, Verhalten, S. 78 ff., 108 ff.). Trotz der zuzugebenden Sonderstellung des in Rede stehenden Tabus wirkt daher ein Abweichen von der bis dahin überzeugend vorgetragenen (fehlenden) Bedeutung des Tabuschutzes im Strafrecht nicht ganz konsequent. 304 Zur nachfolgenden Kritik siehe Hörnle, Verhalten, S. 78 ff., 108 ff.; Papageorgiou, Schaden und Strafe, S. 263 ff. Weniger deutlich äußert sich Hörnle an anderer Stelle (Schutz von Gefühlen, S. 268, 280), indem sie darauf verweist, dass die Abschaffung von reinen Gefühlsschutzdelikten gesellschaftlich „auf wenig Verständnis stoßen“ werde. Die Akzeptanz in der Bevölkerung für bestimmte Strafvorschriften mag zwar ein bedeutsames Kriterium sein. Indes kann sich – wie im Text dargelegt – hierauf gerade nicht die Legitimation von strafrechtlichen Vorschriften stützen, sofern die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der Abschaffung einer Sanktionsnorm allein auf dem Bedürfnis des Tabuschutzes beruht. Eine entgegenstehende Argumentation erscheint hier zirkulär. Auch jedenfalls missverständlich dürfte Hörnles weitere Aussage sein, sofern „man aber mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Tabuschutz Strafnormen rechtfertigen wollte“, müsse der „damit verbundene Verzicht auf eine durchgängige zweckrationale Rechtfertigung des Strafrechts (. . .) in der strafrechtsinternen Diskussion offen ausgesprochen werden“. Hierin kann keinesfalls die Lösung der anstehenden Problematik gefunden werden. Dem Eingeständnis, dass spezifische Vorschriften ausschließlich Gefühlsschutz intendieren und in der Folge zweckrational keiner strafrechtlichen Legitimation zugeführt werden können, muss konsequenterweise die Forderung nach der ersatzlosen Streichung der betroffenen Vorschriften aus dem StGB nachfolgen.
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rechtlichen wäre dann nicht mehr gewährleistet. Darüber hinaus bemängelt Hörnle die primäre Ausrichtung des Gefühlsschutzansatzes am Faktischen. Zentral ist danach allein das Auftreten negativer Emotionen; eine normative Differenzierung sei damit per se ausgeschlossen. Des Weiteren müssten strafrechtliche Normen, die Gefühlsschutz intendieren, sich an der Anzahl an Personen orientieren, die sich durch ein bestimmtes Verhalten (bzw. eine bestimmte Gesinnung) verletzt fühlen. Fragwürdig erscheint insofern auch die seitens Feinberg vorgesehene Ermittlung derjenigen Gefühle, vor denen die Person des (auch) strafrechtlichen Schutzes bedarf. Im Rahmen einer Gesamtabwägung verbliebe, sofern nämlich keine anerkannten Interessen in die Waagschale geworfen werden, was bei reinen Gefühlsschutzdelikten per definitionem unmöglich ist, als Gewichtungsfaktor allein die Intensität eines Gefühls bzw. die prozentuale Häufigkeit seines Auftretens innerhalb der Bevölkerung. Dass allein durch das Kriterium der Personenanzahl, bei denen ein bestimmtes Gefühl als Reaktion auf das Verhalten geweckt wird, gänzlich unvernünftige Regelungsinhalte von Sanktionsnormen ausgefiltert werden können, ist gerade nicht garantiert. Selbst wenn dies aber gelänge, könnte nach der in Rede stehenden Konzeption kein angemessener Minderheitenschutz betrieben werden. Die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wäre folglich nicht gewährleistet. Der Gefühlsschutzansatz stellt also keine Konzeption dar, die die oben aufgestellten Legitimationskriterien rechtlicher Verhaltensnormen ernstlich in Frage stellen kann. Eine abweichende Beurteilung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht kann sich hieraus folglich ebenfalls nicht ergeben. 4. Zusammenfassung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung In einer freiheitlichen Grundordnung sind Reglementierungen nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Rechte oder Interessen Dritter durch das betreffende Verhalten störend beeinträchtigt werden. Diese Eigenschaft weisen Gesinnungen nicht auf. Rechtliche Verhaltensnormen in diesem Bereich lassen sich in Ermangelung der Verfolgung eines legitimen Zwecks verfassungsrechtlich nicht halten. Erst recht können Sanktionsnormen, die die Geltungskraft solcher Verhaltensvorschriften zum Schutzgegenstand haben, nicht legitimiert werden. Die verfassungsrechtliche Unerträglichkeit des Verbots bzw. gar Abstrafens spezifischer Gesinnungen führt zu zwingenden Rückschlüssen auf deren Stellenwert im Rahmen der Strafzumessung. Die Strafschärfung aufgrund einer wertwidrigen Gesinnung ist als eigenständiges Übel zu begreifen, das isoliert an die Geisteshaltung des Einzelnen anknüpft. Als solchermaßen illegitimer Eingriff in die Gedankenfreiheit ist sie in einer freiheitlichen Grundordnung nicht hinzunehmen. Dem liegt insbesondere der Gedanke des straftheoretischen Gleichlaufs von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung zugrunde. Abweichenden Konzeptionen, die jedenfalls auf strafzumessungsrechtlicher Ebene präventiven Einflüssen Tür und Tor öffnen wollen, muss vor diesem Hintergrund eine klare Absage erteilt
III. Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung
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werden. Für sämtliche Bereiche des Strafrechts gilt die Bindung an eine retributive Strafzweckkonzeption, sodass Gesinnungen weder für die Strafbarkeitsbegründung noch die Strafzumessung eine Rolle spielen dürfen.
III. Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung In der einleitenden Trennung von Polizeirecht und Strafrecht wurde die Zielsetzung der rechtlichen Beurteilung des Stellenwerts von Gesinnungen früh formuliert: Was im Strafrecht einen systemgefährdenden Fremdkörper ausmacht, kann dennoch im Polizeirecht Zweckkonformität und damit einen legitimen Stellenwert für sich beanspruchen. Seitens des Lesers wird indes angesichts der oftmals unvermeidbaren Vorgriffe des voranstehenden Abschnitts Nachsicht erbeten. Die von einer finalen Problemlösung erhoffte Spannung ist hier nicht mehr in vollem Umfang zu halten. Zu oft war die Rede von der Funktion des Polizeirechts, das sich der Gefährlichkeit von Personen verschrieben hat, und der Offenbarungstendenz von Gesinnungen hinsichtlich der potentiellen Gefährlichkeit dessen, der sie sich angeeignet hat. Sofern der Gesinnung daher im freiheitlichen Recht eine Bedeutung zukommt, kann diese allenfalls im Bereich des Gefahrenabwehrrechts zu finden sein – das steht nach dem Gesagten fest. Versäumt wurde bislang jedoch, der Zwecksetzung des Gefahrenabwehrrechts ein sicheres Fundament zu verleihen. Auch der Annahme, Gesinnungen könnten Ausdruck der Gefährlichkeit von Personen sein, muss noch intensiver als bislang geschehen nachgegangen werden. Dennoch dienen die nachfolgenden Ausführungen nicht allein der Klarstellung. So garantiert die Ausscheidung von Gesinnungen aus dem Strafrecht per se nicht die Wahrung der Grundregeln einer freiheitlichen Rechtsordnung. Der (vordergründig naheliegende) Vorwurf, arg Gescholtenes in neuem Gewande in alte Bahnen zu lenken und dabei seinerseits die Vorgaben des Rechtsstaats zu missachten, soll hier nicht zu recht erhoben werden können. Was damit noch aussteht, ist die unbedingt erforderliche Klärung der Frage, ob nicht selbst die polizeirechtliche Würdigung von Gesinnungen die Wächter einer freiheitlichen Grundordnung misstrauisch stimmen sollte. Die Fragestellung weist insbesondere angesichts der polizeirechtlichen Behandlung gefährlicher, vollverantwortlicher Personen besondere Sprengkraft auf. Die dabei auftretenden Risse im dem Normenmodell zugrundeliegenden Ideal des vernunftbegabten Bürgers scheinen dessen Kapitulation einzuläuten. 1. Theoretisches Fundament des Polizeirechts Strafe ist nicht Prävention. Dieser Gedanke wurde an früherer Stelle betont und zieht sich als goldener Leitfaden durch die vorliegende Untersuchung. Der Blick fällt daher nicht über die eigene Schulter zurück auf den bereits beschritte-
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
nen Weg, wird sich nunmehr einer Theorie zugewandt, die sich seit Langem im Strafrecht oder jedenfalls in dessen Teilgebieten einer gewissen Beliebtheit erfreut. Im Gegenteil wird jene „Straftheorie“ der Individualprävention, die Pönalisierung an die Gefährlichkeit des Täters knüpfen will, als originäres Fundament des Polizeirechts erachtet. Allein in diesem Bereich eignen sich individualpräventive Überlegungen zur Beurteilung der Legitimität staatlicher Akte. Vor diesem Hintergrund lohnt es, solch theoretisches Modell – zunächst innerhalb des selbstgesteckten strafrechtlichen Rahmens, anschließend als Zwecksetzung des Polizeirechts – einer näheren Betrachtung zu unterziehen. a) „Straftheorie“ der Individualprävention Die Spezialprävention macht die Behandlung des einzelnen Straftäters zum Gegenstand ihres Strafzwecks und intendiert, durch dessen Besserung und Abschreckung bzw. die Sicherung der Gemeinschaft vor dem unverbesserlichen, gefährlichen Täter künftigen Straftaten entgegenzuwirken.305 Der Individualprävention liegt daher nach Ansicht ihrer Vertreter grundsätzlich ein aufklärerisches Menschenbild zugrunde, wonach der Einzelne kraft seiner Vernunft eines Besseren belehrt werden könne.306 Die Frage aber, ob auf der Basis einer Theorie individueller Prävention das von ihr selbst proklamierte aufklärerische Humanitätsideal tatsächlich die ihm gebührende Berücksichtigung in jedweder Hinsicht erfährt, entzündet sich am Stellenwert der einzelnen Straftat im Rahmen einer solchen Konzeption. Allgemein soll die Straftat als „Symptom“ der Gefährlichkeit desjenigen Täters gelten, den es zu bessern oder abzuschrecken gelte, bzw. vor dem die Gemeinschaft zu schützen sei.307 Allein anhand dieser Begrifflichkeit ist indessen unschwer erkennbar, dass ohne Weiteres bei Zugrundelegung des spezialpräventiven Gedankens auf eben dieses „Anzeichen“ der Gefährlichkeit verzichtet werden könnte. Unproblematisch lassen sich andere Faktoren finden, anhand deren die Persönlichkeitsstruktur des Täters – auf die es, eben weil er als potentielle Gefahrenquelle angesehen wird, entscheidend ankommt – ermittelt werden könnte, was sich vor allem an der Entwicklung spezifischer Tätertypen seitens der Vertreter der besagten Theorie belegen lässt:308 „Wenn aber Besserung, Abschreckung, Unschädlichmachung wirklich die möglichen wesentlichen Wirkungen der Strafe und damit zugleich die möglichen 305 Die Theorie der Individualprävention weist insofern – analog zur Generalprävention – sowohl eine negative als auch positive Variante auf, v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1 ff. Vgl. auch die Darstellung bei Roxin, AT I, § 3 Rn. 11 ff. 306 Dahm/Schaffstein, Strafrecht, S. 16; v. Liszt, Vorträge und Aufsätze, S. 16. 307 Kollmann, ZStW 28 (1908), 449; v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 45 f. Vgl. zur Lehre von der „défense sociale“ als weitere Spielart der Spezialprävention MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 26 f. m.w. N. 308 Nachfolgende Zitate finden sich bei v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 35 ff.
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Formen des Rechtsgüterschutzes durch Strafe sind, so müssen diesen drei Strafformen auch drei Kategorien von Verbrechern entsprechen. Denn gegen diese, nicht aber gegen die Verbrechensbegriffe, richtet sich die Strafe; der Verbrecher ist der Träger der Rechtsgüter, deren Verletzung oder Vernichtung das Wesen der Strafe ausmacht.“ Auf dieser Basis seien die Tätergruppen der Unverbesserlichen, der Besserungsbedürftigen sowie der Gelegenheitsverbrecher zu unterscheiden. Bei ersteren handele es sich um „Krankheitserscheinungen“, die sich wie ein „Krebsschaden (. . .) immer tiefer in unser soziales Leben“ fressen. „Gegen die Unverbesserlichen muß die Gesellschaft sich schützen; und da wir köpfen und hängen nicht wollen und deportieren nicht können, so bleibt nur die Einsperrung auf Lebenszeit“. Hingegen handele es sich bei den Besserungsbedürftigen noch um „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“, die in einer entsprechenden Anstalt ihrer Besserung zugeführt werden sollten. Zuletzt solle dem Gelegenheitsverbrecher ein „,Denkzettel‘ für den egoistischen Trieb des Verbrechers“ in Gestalt der Strafe erteilt werden, wovon sich Abschreckung versprochen wird.309 Was aber solle dagegen sprechen, einen Menschen anhand früherer (nicht zwingend den strafrechtlichen Bereich berührender) Verhaltensweisen sowie Äußerungen aufgrund seiner auf diese Weise zum Ausdruck kommenden Gesinnung in eine der besagten Tätergruppen einzugliedern? Wer unverbesserlich, einem gesellschaftlichen Krebsgeschwür gleich, immer wieder seine Haltung zu den Werten der Gemeinschaft und ihrer Rechtsteilnehmer durch entsprechendes Verhalten non-verbal sowie verbal zum Ausdruck bringt, kann eine Gefahr für auch strafrechtlich geschützte Rechtsgüter darstellen – unabhängig davon, ob er sie bereits verletzt hat oder nicht: Was hier paradigmatisch zählt, ist doch allein die Gefährlichkeit, die in der (unwertigen) Haltung des Einzelnen schlummert und jederzeit in Verhalten umzuschlagen droht, das durchaus strafrechtlich geschützte Interessen tangieren kann. Optimale Prävention wird unweigerlich erst dann erzielt, wenn schon vor der Tat auf den gefährlichen Rechtsgenossen zugegriffen wird. Warum dann aber Abwarten auf das reine Symptom der Gefährlichkeit? Sofern der Stellenwert der Straftat auf denjenigen eines Anzeichens der von dem Einzelnen ausgehenden Gefahr für die Gemeinschaft und deren Rechtsgüter verkommt, wird das Bestehen auf diese formale Voraussetzung der Legitimität des staatlichen Zugriffs mehr als fragwürdig. Sollte hinter der dennoch mehrfach erhobenen Forderung310 nach dem Festhalten an eben jenem Kriterium bereits die Angst vor den Konsequenzen der eigenen Theorie stehen?
309 Die Entwicklung von Tätertypen trieben ferner Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht; Freisler, ZStW 55 (1936), 503 ff.; Gürtner/Freisler, Das neue Strafrecht; Mezger, ZStW 60 (1941), 353 voran. Vgl. außerdem v. Liszt, Vorträge und Aufsätze, S. 21 f., 189 ff. 310 Siehe dazu Kollman, ZStW 28 (1908), 449; v. Liszt, ZStW 3 (1883), 1, 45 f.; ders., Vorträge und Aufsätze, S. 15 f.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Eben solches zur Realität gewordenes Schreckensbild311 zeichnet alsdann das nationalsozialistische „Willensstrafrecht“ – trotz tiefster Bekundungen, eben gerade nicht zu sehr ins Subjektive abzudriften, sodass der Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts nicht verfange:312 Als „Spiegelbild des nationalsozialistischen Weltbildes“ 313 habe das Strafrecht „das deutsche Volk, seinen Bestand und seine Kraft, seinen Lebensfrieden (. . .) gegen Angriffe von innen heraus zu sichern“. „Das Strafrecht ist also in erhöhtem Maße ein Kampfrecht, und der Gegner, den es bekämpfen soll, ist eben der, der Bestand, Kraft, Frieden des Volkes von innen aus bedroht. Dieser Gegner ist nicht nur derjenige, der im tatsächlichen Einzelfall des Lebens diesen Frieden angreift, er ist der Typus des Friedensstörers (. . .).“ Eben jenen Friedensstörer – genauer: dessen Willen, der allein „Freund oder Feind“ sein könne – gelte es aber mit den Mitteln des Strafrechts zu „vernichten“. Das Letztere sei Ausdruck der Sittenordnung des Volkes, weshalb sein steter „Kampf schon im Gebiete der Gedanken geführt“ werde. „Bestraft wird demnach der Wille des Täters, nicht die Tat.“ Vor dem Hintergrund des Sicherungszwecks könne das Strafrecht allenfalls „in bescheidenem Umfang“ dienen, sofern es auf den Rechtsverstoß warten müsse: „Sichern kann man nur, was bedroht ist; ist der Angriff erfolgreich durchgeführt, so hat die Bedrohung aufgehört (. . .).“ Und: „Ein solches Strafrecht beschränkt sich auf die reine Verteidigung; es bedenkt nicht, daß der Angriff die sicherste Verteidigung ist.“ Die Strafe habe daher „möglichst früh und mit aller Macht“ einzugreifen. Wie bereits angeklungen, verwehrt sich aber auch Freisler vordergründig dem Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts, sei doch das Strafrecht „nicht das weltliche 311 Mit dem Schluss von der Individualprävention auf das Willensstrafrecht sei nicht suggeriert, es handele sich dabei um einen bruchlosen Übergang. Den Nationalsozialisten ging die Lehre v. Liszts zwar nicht weit genug, wie u. a. Dahm, Der Tätertyp im Strafrecht, S. 9 ff.; ders., NS-Strafrecht, S. 19 betont. Auch Schaffstein, ZStW 55 (1936), 276, 277 ff. kritisiert die „Überbetonung des Erziehungsgedankens in Theorie und Praxis des Strafvollzugs“. Dahinter verberge sich jene irrationale Zielsetzung, die „Humanität als Selbstzweck um jeden Preis“ anstrebe. Auf diese Weise gerate der „Gedanke der Unschädlichmachung teilweise völlig ins Hintertreffen“, was nicht der nationalsozialistischen Weltanschauung entspreche. Ein Präventionsstrafrecht im Sinne v. Liszts werde als „Ausfluss des liberalen Staatsdenkens“ nicht verfolgt. Dennoch liegt die Wurzel des Gedankens eines Willensstrafrechts unbestritten in der Sicherungsidee, wie bereits die Zitate im Text belegen. Vgl. außerdem v. Liszt, Vorträge und Aufsätze, S. 16: „Ich muß zugeben, daß es vielleicht in der Konsequenz unserer Anschauung wäre, nur auf die Gesinnung Rücksicht zu nehmen, und nicht erst die Tat abzuwarten (. . .)“. Folglich ist eine Ableitung des Willensstrafrechts von spezialpräventiven Ideen widerspruchsfrei möglich und wird im Allgemeinen auch so vollzogen. Siehe dazu Roxin, AT I, § 6 Rn. 6 ff. 312 Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, S. 11, 19; Mezger, ZStW 55 (1936), 1, 9, 14. 313 Nachfolgende Zitate sind Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, S. 11 ff. entnommen.
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Schwert der Moral (. . .). Das Strafrecht straft weder die Versuchung noch die Gesinnung, sondern erst das Verhalten gegenüber der Versuchung.“ Denn letztlich sei derjenige, „der den Entschluß zu verbotenem Handeln gefaßt hat, noch nicht Feind der Lebensordnung des Volkes, sondern erst bereit, Feind zu werden“. Trotz dieser durchaus lobenswerten Vorsätze schließt Freisler dennoch den „Präventivkrieg“ nicht gänzlich aus, „besonders in den Fällen, in denen das letzte Ziel der vorbereitenden Handlung die Zerstörung der völkischen Grundordnung ist“.314 Insbesondere die zuletzt zitierte Passage sollte daher bereits auf den unvermeidlichen Ausgang jedweder guten Vorsätze hindeuten. Tatsächlich förderte die Einführung des Willensstrafrechts eine erhebliche Subjektivierung des Strafrechts. Vorbereitungshandlungen rückten zunehmend in das Blickfeld der Bestrafung, indem subjektive Tätermerkmale wie dessen Motive oder Gesinnung – schlicht die gesamte Täterpersönlichkeit – als maßgebliche Faktoren zur Legitimität des staatlichen Strafens bei zeitgleicher Abkehr von bislang elementaren Grundsätzen des Strafrechts wie beispielsweise dem Analogieverbot oder dem Prinzip des nullum crimen sine lege erhoben wurden.315 b) Kritik und Richtigstellung Bevor aber auf die nicht tragbaren Auswirkungen der strikten Umsetzung der spezialpräventiven Ideen eingegangen wird, soll die Theorie in der Form, in der sie schon bei v. Liszt zu finden ist, einer allgemeinen Kritik (aus Sicht des Strafrechts) unterzogen werden.316 Zwar spricht für die Theorie deren Orientierung am Sozialstaatsprinzip, indem der Täter in die Gesellschaft zurückgeführt und nicht stigmatisiert werden soll. Des Weiteren scheint sie die Legitimation von 314 In diese Richtung tendiert für den Fall des Landesverrats auch Mezger, ZStW 55 (1936), 1, 15, der zwar die objektive Kennzeichnung der strafbaren Taten für ein „unabweisbares Bedürfnis“ hält, dennoch aber „das Merkmal der verräterischen Gesinnung als das eigentlich wesentliche Merkmal stärker zu betonen“ wünscht. 315 Dahm, NS-Strafrecht, S. 17 ff.; Freisler, in: Gürtner (Hrsg.), Das kommende deutsche Strafrecht, S. 11, 34 f.; ders., ZStW 55 (1936), 503, 510 f.; Mezger, ZStW 55 (1936), 1, 11 ff.; Schaffstein, ZStW 55 (1936), 18, 22, 31, 54 f. 316 Siehe zur nachfolgend im Text dargestellten Kritik Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 220, 226; Frisch, ZStW 94 (1982), 565, 574; dens., ZStW 102 (1990), 387, 391 f.; dens., in: Schünemann u. a. (Hrsg.), Positive Generalprävention, S. 125, 126; Gallas, ZStW 60 (1941), 374, 376; Haffke, Generalprävention, S. 68 f., 71 ff. m. Fn. 6; Hegel, Philosophie des Rechts, § 99; Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 118 f.; Hillenkamp, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 85, 98 f.; Hörnle/v. Hirsch, GA 1995, 261, 275 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 46 f.; Jakobs, AT, 1/39 ff.; ders., Schuldprinzip, S. 27; Kargl, GA 1998, 53, 62; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 29 ff.; Kant, Metaphysik der Sitten, A 195 ff.; Köhler, AT, S. 41 f.; ders., Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 35 f.; Kröber, in: Hillenkamp (Hrsg.), Neue Hirnforschung – Neues Strafrecht, S. 63, 64 f.; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 36 ff.; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 392 f.; Roxin, AT I, § 3 Rn. 15 ff.; dens., Strafrechtliche Grundlagenprobleme, S. 6 ff.; Schmidhäuser, Sinn der Strafe, S. 53 ff.; dens., Gallas-FS, S. 81, 89; dens., Gesinnungsmerkmale, S. 98 ff.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Strafe jedenfalls vordergründig in ein Bild vom Menschen einzubetten, der mit Vernunft begabt ist. So könne der vernünftige Mensch seinen Fehler als solchen erkennen und für die Zukunft gebessert werden, sodass er fortan keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellt. Indessen weist die Individualprävention gerade auch Tendenzen auf, die gegen ein solches Menschenbild sprechen: Der unverbesserliche Täter wird ausschließlich zum Schutze der Gesellschaft „bestraft“, weshalb gerade seine Subjektqualität ernstlich in Frage gestellt ist. In diesem Kontext besteht die Gefahr, den Täter härter zu bestrafen, als es dem Gewicht seiner Tat entspricht. Wer unverbesserlich ist, kann für alle Zeiten weggesperrt werden, selbst wenn die konkrete Einzeltat, aufgrund deren er belangt werden soll, lediglich einen geringfügigen Unwert verkörpert. Aber selbst der besserungsfähige Täter ist nicht vor seiner individuellen Schuld unangemessenen Strafen gefeit. Seine Strafe bemisst sich allein nach der Dauer seines Resozialisierungsprozesses, der einen durchaus längeren Freiheitsentzug erfordern kann, als es vor dem Hintergrund der Schwere von Schuld und Tat gerechtfertigt ist. So krankt die Idee der Spezialprävention grundlegend an der mangelnden Rückbindung an den Schuldgrundsatz, was ihrem Anwender den faden Beigeschmack mangelnder Achtung der Menschenwürde des Täters hinterlässt.317 Darüber hinaus versagt die individuelle Präventionstheorie als Legitimation von Strafe mit Blick auf den nicht besserungsbedürftigen Täter. Wer die Tat in Umständen begangen hat, die in solcher Form niemals wieder eintreten könnten (etwa, weil der Täter seinen Erzfeind getötet hat), bedarf keiner Besserung: Indem er den einzigen Feind, den er in seinem Leben hatte, beseitigt, geht von ihm künftig keine Gefahr mehr für die Werte der Gesellschaft aus. Ebenso verhält es sich mit demjenigen Täter, der seine Tat aufgrund veränderter politischer Verhältnisse (Bsp.: Beendigung der NS-Herrschaft) keinesfalls wiederholen kann. Mit dem Gerechtigkeitsgefühl wäre es aber nicht vereinbar, solche Personen unbestraft zu lassen, weshalb die Spezialprävention ausschließlich im Wege eines Systembruchs zur Bestrafung des Täters kommen könnte. Zudem bleibt fraglich, ob es überhaupt Aufgabe des Staates sein darf, den Bürger zu erziehen, oder ob nicht bereits darin ein unzulässiger Eingriff in die Menschenwürde oder andere Rechte der Personen zu sehen ist.318 Im vorliegenden Kontext interessiert indes gerade jene Kritik, die sich am (strafrechtlichen) Stellenwert der Gedanken der Person innerhalb der Theorie der 317
Vgl. bereits oben Fn. 170. Im Ergebnis hat der Staat dennoch die Pflicht, gewisse Maßnahmen zu treffen, um dem Bürger ein Leben in der Gemeinschaft nach Verbüßen seiner Strafe zu ermöglichen. Dem unterfallen aber auch Anweisungen im Verhalten, die ein friedliches Zusammenleben des Betreffenden mit den anderen Gesellschaftsmitgliedern in Zukunft ermöglichen können. Dies entspricht gerade dem Achtungsanspruch, der dem Individuum aufgrund seiner Eigenschaft als Subjekt zukommt. Eine endgültige Versperrung der Rückkehrmöglichkeiten des Einzelnen in die Gesellschaft ist nur in Extremfällen legitimiert. Siehe dazu unten B. III. 2. c). 318
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Spezialprävention festmacht. Während v. Liszt noch an der Straftat als Anzeichen der Gefährlichkeit des Täters festhalten will, belegt das nationalsozialistische Willensstrafrecht, in welche Richtung die Theorie der Spezialprävention führt, wird sie mit aller Konsequenz – nämlich in vollkommener Orientierung an dem Ziel der Sicherung der Gemeinschaft vor dem gefährlichen Einzeltäter – verfolgt: Ein Anknüpfen an die Straftat verkommt mehr und mehr zur überflüssigen Formalität, absolute Sicherheit sei erst dann gewährleistet, wenn bereits diese (erste) Tat verhindert werden könne.319 Was dann aber noch als Gegenstand der „strafrechtlichen Ahndung“ verbleibt, sind allein die subjektiven Merkmale des Täters, zu denen insbesondere seine Gesinnung gehört. Wie eingangs festgestellt, ist es vor allem seine Wertehaltung, die den Täter zu bestimmtem Verhalten motiviert: In seinem Bestreben, seiner Idealvorstellung zu entsprechen und ihr die Realität anzugleichen, verhält er sich nach den Maximen, die seine Gesinnung ihm auferlegt. Sollte es sich indessen um eine normwidrige – anstößige – Einstellung des Bürgers zu den gesellschaftlichen Grundwerten handeln, ist dies ein Indiz für die Gefährlichkeit, die von solcher Person ausgeht.320 Zwar wurde anhand des Konzepts der bedingten Freiheit schon oben dargelegt, dass dem Einzelnen stets noch die Möglichkeit verbleibt, sich abschließend doch gegen die tatsächliche Umsetzung seiner Gesinnung zu entscheiden.321 Dass diese Freiheit besteht, muss aber aus der Sicht einer konsequenten Anwendung der Individualprävention ignoriert werden. Hier geht es allein um die Gefahren, die von der Einzelperson ausgehen und die es abzuwenden gilt. Dann aber stellt es ein geringeres Risiko für die Werte der Gemeinschaft dar, den Einzelnen zu maßregeln, obgleich er sich in letzter Sekunde doch noch gegen das „gesinnungsentsprechende“ Verhalten entschieden hätte, als auf seine Taten zu warten. Der Gedanke der Spezialprävention ermöglicht folglich ein ausschließliches Anknüpfen an die innere Haltung des Einzelnen zur Legitimation seiner „Bestrafung“. Indem die spezialpräventive Theorie den Ursprung eines reinen Täterstrafrechts bildet, gehen von ihr als alleinige – aber auch übrige Straftheorien ergänzende – Rechtfertigung staatlichen Strafens ernstzunehmende Gefahren für die Freiheit der Mitglieder der Gemeinschaft aus. Das legitime Verhältnis subjektiver und objektiver Momente bei der Feststellung des Vorliegens eines rechtlich relevanten Normverstoßes wird in folgenschwerer Weise pervertiert. Solche Belastung der Freiheitsentfaltung der Person ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat 319 Zu dieser Einschätzung einer konsequenten Umsetzung rein spezialpräventiver Ideen kommt auch Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 25 ff.: „Um Kriminalität besonders nachhaltig zu verhüten, empfiehlt es sich zudem, erst gar nicht auf das Geschehen einer Straftat zu warten, sondern gefährliche Individuen bereits im Vorfeld den geeigneten Maßnahmen zu unterziehen.“ Siehe auch Dreher, Gerechte Strafe, S. 29 f.; Horstkotte, Verwerfliche Gesinnung, S. 44 f.; Köhler, AT, S. 41; Lüderssen, KJ 39 (2006), 361 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 32 m.w. N. 320 Vgl. unten B. III. 2. a). 321 Siehe dazu oben A. III., VI., VII.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
nicht hinnehmbar. Es bedarf daher einer abschließenden Richtigstellung: Individualprävention ist als staatliche Strafe in einer freiheitlichen Grundordnung nicht legitimierbar. Es handelt sich dabei nicht um eine Straftheorie. c) Legitimer Stellenwert individualpräventiver Erwägungen im Polizeirecht Haben sich individualpräventive Ideen zwar als unbrauchbar im originär strafrechtlichen Kontext erwiesen, ist damit die Tragfähigkeit ihrer theoretischen Inhalte mit Blick auf staatliche Notwendigkeiten im Umgang mit den Bürgern noch nicht an ihrem Ende angelangt. So darf die von einer Person ausgehende Gefährlichkeit für andere bzw. für die Rechtsordnung im Ganzen auch nach hiesigem Verständnis nicht unbeachtet bleiben. In diesem Sinne sind die obigen Ausführungen zur Gesinnungsirrelevanz ausschließlich vor einem strafrechtlichem Hintergrund zu lesen – eine Allgemeingültigkeit der Aussagen bezüglich andersartiger Bedeutungsgehalte gefährlicher Anschauungen im gesamtstaatlichen Gefüge ist damit nicht intendiert. Infolgedessen muss auf festgestellte Gefährlichkeiten der Person, die ein für die Sicherheit der Gesellschaft nicht mehr tragbares Ausmaß angenommen haben, von staatlicher Seite angemessen reagiert werden. Solchermaßen erhalten selbst individualpräventive Erwägungen ihren legitimen Stellenwert innerhalb der Gesamtrechtsordnung: Als Inbegriff von Schutzgedanken gegenüber unkontrollierter Gefährlichkeit der Person sind sie im Gefahrenabwehrrecht bzw. Maßregelrecht sachgerecht zu verorten.322 Der Individualprävention kommt damit in der Sache ein breiteres Anwendungsfeld zu, als es das Strafrecht bietet. Im Vorfeld von Rechtsgutsverletzungen kann mit den Mitteln des Polizeirechts angemessen auf Gefährlichkeiten, die von einer Person herrühren, reagiert werden. Ein Abwarten auf die rechtsbrechende Tat ist unter gewissen Umständen – etwa bei hinreichender Wahrscheinlichkeit der Gefährlichkeitsrealisierung oder großem Ausmaß drohender Schäden – dann nicht erforderlich.323 Dies betrifft zudem den zeitlich einem Normbruch nachgelagerten Bereich. Hier findet die Berücksichtigung der fortdauernden Gefährlichkeit des Täters ihren Ausdruck im Recht der Maßregeln.324 Im Zeitpunkt des 322 Vgl. Freund, GA 1995, 4 ff.; dens., GA 2010, 193, 195 m. Fn. 10; dens., Straftat, S. 43 ff. m. Fn. 3; Frisch, ZStW 94 (1982), 565 ff., insbesondere 583 ff.; Haffke, Generalprävention, S. 69; Müller-Dietz, ZStW 94 (1982), 599 ff.; Roxin, AT I, § 6 Rn. 23; LK II/Schöch, Vor § 61 Rn. 38. 323 Vgl. Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 123 ff. sowie bereits oben B. I. m.w. N. 324 Die Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist nicht an die Vollverantwortlichkeit des Betreffenden gebunden. Auch gegenüber eingeschränkt bzw. nicht verantwortlichen Personen kann die Maßregel legitimes staatliches Mittel sein, da sich gerade aus der Nichtverantwortlichkeit in Ermangelung einer hinreichend erfolgversprechenden Motivation durch das Verhaltensnormenprogramm eine individuelle Gefährlichkeit ergeben kann. Vgl. noch unten B. III. 2. b), c) sowie Freund, GA 2010, 193, 198.
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zulässigen Eingreifens einer Maßregel ist es bereits zu einer Verletzung rechtlich geschützter Interessen gekommen. Es geht aber in der vom Maßregelrecht vorgesehenen staatlichen Aktion nicht um die Sanktionierung der begangenen Tat. Im Gegenteil soll mit dem Instrument der Maßregel auf die möglicherweise künftige Gefährlichkeit des Täters (spezialpräventiv) reagiert werden.325 Das Maßregelrecht ist aus diesem Grund als besonderes Polizeirecht einzustufen.326 Während beide Regelungskomplexe auf einer individualpräventiven Zweckrichtung fußen, unterscheiden sie sich lediglich in temporärer Hinsicht mit Blick auf die begangene Tat. Was ihre Zweckrichtung angeht, liegen polizeiliche Maßregeln damit ganz auf der Linie rechtlicher Verhaltensnormen:327 Intendiert ist in beiden Bereichen der Schutz konkreter Rechtsgüter, die durch ein spezifisches Verhalten gefährdet sind. Verhaltensnormen dienen jedoch als Motivationsinstrumente zu rechtlich gewolltem Verhalten und sollen den Entscheidungsprozess der Person beeinflussen. Als unsichtbare Leitlinien lenken sie in weiten Teilen das gesellschaftliche Miteinander und erzielen – die Normbefolgungsbereitschaft der Individuen vorausgesetzt – optimalen Rechtsgüterschutz.328 Im Gegensatz zu rechtlichen Verhaltensnormen prägen polizeiliche Maßnahmen nicht permanent den Prozess menschlicher Koexistenz. Als hoheitliche Akte treten sie erst dann auf den Plan, wenn eine Person als über das hinnehmbare Maß hinaus gefährlich eingestuft werden kann. Im Gegensatz zu rechtlichen Verhaltensnormen richten sie sich damit nicht als Instrument der Verhaltensmotivation an den Betreffenden, um dessen Verhalten es geht. Die mit polizeilichen Maßnahmen verbundene erhöhte Eingriffsintensität ist daher durch die Einschätzung ihres Adressaten als eines gefährlichen gerechtfertigt.329 Anders als rechtliche Verhaltensnormen und polizeiliche Maßnahmen betreiben Sanktionsnormen einen rein mittelbaren Rechtsgüterschutz. Durch sie sollen nicht 325 Siehe dazu die (durchaus kritische) Darstellung der Zielsetzung von Maßregeln der Besserung und Sicherung bei Hassemer, StV 2006, 321, 323 f. Siehe auch Freund, AT, § 1 Rn. 24 f.; LK II/Schöch, Vor § 61 Rn. 37 f., 41 ff. (zur allgemeinen Frage der Verfassungsmäßigkeit vorbeugender Maßnahmen gegen Störer). 326 Vgl. dazu Hassemer, StV 2006, 321, 323 f., der zwar zutreffend den präventiven Charakter der Maßregeln erkennt, hierin aber ein „U-Boot der Gefahrenabwehr in den Gewässern des Schuldstrafrechts“ erblickt haben will. Allerdings handelt es sich bei dem besagten Rechtsinstitut um eine Ausformung von Polizeirecht, das allein aus historischen Gründen im StGB normiert wurde. So auch Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 136. Für den Charakter der Maßregeln als sachliches Polizeirecht spricht sich ferner MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 98 ff.; ders., AT, § 1 Rn. 24; ders., GA 2010, 193, 195 aus. A.A. freilich Jung, GA 2010, 639, 642, der von einer Überlagerung der Zielsetzungen von Strafe und Maßregel ausgeht. 327 So auch Freund, GA 2010, 193, 196 f. 328 Siehe bereits oben B. II. 1. (insbesondere:) a). 329 Zur Notwendigkeit der Wahrung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Polizeirecht vgl. noch unten B. III. 2. c).
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konkrete Rechtsgüter wie das Leben, die Körperintegrität etc. vor unzulässigen Eingriffen bewahrt werden. Beabsichtigt ist hingegen die Wiederherstellung der Geltungskraft des Rechts nach bereits begangenem Normbruch.330 Insofern ist die Zweispurigkeit des Denkens, die sich bereits in der zutreffenden Trennung von Strafe und polizeirechtlicher Maßnahme im Bereich der Etablierung von strafbewehrten Verhaltensnormen zeigt (bzw. immerhin zeigen sollte331), auch bei der Strafzumessung zwingend zu beachten.332 Hier ist sie in der Differenzierung von Strafe und Maßregel erfasst. Strafe darf daher nicht durch die Gefährlichkeitsprognose des Täters beeinflusst werden. Es geht dabei allein um die angemessene Reaktion auf den Normverstoß, der einzig in der begangenen Tat zum Ausdruck kommt. Eine darüber hinaus gehende Gefährlichkeit des Täters, die trotz der verhängten (und gegebenenfalls bereits vollstreckten) Strafe besteht, kann und darf ausschließlich mit den Mitteln des Maßregelrechts berücksichtigt werden. Erst (und allein) hier greifen individualpräventive Überlegungen.333 Eine Verwässerung des Strafrechts mit polizeirechtlichen Erwägungen ließe sich zudem nicht dadurch rechtfertigen, dass sich das Strafrecht als mildere Eingriffsmaßnahme aus Sicht des Einzelnen darstellen könne.334 Im Gegenteil unter330
Zum Rechtsgrund der Strafe siehe ausführlich oben B. II. 1. Zur Kritik an Vorschriften des StGB, die in unzulässiger Weise die Grenze zwischen Polizei- und Strafrecht verwischen, siehe noch unten D. 332 Eine dem vorliegenden Verständnis nicht entsprechende Darstellung dessen, was den Terminus der „Zweispurigkeit“ ausmacht, liefert Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 121 ff. So führe nach Heinrich die Zweispurigkeit „letztlich dazu, dass präventive Maßnahmen im Strafrecht fest verankert“ seien. Zwar erkennt der Autor zutreffend, dass es sich bei Maßregeln um nichts anderes als einen Ausdruck gefahrenabwehrrechtlicher Überlegungen handelt und plädiert daher folgerichtig für eine strikte Trennung von präventiv-polizeirechtlichen Maßnahmen und Strafrecht. Indessen kann dem Gedanke, dass eine strikte Verbannung der Maßregeln aus dem Strafrecht erforderlich sei, nicht gefolgt werden. Sofern Maßregeln und Strafe unterschiedliche Zweckrichtungen aufweisen und infolgedessen eine klare Abschichtung der jeweiligen Bereiche möglich ist, kommt eine Aussonderung der Maßnahmen aus dem Strafrecht einer contradictio in adiecto gleich: Wie sollen Elemente dem Strafrecht entnommen werden, die diesem zu keinem Zeitpunkt tatsächlich angehört haben? Jedenfalls terminologisch unklar ist es dann also auch, wenn der Autor beispielhaft die Anordnung der Sicherungsverwahrung als „strafrechtliche Maßnahme“ benennt. Hieran ändert auch die Verortung der Maßregeln innerhalb des StGB nichts – ein Umstand, der vielmehr geschichtlichen Entwicklungen geschuldet ist, vgl. bereits Fn. 326 m.w. N. Die Lösung kann doch allein darin liegen, eine Betonung der unterschiedlichen Zwecksetzung von individualpräventiven Maßregeln und Strafe vorzunehmen (und insoweit muss Heinrich ob seiner deutlichen Worte Zuspruch finden) und in Orientierung an dieser rechtsstaatlich äußerst relevanten Differenzierung einen Leitfaden für die Lösung jeweiliger Sachfragen zu sehen. 333 Zu Faktoren, die zu Unrecht häufig noch verbreitet in die Strafzumessung einfließen, tatsächlich aber allein unter dem Gesichtspunkt fortdauernder Gefährlichkeit des Täters und damit der Verhängung einer Maßregel einen Sinn ergeben, siehe unten D. III. 334 So aber Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 387 f.; Zöller, GA 2010, 607, 617. Sachlich widersprechend stellt Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 127 klar, dass es Bereiche gibt, in denen das Strafrecht intensivere Eingriffsmöglichkeiten bietet. Vgl. auch Hassemer, Wolff-FS, S. 101, 113. 331
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liegt eine solche Argumentation einem Zirkelschluss: So hält das Strafrecht zwar erhöhte Schutzvorkehrungen für die Rechte des Beschuldigten bereit, die in vergleichbarem Maße im Gefahrenabwehrrecht gerade nicht eingeräumt werden. Dennoch ergibt sich diese Besonderheit gerade aus dem spezifischen Verhältnis von Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht innerhalb des rechtsstaatlichen Gefüges. Dass im Strafverfahren beispielsweise der Ermittlungsgrundsatz Geltung entfaltet, der es den Ermittlungsbehörden auferlegt, belastende Beweise für die Begehung der Tat und die Schuld des Betreffenden selbst beizubringen,335 ist gerade Ausdruck der Besonderheit, dass bei Einleitung eines Strafprozesses bereits die Verwirklichung eines strafbaren Verhaltens durch den Beschuldigten denkbar ist. Im Gegensatz dazu ist effektive Gefahrenabwehr in gewissem Umfang auf Prognoseentscheidungen angewiesen und kann die damit einhergehenden tatsächlichen Schwierigkeiten nicht umgehen.336 Sofern hier aber die Rechte des Betreffenden in einem die rechtsstaatlichen Grundsätze wahrenden Maße berücksichtigt werden, steht dies in Einklang mit der Verfassung.337 Angesichts der Aussichtlosigkeit eines Unterfangens, das die Ausmerzung letzter Restunsicherheiten bezüglich künftigen menschlichen Verhaltens beabsichtigt, muss im Rahmen von Prognoseentscheidungen die Wahrung der berechtigten Interessen des Betreffenden in einer angemessenen Risikoverteilung zum Ausdruck kommen.338 Die Argumentation hingegen, das Polizeirecht biete grundlegend intensivere Eingriffsmaßnahmen, die die Rechte des Betreffenden in höherem Maße zu verletzen geeignet sind, läuft in aller Stringenz darauf hinaus, das Gefahrenabwehrrecht gänzlich dem Strafrecht zu unterstellen. Dies kann selbst bei besonderer Großzügigkeit in der Grenzziehung zwischen beiden Rechtsgebieten nicht gewollt sein. Im Übrigen vermag die dargelegte Argumentation jedenfalls vor dem Hintergrund zu überraschen, dass die zuletzt zunehmende Etablierung eher gefahrenabwehrrechtlicher Regelungen im strafrechtlichen Kontext339 ihren tieferen Sinn in der damit ermöglichten Nutzung der durchaus gegenüber dem polizeirechtlichen Instrumentarium weitergehenden Eingriffsbefugnisse der StPO liegen dürfte.340 Aus diesem Blickwinkel könnte der Verweis auf vermeintlich mildere Rechtsein-
335 Zum Ermittlungsgrundsatz vgl. Beulke, Strafprozessrecht, § 2 Rn. 21; Kindhäuser, Strafprozessrecht, § 4 Rn. 21 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 299 ff. 336 Instruktiv zur Problematik der Prognoseentscheidungen Frisch, in: Frisch/Vogt (Hrsg.), Prognoseentscheidungen, S. 55 ff.; ders., Prognoseentscheidungen im Strafrecht, S. 7 ff. Vgl. auch Freund, GA 2010, 193, 199; Streng, Sanktionen, Rn. 611 ff. 337 Dass im Polizeirecht wie auch im Strafrecht rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt werden müssen, kann auch nicht durch die Schaffung einer nur scheinbar eigenständigen Rechtskategorie des „Feindstrafrechts“ umgangen werden. Siehe ausführlich dazu unten B. III. 2. c). Vgl. auch Heinrich, ZStW 121, 94, 128 ff. 338 Siehe auch Freund, GA 2010, 193, 199; Streng, Sanktionen, Rn. 613 ff. 339 Vgl. noch unten D. 340 Zu dieser Einschätzung kommen auch Krauß, StV 1995, 315, 322; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 153; Zöller, GA 2010, 607, 620.
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griffe mit den Mitteln des Strafrechts als (untauglicher) Versuch der Verschleierung wahrer Ermittlungsinteressen gewertet werden – ein Vorwurf, dem sich die Strafrechtswissenschaft nicht selbst aussetzen sollte. Es verbleibt damit keine Alternative zu der konsequenten Wahrung der Unterscheidung von Polizei- und Strafrecht. Individualpräventive Überlegungen entfalten ausschließlich innerhalb des erstgenannten Rechtsgebiets ihren legitimen Rang. Für das theoretische Fundament des Gefahrenabwehrrechts lässt sich damit ohne Umschweife auf die ursprünglich als Straftheorie entwickelte Idee der Spezialprävention zurückgreifen. 2. Stellenwert der Gesinnung im Polizeirecht Soll der Gesinnung im Polizeirecht eine Bedeutung beigemessen werden, muss sich dies in die individualpräventive Zielsetzung einfügen. Verbindungsglied zwischen der potentiellen Gefährlichkeit der Person und ihrer Gesinnung ist deren Motivationspotential. Auch die Untersuchung der Vereinbarkeit des polizeirechtlichen Stellenwerts von Gesinnungen mit den Vorgaben einer freiheitlichen Grundordnung steht noch aus. a) Gesinnung ist Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person Der Zusammenhang zwischen einer unwertigen Gesinnung und der Gefährlichkeit der Person wurde im bisherigen Gang der Untersuchung mehrfach hergestellt und soll an dieser Stelle in gebotener Kürze erfasst werden.341 Gesinnung ist die Haltung der Person zu den gesellschaftlichen Werten. Dabei handelt es sich nicht um ein allein dem Internum der Person überlassenes Phänomen. Vielmehr drängt die Gesinnung im Wunsch des Einzelnen auf Bestätigung des eigenen Welt- und Selbstbildes nach außen.342 Hierin liegt nunmehr der verhaltensmotivierende Charakter von Gesinnungen. Sprachlich kommt dies besonders treffend im Begriff der „Einstellung“ zum Ausdruck. Die Person ist bezüglich spezifischer Werte in bestimmter Weise eingestellt, sie verfolgt ein inneres Programm, das Verhaltensvorgaben formuliert. Denkbar ist zwar, dass der Betreffende sich gegen diese Anleitung entscheidet (Sanktionsmechanismen stehen in 341 Einen solchen Zusammenhang sehen u. a. auch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 552 f.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 221 ff.; Freund, GA 2010, 193, 201; Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 769; SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 456; Radbruch, Rechtsphilosophie, hrsg. v. Erik Wolf, S. 132 f.; Radtke/Steinsiek, ZIS 2008, 383, 393 f.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 55 ff.; LK II/Theune, § 46 Rn. 106 (der hierin aber keinen Automatismus sieht, indem er auf die Möglichkeit verweist, dass die verhängte Strafe den Täter dazu motiviert, die Verhaltensnormen künftig zu achten); Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 149 f. Vgl. für das Gewissen auch Figueiredo Dias, Roxin-FS, S. 531, 542. 342 Vgl. oben A. III.
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Gestalt eines schlechten Gewissens bzw. des unguten Gefühls, sich in spezifischem Umfang selbst verraten zu haben, bereit). Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass dies stets geschieht – anderenfalls wäre kaum noch mit Berechtigung von einer Grundhaltung die Rede. Die Gefährlichkeit von Personen, die sich eine wertwidrige Gesinnung angeeignet haben, lässt sich nunmehr unschwer aufzeigen: Sie liegt in der Erkenntnis, dass der Mensch sich nicht in jeder relevanten Phase seines Verhaltens gegen die Vorgaben seiner Einstellung entscheiden wird. Vielmehr wird es zu Situationen kommen, in denen er in Konfrontation mit dem betreffenden Wert dem entspricht, was sein inneres Programm als Verhaltensmöglichkeit anbietet. Aus einer unwertigen Gesinnung lässt sich folglich die Vermutung ableiten, dass es von Seiten ihres Inhabers zu einer Artikulation seiner Wertehaltung durch entsprechendes Verhalten kommen wird. Es steht damit die Gefahr im Raum, dass solche Personen eher geneigt sind, Güter und Interessen anderer (sofern sich ihre wertnegierende Gesinnung auf diese bezieht) zu verletzen. Dabei handelt es sich um eine reine Prognose – mehr können Gefährlichkeitserwägungen aber auch nicht sein. Vielmehr hat das Gefahrenabwehrrecht sich aus der Natur der Sache heraus auf Wahrscheinlichkeitseinschätzungen zu verlassen – zu einem Normverstoß, der mit Gewissheit nachgewiesen werden kann, soll es ja gerade nicht kommen. Es offenbart sich damit die tiefe Verwobenheit des Polizeirechts mit dem Gegenstand der hiesigen Untersuchung: der Gesinnung.343 Letztere darf zwar zur Bestrafung einer Person legitimerweise nicht herangezogen werden. Dies soll aber ihre exponierte Bedeutung im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts nicht schmälern. Geht es um staatliche Maßnahmen aufgrund von Gefährlichkeiten, die von bestimmten Personen für die Rechte und Interessen anderer ausgehen, müssen die Gefahrenabwehrorgane auf sämtliche Faktoren zurückgreifen, die hierüber Aufschluss geben können. Dabei spielt freilich die Geisteshaltung der Person eine nicht zu unterschätzende Rolle, lässt sie doch jedenfalls eine grundsätzliche Verhaltenstendenz der Person erkennen. Als Indiz für künftiges gefährliches Verhalten kombiniert mit anderen Faktoren, die die Annahme einer Gefährlichkeit des Betreffenden nahelegen,344 kann sie die Notwendigkeit gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen rechtfertigen.345 Als Ausdruck der Gefährlichkeit der 343 Dass die Gesinnung allein unter präventiven Gesichtspunkten ernstlich einen legitimen Stellenwert erlangen kann, betonen auch Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 19 f.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 223; SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 381. 344 Zu denken ist etwa an konkrete Vorbereitungshandlungen zur Verwirklichung eines deliktischen Verhaltens bzw. entsprechende Äußerungen des Betreffenden. 345 Die Vereinbarkeit von polizeirechtlichen Maßnahmen, die an die Gesinnung der Person anknüpfen, mit den Vorgaben des freiheitlichen Rechtsstaats wird unter B. III. 2. b) näher behandelt. Besondere Bedeutung entfaltet dabei die Wahrung des Verhältnis-
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Person findet die Gesinnung des Einzelnen damit ihren legitimen Stellenwert innerhalb des Polizeirechts. b) Vereinbarkeit mit einer freiheitlichen Grundordnung Zweckrationale Abgrenzung und Verortung der Gesinnung innerhalb des Polizeirechts haben eine Frage bislang offengelassen: Soll es in einem freiheitlichen Rechtsstaat überhaupt möglich sein, die Gesinnung im Recht zu würdigen? Oder hat nicht das Recht gänzlich frei zu bleiben von jenem subjektiven Element, das selbst im polizeirechtlichen Gewande Zweifel an der Wahrung der Gedankenfreiheit nicht abzustreifen scheint? So könnte eingeworfen werden, auch polizeiliche Maßnahmen enthielten – unter Umständen erhebliche346 – Übelzufügungen, die unmittelbar an die Gedanken der Person anknüpften. Käme dies nicht faktisch dem Verbot des Habens spezifischer Geisteshaltungen gleich? Trotz zugegebener, in der tatsächlichen Umsetzung oftmals vorliegender Parallelität der staatlichen Handlungsweisen in den Bereichen des Polizei- und des Strafrechts muss dem indes in aller Vehemenz widersprochen werden.347 Dabei gilt es, insbesondere zwei Punkte zu benennen, die die Unterschiedlichkeit beider Rechtsgebiete vor verfassungsrechtlichem Hintergrund näher beleuchten und eine Andersbewertung der Beschränkungen von Gedankenfreiheit zulassen.348 Zunächst soll durch Strafrecht die unmittelbar durch legitimierte Verhaltensnormen betriebene Verhaltenskontrolle flankiert werden. Verhaltensnormen dienen der Motivation der Normadressaten zu richtigem Verhalten. Wird mithin eine Verhaltensnorm aufgestellt, die das Haben, Sich-Aneignen oder Nicht-Ablegen einer Gesinnung verbietet, so liegt darin eine allgemeine Verhaltensaufforderung an sämtliche Normadressaten. Dabei handelt es sich – wie an früherer Stelle festgestellt wurde – um einen erheblichen, unter rechtsstaatlichen Vorzeichen nicht hinzunehmenden Eingriff in die Freiheit der Gedanken, sodass es mangels legitimierter Verhaltensnormen auf diesem Terrain für das Strafrecht nichts zu schützen gibt. Anders verhält es sich hingegen im Polizeirecht. Hier wird nicht in allmäßigkeitsgrundsatzes, der hier in Ermangelung des strafrechtlichen Schuldgrundsatzes ein verfassungsrechtliches Korrektiv zur Wahrung grundlegender Freiheiten der Person bietet. 346 Vgl. etwa die bestehenden Möglichkeiten, im Wege der Sicherungsverwahrung die Freiheit des Einzelnen zu begrenzen. Siehe dazu die Nachweise in Fn. 347. 347 Zu Recht wurde in der jüngeren Vergangenheit mehrfach die faktische Vergleichbarkeit des Maßregelvollzugs (etwa am Beispiel der Sicherungsverwahrung) und der Strafverbüßung moniert, vgl. EGMR – 19359/04 – M. gegen Deutschland; Freund, GA 2010, 193, 206 f.; Jung, GA 2010, 639, 644; Kreuzer, StV 2011, 122, 125; LK II/ Schöch, Vor § 61 Rn. 26. 348 Zu den denkbaren Varianten des Zusammenspiels von Strafe und Maßregel der Besserung und Sicherung bei uneingeschränkt verantwortlichen Tätern vgl. Freund, GA 2010, 193, 202 ff. Zu dem in diesem Zusammenhang auftretenden Legitimationsproblem des Normenmodells vgl. ausführlich unten B. III. 2. c).
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gemeiner Form Verhaltenskontrolle durch die Etablierung von Verhaltensnormen betrieben. Dies entspräche insbesondere nicht der Zielsetzung des Polizeirechts. Danach soll im konkreten Einzelfall der Schutz eines spezifisch gefährdeten Rechtsguts durch die Vornahme staatlicher Präventivmaßnahmen geleistet werden. Die gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffe sind damit per se punktueller Natur, sie enthalten kein allgemeines Urteil über das Haben einer bestimmten Einstellung.349 Damit ist bereits der zweite wesentliche Aspekt angesprochen, der die potentielle Vergleichbarkeit von Polizeirecht und Strafrecht allenfalls auf den begrenzten Bereich der faktischen Umsetzung jeweiliger Maßnahmen verweist: Strafe ist Tadel. Durch sie wird dem Täter von Seiten der Gesellschaft mitgeteilt, dass sein Verhalten nicht den geltenden Rechtsnormen entspricht und daher nicht als maßgeblich erachtet werden kann. Ihm wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass seine Vorstellung, die eigenen Maximen an die Stelle der gesellschaftlichen setzen zu können, falsch ist und aus Sicht der Rechtsgemeinschaft nicht hingenommen wird. Solcher persönlicher Tadel ist einer polizeilichen Maßnahme fremd. Präventives Handeln der Staatsorgane soll gerade die drohende Verletzung eines konkreten Rechtsguts vermeiden. Dann kann aber dem Täter gegenüber kein Vorwurf dahingehend gemacht werden, das Recht negiert bzw. die gesellschaftlichen Normen durch sein Verhalten missachtet zu haben – zum Rechtsbruch ist es gerade noch nicht gekommen. Darin zeigt sich erneut der allgemeine Charakter strafender Reaktion gegenüber dem punktuellen Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Dass Gefahrenabwehr im Einzelfall kein Urteil über die grundlegende Richtigkeit einer bestimmten Geisteshaltung aufweist, liegt auf der Hand: Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind vielmehr sozialethisch indifferent und geben gerade keine allgemeingültige Bewertung eines Verhaltens bzw. einer Einstellung ab.350 Hinzu kommt, dass im Polizeirecht das alleinige Haben einer unwertigen Gesinnung im seltensten Fall ausreichen wird, um Abwehrmaßnahmen zu legitimieren. Vielmehr sind an die Begründung des Vorliegens einer Gefährlichkeit der Person, die polizeiliches Handeln erforderlich macht, erhöhte Anforderungen gestellt. Allein das Denken bzw. Aussprechen wertwidriger Einstellungen zur Annahme von Gefährlichkeit wird den Vorgaben des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht genügen. Dieser fungiert im Gefahrenabwehrrecht angesichts mangelnder Rückbindung an den Schuldgrundsatz als Korrektiv zur Gewährleistung angemessenen staatlichen Handelns.351 Wollen staatliche Organe auf die angenom349
Vgl. auch BKGG/Degenhart, Art. 5 Abs. 1 und 2 Rn. 197. Siehe dazu LK II/Schöch, Vor § 61 Rn. 29; SK/Sinn, 118. Lfg. Juli 2009, § 61 Rn. 2. 351 Grabitz, AöR 98 (1973), 568, 612 ff.; Sachs, GG, Art. 20 Rn. 145, 148. Vgl. zum Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung Bae, Grundsatz der Verhältnismä350
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
mene Gefährlichkeit einer Person präventiv reagieren, unterliegen sie einem erhöhten Begründungsaufwand. Gerade hier zeigt sich die wesentlich andere Beurteilung des Bedeutungsgehalts der Gedankenfreiheit in einem solchen Verständnis staatlicher Befugnisse. Kann allein präventiv und punktuell auf die Gefährlichkeit von Personen reagiert werden, die unter anderem aufgrund der Artikulation ihrer Geisteshaltung angenommen wird, liegt hierin die grundlegende Anerkennung der Gedankenfreiheit der Bürger des Staates. Während strafbewehrte Verbote allgemein das Haben bestimmter Gesinnungen verbieten und damit die Freiheit der Gedanken in genereller Form negieren (jedenfalls für diesen spezifischen Bereich), achtet polizeiliches Vorgehen gegen im Einzelfall gefährliche Personen die Gedankenfreiheit als gesellschaftlichen Wert. So wird akzeptiert, dass jeder Einzelne die Freiheit selbst zu besonders schlechten Gedanken bzw. Irrtümern352 hat. Sofern sich daraus jedoch eine konkrete Gefährlichkeit für ein spezifisches Rechtsgut ergibt, kann die Freiheit der Person eingeschränkt werden. Dabei werden aber nicht ihre Gedanken oder Einstellungen rechtlich beschnitten. Vielmehr belässt man der Person ihre Geisteshaltung, verlangt ihr aber das Erdulden einer Maßnahme ab, die im konkreten Fall ein höherwertiges Interesse schützt. Es ergibt sich hieraus die grundlegende Legitimität der Gesinnungsrelevanz im Polizeirecht eines freiheitlichen Rechtsstaats. Dabei kommt eine besondere Bedeutung der Einhaltung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu. Es ist zwar vorstellbar, dass erheblich gefährliche Gesinnungen, die etwa in entsprechender Form bereits artikuliert wurden, eine bedeutsame Rolle in der Gefahrenabwehr einnehmen können. Trotz aller berechtigter Sicherheitsbestrebungen angesichts realer Gefahren gilt es aber auch hier, das rechte Maß zu wahren. Dass die Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erhebliche Gefahren für den Rechtsstaat birgt, liegt auf der Hand. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein Spezifikum der Gesinnungsrelevanz im Polizeirecht. Verfassungsrechtliche Grundsätze müssen allgemein gewahrt werden, ausschließlich ihre Einhaltung garantiert die Beibehaltung rechtsstaatlicher Strukturen. c) Polizeiliche Maßnahmen gegenüber dem vollverantwortlichen Gesinnungstäter: Kapitulation des Modells der Verhaltensmotivation durch rechtliche Verhaltensnormen? Doch lässt eine Verhängung von polizeirechtlichen Maßnahmen noch Fragen offen, wenn sie gegenüber demjenigen erfolgt, der sich in voller Verantwortlichkeit für das eigene Verhalten gegen die Normbefolgung entscheidet und der ßigkeit; LK II/Schöch, Vor § 61 Rn. 49 ff., § 62 Rn. 1 ff.; MK/van Gemmeren, § 62 Rn. 1 ff. 352 Vgl. zum unbemerkten Selbstwiderspruch desjenigen, der sich trotz Normkenntnis vollverantwortlich gegen die Normbefolgung entscheidet, unten B. III. 2. c) bb).
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Triebfeder seiner Gesinnung folgend hinter jenen Anforderungen zurückbleibt, die das Recht an ihn stellt. Dabei kann gerade die Fähigkeit, Einsicht in geltende Normen zu erlangen sowie sein Verhalten entsprechend zu steuern, seine individuelle Gefährlichkeit begründen. Von dem Vollverantwortlichen sind – im Gegensatz zum eingeschränkt Verantwortlichen – in höherem Maße Planung und Selbstkontrolle zu erwarten, was sein Schädigungspotential gegenüber Opfern ungleich erhöht. Dennoch droht, sich in innere Widersprüche zu verstricken, wer dem Vollverantwortlichen angesichts seiner individuellen Gefährlichkeit für konkrete Rechtsgüter das Urteil seiner Unmündigkeit in Gestalt einer gefahrenabwehrrechtlichen Reaktion ausspricht.353 Nicht anders verhält es sich jedoch mit den Maßnahmen des Polizeirechts, die in ihrer Verhängung gleichsam die Kapitulation des Verhaltensnormenprogramms gegenüber ihrem Adressaten einzugestehen scheinen: Der einzelne Vollverantwortliche lässt sich gerade doch nicht immer von denjenigen Vorschriften in seinem Verhalten motivieren, die für das gemeinsame Miteinander als konstitutiv befunden werden – und stellt daher eine gesellschaftliche Gefahr dar. In Unvernunft verharrt er taub und blind gegenüber jenen allgemeinen Verhaltensanforderungen, die eine friedliche Koexistenz gewährleisten sollen. Legitime Rechtsgüter zu garantieren trotz oder gerade aufgrund solcher Erfolglosigkeit im Ansprechen des Gefährlichen, ist aber originäres Ziel der gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahme. Gegenüber dem nicht bzw. eingeschränkt Verantwortlichen lässt sich staatliches Präventivhandeln ohne Umschweife normentheoretisch begründen: Wer in seiner Steuerungsfähigkeit sowie dem Vermögen, Einsicht in die Berechtigung von Verhaltensvorschriften zu erlangen, gestört ist, demgegenüber verspricht das Verhaltensnormenprogramm als Instrument der Verhaltenslenkung wenig Erfolg: Es funktioniert nicht recht. Vollumfängliche Einsichtsfähigkeit ist Grundvoraussetzung der Idee potentieller Verhaltensmotivation im Wege der Etablierung rechtlicher Verhaltensnormen: Wen diese nicht erreichen können, der kann sich und sein Verhalten auch nicht nach ihnen ausrichten. Mitunter kann hierin gerade die Gefährlichkeit solcher Personen liegen: In Ermangelung uneingeschränkter Einsicht in die Richtigkeit geltender Vorschriften wird ihnen die Normeinhaltung weniger nahe liegen als dem ungehindert Einsichtsfähigen. Die Gefahr abweichenden Verhaltens ist dann nicht abwegig.354 Während damit ein Defizit in der Leistungsfähigkeit des Betreffenden im Fall der Verhaltensmotivation durch Normen gegenüber einem nicht vollumfänglich Verantwortlichen im Einzelfall die Notwendigkeit der Verhängung zusätzlicher 353 Jenen normentheoretischen Konflikt sieht auch Freund, GA 2010, 193, 200 ff. Vgl. zudem Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 373 f.; Weißer, ZStW 121 (2009), 131, 154, die zutreffend darauf hinweist, dass der Überzeugungstäter sich nicht von strafrechtlichen Verhaltensnormen motivieren lässt. 354 Freund, GA 2010, 193, 198. Vgl. schon oben Fn. 324.
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Maßnahmen zum konkreten Rechtsgüterschutz legitimiert, kann hiervon im Verhältnis zum Vollverantwortlichen gerade nicht die Rede sein. Normentheoretisch ist er Adressat der jeweiligen Verhaltensanforderungen, indem er grundsätzlich die Einsicht in die Richtigkeit der geltenden Normen erlangen und sein Verhalten frei steuern kann. Am Ideal der Vernunftbegabung des Bürgers ausgerichtet, müsste daher eine Verhaltensmotivation gegenüber dem Vollverantwortlichen grundsätzlich von Erfolg gekrönt sein. Normverstöße sind zwar im System angelegt – die Verhaltensnormen sollen lediglich zu rechtmäßigem Verhalten motivieren, eine absolute Garantie können sie nicht bieten. Dann aber dient gerade der in der Strafe verkörperte Tadel dazu, dem Täter sein Irren aufzuzeigen und ihm den Weg in sein künftiges Leben in der Gesellschaft zu ebnen: Der Normbruch wird nicht toleriert, er war falsch. Strafe widerspricht der Auffassung des Täters, der seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen gestellt hat. Normentheoretisch ist dann aber vorgesehen, dass der Getadelte kraft seiner Vernunft die eigene Verfehlung als solche einsieht – und künftig Abstand von entsprechendem Verhalten nimmt. Grundsätzlich wird ihm nach Verbüßung der Strafe von Seiten des Rechts weiterhin das Vertrauen geschenkt, dass er sich von seiner Fähigkeit zur Einsicht in die Richtigkeit der etablierten Normen leiten lässt. Seine Vernunftbegabung und die sich daraus ableitende Befähigung, richtig zu handeln, sind zentraler Gegenstand des Modells rechtlicher Verhaltensnormen. Die Gefährlichkeit der vollverantwortlichen Person verstanden als ernstzunehmende Tendenz zu auch künftigem normbrüchigen Verhalten erscheint damit im Konzept der Verhaltensmotivation durch rechtliche Verhaltensnormen systemfremd. Wer Herr seiner Sinne ist und sein Verhalten selbst steuern kann, der wird grundsätzlich die Richtigkeit des Normenkatalogs anerkennen und Normbefolgung als für die eigene Person beste Verhaltensvariante im gesellschaftlichen Miteinander wählen – so die Idee. Dass sich Personen etwa aufgrund einer vom rechtlich Gewollten abweichenden Gesinnung trotz ihrer uneingeschränkten Einsichtsfähigkeit gegen die Maximen des Rechts entscheiden und in der Folge die Gefahr künftiger Normverstöße im Raum steht, scheint die Hilflosigkeit des Systems zu offenbaren. Der Griff zur polizeilichen Maßnahme als Instrument gegenüber dem Unvernünftigen, den Appelle rechtlicher Normen aufgrund eines individuellen Defizits nicht erreichen, verträgt sich nicht mit dem Bild des grundsätzlich vernunftbegabten Bürgers. Dem vollverantwortlichen Individuum wird dann gerade nicht mehr die Möglichkeit eingeräumt, sich freiwillig für die Normbefolgung und gegen das Unrecht zu entscheiden. Der Vertrauensentzug äußert sich in der Verhängung einer Maßnahme, die ihn dem eingeschränkt bzw. nicht Freien gleichsetzt. Ist einhergehend mit der Kapitulation des Normensystems der Bruch mit einem freiheitlichen Menschenbild eingeläutet?
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aa) Feindstrafrecht als Retter des Normenmodells? Jakobs sieht die Lösung eben jenes normentheoretischen Dilemmas offenbar in der Etablierung einer weiteren Kategorie des Strafrechts.355 Jakobs will zwischen einem Bürgerstrafrecht und einem Feindstrafrecht unterscheiden.356 Während im Bürgerstrafrecht sämtliche rechtsstaatlichen Prinzipien bindende Kraft entfalten, gelten nach Jakobs im Feindstrafrecht andere Regeln. Dieses sei insbesondere charakterisiert durch die Entpersonalisierung des Einzelnen im Wege des Verlusts an Rechten sowohl im materiellen als auch prozessualen strafrechtlichen Bereich. So könne im Feindstrafrecht eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit (oftmals weit ins Vorfeld des strafbaren Versuchs), die indes nicht durch angemessene Reduktion der Strafhöhe ausgeglichen wird, ebenso wie der Verlust prozessualer Rechte (beispielsweise die nicht ausnahmslose Anwendung des § 136a StPO) beobachtet werden. Jakobs verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf neuere Gesetze aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, Terrorismusbekämpfung oder der Sexualdelikte.357 Was zunächst als „Bestandsaufnahme“ 358 daherkommt, die sich wohl mehrheitlich mit den Beobachtungen anderer Autoren – im Übrigen zudem mit den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung – deckt,359 entwickelte aus anderem Grunde in der Folgezeit eine erhöhte Sprengkraft – nicht nur im Kreis der Straf355 Direkt spricht Jakobs selbst die Legitimationsschwierigkeiten des Normensystems angesichts des vollverantwortlichen Überzeugungstäters nicht an. Es gilt aber zu vermuten, dass hinter seiner Idee eines Feindstrafrechts zur Behandlung derjenigen, die keine Rechtstreue zeigen, eben jene Überlegung steht. 356 ZStW 97 (1985), 751 ff.; ders., HRRS 2004, 88 ff.; ders., ZStW 117 (2005), 839 ff.; ders., HRRS 2006, 289 ff. – Eine vergleichbare Unterscheidung zwischen einem „weiten und flexiblen“ sowie einem „minimalen und engen“ Strafrecht will auch Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 79 ff., 84 ff. vornehmen. Solcher Dualismus soll ermöglichen, im Bereich der nicht mit Freiheitsstrafe geahndeten Straftaten eine größere Flexibilisierung zu erzielen, die sich etwa in der „Haftung von juristischen Personen, Ausweitung der Täterschaftskriterien“ sowie der weniger strengen Wahrung kriminalpolitischer Grundsätze wie etwa „des Gesetzlichkeitsprinzips, des Bestimmtheitsgebots oder des Schuldprinzips“ äußere. Analog der breiten Auseinandersetzung mit der Konzeption des Feindstrafrechts, zu dem das flexible Strafrecht Silva Sanchez’ evidente Parallelen aufweist, kann hier auf die nachfolgende Kritik verwiesen werden. Dass es sich bei einer solchen „zweiten Spur“ angesichts der offenkundigen Abkehr von elementaren Kernprinzipien noch um Strafrecht handelt, ist jedenfalls ernstlich anzuzweifeln. 357 ZStW 97 (1985 ) 751, 772 ff.; ders., HRRS 2004, 88, 93; ders., HRRS 2006, 289, 295 f. 358 Jakobs, HRRS 2006, 289. 359 Siehe dazu auch Albrecht, ZStW 117 (2005), 852, 855 f.; Arnold, HRRS 2006, 303, 304; Bung, HRRS 2006, 63, 64; Cancio Meliá, ZStW 117 (2005), 267, 268 ff.; Dencker, StV 1988, 263, 264; Heinrich, ZStW 121, 94, 112 ff.; Hörnle, GA 2006, 80, 82 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353, 354 f.; Sinn, ZIS 2006, 107, 108 ff. Sieber, ZStW 119 (2007) 1, 44 ff. spricht in diesem Zusammenhang treffend von „gegenwärtig feststellbaren Entgrenzungen des Strafrechts“. Vgl. insbesondere unten D.
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rechtswissenschaft.360 So beteuert Jakobs zwar mehrfach, die festgestellten „polizeirechtlichen Verschmutzungen des Strafrechts“ 361 sehe er selbst mit wachsender Besorgnis. Dennoch betont Jakobs in jeder Schrift zum besagten Thema, dass ohne ein Feindstrafrecht ernstlich nicht mehr auszukommen sei und erarbeitet zugleich eine rechtsphilosophische Fundierung des gerade noch kritisierten Vorgangs.362 Darin wendet er sich zunächst gegen die Vertragstheorien Fichtes und Rousseaus, die dem Verbrecher die Fähigkeit absprechen, länger Mitglied des Staates zu sein.363 Solche Konzeptionen würden dem Umstand nicht gerecht, dass der Einzelne das Recht, aber eben auch die Pflicht zur Wiedergutmachung habe. Beides setze aber die Personalität (auch) des Verbrechers voraus, weshalb nicht eine jede strafbare Handlung ihn unwiederbringlich aus dem Kreis der Gesellschaft verbannen könne.364 Diese Erkenntnis sieht Jakobs dann aber in der Vertrags- (bzw. Institutionen-)theorie Hobbes verwirklicht. Danach sei es dem Bürger grundsätzlich nicht möglich, auf eigene Faust seinen Bürgerstatus aufzuheben. Abgesehen von dem Fall des Hochverrats verbleibe selbst der Verbrecher im Kreise der Bürger und erfahre sonach selbst dann keine Entrechtung, wenn er gegen die Gesetze verstoße. Demgegenüber belege der Einzelne im Hochverrat seine persönliche „Aufkündigung der Unterwerfung“, weshalb er als Feind erachtet und bestraft werden müsse.365 Ebenso sieht Jakobs die Idee eines Feindstrafrechts in den Aussagen Kants verwirklicht, wonach derjenige als „Feind (zu) behandeln“ sei, der sich nicht auf die Regeln eines „gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand(s)“ einlassen will.366 Jakobs zieht hieraus die Erkenntnis, dass im Feindstrafrecht „prinzipielle Abweichler“ bestraft werden sollen, die „beharrlich“ gegen die Gesetze verstoßen und bei denen daher „die Erwartung personalen Verhaltens dauerhaft enttäuscht wird“. Dem stellt Jakobs die „normale Delinquenz“ bzw. den „bürgerlichen Delinquenten“ gegenüber, der nur punktuell fehlgeht, nicht aber „das Ganze“ anzweifelt. Ihm könne trotz des Verbrechens weiterhin der Status als Person im Recht zugestanden werden.367
360 Einen ausführlichen Überblick der bisherigen Literatur zum Thema des Feindstrafrechts liefert beispielsweise Heinrich, ZStW 121 (2009), 94, 101 m. Fn. 36, 37. 361 ZStW 117 (2005), 839, 840. 362 Jakobs, ZStW 117 (2005), 839, 850 f.; ders., HRRS 2006, 289, 290. Auf die Notwendigkeit der auch rechtlichen Reaktion auf veränderte Bedrohungslagen hervorgerufen durch den internationalen Terrorismus, der nicht ohne Weiteres mit den Mitteln des Kriegsrechts oder Strafrechts geahndet werden kann, verweist auch Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 23, 40. 363 Siehe nur Jakobs, HRRS 2004, 88, 89 f. mit den dortigen Nachweisen. 364 Jakobs, HRRS 2004, 88, 89 f.; ders., HRRS 2006, 289, 293. 365 Hobbes, Leviathan, S. 239, 242. 366 Zum ewigen Frieden, 2. Abschnitt (S. 11). 367 Jakobs, HRRS 2004, 88, 93 ff.; ders., ZStW 117 (2005), 839, 841 ff.; ders., HRRS 2006, 289, 292 ff. Anders hingegen Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 90: „Seine Unrechtstat ändert freilich nichts daran, daß der Betreffende Bürger ist und
III. Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Übertragen auf die aktuelle Situation im deutschen Strafrecht können nach Jakobs aus diesem rechtsphilosophischen Fundament folgende Rückschlüsse gezogen werden: „Jeder, der zumindest einigermaßen verläßlich Rechtstreue verspricht, hat den Anspruch, als Person im Recht behandelt zu werden. Wer dieses Versprechen nicht in glaubhafter Weise leistet, wird tendenziell fremdverwaltet; ihm werden Rechte genommen.“ 368 Konkret müssen daher gegenüber dem „Feind“ des Rechts, demjenigen, der „die Legitimität der Rechtsordnung prinzipiell leugnet und deshalb darauf aus ist, diese Ordnung zu zerstören“, rechtsstaatliche Prinzipien nicht in demselben Maße gewahrt werden, wie dies gegenüber den Bürgern zu erfolgen habe.369 Fragen der klaren Grenzziehung werden in diesem Kontext seitens Jakobs nicht abschließend geklärt. Es finden sich lediglich Ausführungen dahingehend, „das Feindstrafrecht sei auf das Erforderliche zu begrenzen“.370 Worin dieses aber liege, wird nicht gesagt, obgleich hier wohl ein entscheidender Gesichtspunkt der Haltbarkeit der gesamten Konzeption liegen dürfte.371 Jakobs verteidigt im Weiteren seine Theorie der Erforderlichkeit eines Feindstrafrechts neben dem etablierten Bürgerstrafrecht gegen bislang aufgekommene Bedenken. Dabei liegt ein Schwerpunkt seiner Argumentation darin, die Realitätsferne eines strikten Festhaltens an rechtsstaatlichen Grundsätzen in sämtlichen Feldern staatlichen Handelns seitens seiner Gegner zu betonen: „Über eine Idealwelt kann man sich leicht verständigen, aber für das Leben in der wirklichen Welt hat man dadurch nichts gewonnen.“ 372 Rückendeckung erfährt Jakobs in diesem Punkt insbesondere durch Pawlik, der in diesem Kontext in der Literatur „die sonderbarsten Blüten politisch korrekten westlichen Selbsthasses“ entdeckt haben will.373 Darüber hinaus verteidigt Jakobs die Verortung des Feindstrafrechts im Strafrecht mit der Entscheidung des Gesetzgebers zu diesem Schritt.374 Da aber mit solcher Feststellung – abgesehen von der Untermauerung eines rein positivistischen Ansatzes375 – nicht viel gewonnen ist, führt er weiter aus, allein
bleibt.“ Siehe zu dieser zutreffenden Einschätzung sowie deren systemtheoretische Fundierung auch die weiteren Ausführungen im Text. 368 HRRS 2006, 289, 293. 369 Jakobs, ZStW 117 (2005), 839, 843 f.; ders., HRRS 2006, 289, 293. 370 So soll das Feindstrafrecht im „klug verwalteten Rechtsstaat eine ultima ratio, die bewußt als Ausnahme angewandt wird, als etwas, das nicht zu dauerndem Gebrauch taugt“, darstellen, Jakobs, HRRS 2006, 289, 294, 297; ders., ZStW 117 (2005), 839, 850 f. 371 Indem es sich beim Feindstrafrecht letztlich um eine Umschreibung polizeirechtlicher Maßnahmen handelt, kann eine Umgehung der rechtsstaatlichen Bindungen auch nicht durch solche Etikettierung erzielt werden. Die Vorgaben der Verfassung gegenüber hoheitlichen Akten sind stets zu wahren. Vgl. dazu bereits oben B. III. 2. b). 372 HRRS 2006, 289 f., 297. 373 Der Terrorist und sein Recht, S. 21. 374 HRRS 2006, 289, 294 f. 375 Arnold, HRRS 2006, 303, 304 ff.; Bung, HRRS 2006. 317, 318.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
im Strafrecht sei das notwendige Instrumentarium zur Bekämpfung der Feinde vorhanden. Zudem solle selbst im Feindstrafrecht „zumindest ein Teil der rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Prozeßrechts gegeben“ sein, „um es rechtsstaatlich erträglich zu machen, aber auch um die Differenz zum Bürgerstrafrecht zu verschleiern“.376 Es lassen sich damit in wenigen Zeilen die Konsequenzen der vorgestellten Konzeption für den Gegenstand der eigenen Untersuchung festhalten. Innerhalb eines Feindstrafrechts, in dem auf die Gefährlichkeit des Feindes für die Rechtsordnung durch beispielsweise die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit reagiert wird, erlangt die Gesinnung des Täters einen bedeutsamen Stellenwert. Soll es darauf ankommen, dass das Individuum „Rechtstreue“ leistet und nicht die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit in Frage stellt, sind unmittelbar subjektive Kategorien angesprochen, die sich ohne Weiteres in das Erfordernis einer rechtstreuen, wertbejahenden Gesinnung übersetzen lassen.377 Dies wird zudem durch die präventive Stoßrichtung des von Jakobs gemeinten Feindstrafrechts unterstrichen: Demnach wird derjenige zum „Gefahrenherd, zum kognitiv anzugehenden Sicherheitsproblem“ 378, bei dem nicht mehr von rechtstreuem Verhalten ausgegangen werden könne. Somit handelt es sich im Kern um polizeirechtliche Erwägungen, die hinter der Idee des Feindstrafrechts stehen.379 Bereits oben konnte aber belegt werden, dass die Gesinnung des Einzelnen allenfalls im Rahmen der Gefahrenabwehr – sofern sie nämlich im Verbund mit anderen Umständen als Indiz der Gefährlichkeit des Betreffenden gewertet wird – einen legitimen Stellenwert einnehmen kann. Was daher zentral an der Konzeption des Feindstrafrechts stört, ist nicht etwa die oftmals belegte Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Erwägungen380 (die Jakobs selbst nicht abstreitet) oder aber die seitens der Idee eines Feindstrafrechts 376
Jakobs, HRRS 2006, 289, 296. Diese Analyse wird geteilt von Hörnle, GA 2006, 80, 90 f. 378 ZStW 117 (2005), 839, 842. 379 Dies wird auch von Jakobs selbst betont: HRRS 2004, 88, 89, 90 („Bürgerstrafrecht erhält die Normgeltung, Feindstrafrecht [. . .] bekämpft Gefahren“), 92 („[. . .] dass es nicht primär um den Ausgleich eines Normgeltungsschadens geht, sondern um die Beseitigung der Gefahr“); dens., ZStW 117 (2005), 839, 840, 845 („Das Bürgerstrafrecht [. . .] wandelt sich in ein [. . .] Feindstrafrecht, in Gefahrenabwehr“); dens., HRRS 2006, 289, 296. Umso weniger nachvollziehbar (trotz allen deskriptiven Charakters der Begrifflichkeit) erscheint die Verortung der Thematik im Bereich des Strafrechts. Dass es sich beim „Feindstrafrecht“ grundlegend um gefahrenabwehrrechtliche Überlegungen handelt, stellen auch Bung, HRRS 2006, 63, 69; Cancio Meliá, ZStW 117 (2005), 267 ff.; Dencker, StV 1988, 262, 263 f.; Freund, GA 2010, 193, 202; Greco, GA 2006, 96, 105 f.; Hassemer, StV 2006, 321, 327 f. („Die Lehre vom Feindstrafrecht ist der Bastard des präventiven Strafrechts.“); Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 40; Saliger, JZ 2006, 756, 760 fest. 380 Siehe nur Aponte, HRRS 2006, 297, 298 ff.; Arnold, HRRS 2006, 303, 309 ff.; Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 99 ff. 377
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offenbar jedenfalls nicht umfassend anerkannte Relevanz der strikten Aufrechterhaltung eben jener Grundsätze im Strafrecht – selbst im Umgang mit solchen Tätern, die sich prinzipiell in ihrer Haltung gegen die Rechtsordnung entschieden haben. Dazu nur soviel: Eine Idee – konkret: die des Rechtsstaats – kann nur solange überzeugen, als sie selbst dann Bestand hat, wenn sie grundlegend in Frage gestellt wird. Setzen wir uns für die Richtigkeit unseres Systems im Denken und im Umgang miteinander ein und sehen wir in einer freiheitlichen Ordnung ein allen anderen gesellschaftlichen Systemen überlegenes, höheres Ideal, so können wir zu seiner Verteidigung nicht blindlings die darin erzielten Errungenschaften über Bord werfen und mit denselben Waffen zurückschlagen, die uns angreifen.381 Hierin sollte nicht per se Verweichlichung oder gar Selbsthass einer übersättigten Nation oder Rechtsgemeinschaft gesehen werden.382 Erst recht drückt sich darin nicht ein Vergessen der Wichtigkeit unserer Werte und Interessen aus. Im Gegenteil: Nur wer den Rechtsstaat im Kern verinnerlicht hat, setzt ihn als das schärfstes Schwert gegen all jene ein, deren Unvernunft sie nicht auf den Pfaden freiheitlichen Denkens wandeln lässt. Geben wir im Konflikt unsere Prinzipien auf, schaden wir uns selbst mehr als dem Feind und spielen ihm in die Karten: So zeigten wir doch, dass die Tauglichkeit unserer Denkmodelle sich auf den Raum des sagenumwobenen Elfenbeinturms begrenzt. Wer aber sollte dann noch von unserer Gesellschaftsordnung überzeugt sein? Angesichts bestehender Zweifel an der Schlagkraft idealistischer Prinzipien von Seiten eines Wissenschaftlers wie Jakobs ziehen düstere Wolken an jenem Himmel auf, der sich über dem Gedanken der Überlegenheit des Rechtsstaats spannt. Dabei gilt es zu be-
381 So auch Cancio Meliá, ZStW 117 (2005), 267, 283 ff.: „Die intensivste Desavouierung, die diesem Fahnenfluchtsversuch durch den „Feind“ begegnen kann, ist die Unterstreichung seines Bürgerstatus (und hiermit auch seines Delinquentenstatus).“ Zur Notwendigkeit des Festhaltens an rechtsstaatlichen Prinzipien gerade im „Kampf gegen den Terror“ unter dem Aspekt zunehmender Sicherungswut staatlicher Organe siehe Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 40 ff., 165 ff.: „In einem maßlosen Staat jedoch gibt es vielleicht ein wenig mehr Sicherheit, aber ganz sicher sehr viel weniger Freiheit.“ „Stark ist der Staat, der seine Prinzipien mit kühlem Kopf und mutiger Gelassenheit verteidigt.“ Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit siehe noch unten E. 382 Die mangelnde Opferbereitschaft westlicher Nationen betont insbesondere Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 16 f., 48 f. Indes zieht er aus den neuerlichen Bedrohungslagen in Gestalt des internationalen Terrorismus die Konsequenz, dass „auch eine postheroische Gesellschaft wie die unsrige angesichts der terroristischen Herausforderungen der Frage nicht ausweichen (kann), ob und inwieweit wir bereit sind, im Kampf gegen den Terror Verzicht zu leisten.“ Solche Opfer sieht er beispielsweise in der Hinnahme stärkerer Gefahrenvorsorge, die beispielsweise mit der „verhältnismäßig milde(n) Gestalt von vermehrten Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung“ verbunden ist. Wie schon die Ausführungen im Text belegen, soll ein Festhalten am rechtsstaatlichen Strafrecht nicht fehlende Leidensbereitschaft in der Reaktion auf aktuelle Bedrohungslagen zum Ausdruck bringen. Es soll aber mit Nachdruck rein gefahrenabwehrrechtlichen Überlegungen kein Stellenwert im Strafrecht eingeräumt werden, wie dies im Übrigen auch Pawlik richtig erkennt (Der Terrorist und sein Recht, S. 38 ff.).
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
achten, dass allein das Führen dieser Debatte seitens der Gegner des Rechtsstaats als Teilerfolg für sich verbucht werden kann383 – wir müssen daher endlich aufhören, die rechtsstaatliche Aufgabe des Strafens (nichts anderes wird hier diskutiert) in Abrede zu stellen.384 Strafe bleibt Instrument des Rechtsstaats, Gefahrenabwehr durch Strafe ist lediglich als durchaus erfreulicher, aber normativ bloß zufälliger Nebeneffekt (und unter keinen Umständen als Reaktion auf die Gefährlichkeit der Person) denkbar. Als richtungsweisend sind daher die Ausführungen Pawliks385 zu honorieren, der die Idee des Feindstrafrechts klar aus dem Bereich des Strafrechts verbannen will. In Konfrontation mit sogenannten Feinden des Rechts (Pawlik bezieht sich hier maßgeblich auf Terroristen) müsse eine neue Kategorie staatlichen Vorgehens gegenüber solchen Individuen geprägt werden. Eine Verortung im Strafrecht riefe dessen Determinanten auf den Plan, die keinesfalls im Umgang mit der besagten Personengruppe eingehalten werden könnten.386 Pawlik rät daher zur Schaffung eines neuen „kriegsrechtlich orientierten Präventionsrecht(s)“, das als eigenständiges Rechtsgebiet neben die bisherigen Kategorien von Strafrecht und Polizeirecht treten soll.387 Dabei räumt Pawlik ein, dass die Dogmatik eines solchen Präventionsrechts bislang noch nicht entwickelt werden konnte, nennt aber immerhin erste Maßstäbe, an denen es sich aus seiner Sicht auszurichten hätte.388 Wenn damit zwar eine klare Grenzziehung zwischen den bislang vorherrschenden Kategorien sowie dem neuartigen Präventionsrecht noch nicht vollzogen 383
In diese Richtung auch Walter, KJ 2008, 443, 450; Zöller, GA 2010, 607, 621. Was für die Theorie der Individualprävention im Strafrecht gilt, soll auch für Jakobs Feindstrafrecht, das seinerseits tief im Täterstrafrecht verwurzelt ist, nicht verschwiegen werden: In aller Konsequenz ebnet es den Weg in die Totalität. Vgl. auch Arnold, HRRS 2006, 303, 308; Dencker, StV 1988, 262, 264 f.; Saliger, JZ 2006, 756, 761 f. Aponte, HRRS 2006, 297, 298 f. verweist zudem auf die Vielfalt der Negativfolgen des in die Rechtsrealität umgesetzten Feindstrafrechts in Kolumbien. Indes bedürfte es solcher Hinweise kaum, sollte das Schreckensbild der Totalität uns allen doch noch deutlich vor Augen stehen. 385 Der Terrorist und sein Recht, S. 7 ff. 386 Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 39 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353, 357. 387 Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 23, 40, 18, 22, 40 ff., 47. Gemeint ist damit gerade nicht das herkömmliche Kriegsrecht, sodass auch ein Verstoß gegen Genfer Recht, wie ihn Sieber, NStZ 2009, 353, 355 anmahnt, nicht zwingend zu befürchten ist. 388 In seinen Überlegungen zu einer Dogmatik des ihm vorschwebenden kriegsrechtlich orientierten Präventionsrechts geht Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 40 ff. auf die Zielsetzung der „rechtlich eingehegten Unschädlichmachung“ der Terroristen ein, die beispielsweise durch eine Ausweitung der zulässigen Sicherungshaft und ausländerrechtlichen Abschiebungsanordnung sowie – allerdings noch nicht klar definierte – Begrenzungen des gerichtlichen Rechtsschutzes verwirklicht werden könnten. Dabei verweist Pawlik zu Recht auf gewisse Schwierigkeiten, die sich in der Anwendung des Kriegsrechts auf Terroristen ergeben könnten, weshalb in diesem sensiblen Bereich unbedingt nachgebessert werden müsse. Die Regeln des Kriegsrechts seien den Anforderungen, die eine asymmetrische Kriegsführung an sie stellt, nicht gewachsen. 384
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werden konnte,389 liegt der besondere Wert der Arbeit Pawliks darin, die Unvereinbarkeit und damit Unantastbarkeit des Strafrechts durch „feindstrafrechtliche“ Ideen zu betonen. Hieran ist nach dem bislang Gesagten unbedingt festzuhalten.390 389 Zu Recht erkennt Pawlik, dass denjenigen, die sich nicht der herkömmlichen Methoden der Kriegsführung bedienen, eben dies nicht zum Vorteil gereichen soll, indem sie nach den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Strafrechts behandelt werden. In diesem Sinne wird sich der zutreffenden Einschätzung Pawliks angeschlossen, dass das „Kriegsrecht“ sich auf die Neuartigkeit der asymmetrischen Kriegsführung einzurichten hat, um insbesondere einen angemessenen Umgang mit Terroristen zu gewährleisten. – Konkret plädiert Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 18 ff. in diesem Zusammenhang dafür, terroristische Akte als Form der Kriegsführung wahrzunehmen. Dies ergebe sich bereits aus der erheblichen Zerstörungswirkung, die terroristische Angriffe freisetzen können. Solche kommen bewaffneten Konflikten zwischen Staaten durchaus gleich, wie die Zerstörung des World Trade Centers belegt. Des Weiteren müsse in der begrifflichen Wahrnehmung terroristischer Gewaltakte als kriegsähnliche Angriffe die Zielsetzung der Akteure einbezogen werden. Insbesondere den islamistisch motivierten Gewalttätern ginge es nicht etwa darum, Kompromisse mit den angegriffenen Staaten einzugehen. Vielmehr führten sie einen Krieg, der auf die endgültige Vernichtung derjenigen Ideologien und ihrer Anhänger gerichtet sei, die von ihrem eigenen Denken abweichen. Zuletzt spreche für eine terminologische Gleichsetzung des bisherigen Staatenkrieges mit terroristischen Akten die Angriffsdurchführung seitens der Terroristen selbst. Hierbei würden sämtliche Regeln des Krieges außer Acht gelassen und vielmehr willkürliche Gewalt angewendet. Trotz der Parallelen zwischen terroristischen Szenarien und Staatenkriegen biete sich das Kriegsrecht nach Pawlik aber nicht als optimales „Rechtsregime“ für den Umgang mit Terroristen an. Wie auch das Strafrecht originär auf andere Situationen zugeschnitten ist, ist das Kriegsrecht noch durch diejenigen Vorstellungen geprägt, die den Krieg zwischen den bislang relevanten Akteuren – Staaten – gekennzeichnet haben. Die Behandlung der Akteure einer asymmetrischen Kriegsführung, wie sie typischerweise den Kampfstil internationaler Terroristen ausmacht, verlange nach einer neuartigen Ausgestaltung des Rechtssystems, auf die die bisherigen Kategorien keine befriedigende Antwort zu geben vermögen. Den Ausweg sieht Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 40 ff. daher in der Einrichtung eines kriegsrechtlich orientierten Präventivrechts. – Indes fragt sich, ob als Alternative zur nicht ganz einfachen Schaffung einer neuen Rechtskategorie, die zahlreiche Überschneidungen mit bereits bestehenden Rechtsgebieten aufweist, nicht auch die Ausweitung des Polizeirechts etwa im Wege der Verlängerung von Sicherungshaftmöglichkeiten etc. hinreichende Gewähr für den Umgang mit neuartigen Gefahren des internationalen Terrorismus bieten könnte (kritisch zur Präventivhaft unter Verweis auf Art. 5 EMRK Sieber, NStZ 2009, 353, 355; siehe außerdem Kinzig, NJW 2001, 1455, 1458; Renzikowski, JR 2004, 271, 272 f.; Römer, JR 2006, 5 ff.; Streng, StV 2006, 92, 98). Eine solche Erweiterung des momentanen Polizeirechts in den Grenzen des Rechtsstaats erscheint durchaus möglich, sofern die staatliche Reaktion der im Einzelfall als besonders erheblich einzuschätzenden Gefahr angemessen ist. Vgl. zum Themenkreis der Sicherungsverwahrung Freund, GA 2010, 193, 204 ff. (auch vor dem Hintergrund der Entscheidung EGMR – 19359/04 – M gegen Deutschland); Kinzig, Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand; Kreuzer, StV 2011, 122 ff.; Laubenthal, ZStW 106 (2004), 703 ff.; LK II/Rissing-van Saan/ Peglau, § 66 Rn. 38 ff. 390 Nicht überzeugen kann daher die Befürchtung Arnolds, HRRS 2006, 303, 314, eine Entkoppelung des Feindstrafrechts aus dem Strafrecht würde dazu führen, dass sich ersteres zuletzt auch gegen das letztere richten werde. In diese Richtung auch Sieber, NStZ 2009, 353, 356. Solcher Einwand verfängt ausschließlich dann, wenn es künftig nicht möglich sein wird, eine klare Grenzziehung zwischen Straf- und Polizeirecht zu
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Das Gesagte stünde ferner der rechtsphilosophischen Herleitung des Feindstrafrechts durch Jakobs im Ergebnis näher. So ist aus der Sicht Jakobs unter Bezugnahme auf verschiedene Vertragstheoretiker die Kündbarkeit des Gesellschaftsvertrags grundsätzlich denkbar.391 Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass solche Kündigung einseitig durch den Staat erfolgen solle (der Einzelne wird für sich stets die – insgesamt vorteilhafte – Behandlung als Bürger wünschen, selbst wenn er sich gegen eine freiheitliche Ordnung entschieden hat). Gegen eine solche Konzeption spricht aber, dass die Kündigung des Gesellschaftsvertrags ihrerseits klaren Regeln folgen muss, soll nicht selbst der eigentlich gesetzlich gemeinte Zustand im freien gesellschaftlichen Zusammenschluss Willkürelemente des Naturzustands enthalten. Ein Gesellschaftsvertrag, dessen Aufrechterhaltung einseitig durch den Souverän bestimmt wird, birgt erhebliche Unwägbarkeiten für den Einzelnen, die ihm die typischen Unsicherheiten des Naturzustands ins Gedächtnis rufen und den Zusammenschluss zum gesellschaftlichen Miteinander für wenig günstig (immerhin ebenso ungünstig wie das Verharren im Naturzustand) erscheinen lassen könnten. Es genügt daher nicht – insofern ist den Kritikern Jakobs zuzustimmen – einen relativ vagen Begriff des Feindes392 zu etablieren und davon ausgehend die Kündbarkeit des Gesellschaftsvollziehen. – Gegen eine strikte Trennung von Feindstrafrecht und Strafrecht als eigenständige Kategorien könnte weiter sprechen, dass im Wege solcher Entkoppelung auch die Kritikbereitschaft rapide einbrechen würde, wäre doch vorerst das Nahziel erreicht: Die Sicherung des Strafrechts vor feindstrafrechtlichen Erwägungen. Dem kann indes Folgendes entgegengehalten werden: Unabhängig von der ohnehin bestehenden Fragwürdigkeit des unterstellten Automatismus (Absinken der Kritikbereitschaft als Reaktion auf die Trennung von Feindstrafrecht und Strafrecht) lässt sich momentan jedenfalls festhalten, dass die maßgebliche Abwehr gegen das Feindstrafrecht sich in den meisten Fällen auf die Frage der korrekten Verortung im strafrechtlichen Kontext beschränkt. Würden aber „feindstrafrechtliche“ Erwägungen ausschließlich im Gefahrenabwehrrecht grundlegend anerkannt und wäre die Debatte damit befreit vom Ballast der fälschlichen Anreicherung des Strafrechts mit polizeirechtlichen Ideen, könnte der Blick unverwandt auf die eigentliche Herausforderung der Schaffung rechtsstaatlich (noch) angemessener Behandlungswege gefährlicher Personen gerichtet werden. 391 HRRS 2004, 88, 89 f.; ders., HRRS 2006, 289, 292 ff. Dies bestreitet Sinn, ZIS 2006, 107, 114 f. m. Fn. 70 auf der Basis der Theorie gesellschaftlicher Kommunikation, in der auch Terroristen in Kommunikation mit den Bürgern der Gesellschaft treten. Selbst wenn der Inhalt ihrer Nachricht – die Ablehnung des Rechtssystems per se – bei den anderen Kommunikationsteilnehmern auf Ablehnung stoße, finde dennoch Kommunikation statt. Hieraus zieht Sinn aber die Erkenntnis, dass ein Ausschluss bestimmter Personen aus der gesellschaftlichen Kommunikation, mithin aus dem gemeinsamen Rechtsregime, lediglich innerhalb der Grenzen fehlender Schuldfähigkeit vorstellbar wäre. Indes ist mit dem wohl berechtigten Einwand noch nicht der Kernbereich jener Kritik getroffen, die der Konzeption Jakobs tatsächlich entgegenstehen könnte. Dazu muss der theoretische Beleg erbracht werden, dass die Idee der Vertragstheorien den Ausschluss eines einmal in den Gesellschaftsvertrag aufgenommenen Bürgers per se verbietet. Siehe zu diesem kritischen Punkt noch weiter im Text. 392 Aponte, HRRS 2006, 297, 300 verweist zu Recht darauf, dass der Begriff des Feindes einer Konstruktion gleichkommt, die durch jeweilige aktuelle politische Interessen ausgefüllt werden kann. Es verbliebe stets das Problem der klaren Grenzziehung:
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vertrags zu definieren. Dabei mag das Kriterium der Rechtstreue für sich genommen nicht zur klaren Differenzierung von Freund und Feind hinreichen – ist doch selbst durchaus gut gemeinte und mit hohem Verbesserungspotential ausgestattete Kritik je nach zugrundegelegtem Verständnis eine Form der Rechtsuntreue. Diese im Keim zu ersticken, hieße aber, jedweder Entwicklungsmöglichkeit „von unten“ (von Seiten der Bürger) eine Absage zu erteilen. In demokratischen Strukturen kann dies nicht Ziel der Gesetzgebung sein. Dennoch vermag der Gedanke des gesellschaftsvertraglichen Ausschlusses solcher Personen, die sich gegen das Recht entschieden haben, aus normentheoretischer Sicht einen Sinn zu ergeben. Wer Verhaltensnormen als alleinig erforderlichen Faktor der rechtmäßigen Verhaltensmotivation mit Blick auf solche Personen erachtet, die volle Verantwortlichkeit für ihr Verhalten übernehmen, droht, sich angesichts der zusätzlichen polizeirechtlichen Behandlung des Überzeugungstäters in einen inneren Widerspruch zu verstricken. So kann ein Mangel in der Möglichkeit der Verhaltensmotivation innerhalb des Systems allein mit einem Defizit in der Verantwortlichkeit des Adressaten erklärt werden – gehen wir doch davon aus, dass der Vernünftige sich grundsätzlich von den „richtigen“ Normen leiten lässt. Tritt dieser Effekt aber gerade nicht ein und können wir dem Betreffenden keinen Mangel der Einsichtsfähigkeit belegen, müsste ihm zur Aufrechterhaltung der selbstgewählten Konzeption des vernünftigen Menschen als Ausgangspunkt einer freiheitlichen Gesellschaft „Recht gegeben“ werden. Es müsste sonach ein Fehler in der bislang für richtig empfundenen Norm bzw. dem gesamten Normensystem vorliegen.393 Zwar darf solche Feststellung in einer freiheitlichen Ordnung zur Verwirklichung des Ziels der Rechtsfortbildung nicht ausgeschlossen sein. Indes lässt sich nicht die Unrichtigkeit solcher Normen nachweisen, die grundlegende Relevanz für das Bestehen und Aufrechterhalten eines friedlichen Miteinanders aufweisen (z. B. das Tötungsverbot). Begeht eine vollverantwortliche Person aber einen Totschlag etwa aufgrund einer extremistischen Weltanschauung, die ihn aber in die Überzeugung versetzt, dass das Tötungsverbot für sein spezifisches Verhalten nicht gilt, kann die Rechtsordnung mit Blick auf die unverbrüchliche Geltungskraft des Tötungsverbots keinesfalls einer Fehleinschätzung unterliegen. Wie aber lässt sich das Dilemma auflösen?
Unter welchen Umständen genau darf dem Bürger sein Status entzogen werden? Letzte Zweifel daran, dass Konturenschärfe in diesem Bereich jemals erzielt werden könnte, lassen sich jedenfalls nicht gänzlich ausräumen. Weitere Kritik am Feind-Begriff äußern Arnold, HRRS 2006, 303, 307; Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 96 ff.; Bung, HRRS 2006, 317, 319; Cancio Meliá, ZStW 117 (2005), 267, 268 ff.; Greco, GA 2006, 96, 102 ff.; Freund, GA 2010, 193, 202; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 182 ff.; Prantl, Terrorist als Gesetzgeber, S. 153 f.; Saliger, JZ 2006, 756, 760 f.; Schünemann, GA 2001, 205, 211 f. 393 Ausführlich zur Problematik vgl. einleitend oben B. III. 2. c).
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Es besteht nun die Möglichkeit, auf den Spuren Jakobs zu wandeln und solche Personen, die sich ideologisch gegen die Rechtsordnung einer freiheitlichen Gemeinschaft wenden, aus dem Gesellschaftsvertrag auszuschließen.394 In der Konsequenz würde dies eine feindstrafrechtliche Behandlung solcher Individuen nach sich ziehen. Indes – so viel konnten die bisherigen Überlegungen ergeben – handelt es sich im Umgang mit den Betreffenden gerade nicht um Strafrecht. In diesem Sinne ist dann doch Jakobs rechtsphilosophischer Herleitung ein sanfter Widerspruch entgegenzuhalten: Wer außerhalb des Gesellschaftsvertrags steht, wird mit den Mitteln des Krieges bzw. des Naturzustands bekämpft. Strafrecht gebührt nur denjenigen, die sich innerhalb der Gesellschaft bewegen. So zeigt sich sowohl bei Kant395 als auch bei Hobbes396, dass das Strafrecht allein für die Mitglieder der Gesellschaft Geltung entfaltet. Es handelt sich dabei also um ein „Exklusivrecht“ im Innenverhältnis des Gesellschaftsvertrags und wird ausschließlich denjenigen zuteil, die einer Begrenzung ihrer Freiheitsrechte durch die Aufgabe des Naturzustands zugestimmt haben. Die Anwendung des rechtsstaatlichen Strafrechts erfolgt somit im Verhältnis eines Gebens und Nehmens: Nur derjenige, der Freiheit aufgibt, verdient sich die Vorzüge des Rechtsstaats. Dazu gehört aber gerade das Strafrecht, das den Einzelnen als Person anerkennt und ihm die Möglichkeit der Wiedergutmachung nach begangenem Normbruch einräumt. Hingegen gilt das Kriegsrecht im Sinne der Vertragstheorien für all diejenigen, die sich nicht zu einem Gesellschaftsvertrag mit den anderen zusammengeschlossen haben und damit außerhalb der Gesellschaft stehen. Indem sie keinen Teil ihrer persönlichen Freiheit aufgegeben haben, was für das Zustandekommen des Gesellschaftsvertrags zwingend erforderlich ist, da es die Abkehr vom „wilden“ Naturzustand bedeutet, haben sie sich freilich nicht die rechtsstaatlichen Reaktionen des Strafrechts verdient. Solche Individuen können keine Normbrüche begehen, was aber Voraussetzung des Eingreifens von Strafe ist: Wer nicht Teil der Gesellschaft ist, für den gelten deren Normen auch nicht.
394 Gegen eine solche Variante wenden sich – freilich mit unterschiedlicher Argumentation – auch Cancio Meliá, ZStW 117 (2005), 267, 283 ff.; Freund, GA 2010, 193, 202 f.; Haas, Strafbegriff, S. 258; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 90. 395 Diesen Schluss lässt auch die von Jakobs selbst zitierte Aussage Kants, siehe Fn. 366, zu: Feindlich verfahren dürfe man mit demjenigen, der durch die Gesetzlosigkeit seines Zustands stets eine Bedrohung ausmache. So könne man „ihn nöthigen, entweder mit mir in einen gemeinschaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder aus meiner Nachbarschaft zu weichen“. Es handelt sich hier also in der Tat allein um solche Individuen, die gerade noch nicht in ein gesellschaftliches Miteinander eingewilligt haben. Allein diesen gegenüber wäre also nach Kant ein Verfahren wie mit einem Feinde, nämlich im Natur- bzw. Kriegszustand denkbar. Zu diesem Ergebnis gelangen auch Arnold, HRRS 2006, 303, 307; Bung, HRRS 2006, 63, 69 f. 396 Hobbes, Leviathan, S. 239 will nur jenen als Feind behandeln, der den Gesellschaftsvertrag aufkündigt. Damit sind allein die Bürger der Gesellschaft dem Strafrecht unterworfen; gegenüber außenstehenden Feinden sei hingegen „jede Zufügung von Übel rechtmäßig“. Zu dieser Einschätzung vgl. auch Bung, HRRS 2006, 63, 69 f.
III. Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung
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Es läuft mithin alles darauf hinaus, dass Strafrecht ein Innenrecht für die Bürger der Gemeinschaft darstellt. Wer hingegen außerhalb der Gesellschaft steht, der kann allein nach den „Regeln“ des Naturzustands behandelt werden. Damit gibt etwa Pawliks Modell eines kriegsrechtlich orientierten Präventionsrechts die Vorgaben der Vertragstheorien im Ergebnis eher zutreffend wieder. Sofern es sich bei solchem Recht um etwas anderes als Strafrecht handelt, ist jedenfalls die Prämisse gewahrt, dass gegenüber Außenstehenden (gemeint sind diejenigen, die nicht am Gesellschaftsvertrag partizipieren) nicht die Vorgaben des Innenrechts Geltung entfalten. Es offenbart sich dann also die schon theoretische Undurchführbarkeit der Vorstellung Jakobs, gewisse rechtsstaatliche Prinzipien auch gegenüber den Feinden aufrechtzuerhalten. Die Rechtlosigkeit des Naturzustands sieht solches jedenfalls prinzipiell nicht vor. Die Verortung des Feindstrafrechts innerhalb des Strafrechts, wie sie bei Jakobs erfolgt, beruht damit nicht zwingend auf den Vorgaben der Vertragstheorien. Die Herauslösung des Feindes aus dem gesellschaftlichen Gefüge vermag letztlich gerade nicht das normentheoretische Dilemma aufzulösen, das sich angesichts der Verhängung polizeirechtlicher Maßnahmen gegenüber dem Vollverantwortlichen ergibt. Die Isolierung und Entrechtung eines Bürgers lässt sich vertragstheoretisch nicht einwandfrei begründen. Das Feindstrafrecht bietet damit keine adäquate Lösung der sich gegenüber dem vollverantwortlichen Gesinnungstäter offenbarenden (vermeintlichen) Unstimmigkeiten des Normenmodells. bb) Selbstwiderspruch des Gesinnungstäters als Grund fortdauernder Legitimation des Normenmodells Die Herstellung uneingeschränkter Überzeugungskraft des Normenmodells steht damit noch aus. Die verfassungsfeindliche Gesinnung hebt grundsätzlich nicht die Vollverantwortlichkeit des Einzelnen auf. Wird dessen Behandlung nunmehr in den Bereich der Gefahrenabwehr verschoben, kommt dies dem Eingeständnis begrenzten Motivationspotentials rechtlicher Verhaltensnormen selbst gegenüber dem in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkten Rechtsteilnehmer gleich. Die bloße Motivation durch Verhaltensnormen erzielt bei diesem Personenkreis offensichtlich nicht den gewünschten Erfolg. Es droht die Abkehr vom Bild des vernunftbegabten Menschen als Urstein einer freiheitlichen Grundordnung. Die bisherigen Ausführungen lassen jedoch einen Umstand außer Acht, der für die Lösung des umschriebenen Dilemmas maßgebliche Bedeutung einnimmt. So kann selbst bei demjenigen, der nach allgemeinen Maßstäben keinem Defizit der Vernunftbegabung verstanden als Einschränkung der Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit unterliegt, bei Verstoß gegen Verhaltensnormen nicht von einer vollumfänglichen Verantwortlichkeit ausgegangen werden. Vielmehr weist auch er eine Fehleinschätzung bezüglich der Geltungskraft der übertretenen Norm auf.
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
Diese beeinträchtigt ihn zwar nicht in der Fähigkeit, das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen zum Eingreifen der Norm und deren aktuelle Geltung – auch und gerade im Verhältnis zu ihm selbst – zu erfassen. In diesem Sinne ist derjenige, der sich der Regeln der etablierten Rechtsordnung bewusst ist und die Umstände der jeweiligen Tatbegehung hinreichend erfasst hat, keinem Irrtum im herkömmlichen strafrechtlichen Sinne erlegen: Ihm ist weder ein Tatbestandsnoch ein Verbotsirrtum im üblichen Sinne zu attestieren, sodass der Bestrafung wegen einer Vorsatztat insoweit nichts entgegensteht.397 Der hier relevante Irrtum desjenigen, der sich trotz aller beschriebenen, zur Normbefolgung erforderlichen Kenntnisse und der vorhandenen Fähigkeit, sein Verhalten entsprechend dieser Einsicht zu steuern, gegen dieselbe entschieden hat, liegt hingegen in einem unbemerkten Selbstwiderspruch: Er richtet sich in seinem Verhalten gegen eine Ordnung, die für ihn günstiger ist als ein Leben im durch Unsicherheiten geprägten Naturzustand.398 Wer also gegen Gesetze verstößt, dem ist aus gesellschaftsvertraglicher Sicht ein gewisses Maß an Schizophrenie zu attestieren, nimmt er doch nicht nur anderen die Freiheit, sondern zumindest längerfristig gedacht auch sich selbst: Der Weg zurück zum bellum uniuscuiusque contra unumquemque wäre geebnet. Was uns aber in die – überlegene – Position versetzt, dem Überzeugungstäter einen grundlegenden Irrtum zu attestieren, ist nicht weniger als die Überzeugung von der Richtigkeit unseres frei gewählten Systems.399 Soll die Idee vom grundlegend vernunftbegabten Bürger, der sich durch legitimierbare Verhaltensnormen zu entsprechendem Verhalten aufgrund der Einsicht in deren Richtigkeit und Notwendigkeit ihrer Einhaltung motivieren lässt, Bestand haben, müssen Personen, deren Weltanschauung der eigenen entgegensteht, zwar weiter als vernunftbegabte Personen im Recht, nicht aber als absolut irrtumsfreie – unbedingt vernünftig entscheidende – behandelt werden. Insofern 397 Es handelt sich bei dem hier beschriebenen Irrtum bezüglich der Richtigkeit des freiheitlichen Gesellschaftssystems um einen qualitativ anderen Irrtum, als ihn Tatbestands- oder Verbotsirrtum umschreiben. Während die Letzteren die konkrete Tatbegehung betreffen, ist die hier gemeinte Fehlvorstellung in einem vorgelagerten, mehr theoretischen Bereich anzusiedeln, der die grundsätzliche Entscheidung des Einzelnen für oder gegen die bindende Kraft des freiheitlich demokratischen Gesellschaftsbildes betrifft. Hieraus lässt sich dann auch ableiten, dass der besagte Irrtum auf die Beurteilung der Tat als vorsätzliche bzw. fahrlässige keinen Einfluss haben kann. 398 So auch Freund, GA 2010, 193, 200 f. Vgl. ferner Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 390 f.; Köhler, AT, S. 22 ff.; dens., Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 37 ff. 399 Wie schon oben dargelegt (Fn. 101), wird auf der Basis eines solchen theoretischen Fundaments nicht die Möglichkeit der Veränderung von Normen im Wege des gesellschaftlichen Diskurses unterbunden: Gesetzte Normen werden nicht unveränderlich festgeschrieben, sodass auch Rechtsentwicklung möglich ist. Indes muss Rechtsentwicklung, soll sie mehr sein als eine radikale Umwälzung bestehender Verhältnisse (in solchem Fall kann nach hiesigem Verständnis selbst terminologisch nicht mehr von „Entwicklung“ ausgegangen werden), sich im Rahmen der grundlegenden Ordnung bewegen, was die Akzeptanz ihrer Mechanismen, Instrumentarien sowie Geltungskraft voraussetzt.
III. Gesinnung im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung
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gelingt deren strafrechtliche Behandlung unter Aufrechterhaltung der für maßgeblich empfundenen Normentheorie ohne ihre Verbannung in naturzuständliche Kategorien, wie sie der Gedanke eines Feindstrafrechts unweigerlich bedingt. Die Feststellung des selbst beim Vorsatztäter gegebenen Irrtums und der damit einhergehenden unvernünftigen Entscheidung versetzt uns in die Situation, jedwede Kündigung des Gesellschaftsvertrags abzulehnen, die mit dem Ausschluss einzelner Bürger verbunden ist. Der Status des Bürgers verbleibt damit auch denjenigen, die sich eine grundlegend wertnegierende Haltung angeeignet haben. Auf in diesem Sinne gefährliche vollverantwortliche Personen kann mit den Regeln des Rechtsstaats in angemessener Weise strafrechtlich reagiert werden. Dass dabei Maßnahmen des Polizeirechts flankierend hinzugezogen werden, widerspricht nicht dem Ideal des vernunftbegabten Bürgers als Ausgangspunkt einer freiheitlichen Grundordnung. Im Gegenteil bedingt der Selbstwiderspruch des die Normgeltung prinzipiell Negierenden die Legitimation des Eingreifens solcher staatlichen Instrumente, die bewusst nicht auf Verhaltensmotivation setzen. Damit stellt der vollverantwortliche Gesinnungstäter für das Normensystem keine dessen Legitimität in Frage stellende Schwierigkeit dar. Vielmehr lässt sich das Normenmodell vor dem Hintergrund der Einsicht in die eben doch nicht absolut zu attestierende vernunftgerechte Entscheidung des Überzeugungstäters vollumfänglich in seiner Berechtigung aufrecht erhalten. 3. Zusammenfassung des Stellenwerts der Gesinnung im Polizeirecht Der Gedanke der Individualprävention konnte als unvereinbar mit dem Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung herausgestellt werden. Nach richtigem Verständnis handelt es sich dabei aber um das theoretische Fundament des Polizeirechts. Die Gesinnung ist aufgrund der ihr innewohnenden Verhaltensmotivation Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person. Ihre strafrechtliche Inkongruenz wandelt sich daher im Gefahrenabwehrrecht in grundsätzliche Systemkonformität. Polizeirecht und Strafrecht unterscheiden sich nicht nur in ihrer Zweckrichtung. Vielmehr ist mit Strafe stets ein allgemeiner Tadel verbunden, der denjenigen trifft, der sich nicht durch die Verhaltensnormen hat motivieren lassen. Das Polizeirecht weist hingegen punktuelle Eingriffe in die Freiheit des Bürgers auf, die nicht mit einem generellen Urteil über die Richtigkeit eines Verhaltens verbunden sind. Ein grundsätzliches Verbot des Habens einer spezifischen Gesinnung ist damit auch faktisch nicht verbunden. Im Gegenteil wird die Freiheit der Gedanken geachtet, indem sie dem Einzelnen nicht allgemein abgesprochen wird, sondern dem Betreffenden allein bei Kollision mit einem konkret gefährdeten Rechtsgut Freiheitsbegrenzungen zugemutet werden. Als verfassungsrechtliches Korrektiv zur Garantie angemessener Rechtseingriffe steht in diesem Kontext der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereit. Zudem muss das Sys-
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B. Stellenwert der Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung
tem rechtlicher Verhaltensnormen als Mittel der Verhaltenssteuerung nicht angesichts des vollverantwortlichen Gesinnungstäters kapitulieren. Während der im Feindstrafrecht angelegte Gedanke der gesellschaftlichen Isolierung des Bürgers mit vertragstheoretischen Modellen nicht bruchlos in Einklang zu bringen ist, weist hier die Einsicht in die ihrerseits nicht vollumfängliche Vernunftgerechtigkeit der Entscheidung des Überzeugungstäters den rechten Weg: Der Vernünftige kann die Negation einer Ordnung, die für ihn besser ist als die Abkehr vom unsicheren Naturzustand, nicht ernstlich wollen. Auch er unterliegt daher einem Verantwortlichkeitsdefizit, das die Verhängung polizeirechtlicher Maßnahmen ihm gegenüber rechtfertigen kann. Einen Bruch mit dem Normenmodell bedingt die polizeirechtliche Behandlung vollverantwortlicher Gefährlicher daher nicht.
IV. Zusammenfassendes Ergebnis zur Gesinnung in einer freiheitlichen Grundordnung Das Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung ist sowohl im Bereich der Strafbarkeitsbegründung als auch der Strafhöhenbemessung gesinnungsabstinent. Reglementierungen, die auf die Gesinnung des Einzelnen abstellen, sind verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Gedankenfreiheit und können im rechtsstaatlichen Strafrecht nicht hingenommen werden. Die klare Absage an die Idee der Gesinnungsrelevanz im Strafrecht hindert indes nicht deren Bedeutung für andere Bereiche der Rechtsordnung. So erlangt die Gesinnung als Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person ihren grundsätzlich legitimen Stellenwert im Rahmen des Polizeirechts. Das so formulierte Ergebnis der Legitimität von Gesinnungselementen im Strafrecht wirft den nachfolgenden Untersuchungsgegenständen seinen Schatten voraus.
C. Gesinnung als Element der Straftat? Im Anschluss an die allgemeine Klärung des Stellenwerts von Gesinnungen im Strafrecht einer freiheitlichen Rechtsordnung steht nunmehr die Vergewisserung des gefundenen Ergebnisses der Gesinnungsabstinenz in den für die Bestrafung relevanten Kategorien der Straftat aus. Bereits ein kurzer Seitenblick auf die Behandlung der Gesinnung im Konzept anderer Autoren macht dabei eines deutlich: Darin lösen sich die noch im Bereich der Strafbarkeitsbegründung berechtigten Bedenken gegen die Einbeziehung der Tätergesinnung bei den meisten mehr oder weniger in Wohlgefallen auf, geht es um Fragen der Höhe einer zu verhängenden Strafe für ein Verhalten, das per se strafbar und von einer wertwidrigen, anstößigen Haltung des Betreffenden begleitet ist. Im Anschluss wird die Tätergesinnung innerhalb der Strafzumessung mehrheitlich als strafschärfender Faktor herangezogen.400 Dabei ist zu beobachten, dass die einzelnen Begründungsansätze für die zumeist strafschärfende Funktion der Gesinnung in der Literatur in aller Regel in ganz bestimmte dogmatische Strukturen eingebettet sind und dann einer reinen Verteidigung des eigenen Verbrechensaufbaus den Weg bereiten.401
400 Vgl. Baumann/Weber, AT, S. 360; Berger, Gesinnungsmoment, S. 178 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 548 ff., 552 ff.; dens., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 19 f., 55 ff.; dens., Recht der Strafzumessung, S. 210 ff.; Cerezo Mir, ZStW 108 (1996), 9, 22 f.; Guckenheimer, Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft 1 (1921), 1, 107; Maiwald, Tateishi-FS, S. 11, 21 (am Beispiel der Rücksichtslosigkeit als allgemeiner Strafzumessungsgrund); Streng, Sanktionen, Rn. 441 f. – Kritisch hingegen auch für den Bereich der Strafzumessung Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 120 f., 160 f.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 455 f. – Die verbreitete Aussage, bei der innerhalb der Strafzumessung bedeutsamen Gesinnung handele es sich allein um die konkrete Tatgesinnung, sodass kein Rückgriff auf die Charakter- bzw. Lebensführungsschuld des Täters erfolge, lässt sich sachlich nicht halten. Wie schon an früherer Stelle angeführt, gelingt die Begrenzung der „Gesinnung“ auf die konkrete Tatsituation gerade nicht – vielmehr öffnet ihre Einbeziehung stets den Blick auf die Persönlichkeit des Täters und dessen Grad an individueller Gefährlichkeit (so auch Berger, Gesinnungsmoment, S. 185), die aber nicht Gegenstand der strafrechtlichen Beurteilung sein dürfen. 401 Dies erkennt bereits Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171: „Dabei sind die bestehenden Meinungsverschiedenheiten teilweise nur ein Reflex prinzipieller Differenzen über den Verbrechensaufbau überhaupt.“ Auch Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 151 ff. verweist darauf, dass eine Bestimmung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht in aller Regel vor dem Hintergrund „theoretische(r) Grundüberlegungen“ geführt wird. Daher kommt es etwa bei der systematischen Einordnung der Gesinnungsmerkmale ganz besonders darauf an, welches jeweilige Unrechts- bzw. Schuldverständnis zugrundegelegt wird. – Zu einem aktuellen Beispiel, bei dem die Frage des Stellenwerts der Tätergesinnung allein vor dem Hintergrund der Straftatkategorien diskutiert wird, siehe Maiwald, Tateishi-FS, S. 11, 21 ff.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Die Problematik der Verortung – Unrecht oder Schuld402 – wird stilisiert zur Gewissensfrage; der legitime Stellenwert der Gesinnungen im strafrechtlichen Grundkonzept – innerhalb dessen der Verbrechensaufbau recht besehen ausschließlich als Mittel zum Zweck fungiert – gerät dabei nicht selten ganz aus dem Sichtfeld.403 Solch nachrangige Bedeutung, die dann nur noch der Würdigung des Stellenwerts von Gesinnungen im Strafrecht zukommt, muss eine erhöhte 402 Für einen legitimen Stellenwert der Gesinnung im Rahmen des Unrechts sprechen sich Bockelmann/Volk, AT, § 12 A III 3; Maurach/Zipf, AT I, § 22 Rn. 52 (S. 318) sowie früher noch Mezger/Blei, AT I, S. 105; MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 17 aus. Vgl. außerdem Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767 ff.; dens., BGH-FS, S. 269, 288, 290; dens., Müller-Dietz-FS, S. 237, 249, 255; dens., GA 1989, 338, 349, 358 f.; dens., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 15, Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 270 – zur Auseinandersetzung mit den Unrechtsbegriffen beider Autoren siehe noch ausführlich unten C. III. 3., 4. Grundsätzlich zurückhaltend und der Gesinnung allenfalls bei entsprechend weitem Verständnis Unrechtsrelevanz einräumend Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 219 ff., insbesondere 222 f. Hingegen wollen Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 46 ff.; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 466 ff., 474 f. (Einen Unrechtsbezug von Gesinnungsmerkmalen sieht Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 517 ff. allerdings dann als gegeben an, wenn durch das subjektive Moment „bereits der Verletzungscharakter der äußeren Tat“ beeinflusst wird.); Köhler, AT, S. 364 f., 599; Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 160 f.; Lampe, Das personale Unrecht, S. 264; Lange, JR 1949, 166 ff.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 178 ff. (später schloss sich Schmidhäuser, AT, 5/93, 7/131 (S. 108 f., 238) der mehrheitlich vertretenen differenzierenden Ansicht an); Würtenberger, Situation, S. 56 f. die Gesinnung des Täters innerhalb der Schuld verorten. In diese Richtung auch Maiwald, Tateishi-FS, S. 11, 22; Rössner, Primäre Prävention, S. 128, 141 (für das Motiv). – Überwiegend vertreten ist hingegen eine differenzierende Auffassung, nach der die Gesinnung Unrechts- und Schuldrelevanz aufweisen kann. Vgl. dazu den ausführlichen Überblick bei Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 162 ff. m. Fn. 184 m.w. N., Langer, Sonderstraftat, S. 133 ff. 403 In der Auseinandersetzung mit der dogmatischen Einordnung der Gesinnungsmerkmale durch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 178 ff. stellt Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 182 ff. fest, dass mit letzter Konsequenz zur als „unrechtliche Gesinnung“ verstandenen Schuld auch sämtliche Unrechtsmerkmale gehören müssten, mithin das Unrecht seinen eigenständigen Stellenwert gegenüber der alles umfassenden Schuld verlöre. Neben der – wohl grundsätzlich richtigen – Schlussfolgerung Stratenwerths, dass die Gesinnungsmerkmale einen Ausnahmecharakter besäßen, der eine Verortung in die Kategorien von Unrecht und Schuld per se ausschließe, wäre noch näherliegend gewesen, die Beantwortung der Frage nach dem legitimen Stellenwert der Gesinnung nicht innerhalb der Stufen des Verbrechensaufbaus finden zu wollen. Allein eine grundsätzliche, an Aufgabe und Legitimation von Strafe ausgerichtete Untersuchung ist in diesem Kontext zielführend (siehe zur Leitfunktion des Zweckgedankens bei der Lösung einzelner Sachfragen auch die nachfolgende Fn. 404 sowie Freund, GA 1995, 4, 10 f.). Auf diese Weise wird auch der Gefahr entgegengewirkt, zur „Rettung“ der Stimmigkeit des eigenen Verbrechensaufbaus den Inhalt der Form gewaltsam anzugleichen – eine Vorgehensweise, die zuletzt leider nicht selten beobachtet werden konnte (zu denken ist nur an die dogmatischen Verrenkungen, die zur Aufrechterhaltung eigener strafrechtsdogmatischer Konzeptionen etwa von Seiten der sogenannten „rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie“ mit Blick auf die Figur des Erlaubnistatbestandsirrtums in der Vergangenheit angestrengt wurden. Trotz aller Drastik im Ausdruck spricht Schünemann, GA 1985, 341, 350 in diesem Zusammenhang daher treffend von einer „dogmatische(n) Missgeburt“.).
C. Gesinnung als Element der Straftat?
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Fehleranfälligkeit im Umgang mit dieser Kategorie unweigerlich zur Folge haben. Bewusst wurde daher der vorliegenden Untersuchung ein von dem herkömmlichen abweichendes darstellerisches Modell zugrunde gelegt. Um nicht von der heillos überfrachteten Diskussion um die Richtigkeit spezifischer Unrechts- bzw. Schuldbegriffe Ablenkung zu erfahren, war zunächst die grundsätzliche Vereinbarkeit der Gesinnung mit dem straftheoretischen Fundament zu überprüfen. Die unverklärte Erarbeitung des Stellenwerts der Gesinnung in einem freiheitlichen Strafrecht hatte sich daher unbedingt von dem Ballast der „Stufenfrage“ zu lösen. So hilft die „Verortung“ bei der Lösung der alles entscheidenden Frage nicht weiter: Ob nun auf Unrechts- oder Schuldebene: Es bleibt auch bei diesen „Stufenelementen“ der Straftat stets zu prüfen, ob der Gesinnung überhaupt ein Bedeutungsgehalt im Strafrecht beigemessen werden darf. Dies kann und darf sich aber nur an dem oben bereits zum Zweck der Strafe im Rahmen eines spezifischen – nicht zuletzt verfassungsrechtlich vorgezeichneten – Gesellschaftsbildes Gesagten orientieren.404 Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die Straftheorie und deren Ausrichtung an einem freiheitlichen Grundmodell des gesellschaftlichen Miteinanders in den Elementen der Straftat fortwirken. Sollten die Straftatkategorien die Einbeziehung von Elementen ermöglichen, die sich vor dem straftheoretischen Hintergrund nicht legitimieren lassen, ist hierin ein eklatanter Bruch im System zu erkennen, der Zweifel an dessen Richtigkeit laut werden lässt. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage der Gesinnungsrelevanz innerhalb der verschiedenen Straftatkategorien ist somit vorgezeichnet. Lässt sich in einem freiheitlichen 404 Widersprochen wird insofern Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 179, der konstatiert, eine allein die Gesinnungsmerkmale betreffende Untersuchung, unabhängig von der Frage nach dem Verhältnis von Unrecht und Schuld, sei ausgeschlossen. In der Tat mag eine dogmatische Verortung gewisse Vorteile mit sich bringen und etwa eine willkommene Richtigkeitskontrolle des eigenen Straftatkonzepts ausmachen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass es sich gerade aus dem Strafzweckkonzept ergeben muss, was legitimer Bestandteil der Straftat sein darf – ob nun im Gewande von Unrecht oder Schuld kann dahinstehen. Eine Klärung des Inhalts der Straftatkategorien kann nicht erfolgen, sofern nicht vorab die maßgeblichen Prämissen durch die Strafzweckkonzeption festgelegt worden sind. Sofern sich aber ein Element wie die Gesinnung des Einzelnen nicht sachgerecht in das Leitbild von Aufgabe und Legitimation von Strafe in der freiheitlichen Grundordnung eingliedern lässt, kommt nachgelagerten Stufenfragen keinerlei Bedeutung zu. Es ist also nicht nur möglich, sondern zur gedanklichen Verdichtung auf die Kernproblematik des legitimen Stellenwerts von Gesinnungen im Strafrecht sogar erforderlich, zunächst eine allgemeine, ausschließlich an den Voraussetzungen des Zwecks von Strafe orientierte Betrachtung anzustellen. Dogmatische Kategorienbildungen büßen unweigerlich ihren Sinngehalt ein, wenn der potentielle Verortungsgegenstand bereits ganz grundsätzlich im Strafrecht einen Fremdkörper ausmacht. – Zu kurz greift damit auch Roxin, Henkel-FS, S. 171, 182, der die unmittelbare Berührung von Strafzwecklehre und Strafrechtsdogmatik erst auf der Ebene der Schuld sieht: Sämtliche Straftatelemente müssen sich unter dem umspannenden Zelt der Strafzwecktheorie einfinden.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Strafrecht allein die strikte Abstinenz von jedwedem Gesinnungselement halten, so kann auch die Untersuchung von Unrecht und Schuld nichts anderes ergeben. Es gilt daher nachfolgend, die Kategorien der Straftat derart mit Leben zu füllen, dass eine Einbeziehung der Gesinnung sich von selbst ausschließt. Ziel muss es also sein, in der Bestimmung der Straftatelemente eine stringente Grenzziehung zu spezialpräventiven und damit letztlich polizeirechtlichen Überlegungen zu vollziehen. In der Folge werden Grabenkämpfe um die korrekte Ausfüllung der Begrifflichkeiten mit abweichenden Auffassungen erst gar nicht aufgenommen.405 Modelle von Unrecht und Schuld, die von dem hier zugrundegelegten abweichen, werden ausschließlich vor dem Hintergrund des Bedeutungsgehalts, den sie der Gesinnung beimessen, gewürdigt werden können. Anderenfalls bestünde auch hier die Gefahr, sich vom Fokus der eigentlichen Untersuchung weg auf „Nebenkriegsschauplätze“ locken zu lassen.
I. Die Straftatelemente sind alleinige Kategorien der Strafzumessung Wie eingangs angeklungen, werden die Fragen der Gesinnungsrelevanz häufig innerhalb der Strafzumessung diskutiert. Irritationen könnte die eigene Vorgehensweise daher unter dem Blickwinkel erzeugen, dass sie die Bedeutung der Einstellung des Täters bei Tatbegehung in den allgemeinen Straftatkategorien beleuchtet und keine Differenzierung etwa zwischen Strafbarkeitsbegründungs- und Strafzumessungsschuld vornimmt. Jedenfalls für den Bereich der Schuld könnte dies seitens einiger Stimmen aus der Literatur erwünscht sein, die hier nämlich einen erheblichen Unterschied zwischen der Straftatkategorie und dem Strafzumessungselement annehmen.406 Demgegenüber geht die vorliegende Arbeit von der Idee aus, dass innerhalb der Strafzumessung allein die Kategorien der Straftat Bedeutung entfalten. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich aber die angesprochene Differenzierung. Vielmehr ist es dann möglich, Unrecht und Schuld ganz allgemein auf ihre Gesinnungsrelevanz hin zu überprüfen, sodass keine Abschichtung von Strafzumessung und Strafbarkeitsbegründung erforderlich wird. Es gilt damit, vorab die aufgestellte These fehlender Divergenz der maßgeblichen Kategorien von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung auf ein sicheres Fundament zu stellen. Im Anschluss kann auf den Stellenwert der Gesinnung innerhalb der Straftatelemente eingegangen werden.
405 Vgl. den Überblick bei Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 195 ff.; Roxin, AT I, § 7 Rn. 12 ff. 406 Achenbach, Grundlagen, S. 3 f.; Bruns, Recht der Strafzumessung, S. 145; ders., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 13 ff., 45 ff.; Hassemer, Radbruch-GS, S. 281, 283 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 107 ff.; Lackner/Kühl, Vor § 13 Rn. 22; Roxin, Bockelmann-FS, S. 279, 304.
I. Die Straftatelemente sind alleinige Kategorien der Strafzumessung
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So hebt die traditionelle Strafzumessungsdogmatik die Eigenständigkeit der Strafzumessung gegenüber den Kategorien der Straftat hervor, die sich insbesondere in abweichenden Bewertungsgegenständen in Gestalt der Strafzwecke, Strafzumessungstatsachen und -erwägungen äußere.407 Eine strikte bzw. ausschließliche Ausrichtung an den Elementen der Straftatsystematik ist der herkömmlichen Strafzumessungstheorie sonach fremd. Indes gewinnt in der jüngeren Vergangenheit zunehmend der Gedanke einer tatproportionalen Strafzumessung an Boden.408 Deren Grundidee ist es, das Strafmaß an der Schwere der konkreten Tat auszurichten, die sich aber allein aus den Kategorien der Straftatsystematik tauglich ableiten lässt. Unrecht und Schuld werden damit zum maßgeblichen – und ausschließlichen – Gegenstand auch der Strafzumessung erhoben, sodass für eine Divergenz zwischen Straftatelementen und Strafmaßentscheidung kein Raum mehr verbleibt.409 Entscheidender Vorteil des Tatproportionalitätsprinzips ist dabei die Berücksichtigung der engen Beziehung von Schuldspruch und Strafausspruch. So erscheint es wenig sinnhaft, dem Strafmaß solche Faktoren zugrunde zu legen, die nicht mit denjenigen übereinstimmen, die für den Schuldspruch maßgeblich sind. Dies würde nicht dem Umstand gerecht, dass der Schuldspruch als direkte Grundlage des Strafausspruches fun407 Vgl. grundlegend Spendel, Lehre vom Strafmaß, S. 191 ff. Siehe auch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 46 ff., 52 ff.; dens., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 13 ff., 41 ff.; Roxin, Bockelmann-FS, S. 279, 304. In diese Richtung auch Haas, Strafbegriff, S. 274 ff., der zwar auf Strafbegründungsebene dem Vergeltungsgedanken den Vorzug gibt (wenngleich „im Modus präventiver Funktionalisierung“), präventiven Erwägungen aber innerhalb der Strafzumessung ein breites Anwendungsfeld zugesteht. Bedenken ruft dabei die doch stark gesetzespositivistisch an § 46 ausgerichtete Argumentation hervor: Ob spezifische – insbesondere spezialpräventive – Erwägungen für die konkrete Strafhöhenbemessung eine Rolle spielen dürfen, muss sich aus den allgemeinen straftheoretischen bzw. dogmatischen Grundlagen ergeben: Die Gesetzesfassung hat sich den so zu gewinnenden (zutreffenden) Einsichten zu fügen – nicht umgekehrt. Zur Kritik an § 46 unter dem Blickwinkel der Eröffnung eines spezialpräventiven Einfallstors vgl. noch unten D. III. 2. m.w. N. 408 Richtungsweisend in diesem Zusammenhang Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1 ff. Nachweise zur umfassenden Entwicklung des Programms der tatproportionalen Strafzumessung über die innerdeutsche Debatte hinaus finden sich bei Frisch, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 1 m. Fn. 1. Vgl. außerdem Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 163 ff., 205 ff.; Duff, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 23 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 384 ff.; 751, 754, 762 ff., 796 f.; dens., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 1, 4 ff.; S. 155, 157 ff.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99 ff.; Naucke, Strafrecht, § 7 Rn. 310 ff.; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209, 224 ff.; Uphoff, Strafzumessungsrichtlinien, S. 217 ff., 237 ff.; v. Hirsch, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 47 ff. Siehe ferner bereits Locke, Social Contract, S. 3, 8 ff. 409 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 205 ff.; Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 5 f., 7 ff.; SK/Horn, 35. Lfg. Jan. 2001, § 46 Rn. 42 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 143 ff. (3. Teil, 4. Kapitel); vgl. auch MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 15 ff. (der sich allerdings gegen das Modell der tatproportionalen Strafzumessung ausspricht).
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
giert.410 In der Folge dienen die Straftatelemente der Strafzumessung als normatives Gerüst ihrer Substrate. Insbesondere lassen sich auf diese Weise solche Faktoren ausschließen, die weder für das Unrecht noch die Schuld echte Relevanz entfalten und beispielsweise allein spezialpräventiven Erwägungen den Weg in das Strafmaß ebnen sollen. Konkret angesprochen sind damit insbesondere Fälle des „Strafzuschlags“ für Gefährlichkeit, denen im Tatproportionalitätskonzept kein Raum geboten wird. Die Ausrichtung der Strafzumessung an den straftatsystematischen Kategorien garantiert außerdem ein höheres Maß an Transparenz und Struktur der richterlichen Strafmaßentscheidung. Durch strikte Orientierung an den Elementen der Straftat ist die Gefahr des Einflusses ausschließlich subjektiver Strafbedürfnisse des Richters jedenfalls begrenzt.411 Im Gegensatz zum konturenlosen Begriff der Strafzumessungsschuld bieten die Straftatkategorien wenig Raum für intuitiv begründete Abweichungen. Zudem ist das Konzept einer tatproportionalen Strafzumessung der herkömmlichen Vorgehensweise der kumulativen Aufzählung strafzumessungsrelevanter Faktoren und deren gleichzeitiger Würdigung innerhalb eines einzigen Bewertungsakts überlegen.412 Die Letztere geht eklatant an dem vorbei, was redlicher Weise von dem urteilsprechenden Richter verlangt werden kann. Die Vorstellung, dass mehrere Faktoren, die sich erheblich unterscheiden und jeweils in stark voneinander abweichendem Maße ausgeprägt sein können, in einem Abwägungsvorgang hinreichend und angemessen Berücksichtigung finden werden, ist immerhin äußerst optimistisch. Der Richter wird aufgrund der Komplexität der meisten Fälle kaum dazu in der Lage sein, dem angemessen zu entsprechen. Gerade vor diesem Hintergrund ist die ordnende Leitlinie, die mit der Ausrichtung des Strafmaßes anhand der Straftatkategorien gewonnen wird, als besonderer Vorzug des Tatproportionalitätsprinzips zu würdigen. Dass auf diese Weise eine Verbesserung der Vergleichbarkeit von Strafzumessungsentscheidungen gelingt, liegt auf der Hand. Was zuvor angesichts verschiedenster, mitunter 410 Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 10; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 88 ff., 103 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 145. – Vgl. weiter zur insbesondere an der mangelnden Wahrung der Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG entflammenden Kritik an einer radikalen Form der Trennungstheorie (vertreten durch Hassemer, Radbruch-GS, S. 281 ff.), wonach solche Gesichtspunkte, die in der Strafbarkeitsbegründung bedeutsam sind, für die Strafzumessung gänzlich unberücksichtigt bleiben müssen, Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 174 f.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 101 ff.; Puppe, Idealkonkurrenz, S. 59 f. 411 Vgl. ausführlich mit einer Fülle an weiteren Nachweisen Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 146 f. Siehe zudem Hörnle, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 105 f.; Naucke, Strafrecht, § 7 Rn. 313 ff.; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209, 228; Uphoff, Strafzumessungsrichtlinien, S. 240 ff., 235 ff. 412 Zur Kritik vgl. auch Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 24 ff.; Grasnick, JZ 1988, 157 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 146 f.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 105 f.; Neumann, StV 1991, 256, 259; Uphoff, Strafzumessungsrichtlinien, S. 238 ff.
I. Die Straftatelemente sind alleinige Kategorien der Strafzumessung
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gegenläufiger Strafzumessungsfaktoren unterzugehen drohte, kann nunmehr anhand der klaren Strukturen von Verhaltensunrecht (unter Einschluss der Schuldaspekte) und Erfolgsunrecht deutlich herausgearbeitet werden. Dies erleichtert zum einen dem Rechtsanwender die Festlegung künftiger Strafmaße in Orientierung an früheren Wertungen; zum anderen tappt auch die revisionsrechtliche Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen nicht länger im Dunkeln.413 Nur so kann dem Gesetzlichkeitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG bei der Bestrafung Rechnung getragen werden. Der auf straftatfremde (spezialpräventive) Gesichtspunkte gestützte Bestrafungsanteil entbehrt der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Gegen die Erhebung der Straftatkategorien zu den wesentlichen Faktoren der Strafzumessung lässt sich außerdem nicht ins Feld führen, dass Streitigkeiten im Bereich der Verbrechenslehre nunmehr zusätzlich die Strafzumessung ereilen und behindern würden.414 Solche Argumentation beruhte bereits in der herkömmlichen Strafzumessungsdogmatik auf einer Fehlvorstellung: Dass straftatsystematische Streitfragen vor den Türen der Strafzumessung Halt machten, konnte auch bislang nicht ernstlich behauptet werden. Wenig überzeugend ist ohnedies, relevante Problemkreise durch Ausblendung umgehen zu wollen. Solche Vermeidestrategien gegenüber ebenfalls strafzumessungsrechtlich bedeutsamen Fragestellungen sind letztlich nicht von Erfolg gekrönt: Spätestens angesichts im Einzelfall eben doch aufbrechender Wunden unterdrückter Straftatfragen sieht sich der bislang Unbedarfte schier unüberwindbaren Schwierigkeiten ausgesetzt. Dass solche Ungenauigkeiten im Strafzumessungsrecht nicht gewollt sein können, zeigt dabei insbesondere die direkte Relevanz, die Fehlentscheidungen in diesem Bereich für den Angeklagten haben können: Erst hier erlangen akademische Streitfragen praktische Bedeutung, weil sie für das konkrete Strafmaß des Betreffenden ausschlaggebend sind.415 Die Ablehnung der Divergenzthese, die eine Trennung der Straftatelemente und der strafzumessungsrelevanten Faktoren nahe legt, verdient letztlich insbesondere deshalb Zuspruch, weil nur so die strikte Ausrichtung der Strafzumessung anhand der straftheoretischen Grundlagen gelingen kann. Während die Etablierung einer eigenständigen Kategorie der Strafzumessungsschuld bei entspre413 Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 24 ff., 36 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 147; Schünemann, in: Eser/Cornils (Hrsg.), Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209, 226 f. Vgl. zur Kritik daran, dass die herkömmliche Strafzumessungsdogmatik dem Revisionsgericht bewusst Steine in den Weg legt, Grasnick, JZ 1988, 157, 158 f. 414 Zu diesem Kritikpunkt vgl. auch Frisch, ZStW 99 (1987), 349, 386; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 148 f. – In diese Richtung argumentiert aber Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 13 ff., 44 ff. 415 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 148 f. – Allgemein zur Bedeutung der Strafzumessung für den Angeklagten siehe Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 3 ff.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
chendem Verständnis präventiven Erwägungen Tür und Tor öffnet, vermittelt die Einsicht der ungebrochenen Materialisierung der straftheoretischen Idee sowohl innerhalb der Straftatsystematik als auch der Strafzumessungsfaktoren die Notwendigkeit des Ausscheidens solcher Tendenzen aus dem Strafrecht. Nach zutreffender Auffassung setzt sich die Straftheorie mithin in den Kategorien der Straftat sowie in den strafzumessungsrelevanten Elementen fort. Damit durchzieht die Wahrung des Gedankens der strikten Trennung von Strafrecht und Polizeirecht sämtliche für die Bestrafung des Täters relevanten Bereiche. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die denkbare Kritik der Anhänger der herkömmlichen Strafzumessungstheorie, innerhalb einer am Straftatsystem ausgerichteten Strafzumessung ließen sich nicht sämtliche für das Strafmaß entscheidenden Faktoren hinreichend verorten, als Zirkelschluss: Nur wer präventiven Überlegungen überhaupt Raum in der Strafzumessung bieten will, könnte entsprechenden Vorwurf fehlender Berücksichtigungsfähigkeit solcher Erwägungen im Gedanken der Tatproportionalität erheben. Wer hingegen die Präventionsabstinenz des Strafrechts in der Straftatsystematik sowie der Strafzumessung anerkennt, muss sich an die Grenzen, die Unrecht und Schuld setzen, halten und darf nicht darüber hinaus Gesichtspunkte, die diesen Kategorien fremd sind, einbeziehen. Es kann mithin nicht die Rede davon sein, das Konzept tatproportionaler Strafzumessung verschließe sich gegenüber wesentlichen, für das Strafmaß entscheidenden Aspekten. Vielmehr dienen die Straftatkategorien als Korrektiv zur Bewertung der legitimen Relevanz sämtlicher Strafzumessungserwägungen. Sollte sich dann aber ein spezifischer Gesichtspunkt – etwa aufgrund seiner rein spezialpräventiven Ausrichtung – nicht in den Straftatkategorien etablieren lassen, sind hiervon Rückschlüsse für dessen Stellenwert im Rahmen der Strafmaßbestimmung zu ziehen: Eine Inkongruenz zwischen Straftatsystematik und Strafzumessung kommt nicht in Betracht. Eine Unterscheidung beider für die Bestrafung des Täters bedeutsamer Schritte liegt insofern ausschließlich darin, dass einerseits über das Ob, andererseits das Wie strafbaren Verhaltens entschieden wird: Erst innerhalb der Strafzumessung kommt es auf die graduelle Ausprägung der im Schuldspruch als gegeben festgehaltenen Kategorien von Unrecht und Schuld an. Daran aber, dass das Strafmaß ausschließlich an den straftatsystematischen Elementen auszurichten ist, ändert sich nichts.
II. Allgemeine Straftatkategorien Das nunmehr für das Verständnis der Straftatkategorien Notwendige wurde im Wesentlichen vorab benannt, sodass an dieser Stelle Kürze geboten ist. Entscheidend ist dabei die Erkenntnis, dass sich die straftheoretischen Grundlagen in den Straftatkategorien fortsetzen. Ein begriffliches Abweichen von den formulierten Vorgaben wäre also nicht nur überflüssig, sondern brächte im Gegenteil sogar die Gefahr mit sich, durch unüberlegte terminologische Setzungen von den maßgeb-
II. Allgemeine Straftatkategorien
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lichen Inhalten unzulässig abzuweichen.416 Angesichts des hier betonten Bestrebens, das Strafrecht vollumfänglich von präventiven Gesichtspunkten frei zu halten, ist eine möglichst ebenfalls begrifflich nahe Formulierung der Straftatkategorien an den straftheoretischen Grundlagen angeraten. Das Unrecht ist vor diesem Hintergrund durch einen Verhaltensnormverstoß des Normadressaten gekennzeichnet.417 Durch sein Verhalten bringt der Täter zum Ausdruck, dass die übertretene Verhaltensnorm jedenfalls in der konkreten Situation für ihn keine Geltung entfaltet. Es sollen seine eigenen Maximen anstelle des Rechts der Gesellschaft gelten. Verhaltensunrecht kann daher in Orientierung an den straftheoretischen Grundlagen als Infragestellung des Rechts durch dessen Miss- oder Nichtbeachtung definiert werden.418 Als zusätzliches straffundierendes Element treten neben den primären Faktor rechtlicher Verhaltensmissbilligung in Gestalt des Verhaltensunrechts bei vielen Delikten die spezifischen Fehlverhaltensfolgen.419 So muss sich z. B. beim Erfolgsdelikt in Folge des rechtlich missbilligten Verhaltens ein schadensträchtiger Verlauf ereignet haben, der durch richtiges Verhalten hätte vermieden werden können und müssen. Seine Vermeidung ist Legitimationsgrund der übertretenen Verhaltensnorm.420 Unrecht als Straftatkategorie setzt folglich als vorrangiges straffundierendes Datum die Infragestellung des Rechts durch einen konkreten Verhaltensnormverstoß 416 Dass selbst zutreffende terminologische Ausfüllungen des Unrechts als wesentliches Element der Straftat nicht gänzlich vor präventiven Ungenauigkeiten gefeit sind, werden die Ausführungen zu Frischs Unrechtsverständnis nachfolgend C. III. 3. aufzeigen. In letzter Instanz garantiert allein die Rückbesinnung auf die straftheoretischen Grundlagen in der freiheitlichen Rechtsordnung die hier intendierte absolute Gesinnungsabstinenz des Strafrechts. 417 Freund, AT, § 2 Rn. 8 ff., 46 ff., 52 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 24 ff., 127 ff. 418 Freund, Erfolgsdelikt, S. 81 ff., 88 ff., 92 ff.; Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 254; ders., BGH-FS, S. 269, 279, 289 f.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 76 ff., 86 f. 419 Nicht weiter vertieft werden sollen hier Fragen der Berechtigung des eigenständigen Stellenwerts des sogenannten „Erfolgsunrechts“ in Gestalt der Fehlverhaltensfolgen. Gesinnungsrelevanz kann (wenn auch zu Unrecht, siehe dazu unten C. III., IV.) allenfalls im Bereich des Verhaltensunrechts bzw. im Rahmen der „Schuld“ proklamiert werden – ihre Verortung innerhalb der Fehlverhaltensfolgen wirkte doch reichlich gekünstelt bzw. betrifft im Eigentlichen bereits äußerlich in Erscheinung tretende Momente der Gefährlichkeit des Verhaltens, für die eine versubjektivierende „Übersetzung“ in eine spezifische Gesinnung jedenfalls einen überflüssigen Zwischenschritt ausmachte. Ohnedies betont schon Freund, AT, § 2 Rn. 56 ff. den eher terminologischen Charakter des Streits. Bei Lichte besehen verwischen die Grenzen zwischen extrem monistisch-subjektiver Unrechtslehre und dualistischer Konzeption angesichts der Einbeziehung sogenannter „objektiver Strafbarkeitsbedingungen“ in die erstgenannte. De facto wird so auch dem scheinbar strikten Monismus dualistische Würze verliehen. – Siehe dennoch zur Streitdarstellung Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 189 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 201 ff. 420 Freund, AT, § 2 Rn. 46 ff., 52 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 96 ff., 110; ders., GA 1999, 509, 529 ff.; Frisch, BGH-FS, S. 269, 287; ders., GA 1989, 338, 355; ders., ZStW 99 (1987), 751, 752 ff. Vgl. außerdem schon oben B. II. 1. d).
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
voraus.421 Daneben kann in Abhängigkeit von dem jeweiligen Delikt das Erfordernis spezifischer Fehlverhaltensfolgen als zusätzlicher Vorwurfsgegenstand treten. Indes verlangt bereits das hier zugrunde gelegte Bild des Normadressaten als grundsätzlich freies, allein durch seinen eigenen Willen gesteuertes Individuum dessen Verantwortlichkeit für sein personales Fehlverhalten. Der Gegenstand des bei einer Strafe zu erhebenden Vorwurfs kann daher allein das zu verantwortende Verhaltensunrecht (nebst spezifischen Fehlverhaltensfolgen) sein.422 Gegenüber dem Täter kann ausschließlich dann ein strafrechtlicher Tadel ausgesprochen werden, wenn er tatsächlich die Möglichkeit hatte, in seinem Verhalten die rechtlichen Vorgaben der Verhaltensnormen einzuhalten. Er muss sich gegen das Recht entschieden haben, obgleich er fähig war, sich in Orientierung an den maßgeblichen Verhaltensnormen rechtlich richtig zu verhalten. Schuld wird daher als die Fähigkeit des Einzelnen zum Andershandeln verstanden.423 Sofern aber ein rechtliches Missbilligungsurteil über das Verhalten des Einzelnen, der in der konkreten Situation die Möglichkeit zum normgemäßen Handeln hatte, gefällt werden kann, ist noch ein Scheitern der Bestrafung aufgrund zu geringen Gewichts des personalen Fehlverhaltens denkbar.424 Gemeint sind Fälle, in denen der Verhaltensnormverstoß wegen der Bagatellhaftigkeit der Fehlverhaltensweise bzw. des minimalen Unwertgehalts keinen solchen Grad an Missbilligung aufweist, der zur Legitimation des Einsatzes von Strafe als besonders einschneidendem Sanktionsmittel erforderlich wäre. In der Straftatkategorie des strafrechtlich zu verantwortenden Verhaltensunrechts (nebst spezifischen Fehlverhaltensfolgen) ist damit als eigens bedeutsames Datum der Verhaltensmissbilligung zusätzlich das hinreichende Gewicht des personalen Fehlverhaltens enthalten. Maßgebliche Straftatkategorie ist das verschuldete Unrecht. Eine Bestrafung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Täter durch sein Verhalten seine Miss- bzw. Nichtbeachtung gegenüber dem Recht zum Ausdruck gebracht hat, obgleich von ihm in der konkreten Situation rechtlich richtiges Verhalten erwartet werden durfte. Zusätzlich können spezifische Fehlverhaltensfolgen als Ausdruck eines schadensträchtigen Verlaufs, der aus dem Verhaltensunrecht resultiert, für die Bestrafung Bedeutung entfalten.
421
Freund, AT, § 2 Rn. 59; ders., GA 1999, 509, 530. MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rn. 291; Frisch, BGH-FS, S. 269, 279 ff.; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 10 ff.; ders., ZStW 99 (1987), 349, 382 f.; Hörnle, JZ 1999, 1080, 1088. 423 Freund, AT, § 4 Rn. 1 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 137, 237 ff.; Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 239 ff., 249 m.w. N.; ders., ZStW 99 (1987), 349, 382 f.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 211; SK/Horn, 35. Lfg. Jan. 2001, § 46 Rn. 45; Hörnle, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 124 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 87; MK/Radtke, Vor §§ 38 ff. Rn. 17. 424 Freund, AT, § 4 Rn. 6 ff., 18 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 207 ff. 422
III. Gesinnung als Element des Unrechts
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III. Gesinnung als Element des Unrechts In Orientierung an der verbreiteten Trennung von Unrecht und Schuld425 wird zunächst der (vermeintlichen) Bedeutung der Gesinnung für die Infragestellung des Rechts seitens des Täters nachgegangen. 1. Grundsätzliche Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts aufgrund subjektiver Komponenten Eine Verortung der Gesinnung im vorliegenden Verständnis des personalen Verhaltensunrechts setzte voraus, dass durch die Geisteshaltung des Täters dessen Infragestellung des Rechts beeinflusst wird. Vertreten wird, dass es sich bei Taten, die von einer wertwidrigen Gesinnung des Einzelnen begleitet sind, um grundsätzlich verwerflichere handele, deren gesteigertes Unrecht in einem höheren Strafmaß Niederschlag finden müsse.426 Ob nun die Strafhöhe steigernd oder mindernd427, setzte dies die grundsätzliche Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts angesichts subjektiver Komponenten voraus. Als relativ unproblematisch wird allgemein die Unrechtssteigerung angesichts äußerer Verhaltensvarianten angesehen.428 So werden etwa Verhaltensweisen, die eine über das Normalmaß gesteigerte Gefährlichkeit der Realisierung eines Schadens bzw. der Realisierung eines besonders erheblichen Schadens in sich tragen, zur Begründung erhöhten
425 An der herkömmlichen Trennung der Straftatkategorien Unrecht und Schuld soll vorliegend jedenfalls aus Darstellungsgründen festgehalten werden. In der Sache spricht einiges dafür, diese traditionelle Grenzziehung zu Gunsten eines einstufigen Deliktsaufbaus aufzugeben. – Zur dahingehend überzeugenden Argumentation vgl. Freund, AT, § 4 Rn. 20 f.; MK/dens., Vor §§ 13 ff. Rn. 138; dens., GA 2010, 193, 197 (siehe dort auch die zutreffende Replik zu Greco, GA 2009, 636 ff.); Jakobs, Handlungsbegriff, S. 43 f.; Lesch, Verbrechensbegriff, S. 203 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 87 f. m. Fn. 49 m.w. N.; Puig, ZStW 108 (1996), 758, 775 f.; Renzikowski, ARSP-Beiheft 104 (2005), 115, 133 ff. In diese Richtung gehen auch Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 257 f. m. Fn. 60; Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 30 f. Vgl. außerdem noch unten C. III. 2. b). – Siehe zur Stufe der Rechtswidrigkeit Jakobs, RW 2010, 283, 302 f. – Zur Gegenauffassung vgl. nur Roxin, Henkel-FS, 171 ff.; Schünemann, in: Schünemann/de Figueiredo Dias (Hrsg.), Bausteine des europäischen Strafrechts, S. 149 ff. 426 Vgl. Frisch, BGH-FS, S. 269, 288 ff.; dens., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 15; dens., Müller-Dietz-FS, S. 237, 249, 254 f. So – in gewissen Grenzen – auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 270 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 119 f. 427 Räumt man der Gesinnung überhaupt Relevanz im Strafrecht ein, so kann weder die eine noch die andere Variante per se ausgeschlossen werden. 428 Siehe dazu die Ausführungen bei Frisch, BGH-FS, S. 269, 287; dems., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 14, 17 f.; dems., ZStW 99 (1987), 751, 758 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 168 ff.; Hettinger, Doppelverwertungsverbot, S. 111 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 233 ff., 242 ff., 251 ff., 274 ff.; ders., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 121 ff. Vgl. auch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 455 ff.; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 205 ff.
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Unrechts herangezogen. Als Beispiel ist das Mitsichführen von Werkzeugen oder anderer, die körperliche Überlegenheit des Täters gegenüber dem Opfer begünstigender Mittel zu nennen. Weiterhin kann es eine Rolle spielen, in welchem Umfang das Opfer der Tat eines besonderen Schutzes bedarf. Bei einem Angriff auf erheblich gefährdete Personen kann durchaus eine Unrechtssteigerung gegenüber dem Angriff auf ein wehrhaftes Opfer in Betracht zu ziehen sein. Ferner kann im umgekehrten Sinn spezifisches Opferverhalten das Verhaltensunrecht des Täters mindern – so etwa in Fällen der Tatprovokation. Bei der Gesinnung handelt es sich aber um eine rein subjektive Kategorie. Aufschluss über deren Potential zur Steigerung des Unrechtsgehalts wird daher eher von den klassischen Typen personalen Verhaltensunrechts erwartet: Vorsatz und Fahrlässigkeit. Um den Stellenwert der Gesinnung innerhalb des Verhaltensunrechts näher zu beleuchten, kann ein Blick auf andere subjektive Kategorien richtungsweisend sein. Hier fällt die unterschiedliche Behandlung vorsätzlichen im Gegensatz zu fahrlässigem Verhalten auf, die vom Gesetz vorgesehen ist und an der festgehalten werden soll. In den Rechtsfolgen wird regelmäßig härter auf vorsätzliches Verhalten reagiert, folgenloses fahrlässiges Verhalten steht zumeist nicht unter Strafe. Ein solches Abstellen auf subjektive Komponenten des Täterverhaltens im Allgemeinen sowie hinsichtlich der Folge der Bestrafung muss sich indessen sachlich begründen lassen, will es nicht dem Vorwurf des Gedankenstrafrechts oder der Willkür ausgesetzt sein. Innerhalb des dargestellten Unrechtskonzepts muss daher zunächst geklärt werden, inwieweit eine Einbeziehung von Vorsatz und Fahrlässigkeit überhaupt den Anforderungen an legitimes staatliches Handeln gerecht wird. Wie eingangs erwähnt, lassen sich gegen die Würdigung subjektiver Momente im Strafrecht grundlegende Einwände erheben, die es primär auszuräumen gilt, bevor auf ein irgendwie geartetes Verhältnis zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten eingegangen werden kann. Zur Klarheit verhilft in diesem Kontext eine genauere Untersuchung des eigentlichen Inhalts desjenigen Normverstoßes, der Auslöser für das Eingreifen staatlicher Strafe sein kann. Bereits oben wurde dargestellt, dass der Täter durch sein Verhalten die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm missachtet (oder zumindest nicht in der gehörigen Form beachtet) und auf diese Weise das Recht negiert. Der Normbruch des Einzelnen liegt mithin in seinem von Rechts wegen zu missbilligenden Verhalten. Wer aber das rechtlich zu missbilligende Verhalten als maßgebliches Datum staatlichen Strafens erkennt, dem wird schnell bewusst, dass das Tun oder Unterlassen des Einzelnen nicht von dessen Person getrennt werden kann. Der Normbruch liegt nicht schon in einem äußerlich in Erscheinung getretenen – rechtlich irgendwie negativ zu bewertenden – Geschehen. Vielmehr ist entscheidend, ob es sich um einen Verhaltensnormverstoß des konkreten Subjekts in der entsprechenden Situation handelt.429 Erst wenn aus der maßgeblichen Adressatenperspektive feststeht, dass das konkrete Verhalten solche Schädigungsmöglichkeiten für fremde Interessen
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aufweist, die von Rechts wegen nicht hinzunehmen sind, ist von einem Normverstoß in seiner strafrechtlich notwendigen Gestalt auszugehen. Maßgeblicher – und unverzichtbarer – Ansatzpunkt für die strafrechtliche Reaktion ist die rechtlich fehlerhafte Entscheidung der Person, die diese in ihrem Verhalten umsetzt. Ein „rein äußerlicher Normbruch“ ist daher als Grund für das Eingreifen staatlicher Strafe nicht hinreichend. Bei angemessener strafrechtlicher Begriffsbildung ist diese Bezeichnung bereits eine contradictio in adiecto. Ist man insofern – etwa mit Blick auf die im StGB ebenfalls geregelten Maßregeln – oberflächlicher, fehlt jedenfalls strafrechtlich immer noch die notwendige Zurechnung des äußerlich offenbar nicht hinnehmbaren Geschehens zu seinem individuellen Urheber: Der Person des Täters. Und dafür bedarf es einer rechtlich fehlerhaften Entscheidung der Person, die diese in ihrem Verhalten umsetzt.430 Wer ausschließlich objektiv störende Elemente zur Bestrafung einer Person heranzieht, nimmt im eigentlichen Sinne keine strafrechtliche Beurteilung vor. Die Letztere kann sich nämlich allein auf eine umfassende Verhaltensbeurteilung richten, die damit zusätzlich ganz bestimmte subjektive Komponenten mit einbezieht. Daher muss die Frage, ob subjektive Kategorien einen durchaus achtenswerten Stellenwert im strafrechtlichen Kontext genießen, mit einem deutlichen ,Ja‘ beantwortet werden. Es fragt sich nunmehr, ob sich die in aller Regel unterschiedliche Reaktion in den Rechtsfolgen des Strafrechts bei vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten vor dem Hintergrund des vorgestellten Unrechtsverständnisses als legitim erweist. Im Wege der Strafe soll der Infragestellung der Normgeltung seitens des Täters begegnet werden. Verstößt der Einzelne gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm, erhebt er seine eigenen Sollensanforderungen über die des Rechts. Stellt sich die jeweilige staatliche Reaktion auf bestimmtes Verhalten jedoch unterschiedlich dar, muss die Ursache dafür in der Qualität des in Rede stehenden Verhaltensnormverstoßes zu finden sein. Anderenfalls ließe sich eine Ungleichbehandlung der Täter vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG nicht legitimieren. Eine Analyse der Norminfragestellung durch einerseits den Fahrlässigkeits- und andererseits den Vorsatztäter bringt indes einen gravierenden Unterschied zu Tage: Während der Erstere sich des Normverstoßes nicht in vollem Umfang bewusst ist, mithin in bedeutsamer Weise einem Irrtum unterliegt, entscheidet der Letztere sich sehenden Auges für den Normverstoß und damit gegen die Geltung der übertretenen Verhaltensnorm.431 Vom Fahrlässigkeitstäter kann 429 Vgl. schon oben B. II. 1. b). Ausführlich dazu Freund, Erfolgsdelikt, S. 96 ff.; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 760 ff. Vgl. auch W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 80 f., 88. 430 Dass der Normbruch eine notwendige Verbindung subjektiver und objektiver Momente darstellt, betont bereits Freund, Erfolgsdelikt, S. 98. 431 Freund, Küper-FS, S. 63, 80 ff.; MK/ders., Vor §§ 13 ff. Rn. 295 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 49 f., 97 ff.
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sich nach entsprechender Aufklärung über die tatsächlichen Umstände der verhaltensrelevanten Situation noch ein Absehen von dem normwidrigen Verhalten erhofft werden. Demgegenüber verwirklicht der Vorsatztäter einen qualitativ gesteigerten Unwert, indem sein Verhaltensnormverstoß auf der Basis vollumfänglicher kognitiver Erfassung der relevanten Aspekte erfolgt.432 Wer vorsätzlich gegen eine Verhaltensnorm verstößt, signalisiert, dass er ihre Geltung missachtet. Der Angriff des Vorsatztäters auf die Normgeltung ist als direkte Kampfansage gegen die rechtlichen Verhaltensregeln zu verstehen, auf die es zu reagieren gilt, soll nicht mit letzter Konsequenz der Aufwertung der Maximen des Täters zur allgemeinen Norm der Weg bereitet werden.433 Die vorsätzliche Infragestellung der rechtlichen Verhaltensnorm stellt sonach einen (auch: güter-) gefährlicheren Angriff auf deren Geltungskraft dar und muss von Seiten des Rechts härter geahndet werden. Es entspricht dem legitimen Schutzbedürfnis der Rechtsordnung, auf gesteigerte Angriffe mit erhöhter Schärfe zu reagieren.434 In der qualitativ gesteigerten Infragestellung der Normgeltung seitens des Vorsatztäters ist folglich ein Differenzierungskriterium gefunden, das die Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen gegenüber dem Fahrlässigkeitstäter rechtfertigt.435 Die subjektive Komponente des jeweiligen Täterverhaltens kann folglich dazu beitragen, eine qualitativ andere Bewertung seines Unrechtsgehalts zu begründen. Die allgemeine Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts erstreckt sich neben denkbaren Varianten des äußerlich rechtlich zu missbilligenden Verhaltens ebenfalls auf subjektive Komponenten in Gestalt von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Es stellt sich nunmehr die Frage, ob eben dieser Befund auf die Behandlung der Gesinnung im strafrechtlichen Kontext ausstrahlt.
432 In diesem Sinne stehen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat zueinander in einem PlusMinus-Verhältnis, Freund, AT, § 7 Rn. 39; ders., Küper-FS, S. 63, 80; ders., HerzbergFS, S. 225, 228; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 84; Jakobs, AT, 9/4. Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 97 f. betont zusätzlich, dass gegenüber dem Fahrlässigkeitstäter der Vorsatztäter eine erhöhte Fehlleistung begeht, deren Grund in der „Nichtausnutzung einer Vermeidemacht“ liege, „die im Falle des Wissens gegenüber dem Fall des Nichtwissens typischerweise erhöht“ sei. Zum Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstäter vgl. auch Hörnle, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 116 ff.; Jakobs, in: Neumann/Schulz (Hrsg.), Verantwortung in Recht und Moral, S. 57, 62; dens., RW 2010, 283, 304 f.; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 470 ff. 433 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 98 ff. 434 Siehe dazu ausführlich Freund, AT, § 7 Rn. 35 ff.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 98 ff., 101 f. 435 Bei der Fahrlässigkeit gibt es zumindest quantitative Abstufungen nach dem jeweiligen Maß der Vermeidemacht. Zu denken ist auch an qualitative Unterscheidungen wie die zwischen einfacher Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit. Für Strafzumessungsunterschiede genügen aber quantitative Abstufungen. Zur Frage der denkbaren Abstufungen innerhalb der Vorsatzfälle vgl. Fn. 438.
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2. Grenze der Graduierbarkeit: Die Gesinnungstat bedeutet keine gesteigerte Infragestellung des Rechts Die Unterscheidung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat hat gezeigt, dass das Gewicht des Verhaltensnormverstoßes in Abhängigkeit von dessen subjektiven Komponenten differieren kann. In dem Verhalten des Vorsatztäters liegt eine qualitativ stärkere Infragestellung der Normgeltung gegenüber dem Rechtsangriff durch die fahrlässig begangene Tat. Eine härtere Bestrafung des Vorsatztäters lässt sich vor diesem Hintergrund normativ rechtfertigen. Es fragt sich nunmehr, ob das von einer spezifischen Gesinnung des Täters begleitete Verhalten eine vergleichbare quantitative Graduierung nach sich zieht. Der individuelle Verhaltensnormverstoß müsste dann schwerer bzw. minder schwer wiegen gegenüber der ohne eine entsprechende Einstellung des Täters begangenen Tat. a) Maximalmaß des Verhaltensnormverstoßes bei Infragestellung des Rechts ohne Milderungsgrund Die Frage der Graduierbarkeit des Verhaltensnormverstoßes bei Vorliegen einer „Gesinnungstat“ soll anhand zweier Beispiele erörtert werden: A und B sind Erzfeinde seit Kindesjahren. B hat A schon häufig übel mitgespielt: Er nutzt jede Gelegenheit, A bei anderen in einem schlechten Licht dastehen zu lassen und spielt ihm derbe Streiche (Anzünden des Briefkastens zu Silvester, Auslassen der Luft aus den Autoreifen etc.). A versucht zwar, es B gleichzutun, erweist sich aber aufgrund seines eher einfachen Gemüts als untalentiert, sodass er regelmäßig den Kürzeren zieht. Eines Tages verlässt A angetrunken seine Lieblingskneipe. Er ist in übler Stimmung, da Bekannte ihm den Abend über von den neuesten Gemeinheiten berichtet haben, die B sich gegen ihn ausgedacht hat. Als A auf dem Weg B trifft, überkommt ihn eine große Wut auf den Erzfeind. Er schlägt dem körperlich unterlegenen B mit der Faust ins Gesicht und geht dann nach Hause. C ist Mitglied einer Jugendgang. Ihre freien Nachmittage und Abende verbringt die Gruppe vornehmlich damit, alkoholisiert die Stadt unsicher zu machen. Auf einer ihrer Touren treffen die Jugendlichen den ihnen bislang unbekannten D allein an. D ist afrikanischer Herkunft, was die Gang, die der rechtsradikalen Szene zuzuordnen ist, zum Anlass nimmt, D mit rassistischen Beleidigungen zu überziehen. Auch C nimmt daran teil. Von der Stimmung mitgerissen und weil er Farbige grundsätzlich verachtet, versetzt C dem D einen Faustschlag ins Gesicht. Im Anschluss verlassen die Jugendlichen den Tatort.
Zunächst soll eine Analyse der Tätermotivation in dem jeweiligen Fall vorgenommen werden. A empfindet bei dem Angriff auf B „große Wut“. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich über Jahre eine hohe Antipathie gegenüber dem Erzfeind B ausgebildet hat, die in den verschiedenen Übeln, die B dem A zugefügt hat, begründet liegt. Der Schlag dient als Ventil für die vielschichtigen Gefühle des A: Verletzung, Rache, Zorn, Demütigung. Demgegenüber weist C keine besondere Beziehung zu D auf. Er trifft den bislang Unbekannten zufällig und lässt
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sich in seinem Angriff durch die Stimmung der Gruppe sowie die Ablehnung gegenüber der Andersartigkeit des D lenken. In seiner Tat kommt seine grundsätzliche Verachtung gegenüber Farbigen zum Ausdruck. Hinsichtlich des Verhaltens des C könnte eine gesinnungsgeleitete Tat angenommen werden. So verdeutlicht er durch den Angriff auf D, dass er den Wert der Körperintegrität seines Gegenübers gerade aufgrund dessen Andersartigkeit negiert. Vergleicht man beide Fälle miteinander, erscheint der zuletzt geschilderte anstößiger. Eher nachvollziehbar ist es, den Erzfeind, durch den der Täter selbst Leid erfahren musste, zu schädigen, anstatt einen Fremden aufgrund rassistischer Motive in dessen Körperintegrität zu verletzen. Ursprung dieses ersten Eindrucks mag eine allgemeine, ablehnende Einschätzung der wertnegierenden Gesinnung des C sein, die ihn zur Tat getrieben hat. Man könnte verleitet sein, demjenigen gegenüber einen größeren Vorwurf zu formulieren, in dessen Verhalten eine Gesinnung zum Ausdruck kommt, die mehrheitlich als unwertig oder anstößig empfunden wird. Der Schritt zur Verschärfung der Strafe bei wertwidriger Gesinnung des Täters läge nicht weit entfernt. Soll aber bei zum Verhaltensnormverstoß nebst Folgen hinzutretender anstößiger Gesinnung eine höhere Strafe als bei nicht gesinnungsgeleiteten Taten verhängt werden, müsste sich dies in das als richtig erkannte normative Konzept von Strafe und das Straftatelement des personalen Verhaltensunrechts integrieren lassen.436 Dies setzte einen gegenüber den bislang diskutierten Fällen gewichtigeren Verhaltensnormverstoß des Täters voraus. Es müsste – analog der Abschichtung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat bzw. den weiteren Abschichtungen innerhalb dieser Taten – anhand des Kriteriums der Tateinstellung möglich sein, eine gesteigerte Infragestellung der Normgeltung bei der Gesinnungstat zu benennen. Dazu bedarf es zunächst der Festlegung des Ausgangspunkts solcher Graduierung. Eine Steigerung kann nicht im freien Raum erfolgen, sie muss sich vielmehr auf einen darunter liegenden Verhaltenstyp beziehen, von dem sie sich qualitativ oder zumindest quantitativ absetzen kann. Als Bezugspunkt wird hier der Verhaltenstyp vorsätzlicher Begehung herangezogen. Die Gesinnung kann gerade als Antrieb zur Tat dienen, sodass das Vorliegen jedenfalls von Eventualvorsatz denkbar ist. Im Regelfall wird hingegen direkter Vorsatz bzw. Absicht gegeben sein.437 Die besondere Anstößigkeit von Gesinnungstaten lässt sich auf die 436 Vgl. oben Fn. 419 zur Irrelevanz von Gesinnungen bezüglich der Fehlverhaltensfolgen. 437 Nicht ausgeschlossen ist aber auch die Kombination eines fahrlässigen Verhaltens mit der Gesinnung des Täters. Bereits die oftmals nicht einfache, klare Abgrenzung bewusster Fahrlässigkeit zum Eventualvorsatz (siehe nur Roxin, AT I, § 12 Rn. 21 ff.) macht dies deutlich. Die Verkennung der konkreten Sachlage kann außerdem gerade damit zusammenhängen, dass der Einzelne eine rücksichtlose Gesinnung aufweist. – Die weitere Klärung des Zusammenspiels von fahrlässigem Verhaltensnormverstoß und gleichzeitigem Vorliegen einer spezifischen Gesinnung erübrigt sich an dieser Stelle
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Ablehnung gegenüber demjenigen Verhalten zurückführen, durch das die Person ihrer wertwidrigen Geisteshaltung Ausdruck verleiht. Der Verhaltensnormverstoß ist Symbol dieser vom Anerkannten abweichenden Einstellung, sodass er nicht selten auf Vorsatz beruht. Nunmehr darf normativ nicht der Fehler begangen werden, die Gesinnung des Täters mit einer spezifischen Vorsatzform gleichzusetzen. Die Graduierung, die verschiedene Vorsatzformen untereinander zulassen und daher ihrerseits voneinander abweichende Strafhöhen bedingen können,438 lässt sich nicht auf die Gesinnung übertragen. Vorsatz und Fahrlässigkeit als Verhaltensformen ermöglichen einen Schluss auf die kognitive Wahrnehmung der Tatsituation durch den Betreffenden. Gemeint ist, ob er die wesentlichen Umstände erkennt, die das nicht gerechtfertigte Unrecht seiner Tat begründen. Kann hiervon ausgegangen werden, ist dem Täter Vorsatz zu attestieren. Die Gesinnung geht über die situative Wahrnehmung konkreten Verhaltensunrechts hinaus. Sie erfasst die grundsätzliche Einstellung des Täters zu dem angegriffenen Wert.439 Damit legt die Gesinnung unweigerlich den Blick auf die Täterpersönlichkeit frei. Eine Gleichsetzung von Vorsatz und individueller Gesinnung ist folglich ausgeschlossen. Die konkrete Steigerung des Verhaltensnormverstoßes bei Vorliegen einer wertwidrigen Gesinnung müsste sich also eigenständig normativ begründen lassen. Jedoch stößt man hier schnell an die Grenzen der normativen Konzeption einer Graduierung des denkbaren Verhaltensnormverstoßes nach oben. Sofern der Täter das Recht bewusst in Frage stellt und sein Verhalten ersichtlich auf keinem spezifischen Milderungsgrund beruht, ist eine weitere Unrechtssteigerung im System nicht angelegt. Ein über die ohne nachvollziehbaren Grund erfolgte Negation des Rechts hinausgehender Verhaltensnormverstoß ist nicht denkbar. Stellt der Täter seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen und fehlt es gleichzeitig an einem diesen Umstand mildernden Sachverhalt, ist hierin das Maximalmaß dessen zu sehen, was als Verhaltensunrecht dem Einzelnen vorgeworfen werden kann. Die Anreicherung mit einer spezifischen Gesinnung begründet keinen darüber hinausgehenden Unwert, der den Verhaltensnormverstoß zu einem gewichtigeren macht oder gar qualifiziert. Bringt der Täter durch sein Verhalten zum Ausdruck, dass er die gesellschaftlichen Regeln grundlos missachtet, ist keine Steigerung über diese Vollform der Negation des Rechts möglich. Die Graduierbarkeit des Verhaltensunrechts findet sonach ihre natürliche jedoch. Wie sich im Anschluss zeigt, ist eine Graduierung über den grundlosen Verhaltensnormverstoß hinaus als systemwidrig abzulehnen. Indem der Gesinnung bereits im Rahmen des vorsätzlichen Verhaltensnormverstoßes keine Bedeutung zukommt, gilt dies entsprechend auch für Fahrlässigkeitsfälle. 438 Ob unterschiedliche Vorsatzformen einen Einfluss auf die Strafzumessung haben, ist nach wie vor umstritten. Vgl. den Überblick sowie die überzeugende Argumentation für die Bejahung der Fragestellung bei Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 260 ff. m.w. N. Siehe auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 157. 439 Zum Moment der Dauer vgl. bereits oben A. IV.
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Grenze im vorsätzlichen Normverstoß, der ohne mildernden Grund vorgenommen wird.440 Insofern mag zwar der Umstand, dass wir die Gesinnung des Betreffenden kennen und als anstößig empfinden, uns vordergründig dazu veranlassen, ein bestimmtes Verhalten für verwerflicher als anderes einzuschätzen. Genau besehen ist es aber nicht die Gesinnung des Täters, die solches Empfinden beim Beobachter hervorruft – jedenfalls nicht direkt. Vielmehr erschüttert die Grundlosigkeit des Verhaltens bzw. der Umstand, dass kein anerkennenswerter Grund herangezogen werden kann, der die Handlung bzw. das Unterlassen des Täters in irgendeiner Form nachvollziehbar macht. Dann besteht aber beispielsweise kein Unterschied zwischen einer Körperverletzung aus Langeweile oder aus Rassismus.441 Dies zeigen eindrucksvoll die oben dargestellten Fälle: Besonders anstößig am zweiten Beispielsfall ist nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – die Gesinnung des C, die er in der Tat verwirklicht. Was wirklich erschüttert und es rechtfertigt, einen schärferen Vorwurf (im Vergleich zu dem ersten Beispielsfall) zu erheben, ist der Umstand, dass C im Gegensatz zu A ohne einen irgendwie noch intersubjektiv begreifbaren sachlichen Grund zur Tat schreitet. Während A jahrelang unter B gelitten hat und sein Verhalten daher zwar weder gerechtfertigt noch entschuldigt, aber in gewissem Maße nachvollziehbar ist, gehen solche Überlegungen mit Blick auf die Beurteilung des Verhaltens des C gänzlich ins Leere: Es ist kein mildernder Grund erkennbar, der ihn zur Tat bewogen haben könnte. Verhält es sich aber so, muss der maximal denkbare Verhaltensnormverstoß angenommen werden, der das Höchstmaß verdient. Im Gegensatz dazu gelingt es bei A, Gründe zu benennen, die es rechtfertigen, eine mildere Strafe im Verhältnis zu C zu verhängen.
440 In diese Richtung auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 120 f. Vgl. außerdem Haas, Strafbegriff, S. 252 f. m. Fn. 78: Jede „über den eigentlichen Vorsatz hinausreichende Zielsetzung tangiert das Unrecht nicht“. Subjektive Merkmale sollen – wie hier – nur als Zurechnungskriterien eine Rolle spielen; dies betrifft unabhängig von der straftatsystematischen Verortung (Elemente des Unrechts oder der Schuld) die Fragen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit sowie der Fähigkeit, das Unrecht der Tat zu erkennen und sein Verhalten dieser Einsicht gemäß zu lenken. Siehe zum Andershandelnkönnen als Gegenstand der Schuld unten C. IV. 1. 441 Vgl. zudem SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3. In diesem Sinne sieht Figueiredo Dias, ZStW 95 (1983), 220, 245 zwischen der „feindlichen“ und der „gleichgültigen persönlichen Einstellung“ keinen Unterschied (wenn auch mit Blick auf den Vorsatz, der stets Ausdruck einer solchen Einstellung sei. So kommt aber in dieser Umschreibung des Vorsatzes die wichtige Erkenntnis zum Ausdruck, dass eine Differenzierung von gleichgültiger oder wertnegierender Einstellung mit Blick auf den Grad ihrer „Verwerflichkeit“ keinen Sinn macht.). Zutreffend stellt Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 97 in diesem Zusammenhang fest, dass das Fehlen eines Beweggrundes für ein Verhalten sogar gravierender ausfallen kann, selbst wenn der Beweggrund negativ konnotiert ist, da die Tat so weniger plausibel wird. Siehe daraus ableitend ihre überzeugende Argumentation zum Verhältnis der Tötungstatbestände, S. 369 ff.
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Mithin spielt die wertwidrige Einstellung des Betreffenden in der konkreten Tat allenfalls nach jenem Verständnis eine Rolle für das Maß seiner Strafe, das sie – quasi als Umschreibung der eigentlich gemeinten objektiven Gegebenheiten – als potentiellen Indikator des Fehlens eines sachlichen Milderungsgrundes für die Vornahme des strafbaren Verhaltens einstuft.442 Der Schluss aber, dass bei Vorliegen einer anstößigen Gesinnung in jedem Fall das Maximalmaß des denkbaren Verhaltensnormverstoßes vorliegt, kann nicht ohne Weiteres gezogen werden. Im Gegenteil besteht selbst bei einer besonders anstößigen Gesinnung immer noch die Möglichkeit, dass Umstände vorliegen, die das Verhängen der im Verhältnis zu anderen Taten der Vergleichsgruppe relativ strengsten Bestrafung unmöglich machen. Insofern darf die notwendig sachliche, strafrechtliche Würdigung nicht durch eine möglicherweise empfundene Abscheu gegenüber einer spezifischen Gesinnung überdeckt werden. Dem individuellen Nachgeben gegenüber einer im Einzelfall durchaus denkbaren Versuchung der Negativbewertung einer bestimmten Geisteshaltung ist gerade kein Raum zu schenken. Geboten ist vielmehr in Abgrenzung von der bislang verbreiteten Grundannahme der Strafschärfung bei anstößiger Gesinnung ein Perspektivenwechsel: Eine Steigerung des maximalen Normbruchs nach oben ist nicht denkbar. Hingegen stellt dasjenige Verhalten, bei dem ein irgendwie nachvollziehbarer Grund zu dessen Umsetzung fehlt, das Maximalmaß strafrechtlichen Verhaltensunrechts dar und kann nicht durch eine spezifisch geartete Gesinnung weiter erhöht werden. b) Gründe zur Milderung des Maximalmaßes des Verhaltensnormverstoßes Nach dem Gesagten ist eine mildere Bestrafung in Betracht zu ziehen, wenn in der Tat Umstände zum Ausdruck kommen, die das Verhalten des Täters in gewissem Maße nachvollziehbar machen. Die Schwierigkeit der Ausfüllung des Kriteriums des sachlichen Grundes tritt trotz aller denkbaren Konkretisierungsbemühungen offen zu Tage. Darin ist indes kein Mangel zu erblicken, der das hiesige Konzept grundlegend zum Scheitern verurteilt. Es handelt sich vielmehr um die das „Geschäft der Strafzumessung“ allgemein prägende Schwierigkeit, den Schweregrad eines konkreten Einzelfalls zu beziffern. Es liegt damit in der Natur 442 In diese Richtung auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 167. Ein darüber hinaus gehender Stellenwert kann auch den sogenannten „Gesinnungsmerkmalen“ im Strafrecht nicht zukommen. Es geht allein um die Umschreibung von Umständen, die in ihrer Gesamtheit in einer Gesinnung zum Ausdruck kommen können. Was aber verwerflich ist und einen strafrechtlichen Vorwurf rechtfertigt, ist dabei nicht etwa die subjektive Haltung des Einzelnen zu dem jeweiligen Wert. Es geht allein darum, durch die groben Umschreibungen, die subjektive Begrifflichkeiten typischerweise zulassen, einen größeren Rahmen an objektiven Begebenheiten zu erfassen, die den Normbruch begründen. Siehe ausführlich dazu und zu der dennoch aufrechtzuerhaltenden Kritik an der Verwendung von Gesinnungsmerkmalen unten D. I.
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der Sache, dass sich hier keine absoluten Aussagen treffen lassen. Bewährt hat sich jedenfalls die Orientierung an spezifischen Fallgruppen, in denen regelmäßig von einem bestimmten strafzumessungsrelevanten Gewicht auszugehen ist.443 Angesichts der breiten Literatur zu diesem Thema genügen hier einige, bewusst nicht abschließende Anmerkungen. Zu denken ist etwa an die Berücksichtigung desjenigen Werts, in dessen Dienst das Verhalten des Täters gestellt ist. Es spielt dann neben dem Grad der Bedeutung des in Rede stehenden anderen Werts zusätzlich eine Rolle, in welchem Ausmaß dem Einzelnen die Wahrscheinlichkeit des Verletzungserfolgs seines Verhaltens oder aber die Begünstigung des Guts, das er verfolgt, bewusst ist. Relevanz können hier insbesondere jene Fallgestalten entfalten, in denen annähernd gleichwertige Interessen miteinander konkurrieren. Wenngleich eine Rechtfertigung nach § 34 nur nahezu – also im Ergebnis nicht – erreicht ist, muss doch von einer Relativierung des Angriffs auf die Normgeltung durch den Täter ausgegangen werden. Dabei fällt ins Gewicht, ob bzw. in welchem Umfang die Handlung des Täters eine Notwendigkeit für den Erhalt bzw. Schutz des besagten werthaften Guts darstellt.444 Allerdings darf hier nicht die Idee aufkommen, die angeordnete Strafmilderung sei Reaktion auf die hinter solchem Verhalten möglicherweise stehende, lobenswerte Gesinnung des Betreffenden. Die Milderbestrafung knüpft nicht etwa an die Geisteshaltung des Täters an, sondern wird lediglich dem – denkbaren – Wert des konkurrierenden Interesses gerecht.445 Ferner kann es eine Rolle spielen, wie sich die Situationswahrnehmung des Täters (Panik, Verwirrung etc.) gestaltet. Hilfreich erscheinen hier außerdem die von Eser im Kontext der vorsätzlichen Tötungsdelikte herausgearbeiteten, konkretisierenden Ausführungen zum Toleranzmaßstab in der Beurteilung, ob bei einem Verhalten „auch unter Berücksichtigung menschlicher Schwachheit sozusagen ,jedes Verständnis aufhört‘“. Als solche Fallgruppen benennt Eser die Unverhältnismäßigkeit zwischen Tat und Anlass bzw. die Selbstverschuldung des Geschehenen, wodurch insbesondere die Einbeziehung des Vortatverhaltens des Opfers ermöglicht wird.446 443 Vgl. zu Faktoren, die allgemein als strafzumessungsrelevant eingestuft werden, in der Sache aber allenfalls im Rahmen der Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung Relevanz entfalten dürften, unten D. III. 444 Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767 ff. 445 Auch Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 768 ff. betont, dass im Wege der Ermittlung desjenigen Wertes, in dessen „Dienst die Handlung steht“, eine Objektivierung des (vermeintlich) subjektiven Merkmals vollzogen wird. – Schief formuliert insoweit Haas, Strafbegriff, S. 253 m. Fn. 78, der Tätermotiven eine „unrechtsausschließende oder -mindernde Wirkung zukommen“ lassen will. Wie im Text dargelegt, kann die berechtigte Einräumung einer Minimierung des verwirklichten Unrechts allenfalls an den die Tat prägenden Umständen, nicht aber den Beweggründen oder Haltungen des Täters anknüpfen. Zu denken ist hier insbesondere auch an die Einschränkung der Fähigkeit zum Andershandeln beim Täter. Siehe dazu noch unten C. IV. 3. 446 Gutachten, D 137 f. Siehe dazu auch – wenngleich kritisch angesichts der Gefahr, durch Ausleuchtung der Täter-Opfer-Beziehung unzulässig sozialethischen Kriterien
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In der Sache wird hier nicht streng nach solchen Milderungsgründen differenziert, die lediglich das Unrecht bzw. die Schuld betreffen. So ließe sich ein Großteil der angeführten Umstände, die eine Milderung des maximalen Verhaltensnormverstoßes nach sich ziehen können, als Einschränkung der Normbefolgungsfähigkeit kategorisieren. Es handelte sich damit um Faktoren, die nach herkömmlichem Verständnis eher als Einschränkung der Fähigkeit zum Andershandeln auf der Schuldebene problematisiert werden würden. Zwar wird vorliegend aus Darstellungsgründen eine Trennung von Unrecht und Schuld als Straftatkategorien noch in gewisser Weise beibehalten. Jedoch zeigt sich insbesondere im Bereich der Milderungsgründe, dass eine strikte Grenzziehung für das Strafrecht letztlich wenig leistet. Ohne an dieser Stelle Ausführungen zur Vorzugswürdigkeit eines einstufigen Deliktsaufbaus447 zu breiten Raum schenken zu wollen, lässt sich doch jedenfalls sagen, dass der Stellenwert der Normgeltung gerade bei eingeschränkter Normbefolgungsfähigkeit relativiert ist. Die Infragestellung des Rechts ist bei Vorliegen eines Milderungsgrundes eine geringere: Es kommt dann nicht darauf an, ob dieser mehr dem Unrecht oder der Schuld zuzuordnen ist. c) Keine Milderung aufgrund einer anerkennenswerten Gesinnung In Anlehnung an die Bedeutung eines konkurrierenden Wertes, in dessen Dienst der Täter sein Verhalten stellt, tritt die Problematik des sogenannten Überzeugungs- bzw. Gewissenstäters auf den Plan. Zur Erinnerung:448 Für den Überzeugungstäter kommt – analog der Problematik im Bereich verwerflicher Gesinnungen – selbst bei „achtenswerter“ Gesinnung des Betreffenden keine Beeinflussung der strafrechtlichen Verhaltensbeurteilung bzw. Strafzumessungsentscheidung allein aufgrund seiner Einstellung in Betracht.449 Auch die dem Täter günstige Einbeziehung seiner Geisteshaltung in die strafrechtliche Würdigung ist vor dem Hintergrund des bislang zum Stellenwert von Gesinnungen im Strafrecht Gesagten auszuschließen. So beansprucht das Strafrecht gegenüber dem Überzeugungstäter uneingeschränkte Geltungskraft und darf zur Erhaltung der Allgemeingültigkeit seines Normenkatalogs keine Ausnahmen zulassen. Selbst die beden Weg ins Strafrecht zu ebnen – Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 216 ff., 227 f. sowie insgesamt 3. Kapitel, B. II. 447 Vgl. bereits die Nachweise in Fn. 425. 448 Vgl. zur Problematik des Überzeugungstäters bereits oben B. III. 2. c), C. III. 2. c). 449 Ausgeschlossen ist gerade nicht der denkbare und sowohl strafbarkeitsbegründungs- als auch strafzumessungsrechtlich relevante Fall, dass eine spezifische Gesinnung die Fähigkeit des Täters zum Andershandeln – seine Schuld – einschränkt. Siehe dazu noch unten C. IV. 3. – Vgl. zur Ablehnung der These, bei der Würdigung von Gewissenstaten das Unrecht zu verneinen, die überzeugenden Ausführungen bei Frisch, Schroeder-FS, S. 11, 16 ff.
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günstigende Berücksichtigung der Tätergesinnung im Strafrecht ist rechtsstaatlichen Einwänden ausgesetzt, weshalb in diesem Zusammenhang im Speziellen der Vorwurf der Willkür kaum zu widerlegen wäre.450 d) Hintergrund der Graduierungsbestrebungen: Potentielle Gefährlichkeit des Gesinnungstäters Der weit verbreitete Schluss auf die Legitimität einer Strafschärfung bei anstößiger Gesinnung beruht primär auf dem Gedanken der Gefährlichkeit desjenigen, der eine Tat aus einer besonders wertnegierenden Haltung heraus begangen hat.451 So liegt die Annahme nahe, er werde künftig in ähnlichen Situationen den inneren Vorgaben seiner Einstellung ebenfalls nachgeben und diese durch entsprechendes, strafbares Verhalten in die Realität umsetzen. Eine solche Person aber stellte in der Zukunft eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Auch – oder gerade? – vor diesem Hintergrund wird der eine oder andere sich unweigerlich zum Urteil der verschärften Strafe bei besonders anstößiger Tateinstellung des Betreffenden verleitet fühlen. Die begründete Befürchtung, eine Person, bei der sich eine bestimmte Grundhaltung verfestigt hat, könne auch künftig den rechtlich geschützten Interessen gefährlich werden, darf indes eines nicht übersehen lassen: Es handelt sich dabei nicht um eine strafrechtliche Erwägung. Wer die Gesinnung als Ausdruck der Gefährlichkeit des Einzelnen zum Anlass einer härteren Bestrafung heranzieht, hat den legitimen Bereich staatlichen Strafens längst verlassen und bewegt sich innerhalb der Determinanten spezialpräventiven Maßregelrechts. Dass also anhand der Einstellung des Täters eine Gefährlichkeitsprognose erstellt werden kann, die staatliches Handeln per se rechtfertigt, ist eine rein individualpräventive Erwägung und darf daher bei der Frage der Strafhöhe in der Reaktion auf den begangenen Verhaltensnormverstoß (nebst Folgen) keine Berücksichtigung finden. Obgleich also Gefährlichkeitsaspekte scheinbar ohne größere Widerstände im Rahmen der Strafzumessung Einzug halten,452 bleibt es dabei: Im Strafrecht, mithin ebenfalls auf der Ebene der tatsächlichen Bemessung der Strafe, ist ausschließlich eine Orientierung am Zweckgedanken der Strafe im freiheitlichen Rechtsstaat legitim. Dann aber muss die künftige Gefährlichkeit des Täters außer Acht gelassen werden. 450 Siehe auch SK/Horn, 35. Lfg. Jan. 2001, § 46 Rn. 114. Im Ergebnis wie hier Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 365 ff.; Haas, Strafbegriff, S. 253 m. Fn. 78. 451 Vgl. bereits oben B. III. 2. a). 452 Dieses Phänomen dürfte allein dem Umstand geschuldet sein, dass oftmals gerade in diesem besonders sensiblen Bereich staatlichen Strafens nicht sauber genug anhand der unterschiedlichen Zwecksetzungen von Straf- und Maßregelrecht differenziert wird. Dass also die Argumentation mit der Gefährlichkeit des Einzelnen, die aus seiner Gesinnung spricht und daher höhere Strafe erfordert, uns offenbar ganz leicht über die Lippen geht, mag besonders daran liegen, dass schon viele vor uns dem identischen Fehler unterlegen sind: Eben nicht alles, was lange währt, wird endlich gut.
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e) Fazit Die Tätergesinnung dient damit unter keinen Umständen als Faktor zur Steigerung des individuellen Verhaltensnormverstoßes. Allein maßgeblich ist, ob in dem Täterverhalten der Maximalverstoß geistiger Infragestellung des Rechts vorliegt. Dies ist der Fall, sofern sachgerechte Gründe fehlen, die das Verhalten in irgendeiner Form nachvollziehbar machen. Auf die Gesinnung selbst kommt es damit nicht an. Das, was allgemein unter „Gesinnung“ verstanden wird, kann allenfalls Hinweis dafür sein, dass ein mildernder Umstand für das Täterverhalten auszumachen ist oder nicht. Es spielt insofern zudem keine Rolle, ob die Tätergesinnung sich auf denjenigen Wert bezieht (negativ oder positiv), der durch die jeweilige Verhaltensnorm geschützt werden soll, oder auf einen ganz anderen. Eine Differenzierung nach dem Charakter des Werts als tatbestandlicher oder „außertatbestandlicher“ suggeriert hingegen erneut den fälschlichen Eindruck, es handele sich bei der Gesinnung des Einzelnen um einen strafzumessungsrelevanten Faktor.453 Vice versa: Wenn also bereits jene Haltung des Täters, die sich negierend gegen den Wert richtet, der im jeweiligen Tatbestand geschützt werden soll, keine Auswirkung auf die Bestrafung des Betreffenden hat, muss dies erst recht für solche Werteinstellung gelten, die keinen direkten Bezug zu dem von der verletzten Verhaltensnorm geschützten Rechtsgut aufweist. Damit kann die Einstellung des Täters allein Indiz dafür sein, dass möglicherweise Milderungsgründe für die Bestrafung seines Verhaltens entweder in Betracht kommen – oder gerade nicht.454 Die Gesinnung deutet die hinter ihr stehenden tatsächlichen Werte an, in deren Dienst ein Verhalten gestellt werden kann. Insofern sei an dieser Stelle nochmals an den oben dargelegten Perspektivenwechsel bezüglich 453 Fehl geht daher auch die differenzierende Behandlung der Tätergesinnung anhand des Kriteriums ihres Bezugspunktes bei Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 768 ff. Danach sollen jedenfalls diejenigen Gesinnungen für eine strengere Bestrafung streiten, die sich auf das in dem Tatbestand unmittelbar geschützte Rechtsgut beziehen. Die Einstellung des Täters sei nach Frisch „um so negativer“, „je weniger Grund es für die verletzende Handlung“ gebe. Erst für den Fall der „außertatbestandlichen“ Gesinnungen (gemeint sind solche, die sich nicht auf das vom jeweiligen Tatbestand geschützte Rechtsgut beziehen) erkennt auch Frisch, dass eine Steigerung des Maximalverstoßes gegen die Verhaltensnorm durch die Einstellung des Täters ausgeschlossen ist. Es stellt sich dann aber die Frage nach dem Grund solcher Unterscheidung, die jedenfalls mit Blick auf die tatbestandsrelevante Gesinnung dem Vorwurf der Verwässerung des Strafrechts durch polizeirechtliche Erwägungen nicht gänzlich zu entgehen vermag. 454 Hier zeigt sich in besonderer Deutlichkeit, weshalb eine Differenzierung anhand derjenigen Werte, auf die die Gesinnung des Einzelnen sich bezieht, keinen Bedeutungsgehalt aufweist: Für den Bereich der Strafmilderung handelt es sich regelmäßig um Werte, die von dem tatbestandlich geschützten Gut abweichen. Wenn aber im Bereich wertbejahender Gesinnungen keine Unterscheidung ihres Bezugsgegenstands vorgenommen wird, so auch nicht mit Blick auf die wertnegierende Einstellung. Hieraus ergibt sich: Diejenigen Gründe, die ein Verhalten nachvollziehbar machen können oder sich gerade einer rechtlichen Anerkennung verschließen, sind nicht auf denjenigen Wert begrenzt, der tatbestandliche Relevanz aufweist. Mit der Gesinnung hat dies – erneut – wenig zu tun.
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der Beurteilung des Stellenwerts der Gesinnung innerhalb der Straftatelemente erinnert: Eine Steigerung der Vollform des Verstoßes gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm durch eine wertnegierende Gesinnung ist nicht denkbar. Ist das Maximalmaß des Normbruchs erreicht, vermag selbst die anstößige Einstellung des Täters keine darüber hinaus gehende strafrechtliche Reaktion in legitimer Form einzufordern. Der maximale Verhaltensnormverstoß liegt aber immer dann vor, wenn der Täter ohne rechtlich anerkennenswerten Milderungsgrund (und davon kann gerade auch der Fall einer als besonders anstößig empfundenen Gesinnungstat aufgrund des Fehlens von mildernden Umständen erfasst sein) zur Umsetzung seines Vorhabens übergeht. Auf diesem Boden ist allenfalls eine Graduierung nach unten denkbar, die indessen das Erfordernis eines rechtlich anzuerkennenden Milderungsgrundes auf den Plan ruft. 3. Dennoch: Steigerung der Infragestellung des Rechts bei anstößiger Gesinnung – die Auffassung Wolfgang Frischs Sowohl straftheoretisch als auch hinsichtlich der Terminologie der Straftatkategorien wurde die Verwandtschaft der eigenen Konzeption zu derjenigen Wolfgang Frischs mehrfach aufgezeigt.455 Dennoch gelangt Frisch zu einer abweichenden Beurteilung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht.456 Dabei bemängelt er zunächst, dass eine Vielzahl derjenigen Faktoren, die allgemein für die Strafhöhe eine Rolle spielen sollen, sich in den herkömmlichen Straftatkategorien nicht bruchlos integrieren lassen.457 In der Regel komme dem Unrecht darin allein der Bedeutungsgehalt einer Rechtsgutsbeeinträchtigung zu.458 Wer gleichsam Schuld als individuelle Fähigkeit zur Vornahme der rechtlich gebotenen Handlung versteht, sähe sich nunmehr der Schwierigkeit ausgesetzt, zur Be455
Vgl. oben B. II. 1. a). Dies gilt jedenfalls für solche Gesinnungen, die einen tatbestandlich geschützten Wert betreffen. Vgl. dazu Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767 ff.; dens., BGH-FS, 269, 288, 290; dens., Müller-Dietz-FS, S. 237, 249, 255; dens., GA 1989, 338, 349, 358 f.; dens., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 15. 457 Vgl. Frisch, BGH-FS, S. 269, 282, 286, 289 ff.; dens., Müller-Dietz-FS, S. 237, 250 ff.; dens., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 11 f., 14 ff., 24 ff. 458 Die Begrenzung des Unrechtsverständnisses auf die Beeinträchtigung eines konkreten Rechtsguts hat vordergründig manches für sich. Darauf aufbauend lassen sich die Fälle unzulässiger Prävention aus dem Unrechtsbereich problemlos ausscheiden. Indes kann auf diese Weise bereits die notwendige Abschichtung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat nicht einwandfrei gelingen. Auch Fälle des relevanten (strafmildernden) Nachtatverhaltens wie beispielsweise des Rücktritt des Täters bzw. dessen tätige Reue lassen sich bruchlos allein auf der Basis des hiesigen Unrechtsverständnisses klären (vgl. dazu auch Frisch, BGH-FS, S. 269, 281, 292 ff.; dens., ZStW 99 (1987), 751, 776 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 210 f.). Zuletzt streitet die elementare Bedeutung, die in einer am straftheoretischen Grundgerüst orientierten Terminologie der Straftatelemente diesem beigemessen wird, entscheidend für solche Vorgehensweise. Vgl. dazu noch unten C. III. 4. 456
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gründung gewisser strafzumessungsrelevanter Umstände den Rekurs auf präventive Zwecke „geradezu unverzichtbar zu machen“. Indes hafte solcher „Fehllozierung“ unweigerlich der fade Beigeschmack mangelnder Legitimität präventiver Erwägungen im Strafrecht an, der nunmehr selbst jene Strafzumessungsfaktoren treffe, für die es aber einen „berechtigten Kern“ gebe. Zudem drohten infolge der präventiven Einkleidung solcher Sachverhalte „Weiterungen, die sich nicht mehr legitimieren lassen“, sodass hiervon unbedingt Abstand genommen werden müsse.459 Die Lösung des skizzierten Dilemmas sieht Frisch in einer Modifikation des Unrechtsverständnisses. Während er – zu Recht – der Verortung solcher Aspekte in einer präventiv – etwa als rechtsfeindliche Gesinnung – verstandenen Schuld vorwirft, Gefahr zu laufen, unabhängig von den individuellen Fähigkeiten des Täters das Gegebensein einer Straftat von Präventionsbedürfnissen abhängig zu machen,460 hegt er solche Bedenken mit Blick auf die Einbeziehung der in Rede stehenden Umstände in seinen Unrechtsbegriff offenbar nicht. So sieht er die Gesinnung gar als „Zentralstück des (ideell verstandenen) Unrechts“ 461 in Gestalt der Negation der Rechtsordnung seitens des Täters. In der verwerflichen Einstellung des Betreffenden komme eine „ganz besondere Geringschätzung der Norm“ 462 zum Ausdruck, die in Analogie zur Begründung des (auch) strafzumessungsrelevanten Unterschieds zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat einen schwerer wiegenden Normgeltungsschaden zur Folge haben könne. Auf solch erhöhtes Maß personalen Verhaltensunrechts müsse strafschärfend reagiert werden.463 Dies soll immerhin mit Blick auf solche Gesinnungen gelten, die einen Wert betreffen, der in den Schutzbereich des jeweiligen Tatbestandes fällt. So will Frisch jedenfalls in einem früheren Text noch eine Differenzierung zwischen außertatbestandlichen bzw. tatbestandlichen Gesinnungen annehmen, von denen allein letztere strafschärfende Wirkung entfalten sollen.464 Danach sei die „Vollform negativer Einstellung“ immer dann anzunehmen, wenn der Täter sich jedenfalls mit sicherem Wissen gegen den im Tatbestand unmittelbar geschützten Wert entschieden habe. Hieraus leite sich – analog der hier verfolgten Konzeption – jedoch allenfalls der Befund ab, dass für solchen Täter keine Milderungsgründe ersichtlich sind. Wer ohne anerkennenswerten Grund handelt, erfüllt damit auch nach Frisch (zunächst) die Vollform eines strafbaren Verhaltens. Indes will 459
Frisch, BGH-FS, S. 269, 285. Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 250. Siehe ausführlich zur Kritik an präventiven Schuldmodellen noch unten C. IV. 1., 2. 461 Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 249. 462 Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 255. 463 Frisch, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 15; ders., GA 1989, 338, 349, 358 f. 464 Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 767 ff. 460
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Frisch, wie bereits angedeutet, eine die Vollform „übersteigende negative Einstellung“ zulassen, sofern die weitere, wertwidrige Gesinnung solche Güter betrifft, die noch im Schutzbereich der Norm enthalten sind. Als Beispiel nennt er den eine Nötigung verwirklichenden Täter, der zum einen ohne anerkennenswerten Grund handelt, zugleich aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Nötigungsopfers in Kauf nimmt.465 Auf die beschriebene Weise gelingt es Frisch im Gegensatz zum herkömmlichen Straftatkonzept, solche Gesichtspunkte in sein Unrechtsverständnis einzubeziehen, „die etwas mit der Nachhaltigkeit oder Intensität der Nichtanerkennung bestimmter Normen und Rechte zu tun haben“. Letztere verliehen dem Unrechtsbegriff „Dimensionen der Steigerungsfähigkeit, die gerade auch für die Aufnahme und die Erklärung der strafschärfenden Wirkung“ spezifischer Faktoren wie z. B. der Gesinnung eine Rolle spielen.466 Das „Ausmaß des Rechtsbruchs“ sowie das „Ausmaß der Verantwortung für dieses“ fungierten damit lediglich als Ausgangsgrößen der Strafe.467 In der Folge lassen sich viele Sachverhalte, die allgemein als präventiv eingestuft werden, in Frischs Unrechtsverständnis etablieren.468 Dem argumentativen Rückgriff auf präventive Zwecke weist Frisch hingegen einen untergeordneten, gar „überflüssig(en)“ Rang ein:469 „Die spezialpräventive Aufhellung des Falles dient vielmehr regelmäßig allein dazu, jene Strafgröße (auch) spezialpräventiv zu rechtfertigen, die sich bereits aus dem Strafkonzept der Wiederherstellung des Rechts ergibt. (. . .) Der etwaige Rekurs auf die Spezialprävention erweist sich damit als schlichtes Beiwerk, das in spezialpräventiver Terminologie das reformuliert, worauf es normativ ankommt (. . .).“ 470 Die Einfachheit, mit der Frisch bislang als äußerst problematisch empfundene Sachverhalte in seinen Unrechtsbegriff integriert, mag beim ersten Blick verblüffen. Es fragt sich aber, ob die normative Einstufung eines Merkmals, das allenfalls im Gefahrenabwehrrecht einen rechtmäßigen Stellenwert aufweist, letztlich 465 Sofern durch die Nötigungshandlung die Gefahr einer Gesundheitsschädigung hervorgerufen wird, handelt es sich in der Tat um eine Steigerung der Infragestellung des Rechts. So richtet sich der Täter nicht nur gegen das Nötigungs-, sondern auch das Körperverletzungsverbot. Dies hat indes wenig mit der Gesinnung des Einzelnen zu tun: Die vorsätzliche Gefahrschaffung mit Blick auf die Körperintegrität ist von der Gesinnung unabhängig. 466 Frisch, BGH-FS, S. 269, 290, 294, 299; ders., Müller-Dietz-FS, S. 237, 255 f.; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 14 f., 22. 467 Frisch, BGH-FS, S. 269, 294, 299. 468 Dies gilt beispielsweise auch für Fragen der Strafschärfung bei Rückfalltätern bzw. einschlägigen Vorstrafen. Siehe dazu Frisch, BGH-FS, S. 269, 291 f. Vgl. zur Kritik noch unten D. III. 469 BGH-FS, S. 269, 285, 304, 307. 470 Selbiges soll auch für die generalpräventive Umschreibung bestimmter Sachverhalte gelten, vgl. Frisch, BGH-FS, S. 269, 306.
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bruchlos gelingt. Skeptisch stimmt dabei zunächst die seitens Frisch vorgenommene Übertragung der Gedanken zum Verhältnis von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat auf den Sachverhalt der verwerflichen Gesinnung. Danach stünde bei einer gesinnungsgeleiteten Tat eine noch schwerer wiegende Infragestellung des Rechts im Raum, die eine härtere Bestrafung rechtfertige. Was hier negativ ins Gewicht fällt, ist die relative Konturenlosigkeit, die Frisch auf solche Weise dem Unrechtsbegriff der Infragestellung der Rechtsordnung verleiht. So stellt der Täter nach der Vorstellung Frischs nicht allein dadurch das Recht in Frage, dass er gegen eine bestimmte Norm konkret verstößt und damit ihre Geltung missachtet. Zusätzlich soll Relevanz entfalten, ob dieses Verhalten in einer generellen Einstellung des Täters wurzelt und er damit möglicherweise eine besonders nachhaltige Negation der Rechtsordnung bzw. einzelner Vorschriften äußert. In der Tat ist einzuräumen, dass der Terminus der Infragestellung des Rechts zu solcher Annahme einzuladen scheint – und hierin kann eine Schwäche selbst des hier vertretenen Konzepts liegen.471 Indes gilt es zunächst, die Fehlerhaftigkeit solcher Begriffsdeutung aufzuzeigen, bevor über Alternativen der Unrechtsbestimmung nachgedacht werden muss. Dabei muss auf die Unvereinbarkeit der zum Verhältnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit gemachten Ausführungen mit der Thematik verwerflicher Gesinnungen rekurriert werden. So sind die subjektiven Kategorien Vorsatz und Fahrlässigkeit aus der Natur der Sache heraus auf die konkrete in Rede stehende Tat begrenzt. Es geht dabei ausschließlich um die kognitiven Voraussetzungen des Täters bei Begehung des Verhaltensnormverstoßes. Die Gesinnung legt hingegen in jeder denkbaren Spielart den Blick auf die Person des Täters in einer für das Strafrecht unzulässigen Weise frei. Solche Systemwidrigkeit vermag ebenfalls nicht der nur scheinbar Grenzen setzende Terminus der Einzeltatgesinnung aufzuheben.472 Hier wie da geht es unweigerlich darum, den Täter für sein So-Sein zu bestrafen – auf die spezifische Tat kommt es dabei nicht an. Die kognitive Lage des Täters bei Tatbegehung stellt somit keine der Gesinnungsproblematik an Legitimationsschwierigkeiten auch nur im Ansatz gleichziehende Thematik dar. Die Übertragung ihrer Behandlung im strafrechtlichen Kontext auf den vermeintlichen Stellenwert der Gesinnung ist nicht ohne die im Strafrecht unzulässige Einbeziehung von Faktoren, die für die konkrete Tat keine Relevanz mehr entfalten, möglich. Fraglich ist daher, ob es Frisch gelingt, dem Vorwurf der Einbeziehung spezialpräventiver Aspekte in seinem Unrechtsbegriff überzeugend entgegenzutreten. Frischs Argumentation beläuft sich im Wesentlichen darauf, den bereits normativen Stellenwert beispielsweise der Gesinnung zu betonen und deren „Um471 Dies kritisieren insbesondere Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 61; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 167 m. Fn. 551; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 207 ff. 472 Vgl. oben Fn. 46.
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formulierung“ in präventive Sprache als überflüssigen Schritt auszugeben. Es handele sich bei der Gesinnung um einen normativ relevanten Faktor. Ihre spezialpräventive Deutung durch andere Autoren könne damit begründet werden, dass deren Straftatelemente sich nicht mit dem Phänomen der Gesinnung in Einklang bringen ließen. Lege man aber ein zutreffendes Unrechtsverständnis zugrunde, entpuppten sich Merkmale wie die Gesinnung des Täters als Bestandteile der Infragestellung des Rechts – der Bezugnahme auf die Spezialprävention bedürfte es dann nicht mehr. – Doch gelingt so die Flucht vor den gerade mit spezialpräventiven Elementen einhergehenden Legitimationsschwierigkeiten? Die Antwort könnte dann positiv ausfallen, sollte es möglich sein, den Kern solcher „Fehllozierung“ für die eigene Konzeption zu verschieben. Konkret: Der Grund, weshalb die Gesinnung allgemein als spezialpräventiver Aspekt behandelt wird, liegt darin, dass es sich dabei um einen Umstand handelt, von dem man sich Einblick in die Persönlichkeit des Täters verspricht. Der Gesinnung haftet ein prognostisches Element an, das dazu beitragen soll, künftige Gefährlichkeiten der Person einzuschätzen. Die Gesinnung kann Ausdruck der Gefährlichkeit einer Person sein: Knüpft sich hieran staatliche Reaktion, geht es allein um die Verhinderung krimineller Akte, die in Zukunft seitens des gefährlichen Täters drohen mögen.473 Will Frisch nunmehr der Gesinnung innerhalb seines Unrechtsverständnisses einen legitimen Rang einräumen, müsste ihm in tauglicher Weise eine abweichende – das Strafrecht fordernde – Besetzung dieses Faktors gelingen. Es müsste dabei um etwas anderes gehen als die reine Gefährlichkeit der Person – denn diese ist allenfalls Gegenstand des Gefahrenabwehrrechts, wie auch Frisch zutreffend erkennt. Den normativen Stellenwert der Gesinnung will Frisch, wie schon genannt, in einer gesteigerten Infragestellung des Rechts finden. Worin genau soll aber diese Steigerung liegen? – In der besonderen Missachtung der Norm, erklärt Frisch, und lässt auch dabei noch Fragen offen. Worin soll nun also diese besondere Missachtung des Rechts liegen? In nachfolgender Deutlichkeit findet sich die inhaltliche Ausfüllung bei Frisch selbst nicht. Indes kommt hier nichts anderes in Betracht als der Umstand, dass die Person, die eine Tat aus einer Überzeugung, einer verfestigten inneren Einstellung heraus begeht, künftig vor weiteren Taten nicht zurückschrecken wird. Die Ablehnung gegenüber der Rechtsordnung hat sich bei solchem Täter in gewissem Maße verfestigt und bedroht auch in der Zukunft die Geltungskraft der Normen. Wer sich eine verwerfliche Gesinnung angeeignet hat, verdeutlicht in eindringlicher Weise, dass er die geltenden Normen jedenfalls in einem bestimmten Bereich nicht für bindend erachtet. Im Gegensatz zum punktuell gegen eine Vorschrift verstoßenden Vorsatztäter liegt hierin eine spezifische Verfestigung der Rechtsfeindlichkeit dieser Person. Dass daraus aber bei einem Normverstoß ein 473
2. a).
Vgl. zum Charakter der Gesinnung als Gefährlichkeitsindiz schon oben B. III.
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schwerer wiegender Schaden für die Geltungskraft des Rechts resultiert, lässt sich nicht ohne Weiteres aus dem normativen Gerüst Frischs ableiten. Vielmehr verhält es sich mit Blick auf die Gesinnung wie folgt: Die Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm wird durch eine Tat, die aus einer rechtsfeindlichen Gesinnung heraus begangen wird, nicht intensiver in Frage gestellt als durch ein „grundloses“ Verhalten. Die Vollform des Verhaltensnormverstoßes ist erreicht, sofern sich für den Normbruch kein in gewisser Weise anerkennenswerter Grund findet. Dass der Betreffende besonders überzeugt von der „Unverbindlichkeit“ der übertretenen Norm sein mag, hat keinen über deren grundlegende Negation hinausgehenden Bedeutungsgehalt. Der von Frisch angesprochene, schwerer wiegende Normgeltungsschaden kann daher allein in der Einbeziehung künftigen Verhaltens des Betreffenden liegen, mithin in nichts anderem als der allgemeinen Gefährlichkeit seiner Person. Dass es sich hierbei nicht um eine strafrechtliche Kategorie handelt, wurde wiederholt betont. Frisch gelingt es daher im Ergebnis nicht, den spezialpräventiven Charakter der Gesinnung abzuschütteln, was aber allein deren Verortung innerhalb seines Straftatkonzepts, das der Prävention zutreffend eine Absage erteilen will, zuließe. Im Gegenteil führt ihn die Berücksichtigung spezialpräventiver Elemente in seinem Unrechtsbegriff weiter von den eigenen straftheoretischen Grundlagen weg, als es entsprechend seiner Zielsetzung gewollt sein kann. Sein eigenes Modell sieht sich damit zuletzt derselben Kritik ausgesetzt, die Frisch seinerseits Alternativkonzepten – wie etwa einem präventiven Schuldverständnis – entgegenbringt. Unzulässige „Weiterungen“ sind allemal in einem Unrechtsverständnis zu befürchten, das die notwendige strikte Trennung des Strafrechts vom Polizeirecht nicht uneingeschränkt wahrt.474 Die klare Grenzziehung bei nicht mehr „berechtigten“ Erwägungen wird so erheblich erschwert. Es besteht jedenfalls die Gefahr, dass der einmaligen spezialpräventiven Öffnung des Unrechtsbegriffs künftig kaum mehr Einhalt geboten werden kann. Es bietet sich damit das Bild einer richtigen Erkenntnis des Ausscheidenmüssens der Spezialprävention aus dem Bereich der Schuld, die aber nicht uneingeschränkt auf die Ebene des Un-
474 Gleichlautende Kritik ist gegenüber dem Unrechtsverständnis Pawliks, Person, Subjekt, Bürger, S. 90 ff. zu erheben, für den die Intensität des Unrechts sich in „Umfang der Freiheitsbeeinträchtigung“ des Opfers und „Ausmaß der Illoyalität des Täters gegenüber dem Projekt eines ,Friedens durch Recht‘ im allgemeinen“ manifestiert. Fehlleitend ist insoweit offenbar die Begrifflichkeit der „Loyalitätspflichtverletzung“, die analog der Unrechtsterminologie Frischs eine Seitentür zu spezialpräventiven Überlegungen aufzustoßen scheint. Hier wie da gilt: Begriffliche Ausfüllungen der Straftatkategorien dürfen nicht vom straftheoretischen Modell fortleiten. Wer auf dieser Ebene die Unvereinbarkeit von Strafe und Spezialprävention proklamiert, muss dies im straftatkategorischen Bereich ausnahmslos umsetzen. Unschärfen innerhalb der Straftatkategorien werden stets zum Verlust der theoretischen Schlagkraft führen: Erst im praktischen Gewande erlangt die Idee das letzte Quantum ihrer eigenen Überzeugungskraft – anderenfalls verharrt sie in einem Status allein gut gemeinter Vorsätze.
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rechts übertragen wurde – wenngleich anzunehmen ist, dass es sich dabei um einen seitens des Autors selbst nicht beabsichtigten Umstand handelt. Letztlich vermag eine über die Vollform der Vornahme eines strafbaren Verhaltens hinausgehende Steigerung sprachlich nicht zu überzeugen. Die Grundlosigkeit eines Verhaltens lässt sich nicht erhöhen durch Anreicherungen mit denjenigen Umständen, die erst ihr Bestehen begründen. Konkret: Indem Frisch zunächst zutreffend feststellt, dass das Vorliegen der Vollform der Tat ohne anerkennenswerten Grund lediglich die Konsequenz des Fehlens von Milderungsumständen nach sich zieht, bildet die Anerkennung weiterer, die Strafe schärfender Gesinnungsmomente einen Fremdkörper in solchem theoretischen Konzept. Mehr als Grundlosigkeit kann es nicht geben. Weitere Steigerungen lassen sich ohne Systemwidrigkeiten nicht integrieren. Eine gesteigerte Infragestellung des Rechts bei Vorliegen einer verwerflichen Gesinnung – unabhängig davon, ob es sich dabei um eine tatbestandliche oder außertatbestandliche handelt – ließ sich damit auch auf der Basis der Ausführungen Frischs nicht belegen. Entgegen den straftheoretischen Vorgaben könnten spezialpräventive Elemente nicht ausnahmslos ausgeschieden werden. Ein anderes Ergebnis lässt sich nicht durch die normative Etikettierung des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht erzielen. Der spezialpräventive Gehalt der Tätereinstellung bleibt unabhängig von seiner Einkleidung bestehen. Die spezialpräventive Ausrichtung der Gesinnung als Strafzumessungsfaktor ist mehr als reine „Umformulierung“. Ihr liegt vielmehr die Erkenntnis zugrunde, dass eine Bestrafung der Gesinnung allein die künftige Gefährlichkeit des Täters, für die seine Grundhaltung Aufschluss zu geben vermag, im Blick hat. Solches Unrechtsverständnis zugrundegelegt kann eine schlüssige Trennung von strafrechtlichen und gefahrenabwehrrechtlichen Gesichtspunkten nicht einwandfrei gelingen. Deren Relevanz innerhalb eines freiheitlichen Rechtsstaats wurde bereits betont und soll hier zur Vorsicht in der inhaltlichen Ausfüllung der Straftatkategorien ermahnen. Straftheoretisch richtige Erkenntnisse müssen sich in der Bestimmung der Straftatkategorien fortsetzen. Ein – wenn auch unbemerkt – über die konkrete Tat hinaus die Täterpersönlichkeit ins Blickfeld rückendes Unrechtsverständnis ist nicht die richtige Wahl. 4. Ideeller Unrechtsbegriff oder Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers? – Zum Unrechtsverständnis Tatjana Hörnles Nachdenklich stimmen muss aber, dass trotz terminologischer Deckungsgleichheit des Unrechts in der vorliegenden Arbeit und den Ausführungen Frischs der Letztere dennoch zu abweichender Einschätzung der Bedeutung der Gesinnung im Strafrecht gelangen konnte. Fehlleitend mag an dieser Stelle trotz aller guter Absichten die ideelle Ausfüllung des Unrechtsbegriffs sein. Der Terminus der „Infragestellung des Rechts“ könnte missverständlich ein Schwerge-
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wicht auf die subjektive Haltung des Einzelnen gegenüber den Normen nahelegen. Er zwingt jedenfalls nicht in wünschenswertem Maße zu der notwendigen Grenzziehung zu spezialpräventiven Erwägungen. Erfreulich wäre es hingegen, könnte bereits durch die terminologische Bestimmung des Verhaltensunrechts die eindeutige Entscheidung für das Strafrecht innerhalb einer freiheitlichen Rechtsordnung, die eine Bestrafung reiner Gedanken oder Geisteshaltungen nicht zulässt, gelingen. Mit ähnlichen Fragen hat sich auch Hörnle befasst.475 In Auseinandersetzung mit verschiedenen (Erfolgs-)unrechtsbegriffen entfacht ihre Kritik insbesondere an sogenannten kollektivistischen Modellen des Tatschadens. Offeriert werden dabei als Erfolgsunwert einer strafbaren Handlung etwa das Ausmaß der Störung des Rechtsfriedens oder die Erschütterung der Rechtsordnung.476 Hörnle sieht in solchen Unrechtskonzeptionen ein unzulässiges Einfallstor positiv generalpräventiver Erwägungen, die gerade auch der hiesigen Straftheorie sowie der darauf aufbauenden Straftatkonzeption entgegenstehen. Es lohnt daher die Auseinandersetzung mit der seitens Hörnle vorgeschlagenen Alternativlösung, die eine Ausrichtung an der konkreten Tat und dem dadurch verursachten Schaden für sich beansprucht.477 Es stellt sich indes die Frage, ob auch das hier vertrene Konzept der allgemeinen Kritik Hörnles an kollektivistischen Unrechtsmodellen ausgesetzt ist. Dies fällt jedenfalls nicht unmittelbar ins Auge. Die Infragestellung des Rechts als Gegenstand des Verhaltensunrechts begrenzt sich nach vorliegendem Verständnis 475 Vgl. Tatproportionale Strafzumessung, S. 207 ff., 221 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 102 ff. 476 Vgl. die Nachweise bei Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 207 m. Fn. 56. 477 Zwar erfasst Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 207 ff. in ihrer Kritik als Erfolgsunrecht weitestgehend das, was hier als Verhaltensnormverstoß klassifiziert wird. Letzterem stehen im vorliegenden Konzept als weiteres Unrechtselement die spezifischen Fehlverhaltensfolgen gegenüber. Solche sind Resultat eines schadensträchtigen Verlaufs, der durch richtiges Verhalten hätte vorhergesehen sowie vermieden werden können und müssen. Die Definition der Fehlverhaltensfolgen ist damit alles andere als überindividuell. Sie bringt vielmehr durch ihre ausgeprägte Rückbindung an das konkrete Fehlverhalten deutlich zum Ausdruck, dass primäres Unrechtselement der Verhaltensnormverstoß ist. Eingetretene Folgen können nur dann ins Gewicht fallen, wenn sie auf einem konkreten Fehlverhalten beruhen. Unrechtsspezifisch sind sie also von nachgeordneter Relevanz. Die Kritik Hörnles trifft daher nicht das Modell der spezifischen Fehlverhaltensfolgen. Diese lassen allenfalls dann Prävention zu, wenn dies im maßgeblichen Unrechtselement, dem Verhaltensnormverstoß, vorgesehen ist. Damit kann sich bezüglich des vorliegenden Verständnisses von Verhaltensunrecht mit derjenigen Kritik auseinandergesetzt werden, die Hörnle einem kollektiven „Erfolgsunrechts“begriff zuschreibt, soweit auch das hiesige Modell hiervon betroffen ist. Im Übrigen weist die abweichende Einstufung der Problematik auch insoweit keine erhöhte Bedeutung auf, als Hörnle auch für das Handlungsunrecht den Schutz vor präventiven Einflüssen im Wesentlichen durch Bezugnahme auf die Opferperspektive garantieren will, vgl. Tatproportionale Strafzumessung, S. 215 ff.
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auf die konkrete Tat des Normbrechers. Generalpräventive Erwägungen werden somit durch die starke Bindung an den Täter und seine individuelle Tat jedenfalls zunächst ausgeschlossen. Der Seitenblick auf eine generelle Störung des Rechtsfriedens lenkt hingegen von der konkreten Tat auf das Rechtsempfinden der Gemeinschaft ab, sodass er abzulehnen war. Dennoch ist einzugestehen, dass selbst der eigene Begriff des Verhaltensunrechts gegenüber generalpräventiver Auslegung nicht vollkommen immun ist. So ließe sich die „Infragestellung des Rechts“ – fälschlich – aus Sicht der Rechtsgemeinschaft konzipieren: Inwieweit wird der Normbruch seitens der Allgemeinheit als tauglicher Angriff auf die Rechtsordnung verstanden? Hat eine besonders erhebliche Erschütterung des Normbewusstseins der übrigen Gesellschaftsmitglieder stattgefunden? – Fragen, die eine prinzipielle Offenheit eines so verstandenen Begriffs der Infragestellung des Rechts gegenüber generalpräventiven Erwägungen mehr als erahnen lassen. Nunmehr träfe auch die durchaus stichhaltige Kritik Hörnles478 gegenüber entsprechenden ideellen Unrechtsbegriffen, denen im Wesentlichen die mangelnde empirische Feststellbarkeit des Maßes an tatsächlicher Rechtsfriedensstörung sowie der fragwürdige, da überhöhte Stellenwert, der dem Umstand der Öffentlichkeit der Tatbegehung darin beizumessen wäre, vorgeworfen wird. Hörnle moniert ferner das mit solchem Unrechtsverständnis einhergehende zu hohe Abstraktionsniveau, das eine sinnvolle Bestimmung der strafrechtlich relevanten Sachverhalte kaum mehr möglich mache. Stattdessen verlöre sich der Rechtsanwender schnell in den Höhen eines „inhaltsarme(n) Begriffshimmel(s)“. Im Anschluss an die (teilweise) spezialpräventive Auslegung des hier zugrundegelegten Unrechtsbegriffs durch Frisch479 konnte daneben die Möglichkeit generalpräventiver Anreicherung des eigenen Unrechtsbegriffs festgestellt werden. Jedenfalls eine über alle Missverständnisse erhabene Umsetzung der straftheoretischen Grundlagen, die eben jene Strömungen aus dem Strafrecht fern halten wollen, ist scheinbar nicht gelungen. Bedeutet dies zugleich die Notwendigkeit der terminologischen Neuorientierung? In der Tat mutete die Verteidigung von Begrifflichkeiten befremdlich an, sofern die eigenen straftheoretischen Ideen, in deren Dienste allein die Termini der Straftat stehen, alternativ trefflicher benannt und vor präventiven Einflüssen besser abgeschirmt wären. Es fragt sich daher, ob es Hörnle gelungen ist, das mit der Straftheorie Intendierte besser als in den vorliegenden Ausführungen in die Unrechtskategorie zu „übersetzen“. Einer Adaption solcher Begrifflichkeit stünde dann nichts im Wege. Hörnle selbst sieht die Lösung des Dilemmas steter präventiver Durchmischung der Unrechtskategorien immerhin bei solchen Verhaltensnormen, die Individualrechtsgüter schützen, in der Bestimmung des Erfolgsunwert des strafba478 Tatproportionale Strafzumessung, S. 207 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 101 ff. 479 Vgl. dazu oben C. III. 3.
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ren Unrechts als „Beeinträchtigung eines Rechtsgutsträgers“.480 Letztere verlange jedenfalls die Gefahr der negativen Veränderung eines dem Rechtsgutsträger zugeordneten Rechtsgutsobjekts. Den Vorteil eines solchen Unrechtsverständnisses sieht Hörnle primär darin, den Weg für eine normative Begründung der Prämissen zur Bestimmung des Erfolgsunrechts zu ebnen, die innerhalb eines ideellen Unrechtsbegriffs ihrer Ansicht nach eher nicht angelegt sind. Als Bewertungsperspektive für die Beurteilung des Ausmaßes der Opferbeeinträchtigung schlägt sie eine „Kombination von objektiv-standardisierten und objektiv-individualisierten Kriterien“ vor.481 Zur genaueren Bestimmung des Beeinträchtigungsgrades soll eine Orientierung an dem Lebensqualitätskonzept v. Hirschs und Jareborgs482 gereichen, nach dem fünf Kategorien der Tatschwere unterschieden werden, die eine Differenzierung der Bedeutung unterschiedlicher Interessen für die Lebensqualität der Person zulassen. Hörnle schätzt an diesem Modell insbesondere dessen Konkretheit, die eine klarere Abschichtung von relevanten Umständen des strafbaren Unrechts zulasse.483 Es stellt sich aber die Frage, ob das Verständnis des Unrechts als Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers tatsächlich die Maßgeblichkeit des Ausschlusses präventiver Erwägungen aus dem Unrechtsbegriff umsetzt und damit dem hiesigen ideellen Verhaltensunrechtsterminus überlegen ist. Zur Klärung soll zunächst ein kurzer Seitenblick auf die Behandlung von Gesinnungen im Konzept Hörnles dienen.484 Hier485 bietet sich ein aus der breiten Masse der eine Strafzumessungsrelevanz von Gesinnungen betonenden Autoren herausstechendes Bild erfreulicher Umsetzung freiheitlicher Prämissen. So konstatiert Hörnle, dass aus der Opferperspektive heraus „für die meisten der herkömmlicherweise als strafschärfend genannten Motive (. . .) eine Strafschärfung“ ausscheide. Die strafzumessungsrechtliche Einbeziehung von Beweggründen bzw. Gesinnungen schaffe hingegen „eine Einbruchstelle für unnötig moralisierende Erwägungen“. Trotz solch klaren und mehr als begrüßenswerten Bekenntnisses will Hörnle aber in spezifischen Fällen Ausnahmen von der Regel grundsätzlicher Irrelevanz solcher 480 Tatproportionale Strafzumessung, S. 211 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 106 ff. 481 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 223 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 106 f. 482 Vgl. Oxford Journal of Legal Studies 1991, 7, 10 ff., 17 ff. 483 Zur weiteren Vorzugswürdigkeit des Lebensqualitätsmodells aus ihrer Sicht vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 228 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 107 ff. Siehe dazu auch v. Hirsch/Jareborg, Oxford Journal of Legal Studies 1991, 7, 11 ff. 484 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 215 f., 217 ff., 267 ff. diskutiert die Strafzumessungsrelevanz von Beweggründen oder Gesinnungen unter dem Blickwinkel des Handlungsunrechts. 485 Vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 267 ff., 270 ff.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 114 ff., 118 ff., dies., JZ 1999, 1080, 1088 f.
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subjektiver Faktoren im Strafrecht zulassen.486 Dies betreffe indes allein jene Konstellationen, in denen der Beweggrund des Täters das Tatgeschehen sowohl bedrohlicher als auch demütigender für das Opfer mache. So begründe beispielsweise die Konfrontation eines Opfers mit einem von Rassenhass getriebenen Täter eine erhebliche Steigerung der Bedrohlichkeit der Situation. Ferner könne eine außerordentliche Herabwürdigung und Demütigung des Opfers angenommen werden, sofern ihm aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit bestimmte Rechte abgesprochen würden. Letzteres müsse allerdings in der konkreten Tatsituation gegenüber dem Rechtsgutsträger artikuliert werden; eine spätere Feststellung solcher Motivation des Täters könne die erhebliche Demütigung nicht mehr nachträglich begründen. Hörnle klassifiziert die Einbeziehung von Beweggründen oder Gesinnungen des Einzelnen daher grundsätzlich als im Strafrecht unzulässiges Moralisieren. Zu ihren Ausnahmen ist Folgendes zu sagen: Was die Steigerung der Bedrohlichkeit der Tatsituation angeht, ist es recht besehen – auch in Hörnles Schilderung – nicht die Gesinnung, die unrechtssteigernd wirkt. Im Gegenteil stehen hier ganz greifbare Erwägungen im Raum, die allenfalls einen mittelbaren Bezug zu der Geisteshaltung des Täters aufweisen und solche Rückbeziehung überflüssig machen. So wird es bei gesinnungsgeleiteten Tätern oftmals nahe liegen, dass sie mit besonderer Brutalität bzw. Gnadenlosigkeit gegen ihr Opfer vorgehen.487 Hierdurch erhöht sich für das Opfer die konkrete Gefährlichkeit der Situation. Eine Parallele dazu kann hier in den Qualifikationsformen der Körperverletzung gem. § 224 gesehen werden. Bei gemeinschaftlicher Begehung signalisiert die Anwesenheit eines gewaltbereiten Dritten für das Opfer die offensichtliche Chancenlosigkeit der Gegenwehr.488 Das potentielle Eingreifen des Dritten erhöht außerdem insbesondere die Gefahr erheblicher Verletzungen, die beim Angriff eines Einzelnen nicht mit solcher Wahrscheinlichkeit im Raum stehen. Ähnlich verhält es sich immer dann, wenn der Täter signalisiert, bis zum Äußersten gehen zu wollen. Dann macht es aber keinen Unterschied, ob er eine Waffe bei sich führt, einen Dritten zur Unterstützung heranzieht oder aber seine ungebrochene, zerstörerische Verachtung gegenüber dem Opfer vorab verbal artikuliert. In jedem Fall wächst die konkrete Gefährlichkeit, die von solcher Person ausgeht. Unrechtssteigernd wirkt sich hier also nicht die Gesinnung, sondern die Gefährlichkeit der Tatbegehung aus. 486 In JZ 1999, 1080, 1088 verzichtet die Autorin jedenfalls auf einen ausdrücklichen Hinweis auf solche Ausnahmen. 487 Siehe dazu Blake, Law and Philosophy 20 (2001), 121, 132 mit Blick auf durch Hass motivierte Delikte. Auch Blake sieht bei erhöhter Brutalität der Tatbegehung den Grund für eine höhere Bestrafung nicht in dem Motiv für die Tat (Hass, Vorurteile), sondern gerade in der gesteigerten Erheblichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers. 488 Vgl. MK/Hardtung, § 224 Rn. 25 f.; Hörnle, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 121 f.; LK I/Lilie, § 224 Rn. 33 ff.
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Auch hinsichtlich des seitens Hörnle ins Feld geführten Aspekts der besonderen Demütigung des Opfers steht bei Lichte besehen nicht die Gesinnung als unrechtssteigernd im Raum. In der Herabsetzung des Rechtsgutsträgers, die jener als traumatisch empfindet, liegt vielmehr eine spezifische Fehlverhaltensfolge eben dieses Verhaltensunrechts. Erfährt das Opfer durch die Tat eine erhebliche Demütigung, liegt darin eine typische Folge der konkreten Tat. Diese für das Ausmaß des Unrechts relevante Folge ist aber nicht allein bei Gesinnungstaten, die dem Opfer aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit seinen Wert als Mensch absprechen wollen, anzunehmen. Im Gegenteil verweist Hörnle selbst noch darauf, dass bei Sexualdelikten ein vergleichbarer Effekt der Demütigung eintritt, der als spezifische Fehlverhaltensfolge ins Gewicht fallen muss.489 Dass es zur folgenreichen Herabwürdigung des Opfers kommt, ist zwar potentieller Annex der Gesinnung des Täters. Auf diese kommt es aber konkret gar nicht an, da bereits die Art und Weise der Tatbegehung die unrechtsrelevante Folge nach sich zieht.490 Es lässt sich damit folgender Befund festhalten: Im Grunde handelt es sich bei den „Ausnahmen“, die Hörnle von der grundsätzlichen Gesinnungsabstinenz ihres Modells machen will, nicht um echte: Ihr Konzept bleibt gesinnungsfrei. Liegt hierin aber zugleich der Beleg für die Vorzugswürdigkeit der Orientierung des Unrechts an der Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers? Die Antwort könnte allenfalls dann bejahend ausfallen, wenn sich das Unrechtsverständnis Hörnles letztlich nicht doch ebenfalls präventiv missverstehen ließe. Indes zeigt sich auch hier, was schon anhand des eigenen Unrechtsbegriffs negativ ins Gewicht gefallen ist: Gänzliche Immunität gegenüber präventiven Überlegungen gelingt Hörnles Modell in letzter Instanz ebenfalls nicht. Dies gilt zunächst hinsichtlich einer potentiellen spezialpräventiven Ausrichtung. So ließe sich eine gesteigerte Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers etwa damit begründen, dass er in seiner Überzeugung von der Richtigkeit und Überlegenheit der geltenden Normen angesichts einen gesinnungsgeleiteten Täters besonders einschneidend erschüttert ist. Um daher das Normvertrauen des Opfers, das durch die Konfrontation mit einer wertwidrigen Gesinnung viel stärker beeinträchtigt ist, wiederherzustellen, wäre also doch eine Strafschärfung angemessen. Und selbst auf generalpräventive Wege lässt sich der Unrechtsbegriff Hörnles ohne größeren Aufwand locken. So ließe sich argumentieren, dass der allgemeine gesellschaftliche Rechtsfrieden im Interesse eines jeden Gesellschaftsmitglieds stünde. Sofern also eine Person in ihren 489 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 229 f., 235; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 106 f. 490 Es löst sich nunmehr das von Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 273 noch als Problem empfundene Erfordernis des tatsächlichen zum Ausdruck Kommens der Motivation des Täters bei Tatbegehung. Spezifische Fehlverhaltensfolgen müssen tatsächlich eingetreten sein. Um das Opfer real zu demütigen, muss die Missachtung ihm gegenüber bei der Tatbegehung artikuliert werden.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Individualinteressen verletzt wird, wäre zugleich ihr – allgemeines – Interesse an Rechtsfrieden gestört. Es wären nunmehr keine weiteren Umschweife notwendig, um generalpräventive Erwägungen als konkretes Opferinteresse zu deklarieren. Damit ist auch Hörnles Konzept nicht abschließend vor präventiven Einflüssen gefeit. Zu ihrer – und eigener – Verteidigung ist aber einzuräumen, dass sich wohl sämtliche denkbaren Termini der Straftatelemente in letzter Konsequenz zum Instrument abweichender Vorstellungen des Inhalts des Strafrechts pervertieren lassen. Weiteres Suchen nach einer Bestimmung des Verhaltensunrechts, die selbst die letzte Brücke zur Prävention hinter sich untergehen lässt, erscheint daher aussichtslos. Alleiniges Korrektiv kann und muss die Vergewisserung des straftheoretischen Grundkonzepts in seiner Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten, die abweichende Zielsetzungen verfolgen, sein. Dies bietet hinreichenden Halt in der Beurteilung des Vorliegens relevanter Unrechtselemente. An dem hier vertretenen Unrechtsverständnis, das Verhaltensunrecht als Infragestellung des Rechts durch einen konkreten Verhaltensnormverstoß begreift, wird sonach trotz aller Möglichkeit der präventiven Auslegung festgehalten. An die Notwendigkeit des straftheoretischen Hinterfragens spezifischer Sachverhalte wird so auch durch den Terminus des Verhaltensunrechts erinnert.491
IV. Gesinnung als Element der Schuld Wenngleich die Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Unrechtsrelevanz der Tätergesinnung der Untersuchung ihres Stellenwerts innerhalb der Schuld vorangestellt worden ist, soll hierin nicht ein zahlenmäßiges Überwiegen derjenigen Autoren suggeriert werden, die zur Verortung der Gesinnung im Unrechtsbereich tendieren. Dem liegt lediglich die Intention zur Wahrung der Chronologie des herkömmlichen Verbrechensaufbaus zugrunde. Das Vorgehen, der Gesinnung 491 Es erübrigt sich an dieser Stelle eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Unrechtsverständnis Hörnles. Wie eingangs bereits deutlich gemacht, sollen die vorliegenden Ausführungen sich auf den Stellenwert der Gesinnung innerhalb der Straftatkategorien – auch anderer Autoren – begrenzen. Eine Fundamentalkritik an von der hiesigen abweichenden Konzeptionen ist nicht intendiert. Es sei daher nur so viel gesagt: Jedenfalls unter dem Blickwinkel der durchaus relevanten Fehlverhaltensfolgen können die Überlegungen Hörnles, aber auch v. Hirschs und Jareborgs eine bedeutsame Rolle spielen. Welches Ausmaß der Schaden einnimmt, den das Opfer aus dem konkreten Fehlverhalten erleidet, muss für das Strafrecht Relevanz entfalten. Dabei kann auch das Lebensqualitätsmodell jedenfalls eine grundsätzliche Richtschnur bieten. Hierin aber den maßgeblichen Unrechtsaspekt zu erblicken, untergräbt den Stellenwert des Verhaltensnormverstoßes als primäres Unrechtselement, an das sich gegebenenfalls spezifische Fehlverhaltensfolgen („Erfolgsunrecht“) anschließen können. Das ideelle Unrechtsverständnis bzw. die zentrale Ausrichtung am Verhaltensnormverstoß weist insoweit doch eine Überlegenheit gegenüber dem dargestellten System Hörnles auf, ohne dabei dessen Bedeutung für den angesprochenen Teilbereich des Unrechts – die Fehlverhaltensfolgen – unterminieren zu wollen.
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innerhalb des Schuldbegriffs eine Bedeutung beizumessen, kann jedenfalls auf eine gewisse Tradition verweisen.492 Bevor aber auf solche Konzepte einzugehen sein wird, die der Gesinnung innerhalb ihres Schuldverständnisses einen legitimen Rang einräumen wollen, soll zur Erinnerung kurz auf eine potentielle Schwierigkeit in der Darstellung hingewiesen werden, die sich aber vorliegend gerade nicht stellt. Probleme könnte nämlich die differenzierende Behandlung der Gesinnung innerhalb der Straftatkategorien gegenüber der Strafzumessung seitens mancher Autoren aufwerfen. So wird der Gesinnung oftmals im Rahmen der „Strafzumessungsschuld“ Relevanz beigemessen, während noch innerhalb der Strafbegründungsschuld Gesinnungsabstinenz proklamiert wurde. In der Darstellung könnte dies die Notwendigkeit bedingen, ebenfalls eine die Bereiche von Strafbegründungs- und Strafzumessungsschuld trennende Betrachtung anzustellen. Indes konnte die Divergenztheorie schon oben widerlegt werden.493 Die Strafzumessung orientiert sich ausschließlich an den für die Strafbarkeitsbegründung relevanten Kategorien. Letztere befasst sich zwar mit den Fragen der Graduierbarkeit der Straftatelemente. Dabei wird aber jenes Verständnis von Unrecht und Schuld zugrunde gelegt, das bereits die Straftat prägt. In der Folge beruhen die gemeinsamen Elemente der Straftat und der Strafzumessung auf dem erarbeiteten straftheoretischen Fundament. Es gilt daher: Was sich straftheoretisch nicht legitimieren lässt, darf auf der Ebene der Strafzumessung ebenfalls keine Geltung entfalten. Schuldbegriffe, die seitens ihrer Vertreter ausschließlich für die Strafzumessung bestimmt sein sollen, müssten sich daher auch als Strafbegründungsschuld eignen. Zugleich ist aber ihre straftheoretische Legitimität zwingend erforderlich. Nach dem Gesagten ist es daher zulässig, die verschiedenen Schuldbegriffe unabhängig von ihrer Einordnung auf den Ebenen des Straftatbegriffs oder der Strafzumessung vor dem Hintergrund der Straftheorie auf ihren in einem freiheitlichen Strafrecht rechtmäßigen Gehalt zu prüfen. Weil für die Strafzumessung keine anderen Regeln als für die Straftatkategorien gelten, kann eine insoweit differenzierende Betrachtung entfallen. Allein maßgeblich ist hier wie da die Vereinbarkeit des jeweiligen Schuldverständnisses mit dem straftheoretischen Konzept. 1. Täterschuldbegriffe und Schuld als unrechtliche Gesinnung Wie eingangs erwähnt, kann die Verortung der Gesinnung innerhalb des Schuldbegriffs auf eine lange Tradition zurückblicken. Zu nennen sind dabei zunächst diejenigen unverhüllt spezialpräventiv ausgerichteten Theorien, die auf die
492 493
Vgl. bereits die Nachweise in Fn. 402. Vgl. C. I.
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Beurteilung der Täterpersönlichkeit den maßgeblichen Akzent setzen.494 In Abhängigkeit von der individuellen Ausrichtung des jeweiligen Schuldbegriffs wird dem Täter sein „Gesinnungsverfall“, seine „Wendung zum Bösen, die über das Unrecht der einzelnen Tat hinausreicht“ und die darin zum Ausdruck kommende verfehlte Lebensentscheidung vorgeworfen.495 Bei dem Verbrecher handele es sich nach einer weiteren Spielart solch spezialpräventiven Schuldverständnisses um einen „Verräter“, den die „Betätigung eines gefährlichen, die Gemeinschaft sprengenden Willens, das Wirksamwerden einer Haltung, die die Gemeinschaft von innen her zerstört“, „zum Außenseiter macht“.496 Ebenfalls in diese Reihe gehört derjenige Schuldbegriff, der am Charakter des Täters ansetzen und seine individuelle Schuld darin erblicken will, dass er „nach falscher Disposition“ gehandelt habe.497 Wenngleich als Gegenstück zu solcher Charakterschuld auch die „Entscheidungsschuld“ angeboten wird, die weniger die Täterpersönlichkeit ins Visier zu nehmen scheint, kann darin allenfalls ein schwacher Trost für die grundsätzlich spezialpräventive Ausrichtung der Schuldlehre gesehen werden. So entpuppt sich selbst die Entscheidungsschuld letztlich als Charakterschuld, indem die grundsätzlich „richtige“ Disposition nicht fest genug im Charakter des Täters angelegt war.498 Die knappe Darstellung der besagten Schuldlehren mag hier genügen. Deren spezialpräventive Ausrichtung – verkörpert in der zentralen Stellung der Täterpersönlichkeit innerhalb des jeweiligen Schuldkonzepts – ist nicht zu verkennen. Die mehrfach angestellten Versuche, eine Lossagung ihres Modells vom Täterstrafrecht zu belegen, bleiben untaugliche.499 Rückt die Persönlichkeit des Täters ins Visier, geht es im Kern bei der Bestrafung nicht mehr um die begangene Tat. Vielmehr wird gefragt, ob anhand des Charakters, der Einstellung etc. des Betreffenden eine Gefährlichkeitsprognose für die Zukunft gelingt. Allein darin liegt der Grund für die Bestrafung einer Person, deren „Gesinnungsverfall“ kritisiert wird. Wer wertwidrige Einstellungen aufweist, droht, auch künftig die rechtlich geschützten Interessen zu verletzen bzw. zu gefährden. Die Etikettierung als „Schuld“ vermag insoweit kaum mehr zu verhüllen, worum es den Vertretern solcher Lehren im Eigentlichen geht: Die Reaktion auf Gefährlichkeiten der Person des Täters.500 Es überrascht nicht, dass einzelne Vertreter solcher Schuldbe494 Vgl. Bockelmann, Täterstrafrecht, S. 153 ff., 160 f.; Dahm, NS-Strafrecht, S. 17 f.; Dreher, Gerechte Strafe, S. 40 ff., 45, 50 ff., 85; Mezger, ZStW 57 (1938), 675, 677 ff., 687 ff.; dens., ZStW 60 (1941), 353, 358 ff.; Schmidt, ZStW 69 (1957), 359, 385 ff.; Welzel, ZStW 60 (1941), 428 ff. Mit Einschränkungen spricht sich im Bereich der Strafzumessung für die Relevanz der Lebensführungsschuld auch Mayer, AT, S. 274 ff. aus. 495 Bockelmann, Täterstrafrecht, S. 153 ff. 496 Dahm, NS-Strafrecht, S. 17 ff. 497 Dreher, Gerechte Strafe, S. 45, 50 ff. 498 Vgl. Dreher, Gerechte Strafe, S. 53 f. 499 Statt vieler siehe Dreher, Gerechte Strafe, S. 23 ff.
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griffe im nationalsozialistischen Willensstrafrecht einzuordnen sind, das schon oben einer generellen Kritik insbesondere unter diesem Blickwinkel unterzogen wurde.501 Was aber für die Straftatkategorie des Unrechts Geltung entfaltet, muss auch bei der Schuld unbedingt Beachtung finden, sollen nicht die maßgeblichen straftheoretischen Vorarbeiten unterlaufen werden: Ein Einfallstor für spezialpräventive Überlegungen darf hier nicht zugelassen werden. Nichts anderes hätten die beschriebenen Schuldbegriffe aber zur Folge. Sie können daher an dieser Stelle in gebotener Kürze als für das Strafrecht in einem freiheitlichen Rechtsstaat unbrauchbar abgelehnt werden. Einen allenfalls geringfügig höheren Erklärungsaufwand erfordert die Ablehnung solcher Schuldbegriffe, die in der unrechtlichen Gesinnung den maßgeblichen Gegenstand der strafrechtlichen Schuld erblicken.502 So betont etwa Schmidhäuser, in der Schuld müsse nicht nur das rechtsgutsverletzende Willensverhalten, sondern gerade auch das rechtsgutsverletzende geistige Verhalten erfasst werden. Danach enthalte die Schuld das geistige Verhalten des Täters, das im Begriff der Gesinnung zusammengefasst wird. Um aber dem moralisierenden Schielen auf die Täterpersönlichkeit Grenzen zu setzen, will Schmidhäuser seinem Schuldverständnis allein die Einzeltatgesinnung, die sich auf die konkrete Tat beziehe, zugrundelegen. Auf die beständige Gesinnung komme es im Rahmen der Schuld hingegen nicht an.503 Zweifelhaft erscheint aber, ob auf diese Weise tatsächlich die Einkehr präventiver Überlegungen in die strafrechtliche Schuld vermieden werden kann.504 So 500 Ebenso bereits Stratenwerth, Tatschuld, S. 5 ff., der als Inhalt beispielsweise der Charakterschuld allein die Gefährlichkeit des Täters ausmacht. Die Lebensführungsschuld diene ausschließlich dazu, „Erwägungen der Spezialprävention zu kaschieren“. Dieser Beurteilung ist uneingeschränkt zuzustimmen. – Lobenswert ist insoweit die Bemühung Stratenwerths, Tatschuld, S. 7, 18 f., 38 ff. um eine Ausscheidung präventiver Elemente aus dem Begriff der Tatschuld, wenngleich er diese nicht zugleich gänzlich aus der Strafzumessung verbannen will und sich insoweit ebenfalls den Vorwurf der präventiven Ausrichtung in diesem Bereich gefallen lassen muss. – Vgl. außerdem Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 245 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 50 f.; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 123 f. 501 Vgl. oben B. III. 1. a), b). 502 Vgl. Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 44 ff.; Heinrich, AT, Rn. 528 f.; Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 151; Langer, Sonderstraftat, S. 106 ff.; Schmidhäuser, AT, 7/ 6 ff. (S. 188 f.); dens., Gesinnungsmerkmale, S. 174 ff., 178; dens., Gallas-FS, S. 81, 92 f. In diese Richtung auch Maiwald, Tateishi-FS, S. 11, 22, der den in der Tat zum Ausdruck kommenden Gesinnungsunwert als den Schuldgehalt bestimmend annimmt. Zur Distanzierung Schmidhäusers von Gallas vgl. dens., Gesinnungsmerkmale, S. 189 f. 503 Schmidhäuser, AT, 7/6 (S. 188); ders., Gesinnungsmerkmale, S. 113 ff., 178, 182 f., 187 ff. In diese Richtung auch Gallas, ZStW 67 (1955), 1, 45, der unter Gesinnung nicht „eine dauernde Artung des Täters“ verstehen will; Langer, Sonderstraftat, S. 110 ff. 504 Zur weitergehenden Kritik an Schmidhäusers Schuldverständnis insbesondere unter dem Blickwinkel des schwindenden eigenständigen sachlichen Gehalts des Unrechts
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weist Schmidhäusers Operieren mit dem Begriff der Einzeltatgesinnung zwar eine gegenüber den Nachteilen des Täterstrafrechts geschärfte Einsicht auf. Jedoch gelingt es selbst unter diesem Etikett nicht, sämtliche Elemente, die ausschließlich die Täterpersönlichkeit betreffen, auszuscheiden. Schon an früherer Stelle konnte belegt werden, dass auch der Terminus der Einzeltatgesinnung nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass darin Elemente der Persönlichkeit zum Ausdruck kommen.505 Eine Loslösung der Einzeltatgesinnung von der Täterpersönlichkeit ist daher nicht denkbar, solange sie den Namen der „Gesinnung“ noch zu Recht tragen will. Der Täter wird „zwar nicht für das bestraft, was er ist“, doch aber für das, „was er im Zeitraum der Tat war“.506 Wer mithin die Einzeltatgesinnung als maßgebliche Komponente der Schuld voraussetzt, muss sich den Vorwurf der Bewertung (jedenfalls auch) von Umständen, die allein die Täterpersönlichkeit betreffen, gefallen lassen. Dass insofern ein sittliches Urteil über die Einstellung des Täters verhängt wird, lässt sich außerdem nicht mit dem Einwand entkräften, ein solches setzte gleichsam eine „Totalerkenntnis der fremden Person“ voraus, die aber aufgrund der stets verbleibenden absolut intimen Personsphäre nicht zu leisten sei.507 So erläutert Schmidhäuser, dass sittliche Urteile stets ein Erkennen der Person als Ganzes verlangten. Da aber jedem Menschen eine „intime Sphäre“ verbleibe, die sich dem Urteil Dritter – „transzendent“ – verschließe, ließe die Einbeziehung der unrechtlichen Gesinnung in der Schuld keine sittliche Bewertung der Person zu. Indes kann einem solchen, der Erkenntnis Anderer unzugänglichen Bereich für die Verhängung eines Urteils über die Person ohnehin keine Bedeutung beigemessen werden. Ist eine spezifische Sphäre der Täterpersönlichkeit nicht erfahrbar, kommt es auf diese in der sittlichen Bewertung durch Dritte auch nicht an. Der Vorwurf sittlicher Verurteilung der Person des Täters ist hinreichend daran festzumachen, dass Dritte nach ihren Möglichkeiten ein solches Urteil vornehmen. Alles andere ließe in letzter Konsequenz jedwedes Moralisieren im Bereich des Strafrechts zu, würde doch das Berufen auf jene unsichtbare Personsphäre zur Ablehnung der Möglichkeit sittlicher Urteile hinreichen. Selbst wenn aber die unrechtliche Gesinnung nichts anderes umschreiben soll als die hier als Schuld verstandene Fähigkeit des Täters zum Andershan-
vgl. Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 181 ff. Siehe auch Roxin, Henkel-FS, S. 171, 177 ff. 505 Vgl. dazu oben Fn. 46. In durchaus angebrachter Deutlichkeit formuliert diesen Gedanken auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 51, die in dem „Topos der Gesinnung“ in jedem Fall eine „Bewertung der Persönlichkeit des Täters“ sieht, „auch wenn dies durch entgegenstehende Behauptungen camoufliert wird“. – Vgl. auch (wenngleich weniger kritisch) Schaffstein, Gallas-FS, S. 99, 110. 506 Das Zitat findet sich bei Haas, Strafbegriff, S. 252. Vgl. auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 196 f., 204 f. 507 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 182 f.
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deln,508 lassen sich schwerwiegende Einwände gegen solchen Terminus erheben. So liegt doch die Anreicherung der Gesinnungsschuld mit vor allem spezialpräventiven Erwägungen besonders nahe.509 Wenngleich auch dem hier vertretenen Unrechtskonzept keine absolute Trennschärfe gegenüber solchen Bestrebungen zu attestieren war, erforderte die präventive Auslegung dabei jedenfalls einen erhöhten Begründungsaufwand. Bei der Gesinnung als Schuldkomponente verhält es sich gerade umgekehrt. Hier ist – wie die Ausführungen Schmidhäusers belegen – die Abgrenzung zu einem ungewollten Täterstrafrecht, sollte sie denn erwünscht sein, unbedingt erforderlich. Anderenfalls lädt der Begriff der Gesinnung regelrecht dazu ein, Aspekte der Täterpersönlichkeit für die Beurteilung der Schuld als maßgeblich zu erachten. Die spezialpräventive Ausrichtung eines solchen Schuldterminus drängt sich insofern geradezu auf. Verschärft wird dieser Befund angesichts der Unbegrenztheit der Gesinnungsschuld in ihrer Steigerungsfähigkeit nach oben.510 Im Speziellen lassen sich negative Einstellungen ohne natürliche Barriere steigern, sodass bei unbedachtem Umgang mit diesem Schuldbegriff rechtsstaatlich unhaltbare Ergebnisse denkbar sind. Ein allenfalls blasses Korrektiv bildet dabei die Bindung der individuellen Schuld an das verwirklichte Unrecht des Täters – was droht, ist die zentrale Ausrichtung der Straftat an Merkmalen der Täterpersönlichkeit. Damit sei nicht gesagt, dass solche Effekte eintreten müssen – sie werden jedoch durch das Konstrukt der Gesinnungsschuld begünstigt. Dass darin für die Schuld notwendige Gesichtspunkte ebenfalls eine Rolle spielen, fällt dann leider nur am Rande positiv ins Gewicht.511 508 In diese Richtung Roxin, Henkel-FS, S. 171, 176. Dass selbiges gemeint ist, erscheint jedenfalls unter dem Gesichtspunkt zweifelhaft, dass das Verständnis der Schuld als unrechtliche Gesinnung geradezu dazu einlädt, auch solche Umstände in der Strafzumessung zu berücksichtigen, die konkret nichts mit der eigentlichen Tat zu tun haben. So lässt sich darin ohne Weiteres die Einstellung des Täters zu dem jeweiligen verletzten Wert oder aber auch zu einem anderen, außertatbestandlichen sowie sein Status als Vorbestrafter bzw. Rückfalltäter erfassen. Zu dieser Kritik der Offenheit der Gesinnungsschuld gegenüber präventiven Bestrebungen siehe noch weiter im Text sowie bereits Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 243 ff.; Haas, Strafbegriff, S. 253 ff. 509 So auch Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 243 ff.; Haas, Strafbegriff, S. 249 m. Fn. 63, 252 ff. (vgl. insbesondere die aufschlussreichen Nachweise zur täterstrafrechtlichen Verhaftung des Theorems der Gesinnungsschuld auf S. 254 m. Fn. 81); Hörnle, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 123 f. Dies räumt auch Schmidhäuser, Gallas-FS, S. 81, 94 indirekt ein, indem er weiter am Begriff des Schuldstrafrechts an Stelle des Ausdrucks Gesinnungsstrafrecht festhalten will. Die Bezeichnung als Schuldstrafrecht hält er selbst für „unverfänglicher“. Dabei ergibt sich die Verfänglichkeit der Gesinnung als Begriff nicht nur aus ihrer bisherigen negativen Konnotation, sondern vielmehr auch aus der spezialpräventiven Suggestivkraft dieses Terminus. – Zur mit der Gesinnungsschuld einhergehenden Verhängung eines vorwiegend moralisierenden Urteils über den Täter vgl. die überzeugende Kritik bei Haas, Strafbegriff, S. 248 ff., 251 ff., 254 m. Fn. 82 m.w. N. 510 Vgl. Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 246 ff. 511 Zu solchen siehe Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 175.
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Für das eigene Verständnis von Schuld als Fähigkeit des Täters, die eine Strafbarkeit begründende Situation durch Orientierung am Recht zu vermeiden, stellen die präventiv ausgerichteten Schuldbegriffe – sei es in offenkundiger Orientierung an der Täterpersönlichkeit, sei es im mehr Verborgenen in Gestalt der Gesinnungsschuld – keine akzeptable Alternative dar. Von ihm ist folglich nicht abzurücken. Die Schuld umfasst damit diejenigen Sachverhalte, in denen der Täter abweichend vom strafbaren Verhalten hätte anders handeln können. In diesem Verständnis offenbart sich sogleich der – fehlende – Stellenwert der Tätergesinnung im Rahmen der Schuld. Die Fähigkeit zum Andershandeln wird jedenfalls im Sinne einer Graduierung nach oben von der Grundeinstellung des Täters nicht berührt. Eine Steigerung über die Vollform des Vorliegens solcher Fähigkeit ist selbst bei besonders wertwidriger Gesinnung nicht denkbar.512 Die Fähigkeit zur Normbefolgung ist entweder in vollem Umfang ausgebildet oder aber in eingeschränkter Form, sodass sie sich allenfalls nach unten im Sinne einer Schuldmilderung graduieren lässt. Der Gesinnung kommt sonach auch in der Straftatkategorie der Schuld keine legitime Bedeutung zu.
2. Wertwidrige Gesinnung als gesteigerte Herabsetzung des gegenseitigen Anspruchs auf Anerkennung – Das Schuldverständnis Brigitte Kelkers In jüngerer Zeit hat sich Brigitte Kelker mit der Frage des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht ausführlich befasst. Abweichend vom hier zugrundegelegten Verständnis misst sie der Tätergesinnung Schuldrelevanz bei. Dabei unterscheidet sich ihr Straftatkonzept nicht unwesentlich von den bisherigen, der Gesinnung eine Bedeutung in der Schuld beimessenden Ansätzen. Eine vertieftere Auseinandersetzung mit dem Straftatbegriff Kelkers erscheint daher lohnenswert. Das darin zugrundegelegte freiheitliche Rechtsverständnis baut in großen Teilen auf den Arbeiten Köhlers513 auf. Danach sei das Recht darauf gerichtet, im Wege der wechselseitigen Anerkennung der Autonomie der Subjekte Freiheit zu sichern. Bei Rechtsgesetzen handele es sich um kategorische Imperative, die bindende Handlungsregeln enthalten und ihren Bezugspunkt in der Freiheit des Einzelnen sehen.514 Das Individuum füge sich solchem Gesetz aufgrund seiner ihm 512 Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 240 ff., 249 f.; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre GA, S. 1, 5, 14; ders., BGH-FS, S. 269, 288 f.; ders., GA 1989, 338, 356; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 211 f.; Haas, Strafbegriff, S. 249 m. Fn. 62; SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 3; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 151 ff., 269; dies, in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 99, 124 ff.; dies., JZ 1999, 1080, 1084. In diese Richtung auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 197 ff.; Schaffstein, Gallas-FS, S. 99, 111. 513 AT, S. 170, 364 ff. 514 Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 380 ff.
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innewohnenden Vernunft und bringe damit die eigene Autonomie sowie die Anerkennung des anderen als autonomes Subjekt zum Ausdruck. In der Folge definiert Kelker Unrecht als ein „dem Recht widersprechendes äußere Freiheit verletzendes Verhalten“.515 Dem Unrecht komme dabei eine „dreifache Dimension“ zu: Zunächst beinhalte der Verstoß gegen das Recht stets eine Verletzung der Freiheit einer konkreten Person sowie der wechselseitigen Anerkennungsverhältnisse zwischen den Subjekten. Zuletzt durchlaufe der Betreffende in seinem unrechten Handeln einen „Prozess der Selbstkorrumpierung“, indem er sich in einen Widerspruch zu seiner eigenen Person begibt, da er selbst als „Vernünftiger an dieser Normallgemeinheit teilhat“.516 Das Strafunrecht umfasse nunmehr solche dem Täter zurechenbare Freiheitsverletzungen, die eine grundlegende Beeinträchtigung der „substanziellen Bedingungen freiheitlichen Daseins ausmachen“. Eben jene substanziellen Freiheitsrechte sieht Kelker immer dann verletzt, wenn die Bedingungen rechtlicher Selbstständigkeit der Person wie zum Beispiel Leben, Körperintegrität, Freiheit, Eigentum und Vermögen, bzw. der Bestand der Gemeinschaftsform gefährdet sind. Dabei reduziere sich das strafbare Unrecht nicht auf ein äußeres Verletzungsgeschehen, sondern müsse vielmehr mit einem „inneren Tatwillen“ korrelieren. Auch darin entfalte sich die erwähnte Dreiheit der Schädigungshandlung: Der Täter verletze durch sein Verhalten neben der konkreten Freiheit des betroffenen Subjekts „das Recht in seiner Allgemeinheit“ und tritt damit letztlich in einen Selbstwiderspruch. Für die Beurteilung, ob es sich um Strafunrecht handele, komme es damit zusätzlich darauf an, in welchem Maß durch das Verletzungsverhalten die „rechtsgesetzliche Allgemeinheit betroffen“ ist.517 Die Kategorie der Schuld fügt sich im System eines freiheitlichen Rechts nach Kelker nunmehr als freie Entscheidung des Subjekts für die Verletzung rechtlich geschützter äußerer Freiheit.518 Dies setze freilich zunächst die allgemeine Schuldfähigkeit sowie die Unrechtseinsicht des Einzelnen voraus, die garantiere, dass der Schuldvorwurf nicht bereits am Fehlen potentiellen bzw. konkreten Normwissens scheitere. Ergänzt wird solches Verständnis der Schuld als „persönliches, vorwerfbares Verschulden“ durch die Vorstellung, der Umfang der Schuld lasse sich nach dem „Ausmaß der Geltungsverkehrung“ differenzieren.519 515
Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 389 ff. Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 390 f. Siehe dazu auch Köhler, AT, S. 22 ff.; dens., Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 37 ff. Zum notwendigen Selbstwiderspruch desjenigen, der sich gegen die allgemeingültige Ordnung richtet, aus gesellschaftsvertraglicher Sicht siehe B. III. 2. c) bb). 517 Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 391 ff., 414 ff.; Köhler, AT, S. 22 ff.; ders., Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 37 ff. 518 Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 394 f., 429 ff.; Köhler, AT, S. 348 ff.; ders., Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 38 f. 519 Zu einer Verankerung dieser weiteren Ausfüllung des Schuldbegriffs in der Rechtsphilosophie Kants siehe Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 446 ff., 516
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Inwieweit der Täter die jeweilige geltende Verhaltensnorm für sich als ungültig erachte bzw. in welchem Allgemeingültigkeit beanspruchenden Maße er das betroffene Rechtsgut herabsetze, käme sonach in unterschiedlichen Stufen der Schuld zum Ausdruck.520 Kelker setzt diesen Gedanken Köhlers wie folgt um: Indem die freiheitliche Rechtsbegründung in der kantischen Rechtsphilosophie fuße, müsse sie sich im Wesentlichen an der Aussage des kategorischen Imperativs orientieren, der besagt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ 521 Bereits der kategorische Imperativ bringe damit die Handlungsmaxime des Einzelnen in einen notwendigen Zusammenhang mit der Allgemeinheit. Da Recht interpersonal sei und nicht nur die Freiheit der einzelnen Subjekte schütze, liege ihm das Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung von Freiheit zugrunde.522 In der Folge werde im Recht nicht nur die äußere Freiheit des anderen Individuums geschützt. Vielmehr müsse es „immer zugleich auch um die Beschädigung der grundlegenden sich im Recht ausdrückenden wechselseitigen Anerkennung der Subjekte gehen“. Recht sei aber nur denkbar, wenn die Subjekte ihrerseits erkennen, dass allein dieses Anerkennungsverhältnis Grundlage des Rechts sei. Damit lasse sich die Wechselbezüglichkeit der Anerkennungsverhältnisse nicht auf rein äußerliches Verhalten reduzieren, handele es sich bei Anerkennung doch um ein „umfassendes Geschehen“, das die subjektive Seite ebenfalls mit einbeziehe. Dabei sei zugleich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der Täter über die konkrete Verletzung seines Opfers hinaus zudem gegen die Norm in ihrer Allgemeingültigkeit richte, mithin notwendigerweise auch in ein Verhältnis zur Allgemeinheit trete. Bei der Schuld könne es dann nicht allein um die freie Entscheidung für das Unrecht gehen. Vielmehr komme darin außerdem die „Beschädigung der grundlegenden sich im Recht ausdrückenden wechselseitigen Anerkennung der Subjekte“ zum Ausdruck. Die Formulierung der „Geltungsverkehrung“ sei damit so zu verstehen, dass der Täter durch sein Verhalten die 453 ff. Die Autorin sieht anhand verschiedener Zitate aus Kants Metaphysik der Sitten ihre eigene Vorstellung von Schuld bestätigt, wenngleich sie einräumt, dass auch eine gegenläufige Interpretation denkbar sei. Zu einer solchen siehe etwa Kersting, ARSPBeiheft 37 (1990), 62, 65, 73, nach dessen Interpretation Kants Metaphysik der Sitten der „nicht gesinnungsinteressiert(en)“ juridischen Gesetzgebung aufgrund fehlender „Herrschaftsambitionen in der menschlichen Innenwelt“ „jeder Ausführungsgrund (rechtmäßigen Verhaltens) in gleicher Weise recht“ sei. An späterer Stelle spricht Kersting ausdrücklich von der „Gesinnungsgleichgültigkeit“ des Rechts. 520 Köhler, AT, S. 348 ff., 364 ff. („Maß der Schuld nach der Tiefe der Grundsatzverkehrung“); ders., GA 1980, 121, 137 ff. Siehe dazu auch Berger, Gesinnungsmoment, S. 136 ff. 521 Kant, Grundlegung, BA 52. 522 Dass Wechselseitigkeit zentrales Element des Rechtsverständnisses sei, leitet Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 467 weiter aus der kantischen Rechtsdefinition ab: Recht sei danach „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“. Siehe dazu Kant, Metaphysik der Sitten, A 33.
IV. Gesinnung als Element der Schuld
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„sich im Gesetz ausdrückende Allgemeingültigkeit verletzt und dadurch für sich mit Wirkung nach außen in ihr Gegenteil verkehrt“. Solche „tätige Verkehrung“ der geltenden Norm sei mit Blick auf die inneren Motive des Betreffenden durchaus steigerbar.523 Aus dem damit entwickelten Schuldverständnis leitet Kelker nunmehr den Stellenwert subjektiver Momente bei der Bestrafung des Täters ab. So verdeutlichten etwa Gesinnungen, in welchem Maße das einzelne Subjekt sich mit seiner Tat gegen die Anerkennung der Freiheit der anderen Personen stellt. In der Einstellung des Täters offenbare sich folglich das Ausmaß der Herabsetzung des Anspruchs auf Anerkennung des Opfers. Dabei sei „klar“, „dass die mit der Tat verbundene Verletzung umso stärker“ ausfalle, „je mehr das betroffene Subjekt in seinem Anspruch auf Anerkennung herabgesetzt“ werde. Infolgedessen könnten Gesinnungen als Hintergrund der gewollten Freiheitsverletzung durch den Täter in der strafrechtlichen Würdigung nicht ausgeklammert werden.524 Die bei Kant jedenfalls angelegte525 Zurückhaltung in der Einbeziehung subjektiver Merkmale in den Bereich der (straf-)rechtlichen Beurteilung eines Verhaltens will Kelker auf rechtmäßiges Verhalten begrenzen. Handle das Subjekt hingegen rechtswidrig, trete es in ein neues Verhältnis zu den anderen Mitgliedern der Gesellschaft: das „Verhältnis bekundeter Nichtachtung“, das andere Maßstäbe in der Verhaltenswürdigung auf den Plan rufe.526 Die Berücksichtigung der Gesinnung sei dann, sofern sie sich in der konkreten Verletzungshandlung realisiert habe, grundsätzlich527 zulässig. Es stellt sich indessen die Frage, ob die seitens der Autorin angenommene Möglichkeit einer Steigerung der Normverkehrung bei Vorliegen einer wertwidrigen Gesinnung haltbar ist. Es sei zunächst skizzenhaft an die eigenen Ergebnisse erinnert: Danach spielt es für das Recht keine Rolle, ob bzw. welche negative Einstellung des Täters in dessen Verhalten zum Ausdruck kommt. Die fehlende Steigerungsfähigkeit des Verhaltensnormverstoßes zeigt sich daran, dass bei Gegebensein eines vorsätzlichen Normbruchs, für den keine Milderungsgründe ersichtlich sind, das Maximalmaß des denkbaren Normverstoßes erreicht ist. Eine weitere Steigerung über dieses Maß hinaus ließ sich – in Ablehnung der Auffassung Frischs – selbst bei Vorliegen besonders verwerflicher Gesinnungen nicht ausmachen: Diesen kommt allenfalls eine Indizfunktion für das Fehlen von strafmildernden Umständen zu.528 Nunmehr begründet Kelker die aus ihrer Sicht
523
Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 457 ff., 461 ff., 466 ff., 472 ff. Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 470 ff. 525 Siehe dazu schon oben B. II. 2. a). 526 Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 473 ff. 527 Siehe zu den Begrenzungen der Berücksichtigung von Gesinnungsmomenten im Strafrecht Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 481 ff. 528 Siehe dazu oben C. III. 2. 524
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
mögliche Steigerung des schuldhaften Normverstoßes durch anstößige Gesinnungen damit, dass der Täter in solchen Fällen seine Ablehnung gegenüber dem Normensystem ganz besonders deutlich zum Ausdruck bringe. Hierin liege die besagte Missachtung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses nicht nur gegenüber dem betreffenden Opfer, sondern gegenüber der Rechtsordnung und deren Mitgliedern im Allgemeinen. An dieser Stelle sticht die Parallelität solch ideellen Schuldverständnisses bezüglich der Lösung der Gesinnungsproblematik gegenüber dem Unrechtsverständnis Frischs deutlich ins Auge. Darin wird die Infragestellung des Rechts immer dann als schwerer wiegend erachtet, wenn das strafbare Verhalten von einer wertwidrigen (tatbestandlichen) Gesinnung des Täters begleitet ist. Analog zu Frisch gelingt es jedoch auch Kelker in letzter Instanz nicht, eine ideelle Steigerung des durch den Rechtsangriff bewirkten Schadens sachlich zu begründen. So müsste sich doch jedenfalls im theoretischen Modell ein negativer Effekt wertwidriger Gesinnung ausmachen lassen, der über den Befund der Gefährlichkeit der betreffenden Person (die indes keine Steigerung des strafrechtlich relevanten konkreten Verhaltensnormverstoßes ausmacht) hinausgeht. Jedoch kann Kelker mit Blick auf die ihrerseits gezogenen Konsequenzen einer potentiellen Steigerung des individuellen Normverstoßes bei Vorliegen wertwidriger Gesinnungen nicht gefolgt werden. Dann müsste nämlich eine negative Auswirkung – ein fassbarer Schaden – solcher Einstellungen des Täters auf die Normenordnung festgestellt werden können, was allein eine stärkere Gewichtung des Normverstoßes begründen könnte. Soll die negative Haltung des Einzelnen bei Tatbegehung ein höheres Maß an Geltungsverkehrung der in Rede stehenden Norm nach sich ziehen, so müssten sich daraus schädigende Folgen für die Rechtsordnung und deren Mitglieder ergeben, die über den vorsätzlichen Verhaltensnormverstoß ohne rechtlich anerkennenswerten Grund hinausgehen. So betont Kelker zwar, dass der Gesinnungstäter in besonderem Umfang die Gültigkeit der Rechtsordnung anzweifelt. Inwieweit dies die strafrechtliche Würdigung solchen Verhaltens aber tatsächlich berührt, bleibt analog der zur Unrechtsauffassung Frischs getätigten Ausführungen letztlich unklar. So ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Gesinnung des Täters noch eine Rolle spielen kann, sofern dieser die Vollform strafbaren Verhaltens – verkörpert in vorsätzlicher Begehung bei gleichzeitigem Fehlen eines Strafmilderungsgrundes – verwirklicht. Eine weitergehende Missachtung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses der Rechtssubjekte, die ein Mehr gegenüber einem solchermaßen ausgestalteten Maximalmaß denkbaren Verhaltensnormverstoßes ausmacht, lässt sich konzeptionell nicht begründen. Die Gesinnung hält keine weitere Steigerung der Verletzung des Rechtsverhältnisses gegenüber den anderen Rechtsteilnehmern bereit. Es liegt damit nahe, dass Kelker in ihrem Schuldverständnis ebenfalls spezialpräventiven Überlegungen Raum lässt. Was nämlich in dem „Ausmaß der Geltungsverkehrung“ als beunruhigendes Faktum mitschwingt und wohl auch die
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Entscheidung Kelkers für die Bejahung eines legitimen Stellenwerts von Gesinnungsmomenten im Strafrecht (mit-)getragen haben mag, ist die evidente Gefährlichkeit, die von Überzeugungstätern ausgehen kann.529 In diese Richtung geht auch ihre Annahme, der Täter bringe durch den Normbruch stets zusätzlich zum Ausdruck, dass er die Normengesamtheit in Frage stellt, indem er nämlich einen Teil derselben für sich als ungültig erachte. Da aber die Normen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, vielmehr in ihrer Gesamtheit einen eigenständigen Wert verkörpern – den des Rechts als Recht530 –, bedeute der Normverstoß zugleich einen grundsätzlichen Angriff auf die Rechtsordnung als solche. Indes lässt sich ein solcher Bedeutungsgehalt des einzelnen Verhaltensnormverstoßes wohl allenfalls dann annehmen, wenn man gedanklich die potentielle Gefährlichkeit der erneuten Tatbegehung desjenigen einbezieht, der einmal gegen die rechtlichen Normen verstoßen hat.531 Hier schwingt deutlich ein entsprechender, spezialpräventiv geleiteter Verdacht mit. Um aber an dieser Stelle Wiederholungen zu vermeiden, sei auf frühere Ausführungen zum Stellenwert der Gefährlichkeit von (negativ) gesinnungsgeleiteten Personen im Strafrecht verwiesen.532 Gefahrenabwehr ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht Aufgabe von Strafe. Der Verweis auf die spezifische Missachtung der Normenordnung durch den Gesinnungstäter – ob nun bei Kelker als vermeintliches Schuldmoment oder bei Frisch als vermeintliches Merkmal des Verhaltensunrechts – sollte nicht ablenken. Eine Steigerung des Normbruchs im strafrechtlichen Sinne bzw. der Verletzung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses lässt sich hierdurch nach dem Gesagten nicht begründen. Ferner ergibt sich hieraus nicht unweigerlich ein zu stark limitiertes Verständnis von Recht, das dessen notwendiger Interpersonalität nicht hinreichend Rechnung trage.533 Wie gezeigt, begrenzt sich das hiesige Straftatverständnis nicht auf die rein äußere Freiheitsverletzung des Opfers. Der Normbruch vereint stets subjektive und objektive Elemente. Trotz der Relevanz subjektiver Merkmale steht die Einbeziehung der Tätergesinnung im Strafrecht aber auf einem anderen Blatt geschrieben. Vorliegend konnte sie in strikter Orientierung am straftheoretischen Fundament für die Elemente der Straftat ausgeschieden werden. Am hier vertretenen Schuldverständnis, das die Fähigkeit zum Andershandeln im Kontext eines
529 Köhler, AT, S. 23 verweist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr, dass das den Allgemeingeltungsanspruch des Rechts negierende Verhalten des Täters „zum normativen Vorbild für künftige Handlungen und Haltungen, sei es des Täters, sei es anderer“ werde. Indes stehen hinter solcher Angst vor der Verbreitung von für schädlich befundenen Ideologien reine – positiv generalpräventive – Gefährlichkeitserwägungen, die nicht im Strafrecht realisiert werden können und sollen. 530 Siehe zu dieser Formulierung auch Köhler, AT, S. 23 f. 531 Vgl. zum straftheoretischen Inhalt des Verhaltensnormverstoßes oben B. II. 1. a). 532 Siehe B. I., II. 2., III. 2. 533 Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 476 f.
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konkreten Verhaltensnormverstoßes zum Gegenstand hat, vermögen die Ausführungen Kelkers nicht zu rütteln. Deren Schuldverständnis muss jedenfalls hinsichtlich des dortigen Stellenwerts der Gesinnung zur Wahrung der notwendigen Grenzziehung gegenüber dem Polizeirecht abgelehnt werden.
3. Schuldminderung bei anstößiger Gesinnung Der Gesinnung könnte aber unter einem anderen Blickwinkel im Rahmen der Schuld – verstanden als Fähigkeit zum Andershandeln – Bedeutung beigemessen werden.534 So wurde an früherer Stelle betont, dass die Geisteshaltung der Person unter anderem aufgrund des Strebens nach individueller Selbstverwirklichung Potential zur Verhaltensmotivation aufweist.535 Dabei kann die Gesinnung derart ausgeprägt sein, dass deren Abweichung von der gesellschaftlichen Norm ihrem Inhaber im verhaltensrelevanten Zeitpunkt nicht vor Augen tritt, er sich mithin des Unrechts seines Tuns bzw. Unterlassens nicht bewusst wird. Statistisch wohl häufiger ist denkbar, dass die Person die Andersartigkeit ihrer Wertehaltung gegenüber dem allgemein gesellschaftlich Erwarteten zwar erkennt, sich dennoch aber ihrer nicht mit hinreichender Durchsetzungskraft erwehren kann – der die wertwidrige Gesinnung in die Tat Umsetzende mithin in gewissem Umfang zum „Sklaven seiner selbst“ verkommt. Nicht ausgeschlossen werden kann also – in Abweichung von der oben aufgestellten Grundregel der potentiellen Abkehr von der eigenen Geisteshaltung in Gestalt der rechtlich erwünschten Tat –, dass es Personen gibt, denen es schwerer als anderen fällt, die Entstehung einer spezifischen Gesinnung zu vermeiden bzw. sie anschließend in den relevanten Situationen zu unterdrücken. Im Vergleich zu den bislang behandelten Fällen desjenigen, der vollumfänglich „Herr seiner Sinne“ ist und das Unrecht seiner Tat in jeder Hinsicht zu erfassen sowie nach der entsprechenden Einsicht zu handeln vermag, kann gegenüber den voranstehend genannten Personen nicht in gleichem Maße ein strafrechtlicher Vorwurf formuliert werden. Im Gegenteil muss hier die eingeschränkte Normbefolgungsfähigkeit bzw. Unrechtseinsicht strafmildernd berücksichtigt werden.
534 Der nachfolgende Gesichtspunkt einer etwaigen Beschränkung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht aufgrund einer erheblich ausgeprägten, wertemäßig abweichenden Gesinnung hätte bereits im Rahmen des Unrechts als Frage eines etwa nachvollziehbaren Grundes für das Verhalten, der also eine Minderung der individuellen Infragestellung des Rechts nach sich zieht, diskutiert werden können. Indessen ergibt sich für die Beurteilung dieser Thematik hier wie da keine abweichende Argumentation, sodass die Erörterung durchaus (erst) an dieser Stelle erfolgen kann. Siehe zur Relevanz der Stufenfrage bereits oben Einleitung zu C. 535 Zu diesem Punkt bereits oben A. III., B. III. 2. a).
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a) Schuldminderung aufgrund eingeschränkter Normbefolgungsfähigkeit Die Einschränkung der Normbefolgungsfähigkeit wird insbesondere auch in den Fällen des Gewissenstäters problematisiert.536 Dessen Überzeugung von der Richtigkeit spezifischer Entscheidungsparameter, die ihm in einer bestimmten Situation vorschreiben, anders zu handeln, als es das Recht vorsieht, kann die individuelle Möglichkeit zu normkonformem Verhalten erschweren. Der innere Motivationsdruck des Gewissenstäters, sein Verhalten notfalls gegen das Recht an seinen persönlichen Wertmaßstäben auszurichten, kann eine Zwangslage begründen, die dem Betreffenden die Umsetzung der rechtlichen Verhaltensnormen über Gebühr erschwert.537 Sofern damit die Fähigkeit zur Normbefolgung massiv aufgrund des Gewissensdrucks des Einzelnen beeinträchtigt ist, kann der Schuldvorwurf nicht mehr in vollem Umfang erhoben werden. Im Gegenteil ist jedenfalls von eingeschränkter Schuld der Person auszugehen.538 Zwar könnte die Besonderheit von Gewissenstaten darin liegen, dass allein die Verhaltensmaßstäbe des Gewissens einen zwingend verpflichtenden Charakter aufweisen.539 Sonach unterschieden sich Gewissenstaten von Überzeugungsbzw. Gesinnungstaten im Ausmaß der Erschwerung normkonformen Verhaltens,
536 Vgl. zu den unterschiedlichen Spielarten der rechtlichen Behandlung von Gewissenstaten statt aller Frisch, Schroeder-FS, S. 11 ff. 537 Kritisch freilich Roxin, GA 2011, 1, 9, 15, der die Erschwerung der Normbefolgung durch den „Zwang“ des Gewissens als unvereinbar mit dessen Charakter eines Ausdrucks freier seelischer Selbstbestimmung erachtet. Indessen ist gerade auch die freie Entscheidung zur künftigen – grundsätzlichen – Selbstbindung Ausdruck individueller Freiheit. Der Streitpunkt erinnert insofern an die allgemeine Fragestellung der Determiniertheit menschlichen Verhaltens. So konnte bereits oben A. (insbesondere:) VI. die Vorzugswürdigkeit eines Konzepts bedingter Freiheit herausgearbeitet werden. Die Möglichkeit des Einzelnen zu punktuellen Abweichungen von der persönlichen Vorentscheidung, die in seinem Gewissen zum Ausdruck kommt, unterstreicht vor diesem Hintergrund gerade dessen Freiheit. Eben jene ist stets eine bedingte, die in Abhängigkeit von individuellen Entscheidungen und Prägungen steht. Die Bindungskraft des Gewissens und deren freiheitliche Entstehung bilden damit gerade kein Gegensatzpaar, sodass auch eine Einschränkung der Normbefolgungsfähigkeit des Einzelnen – unabhängig von außerdem denkbaren Fällen prinzipiell eingeschränkter Freiheit aufgrund spezifischer Defekte – durch den unbedingt verpflichtenden Charakter des Gewissens nicht ausgeschlossen ist. 538 Im Einzelfall und unter spezifischen Voraussetzungen will Frisch, Schroeder-FS, S. 11, 25 ff. auch eine vollständige Exkulpation zulassen. – Mit abweichender – primär am Kriterium der „präventiven Bestrafungsnotwendigkeit“ orientierten – Argumentation vertritt auch Roxin, GA 2011, 1, 10 ff. im Ergebnis eine „Schuldlösung“. Eine solche deliktssystematische Kategorie, die ausschließlich der Prävention verschrieben ist, lässt sich bereits mit dem hiesigen Strafzweckkonzept nicht in Einklang bringen, sodass hierauf unter Verweis auf die voranstehenden Ausführungen zu einem präventionsfreien Strafrecht nicht weiter eingegangen wird. Kritisch zur Konzeption Roxins auch Figueiredo Dias, Roxin-FS, S. 531, 542. 539 Siehe Figueiredo Dias, Roxin-FS, 531 f.; Frisch, Schroeder-FS, S. 11, 13 m.w. N.; Roxin, GA 2011, 1, 3.
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da der innere Motivationsdruck des Gewissens über denjenigen von Gesinnungen hinausginge. Dem scheint auf den ersten Blick der Umstand entgegenzustehen, dass das Gewissen sein „Programm“ von der Einstellung der Person zu bestimmten Werten ableitet. Damit besteht immerhin eine tiefe Verwobenheit beider Phänomene, die eine Ungleichbehandlung in Frage stellt.540 Die Grenzen zwischen einer Gewissens- und einer Gesinnungsentscheidung scheinen zudem angesichts des ohnehin graduellen Merkmals des Ausmaßes einer Erschwerung von Normkonformität eher schwimmende zu sein. Die abschließende Klärung jener These kann aber im hiesigen Kontext ausbleiben, steht doch jedenfalls eines fest: Sofern die Normbefolgungsfähigkeit des Einzelnen aufgrund eines inneren Motivationsdrucks real gehemmt ist, kann ihm gegenüber nicht in vollem Umfang ein Schuldvorwurf formuliert werden. Freilich ist es eine Frage des Einzelfalls, wann die Erschwerung rechtlich richtigen Verhaltens durch das Vorhandensein abweichender sittlicher Maßstäbe der Person die rechtliche Schuldbewertung beeinflusst. Hier sind Unterscheidungen geboten, die sich daran bemessen können, in welchem Umfang das Gewissensgebot berührt ist bzw. davon bei rechtlich gebotenem Verhalten abgewichen werden müsste und wie dringlich sich seine Umsetzung für den Betreffenden darstellt.541 Dass ein solches Ausmaß des inneren Entscheidungsdrucks bei Vorliegen einer spezifischen Gesinnung erreicht wird, ist jedenfalls nicht ausgeschlossen. Daher kann auch in Fällen der Gesinnungstat nicht ohne Weiteres die Möglichkeit verminderter Schuld aufgrund einer erheblichen Einschränkung der Normbefolgungsfähigkeit ausgeschlossen werden. Ist damit indes die Schuldrelevanz der Gesinnung letztlich doch – jedenfalls in Gestalt von Milderungsvarianten – bewiesen? Die Antwort muss auch hier negativ ausfallen. Zwar kann bei oberflächlicher Betrachtung die Gesinnung der Person in den Fokus rücken – bei genauerem Hinsehen verbleibt von ihr jedoch nicht mehr als in den bislang behandelten Fällen: So ist es im Eigentlichen nicht die Gesinnung, die in solchem Fall den Betreffenden von der Einsicht in das Unrecht seiner Tat ablenkt: Ihre Entstehung selbst bzw. jedenfalls die Unfähigkeit, sich ihrer zu erwehren, kann Ausdruck eines habituellen Defizits der Person sein, das etwa in psychischen Defekten seine Ursache finden mag.542 Der Gesinnung kommt insoweit kein eigenständiger Bedeutungsgehalt als Schuldmilderungsgrund zu: Die Ursache für die Einschränkung der Fähigkeit zum Andershandeln liegt in den oben beschriebenen Fällen allein in den psychischen Dispositionen
540
Siehe bereits oben A. V. Frisch, Schroeder-FS, S. 11, 26 ff. 542 Zum habituell bedingten Defizit als die Schuld begrenzendem Faktor siehe Freund, AT, § 4 Rn. 22; Frisch, Müller-Dietz-FS, S. 237, 257. Siehe auch BGHSt 16, 360 363 f.; NStZ 1984, 548, 548, StV 2003, 669; Fischer, StGB, § 46 Rn. 27; MK/ Franke, § 46 Rn. 30; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rn. 16. – Vgl. zur Schwierigkeit, eine einmal ausgebildete Gesinnung durch eine rechtmäßige Einstellung zu kompensieren, bereits Berger, Gesinnungsmoment, S. 187 f.; Köhler, AT, S. 359 f. 541
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des Betreffenden, die ihm die Unrechtseinsicht hinsichtlich des eigenen Verhaltens bzw. die Normbefolgungsfähigkeit erschweren. Die Ausprägung der Gesinnung mag insofern abschließend Beleg eines habituellen Defizits sein und insoweit kann die Gesinnung ihrerseits auch als dessen Verdachtsmoment fungieren. Sie selbst ist es aber nicht, die eine Einschränkung der Schuld des Täters bedingt. Der Blick hat sich erneut auf die allein relevante Fähigkeit des Täters zum Andershandeln sowie dessen Unrechtseinsichtsmöglichkeiten zu richten, die durch psychische Defekte der Person eingeschränkt sein können. In der Sache handelt es sich daher um eine Ergänzung der oben bereits als Milderungsgründe des maximalen Verhaltensnormverstoßes erarbeiteten Fallgruppen. Die Normbefolgungsfähigkeit sowie die Möglichkeit zur Unrechtseinsicht des Täters können bei Vorliegen eines habituellen Defizits, das sich gerade auch durch eine massive psychische Drucksituation angesichts der Existenz abweichender Wertemaßstäbe begründen lässt, entscheidend eingeschränkt sein. Unter dieser Voraussetzung kann aber nicht von dem Maximalmaß des denkbaren Verhaltensnormverstoßes ausgegangen werden. Das Strafmaß muss entsprechend gemildert werden.543 b) Schuldminderung aufgrund eingeschränkter Unrechtseinsicht Bezüglich der Einschränkung der Unrechtseinsicht weisen diejenigen Fälle eine ähnliche Problematik auf, in denen der Täter in einer Wertewelt aufgewachsen ist, die von der allgemein anerkannten abweicht und nachhaltig seine Fertigkeiten in der Einschätzung von Recht und Unrecht geprägt bzw. aus rechtlicher Sicht gestört hat. Entsprechende Konstellationen sind insbesondere unter dem Etikett der „Ehrenmorde“ 544 publik geworden, wenngleich als Täter des hier gemeinten Problemkreises des kulturell abweichenden Unrechtsverständnisses nicht ausschließlich solche in Betracht zu ziehen sind, die archaische bzw. patriarchalische Strukturen als maßgebliche Lebensformen erfahren haben.545 Als „Brut543
Vgl. dazu oben C. III. 2. b). Schwierigkeiten wirft bereits die klare Skizzierung des mit solchem Terminus umschriebenen Verhaltens auf, vgl. Valerius, JZ 2008, 912, 913. Für die vorliegende Untersuchung kann indes aufgrund der intendierten strafrechtlichen Gleichbehandlung der Fälle abweichender Prägung von Wertevorstellungen unter Anwendung des § 17 von einer präzisen inhaltlichen Bestimmung abgesehen werden. 545 Die vieldiskutierte Frage, ob die kulturellen Wurzeln der „Ehrenmorde“ im Islam zu finden sind, ist hier nicht zu entscheiden. Vgl. dazu aber Erbil, Ehrenmörder, S. 224 ff.; Pohlreich, Ehrenmorde, S. 40 ff. sowie S. 55 ff. zum Honour-Shame-Syndrome als denkbare kulturelle Wurzeln von Ehrenmorden im mediterranen Raum. Die Theorie des Honour-Shame-Syndrome beruht auf der Annahme, dass in praktisch allen Teilen des Mittelmeerraumes die Ehre des Mannes sowie der ganzen Familie in Abhängigkeit von der sexuellen Reinheit der ihnen angehörenden Frauen steht. Frauen gelten in diesem Kulturkreis als unbeherrscht in ihrem Drang zu Sexualität, sodass sie der strengen Überwachung seitens ihrer Männer bedürfen. Eine Ausformung dieser kulturellen Erscheinung will Pohlreich, Ehrenmorde, S. 72 ff. im französischen „crime passionnel“ (Deliktsbegehung infolge eines Leidenschaftsausbruchs) erblicken, das bis 544
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stätte“ solcher Personen sind hingegen auch andere Submilieus mit stark abweichenden Wertekodizes denkbar – etwa am ganz rechten bzw. ganz linken Rand der Gesellschaft.546 Von vornherein wird die Thematik der aus Ehrgründen oder anderen Überzeugungen begangenen Delikte daher nicht auf den Bereich „kulturell“ 547 abweichend geprägter Personen begrenzt. Insbesondere vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des Verbots der Diskriminierung von Personen kann es nicht überzeugen, Strafmilderungsvarianten allein fremdkulturell verhafteten Ausländern zuzugestehen.548 Geboten ist vielmehr eine homogene Betrachtung derjenigen Fälle, in denen dem Täter aufgrund seiner Sozialisation – sei es, dass diese im In- oder Ausland stattgefunden hat – die Einsicht in den jeweiligen Wertekodex erschwert ist. Eine Zuschreibung von Vernunftbegabung allein gegenüber Einheimischen und gleichzeitige Annahme unmündiger Verhaftung von Ausländern innerhalb ihrer kulturellen Wurzeln (die gleichsam stets in Abhängigkeit vom Herkunftsland als für jeden Betreffenden völlig gleichlaufend und als statisches Phänomen festgeschrieben werden) kann nicht überzeugen. Dies wird neben der Schieflage eines solchen Bildes ausländischer Personen weiter durch die evidente Missbrauchsanfälligkeit eben solcher Vorgehensweise unterstrichen. Das Berufen auf einen irgendwie gearteten kulturellen Hintergrund sowie die sich dann anschließenden
heute trotz Aufhebung der entsprechenden Vorschrift offenbar als ungeschriebener Strafmilderungsgrund fungiert. Mit Blick auf den Islam tragen dessen unterschiedliche Strömungen sowie die teils stark voneinander abweichenden Interpretationen in der Übersetzung der arabischen Sprache (vgl. zu einem Beispiel Pohlreich, Ehrenmorde, S. 43 m. Fn. 77) erheblich dazu bei, dass im Ergebnis kaum ein klares Bild zu zeichnen ist. Für die anstehende Untersuchung kommt es auf solche Ursachenforschung indes nicht an. Allein maßgeblich ist, dass menschliche Gemeinschaften existieren, deren Angehörige ein erheblich von der „westlichen“ Wertewelt abweichendes Unrechtsempfinden aufweisen können. Sollte ein Täter aus einem entsprechenden Umfeld stammen, kann seine Fähigkeit, das Unrecht seiner Tat nach hiesigen Maßstäben einzuschätzen, eingeschränkt sein. 546 Vgl. auch Pohlreich, Ehrenmorde, S. 271. 547 Dem Begriff wird hier das wohl herkömmliche Verständnis zugrunde gelegt, das Submilieus zunächst keinen eigenständigen kulturellen Wert beimisst. Hingegen lassen die gängigen Definitionen des in Rede stehenden Terminus’ in ihrer Offenheit bereits auch solchen Schluss zu, sodass selbst kriminelle Vereinigungen sich letztlich auf ihren kulturellen Charakter berufen könnten. Zu Recht stellt Pohlreich, Ehrenmorde, S. 254 ff. daher fest, dass eine Orientierung des Strafrechts an solcher Kategorie wenig Trennschärfe verspricht und daher abzulehnen ist. – Zum Begriff der Kultur vgl. auch Hilgendorf, JZ 2009, 139, 140. 548 Insofern macht es entgegen Fischer, StGB, § 211 Rn. 29 ff. m.w. N. auch keinen Unterschied, ob die Tradition bzw. das Recht im Heimatland des Betreffenden überhaupt noch mit dessen Wertvorstellung im Einklang steht. Der Blick richtet sich ausschließlich auf das Individuum, das in abweichenden Wertkodizes aufgewachsen ist und aus diesem Grund in seiner Unrechtseinsicht eingeschränkt sein kann. Hieran sind nunmehr allgemeine Maßstäbe des Strafrechts anzulegen, das sich also nicht auf die Durchleuchtung der Spezifika einzelner Kulturkreise bzw. fremder Rechtssysteme einlassen muss.
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diffusen Fragen des Status quo der Integration549 des Betreffenden müssen weiter ins Leere und insbesondere an den Vorgaben des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG vorbeiführen. Auch der Wunsch nach erfolgreicher Integration550 der hinzukommenden Ausländer ist im Wege unreflektierter Toleranz gegenüber allem Andersartigen nicht nachhaltig zu forcieren.551 Was daher ausschließlich Anwendungsgerechtigkeit in der Behandlung entsprechender Fallgruppen verspricht, ist eine individualisierende Schuldbetrachtung im konkreten Fall, für die bereits § 17 hinreichendes Rüstzeug bereitstellt.552 So lassen sich in Literatur und Rechtsprechung im Versuch der Berücksichtigung individueller Täterspezifika zahlreiche Tendenzen erkennen, die für die Gesinnung des Täters als Ausdruck seiner abweichenden Lebensauffassung Milderungsvarianten im Strafmaß andenken.553 Indes muss hier stärker differenziert werden. So handelt es sich nicht unweigerlich um eine gegenüber der oben dargestellten deckungsgleiche Konstellation. Denkbar ist zwar, dass auch der in einem Submilieu aufgewachsene Täter einem habituellen Defizit unterlegen ist und daher nur begrenzt bzw. gar nicht dazu in der Lage ist, die Abweichung seiner Wertehaltung und der darin begründeten rechtswidrigen Tat von der gesellschaft549 Wann ist von einem für die Möglichkeit strafrechtlich erforderlicher Unrechtseinsicht notwendigen Maß an Integration auszugehen? – Die bisherigen Versuche, eine klare Antwort hierauf zu geben, mussten ob der offenkundig stark vom Individuum und konkreten Einzelfall abhängigen Beurteilung solcher Fragestellung von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Vgl. Pohlreich, Ehrenmorde, S. 260 ff. Zu (vermeintlichen) Anhaltspunkten gelungener Integration siehe MK/Schneider, § 221 Rn. 95. 550 Ausflüsse mangelnder Internalisierung hiesiger Wertvorstellungen als Strafmilderungsgrund heranzuziehen, lädt geradezu zur Nichtbefassung mit dem Wertekodex des Aufenthaltslandes ein, Pohlreich, Ehrenmorde, S. 268. 551 Siehe zu weiterer Kritik Pohlreich, Ehrenmorde, S. 226 ff., 258 ff., 262 f., 266 ff., 269 ff., 272 ff., 280 ff.; MK/Schneider, § 211 Rn. 94. Vgl. auch Erbil, Ehrenmörder, S. 75 ff., 82 ff.; Grünewald, NStZ 2010, 1, 4 ff., 8 f.; Hilgendorf, JZ 2009, 129, 144; Rohe, JZ 2007, 801, 805. 552 Den Lösungsweg über die Vorgaben des § 17 wollen auch Laubenthal/Baier, GA 2000, 205 ff.; Valerius, JZ 2008, 912, 918 beschreiten. Jedenfalls prinzipiell will sich dem auch Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 59 f. anschließen, der indes Bedenken hegt, dass der Rückgriff auf die allgemeinen strafrechtsdogmatischen Kategorien in Fällen der anderskulturell bedingten Straftatbegehung das Vertrauen in das System unvertretbar erschüttern könnte. – Abgelehnt wird hier hingegen der Vorschlag Erbils, Ehrenmörder, S. 80 ff. zur Schaffung eines speziellen Strafzumessungsgrundes, der den ethnisch-kulturellen Hintergrund des Täters berücksichtigen soll. Bei konsequenter Anwendung des § 17 ist eine entsprechende Regelung überflüssig. 553 Im Hinblick auf die Thematik der „Ehrenmorde“ wird dieser Aspekt maßgeblich vor dem Hintergrund der Frage nach dem Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes bei einem Täter, dessen kulturelle Verhaftung bei ihm offenbar ein abweichendes Wertebewusstsein bedingt hat, diskutiert. Vgl. dazu die zahlreichen Beispiele der Nachsicht mit fremdkulturellen Tätern in der Rechtsprechung angeführt bei Pohlreich, Ehrenmorde, S. 216 ff., 221 ff. Siehe zur Kritik auch Küper, JZ 2006, 608, 610. Eine Übersicht der für die Mordproblematik relevanten Themenkreise findet sich bei Erbil, Ehrenmörder, S. 90 ff.; MK/Schneider, § 211 Rn. 92 ff.; Valerius, JZ 2008, 912, 914 ff.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
lichen Norm zu erkennen. In solchem Fall liegt die Ursache einer Milderbestrafung bzw. für die Straflosigkeit des Betreffenden in seinem die individuelle Schuld reduzierenden bzw. aufhebenden psychischen Defizit. Hiervon kann aber nicht grundsätzlich ausgegangen werden. Im Gegenteil liegt der Schwerpunkt der Bewertung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht des Betreffenden darin, ob bzw. in welchem Umfang ihm – die geistige Gesundheit vorausgesetzt – abverlangt werden konnte, sich die gesellschaftlichen Werte zu vergegenwärtigen und sein Handeln danach auszurichten.554 Auf diese Weise wird in Ansatz gebracht, in welchem Maß dem Täter die Sozialisation in dem betreffenden Wertedenken möglich gewesen ist. Der Täter soll sich nicht stets mit der Konsequenz der Strafmilderung oder Straffreiheit darauf berufen können, in einem abweichenden kulturellen Umfeld aufgewachsen zu sein. So muss jedenfalls der Bedeutungsgehalt solchen Einwandes für die strafrechtliche Würdigung des konkreten Falls kritisch beurteilt werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass selbst dem in einem subkulturellen Milieu Aufgewachsenen die totale Abschottung gegenüber dem übrigen Teil der Gesellschaft und deren Wertevorstellung kaum gelingen kann. Die Einbindung in Schule bzw. Erwerbstätigkeit, der allumfassende Einfluss von Medien etc. macht es schier unmöglich, sich gänzlich von allem anderen loszusagen. Insofern lässt sich die durch persönliche Prägung vollkommen aufgehobene Unrechtseinsicht allein auf die seltenen Fälle begrenzen, in denen eine Person gerade neu in einer von seinem bisherigen Leben stark abweichenden Gesellschaftsform angekommen ist (frisch Immigrierte).555 In allen anderen Konstellationen ist mit der vor dem Hintergrund der fortdauernden Verhaltensnormgeltung gebotenen Strenge zu verfahren.556 Denn jedenfalls was die Grundwerte des gesellschaftlichen Zusammenlebens angeht, ist jedem Mitglied der Gemeinschaft eine entsprechende Bemühung um die hinreichende Kenntniserlangung abzuverlangen und stellt insoweit keine unüberwindbare Schwierigkeit dar.557
554 Vgl. unter Heranziehung einer Fülle weiterer Argumente Pohlreich, Ehrenmorde, S. 226 ff., 235 f., 258 ff., 269 ff., 280 ff. 555 Wie hier Laubenthal/Baier, GA 2000, 205, 220 f.; Pohlreich, Ehrenmorde, S. 280; MK/Schneider, § 211 Rn. 95; Valerius, JZ 2008, 912, 918. Über diesen Zeitraum hinaus wird das Berufen auf einen „Culture Shock“, der die Einfügung in den neuen Kulturkreis erschwert, nicht zu berücksichtigen sein. So auch Pohlreich, Ehrenmorde, S. 260 f., Heine, Tötung, S. 275; Saliger, StV 2003, 21, 25; MK/Schneider, § 211 Rn. 95. 556 Zu Recht lehnt Pohlreich, Ehrenmorde, S. 283 den Vorschlag Laubenthals/Baiers, GA 2000, 205, 221 ab, eine weitere Ausnahme bei solchen Personen anzunehmen, die unter „besonders großer Scheu vor dem Fremden“ leiden. Die relative Offenheit solcher Formulierung lädt erneut zu weiträumigen Ausnahmekonstellationen ein. 557 Weiter zu diesem Argument i.R. der dogmatischen Behandlung sogenannter „Ehrenmorde“ vgl. ausführlich Laubenthal/Baier, GA 2000, 205, 220; Pohlreich, Ehrenmorde, S. 280 ff.; Puppe, Rudolphi-FS, S. 231, 239 f. sowie allgemein SK/Rudolphi, 37. Lfg. Okt. 2002, § 17 Rn. 26 ff., 31 ff., 44 ff.
V. Zusammenfassendes Ergebnis zur Gesinnung als Element der Straftat
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Ein weniger strenges Verfahren in der Beurteilung der individuellen Schuld einer Person, die in Orientierung an den abweichenden Wertekodizes seiner Subkultur aufgewachsen ist, birgt hingegen die stete Gefahr der Auflösung des grundlegenden Geltungsanspruchs des Rechts im gesellschaftlichen Miteinander.558 In letzter Instanz würden die Grundfesten der Rechtsordnung zur Disposition des Einzelnen gestellt, was Systemwidrigkeit offenbarte. Dies hätte unweigerlich auch den Vertrauensverlust der grundsätzlich im hiesigen Wertesystem verfestigten Gesellschaftsmitglieder in die Geltungskraft der strafrechtlichen Verhaltensnormen zur Folge. Allein die unverbrüchliche und allgemeine Gültigkeit von Verhaltensnormen garantiert deren fortdauernden Bestand, sodass von Ausnahmen, die etwa bestimmte Subkulturen oder anderes Milieudenken zum Gegenstand haben, unbedingt Abstand zu nehmen ist. Geltung entfaltet daher gegenüber jedem Rechtsteilnehmer in gleichem Maße die Vorschrift des § 17 mit der Fragestellung, ob dem Täter die Einsicht, Unrecht zu tun, abverlangt werden konnte. Dabei ist es erneut nicht die Gesinnung, die eine abweichende Beurteilung der Schuld des Täters hervorzurufen vermag. Ihr Stellenwert ist allenfalls auf die Indizfunktion für eine potentielle Einschränkung der Unrechtseinsicht begrenzt. Es bleibt dabei: Der Gesinnung wird im Rahmen der Schuld kein legitimer Spielraum zugestanden.
V. Zusammenfassendes Ergebnis zur Gesinnung als Element der Straftat Dem Stellenwert der Gesinnung in einem freiheitlichen Strafrecht entsprechend konnte in diesem Abschnitt die Gesinnungsabstinenz der Straftatkategorien herausgearbeitet werden. Die Grenzen der grundsätzlichen Graduierbarkeit des Verhaltensnormverstoßes enden damit vor der Einbeziehung der Tätergesinnung. Letztere weist keinen legitimen Stellenwert im hier zugrundegelegten Verständnis der Straftatkategorie des zu verantwortenden Verhaltensunrechts (nebst Folgen) auf. Danach ist der Maximalverstoß strafrechtlicher Verantwortlichkeit in einem Verhaltensnormverstoß zu sehen, den der Täter ohne das Vorliegen eines sachgerechten (Milderungs-)Grundes vorgenommen hat. Die so umschriebene Vollform des personalen Verhaltensunrechts ist allenfalls durch Milderungsvarianten nach unten zu graduieren. Der vorgeschlagene Perspektivenwechsel schafft den Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts aus der Welt. Es stellt sich dann ausschließlich die Frage, ob Milderungsmöglichkeiten in Betracht kommen, die in Gestalt eines in gewissem Maße nachvollziehbaren Grundes zur Deliktsbege-
558 Siehe auch Grünewald, NStZ 2010, 1, 4 f., 8 f.; Pohlreich, Ehrenmorde, S. 269 ff., 271 ff., 274 ff., 281 ff. In diese Richtung auch Hilgendorf, JZ 2009, 139, 141.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
hung auftreten können. Im Verhaltensunrecht wird der Gesinnung kein legitimer Stellenwert beigemessen. Selbst das ideelle Unrechtsverständnis der Infragestellung der konkret übertretenen Verhaltensnorm ist vor den Gefahren der Fehlinterpretation und des damit einhergehenden Einsickerns spezialpräventiver Gefährlichkeitsabwehr nicht gänzlich gefeit. Entsprechende Bedenken können aber auch nicht durch abweichende Unrechtsbegriffe aus der Welt geschafft werden. Einen absoluten Schutz vermag die reine Terminologie nicht zu leisten, selbst wenn sich diese in bestmöglicher Form dem Sachgedanken annähert. Wer es bewusst auf die fehlerhafte Interpretation eines Straftatelements abgesehen hat, wird sich seinen Irrweg ohne Zögern bahnen. Der ideelle Unrechtsbegriff lädt hierzu jedenfalls weder ein noch provoziert er in irgendeiner Form das Abweichen vom straftheoretischen Grundkonzept. Im Gegenteil ist die Überlegenheit des Unrechtsverständnisses der Infragestellung der konkret übertretenen Verhaltensnorm gerade in dessen Aufforderung zur notwendigen normativen Rückbesinnung im Umgang mit spezifischen Verhaltensmerkmalen und der Ermahnung zur steten Vergewisserung über die Grunddeterminanten eines freiheitlichen Strafrechts zu sehen, was sich nicht zuletzt in der zutreffenden Ausscheidung der Gesinnung aus den Elementen der Straftat gezeigt hat. Die Gesinnung beeinflusst zudem nicht die Fähigkeit des Täters zum Andershandeln. Alternative Schuldverständnisse können ihr spezialpräventives Erbe nicht abschütteln. Zur Vermeidung von Systemwidrigkeiten dürfen sie in einem freiheitlichen Strafrecht keine Bedeutung entfalten. Es kommt eine Einschränkung der Normbefolgungsfähigkeit bzw. der Unrechtseinsicht jedenfalls bei jenen in Betracht, denen die Abkehr vom „inneren Programm“ der Gesinnung beispielsweise aufgrund eines habituellen Defizits erschwert ist. Hier wie da ist es aber nicht die Gesinnung, die Unrecht oder Schuld zu beeinflussen zu vermag. Die Straftatkategorien bleiben frei von jedwedem spezialpräventiven Element.559
VI. Schlussfolgerung für das Verhältnis der Tötungsdelikte Das zur generellen Graduierbarkeit der maßgeblichen Straftatkategorien Gesagte lässt sich im Wesentlichen auf die Straftatbestände des Besonderen Teils des geltenden StGB übertragen. Ohne hingegen an dieser Stelle den Anspruch auf abschließende Würdigung sämtlicher in diesem Zusammenhang ins Blickfeld rückender Tatbestände zu stellen, soll jedenfalls derjenige Teilbereich einer ein559 Gemeint ist dabei – wie die bisherige Untersuchung zeigt – der Ausschluss spezialpräventiv motivierter Eingriffe (die der Gefahrenabwehr dienen) unter dem Deckmantel der Strafe mit dem Ziel, den Missbrauch des Instituts Strafe zu verhindern. – Spezialpräventiv motivierte Angebote, die der Resozialisierung dienen, sind gelegentlich eines als Strafe legitimierten Eingriffs selbstverständlich möglich.
VI. Schlussfolgerung
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gehenden Überprüfung unterzogen werden, der wesentliche Fragestellungen berührt, mit denen sich auch die eigene Untersuchung beschäftigt. Der Fokus richtet sich daher auf den Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte, bei denen angesichts der Merkmale des § 211 besonders häufig die Begründung einer Unwertsteigerung gegenüber § 212 in der subjektiven Einstellung des Täters zu seiner Tat gesehen wird.560 Zwar lässt sich nicht einem jeden Mordmerkmal berechtigterweise die Kritik entgegenhalten, dieses erfasse unzulässig die Gesinnung des Täters. Dennoch handelt es sich bei § 211 um diejenige Vorschrift des geltenden StGB, die offenkundig der Einstellung des Täters bei Tatbegehung Raum bietet. Dabei fällt auf, dass jedenfalls in breiten Teilen der Literatur solche Elemente zur Begründung eines gesteigerten Unwerts des Mordes gegenüber dem Grundtatbestand des Totschlags herangezogen werden. Will man jedoch § 211 als eine über das Grunddelikt des „normalen“ Totschlags – insbesondere aufgrund einer unwertigen Gesinnung des Täters – hinausgehende Vorschrift verstehen, ist darin ein Widerspruch gegenüber dem bislang zur Graduierbarkeit der Straftatkategorien Gesagten zu sehen. Unter dieser Voraussetzung wäre die Vereinbarkeit der gesetzlichen Normierung der Tötungsdelikte mit der hier vertretenen Konzeption, nach der das Maximalmaß des denkbaren Verhaltensnormverstoßes bei einer Verwirklichung des deliktsspezifischen Unrechts ohne sachgerechten Grund angenommen wird, zu hinterfragen. Indes setzt dies voraus, dass den Vorschriften der §§ 211, 212 das Verständnis eines prinzipiell gemeinsamen Unrechtskerns zugrunde gelegt werden kann. Sofern hingegen § 211 eigenständiges Unrecht verkörperte, liefe der Vorwurf systemwidriger Steigerung des Normbruchs über sein Maximalmaß hinaus ins Leere. So vertrat der Bundesgerichtshof für das Verhältnis der vorsätzlichen Tötungsdelikte jedenfalls lange Zeit unzweifelhaft die Ansicht, § 211 stelle einen selbstständigen Tatbestand mit spezifischem, von § 212 abweichendem Unrechts-
560 Vgl. dazu die Darstellung bei Eser, Gutachten, D 33, 159 ff., 163 ff. m.w. N. Indes ergibt sich aus der gesetzlichen Fassung des § 211 nicht ohne Weiteres die Orientierung an dem Leitziel einer verwerflichen Gesinnung, sodass in Abweichung davon nicht selten die Gefährlichkeit des Täters als Qualifizierungsprinzip des § 211 angeführt wird. So auch AE-Leben, GA 2008, 193, 216. – Die Relevanz des Streits relativiert sich jedoch angesichts des gemeinsamen spezialpräventiven Kerns beider „Prinzipien“. Die verwerfliche Gesinnung des Täters lässt sich in ihrer rechtlichen Relevanz allein auf spezialpräventive, die Gefährlichkeit der Person betreffende Überlegungen reduzieren. Vor diesem Hintergrund stellte sich das Leitziel des § 211 gemessen an den dargestellten Vorschlägen (eine Ausnahme wäre für diejenige Auffassung zu formulieren, die das gesteigerte Unrecht des Mordes in der Gefährlichkeit der konkreten Begehungsform eruiert) in jedem Fall spezialpräventiv dar – ein Befund, der in besonderer Deutlichkeit die Notwendigkeit des Umdenkens im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte anmahnt (siehe dazu insbesondere Esers, Gutachten, D 171 ff. eigene Lösung, die für den Mordparagraphen einen rein präventiv ausgerichteten Regelbeispielskatalog vorschlägt). Vgl. dazu noch weiter im Text. Zur Kritik siehe auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 50 ff.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
gehalt dar.561 Dem steht jedoch entgegen, dass § 211 auch das Vorliegen des grundsätzlichen Tötungsunrechts in Gestalt der Vernichtung menschlichen Lebens verlangt.562 Das von Seiten der Rechtsprechung ebenfalls angenommene erhöhte Maß an Unrecht, das § 211 verkörpere, begründet für sich genommen noch nicht den genuin eigenen Charakter des Mordes. Vielmehr wird von Seiten der Literatur hieraus die Schlussfolgerung abgeleitet, dass es sich beim Mord um einen Qualifikationstatbestand gegenüber dem Grundtatbestand des Totschlags handele.563 Hierfür spricht jedenfalls, dass der BGH ersichtlich in anderen Fällen der Qualifikation gegenüber dem einschlägigen Grundtatbestand in Form eines Unrechtsplus ebenfalls keinen eigenständigen Charakter solcher Vorschriften annimmt. Darüber hinaus bedingt die höchstrichterliche Annahme einer tatbestandlichen Eigenständigkeit des § 211 Friktionen im Bereich der Teilnahmestrafbarkeit.564 Ungereimtheiten entstehen hier beispielsweise in den Fällen des zum Totschlag Anstiftenden, der eine höhere Strafe zu erwarten hat als derjenige, der zwar zum Mord angestiftet, nicht aber in eigener Person das personenbezogene Mordmerkmal verwirklicht hat. Des Weiteren lässt sich kaum erklären, weshalb das beim Teilnehmer vorliegende personenbezogene Mordmerkmal nur dann Relevanz entfalten soll, wenn der Haupttäter sich ebenfalls wegen Mordes strafbar macht. Auch der Verweis auf die Gesetzesterminologie, deren Differenzierung von Mörder und Totschläger auf die im Nationalsozialismus wurzelnde Tätertypenlehre zurückgeht, kann hier kein anderes Ergebnis befördern.565 Die vorsätzlichen Tötungsdelikte fußen daher grundsätzlich auf demselben Unrechtskern. Die Frage nach der systematischen Stimmigkeit der gesetzlichen Konzeption tritt erneut auf den Plan und harrt ihrer Lösung. Zur Erinnerung: Nach dem bislang Gesagten ist eine Steigerung des Maximalmaßes eines denkbaren Normbruchs, das in der sachlich ohne Milderungsgrund begangenen Tat zu sehen ist, nicht möglich, sofern es um das vorsätzlich-schuldhafte Tötungsunrecht geht. Es fragt sich aber, ob die hier zugrundegelegte Vorstellung der Graduierbarkeit der Straftatkategorien nicht doch mit der momentanen Gesetzesfassung in Einklang zu bringen ist. In solchem Gedankenexperiment könnte – entgegen der weit verbreiteten Auffassung in der Literatur566 – § 211 und daher gerade nicht § 212 den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötungsdelikte ausmachen. 561 Vgl. BGHSt 1, 368, 370; 2, 251, 254 f., 22, 377 ff., 50, 1, 5. Mittlerweile lassen sich Äußerungen des BGH in diesem Kontext zunehmend als Versöhnung mit der allgemeinen Literaturmeinung lesen. Siehe dazu die umfassenden Nachweise und ergänzenden Erläuterungen bei Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 145 m. Fn. 3. 562 Eser, Gutachten, D 37 f.; MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 138. 563 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 3, 5; SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 2; LK I/Jähnke, Vor § 211 Rn. 39; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 22; Küper, JZ 1991, 910 ff.; MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 133, 135 ff., 138 f. 564 Eser, Gutachten, D 57 f.; MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 139. 565 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. §§ 211 ff. Rn. 6; Küper, JZ 1991, 910, 912; MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 138.
VI. Schlussfolgerung
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Fälle des maximalen Verhaltensnormbruchs wären dann stets unter § 211 zu subsumieren, während § 212 bereits einen privilegierten Fall der Tötung eines Menschen darstellte. Dafür ließe sich etwa der Wortlaut des § 212 ins Feld führen. Als Totschläger wird danach bestraft, wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein. Die hervorgehobene Formulierung wird in breiten Teilen der Literatur als Ausdruck gesteigerten Unwerts des Mordes gegenüber dem Totschlag verstanden. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Jedoch impliziert solche Gesetzesinterpretation nicht den Ausgangspunkt der Steigerung. Dass § 212 den Grundtatbestand und damit die Basis potentieller Steigerung ausmacht, ergibt sich daraus nicht zwingend. Im Gegenteil ließe sich die Gesetzesfassung an dieser Stelle auch so verstehen, dass § 212 eine mildere Unwertstufe gegenüber § 211 darstellt, der dann also den Ansatzpunkt der Graduierung ausmacht. Mit dem angestellten Perspektivenwechsel ist die gesetzliche Fassung insoweit in Einklang zu bringen: Der Blick richtet sich nicht mehr vom Totschlag nach oben, sondern vielmehr vom Mord nach unten. Zudem lassen sich die übrigen gesetzlich normierten Vorschriften aus dem Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte hiermit vereinbaren: Zunächst zwingt der Wortlaut der strafzumessungsrechtlichen Vorschrift des § 213 nicht zu der Annahme, bei § 212 handele es sich um den Grundtatbestand vorsätzlicher Tötungsdelikte. Hingegen sind selbst weitergehende Milderungsvarianten des ohnehin gegenüber dem Maximalmaß des Normverstoßes gemilderten Falles denkbar. Auch § 216 bietet kein anderes Bild. Als Privilegierung ist die Vorschrift noch unter dem Gewicht des geminderten Totschlags einzustufen. Die momentane Fassung des § 216 steht damit ihrerseits nicht der Beurteilung des § 212 als Milderungsvariante gegenüber dem Grundtatbestand des § 211 entgegen. Trotz grundlegender Vereinbarkeit der Gesetzesfassung mit dem hiesigen Verständnis der Graduierbarkeit der Straftatkategorien fragt sich, ob nicht dennoch berechtigte Einwände gegen die momentane Normierung der vorsätzlichen Tötungsdelikte erhoben werden können, die eine Neufassung nahe legen. Ins Gewicht fällt dabei, dass eine Vielzahl der Mordmerkmale des § 211 erheblichen Bedenken ausgesetzt ist, die insbesondere die Nähe zu einem unzulässigen Gesinnungsstrafrechts rügen.567 Doch auch unter anderem Blickwinkel erfreut sich 566 Vgl. oben Fn. 563. Wie hier hingegen mit umfassender, überzeugender Argumentation Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 368 (3. Kapitel, C.), 370 m.w. N. in Fn. 1044. 567 So erklärt sich auch die (spezial-)präventive Auslegung des Mordparagraphen bzw. jedenfalls einzelner Mordmerkmale durch mehrere Autoren. Vgl. Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 19 ff.; Eser, Gutachten, D 171 ff.; Woesner, NJW 1980, 1136, 1139. Auch Heine, Tötung, S. 220 ff. gelingt es in letzter Instanz nicht, die vorab geäußerte, zutreffende Kritik an einer Ausrichtung der Mordmerkmale an der Tätergefährlichkeit (S. 199 ff.) konsequent umzusetzen. Sein eigener Rekurs auf das Kriterium der Einstellung des Täters, die sich in seinen Motiven offenbaren müsse, um den Mordunwert zu begründen, läuft letztlich auf eine (nicht nur generalpräventive [S. 202 ff., 215 ff.], son-
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
manches Mordmerkmal allenfalls verminderter Beliebtheit. So lässt sich die erhebliche Unwertigkeit, die mit einer heimtückischen Tötung einhergehen soll, kaum mehr proklamieren, wenn eine solche das einzige Mittel des Schwachen zur Tötung des Stärkeren darstellt und im Übrigen gewichtige Milderungsaspekte eine Rolle spielen.568 Ferner ist die Motivgeneralklausel der sonstigen niedrigen Beweggründe aufgrund ihrer Konturenlosigkeit, die gerade angesichts der maximalen Strafdrohung des § 211 besonders verheerende Folgen zeitigen kann, Zweifeln ausgesetzt. Die Problematik verschärfend wirkt sich in diesem Zusammenhang insbesondere die in der Rechtsprechung vorherrschende Annahme aus, die Mordmerkmale stellten zwingende und abschließende Regelungen dar, die sich jedweder Flexibilität, wie sie etwa eine „Typenkorrektur“ 569 offerierte, sperrten.570 Die Wahrung der Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG in diesem besonders sensiblen Bereich des Strafrechts wird daher mit Vehemenz eingefordert.571 Von primärer Bedeutung in der Frage nach der Notwendigkeit einer Neufassung der vorsätzlichen Tötungsdelikte dürfte indes sein, dass die momentane gesetzliche Lage wenig Flexibilität in der Beurteilung des Einzelfalls einräumt. Die durch festgeschriebene Mordmerkmale eintretende Formalisierung bedingt einen Verlust an Individualgerechtigkeit, der angesichts der erheblichen Strafdrohung kaum zu ertragen ist. So bewirkt einerseits die Exklusivität der Mordmerkmale, dass diejenigen Fälle, deren Unwert das Maximalmaß eines denkbaren Verstoßes gegen das Tötungsverbot bilden, aber keines der gesetzlich vertypten Merkmale verwirklicht, als minder schwerer Fall – Totschlag – eingestuft werden müssten. Und auch in umgekehrte Richtung erlaubt die jetzige gesetzliche Regelung wenig Spielraum für im Einzelfall gerechte Lösungen: Ist ein spezifisches Mordmerkmal formal erfüllt, wird die (zusätzlich) zwingend erforderliche Frage nach dem Fehlen von Milderungsgründen, die dennoch die Annahme eines verminderten schuldhaften Verhaltensnormverstoßes bedingen können, jedenfalls nach den Vorgaben des BGH572 nicht mehr gestellt.573
dern) spezialpräventive Argumentation hinaus (Vgl. zum Zusammenhang von Gesinnung und Tätergefährlichkeit bereits oben B. III. 2. a.). – Zur Kritik siehe Beckmann, GA 1981, 337, 339, 344; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 52 ff.; Haas, Weber-FS, S. 235, 248 f.; Hörnle, JZ 1999, 1080, 1088 f.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 456; Lampe, Das personale Unrecht, S. 258 ff. 568 AE-Leben, GA 2008, 193, 213; Eser, Gutachten, D 44 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 125, 135; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 20 m.w. N.; Woesner, NJW 1980, 1136, 1138. 569 Vgl. dazu Schönke/Schröder/Eser, § 211 Rn. 10; SK/Horn, 50. Lfg. April 2000, § 211 Rn. 6; Rieß, NJW 1968, 628, 630 m.w. N. 570 Siehe dazu BGHSt 3, 186; 9, 389; 11, 143; 28, 79. 571 Eser, Gutachten, D 39 ff. Vgl. auch Hörnle, JZ 1999, 1080, 1088 f. 572 Zur Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit durch Vermeidestrategien der Tatgerichte gegenüber dem Absolutheitsanspruch der Mordmerkmale vgl. Beckmann, GA 1981, 337, 340 f.; Eser, Gutachten, D 54 ff.
VI. Schlussfolgerung
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Nach dem bislang Gesagten erscheint eine Neufassung der Tötungsdelikte vorzugswürdig.574 Die hier favorisierte Lösung soll in der gebotenen Kürze skizziert werden. Vorgeschlagen wird die Beibehaltung der terminologischen Differenzierung von Mord und Totschlag, die gerade der sozialethischen Beurteilung vorsätzlicher Tötungsdelikte innerhalb der Bevölkerung entspricht. In § 211 soll als Mord jede ohne Milderungsgrund begangene, vorsätzliche Tötung mit lebenslanger Freiheitsstrafe575 sanktioniert werden.576 Wegen Totschlags macht sich strafbar, wer das Leben eines anderen vorsätzlich vernichtet, aber aus spezifischen Gründen nicht das Maximalmaß des Normbruchs verwirklicht. Zur besseren Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen die vorsätzliche Tötung des anderen Menschen noch „zwischenmenschliche Begreiflichkeit“ 577 hervorrufen kann, kann eine Regelbeispielstechnik herangezogen werden, die insbesondere die in diesem Kontext notwendige Flexibilität in der Beurteilung verschiedener Fälle aufweist. In den besagten Regelkatalog könnten auch die bislang in § 213 genannten Konstellationen problemlos aufgenommen werden.578 § 216 erlangt dabei nach wie vor insofern eigenständige Bedeutung neben den so zu fassenden
573 AE-Leben, GA 2008, 193, 212 f.; Beckmann, GA 1981, 337, 343; Eser, Gutachten, D 39, 44 ff., 47 ff. („Isolierte Verabsolutierung einzelner Erschwerungsgründe ohne Rücksicht auf etwaige entlastenden Momente“), 52 ff., 88 f., 99 ff.; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 25. 574 Für eine Neufassung plädieren – wenngleich in der konkreten Umsetzung von dem eigenen Vorschlag abweichend – auch AE-Leben, GA 2008, 193 ff.; Beckmann, GA 1981, 337 ff.; Eser, Gutachten, D 97 ff., 106 ff., 123 ff.; Schönke/Schröder/Eser, §§ 211 ff. Rn. 2 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 383 ff.; Hörnle, JZ 1999, 1080, 1089; Lackner/Kühl, Vor § 211 Rn. 25. – Eine ausführliche Darstellung der denkbaren Regelungsalternativen bieten Eser/Koch, ZStW 92 (1980), 491 ff. 575 Denkbar erscheint auch, der lebenslangen Freiheitsstrafe als zusätzliche Sanktionsvariante eine zeitliche Freiheitsstrafe im Mordparagraphen anbei zu stellen. Hiermit ist indes in Abweichung von Eser, Gutachten, D 154 ff., 192 f. nicht gemeint, dass innerhalb des Mordes ebenfalls eine Graduierung (bei Eser anhand des Kriteriums der gefährlichen Einstellung gegenüber Leib und Leben) vorgenommen werden soll. Die Abstufung, die eine lebenslange Freiheitsstrafe im Mordparagraphen offerierte, sollte lediglich Fälle des § 21 erfassen. Für sämtliche anderen Formen des verminderten verschuldeten Normbruchs muss hingegen die Vorschrift des § 212 gereichen. Anderenfalls wird – unter der Hand – erneut Dreistufigkeit erzielt. 576 Vgl. dazu, dass sich das Wertbewusstsein der Allgemeinheit nicht auf die Abstufung des Mordtatbestands, doch aber auf die Höchststrafe richtet, Eser, Gutachten, D 104. In der Folge ist von einem Perspektivenwechsel in der „Stufenfrage“ keine Erschütterung der Beurteilung des Lebens als höchstes Gut zu erwarten. Weitere Gründe für die Beibehaltung der bisherigen Terminologie auch innerhalb eines zweistufigen Modells nennt Eser, Gutachten, D 121 f. Zur Kritik an der lebenslangen Freiheitsstrafe vgl. aber Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 16 ff. 577 Die Begrifflichkeit wird von Eser, Gutachten, D 139 zur Kennzeichnung des Toleranzmaßstabs, der für die Beurteilung des Vorliegens der Vollform bzw. geminderten Form der vorsätzlichen Tötung heranzuziehen ist, verwendet. 578 Vgl. ausführlich den Vorschlag Esers, Gutachten, D 141 ff. zur Neufassung des Totschlagsparagraphen.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
§§ 211, 212, als es darin nicht um Fälle der Tötung gegen oder ohne den Willen des Betreffenden geht. Erfasst sind hingegen all jene Situationen, in denen eine Übereinstimmung der Tötungshandlung mit dem Willen des Getöteten vorliegt, was die Beibehaltung einer selbstständigen Vorschrift legitimiert. Sachlich dürfte in den Fällen des § 216 ein das (Tötungs-)Tatunrecht modifizierender Aspekt erfasst sein.579 Dass bei der Überlegung, ob das Maximalmaß des für das Tötungsunrecht denkbaren Verhaltensnormverstoßes erfüllt ist, solche Erwägungen ebenfalls eine Rolle spielen dürften, die bislang zur Begründung eines Mordmerkmals herangezogen wurden, steht dem nicht entgegen. Im Gegenteil zeigt sich daran, dass auch schon bisher zur Begründung des § 211 das Vorliegen eines maximalen Normbruchs vorausgesetzt wurde, der bei Erfülltsein eines Mordmerkmals häufig – aber eben nicht ausnahmslos580 – angenommen werden kann. Nicht ganz ausgeschlossen ist daher, dass Regelbeispiele des maximalen Verstoßes gegen das Tötungsverbot ins Gesetz aufgenommen werden. Hier wäre ganz besonders auf die Vereinbarkeit des Regelbeispiels mit den Grunddeterminanten eines freiheitlichen Strafrechts zu achten: Schlechte Gesinnungen können zur Begründung des Maximalmaßes des denkbaren Verhaltensnormverstoßes nicht hinreichen. Die vorgeschlagene Neufassung trägt damit der Individualgerechtigkeit Rechnung und ermöglicht flexible Lösungen in Abkehr vom reinen Formalismus sowie der Exklusivität von Mordmerkmalen. Die darin auch systematisch zum Ausdruck kommende Annahme, dass grundsätzlich jedwede Auslöschung menschlichen Lebens das Maximalmaß des denkbaren Normbruchs ausmacht, wird gerade dem erhöhten Stellenwert des Lebens als rechtliches Schutzgut gerecht. Der Gesetzeslage gelingt es nicht hinreichend, die Bedeutung des Lebens als höchstes Rechtsgut der geltenden Rechtsordnung herauszustellen.581 Soll nicht der Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Menschen missachtet werden, muss von der Annahme der Existenz „normaler“ Fälle der Tötung, die § 212 unterfallen sollen, Abstand genommen werden. Die Tötung eines Menschen erfüllt in unse-
579 Zur Problematik des dem § 216 inhärenten Paternalismus im Sinne eines Übereilungsschutzes vgl. Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 36 f.; Müller, § 216 als Verbot, S. 61 ff., 79 ff., 102 ff.; MK/Schneider, § 216 Rn. 2 ff. 580 Besondere Vorsicht ist angeraten bezüglich der künftigen Heranziehung solcher Umstände zur Begründung der Vollform des Tötungsunrechts, die auch bislang allein unter spezialpräventiven Gesichtspunkten Bedeutung erlangen konnten. Die explizite Abkehr der vorgeschlagenen gesetzlichen Neufassung von den bisherigen Mordmerkmalen schärft insoweit das Bewusstsein für die Notwendigkeit der alleinigen Orientierung an im strafrechtlichen Kontext legitimen Erwägungen – Spezialprävention soll unter dem Deckmantel des Mordparagraphen künftig nicht mehr betrieben werden können. 581 AE-Leben, GA 2008, 193, 196, 206; Arzt, ZStW 83 (1971), 1, 12 f.; Eser, Gutachten, D 37 ff., 97 f. Vgl. auch Haas, Weber-FS, S. 235, 248.
VI. Schlussfolgerung
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rer Rechtsordnung den höchsten Unwert.582 Der Gedanke, dass von diesem Ausgangspunkt aus allenfalls eine Graduierung nach unten denkbar ist, entspricht insbesondere dem exklusiven Stellenwert des Lebens in der menschlichen Gemeinschaft. Eben jener Erkenntnis über den herausgestellten Rang des Rechtsguts Leben wird trotz guter Ansätze letztlich selbst der Alternativ-Entwurf Leben (AELeben) nicht gerecht. Dieser tritt zwar mit dem Vorsatz an, die Vernichtung menschlichen Lebens auch durch die Gesetzesfassung als „per se das höchste weder qualifizierbare noch quantifizierbare Erfolgsunrecht“ herauszustellen. Aus diesem Grund soll im AE-Leben der Mord in § 211 künftig als Grundtatbestand fungieren, während schuldgeminderte vorsätzliche Tötungen nach § 212 als Totschlag bestraft werden.583 Dennoch findet sich im AE-Leben die Überzeugung davon, dass das Tötungsunrecht für eine Steigerung nach oben keinen Raum lässt, nicht mit der gebotenen Konsequenz wieder. So soll danach im Rahmen des § 211 eine Differenzierung im Strafmaß erfolgen, wonach mit lebenslanger Freiheitsstrafe allein solche vorsätzlichen Tötungen geahndet werden, die „besonders erhöhtes Unrecht“ verwirklichen. Eben jenes soll erfüllt sein, „wenn nach außen hin eine über die individuelle Tötung hinausgehende Bedrohung der Lebenssicherheit der Bevölkerung in Rede steht. Eine solche Bedrohung“ liege ihrerseits vor, „wenn jeder Bürger zum Opfer werden könnte und deshalb durch die Tat zum Ausdruck kommt, dass der Rechtswert Leben als solcher in Frage gestellt wird.“ So sei „infolge des sozialpsychologischen Eindrucks der Beliebigkeit der Tat (. . .) eine Zunahme der Kriminalitätsfurcht in der Bevölkerung zu besorgen.“ 584 Es bietet sich damit folgendes Bild: Die nach momentaner Gesetzeslage zu vollziehende Graduierung zwischen Mord und Totschlag wird lediglich auf die Ebene des Mordparagraphen verschoben. Die gewünschte Symbolkraft der Maximalbestrafung ungeminderten Tötungsunrechts reduziert sich damit auf das reine Etikett des Mordes. In der Sache findet auch hier eine Abschichtung nach Unrechtsspezifika statt, die ihrerseits den Blick nach oben richtet. So aber kann es nicht gelingen, dem Rechtsgut Leben des konkreten Opfers seinen unverbrüchlichen höchsten Stellenwert im Wege der Gesetzestechnik einzuräumen. In konsequenter Umsetzung dieser eigens formulierten Zielsetzung hätte vielmehr die – hier vorgeschlagene – Höchstbestrafung des maximalen Verhaltensnormverstoßes im Mord mit einer festen Höchststrafe erfolgen müssen. Es
582 Es überzeugt daher beispielsweise nicht die Annahme Heines, Tötung, S. 213 ff., 218, 220 ff., Mord und Totschlag anhand des Nachdrucks zu unterscheiden, mit dem der Täter den Rechtswert Leben degradiere. Das von ihm umschriebene, den Mord ausmachende Gerieren „als absoluter Herrscher über Leben und Tod“ seitens des Täters kennzeichnet doch gerade jede Form der Auslöschung eines Menschenlebens durch einen anderen. 583 AE-Leben, GA 2008, 193 ff. 584 AE-Leben, GA 2008, 193, 210. In diese Richtung auch Heine, Tötung, S. 215 ff.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
fragt sich angesichts solcher Konsequenz des AE-Leben, was denn durch solche Umetikettierung vor dem Hintergrund der Bedeutung des Lebens in unserer Rechtsordnung gegenüber der momentanen Gesetzeslage gewonnen ist? Der nachgeschobene Hinweis, es handele sich eben systematisch doch um eine sogenannte „unechte Dreistufigkeit“ wirkt dann eher wie ein leises Schuldeingeständnis. Und noch ein Weiteres ist unter dem Blickwinkel des Stellenwerts des Lebens in der Rechtsordnung am AE-Leben kritisch hervorzuheben: So verwundert, dass die Bedeutung des menschlichen Lebens nach dem Vorschlag des Arbeitskreises AE offenbar in Abhängigkeit von der öffentlichen Wahrnehmung des Tötungsverhaltens stehen soll. Kaum anders lässt es sich verstehen, wenn proklamiert wird, höchstes Unrecht liege erst bei einer „Bedrohung der Lebenssicherheit der Allgemeinheit“ vor. Für eine solche positiv generalpräventive Anreicherung des Rechtsguts Leben besteht aber gar kein Anlass. Dass der „Rechtswert Leben als solcher in Frage gestellt wird“, verdeutlicht doch jedwedes ohne Milderungsgründe verwirklichte Tötungsunrecht, nicht aber allein ein solches, das von der Allgemeinheit als besonders erschütterndes wahrgenommen wird. Es kann auch nicht grundsätzlich als Milderungsgrund herangezogen werden, dass die konkrete Tat keine Kriminalitätsfurcht der Bevölkerung hervorruft – dies rückte das Individualrechtsgut Leben in die Richtung eines Kollektivguts: Eine Vorstellung, die ob ihrer Überbetonung des Kollektivgedankens und des einhergehenden, gegenüber der Allgemeinheit verminderten Stellenwerts des individuellen Lebens unter keinen Umständen haltbar ist.585 Selbstredend schwingen an dieser Achillesferse des AE-Leben zudem Erwägungen mit, die eine Verhängung der Höchststrafe von spezialpräventiven Gesichtspunkten abhängig machen wollen: Ein besonders gefährlicher Täter wird als größere Bedrohung der Lebenssicherheit der Bevölkerung empfunden werden. Eingeräumt wird dann auch die „Argumentationsnähe zur Sicherungsverwahrung“, die aber durch eine „Rückbindung an
585 Eine gewisse Relativierung erfährt die Annahme des AE-Leben, höchstes Unrecht stünde in Abhängigkeit von der Lebenssicherheit der Allgemeinheit, letztlich durch die Wahl der Regelbeispiele, die in weiten Teilen vorrangig nicht aufgrund ihrer Erschütterung der Bevölkerung (hierbei wird es sich allenfalls um einen Reflex auf das Höchstmaß denkbaren Tötungsunrechts handeln) zu Recht maximales Tötungsunrecht umschreiben. Dennoch sind die gefährlichen Tendenzen, die eine Abhängigkeit des Unrechtsverständnisses von kollektiven Bedrohungsängsten mit sich bringt, gerade bei einer Regelbeispielstechnik nicht zu unterschätzen, sodass die adäquate Lösung der Frage, wann von dem Maximalmaß des denkbaren Verhaltensnormverstoßes ausgegangen werden kann, nicht einfach auf die kollektive Meinung verschoben werden darf. – Ohnedies zeigt sich anhand der Exegese der im AE-Leben vorgeschlagenen Regelbeispiele des § 211, dass Fehler der Vergangenheit, die sich in der Kritik an dem Mangel eines echten Leitprinzips in der momentanen Gesetzesfassung äußern, seinerseits durch die Vermengung von präventiven Überlegungen mit Verwerflichkeitsgedanken nicht einwandfrei vermieden werden können. Dies wird indes jedenfalls offengelegt, vgl. AELeben, GA 2008, 193, 221.
VII. Hasskriminalität als neue Erscheinungsform gesinnungsgeleiteter Taten 207
eine Unrechtserhöhung (. . .), die in der Tat zum Ausdruck gekommen und vom Täter verschuldet sein muss“, vermieden werde.586 Wenn aber das besondere Unrecht, das nach dem AE-Leben die lebenslange Freiheitsstrafe rechtfertigen soll, bereits maßgeblich durch präventive Kategorien geprägt ist, kommen doch Zweifel an der Eignung solcher Rückbindung zur Korrektur präventiver Einflüsse auf. Der Seitenblick auf den Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte hat damit eines verdeutlicht: Die Frage der Graduierbarkeit von Unrecht und Schuld setzt sich in der Systematik der Deliktstatbestände im Besonderen Teil des StGB fort. Wenngleich die momentane Fassung der vorsätzlichen Tötungsdelikte mit dem hiesigen Konzept in Einklang zu bringen ist, bietet sich zur Umsetzung der straftatsystematischen Erwägungen sowie der Herausstellung des Lebens als zentrales Rechtsgut der geltenden Rechtsordnung eine Neunormierung nach den hier skizzierten Vorgaben an. Dabei kann es nicht darum gehen, bisherige Graduierungstechniken lediglich in neue Gewänder zu kleiden: Nicht die Etikettierung als Mord entspricht dem hervorgehobenen Stellenwert des Lebens als Rechtsgut. Vielmehr muss die Erkenntnis, dass in vollem Umfang erfasstes Tötungsunrecht bei uneingeschränkter Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten per se eine Steigerung nach oben nicht zulässt, auch gesetzestechnisch umgesetzt werden. Dies ist allein durch einen Grundtatbestand des Mordes, der maximale Verstöße gegen das Tötungsverbot mit der Höchststrafe ahndet, sowie die Schaffung einer Privilegierung in Form des Totschlagsparagraphen denkbar.
VII. Hasskriminalität als neue Erscheinungsform gesinnungsgeleiteter Taten – Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sonderdogmatik? Auch in die deutsche Debatte ist längst die Frage der angemessenen Behandlung solcher Delikte eingekehrt, die im angloamerikanischen Raum bereits seit den frühen 1980er Jahren unter der Bezeichnung hate crime bzw. hate speech zum oftmals polarisierenden Gegenstand strafrechtlicher und verfassungsrechtlicher Diskussionen erwachsen sind.587 Als Hasskriminalität bzw. Vorurteilskriminalität588 werden im Deutschen Verbrechenserscheinungsformen benannt, die sich im Wesentlichen dadurch kennzeichnen, dass sie aus einer fremdenfeind586
AE-Leben, GA 2008, 193, 210. Zur historischen Entwicklung der hate crime-Gesetzgebung in den USA siehe Seehafer, Strafrechtliche Reaktionen, S. 40 ff. Vgl. auch Rössner, Primäre Prävention, S. 8 f. 588 Vgl. zur Vorzugswürdigkeit des Terminus der Vorurteilskriminalität, der nicht auf die alleinige Berücksichtigung der Tatmotivation begrenzt ist, Rössner, Primäre Prävention, S. 8. Vorliegend sollen die Begrifflichkeiten synonym verwendet werden. 587
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
lichen Motivation heraus begangen werden. Zum Anlass für den Angriff auf sein Opfer wählt sich der Täter dessen So-Sein, sodass in seiner Tat die Abneigung gegenüber der Andersartigkeit des Opfers zum Ausdruck kommt. Unterdessen gestaltet sich bereits das Finden einer einheitlichen Begriffsdefinition der besagten Deliktskategorie als schier undurchführbares Unterfangen. So bietet sich etwa hinsichtlich des ins Blickfeld gerückten Personenkreises – stets in Abhängigkeit von der jeweiligen Schwerpunktsetzung589 – eine breite Vielzahl an Begriffselementen, die mal einen weiteren, mal einen engeren Terminus der Hasskriminalität nahelegen. An dieser Stelle soll nicht vertieft auf solch definitorische Streitigkeiten eingegangen werden, ist sich doch daraus im hiesigen Kontext kein weitergehender Erkenntnisgewinn zu erhoffen.590 Jedenfalls wird die besondere Verwerflichkeit von Hassdelikten allgemein in der (abwertenden) Haltung des Täters gegenüber seinem Opfer, die ihn zur Tat angetrieben hat, gesehen. Der Bereich der Gesinnungen ist sonach berührt, sodass die rechtliche Behandlung von Hassdelikten auch Bedeutung für die eigene Untersuchung entfalten kann. Die Befürworter einer Sonderstellung von Hassdelikten im Strafrecht berufen sich auf deren spezifischen Unwert, der eine Einordnung in die bisherigen strafrechtlichen Kategorien nicht zulasse.591 Was an der Verwirklichung eines Hassdelikts besonders erschüttert, ist die offensichtliche Grundlosigkeit des Angriffs auf das Opfer, das geradezu wahllos – allein wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe – ausgewählt worden ist. Die psychische Verarbeitung des Geschehenen durch das Opfer des Hassdelikts ist insbesondere dadurch erschwert, dass es die Gründe des Angriffs ganz offensichtlich nicht beeinflussen kann und daher auch in Zukunft weitere Übergriffe auf seine Person bzw. andere Mitglieder seiner Gruppe befürchten muss. Außerdem kommt Hassdelikten eine gesteigerte Symbolkraft gegenüber den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft zu, bringt der Täter durch sein Verhalten doch seine Abneigung gegenüber der ge589 Seehafer, Strafrechtliche Reaktionen, S. 51 ff. zeigt auf, dass in den USA die Bildung des Begriffs der hate crimes entscheidend vom Einfluss der jeweiligen Interessengruppen abhing, sodass beispielsweise im Entwurf des Hate Crime Prevention Act of 1999 die Aufnahme der Merkmale der sexuellen Orientierung, des Geschlechts und der Behinderung erst nach erheblichem Einsatz nationaler Zivilrechtsgruppen erfolgt ist. 590 Eine ausführliche Darstellung der Wesensmerkmale eines Begriffs der Hasskriminalität sowie der damit einhergehenden Schwierigkeiten findet sich bei Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 31 ff.; Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 9 ff. (eigene Definition auf S. 53 ff.); Rössner, Primäre Prävention, S. 8 ff. Siehe auch Blake, Law and Philosophy 20 (2001), 121, 123 f., 131 ff., 135 ff. 591 Eine Übersicht der Argumentationslinien zur Begründung des spezifischen Unwerts von Hassdelikten liefern Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 110 ff.; Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 74 ff.; Rössner, Primäre Prävention, S. 8 ff.; 128, 131 ff. (der sich indes – wie hier – gegen eine Sonderdogmatik für Vorurteilskriminalität ausspricht). Siehe außerdem Altman, Law and Philosophy 20 (2001), 141, 164 ff.; Blake, Law and Philosophy 20 (2001), 121, 131 f.; Kaplan, Liverpool Law Rev (2008) 29, 37, 39 ff.; Reichard, Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten, S. 30 ff.; Seehafer, Strafrechtliche Reaktionen, S. 68 ff.
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samten Personengruppe, der das Opfer angehört, zum Ausdruck. Hierin liegt die Drohung an bisher nicht belangte Angehörige dieser Gruppe, künftig gar in eigener Person gefährdet zu sein. Ohnedies haftet Straftaten, denen eine gegen Fremde gerichtete Gesinnung zugrundeliegt, eine besondere Gefährlichkeit für ihre Opfer an, da damit zu rechnen ist, dass ein fremdenfeindlich motivierter Täter sein Opfer mit gesteigerter Brutalität angreifen werde. In der Folge könnten Mitglieder der betroffenen Personengruppe, sollte der Staat nicht mit besonderer Vehemenz gegen solche Taten vorgehen, ihr Vertrauen in die Sicherheit verlieren, die ihnen die Rechtsordnung gewährleisten soll. Zuletzt verstoßen Straftaten, die fremdenfeindlich motiviert sind, in erheblichem Maße gegen den einem freiheitlichen Gemeinwesen als Kernprinzip zugrunde liegenden Gleichheitsgrundsatz und stellen damit eine besonders verwerfliche Form der Diskriminierung dar, die nach der Auffassung der Vertreter einer Sonderdogmatik für Hassdelikte auch darauf spezifisch Bezug nehmende, strafrechtliche Reaktionen erforderlich mache. In dem einschlägigen US-amerikanischen Schrifttum fungieren die damit eingeführten wesentlichen Erwägungen einer Sonderstellung von Hassdelikten zur Begründung gesteigerten Unrechts bzw. gesteigerter Schuld des Täters. In der Konsequenz wurden in der Vergangenheit in sämtlichen Bundesstaaten der USA sowie auf Bundesebene Gesetze erlassen, die eine besondere Vorgehensweise gegen hate crime und hate speech veranlassen.592 Wenngleich eine Vielzahl an Gesetzen, die hate speech als verbalisierte Fremdenfeindlichkeit verbieten, aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der freien Meinungsäußerung des Ersten Verfassungszusatzes durch den Supreme Court als verfassungswidrig erklärt wurde, konnten sich hate-crime-Gesetze selbst vor dem höchsten Verfassungsorgan der USA behaupten,593 sodass einer Bestrafung von Tätern nach hate crime-Gesetzen grundsätzlich nichts im Wege steht. Dabei finden sich in den unterschiedlichen Bundesstaaten der USA verschiedenste Spielarten solcher Gesetze. Zu denken ist dabei an Strafschärfungsvorschriften (Sentence Enhancement), unabhängige Tatbestände, die ein Verhalten, das von einer Hassmotivation begleitet ist, verbieten, sowie die Einführung besonders schwerer Fälle eines herkömmlichen Delikts. Allerdings ist in der inneramerikanischen Diskussion die Kritik an solchen Vorschriften keineswegs abgebrochen.594 Diese entbrennt im Wesentlichen an 592
Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 59 ff. m.w. N. Vgl. die Nachweise bei Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 49 ff. 594 Vgl. den Überblick bei Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 130 ff.; Altman, Law and Philosophy 20 (2001), 141, 156 ff.; Redish, Criminal Justice Ethics 1992, S. 29, 37 ff. Siehe ferner zu einer Kritik auch aus dem deutschsprachigen Schrifttum Baldus, Hate Crime, S. 17 ff., 51; Seehafer, Strafrechtliche Reaktionen, S. 70 ff., 107. 593
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Fragen der Beschneidung des Grundsatzes der freien Meinungsäußerung des Ersten Verfassungszusatzes, der im US-amerikanischen Recht einen besonders exponierten Stellenwert einnimmt. So rügte der Supreme Court mit Blick auf hate speech-Gesetze mehrfach die unzulässige Verletzung der Meinungsfreiheit, was Gegner der hate crime-Gesetzgebung auch auf diesen Bereich übertragen wollen. Des Weiteren böten hate crime-Gesetze aufgrund der damit einhergehenden Beweisschwierigkeiten in der Praxis ein nicht erwünschtes Einfallstor für Verdachtsstrafen. Ferner lasse die Bestimmtheit der einzelnen Vorschriften gegen hate crimes oftmals zu wünschen übrig, was Rechtsunsicherheit nach sich ziehe. Zwar stelle der Schutz vor Diskriminierung ein Verfassungsgut von höchstem Rang dar; ein strafrechtliches Schutzgut sei darin indes nicht ohne Weiteres zu erkennen. Zuletzt wird mit besonderer Eindruckskraft die Technik des „secondary harm“ kritisiert, die die Verunsicherung der Gruppe als eigenständiges Rechtsgut von hate crimes statuiert. Angesichts einer gestiegenen Anzahl von Delikten, die aus einer fremdenfeindlichen Motivation begangen werden, ist auch hierzulande der Ruf nach dem Gesetzgeber in den letzten Jahren lauter geworden.595 Dabei wird mehrfach betont, dass die bisherigen normativen Reaktionsmöglichkeiten auf Hasskriminalität als weitgehend unbefriedigend empfunden werden. So haben u. a. die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt eigene Gesetzesanträge im Bundesrat eingebracht, die einen Spiegel der Gesetzgebungstechnik zu den hate crimes im USamerikanischen Recht darstellen.596 Darin wird unter anderem vorgeschlagen, einen neuen § 224a (Körperverletzung aus niedrigen Beweggründen) einzuführen, der als weitere Qualifikation des Grundtatbestandes der Körperverletzung mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren geahndet werden soll. Ferner enthalten die Entwürfe eine Änderung der §§ 46 Abs. 2 S. 2, 47 Abs. 1, wodurch rassistisch begründete Straftaten als besondere Straftaten eingestuft bzw. der rassistische Beweggrund als erschwerender Strafzumessungsfaktor seitens der Gerichte berücksichtigt werden müsste. Zudem ist an den Entwürfen grundsätzlich das Bestreben zu erkennen, die Ermittlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit rassistisch motivierten Straftaten über das bisher mögliche Maß zu erweitern. Hassdelikte werden folglich auch in der deutschen Rechtsordnung zunehmend als Sonderkonstellation erachtet, die eines von sonstigen Straftaten differenzierten Verfahrens bedürfe. Im vorliegenden Kontext fragt sich daher, ob anhand der bislang entwickelten, allgemeinen Regeln der Behandlung von Straftaten, die durch eine anstößige Gesinnung motiviert sind, eine angemessene 595 Die empirischen Daten zeichnet Seehafer, Strafrechtliche Reaktionen, S. 10 ff. nach. Zur allgemeinen Stimmung eines Handlungsbedarfs in Sachen Hasskriminalität siehe das Expertenhearing „Hasskriminalität“, http://www.mdj.brandenburg.de/sixcms/ media.php/4055/Zusammenfassung_Hasskriminalit%C3%A4t_kurze%20Version.pdf. 596 BR-Drs. 16/10123; BR-Drs. 572/07; BR-Drs. 577/00. Vgl. zu weiteren Gesetzesvorschlägen in diesem Kontext Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 59 ff.
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Würdigung sogenannter Hasskriminalität zu leisten ist. Zu diesem Zweck werden die seitens der Vertreter einer Sonderdogmatik von Hassdelikten ins Feld geführten Argumente einer näheren Betrachtung unterzogen. Bei Lichte besehen lässt sich das Plädoyer für solche Sonderdogmatik auf wenige diskussionswürdige Gesichtspunkte begrenzen, die bereits oben im Rahmen der Darstellung der US-amerikanischen Debatte kurz angeklungen sind. Zunächst muss gegen die Schaffung neuer Qualifikationstatbestände, die eine strengere Bestrafung in Fällen der fremdenfeindlichen Begehung des Grunddelikts begründen, deren fehlende Notwendigkeit aus gesetzestechnischer Sicht ins Feld geführt werden. Sofern es dabei darum geht, die größere Gefährlichkeit einer rassistisch motivierten Straftat für das Opfer bzw. vermeintlich erheblichere Schäden als gesteigerten Unwert zu erfassen, bietet das geltende StGB sowohl durch seine momentanen Delikts- und deren Qualifikationstatbestände als auch die Strafzumessungsvorschriften hinreichende Möglichkeiten, eben dies zu berücksichtigen.597 Sollte aber mit der Schaffung neuer Qualifikationstatbestände allein die (härtere) Bestrafung der Gesinnung des Einzelnen intendiert sein, muss solcher Vorgehensweise vor dem Hintergrund des oben Gesagten ohnehin eine Absage erteilt werden: Gesinnungsstrafrecht darf selbst im Bereich fremdenfeindlicher Straftaten kein Raum gegeben werden. Eben jenes gilt folglich zugleich für Bestrebungen, auf strafzumessungsrechtlicher Ebene eine strafschärfende Berücksichtigung der fremdenfeindlichen Gesinnung des Täters herbeizuführen: Auch hier sei auf die obigen Ausführungen zur fehlenden Relevanz der Gesinnung im Rahmen der Strafhöhenbemessung verwiesen.598 Des Weiteren lässt sich der Verweis auf das sogenannte secondary harm nicht als taugliche Begründung einer Sonderstellung von Hassdelikten im strafrechtlichen Bereich heranziehen. Die Diskussion erinnert an dieser Stelle in besonderem Maße an die Kritikpunkte, die – zu Recht – im Zusammenhang mit dem Rechtsgut des „öffentlichen Friedens“ in der innerdeutschen Debatte angeführt werden.599 So kann das Rechtsvertrauen der Gruppenangehörigen des geschädigten Opfers recht besehen in keinem Fall ein eigenständiges Rechtsgut darstellen. Die Strafe an einem per se äußert undifferenzierten „Normbewusstsein“ der Allgemeinheit auszurichten, hieße, den Täter im Interesse Dritter zu instrumentalisieren. Sicher wäre dann nicht mehr, dass die 597 Wie hier Rössner, Primäre Prävention, S. 128 ff., der anhand unterschiedlicher Vorschriften des geltenden Rechts aufzeigt, dass darin die Erscheinungsformen der Vorurteilskriminalität bereits hinreichend erfasst sind und es nunmehr ausschließlich um die konsequente Anwendung der Gesetze gehen kann. Vgl. auch die umfassenden Ausführungen bei Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 80 ff., der aber jedenfalls mit Blick auf eine denkbare Vorschrift i. S. d. § 224a entsprechenden Forderungen ihre Berechtigung nicht gänzlich absprechen will (S. 156). 598 Siehe B. II. 2. e). 599 Vgl. ausführlich dazu noch unten D. II. (Einleitung zu) 4. m.w. N. Ablehnend gegenüber der generalpräventiven Anreicherung der Debatte um die Sonderstellung von Hassdelikten wie hier Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 167 f.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Bestrafung als Antwort auf den individuellen Verhaltensnormverstoß fungiert. Vielmehr ließen sich auf diese Weise ohne echte Begrenzung Gesichtspunkte heranziehen, die weniger mit dem konkreten Verhaltensnormverstoß als mit allgemeinen gesellschaftlichen Bedürfnissen in Zusammenhang stehen. In einem freiheitlich verfassten Gemeinwesen darf der Einzelne nicht zum bloßen Mittel zum Zweck degradiert werden. Strafe hat sich daher ausschließlich an dem individuellen Verhaltensnormverstoß des Täters auszurichten. Die zusätzlich denkbare Befriedigung von Drittinteressen kann allenfalls eine – durchaus begrüßenswerte – Nebenerscheinung sein, ist aber gerade nicht Zweck der Strafe. Gegen eine Sonderdogmatik von durch Hass motivierten Delikten spricht des Weiteren die Schwierigkeit, eine saubere Definition der ins Blickfeld gerückten Deliktsgruppe zu formulieren. Es ist zu befürchten, dass sich schon hieraus Unbestimmtheiten ergeben, die die Normbildung durch den Normadressaten erschweren und Rechtsunsicherheiten nach sich ziehen. Außerdem sind Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz jedenfalls nicht ausgeschlossen.600 Dabei ist ferner zu beachten, dass gerade durch die Sonderbehandlung eines Angriffs auf bestimmte Minderheiten eine Vertiefung von ohnehin bestehenden Stigmatisierungseffekten eintritt, was die unbedingt erstrebenswerte Integration von Randgruppen in die gesellschaftliche Mitte erschweren könnte.601 Allein fraglich bleibt damit, ob die Schaffung spezifischer Einzelnormen, die auf die Ahndung von durch Hass motivierten Delikten zugeschnitten sind, aufgrund ihrer Symbolkraft begrüßt werden sollte.602 Wie gezeigt, enthält der Gesetzesentwurf des Landes Sachsen-Anhalt eine Ergänzung der Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2, die verlangt, im Rahmen der Strafzumessung fremdenfeindliche Gesinnungen in jedem Fall strafschärfend zu berücksichtigen. Dies brächte mit besonderer Signalwirkung die Ablehnung des Gesetzgebers gegenüber solchen Straftaten zum Ausdruck, deren Motivation in einer Fremdenfeindlichkeit des Täters liegt. Zwar handelte es sich allenfalls um eine Ergänzung mit Klarstellungsfunktion; de facto findet sich auch die fremdenfeindliche Gesinnung schon heute in der weit gehaltenen Formulierung des § 46 Abs. 2 S. 2 wieder. Ohne aber an dieser Stelle zu weit vorgreifen zu wollen, ist immerhin zweifelhaft, ob gar die jetzige Fassung des § 46 Abs. 2 S. 2 zur Umsetzung der strikten Gesinnungsabstinenz des Strafrechts tauglich ist, wie sie aber die vorliegende Untersuchung als maßgeblich für einen freiheitlichen Rechtsstaat erarbeitet hat. Die darin bislang normierte Strafzumessungsrelevanz der „Gesinnung, die aus der Tat
600
Rössner, Primäre Prävention, S. 128, 141. Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S 181 f. 602 Mit der Möglichkeit der Schaffung einer Vorschrift zur symbolhaften Etablierung einer konsequenten Verurteilung von durch Hass geleiteten Straftaten setzt sich – wie hier eine solche im Ergebnis ablehnend – auch Seehafer, Strafrechtliche Sanktionen, S. 103 ff. auseinander. Vgl. Altman, Law and Philosophy 20 (2001), 141, 158 ff. 601
VII. Hasskriminalität als neue Erscheinungsform gesinnungsgeleiteter Taten 213
spricht,“ lässt jedenfalls weiten Raum für Missverständnisse, die zur Bestrafung schlechter Gedanken führen könnten. Wenngleich der Weg zu Interpretationsvarianten, die sich noch in Einklang mit dem Programm eines freiheitlichen Strafrechts bringen ließen, nicht verstellt ist, muss Vorsicht im Umgang mit missverständlichen Normen angemahnt werden: Die Fehler der Vergangenheit lassen sich unschwer wiederholen, wenn das Gesetz vordergründig dazu einzuladen scheint. Jedenfalls die weitere Ergänzung der Vorschrift des § 46 Abs. 2 S. 2 um eine zusätzliche Gesinnungskomponente muss daher abgelehnt werden.603 Das Vorangestellte soll nicht etwa zum Ausdruck bringen, es handele sich bei Delikten, die aus reinem Hass gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen an einer Einzelperson begangen werden, nicht um besonders abscheuliche Taten. In der Tat ist die Gefährdung des sozialen Friedens durch vermehrte Übergriffe auf soziale Randgruppen bzw. generell zwischen verschiedenen Gesellschaftsteilen nicht zu unterschätzen. Wenngleich zwar die gesteigerte psychische Belastung des konkreten Opfers solcher Angriffe gegenüber Opfern nicht durch Hass motivierter Straftaten bislang nicht mit absoluter Sicherheit wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte,604 muss in jedem Fall die Signalwirkung solcher Übergriffe auf die Mitglieder der attackierten Gruppe in Rechnung gestellt werden. Furcht vor Angriffen aufgrund einer reinen Gruppenzugehörigkeit ist kein guter Nährboden einer am Leitbild des Friedens orientierten Gesellschaft. Was aber die obigen Ausführungen belegt haben, ist die fehlende Notwendigkeit einer strafrechtlichen Sonderdogmatik für Hassdelikte. Das vorliegend entwickelte Konzept des Stellenwerts der Gesinnung im Strafrecht ist ohne Weiteres auf die Fallgruppe von durch Hass motivierten Straftaten zu übertragen. Eine Strafschärfung aufgrund der Gesinnung des Einzelnen kommt nicht in Betracht. Dass jedoch bei Straftaten, die aus einer Abneigung gegenüber bestimmten Menschengruppen an einer Einzelperson begangen worden sind, Milderungsgründe nur schwerlich greifen werden, mithin das Maximalmaß des Verhaltensnormverstoßes gegeben ist und damit Höchststrafen zu verhängen sind, liegt nahe. Abschließend muss allerdings betont werden, dass schon heute strafrechtlich durchaus angemessen auf durch Hass geleitete Straftaten reagiert werden kann. Strafe kann aber nicht mehr sein als die geltungssichernde ausgleichende Ahndung eines konkreten Verhaltensnormverstoßes. Prävention und damit das Ziel der Stabilisierung des sozialen Friedens sind durch staatliche Strafe nicht zu leisten.605 Wie kaum aus einer anderen Straftatengruppe spricht aus den Hassdelikten der Zorn sozialer 603 Zu notwendigen Änderungen der jetzigen Gesetzesfassung des § 46 Abs. 2 S. 2 vgl. ausführlich unten D. III. 2. 604 Vgl. Altman, Law and Philosophy 20 (2001), 141, 157 m. Fn. 34; Rössner, Primäre Prävention, S. 128, 141. Siehe zur Kritik an der Wissenschaftlichkeit der bislang durchgeführten Studien Baldus, Hate Crime, S. 18 f. 605 Aydin, Strafrechtliche Bekämpfung von Hassdelikten, S. 490 ff.; Silverman, ZStW 107 (1995), 649, 658.
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C. Gesinnung als Element der Straftat?
Ungerechtigkeiten und Unsicherheiten. Mit dem Strafrecht werden allenfalls einzelne Symptome erfasst; es gilt aber, das Übel an seiner Wurzel zu packen: Dies kann nur gelingen durch ein breites Spektrum an Maßnahmen zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit und durch das aktive Werben um Akzeptanz einer gewandelten, durch Heterogenität geprägten Gesellschaftsstruktur.606
606 Mitursächlich für die Zunahme von Hasskriminalität kann die Schwierigkeit der eigenen Identitätsbildung sein, die vielen Menschen aus der Konfrontation mit einer verstärkten Heterogenität des gesellschaftlichen Umfelds erwächst. Gesteigert durch die propagandistische Vorgehensweise einzelner Gesellschaftsmitglieder oder -gruppen gegen Minderheiten ist hierin ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential zu sehen, das langfristig den sozialen Frieden gefährden kann. Ausweg kann allein ein Miteinander in gegenseitiger Toleranz unter den Bedingungen des freiheitlich verfassten Gemeinwesens sein.
D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts Nachdem die Notwendigkeit der Gesinnungsabstinenz des rechtsstaatlichen Strafrechts in den Bereichen von Strafbarkeitsbegründung und Strafzumessung – hergeleitet aus dem Grundkonzept einer freiheitlichen Rechtsordnung – festgestellt und in den maßgeblichen Straftatkategorien bestätigt werden konnte, gilt es nunmehr, die tatsächliche Einhaltung dieses Postulats im geltenden Strafrecht kritisch zu hinterfragen. Gegenstand der Untersuchung sind damit nachfolgend jene Bereiche der momentanen Rechtslage, die Tendenzen einer Gesinnungsbestrafung jedenfalls nahelegen. Dabei darf der nicht verhallende, erzürnte Aufschrei vor allem aus den Reihen der Strafrechtswissenschaft, der sich gegen eine vermutete – einst schon durch Jakobs prognostizierte607 – Entwicklung des Strafrechts in Richtung eines Präventivrechts richtet, nicht überhört werden.608 Vor dem Hintergrund des für die Gesinnung ausgemachten Bezugs zu reinen Gefährlichkeitsüberlegungen, mithin der Idee, dass ein Gesinnungsstrafrecht Ausdruck einer spezialpräventiven Ausrichtung des Strafrechts ist, müssen insbesondere jene Bereiche einem prüfendem Blick unterzogen werden, die die Grenzen zum Polizeirecht verschwimmen lassen. Dabei offenbart sich die Etablierung eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts oftmals allenfalls im mehr Verborgenen. Klare Sicht schafft in diesem Zusammenhang der skizzierte Stellenwert, der der Gesinnung als Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person im Rahmen des Polizeirechts zukommt. Die Gesinnung kann legitimer Gegenstand gefahrenabwehrrechtlicher Erwägungen im Sinne eines prognostischen Anhaltspunkts möglichen künftigen Verhaltens einer Person sein. Die Früchte eines rechtsstaatlich nicht gewollten Gesinnungsstrafrechts gedeihen daher besonders ertragreich auf dem Boden einer systemfremden spezialpräventiven Ausrichtung des geltenden Strafrechts. Für die Suche nach den Spuren unzulässigen Gesinnungsstrafrechts ergibt sich hieraus folgendes – vereinfachtes – Verfahren: Die Frage, an welchen Bruchstellen die Gesinnungsbestrafung einsickert, ist gleichbedeutend mit der Konturierung der klaren Grenzziehung des Strafrechts gegenüber dem Polizeirecht. Gesinnungsstrafrecht wird sich also immer dort finden, wo sich die „strafrechtliche“ Missbilligung eines Verhaltens ausschließlich auf die potentielle Gefährlichkeit einer Person bezieht. Schielt die Norm allein auf den Faktor der Person als mögliche Gefahrenquelle, 607 608
Siehe bereits oben B. III. 2. c) aa). Vgl. unten D. II.
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
ist die Grenze des Strafrechts zum Polizeirecht überschritten. Der auch strafrechtlichen Verhaltensmissbilligung verbliebe in solchem Fall kein anderer Gegenstand als die bösen Gedanken der Person – das Postulat der Rechtsstaatlichkeit ließe sich nicht halten. Nicht anders verhält es sich aber in der Strafzumessung: Sofern eine Reaktion auf strafbares Verhalten Kriterien heranzieht, die anders als der individuelle Verhaltensnormverstoß ausschließlich die präventive Abwehr künftiger Gefahren, die von dem Täter ausgehen können, im Blick haben, ist der Bereich des Strafrechts verlassen. So verliert sich auch die Strafbemessung in der Uferlosigkeit reiner Gefährlichkeitserwägungen.609 Es kann hier nicht darum gehen, für jedes der angesprochenen Teilgebiete eine abschließende Lösung zu präsentieren. Angestrebt ist aber, die Nähe des geltenden Strafrechts zu einer nicht gewollten Gesinnungsbestrafung auszuloten und gegebenenfalls sowie in angemessenem Umfang Kritik zu üben. In den Fokus rücken vorab jene Problemfelder, die vorrangig im Bereich der Strafbarkeitsbegründung anzusiedeln sind. Gesinnungsmerkmale sowie der gesamte Komplex der Vorfeldkriminalisierung wecken jedenfalls das Misstrauen desjenigen, der unzulässigem Gesinnungsstrafrecht auf der Spur ist. Auch innerhalb der Strafzumessung besteht noch Klärungsbedarf.
I. Legitimität von „Gesinnungsmerkmalen“ im Strafrecht Wer der Gesinnung jedweden legitimen Stellenwert in der strafrechtlichen Verhaltensbeurteilung bzw. Strafhöhenbemessung abspricht, wird sich insbesondere durch die sogenannten „Gesinnungsmerkmale“ herausgefordert fühlen, die eigene These zu bestätigen. Indes ist die profane Verbannung jedweden, vordergründig an die Gesinnung anknüpfenden Merkmals der falsche Weg. Dass es kaum ein (objektives) Verhaltenselement gibt, das sich nicht in einer bestimmten Gesinnung ausdrücken lässt, wurde schon zu einem frühen Zeitpunkt der Untersuchung festgestellt und soll hier zur Vorsicht bei der Kritik an Merkmalen mahnen, die vordergründig als „Gesinnungsmerkmale“ firmieren.610 Das Etikett muss nicht unweigerlich den Inhalt zutreffend wiedergeben.611 So stellt sich die Frage, ob denn Gesinnungsmerkmale ausnahmslos die Gesinnung im Blick haben. Dabei kann es nicht darum gehen, eine Überprüfung anhand eines jeden „Gesinnungsmerkmals“ des geltenden Strafrechts vorzunehmen. Dies bleibt dem 609
Siehe dazu schon oben B. II. 2. e). Siehe oben C. III. 2. (insbesondere:) b). 611 Sofern sich aber herausstellt, dass ein bislang als „Gesinnungsmerkmal“ bezeichnetes Merkmal letztlich nicht die Gesinnung des Einzelnen erfasst, sondern ausschließlich eine Konkretisierung des individuellen Verhaltensnormverstoßes ausmacht, handelt es sich um eine Fehletikettierung, die sich nicht halten lässt. Um unnötige Missverständnisse zu vermeiden, muss auch eine insoweit fehlleitende Terminologie aufgegeben werden. Vgl. dazu noch unten D. I. 3. 610
I. Legitimität von „Gesinnungsmerkmalen‘‘ im Strafrecht
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Rechtsanwender auf der Basis des nachfolgend Gesagten selbst überlassen. Die resolute Forderung nach der Ausscheidung eines „Gesinnungsmerkmals“ aus dem Strafrecht kann jedenfalls erst im Anschluss an den notwendigen Schritt der Prüfung und Feststellung echter Gesinnungsstraferei mit Berechtigung erhoben werden. 1. Unzulässigkeit echter Gesinnungsmerkmale Trotz der eingangs hoffnungsvoll stimmenden Worte lassen sich jedenfalls nicht sämtliche als Gesinnungsmerkmal etikettierte Gesetzesmerkmale in solche Verhaltenselemente „übersetzen“, die für die spezifische Verhaltensmissbilligung legitimerweise ausschlaggebend sind.612 Hingegen weist das geltende StGB auch solche Deliktsmerkmale auf, die allein die Einstellung des Täters im Blick haben und sich gerade nicht in jene Spezifika des individuellen Normbruchs dechiffrieren lassen, die im Strafrecht zu Recht Bedeutung erlangen. Problematisch erscheinen in diesem Zusammenhang eine Reihe der in § 211 aufgelisteten Merkmale, die das Vorliegen eines Mordes begründen sollen. Insbesondere die Tötung aus Mordlust bzw. zur Befriedigung des Geschlechtstriebs lassen sich nur schwer in äußere Umstände übersetzen, die das spezifische Unrecht zu begründen vermögen.613 Hier liegt vielmehr der Schluss nahe, dass die herkömmliche Unterscheidung zwischen Totschlag und Mord bezüglich der angesprochenen Merkmale ausschließlich an die als äußerst verwerflich angesehene Gesinnung des Täters anknüpft. Der Vorwurf der Gesinnungsbestrafung lässt sich an dieser Stelle besonders deutlich formulieren. Sofern nicht ohnehin – wie bereits vorab vorgeschlagen – eine gänzliche Neufassung der Tötungsdelikte unter Abkehr vom bisherigen Modell der Normierung spezifischer Mordmerkmale als vorzugswürdige Variante gewählt wird, sind jedenfalls die angesprochenen Merkmale mit dem geltenden Strafrecht nicht zu vereinbaren und dürfen keine Berücksichtigung finden. Es handelt sich bei ihnen allenfalls um Erwägungen, die die Gefährlichkeit des Täters als Person betreffen, nicht aber seine Tat. Aus dem Strafrecht sind solch spezialpräventive Erwägungen nach dem bislang Gesagten strikt zu verbannen. Zur Klarstellung: In den angesprochenen Fällen ist Mordunrecht regelmäßig gegeben, weil es sich um eine vorsätzliche Tötung handelt, für die ein irgendwie nachvollziehbarer Anlass fehlt; mit diesem Verständnis ist auch schon de lege lata eine verfassungskonforme Handhabung des Mordtatbestandes – ohne verfehlten Rekurs auf den Gesinnungsgedanken – möglich.614 612 Kritisch insoweit auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 213 f.; Haas, Strafbegriff, S. 249 m. Fn. 64. 613 Vgl. zur Kritik bereits oben C. VI. 614 Siehe schon oben C. VI. Siehe dort auch zu einem Vorschlag der Neufassung der gesetzlichen Normierung der Tötungsdelikte.
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
2. Sogenannte „Gesinnungsmerkmale“ als Konkretisierung des spezifischen Verhaltensnormverstoßes Wie eingangs jedoch angedeutet, ist in der Beurteilung, ob spezifische Gesinnungsmerkmale im Strafrecht einen legitimen Stellenwert einnehmen, ein besonderes Maß an Differenziertheit erforderlich. Trotz irreführender Bezeichnung muss sich nicht hinter jedem „Gesinnungsmerkmal“ ein Beleg der Gedankenstraferei im deutschen Strafrecht verbergen. So ist vielmehr denkbar, dass das jeweilige Merkmal ausschließlich Konkretisierungen des relevanten Normbruchs enthält, die für die Missbilligung des in Rede stehenden Verhaltens ausschlaggebend sind.615 Der Vorteil der Etikettierung solcher Spezifika des rechtlich missbilligten Verhaltens liegt dabei in der Eigenschaft subjektiver Merkmale, grundsätzlich umfassendere Umschreibungen zuzulassen, als es durch Auflistung sämtlicher objektiver Gegebenheiten, die ein entsprechendes Verhalten ausmachen können, möglich wäre. Das solchermaßen Diffuse, das Gesinnungsmerkmalen damit in aller Regel anhaftet, wird seitens des Gesetzgebers zu dem Vorteil genutzt, einer faktisch kaum zu leistenden objektiven Schilderung sämtlicher rechtlich zu missbilligender Verhaltensvarianten zu entgehen.616 Auf diese Weise kann es gelingen, eine Regelung zu schaffen, die nicht der Gefahr ausgesetzt ist, wichtige Fälle bei der Tatbestandsfassung zu übersehen. Als Beispiel soll das Merkmal der rohen Misshandlung in § 225 Abs. 1 gereichen. In erheblicher Verbreitung findet sich hier die Aussage, dass die äußere Misshandlung des Schutzbefohlenen von einer unbarmherzigen und gefühllosen Gesinnung des Täters begleitet sein müsse.617 Im Vergleich zur Verhaltensvariante des Quälens in § 225 setzt die rohe Misshandlung keine bestimmte zeitliche Dauer der Eingriffe in die Körperintegrität des Opfers voraus. Um das in der Folge offenbar empfundene objektive Ungleichgewicht des Unwerts beider Verhaltensvarianten zu kompensieren, wird für die rohe Misshandlung ein Mehr im Subjektiven in Gestalt der gefühllosen Gesinnung verlangt.618 Anderenfalls sei die Missbilligung sowie Pönalisierung des rohen Misshandelns vor dem Hintergrund des abweichenden Unwertgehalts gegenüber dem Quälen rechtlich nicht zu legitimieren. 615 Diesen Weg hat insbesondere Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 187 ff. aufgezeigt („Gesinnungsmerkmale sollten nur als Richtlinien für die Ergänzung des gesetzlichen Unrechts- und Schuldtatbestandes dienen“). So auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 218, 219 ff.; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 381 f.; ferner Berger, Gesinnungsmoment, S. 159 ff. 616 Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 189 f. 617 Vgl. ausführlich dazu BGHSt 25, 277, 278. Siehe ferner aus der Literatur MK/ Hardtung, § 225 Rn. 18, 27; SK/Horn/Wolters, 57. Lfg. Aug. 2003, § 225 Rn. 16; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 577 ff. Hingegen wie hier Berger, Gesinnungsmoment, S. 162 ff. 618 BGHSt 25, 277, 278 ff.; Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 577 ff.; Lackner/Kühl, § 225 Rn. 4.
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In der Tat lässt sich ein Unterschied der Verhaltensweisen des Quälens und des rohen Misshandelns in § 225 anhand einer zeitlichen Komponente ausmachen. So setzt das Quälen ohne Zweifel einen längeren Zustand der Zufügung von Schmerzen voraus, was sprachlich im rohen Misshandeln nicht angelegt ist. Indes fragt sich, ob es der Bezugnahme auf die gefühllose Gesinnung zum Ausgleich dieses zeitlichen Defizits letztlich bedarf. Zweifelhaft stimmt bereits die Annahme, es handele sich insoweit um ein „Plus“ im Subjektiven gegenüber der Variante des Quälens. Als gefühllos muss recht besehen wohl ebenfalls jedwedes Verhalten eingestuft werden, das dem Schutzbefohlenen für eine längere Zeitspanne Schmerzen zufügt, sofern der Betreffende sich bewusst für dieses Verhalten entscheidet.619 Es ist kaum ein Fall vorstellbar, in dem die Zufügung von Qualen, die in einem dem § 225 zugrunde liegenden Nähe- bzw. Schutzverhältnis erfolgt, nicht auf einer als besonders verwerflich anzusehenden Geisteshaltung des Täters beruht. Dies ergibt sich gerade aus dem Spezifikum des § 225, Personen vor körperlichen Übergriffen zu schützen, die zu dem Täter in einer besonderen Abhängigkeit stehen und in der Folge oder aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften (Alter, körperliche Konstitution) zur erfolgreichen Gegenwehr kaum in der Lage sein dürften. Wer aus einer solchen Situation heraus körperliche Eingriffe gegen den anderen vornimmt, nutzt seine überlegene Stellung rücksichtslos aus und missbraucht das besondere Vertrauen, das ihm als spezifischem Schutzgaranten entgegengebracht wird. Es lässt sich damit schwer behaupten, mit dem Quälen würde nicht zugleich eine gefühllose Gesinnung einhergehen. Dass sie in der Regel nicht ausdrücklich verlangt wird, mag wohl allein darin liegen, dass bei dieser Verhaltensvariante das äußere Geschehen mehrheitlich als zur tatbestandsspezifischen rechtlichen Missbilligung hinreichend erachtet wird und auch ein entsprechendes strafbewehrtes Verbot zu begründen vermag. Folglich kann nicht von einem Mehr im Subjektiven in Gestalt der gefühllosen Gesinnung bei der rohen Misshandlung ausgegangen werden. Vielmehr liegt hierin nach dem Gesagten gerade eine Parallele beider strafbarer Verhaltensweisen. Die Forderung nach dem Vorliegen einer gefühllosen Gesinnung zur Verwirklichung des Gesetzesmerkmals der rohen Misshandlung in § 225 erscheint aber noch unter einem weiteren Gesichtspunkt fragwürdig. So kann das seitens der Mehrheit der Autoren sowie des BGH empfundene Bedürfnis nach solch subjektiver Anreicherung der Rohheit zum Ausgleich des Unwertunterschieds gegenüber dem Quälen bei näherer Betrachtung nicht geteilt werden. Es stellt sich nämlich die Frage, warum bislang nicht eine Kompensation des objektiven Mehr in Form des Moments der Dauer durch ein objektives Element angestellt wurde.
619 So auch SK/Horn/Wolters, 57. Lfg. Aug. 2003, § 225 Rn. 10. A.A. Kelker, Legitimität von Gesinnungsmerkmalen, S. 577 f.; Lackner/Kühl, § 225 Rn. 4; Schönke/ Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, § 225 Rn. 12.
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So ist nicht ausgeschlossen, dass die rohe Misshandlung zwar keine längere Zeitspanne der Schmerz- bzw. Leidenszufügung voraussetzt. Jedoch muss es sich dabei um Eingriffe in die körperliche Integrität des Schutzbefohlenen handeln, die bereits bei kurzzeitiger Durchführung eine gewisse Schwelle der Erheblichkeit, die noch über das Maß des § 223 hinausgeht, erreicht haben muss. Erfasst sind dann allein besonders schwerwiegende Misshandlungen.620 Zwar wird auch das Quälen als Verursachen langanhaltender oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden definiert. Es ergibt sich hieraus aber nicht unweigerlich, dass die Erheblichkeit der Schmerzzufügung bereits durch die erstmalige Handlung eintritt. Im Gegenteil können gerade diejenigen Fälle erfasst sein, in denen seitens des Täters eine „Nadelstich-Taktik“ verfolgt wird. Für sich genommen nicht erhebliche Eingriffe in die Körperintegrität können durch ihre Dauer und Kontinuität an Gewicht erlangen bzw. Leidensdruck schaffen. Hier zeigt sich daher anhand des Zeitpunkts des Überschreitens der Erheblichkeitsschwelle ein deutlicher Unterschied gegenüber der Verhaltensvariante des rohen Misshandelns. Es ergibt insofern – frei von subjektiver und rechtsstaatlich bedenklicher Überfrachtung des Merkmals der Rohheit – einen guten Sinn, dass der Gesetzgeber beide Verhaltensvarianten als spezielles strafbares Verhalten normiert hat. Ein Ungleichgewicht im Verhaltensunwert ist nach dem Gesagten nicht auszumachen; der Ausgleich des objektiven Mehr durch ein subjektives Element wird damit überflüssig. Des Rückgriffs auf die gefühllose Gesinnung bedarf es dann also nicht. Dass ein solches oftmals dennoch verlangt wird, ergibt sich nicht zwingend aus dem Gesetzestext. Indem das Merkmal der rohen Misshandlung sonach originär nicht die Einbeziehung der Gesinnung einfordert, handelt es sich dabei nicht um illegitimes Gesinnungsstrafrecht. Fehlgehende Handhabe in breiten Teilen von Literatur und Praxis vermag hieran nicht zu rütteln. Dass es sich bei der Misshandlung des Schutzbefohlenen um eine rohe handeln muss, lässt sich weiterhin durch den Gedanken des Fehlens eines nachvollziehbaren Grundes für solches Verhalten erläutern. Dem Merkmal kommt neben der oben beschriebenen Bedeutung dann auch die Funktion zu, allein solche Verhaltensweisen zu erfassen, für die es an einem verständlichen Grund fehlt. So lässt sich das an früherer Stelle zum Verhältnis der Tötungsdelikte Erläu620 Zu der umstrittenen Fragestellung, ob das Opfer erhebliche Schmerzen real empfunden haben muss, oder ob insoweit auf die Geeignetheit des Verhaltens, bei einer Person mit nicht herabgesetzter Schmerzempfindlichkeit solche herbeizuführen, abzustellen ist, vgl. BGHSt 25, 277, 277; Lackner/Kühl, § 225 Rn. 5. A.A. Jakobs, NJW 1974, 1829 f. Es kommt hierbei entscheidend darauf an, ob eine erhebliche Misshandlung vorliegt. Diese kann aber auch dann angenommen werden, wenn keine Schmerzen empfunden werden, sofern jedenfalls der Körper leidet. Insofern ist Jakobs zuzustimmen: „Leiden heißt nicht notwendig, bewußt zu leiden, sondern es reicht hin, wenn der Körper leidet, obgleich natürlich Schmerz oder empfundenes Leid bei Bestimmung des Mißhandlungsquantums zu berücksichtigen ist.“
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terte621 auf den Bereich der Körperverletzungsdelikte übertragen. Danach ist die einfache Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 als minder schwerer Fall eines Körperverletzungsverhaltens einzustufen. Deliktstatbestände wie die §§ 224–226, die verbreitet als Steigerung des Körperverletzungsunrechts angesehen werden, bilden damit die Vollform des denkbaren Verhaltensnormverstoßes, der allenfalls nach unten (i. S. einer Milderung) graduiert werden kann. Die gesetzliche Kennzeichnung eines Verhaltens als rohe Misshandlung bringt dann zum Ausdruck, dass es sich zur Erfüllung des Deliktstatbestandes nicht um ein Verhalten handeln darf, für das Milderungsgründe in Erwägung gezogen werden. Hingegen erfasst § 225 in der Variante des rohen Misshandelns ausschließlich Fälle der Vollform des denkbaren Verhaltensnormverstoßes. Die Exegese des Merkmals der Rohheit in § 225 Abs. 1 hat eines verdeutlicht: Nicht bei jedem „Gesinnungsmerkmal“ entzündet sich der strafrechtliche Vorwurf an der Gesinnung des Täters. Vielmehr ist denkbar, dass er sich auf die im dann nur scheinbaren Gesinnungsmerkmal umschriebenen objektiven Gegebenheiten richtet. Die Annahme, die mit der Wertehaltung des Einzelnen einhergehenden Sachverhalte dienten allein als „Verstehensgrundlage“ 622 der Gesinnung, unterliegt damit einem folgenschweren Missverständnis: Soll dem Vorwurf des Gesinnungsstrafens nachhaltig seine Berechtigung entzogen werden, muss es sich gerade umgekehrt verhalten:623 Gegenstand der Bestrafung ist in solchen Fällen nicht die Gesinnung des Täters, sondern sind allein die damit korrespondierenden, objektiven sowie darauf bezogenen subjektiven Gegebenheiten. In solchen Fällen erfasst das „Gesinnungsmerkmal“ nicht die Wertehaltung des Täters. Vielmehr erfährt das gesetzlich vertypte Verhalten eine Ergänzung um weitere Elemente des Normbruchs, die sich aus den im Gesinnungsmerkmal umschriebenen Sachverhalten ergeben. Diese Vorgehensweise wirkt insbesondere solchen Subjektivierungstendenzen entgegen, die der (zutreffenden) Überlegung folgen, dass bei anderem Verständnis von den Gesinnungsmerkmalen (nämlich als solchen, die tatsächlich die Gesinnung des Täters im Auge haben) selbst derjenige nach dem gesetzlichen Tatbestand bestraft werden müsste, bei dem sich die mit der Wertehaltung korrespondierenden Gegebenheiten lediglich in seiner Einbil-
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Siehe oben C. VI. So aber Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, S. 177 f., 197 ff., der die Gesinnungsmerkmale nur als „Angabe derjenigen Momente, bei deren Gegebensein wir im Einzelfall unter Voraussetzung der unrechten Tat die unrechtliche Gesinnung des Täters im Wege seelisch-geistigen Verstehens erfahren“. In diese Richtung formuliert auch Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 768 ff., wenn er auf die regelmäßig gegebene Möglichkeit verweist, die Gesinnung des Täters „aus den objektiven Begleitumständen“ aufzuklären. 623 Eben jener Vorwurf ist damit auch dem Modell Schmidhäusers entgegenzuhalten: Wer die mit der Gesinnung des Täters korrespondierenden Begebenheiten als Instrument versteht, um die unwertige Gesinnung des Einzelnen festzustellen, zielt allein auf die Bestrafung seiner Gesinnung ab. 622
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
dung abgespielt haben.624 Es zeigt sich damit auch die in vielen Fällen fehlgehende Terminologie im hier interessierenden Zusammenhang: Indem dasjenige, was im „Gesinnungsmerkmal“ umschrieben ist, nicht immer die Gesinnung des Täters trifft, suggeriert die allgemein verwendete Begrifflichkeit einen fälschlichen Eindruck: In den rechtlich zulässigen Konstellationen soll gerade nicht die Wertehaltung des Einzelnen zum Gegenstand des gesetzlichen Tatbestands erhoben werden. Es geht allein um die eigentlich gemeinten Gegebenheiten. Entsprechende Gesetzesmerkmale fortdauernd als „Gesinnungsmerkmale“ firmieren zu lassen, entbehrt dann aber jeder Berechtigung. Erfasst ein Merkmal gerade nicht die Gesinnung des Einzelnen, geht die angesprochene Terminologie nicht nur rein inhaltlich an der Sache vorbei, indem sie fälschlich den Eindruck erweckt, auf die Geisteshaltung der Person zu schielen. Darüber hinaus bergen Fehlbezeichnungen in diesem Bereich der Abgrenzung von Straf- und Polizeirecht kaum zu unterschätzende Gefahren. Wenngleich ein Merkmal aufgrund seiner Konkretisierungsfunktion mit Blick auf den individuellen Verhaltensnormverstoß seine Berechtigung aufweist, lassen Falschetikettierungen Fehlinterpretationen sowie Missverständnisse zu. Über an sich legitime Merkmale kann so gerade doch wieder ein unzulässiges Einfallstor echten Gesinnungsstrafrechts aufgestoßen werden. In der Sache schiefe Bezeichnungen müssen daher zwingend vermieden werden. Mit der Gesinnung haben Merkmale, die objektiv bzw. subjektiv den konkreten Verhaltensnormbruch kennzeichnen, nichts zu tun. Sie weiter als Gesinnungsmerkmale zu benennen, sendet ein falsches Signal, weshalb diese Terminologie entschieden abzulehnen ist. 3. Verbleibende Kritik an Merkmalen, die den individuellen Verhaltensnormverstoß konkretisieren Indes sind auch jene Merkmale, die nach oben beschriebener Vorgehensweise in legitime Bestandteile des (auch) strafrechtlich relevanten Normbruchs aufgeschlüsselt werden können, nicht vollkommen frei von Kritik.625 Hauptaugenmerk 624
Vgl. Roxin, AT I, § 10 Rn. 80; Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 189. Nicht weiter eingegangen wird hier auf den Einwand, die Einbeziehung von „Gesinnungsmerkmalen“ im Strafrecht behindere die klare Differenzierung von Unrecht und Schuld im Verbrechensaufbau. Vgl. dazu Baumann/Weber, AT, S. 286; Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 30 f.; Jescheck/Weigend, AT, S. 473; Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 181 f.; dens./Kuhlen, AT, S. 134. Bei richtigem Verständnis solcher Merkmale als Ergänzungen des subjektiven und objektiven Normbruchs wird in aller Regel die „Ebene“ des Unrechts berührt sein. Sollte das Merkmal hingegen eine Einschränkung der Fähigkeit zum Andershandeln bedingen, wäre es auf der „Stufe“ der Schuld einzuordnen. Konfusionen sind hier bei sauberer Handhabe der für den Normbruch bzw. die individuelle Vermeidemacht relevanten Umstände nicht zu erwarten. – Zu der Kritik, „Gesinnungsmerkmale“ ließen ein ungewolltes Einsickern ethisierender Maßstäbe im Strafrecht zu, vgl. Haas, Strafbegriff, S. 248 f.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 453; Jakobs, 625
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der (auch) mit der vorliegend vorgeschlagenen Verwendung nur scheinbarer Gesinnungsmerkmale einhergehenden Bedenken liegt auf dem in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltenen nullum crimen-Satz, der unter anderem das Verbot unbestimmter strafrechtlicher Normen vor verfassungsrechtlichem Hintergrund statuiert.626 Was daher zunächst als „Vorteil“ solcher Merkmale eruiert wurde – deren definitorische Offenheit, die die Erfassung einer Vielzahl an Verhaltensvarianten zulässt, wandelt sich nunmehr zum Gegenstand der Kritik. Indes lässt sich hieraus kein kategorischer Ausschluss der oben dargestellten Merkmale ableiten. Der Gebrauch relativ weit gefasster gesetzlicher Tatbestandsmerkmale ist für das Strafrecht keine Neuheit und begründet per se noch keine Unvereinbarkeit mit den Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG.627 Hingegen erweisen sich bei angemessener Differenzierung zwischen den Normebenen von Verhaltens- und Sanktionsnormen überspannte Anforderungen an die Bestimmtheit von Sanktionsnormen als verfehlt. Von dem Gesetzgeber darf nicht verlangt werden, konkrete Einzelfälle zu entscheiden. Er bestimmt lediglich normativ, dass z. B. ein fahrlässiges Tötungsverhalten, das den Tod eines anderen Menschen zur Folge hat, zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung führen soll (§ 222). Dabei legt die Norm gerade nicht naturalistisch-deskriptiv fest, welche spezifischen Lebenssachverhalte ein fahrlässiges Tötungsverhalten sind. Die Sanktionsnorm des § 222 ordnet aber eine eindeutig entsprechende Rechtsfolge des Schuld- und Strafausspruchs an. Ob im Einzelfall die Voraussetzungen eines fahrlässigen Tötungsver-
AT, 8/99; Lampe, Das personale Unrecht, S. 261; Roxin, AT I, § 10 Rn. 78; Stein, Beteiligungsformenlehre, S. 380; Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 189 (sofern tatsächlich auf die Gesinnung abgestellt wird); Welzel, Strafrecht, S. 80. Auch solche berechtigten Bedenken stellen sich bei richtigem Verständnis der Legitimitätsvoraussetzungen solcher Merkmale, die dann in der Sache nicht die Einstellung des Täters, sondern (auch) rechtlich relevante Ergänzungen des individuellen Normbruchs im Auge haben, gerade nicht. Es handelt sich bei diesem Kritikpunkt um die generelle, der hiesigen Arbeit als Ausgangspunkt zugrundegelegte Befürchtung, durch Einbeziehung der Gesinnung im Strafrecht eine systemfremde Kategorie zuzulassen. Frühere Ausführungen haben hinlänglich gezeigt, dass die Gesinnung selbst keinen legitimen Stellenwert im Strafrecht einnimmt. Sofern es sich bei ihr aber um den Ausdruck der Gefährlichkeit der Person handelt, kommt ihr gegebenenfalls eine spezialpräventive, und damit polizeirechtliche Relevanz zu. Der Vorwurf des Moralisierens wurde damit zentral erhoben und die einhergehende Forderung der Rückbesinnung auf das im freiheitlichen Rechtsstaat strafrechtlich Zulässige im Rahmen der eigenen Lösung, die ein striktes Ausscheiden sämtlicher, ernstlich die Gesinnung betreffender Kategorien aus dem Strafrecht proklamiert, konsequent umgesetzt. Insofern sei auf die vorangestellten Ausführungen in dieser Arbeit verwiesen. 626 Vgl. zur Kritik Haas, Strafbegriff, S. 249 m Fn. 65; Jakobs, AT, 8/99; Jescheck/ Weigend, AT, S. 473; Lampe, Das personale Unrecht, S. 257; Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 191. – Zum Inhalt des nullum-crimen-Satzes siehe v. Feuerbach, Lehrbuch, § 20; Freund, AT, § 1 Rn. 22. 627 So wird etwa die Legitimität des § 222 nicht bestritten, wenngleich es sich um eine blankettartig verfasste Sanktionsnorm handelt, siehe MK/Freund, AMG Vor §§ 95 ff. Rn. 56.
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haltens nebst (zurechenbarer) Folge gegeben sind, kann der Gesetzgeber gar nicht entscheiden. Vielmehr handelt es sich dabei um die originäre Aufgabe der Rechtsprechung, die genau das – auch dogmatisch überzeugend – dem konkreten Angeklagten gegenüber im Falle einer Verurteilung begründen muss.628 Für die beschriebenen Merkmale, die den Verhaltensnormverstoß in spezifischer Weise konkretisieren, ergeben sich damit keine Besonderheiten gegenüber anderen Gesetzesbegriffen. Die Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes ist stets ernst zu nehmen, darf aber nicht von fehlender Differenziertheit mit Blick auf die Ebenen von Verhaltens- und Sanktionsnormen überschattet werden. Nach dem Gesagten lassen sich ausschließlich solche Merkmale legitimieren, die klar in die mit ihnen umschriebenen Sachverhalte „übersetzt“ werden können. Dass sich im Einzelfall Umstände finden lassen, die letztlich die Legitimität eines vermeintlichen „Gesinnungsmerkmals“ begründen, ist aber nicht ausgeschlossen.629
II. Strafrecht im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung Dass die zeitliche Phase im Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung Schwierigkeiten unter dem Blickwinkel der Trennung von Strafrecht und Polizeirecht aufwirft, ergibt sich aus der Natur der Sache. Weist ein spezifisches Verhalten solche Schädigungsmöglichkeiten für schützenswerte Güter und Interessen auf, dass es schlicht nicht hinnehmbar ist, kann das Strafrecht gefordert sein. Die Vorverlagerung des Strafrechts geht dann aber stets mit der Gefahr einher, in einen Bereich vorzudringen, in dem der Betreffende noch gar nicht gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm verstoßen hat, sondern nur mehr oder weniger zu befürchten steht, dass er das in naher oder ferner Zukunft tun wird. Die Notwendigkeit der gewünschten Abgrenzung unterschiedlicher Rechtsgebiete tritt hier mit besonderer Deutlichkeit zu Tage. 1. Notwendige Differenzierung gegenüber dem Themenkomplex des „Risikostrafrechts“ – Kritik der Frankfurter Schule Zur Eingrenzung der hier ausschließlich relevanten Thematik bedarf es jedoch vorab eines Seitenblicks auf einen Bereich, der offenbar Überschneidungen zum 628
Freund, ZStW 112 (2000), 665, 678 f. Trotz der teilweise bestehenden Möglichkeit, vermeintlichen Gesinnungsmerkmalen einen legitimen, das Unrecht bzw. die Schuld prägenden Gehalt beizumessen, ist vor der Verwendung solcher Merkmale im Strafrecht zu warnen. Die damit einhergehenden Schwierigkeiten und insbesondere die Gefahr, dass entgegen den aufgestellten Legitimationskriterien verfahren wird und es damit gerade doch zu einem Einsickern des Gesinnungsstrafrechts kommt, sollten hier mehr als kritisch stimmen. Zu einer solchen Einschätzung vgl. auch Hardwig, ZStW 68 (1956), 14, 36 m. Fn. 34a; Stratenwerth, v. Weber-FS, S. 171, 191. 629
II. Strafrecht im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung
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eigenen Untersuchungsgegenstand aufweist. Angesprochen ist damit das sogenannte „Risikostrafrecht“ 630, das ganz allgemein als Oberbegriff für die – von vielen Seiten kritisch beurteilte – zunehmende Entwicklung des deutschen Strafrechts in die Richtung eines Präventivrechts verwendet wird. Sinnbildhaft ist in diesem Zusammenhang die deutliche und fortwährende Kritik insbesondere der Frankfurter Schule, die sich mit Vehemenz gegen eine solche Entwicklung ausspricht. Die Frankfurter Strafrechtswissenschaftler Peter-Alexis Albrecht, Winfried Hassemer und Wolfgang Naucke monieren eine Entfremdung des Strafrechts von seinen eigenen, „klassischen“ Wurzeln, die in der Philosophie der Aufklärung und im deutschen Idealismus zu sehen sind.631 Kern dieses Strafrechts klassischer Prägung ist die Erkenntnis, dass der Mensch zwar frei geboren ist, diese Freiheit sich aber fortdauernd mit Gefahren konfrontiert sieht. Die Abkehr vom Naturzustand, der Ausdruck der Dominanz des Stärkeren ist, wird zu dem Zweck der Sicherung individueller Freiheitssphären vor fremder Gewalt vollzogen. Indes tritt nunmehr neben die Gefährdung von Freiheit durch Übergriffe anderer Individuen auch die Gefahr der ihre freiheitlichen Grunddeterminanten missachtenden Herrschaftsmacht des Staates gegenüber dem Bürger. Für Naucke ist das „philosophisch richtige Strafrecht“ aus diesem Grund „die Summe der Regeln, die gegen die Machtausübung durch den Straftäter und gegen die Machtausübung durch den Staat, also gegen Straftat und Strafe, schützen. Diese Summe von Regeln, die gegen Macht schützen, ist das rechtsstaatliche Strafrecht.“ Dieses ist grundsätzlich misstrauisch gegenüber jeder Form von Macht: Es monopolisiert die Machtausübung beim Staat, um vor individueller Machtausübung zu schützen. Zugleich wird der Staat in seinem Handeln mit großer Strenge rechtlich kontrolliert. Strafwürdiges Unrecht im Strafrecht der Aufklärung ist allein die Freiheitsverletzung. Das Kriminalrecht hält sich damit strikt in den Grenzen der Repression schweren Unrechts an individueller bzw. gesellschaftlicher Freiheit.632 Für das geltende Strafrecht und dessen Entwicklung fällt das Urteil der Frankfurter Schule vor diesem Hintergrund nüchtern aus: Die Philosophie der Aufklärung sei daraus „verschwunden“; die Verbannung der eigenen Ideale gehe einher 630 Der Begriff stammt von Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 36. Dass es sich dabei um ein weniger gelungenes Schlagwort zur Kritik an der präventiven Ausrichtung des geltenden Strafrechts handelt, konstatiert bereits Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 77 f. Das Strafrecht befasst sich stets mit Risiken. Die u. a. seitens der Frankfurter Schule unter dem Topos des Risikostrafrechts monierte Gestalt des Strafrechts betrifft vielmehr im Allgemeinen Fragen der Reichweite von Strafe. 631 Vgl. Albrecht, StV 1994, 265 f.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379 f.; Naucke, KritV 1993, 135, 137 ff.; ders., KritV 1990, 244, 246 ff., 250 f. 632 Naucke, KritV 1993, 135, 143. Vgl. auch Calliess, NJW 1989, 1338, 1340; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379 f.; dens., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 134, 136 ff.; dens., JuS 1987, 257, 258. Vgl. zu den Kriterien der Begrenzung von Strafmacht durch rechtsstaatliche Prinzipien auch Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 953 ff.
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mit einem neuen Bild des Strafrechts, das nicht mehr den Grundanforderungen des Rechtsstaats entspreche: „Der Naturzustand rückt wieder näher.“ 633 Ein Strafrecht aber, das seinen eigentlichen Zweck in Gestalt der Freiheitsgarantie vergessen hat, pervertiert Strafe zum Mittel eines beliebigen Zwecks: Der Phantasie des jeweiligen Machthabers bzw. dem parteipolitischen Kalkül sind dann keine Grenzen gesetzt. Strafrecht lässt sich nunmehr als reines Machtmittel verwenden. Selbst zur Korrektur der angesichts denkbaren Versagens verblassenden Schönheit der jeweiligen politischen Führung kann strafrechtliche Chirurgie in emotional besonders besetzten Bereichen verhelfen.634 Hintergrund sei ein Paradigmenwechsel, der letztlich in der Orientierung an strafpolitischem Pragmatismus gipfele.635 Diesem liege die Entstehung einer Risikogesellschaft zugrunde, der sich auch das Strafrecht allmählich anpasse: Der moderne Wohlfahrtsstaat sieht sich in seiner kapitalistischen Konzentration immer neuen Risiken ausgesetzt, die aus der Widersprüchlichkeit der Anforderungen erwachsen, die an den „modernen Staat“ gestellt werden.636 In der Forcierung des industriellen Vorankommens ist neben der Gefährdung bzw. Zerstörung der materiellen, ökologischen, sozialen und symbolischen Grundlagen die Tendenz zur Ausgrenzung weiter Teile der Bevölkerung angelegt. Die Folge ist eine Aufspaltung der Gesellschaft in einen „Leistungskern“, dem der Sicherheitsstaat auch mit den Mitteln des Strafrechts notfalls zur Seite steht, gegenüber einer „Peripherie“ an den Rand Gedrängter.637 Die Gefahr des Aufbegehrens des Heers an Unproduktiven, die
633 Naucke, KritV 1993, 135, 137, 139. Vgl. auch Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 706 ff. 634 Albrecht, KritV 1993, 163, 164; ders., StV 1994, 265, 267; ders., Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 699 f.; Kötter, KJ 2003, 64, 70; Naucke, KritV 1993, 135, 137 ff., 154 ff.; ders., KritV 1990, 244, 254. Daher ist rechtsstaatliches Strafrecht „Ausdruck der dauernden Sorge vor der politischen Perversion des Strafrechts“, Naucke, KritV 1990, 244, 259. 635 Albrecht, KritV 1988, 182, 183 ff.; ders., StV 1994, 265, 266 f.; Dencker, StV 1988, 262, 263 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379 f.; ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 138 ff.; Heine, JZ 1995, 651, 653 f.; Krauß, StV 1995, 315 ff.; Naucke, KritV 1993, 135, 137 ff. – A.A. freilich Bettermann, Berichte, Jg. 4 (1986), S. 5, 20 ff., der aber in seiner Einschätzung einer zunehmenden „Lähmung des Staates als Bewahrer der Rechtsordnung“ bzw. der „Hypertrophie des Rechtsstaats in seiner Funktion als Bändiger und Beschränker der Staatsgewalt“ an realen Gegebenheiten der Entwicklung in Recht und Gesellschaft offenkundig vorbeigeht. Vor dem Hintergrund der steten Ausweitung des Sicherheitsapparats erscheint seine Klage über die immer weitere „Verstärkung“ des Schutzes vor „Übergriffen und Missbrauch der öffentlichen Gewalt“ wirklichkeitsfern. 636 Vgl. zur Entstehung und den Merkmalen der Risikogesellschaft U. Beck, Risikogesellschaft; Calliess, DVBl 2003, 1096, 1097; Di Fabio, Risikoentscheidung im Rechtsstaat, S. 53 ff.; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 7 ff. Siehe auch Hefendehl, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung, S. 89 ff. 637 Albrecht, KritV 1988, 182, 184 ff.; ders., KritV 1986, 55, 58 ff.; ders., StV 1994, 265, 267; ders., Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 692 ff., 737 ff.; ferner Hassemer, StV 1993, 664, 667. Vgl. allgemein U. Beck, Risikogesellschaft.
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von dem kontrollierenden Regulativ des Arbeitsmarkts ausgeschieden wurden, ist systemimmanent. Die Steuerungsfunktion des Staates dehne sich daher nach Ansicht Albrechts weit in den Bereich der Lösung von Systemkonflikten im Wege von Prävention aus. Er bezeichnet diese Entwicklung als „Übergang vom liberalen Rechtsstaat zum sozialen Interventionsstaat“, der selbst das Strafrecht nicht unberührt lasse.638 Als Negativfolge der Abkehr des modernen Strafrechts von seinen philosophischen Grundlagen benennt Naucke zunächst die Dezentralisierung und Privatisierung des Strafmonopols des Staates. Das so entstandene „halbstaatliche Privatstrafrecht“ pervertiere insbesondere den Strafprozess, der zur „Orientierungstafel für privates Denken und Fühlen“ verkomme.639 Noch schwerer wiege aber die Metamorphose von einem „reaktiv und punktuell – also limitierend – wirkenden Formalrecht“ in ein „prospektiv intendiertes, material-zweckrationales Präventivrecht“.640 Hier sei eine eindeutige Schwerpunktverschiebung von der Freiheit als Paradigma des Strafrechts hin zum allgemeinen Interesse an Sicherung des status quo zu verzeichnen. Strafrechtliches Unrecht reduziere sich daher nicht mehr auf schwere Freiheitsverletzungen. Vielmehr verkomme jedwede Interessenstörung oder reine Krise zum Anknüpfungspunkt von Strafe: „Aus der Strafe als Repression wird die differenzierte Reaktion als Prävention: von der Repression des Unrechts zur Prävention der Gefahr.“ 641 Die Perspektive von Strafe verschiebe sich sonach von der Beurteilung der Gegenwart auf diejenige der Zukunft. Konkret habe solcher Paradigmenwechsel die nahezu grenzenlose Ausweitung des Strafrechts zur Folge: Das Kernstrafrecht wird zunehmend mit Straftatbeständen bestückt, die eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit weit über die nur noch scheinbare Grenze des Versuchs hinaus mit sich bringen. Während das klassische Strafrecht noch maßgeblich von Verletzungsdelikten dominiert ist, etablieren sich nunmehr konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte zum „Prototyp der Straftat“. Zur Ausdehnung des Strafrechts tragen dann auch Universalrechtsgüter bei, die in ihrer eigentümlichen Nebelhaftigkeit Schutzmauern der Freiheitsinteressen vor dem Eingriff der strafenden Hand des Staates oftmals nur
638 Albrecht, KritV 1986, 55, 58. Auch Denninger, KJ 1988, 1 ff. beklagt, dass staatlicher Präventionspolitik bislang kaum rechtliche Grenzen gesetzt wurden. Vgl. allgemein zu der Tendenz selbst demokratischer Staaten, die eigenen Machtbefugnisse stetig auszuweiten, wodurch „die Menschheit mit Untergang und Vernichtung bedroht“ werde, bereits Dibelius, Grenzen des Staates. 639 Naucke, KritV 1993, 135, 142 f. Vgl. auch Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 970 ff.; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 33 ff. 640 Albrecht, KritV 1988, 182, 184. Vgl. auch Hassemer, ZRP 1992, 378, 380 f.; dens., JuS 1987, 257, 260; dens., Wolff-FS, 101, 119; Naucke, KritV 1993, 135, 143 ff.; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 246; Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 71 ff.; Zöller, GA 2010, 607, 614 ff. 641 Naucke, KritV 1993, 135, 145.
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noch erahnen lassen.642 Insbesondere das Nebenstrafrecht gerate in den Strudel präventiver Bekämpfungsintentionen. Die Regelungsdichte in diesem Bereich biete einen bemitleidenswerten Anblick: Mit der wachsenden Zahl an Verhalten reglementierenden Vorschriften sinke gleichsam die tatsächliche staatliche Kontrolle: Vor allem im Nebenstrafrecht zeige sich, was ebenso für viele der kernstrafrechtlich normierten Regelungen, die die oben genannten Merkmale zunehmender Vorverlagerung von Strafbarkeit aufweisen, gelte: Das „moderne“ Strafrecht sei letztlich nicht dazu in der Lage, die damit postulierten präventiven Erwartungen zu erfüllen. Es ziehe sich hingegen zurück auf den Rang eines symbolischen Mahnmals.643 Auch der Strafprozess bleibt von solcher Entwicklung nicht verschont. Vorverlagerte Strafbarkeit verlangt nach immer frühzeitigeren Ermittlungsinstrumentarien, die zunehmend ihrerseits mehr an Prävention denn an Repression erinnern: „Das gesamte Ermittlungsverfahren ist nicht mehr auf die Vorbereitung gerecht gemeinter Repression ausgerichtet, sondern wird selbständiger Beitrag zur Prävention.“ 644 Im Bereich der Rechtsfolgen erlangten nach Ansicht Nauckes Maßnahmen der „verwaltenden Sozialarbeit“ zunehmend die Oberhand, was Maßregeln anstelle von kontrollierten Rechtsfolgen ins Zentrum rücke. Das Einreißen der klaren Umzäunung des klassischen Strafrechts im Zeichen der Prävention definiert außerdem die Rolle des Strafrechts in Abgren-
642 Albrecht, KritV 1993, 163, 164, 166 ff.; Dencker, StV 1988, 262, 263; Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 138 f.; ders., NStZ 1989, 553, 558; ders., Wolff-FS, 101, 119; Hefendehl, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung, S. 89 ff.; Kötter, KJ 2003, 64, 67; Krauß, StV 1995, 315, 316 f.; Naucke, KritV 1993, 135, 145 f.; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 738 f. 643 Albrecht, KritV 1993, 163, 179 f., ders., Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 542, 695 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 382; ders., ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 138 f.; ders., NStZ 1989, 553 ff.; Kötter, KJ 2003, 64, 69 f.; Kreuzer, StV 2011, 122; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 253 ff.; Puschke, in: Hefendehl (Hrsg.), Grenzenlose Vorverlagerung, S. 9, 16. Zur Verteidigung des symbolischen Strafrechts als „Normalfall“ vgl. Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 86 ff. der indes die notwendige Differenzierung von Verhaltens- und Sanktionsnorm übersieht. Zwar trifft es zu, dass jede Bestrafung in einem symbolträchtigen Akt die Wiederherstellung des Rechts bzw. der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm besorgt. Die Kritik der Frankfurter Schule richtet sich aber nicht gegen den Grund von Strafe, also nicht gegen die Legitimationserwägungen, die Sanktionsnormen zugrunde legen. Vielmehr spielt der Symbolcharakter der Sanktionsnorm eine entscheidende Rolle im Prozess des Strafens (vgl. oben B. II. 1.). Hier geht es jedoch darum, dass die den Sanktionsnormen zugrundegelegten Verhaltensnormen nicht zum Schutz des jeweiligen Rechtsguts geeignet sind. Ihnen kommt allenfalls eine symbolische Funktion zu, die aber auf der Ebene der Verhaltensnormen, durch die präventiver Rechtsgüterschutz erzielt werden soll, nicht hinreicht. Die seitens der Frankfurter Schule ins Feld geführten Mängel einer Vielzahl der Verhaltensnormen des „modernen“ Strafrechts bedingen aber die unzureichende präventive Schutzmöglichkeit, die solchen Vorschriften zusteht. 644 Zitat bei Naucke, KritV 1993, 135, 145. Vgl. zur Kritik an der Veränderung des Strafprozesses auch Albrecht, KritV 1993, 163 f., 171 ff.; Hassemer, ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 139.
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zung zu anderen Rechtsgebieten neu. Das Ordnungswidrigkeitenrecht verliere seinen eigenständigen Charakter; insbesondere gegenüber dem Polizeirecht weise das Strafrecht „keinen Unterschied mehr“ auf – was aber vor dem Hintergrund des zweckrationalen Gleichlaufs beider Bereiche in weiten Teilen der Wissenschaft wenig überrascht.645 Als Opfer des modernen Strafrechts sind essenzielle Grundprinzipen eines freiheitlichen Rechtsstaats zu beklagen. Etwa der Legalitätsgrundsatz sei „theoretisch (. . .) abgeschrieben“. Dessen Ablösung durch das Opportunitätsprinzip, das in Ermangelung von Grundprinzipien in Gestalt der Unschuldsvermutung oder der Verdachtskonkretisierung mehr Effizienz in der präventiven Stoßrichtung bereithält, optimiere die vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Die Unvereinbarkeit von Legalität mit Prävention hat trotz (oder gerade wegen) ihrer ausschlaggebenden Relevanz für ein freiheitliches Strafrecht in dessen moderner Ausführung die weitgehende Zurückdrängung der erst genannten zur Folge. Auch weitere Bastionen des klassischen Strafrechts – etwa in Gestalt der Pflicht zur Erforschung der Wahrheit – müssen angesichts der am strafpolitischen Pragmatismus ausgerichteten Effizienz beispielsweise von strafprozessualen Absprachen fallen.646 Die Entwicklung des Strafrechts bewegt die Frankfurter Schule zum Ruf nach Rückbesinnung. Dabei schlagen ihre Vertreter inhaltlich durchaus voneinander abweichende Korrekturansätze vor.647 Eine Tendenz geht aber in die Richtung, Strafrechtsnormen durch solche Regelungsinstrumente zu ersetzen, die zur jeweiligen Problemlösung geeigneter erscheinen: Die Wahrung des ultima ratio-Gedankens staatlicher Strafe kann als ein wesentliches Hauptanliegen der Frankfurter Schule erachtet werden.648 Damit einher gehen Forderungen nach dem Zurückdrängen des Strafrechts in den Bereich wirklich kriminalstrafwürdigen Verhaltens.649
645 Naucke, KritV 1993, 135, 146 f. Siehe dazu auch Hassemer, ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 140. 646 Albrecht, StV 1994, 265, 269; Denninger, KJ 1988, 1, 3 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 382; ders., StV 1993, 664, 666; Naucke, KritV 1993, 135, 150 ff.; ders., KritV 1990, 244, 253; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 248 ff.; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 739 f. 647 Vgl. dazu Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 51 ff., der sich angesichts der Abweichungen in den zur Wiederherstellung eines Strafrechts, das den Anforderungen der Philosophie der Aufklärung entspricht, vorgeschlagenen Korrekturansätzen gegen die Zusammenfassung der benannten Autoren zu einer „Frankfurter Schule“ ausspricht. 648 Albrecht, KritV 1993, 163, 180; Hassemer, ZRP 1992, 378, 380. Vgl. dazu auch Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 96. 649 Hassemer, ARSP-Beiheft 44 (1991), 130, 141; ders., StV 1993, 664, 669; Vormbaum, ZStW 107 (1995), 734, 746 ff.
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2. Begrenzung des eigenen Untersuchungsgegenstandes auf die Unzulässigkeit der Anerkennung des Menschen als Risiko im Strafrecht Es kann hier nicht darum gehen, die Stichhaltigkeit der Warnungen der Frankfurter Schule zu hinterfragen, führte dies in weiten Teilen doch weg vom eigentlichen Kern der Untersuchung. Jedenfalls der praktische Bedarf an rechtlichen Instrumentarien zur Gewährleistung von Rechtsgüterschutz in modernen Lebensbereichen, die zugegeben durch eine erhebliche Komplexität der Risikosituationen ihre Prägung erfahren, kann kaum bestritten werden. Die klassischen Verletzungsdelikte sind gerade nicht darauf zugeschnitten, solches Verhalten zu erfassen, das trotz Unsicherheit in der Erfolgsursächlichkeit durch ein inakzeptables Gefährdungspotential gekennzeichnet ist.650 Dabei macht es sich offenbar derjenige zu einfach, der eine pauschale Ablehnung der Eingriffsmöglichkeiten des Strafrechts propagiert. Gerade wenn Rechtsgüter von höchstem gesellschaftlichen Wert auf dem Spiel stehen, mutet eine Zurückziehung des Strafrechts aus diesem Bereich mehr als befremdlich – „skandalös“ – an.651 Eine friedliche Koexistenz der Individuen zu garantieren, ist spezifische Aufgabe des Strafrechts, die nicht durch verfehlte Überbetonung des ultima ratio-Gedankens unter den Tisch fallen darf. Verfällt der Staat angesichts neuartiger Risikomaterien in eine das Strafrecht betreffende Lethargie, kann darin durchaus auch eine Verletzung seiner konkreten Schutzpflichten zu sehen sein. Zwar ist bei Eingriffen in Freiheitsinteressen der Bürger stets nach milderen Alternativen als dem Strafrecht zu suchen. Es gilt jedoch gleichsam das Postulat der Effektivität. Dass aber im Bereich außerordentlich schutzwürdiger Güter in vielen Fällen allein eine strafrechtliche Regelung die Stabilität der rechtsstaatlich verfassten Gemeinschaft in gebotener Wirksamkeit garantiert, ist kaum zu bestreiten.652 Der Erkenntnis der Notwendigkeit (auch) strafrechtlicher Reaktion auf veränderte Gegebenheiten in modernen Lebenssachverhalten darf aber nicht die Dogmatik des rechtsstaatlichen Strafrechts zum Opfer fallen. Zu einer Verbiegung oder gar Verdrängung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze darf es unter kei650 Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 105 ff. Auch die Risikoerhöhungslehren (Hoyer, GA 1996, 160, 169) bzw. der Grundsatz freier richterlicher Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 17, 382, 385; Braum, KritV 1994, 179, 181) scheitern in ihrem Vorhaben, das Strafrecht auf „modernen“ Kurs zu setzen, an den apodiktischen Einwänden, die beiden Ansätzen entgegenzubringen sind. Vgl. dazu Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 323 ff.; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 108 ff. 651 So auch Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 688; Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 104. Vgl. zudem Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 133. 652 Siehe auch Grasso, ZStW Beiheft 1987, 57 ff. Zu alternativen Maßnahmen vgl. Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 91 ff. Vgl. dazu, dass Strafrecht auch in der Risikogesellschaft nicht unweigerlich zum zahnlosen Tiger verkommen muss, Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 45 f.
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nen Umständen kommen. Indes stellt sich die Situation der deutschen Strafrechtsdogmatik angesichts erhöhter Risikolagen weniger machtlos dar, als es den Anschein erwecken mag. So lassen sich legitime Wege bestreiten, auf denen mit den Mitteln eines freiheitlichen Strafrechts neue Risikomaterien sinnvoll zu erfassen sind. Die durch abstrakte Gefährdungsdelikte erzielte Vorverlagerung strafbaren Verhaltens über die Grenzen des strafbaren Versuchs hinaus bietet unter dieser Prämisse ein weniger schauerliches Bild, als es bislang gezeichnet wurde. So lassen sich immer dann rechtlich legitime Verhaltensnormen aufstellen, wenn aus Sicht des potentiell Normunterworfenen im verhaltensrelevanten Zeitpunkt – ex ante – Schädigungsmöglichkeiten seines Verhaltens für ein Schutzgut erkennbar sind, die aufgrund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen als nicht hinnehmbar zu beurteilen sind. Es kommt daher für die Bildung rechtlicher Verhaltensnormen nicht auf eine konkrete Gefahr (i. S. eines konkreten Gefahrerfolgs) oder gar eine Verletzung des geschützten Interesses an: Für den Betreffenden ist dies ex ante noch nicht mit Gewissheit ersichtlich. Hinreichend ist vielmehr, ob ex ante die Einschätzung zu erzielen ist, dass das konkrete Verhalten rechtlich nicht hinnehmbare Schädigungsmöglichkeiten für ein Rechtsgut aufweist. Unter diesen Umständen kann ein rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechendes Ge- bzw. Verbot aufgestellt werden.653 In der Konsequenz bilden abstrakte Gefährdungsdelikte unter Wahrung der dogmatischen Grunddeterminanten des rechtsstaatlichen Strafrechts eine legitime Deliktskategorie, die sich ohne systematische Verrenkungen in ein stimmiges Strafrechtskonzept aufnehmen lassen.654 Legitimationsbedenken können sich außerdem nicht vor dem Hintergrund ergeben, dass abstrakte Gefährdungsdelikte kein spezifisches Erfolgsunrecht voraussetzen. Fehlverhaltensfolgen sind keine zwingende Voraussetzung für das Eingreifen von Strafe. Wesentliches straftatkonstituierendes Element ist das personale Verhaltensunrecht. Das Erfolgsunrecht macht hingegen die äußere Manifestation des Verhaltensunrechts aus, weshalb es sich um eine davon abgeleitete Kategorie handelt, die auf spezifische Weise auf das Ob und Wie der Bestrafung Einfluss nehmen kann.655 Aus diesem Grund fällt auch die ex post erzielte Erkenntnis, dass es trotz des gefährlichen Verhaltens nicht zu einer konkreten Gefährdung des Schutzguts gekommen ist, nicht weiter ins Gewicht. Das Ausblei653
Vgl. ausführlich oben B. II. 1. b). Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 130 ff.; mit vergleichbaren Einschränkungen auch Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 91 ff. Allgemein zu abstrakten Gefährdungsdelikten vgl. Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit, S. 1 ff.; Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 856 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 225 ff., 277 ff.; Meyer, Gefährlichkeitsdelikte, S. 153 ff.; Schünemann, JA 1975, 787, 798; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 305 ff.; Wolter, Objektive und personale Zurechnung, S. 319 f.; Zieschang, Gefährdungsdelikte, sowie den Überblick bei Roxin, AT I, § 11 Rn. 153 ff. 655 Siehe schon oben B. II. 1. d). 654
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ben einer Verletzung bzw. konkreten Gefährdung wirkt sich nicht auf die Beurteilung eines Verhaltens als unerlaubtes aus. In der Folge bleibt es bei der dem abstrakten Gefährdungsdelikt zugrunde liegenden rechtlichen Verhaltensnorm, die ein spezifisches Verhalten vorschreibt. An der Verfassungsrechtlichkeit so verstandener abstrakter Gefährdungsdelikte vermögen nachträgliche Tatsachenumstände nicht zu rütteln.656 Insofern erweist sich die Forderung, das Strafrecht habe sich aus den Bereichen moderner Risiken generell zurückzuziehen, unter dem Aspekt der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze als zu pauschal. Das Strafrecht ist dazu in der Lage, effektiv auf moderne Risikomaterien zu reagieren, ohne dabei seine legitime Verankerung zu verlieren. Dementsprechend lassen sich etwa auch abstrakte Gefährdungsdelikte in ein stimmiges Straftatkonzept des rechtsstaatlichen Strafrechts integrieren, ohne dass mit der Vorverlagerung strafender Reaktion gleichsam der Untergang allen rechtsstaatlichen Strafrechts am Horizont aufzieht. Indes sind die Bedenken der Frankfurter Schule doch nicht ganz unbeachtlich bezüglich des eigenen Prüfungsgegenstandes. Moniert wird jedenfalls auch das Verschwimmen der Grenzen von Polizei- und „modernem“ Strafrecht, was unmittelbar die Frage der Gesinnungsbestrafung berührt. Der Weg des klassischen Strafrechts hin zu einem Präventivrecht ist gerade auch mit Elementen der Gesinnungsbestrafung gepflastert. Die Kritik der Frankfurter Schule wird daher in bestimmter Hinsicht mit dem Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit aufgegriffen: Die Person selbst ist kein Risiko, das mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen ist. Trotz aller Berechtigung und insbesondere praktischen Notwendigkeit eines auf die Vermeidung von Gefahren ausgerichteten Strafrechts darf nicht der Mensch selbst angesichts von Bedrohungsempfindungen zum Anknüpfungspunkt für Strafe verkommen. Diese Sperre657 hat das Strafrecht zu wahren – tut es dies nicht, muss es in jedem Fall hinter die eigenen Linien zurückgedrängt werden.658 Die Vorverlagerungsproblematik kann daher auch für die hiesige Untersuchung nicht gänzlich beiseite geschoben werden. Sie soll aber nicht unter dem Aspekt der Fragwürdigkeit strafrechtlicher Eingriffe als Reaktion auf veränderte Risikolagen weiter diskutiert werden. Hingegen geht es allein um jene Bereiche, die entgegen der rechtsstaatlich notwendigen Trennung von Straf- und Polizeirecht allein die individuelle Gefährlichkeit der Person zum Gegenstand der vorgeblichen „Bestrafung“ erheben. Insofern ist jedenfalls eine partielle Übereinstim-
656
Reus, Recht in der Risikogesellschaft, S. 133 ff. Genau genommen handelt es sich sogar um eine unhintergehbare Begrenzung des Strafrechts, das als spezifisches Mittel nur die Reaktion auf begangene Taten kennt. Eine „Bestrafung“ für Taten, die erst noch begangen werden sollen, ergibt keinen Sinn – und ein entsprechendes Präventionsrecht ist jedenfalls nicht als Strafrecht legitimiert. 658 Siehe B. I., B. III. Vgl. außerdem Silva Sanchez, Expansion des Strafrechts, S. 14, der zu Recht darauf verweist, dass „natürlicher Ort“ der „Lösung für das Problem der Unsicherheit“ das Polizeirecht ist. 657
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mung mit der allgemeinen Kritik der Frankfurter Schule für den eigenen Prüfungsstoff zu konstatieren. 3. Kennzeichen versteckt spezialpräventiver Vorschriften Dabei soll zur Bestimmung solcher Vorschriften, die allein unter individualpräventiver Zwecksetzung einen legitimen Stellenwert einnehmen könnten, vorab an die allgemeinen Kriterien zur Legitimation rechtlicher Verhaltensnormen, die allein strafrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen dürfen, erinnert werden.659 Die Frage der Legitimität von Sanktionsnormen ist vielschichtig. In Anbetracht der Tatsache, dass Sanktionsnormen allein den Schutz der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnormen im Blick haben, macht den zweiten Schritt vor dem ersten, wer unmittelbar in die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der rein strafrechtlichen Vorschrift einsteigt. Vorrangig gilt es, die Legitimität einer zu schützenden Verhaltensnorm zu hinterfragen, bevor nachgelagert originär strafrechtliche Fragestellungen erörtert werden können. Rechtlich zulässig ist eine Verhaltensnorm ausschließlich dann, wenn mit ihr ein vor dem Hintergrund der Verfassung legitimer Zweck verfolgt wird, den zu erreichen die Verhaltensnorm das geeignete, erforderliche und auch angemessene Mittel darstellt. Dabei gilt es, die rechtsstaatlich erforderliche Trennung rechtlicher Verhaltensnormen von polizeirechtlichen Instrumentarien sowie die Grunddeterminanten eines freiheitlichen Rechtsstaats zu wahren. Aus diesem Grund sind solche Vorschriften, die sich in ihrem „Ver- oder Gebot“ ausschließlich auf die Gefährlichkeit der Person beziehen (und nicht auf deren Tun oder Unterlassen), nicht als verfassungsrechtlich legitimes Mittel zum Schutz eines spezifischen Rechtsguts zu beurteilen. Solche Regelungen entsprechen nicht den Anforderungen, die in einem freiheitlichen Rechtsstaat an Verhaltensnormen gestellt werden: Sie intendieren hingegen in letzter Instanz die Kontrolle der Gedanken der Person als potentieller Quelle relevanter Gefahren: Um nicht totalitären Strukturen Einlass in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu gewähren, ist daher mit Vehemenz entsprechenden „Vorschriften“ entgegenzutreten: Wer eine Disposition zu rechtlich missbilligtem Verhalten besitzt, verstößt nicht bereits dadurch gegen eine rechtlich legitimierte Verhaltensnorm. Ein für das Strafrecht unverzichtbarer Verhaltensnormverstoß liegt vielmehr erst und nur dann vor, wenn der Einzelne mindestens unmittelbar dazu ansetzt, seine rechtlich zu missbilligenden Verhaltensprojekte zu verwirklichen. Um nunmehr den spezialpräventiven – genauer: den präventivpolizeilichen – Charakter einer fälschlich im Strafrecht verankerten Vorschrift auszumachen, gilt es, der Frage nachzugehen, ob die zugrundeliegende Verhaltensnorm ein Verhalten ver- bzw. gebietet, das in rechtlich nicht hinnehmbarer Weise Schädigungsmöglichkeiten für ein Schutzgut aufweist. Sofern die Bestimmung eines 659
Siehe B. II. 1. b).
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Verhaltens, das diesen Anforderungen entspricht, nicht gelingt, ist zu prüfen, ob die „Verhaltensnorm“ ausschließlich auf die Gefährlichkeit des Normadressaten als Person schielt. Ablenkung von dem eigentlichen Regelungskern einer Vorschrift soll dabei nicht durch deren vordergründige Benennung eines spezifischen Verhaltens gelingen. Nicht jedes denkbare Verhalten gibt grundsätzlichen Anlass zur Etablierung einer rechtlichen Verhaltensnorm. Vielmehr kommt es darauf an, dass ein Verhalten Schädigungsmöglichkeiten für ein schutzwürdiges Interesse aufweist, die ein Ausmaß haben, das rechtlich nicht hingenommen werden kann. Vorsicht ist daher insbesondere bei solchem Verhalten geboten, das im Verhaltenszeitpunkt ex ante (noch) rechtliche Neutralität aufweist: Der Normbruch setzt sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Komponenten zusammen. Anlass zur rechtlichen Missbilligung eines Verhaltens darf allein ein ex ante störendes Verhalten bieten; die Reglementierung rechtlich neutralen Verhaltens liefe hingegen auf den Verdacht böser Absichten des so Agierenden hinaus, die durch eine entsprechende Vorschrift missbilligt würden. Auch hier sind daher Einfallstore einer unzulässigen spezialpräventiv-gefährlichkeitsabwendenden Ausrichtung des Strafrechts – Gesinnungsstrafrecht – zu befürchten. Zuletzt soll im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zur Bestimmung rein polizeirechtlicher Vorschriften, die fälschlich im StGB etabliert worden sind, auf einen weiteren Fallstrick hingewiesen werden, auf den bereits die Frankfurter Schule mehrfach aufmerksam gemacht hat. Angesprochen sei damit der Problemkreis der Universalrechtsgüter, die nach Ansicht der Gegner eines „modernen“ Strafrechts nur in engen Grenzen rechtsstaatliche Zulässigkeit aufweisen. In der Tat sind auch vor dem Hintergrund des spezialpräventiven Missbrauchs des Strafrechts Gefahren auszumachen, die von Universalrechtsgütern innerhalb solcher Entwicklung ausgehen können. So ist zu beobachten, dass einzelne Interessen, die als solche der Allgemeinheit deklariert werden, nicht selten allenfalls die Funktion einnehmen können, den eigentlichen gesinnungsstrafenden Charakter einer Vorschrift zu verschleiern.660 Für Verfechter der Rechtmäßigkeit einer spezifischen, ausschließlich individualpräventiven Vorschrift mag dies den Vorteil haben, dass die Frage der Legitimität der Regelung auf die Diskussion des rechtmäßigen Gehalts des Schutzguts verschoben wird. Raum für Kreativität, der oftmals nicht ungenutzt gelassen wird, bieten diffuse Universalinteressen allemal. Dass dabei der eigentliche Kern der Untersuchung, die Frage nach der rechtlichen Relevanz des missbilligten Verhaltens bzw. die Reichweite von Strafe im kritischen Vorfeldbereich, verschoben wird, scheint so leicht in Vergessenheit zu geraten.
660 Die den wahren Kern der Problematik verschleiernde Tendenz von Kollektivrechtsgütern erkennt zutreffend auch Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 95 f. Vgl. außerdem bereits Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 309.
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Die Lösung kann nunmehr nicht darin liegen, Universalrechtsgüter ganz allgemein aus dem Strafrecht zu verbannen. Dies wird dem Stellenwert nicht gerecht, den auch Interessen der Allgemeinheit in einem freiheitlichen Gemeinwesen einnehmen können. Ohnehin lässt sich eine Unterscheidung zwischen individuellen und allgemeinen Gütern nicht trennscharf vollziehen. Die von Seiten des Staates zu garantierende Freiheit des Individuums erstreckt sich nicht allein auf den Schutz vor unzulässigen Eingriffen. Vielmehr muss der Einzelne von seiner Freiheit potentiell Gebrauch machen können, sodass er zugleich ein Interesse an der Garantie derjenigen Grundvoraussetzungen hat, die seine individuelle Freiheitsentfaltung ermöglichen. Etwa der Bestand des Staates sowie die Funktionsfähigkeit seiner Einrichtungen lassen sich vor diesem Hintergrund nicht als ausschließliches Interesse des Staates deuten.661 Es muss trotz des grundsätzlich berechtigten Stellenwerts von Universalrechtsgütern im rechtsstaatlichen Strafrecht aber in jedem Fall geprüft werden, ob das jeweilige Universalrechtsgut einen rechtlich schutzwürdigen Gehalt aufweist.662 Es kann nicht angehen, dass diffuse Allgemeininteressen postuliert werden, die über den eigentlich rechtlich neutralen Charakter des ver- oder gebotenen Verhaltens hinwegtäuschen sollen. Und auch wenn sich ein legitimer Gehalt des universalen Interesses ausmachen lässt, darf die Untersuchung hier nicht stehen bleiben. Unbedingt erforderlich ist weiter die Prüfung, ob das Verhalten überhaupt Schädigungsmöglichkeiten für das Schutzgut aufweist, die rechtlich nicht hinnehmbar sind. Der Verschleierungstendenz diffuser Universalrechtsgüter darf in keinem Fall nachgegeben werden. Dass sich der problematische Charakter von relativ unscharfen Allgemeininteressen im Strafrecht durch deren Kombination mit Vorfeldnormen verschärft, liegt auf der Hand. Hier treffen die Legitimationsschwierigkeiten beider – für sich genommen fragwürdiger – Rechtskonstrukte zusammen und sorgen für eine Addition der einschlägigen Kritikpunkte. Gerade weil auf diese Weise die Grenze des Strafrechts zu anderen Rechtsgebieten durchbrochen werden kann, ist an dieser Stelle besondere Vorsicht geboten. Was dann aber beim Fehlen der aufgestellten Legitimationsvoraussetzungen der den abstrakten Gefährdungsdelikten zugrunde liegenden Verhaltensnormen verbunden mit unhaltbaren Kollektivgütern als Gegenstand des rechtlichen Verbots oftmals allenfalls noch verbleibt, ist allein die als besonders wertnegierend erachtete Gesinnung des Einzelnen. Eine Rechtfertigung eines solchen Gesinnungsverbots ist aber unter keinen Umstän661 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 84 f.; Stratenwerth, ZStW 105 (1993), 679, 692; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 94 ff., 222. 662 Vgl. dazu statt vieler Hörnle, Verhalten, S. 18: „Es muss auf die hinter den Rechtsgutsdefinitionen stehenden Prämissen zurückgegriffen werden, indem man sich mit der Frage auseinandersetzt, welche Wertungsgesichtspunkte ein Strafrechtsverbot tragen können.“ Siehe auch Frisch, Stree/Wessels-FS, S. 69, 94; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 229.
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den zu leisten. Deren Fehlen darf auch nicht durch ihren wahren Kern verschleiernde Hilfskonstruktionen umgangen werden.
4. Ausgewählte Problemkreise der Vorfeldinkriminierung Durch den Verweis auf die Überschneidungen des eigenen Prüfungsstoffs mit der Kritik insbesondere der Frankfurter Schule am sogenannten Risikostrafrecht sind diejenigen Bereiche benannt, in denen die Gefahr polizeirechtlicher „Verschmutzung“ des rechtsstaatlichen Strafrechts aufkommt. Es handelt sich dabei zunächst um Gebiete des Nebenstrafrechts (Wirtschafts-, Umwelt-, Produktstrafrecht). Doch selbst das Kernstrafrecht ist insbesondere im Bereich des Staatsschutzes und allgemein des politischen Strafrechts bzw. bezüglich einzelner allgemeiner Rechtsfiguren (Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, ggfs. beim Unterlassen) betroffen.663 Zum „politischen Strafrecht“ können die Vorschriften des Ersten bis einschließlich des Siebenten sowie des Neunten Abschnitts des Besonderen Teils des StGB zusammengefasst werden. Diese dienen zwar grundsätzlich voneinander abweichenden Rechtsgütern. Ihnen ist aber gemein, dass sie im Wesentlichen solche Verhaltensweisen inkriminieren, die die „selbstgesetzte Aufgabenerfüllung staatlicher Institutionen sowohl in ihren sächlichen und personellen Grundlagen als auch im Bewußtsein der Bürger beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen“ und damit einen umfassenden Schutzanspruch des Staates proklamieren.664 Auch hier finden sich die „üblichen Verdächtigen“ in besonderer Häufigkeit: Bereits die Bestimmung eines trennscharfen Schutzguts der Staatsschutzdelikte fällt nicht immer leicht.665 Oftmals versperren diffuse Rechtsgüter der Allgemeinheit den Blick auf den wahren Kern der Vorschrift: Die Frage nach der Berechtigung einer Vorschrift im strafrechtlichen Kontext droht dabei, in Verästelungen der Diskussion um den realen Gehalt eines spezifischen Universalrechtsguts unterzugehen. Sinnbildhaft sind in diesem Kontext die breiten Ausführungen, die in der Vergangenheit dem „Rechtsgut“ des öffentlichen Friedens gewidmet worden sind.666 663 Vgl. zu weiteren Problemfeldern Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 773 ff.; Rath, Gesinnungsstrafrecht. 664 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 91 ff. Vgl. allgemein zu den Staatsschutzdelikten Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung; LK II/Laufhütte/Kuschel, Vor § 80 Rn. 1 ff.; SK/Rudolphi, 53. Lfg. Okt. 2001, Vor § 80 Rn. 2 f. 665 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 94 f.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 293 ff., 389 ff. 666 Vgl. Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 134 ff.; W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 143 ff.; Fischer, Öffentlicher Friede; dens., NStZ 1988, 159 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 286 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff.; Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam, S. 115; LK II/Krauß, § 130 Rn. 3 ff.; Krupna, Konzept der „Hate Crimes“, S. 110 ff.; Kühl, Lampe-FS, S. 439, 454 f.; Rössner, Primäre Prävention, S. 128, 131 ff.; ders., Remmers-FS, 653, 662; SK/Rudolphi/
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Kaum auszumachen ist hier bereits eine klare Bestimmung dessen, was denn nun eigentlich mit öffentlichem Frieden gemeint sein solle. Die Vorschläge reichen im Allgemeinen von dem Bestand eines Zustands des von Furcht befreiten Zusammenlebens der Bürger (allgemeine Rechtssicherheit), dem Vertrauen in die Fortdauer des Zustands der Sicherheit der Allgemeinheit bzw. einzelner Bevölkerungsteile über den Schutz eines Klimas der Toleranz bis hin zum Zweck der Verhinderung von Selbstjustiz.667 Trotz breiter Palette schillert die letztlich verbleibende Frage der Legitimität einer Vorschrift, die allein den „öffentlichen Frieden“ zu schützen intendiert, in nur wenig bunten Farben. Angesichts der umfassenden Besprechung des besagten Themenkomplexes sollen die eigenen Ausführungen sich auf das Wesentliche begrenzen – zumal der Vorteil einer Erörterung des jeweiligen Schutzguts allein vor dem Hintergrund Relevanz entfalten kann, als sie zur Bestätigung der These, es könne sich bei entsprechender Vorschrift um eine gesinnungsstrafende handeln, einen (wenngleich nicht abschließenden) Beitrag leistet. Im Vordergrund steht dabei der zentrale Befund, dass ein Schutzgut der allgemeinen Rechtssicherheit allenfalls die Achtung des geltenden Normenbestands erfassen kann. Es ginge dann aber um die Verhinderung von Straftaten: Ein originär polizeirechtliches Interesse. Die Verletzung der öffentlichen Sicherheit lässt sich ausschließlich unter der Prämisse der Beeinträchtigung eines tradierten Rechtsguts proklamieren. Deren Schutz ist indes durch entsprechende Vorschriften zu garantieren – der Flankierung durch Verhaltensnormen, die der allgemeinen Rechtssicherheit dienlich sein sollen, bedarf es dann aber nicht mehr.668 Zudem lässt sich das Vertrauen der Bevölkerung in einen „sicheren“ Zustand des gesellschaftlichen Miteinanders als legitimes rechtliches Schutzinteresse nicht halten: Welche Faktoren das allgemeine Vertrauen in die Sicherheit
Stein, 64. Lfg. Okt. 2005, § 130 Rn. 1 ff.; MK/Schäfer, § 126 Rn. 1 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 167 ff.; dens., NStZ 2000, 281, 283; Stratenwerth, Lenckner-FS, S. 377, 386; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 269 ff. Aus der Rechtsprechung zum Begriff des öffentlichen Friedens RGSt 15, 116, 117; BGHSt 34, 329, 331. 667 Vgl. im Einzelnen die Nachweise bei Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff. 668 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92 ff.; Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, S. 217 ff.; Rudolphi, Bruns-FS, S. 315 ff.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 21. Die Bemühungen Barischs, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 142 f., dem öffentlichen Frieden einen über den Schutz der tradierten Rechtsgüter hinausgehenden, eigenständigen Gehalt zu verleihen, überzeugen nicht. Die Behauptung, es gäbe eine kollektive „Bewusstseinslage der Mitglieder eines sozialen Systems“, das mehr sei als die Summe des Systemvertrauens der Einzelpersonen, wird letztlich nicht mit Inhalt gefüllt. Solche Ausfüllung kann vor freiheitsrechtlichem Hintergrund auch ernstlich nicht gelingen bzw. gewollt sein, öffnet man sich der rechtsstaatlich unbedingt zu wahrenden Erkenntnis, dass es kein Kollektiv geben darf, das in seinen Interessen über diejenigen seiner Glieder – der Individuen – hinausgeht. Alles andere birgt die Gefährlichkeit, doch (wieder) Kollektivinteressen über die des Einzelnen zu stellen.
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beeinflussen, ist bislang kaum ausgemacht. Insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass Irrationalitäten sich auf diese Weise den Weg ins Recht bahnen könnten. Jedenfalls die Abhängigkeit des gesellschaftlichen Vertrauens von öffentlicher Berichterstattung sollte Zweifel an der Maßgeblichkeit eines solchen Faktors zur Festlegung von Verhaltensnormen wecken.669 Letztlich stünde wohl der reine Gefühlsschutz im Raum, der zu Recht mehrheitlich als Schutzinteresse rechtlicher Verhaltensnormen abgelehnt wird.670 Der Schutz eines toleranten Klimas mag zwar hinsichtlich solcher Verhaltensweisen, die grundlegend den Bestand der pluralistischen Gesellschaftsform gefährden, seinen legitimen Stellenwert einnehmen. Indes wird es sich hier nicht um den Regelfall handeln. Sofern aber keine entsprechende Gefährdungslage im Raum steht, muss auf die Notwendigkeit von Provokation im Rahmen einer Gemeinschaft, die auf Meinungsfreiheit und die Konkurrenz widerstreitender Gedanken setzt, verwiesen werden. In einer heterogenen Gesellschaft müssen Provokationen grundsätzlich hingenommen werden.671 Entscheidend gegen den legitimen Charakter von Verhaltensnormen, die den öffentlichen Frieden zu schützen intendieren, spricht aber die darin vollzogene fälschliche Verdichtung jedweder Verantwortung für gesellschaftlichen Frieden beim Staat. Vorschriften, die den öffentlichen Frieden schützen, legen die Aufgabe der Gewährleistung einer friedlichen Koexistenz allein in die Hände des Staates und seiner Institutionen. So wird aber der fehlgehende Eindruck vermittelt, der Einzelne sei nicht länger selbst zu solcher Leistung imstande. Unabhängig davon, ob der Grund für solche Verantwortungsverschiebung in einer veränderten allgemeinen „Sicherheitslage“ oder aber schwindendem Vertrauen von Seiten des Staates in seine Bürger liegt, wird dies nicht der Rolle des Individuums im Prozess menschlicher Koexistenz in Frieden gerecht. Ausgeblendet wird sowohl der ursprüngliche Akt sozialisationsgeleiteter Selbstbegrenzung in Überwindung des Naturzustands als Ausgangspunkt jedweder friedlichen Gesellschaft. Die Entscheidung zur Absage gegenüber dem Zustand des Krieges ist eine rein individuelle, sodass als Ursprung des Friedens nur insoweit ein „staatlicher“ Akt angesehen werden könnte, als die Eingehung eines Gesellschaftsvertrags einhergeht mit der Übertragung von Gewalt vom Einzelnen auf eine übergeordnete Institution. Auch übersieht derjenige, der die Verantwortung für den öffentlichen Frieden vorrangig in die Hände des Staates legen will, die Relevanz intersubjektiver Nähebeziehungen, die ihren maßgeblichen Beitrag zum Bestand des Friedens leisten. Die Gefahren, die mit solchem Wechselspiel einhergehen, dürfen nicht verschwiegen werden: Wer die Autonomie des Einzelnen, die sich wesentlich
669 670 671
Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 101 ff. Siehe statt aller Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 78 ff. Wie hier Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 96 ff.
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von seiner Verantwortung für den Bestand der friedlichen Koexistenz in der Gemeinschaft ableitet, beschneidet, beschwört einen nachlässigen Umgang mit den Grunddeterminanten eines freiheitlichen Miteinanders herauf: Zieht der Staat sämtliche Aufgaben an sich, verkommt die Rolle des Bürgers zum reinen Statisten. Das Bewusstsein, individuell für das Funktionieren der Gesellschaft (mit-) verantwortlich zu sein, geht verloren – als Kehrseite präsentiert sich im schlimmsten Fall forcierte Opposition. Der Wunsch auf größtmögliche Garantie öffentlichen Friedens beflügelt damit letztlich das Gegenteil: Unfrieden.672 Die Kritik am „Rechtsgut“ des öffentlichen Friedens belegt damit, dass es sich dabei nicht um einen rechtlich legitimen Zweck von Verhaltensnormen handelt. Sofern nicht jedenfalls ein weiteres – und zwar berechtigtes – Ziel mit einer Vorschrift verfolgt wird, ist ihre Legitimität abzulehnen. Für das Strafrecht bedeutet das nichts anderes als die Unzulässigkeit einer Sanktionsnorm, die solche Verhaltensnorm zu schützen intendiert. Die Verschleierungstendenzen, die mit der Etablierung eines Kollektivrechtsguts in Gestalt des öffentlichen Friedens einhergehen, treten letztlich offen zu Tage. Die Debatte um dessen berechtigten Gehalt führt vom eigentlichen Kern der Problematik weg: Reglementieren entsprechende Verhaltensnormen solche Verhaltensweisen, die in rechtlich nicht zulässiger Weise Schädigungsmöglichkeiten für tradierte Rechtsgüter aufweisen oder geht es dabei allein um die Gefährlichkeit der Person? Die Schwierigkeit (oder gar Unmöglichkeit) der Benennung eines anerkennenswerten Interesses im Dunstkreis des öffentlichen Friedens belegt die Nähe zu unzulässigem Gesinnungsstrafrecht. Bei jenen Verhaltensnormen, die sich dem „Schutz des öffentlichen Friedens“ verschrieben haben, gilt es daher, mit besonderer Aufmerksamkeit die erforderliche Überprüfung des Charakters des jeweiligen Verhaltens als in rechtlicher Relevanz störendes vorzunehmen. Doch auch die übrigen Spuren spezialpräventiver Ausrichtung finden sich im Bereich der Staatsschutzdelikte in bedrohlicher Dichte: Inkriminiert wird nicht selten ein Verhalten, das bei objektiver Betrachtung als wertneutral befunden werden muss. Ihren Unrechtscharakter erlangen solch farblose Verhaltensweisen dann aber in Anknüpfung an spezifische subjektive Merkmale des „Täters“: „Staatsfeindliche“ oder anderweitig böse Absichten sorgen hier erst dafür, dass ein äußerlich nicht störendes Verhalten zu strafrechtlichem Unrecht werden soll. Einher gehen sowohl die Mängel in der Schutzgutsbestimmbarkeit sowie des Charakters inkriminierter Verhaltensweisen als in rechtlicher Relevanz störende mit einer weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit. Abstrakte Gefährdungsdelikte genießen Hochkonjunktur und runden damit das Bild der Staatsschutzdelikte als
672 Wie hier W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 143 f., der aber dennoch in engen Grenzen die Berechtigung des Schutzes des öffentlichen Friedens anerkennt. Vgl. auch Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 286 f.
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Quelle jedenfalls des Verdachts spezialpräventiv-gefährlichkeitsabwehrender Einflüsse ab.673 Die Gefahren unzulässiger Gesinnungsbestrafung offenbaren sich im Bereich des politischen Strafrechts bzw. der ihm zugrunde liegenden Verhaltensnormen in besonderer Deutlichkeit. Der Bestandsschutz der Demokratie kollidiert mit der Meinungs- und Gedankenfreiheit ihres politischen Gegenspielers. Durch Verhaltensreglementierung betriebener Staatsschutz und die Bewegungsfreiheit des Bürgers verhalten sich antiproportional zueinander. Doch ist die Freiheit im Handeln, Denken und Meinen Kernelement des rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens. Wird Staatsschutz daher exzessiv auch mit dem Mittel der Etablierung (sogar strafbewehrter) Verhaltensnormen betrieben, ist hierin eine Abkehr von den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu sehen: Ein den Staat und seine Institutionen über die Maßen schützendes Strafrecht hat die Grenzen seiner rechtsstaatlichen Legitimation verlassen und nähert sich dem Vorbild totalitärer Systeme. Es verkennt, dass Andersdenken Wurzel und Lebenselixier des demokratischen Gemeinwesens ist – die Abkehr von solchem Ideal geschieht um den hohen Preis eines Paradigmenwechsels. Absoluter Bestandsschutz der Grunddeterminanten eines freiheitlichen Rechtsstaats ist gerade ob deren uneingeschränkter Anerkennung nicht zu haben. Optimaler Staatsschutz gedeiht auf dem Boden der Verfassungstreue des Bürgers. Geht aber der Rückhalt im Staatsvolk für die Verfasstheit der Gemeinschaftsform verloren, lässt sich dies selbst durch härteste Instrumentarien von Staates Seite nicht wieder gut machen.674
673 Vgl. zu den Eigenarten der Staatsschutzdelikte auch W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 94 ff.; Dencker, StV 1988, 262 ff.; LK II/Laufhütte/Kuschel, Vor § 80 Rn. 22; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 294 ff., 308 ff. – Unter Legitimationsgesichtspunkten fallen in diesem Bereich nicht selten die Strafrahmen negativ ins Gewicht. Ausgeschlossen ist nicht, dass einzelne Verhaltensweisen, die den Staat und seine Institutionen gefährden, durch entsprechende Vorschriften untersagt werden. Auch die Strafbewehrung solcher Verhaltensnormen ist denkbar. Indes muss sich der hohe Grad an Abstraktion, nach dem solches Verhalten als gefährliches eingestuft wird, jedenfalls in dem konkreten Strafrahmen widerspiegeln. Je abstrakter die Gefährlichkeit eines Verhaltens für das jeweilige Schutzgut ausfällt, desto geringfügiger ist das konkrete Fehlverhalten (vgl. bereits oben B. II. 1. d.). Einem derart abgeschwächten Verhaltensunrecht muss aber immerhin durch eine verminderte Strafhöhe in der Ahndung des Verhaltensnormverstoßes Rechnung getragen werden. Im Gesetz bietet sich hier aber ein erschreckendes Bild fehlender Umsetzung solcher Maßgabe. Das Strafmaß der betroffenen Deliktstatbestände fällt nicht selten in den Obergrenzen besonders hoch aus (vgl. nur § 86a [3 Jahre Höchststrafe], § 140 [3 Jahre Höchststrafe] etc.). Dies wird jedoch nicht dem Umstand gerecht, dass eine Vielzahl der hier inkriminierten Verhaltensweisen erst auf einem erhöhten Abstraktionsniveau eine Gefahr für das jeweilige Schutzgut darstellt. Auch insoweit bietet ein Großteil der Vorschriften des politischen Strafrechts kein Beispiel hoher Gesetzgebungskunst. 674 LK II/Laufhütte/Kuschel, Vor § 80 Rn. 22 ff.; Schroeder, Schutz von Staat und Verfassung, S. 302.
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Die Tendenz des politischen Strafrechts mag zwar dahin gehen, vom demokratischen Ideal abweichende Gesinnungen aufgrund der ihnen immanenten Gefährlichkeit für den Bestand des Staates zu unterdrücken. In der Tat liegt hierin die jedenfalls grundsätzlich zutreffende Erkenntnis, dass ein sicherer Bestand des Staates die individuelle Sicherheit des Bürgers bestärkt. Allerdings darf der Blick auf die widerstreitenden Interessen, die in einem freiheitlichen Rechtsstaat ihrerseits höchste Bedeutung entfalten, nicht durch Sicherungswahn versperrt werden: Vielmehr gilt es, das besonders sensible Gegenspiel von individueller Freiheit und staatlicher Sicherheit nicht zugunsten der Letzteren ins Ungleichgewicht zu bringen:675 Am Ende steht der Bruch mit der freiheitlichen Verfassung. Der Versuchung, vermeintlich mehr Sicherheit durch stärkere Verhaltensreglementierung zu erzielen, muss daher in Selbstdisziplin standgehalten werden. Wenngleich Gesinnungen oder Meinungen, die einen freiheitlichen Rechtsstaat negieren, als für dessen Bestand gefährlich eingestuft werden, entspricht es gerade nicht dessen Idealen, Gegner absolut zu bekämpfen. Selbst als falsch empfundene Weltanschauungen haben in einem durch Heterogenität geprägten Gemeinwesen ihren berechtigten Stellenwert.676 Insoweit ist an die Mahnung der Frankfurter Schule bezüglich der Entstehung eines „modernen“ Strafrechts zu erinnern: Dieses darf nicht eine Abkehr vom rechtsstaatlichen Strafrecht vollziehen, das aber sowohl vor der unberechtigten Machtausübung von Individuen, aber gerade auch vor derjenigen des Staates Schutz garantieren will.677 Die Etablierung staatsschützender Vorschriften greift jedoch im Bereich der Gesinnungen unzulässig in die Freiheit des Bürgers ein und pervertiert staatliche Machtausübung in Form eines Gedankenstrafrechts. Eine abschließende Untersuchung der unter dem Aspekt der Gesinnungsbestrafung fragwürdigen Straftatbestände bzw. Rechtsfiguren kann hier nicht geleistet werden. Zudem stellt sich die verfügbare Literatur zu den einschlägigen Themenkomplexen des Neben- und Kernstrafrechts als umfassend dar, sodass von einer weiteren Ergänzung im vorliegenden Zusammenhang abgesehen werden kann. Ohnedies bieten die dargelegten, allgemeinen Kriterien zur Bestimmung solcher Vorschriften, die aufgrund ihres rein spezialpräventiven (gefährlichkeitsabwehrenden) Gehalts in unzulässiger Weise im StGB etabliert sind, das hinreichende Rüstzeug zur Klärung von Einzelfragen. Es sollen daher in gebotener Kürze jene Strafbarkeitsfiguren etwas näher betrachtet werden, bei denen kritische Stimmen gerne als antiquiert überhört werden. Insofern gilt hier – wie so oft: Wehret den Anfängen! Gesinnungsstrafrecht lässt sich auch nicht gewohnheitsrechtlich legitimieren.
675 676 677
Zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit vgl. noch unten E. Siehe zur weiteren Argumentation in diesem Kontext bereits oben B. II. 2. b). Vgl. oben D. II. 1., 2.
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a) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs Wen die Befürchtung unzulässiger spezialpräventiver Vermischung des Strafrechts umtreibt, der stößt unweigerlich auf dessen eigens gewählte Grenzen im Vorfeldbereich: Die Strafbarkeit des (auch: untauglichen) Versuchs. Aus §§ 22, 23 Abs. 3 ergibt sich, dass eine Strafbarkeit ebenfalls desjenigen Versuchsverhaltens vorgesehen ist, das entgegen der Tätervorstellung von vornherein aufgrund des Nichtvorliegens tatsächlicher oder rechtlicher Gegebenheiten nicht von Erfolg gekrönt sein kann. Das Verhalten des Täters ist außer in seiner Vorstellung zu keinem Zeitpunkt tatsächlich gefährlich, es trägt aus einer höheren Warte gerade nicht das mögliche Risiko einer Rechtsgutsverletzung in sich. Nicht ganz ohne Grund stellt sich daher die Frage, weshalb die Rechtsordnung auf solches Verhalten überhaupt reagieren sollte? Es ist nicht nur – wie im Normalfall des tauglichen Versuchsverhaltens – glücklicherweise „noch einmal gutgegangen“; vielmehr bestand aus höherer Warte betrachtet nie die (konkrete) Gefahr, dass es zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen könnte. Wie aber, wenn nicht durch bloßes Abstellen auf die bösen Gedanken des Einzelnen, lässt sich dann die Bestrafung des untauglichen Versuchs legitimieren?678 Die Beantwortung der damit aufgeworfenen Frage verlangt nach einer Vergewisserung des Strafgrunds des Versuchs. Soll eine Legitimation der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs gelingen, muss sie sich aus dem allgemeinen Strafgrund des Versuchsverhaltens ergeben. Es gilt daher zunächst, die Ratio des Letzteren zu klären. Denn auch hier mag der skeptische Betrachter einwenden: Warum sollte der Versuchstäter überhaupt bestraft werden? Es ist doch nichts passiert . . . aa) Subjektiv oder objektiv? Dass letztlich doch etwas passiert ist, stößt indes auf allgemeine Anerkennung. Dabei bietet sich ein breites Spektrum an Erklärungsansätzen, das von dem (objektiven) Abstellen auf die konkrete Gefährdung des angegriffenen Tatobjekts bzw. der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts679 bis zur Heranziehung der rechtsfeindlichen Gesinnung als Strafgrund des Versuchs im Rahmen subjektiver Theorien680 reicht. Die Lückenhaftigkeit rein subjektiver bzw. objektiver Versuchstheorien erkennend,681 hat sich vorherrschend die sogenannte Eindrucks678 Gar nicht, meint Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 763 ff., sofern es an der Tauglichkeit des Angriffsobjekts bzw. des Mittels fehle: „Ein Verhalten, das überhaupt nur unter Hinzunahme der nicht-objektivierten Tätervorstellung als Organisationsanmaßung erscheint, ist sozial unauffällig, und stilisiert man es zum Versuch, so bestraft man Vorstellungen, aber nicht Taten.“ 679 Dicke, JuS 1968, 157; Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation, S. 436 ff.; Spendel, JuS 1969, 314 ff.; Treplin, ZStW 76 (1964), 441 ff. 680 RGSt 1, 439, 441; 8, 198, 203; BGHSt 11, 324, 327; Gallas, Verbrechenslehre, 1968, S. 48; Sancinetti, Subjektive Unrechtsbegründung, S. 52 f.
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theorie durchgesetzt, wonach einerseits ebenfalls auf den manifestierten rechtsfeindlichen Willen des Täters abgestellt wird. Überdies fordert die Eindruckstheorie aber die Eignung solcher Willensmanifestation zur Erschütterung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung.682 Jedoch ist diese Theorie ebenfalls Bedenken ausgesetzt. Zuvörderst ergibt sich aus einem „rechtserschütternden Eindruck“ der Bevölkerung nicht unmittelbar der Grund für die Strafbarkeit eines spezifischen Verhaltenstyps. Solche Empfindungen können durchaus auf irrationalen Faktoren fußen, zumal nicht feststeht, wie sie überhaupt zu ermitteln sein sollen.683 Angemessen kann es zudem keinesfalls sein, die Strafbarkeit wesentlich von dem Bedürfnis der anderen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft an Rechtsbekräftigung abhängig zu machen.684 Auch mit der Eindruckstheorie ist folglich nicht das letzte Wort in Sachen Strafgrund des Versuchs gesprochen. bb) Sieh’, das Gute liegt so nah!685 Dass obige Lösungsansätze sich stets in Widersprüchlichkeiten verstricken, wirkt befremdlich, richtet sich der aufmerksame Blick einmal aus anderer Perspektive auf die Fragestellung. So stellt der Versuch lediglich einen bestimmten Verhaltenstyp dar, für den es erst zu begründen wäre, warum für ihn nicht die allgemeinen Regeln der Strafbarkeit und damit der Legitimation von Strafe gelten sollten.686 Insbesondere in der Konstellation des beendeten Versuchs hat der Täter aus seiner Sicht alles zur Vollendung der Tat Erforderliche erbracht. Ab diesem Zeitpunkt sind es außerhalb des Täters liegende Einflüsse – Zufall, Glück –, die über das tatsächliche Eintreten des angestrebten Erfolges entschei681 Vgl. zur ausführlichen Kritik an der objektiven Theorie Freund, AT, § 8 Rn. 9; Köhler, AT, S. 453 f. bzw. an der subjektiven Theorie Baumann/Weber/Mitsch, AT, S. 541; Gropp, AT, § 9 Rn. 47; Jakobs, AT, 25/17; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 135 f.; Murmann, Versuchsunrecht und Rücktritt, S. 3; Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22 Rn. 21; Weigend, in: Hirsch/Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Deutschland und Japan, S. 125. 682 Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22 Rn. 22, wenngleich der Autor selbst die Eindruckstheorie eher als kleineres Übel, nicht aber als optimale Lösung erachtet; Jescheck/Weigend, AT, S. 512 ff.; Maurach/Gössel/Zipf, AT II, § 40 Rn. 41; SK/Rudolphi, 20. Lfg. April 1993, Vor § 22 Rn. 13, 14; Roxin, JuS 1979, 1 f.; Wessels/Beulke, AT, Rn. 594. 683 Zu denken wäre etwa daran, dass ein bestimmtes Verhalten lediglich in einem Teil der Bevölkerung einen rechtserschütternden Eindruck hinterlässt. Hier werden Fragen nach dem Grad der Erschütterung laut, der die Eignung zur Strafbarkeit begründet. Zufriedenstellende Antworten wurden bislang seitens der Vertreter der Eindruckstheorie nicht geliefert. 684 Kühl, AT, § 15 Rn. 40 ff.; Murmann, JuS 1996, 590, 592; Weigend, in: Hirsch/ Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Deutschland und Japan, S. 121 ff.; Zaczyk, Unrecht der versuchten Tat, S. 21 ff., 29 f. 685 Warum also „immer weiter schweifen“?, Goethe, Erinnerung. 686 Zur Legitimation der Strafe siehe oben B. II. 1.
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den. Mithin liegt im unmittelbaren Vergleich mit dem durch den Täter vollendeten Delikt eine identische personale Fehlleistung vor, auf die mit Strafe reagiert werden kann. Auch in den anderen Versuchsfällen nimmt der Täter den von dem jeweiligen Versuchsdelikt erfassten Verhaltensnormverstoß vor, wenngleich das äußere Versuchsverhalten dem tatbestandsmäßigen Verhalten bei der vollendeten Tat nachsteht. Aus diesem Blickwinkel erscheint es vielmehr problematisch, die härtere Bestrafung im Falle der Vollendung der Tat zu begründen.687 Dass aber sowohl in der Verhaltensvariante des Versuchs als auch derjenigen der vollendeten Tat der Strafgrund ausschließlich in der Beseitigung eines Normgeltungsschadens durch ausgleichende Reaktion auf einen Verhaltensnormverstoß gesehen werden kann, ist durch diesen Perspektivenwechsel deutlich geworden. Folglich wirft der Strafgrund des Versuchs keine weitergehenden Probleme auf als derjenige der vollendeten Tat selbst.688 cc) Konsequenzen für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs Obgleich die Legitimation der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs bereits in dem voranstehend dargestellten Konzept angelegt ist, soll zur Vermeidung von Missverständnissen ein weiteres Wort der Erklärung folgen. So könnte bei rein oberflächlicher Betrachtung des Strafgrunds des Versuchs der Einwand erhoben werden, im Falle des untauglichen Versuchs liege ja gerade kein Verhaltensnormverstoß vor, da objektiv dem Verhalten keine Gefährlichkeit anhafte, der Täter sich diese lediglich vorstelle. Vorschnell könnte dann das Urteil gefasst werden, auch die eigene Lösung sei nicht frei von Gesinnungsbestrafung, verkörpere der untaugliche Versuch doch allenfalls subjektiv einen Verhaltensnormverstoß. Einseitiges Schubladendenken ist indessen selten zielführend und wirft häufig mehr neue Probleme auf, als es löst.689 Eine sachgerechte Behandlung der anstehenden Problematik gelingt hingegen unter Bezugnahme auf die zur Beurteilung der Legitimität von Verhaltensnormen maßgebliche Adressatenperspektive.690 687 Eine solche Begründung ist indessen darauf zu stützen, dass der Erfolgseintritt bei vollendeter Tat eine spezifische Fehlverhaltensfolge darstellt, die den Verhaltensnormverstoß nach außen manifestiert. Siehe dazu Freund, AT, § 8 Rn. 12, ders., GA 2005, 321, 328; ders./Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 82 f.; ders., Erfolgsdelikt, S. 90 f. m. Fn. 133, S. 93 ff. Vgl. schon oben B. II. 1. d). 688 Freund, AT, § 8 Rn. 11 f., 29; ders./Garro Carrera, ZStW 118 (2006), 76, 93; MK/Herzberg, § 22 Rn. 4, 20, wenngleich er den ebenfalls durch die Versuchstat drohenden Schaden nicht für die Geltungskraft der Verhaltensnorm, sondern das jeweilige konkrete Rechtsgut des Tatbestands, bspw. das Eigentum bei § 242, anerkennt; Heckler, Ermittlung der Rücktrittsleistung, S. 89 ff.; Jakobs, AT, 25/15, ders., ZStW 104 (1992), 82 f.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 20 ff.; Krey, AT II, Rn. 402. 689 Vgl. insoweit die Nachweise zur Kritik an den rein subjektiven bzw. objektiven Versuchstheorien oben Fn. 681. 690 Vgl. dazu schon oben B. II. 1. b) bb). Siehe zudem Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 182 ff.
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Zur Erinnerung: Verhaltensreglementierung ist nur unter der Voraussetzung sinnvoll, dass sie dem potentiell Normunterworfenen nicht mehr abverlangt, als er nach seinen individuellen Möglichkeiten zu leisten imstande ist. In Orientierung an der ex ante-Perspektive des Normadressaten in seiner konkreten Situation wird daher der Grundsatz ultra posse nemo obligatur gewahrt. Auch wäre es unsachgerecht, bestimmte Verhaltensweisen durch eine ex post-Betrachtung oder durch eine Betrachtung aus der Perspektive des Laplaceschen Weltgeistes für legitim zu erachten, sofern dem Betreffenden die Schädigungsmöglichkeiten seines Verhaltens vor Augen stehen. Die berechtigten Belange des Güterschutzes lassen sich daher ausschließlich in geeigneter, erforderlicher und angemessener Weise wahren, wenn die dargelegte perspektivische Bestimmung der – durchaus objektivrechtlichen – Verhaltensnorm erfolgt. Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs lässt sich sonach unschwer in das dargelegte Konzept eingliedern. Bietet sich dem Einzelnen auf der Basis seiner Vorstellung eine Sachlage, bei der sein Verhalten zu unterbleiben hat, trifft ihn tatsächlich ein objektiv-rechtliches Handlungsverbot, unabhängig von späteren Erkenntnissen der „wahren“ Gegebenheiten.691 Der untaugliche Versuch ist damit kein Sonderfall strafbaren Verhaltens, in dem etwa ausnahmsweise allein die subjektive Wahrnehmung des Betreffenden als Gegenstand der Bestrafung herangezogen wird.692 Es verhält sich vielmehr nicht anders als in übrigen Fällen strafbaren Verhaltens: Bei Zugrundelegen der für den Normadressaten in der konkreten Situation (ex ante) maßgeblichen Sachlage ergibt sich die tatsächliche Geltung der jeweiligen Norm, die ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet. Allein auf der Basis dieser Wahrnehmungsmöglichkeiten – denn etwas anderes steht ja gerade nicht zur Verfügung – kann das Verhalten des Einzelnen beurteilt werden, nämlich ob er in dieser Situation einen Normverstoß begeht oder nicht.693 Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs stellt sich somit lediglich auf der Basis anderer, am Subjektiven orientierter Versuchstheorien als Gesinnungsbestrafung dar. Unter Heranziehung der Adressatenperspektive als Maßstab zur Verhaltensbeurteilung gelingt es dagegen, den Blick auf den Verhaltensnormverstoß des Einzelnen freizulegen, der auch in Gestalt des untauglichen Versuchs auftritt und auf den im Sinne der Erhaltung der – gerade durch den Verhaltensnormverstoß gefährdeten – Normgeltung strafend reagiert werden muss. Die Bestrafung hat sich dabei auf die konkrete Tat zu begrenzen. Allein die gerade da691 Freund, AT, § 2 Rn. 25 ff.; ders., Erfolgsdelikt, S. 57 f.; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 356; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 136. 692 In diese Richtung aber Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 88: Sofern Verhaltensweisen nur nach der Vorstellung des Täters gefährlich seien, stelle deren Verbot „lediglich eine Ergänzung des Hauptfelds verbotener Verhaltensweisen“ dar. 693 Dazu, dass es aber für die unterschiedliche Gewichtung des Normbruchs, mithin von einer strafzumessungsrechtlichen Warte aus, durchaus eine Rolle spielt, ob diejenigen Folgen eingetreten sind, zu deren Vermeidung die Verhaltensnorm aufgestellt wurde, siehe Freund, Erfolgsdelikt, S. 98 ff., 104 f.
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durch ausgelöste Gefahr eines Normgeltungsschadens ist von dem betreffenden Täter strafrechtlich zu verantworten und nur dafür bietet das entsprechende Strafgesetz eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage. dd) Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlassen Vorwürfe der Gesinnungsbestrafung werden indes nicht allein gegenüber der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs in der Begehungsvariante vorgebracht.694 Mit erhöhter Vehemenz fallen sie im Bereich des begehungsgleichen Unterlassungsdelikts aus.695 Der Versuch entspringe allein der Phantasie des Betreffenden; seine Bestrafung fuße damit ausschließlich auf seinen bösen Gedanken. Die Erwiderung kann aber angesichts der Analogie der geäußerten Kritik zum oben Gesagten in gebotener Kürze ausfallen. Letztere richtet sich in der hier relevanten Ausführung nicht spezifisch gegen die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlassen, sondern entspricht offenkundig den oben ganz allgemein gegen die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs vorgebrachten Bedenken.696 Es kann daher insoweit auf voranstehende Ausführungen verwiesen werden, als es Charakteristikum des untauglichen Versuchs als Rechtsfigur ist, dass sich das rechtlich zu missbilligende Versuchsverhalten nur auf der Basis der Vorstellung des Betreffenden abspielt. Rein äußerlich weist das Verhalten typischerweise keine Schädigungsmöglichkeiten für ein spezifisches Rechtsgut auf. Maßgeblich zur Beurteilung der Geltung von Verhaltensanforderungen ist aber die Sachlage, die sich dem potentiell Normunterworfenen darbietet. Sofern aus dieser Perspektive eine Gütergefährlichkeit seines Verhaltens besteht, richtet sich an ihn die individuelle Norm, solches zu unterlassen. Dies gilt selbstredend auch im Fall des begehungsgleichen Unterlassens, das keine Sonderstellung für sich beanspruchen kann. Die Festlegung der Verhaltensanforderungen gelten im Bereich von Begehen und Unterlassen gleichermaßen.697 Insofern ist für die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlas694 Die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlassen bejahen u. a. auch Schönke/Schröder/Eser, Vorbem. § 22 Rn. 27; MK/Freund, § 13 Rn. 254 ff. m.w. N.; LK II/Weigend, § 13 Rn. 78. 695 Armin Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 210 ff., 218 ff.; Rudolphi, MDR 1967, 1, 3; Schmidhäuser, AT, 13/27 (S. 432). 696 Vgl. zur Auseinandersetzung mit der weiteren Kritik an der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs beim begehungsgleichen Unterlassungsdelikt MK/Freund, § 13 Rn. 254 ff.; zudem Malitz, Der untaugliche Versuch, S. 85 ff.; Niepoth, Der untaugliche Versuch beim unechten Unterlassungsdelikt, S. 183 ff. 697 Die notwendige Unterscheidung hat nicht zwischen Begehen und Unterlassen zu erfolgen, sondern allein in Orientierung daran, ob es sich um eine einfach (Rechtsgüterschutzaspekt) oder doppelt (zusätzliches Erfordernis einer rechtlichen Sonderverantwortlichkeit) fundierte Verhaltensnorm handelt. Siehe ausführlich dazu Freund, AT, § 2 Rn. 16 ff., 19 f., § 6 Rn. 14 ff.; ders., Herzberg-FS, S. 225, 230 ff.
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sen keine von der Begehungsvariante abweichende Einschätzung der Gesinnungsbestrafung zu erzielen. b) Strafbarkeit der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 Im deutschen Strafrecht ist die Strafbarkeit von Vorbereitungshandlungen grundsätzlich eine Ausnahme.698 Eben solche stellt § 30 Abs. 2 Var. 3 dar, der die gemeinschaftliche Verbrechensverabredung mit Strafe bedroht.699 Die zugrunde liegende Verhaltensnorm verbietet die Willenseinigung von mindestens zwei Personen über die gemeinschaftliche Begehung eines in seinen Grundzügen bestimmten Verbrechens.700 Die Vorschrift des § 30 Abs. 2 Var. 3 legt den Verdacht der rein spezialpräventiven Reaktion auf Personen, von denen künftig eine Gefahr ausgehen könnte, nahe. Jedenfalls vor dem Hintergrund, dass es aus strafrechtlicher Sicht keine Rolle spielt, ob der Tatgeneigte seine Ideen einem unbeteiligten Dritten oder seinem Tagebuch mitteilt – in beiden Fällen bleibt er straffrei –, mutet es befremdlich an, ihm die gemeinsame Planung mit einem anderen zu untersagen. Die (auch) strafrechtliche Missbilligung solcher Unterredungen könnte aber darauf fußen, dass das Gespräch seinen privaten Charakter einbüße, sofern sein Gegenstand nicht mit der Rechtsordnung in Einklang steht. Dafür könnte sprechen, dass die tatsächliche Umsetzung eines Verbrechens näher liege, sofern die Beteiligten sich vorab darüber geeinigt haben.701 Während der Einzelne ohne potentielle äußere Reaktionen erwarten zu müssen, von seinen privaten Deliktsplanungen Abstand nehmen kann, kann es sich bei der kollektiven Verbrechensverabredung anders verhalten: Will einer aussteigen, muss er dies immer noch gegenüber dem anderen rechtfertigen. Dies vermag einen gewissen Druck auf ihn auszuüben, der in Abhängigkeit von der Verbrechensfreudigkeit seines Partners auch erhebliche Ausmaße annehmen kann. Insofern bestünde in den Fällen des § 30 Abs. 2 Var. 3 die Gefahr, dass ein Absehen von der realen Deliktsbegehung durch kollektiven Druck ausgeschlossen ist, der Normverstoß damit augenscheinlich näher läge. Hinzu komme, dass der Einzelne die Herrschaft über das 698 Eingängig zu strafbarem Verhalten vor den Grenzen des Versuchs im chinesischen Strafrecht Yang, Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung, S. 46 ff.; Zhao/Richter, in: Sieber/Cornils (Hrsg.), Strafbares Verhalten im Vorfeld der Tatvollendung in China, S. 799, 807 f. 699 Zum Ausnahmecharakter des § 30 vgl. auch Roxin, AT II, § 28 Rn. 5. Dass letztlich durch die zunehmende Aufnahme abstrakter Gefährdungsdelikte ins StGB auch in weiterem Umfang als bislang Vorbereitungshandlungen erfasst werden, haben frühere Ausführungen gezeigt, vgl. B. II. 2. f), D. II. 1.–4. 700 Schönke/Schröder/Heine, § 30 Rn. 25; SK/Hoyer, 35. Lfg. Jan. 2001, § 30 Rn. 46 ff.; Jakobs, AT, 27/11; MK/Joecks, § 30 Rn. 49; Roxin, AT II, § 28 Rn. 43. 701 SK/Hoyer, 35. Lfg. Jan. 2001, § 30 Rn. 46 ff.; MK/Joecks, § 30 Rn. 49; Radtke/ Steinsiek, ZIS 2008, 383, 390; LK I/Roxin, § 30 Rn. 10; ders., AT II, § 28 Rn. 5, 43.
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Geschehen in dem Augenblick aus der Hand gebe, in dem er seine Planung mit einem Dritten teilt.702 Von nun an könne der Erstere nicht mehr sicher sein, dass die tatsächliche Begehung des geplanten Verbrechens nur unter seiner Beteiligung ablaufe. Stattdessen könnte der andere ohne weitere Rücksprache zur Tat schreiten. Es fragt sich aber, ob nicht gerade das scheinbar gewichtige Argument hinsichtlich der Ausübung gegenseitigen Drucks innerhalb einer Gruppe von Verbrechensverabredern erneut den Unaufmerksamen auf den Pfaden des Gefahrenabwehrrechts wandeln lässt. So kann dem oben Umschriebenen der Gedanke entnommen werden, dass insbesondere eben jene gegenseitige Drucksituation mit einer erhöhten Gefahr einhergehe, die der Rechtsordnung durch solche Personen drohe. Der Verweis auf diese Gefahr allein vermag indessen nicht die Legitimation der Verhaltensnorm auszumachen. Vielmehr müsste eine solche Erheblichkeit der Gefahr belegt werden können, dass deren Hinnahme für die Rechtsordnung und deren Teilnehmer schlichtweg nicht zumutbar ist. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass auch im Falle der Verbrechensverabredung die tatsächliche Durchführung mit dem Einverstandensein eines jeden Verabredenden steht und fällt.703 Es wird nicht der Regelfall sein, dass einer der Beteiligten eine so überwiegende Bereitschaft zur Deliktsbegehung gegenüber dem anderen aufweist, dass er das Geschehen an sich reißt und auf den Willen des anderen Einfluss nimmt. Des Weiteren stellt sich der potentielle Druck auf die Beteiligten im Anschluss an eine Verbrechensverabredung nicht anders dar als nach einer Mitteilung eines Einzelnen gegenüber einem unbeteiligten Dritten.704 Gerade in der zuletzt genannten Situation ist denkbar, dass sich im Anschluss an die Kundgabe gegenüber einem Unbeteiligten der Druck aufbaut, vor diesem nicht als „feige“ dastehen zu wollen, sofern man im Nachhinein doch von der Deliktsbegehung Abstand nimmt. Auch hier kann also der seitens Roxin für die Legitimität des in § 30 Abs. 2 Var. 3 enthaltenen Verbots ins Feld geführte Effekt eintreten, dass man an dem einmal gefassten Plan festhält, selbst „wenn man gar keine Lust mehr hat“. Ist der Einzelentschluss einmal nach außen gedrungen, macht es wenig Unterschied, ob der psychische Druck von einem Eigeninteresse des anderen an der Verbrechensbegehung herrührt oder aber aus der Empfindung geboren ist, 702 Vgl. Kühl, JuS 1979, 874, 875; Roxin, JA 1979, 169, 170 f.; Yang, Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung, S. 166 ff. 703 W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 205. In diese Richtung auch Fieber, Verbrechensverabredung, S. 187; Jakobs, ZStW 97 (1985), 751, 765 m. Fn. 19. 704 Zutreffend verweist daher Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, S. 27 f. darauf, dass das Prädikat gefährlich auch dem detaillierten Deliktsplan des Einzelnen zukommt, selbst wenn er sich bislang nur in dessen Kopf befindet. Entscheidend kommt es vielmehr darauf an, diejenigen Gefahren zutreffend zu benennen, vor denen auch im Strafrecht geschützt werden soll. Es kann also nicht ausreichen, Strafnormen allein mit einer relativ diffusen Begründung der Gefährlichkeit des inkriminierten Verhaltens zu begründen. Siehe dazu schon oben D. II. 1.–4.
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nicht als „Weichei“ da stehen zu wollen, das nicht umsetzt, was es vollmundig verkündet hat. Indessen ist von Seiten des Gesetzes keine Reaktion an die zuletzt genannte Fallgestalt geknüpft. Eine abweichende Beurteilung der Legitimität des § 30 Abs. 2 Var. 3 könnte aber aufgrund des Einwandes denkbar sein, der sich Verabredende gäbe die Herrschaft über das Geschehen aus der Hand. So könnte im Anschluss an die Verabredung einer der Beteiligten so überzeugt von dem Plan sein, dass er bereit ist, auch ohne Rücksicht auf den anderen und dessen Festhalten an dem Vorhaben zur Tat zu schreiten. Es fragt sich dann aber zunächst, ob die damit genannte Fallgestalt noch ein eigenständiges Unrecht des § 30 Abs. 2 Var. 3 zum Ausdruck bringt. Denkbar ist, dass das Unrecht einer (jedenfalls versuchten) Anstiftung in manchen Konstellationen der Verbrechensverabredung enthalten ist. Ist dies der Fall, lässt sich eine Strafbarkeit bereits nach § 30 Abs. 1 S. 1 Var. 1 begründen, sodass sich eine zusätzliche Bestrafung aus § 30 Abs. 2 Var. 3 als überflüssig erweist. Sofern aber Anstiftungsunrecht vorliegt,705 begrenzt sich die Missbilligung des Verabredungsverhaltens auf die seitens des Verabredenden geschaffene Gefahr, dass ein anderer eigenständig zur Tat schreitet. Dem Sich Verabredenden würde dann zum Vorwurf gemacht, dass er eine Anreizsituation für die Tatbegehung eines Dritten geschaffen hat. Wenngleich sich vor diesem Hintergrund noch eine rechtliche Verhaltensnorm legitimieren ließe, die das Verabreden eines Verbrechens verbietet, ist höchst zweifelhaft, ob allein die Schaffung einer für einen anderen zur Tat anreizenden Situation als alleiniger Legitimationsgrund einer Sanktionsnorm hinreicht. Die Bestrafung des Verhaltens ausschließlich auf solchen Sachgesichtspunkt zu stützen, der etwa die Eigenverantwortlichkeit des Haupttäters unzureichend gewichtet, überzeugt nicht. Es fehlt in dem Fall der eigenständigen Ausführung des vorab gemeinsam geplanten Verbrechens der Aspekt des Konspirativen, der das Unrecht der Verbrechensverabredung originär ausmacht. Bei dieser Konstellation handelt es sich gerade nicht um ein Unrechtsspezifikum der Verbrechensverabredung, die Fälle des kollektiven Zusammenwirkens und gerade nicht der Alleingänge erfasst.706 Es kann hierin allenfalls Fahrlässigkeitsunrecht erblickt werden, das sich indessen auf die Haupttat bezieht und insoweit im Einzelfall eine Nebentäterschaft begründen 705 Als problematisch erweist sich hier insbesondere die Annahme des Anstiftervorsatzes, der nicht ohne Weiteres als im Mittäterschaftsvorsatz enthaltenes „Minus“ angesehen werden kann. Vgl. zur Thematik allgemein Schönke/Schröder/Heine, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 79; Kühl, AT, § 20 Rn. 87 m.w. N.; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 270 ff. 706 Wie hier bereits W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 205. – Es handelt sich bei dem Gesichtspunkt des Aus-der-Hand-Gebens aber um eine berechtigte Erwägung zur Rechtmäßigkeit derjenigen Verhaltensnorm, die § 30 Abs. 2 S. 1 Var. 1 (Versuch des Bestimmens zur Begehung eines Verbrechens) zugrunde liegt. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine Missbilligung des versuchten Bestimmens gerade auch im Gegensatz zur Verbrechensverabredung in legitimer Weise vollziehen.
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könnte. Die Bestrafung des Verhaltens als Verbrechensverabredung lässt sich nicht halten. Nicht wenig wiegt zudem das Recht des Einzelnen, den Inhalt seiner Gespräche als Ausdruck seiner Selbstentfaltung frei von staatlichem Diktat zu wählen. So gewährleistet Art. 5 Abs. 1 GG dem Mitglied der Rechtsgemeinschaft grundsätzlich das Recht, selbst rechtsordnungsfeindliche Gespräche zu führen.707 Insbesondere darf es nicht in der Hand des Staates liegen, zu bestimmen, welche Gesprächsthemen den privaten Bereich überschreiten. Dies führte den Gedanken einer freiheitlichen Gesellschaft ad absurdum. Die persönliche Auswahl der Gesprächsinhalte kann solange seitens des Staates nicht begrenzt werden, als dadurch nicht die Freiheit eines Dritten in nicht mehr hinnehmbarer Weise gestört wird. Unterhalten sich zwei Personen über einen Raub an einem anderen, mag dies den Betreffenden, sofern er davon erfährt, wohl in Angst und Schrecken versetzen und auch die Rechtsgemeinschaft wird es moralisch nicht gutheißen, dass Normverstöße in Erwägung gezogen werden. Wir mögen es zwar für ungut empfinden, dass es in unserer Gemeinschaft Personen gibt, die eine Verletzung der Freiheitssphären eines anderen andenken. Es verhält sich damit aber nicht anders als mit sonstigen bösen Gedanken: Wir mögen sie moralisch verurteilen, doch bestrafen können und dürfen wir sie nicht.708
III. Gesinnungsstrafrecht in der Strafzumessung Die Heranziehung der Gesinnung auf der Ebene der Strafzumessung hat sich bereits an früherer Stelle als unzulässig erwiesen. Die wertnegierende Einstellung des Täters gibt allenfalls Aufschluss über die potentielle künftige Gefährlichkeit seiner Person. Den konkreten Verhaltensnormverstoß berührt dies indes nicht. So ist eine Steigerung des Verhaltensnormverstoßes über das Maximalmaß, das bei Fehlen jedweden Milderungsgrundes anzunehmen ist, selbst bei noch so anstößiger Gesinnung nicht mit dem Konzept einer freiheitlichen Grundordnung und dem rechtsstaatlichen Strafrecht in Einklang zu bringen.709 1. Weitere Problembereiche: Einschlägige Vorstrafen bzw. Vortaten, Rückfallschärfung Mit der Ablehnung der Gesinnung als strafzumessungsrelevanter Faktor ist aber die Kritik an der herrschenden Strafzumessungslehre nicht an ihrem Ende 707
So auch W. Beck, Vorfeldkriminalisierung, S. 206. Vgl. zur ausführlichen Begründung oben B. II. 2. b). Weitere Kritik an der Vorschrift des § 30 Abs. 2 Var. 3 findet sich bei Fieber, Verbrechensverabredung; Kohlrausch/Lange, StGB, § 49a Anm. III. 709 Vgl. ausführlich oben B. II. 2. b), C. III., IV. 708
III. Gesinnungsstrafrecht in der Strafzumessung
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angekommen. Vielmehr lassen sich weitere Umstände benennen, die verbreitet als strafschärfende herangezogen werden, jedoch allenfalls vor dem Hintergrund spezialpräventiver Erwägungen – also im Rahmen der Maßregelverhängung – eine Rolle spielen dürften. Der Anspruch auf abschließende Problembehandlung kann angesichts der hier erschließbaren Weite potentieller Kritikfelder nicht gestellt werden.710 Der Blick richtet sich vielmehr allein auf einen im spezialpräventiven Lichte besonders glänzenden Vertreter dieser Gruppe, dessen Untersuchung jedenfalls das Bewusstsein für die Schwierigkeiten, die sich auch im Bereich der Strafzumessung neben dem Phänomen der Gesinnung im Sinne eines Abdriftens ins Polizeirecht stellen, schärfen soll. Gemeint ist die strafschärfende Berücksichtigung einschlägiger711 Vorstrafen bzw. Vortaten des Betreffenden. Bezüglich der Vorstrafen ist zu lesen, der Täter habe sich entsprechende Vorverurteilungen nicht als Warnung dienen lassen. Er habe sich von der Gültigkeit der übertretenen Verhaltensnorm auch nicht durch den Ausspruch des Gerichts überzeugen lassen, sodass seinem Verhalten keine rechtstreue Motivation zugrunde liege. Im Gegenteil könne der Rückfall gar eine gefestigte und fortdauernde Bereitschaft zur Straftatbegehung ausdrücken. Die härtere Bestrafung sei daher angemessene Reaktion darauf, dass der Täter trotz hinreichender Belehrung und damit einhergehendem Hemmnis mit Blick auf künftige Rechtsbrüche keine Einsicht in die Geltungskraft des Rechts erlangt habe.712 Gleichgelagert seien die Konstellationen einschlägiger Vortaten. Etwa bei amnestierten Taten falle erschwerend ins Gewicht, dass sich der Täter die ihm gewährte Vergünstigung nicht als Anlass zu künftigem rechtstreuen Verhalten habe gereichen lassen. Auch für verjährte sowie beispielsweise aufgrund von Einstellungsbeschlüssen nicht verurteilte Straftaten werden ähnliche Ergebnisse erzielt.713 Jedoch driften die Argumentationsstränge der Vertreter einer strafschärfenden Heranziehung einschlägiger Vorstrafen bzw. Vortaten nicht nur verbal in die Richtung eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts ab. Es handelt sich inhaltlich 710 Diskussionswürdig sind jedenfalls auch die strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung der „kriminellen Energie“ des Täters sowie der Gewerbsmäßigkeit seines Verhaltens – kritisch insoweit auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 58 f., 275 f., 277; dies., in: Frisch u. a. (Hrsg.), Tatproportionalität, S. 121. 711 Zur strafzumessungsrechtlichen Berücksichtigung auch nicht einschlägiger Vorstrafen vgl. BGHSt 24, 198, 199 f. m. Anm. Maurach, JZ 1972, 130. Siehe auch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 579 f. 712 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 579 ff.; ders., Recht der Strafzumessung, S. 223; MK/Franke, § 46 Rn. 40; Frisch, GA 1999, 509, 528 f.; ders., Müller Dietz-FS, S. 237, 256; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rn. 31; v. Liszt, Vorträge und Aufsätze, S. 17 f.; Zipf, Strafzumessung, S. 69. Siehe außerdem die ausführlichen Nachweise bei Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 60 ff.; Hörnle, JZ 1999, 1080, 1085 m. Fn. 61. 713 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 583 ff., der sogar so weit gehen will, nicht strafbares, aber moralisch anstößiges Verhalten als Ausdruck von Rechtsfeindschaft strafschärfend zu berücksichtigen.
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um ein rein spezialpräventives Programm zur Gefährlichkeitsabwehr, das hier umgesetzt wird. Der Umstand, dass der Täter sich selbst durch eine einschlägige Vorverurteilung nicht zur Rechtstreue hat motivieren lassen, weist allenfalls Offenbarungstendenzen bezüglich der Einstellung des Betreffenden auf.714 Diese kann wiederum Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person sein. Der individuelle Verhaltensnormverstoß bleibt aber von solchen Faktoren gerade unberührt: Weder lässt sich ein gesteigerter materieller Schaden noch eine Beeinflussung der Handlungsmodalitäten bei wiederholter Tatbegehung festhalten.715 Was verbleibt, sind allein individuelle Gefährlichkeitsprognosen, auf die aber der durch Strafe zu erzielende Ausgleich des Rechtsangriffs gerade nicht gerichtet ist.716 Sachlich handelt es sich bei der strafzumessungsrechtlichen Berücksichtigung einschlägiger Vorstrafen um ein Fortleben der Rückfallklausel des § 17 a. F. (später § 48). Es wird der Annahme entsprochen, dass derjenige, der sich eine frühere Verurteilung nicht als Anlass zu normkonformem Verhalten hat gereichen lassen, künftig weitere Straftaten begehen wird. Er könne daher als gefährlich für die Rechtsgüter seiner Mitmenschen bzw. der Gemeinschaft angesehen werden. Das Bedürfnis, die Gesellschaft auch in Zukunft vor solchen Straftätern zu schützen, ist dabei ein berechtigtes. Indes darf hier nicht verkannt werden, dass es sich um ein Interesse handelt, das systematisch nicht im Strafrecht verankert ist. Die Berücksichtigung individueller Gefährlichkeit ist originäre Kompetenz des Gefahrenabwehrrechts. An dieser Stelle sind polizeirechtliche Maßnahmen zu erwägen, die den Schutz der Gemeinschaft vor dem Betreffenden noch im Anschluss an die Verbüßung seiner Strafe garantieren können. Zu denken ist daher an die 714 Vgl. auch Dencker, StV 1988, 262, 265; Stratenwerth, Tatschuld, S. 15 ff. Wie hier noch Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 774 ff., der aber von dieser Auffassung analog seines Standpunkts zur Strafzumessungsrelevanz anstößiger Gesinnungen zunehmend abgewichen ist (GA 1999, 509, 528 f.; Müller Dietz-FS, S. 237, 256). Zur dezidierten Ablehnung der These, eine wertwidrige Gesinnung (bzw. eine Rückfall) seien als Infragestellung des Rechts bzw. als Absage gegenüber der Rechtsordnung „ernster zu nehmen“, vgl. bereits die Ausführungen oben C. III. 3. – Den Verdacht, dass die Verteidigung von Strafschärfungen bei einer Vorstrafenbelastung nicht selten mit der Befürchtung potentieller Gefährlichkeit des Wiederholungstäters einhergeht, hegt auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 78 ff., 263. Vgl. dazu noch weiter im Text. – Zu berechtigten Zweifeln daran, dass von dem Vorliegen selbst vieler Vorstrafen unmittelbar an eine besondere Rückfallgefahr zu denken ist, vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 163; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, S. 177. Zweifelhaft ist zudem, ob Vorverurteilungen überhaupt den vielbeschworenen Effekt der Hemmnis gegenüber der künftigen Begehung von Straftaten zeitigen, Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 67 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 772 ff. 715 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 260 ff.; Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 773 f. 716 Vgl. bereits oben Fn. 264 dazu, dass die strafzumessungsrechtliche Einbeziehung von Gefährlichkeitserwägungen einen Verstoß gegen den Gesetzlichkeitsgrundsatz darstellt.
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Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, die anders als Strafe nicht die Wiederherstellung des Rechts als Ausgleich für den begangenen Normverstoß intendiert, sondern allein den künftigen Schutz der Gesellschaft und ihrer Mitglieder vor der als gefährlich empfundenen Person im Auge hat.717 Die hier erforderliche strikte Trennung von repressiven und präventiven Elementen gibt den Weg für eine weitere Beurteilung frei, die sich im Konzept der Strafschärfungslösung kaum sinnvoll integrieren lässt. So ist nicht auszuschließen, dass eine Person, die sich weder frühere Verurteilungen zur Verhaltensmotivation hat gereichen lassen noch künftig von weiteren Normbrüchen Abstand nehmen wird, Defizite aufweist, die eine Relativierung des individuellen Verhaltensnormverstoßes nach sich ziehen müssen. Wenngleich die Voraussetzungen der §§ 20, 21 noch nicht erfüllt sein mögen, kann auch in einem darunter liegenden Ausmaß die Schuldfähigkeit des Betreffenden eingeschränkt sein. Dies darf im Strafmaß aber nicht unberücksichtigt bleiben. Wer die Trennung von Strafrecht und Gefahrenabwehrrecht nicht sauber vollzieht, sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, eine solche Person sogar milder bestrafen zu müssen, wenngleich eine Reaktion auf deren künftige Gefährlichkeit als besonders wichtig empfunden wird. Sachlich angemessen ist hingegen die hier verfolgte Lösung: Strafmilderung ist bei begrenzter Schuldfähigkeit der Person angebracht. Dies steht aber der zusätzlichen Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, die der Gefährlichkeit des Betreffenden Rechnung trägt, nicht im Wege. Überlegenswert erscheint allerdings, bei erstmaliger Deliktsbegehung eine Milderungsvariante anzunehmen. Dies ließe sich damit begründen, dass der Täter vor der (ersten) Bestrafung keine hinreichende Internalisierung der Geltungskraft der übertretenen Verhaltensnorm vollzogen habe.718 Es läge dann nicht das Maximalmaß des denkbaren Verhaltensnormverstoßes vor, sondern eine dem gegenüber abgeschwächte Variante. Indes handelt es sich hierbei nicht um ein ausschließlich Ersttaten betreffendes Spezifikum. Die Verbotskenntnis ist für das Vorliegen des maximalen Verhaltensnormverstoßes grundlegende Voraussetzung. Einschränkungen der Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat zu erfassen, wirken sich stets strafmildernd aus, wenn sie nicht sogar nach § 17 S. 1 die Schuld vollumfänglich ausschließen. Es kann aber nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass der Ersttäter Defizite im Normbewusstsein aufweist. Eine entsprechende Regelvermutung lässt sich bereits normentheoretisch nicht begründen. Die Geltungskraft von Verhaltensnormen entfaltet sich unverbrüchlich gegenüber jedem potentiellen Normadressaten. Sie ist nicht etwa gegenüber denjenigen, die sich bislang rechtstreu verhalten haben, eingeschränkt. Zudem ist das Vorliegen der Vollform individueller Schuld als normativer Normalfall zu se717
Zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung vgl. bereits oben B. III. 1. c), 2.
b), c). 718
In diese Richtung Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 178.
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hen.719 Selbst lediglich eine Strafmilderung betreffende Freifahrtscheine sind daher nicht zu erteilen.720 Es kann dann auch nicht überzeugen, die Strafmilderung beim Ersttäter aufgrund der Persönlichkeitsfremdheit der Tat anzunehmen. So wird vertreten, die Erstmaligkeit der Begehung verdeutliche, dass der Verhaltensnormverstoß für den Betreffenden untypisch sei.721 Der Kern einer solchen Argumentation liegt aber gerade in einer Bewertung der Täterpersönlichkeit und lässt sich letztlich auf spezialpräventive Überlegungen reduzieren. Solche sind aber ebenso für den Bereich der Strafmilderung nicht zu akzeptieren.722 Eine generelle Strafmilderung beim Ersttäter wird aus den genannten Gründen abgelehnt.723 Die verbreitet als unproblematisch empfundene Strafzumessungsrelevanz wiederholter Deliktsbegehung entpuppt sich damit als eine im Strafrecht systemfremde Kategorie. Ihre Berücksichtigung öffnet spezialpräventiven Einflüssen der Gefährlichkeitsabwehr Tür und Tor und entfernt sich vom durch Strafe allein intendierten Ziel der Wiederherstellung des Rechts als Reaktion auf einen ganz bestimmten Verhaltensnormverstoß. In dieses strafzumessungsrechtliche Konzept fügt sich zugleich die jedenfalls strafmildernde Berücksichtigung nachträglicher Wiedergutmachungsleistungen des Täters ein. Dabei handelt es sich nicht um eine „Belohnung“ für negativ 719 So auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 300 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 165. 720 Vgl. dazu, dass auch die Annahme einer „gesteigerten Verbotskenntnis“ desjenigen, der bereits einschlägig vorbestraft ist, aufgrund fehlender Symmetrie des Verhältnisses von dem Vorliegen bzw. Fehlen von Milderungsgründen ins Leere führt, Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 161 f. sowie Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 77 f.; Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 773 f. 721 Vgl. v. Hirsch, Past or Future Crimes, S. 82 f. 722 Wie hier bereits Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 165 f. Siehe zudem oben C. III. 2. c). 723 Verfehlt ist hingegen die Argumentation, mangelnde Vorstrafen des Täters seien aus dem Grund nicht schlechthin als relevante strafmildernde Tatsachen zu berücksichtigen, weil auch ein nicht vorbestrafter Angeklagter eine „üble Vergangenheit“ haben könne. So erinnert Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 587 f. daran, dass ein leerer Strafregisterauszug nicht unweigerlich eine bislang „tadellose Lebensführung“ bescheinige. Allein diese aber könne günstig für den nicht Vorbestraften ins Gewicht fallen, sodass bisherige Fehltritte außerhalb des strafrechtlichen Bereichs durchaus als Umstände zur Verweigerung einer Strafmilderung heranzuziehen seien. Es handelt sich hierbei aber um sachfremde Erwägungen, die die Strafzumessung erneut in das fade Licht der Lebensführungsschuld rücken. Zwar sieht auch Bruns eben jene Gefahr, indem er die „Nähe unzulässiger Allgemeinabrechnung“ benennt. Eine überzeugende Problemlösung bietet er indes nicht an. Bereits die Frage, worin denn eigentlich eine üble Vergangenheit liegen soll, stellt vor unlösbare Schwierigkeiten und weist gefährliche Tendenzen der Unterdrückung von Heterogenität auf. Politische Opposition oder eine von der Norm abweichende Lebensführung ließen sich unschwer aus entsprechender Perspektive als üble Vergangenheit klassifizieren. Die seitens Bruns gedeuteten Vorzeichen haben blankes Moralisieren und eine Verschiebung des strafrechtlichen Fokus auf systemfremde Kategorien zur Folge, die im Strafrecht des freiheitlichen Rechtsstaats nicht hingenommen werden können.
III. Gesinnungsstrafrecht in der Strafzumessung
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prognostizierte Gefährlichkeit. Sachlich wäre der Kern der für eine Strafmilderung relevanten Begründung nicht getroffen, würde auf den Umstand rekurriert, dass ein Täter, der den von ihm angerichteten Schaden eigenständig wiedergutmachen will, künftig von entsprechenden Taten absehen werde.724 Der Rückschluss von einer der Wiederherstellung des Rechts dienenden Eigenleistung des Täters auf dessen potentielle Gefährlichkeit erscheint allenfalls lose. Hierauf kommt es aber aufgrund der spezialpräventiven Ausrichtung einer solchen Überlegung im Strafrecht auch nicht an. Vielmehr ist entscheidend, dass es in gewissen Grenzen dem Täter möglich sein kann, die grundsätzlich in der Strafe verkörperte Kommunikationsleistung als Widerspruch gegenüber dem vollzogenen Normbruch eigenständig zu erbringen. So können Verhaltensweisen, die die Voraussetzung der tätigen Reue oder des Rücktritts vom Versuch erfüllen, einen Beitrag des Täters darstellen, der sein vorangegangenes, normbrüchiges Verhalten als falsch deklariert und damit die fortdauernde Geltungskraft der übertretenen Norm zum Ausdruck bringt.725 Dabei ist aber zu beachten, dass eine vollumfängliche Wiederherstellung des Rechts durch den Täter angesichts der rechtsstaatlich notwendigen Entprivatisierung von Konflikten nicht denkbar ist. Der Normbruch ist mehr als ein interpersoneller Angriff auf die Rechtsgüter eines anderen Privaten. Darin liegt vielmehr die allgemeine Aussage, dass der Täter seine eigenen Maximen über die gesellschaftlichen stelle, sodass es zur Erschütterung der Geltungskraft des Rechts in seiner Allgemeinverbindlichkeit und überindividuellen Bedeutung kommt.726 Die Antwort auf solches Verhalten darf daher ihrerseits den überindividuellen Charakter nicht aufgeben. Das heißt aber, dass die Reaktion auf Verhaltensnormverstöße nicht vollständig in die Hände von Privaten gelegt werden kann, also auch nicht allein in die Hand des Täters. Dies würde dem Umstand nicht gerecht, dass es sich bei seinem individuellen Angriff auf das Recht gerade nicht um seine Privatsache handelt. Vor diesem Hintergrund lässt sich die gem. § 24 bei Vorliegen eines Rücktritts vom Versuch zu erzielende Strafbefreiung nicht halten. Hier ist zwar eine – obligatorisch denkbare – Strafmilderung strafzumessungsrechtlich mit guten Gründen anzunehmen; eine Straf724 In der Folge geht es auch nicht darum, dass durch die Wiedergutmachung des Täters gezeigt werde, dass „die Tat nicht auf allgemeiner Rechtsfeindschaft beruht“ (Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 609). Eine solche Formulierung sowie die Forderung nach „ehrliche(r) Reue“ stellen auf die Täterpersönlichkeit ab und lassen sich letztlich auf die Grundaussage reduzieren, dass eine nicht rechtsfeindlich gesinnte Person künftig eher keine Gefahr für fremde Rechtsgüter darstellen wird. Die spezialpräventive Argumentation weist hier erneut den Weg ins Gesinnungsstrafrecht und führt damit am berechtigten Kern der strafmildernden Berücksichtigung von Wiedergutmachungsleistungen vorbei. 725 Frisch, ZStW 99 (1987), 751, 781. Ausführlich zur Ratio des Rücktrittsprivilegs vgl. Bergmann, ZStW 100 (1988), 329, 335; Freund, AT, § 9 Rn. 16; dens., GA 2005, 321, 327 ff.; Jakobs, AT, 26/4; dens., ZStW 104 (1992), 82, 83 ff.; Ranft, JZ 1989, 1128, 1129; Schall, JuS 1990, 623, 630; Streng, JZ 1990, 212, 215. 726 Zum Charakter des Verhaltensnormverstoßes vgl. oben B. II. 1. a).
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
losigkeit kommt aber angesichts des überindividuellen Rechtsangriffs, der zugleich im Versuch verkörpert ist, im Rahmen des hier vertretenen dogmatischen Konzepts von Zweck und Legitimation von Strafe nicht in Frage. 2. Vereinbarkeit der Ergebnisse zur (fehlenden) Strafzumessungsrelevanz von Gesinnungen bzw. des Vorlebens des Täters mit § 46 Abs. 2 Im Anschluss an die kritische Würdigung solcher Faktoren, die bislang ihren strafzumessungsrechtlichen Rang relativ krisenfest behaupten konnten, gilt es noch, knapp die Vereinbarkeit der erzielten Ergebnissen mit der momentanen Gesetzeslage zu hinterfragen. In den Fokus rückt dabei die zentrale Vorschrift des § 46, der „Grundsätze der Strafzumessung“ festlegt und in Abs. 2 S. 2 Umstände auflistet, die bei der Festlegung der konkreten Strafhöhe „für und gegen den Täter sprechen“ können. Dazu zählen insbesondere die „Gesinnung, die aus der Tat spricht,“, „die Beweggründe und die Ziele“ sowie „das Vorleben des Täters“. Nach dem bislang Gesagten lässt sich im Strafrecht eines freiheitlichen Rechtsstaats weder auf der Ebene der Strafbarkeitsbegründung noch im Bereich der Strafzumessung eine Einbeziehung der Gesinnung halten. Im Strafrecht handelt es sich bei der Gesinnung um einen Fremdkörper, der daher auch nicht durch entsprechende gesetzliche Vorschriften systemwidrig einbezogen werden darf. Zwar ließe sich argumentieren, das Vorliegen einer spezifischen Gesinnung sei als Umschreibung weiterer, den individuellen Normbruch in relevanter Weise ergänzender Gegebenheiten zu verstehen. Analog den Ausführungen zu den nur scheinbaren „Gesinnungsmerkmalen“ könnte das Gesetz hier so gedeutet werden, dass es im Kern nicht um die Geisteshaltung des Betreffenden gehe, sondern dass diese in jene Umstände zu „übersetzen“ sei, die den individuellen Verhaltensnormverstoß durch weitere Elemente umschreiben.727 Es fragt sich dann aber, worin der zusätzliche Wert einer expliziten Nennung der „Gesinnung“ als Strafzumessungsfaktor liegen soll. Dass sämtliche Umstände, die den spezifischen Verhaltensnormverstoß ausmachen, Gegenstand der Strafbemessung sein müssen, ist eine Selbstverständlichkeit.728 Zudem ist die gesetzliche Regelung bezüglich des hier zugrundezulegenden Verständnisses nicht eindeutig. Deshalb ist zu befürchten, dass die Gesinnung entsprechend der bisher weit verbreiteten Handhabe als Ausdruck künftiger Gefährlichkeit der Person als eigenständiger Faktor der Strafschärfung herangezogen wird. Dann könnten selbst solche Umstände, die nicht im entferntesten einen Bezug zum konkreten Verhaltensnormverstoß aufweisen und allein ein Gefährlichkeitsurteil über den Täter implizieren, strafzumessungsrechtlich herangezogen werden. Dies ist aber aufgrund des rechtsstaat727
Vgl. zu den Gesinnungsmerkmalen oben D. I. Umstritten ist hingegen, ob es sich bei den Kategorien der Straftat um die alleinigen Elemente der Strafzumessung handelt. Vgl. zur Notwendigkeit der Bejahung solcher Fragestellung bereits oben C. I. 728
III. Gesinnungsstrafrecht in der Strafzumessung
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lich unbedingt erforderlichen Ausscheidens spezialpräventiver Gefährlichkeitserwägungen aus dem Strafrecht nicht hinzunehmen. Die gesetzliche Nennung von Gesinnungen als Strafzumessungsfaktor birgt ein erhebliches Risiko von Fehlinterpretationen, die auf der Linie der allgemeinen, verfehlten Strafzumessungspraxis liegen dürften. Um zugleich gesetzestechnisch hier ein klares Zeichen zu setzen, ist die Streichung der in Rede stehenden Passagen dringend anzuraten.729 Wenngleich die Beweggründe und Ziele des Täters im bisherigen Verlauf der Untersuchung allenfalls am Rande oder in begrifflicher Abgrenzung zur Gesinnung behandelt worden sind, bietet sich aufgrund der entsprechenden Regelung in § 46 Abs. 2 S. 2 eine kurze Klarstellung an. Anders als die Gesinnung weisen die hier genannten subjektiven Komponenten unstreitig kein Moment der Dauer auf.730 Es handelt sich zwar um Phänomene, die sich nicht selten auf eine relativ gefestigte Gesinnung zurückführen lassen. In der Sache geht es aber um rein situative Vorstellungen der Person, die sie zu einem spezifischen Verhalten motivieren. Indes handelt es sich gerade bei dem Moment der Dauer um dasjenige Kriterium, das eine Rückbindung an die Persönlichkeit des Betreffenden zuzulassen scheint. Während die Gesinnung als relativ verfestigte Geisteshaltung des Betreffenden in gewissem Umfang Rückschlüsse auf künftiges Verhalten ermöglichen kann, fehlt Beweggründen, Zielen oder Motiven solche Offenbarungstendenz jedenfalls in vergleichbarem Maße. Aufgrund ihres eher sporadischen Charakters ist die Rückkoppelung an die Persönlichkeit des Täters allenfalls lose. Dies lässt das Urteil zu, dass vor spezialpräventivem Hintergrund der Gesinnung erheblichere Relevanz in der Einschätzung künftiger Gefährlichkeit der Person zukommen wird. Von Beweggründen ist sich in dieser Frage weniger Aufschluss zu erhoffen. Eben dieser gegenüber der Gesinnung zurückgesetzte Rang von Zielen und Motiven im spezialpräventiven Bereich soll aber nicht zu der Annahme veranlassen, im Strafrecht handele es sich dabei um eine berechtigte Kategorie, die keine Legitimationsschwierigkeiten aufweise. Vielmehr gelten hier bei Lichte besehen eben jene Grundsätze, die im bisherigen Verlauf der Untersuchung anhand der Gesinnung erarbeitet werden konnten. Für die Legitimität rechtlicher Verhaltensnormen gilt Folgendes: Zulässige Freiheitsbeschränkungen liegen ausschließlich dann vor, wenn diese zum Schutze eines legitimen Interesses geeignet, erforderlich und angemessen sind. Für die Motive bzw. die Beweggründe des Täters hieße das, dass deren rechtliche Reglementierung allenfalls unter der Prämisse erfolgen dürfte, dass diese subjektiven Merkmale eine unzulässige Freiheitsbeschränkung Dritter zur Folge hätten. Hier gilt aber das zu – selbst negativen – Gedanken ganz allgemein Gesagte: Sie tangieren nicht die Freiheit des anderen, sodass sie nicht Gegenstand rechtlicher Verhaltensnormen sein dürfen. Dieser 729
So auch Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 354. Zur Frage, ob die Dauer konstituierendes Merkmal der Gesinnung ist, vgl. bereits oben A. IV. 730
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
Befund besitzt eine Ausstrahlungswirkung für die Grundsätze des rechtsstaatlichen Strafrechts. Darin dürfen allein legitime Verhaltensnormen geschützt werden. Dies gilt auf sämtlichen Ebenen der strafrechtlichen Reaktion auf spezifisches Verhalten. Die strafrechtliche Einbeziehung von Motiven bzw. Beweggründen ist folglich unzulässig. Sofern nunmehr das Motiv des Täters beispielsweise eine gesteigerte Brutalität gegenüber dem Opfer bedingt, ist bereits in diesem – äußeren – Umstand der Grund für die notwendige Strafschärfung zu sehen. Eines Rückgriffs auf das Motiv selbst bedarf es aber nicht. Auf straftatsystematischer Ebene lässt sich daher auch für Beweggründe keine Verortung in Unrecht oder Schuld ausmachen. Da aber ausschließlich die Kategorien der Straftat Gegenstand der Strafzumessung sein dürfen, beruhte die davon abweichende Einbeziehung von Motiven in die Strafzumessung auf einer Systemwidrigkeit. Es ist aber auch hinsichtlich der Ziele und Beweggründe des Täters denkbar, dass sie sich eher entlastend auswirken. Wenngleich der prüfende Blick sich zunächst auf die Fälle anstößiger Motive gerichtet hat, ist nicht zu übersehen, dass Beweggründe gerade die Fähigkeit des Täters zum Andershandeln und damit seine individuelle Schuld betreffen können. Denkbar ist beispielsweise, dass der Täter aus wirtschaftlicher Not heraus zur Tat geschritten ist.731 Die ihn treibenden Umstände können eine solche Bedrängnis ausgelöst haben, dass seine Fähigkeit, sich gegen den Verhaltensnormverstoß zu entscheiden, jedenfalls eingeschränkt war. Analog der anhand der Gesinnung diskutierten Problemkreise liegt es also nahe, dass Beweggründe ihrerseits als Umschreibungen solcher Gegebenheiten fungieren, die eine Begrenzung des Andershandelnkönnens des Täters bedingt haben. Eingeschränkte Schuld muss sich aber innerhalb der Strafzumessung mildernd für den Betreffenden auswirken. Zwar lassen die Beweggründe als rein situative Momente grundsätzlich keine der Gesinnung vergleichbare Deutungsmöglichkeit bezüglich der künftigen Gefährlichkeit des Täters oder ganz allgemein seiner Persönlichkeit zu, sodass die entsprechende gesetzliche Regelung in § 46 Abs. 2 S. 2 jedenfalls nicht dieselben Gefahren des unzulässigen Moralisierens aufwirft, die bei der Gesinnung als gesetzlich normiertem Strafzumessungsfaktor zu befürchten ist. Indessen belegt bereits das Oxymoron der „Einzeltatgesinnung“, dass eine saubere Trennung von Gesinnungen und Beweggründen in der Vergangenheit selten vollzogen wurde oder aber trotz der anerkennenswerten Abgrenzung Elemente der Täterpersönlichkeit jedenfalls in der Strafzumessung nicht selten Einzug halten konnten. Außerdem wurde bereits an früherer Stelle darauf hingewiesen, dass trotz des Unterschieds von Gesinnungen und Beweggründen mit Blick auf deren Beständigkeit den letztgenannten oftmals dasselbe verhaltensleitende Potential zugeschrieben wird, sodass eine echte Differenzierung faktisch nicht vollzogen wird. Wenn731 Vgl. zu diesem und weiteren Beispielen Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 322; dies., JZ 1999, 1080, 1086, 1088 sowie bereits oben C. III. 2. b), IV. 3.
IV. Zusammenfassung
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gleich zwar die Normierung der „Beweggründe und Ziele des Täters“ in § 46 Abs. 2 S. 2 eine im Strafrecht zulässige Interpretation nicht ausschließt, darf man sich hierauf nicht verlassen. Auf die Einhaltung klarer Trennlinien zwischen Polizei- und Strafrecht ist eher zu hoffen, sofern auch missverständliche Vorschriften aufgehoben werden. Dass Umstände, die die Fähigkeit des Täters zum Andershandeln beeinträchtigen, in der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sind, ergibt sich ohnedies aus der konstitutiven Bedeutung der Schuld für die Strafbemessung und gesetzespositivistisch bereits aus § 46 Abs. 1 S. 1 („Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.“ 732). Nicht anders verhält es sich bezüglich der in § 46 Abs. 2 S. 2 angeordneten Abwägung des Vorlebens des Täters als Umstand, der für oder gegen ihn sprechen könne. Nach dem Gesagten ist die Frage, ob es sich bei der Tatbegehung um eine einmalige Entgleisung oder einen wiederholten Rückfall handelt, allenfalls unter spezialpräventiven Vorzeichen von Interesse. Der durch Strafe auszugleichende individuelle Verhaltensnormverstoß wird durch deren Beantwortung nicht berührt. Infolgedessen lässt sich ein strafzumessungsrechtliches Abstellen auf das Vorleben des Täters nicht halten. Zwar könnte auch hier der Großzügige zur Umdeutung der gesetzlichen Vorschrift geneigt sein, die das Vorleben des Täters als Umstände verstanden wissen will, die allein unter dem Gesichtspunkt der Schuldminderung aufgrund einer Einschränkung der Fähigkeit zum Andershandeln relevant werden dürfen.733 Analog der bisher erörterten Regelungen des § 46 Abs. 2 S. 2 bergen aber Interpretationen, die strafrechtliche Systemkonformität intendieren, stets das Risiko des – gewollten oder ungewollten – Missverstehens. Angesichts der hervorzuhebenden Bedeutung der strikten Grenzziehung von Polizei- und Strafrecht in einem freiheitlichen Rechtsstaat darf man sich auf solche Kompromisse nicht einlassen. Auch die bisher in § 46 Abs. 2 vorgesehene Berücksichtigung des Vorlebens des Täters ist ersatzlos zu streichen.
IV. Zusammenfassung zu den Spuren unzulässigen Gesinnungsstrafrechts im geltenden Strafrecht Spuren unzulässigen Gesinnungsstrafrechts lassen sich im geltenden Strafrecht trotz aller Gefahren, die damit für einen freiheitlichen Rechtsstaat verbunden sind, an verschiedenen Stellen finden. Nicht immer erhärtet sich indessen der 732 Sinnvoll ist die Formulierung „Grundlage“ jedenfalls mit Blick auf die Relevanz von Fehlverhaltensfolgen. – Schuld bezieht sich zunächst auf das personale Fehlverhalten (den Verhaltensnormverstoß); von dieser Basis aus kann dann strafzumessungsrechtlich über die (schärfende oder mildernde) Relevanz von (eingetretenen oder ausgebliebenen) Folgen diskutiert werden. 733 So Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 354. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften, S. 88 verweist darauf, dass § 46 Abs. 2 S. 2 jedenfalls die Interpretation zulässt, dass im „Vorleben“ allein schuldmindernde Komponenten zu erfassen seien.
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D. Auf den Spuren eines unzulässigen Gesinnungsstrafrechts
Verdacht, dass eine Rechtsfigur angesichts ihrer vordergründigen Ausrichtung an der Geisteshaltung des Betreffenden unzulässiges Gesinnungsstrafrecht ausmacht. Etwa bei den sogenannten „Gesinnungsmerkmalen“ handelt es sich jedenfalls dann um eine legitime strafrechtliche Figur, wenn sie sich in weitere Elemente des individuellen Normverstoßes „übersetzen“ lassen, die sich aus den in dem jeweiligen Gesetzesmerkmal umschriebenen Sachverhalten ergeben. Auf die Wahrung der Vorgaben des Art. 103 Abs. 2 GG ist aber trotz grundsätzlicher Zulässigkeit solcher Merkmale besonders zu achten. Allein die Terminologie muss zur Vermeidung fortdauernder – inhaltlicher – Missverständnisse vehement abgelehnt werden: Ein Gesetzesmerkmal, das die Gesinnung in keiner Weise im Blick hat, darf auch nicht fälschlich als solches etikettiert werden. Ferner wirft die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs – auch für die Variante des Unterlassens – geringere Schwierigkeiten auf, als kritische Stimmen in der Literatur es vermuten lassen. Eine sachgerechte Lösung der anstehenden Problematik bietet die Bezugnahme auf die zur Beurteilung der Legitimität von Verhaltensnormen maßgebliche Adressatenperspektive. Den Einzelnen trifft immer dann eine spezifische Verhaltensanforderung, wenn auf der Basis der sich ihm darbietenden Sachlage – ex ante – sein Verhalten Schädigungsmöglichkeiten für rechtlich geschützte Güter und Interessen aufweist, die nicht hingenommen werden können. Auf später oder aus anderer Warte erlangte Kenntnisse die tatsächliche Gefährlichkeit des Verhaltens betreffend kommt es ebenso wenig an wie auf die jeweilige Begehungsform. Der Grund liegt insoweit in der Gebotenheit rechtlicher Gleichbehandlung von Tun und Unterlassen. Als problematisch haben sich hingegen weite Teile der sogenannten Vorfeldkriminalisierung erwiesen, wenngleich keine vollständige Kongruenz des hiesigen Prüfungsstoffs mit der Kritik der Frankfurter Schule am „Risikostrafrecht“ besteht. Von Interesse sind deren Bedenken an der zunehmend präventiven Ausrichtung des geltenden Strafrechts aber angesichts des Hauptanliegens der eigenen Untersuchung, als zur Bekämpfung zulässiges Risiko im Strafrecht nicht die für gefährlich befundene Person selbst ausreichen zu lassen. Der Mensch selbst darf trotz erheblicher Vielfalt potentieller Bedrohungsszenarien nicht zum Anknüpfungspunkt von Strafe werden. Es bedarf vielmehr stets eines Verhaltens, das rechtlich zu missbilligen ist. Vor diesem Hintergrund konnten die unzulässigen Spuren des „Präventivrechts“ vor allem im Bereich des politischen Strafrechts in Gestalt der Missbilligung von ex ante neutralem Verhalten unter Rückgriff auf diffuse Universalrechtsgüter bzw. die Anreicherung mit subjektiven Momenten aufgezeigt werden. Die entwickelten allgemeinen Kriterien zur Bestimmung des Vorliegens einer spezialpräventiven Vorschrift ermöglichen dem Anwender die trennscharfe Differenzierung in diesem besonders sensiblen Grenzbereich von Polizei- und Strafrecht. Nicht legitimieren ließ sich danach die der Vorschrift des § 30 Abs. 2 Var. 3 zugrunde liegende Verhaltensnorm und damit die darauf Bezug nehmende Sanktionsnorm.
IV. Zusammenfassung
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Auch im Bereich der Strafzumessung ließen sich neben der Gesinnung weitere Faktoren klar benennen, die ausschließlich auf die Gefährlichkeit der Person schielen und sonach allenfalls im Rahmen der Maßregelverhängung von Bedeutung sein dürfen. Als unzulässig konnte danach die strafzumessungsrechtliche Würdigung des Vorlebens des Täters herausgearbeitet werden. Im Verein mit der Regelung zur „Gesinnung, die aus der Tat spricht“ sowie den „Beweggründe(n) und Ziele(n) des Täters“ ist die explizite Nennung des Vorlebens des Täters als strafzumessungsrelevanter Faktor aus § 46 Abs. 2 S. 2 zu streichen.
E. Vom Verhältnis von Freiheit und Sicherheit Das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im Rechtsstaat hat in weiten Teilen die voranstehende Untersuchung bestimmt. So konnte das Bestreben, die Gesinnung gar mit den Mitteln des Strafrechts greifen zu können, im Wesentlichen auf das Gefährlichkeitsurteil über diejenige Person, die sich eine wertwidrige Gesinnung angeeignet hat, zurückgeführt werden. Dass von einer solchen Person künftig kriminelle Handlungen zu erwarten sind, hat für viele den Anlass geboten, Systemwidrigkeiten, die durch eine Pönalisierung der Gesinnung im Strafrecht unweigerlich auftreten müssen, hinzunehmen.734 Die vorliegende Untersuchung weicht insoweit von anderen Arbeiten ab, als solche Brüche mit der rechtsstaatlich gebotenen Trennung von Repression und Gefahrenabwehr ausnahmslos nicht zugelassen werden. Die Gesinnung wurde daher als im Strafrecht systemfremde Kategorie herausgearbeitet; ihre Berücksichtigung als Ausdruck potentieller Gefährlichkeit von Personen kann allenfalls im Polizeirecht erfolgen. Die Tendenz aber, auch das Strafrecht für die Bekämpfung der Wurzel kriminellen Verhaltens – eine anstößige Gesinnung – brauchbar zu machen, entspricht dem Wunsch nach Sicherheitsoptimierung, der nicht nur das Strafrecht der „Risikogesellschaft“ durchdringt. Während der Stellenwert des Strafrechts im gesellschaftlichen Sicherungsstreben umfassend untersucht wurde, sind Ausführungen zum allgemeinen Verhältnis von Freiheit und Sicherheit im Rechtsstaat in ausdrücklicher Form bislang unterblieben. Das Strafrecht bildet aber lediglich ein Teilgebiet, in dessen Tatbeständen und Rechtsfolgen Fragen der Reichweite von Freiheit oder Sicherheit Bedeutung entfalten können. Als Teil des Ganzen soll es sich bruchlos in das umschriebene Spannungsverhältnis fügen. Es lohnt daher, die bisherigen Ergebnisse nochmals aufzugreifen und zu einem vollständigen Bild zusammenzufügen. Die Entstehung menschlicher Gemeinschaft ist durch den Wunsch ihrer Mitglieder geprägt, von ihrer individuellen Freiheit Gebrauch machen zu können.735 Der Gesellschaftsvertrag ist ein Akt der Freiheit, der künftige Freiheit garantieren soll. Zwar bietet der damit überwundene Naturzustand in Ermangelung obrigkeitlicher Freiheitsbegrenzungen und dem grundsätzlichen Fehlen von Abhängigkeiten vordergründig ganz ungestörte Freiheit. Indes kann davon nur Gebrauch machen, wer die dazu erforderliche Durchsetzungsmacht aufweist. Im Naturzustand lebt absolute Freiheit daher allein in der Theorie. Sie ist wesentlich auf die Macht des Einzelnen angewiesen, sodass die natürliche Koexistenz von Individuen zu 734 735
Vgl. dazu oben Einleitung zu C. Vgl. zum Vertragsmodell oben B. II. 1. a), 2. b).
E. Vom Verhältnis von Freiheit und Sicherheit
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einem Schreckensbild jedenfalls des Schwächeren verkommt: Er ist dem Starken in dessen Willkür schutzlos ausgeliefert. Aber selbst der temporär Stärkste muss um die Fortdauer seiner Freiheitsentfaltung bangen: Die Existenz eines noch Stärkeren kann nie ganz ausgeschlossen werden. Unbefangen wird also auch der Stärkste nicht von seiner Freiheit Gebrauch machen können.736 Vielmehr wird er Eigenstrategien zur Gefahrenprävention entwickeln, die ihn wiederum in seiner Freiheitsauslebung beeinträchtigen. De facto verbleibt von der ungebändigten Freiheit des Naturzustands nur ein fader Schatten: Unkontrollierte Übergriffe sowie der Hauch permanenter Bedrohung schaffen ein Klima höchster Unfreiheit. Der Eintritt in die Gemeinschaft durch Etablierung eines Gesellschaftsvertrags ist vernunftgemäßer Befreiungsschlag der Individuen. Die Geltung allgemeiner Regeln soll die Sicherheit gewährleisten, persönliche Freiheit auszuleben. Zwar setzen die gesellschaftlichen Normen auch der individuellen Freiheit Grenzen. Im Rechtsstaat wahren diese aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass Freiheitsinteressen lediglich in dem Umfang beschnitten werden, der die Vermeidung unzulässiger Störungen der Rechte eines anderen garantiert. Die Kontrolle der Wahrung von Interessenssphären wird in staatliche Hände gelegt. Eben jene Entprivatisierung des Konflikts trägt zum Bestand des friedlichen Gemeinwesens bei und reduziert gewaltsame Übergriffe, indem kontrolliert auf unzulässige Machtausübung des Einzelnen reagiert wird. Das Einschreiten des Staates symbolisiert gleichsam die kollektive Meinung bezüglich der Falschheit spezifischer Freiheitsverletzungen durch das Individuum. Diese werden ganz allgemein von den Mitgliedern der Gesellschaft nicht akzeptiert, sodass sie künftig zu unterlassen sind.737 Der Staat übernimmt als übergeordnete Instanz eine Doppelfunktion: Einerseits obliegt es ihm, einen freiheitlichen Zustand der Individuen durch seine Machtausübung zu gewährleisten. Er muss Freiheit ermöglichen. Im Konfliktfall tritt aber die Sicherheitsaufgabe des Staates auf den Plan. Durch positive Leistungen in Gestalt der Gefahrenabwehr und des Rechtsschutzes schafft er die notwendigen Bedingungen, die eine ungestörte Freiheitsausübung der Individuen voraussetzt. Die Freiheitsgarantie verlangt daher zugleich nach Begrenzung von Freiheit, sodass sich die Funktion des Staates ebenfalls auf den rechtsstaatlichen Schutz sowie auf die rechtsstaatliche Freiheitsgewährleistung erstreckt.738
736
Hobbes, Leviathan, S. 95; Rousseau, Social Contract, S. 237, 244 ff., 263. Vgl. oben B. II. 1. a). Siehe dazu außerdem Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 f.; Kötter, KJ 2003, 64, 67. 738 Calliess, DVBl 2003, 1096, 1100 f.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 21 ff., 32 ff., 48 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 121 ff., 186 ff.; v. Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, insbesondere S. 65 ff. – Zum staatstheoretischen Hintergrund der Annahme einer solchen Doppelfunktion vgl. Calliess, ZRP 2002, 1, 2 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 3 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 27 ff. (2. Teil). Siehe zur staatlichen Schutzaufgabe bereits Hobbes, Leviathan, S. 131 ff., 255. 737
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E. Vom Verhältnis von Freiheit und Sicherheit
Indes darf nicht übersehen werden, dass die Übertragung von Macht auf eine obrigkeitliche Instanz einhergeht mit der Entstehung eines weiteren Mitspielers, der zur Machtausübung befähigt ist. Die Annahme, solche Instanz verfolgte ihrerseits kein Eigeninteresse, dessen Umsetzung für die Bürger freiheitsbegrenzende Wirkung haben kann, entspräche blinder Naivität. Dass der Staat eigene Interessen durchzusetzen gewillt ist, hat grundsätzlich seine Berechtigung: Um seinen Funktionen der Freiheitssicherung und -gewährleistung nachzukommen, bedarf der Staat handlungsfähiger Institutionen. Diese zu schützen – insbesondere gegenüber Machtmissbräuchen der Bürger – ist sein legitimes Anliegen. Jedoch liegt hierin, wie schon die Ausführungen zu den Staatsschutzdelikten verdeutlicht haben, die Gefahr der rechtsstaatlich unzulässigen Freiheitsbeschneidung der Individuen: Der Staat kann geneigt sein, sich selbst und seine Institutionen über die Maßen zu schützen.739 Es macht aber wenig Sinn, den Naturzustand durch eine neuerliche Form kollektiver Unfreiheit einzutauschen. Solcher Staat verschlechterte gar die Situation der Individuen, jedenfalls in der Gesamtheit betrachtet: Während im Naturzustand immerhin die Stärksten vollumfänglich von ihrer Freiheit Gebrauch machen konnten, bleibt von der Freiheit aller Individuen gegenüber einem ausufernden und seine Interessen flächendeckend behauptenden Staat nicht mehr viel übrig. Jedoch kann die Machtausübung des Staates selbst dann freiheitsgefährdende Tendenzen aufweisen, wenn er nicht sich selbst oder seine Institutionen schützen will, sondern es ihm um die Interessen der Bürger geht. Dass eine Vielzahl an Faktoren dazu beitragen kann, die Lebenssituation der Menschen als grundsätzlich gefährdet anzusehen, wurde mehrfach betont.740 Der Staat will angesichts solcher Entwicklungen nicht hilflos zusehen, sondern sich dem Kampf um den Bestand der individuellen Interessen stellen. Er rüstet daher in vielen Bereichen auf, um Gefahren schon im Keim zu ersticken. Jeder tatsächlich eingetretene Schaden droht, als Niederlage oder Schwäche der Obrigkeit gewertet zu werden. In der Folge richtet sich der Fokus auf die Gewährleistung von Sicherheit der Rechtsgüter der Bürger, die möglichst frei von jedwedem Grad an Gefährdung durch Dritte bleiben sollen.741 Der beschriebene Paradigmenwechsel hat eine ra739
Siehe oben D. II. 1.–4. Vgl. ausführlich Dibelius, Grenzen des Staates. Zu den Faktoren der Entstehung einer „Risikogesellschaft“ siehe bereits D. II. 1. Vgl. außerdem Calliess, DVBl 2003, 1096, 1098 ff. 741 Denninger, KJ 1988, 1 ff. Besonders exzessiv wird das Bestreben um vorverlagerten Rechtsgüterschutz betrieben, sofern bereits das Freisein von Furcht als von Seiten des Staates zu gewährleistender Zustand eruiert wird. In seiner überhöhten Tendenz zur absoluten Kontrolle sämtlicher Bereiche des sozialen Lebens muss ein „Recht auf Freisein von Furcht“ ebenso kritisiert werden wie die übrigen Kennzeichen des Präventivstaats. Zutreffend daher Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 25 f.: „Der Topos ist unbegrenzt manipulationsfähig, weil er sich auf Ängste aller Art beziehen läßt. (. . .) erheblich ist daher nicht die Furcht an sich, sondern der objektive Grund zu berechtigter Furcht, also die Gefahr“. Vgl. dazu Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 223 ff. 740
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dikale Umwälzung insbesondere der rechtlichen Landschaft zur Folge, die sich nicht auf das Gebiet des Strafrechts limitieren lässt. Vielmehr sind die Eingriffsbereiche von Polizei, Geheimdienst und Justiz ganz allgemein betroffen.742 Einher geht damit vor allem eine folgenschwere Veränderung der Rolle des Bürgers: Vom zu Beschützenden wird er selbst zur potentiellen Gefahrenquelle; für ihn gilt eine – von seiner Seite zu widerlegende – Gefährlichkeitsvermutung.743 Werden aber Rechtsgüter mit dem Anspruch auf Absolutheit geschützt, dehnt sich das staatliche Aufrüsten immer weiter zu Lasten individueller Freiheit aus. Wer sich beklagt, weckt Misstrauen: Zweifler rücken ins Lager der Rechtsstaatsfeinde, die es zu bekämpfen gilt. Erbrachte Opfer in Gestalt der Hinnahme elementarer Freiheitsbeschneidungen werden hingegen als Verdienst am Gemeinwesen erachtet, dessen Sicherheit über allem steht. Wer aber hohe Zäune um sich baut, liegt am Ende selbst in Ketten. So bedarf es kaum mehr der ausdrücklichen Erwähnung, dass gegenüber ungezügelten Sicherheitsbestrebungen die Freiheit als elementarer Bestandteil des Rechtsstaats auf der Strecke bleibt. Rechtsgüterschutz und Handlungsfreiheit verlaufen in antiproportionalen Bahnen. Je stärker der Schutz von Rechtsgütern vorangetrieben wird, desto umfangreicher muss die Bewegungsfreiheit des Individuums beschnitten werden: Prävention meint in Reinform Kontrolle sämtlicher Bereiche des sozialen Lebens – stets in Orientierung am Idealbild fest an ihren Spieler gebundener Marionetten. Die Rede vom „gläsernen Menschen“ ist insoweit unvollständig: Echte Prävention gelingt doch erst dann, wenn der Innenraum des gläsernen Hauses nach den Wünschen des Gesellschaftsarchitekten eingerichtet wird. Dass vom freiheitlichen Rechtsstaat nichts mehr verbleibt, ist offenkundig: Grenzenloses Sicherungsstreben gelangt in den Strudel der Totalität. Es offenbart sich im Verhältnis von Freiheit und Sicherheit der elementare Konfliktfall des rechtsstaatlichen Gemeinwesens. Dessen Ziel ist der bereits formulierte Ausgleich, der das größtmögliche Maß an Freiheit aller garantieren soll. Doch stellt sich dieser Wunsch in seiner Umsetzung komplexer dar, als dessen erste Einforderung erahnen lässt. Zwar kann Freiheit nicht ohne Sicherheit sein744: Unkontrollierte Freiheit heißt in letzter Instanz Unfreiheit, wie bereits das Gedankenspiel zum Naturzustand zeigt. Sobald Interessen verschiedener Individuen miteinander zu kollidieren drohen, läuft unkontrollierte Freiheit auf interpersonelle Machtmissbräuche hinaus. Ohne die Reglementierung der indivi742 Vgl. dazu bereits die Kritik der Frankfurter Schule unter D. II. 1. sowie Calliess, DVBl 2003, 1096, 1099 f.; Kötter, KJ 2003, 64 ff.; Krauß, StV 1995, 315, 316 f.; Kreuzer, StV 2011, 122 f.; Kutscha, in: Lange (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit, S. 309 ff. 743 Calliess, NJW 1989, 1338, 1340; ders., DVBl 2003, 1096, 1099 f.; Denninger, KJ 1988, 1, 13; Heine, JZ 1995, 651 ff.; Krauß, StV 1995, 315 ff. 744 „Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit“, v. Humboldt, Grenzen der Wirksamkeit des Staates, S. 66.
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duellen Freiheitsentfaltung gilt letztlich das Recht des Stärkeren. Wenngleich daher Freiheit durch Sicherheit rechtsstaatlich erblüht, bleibt sie doch selbst in ihrem Schutzmantel fragil. Zuviel Sicherheit droht, sie zu erdrücken.745 Zuviel Schutz zerstört sie, am Ende bleibt von ihr nichts übrig. Zugleich trägt die Freiheit die Tendenz zur Zerstörung ihres Gegenspielers in sich: Ungebändigt zerreißt sie alle Fesseln – zu Lasten der Freiheit der anderen. Mit dem grundlegenden Verhältnis jener Antagonisten sind wir also beim Kernelement des Rechtsstaats angekommen. Dabei liegt deren Vereinigung in weite Ferne gerückt, ein schier undurchführbares Unterfangen. Und doch strebt der Rechtsstaat nach Einklang; zugleich eine Antinomie? – Jedenfalls dann nicht, wenn die Unerreichbarkeit eines Ruhens im steten Kräftemessen von Freiheit und Sicherheit als Faktum hingenommen wird. Es bleibt ein kraftvolles Ziehen in entgegengesetzte Richtung, ein Tanz von Kraft um eine Mitte, die zu finden trotz aller Einsicht in seine inhärente Unerreichbarkeit stets Ziel ist. Der Rechtsstaat ist nicht starr, er bleibt in Bewegung. Dabei ist darauf zu achten, dass seine Wellen sich zu keiner Zeit gegenseitig ersticken. Was bleibt damit zum Präventivstaat zu sagen? Noch ist der Freiheit nicht die letzte Luft abgeschnürt. Der Tanz hat sich aber in manchen Bereichen zu Lasten der Freiheit zu weit von seiner Mitte entfernt und ist ins Wanken geraten. Hier muss das Gleichgewicht wiederhergestellt werden – der Weg dahin liegt uns offen. Es gilt, in der bekannten Weise einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu schaffen. So muss der status positivus desjenigen, in dessen Rechtsgüter ein Verhalten eingreift, mit dem Recht auf Eingriffsabwehr des „Störenden“ im multipolaren Verfassungsrechtsverhältnis in Einklang gebracht werden. Taugliches Instrument ist die mehrpolige Verhältnismäßigkeitsprüfung, in der auch Gemeinwohlbelange Bedeutung erlangen können. In Orientierung am Grundsatz der praktischen Konkordanz werden den beteiligten Interessen auf diese Weise Grenzen gezogen, die ihnen zu optimaler Wirksamkeit verhelfen.746 Einem einseitigen Überwiegen entweder des Interesses an Freiheitsentfaltung des einen bzw. des Rechts auf Schutz des anderen ist so von vornherein ein Riegel vorgeschoben. Der grundsätzlichen Richtigkeit eines solchen Verfahrens ist außerdem nicht mit dem Heraufziehen unheilvoller Gefahren für Individuum und Gesellschaft
745 Vgl. Huber, in: Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, S. 592, 601 ff.; Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 41, 60; Kötter, KJ 2003, 64, 73 ff.; Krauß, StV 1995, 315, 320 f.; Kutscha, in: Lange (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicherheit, S. 309, 315 ff.; Müller-Dietz, JZ 2011, 85, 93. 746 Dazu ausführlich Calliess, DVBl 2003, 1096, 1102 ff. Zur Multipolarität des hier betroffenen Interessenverhältnisses vgl. auch Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 f., 44 ff.; Kötter, KJ 2003, 64, 74 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 123 ff.
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argumentativ zu begegnen.747 Zuviel Angst ist Motor für Entwicklungen gleich der hier mehrfach beklagten. Prävention muss ihre Grenzen finden. Freiheit bedeutet immer zugleich Risiken und den Mut, eben jene zu wagen. Selbstredend ist Unvernunft falsch verstandener Mut. Die taugliche Grenzziehung gelingt indes auch hier im Wege der beschriebenen multipolaren Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dabei lohnt das konstante Bemühen um die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts von Freiheit und Sicherheit allemal. Wenn zwar ungezügelte Sicherung der leichter gangbare Weg sein mag, führt er letztlich doch in eine Sackgasse. Größtmögliche Freiheit aller ist das Ergebnis einer Anstrengung, die im Rechtsstaat an keinem Tag gescheut werden darf. Nachlässigkeiten gehen auf Kosten eben jenes Ideals. Die Wichtigkeit des Widerstehens der Versuchung vorschneller Kapitulation für den Bestand der freiheitlichen Ordnung kann nicht oft genug betont werden. So schließt die hier erfolgte Untersuchung mit einer Erinnerung an die Grunddeterminanten eines freiheitlich verfassten Rechtsstaats. Der Weg zu ihnen war nicht selten beschwerlich. Höchste geistige Errungenschaften dürfen daher selbst angesichts präventiver Zielsetzung und des nicht selten einhergehenden Bestrebens zur Durchsetzung eines blanken Pragmatismus im Denken nicht in Vergessenheit geraten. Die Einsicht in die Notwendigkeit eines konstanten Gleichklangs von Freiheit und Sicherheit soll Einschüchterungstendenzen zurückdrängen. Die Idee des Rechtsstaats lebt vom Wagnis der Freiheit.
747 Verfehlt ist die Aussage, der Staat stünde „mehr auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger“, wenn er deren Sicherheit gegen Bedrohungen des internationalen Terrorismus auch strafrechtlich gewährleiste (vgl. Barisch, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, S. 133). Sie geht einerseits daran vorbei, dass der Staat sich selbst und seine Institutionen zu einem überwiegenden Teil vor entsprechenden Gefahren zu schützen intendiert. Internationaler Terrorismus bedroht die Freiheitsinteressen der Individuen im Annex: Primär richtet er sich gegen den Bestand des freiheitlichen Rechtsstaats. Zudem ist fraglich, ob solche Vorschriften tatsächlich mehr als nur die gefühlte Sicherheit erhöhen, vgl. dazu die Ausführungen zum symbolischen Strafrecht C. VII. Entscheidend dürfte aber sein, dass gerade zweifelhaft ist, ob eine Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen in diesem Bereich wirklich „auf Seiten“ der Bürger, also in deren Interesse, erfolgt. Die Umgehung der rechtsstaatlich gebotenen Abwägung gegenüber den Freiheitsinteressen des Einzelnen scheint in der Aussage Barischs geradezu angelegt. Sein Plädoyer für den Schutzauftrag des Staates wird in seiner Einseitigkeit der Doppelfunktion des zuletzt genannten nicht gerecht, sondern birgt vielmehr das Risiko der Vernachlässigung rechtsstaatlicher Erfordernisse.
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Sachwortverzeichnis AE-Leben 205 ff. Beschuldigter 121 Beweggrund 26 f., 175 f., 202, 210, 256 ff., Fn. 441, 445 Bindungswirkung 24 ff. Bürgerstrafrecht 129 ff. Charakter Fn. 45 Demokratie 84, 240, Fn. 281, 303 Determinismus 29 ff. Ehrenmord 193, Fn. 545, 553 Einstellung siehe Gesinnung Etikettierung 87, 172, 180, 182, 193, 205, 207, 216, 218 Fehlverhaltensfolgen 73, 74 ff., 151 f., 173, 178, 231, Fn. 477, 491 Feindstrafrecht 129 ff., 141 f. – als Retter des Normenmodells 129 ff. Frankfurter Schule 224 ff., 230, 232, 234, 236, 241, 260 Freiheitliche Grundordnung siehe Vertragstheorie 52, 64, 66, 85 f., 89 f., 92, 106, 110, 111, 118, 122, 124, 139, 141, 250 – Menschenbild der 81, 83, 105, 112, 116, 128 Gedankenfreiheit 13 ff., 83, 85, 88, 90 f., 110, 124, 126, 142, 240, Fn. 225 Geist 19 ff., 25 Geisteshaltung 23, 24 f., 89 ff., 110, 123, 124 ff., 153, 159, 161 ff., 173, 176, 190, 219, 222, 256, 260
Gefährdungsdelikt 227, 231 f., 239 Gefühlsschutz 107 ff., 238 Generalprävention 43 ff., 52, 59, 62, 94 f. – empirische Belegbarkeit 49 f. – Nebeneffekt 56, 134 – negative 43 f., 45 – positive 44, 45 ff., 52, 59, 62 Gesinnung – Abgrenzung zum Gewissen 28 f., 191 f. – als Ausdruck potentieller Gefährlichkeit der Person 122 ff. – als Element der Schuld 178 ff. – als Element des Unrechts 153 ff. – anerkennenswerte 163 f. – Definition 37 – im Polizeirecht einer freiheitlichen Grundordnung 111 ff. – im Strafrecht einer freiheitlichen Grundordnung 40 ff. – islamistische 100 ff. – Moment der Dauer 26 f. – nationalsozialistische 100 ff. – strafzumessungsrechtliche Relevanz 89 ff., 256 ff. Gesinnungsmerkmale 161, 216 ff., Fn. 442 Gesinnungstäter 126 ff., 139 ff., 164, 188 f. – potentielle Gefährlichkeit 164 – Selbstwiderspruch 139 ff. Gewissen 28 f., 83, 123, 163, 191 f. Habituelles Defizit 192 f., 195, 198 Hasskriminalität 104, 207 ff., Fn. 289 Indeterminismus siehe Determinismus 33 Individualprävention 16, 112 ff., 118 ff., 141 Internum 19 ff., 24, 26, 78, 82, 122
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Sachwortverzeichnis
Kantische Rechtsphilosophie 76 ff., 89, 186 Maßregel 39, 118 ff., 155, 164, 228, 251, 253, 261 Moral 22, 29, 38, 68 ff., 77, 109, 115, 175 f., 181 f., 250, 258 Naturzustand 42, 81, 136, 138 f., 140 ff., 225 f., 238, 262 ff. Neurowissenschaften 34 ff. Normenmodell 41 ff., 111, 129 ff., 139 ff. Normgeltung 30, 43 ff., 47, 48 f., 53, 56 f., 61, 62 f., 73, 74 f., 141, 155, 156, 157 f., 162 f., 167, 171, 196, 244, 245 f. – Infragestellung 53, 56, 74, 155 f., 157 f. – Normgeltungsschaden 43 ff., 49, 167, 171, 244, 246 Offenbarungstendenz 15, 26, 27, 111, 252, 257, Fn. 45, 46 Polizeirecht 16, 38 f., 111 f., 118 ff., 122 ff., 124 ff., 126 f., 130, 132, 134, 137, 139, 141 f., 146, 150, 171, 190, 215 f., 222, 224, 229, 232, 233 f., 236 f., 251 f., 262 – Abgrenzung zum Strafrecht 38 f., 111 ff., 222 – theoretisches Fundament 111 ff. Positivismus 47, 131, 259 Präventionsrecht 134, 139 Rechtsgut – präventiver Schutz durch das Polizeirecht 38, 119 f., 125 ff. – präventiver Schutz durch Verhaltensnormen 40 ff., 119 f. – unbestimmbares 66, 227, 236 – und Fehlverhaltensfolgen 74 f. – Universal- 227, 234 f., 239, 260
– von Sanktionsnormen 42, 64 – von Verhaltensnormen 41 f., 73 Resozialisierung 16, 46, 116 Rückfallschärfung 250 ff. Sanktionsnorm 41 f., 43 f, 64, 69, 71 ff., 76, 79, 88 f., 107, 109 f., 119, 223 f., 233, 239, 249, 260 – Güter- und Interessenabwägung 71 f. Schuldbegriff 178 f., 179 ff., 184 ff. – eingeschränkte Normbefolgungsfähigkeit 163, 191 ff., 198 – eingeschränkte Unrechtseinsicht 185, 193 ff., 196 ff. – Fähigkeit zum Andershandeln 152, 163, 184, 189, 190, 192 f., 198, 258 – freie Entscheidung des Subjekts für die Verletzung rechtlich geschützter äußerer Freiheit 184 ff. – Täterschuldbegriff 179 ff. Seele 19 ff. Spezialprävention siehe Individualprävention Straftheorie – absolute 53 ff., 92, 97 – Achtung des Vernünftigen 51, 63, 71, 73, 137 – Ausgleichsgedanke 39, 40, 52 ff., 55, 58 ff., 62 ff., 64, 73, 76, 77, 93, 213, 244, 252, 253 – der geltungssichernden ausgleichenden Ahndung 52 ff., 58 ff., 62 f., 76, 213 – generalpräventive siehe Generalprävention – individualpräventive siehe Individualprävention – Kommunikationsmodell 43, 56 ff., 58 ff., 72, Fn. 391 – retributive 46, 52, 95, 97, 111, Fn. 143, 150, 158 – spezialpräventive siehe Spezialprävention – Strafübel 58 ff.
Sachwortverzeichnis – Symbolische Bedeutung des Verhaltensnormverstoßes 44, 55 f., 159 – Wiederherstellung des Rechts 53, 56, 58, 60 f., 63 f., 72 f., 75, 120, 168, 253 f., 255 Strafzumessung 15, 45, 50 ff., 78, 89 ff., 91 ff., 104, 107, 110 f., 120, 143, 146 ff., 161 f., 163 ff., 167, 172, 175, 179, 201, 210 ff., 215 f., 250 ff. – als eigenständiges Übel 90 f., 110 – Divergenzthese 146 ff. – einheitlicher Zweckgedanke von Strafbegründung und 98 f., 146, – Rückfallschärfung 250 ff. – Spielraumtheorie 92 ff., 98 – tatproportionale 94 ff., 147 ff. – Vorstrafen 250 ff. – Vortaten 250 ff. Täterstrafrecht 117, 180, 182 f. Tötungsdelikte 162, 198 ff., 217, 220 Trennung von Unrecht und Schuld 153, 163, Fn. 425 Ultima ratio 72, 229, 230 Ultra posse nemo obligatur 67, 245 Unrechtsbegriff 150 ff., 166 ff., 172 ff. – Beeinträchtigung des Rechtsgutsträgers 172 ff. – geistige Infragestellung 74, 165 – ideeller 150 ff., 166 ff., 172 ff. – Loyalitätspflichtverletzung 60, Fn. 474 Untauglicher Versuch 242 ff. Utilitarismus 50, 94, 96 Verbrechensverabredung 247 ff. Vergeltungstheorie siehe absolute Straftheorie 46, 53 f., Fn. 136, 137, 143, 170, 407 Verhaltensnorm 40, 42 f., 43 ff., 45, 47 ff., 52 f., 55 f., 58 f., 62, 64 ff., 71 ff., 74 f., 79 ff., 88 f., 90, 107, 109 f., 119 f., 124 f., 126 ff., 137,
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139 ff., 151 f., 155 f., 157 ff., 161 ff., 171, 186, 197, 231 f., 233 ff., 238 ff., 247 ff., 251, 253 f., 157 f. – Adressatenperspektive 67 f., 76, 86, 154, 244 f., 260 – als Schnittmenge von Recht und Moral 68 ff. – Güter- und Interessenabwägung 48 f., 64 f. – Legitimer Zweck 64 ff. – Trennung von Verhaltensnorm und Sanktionsnorm 41 ff., 76, 79 – Verbot von Gesinnungen 79 ff., 88 f., 110, 124, 126, 141, 235 – vorstrafrechtliche Etablierung 48 f., 64, 89 Verhaltensnormverstoß 45, 52 ff., 59, 62, 64, 69, 71 f., 74 ff., 151 f., 154 ff., 157 ff., 161 ff., 164, 165 f., 169, 171, 178, 187 ff., 193, 197, 199, 202, 204 f., 212, 216, 218, 221 f., 224, 233, 244 f., 250, 252 ff., 256, 258 f. – fahrlässiger 68, 72, 80, 154 ff., 157, 158 f., 167, 169, 223, 249, Fn. 458 – Graduierbarkeit 155 ff., 157 ff., 179, 197, 198 ff. – Grundlosigkeit des Verhaltens 159 f., 171 f., 208 – Maximalmaß 157 ff., 161 ff., 166, 187 f., 193, 199 ff., 213, 250, 253 – Milderungsgründe 157 ff., 161 ff., 163 f., 165, 166 f., 187 f., 192 f., 200, 202, 205 f., 213, 221, 250 – neutrales Verhalten 80, 87, 234 f., 239, 260 – vorsätzlicher 78, 80, 85, 154 ff., 158, 160, 162, 187 f., 199 ff., 205, 217 Vertragsauslegung 95 ff. Vertragstheorie 130, 138 f., Fn. 391 Vorfeldkriminalisierung 224 ff. Wertehaltung siehe Gesinnung Willensstrafrecht 85, 114 f., 117, 181