Strafrecht: Ein Lehrbuch [3 ed.] 9783428435647, 9783428035649


158 104 65MB

German Pages 557 Year 1949

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Strafrecht: Ein Lehrbuch [3 ed.]
 9783428435647, 9783428035649

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Strafrecht Ein Lehrbuch

Von

Edmund Mezger

Duncker & Humblot . Berlin

STRAFRECHT EIN LEHRBUCH von

Dr. Edmund Mezger ord. Professor der Rechte an der Universität München

Dritte unveränderte Auflage mit einer Einleitung nach dem neuesten Stand 5.-7. Tausend

B E R L I N VERLAG

U N D

VON

M Ü N C H E N

D U N C K E R

&

/

1949

H U M B L O T

Alle Rechte vorbehalten Verlag von Duncker & Humblot, Berlin-Mündien. Β 234 ISB, Berlin Herstellung von J.F. Schreiber, Graphische Kunstanstalt, Eßlingen am Neckar, 1814-0749

MEINER

FRAU

in dankbarer Erinnerung an zwanzigjährige Mitarbeit

V O R W O R T Z U R D R I T T E N AUFLAGE Das Lehrbuch des Strafrechts (zuletzt 2. Aufl. 1933) ist seit längerer Zeit vergriffen. Dem Entgegenkommen und dem Bemühen des Verlages ist der vorliegende Neudruck zu danken. E r bedarf einiger Worte der Einführung. Das Lehrbuch erscheint hier als u n v e r ä n d e r t e r Neudruck in der Gestalt der zweiten Auflage von 1933. I n der Zwischenzeit hat das. deutsche Strafrecht manchen Wandel erfahren, mag auch vieles von den Allgemeinen Lehren, mit denen sich das Lehrbuch beschäftigt, nach wie vor in der alten Form in Geltung stehen. Trotz dieser Notwendigkeit der Ergänzung erschien jedoch eine Neubearbeitung des Buches im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angezeigt. Das Lehrbuch (1. Aufl. 1931) war bemüht, das Schrifttum seiner Zeit, wenn auch nicht vollständig, so doch in seinen wichtigen Erscheinungen möglichst umfassend zu berücksichtigen. Für das Schrifttum der Jahre 1933—1949 ist ein gleiches Verfahren heute nicht möglich. Was aus dessen Fülle bleibende Bedeutung in A n spruch nehmen kann, muß sich erst in einem weiteren Läuterungsprozeß klären. Erst nach einem solchen wird sich beurteilen lassen, was einer literarischen Aufnahme und Berücksichtigung wert ist. M i t anderen Worten: Z u einer Neubearbeitung im alten Stil fehlt es gegenwärtig an den entsprechenden inneren Voraussetzungen. Selbstverständlich können aber die Vorgänge der Zwischenzeit nicht einfach übergangen werden, wenn das Buch dogmatischen und nicht bloß historischen Wert haben soll. Ihre Kenntnis muß dem Leser bei der Benützung der früheren Ausführungen irgendwie zur Verfügung stehen. Ich darf in diesem Sinne zum neuesten Stand auf mein inzwischen in der Reihe der Juristischen Kurz-Lehrbücher des Biederstein-Verlags in München erschienenes Studienbuch „Strafrecht.I.Allgemeiner Teil" in 2. unveränderter Auflage (1948) verweisen, aus dem sich im einzelnen die notwendige Ergänzung ergibt. U m aber wenigstens die wichtigsten Hinweise auch unmittelbar zur Verfügung zu stellen, sollen hier in einem besonderen Vorwort einige Ergänzungen Platz finden. Sie schließen sich dem Aufbau des Lehrbuohs an und machen auf Aenderungen der Zwischenzeit aufmerksam. Die Paragraphen und Seitenzahlen ohne Zusatz beziehen sich auf das Lehrbuch (1933). Das Studienbuch (1948) wird als „Stbu." zitiert. Erster Hauptteil. Die Lehre vom Strafgesetz (S. 1 ff.) § 1. D e r B e g r i f f d e s S t r a f r e c h t s . Grundsätzlich bleibt es beim Alten. Nur haben sowohl das Jugendstraf recht im Reichs jugendgerichtsgesetz vom 6. November 1943 (RGBl. I . 635; RJGG), wie die Maßregeln der Sicherung und Besserung §§ 42 a—42 η StGB im Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24.November 1933 ( R G B l . I . 995; GewVerbr. G) eine so weitgehende Ausdehnung der strafrechtlichen Maßnahmen gebracht, die n i c h t Strafe im engeren Sinne des Wortes sind, daß die schon früher (S. 3.) empfohlene w e i t e r e Fassung des Begriffes „Strafrecht" heute ganz besonders nahe gelegt ist. Siehe dazu Stbu. 249 ff, 241 ff., sowie meinen Grundriß: Deutsches Strafrecht (3. Aufl. 1943) S. 13/14.

VI

Vorwort

Das O r d n u n g s s t r a f r e c h t im Gegensatz zum k r i m i n e l l e n S t r a f r e c h t im engeren Sinne (S. 5 — 7) in einen festen Begriff zu fassen, ist auch den weiteren Bemühungen nicht gelungen. Doch läßt sich wenigstens soviel sagen (Grundriß 1943 S. 15), daß es drei Komplexe sind, die im wesentlichen jenem Ordnungsstrafrecht zuzurechnen sein würden: das ,,Bagatellstrafrecht", wie es durch die Uebertretungen der §§ 360 ff. StGB, repräsentiert est; das „Polizeistrafrecht" als das Gebiet der strafbaren Zuwiderhandlungen gegen Polizeiverordnungen ; das „Verwaltungsstrafrecht" als das Gebiet der Verstöße gegen verwaltungsrechtliche Anordnungen in den Nebengesetzen. §§ 2—5. D i e G e s c h i c h t e des d e u t s c h e n S t r a f r e c h t s u n d d e r S t r a f r e c h t s w i s s e n s c h a f t ; , einschließlich der zugehörigen Quellen und der einschlägigen Literatur, ist mit den nötigen Verweisungen jetzt im Stbu. 10—21 und 4—10 behandelt. W i r folgen den Seiten des Lehrbuchs (1933), indem wir auf einiges Beachtenswerte besonders hinweisen. Das germanische, fränkische (450—900 n. Chr.), mil te alterlich deutsche (900—1500 n. Chr.) und das römisch-kanonisch-italienische Recht (S. 11 bis 15) bat einige Ergänzungen in Stbu. 10—12 erfahren. Ueber das RStGB 1871 (S. 28) und seine Weiterbildung gibt Stbu. 14 u. 4 ff. Auskunft. Wichtig sind seit 1933 die Novellen vom 26. M a i 1933 (RGBl. I . 295), vom 24. November 1933 ( R G B l . I . 995, das sog. Gewohnheitsverbrechergesetz mit §§ 20a, 4 2 a ff. StGB u.a.), vom 28. Juni 1935 (RGB1.1.839) und vom 29. M a i 1943 (RGBl. I . 339, die sog. Strafrechtsangleichungsverordnung mit der Durchf. VO. vom gl. Tag RGBl. 1.341), sowie das bereits erwähnte R J G G vom 6. November 1943 ((RGBl. I . 635). Tief eingreifend in den Bestand des deutschen Strafrechts sind auch die Anordnungen der Besatzungsmächte seit 1945, über die Stbu. 4 ff. Auskunft gibt. Die Entwicklung der Strafrechtswissenschaft, die im Lehrbuch S. 10—39 in die allgemeine geschichtliche Darstellung eingearbeitet ist, ist jetzt Stbu. 15— 19 besonders behandelt. W i r machen insbesondere zu Lehrb. S. 39 auf die neueste Entwicklung Stbu. 18—19 aufmerksam, die durch ein enge Verbindung der dogmatischen Arbeit der klassischen Schule mit den strafrechtlichen Tatsachenwissenschaften, wie sie durch die modernen Strafrechtsschulen erschlossen wurden, gekennzeichnet ist. Dazu wäre im einzelnen auch mein Buch: Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen (3. Aufl. 1944) und der zum Stbu. geplante Bd. I I I Kriminologie zu vergleichen. Die Literatur des Strafrechts (Lehrbuch S. 39—42) ist Stbu. 20—21 ergänzt. Besonders hingewiesen sei aus neuester Zeit auf die Kurzkommentare von K o h l r a u s c h (38. Aufl. 1944), von S c h w a r z (13. Aufl. 1949), den N a c h t r a g zum F r a n k * sehen Kommentar von SchäferV. Dohnanyi (1936), die teilweisen Neubearbeitungen der Kommentare von O l s h a u s e n (12.Auflage 1942 §§ 1—247) und des L e i p z i g e r K o m m e n t a r s (6. Aufl. 1944 §§ 1—152), sowie auf den neuen, viel benützten Kommentar von S c h ö n k e (3. Aufl. 1947). Dazu kommen die Grundrisse v. W e b e r (1946), W e l z e l (1947) und M a u r a c h (1948) und an sonstigen Werken insbesondere Hellmuth M a } ' e r , Das Strafrecht des deutschen Volkes (1936), Graf zu D o h n a , Der Aufbau der Verbrechenslehre ( 2 . A u f l . 1941), die Festschrift: P r o b l e m e d e r S t r a f r e c h t s e r n e u e r u n g (Eduard Kohlrausch zum 70. Geburtstag 1944) und das bisher zu wenig beachtete Buch von K a n t o r o w i c z ,

Vorwort,

VII

Tat und Schuld (1933). Auch die kriminologische Literatur (Stbu. 21) darf heute nicht übersehen werden ; E x n e r ' s Kriminalbiologie ist inzwischen in 3. Aufl. unter dem Titel „Kriminologie" (1949) erschienen. Die E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s g e r i c h t s i n S t r a f s a c h e n (Lehrb. S. 42) enden mit dem 77. Band. Z u den Z e i t s c h r i f t e n (Lehrb. 41) ist Neues und Altes im Entstehen und in Gebrauch und gibt leider vielfach das Bild einer bedauerlichen Rechtszersplitterung als Folge der Länder- und Zonentrennung. Die R e f o r m a r b e i t zur Gesamterneuerung des Strafrechts (Lehrb. S. 42 - 4 7 ) ruht zur Zeit. Ueber die weitere Tätigkeit seit 1933 gibt Stbu. 14—15 Auskunft. Trotzdem es bis heute zu keinem neuen gesamtdeutschen Strafgesetzbuch seit 1871 gekommen ist, dieses also auch heute die Grundlage des Strafrechts in den deutschen Ländern bildet (Stbu. 4, dazu das neue Thür. StGB 1945), haben die Reformarbeiten doch dadurch große praktische Bedeutung erlangt, daß viele ihrer Ergebnisse in der Zwischenzeit in Novellen verwirklicht und damit Bestandteil des geltenden Straf rechts geworden sind, wie dies schon Lehrb. S. 47 und 55 angeregt und empfohlen wurde. § 6 . D a s S t r a f r e c h t d e s A u s 1 a n d s (S. 48—56). Seine früher oft zu sehr vernachlässigte Pflege hat in der Zwischenzeit manchen erfreulichen Fortschritt zu verzeichnen. Es sei insoweit auf den ausführlichen Bericht Stbu. 21—26 und die dort genannten Stellen verwiesen. Besonders bedeutsam ist das neue Schweizerische StGB vom 21. Dez. 1937 (dazu vor allem H a f t e r , Lehrb. Allg. Teil. 2. Aufl. 1946. Bes. Teil 1. Hälfte 1937 und 2. Hälfte 1942). § 7. D i e r ä u m l i c h e G e l t u n g d e s S t r a f g e s e t z e s . Das sog. i n t e r n a t i o n a l e S t r a f r e c h t (S. 57—61) hat durch Neufassung der §§ 3—7 StGB — §§ 8 und 9 sind aufgehoben, letzterer durch K R G . N r . 11 — in der V O vom 6. M a i 1940 (RGBl. I . 754) eine neue Grundlage erhalten (Stbu, 31/32). A n die Stelle des früher auch für I n l ä n d e r ( § 3 StGB) maßgebenden Territorialprinzips ist nunmehr für Deutsche das P e r s o n a l p r i n z i p als Ausgangspunkt mit gewissen Einschränkungen getreten. Für A u s l ä n d e r ( § 4 StGB) gilt grundsätzlich bei Inlandstaten das T e r r i t o r i a l p r i n z i p (Abs. 1) weiter, jedoch mit bedeutsamen Erweiterungen bei Auslandstaten teils mit (Abs. 2), teils ohne (Abs. 3) die Bedingung der Strafbarkeit nach dem Rechte des Tatorts. Zum L a n d e s s t r a f r e c h t (S. 61) ist zu bemerken, daß infolge der veränderten staatsrechtlichen Verhältnisse sich n e u e s Landesrecht bilden kann, das dem früheren Reichsrecht, also insbesondere dem RStGB, vorgeht (Stbu. 31). § 8 . D i e z e i t l i c h e G e l t u n g d e s S t r a f g e s e t z e s . Das sog. i n t e r t e m p o r a l e S t r a f r e c h t hat durch die neue Fassung des § 2 a StGB in der Nov. vom 28. Juni 1935 (RGBl. I . 839) gleichfalls eine neue Grundlage erhalten. Während § 2 b StGB (Wahlfeststellung) durch K R G N r . 11 wieder aufgehoben worden ist, ist dies bei § 2 a StGB nicht geschehen. Diese Bestimmung gilt also auch jetzt (abweichend ohne zureichende Begründung S c h w a r z , Kurz-Komm. StGB. 13. Aufl. 1949 § 2 a Ν . 1 a). Die wesentlichen Aenderungen im Vergleich zu früher sind folgende : die rückwirkende Kraft des milderen Strafgesetzes oder der Beseitigung der Strafbarkeit ist nicht mehr zwingend, aber wenigstens als Kann-ßestimmung beibehalten (Abs. 2); für die schwierige Frage der

VIII

Vorwort

sog. Zeitgesetze versucht Abs. 3 eine gesetzliche Regelung zu geben; die Maßregeln der Sicherung und Besserung beurteilen sich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung, nicht nach dem der Tat (Abs. 4). Bei all dem sind die allgemeinen Anweisungen für Richter vom Herbst 1945 ( A A R ) nicht zu übersehen. § 1 0 . D e r S a t z „ n u l l a p o e n a s i n e l e g e " hat in der Zwischenzeit eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht, über die Stbu. 27 bis 30 genauere Auskunft gibt. Dort finden sich auch zur früheren Geschichte einige Ergänzungen. Die Nov. vom 28. Juni 1935 (RGBl. I . 839) hat jenen Satz durch eine Neufassung des § 2 StGB in gewissem Sinne eingeschränkt. Nach dieser Neufassung sollte eine Tat nicht nur bestraft werden können, wenn sie „das Gesetz für strafbar erklärt", sondern auch, wenn sie „nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient". Diese Bestimmung ist vielfach trotz eindringlicher Warnung viel zu weit ausgedehnt worden ; in Wahrheit durfte nach der ausdrücklichen Bezugnahme auf den „Grundgedanken eines Strafgesetzes" sowohl hinsichtlich der Strafwürdigkeit wie hinsichtlich des Strafmaßes auch unter ihrer Herrschaft keine Bestrafung ohne „Gesetz" erfolgen (Grdr. 1943 S. 29). Durch Kontrollratsgesetz N r . 11 ist § 2 StGB n. F . ausdrücklich wieder aufgehoben worden, ohne daß damit aber der § 2 StGB a. F . formell wieder hergestellt wurde. Materiell gilt jedoch der alte Rechtszustand des § 2 StGB 1871 wieder, wie Stbu. 29 im einzelnen näher nachweist. § 11. Die A u s l e g u n g d e s S t r a f g e s e t z e s folgt den früher entwickelten Regeln. Einiges Ergänzende bringt Stbu. 26—27. Zweiter Hauptteil. Die Lehre vom Verbrechen (S. 87 ff.) V o r § 12. M i t einer eingehenden Uebersicht über die möglichen und gebräuchlichen* Bezeichnungen für strafbares Handeln entscheidet sich Stbu. 34—35 grundsätzlich für die allgemeine Benennung „Straftat", ohne die anderen Benennungen ganz fallen zu lassen. Die Merkmale der Straftat (Lehrb. S. 89—90) bestimmt Stbu. 36—37 dahin: Straftat ist tatbestandlich — rechtswidrige, persönlich — zurechenbare, strafbedrohte Handlung. W i e schon Grdr. 1943 S. 65/66 sind also nunmehr die Bedenken gegen das „mit Strafe bedroht" (90 Anm. 5) fallen gelassen. § 12 und § 13. D e r H a η d 1 u n g s b e g r i f f . E r ist Stbu. 17—51 im wesentlichen auf der alten Grundlage erörtert. I m einzelnen hat die neuere Entwicklung manche Fragen in ein neues Licht gerückt oder erweitert. Die Lehre vom Täter (Einzelmensch oder Körperschaft : 93) hat im sog. Tätertyp neue, zum Teil auch wieder überholte Probleme aufgeworfen (Stbu. 41—44). Die Dreiteilung der Straftaten (Trichotomie des französischen Rechts, 98) hat in der neuesten Entwicklung neue und schwierige Pobleme gestellt, zu denen im einzelnen auf Stbu. 44—48 verwiesen werden muß. E i n „neuer" Handlungsbegriff, der sich selbst zu Unrecht ausschließlich als „finalen Handlungsbegriff" bezeichnen möchte (Stbu. 40/41), bedeutet in Wahrheit eine Rückkehr zu dem schon früher S» 102 widerlegten Handlungsbegriff der Hegelianer, bei welchem Handlung und Zurechnung vermengt werden. §§ 14 und 15. F ü r d i e H a n d l u n g a l s a k t i v e s T u n ( B e g e h u n g s t a t ) und ihre kausalen Beziehungen gelten im wesentlichen die alten Grundlagen. Der Gefahrbegriff (128—129) und, was mit ihm zusammenhängt, haben Stbu. 67—69 eine verselbständigte Behandlung

Vorwort

IX

erfahren, ohne daß dabei der frühere Ausgangspunkt verlassen worden wäre. § IG. Auch die U n t e r l a s s u n g gründet sich auf die alten Regeln. Hier hat die schärfere Unterscheidung zwischen Begehungs- und Unterlassungstat (Stbu. 91), die Kausalität der Unterlassung (Stbu. 63) und die erweiterte Pflichtbegründung (Stbu. 65) in Theorie und Praxis zu weiteren Ausgestaltungen geführt. § 1 7 . O r t u n d Z e i t d e r H a n d l u n g sind im Stbu.' 58 ff., 67 für Begehungs- und Unterlassungstat getrennt behandelt, ohne daß die früheren Grundlagen dadurch wesentlich verändert worden wären. Z u beaohten ist die Neufassung des § 3 Abs. 3 StGB durch die Novelle vom 6. M a i 1940 ( R G B l . I . 754), die namentlich für den Versuch von Bedeutung ist. §§ 18 und 19. A m früher erörterten W e s e n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t (des U n r e c h t s ) und seiner objektiven Grundlage wird festgehalten. Es sei auf Stbu. 69—71 verwiesen. § 20. D i e L e h r e v o n d e n s u b j e k t i v e n Unrechtselem e n t e n (Stbu. 71—72) ist inzwischen zu einem unverlierbaren Bestandteil des strafrechtlichen Systems geworden. Einige neuere Hinweise bringt das Studienbuch. Siehe dazu neuerdings auch B u s c h , Moderne Wandlungen der Verbrechenslehre (1949). §§ 21 bis 24. Die allgemeine T a t b e s t a n d s - L e h r e und § 25 die L e h r e v o m R e c h t s g u t sind Stbu. 74—87 auf der alten Grundlage aufgenommen und weiter ausgestaltet worden. § 26. Ueber die „ I d e e d e s R e c h t s ( G e r e c h t i g k e i t und Z w e c k m ä ß i g k e i t ) " gibt Stbu. 73—74 einige zusammenfassende Gedanken.' § 27. Zum A u s s c h l u ß d e r R e c h t s W i d r i g k e i t ( U n r e c h t s a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e ) ist, trotz mancher Anfechtungen, die alte Systematik grundsätzlich beibehalten: Stbu. 87—90. W i r sprechen jetzt vom „Prinzip des mangelnden Unrechts" (Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung) und vom „Prinzip des überwiegenden Rechts" (besondere Handlungsrechte, besondere Handlungspflichten, Güterabwägungsprinzip). §§ 28 und 29. Die E i n w i l l i g u n g und die m u t m a ß l i c h e E i n w i l l i g u n g (Stbu. 90—93) haben durch den neuen § 226 a StGB, der den Einfluß der Einwilligung für das Gebiet der Körperverletzung, damit aber auch für verwandte Gebiete gesetzlich regelt, eine festere und sicherere Grundlage erhalten. Die Bearbeitungen der neuen Gesetzesbestimmungen gaben dazu die erforderlichen Einzelheiten. Zur mutmaßlichen Einwilligung liegen einige neuere Aeußerungen vor. § 30. Von den b e s o n d e r e n H a n d l u n g s p f l i c h t e n beschäftigen sich Stbu. 99—104 im einzelnen mit der amtlichen und dienstlichen Stellung des Handelnden, der zuständigen Ermächtigung, dem Handeln auf Befehl (dazu v. W e b e r , Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Handeln auf Befehl 1948), dem Züchtigungsrecht und in erweiterter Form mit der unrechtsausschließenden Pflichtenkollision (v. W e b e r , Die Pflichtenkollision im Strafrecht 1947). § 31. Die b e s o n d e r e n H a n d l u n g s r e c h t e behandelt Stbu. 94—99. Die Grundlagen, insbesondere der Notwehr des § 53 StGB, sind im wesentlichen dieselben wie früher. Jedoch fordert schon Grundriß (1943) S. 77 und wiederum Stbu. 95 zur Notwehr Verteidigungsabsicht.

Vorwort § 32. Das G ü t e r a b w ä g u n g s p r i n z i p bietet nach wie vor einen Eckstein in der Lehre vom Unrechtsausschluß. Stbu. 104—107 trennt die Erwägungen über dessen allgemeine Bedeutung und über seine besondere Anwendung im Gebiete der Heilbehandlung und der sonstigen Eingriffe ärztlicher Natur. E i n kurzer Ueberblick über das Zusammenwirken der verschiedenen Unrechtsausschließungsgründe schließt sich in der neuen Bearbeitung an. §§ 33 bis 36. Die a l l g e m e i n e L e h r e v o n d e r S c h u l d bildet nach wie vor den wesentlichen Kern der Lehre vom Verbrechen. Stbu. 107—114 gibt eine kurze Zusammenfassung, einschließlich der Uebersicht über die einzelnen gesetzlichen Merkmale der Schuld (Stbu. 113 bis 114). Beachtenswert in der neueren Entwicklung der Gesetzgebung sind die (ohne Schuld bestehenden) „mit Strafe bedrohten Handlungen" der §§ 48, 49, 42 b und 330 a StGB. (Stbu. 110). Der Streit um die menschliche Willensfreiheit Jiat noch immer kein Ende erreicht : beachtenswerte Aeußerungen liegen von Nie. H a r t m a n n , Ethik, 2. Aufl. (1935) S. 565 ff. an Hand seiner Schichtenlehre vor; auch G r o ß , Willensfreiheit oder Schicksal? 1939, sei erwähnt, der freilich nur einen etwas engen Determinismus kennt. Die erkenntnißthoretische Seite der Frage habe ich in meinem Vortrag in der Bayrischen Akademie der Wissenschaften (Sitzungsberichte der Phil.-histor. Klasse Jahrgang 1944—1946 Heft 9) „Ueber Willensfreiheit" behandelt. Die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun gründet sich letztlich auf die „Teilhabe" der menschlichen Persönlichkeit an der über individuellen W e l t der Werte (Kriminalpsychologische Probleme im Strafrecht 1943 in den gen. Sitzungsber. Jahrg. 1943 Heft 4 S. 40) und bestimmt sich praktisch im Straf recht weitgehend nach einem Vergleich mit dem, wie „man" unter den gegebenen inneren und äußeren Umständen sich verhalten kann. § 37. Die L e h r e von der s t r a f r e c h t l i c h e n Zurechn u n g s f ä h i g k e i t (Stbu. 115—116) fordert nach wie vor lebhaftes und mannigfaches Interesse. Manches Neue hat das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. Nov. 1933 ( R G B l . I . 995) gebracht (Komm, von Schäfer-Wagner-Schafheutle, 1934). Eingehende Bearbeitung mit L i t . der gesamten Materie gibt mein Buch: Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen. 3. Aufl. 1944, insbes. S. 28—78. Siehe auch die weiteren Literaturausgaben Stbu. 115. Von grundlegender Bedeutung ist ferner das Reichsjugendgerichtsgesetz ( R J G G ) vom 6. November 1943 (RGBl. I . 635) und die gesamte hieran anschließende und sonstige neuere Behandlung des Jugendstraf rechts. § 38. Das J u g e n d s t r a f r e c h t bildet heute ein Kapitel für sich. Eine Besprechung in einem kurzen Ueberblick ist nicht möglich und angängig. Wer sich mit seinen Problemen beschäftigen will, muß die einschlägige Literatur selbst zu Rate ziehen. Auch die internationalen Verhältnisse sind von entscheidender Wichtigkeit. Nähere Hinweise gibt das Stbu. 116—118 (über Taubstumme S. 119) und 249 ff. Z u nennen ist insbesondere der Kommentar zum R J G G von P e t e r s (2. Aufl. 1944). § 39. Die Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t b e i a b n o r m e r Geis t e s b e s c h a f f e n h e i t ist unter Berücksichtigung auch des psychiatrischen Schrifttums aus neuerer Zeit eingehender im Stbu. 119—130 mit manchen neuen Gesichtspunkten, ζ Β. zum Krankheitsbegriff (121 bis 123), behandelt. Auch darauf muß im einzelnen verwiesen werden. Maßgebend ist nunmehr die neue Fassung des § 51 Abs. 1 StGB aus dem Gew.Verbr. Gesetz vom 24. 11. 1933:

Vorwort

XI

„Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewußt^insstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." Die Stellungnahme zur Frage des Alkoholismus Lehrb. 290 ist in Ε 67. 150 ausdrücklich gebilligt v K r i m . Po . 1944 S. 41). § 40. Die r e c h t l i c h e n W i r k u n g e n d e r Zurechnungsu n f ä h i g k e i t (Stbu. 131) sind heute wesentlich verändert durch den später zu besprechenden Uebergang der Teilnahmelehre zur sog. limitierten Akzessorietät. Sie ist allgemein an die Stelle der einstigen Sonderregelung des § 4 J G G 1923 getreten. Auch die gesetzliche Einführung der sog. verminderten Zurechnungefähigkeit in § 51 Abs. 2 StGB und § 58 Abs. 2 StGB hat das Bild in manchem beeinflußt. § 41. Die S c h u l d f o r m e n (Vorsatz und Fahrlässigkeit) sind die alten. Die Versuche neuerer Zeit, den Vorsatz als Schuldform zu beseitigen, haben zu abschließenden Ergebnissen bisher nicht geführt und stehen teilweise in Widerspruch zum geltenden Recht (§§ 50 Abs. 1, 59 StGB). So besteht bis auf weiteres kein Anlaß, die bisherigen Grundlagen aufzugeben (Stbu. 1 3 1 - 1 3 2 ) . § 42 Der V o r s a t z b e g r i f f früher Gesagten (Stbu. 132).

im allgemeinen bestimmt sich nach dem

§ 43. Die T a t s a c h e n k e n n t n i s beim Vorsatz folgt grundsätzlich den bisherigen Regeln (Stbu. 142—149). § 44. Die Frage der B e d e u t u n g s k e n n t n i s beim Vorsatz bildet nach wie vor eines der schwierigsten Probleme der strafrechtlichen Schuldlehre. Doch ist unverkennbar, daß sich mehr und mehr die Erkenntnis von der Wichtigkeit solcher Bedeutungskenntnis für die Strafbarkeit einer Handlung Bahn bricht. Auch die Gerichte verkennen die Bedeutung nicht mehr wie früher und lösen sich von den Irrwegen der reichsgerichtlichen Lehre in zunehmendem Maße los. Insbesondere eröffnet sich die Einsicht in das „Bewußtsein der Rechtswidrigkeit" als Vorsatzbestandteil. Freilich mit solcher Einsicht zeigt sich auch, daß hier E i n s c h r ä n k u n g e n bestimmter A r t unerläßlich sind, soll nicht die Strafrechtspflege not leiden. Stbu. 139—142 gibt näheres zu dieser Entwicklung und bringt weitere Hinweise auf die Literatür. § 45. Z u m I n h a l t d e s H a n d l u n g s w ^ i l l e n s gibt auf der alten Grundlage Stbu. 132—139 weiteres aus der neuzeitlichen Entwicklung, insbesondere zum Dol. event, und der neuerdings üblichenFormel vom „In-Kauf-Nehmen". Stbu. 138—139 stellt zur beseren Uebersicht die mannigfachen Bezeichnungen der verschiedenen Vorsatz-Formen in Geschichte und Gegenwart zusammen. § 46. Die Lehre von der F a h r l ä s s i g k e i t beruht auf den alten Grundlagen, wenn auch das moderne Leben der Anwendung manche neue, schwierige Aufgabe stellt. § 47. Die L e h r e v o n d e n Schuldausschließungsgründ e n im allgemeinen gibt gleichfalls keinen Anlaß zu grundsätzlicher Umstellung. Siehe dazu Stbu. 153—154. § 48. Z u den e i n z e l n e n Schuldausschließungsgründen (mit Ausnahme derNichtzumutbarkeit) sei folgendes gesagt: Z u den §§ 53 Abs. 3, 52, 54 StGB ist wesentlich Neues nicht zu bemerken. Ueber die

XII

Vorwort

Weiterentwicklung der Rechtsprechung sind die Kommentare an den einschlägigen Stellen zu vergleichen. Daß die Fragen nach wie vor großes theoretisches Interesse beanspruchen und finden, liegt im Wesen der Sache und kann hier im einzelnen nicht näher dargelegt werden. Einige Hinweise Stbu: 154—160, zugleich auch zur Frage des rechtswidrigen bindenden Befehls. Besonders hervorzuheben (160) unter Bezugnahme auf oben Gesagtes ist die schuldausschließende Pflichtenkollision. § 49. Die N i c h t z u m u t b a r k e i t . H i e r haben wir gegenüber der Darstellung des Lehrbuchs schon im Grundriß (3. Aufl. 1943) S. 120 bis 121 im Anschluß an E . 66. 397 ff. 399 die Wirksamkeit des Schuldausschließungsgrundes grundsätzlich eingeschränkt. Daran hält auch Stbu. 160 - 161 fest. Es entspricht dies auch sonstiger Lehre. Obgleich schon früher keinerlei Anlaß gegeben war, an eine „individualistische Auflösung der Rechtsordnung" zu denken, könnte doch die allgemeine Anerkennung der Nichtzumutbarkeit bei v o r s ä t z l i c h e m Handeln zu Mißverständnissen und Mißbräuchen führen. Gegenüber fahrlässigem Handeln ist eine besondere Hervorhebung der Nichtzumutbarkeit praktisch doch wohl entbehrlich (wenn auch die Ausführungen Lehrb. S. 371/72 nach wie vor theoretische Beachtung beanspruchen) und kann schon i n n e r h a l b des Fahrlässigkeitsbegriffs berücksichtigt werden. Hieraus ergeben sich also gewisse Modifikationen der früheren Darstellung. § 50. Z u G e s c h i c h t e u n d B e g r i f f d e s V e r s u c h s (Stbu. 161—163) ist das früher Gesägte zu vergleichen. Z u Lehrb. 377/78 haben wir unsere Meinung geändert (Stbu. 165): bei den e r f ο l g s qualifizierten Straftaten wurde früher mit E . 40. 325 die Möglichkeit eines Versuchs in Abrede gestellt. I n E. 69. 332 hat das R G . diese Auffassung aufgegeben. Dies ist richtig. Auch versuchte Notzucht kann unter § 178 StGB fallen; sonst würden mitunter gerade besonders rohe und brutale Taten ungerechtfertigt bevorzugt. §51. D e r E n t s c h l u ß a l s G r u n d l a g e d e r V e r s u c h s s t r a f e . Daß der „Entschluß" inhaltlich gleichbedeutend mit Vorsatz ist und auch den Dolus eventualis umfaßt, betont schon Lehrb. S. 380. Wichtig ist dabei aber die Feststellung, daß dieser Entschluß systematisch zunächst ein subjektives Unrechtselement und damit nach Lehrb. 172 A n m . 7 zugleich eine Schuldform bedeutet (näheres dazu Stbu. 164). § 5 2 . V o r b e r e i t u n g u n d V e r s u c h . Die Grundlagen sind die gleichen wie bisher. Schon Lehrb. 385 betont die Tendenz der neueren Rechtsprechung, die ^Verteidigung nach vorn zu verlegen", d. h. die straflose Vorbereitung zu Gunsten strafbaren Versuchs einzuschränken. I m allgemeinen besteht diese Neigung auch weiter. Reiches Material aus der neueren Judikatur gibt N a g l e r im Leipz. Komm. S. 281/87. § 5 3 . D i e T a u g l i c h k e i t d e s V e r s u c h s . Der Neigung des „modernen" Straf rechts zum Subjektivismus entsprechend herrscht nach wie vor ausgesprochen die subjektive Versuchstheorie. Die Begründung mit der Gleichwertigkeit aller Kausalglieder, die schon Lehrb. S. 390 als ein Trugschluß zurückgewiesen wurde, vermag diesen Standpunkt nicht zu stützen. Dagegen trägt die Bezugnahme auf den verbrecherischen Willen des Täters (Lehrb. 391), also auf den Gesichtspunkt des „ Willensstrafrechts", kriminalpolitischen Charakter und hängt deshalb von der je-

Vorwort

XIII

weiligen kriminalpolitischen Einstellung der Zeit ab. Die Gefahren eines solchen Willensstrafrechtes, das ein bequemes Mittel der W i l l k ü r darstellt, werden auch heute im allgemeinen unterschätzt. Auch Stbu 171 will zwar den subjektiven Ausgangspunkt nicht grundsätzlich bekämpfen, sucht aber wenigstens gewisse objektive Einschränkungen der Strafbarkeit aus dem Gefährdungsgedanken herzuleiten und gelangt damit in die Nähe der sog. Eindruckstheorie, wie sie insbesondere von v . B a r vertreten worden ist. Der Gesichtspunkt des „Glücksfall" (Lehrb. 398) wird Stbu. 172 nicht aufrecht erhalten. I m Ergebnis bekennt sich also die neue Darstellung (wie in der Teilnahmelehre) zu einer „ g e m i s c h t subjektiv-objektiven Versuchs-Theorie" § 55. Für die B e s t r a f u n g d e s V e r s u c h s hat die Novelle vom 29. M a i 1943 (RGBl. I . 339) die bisherige obligatorische Milderung in eine bloße Kann-Milderung umgewandelt. § 56. Zum R ü c k t r i t t zu bemerken.

vom

Versuch

ist nichts wesentlich Neues

§§ 57 und 63. Die G r u n d l a g e n d e r T e i 1 n a h m e l e h r e haben seit der Darstellung des Lehrbuchs (1933) vielleicht die einschneidenste Aenderung von allen Teilen der Verbrechenslehre erlitten. A n die Stolle der früheren sog. extremen Akzessorietät (Lehrb. 447 Anm. 2) ist seit der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. M a i 1943 (RGBl. I . 339) und ihrer Durchführungsverordnung vom gleichen Tag (RGBl. I . 341) die limitierte A k z e s s o r i e t ä t getreten (Stbu. 181). Nach § 50 Abs. 1 StGB. n. F. soll künftig von mehreren Beteiligten „jeder ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld strafbar sein". Dementsprechend genügt nach der D V O . vom 29. 5. 43 zur Anstiftung des § 48 StGB an Stelle der strafbaren Handlung des Täters, die früher erforderlich war, eine „mit Strafe bedrohte Handlung" (ζ. B. auch eines Zurechnungsunfähigen oder eines Irrenden) und zur Beihilfe des § 49 StGB an Stelle eines strafbaren Verbrechens oder Vergehens des Täters eine „als Verbrechen oder Vergehen mit Strafe bedrohte Handlung" (ζ. B. auch eines Zurechnungsunfähigen oder eines Irrenden). Ich verweise im übrigen auf meine ausführliche Darstellung der Teilnahmelehre im Leipziger Kommentar (6. Aufl. 1944) §§47 bis 50 S. 311—360. Die Kausalität als Ausgangspunkt jeder Teilnahme (Lehrb. 411) ist Stbu. 117/78 ausführlich behandelt. Durch § 49 a StGB sind in der Novelle vom 29. M a i 1943 gewisse Formen der erfolglosen Anstiftung und Beihilfe bei Verbrechen besonders unter Strafe gestellt. Auch in der Teilnahmelehre bedarf der S t r e i t d e r s u b j e k t i v e n u n d o b j e k t i v e n T h e o r i e (im Lehrb. 439 ff. im wesentlichen nur für die Beihilfe behandelt) einer g r u n d s ä t z l i c h e n Entscheidung. W i e in der Versuchslehre legt Stbu. 179/80 den subjektiven Ausgangspunkt zu Grunde, sucht ihn aber durch objektive Gesichtspunkte zu stützen, gelangt also auch hier zu einer „ g e m i s c h t s u b j e k t i v o b j e k t i v e n T e i l n a h m e t h e o r i e " . Schärfer als früher wird dabei die d u r c h g ä n g i g e Bedeutung dieser Entscheidung für a l l e Beteiligungsformen betont, also nicht nur für die Abgrenzung von M i t täterschaft § 47 StGB / Beihilfe § 49 StGB, sondern ebenso für die A b grenzung von mittelbarer Täterschaft / Anstiftung § 48 StGB usw. Diese Bedeutung hat seit der Novelle vom 29. M a i 1943 mit ihrer limitierten A k zessorietät und der damit verbundenen Einschränkung objektiver Kriterien an Einfluß gewonnen. U e b e r a l l erhebt sich z u n ä c h s t die

XIV

Vorwort

Frage nach dem Willen zur ,,Eigentat", auf dem Täterschaft, mittelbare Täterschaft und Mittäterschaft, oder dem Willen zur „Fremdtat", auf dem Anstiftung und Beihilfe aufbauen. Die oft schwierige Unterscheidung zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung, bei denen die äußere Sachlage genau dieselbe sein kann (Benützung eines Zurechnungsunfähigen oder Irrenden), ist anders als von hier aus nicht zu gewinnen. § 58. T ä t e r s c h a f t . Stbu. 182—185 bringt nähere Ausführungen über den sog. extensiven und restriktiven Täterbegriff ( Z i m m e r 1 Z S t r W . 49, 39 ff) und vor allem über die heute besonders wichtige Frage, wann die Tat „als eigene" und wann sie „als fremde" gewollt ist ( K r i t i sches zu E . 74. 84). § 59. M i t t ä t e r s c h a f t . Stbu. 186/89 gibt nähere Ausführungen über den hier wichtigen Gegensatz zwischen eigentlichen (tätergebundenen) und uneigentlichen (erfolgsgebundenen) Sçnderstraf taten. Jene schließen Täterschaft, Mittäterschaft und mittelbare Täterschaft aus; diese lassen zwar nicht Alleintäterschaft, wohl aber Mittäterschaft und mittelbare' Täterschaft zu (z. B. § 176 N r . 2 und § 173 StGB). § 6 0 . M i t t e l b a r e T ä t e r s c h a f t . Entgegen Lehrb. 426/27 A n m . 4 mit Z S t W . 52. 529 läßt Stbu. 185 mittelbare Täterschaft in gewissen Fällen auch mit Hilfe eines r e c h t m ä ß i g handelnden Werkzeugs zu; es ist dies eine Konsequenz des entgegen Lehrb. 235/36 bei der Notwehr des § 53 StGB nunmehr geforderten Verteidigungswillens. § 61. A n s t i f t u n g . Die Notwendigkeit, vom „Anstifterwillen" also von dem Wollen der Tat als fremder auszugehen, und die erfolglose A n stiftung nach § 49 a StGB sind schon im Vorstehenden berührt. I m übrigen siehe Stbu. 188/190. § 62. B e i h i l f e . Auch hier sei für die Unterscheidung von ( M i t t ä terschaft und Beihilfe nach dem „Gehilfenwillen" auf das Grundsätzliche zu §§ 57, 63 verwiesen. I m übrigen siehe Stbu. 190/92. § 64. Die p e r s ö n l i c h e n V e r h ä l t n i s s e d e r T e i l n a h m e : · l e h r e u n d d i e s o g . n o t w e n d i g e T e i l n a h m e . Hier ist wichtig die Neufassung des § 50 Abs. 2 StGB in der Novelle vom 29. M a i 1943. I m einzelneil ergibt sich manches Neue, wozu auf Stbu. 192/96 und die Kommentare verwiesen sei. §§ 65 bis 71. Die K o n k u r r e n z l e h r e ruht auf den alten Grundlagen, wenn sich aufch im einzelnen manches Neue ergeben hat. Eine eingehendere Darstellung dieser Einzelheiten an dieser Stelle ist nicht möglich ; wir müssen uns darauf beschränken, auf einiges besonders Wichtige hinzuweisen. Stbu. 198/99 gibt eine zusammenfassende Uebersicht über die verschiedenen Prinzipien der Konkurrenzlehre (Kumulations-, As ι >e rations-, A b sorptions- und Exklusionsprinzip) und ihre Bedeutung und berührt dabei auch das Problem der Einheitsstrafe (dazu auch Stbu. 214/15). Eingehende geschichtliche und rechtsvergleichende Bemerkungen schließen sich an (Stbu. 199 ff.). E. 4. 95 und 5. 227 (Lehrb. 459) sind nunmehr seit E . 70.26, der sich zahlreiche weitere Entscheidungen anschließen, erfreulicher Weise preisgegeben (Stbu. 203). Zur sog. Sammelstraftat brachten E . 72. 164 (Beschl. des GrSen. vom 21. A p r i l 1938) und die darauf aufbauenden Urteile Neues (näher dazu Stbu. 206). Die sog. fortgesetzte Straftat ist im wesentlichen im bisherigen Sinn Stubu.207 erneut

Vorwort

XV

behandelt. Besonders wichtig ist endlich die zweimalige Wendung der reichsgerichtlichen Rechtssprechung in der Frage der Idealkonkurrenz des § 73 StGB in E . 73. 148 (Beschl. des GrSen. vom 22. März 1939) und E. 75.19 zur „konkreten Betrachtungsweise". Daraus ergibt sich die M i t berücksichtigung der Rechtsfolgen aus dem milderen Strafgesetz, worüber Stbu. 210—212 nähere Auskunft gibt. Dritter Hauptteil. Die Lehre von der Strafe (S. 481 ff.) § 72. Die L e h r e v o n d e r S t r a f e i m w e i t e r e n S i n n e mit ihrer Unterscheidung der Strafe im eigentlichen Sinne als proportionaler Tat Vergeltung und den sonstigen Maßnahmen des Strafrechts, die nicht solche Strafe im eigentlichen Sinne sind, hat durch die Einführung der M a ß r e g e l n d e r S i c h e r u n g u n d B e s s e r u n g §§ 4 2 a ff. StGB, durch das GewVerbr. Gesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I 995) gewaltig an Bedeutung gewonnen. W i r kommen auf letztere unten (§ 76) näher zurück. Eine weitgehende Anpassung auch der eigentlichen Strafe an die Persönlichkeit (Gefährlichkeit) des Täters brachte § 20 a StGB über den gefährlichen Gewohnheitsverbrecher im gleichen Gesetz. § 73. D i e g e s e t z l i c h e R e g e l u n g d e r S t r a f e . Hier hat die L e h r e von der g e s e t z l i c h e n B e s t i m m u n g der S t r a f e (Lehrb. 493—495) durch die wesentliche Erweiterung der Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe und ihrer Anwendungsformen eine große Bedeutung gewonnen, über die Stbu. 219/27 eine Uebersioht zu geben versucht. Zur allgemeinen Strafschärfung führt § 20 a StGB, wo es sich um einen „gefährlichen Gewohnheitsverbrecher" handelt (Stbu. 221/23 mit Hinweisen auf die ausgedehnte Rechtsprechung). Als allgemeiner Strafmilderungsgrund ist die sog. verminderte Zurechnungsfähigkeit des § 51 Abs. 2 StGB hinzugekommen (Stbu. 223/25). Neu sind auch viele „besonders schwere" und „besonders leichte" F&lle, bei denen das Problem der abstrakten oder der konkreten Betrachtungsweise eine Rolle spielt (Stbu. 226). § 75. Daß die Erörterungen über Z w e c k u n d R e c h t f e r t i g u n g der Strafe und damit zusammenhängend die Einzelarbeit an der A u s g e s t a l t u n g d e r S t r a f e , z . B . unter spezialprärentiven Gesichtspunkten (Lehrb. 506 ff.), seit 1933 nicht geruht haben, ist klar. Einen Bericht hierüber in diesen einleitenden und überleitenden Bemerkungen zu geben, ist unmöglich. Diese Dinge erfordern ein Studium für sich. A u f zwei besonders wichtige Gebiete (Sicherungsrecht, Jugendstraf recht) soll im folgenden besonders hingewiesen werden. § 7 6 . S i c h e r n d e M a ß n a h m e n . W i r verbinden damit einige Bemerkungen über das neue J u g e n d s t r a f r e c h t , das im Lehrbuch (1933) die ihm gebührende Sonderbehandlung noch nicht erfahren hat. I n den M a ß r e g e l n der S i c h e r u n g und Besserung §§ 42 a bis 42 η StGB des GewVerbr. Gesetzes vom 24. Nov. 1933 ( R G B l . I . 995) ist unserem Strafgesetzbuch eine ganz neue, äußerst wichtige; Materie eingefügt worden. I h r kommt auch große internationale Bedeutung zu. M i t ihr ist die Frage der sog. Zweispurigkeit, die dem geltenden deutschen Recht zu Grunde liegt, und der sog. Einspurigkeit verbunden, aus der der enge Zusammenhang mit den gesamten Grundlagen

XVI

Vorwort

des Straf rechts ersichtlich wird. W i r müssen hier auf die besondere Darstellung Stbu. 2 4 1 - 2 4 9 und Kriminalpolitik (3. Aufl. 1944) S. 252 ff. und die an beiden Stellen zitierte weitere Literatur verweisen. Auch das J u g e n d s t r a f r e c h t , dem das R J G G vom 6. November 1943 (RGBl. I . 635) eine neue Grundlage gegeben hat und dem gleichfalls umfassende internationale Bedeutung zukommt, ist ein Gebiet für sich mit einem kaum mehr übersehbaren Schrifttum. Näheres mit weiteren Hinweisen Stbu. 249—257 (einschl. Ausland S. 256/57) und K r i m i nalpolitik (3. Aufl. 1944) S. 268 ff. Zum Ganzen: Lehrb. 41 gibt als Entstehungsjahr des „Gerichtssaales" 1894 statt 1849 an. S. 354 Zeile 8 und 7 v. unt. sind die Worte „Anforderung" und „Warnung" verwechselt; die Warnung gehört zum Begehungs-, die Anforderung zum Unterlassungsdelikt, nicht umgekehrt. S. 478 gehört die Verweisung auf die Anm. 24 zum vorhergehenden A b satz am Ende; der frühere Standpunkt des R G ist aber jetzt, wie bereits bemerkt, überholt (Stbu. 211). M ü n c h e n , im

Mai

1949.

Edmund

Mezger

V

O

R

W

O

R

T

Zwischen den Strafgesetzbüchern von pestern und morgen eine zusammenfassende Darstellung des geltenden Rechts zu geben, begegnet begreiflichen Bedenken. Mag es doch scheinen, als sei in dieser Lage der Grund des Alten schon so erschüttert, die Gestalt des Neuen noch so unbestimmt, daß der feste Boden gesicherten Rechts nach beiden Seiten hin fehlt. Der Kundige weiß, daß die heutige Lage des Strafrechts eine andere ist. Trotz der seit einem Vierteljahrhundert lebhaft betriebenen und noch nicht zum Abschluß gekommenen Strafrechtsreform ist vieles von dem, was die Entwürfe verwirklichen wollen, heute schon Gemeingut nicht nur der deutschen, sondern auch der ausländischen Strafrechtswissenschaft. Dank einer weitreidienden Anpassungsfähigkeit des geltenden ReichsStrafgesetzbuchs in allgemeinen Fragen, läßt sich Grundlegendes davon schon in dessen Rahmen verwirklichen. So will die nachfolgende Darstellung Brücken vom Alten zum Neuen schlagen. Der Entwurf in seiner Gestalt von I 9 3 0 ist überall fortlaufend berücksichtigt. Die Strafrechtswissenschaft der ersten Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts war überwiegend legislatorischen Problemen zugewandt. Seit einiger Zeit macht sich unverkennbar ein erneutes Interesse für dogmatische Fragen geltend. Wie kein anderes Rechtsgebiet, ist gerade das Strafrecht vom naturalistischen Denken des 19. Jahrhunderts tiefgehend berührt worden. Mit dem Wiedererwachen rechtsphilosophischer Bestrebungen ist die Aufgabe gestellt, das Wertvolle aus dieser Entwicklung kritisch zu sichten und als bleibenden Bestandteil unserer Disziplin einzufügen. Audi ein Lehrbuch soll an diesen Gegenwartsfragen nicht achtlos vorübergehen. Gibt es doch für den Lernenden nichts Reizvolleres und Fördernderes, als in seiner Weise teilzunehmen an den besonderen Forschungsaufgaben der Zeit. Die vorhandene, reich verzweigte Literatur erschöpfend zu würdigen, kann nicht die Aufgabe eines Lehrbuches sein und ist nicht beabsichtigt. Ich habe mich überall bemüht, den Weg zu weiteren Quellen aufzuzeigen, mir aber im übrigen die Freiheit der Auswahl gewahrt. Auf die Rechtsprechung des höchsten Gerichtshofs als Niederschlag des lebendigen Rechts ist ausgiebig Bezug genommen. Hier kann noch weniger als gegenüber dem Schrifttum Vollständigkeit erstrebt werden. Das Grundlegende und das dem Lernenden leicht Zugängliche in der amtlichen Sammlung ist bevorzugt. Ich habe versucht, auf das Wichtige nicht nur zu verweisen, sondern zugleich den näheren Inhalt anzudeuten, um damit den Lernenden anzuregen, selbst aus der Quelle zu schöpfen. Die scharfe Trennung eines Allgemeinen und eines Besonderen Teils im Strafrecht ist durch die moderne Lehre vom Tatbestand hinfällig geworden. Ihr Begründer hat deshalb selbst schon die einzelnen Delikte in das allgemeine System einbezogen. Hier sind nur die Grundlinien für das Verständnis der einzelnen strafbaren Handlungen aufgenommen, und eine spätere grundrißmäßige Übersicht über diese ist vorbehalten» Herr Amtsrichter a. D . Dr. Neff und Herr Gerichtsassessor Rudolf Thierfelder in Marburg haben mir manche wertvolle Hilfe geleistet. Ihnen sei audi an dieser Stelle Dank gesagt. M a r b u r g , im Mai 1931

D e r Verfasser

Vorwort

zur

zweiten

Auflage

Wider Erwarten ist rasdi eine zweite Auflage notwendig geworden. Äußere und innere Gründe verbieten eine durchgreifende Neubearbeitung, innere Gründe, weil manche erneut in Fluß gekommene Erörterung noch keineswegs in allen Teilen zu fester Gestaltung geführt hat. Gleidiwohl möchte ich das lebendige Leben unserer Disziplin in der Zwischenzeit nicht mit Stillschweigen übergehen. So mag es dem Vorwort gestattet sein, eine gedrängte Übersicht über die zutage getretenen Entwicklungstendenzen zu geben, während sich der Text unter Beibehaltung der alten Seitenfolge auf einige notwendige Ergänzungen und Umgestaltungen beschränkt. Die Verarbeitung der Rechtsprechung sei Späterem vorbehalten. An neuen zusammenfassenden G e s a m t d a r s t e l l u n g e n sind in der Zwischenzeit erschienen: v. L i s z t - S c h m i d t , Lehrbuch des deutschen Strafrechts Band I Einleitung und Allgemeiner Teil, 26. Aufl., 1932 und v . H i p p e l , Lehrbuch des Strafrechts, 1932; Eberhard Schmidt setzt sich fortlaufend mit den Lehren des vorliegenden Buches auseinander, v. H i p p e l erwähnt es nur im Vorwort. Mehr grundrißmäßigen Charakter tragen: H e i m b e r g e r , Strafredit, 193I (BeamtenHochschule) und Finger, Strafrecht, 1932 (in: Das gesamte Recht in systematischer Darstellung, herausgegeben von Rud. Stammler, Teil ΧΠ, 413-685). Der Kommentar von F r a n k liegt in l8. Auflage vor (1931), der Grundriß von Rieh. Schmidt in 2. Auflage (1931), Kohlrausch StGB, in 3o. Auflage (I932). F e r n e r : Entwf. I930. 2. Ausgabe (1930). Staudinger-Schmitt, StGB. 17. Aufl. (1931). G e r S a a l Bd. 102. ZStW. Bd. 52. M i t t l g e n . J K V . N. F. Bd. 5. Essen I931. Frankfurt 1932. M o n K r i m P s y . Bd. ΧΧΙΠ. Strfrl.Abh. Heft3o8. RGE.Bd.65. In methodischer B e z i e h u n g faßt feinfühlend G r ü n h u t , Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspraxis, 1932 (Bonner rechtsw. Abh. Heft 25) die Tendenzen der Zeit zusammen; er fordert noch entschlossenere und radikalere wertwissenschaftliche Einstellung im Sinne einer neuen Synthese ( l 9) und deutet auf kommende Einflüsse der Phänomenologie und Ontologie mit eindringlicher Warnung vor Erstarrung in neuer Klassik (20). Zu formal-logischer Methode neigen die Werke von Z i m m e r l , Aufbau des Strafrechtssystems (193Q) und Strafrechtliche Arbeitsmethode de lege ferenda (1931); ihr Verfasser hat das Verdienst, mit Nachdruck und Folgerichtigkeit innere Widersprüche des Strafrechtssystems aufgedeckt und gerügt zu haben, verfällt aber in den Fehler, Widerspruchslosigkeit im Recht als wissenschaftlidi-absolutes Postulat zu fordern, statt in ihr den bloßen Ausdruck eines praktischen Ordnungszweckes zu sehen, und verschließt sich oft A n inzwischen erschienenen Besprechungen des Buches seien genannt : M i t t e r m a i e r , Schweiz. Zeltschrift für Strafredit 45, 460. Graf D o h n a G r ü n h u t , ZStW. 52, 96 und 117. K e r n , MonKrimPsy. X X I I I , 56. A l s b e r g , JurWo. 1932 S.1718. H e g l e r , DeutJurZtg. 1932 S.487. Erik W o l f , DeutLltZtg. 1932 S. 614. S c h w i n g e , ArchRWlrtPhil. X X V , 570« F i n g e r , Geriditssaal Bd. 102 S. 137ff. T h i e r f e l d e r , Westdeut. Akadem. Rundschau 1932 Nr. 3. W e l g e l i n , Württembg. Staatsanzeiger Nr. 176 vom 31. Juli 193I. B a t t a g l i n i , Rivlsta ital. dl Diritto penale IV. 140. 319* R i v i s t a dl Diritto processuale civile IX. 200. Κ i m u r a, Hôgaku-Sirin 1932 S. 595. Eine italienische Ubersetzung des Buches ist In Vorbereitung (Verlag Cedam Padova).

Vorwort

XIX

zu sehr den emotionalen Urquellen des Rechts. Mir selbst ist methodisch immer mehr der empirisch-werthafte Doppelcharakter aller Rechtsbegriffe in den Vordergrund gerückt. Trotz der von Graf D o h n a , ZStW. 52, 9 9 und 103 und Schwinge, ArchRWirtPhil. X X V , 571 angedeuteten leisen Zweifel gegen aie „merkwürdigen Zwischengebilde " in der Problematik von Handlung und Schuld (Text S. Ι Ο Ι und 248) vermag ich solche Synthese nicht preiszugeben ; ich habe sie in meinem Bonner Vortrag vom I3. Februar I932 „Schuld und Persönlichkeit" (Marburg I932) noch weiter auszubauen versucht. Handlung, Schuld, Persönlichkeit usw. wurzeln im festen Grunde der Empirie und der „natürlichen" Gesetze; aber als gewollte Handlung, strafbare Schuld, motivierbare Persönlichkeit usw. unterliegen die empirischen Gegebenheiten der „Auswahl" aus der Welt der Werte. Das s t r a f r e c h t s g e s c h i c h t l i c h e G e b i e t ist durch die gewichtigen Werke von Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts (1930), und D a h m , Das Strafrecht Italiens im ausgehenden Mittelalter (1931), und durch die feine Untersuchung von O e t k e r , Kleinschrod und Feuerbach in ihren strafrechtlichen Grundanschauungen (1932; Festschrift zum 350 jährigen Bestehen der Universität Würzburg), bereichert worden. Um die Strafrechtsreform ist es nach dem Hinscheiden von K a h l stiller geworden; die hier schon früher zur Erwägung estellte Novellengesetzgebung (Text S. 47 und 54/55) rückt in greifarere Nähe. Das K a u s a l i t ä t s p r o b l e m ist durch B e l i n g , GerSaal Ι Ο Ι , iff. und durch die Schrift von Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände (I931) erneut angeregt worden. Trotz der erhobenen Einwände glaubte ich in meiner Besprechung MonKrimPsy. Χ Χ Π , 752 an der Condicio-sine-qua-non-Grunalage in der Kausalitätslehre festhalten zu sollen und festhalten zu können. Eine interessante Entwicklung zeigt die Rechtsprechung des höchsten Gerichtshofes in der Frage der Kausalität der Unterlassung, die der Text künftig aus S. 116 Anm. 21 (der Exnersche Fall a. E. steht jetzt in E. 63, 392; und S. 138 zusammenzufassen hätte. Den Satz, daß beim reinen Unterlassungsdelikt Kausalität nur vorliegt, wenn die Verhinderung des Erfolges durch die „erwartete" Handlung sicher e r w i e s e n ist, anerkennt das RG. nunmehr ohne Einschränkung: so in einem mir freundlichst zur Verfügung gestellten Urteil vom IO. März I 9 3 I (1. D. 056/30), sowie in E. 64, 263 (269) und 273 (275 ff.). Aber es will dabei Fälle, in denen ein positives Handeln nebenher geht - wie in dem Apotheker-Beispiel E. 15, 151 und in dem Ziegenhaar-Fall E. 63, 211 - , nach der Kausalität für positives Tun beurteilen und daher hier die Frage des Zusammenhangs bejahen; meines Erachtens wird dadurch die Haftung zu weit ausgedehnt, da der Vorwurf in solchen Fällen nicht gegen das Tun, sondern gegen das Unterlassen gerichtet ist. Ein schönes Beispiel dafür, daß auch beim positiven Tun der Nachweis, bei pflichtgemäßem Vorgehen wäre ein gleichwertiger Erfolg eingetreten, die Verantwortlichkeit beseitigt, bietet 1. D . 555 1926 (Tod durch Kokain, höchstwahrscheinlich aber auch bei dem gebotenen Novokain).

g

Die T a t b e s t a n d s l e h r e wird mehr und mehr zu einem Eckstein strafrechtlicher Dogmatik und zu einem Verbindungsglied zwischen

XX

Vorwort.

dem Allgemeinen und Besonderen Teil. Zukunftweisende Wege beschreiten die Schriften von Erik W o l f , Die Typen der Tatbestandsmäßigkeit (1931) und Vom Wesen des Täters (1932), die sich Heideggerscher Philosophie nähern. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang ferner auf die Arbeiten von Bruns, Kritik der Lehre vom Tatbestand (1932, Bonner Abh. Heft 23), H a l l , SdiweizZtsdir. 1932 S. 328 und (ein interessantes Gegenstück zu den subjektiven Unrechtselementen) auf die eindringenden Untersuchungen von T h i e r f e l d e r , Objektiv gefaßte Schuldmerkmale, Tüb. Diss. I932 (Strafrl. Abh. Heft 308). Ein Lieblingsthema bleibt als Grenzgebiet möglicher rechtlicher Regelung das Problem des N o t s t a n d e s ; die allzu optimistische Beurteilung seines heutigen Standes im Text S. 23I ist nicht ganz ohne Grund beanstandet worden. Zu den S. 231 Anm. 1 bereits genannten Schriften von v. W e b e r und B r o g l i o sind neuerdings hinzugetreten: S i e g e r t , Notstand und Putativnotstand (1931) und ZStW. 52, 48, sowie H e n k e l , Der Notstand nach gegenwärtigem und künftigem Recht (1932). Eine außerordentlich eingehende Behandlung hat das Problem des sogenannten ü b e r g e s e t z l i c h e n N o t s t a n d s in den beiden Referaten von W a c h i n g e r und Eberhard Schmidt beider 24. Tagung der Deutschen Landesgruppe der JKV. in Essen am 29. Mai 1931 (Mitteil. S. lOßff. und I31 ff.) erfahren. Dabei hat Eberhard Schmidt Gelegenheit zu einer nochmaligen Rechtfertigung seiner „Zwecktheorie - vgl. dazu schon ZStW. 49, 350 und jetzt sein Lehrb. S. 187/88 und 207 - gegenüber dem von mir (Text S. 239 ff., 242) zugrunde gelegten „Güterabwägungsprinzip " genommen. Der freundlichen Zurechtweisung von Graf D o h n a , ZStW. 52, 102 gegenüber mag zunächst der Hinweis gestattet sein, daß ich (S. 242) die „mittelheüigende" Zwecktheorie nie als diejenige von v. Liszt und Graf D o h n a bezeichnet, sondern diese von vornherein und ausschließlich auf die Zwecktheorie mit „angemessenen" Mitteln bezogen habe. In dieser Fassung scheint mir in Wahrheit der Gegensatz zwischen der sogenannten Zwecktheorie und der sogenannten Güterabwägungstheorie kein so sehr wesentlicher mehr zu sein. Denn — das übersehen die „Zwecktheoretiker" in der Regel zu sehr — auch die sogenannte Güterabwägungstheorie meint selbstverständlich als entscheidende „Abwägung" die Abwägung der Enderfolgs-Werte u n d zugleich diejenige der M i t t e l - W e r t e . Audi sie zieht also a l l e in Betracht kommenden Gesichtspunkte in Erwägung, bringt aber in der Bezeichnung besser zum Ausdruck, um Avas es sich eigentlich handelt: nämlich um eine „Abwägung" aller für und wider die Rechtswidrigkeit sprechenden Momente. Die L e h r e v o n der Schuld bleibt die Hochburg und der Hauptkampfplatz strafrechtlichen Denkens. Die Schulddefinition S. 247 habe ich vorsichtiger gefaßt (Einwand von Schwinge a. a. O.). S. 278 Anm. 23 ist ein Mißverständnis beseitigt. Vor allem aber haben mich weitere Untersuchungen, die in meinem Bonner Vortrag „Schuld und Persönlichkeit" ihren Niederschlag gefunden haben, davon überzeugt, daß auch der strafrechtliche Persönlichkeitsbegriff und der Begriff der Persönlichkeitsbestandteile (Persönlichkeitskomponenten) durchaus den empirisch-werthaften Charakter allerReditsbegriffe teilen; dadurch ergibt sich eine schärfere und klarere Fassung der S. 279 berührten und der sonst damit zusammenhängenden Probleme. An der Koordination

Vorwort,

XXI

von Vorsatz und Fahrlässigkeit als Schuldformen (S.301) muß ich trotz der Einwände von Graf D o h n a , ZStW. 52, 103ff. und an der grundsätzlich zulässigen analogen Anwendbarkeit des § 59 StGB, auf die Strafmilderungsgründe (S. 322 ff.) trotz geäußerter Zweifel (v. L i s z t S c h m i d t 26. Aufl. S.289, 2 9 I ; T h i e r f e l d e r a. a. Ο. I I 3 - I I 6 ; siehe auch ZStW. 52, 349 zu M a r t e n s ) festhalten; daß § 59 StGB, auf Schuldelemente keine Anwendung finden könnte, ist eine ungerechtfertigte Annahme (Text S. 320). Ohne meinen Standpunkt in der Sache zu ändern, habe ich die Ausführungen über Dolus eventualis S. 345—349 und über das Wesen der Fahrlässigkeit S. 351-357 etwas anders gefaßt. Die sogenannte Nichtzumutbarkeit (370 ff.) sucht mein mehrfach erwähnter Bonner Vortrag im Anschluß an G o l d schmidtsdie, von S i e g e r t a. a. O. verständnisvoll aufgegriffene Gedanken inhaltlich näher zu bestimmen. Die Logik der sogenannten b e s o n d e r e n E r s c h e i n u n g s f o r m e n des V e r b r e c h e n s (S. 374 ff·) ist beanstandet worden (Graf D o h n a , ZStW. 52, 98 mit Zit.), ich glaube zu Unrecht. F,s handelt sich hier - Vollendung/Versuch, Täterschaft/Teilnahme, Handlungseinheit/Konkurrenz — selbstverständlich nicht um die Gesamtheit aller möglichen Erscheinungsformen des Delikts, sondern nur um besonders wichtige, „besondere" Erscheinungsformen. Neue Untersuchungen zum V e r such gibt Frhr. v. G e m m i n g e n , Die Rechtswidrigkeit des Versuchs 1932 (Strafrl. Abh. Heft 306) und ZStW. 52, 153. Wenn nicht alles trügt, wird die so oft beackerte T e i l n a h m e l e h r e audi neuerdings wieder zum Ausgangspunkt wichtiger Forschungen, die den engen Rahmen derselben sprengen und zu einer bisher vermißten grundsätzlichen Gestaltung des Täterbegriffs an einer grundlegenden Stelle des Systems in der Handlungs- oder Kausalitätslehre (in unserem Text am besten S. 127 unten) führen. Dazu nötigt der Streit um den sogenannten extensiven oder restriktiven Täterbegriff, wozu ich auf m e i n e eingebenden Ausführungen in der ZStW. 52, 529 ff. zu den interessanten Aufstellungen von H e g l e r Bezug nehmen muß. Die da und dort wegen der Mehrdeutigkeit des „Erfolgs"-Begriffs (eindeutig Text S. 95) mißverstandenen Ausführungen S. 415—417 habe ich zu verbessern versucht. Endlich die L e h r e v o n der Strafe. Idi verweise auf meine inzwischen erschienenen Ausführungen über Strafzumessung in der ZStW. 51, 855 ff. und meinen Artikel „Kriminalpolitik" im Handwörterbuch der Kriminologie von Elster-Lingemann. Die naturalistische Strafrechtsauffassung hält sich auf diesem Gebiet am festesten: der verdienstvolle Mitherausgeber der Aschaffenburgsdien Monatsschrift für Kriminalpsvdiologie und Strafrechtsreform, Hans v. H e n tig, nimmt in einem anschaulich geschriebenen Buche: „Die Strafe" (1932) zu den Strafrechtstheorien Stellung von ausgesprochen naturalistisch-evolutionistisdiem Standpunkt aus. Wertvolles im Sinne empirischer Soziologie bringen die fortlaufenden Kriminalistischen Abhandlungen von Ex η er, in Heft X V I von ihm selbst „Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte" (1931). Nach H e g l e r , DeutJurZtg. 1932 S. 487 ist unsere Strafrechtsdogmatik heute in stärkster Bewegung. Das Urteil trifft weitgehend zu. Fine junge Forschergeneration gewinnt neues Interesse an dogmatischen und strafrechtshistorischcn Fragen. Eine Wiederbesinnung auf die

XXII

Vorwort.

konservativen, festigenden Kräfte und Grundlagen des Staats- und Reditslebens und damit die Abkehr von allzu einseitiger Spezialprävention ist unverkennbar. Diese Neuorientierung soll und wird kein starrer Konservativismus und keine lebensfremde Neoklassik sein; die neue kulturwissenschaftliche Werterfassung muß sich verbinden mit voller Aufgeschlossenheit gegenüber jeaer wachsenden Entwicklung und mit einem auf psychologisches Verständnis gegründeten Wirklichkeitssinn. So nur wird sich die besondere, „säkulare" Aufgabe unserer Zeit lösen lassen: die Ergebnisse der empirischen Wissenschaft aus der naturalistischen Epoche organisch einzuarbeiten in eine neue wertende Strafrechtswissenschaft (Krit. Vierteljahrssdir. Χ Χ Π , 5 ° ° ) · Den Versuch, weitere derartige Verbindungslinien zwischen neuzeitlich empirischpsychologischen Richtungen und der Welt der Strafrechtswerte herzustellen, habe ich in zwei - demnächst im Gerichtssaal (Band 102) erscheinenden - Vorträgen vom 18. März 1932 in der Juristisch-medizinischen Gesellschaft zu Leipzig: „Die Arbeitsmethoden und die Bedeutung der kriminalbiologiscnen Untersuchungsstellen" und vom 12. Juni 1932 im Kerkhoff-Institut Bad Nauheim vor der Vereinigung für gerichtliche Psychologie in Hessen: „Psychoanalyse und Individualpsychologie in der Strafrechtspflege " fortgesetzt. München, im Oktober I932

E. M e z g e r

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S Seile

Erster H a u p t t e i l · D i e L e h r e v o m Strafgesetz Erster Abschnitt. Der Begriff und die Gesdiidite

1 des Strafredits....

§ 1. Der Begriff des Strafredits 3 § 2. Die strafrechtliche Entwicklung bis zum Aufklärungszeitalter 10 I. Allgemeines. Ausgangspunkt. Die germanische Zeit 10 II. Das mittelalterlich-deutsche Strafredit bis zur Rezeption . . 11 III. Das römische, kanonische und mittel alterlich-italienische Strafredit 13 IV. Die Rezeption der Fremdrechte und das l6. und 17. Jahrhundert (Carolina und gemeines deutsches Recht) 16 V . Das 18. Jahrhundert bis zur Aufklärung 18 § 3. Das Zeitalter der Aufklärung, das 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch und dessen reidis- und landrechtliche Ergänzungen. (Quellen des heutigen deutschen Strafrechts) 18 I. Die Aufklärung 18 II. Feuerbach und seine Zeit . 20 III. Die Landesgesetzgebung des 19* Jahrhunderts . . . 22 I V . Die Strafrechts Wissenschaft des 19. Jahrhunderts zwischen der Zeit Feuerbachs und dem Reichsstrafgesetzbuch 23 V. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund und das Reichsstrafgeeetzbuch mit seinen Veränderungen und Ergänzungen. (Quellenbestand des Reidisstrafrechts) 27 § 4. Die Strafreditswissensdiaft seit dem Bestehen des Reichs* Strafgesetzbuchs und die Literatur des heutigen Strafrechts 30 I. Die Strafreditswissensdiaft seit dem Bestehen des Reichsstrafgesetzbuchs 30 II. Die Literatur des Strafredits 39 § 5. Die Reformarbeiten am Reichsstrafgesetzbuch 42 § 6. Übersicht über das Strafredit des Auslandes 48 I. Die ehemals deutschen und österreichisch-ungarischen Länder 48 II. Die Schweiz, die Niederlande und Skandinavien . . 49 III. Das ehemalige Rußland 51 IV. Die romanischen Länder 52 V . Der europäische Südosten 53 VI. Großbritannien 54 VII. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika . . . . 55 VIII. Mittel- und Südamerika 55 IX. Asien und Afrika 55

3

XXIV*

Inhaltsverzeichnis. Seife

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereidi

des Strafgesetzes

57

§ 7· Die räumliche Geltung des Strafgesetzes § 8. Die zeitliche Geltung des Strafgesetzes § 9. Die persönliche Geltung des Strafgesetzes

Dritter

Absdinitt

57 65 72

Die Technik und die Auslegung des Strafgesetzes

§ 10. Der Grundsatz gesetzlicher Bestimmtheit der Strafe . . . § I i . Die Auslegung des Strafgesetzes

Zweiter Hauptteil. D i e Lehre vom Verbrechen

75 79

87

Vor § 12

88

A. Die Merkmale des Verbrechens Erster Absdinitt. § 12. § 13. § 14. § 15. § 16. § 17.

Die Handlung

Das Verbrechen als Handlung Die Problematik des Handlungsbegriffs Die Handlung als aktives T u n Der Kausalzusammenhang Die Unterlassung Der Ort und die Zeit der Handlung

Zweiter Absdinitt

89 91 91 . 101 I05 I09 130 . 150

Die Reditswidrigkeit

1. D e r B e g r i f f u n d d i e B e g r ü n d u n g d e r s t r a f r e c h t l i c h e n Rechtswidrigkeit a) Die Rechtswidrigkeit als objektives Unrecht §18. Die Rechtswidrigkeit als Merkmal der strafbaren Handlung § 19. Das Wesen der objektiven Rechtswidrigkeit § 20. Die subjektiven Unrechtselemente b) Die Reditswidrigkeit als tatbestandsmäßiges Unrecht α) Rechtswidrigkeit und Tatbestand im allgemeinen § 21. Der Begriff des strafrechtlichen Tatbestandes § 22. Der Tatbestand als Grundlage der Rechtswidrigkeit . . ß) Der Aufbau der Tatbestände im einzelnen § 23. Die Tatbestandselemente (Analyse der strafrechtlichen Tatbestände) § 24. Die Zusammensetzung der Tatbestände (die Synthese der strafrechtlichen Tatbestände) c) Die Rechtswidrigkeit als materielles Unrecht § 25. Der materielle Gehalt des tatbestandsmäßigen Unrechts § 26. Der übergesetzliche Unrechtsgehalt als Richtlinie für die Auslegung des Gesetzes

162 I62 102 162 163 I68 173 173 173 182 I86 186 192 197 197 200

2. D e r A u s s c h l u ß d e r R e c h t s w i d r i g k e i t 204 § 27. Übersicht 204 a) Der Unrechtsaussdtiluß nach dem Prinzip des mangelnden Interesses 207 § 28. Die Einwilligung des Verletzten 207 § 29. Die mutmaßliche Einwilligung 218

. 75

Inhaltsverzeichnis.

XXV Seite

b) Der Unrechtsaussdiluß nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses § 30. Die besonderen Handlungspflichten § 31· Die besonderen Handlungsrechte, insbesondere die Notrechte § 32. Das Güterabwägungsprinzip

Dritter

Absdinitt.

Die Sdiuld

225 225 231 239

247

1. D i e s t r a f r e c h t l i c h e S c h u l d im a l l g e m e i n e n . 247 § 33- Der Begriff der strafrechtlichen Schuld 247 § 34. Sdiuld, Unrecht und Strafe 254 § 35. Der Aufbau des Schuldbegriffs (die gesetzlichen Merkmale der Schuld) 205 § 36. Der Inhalt des Schuldurteils 270 2. D i e Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t § 37. Die Zurechnungsfähigkeit im allgemeinen § 38. Die Strafunmündigkeit und die Unzurechnungsfähigkeit Jugendlicher und Taubstummer 39. Die Unzurechnungsfähigkeit bei Bewußtlosigkeit und krankhafter Störung der Geistestätigkeit § 40. Die rechtliche Bedeutung der Unzurechnungsfähigkeit. .

279 279 283

3. D i e S c h u l d f o r m : V o r s a t z u n d F a h r l ä s s i g k e i t § 41. Vorsatz und Fahrlässigkeit im allgemeinen

301 301

286 300

a) Der Vorsatz (Dolus) 303 § 42. Die vorsätzliche Schuld im allgemeinen 303 § 43. Die zum Vorsatz erforderliche Tatsachenkenntnis . . . 307 § 44. Die zum Vorsatz erforderliche Bedeutungskenntnis . . . 325 § 45. Die Tatsachen- und Bedeutungskenntnis als Inhalt des Handlungswillens beim Vorsatz 338 b) Die Fahrlässigkeit (Culpa) § 46. Die Fahrlässigkeit 4. D i e S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e § 47. Die Schuldausschließungsgründe im allgemeinen . . . . § 48. Die einzelnen gesetzlichen Schuldausschließungsgründe . § 49. Die Nichtzumutbarkeit als allgemeiner Schuldausschließungsgrund

B. Die besonderen Erscheinungsformen des Verbrechens Erster Absdinitt.

Der Versudt

§ 50. Geschichte und Begriff des strafbaren Versuchs § 51. Der Entschluß des Täters als Grundlage der Versuchsstrafe § 52. Vorbereitung und Versuch . § 53. Die Tauglichkeit des Versuchs § 54· Die Nichtvollendung des Delikts § 55. Die Bestrafung des Versuchs . . . § 56. Der Rücktritt vom Versuch

349 349 363 363 364 370

375 375 375 379 382 387 398 401 402

XXVI

Inhaltsverzeichnis. Seite

Zweiter Absdinitt § 57. § 58. § 59. § 60. §61. §62. § 63. § 64.

Die Die Die Die Die Die Die Die

Dritter Absdinitt.

Die Teilnahme, . . .

410

Grundlagen der Teilnahmelehre Täterschaft sogenannte Mittäterschaft sogenannte mittelbare Täterschaft Anstiftung Beihilfe sogenannte Akzessorietät der Teilnahme persönlichen Verhältnisse in der Teilnahmelehre . .

Die Konkurrenz

456

§ 65. Die Aufgabe und die systematische Stellung der Konkurrenzlehre. § 66. Die Handlungseinheit und die Handlungemehrheit : 1. Die natürliche Handlungseinheit §67. Fortsetzung: 2. Die Juristische Handlungseinheit. . . . § 68. Fortsetzung: 3. Die Handlungsmehrheit. §69. Die sogenannte Idealkonkurrenz und die sogenannte Geeetzeekonkurrienz § 70. Die sogenannte Realkonkurrenz § 71. Die Konkurrenzlehre im Entwurf 1930

D r i t t e r H a u p t t e i l · D i e L e h r e v o n d e r Strafe §72. § 73. §74· § 75. § 76.

Der Begriff der Strafe Die gesetzliche Regelung der Strafe Die richterliche Strafzumessung Der Zweck und die Rechtfertigung der Strafe Die sichernden Maßnahmen . .

410 415 421 425 432 439 446 45l

456 457 460 467 467 478 479

481 483 486 · 498 502 518

A

B

K

Ü

R

Z

U

N

G

E

N

A l l f e l d : Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 8. Aufl. 1922 mit Nachtrag 1928. v. B a r , Gesetz: v. Bar. Gesetz und Schuld im Strafrecht. Bd. 1.1906, Bd. I I . 1907, Bd. I I I . 1909. B a u m g a r t e n , A u f b a u : Baumgarten, Der Aufbau der Verbrechenslehre. 1913. B e l i n g , L. v. V.: Beling, Die Lehre vom Verbrechen. 1906. Be l i n g , M e t h o d i k : Beling, Methodik der Gesetzgebung. 1922. B e l i n g , Grd.: Beling, Grundzüge des Strafrechts. 8./9. = 10. Aufl. 1925, 1928. 11. Aufl. 1930. B i n d i n g , N o r m e n : Binding, Die Normen und ihre Übertretung. Bd. I, 4. Aufl. 1922, Bd. I I . 1. Hälfte 2. Aufl. 1914, 2. Hälfte 2. Aufl. 1916. Bd. I I I . 1918, Bd. IV. 1919. B i n d i n g , H d b . : Binding, Handbuch des Strafrechts. Bd. I 1885. B i n d i n g , Grd.: Binding, Grundriß des deutschen S traf rechts. Allgemeiner, Teil. 8. (mit der 7. gleichlautende) Aufl. 1913. B i n d i n g , L b . : Binding, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts. Besonderer Teil. Bd. I. 2. Aufl. 1902. Bd. I I . 1. Abt. 2. Aufl. 1904, 2. Abt. 1905. B i n d i n g , Abh.: Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen. Bd. 1, 11 1915. v. C a l k e r : v. Calker, Strafrecht. 3. Aufl. 1927. D J u r Z t g : Deutsche Juristen-Zeitung. £ : Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. F i n g e r : Finger, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. Bd. I. 1904. F r a n k : Frank, Das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich. Kommentar. 17. Aufl. 1926. Jetzt 18. Aufl. 1931. F r a n k , Festgabe: Festgabe für Reinhard von Frank zum 70. Geburtstag. Bd. I und I I (1930) herausgegeben von Hegler. G e r l a n d : Gerland, Deutsches Reichsstrafrecht. 1922. (Grd.) GerS: Der Gerichtssaal. Goltd. Arch.: Archiv für Strafrecht und Strafprozeß. v. H i p p e l : v; Hippel, Deutsches Strafrecht. Bd. I 1925, Bd. I I 1930. H H . : Handbuch des deutschen Straf rechts in Einzelbeiträgen, herausgegeben von v. Holtzendorff. Bd. I , I I , I I I , I V 1871/77. J u r W o . : Juristische Wochenschrift. K o h l e r , S t u d i e n : Kohler, Studien aus dem Strafrecht. Bd. I. 1890. K o h l e r , L e i t f . : Kohler, Leitfaden des deutschen Strafrechts. 1912. K ö h l e r : Köhler, Deutsches Strafrecht. Allgemeiner Teil. 1917. K o h l r a u s c h : Kohlrausch, Strafgesetzbuch. Guttentagsche Sammlung. 29. Aufl. 1930. Jetzt 30. Aufl. 1932. L e i p z K o m m . : Ebermayer-Lobe-Rosenberg, Reichs-Strafgesetzbuch. 3. Aufl. 1925. 4. Aufl. 1929. L i e p m a n n : Liepmann, Einleitung in das Strafrecht. 1900. v. L i s z t - S c h m i d t (ältere Auflagen: v. L i s z t ) : v. Liszt- Eb. Schmidt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 25. Aufl. 1927. Jetzt Bd. I. Einleitung und allgemeiner Teil. 26. Aufl. 1932. v. L i s z t , A u f s ä t z e : v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge. Bd. I , I I . 1905. M. E. M a y e r : Max Ernst Mayer, Der allgemeine Teil des deutschen Straf rechts. 1. Aufl. 1915. 2., unveränderte Aufl. 1923.

XXVIII

Abkürzungen.

Α. M e r k e l : Adolf Merkel, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 1889. M e r k e l - L i e p m . : A. Merkel-Liepmann, Die Lehre von Verbrechen und Strafe. 1912. P. M e r k e l : Paul Merkel, Grundriß des Strafrechts. Teil I. Allgemeiner Teil 1927. Mezger, Psych. S v.: Der psychiatrische Sachverständige im Prozeß (1918). Beilageheft zu Bd. 117 des Archivs für die zivilistische Praxis. Mezger, GerS.: Die subjektiven Unrechtselemente. Gerichtssaal Bd.89 S. 207ff. (1923/24). Mezger, V o m Sinn: Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände. SA. aus der Festschrift für Ludwig Träger (1926) S. 187 ff. Mezger, P e r s ö n l i c h k e i t : Persönlichkeit und strafrechtliche Zurechnung (1926). Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens, herausg. von Kretschmer Heft 124. Mezger, Mod. S t r f r p r o b l . : Moderne Strafrechtsprobleme (1927). Marburger Akademische Reden Nr. 43. Mezger, RG. Festgabe: Subjektivismus und Objektivismus in der strafgerichtlichen Rechtsprechung des Reichsgerichts. RG.-Festgabe 1929 (s. u.) S. 13 ff. Mezger, F r a n k Festgabe: Zurechnungsfähigkeit. Frank Festgabe 1930 (s. o.). ßd. I. S. 519 ff. M o n K r i m P s y . : Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Olshausen: Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Bd. I, I I . 11. Aufl. 1927. O p p e n h . - D e l . : Oppenhoff-Deli us, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 14. Aufl. 1901. R e f o r m 1910: Aschrott-v. Liszt, Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs. Bd. I, I I . 1910. R e f o r m 1926: Aschrott-Kohlrausch, Reform des Strafrechts. 1926. R G , Festgabe: Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts. Bd. V. Stralrecht und Strafprozeß (1929). Sauer, Grd.: Sauer, Grundlagen des Strafrechts. 1921. Rieh. S c h m i d t , Grd.: Richard Schmidt, Grundriß des deutschen Strafrechts. 1925. Jetzt 2. Aufl. 1931. S t r a f r l . Abh.: Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal, jetzt von Schoetensack (Breslau). V D A . und V D B . : Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil. Bd. I — V I . 1908. Besonderer Teil. Bd. I — I X . 1905—1907. Registerband 1909. W a c h e n f e l d : Wachenfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts. 1914. Z S t W . : Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Römische Zahlen und arabische vor dem Komma bedeuten in der Regel den Band, sonstige Zahlen die Seiten, mit dem Zusatz N. oder Anm. die Anmerkung. I m übrigen sei für alle Zweifelsfragen auf die besondere Besprechung der strafrechtlichen und verwandten Literatur S. 39 ff. hingewiesen.

ERSTER

HAUPTTEIL.

Die Lehre vom Strafgesetz.

M e z g e r , Lehrbuch des S traf recht β.

1

Erster Abschnitt.

Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts. § ι.

D e r Begriff des Strafrechts 1 . I . Strafrecht ist der Inbegriff der Rechtsnormen, welche die Ausübung der staatlichen Strafgewalt regeln, indem sie an das Verbrechen als Voraussetzung die Strafe als Rechtsfolge knüpfen. Früher

sprach m a n

von i u s

deutsch von „ K r i m i n a l r e c h t " Bezeichnung „ S t r a f r e c h t "

criminale

oder i u s

poenale2,

oder „ p e i n l i c h e m R e c h t " 8 .

Die

ist noch nicht alt. Zuerst scheint sie

bei einem Schüler des Philosophen Christian W o l f f , dem Hessischen Kriegsrat

Regnerus E n g e l h a r d ,

gebraucht worden zu sein.

Das

peinliche Recht könne m a n — heißt es bei i h m — auch das „strafende oder Strafrecht" n e n n e n 4 . E t w a seit 1800 k o m m t die Bezeichnung mehr und mehr i n Geltung. Strafrecht

sind aber auch diejenigen Rechtsnormen,

welche

im

Zusammenhang m i t dem eigentlichen Strafrecht an das Verbrechen als Voraussetzung Rechtsfolgen anderer A r t als Strafe, insbesondere Maßnahmen zum Zwecke künftiger Verbrechensverhütung,

knüpfen.

Das Strafrecht der Gegenwart hat den R a h m e n seiner Bezeichnung gesprengt. Es erstreckt sich sachlich über den durch seine wörtliche 1 Siehe zum folgenden A l l f e l d 1—2. v. L i s z t - S c h m i d t 1—3. Beling Grd. 1. Gerland Grd. 1—9. K ö h l e r 23—30. v. H i p p e l I. 1—5, 32—37, 349—350. I I . 103—119. * Beides neulateinisch K ö h l e r 23. • Von Kriminalrecht redet noch Feuerbach 1801, Savigny 1840, Köstlin 1845, Zumpt 1865; Sachsen erhält 1838, Hamburg 1869 ein Kriminalgesetzbuch. Heute ist die Bezeichnung Kriminalrecht im deutschen Sprachgebrauch wenig üblich. 4 Regnerus E n g e l h a r d , Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechts 1756. Siehe dazu F r a n k , Die Wolffsche Strafrechtsphilosophie 1887 S. 13, 22, im übrigen v. H i p p e l , I. 2—3. Das Wort „Strafe" findet sich seit dem 14. Jahrhundert und soll ursprünglich tadeln, schelten bedeuten. Die Ableitung von straffen oder spannen hält v. Hippel für eine Hypothese. Die lateinische Bezeichnung „poena" kommt vom griechischen ποινή, ursprünglich Sühnegeld für Blutschuld, später Strafe und Entschädigung (Ilias I X . 633), das entsprechende deutsche Wort ist „peinlich".



4

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrecht

Bezeichnung abgesteckten Bereich hinaus. Es handelt nicht mehr nur von der Strafe als der Rechtsfolge des Verbrechens. Zwar steht für das in Geltung befindliche Reichsstrafgesetzbuch die Strafe als Mittel der Verbrechensbekämpfung durchaus im Vordergrund. Wissenschaftliche Einsicht hat aber zu der Erkenntnis geführt, daß in Zukunft zu dieser Strafe im Strafgesetzbuch weitere Mittel der Verbrechensverhütung hinzutreten müssen, strafrechtliche Maßnahmen, die an das begangene Verbrechen anschließen, um künftiger Verbrechensbegehung vorzubeugen. Schon das geltende Strafgesetzbuch kennt in geringem Umfang solche Maßnahmen, die keine S t r a f e im eigentlichen Sinne und doch s t r a f r e c h t l i c h e Maßnahmen sind. In weitem Umfang hat das Jugendgerichtsgesetz von 1923 in seinem strafrechtlichen Teil neben die Strafe die sogenannten Erziehungsmaßregeln der §§ 5, 6, 7 JGG gestellt, die keine Strafen, aber strafrechtliche Maßnahmen sind. Insbesondere kennen endlich die Strafgesetzentwürfe nach dem Vorbilde des Schweizer Rechtsgelehrten Carl Stooß als sogenannte M a ß r e g e l n der Besserung und Sicherung und zwar i m S t r a f g e s e t z b u c h außerhalb der eigentlichen Strafe besondere strafrechtliche Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung. Diese Maßregeln, wie die Unterbringung geistig defekter Verbrecher in einer Pflegeanstalt, trunksüchtiger Verbrecher in einer Trinkerheilanstalt, unverbesserlicher Gewohnheitsverbrecher in einer Sicherungsanstalt usw. in den §§ 55 ff. Entw. 1930, schließen zwar, wie die Strafe, an ein begangenes Verbrechen an, aber sie stellen nicht, wie die Strafe, eine Vergeltung für die strafbare Tat, für das Verbrechen als solches dar, sondern sie bestimmen ihren Inhalt nach der Persönlichkeit und nach der kriminellen Gefährlichkeit des Verbrechers. Aber gleichwohl gehören sie nach dem Rechtsbewußtsein der Gegenwart dem Straf recht an; denn nicht der sprachliche Ausdruck, sondern die jeweilige geschichtliche Lage ist für den Umfang und für den Aufgabenkreis des Strafrechts maßgebend und diese geschichtliche Lage weist heute über den Kreis der sprachlichen Bezeichnung „Strafrecht'' hinaus. Heute rückt als wesentliches Kennzeichen unserer Disziplin der Z w e c k , die Bekämpfung der Kriminalität, mehr in den Vordergrund als das eine M i t t e l Strafe. Manches spräche dafür, den alten Namen „Kriminalrecht" heute wieder aus der Vergessenheit hervorzuholen 6. 6 Ähnlich wie hier K ö h l e r 23, A l l f e l d 1, Anm. 1, siehe auch v. L i s z t Schmidt 1, Anm. 3 und M i t t e r m a i e r , ZStW. 44, 3 gegen B a u m g a r t e n , Aufbau 7 ff. und Sauer, Grd. 9, 69.

§ 1. Der Begriff des Strafrecht.

5

I L Stralrecht ist ötfentliches Recht. Es ist nicht privates Recht, denn es regelt nicht das Verhältnis des Einzelnen zum Einzelnen, sondern das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtheit. Dies tut es auch dort, wo dem Verletzten als Einzelnem — wie bei den Antragsdelikten (§ 61 StGB) und den Privatklagedelikten (§§ 374ff. StPO) — Einfluß auf die Verfolgung und damit auf die Geltendmachung des, auch insoweit noch immer staatlichen, Rechts auf Bestrafung eingeräumt ist®. Innerhalb des öffentlichen Rechts unterscheidet sich seiner enzyklopädischen Stellung nach das Strafrecht vom 1. Verwaltungsrecht· Verwaltungsrecht ist der Inbegriff der auf die staatliche Verwaltung bezüglichen Rechtssätze. I m weitesten Sinne ist auch die Strafrechtspflege ein Stück staatlicher Verwaltung. Historische und systematische Gründe haben jedoch aus ihr und aus den auf sie bezüglichen Gesetzen ein selbständiges Sondergebiet geschaffen, das es von dem Verwaltungsrecht im engeren Sinne abzugrenzen gilt. Es wäre verfehlt, in dieser Grenze eine feststehende Linie zu erblicken. Diese Grenze ist im Gegenteil dauernd im Fluß, und es kommt ganz auf die jeweilige Zeit an, in welcher Weise sie richtig zu ziehen ist. Das moderne Strafrecht nimmt, wie bereits bemerkt, in seinen spezialpräventiven Maßregeln der Sicherung und der Erziehung heute weite Gebiete in Anspruch, die man vor noch nicht allzulanger Zeit als rëin verwaltungsrechtliche Gebiete anzusehen gewohnt war. In einer andern Frage berührt die Abgrenzung des Strafrechts nach der Seite des Verwaltungsrechts die strafrechtliche Lehre noch unmittelbarer: nämlich in der ungemein schwierigen und vielumstrittenen Frage der Abtrennung des sogenannten p o l i z e i l i c h e n oder V e r w a l t u n g s d e l i k t s vom k r i m i n e l l e n D e l i k t des eigentlichen Strafrechts 7. Es handelt sich um die Frage, ob es gelingt, vom „kriminellen" Unrecht ein besonderes „polizei• A l l f e l d 1. Eingehend mit Hinweis auf die im geschichtlichen Leben der Völker zunächst zutage getretene privatrechtliche Gestaltung v. H i p p e l I. 4 und 32—34, der in der heutigen reinen Publizität eine Überspannung sieht. Die „Buße" der §§ 188, 231 StGB u.a. §§ 403ff. StPO ist Schadensersatz, nicht Privatstrafe; ebenso v. H i p p e l 33, Anm. 4 mit Zit. — Der Text spricht vom S t r a f r e c h t i m o b j e k t i v e n Sinn (ius poenale). Daneben nennt man vielfach das S t r a f r e c h t i m s u b j e k t i v e n Sinn (ius puniendi) und meint damit den „Strafanspruch" der öffentlichen Gewalt, des Staates usw. gegen den Verbrecher : so Ailfeld a. a. O. mit Lit., ν. H i p p e l I. 4, beide unter Anerkennung zugleich einer staatlichen,, Straf pflicht". Κ δ h 1 e r 24 unter Ablehnungbürgerlich-rechtlicher Vorstellungen, v. L i s z t - S c h m i d t 1, Anm. 1. Dagegen insbesondere Gerland 8. 7 Siehe dazu jetzt die eingehenden Ausführungen von v. H i p p e l I. 32—37, 349—350. I I . 103—119. Ferner v. L i s z t - S c h m i d t 147. F r a n k vor § 360 I. A l l f e l d 101—102. B i n d i n g , Normen I. 313ff., dort 315/16 und an den anderen

6

« Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

liches" Unrecht abzugrenzen und dieses Gebiet verwaltüngsrechtlicher Ordnungswidrigkeiten einer besonderen rechtlichen Regelung zu unterstellen. Der Begriff der „Polizei", auf den es hierbei entscheidend ankommt, tritt zuerst in den Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 auf und umfaßt dort die gesamte, auf gute Ordnung im Innern gerichtete staatliche Tätigkeit. Seit F e u e r b a c h durchzieht das Streben nach begrifflicher Abgrenzung des „Polizeidelikts4' die strafrechtliche Literatur als eine „die Juristen in Verzweiflung setzende" Frage (Hepp). Man hat versucht, die Polizeivergehen als solche Vergehen zu bestimmen, die zwar an und für sich selbst Rechte des Staates oder eines Untertans nicht verletzen, jedoch wegen der Gefahr für rechtliche Ordnung und Sicherheit unter Strafe verboten oder geboten sind; auf dieser Umgrenzung Feuerbachs ruht Art. 2 Abs. 4 des Bayerischen StGB von 1813. Unter den Partikularrechten des 19. Jahrhunderts besaßen Bayern 1861, Württemberg 1839, Baden 1863, Hessen 1847/55, Braunschweig 1855, früher auch Hannover 1845 besondere Polizeistrafgesetzbücher. In Preußen war im Entwurf von 1833 zunächst das Gleiche geplant; dann aber wurden die „Übertretungen" als Dritter Teil §§ 332 ff. in das preußische StGB von 1851 selbst aufgenommen. Auch die Motive zum heute geltenden deutschen RStGB gehen davon aus, daß das sogenannte Polizeistrafrecht vom sonstigen Strafrecht begrifflich nicht verschieden, daher gleich den kriminellen Verbrechen und Vergehen zu verfolgen und von den Gerichten zu bestrafen sei. Ohne sonstige Unterscheidung von den Verbrechen und Vergehen sind deshalb lediglich die Übertretungen in den §§ 360ff. StGB besonders zusammengefaßt 8. Im Schrifttum des Strafrechts hat vor allem Stellen eingehende Literaturangaben. Wichtig insbesondere J. G o l d s c h m i d t , Das Verwaltungsstrafrecht 1902. Materielles Justizrecht 1905. Der Prozeß als Rechtslage 1925, Anm. 1308 und weitere Schriften bei v. Hippel I I . 106, Anm. 3. Dazu H o f a c k e r , Die Staatsverwaltung und die Strafrechtsreform 1919. Rechtswidrigkeit und Kriegsverbrechen 1921. ZStW. 43, 649 (1923). 44, 325 (1924). VerwArch. X V . 404 u. a. und die eingehende Übersicht über den Streitstand bei v. Hippel I I . 118—119. Neuestens E r i k W o l f , Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem. Frank-Festgabe 1930, Bd. I I , S. 516ff. Siehe jetzt auch Goltd. Arch. 76, 91 und J. G o l d s c h m i d t ZStW. 5 2, 497 (Preuß. PolVw Ges. 1. V I . 1931). 8 Unter den vorliegenden Strafgesetzentwürfen verzichtet der erste Entwurf, der VorEntwf 1909, auf eine besondere Abgrenzung des polizeilichen Unrechts: Begründung S. 3. Kritik: Zusammenst. 1911 S. 2, 406ff. Der KommEntw. 1913 enthält demgegenüber nur Verbrechen und Vergehen, der StGEntw. 1919 §§ 402 ff. kehrt jedoch — allerdings mit einem besonderen ,,Allgemeinen Teil" in §§ 402—415 — zur Aufnahme der Übertretungen i n das Strafgesetzbuch

§ 1. Der Begriff des Straf rechte.

7

J. G o l d s c h m i d t den scharfsinnigen Versuch gemacht, ein besonderes „Verwaltungsdelikt" und demgemäß ein besonderes „Verwaltungsstrafrecht" herauszuschälen, ohne indes zu anerkannten Ergebnissen geführt zu haben. F r a n k will schon im geltenden Recht den Begriff des Polizeiunrechts und der Polizeiübertretung aufrechterhalten, ihn aber nicht als etwas Besonderes dem kriminellen Unrecht gegenüberstellen, sondern nur i n n e r h a l b der strafbaren Handlungen überhaupt aus den Polizeidelikten eine besondere Gruppe bilden. Er zählt zu letzteren die „Wohlfahrtsdelikte" und die „Ordnungsdelikte" und mißt der Abgrenzung insofern eine praktische Bedeutung bei, als in Übereinstimmung mit E. 29, 73 und 38,104 bei ihnen als Schuldform im Zweifel Fahrlässigkeit genügen soll. v. L i s z t - S c h m i d t hält es zwar für eine der wichtigsten legislativen Aufgaben, das Polizeidelikt aus dem Begriff des Verbrechens zu lösen, betont aber, daß sich die Darstellung des geltenden Rechts mit der Einbeziehung in das Strafrecht abfinden müsse. Jener Loslösung im kommenden Recht sucht E r i k W o l f im Wege rechtsphilosophischer Grundlegung, rechtsdogmatischer Analyse und rechtspolitischer Wertung vorzuarbeiten. Trotz unendlichen Mühens ist eine scharfe und für die praktische Behandlung geeignete Abtrennung des sogenannten Polizeidelikts bisher nicht gelungen. Die Darstellung hat daher an dieser Stelle für das geltende Recht zu betonen, daß auch das sogenannte Polizeidelikt n i c h t Gegenstand des Verwaltungsrechts, sondern Bestandteil des eigentlichen Strafrechts ist. Mangels genügender Anhaltspunkte und mangels genügend scharfer Umgrenzung des Begriffs erscheint es auch bedenklich, die Gruppe des sogenannten Polizeiunrechts innerhalb des Strafrechts besonderen rechtlichen Regeln zu unterstellen und für sie das allgemeine Schulderfordernis abzuschwächen. So hat mit Recht auch das R G gegenüber früheren irreführenden Äußerungen nunmehr in E. 49,116 (118) eine g r u n d s ä t z l i c h andere Behandlung des Polizeidelikts in der Schuldfrage zurückgewiesen. Als E r g e b n i s ist demnach festzuhalten: daß auch das sogenannte P o l i z e i - oder V e r w a l t u n g s d e l i k t den a l l g e m e i n e n strafrechtlichen Regeln untersteht. zurück. Seine Denkschrift S. 8 bringt dabei das Bestreben zum Ausdruck, die Grenze zwischen dem kriminellen und dem polizeilichen Unrecht schärfer als bisher zu ziehen. Der AmtlEntw. 1925 §§ 343 ff. und der RTagsEntw. 1927 sowie der Entw. 1930 §§ 375 ff. entsprechen dem. Begr. 1927 S. 6. Gegen den mißglückten Versuch eines sachlichen Kriteriums Begr. 1925 S. 177 und Begr. 1927 S. 194 — „bloße Ordnungswidrigkeit" im Gegensatz zum kriminellen Unrecht — v. H i p p e l I I . 105, Anm. 5. Zum GegenEntw. 1911 daselbst S. I I I ,

8

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

2. Strafprozeßrecht. Auch die Abgrenzung des Strafrechts vom Strafprozeßrecht, d. h. von dem die Durchführung und Verwirklichung der staatlichen Strafansprüche regelnden Verfahrensrecht, ist durch die geschichtliche Entwicklung mitbedingt und daher nicht von vornherein und ein für allemal feststehend. Beide Rechtsgebiete, das Strafrecht und das Strafprozeßrecht, waren früher überhaupt nicht scharf voneinander geschieden. Man trennte innerhalb des einheitlichen Rechtsgebietes jenes als das m a t e r i e l l e S t r a f r e c h t von diesem als dem f o r m e l l e n S t r a f recht. Das erste gesamtdeutsche Strafgesetzbuch, die peinliche Gerichtsordnung Karls V. (CCC) von 1532, ist seinem Wesen nach Strafprozeßordnung und regelt nur in diese eingeschlossen in art. 104—180 das sogenannte materielle Strafrecht 0. Auch Carpzows Practica nova (1635) und Feuerbachs Lehrbuch (2. Aufl. 1803) behandeln den Strafprozeß mit. I m geltenden Recht bildet demgegenüber der Strafprozeß ein besonderes, auch gesetzlich abgetrenntes Gebiet. Damit ergibt sich die Notwendigkeit einer schärferen Grenzziehung zwischen dem Strafrecht und dem Straf Prozeßrecht 10. Grundsätzlich regelt jenes, das Strafrecht, die Voraussetzungen und die Art der Bestrafung, die Entstehung, den Bestand und den Untergang des Strafanspruchs, dieses, das Strafprozeßrecht, die Verwirklichung der Strafe in einem eigenen Verfahren. Entscheidend für die Zuteilung zum einen und anderen Gebiet ist nicht unbedingt der gesetzliche Ort der einzelnen Vorschrift: das StGB k a n n prozeßrechtliche, die StPO k a n n materiellstrafrechtliche Bestimmungen enthalten. So sind: a) m a t e r i e l l s t r a f r e c h t l i c h e V o r s c h r i f t e n : nur teilweise die Vorschriften über Verjährung §§66ff. StGB, wohl aber die über wahrheitsgetreue Berichte art. 30 RVf, teilweise auch über Begnadigung § 452 StPO usw.; b) strafprozessuale V o r s c h r i f t e n : die Vorschriften über Verfolgung von Auslandsdelikten § 4 StGB, über Vermögensbeschlagnahme § 93 StGB, über das Abgeordnetenprivileg art. 36 RVf, über Strafantrag §§ 61 ff. StGB, über Ermächtigung § 197 StGB usw. Die Zuteilung zum einen oder anderen Rechtsgebiet hat nicht nur systematische, sondern unmittelbar praktische Bedeutung. So bei9 „vonn etlichen peinlichen straffen." Siehe dazu und zum folgenden v . H i p p e l I. 175. 10 Dazu K ö h l e r 24, 27—30. I m einzelnen gehen die Meinungen auseinander.

§ 1. Der Begriff des Strafrecht.

9

spielsweise in Beziehung auf die Abgrenzung von Reichs- und Landesrecht §§ 2 EG. StGB, 6 EG. StPO; auf das zeitliche und örtliche Verhältnis der Gesetze §§ 2 Abs. 2 und 4 a. E. StGB (gelten nur für materielles Strafrecht); auf die Fristberechnung §§ 42, 43 StPO (gelten nur für strafprozessuale Fristen); auf die Art des Urteils § 260 StPO; auf die Revisibilität des Urteils §§ 340, 352, 357 StPO usw. 3. Recht der nichtkriminellen Strafe. Auch außerhalb des Strafrechts gibt es „ S t r a f e n " , die jedoch k e i n e n k r i m i n e l l e n C h a r a k t e r tragen und daher nicht dem Strafrecht angehören. Hierher zählen beispielsweise neben der sogenannten Konventionalstrafe der §§ 339 ff. BGB. des bürgerlichen Rechts 1 1 : a) die O r d n u n g s s t r a f e n der Prozeßgesetze wegen Ungebühr §§ 178, 179 GVG (vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung!), wegen Nichterscheinens eines Zeugen §§ 51 StPO, 380 ZPO und ähnliches. Nicht hierher, sondern zum eigentlichen Strafrecht gehören die gelegentlich als Ordnungsstrafen bezeichneten Strafen für geringfügige Verfehlungen der Zoll-, Steuer-, Versicherungsgesetze usw.; das sind echte Kriminalstrafen, und zwar auch dann, wenn sie im Einzelfall zur Bestrafung kein Verschulden fordern sollten: b) die sogénannten Zwangs- oder E x e k u t i v s t r a f e n (Beugestrafen). Es handelt sich hier um Strafen, die angedroht und auferlegt werden, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen, wie etwa bei den Strafen als Mittel der Zwangsvollstreckung in §§ 888, 889 ZPO, den Zeugniszwangsstrafen §§ 70 StPO, 390 ZPO usw. Streng durchgeführt ist der Charakter der bloßen Beugestrafe in § 902 Abs. 2 ZPO, wo die Strafe endigt, sobald die zu erzwingende Handlung vorgenommen wird; c) die D i s z i p l i n a r s t r a f e n (Dienststrafen). Sie verhängt der Staat nicht als Herr aller seiner Untertanen, sondern als besonderer Dienstherr wegen Dienstwidrigkeiten namentlich der Beamten und des Militärs. Daß es sich dabei nicht um eine Kriminalstrafe handelt, zeigt sich deutlich darin, daß wegen desselben Verhaltens Disziplinarstrafe und echte Kriminalstrafe (z. B. § 350 StGB) n e b e n e i n a n d e r möglich sind. In diese Gruppe gehören auch die nichtstaatlichen Disziplinarstrafen gegen Kommunalbeamte, Kirchendiener, Studierende usw., Strafen gegen Häftlinge, Strafen in Schule und Familie, in Korporationen usw. 11 Siehe dazu A l l f e l d 238—241, 162, Anm. 24. K ö h l e r 16—18. v. L i s z t Schmidt 354—355. F r a n k § 27 I I .

10

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts. §2.

D i e strafrechtliche Entwicklung bis zum A u f klärungszeitalter. I.Allgemeines. Ausgangspunkt. D i e g e r m a n i s c h e Z e i t 1 . Eine zusammenfassende und eingehende Geschichte des Strafrechts aus neuerer Zeit hat lange gefehlt. Sie liegt jetzt in der ausgezeichneten Darstellung beiv. H i p p e l , Strafr. Bd. I 38ff. (1925) vor. Sie gibt den äußeren Entwicklungsgang und die innere Geschichte des Strafrechts. Wenn gleichwohl und trotz der kürzeren Zusammenfassung bei v. L i s z t - S c h m i d t auf eine solche hier nicht verzichtet werden kann, so ist die Überzeugung maßgebend, daß kein Gebiet des Rechts in seiner heutigen Gestalt ohne seinen geschichtlichen Werdegang verstanden werden kann. I n den älteren Zeiten schließt sich die Darstellung unter Hervorkehrung des Wesentlichen eng an die genannten Autoren an, um dann aus dem geschichtlich Gegegebenen und Gewordenen das Bild der Gegenwart in seinen kennzeichnenden Zügen heraustreten zu lassen. Der Ausgangspunkt eines nationalen Strafrechts, wie hier des deutschen, liegt, was seine Einzelheiten anlangt, im geschichtlichen Dunkel. Er kann nur im Wege universalgeschichtlicher Hypothese erschlossen werden, wobei die sogenannte ethnologische Jurisprudenz, die Erforschung der Rechtszustände entlegener, namentlich primitiver Völker beizutragen hat 2 . Strafrecht ist, wie jedes Recht, erst in menschlichem Gemeinschaftsleben möglich; denn Recht ist seinem Wesen nach Gemeinschaftsregelung, also ein soziales Phänomen. Aber verständlich ist es hinwiederum nur aus den unbewußten Triebgrundlagen des primitiven Rachegefühls, in dem man zutreffend eine Projektion der Persönlichkeitsvorstellung nach außen gesehen hat; erst dieser „Reaktivismus des Gefühls' 1 läßt den späteren „Rationalismus der Reflexion" in der Zweckstrafe zur Entwicklung kommen (Ger land). Überall zeigt sich dabei in den Anfängen der Rechtsentwicklung eine enge Verknüpfung dieser Rache mit dem religiösen Gefühl, also ein sakraler Zug der Strafe; die Strafe wird aus der rein persönlichen Sphäre in eine höhere Sphäre erhoben, später in die der sozialen Gemeinschaft, des Staates, womit die Rationalisierung und Humanisierung des Strafrechts seinen Anfang nimmt. Für die im engeren Sinne geschichtliche Zeit ist dabei wichtig vor allem der Übergang von der privatrechtlichen zur öffentlich-rechtlichen Auffassung von Verbrechen und Strafe. 1 Literatur zur Geschichte des Strafrechts: v. H i p p e l , Strafr. I. 38—375, 460—490. v. L i s z t - S c h m i d t 34—93, 9—34. Berichte in der Z S t W . Uff. von Löning, Günther, Knapp, Eb. Schmidt. Früher: Geib, Lehrb. Bd. I (1861), v. Bar, Handb. Bd. I (1882). Wichtig auch G ü n t h e r , Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts Bd. I (1889). Bd. I I (1891), Bd. I I I (1895). Zur deutschen Rechtsgeschichte im allgemeinen: B r u n n e r - H e y m a n n , Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte 7. Aufl. 1923. Schröder-v. K ü n ß b e r g , Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte 6. Aufl.. 1922. Zur Geschichte der Strafrechtswissenschaft: S t i n t z i n g - L a n d s b e r g , Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft Bd. I, I I , I I I 1 u. 2. Noten (1880 bis 1910). Ä Letztere begründet von Β ach of en, Mutterrecht (1861, 2. Aufl. 1897), weitergeführt von Post, Grundriß der ethnologischen Jurisprudenz I. I I . (1894/95) und K o h l e r , Kultur der Gegenwart Teil I I , Abt. V I I , 1. (1914) und Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft. Zum Ausgangspunkt des Strafrechts: G e r l a n d , Die Entstehung der Strafe (1925, Rektoratsrede).

§ 2. Die strafrechtliche Entwicklung bis zum Aufklärungszeitalter.

11

I m germanischen R e c h t insbesondere ist Grundlage der Rechtsbildung zunächst der personale Verband der Sippe3. Rechtsform ist das Gewohnheitsrecht. I m internen Strafrecht innerhalb der Sippe finden wir wie sonst die Strafgewalt des Familienoberhauptes sowie das Recht der Sippe zur Ausstoßung unwürdiger Glieder 4 . I m externen Strafrecht, also von der Sippe nach außen, gilt der Grundsatz: wer den Frieden am Rechtsgenossen bricht, macht sich ihn und seine Sippe zum Feind. Blutrache ist Recht und Pflicht der Sippe: sie führt zu sofortiger Tötung des auf handhafter Tat Betroffenen oder zur Geschlechterfehde. Statt der Blutrache kann das verletzte Geschlecht den Weg der Sühne (Compositio) durch Vertrag oder Klage wählen 5 . Bei gerichtlicher Klage fällt ein Teil des Sühnegeldes als Friedensgeld (fredus) an die öffentliche Gewalt, öffentliche Strafe findet sich daneben schon im germanischen Recht bei schwersten Angriffen gegen die Allgemeininteressen, wie Kriegsverrat und Heeresflucht. Wichtige Quellen für das germanische Recht sind T a c i t u s , Germania (98/99 n. Chr.) und die nordgermanischen Rechte.

II. Das m i t t e l a l t e r l i c h - d e u t s c h e bis zur R e z e p t i o n .

Strafrecht

Wir teilen die Entwicklung in folgende Abschnitte ein·. 1. Das F r a n k e n r e i c h bringt für die Deutschen zum erstenmal ein einheitliches festes Staatswesen mit r ä u m l i c h e r Gliederung (Merowinger seit Chlodwig 481—751, Karolinger 751—843 — Karl d. Gr. 768 bis 814 — bzw. 911) 7 . Das Strafrecht der Zeit zeigt damit eine stärkere Betonung der öffentlichrechtlichen Auffassung. Grundlage des Rechts sind die in lateinischer Sprache abgefaßten sogenannten V o l k s r e c h t e oder Leges b a r b a r o r u m 8 . Das älteste dieser Volksrechte ist die Lex Salica (um 500). Dann folgen noch in merowingischer Zeit die Rechte der Ribuarier (Lex Ribuaria, wahrscheinlich noch im 6. Jahrh.), Alemannen (Pactus erste Hälfte 7. Jahrh., Lex Alamannorum erste Hälfte 8. Jahrh.) und Bayern (Lex Baiuwariorum, nach Brunner 744—748), in karolingischer Zeit die Rechte der Friesen (Lex Frisionum, der Hauptteil wohl unter Karl d. Gr.), Sachsen (Lex Saxonum, vielleicht auf dem Reichstage zu Aachen 802), der chamavischen Franken, der thüringischen Angeln und Warnen (Ewa Chamavorum, Lex Angliorum, Lex Werinorum um dieselbe Zeit). Auf römischer Erde entstehen die Gesetze der Burgunder (gegen 500), der Westgoten (schon seit 8

Siehe zum germanischen Recht v. H i p p e l lOOff., v. L i s z t - S c h m i d t 42ff. mit Lit. W i l d a , Das Strafrecht der Germanen. 1842. Osenbrüggen, Das Strafrecht der Langobarden 1863. Heusler, Das Strafrecht der Isländersagas. 1911. v. A m i r a , Die germanischen Todesstrafen. München, Akademie der Wissenschaften. 1922 und die sonst an den angeführten Stellen genannte Literatur. 4 Zu der interessanten rassenhygienischen Hypothese v. A m i r a s , kritisch v. H i p p e l 104/05, Anm. 7. 5 Darüber, daß es in gewissen Fällen als schimpflich empfunden wurde, „den Toten im Geldbeutel zu tragen", siehe v. H i p p e l S. 42, Anm. 4. • v. H i p p e l 108ff. v. L i s z t - S c h m i d t 42ff., 46ff. mit Lit. B r u n n e r , Deutsche Rechtsgeschichte Bd. I (2. Aufl. 1906). Bd. I I (2. Aufl. 1928, ZStW. 50, 621). H i s , Das Strafrecht des deutschen Mittelalters. Teil I (1920). Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina (1928). 7 Näheres Schröder-v. K ü n ß b e r g 103—105. • Zeitangabe im folgenden nach v. H i p p e l 109. Zum Streit um die Lex Baiuwariorum siehe neuerdings ZStrW. 50, 623.

12

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

König Eurich 466—484), der Langobarden (Edictus Rothari 643). Diese Volksrechte beruhen, wenn auch königlicher Einfluß mitwirkte, auf Volksbeschluß; inhaltlich enthalten sie vorwiegend Strafrecht, Bußsätze und Grundsätze über den Rechtsgang und sind in der Hauptsache Aufzeichnung bestehenden Gewohnheitsrechts (Weietum), teilweise auch selbständige Rechtssetzung (Satzung). Neben die Volksrechte tritt als jüngere Rechtsquelle, ergänzend, aber auch ändernd, das Königsrecht, insbesondere in den K a p i t u l a r i e n der Karolingerzeit, vor allem Karls d. Gr. Der große Kulturfortschritt dieser ganzen Entwicklung des Strafrechts in der bisher . erwähnten Zeit besteht in dem weitgreifenden Übergang vom Gewohnheitsrecht zum Gesetzesrecht. 2. 911 Ende der K a r o l i n g e r h e r r s c h a f t bis A n f a n g des 13. Jahrh. Das zur Wahlmonarchie gewordene Deutsche Reich ringt um seine Einheit gegenüber den Stammesherzögen. Unter Otto I. (936—973) ist diese Einheit gesichert, das Reich erwächst zum Römischen Reich deutscher Nation. Mit Gregor V I I . (1073—1085) beginnt der Kampf der Päpste zunächst um die Unabhängigkeit, dann um die Vorherrschaft (Alexander I I I . 1159—1181 und Innocenz I I I . 1198—1216); der Kampf endet mit dem Untergang der Hohenstaufen (1268). Das deutsche Königtum reibt seine Kraft in Italien auf 9 . Der Schwächung der Staatsgewalt entspricht eine rückläufige Bewegung im Strafrecht. Das geschriebene Recht der Frankenzeit, Volksrechte und Kapitularien, gerät in Vergessenheit, herrschend wird wieder das Gewohnheitsrecht, es sind die ,,für uns stummen Jahrhunderte" der deutschen Rechtsgeschichte10. Auf einem begrenzten Gebiet beginnt seit dem 12. Jahrh. die Reichsgesetzgebung einzuschreiten, nämlich gegen das Fehderecht und seine Ausschreitungen mit den sog. Landfrieden. Diese Landfrieden des Reichs sind vom Kaiser mit den Ständen vereinbarte, regelmäßig beschworene Gesetze und Verträge. Der erste Landfriede wurde unter Heinrich IV. 1103 zu Mainz auf vier Jahre abgeschlossen, es folgen weitere unter Heinrich V. 1121, Friedrich I. 1158 usw. Grundlegend für die Folgezeit ist der Landfriede Friedrichs I I . zu Mainz 1235 (Constitutio Moguntina). I m Jahre 1495 ergeht zu Worms der ewige Landfriede, d. h. das dauernde Verbot des Fehderechts 11. 3.13. Jahrh. bis gegen Ende des 15. Jahrh. Seit dem 13. Jahrh. entstehen massenhaft p a r t i k u l a r r e c h t l i c h e Rechtsaufzeichnungen in Form von Rechtsbüchern (private Darstellungen mit juristischer Bearbeitung), Stadtrechten, Landrechten (teils als Gesetze, teils als bloße Aufzeichnungen geltenden Rechts), Weietümern (Gewohnheitsrecht aus Dörfern und Bauernschaften) 12. Das bedeutsamste dieser Rechtebücher ist der Sachsenspiegel — ,,knapp, klar und kräftig wirken seine Sätze", urteilt v. H i p p e l 157 — des sächsischen Ritters E i k e von Repgow, der um 1230 in ihm für das Gebiet des Sachsenrechts auf Grund reicher Erfahrung (ane helphe und ane lere) das bestehende Recht aufzeichnet, so wie er es für gut hält, zur Belehrung und Anwendung in den Gerichten. Ursprünglich lateinisch verfaßt, übertrug Eike das Werk auf 9

Zusammenfassung nach v. H i p p e l 122. Von der ergänzenden Bedeutung des kanonischen Rechts wird später die Rede sein, insbesondere von den sogenannten Gottesfrieden als den Vorläufern der Landfrieden. 11 Näheres zu den Landfrieden bei v. H i p p e l 123/124 und in der dort angegebenen Literatur. 19 Eingehend über diese Rechtsquellen des Mittelalters Schröder-v. K ü n ß · berg 707—774, auch über Urkunden, Formelbücher usw. 10

2. Die strafrechtliche Entwicklung bis zum Aufklärungszeitalter.

13

Bitten seines „Herrn", des Grafen Hoyer von Falkenstein, ine Niedersächsische. Es enthält Landrecht der Ritter und freien Bauern und Lehnrecht 18 . Es folgen in Süddeutscbland der Spiegel deutscher Leute (um 1250) und der Schwabenepiegel (1274/75) — „lebhaft und anschaulich" v. H i p p e l a. a. O. Unter den Stadtrechten ragen das Magdeburger und das Lübecker S t a d t r e c h t hervor; sie werden vielfach auf andere Städte übertragen, die Mutterstadt wird regelmäßig dann Oberhof der Tochterstadt 14 .

I I I . Das römische, kanonische und mittelalterlich- italienische Strafrecht. 1. I m älteren römischen R e c h t 1 5 besteht innerhalb der Familie die rechtlich unbeschränkte, bis zum ius vitae ac necis gehende Strafgewalt des Pater familias. Aus der Ablösung der alten, geschichtlich nicht mehr nachweisbaren Blutrache durch Sühnegeld entstehen die Delicta privata, die im römischen Recht lange eine große Bedeutung behalten. Bemerkenswert ist aber der frühzeitig rein weltliche Charakter des Strafrechts und die Herausschälung der zwei wichtigen Fälle öffentlich-rechtlicher Strafe, bei der Perduellio, dem Landesverrat, und bei dem Parricidium, der Tötung des Stammesgenossen. An das Parricidium (si quis hominem liberum dolo seien» mortui duit, parricida esto) schließen sich weitere Gruppen gemeiner Verbrechen; mit den X I I Tafeln, meint in dieser Beziehung v. L i s z t - S c h m i d t , scheint die ernste Entschiedenheit der Strafgesetzgebung in der Hauptsache erschöpft zu sein, auch von den Privatvergehen erfährt nur die Sachbeschädigung in der Lex Aquilia eingehende Regelung. Dabei darf aber nicht übersehen werden daß die Weiterentwicklung auf dem Wege politischer und prozeßrechtlicher Maßnahmen erfolgt. Die Strafgewalt des Königs, wie die des Hausherrn, und später die des M a gistrats (Coercitio) ist zunächst rechtlich unbeschränkt. Aber schon um 500 v. Chr. bestimmt die Lex Valeria: ne quis civem Romanum adversus provocationem necaret neve verberaret. Über Kapitalstrafen gegen römische Bürger hatte also fortan auf Provokation die V o l k s v e r s a m m l u n g (iudicium populi) in den Comitien zu entscheiden; hiervon abgesehen, bleibt die freie, durch Tatbestand und Strafe nicht gebundene Strafbefugnis (Coercitio) des Magistrats. Gegen Ende der Republik vollzieht sich eine durchgreifende Umbildung durch die aui' Volksbeschluß beruhenden Leges iudiciorum publicorum: jedes von ihnen erklärt eine gesetzlich bestimmte Handlung zum Verbrechen (crimen legitimum), ordnet dafür eine gesetzlich bestimmte Strafe an (poena légitima) und setzt zur Aburteilung ein bestimmtes Geschworenengericht ein (quaestio). Dieser Quaestionenprozeß ist jetzt der Strafprozeß für öffentliche Verbrechen und wird durch die Leges Corneliae Sullas (82—80 v. Chr.) und die Leges Juliae unter Caesar und Augustus weiter ausgebildet; er verdrängt die frühere komitiale Volksgerichtsbarkeit. Jedes Verbrechen hat seine eigene Quaestio, ein Umstand, der zu dem großen Fortschritt scharfer Tatbestandsbildung führt. Unter Sulla bestehen sieben Quaestiones: für crimen maiestatis, ambitus, repetundae, sacrilegium,. Mord, schwere Injurien, falsum. Zwei weitere treten noch während 18

Der Sachsenspiegel galt früher als das älteste der Rechtsbücher (SchröderV. K ü n ß b e r g a. a. O. 719). Über ein älteres — Mühlhäuser Rechtsbuch — siehe jetzt v. H i p p e l 126, Anm. 1. 14 Einzelheiten Lit. bei v. H i p p e l 127, Anm. 3, 4. 15 Mommsen, Römisches Strafrecht 1899. v. H i p p e l , 54ff. v. Liszt" Schmidt 38ff.

14

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

der Republik hinzu: für Menschenraub und crimen vis, unter Augustus ferner solche für Ehe- und Sittlichkeitsdelikte und für Wucher 16 . In der Kaiserzeit geht die Strafgerichtsbarkeit auf den Senat unter Vorsitz des Konsuls (bis unter Diokletian 284—305) und mehr und mehr auf den Kaiser und seine B e a m t e n über. Der Kaiser ist Träger unumschränkter Gerichtsgewalt : er übt sie entweder selbst im ^Caisergericht (im 2. und 3. Jahrh. n. Chr. wird das Hofgericht Berufungsinstanz für das ganze Reich) oder durch einzelne oder allgemeine Delegation an kaiserliche Beamte aus. Diese kaiserliche Strafgewalt steht nicht unter, sondern über dem Gesetz. Jedoch stützt sich die Rechtsprechung auf die bisherigen Crimina légitima, insbesondere diejenigen der leges Corneliae und Juliae; die Strafgesetzgebung stockt. Aber neben die Crimina légitima und Delicta privata treten erweiternd die Crimina extraordinaria. In den Digesten (533 n. Chr.) ist das S traf recht in den Libri terribiles D. 47 de privatis delictis und D. 48 de publicis iudieiis und im Codex (534 n. Chr.) in Cod. lib. 9 enthalten. v. L i s z t - S c h m i d t 41 urteilt über das Ergebnis der Entwicklung: „Das römische Strafrecht wäre zur,Aufnahme in Deutschland ungeeignet gewesen, hätte nicht in späteren Jahrhunderten das mittelalterliche Italien die Arbeit auf sich genommen, welche die römischen Juristen ungelöst der Nachwelt hinterlassen hatten." 2. Das kanonisch-kirchliche

Recht17.

Seit Anerkennung der Kirche durch den römischen Staat (unter Konstantin 323—3.37, Konzil zu Nicäa 325) bildet sich eine ausgedehnte D i s z i p l i n a r gewalt des Bischofs und mehr und mehr als oberste Instanz des Papstes über Geistliche und Laien in rein geistlichen Angelegenheiten aus. Ecclesia vivit lege Romana. Dies gilt auch für die Kirche in germanischen Landen. Die weltliche Gerichtsbarkeit blieb zunächst beim Staat; Ketzerei und ähnliches wurden aber Crimina publica. Mit Annahme des Christentums durch Chlodwig (496 n. Chr.) zieht die Kirche und ihre Disziplinargerichtsbarkeit in das Frankenreich ein; in der Karolingerzeit werden weitere kirchliche Delikte zu weltlichen Verbrechen erklärt und die Durchführung der kirchlichen Urteile durch den Staat gewährleistet. Die rückläufige Bewegung der staatlichen Strafgewalt in der Folgezeit begünstigt die Ausbreitung der kirchlichen Strafgewalt über Geistliche und Laien. Vom 11. Jahrhundert an setzt der planmäßige und erfolgreiche Kampf des Papsttums um die Vorherrschaft über die weltliche Gewalt ein mit dem Anspruch, als Stellvertreter Gottes dem Staat die Gesetze zu diktieren. Die kirchliche Strafgewalt dient dem Schutz der kirchlichen Herrschaftsinteressen; die oberstrichterliche Stellung des Papstes als höchstem Gesetzgeber und Richter innerhalb der Kirche schafft ein einheitliches kirchliches Recht, auch im Gebiete des Strafrechts. Ihren gesetzlichen Niederschlag findet diese Entwicklung im Corpus iuris canonici (zunächst Decretum Gratiani um 1140, dann päpstliche Dekretalien aus dem Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrh., Gregor I X . 1234, Bonifacius V I I I . sog. liber sextus 1298, Clemens V. sog. Clementinae 1313). Von grundlegender Bedeutung wird dabei der kanonische I n q u i s i t i o n s p r o z e ß mit Einschreiten und Aburteilung von Amts wegen und objektiver Wahrheits16 Über die nähere Entwicklung dieses durch die Lex Calpurnia de repetundis von 149 v. Chr. (senatorisches Rekuperatorengericht für Klagen der Provinzialen gegen die Statthalter) eingeleiteten Quaestionenprozesses siehe bei v. H i p p e l und v. L i s z t - S c h m i d t a. a. Ο. Literatur siehe bei ν. H i p p e l 77, Anm. 3.

§ 2. Die strafrechtliche Entwicklung bis zum Aufklärungeitalter.

15

18

ermittlung (IV. lateranischee Konzil von 1215) . Dabei bekämpft die Kirche nicht nur rein geistliche Verbrechen (delicta mere ecclesiastica), sondern auch delicta mixta. 3. Das m i t t e l a l t e r l i c h - i t a l i e n i s c h e S t r a f r e c h t des 12.—15. Jahrh. 1 ·. Die Weiterbildung des römischen (kaiserlichen) Rechts des Corpus iuris und des kanonischen (päpstlichen) Rechts, also des ius utrumque, geschah seit dem 12. Jahrh. durch die italienischen Universitäten, unter denen Bologna hervorragt. Von etwa 1100 bis gegen 1250 arbeitete die Schule der Glossatoren an der Auslegung und Erläuterung des Corpus iuris Justinians. Begründer der Schule ist I m er ius (1100). In strafrechtlicher Beziehung werden genannt: Azo (gest. 1230) „Summa Codicis" (über seinen Einfluß siehe bei v. H i p p e l 91, Anm. 4), von den Zeitgenossen des Accursius (gest. 1260) im Einzelnen Odofredus (gest. 1265), Johannes de Blanosco und Guilielmus D u r a n t i s (gest. 1296). Die erste besondere Schrift zum Strafrecht stammt von R o l a n d i n u s de Romaneiis (gest. 1284) „De ordine maleficiorum" ; die Schrift selbst ist nicht erhalten (v. H i p p e l 92, Anm. 4). Auf der Arbeit der Glossatoren bauen auf die sogenannten Postglossatoren oder K o m m e n t a t o r e n von etwa 1250—1450. Es ist nicht mehr das reine römische Recht, dem ihr Interesse gilt : sie führen uns das Recht ihrer Gegenwart vor Augen, die generalis consuetudo ihrer Zeit auf Grund des ius utrumque, aber zugleich unter dem Einfluß deutscher, d. h. langobardischer, Rechtsquellen, der italienischen Stadtrechte und des heimischen Gerichtsgebrauchs. Sie sind „wissenschaftliche Bearbeiter, Lehrer und kundige Praktiker des geltenden gemeinen italienischen Rechts, arbeitend mit der Praxis und für die Praxis" (Engelmann). In dieser für die praktischen Bedürfnisse der Zeit verarbeiteten Gestalt ist das römisch-kanonische Recht nach Deutschland gedrungen und hier rezipiert worden. Der „berühmteste und einflußreichste Kriminalist" (Engelmann) unter den Postglossatoren ist A l b e r t u s Gandinus (um 1300), Richter in Florenz, Bologna u. a. O. Von ihm stammt das erste und grundlegend wichtige strafrechtliche System: „De maleficiis". Es folgen zeitlich die drei Großen: Cinus (1270—1335), sein Schüler Bartolus (1814—1357) und dessen Schüler Baldus de U b a l d i s (1328—1400). Als das bedeutendste strafrechtliche System wird bezeichnet das des Angelus A r e t i n u s (gest. 1450), tätig als Richter und als Professor: „Tractatus de maleficiis". Von Einfluß nach der Rezeption ist J u l i u s Clarus (1525—1575) 80 . Eine Darstellung des Postglossatorenrechts gibt v. H i p p e l , betont aber, daß für eine Gesamtdarstellung die erforderlichen Grundlagen heute erst teilweise gelegt sind (92 und 95 ff.). 18 Über die Gottesfrieden (treuga dei) — seit dem 11. Jahrh. — als Vorläufer der Landfrieden siehe v. H i p p e l 85, über Streitfragen zur Herkunft des kanonischen Inquisitionsprozesses daselbst 88—89. 18 Literatur: v. H i p p e l 90 ff. mit den dort Zitierten. Löf fier, Die Schuldformen des Strafrechts Bd. I (1895). E n g e l m a n n , Die Schuldlehre der Postglossatoren (1895) mit Übersicht über die wichtigsten italienischen Juristen des Mittelalters S. 10—16. Der geistige Urheber des Verbrechens nach dem italienischen Recht des Mittelalters (1911). Irrtum und Schuld nach der italienischen Lehre und Praxis des Mittelalters (1922). K a n t o r o w i c z , Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik Bd. I (1907), I I (1926), sowie Zeitschrift der Savigny-Stiftung Germ. Abt. 1924, S. 224ff. 80 Näheres v. H i p p e l 93—94 und 97 und weitere Juristen bei Engelmann a. a. O.

16

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte de

Strafrechts.

IV. D i e R e z e p t i o n der F r e m d r e c h t e und das 16. und 17. J a h r h u n d e r t (Carolina u n d gemeines deutsches R e c h t ) 2 1 . Das kanonische Recht war schon vor der eigentlichen Rezeption in den geistlichen Gerichten Deutschlands geltendes Recht. Die Rezeption der Fremdrechte im Übrigen, d. h. die Rezeption des römisch-italienischen Rechts in der Bearbeitung der Glossatoren und Postglossatoren, hatte verschiedene Ursachen. Die R e f o r m b e d ü r f t i g k e i t des bestehenden einheimischen Rechts lenkte die Blicke nach außen. Dabei bedeutet die Rezeption des römischen Rechts nur eine Teilerscheinung der Renaissance, der Wiedererweckung des Interesses für und der Beschäftigung mit dem klassischen Altertum in Kunst und Wissenschaft. I m römischen Reich deutscher Nation als Fortsetzung des alten römischen Reichs erschienen die deutschen Kaiser als Nachfahren der römischen Kaiser und damit das „kaiserliche R e c h t " als ihr Recht. Praktisch entscheidend für die Rezeption wird die Entstehung des Juristenstandes, wie er im ius utrumque zunächst an den italienischen Universitäten (Bologna) und später an den ihnen nachgebildeten deutschen Universitäten erzogen wurde und nach und nach die alten einheimischen Schöffen in der Rechtspflege verdrängte 22 . Seit dem Ende des 14. Jahrh. entwickeln die Juristen und später die Juristenfakultäten eine ausgedehnte Spruchpraxis zuerst in geistlichen, dann in weltlichen Sachen 28 . Von großem Einfluß auf die Rezeption wurde endlich eine ausgedehnte populäre L i t e r a t u r für Halbgelehrte und Laien (Schöffen). Als älteste systematische populäre Darstellung wird genannt 24 die wahrscheinlich 1340—1348 vom Verfasser für seine Söhne geschriebene Summa legum des R a y m u n d von W i e n e r - N e u s t a d t , ein Lehrbuch des Privat- und Strafrechts. Vor allem aber ist wichtig der von Sebastian B r a n t 1516 herausgegebene Klagspiegel (verfaßt um 1425 von einem Stadtschreiber in Schwäbisch-Hall) und Ulrich TenglersLaienspiegel von 1509 bis 1511, beide in der Folge die gebräuchlichsten Hilfsmittel der unteren Praxis. I m Gegensatz zu der mehr gewohnheitsrechtlich sich vollziehenden Rezeption im Gebiete des Privatrechts und Zivilprozesses geschieht diejenige im Straf recht und Strafprozeß in einer umfassenden Gesetzgebung. Zunächst sind es P a r t i k u l a r g e s e t z e : die Wormser Reformation 1498, die Halsgerichtsordnung für Tirol 1499, die Halsgerichtsordnung für Radolfzell 1506 und andere 26 , alle aber überragend die „mater Carolinae", die H a l s g e r i c h t s o r d n u n g für das Bist u m Bamberg, C o n s t i t u t i o Griminalis Bambergensis, GCB von 1507 des fränkischen Ritters Johann F r e i h e r r zu Schwarzenberg und H o h e n landsberg (1463—1528: näheres bei v. H i p p e l 165—170 mit Lit.). Nach mancherlei Vorarbeiten (Wormser Entwurf 1521, Nürnberger Entwurf 1524, Speier 1529, Augsburg 1530) 2 6 greift die Reichsgesetzgebung ein und schafft 21

Lit. ν. H i p p e l 157—158, 159ff., v. L i s z t - S c h m i d t 48ff. sowie die dort und im Folgenden angegebenen Schriften. 22 Über die Entwicklung der Universitäten und des Rechtsstudiums an ihnen siehe v. H i p p e l 161 und S t i n t z i n g I, 21. 23 Näheres v. H i p p e l 161, Anm. 4. Satirische und andere Kritik an den Juristen: S t i n t z i n g I, 3, 69ff. Zum Ganzen: Stölzel, Die Entwicklung des gelehrten Richtertums in den deutschen Territorien Bd. I, I I (1872). 24 Vgl. v. H i p p e l 162—163. 26 Näher v. H i p p e l 164, v. L i s z t - S c h m i d t 49. 26 Vgl. B r u n n e n m e i s t e r , Die Quellen der Bambergensis 1879. G ü t e r b o c k , Die Entstehungsgeschichte der Carolina 1876. v. H i p p e l 172—173 (über den Widerstand der Städte daselbst Anm. 2: sie wehren sich dagegen, „alle Übelthäter zu harzen und zu pflanzen"). Schröder-v. K ü n ß b e r g 969ff.

2. Die strafrechtliche Entwicklung bis zum Aufklärungeitalter.

17

auf der Grundlage der Bambergeneie des „Keyser Karle des fünfften und des heyligen Römischen Reichs peinlich gerichts Ordnung", Karls V. Peinliche

Gerichtsordnung, PGd Leipzig. Eingehend beschreibt Nagler sein Leben und seine Wirksamkeit im GerS Bd. 91, S. 1—66 8 . Über seine Werke — Handbuch, Grundriß, Lehrbuch, Die Normen und die im Jahre 1915 gesammelten Abhandlungen — gibt das Literaturverzeichnis Auskunft. I m Herbst 1872 erschien der erste Band des großen, heute in vier Bänden vorliegenden Werkes: „Die Normen und ihre Übertretung", das mit einer erstaunlichen Gelehrsamkeit die strafrechtliche Grundauffassung seines Verfassers entwickelt und eine unerschöpfliche Fundgrube geschichtlichen Strafrechtswissens bildet 4 . B i n d i n g erweist sich, wie er es später einmal selbst ausgesprochen hat, als „einseitiger Vertreter des Rechts und des Strafrechts insbesondere" (Grd. 1913 S. V.). Er unterscheidet den Rechtsbefehl, die „ N o r m " vom Strafgesetz, d. h. von der Strafdrohung; jene Norm begründet das Gehorsamsrecht des Staates und die Gehorsamspflicht des Untertanen, deren Verletzung die entscheidende Voraussetzung der Strafe ist. Binding gehört zu denjenigen kriminalistischen Schriftstellern, die am entschiedensten die Ableitung der juristischen. Begriffe aus den Sätzen des geltenden Rechts verlangt und am entschlossensten und folgerichtigsten durchgeführt haben; „vielleicht hat niemand von uns — meint v. Liszt — die reiche Fundgrube der Gesetze und Verordnungen mit solchem Fleiß und mit so glücklichem Forscherblick durchgearbeitet wie er". So ist B i n d i n g der glänzende Vertreter einer juristisch-positiven'Methode im Strafrecht der neueren Zeit : anschließend an die historisch-empirische Arbeitsweise seines Leipziger Kollegen v. Wächter sucht er den positiven Rechtsstoff bis zum letzten. auszuschöpfen, und „gründet seine ganze wissenschaftliche Existenz auf die pietätvolle Liebe zum geltenden Recht". Eine schärfere Zuspitzung erfuhren die gegensätzlichen Betrachtungsweisen des Strafrechts, als seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der K a m p f der Strafrechtsschulen, der sogenannten klassischen und der sogenannten modernen Schule, lebhaftere Formen annahm. Durch ihre Betonung der Kontinuität der Gesetzesentwicklung erscheint dabei die klassische Schule als Vertreterin einer vorwiegend h i s t o r i s c h e n Richtung δ . Mit Beziehung " B i n d i n g , Grd. 2. Aufl. (1878) S. 94 und H ä l s c h n e r , Gem. Strafr. Bd. I. (1881) S. 4; siehe bei v. H i p p e l 474 Anm. 4 u. 5, 479. 8 Siehe auch Bindings eigene Äußerungen in DJurZtg 1909 S. 1005; Wichtiges zum Bilde seiner Persönlichkeit ferner in dem Buche seines Dichter-Sohnes R u d o l f G. B i n d i n g , Erlebtes Leben 1928. 4 Es sollte eine Studie über die Fahrlässigkeit im Strafrecht werden und lag 1865 als Inhaltsverzeichnis auf des Vaters Weihnachtstisch. 1919 erschien der IV. Band: Die Fahrlässigkeit; siehe dort die Vorrede vom 4. Juli 1919. 6 Die Bezeichnung „klassische" Richtung rührt nach Rieh. S c h m i d t , Grd. 42 von dem Anschluß der konservativen Richtung an römisches Recht, Italiener, Carolina und an die deutsche (idealistische) Philosophie her. Sie wird für die deutsche Entwicklung der Fülle der Beziehungen und Gedanken nicht gerecht. Siehe auch O b o r n i k e r , ZStW X X X V I . 159ff. I m übrigen ausführlich zu diesem Kampf der Straf rechtsschulen mit reicher Literatur: v. L i s z t -

32

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts

auf die beginnende Straf rechtsreform erschien die von B i r k m e y e r und Ν a gl er herausgegebene Schriftreihe „Kritische Beiträge zur Straf rechtsreform". Sie will nach der Vorbemerkung der Herausgeber „die deutschen Gegner der soziologischen Ideen zu einer gemeinsamen umfassenden und eingehenden Prüfung und Widerlegung der von den Soziologen propagierten, teils unklaren und unausgegorenen, teils irrigen und die Gesetzgebung zu gefährlichen Experimenten verführenden Lehren aufrufen" und „eine gesunde, die k o n t i n u i e r l i c h e F o r t e n t w i c k l u n g wahrende Reform unseres materiellen Strafrechts fördern" 6 . Schmidt 26ff. und v. H i p p e l I. 479ff., 484—485. Die biographischen Notizen im nachfolgenden Text beziehen sich mit der Abkürzung „Selbstdarstellungen" auf Bd. I — I I I der von P l a n i t z herausgegebenen Bücherreihe : „Die Rechtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen" (1924—1929). 6 H e f t 1: Beling (Selbetdarsteilungen Bd. I I ; Professor in München), Die Vergeltungsidee und ihre Bedeutung für das Strafrecht 1908. H e f t 2: H ö g e l , Die Einteilung der Verbrecher in Klassen 1908. H e f t 3: H e i l b o r n (Professor in Breslau), Die kurze Freiheitsstrafe 1908. H e f t 4: v. Overbeck (Professor in Freiburg in der Schweiz), Die Erscheinungsformen des Verbrechens im Lichte der modernen Strafrechtsschule 1909. H e f t 5: K ö h l e r (Professor in Erlangen), Der Vergeltungsgedanke und seine praktische Bedeutung 1909. H e f t 6: Schötensack (Professor in Tübingen), Unbestimmte Verurteilung 1909. H e f t 7: B i r k m e y e r (gest. 1920; österr. Ztschr. 8,419) Studien zu usw.: Nicht die Tat, sondern der Täter ist zu bestrafen 1909. H e f t 8: Wasserm a n n , Begriff und Grenzen der Kriminalstatistik 1909. H e f t 9: A l l f e l d (Professor in Erlangen), Der Einfluß der Gesinnung des Verbrechers auf die Bestrafung 1909. H e f t 10: Gretener (Professor in Bern und Breslau), Die neuen Horizonte im Strafrecht 1909. H e f t 11: K ö h l e r (gest. 1919, Arch, für Strafr. 68, 196), Gedanken über die Ziele des heutigen Strafrechts 1909. H e f t l 2 : L e o n h a r d , Die modernen Strafrechtsideen und der Strafvollzug 1910. H e f t 13: v. R o h l a n d (Professor in Freiburg), Die soziologische Strafrechtslehre 1911. H e f t 14: Nagler (Professor in Breslau), Verbrechensprophylaxe und Strafrecht 1911. H e f t 15: Rieh. S c h m i d t (Professor in Leipzig), Die Strafrechtsreform in ihrer staatsrechtlichen und politischen Bedeutung 1912. H e f t 16: B i r k m e y e r , Schuld und Gefährlichkeit in ihrer Bedeutung für die Strafbemessung 1914. — Von den genannten Schriftstellern sei als hierher bedeutsam noch erwähnt: B i r k m e y e r , Schutzstrafe und Vergeltungsstrafe GerS. Bd. 67 (1906). Strafe und sichernde Maßnahmen Rektöratsrede 1906. Was läßt v. Liszt vom Strafrecht übrig ? 1907. Beiträge zur Kritik des Vorentwurfs 1910. G r e t e n e r , Die Zurechnungsfähigkeit als Gesetzgebungsfrage 1897. Die Zurechnungsfähigkeit als Frage der Gesetzgebung. Eine Replik. 1899, Die neuen Horizonte s. o. 1909. Die Zurechnungsfähigkeit im Vorentwurf 1910. Ursprung und Bedeutung der soziologischen Schule des Straf rechts. Binding-Festschrift 1911. Die neuen Horizonte im Strafrecht und die Strafgesetzgebung GerS. 90, 197 von 1924. N a g l e r , Die Strafe I. 1918. Rieh. S c h m i d t , Die Aufgaben der Strafrechtspflege 1895. Die Rückkehr zu Hegel und die strafrechtliche Verbrechenslehre (GerS. Bd. 81) 1913. — Weiter seien in diesem Zusammenhang genannt: ö t k e r (Professor in Würzburg; Selbstdarstellungen Bd. I I I ) , Rechtsgüterschutz und Strafe ZStW X V I I . 493 (1897), Strafe und Lohn (1907). Finger (Professor in Halle), Verbrechen und Strafe GerS 71, 22 (1908). W a c h e n feld (Professor in Rostock). W a c h (Professor in Leipzig, gestorben 1926; JurWo. 55, 1097), Die kriminalistischen Schulen (1902). K a h l (Professor in Berlin), DJurZtg V I I . 301 (1902). v a n Calker (Professor in Straßburg und München), Vergeltungsidee und Zweckgedanke (1899). v. Bar (Professor in Göttingen, Nachruf von Köhler, GerS 83, 241).

§ 4. Die Strafrechtswissenschaft seit dem B e e h e n des Reichsstrafgesetzbuchs. 33 Während nämlich die Klassiker i m engeren Sinne in der Betonung des geschichtlich Positiven das Mittel zur Abwehr neuer kriminalpolitischer Tendenzen suchen, verbindet sich von Anfang an mit ihnen vielfach in gleicher Richtung der l i b e r a l - r e c h t s s t a a t l i c h e Gedanke, der im Gesetz den festen Wall gegen willkürliche Eingriffe der Staatsgewalt sucht und findet. Namen wie Richard S c h m i d t , G e r l a n d , v a n Calker. aber auch K a h l und W a c h weisen nach dieser Seite. Dies gilt im weiteren Verlauf der deutschen Strafrechtsreform insbesondere für die im Jahre 1925 gegründete Deutsche S t r a f r e c h t l i c h e Gesellschaft 7 . Die Satzungen dieser Gesellschaft sagen in § 1: Die Deutsche Strafrechtliche Gesellschaft steht auf dem Boden der geschichtlich bewährten und verfassungsmäßig begründeten Rechtsstrafe und.erachtet unter Ablehnung schrankenlosen richterlichen Ermessens zur Bekämpfung der Kriminalität neben den Strafen und von ihnen geschieden vorbeugende Maßnahmen für geboten. Es ist der Gedanke des Rechtsstaates und der notwendigen Sicherung individueller Freiheit, der im Einklang mit § 2 Abs. 1 StGB und Art. 116 RVf den einseitigen p o l i z e i s t a a t l i c h e n Tendenzen gewisser soziologischer Richtungen im modernen Strafrecht entgegentritt, ein Bestreben* das im übrigen ebenso von Vertretern anderer Richtungen geteilt wird 8 . 2. Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrh. gewinnt neben den genannten Richtungen ein naturalistisch-soziologischer Positivismus für die strafrechtlichen Anschauungen maßgebende Bedeutung. Man pflegt die unter seiner Einwirkung stehenden Schulen, namentlich im Gegensatz zur sogenannten klassischen Schule, die modernen Strafrechtschulen zu nennen9. Wieder ist es wie in den Zeiten der Aufklärung das mächtige Aufblühen und der beispiellose Erfolg der Naturwissenschaften, die den Blick auf sich ziehen und den Wunsch nach einer entsprechenden Gestaltung der Sozialwissenschaften erwecken. Beherrschend im Mittelpunkt dieses wissenschaftlichen Denkens steht die Erfassung der Wirklichkeit unter kausalwissenschaftlichem Gesichtspunkt, steht der Gedanke einer alles beherrschenden Macht des Kausalgesetzes. Wir verstehen demgemäß unter dem naturalistisch-soziologischen Positivismus im Straf recht diejenige Gedankenrichtung, welche das Rechtsleben nicht sowohl aus den geschichtlich gewordenen Daseinsformen der Gesellschaft, sondern aus 7 Siehe dazu näher: GerS. Bd. 91 S. 321 ff. ( ö t k e r ) . Richard S c h m i d t , DJurZtg. X X X . 1291. R a d b r u c h , DJurZtg. X X X . 1286. K o h l r a u s c h , ZStW. 46, 296. K a h l , Mitteil. I KV. N. F. 1, 89. v. L i s E t - S e h m i d t 93 (die dort in bezug genommene Erklärung GerS. 91, 322—323 ist nur von einem T e i l der Mitglieder unterzeichnet). Siehe außer den in der früheren Anmerkung schon Genannten: Träger (Professor in Marburg), Schriften und Biographisches in dem Nachruf GerS. 94, 321. 8 Siehe K o h l r a u s c h , Reform 1926 S. 3 und Rede vom 18. 1. 1927 „Über Straf rechtsreform". 9 Meist spricht man in Beziehung auf sie vom „Positivismus", von „positivistischen Richtungen", von „scuola positiva" usw. schlechthin. Das ist ungenau und irreführend; denn auch der historische Positivismus (1) ist positivistisch, d. h. auf Anschluß an das Gegebene — hier der Geschichte, dort der Natur — gerichtet, und es ist eine sehr feine und zutreffende Bemerkung, wenn Erik W o l f , Strafrechtliche Schuldlehre I. (1928) S. 18 in dieser Hinsicht davon spricht, daß die Wirkung der beiden großen Gegner B i n d i n g und v. L i s z t „vom problemgeschichtlichen Blickpunkt aus überraschend wesensgleich erscheint". Siehe im übrigen zu diesem Abschnitt: T h o t , Die Positivistische Strafrechtschule, Archiv für Kriminolog. Bd. 61 S. 193, Bd. 62 S. 1. 113. 203 (1915).

M e z g e r , Lehrbuch des Strafrechte.

3

34

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte de Strafrechts.

den „natürlichen" biologischen und soziologischen Gesetzen des einzelnen und kollektiven Lebens verstehen und einrichten will. Daß diese Richtung dem Überkommenen gegenüber nicht konservativ und bewahrend, sondern reformatorisch, wenn nicht umstürzend eingestellt ist, leuchtet ein. Auch für den modernen naturalistisch-soziologischen Positivismus gelten wieder die Eingangsworte von Rousse aus Contrat social: daß er das überkommene Recht betrachtet „en prenant les hommes tels qu'ils sont et les loix telles qu'elles peuvent être". So kann es nicht verwundern, daß die Interessen der neuen Richtungen weniger nach der Seite einer Dögmatik des geltenden Rechts, als nach derjenigen einer aktiven K r i m i n a l p o l i t i k gehen. Bezeichnenderweise ist es kein Jurist, sondern ein Mann der Naturwissenschaften, der die neue strafrechtliche Zeit einleitet: der Turiner Arzt Cesare Lombroso, geb. 1835 und gest. 1909 10 . Er ist der Begründer der sogenannten k r i m i n a l a n t h r o p o l o g i s c h e n Straf rechtsschule. Seine Lehre geht dahin: daß e» geborene Verbrechernaturen gibt und daß dieses Verbrechertum an ganz bestimmten, äußerlich wahrnehmbaren körperlichen und geistigen Merkmalen erkennbar ist. Der Verbrecher ist nach dieser Auffassung eine besondere Varietät, ein eigener anthropologischer Typus des Menschen, eine besondere Species generis humani. Diese äußerlich und körperlich erkennbare Eigenart läßt ihren 10

Frühere Untersuchungen über Verbrechergehirne und Mörderschädel (Schwekendiek, M. Benedikt) erwähnt v. L i s z t , Aufsätze I . 301 und v. L i s z t - S c h m i d t 11 Anm. 2, lehrreiche Darstellung der Entstehungsgeschichte seiner eigenen Lehre im Anschluß an 4die allgemeine Entwicklung der Anthropologie in den vierziger Jahren (Virchow in Deutschland, Broca in Frankreich, Davis in England) gibt Lombroso selbst in ZStW. 1.108ff. I I I . 457ff. (1881/83). —* Biographisches über Lombroso: Ginà L o m b r o s o - F e r r e r o , Cesare Lombroso, Storia della vita e delle opere, narrata dalla figlia. Torino 1915. Weshalb mein Vater Gelehrter wurde? MonKrimPsy. V I I I . 321. K u r e l l a , Cesare Lombroso als Mensch, und Forscher. Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens Heft 73 (1910). Cesare Lombroso, a modern man of science. London 1911. Siehe auch: Naturgeschichte des Verbrechers (1893) und Anthropologie und Strafrecht (1912). — Hauptwerk Lombrosos: Uomo delinquent e. In 1. Auflage 1871 bis 1876 in den Atti dell'Istituto Lombardo erschienen, 2. Aufl. 1378, 3. Aufl. 1884, 5. Aufl. 1896; deutsch von F r ä n k e l , Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung 1887. Weitere Werke kriminalanthropologischer Art in den angegebenen Schriften. Erwähnenswert insbesondere: Ursachen und Bekämpfung des Verbrechens, deutsch von Kurella und JTentsch 1902. — Über Lombroso siehe: v. L i s z t , Aufs. I. 30Iff., I I . 436ff.; v. L i s z t S c h m i d t , Lb. l l f f . ; v. H i p p e l I. (1925) 404, 481, 536—-538; Aschaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung 3. Aufl. (1923) S. 190—226, eingehend und wertvoll ; von älteren Schriften namentlich das ausführliche Werk des Berliner Gefängnisarztes B a er, Der Verbrecher in anthropologischer Beziehung (1893); ferner Bleuler, Der geborene Verbrecher (1896); F r a n k , Die Lehre Lombrosos (1902); Sommer, Kriminalpsychologie (1904)S. 310ff. und ZStW. X X X I . 125; Η ο che, Handb. dergerichtl. Psychiatrie S. 5 und 550 (1909); B i r n b a u m , Kriminalpsychopathologie S. 141 und 153 (1921), Die psychopathischen Verbrecher 2. Aufl. S. 150—158 (1926); W u l f f en, Kriminalpsychologie S. 127ff. (1926) ; T h o t , Archiv für Kriminologie 61, 193 und 62,1,113, 203; Gaupp, Über den heutigen Stand der Lehre vom geborenen Verbrecher MonKrimPsy. I. 33. y. R o h d e n , Lombrosos Bedeutung für die moderne Kriminalbiologie. Arch, für Psychiatrie 92, 140 (1930) Mezger, Moderne Strafrechtsprobleme S. 11—12.

S 4. Die Strafrechtswissenschaft seit dem Bestehen des Reichsstrafgesetzbuchs. 35 Träger mit unentrinnbarer Naturnotwendigkeit zum Verbrecher, wenn auch zum unentdeckten, werden. Die Natur schafft den Verbrecher, die Gesellschaft gibt ihm nur die Bedingungen, Verbrechen zu begehen. In diesem Kernpunkt ist Lombrosos Lehre stets dieselbe geblieben, wenn sie im Einzelnen auch mannigfach gewechselt und den Verbrecher bald mehr als einen Wilden, einen atavistischen Rückschlag in die Uranfänge des Menschengeschlechts mit seinen kannibalischen Trieben, bald mehr als Ebenbild des Kindes mit seiner naiven Gefühllosigkeit andern gegenüber, bald psychiatrisch mehr als Epileptiker mit seiner explosiven Affektivität gesehen hat. Die kriminalpolitischen Folgerungen dieser Lehre sind einfach und radikal : wenn es diesen geborenen Verbrecher als besondere Species generis humani gibt, dann muß er, bevor er noch Gelegenheit gehabt hat, ein Verbrechen zu begehen, aus jeder sozialen Gemeinschaft ausgeschieden werden ; das überkommene Strafrecht mit seinem Tatprinzip erweist sich demgegenüber in jeder Beziehung als irrig und verfehlt. Lombroso ist auf seinem eigenen Gebiete der etapirisch-naturwissenschaftlichen Forschung widerlegt und geschlagen worden, insbesondere durch die sorgfältigen und ausgedehnten Untersuchungen von B a e r. Den von ihm behaupteten Verbrechertyp gibt es nicht; weder zeigen alle Verbrecher die angeblichen Verbrechermerkmale, noch fehlen diese in der nichtkriminellen Bevölkerung. Mag es auch „geborene Verbrecher" in dem Sinne geben, daß gewisse Menschen kraft ihrer Naturanlage fast mit Notwendigkeit zum Verbrechen getrieben werden, so kehrt doch unter ihnen die ganze Fülle menschlicher Persönlichkeitsartung wieder. Nicht gibt es eine besondere Spezies „Verbrecher", sondern es gibt nur innerhalb eines jeden menschlichen Typs verbrecherische Ausstrahlungen der jeweils besonderen Menschenartung. So hat auch Lombrosos eigene juristische Schule in Italien, die in Enrico F e r r i und i n R . Garofalo ihre hervorragendsten Vertreter gefunden hat, neben dem kriminalanthropologischen Verbrechensfaktor die soziologischen und die sonstigen äußeren Faktoren des Verbrechens ausgiebig betont. Und der „Progetto preliminare di Codice penale Italiano" von 1921, in dem diese Richtung ihren gesetzgeberischen Niederschlag finden sollte, ist, so radikal er sich gibt, doch im Grunde wieder in die Bahnen des traditionellen Straf rechts mit seinem Tatprinzip eingebogen und so zum „kompromittierenden Ausdruck" (Grünhut) der neuen Ideen geworden 11. Damit sind freilich die Anregungen, die Lombroso der Wissenschaft von Verbrechen und Strafe gegeben hat, nicht hinfällig geworden. Er hat zuerst und in eindrucksvoller Weise die große, in vielem noch ungelöste und noch zu lösende Aufgabe formuliert, den Verbrecher in seiner anthropologischen, richtiger: in seiner k r i m i n a l b i o l o g i s c h e n Eigenart zu erkennen und die zur Bekämpfung des Verbrechens bestimmten Mittel bewußt und zweckentsprechend dieser Eigenart anzupassen. In dieser Richtung suchen in Deutschland und Österreich Aschaffenburg, v. H e n t i g und in etwas veränderter Form die 1927 gegründete K r i m i n a l b i o l o g i s c h e Gesellschaft Persönlichkeitsforschung in das Strafrecht der Gegenwart zu tragen 12 . 11 Über F e r r i (Das Verbrechen als soziale Erscheinung, deutsch 1896) siehe den Nachruf von Daniel ZStW. 50, 475. Garofalo, Criminologia 2. Aufl. Turin 1891. Über den Progetto von 1921: Mezger, Mod. Strfrpr. 12, Anm. 10 und v. H i p p e l I. 53 2 ff. mit weiterer Literatur. Grün h u t , Art. Kriminalpolitik im Hdw. der RWiss. Zum Ganzen'auch Mezger, MonKrimPsy. X X I I . 43(Leipzig). 11 Aschaffenburg (Professor der Psychiatrie in Köln). Das Verbrechen und seine Bekämpfung. 3. Aufl. (1923). v. H e n t i g (Professor in Kiel), Strafrecht und Auslese (1914) und die von beiden herausgegebene Monatsschrift für K r i m i n a l p s y c h o l o g i e und Strafrechtsreform. Dazu auch v. L i s z t -

3*

36

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

Führer der strafrechtlichen Reformbewegung in Deutschland wurde Franz v. L i s z t , geboren als Sohn des späteren Generalprokurators in Wien 4851, Vetter des berühmten Komponisten, Schüler von Ad. Merkel, Glaser, Wahlberg und Ihering, Professor in Gießen (1879), Marburg (1882), Halle (1889) und Berlin (1899), gestorben 1919 18 . In seinem Marburger Universitätsprogramm von 1882 ,,Der Zweckgedanke im Strafrecht" (Aufsätze I. 126ff.) betonte er den damals herrschenden absoluten Strafrechtstheorien gegenüber die Notwendigkeit der Zweckbetrachtung und damit das Erfordernis einer den sozialen Zwecken angepaßten Kriminalpolitik. Die ,,Kriminalpolitischen Aufsätze" aus den Jahren 1889—1892 (Aufsätze I. 290 ff.) entwickeln das Programm im einzelnen, würdigen die Ergebnisse der Kriminalanthropologie und der Kriminalstatistik und nehmen Stellung ζμ den Problemen des Strafvollzugs, der kurzzeitigen Freiheitsstrafe und ihrer Ersatzmittel, de» Strafaufschubs, der Jugendlichenbehandlung usw. Ihre weitere Verbreitung fanden die v. Lisztschen Ideen in dem seit 1881 erschienenen „Lehrbuch" und in der ZStW. (seit 1881), ihre internationale Ausgestaltung in der 1889 gegründeten „ I n t e r n a t i o n a l e n K r i m i n a l i s t i s c h e n Vereinigung"14. S c h m i d t S. 14, Anm. 4. Ferner: M i t t e i l u n g e n der k r i m i n a l b i o l o g i s c h e n Gesellschaft Bd. I (Wien 1927), Bd. I I (Dresden 1928), Bd. I I I (München 1930, im Erscheinen) und Lenz (Professor in Graz) Grundriß der Kriminalbiologie (1927). Über Psychoanalyse und Strafrecht mit Literatur: Mezger in „Krisis der Psychoanalyse" (1928) S. 360ff. und SchweizZt. 44, 185ff. 13 Biographisches in den Nachrufen von v. H i p p e l , ZStW. 40, 529 und v. L i l i e n t h a l , Daselbst 40, 535. Werke: Lehrbuch, 1. A,ufL 1881 in der Gießener Zeit, während dieser 1881 auch Begründung der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, zusammen mit Dochow, später mit v. L i l i e n t h a i , ZStW. Bd. X X X I Î Festgabe zu v. Liszts 60. Geburtstag 1911. Das Lehrbuch liegt heute in 25. Aufl. (1927) von Eberhard Schmidt vor und ist ins Portugiesische, Neugriechische, Serbische, Russische, Japanische, Französische und Spanische übersetzt. In die Marburger Zeit fällt die 1889 (31. Dezember 1888) zusammen mit Ρ r ins -Brüssel und v a n H a m el- Amsterdam erfolgte Gründung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (IKV), sowie der Anfang des Kriminalistischen Seminars, das seinen Schöpfer später nach Halle und Berlin begleitete. Ferner: Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 2 Bände 1905. 14 Über deren Entwicklung bis 1905 vergleiche : K i t z i n g e r , Die Intèrnationale Kriminalistische Vereinigung 1905. Das Buch gibt einleitend die Entstehungsgeschichte, den äußeren Entwicklungsgang und die Grundanschauung der I K V und beschäftigt sich dann mit den Arbeiten 4er Vereinigung zur Erforschung des Verbrechens, der Verbrechensursachen und der Verbrechensbekämpfungsmittel. Weitere Literatur bei A l l f e l d Lb. 27, Anm. 4. Am 4. Januar 1914 wurde ein „neues Arbeitsprogramm" der I K V geschaffen (ZStW. X X X V . 720), der Weltkrieg- unterbrach die internationalen Beziehungen. Vgl. dazu' die Erklärung von ö t k e r und Finger im GerS. Bd. 83 S. 444. Bis dahin liegen aus der Zeit von 1889—1914 insgesamt 21 Bände „ M i t t e i l u n g e n der I K V . " mit Berichten über die zahlreichen internationalen Kongresse vor. Seither Mitteilungen der „Deutschen Landesgruppe" mit Tagungen in Gießen (1920), Jena (1921), Göttingen (1922), Hamburg (1924), Innsbruck (1925), Bonn (1926), Karlsruhe (1927), Breslau (1929). Über Begriff, Geschichte und Inhalt der K r i m i n a l p o l i t i k siehe im übrigen bei v. H i p p e l I. 534ff. (das Wort erscheint seit etwa 1800: S. 535 Anm. 1) und G r ü n h u t , Art. Kriminalpolitik im Hdwb. der RechtsW. Zum Streit der Straf rechtsschulen, wie früher, v. H i p p e l I. 484/85 und v. L i s z t - S c h m i d t 15—34. Zum Folgenden auch Mezger, Anlage und Umwelt als Verbrechensursache MonKrimPsy. X I X . 141 ff.

§ 4. Die Strafrechtswissenschaft seit dem Bestehen des Reichsetrafgesetzbuchs. 37 Gegen die einseitig kriminalanthropologische Auffassung des Verbrechens in der Lombrososchen Schule hat sich v. Liszt schon frühe gewandt: Aufsätze I. 301 ff. und I I . 436 ff. So auch das Lehrbuch S. 11—15. v. Liszt betont dieser Einseitigkeit gegenüber die Bedeutung der gesellschaftlichen, insbesondere der wirtschaftlichen Faktoren des Verbrechens und wird damit in Deutschland der Begründer der sogenannten kriminalsoziologischen Strafrechtsschule. Aber die methodische Grundlage des naturalistischen Positivismus, die kausalwissenschaftliche Einstellung, ist auch hier der leitende Gesichtspunkt wie bei den Italienern. Denn : Bekämpfung des Verbrechens durch Erforschung und durch Bekämpfung seiner Ursachen ist das Programm der neuen Richtung. Dem entspricht Art. I . 1 6 der Satzung der I K V . von 1897: die I K V . vertritt die Ansicht, daß sowohl das Verbrechen wie die Mittel zu seiner Bekämpfung nicht nur vom juristischen, sondern ebenso auch vom anthropologischen und soziologischen Standpunkt aus betrachtet werden müssen, und stellt sich zur Aufgabe die wissenschaftliche Erforschung des Verbrechens, seiner Ursachen und der Mittel zu seiner Bekämpfung. Mit der kausalwissenschaftlichen Forschung verknüpft sich aufs engste die k r i m i n a l p o l i t i s c h e Z w e c k b e t r a c h t u n g . Die Forderungen und Programmpunkte bewegen sich dabei in der Richtung des s p e z i a l p r ä v e n t i v e n Gedankens, d. h. der Bekämpfung des Verbrechens durch Einwirkung auf den einzelnen Verbrecher. Indem v. L i s z t endlich das Seinsollende nur als die Entwicklungsgesetze des Seienden kennt, zeigt er die kennzeichnenden Züge des Denkens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh. 1 ·. Die Jahrzehnte vor und nach der Jahrhundertwende werden damit die Zeit des lebhaft geführten „Schulenstreites" zwischen der sogenannten klassischen und der sogenannten modernen Strafrechtsschule. Zutreffender und richtiger, als es vielfach geschieht, wird der auch heute noch nachwirkende Gegensatz der Auffassungen als eine stärkere Betonung des g e n e r a l p r ä v e n t i v e n Zwecks der Strafe (Vergeltung und Strafe als Stärkung des Rechtsbewußtseins in der Allgemeinheit) und der l i b e r a l - r e c h t s s t a a t l i c h e n Aufgaben des Straf rechts auf der einen und als eine solche des s p e z i a l p r ä v e n t i v e n Zwecks der Strafe und der s o z i a l p o l i z e i s t a a t l i c h e n Aufgaben auf der anderen Seite gekennzeichnet. Die neuen, von v. Liszt in glänzender Form vorgetragenen Gedanken — seine „Aufsätze und Vorträge" zu lesen, ist ein literarischer Genuß — haben eine starke Anziehungskraft in der deutschen Strafrechtswissenschaft ausgeübt. Zahlreiche Schriftsteller der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart sind von ihnen nachhaltig beeinflußt. Die Verbindung zwischen einem deterministisch gefaßten Vergeltungsgedanken und gewissen Nachwirkungen der Hegeischen Philosophie mit der soziologischen Strafrechtsbetrachtung stellt Adolf M e r k e l (β. ο.) her* Auch Hermann Seuffert (Professor in Gießen, Breslau und Bonn, gest. 23. November 1902, Nachruf von v. Liszt ZStW. X X I I I . 323, Aufsätze I I . 448) hat sich der modernen Richtung mehr und mehr genähert, ebenso Dochow (Professor in Halle, gest. 2Q. Dezember 1881, Nachruf von v. L i s z t ZStW. I I . 1, Aufsätze I. 79) als Mitbegründer der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Als Mitarbeiter an dieser Zeitschrift und an der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung oder. persönlich dem V. Lisztschen Kreis nahestehend (Festgabe ZStW. X X X I I . ) seien genannt: v. L i l i e n t h a l (Professor in Heidelberg, Selbstdarstcllungen Bd. I I I ) , Ernst De la qui s (Professor in Hamburg), Rosenfeld (Professor in Münster, siehe 16 16

K i t z i n g e r S. 9. Siehe Meager, Sein und Sollen im Recht (1920) S. 38ff.

38

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte de

Strafrechts.

ZStW. X X X I I . 466), Kohlrausch (Profeseor in Berlin, Nachfolger v. Liszts), M i t t e r m a i e r (Professor in Gießen), H e i m b e r g e r (Professor in Frankfurt), R a d b r u c h (Professor in Heidelberg), K a n t o r o w i c z (Professor in Kiel), Te&ar (Professor in Königsberg), K i t z i n g e r (Professor in Halle; die I K V 1905), sowie der verdiente Herausgeber des v. Lisztschen Lehrbuchs Eberhard Schmidt (Professor in Hamburg). Bei der vorwiegend spezialpräventiven Einstellung der soziologischen Strafrechtsrichtung kann es nicht verwundern, daß durch sie die Wissenschaft vom S t r a f v o l l z u g eine wesentliche Neubelebung erfuhr. In dieser Richtung besonders Moritz L i e p m a n n (Professor zuletzt in Hamburg, Amerikanische Gefängnisse und Erziehungsanstalten, Hambg. Sehr. X I . 1927), K r i e g s m a n n (zuletzt Professor in Tübingen; Einführung in die Gefängniskünde 1913), G r ü n h u t (Professor in Bonn; F r e d e - G r ü n h u t , Reform des Strafvollzuges 1927), F r e u d e n t h a l (Professor in Frankfurt, gest. 13. Juli 1929, VDA I I I . 245) und James Goldschmidt (Professorin Berlin; V D A IV. 81 ff.). Auch zur österreichischen Strafrechtswissenschaft bestehen enge Beziehungen, so durch Franz E x n e r (Professor in Leipzig, Theorie der Sicherungsmittel 1914, Die psychologische Einteilung der Verbrecher, Schweiz. Ztschr. für Strafr. X X X V I I I . 1, Kriminalistische Abhandlungen seit 1926), Graf Gleispach (Professor in Wien, Mitherausg. der ZStW.), H o l d v. Fern eck (Professor in Wien). Einer vermittelnden Richtung gehören in ihrer Mitarbeit an der Strafrechtsreform wie in ihrer dogmatischen Bearbeitung des geltenden Strafrechts an: v. H i p p e l (Professor in Göttingen, Selbstdarstellungen Bd. I I ; Deutsches Strafrecht I. 1925. I I . 1930) und F r a n k (Professor in München, Selbstdarstellungen Bd. I I I ; Vergeltungsstrafe und Schutzstrafe und Die Lehre Lombroso*. Zwei Vorträge 1908)· 3. Das 20. Jahrh. hat das Bild der deutschen Strafrechtswissenschaft im Vergleiche mit den Jahrzehnten des heute selbst fast schon klassischen „Schulenstreits" verändert. Gegenüber dem Positivismus in beiderlei Gestalt, dem historischen wie dem naturalistisch-soziologischen, hat der rechtsphilosophische N e u k a n t i a n i s m u s zunächst in tiefschürfender Arbeit die methodische Selbständigkeit des Rechts gegenüber dem Nur-Positiven kritisch herausgestellt. Auf dieser Grundlage wendet sich das Interesse vielfach in engem Anschluß an die sogenannte südwestdeutsche Philosophie einer betont k u l t u r w i s s e n schaftlichen Betrachtung der Strafrechtsprobleme zu; man erkennt wieder das Reich der Werte und der Wertbeziehungen in seiner besonderen.Eigenart an. Von starkem Einfluß auf die juristische Begriffsbildung wird die Entdeckung des emotionalen Denkens durch Heinrich M a i er (1908). Alles in allem ist ein vertieftes S t r e b e n nach philosophischer O r i e n t i e r u n g sowohl i n erk e n n t n i s t h e o r e t i s c h e r wie w e r t t h e o r e t i s c h e r H i n s i c h t unverkennbar. Dieses Streben bedeutet nicht eine einfache Rückkehr zur alten spekulativen Strafrechtsbegründung. Die breite Erfahrungegrundlage, die das 19. Jahrh. und der Beginn des 20. Jahrh. in gewaltiger Geistesarbeit geschaffen haben, bleibt auch für das Strafrecht der Gegenwart ein unverlierbarer Besitz. Kritische Klärung auf Neukantisch-Stammlerecher Grundlage bringt das Buch von Graf P o h n a (Professor in Bonn) über die Rechtswidrigkeit als ein allgemeingültiges Merkmal im Tatbestande strafbarer Handlungen (1905). Die Grundlagen des Strafrechts von Sauer (Professor in Königsberg) heben nachdrücklich die besondere Eigenart kulturwissenschaftlichen Denkens gegenüber jeder Art von Positivismus hervor. Das „volitive" Denken legt B e l i n g seinem Buche über die Methodik der Gesetzgebung (1922) zugrunde. Besondere Förderung verdankt, wie bereits bemerkt, auch die Strafrechtswissenschaft in Verselbständigung des eigenen wertgerichteten Denken· der sogenannten sÜd-

§ 4. Die Strafrechtswissenschaft seit dem Bestehen des Reihstrafgesetzbuchs. 39 westdeutschen Kulturphilosophie von W i n d e l b a n d - R i c k er t 1 7 , die bei M. E. Mayer (zuletzt Professor in Frankfurt) und bei R a d b r u c h (Professorin Heidelberg, Grundzüge der Rechtsphilosophie 1914) das rechtswissenschaftliche Denken bestimmt und die entscheidende Grundlage von Erik Wolfs (Professor in Freiburg) Schuldlehre I. (1928) bildet. In anderer Richtung sind um rechtsphilosophische Vertiefung bemüht: A. B a u m g a r t e n (Professor in Frankfurt; Rede über das Wesen der Strafrechtswissenschaft 1925) und Coenders ( Prof e se or in Köln), der an Feuerbach anschließt. Insbesondere erfahren die methodologischen Grundlagen der strafrechtlichen Begriffsbildung und die Fragen nach gesetzlicher Bindung auf der einen und freieren Gestaltungsformen der Auslegung auf der andern Seite im einzelnen lebhafte Erörterung. Schon Hegler ZStrW. X X X V I 20 ff. hat auf die Notwendigkeit teleologischer Begriffsbildung im Strafrecht verwiesen. G r ü n h u t untersucht in seiner Jenaer Antrittsrede (1926) und in seinem Aufsatz über die Methodischen Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft (FrankFestgabe 1930) die „normativen" Elemente der strafrechtlichen Tatbestände und wendet sich ebenso gegen die ausschließlich soziologische Begriffsbildung mit ihrem „Gorgonenhaupt der Macht" wie gegen den reinen Formalismus des positiven Gesetzes; ihm sind die Begriffe des „Rechtsguts" und des , / k r i m i n e l l e n Gehalts" die methodologischen Hilfsmittel einer relativen Normierung. Ähnlich tritt bei Erik W o l f Strafrl. Schuldlehre I, S. 9 und RGFestgabe Bd. V, S. 44ff. neben das Gesetz das „ S y s t e m " als eigener Wert. In die gleiche Richtung normativer Gestaltung der Rechtsbegriffe weist Mezger, Der psychiatrische Sachverständige (1918). Vom Sinn (1926) und RGFestgabe 1929 und Eberhard S c h m i d t , Frank -Festgabe 1930 Bd. I I , S. 106. Eingehend untersucht neuerdings im einzelnen Schwinge die Fragen der teleologischen Begriffsbildung im Strafrecht. In solcher Überwindung eines einseitigen Positivismus, in der Erkenntnis, daß die strafrechtlichen Begriffe niemals aus dem Gesetz allein ihren maßgebenden Inhalt empfangen, daß nicht die Lückenlosigkeit, sondern die Lückenhaftigkeit dem positiven Gesetz wesentlich ist, liegt ein kennzeichnender Zug der modernsten Strafrechtswissenschaft. Dabei handelt es sich nicht um die Aufstellung eines willkürlichen Freirechts, sondern um eine vertiefte Einsicht in die dem positiven Gesetz von Natur gezogenen Schranken. Damit aber sind Probleme berührt, deren nähere Behandlung und Entwicklung in die Einzelfragen des geltenden Rechts führen und so den Gegenstand erst der nachfolgenden Darstellung bilden müssen. Hier endet der geschichtliche Ü b e r b l i c k und verlangt seine Fortsetzung im System. I I . Auf dieser Grundlage ergibt sich für das geltende deutsche Strafrecht folgende L i t e r a t u r (Neues zur 2. Auflage siehe im Vorwort; dazu G e r l a n d , 2. A. 1932): 1. Ausgaben und K o m m e n t a r e des Strafgesetzbuchs: an erster Stelle steht die Textausgabe von Kohlrausch, früher v. L i s z t - D e l a q u i s , 29. Auflage 1930 (Guttentagsche Sammlung W. de Gruyter & Co., Berlin) mit vorzüglich knappen Anmerkungen und mit Nebengesetzen. Dazu jetzt: Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der ersten Lesung des Ausschusses usw. 1930. S t a u d i n g e r - S c h m i t t , 16. Auflage 1930 (Beck München), mit Erläuterungen und Anhang. S c h m i t t , Sammlung von Reichsgesetzen strafrechtlichen Inhalts, 3. Auflage 1925 (Beck, München). 17 W i n d e l b a n d , Geschichte und Naturwissenschaft 1894. R i c k e r t , Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft 6 . - 7 . Aufl. 1926. Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. 5. Aufl. 1929. Der Gegenstand der Erkenntnis. 4.—5. Aufl. 1921.

40

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

H o n i g , 2. Auflage 1926 (Bensheimer, Mannheim), mit Nebengesetzen und zwei Nachtr. bis 1927. Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 1930 (Bensheimer, Mannheim), Textausgabe mit einigen Nebengesetzen. I m gleichen Verlag (Bensheimer, Mannheim): Kiesow, Jugendgerichtsgesetz 1923, 2. Auflage in Vorbereitung (November 1930). S c h ä f e r - L e h m a n n , Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten 1928. Ferner: S c h ä f e r - H ä r t u n g , 2. Auflage 1924 (Stilke, Berlin). D a u d e , mit den Entscheidungen des Reichsgerichts, 16. Auflage 1927 (Müller, Berlin). D a l c k e , 22. Auflage 1930. Olshausen (mehrere Bändchen, insbesondere Band IV. Die Reichsstrafnebengesetze) 9. Auflage 1912 (Vahlen, Berlin). D ö r r , 2. Auflage 1912. B i n d i n g - N a g l e r 1912. A l l f e l d , Strafgesetzgebung, 3. Auflage 1926. Führender Lehrkommentar: F r a n k , 1. Auflage 1897, 17. Auflage 1926, im Erscheinen 18. Auflage seit 1929. Kommentare der Praxis: L e i p z i g e r K o m m e n t a r von E b e r m a y e r , Lobe und Rosenberg, 4. Auflage 1929. Olshaus-en 1. Auflage 1880, 11. Auflage, zwei Bände, neu bearbeitet von Lorenz u. a. 1927. S c h w a r t z , 1914. Heute veraltet: v. Schwarze, 5. Auflage 1884. O p p e n h o f f - D ç l i u s , 14. Auflage 1901. R u b o , 1879. R ü d o r f f - S t e n g l e i n , 4. Auflage 1892. Zu den Nebengesetzen: Stenglein, Kommentar zu den Strafrechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reiches Bd. I. I I . 5. Auflage von Ebermayer u. a. im Erscheinen 192 6ff. 2. Grundrisse und L e h r b ü c h e r des Strafrechts. Kürzere, mehr g r u n d r i ß artige Darstellungen von Be ling, Grundzüge des Straf rechts 11. Auflage 1930. G e r l a n d , Deutsches Reichestraf recht 1922. Rieh. S c h m i d t , Grundriß des deutschen Strafrechts 1925, 2. Aufl. im Erscheinen, v a n Calker, Strafrecht, 3. Auflage 1927. Paul M e r k e l , Grundriß des Strafrechts Teil I. Allgemeiner Teil. 1927 D ö r r , Deutsches Strafrecht, Allg. Teil, 2. Auflage 1930. Bes. Teil 1920. Josef K o h l e r , Leitfaden des deutschen Strafrechts 1912. Seuffert in Strafgesetzgebung der Gegenwart Bd. I. 1894. B i r k m e y e r , Grundriß, 7. Aufl. 1908. Derselbe in seiner Enzyklopädie, 2. Auflage 1904. v. L i l i e n t h a l , 4. Aufl. 1916. W a c h e n f e l d in Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie, 7. Auflage 1915. Geyer, Grundriß zu Vorlesungen I. I I . 1884/85. Rieh. L ö n i n g , Grundriß zu Vorlesungen 1885. L e h r b ü c h e r : Führendes Lehrbuch der modernen Richtung v. L i s z t , 1. Auflage 1881; 25. Auflage von Eberhard S c h m i d t auf den neuesten dogmatischen Stand gebracht 1927. A l l f e l d (früher Hugo M e y e r , 1. Auflage 1875), Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 8. Auflage 1922 mit Nachtrag von 1928. B i n d i n g , Grundriß des Deutschen Strafrechts. Allgemeiner Teil. 8. Auflage 1913. Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts. Besonderer Teil, Bd. I , 2. Auflage 1902; Bd. I I . Erste Abteilung 2. Auflage 1904. Zweite Abteilung 1905. Max Ernst M a y e r , Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts 1915, gleichlautende 2. Auflage 1923. K ö h l e r , Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil 1927. W a c h e η f e 1 d, Lehrbuch des deutschen Strafrechts 1914. F i n g e r , Lehrbuch des d e u t s c h e n Strafrechts Bd. I. 1904. Adolf M e r k e l , Lehrbuch des deutschen Strafrechts 1889. M e r k e l - L i e p m a n n , Die Lehre von Verbrechen und Strafe 1912. Berner, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 18. Auflage 1898. Schütze, Lehrbuch, 2. Auflage 1874. T h o m s e n , Das deutsche Strafrecht 1906/07. Grundriß des Verbrechensbekämpfungsrechts. I. I I . 1905/06. 3. H a n d b ü c h e r , größere D a r s t e l l u n g e n und W e r k e a l l g e m e i neren I n h a l t s , v. H i p p e l , Deutsches Straf recht. Bd. I. Allgemeine Grundlagen 1925 (die bis dahin fehlende neuere Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Straf rechts). Bd. I I . Allgemeine Lehren 1930 (mit reichem Material). Vergleichende D a r s t e l l u n g des deutschen und ausländischen Strafrechts in 16 Bänden (6 Bände Allgemeiner Teil VDA, 9 Bände des Besonderen Teils

§ 4. Die Strafrechtswissenschaft seit dem Bestehen des Reichstrafgesetzbuchs. 4 1 VDB, 1 Registerband) 1905—1909. v. B a r , Handbuch des deutschen Strafrechts. Bd. I. 1882 (Geschichte). Gesetz und Schuld im Strafrecht Bd. I. I I . I I I . 1906—1909. Sauer, Grundlagen des Strafrechts 1921. B a u m g a r t e n , Der Aufbau der Verbrechenslehre 1913. L i e p m a n n , Einleitung in das Strafrecht 1900. Coenders, Strafrechtliche Grundbegriffe 1909. Z i m m e r l , Aufbau des Strafrechtssystems 1930. B i n d i n g , Handbuch des Strafrechts Bd. I. 1885. Die Normen und ihre Übertretung Bd. I. 1. Auflage 1872, jetzt 4. Auflage 1922. Bd. I I . 1. Hälfte. 2. Auflage 1914. 2. Hälfte 2. Auflage 1916. Bd. I I I . 1918. Bd. I V . 1919. Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen Bd. I und I I . 1915. v. L i s z t , Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. I und I I . 1905 (glänzende Einführung in die Gedanken der soziologischen Straf rechtsschule). Beling, Die Lehre vom Verbrechen 1906. Methodik der Gesetzgebung 1922. Rieh. S c h m i d t , Die Aufgaben der Strafrechtspflege 1895. Die Reichsgerichtspraxis i m deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts (1. Oktober 1929) Bd. V. Strafrecht und Strafprozeß 1929. Festgabe für R e i n h a r d von F r a n k zum 70. Geburtstag 16. August 1930, herausgegeben von Hegler. Bd. I. I I . 1930. — Ältere Werke: H o l t z e n d o r f f s Handbuch des deutschen Straf rechts Bd. I. I I . I I I . IV. in Einzelbeiträgen 1871—1877. H ä l s c h n e r , Das gemeine deutsche Strafrecht Bd. I. I I . 1. I I . 2. 1881—1887. Glaser, Kleine Schriften über Strafrecht und Strafprozeß 2. Auflage 1883. Adolf M e r k e l , Kriminalistische Abhandlungen 1867. Gesammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der allgemeinen Rechtslehre und des Strafrechts 2 Bände 1899. W a h l b e r g , Gesammelte kleinere Schriften I. 1875. I I . 1877. I I I . 1882. Das Prinzip der Individualisierung in der Strafrechtspflege 1869. K ö h l e r , Studien aus dem Strafrecht I. bis V I . 1890ff. v. B u r i , Beiträge zur Theorie des Strafrechts und zum Strafgesetzbuche, Gesammelte Abhandlungen 1894. 4. Z e i t s c h r i f t e n und Schriftenreihen. Der Gerichtssaal (GerS) begründet 1894 von Jagemann, jetzt herausgegeben von Oetker, Finger und Séhôtensack (1931:100 Bände). Z e i t s c h r i f t für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW.) begründet 1881 von Franz v. Liszt, Dochow und v. Lilienthal, jetzt herausgegeben von Kohlrausch und Gleispach (51 Bände). A r c h i v für Strafrecht und Strafprozeß (GoltdArchiv) begründet als Archiv für preußisches Strafrecht 1853 von Goltdammer, seit 1900 von Kohler, jetzt herausgegeben von Klee. M i t t e i l u n g e n der Internationalen kriminalistischen Vereinigung seit 1889 bis 1914, 1920ff., Neue Folge seit 1926 mit 4 Bänden. Deutsche S t r a f r e c h t s z e i t u n g 1914—1922. Die J u s t i z seit 1925. Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (MonKrimPsy.), herausgegeben seit 1904 von Aschaffenburg (jetzt mit v. Hentig, 22 Bände). A r c h i v für K r i m i n o l o g i e (ArchivKrim.) begründet 1899 als Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik von Hans Groß, jetzt herausgegeben von Heindl (87 Bände). B l ä t t e r für Gefängniskunde (Bl.fürGefk.) seit 1865, jetzt herausgegeben von Weißenrieder (61 Bände). S t r a f r e c h t l i c h e A b h a n d lungen (Strafrl.Abh.) seit 1896, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal, jetzt von Schötensack (Heft 280). A b h a n d l u n g e n des k r i m i n a listischen Seminars seit 1889 von v. Liszt herausgegeben, Neue Folge seit 1901, Dritte Folge als Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität Berlin seit 1914 von v. Liszt und Delaquis, Vierte Folge seit 1925 von Goldschmidt und Kohlrausch. Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswissenschaft begründet 1921 von Liepmann (selbständige Hefte). Die neu erscheinenden strafrechtlichen Bücher und Zeitschriften nennt jeweils die Literaturbeilage der Deutschen J u r i s t e n - Z e i t u n g (Otto Liebmann, Berlin).

42

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

5. K a s u i s t i k . An erster Stelle stehen die von den Mitgliedern des Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft seit 1880 herausgegebenen: E n t s c h e i dungen des Reichsgerichts (bisher 64 Bde.), zitiert mit E. Dazu für die frühere Zeit: S t e n g l e i n , Lexikon des deutschen Strafrechts nach den Entscheidungen des Reichsgerichts Bd. I. I I . 1900. Ergänzungsband von G a l l i 1904. A p t Beling, Grundlegende Entscheidungen des Reichsgerichts und Reichsmilitärgerichts, 3. Auflage 1903. Ferner: Die Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts bis 1888 in Bd. I. bis X . , zitiert Rspr. Entscheidungen des Reichsm i l i t ä r g e r i c h t s von 1902—1920. W a r n e y e r , Jahrbuch der Entscheidungen auf dem Gebiete des Strafrechts und Strafprozesses 1907 ff. Sörgel-Krause, Jahrbuch des Strafrechts und Strafprozesses 1906ff. H ö c h s t r i c h t e r l i c h e Rechtsprechung auf dem Gebiete des Strafrechts (HöchstRR), früher als Beilage zur ZStW. Bd. 46ff. Wertvoll insbesondere die mit Anmerkungen versehene Wiedergabe von Entscheidungen in der Juristischen Wochenschrift. Fallsammlungen: v. L i s z t - R o s e n f e l d l 4 . Auflage 1929. F r a n k 8. Auflage 1927. Goldschmidt 3. Auflage 1930. v. R o h l a n d 2. Auflage 1908. D o h n a , Strafrecht und Strafprozeß 3. Auflage 1929. Petters mit Lösungen Bd. I . 3. Auflage 1929. Stooß 2. Auflage 1915. v. Bar 1875. K o h l e r 1889—1899. Siehe ferner: L u c a s - E b e r m a y e r , Anleitung zur strafrechtlichen Praxis Teil I I . Das materielle Strafrecht. 4. Auflage 1929. Der P i t a v a l : der sogenannte alte Pitaval 1735—1743 herausgegeben von Gayot de Pitaval in Paris; der neue Pitaval von Hitzig-Häring in 60 Bänden, 2. Auflage 1857ff.; Geschichten aus dem alten Pitaval usw. herausgegeben von Paul Ernst, 3. Bd. 1900; der Pitaval der Gegenwart, herausgegeben von Frank, Roscher und Schmidt seit 1903. F euer bach, Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen, 3. Auflage mit einer Einleitung von M i t t e r m a i er 1849. 6. S t r a f r e c h t l i c h e Hilfswissenschaften: Kriminologie, insbesondere Kriminalpsychologie und Kriminalbiologie, Kriminalsoziologie, Gerichtliche Psychiatrie und Medizin: siehe in der Schuldlehre namentlich bei Zurechnungsfähigkeit S. 282f.; Gefängniskunde: in der Lehre von der Strafe S. 490. Wichtig jetzt namentlich: H a n d w ö r t e r b u c h der K r i m i n o l o g i e , herausgegeben von Alex. Elster und H. Lingemann. Verlag W. de Gruyter & Co. Berlin 1932ff. §5.

Die Reformarbeiten am Reichsstrafgesetzbudi 1. Das geltende Strafgesetzbuch ist in den Tagen der Reichsgründung als erster mächtiger Pfeiler in dem großen Bau der deutschen Justizgesetze geschaffen wordén und hat nach Jahrhunderten der Zersplitterung auf dem Gebiete des Strafrechts die deutsche Rechtseinheit hergestellt. Schon etwa ein Jahrzehnt nach seinem Inkrafttreten ist der Kampf um die Neugestaltung des Strafrechts erneut entbrannt. Angeregt wurde diese Bewegung durch die gewaltige Um1 Eingehend v. L i s z t - S c h m i d t S. 86—93 mit umfassenden Literaturangaben, v. H i p p e l I . 358—368. I I . 1—12. Siehe auch Mezger, KritVjschr. 3. X X . 156ff. (rechtsvergleichend), MonKrimPsy. X I I I . 47ff., Moderne Strafrechtsprobleme (Marburger Akademische Reden 1927). Ausführliche Bibliographie von Bibliothekar H ü b e l für 1906—1913 in der Deutschen Strafrechtszeitung 1914 S. 152—160 und für 1914 bis Ende Juli 1925 in ZStW. Bd. 46 S. 329—347. Dann zum Entwurf 1925 vor allem A s c h r o t t - K o h l r a u s c h , Reform des Strafrechts 1926. Besprochen von Mezger, ZStW. 47, 471. Zum Entwurf 1927 H e g l e r , Jahreskurse für juristische Fortbildung I I I . 129ff. mit Anm. (1929).

§ 5. Die Reformarbeiten am Reichestrafgesetzbuch.

43

gestaltung der gesamten Lebensverhältnisse und des ganzen sozialen Denkens. Das aus der Reichs-Kriminalstatistik (1882) ersichtliche Ansteigen der Kriminalität, insbesondere bei den Jugendlichen und bei den schon Bestraften, ließ den Ruf nach einer zielbewußten Kriminalpolitik laut werden. Die moderne Strafrechtsschule mit ihren spezialpräventiven Forderungen und die in der Internationalen kriminalistischen Vereinigung zusammengeschlossenen Gruppen gaben diesen Gedanken die nötige Verbreitung. Und so sehen wir seit der Jahrhundertwende eine keineswegs auf Deutschland beschränkte, europäische und außereuropäische Länder ergreifende Bewegung zu einer grundsätzlichen Neugestaltung des materiellen Strafrechts. Diese Arbeit wurde in Deutschland dadurch erleichtert, daß führende Männer der sich streitenden Strafrechteschulen unter Zurückstellung des Trennenden sich zusammenfanden, um an der Lösung der großen Aufgabe gemeinsam zu arbeiten 8. Wertvolle Vorarbeit zu rechtsvergleichender Grundlegung war schon geleistet durch das zweibändige Werk von v. L i s z t - C r u s e n , Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung (1894, 1899). Unter Vermittlung des Staatssekretärs des Reichsjustizamts N i eher ding trat am 28. November 1902 ein freies wissenschaftliche? Komitee von acht Professoren in Berlin zusammen; ihm gehörten an aus Preußen Kahl-Berlin, v. Liszt-Berlin, an Stelle des zunächst berufenen, aber vor dem Zusammentritt verstorbenen SeuffertBonn, v. H i ρ pel-Göttingen, aus Bayern Birkmeyer-München, aus Sachsen Wach-Leipzig, aus Württemberg F ran kr Tübingen, aus Baden v. L i l i e n t h a l Heidelberg und aus den Reichslanden v a n Calker-Straßburg. Die dem Komi te gestellte Aufgabe ging dahin, zur Vorbereitung der Reform des Strafgesetzbuchs eine zuverlässige und erschöpfende Übersicht über die strafrechtlichen Grundsätze der größeren Kulturstaaten herzustellen und zu diesem Zweck eine vergleichende Darstellung der wichtigen Materien des Allgemeinen und Besonderen Teils des Strafrechts zu schaffen. Die Aufgabe wurde unter Heranziehung von gegen fünfzig Mitarbeitern, darunter den meisten Hochschulvertretern des Strafrechts, gelöst und führte zu dem 16bändigen Werk: „Vergleichende D a r s t e l l u n g des deutschen und ausländischen Strafrechts" (1905 bis 1909), wovon 6 Bände den Allgemeinen, 9 Bände den Besonderen Teil und ein Band das Gesamtregister betreffen. Die deutsche Strafrechtswissenschaft darf noch heute mit Stolz auf dieses Werk von bleibendem Wert blicken. Die einzelnen Stadien der Reformarbeit sind folgende: 1. Am 1. Mai 1906 trat im Reichsjustizamt eine Kommission von praktischen Juristen mit dem Auftrag zusammen, einen formulierten Vorentwurf zu einem neuen Deutschen Strafgesetzbuch nebst Begründung auszuarbeiten. Die Kommission hat ihre Aufgabe in 117 Sitzungen bis 22. April 1909 erledigt und als private Arbeit, nicht als amtlichen Entwurf, auf der Grundlage der Vergl. Darst. vorgelegt, den: V o r e n t w u r f zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909 m i t zwei Bänden Begründung v o m gleichen Jahre. Eine Einarbeit der sogenannten Nebengesetze hat nicht stattgefunden, ebensowenig aber eine Ausscheidimg des sogenannten polizeilichen Unrechts. Der Entwurf vertritt im übrigen nicht den Standpunkt einer bestimmten wissenschaftlichen Richtung, insbesondere hat er in dem Streit der sogenannte^ modernen mit der sogenannten klassischen Schule keine ausschließliche Stellung genommen (Begr. I X ) . Er schließt an das gegebene Recht an, bringt aber in 8

Sibhe das vielerwähnte Kompromiß von K a h l und v. L i s z t in der DJurZtg. V I I . 301 vom 1. Juli 1902. Auch der deutsche Juristentag hat sich seit 1902 mit der Revision des Strafgesetzbuchs beschäftigt: v. L i s z t - S c h m i d t 86.

44

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

manchen Punkten eine wertvolle Weiterbildung: so Freierstellung des Richters, bedingte Strafaussetzung (§ 38), Anerkennung der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§ 63), Anstalten für geistig defekte Personen (§ 65), Trinkerheilanstalten (§43) und sonstige sichernde Maßnahmen, Strafschärfung bei gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Verbrechern (§ 89), Heraufsetzung der Strafmündigkeit auf 14 Jahre (§68), Kürzung des Besonderen Teils usw. Die Begründung stellt ein bleibend wertvolles Werk dar, wenn sie auch nicht immer in die Tiefe der kriminalpolitischen Probleme geht und sich gern auf ein unkontrollierbares „Volksempfinden 44 — oder, wo sie weniger zustimmt, auf die „Presse44 (Kohlrausch, Reform I. 205) — beruft. Mißglückt war die auf einseitiger Wahrscheinlichkeitstheorie beruhende Vorsatzdefinition (§ 59). Die Öffentlichkeit hat an dem Werk lebhaften Anteil genommen. Eine zusammenfassende Kritik gibt A s c h r o t t - v . L i s z t , Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs. 2 Bände 1910. Sehr wertvoll ist die „ Z u s a m m e n s t e l l u n g der g u t a c h t l i c h e n Ä u ß e r u n g e n über den Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch* 4, gefertigt im Reichsjustizamt und als Manuskript gedruckt (1911). Sie gibt nach den Paragraphen des Entwurfs geordnet die Äußerungen zu dem Entwurf, auch die in der Tagespresse, wieder. Von den Professoren K a h l , v. L i l i e n t h a l , v. L i s z t und Goldschmidt wurde ein formulierter Gegenentwurf mit Begründung herausgegeben (Berlin 1911). 2. Vom 4. April 1911 bis 27. September 1913 arbeitete im Reichsjustizamt die von Staatssekretär L i sc ο einberufene große Strafrechtskommission, die unter Berücksichtigung der verschiedenen Stellungen und Berufe aus Vertretern des Reichs und der größeren Einzelstaaten sowie aus den drei Professoren K a h l , F r a n k und v. H i p p e l zusammengesetzt war. Den Vorsitz führte Lucas, später K a h l . Näheres siehe bei v. H i p p e l I. 363 und Entwurf 1927, Begründung S. 2, insbesondere über die teils metallographierten, teils als Manuskript gedruckten Materialien. Das Ergebnis war der (später) veröffentlichte: E n t w u r f der Strafrechtskommission (1913). Der Weltkrieg hinderte die Weiterarbeit. 3. I m Frühjahr 1918 ließ der Staatssekretär des Reichsjustizamts v. Krause die Arbeiten von einer kleinen Kommission wieder aufnehmen. In der Folge ergab sich die Notwendigkeit, den früheren Entwurf 1913 den veränderten staatlichen und Zeitverhältnissen anzupassen. Das Ergebnis ist der (mit dem KommEntw. 1913 und Denkschrift im Jahre 1920 als „Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch' 4 veröffentlichte): E n t w u r f v o n 1919 m i t D e n k s c h r i f t (letztere 378 + 61 Seiten). Auch dieser Entwurf stellt eine private Arbeit seiner Verfasser — Staatssekretär Joel, Senatspräsident am Reichsgericht E b e r m a y e r , Oberlandesgerichtspräsident Cor mann und Ministerialdirektor Bumke —, also noch keinen amtlichen Entwurf dar. Der Entwurf 1919 bringt gegenüber dem Vorentwurf 1909 wesentliche Fortschritte. Die allgemeinen Lehren erhalten im Sinne einer ausgeprägten Schuldhaftung eine gesicherte Grundlage; die Vorsatzdefinition ist richtig gestellt (§ 11), Çrfolgshaftung möglichst vermieden (§ 17). Verminderte Zurechnungsfähigkeit wird auch hier gesetzlich anerkannt, Unrecht und Schuld sind deutlich geschieden. Die Versuchsregelung huldigt einem starken Subjektivismus (§§ 23ff.). Die bedingte Strafaussetzung ist erweitert (§§ 63ff.). Ein besonderer (XII.) Abschnitt stellt neben die Strafe ein geschlossenes System von „Maßregeln der Besserung und Sicherung44 mit strafrichterlicher Kompetenz. Die Strafbemessung erhält eine eigene Regelung (§§ 106ff.). Das Gebiet der Geld-

§ 5. Die Reformarbeiteii am Reichsstrafgesetzbuch.

45

strafe ist erweitert. Mit Recht sind mildernde Umstände allgemein zugelassen (§§ 113ff.). Der Besondere Teil ist sorgfältig überarbeitet, die Übertretungen §§ 402 ff. sind mit besonderen allgemeinen Bestimmungen in ein eigenes Zweites Buch verwiesen. Die Nebengesetze fehlen auch hier. Das Interesse der Öffentlichkeit war — im Hinblick auf die Verhältnisse der Nachkriegszeit begreiflicherweise — kein so lebhaftes wie gegenüber dem VorEntw. 1909. Immerhin liegen auch zu dem Entw. 1919 wertvolle literarische Äußerungen vor. Siehe darüber im einzelnen näher bei v. L i s z t - S c h m i d t S. 86 und Mezger, MonSchrKrimPsy. X I I I . 47 und KritVjSchr. 3i X X . 156ff. 4. Seit dem StGEntw. 1919 beginnt die engere Zusammenarbeit mit Österreich zum Zwecke der gegenseitigen Rechtsangleichung auf dem Gebiete des Strafrechts. Auf die dahinzi^elenden Anregungen der österreichischen Justizverwaltung geht zurück der: österreichische Gegenentwurf zu dem Allgemeinen Teil des Ersten Buches des Deutschen Strafgesetzentwurfs vom Jahre 1919. Wien 1922. I n Deutschland selbst folgte als nächste Etappe der Reform der E n t w u r f R a d b r u c h von 1922, der die Todesstrafe beseitigte, die Zuchthausstrafe durch strenges Gefängnis ersetzte, die „moralische Lynchjustiz" der Ehrenstrafen strich und Straflosigkeit des absolut untauglichen Abtreibungsversuchs sowie Beseitigung jedes Sonderrechts für Zweikampf vorsah. Veröffentlicht wurde dieser Entwurf nicht; doch gibt R a d b r u c h in ZStW. 45, 417 nähere Auskunft über ihn und seine Begründung. Die Reichsregierung beriet erst im Herbst 1924 wieder über den Fortgang der Reform, ohne dabei die eben erwähnten Besonderheiten des Radbruchschen Entwurfs zu übernehmen. Auf Grund dieser Beratungen wurde am 12. November 1924 eine neue Veröffentlichung beschlossen. So erschien der erste: A m t l i c h e E n t w u r f eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nebst Begründung 1925. Schon der Titel läßt ihn als ersten „amtlichen", von der Verantwortung der Reichsregierung getragenen Entwurf und als solchen eines „allgemeinen", d. h. für Deutschland und Österreich bestimmten Strafgesetzbuchs erkennen. Auch der Amtliche Entwurf 1925 beruht nach den Worten seiner Begründung (3) auf den Beschlüssen der Strafrechtskommission und verdankt das Meiste und Beste seinen Vorläufern. Sein besonderes Gepräge schreibt er vornehmlich der österreichischen Mitarbeit zu. Die Literatur zum Amtlichen Entwurf 1925 nennt v. L i s z t - S c h m i d t 86. Hervorzuheben ist insbesondere die Sammelbesprechung: A sehr O t t - K o h l r a u s c h , Reform des Strafrechts 1926. v. H i p p e l I I . 2—3 wirft dem Entwurf zu einseitige Berücksichtigung der Spezialprävention vor (freilich, wie er selbst hervorhebt, oft mehr in den Worten als in der Sache) und erblickt mit K a h l im Entwurf 1919 den besten der Entwürfe (S. 12 Anm. 1). 5. Der Amtliche Entwurf 1925 erfuhr im Reichsrat an Hand der Äußerungen der Landesregierungen eine eingehende Beratung und Nachprüfung. „Der Reichsrat hat den Entwurf in vielen einzelnen Punkten, auch in Fragen von größerer Bedeutung, verändert, ohne jedoch die Grundlinien der Reform zu verlassen" (Begr. Entw. 1927 S. 4). Das Ergebnis der Reichsratsberatungen ist als Vorlage des Reichsministers der Justiz an den Reichstag nach Zustimmung des Reichsrats vom 14. Mai 1927 (Reichstag I I I . Wahlperiode 1924—1927 Nr. 3390) der: E n t w u r f eines A l l g e m e i n e n Deutschen Strafgesetzbuchs 1927 (§§ 1—413) m i t Begründung (212 Seiten) und zwei Anlagen. Die beiden Anlagen enthalten wertvolles Material, in Anlage I über die Behandlung wichtiger Fragen der Strafrechtsreform in der ausländischen Gesetz-

46

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

gebung von M i t t e r m a i e r , Hegler und Kohlrausch (ergänzt durch weitere rechtsvergleichende Untersuchungen von Hegler in den Drucksachen des Reichstags IV. Wahlperiode 1928 des 21. Ausschusses' Nr. 289 vom 27. Juni 1929) und in Anlage I I über die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen I\eich seit 1882 mit reicher Auswertimg der Reichskriminalstatistik. Eine Besprechung des Entw. 1927 gibt v. H i p p e l I I . 4ff. Eingehende Erörterungen der Entwürfe 1925 und 1927 von verschiedenen Verfassern bringen Bd. 91—96 und vereinzelt auch die folgenden Bände des Gerichtssaals. Ebenso beschäftigen sich ZStW. und MitteillKV. mit den Vorlagen. Die Strafbemessung ist in ,den 69 ff. des Entwurfs 1927 sachgemäßer Regelung unterworfen, die allgemeine Zulassung mildernder Umstände ist beibehalten. Ebenso kehrt der Dualismus der Strafe und der Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 55ff.) aus den bisherigen Entwürfen wieder. Leider weist die Regelung der Maßregeln der Besserung und Sicherung aus bürokratischen Bedenken eine wesentliche Verschlechterung auf: während noch Entw. 1925 die Anordnung dieser Maßregeln in die Hand des Richters legte, will Entw. 1927 bei einer Reihe von Maßnahmen das Gericht darauf beschränken, diese „für zulässig zu erklären", um ihre endgültige Anordnung den Verwaltungsbehörden vorzubehalten (Begr. 42ff.). Damit ist einem entscheidenden Erfordernis zielbewußter Kriminalpolitik widersprochen, die eine Vereinigung der verschiedenen Maßregeln der Strafe und der Sicherung in einer Hand, und zwar in der des Strafrichters, verlangt 8 . Eine synoptische Gegenüberstellung der deutschen und österreichischen Straf gesetzentwürfe und des geltenden deutschen Straf rechts gibt: Schäfer* Deutsche Strafgesetzentwürfe von 1909 bis 1927 (1927). 6. Der Strafgesetzentwurf 1927 erfuhr im Reichstag eine eingehende Beratung. Wir führen im folgenden das vorliegende Material aus den maßgebenden Ausschüssen bis zur Reichstagsauflösung 1930 an. I m Reichstag der I I I . W a h l periode 1924—1927 beriet der 32. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch) unter dem Vorsitz des Abgeordneten D. Dr. K a h l in 62 Sitzungen vom 6. Juli 1927 bis 2. März 1928. Als Ergebnis liegt vor die Zusammenstellung I. I I . I I I . mit den Beschlüssen des Ausschusses in erster Lesung zum Ersten Buch, Allgemeiner Teil. Nebenher gingen Sitzung 1. bis 5. der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen in Wien 15. bis 16. November 1927 und in Berlin 14. bis 16. Januar 1928, deren Ergebnisse zum Allgemeinen Teil in Drucksache A vom 2. März 1928 vorliegen. I m Reichstag der IV. W a h l * Glücklicherweise hat hier der Reichstagsausschuß bessernd eingegriffen und den früheren Vorschlag richterlicher Kompetenz wieder hergestellt: siehe 12. Sitzung vom 26. Oktober 1928 und Zusammenstellung X V I . Eine sehr beachtenswerte Regelung enthält in dieser Richtung das Schwedische Gesetz vom 22. April 1927 (Nr. 107) : wenn das Gericht die Verwahrung des vermindert Zurechnungsfähigen für angezeigt hält, so legt es die Sache einer besonderen zentralen Behörde (nämnd bestaende av fem ledamöter) zur Entscheidung vor; erklärt diese die Maßregel für angängig, so geht die Sache wieder an das Gericht zurückt in dessen Hand die endgültige Entscheidung des Falles ruht. Damit ist der beachtenswerte Gedanke von W i l m a n n s , Die sogenannte verminderte Zurechnungsfähigkeit (1927) S. 356, 359, 373 eines besonderen „Sicherungsgerichts" verwirklicht, und doch dessen bedenkliche Folge einer Trennung beim schließlichen Ausspruch der beiden Maßnahmen (Strafe und Verwahrung) vermieden. Denn nur bei Vereinigung in der Hand des Strafrichters ist dieser zu einer individuell angepaßten Behandlung des einzelnen Falles in der Lage, wie wir sie im geltenden Recht so schmerzlich yermiesen.

{ 5. Die Reformarbeiten am Reichestraigeeetzbuch.

47

periode 1928 in 1. Lesung beriet der 21. Ausschuß (Reichsstrafgesetzbuch) unter dem gleichen Vorsitz in 127 Sitzungen vom 12. Juli 1928 bis 21. Februar 1930. Als Ergebnis liegt vor die Zusammenstellung I. bis X V I . zum Allgemeinen und Besonderen Teil, dazu ein vorläufiges Register zu den Protokollen. Nebenher gingen Sitzung 6. bis 13. der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen in Dresden 9. bis 11. Februar 1929, München 29. bis 30. Juni 1929 und Wien 3. bis 5. März 1930 mit den Ergebnissen Drucksache B. bis K. zum Allgemeinen und Besonderen Teil. Die entscheidende Zusammenstellung ist die X V I . Z u s a m m e n s t e l l u n g , welche die Beschlüsse des 21.Ausschusses in erster Lesung und die Ergebnisse der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen enthält. Es folgt endlich die 2. Lesung im 21. Reichstagsausschuß in der 128. bis 143. Sitzung vom 8. April 1930 bis 11. Juli 1930. Das Ergebnis enthält Zusammenstellung X V I I . und X V I I a 4 . Wir zitieren als Entwurf 1980 den „Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs nach den Beschlüssen der ersten Lesung des Deutschen Reichstagsausschusses und den Deutschen und österreichischen Strafrechtskonferenzen" nach der Ausgabe von K o h l r a u s c h , Berlin, W. de Gruyter & Co. 1930. 7. Ergänzend treten zum Entwurf des Strafgesetzbuchs hinzu: a) A m t l i c h e r E n t w u r f eines Strafvollzugsgesetzes nebst Begründung v o m 13. J a n u a r 1927, veröffentlicht auf Anordnung des Reichsjustizministeriums (Reichsratsvorlage), dazu als Anlage I. Entwurf eines Gesetzes über die Vollstreckung von Freiheitsstrafen vom 19. März 1879, als Anlage I I . Grundsätze zum Vollzug vom 28. Oktober 1897 (Zentralblatt für das Deutsche Reich vom 12. November 1897, S. 308) und als Anlage I I I . Grundsätze über den Vollzug von Freiheitsstrafen vom 7. Juni 1923 (RGBl I I . 263). Ergebnis i m Reichsrat v o m 7. J u l i 1927, Reichsrats-Tagung 1927, Anlage zur Niederschrift vom gleichen Tage zu § 412, S. 217 ff. E n t w u r f eines Strafvollzugsgesetzes m i t Begründung v o m 9. September 1927, vom Reichsminister der Justiz dem Reichstag vorgelegt (Reichstagsvorlage), Reichstag I I I . Wahlperiode 1924—1927 Nr. 3628. Eine synoptische Gegenüberstellung der deutschen Strafvollzugsgesetzentwürfe, der Grundsätze für den Vollzug von Freiheitsstrafen von 1897 und 1923 und der geltenden Strafvollzugsvorschriften des Reichs und der Länder gibt: S c h ä f e r - H a u p t v o g e l , Deutsche Gesetzentwürfe und Vorschriften über den Strafvollzug (1928). b) A m t l i c h e r E n t w u r f eines Einführungsgesetzes z u m A l l g e meinen Deutschen Strafgesetzbuch und z u m Strafvollzugsgesetz nebst Begründung, veröffentlicht auf Anordnung des ReichsjustizminisieriumS; daraus geht nach erfolgter Zustimmung des Reichsrats hervor der: E n t w u r f eines Einführungsgesetzes zum A l l g . D e u t . S t G B u n d z u m StrafvollzugsGes., vom Reichsminister der Justiz unter dem 20. Mai 1930 dem Reichstag nebst Begründung und drei A n l a g e n zur Beschlußfassung vorgelegt, Reichstag IV. Wahlperiode 1928 Nr. 2070, ausgegeben am 30. Mai 1930. Durch die Auflösung des Reichstags 1930, ist das große nationale Werk einer zeitgemäßen Erneuerung des deutschen Strafrechts nach einer angestrengten Arbeit eines Vierteljahrhunderts wiederum ins Stocken geraten. Wichtige Einzelgesetze sind zwar in diesem Zeitraum verabschiedet worden, und es wäre zu wünschen, daß die als notwendig erkannten Änderungen ohne Zögern durch Novellengesetzgebung unserem Rechtssystem eingefügt werden. Ein zusammenfassender Abschluß in einem Gesamtwerk aber verbürgt allein die innere Einheit künftiger Strafrechtspflege. 4

Dazu Reichstag V. Wahlperiode. 18. Ausschuß. 1. (11. X I I . 1930) bis 21. Sitzung (13. I I I . 1931).

48

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts. §6.

Übersicht über das Strafrecht des Auslandes, Zur eingehenderen Orientierung über die ältere Zeit dient das von der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung herausgegebene Werk: Die S t r a f gesetzgebung der Gegenwart, Bd. I. v. Liszt. Das Strafrecht der Staaten Europas (1894) und Bd. I I . v. Liszt-Crusen. Das Strafrecht der außereuropäischen Staaten und Nachträge zum ersten Band (1899) mit ausländischen Mitarbeitern. A b g e k ü r z t i m folgenden: StG I. I I . Ferner das große 16bändige Werk: Vergleichende D a r s t e l l u n g des Deutschen und Ausländischen Strafrechts (1905—1909), nach Materien geordnet. Von den Schriftleitungen der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft und der Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung wird in deutscher Übersetzung herausgegeben: S a m m l u n g A u ß e r deutscher Strafgesetzbücher. Bis 1931 insgesamt 49 Hefte. A b g e k ü r z t : Sammlung. Dazü auch Schaffstein, Die Behandlung der Schuldarten im ausländischen Strafrecht seit 1908. Strafrl. Abh. Heft 232 (1928). Vorzügliche Bearbeitungen aus neuerer Zeit, auf die sich die nachfolgende Übersicht stützt, liegen vor bei: v. L i s z t - S c h m i d t (1927), S. 93—109, a b g e k ü r z t : L i s z t und bei v. H i p p e l Bd. I. (1925) S. 376—456. Bd. I I . (1930) S. 15—30, a b g e k ü r z t : H i p p e l I. I I . Wertvoll für Rechtsverglejchung auch Anl. I. zum Deutschen Strafgesetzentwurf 1927 (Mittermaier, Hegler, Kohlrausch) und Nachtrag (Hegler) Reichstag IV. 1928. Drucks. N. 289. M i t t e r m a i e r , DeutJurZtg. 1931 S. 921. B e l i n g , GerSaal Bd. 101 S. 277. Siehe auch in Z S t W . 52, 272 und 291. Ausländisches Strafprozeßrecht: B e l i n g , Deut. Reichsstrafprozeßrecht (1928). S. V I I . f. 531 ff.

I. D i e ehemals deutschen u n d ö s t e r r e i c h i s c h - u n g a r i s c h e n Länder. In D a n z i g gilt das deutsche Strafrecht weiter. Über neuere Gesetzgebung im Anschluß an Deutschland Liszt 93. In Österreich gilt noch das StGB 1852. Ebenso in L i e c h t e n s t e i n . Seit 1863 folgen eine Reihe von Entwürfen, dann Entw. 1909 (Sammlung 29), RegEntw. 1912 (Sammlung 39), seit 1920 besteht engster Anschluß an Deutschland mit dem Ziel gegenseitiger Rechtsangleichung. Gleispach, Der deutsche Strafgesetzentwurf OeKV. 1921. Die Protokolle über die Sitzungen der deutschen und österreichischen parlamentarischen Strafrechtskonferenzen vom November 1927 bis März 1930 und deren Ergebnisse sind mit den deutschen Reichstagsausschußberatungen veröffentlicht. Wichtig ist das neue österreichische Jugendgerichtsgesetz vom 18. Juli 1928, das in wichtigen Punkten das deutsche JGG 1923 weiterbildet: darüber ZStW. 50, 265. Über die sonstige strafrechtliche Gesetzgebung Österreichs seit 1925 bis Frühjahr 1929, insbesondere über das wichtige sogenannte Verwaltungsstrafgesetz vom 21. Juli 1925: Lissbauer, ZStW. 50, 716. Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz von K a d e c k a 1929. I m übrigen liegen zum geltenden österreichischen Strafrecht vor: L a m m a s c h R i t t l e r , Grundriß des österreichischen Strafrechts 5. Aufl. (1926). A l t m a n n Jacob, Kommentar zum österreichischen Strafrecht Bd. I und I I . (1927—1930.) Eingehend Liszt 94, Hippel I. 376. I I . 15, dazu Sammlung Nr. 1, 25, 29, 39. In der Tschechoslowakei fehlt ein einheitliches Strafrecht, jedoch wird an der Vereinheitlichung gearbeitet. 1921 wurde unter dem Vorsitz von M i r i c k a (Prag) ein Vorentwurf des Allgemeinen Teils ausgearbeitet und in deutscher Übersetzung vom Justizministerium mit Begründung herausgegeben. 1926 erschienen wiederum in deutscher Sprache die Vorentwürfe eines Strafgesetzes

§ 6. Übersicht fiber dae Strafrecht de« Auslandes.

49

über Verbrechen und Vergehen und eines Übertretungsgesetzes mit einem Überblick über die bisherigen Arbeiten im Vorwort. Darstellung des geltenden Rechts : v. W e b e r , Grundriß des tschechoslowakischen Strafrechts 1929. I m übrigen Liszt 94, Hippel I. 381, I I . f16. Jugendstrafrecht MonKrimPsy. X X I I . 151. In U n g a r n galt das österreichische StGB 1852 bis 1861 und wurde hier zunächst durch Gewohnheitsrecht abgelöst. Erst 1878 gelang die Schaffung des heute noch geltenden StGB über Verbrechen und Vergehen und 1879 über Übertretungen, beide in Kraft seit 1. September 1880. I m Jahre 1908 wurde eine wichtige Novelle mit bedingter Verurteilung und Jugendstrafrecht erlassen. Sammlung Nr. 13, 30 (das StGB 1878 mit allen Abänderungen und Ergänzungen einschließlich der Novellen 1908 und 1910), 38 und 41 (Jugendgerichtsgesetz von 1913). Liszt 95, Hippel I. 382, I I . 16, auch StG I. 162 und I I . 459. Über die politisch bewegte neuere Zeit Hippel I. 384. Lehrbuch von I r k A Magyar Anyagi Büntetöjog mit kurzen Übersichten in deutscher und französischer Sprache (1928). Dazu Bericht in MonSchrKrimPsy. 21,121. Ferner Staatsanwalt Auer in DJurZtg. 1928 S. 564, 1929 S. 970 und 1930 S. 671; nach dessen Mitteilung tritt der hier erwähnte Entwurf als Gesetz am 1. Januar 1931 in Kraft.

I I . D i e Schweiz, die N i e d e r l a n d e und S k a n d i n a v i e n . Die Schweiz hat heute noch kein einheitliches Strafgesetzbuch. Quellen des schweizerischen Strafrechts sind das Bundesgesetz vom 4. Hornung 1853 über das Bundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft, das die Verbrechen gegen den Bund, der Bundesbeamten und einige andere Delikte regelt, vereinzelte bundesrechtliche Nebengesetze und 25 kantonale Rechte, unter denen diejenigen von Uri und Nidwaiden in kein Gesetzbuch gefaßt sind, sondern auf alten Landbüchern, spärlichen Sondergesetzen und Gewohnheitsrecht beruhen. Eine zusammenfassende Bearbeitung des allgemeinen Teils des schweizerischen Strafrechts liegt jetzt vor von H aft er, Lehrbuch des schweizerischen Straf rechts. Allgemeiner Teil (1926); dort S. 20—24 Zusammenstellung der kantonalen Rechte. Einzelnes auch bei Liszt 101 (kantonales Recht 102—-103) und Hippel I. 385. I I . 17, grundlegend Pfenninger, Das Strafrecht der Schweiz (1900), und Stooß, Die schweizerischen Strafgesetzbücher zur Vergleichung zusammengestellt (1890), Die Grundzüge des schweizerischen Strafrechts 2 Bd. (1892/93). Wichtig auch für die deutsche Rechtsentwicklung, die Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht, 1888 begründet von Stooß, herausgegeben von Stooß, Zürcher, Hafter, Delaquis und Logos (z. Zt. Bd. 45). Was den Inhalt des Strafrechts in den einzelnen Kantonen anlangt, so überwiegt naturgemäß in der deutschen Schweiz der deutsche Einfluß;, in den Westkantonen, insbesondere in Genf, derjenige des Code pénal. Daß bei solcher Rechtszersplitterung frühzeitig der Wunsch nach Rechtsvereinheitlichung laut wurde, leuchtet ein. Ja, die Schweiz ist, was die gesetzgeberischen Vorarbeiten anlangt, geradezu bahnbrechend für die modernen Reformbestrebungen geworden, wenn es ihr auch infolge des kantonalen Widerstandes bis heute noch nicht gelungen ist, ein einheitliches Schweizerisches Strafgesetzbuch zu schaffen. Ihre vorbildlichen Arbeiten knüpfen an den Namen von Carl Stooß (Biographisches in Selbstdarstellungen Bd. I I ) . Die ersten wissenschaftlichen Unterlagen bilden die beiden von ihm im Auftrag des Bundesrats als Professor in Bern bearbeiteten, bereits genannten Werke von 1890 und 1892/93. I m Sommer 1893 folgte der von Motiven begleitete erste Vorentwurf eines Allgemeinen Teils, und am 1. August 1894 legte Stooß den vollständigen Entwurf mit Begründung vor. Mit berechtigtem Stolz sagt H a f ter 31: ,,Stooß hat für die damalige Zeit unerhört kühne kriminalpolitische Gedanken in die Sprache des Gesetzgebers übertragen. Eine starke Anregung und Förderung des Strafrechts weit über die Grenzen der Schweiz ging schon Mezger, Lehrbuch des Strafrechte. 4.

50

Erster A b s i t t . Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

von diesen ersten Entwürfen aus. Die Kriminalpolitik der letzten 30 Jahre führt immer wieder auf den schweizerischen Vorentwurf zurück." Es fölgten Vorentwurf der Expertenkommission 1897 (Sammlung Nr. 9), weitere Vorentwürfe von 1903, 1908 (Sammlung Nr. 28), 1916 und der Regierungsentwurf von 1918 mit Botschaft des Bundesrats an die Bundesversammlung vom 23. Juli 1918. Ober die weitere Behandlung im Nationalrat gibt Hippel I I . 17 Anm. 3 Auskunft. In den N i e d e r l a n d e n gilt das Strafgesetzbuch vom 3. März 1881 seit 1. September 1886. Siehe StG I. 189 und I I . 462, Liszt 95, Hippel I. 389, I I . 17. Ausgabe: Wetboek van Strafrecht 10. Ausgabe (1926), frühere deutsche Übersetzung in Sammlung Nr. 1. Über die weitere Entwicklung, die Literatur und das Strafrecht der niederländischen Kolonien siehe bei Liszt und Hippel a. a. O. sowie M i t t e r m a i e r , MonKrimPsy. X X I I , 245. Neuere Lehrbücher: Simons, Leerboek 5. Aufl. (1927) mit Bericht in MonKrimPsy. 19, 123 und Zevenbergen, Leerboek (1925). Um die Reformgedanken verdient gemacht hat sich der Mitbegründer der I K V . van Ü a m e l (gest. 1917, Nachruf in ZStW. 38, 553). In Schweden 1 gilt das Strafgesetzbuch vom 16. Februar 1864 seit 1. Januar 1865. Siehe StG I. 244, I I . 469, dazu für die neuere Zeit Liszt 96, Hippel I. 395, I I . 18. Militärstrafrecht Sammlung Nr. 2 und 3. Auslieferungsgesetz daselbst Nr. 45. Schweden besitzt außerdem ein besonderes priesterliches StGB von 1899. Außer den bei Liszt und Hippel schon angeführten neueren Gesetzen sind besonders bemerkenswert die beiden Gesetze vom 22. April 1927 (Svensk Författningssamling 1927 Nr. 107 und 108) über Verwahrung vermindert zurechnungsfähiger Verbrecher und Internierung von Rückfälligen. Kurzes Lärobok i Rättskunskap I I I . Straffrätt von Ragnar Bergendal 2. Auflage (Lund 1928). Über Werke von H a g s t r ö m e r und Nils S t j e r n b e r g siehe Liszt a. a. Ο. Auch Schweden hat lebhaften Anteil an der strafrechtlichen Reformbewegung, insbesondere in der Person des früheren Professors in Lund und zeitweiligen Justizministers T h y ré η , Prinzipien einer Strafgesetzreform I. 1910, I I . 1919, I I I . 1920. Vorentwurf Allgemeiner Teil 1916. Besonderer Teil I. I I . I I I . IV. V. V I . V I I . V I I I . Anschließend an den genannten Entwurf des Allgemeinen Teils von Thyrén 1916 erschien als Entwurf der Strafgesetzkommission : „Förslag tili Strafflag Allmänna Delen" 1923. Die weiteren erwähnten acht Bände des Besonderen Teils von Thyrén (Förberedande Utkast tili Strafflag Speciella Delen) enthalten wertvolles rechtsvergleichendes Material. Vgl. auch ZStW. 50, 651. Norwegen besitzt in dem Almindelig Borgerlig Straffelow vom 22. Mai 1902, in Kraft seit 1. Januar 1905, eines der modernsten Strafgesetzbücher. Es geht zurück vor allem auf den Einfluß von Getz (gest. 1901, Nachruf ZStW. 22, 481), Textausgabe 2. Ausgabe 1916 und Lehrbuch des allgemeinen Teils von H a g e r ap, deutsche Übersetzung Sammlung Nr. 20, vgl. auch 5, 11,18, 45, 10. I m übrigen StG I. 227, I I . 468, Liszt 96, Hippel I. 393, I L 18. D ä n e m a r k — StG I. 207, I I . 463, Sammlung Nr. 2, 16, 22, Liszt 96, Hippel I. 397, I I . 18 — besitzt nach ausgedehnten Arbeiten an der Reform des Strafgesetzbuchs von 1866 in Entwürfen von 1912, 1917 (Torp, Professor in Kopenhagen), 1923, 1924 und 1928 nunmehr ein neues Strafgesetzbuch: Borgerlig Straffelov vom 15. April 1930. Dazu M i t t e r m a i e r , MonSchrKrimPsy. 21, 552. Über Island Liszt 96, Hippel I. 399. 1

Siehe zu den nordischen Staaten überhaupt H i p p e l I. 393; bedeutsam das ältere Recht für die Bewahrung altgermanisoher Gedanken, zusammenfassende Zeitschrift: Tidsskrift for Retsvidenskab;

§ 6. Übersicht

ber da

Strafrecht de Auslandes.

51

I I I . Das ehemalige R u ß l a n d . Über F i n n l a n d ist zunächst zu vergleichen St G I. 313, I I . 480, Liszt 97, Hippel I. 423. Maßgebend ist das StGB vom 19. Dezember 1889 (Sammlung Nr. 7, Auslieferungsgesetze daselbst 45), das am 23. April 1894 an die Stelle der schwedischen Gesetzgebung getreten ist und sich auf das schwedische StGB 1864 und das deutsche StGB 1871 stützt. Daru Novellen von 1914—1918 bei Liszt. Führendes Lehrbuch von Serlachius (1909—1914). Der Mitteilung des Rektors der Universität Helsingfors,. Professor T u le nhei m o, verdanke ich den Hinweis auf den in finnischer und schwedischer Sprache vorliegenden Entwurf: „Förslag tili Ny Strafflag I Allmänna Delen 1921" und „ I I och I I I Delen 1922", sowie die Nachricht, daß weitere Vorarbeiten zur Strafrechtsreform geplant sind. Über E s t l a n d orientiert Liszt 97, Hippel I. 424, I I . 24 und Ois ZStW 49, 736. Es gilt noch das russische Strafrecht von 1885 und 1910 bzw. 1903; im Juni 1923 ist ein Kommissionsentwurf veröffentlicht worden. In L e t t l a n d ist das russische StGB vom 22. März 1903 (Sammlung Nr. 24) durch Gesetz vom 6. Dezember 1918 in Kraft gesetzt worden. Dazu Liszt 97, Hippel I. 424, I I . 23 und M i n t z , ZStW. 44, 361 (1923). Entwürfe vonl922 und 1928. Professor M i n t z in Riga verdanke ich folgende Mitteilung: in russischer Sprache ist seinerzeit der erste lettländische Entwurf (1922) mit Begründung von P. Jakobi erschienen (Riga 1923 und 1927). Eine deutsche Übersetzung des Allgemeinen Teils gab RA. Bode in der Rigaischen Zeitschrift für Rechtswissenschaft 1927, Heft 3 und 4. Der in ZStW. 44,361 besprochene Entwurf ist nunmehr überholt. Am 25. September 1930 ist das neue lettländische Strafgesetzbuch (unter steter Mitarbeit von Professor Mintz) zum Gesetz geworden und soll am 31. März 1931 in Kraft treten. Es schließt sich wesentlich an das russische StGB 1903 an, weist aber ihm und dem Entwurf gegenüber manche Abänderungen auf. In L i t a u e n ist ebenfalls das russische StGB 1903 in seinem ganzen Umfang 1919 in Kraft gesetzt worden. Zu vergleichen Liszt 98, Hippel I I . 23 und Bücliler ZStW. 46, 389 (1925). In Polen gilt zunächst das russische, in den deutschen Teilen das deutsche, in den österreichischen das österreichische Recht mit gewissen Änderungen im polnischen Sinne. Seit 1919 wird an einem einheitlichen polnischen StGB gearbeitet. Erwähnt seien: Entwurf K r z y m u s k i 1918, Kommissionsentwurf 1922 von Makarewicz-Lemberg und Rappoport-Warschau, in französischer Sprache Allgemeiner Teil in der Revue Polonaise de législation civile et criminelle 1922 und 1930 Annexes. Sonstige Literatur und Näheres bei Liszt 98 und Hippel I. 424, I I . 23. Der Entwurf des Besonderen Teils und eines Polizeistrafgesetzbuchs liegt — nach einer Mitteilung von Professor W o l t e r in Krakau vom 25. Oktober 1930 — nur in polnischer Sprache vor. I m Februar und März 1928 ist auf dem Gebiete des Gerichtsverfassungsrechts und des Strafprozeßrechts die Rechtseinheit mit Wirkung von 1. Juli 1929 hergestellt worden. Darüber Glaser, ZStW. 50, 639 (1929) mit Angaben auch über den Stand der Arbeiten der Kodifikations-Kommission auf dem Gebiete des materiellen Rechts S. 644, Anm. 8 a. Auch diese Arbeiten näherten sich danach schon damals dem Ende; der Allgemeine Teil ist durch die strafrechtliche Abteilung der Kommission in dritter Lesung genehmigt (Lwow 1928), die Entwürfe des Besonderen Teils sind veröffentlicht (s. o.). Über das Recht des Zaristischen R u ß l a n d siehe StG I. 269, I I . 472, Liszt 99, Hippel I. 418, Sammlung Nr. 24 und 40. Die „Vollständige Sammlung der Gesetze" seit 1649 gibt die Grundlage für die 15 Bände des Swod Zakônow in erster Ausgabe von 1832 (Sammlung der geltenden Gesetze); der letzte Band

52

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

enthält die Strafgesetze. Die Reformarbeiten am materiellen Strafrecht führten 1845 zu einem neuen Strafgesetzbuch; eine Revision erfolgte, neben der Schaffung eines besonderen Strafgesetzbuchs für die Friedensrichter von 1864, im Jahre 1866. Die letzte Ausgabe dieses Strafgesetzbuchs ist die von 1885 und später von 1910 (ZStW. 35,120). Reformarbeiten seit Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts führten zu dem Strafgesetzbuch vom 22. Mai 1903 (Sammlung Nr. 24), das zwar vom Kaiser bestätigt, aber nur zum kleinen Teil in Kraft gesetzt wurde. Zum Straf recht von S o w j e t r u ß l a n d ist zu vergleichen außer den bereits Genannten Hippel I I . 22. Zusammenfassung: F r e u n d , Strafgesetzbuch, Gerichtsverfassungsgesetz und Strafprozeßordnung Sowjetrußlands, eingeleitet, übersetzt und kommentiert (1925), dazu ergänzend die Aufsätze von Leo Z a i t z e f f in ZStW. 47, 97 (1926) und 51, Iff. (1930) und S c h w a r t z k o p f , Das Strafrecht Sowjetrußlands Strafrl. Abh. Heft 250 (1929). I m Jahre 1918 erfolgte die endgültige Beseitigung des alten Rechts, neben den einzelnen Dekreten der Arbeiter- und Bauernregierung war das proletarische und sozialistische Bewußtsein die Entscheidungsnorm für die Volksgerichte. Einzelgesetze ergingen über Spekulation (1918), Abtreibung (1920) usw. Am 1. Juni 1922 trat ein neues Strafgesetzbuch in Kraft. Liszt weist daneben auf die interessanten Ergänzungen vom August 1924, betreffend die Delikte der Naturvölker, hin. Die Neuredaktion des StGB von 1926 ist in Kraft seit 1. Januar 1927. Kommentierte Ausgabe in russischer Sprache: Ugolovnyi Kodex von Gernet-Trainin, Moskau 1927. Dazu Sammlung Nr. 49 (bis 1. August 1930) und F r e u n d ZStW. 51, 301. G a l l a s , Kriminalpolitik und Strafrechtssystematik unter besonderer Berücksichtigung des sowjetrussischen Rechts. 1931.

IV. D i e r o m a n i s c h e n L ä n d e r . Für F r a n k r e i c h bildet die Grundlage des Strafrechts der Code pénal von 1810, der freilich durch tief einschneidende Gesetze mannigfach weitergebildet und 1832 und 1863 wesentlich reformiert wurde. Geschichte und frühere Bearbeitung StG I. 435, I I . 519. Ergänzungen Sammlung Nr. 1 und 37 (Jugendgerichtsgesetz 1912). Die 1887 begonnene Gesamtreform ist nicht zum Ziele gelangt. Literatur: Garraud,' Précis de droit criminel, 14. Auflage 1926. Traité théorique et pratique du droit pénal français, 3. Auflage Bd. I. 1913, I I . 1914, I I I . 1916, IV. 1922, V. 1924. Garçon, Code pénal annoté Bd. I. 1901—1906, I I . 1911. I m übrigen siehe Liszt 103 und Hippel I. 399, I I . 18. In Belgien gilt seit 1867 der französische Code pénal in verbesserter Gestalt. Novellen sind ergangen über Sittlichkeitsdelikte 1905 und über Kinderschutz 1912 (Sammlung Nr. 37). Dazu neuerdings die Loi de défense sociale à l'égard des anormaux et des déliquants d'habitude vom 9. April 1930 (Moniteur Belge 1930, S. 2447, JurWo. 1930, S. 3385 und MonKrimPsy. X X I I . 121). N y p e l s S e r v a i s , Le code pénal belge 4 Bd. 1896—1899. Gödseels, Commentaire de code pénal belge 1928. Darstellung: StG I. 461, I I . 522. I m übrigen Liszt 103, Hippel I 401, I I . 19. L u x e m b u r g besitzt in dem Code pénal luxembourgeois vom 18. Juni 1879 eine fast wörtliche Wiedergabe des belgischen Strafgesetzbuchs von 1867. Französisch-deutsche Ausgabe von R u p p e r t 1900. StG I. 472, I I . 525. Liszt 104. Hippel I. 403. Monaco 19. Dezember 1874 gibt im wesentlichen den damaligen französischen Code pénal wieder. StG I. 475, I I . 526. Liszt 104. Hippel I. 403. I t a l i e n ist auch im Gebiete der Strafrechtsentwicklung ein „klassisches4' Land. Das Mittelalter umschließt die Schulen der Glossatoren und Postglossatoren und bereitet damit und mit seinen kirchlichen Einflüssen das Recht der

§ 6. Übersicht

ber da

Strafrecht de Auslandes.

53

Rezeption vor. Die Aufklärungszeit bringt Beccarias Buch Dei delitti e delle pene (1764). Das geltende Recht beruhte bis vor kurzem auf dem Codice penale vom 30. Juni 1889, der seit 1. Januar 1890 in Kraft steht. (Deutsche Übersetzung Sammlung Nr. 6, Strafprozeßordnung Nr. 42.) Darstellung StG I. 581, I I . 533. Ergänzungen bei Liszt 104. Hippel 1.403, I I . 19. Für die moderne Strafrechtsbewegung ist wissenschaftlich von Interesse der unter dem Vorsitz von F e r r i zustande gekommeneProgetto preliminare di Codice penale italiano (libro I) mit Relazione (1921), ein gesetzgeberischer Versuch vom Standpunkt eines extremen naturalistisch-soziologischen Positivismus aus, der freilich vielfach als nicht glücklich bezeichnet werden muß (dazu über die geplante Weiterbehandlung D JurZtg. 1924, S. 710). Aus der Zeit des faschistischen Italien ist erwähnenswert die Wiedereinführung der seit 1889 beseitigten Todesstrafe und (an Stelle des hinfällig gewordenen Progetto F e r r i von 1921) der neue Entwurf Rocco: Progetto preliminare di un Nuovo Codice Penale, 768 Artikel ohne Begründung (Ottobre 1927). Dazu sind neun Bände: Lavori preparatori del codice penale e del codice di procedura penale (1928—1929) erschienen. Deutsche Übersetzung des neuen Progetto preliminare Sammlung Nr. 48. Ausführliche Besprechung von Sauer, GerSaal 97, 193 (1928), ferner von v. H e n t i g , MonKrimPsy. X I X . Iff., J a n z e n , Strafrl. Abh. Heft 231 (1930), Bunge, DJurZtg.33,138, D a n i e l , ZStW. 49, 498, H i p p e l 19. Durch kgl. Dekret vom 19. Oktober 1930 ist das neue StGB bestätigt und tritt am 1. Juli 1931 in Kraft. Dazu K u t t n e r , ZStrW. 51, 329. Die strafrechtliche Literatur Italiens ist eine sehr reiche; von einer Einzelanführung muß hier abgesehen werden, da die Berücksichtigung der verschiedenen. Richtungen der klassischen, modernen und vermittelnden Schulen zu weit führen würde. (Näheres bei Liszt und Hippel a. a. O.) Organ der modernen Schule ist Ferris: La scuola positiva. Neu erschienen: G r i s p i g i i i , Corso di Diritto penale secondo il Nuovo Codice Vol. I. 1932. San M a r i n o : StG I. 606. Liszt 105. In S p a n i e n ist das Strafgesetzbuch von 1870 (Sammlung Nr. 26 mit StG I. 483, I I . 526) durch ein solches vom 8. September 1928, in Kraft seit 1. Januar 1929, ersetzt worden; nach Hippel I I . 20 ist es „eine technisch mangelhafte Leistung der Diktatur von übertriebener Strenge". Ausgabe: Côdigo Penal (Madrid Reus 1929) mit Nachträgen. Literaturangaben über früheres und jetziges Recht bei Liszt 104 und Hippel I. 408, I I . 20. Dazu v. H e n t i g , MonKrimPsy. X V I I I . 707. De Asûa und Oneca, Derecho Pénal conforme al Côdigo de 1928. Bd. I. 1929, Bd. I I . 1930 mit Lit. P o r t u g a l : Strafgesetzbuch vom 10. Dezember 1852, umgearbeitet unter dem 14. Juni 1884 und 16. Dezember 1886 (deutsche Übersetzung Sammlung Nr. 19). Dazu StG I. 535, I I . 530. Liszt 104. Hippel I. 412.

V. D e r europäische Südosten. Jugoslawien (Serbien). Das serbische Strafgesetzbuch vom 27. März 1860 folgt dem preußischen StGB 1851. Dazu StG I. 352, I I . 500. I m Jahre 1910 kam ein Vorentwurf zu einem neuen StGB zustande (Sammlung Nr. 32). Der Rechtszustand im neuen Jugoslawien ^ar zunächst infolge der verschiedenen in Geltung befindlichen Strafrechte ein sehr verwickelter. I m Januar /Februar 1929 kam ein neues Strafgesetzbuch usw. mit Wirkung vom 1. Januar 1930 zustande: über die Entwicklung und den Inhalt siehe Dolenc, ZStW." 44, 195 {1923) und D j e r m e k o w , Mon Sehr KrimPsy. X X . 390 (1930), zu letzterem aber auch Hippel I I . 24, Anm. 11. I m übrigen Liszt 100. Hippel I. 431, I I . 24. Neues Jugendstrafrecht: M a k l e z o w , ZStW. 51» 346. Albanien : Liszt 101.

54

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

Für B u l g a r i e n liegt das Strafgesetzbuch vom 2. Februar 1896 in deutscher Übersetzung in Sammlung Nr. 12 (StPO Nr. 17) vor; dazu StG I. 331, I I . 484. Ferner Liszt 99. Hippel I. 429, I I . 24. Letzterer erwähnt eine ungedruckte Göttinger Dissertation: L u b e n o f f , Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen im deutschen und bulgarischen Strafrecht. 1924. In R u m ä n i e n schließt sich das Strafgesetzbuch vom 30. Oktober 1864 in den Fassung vom 17. Februar 1874 an den französischen Code pénal an. Darstellung StG I. 343, I I . 498. In Beßarabien ist das StGB 1919 in Kraft gesetzt, in den von Österreich und Ungarn abgetrennten Gebieten gilt der bisherige Rechtszustand weiter. Seit 1920 wird an einer vereinheitlichenden Reform gearbeitet: siehe über den Entwurf von 1928 L a n d a y , DJurZtg. 1928 S. 1048. Außerdem Liszt 100. Hippel I. 430, I I . 24. In Griechenland schließt sich das Strafgesetzbuch vom 10. Januar 1834 an das bayerische Recht an. StG I. 336, I I . 493. Liszt 99, dort neuere Spezialgesetze): Hippel I. 432, I I . 25. Heliopoulos, Lehrbuch, Allgemeiner Teil. 3. Ausgabe 1923. Seit 1911 wird an der Reform gearbeitet. Der Strafgesetzentwurf von 1924, (Allgemeiner Teil von Professor Heliopoulos, Besonderer Teil von Richter am Areopag Panopulos) liegt in deutscher Übersetzung mit einleitenden Bemerkungen in Sammlung Nr. 47 vor.

VI. Großbritannien. Das englische Recht, auch das Strafrecht, beruht teilweise auf dem gemeinen Recht (Common Law), das heißt einem Gewohnheitsrecht, das in den Präjudizien der Gerichte niedergelegt ist oder nach Analogie vom Richter neu geschaffen wird (Case Law), teilweise auf Gesetz (Statute Law). Eine vorzügliche Darstellung für seine Zeit gibt Schuster, StG I. 609 ff., I I . 535, dazu StG I I . 221 ff. über Indien, Canada, Australien usw. Neueres bei Liszt 105. Hippel I. 413, I I . 21. Durch die Consolidation Acts von 1861 wurden eine Reihe von Delikten zusammenfassend geregelt, so in 24 und 25 Vict. cap. 96 der Diebstahl, cap. 97 die Sachbeschädigung, cap. 98 die Fälschung, cap. 99 die Falschmünzerei und cap. 100 die Verbrechen gegen die Person. I m Jahre 1878 wurde auf Anregung von Sir James Stephen der Versuch gemacht, das ganze Strafrecht zu kodifizieren, der Versuch endete aber im Parlament, „da sich keine der politischen Parteien für eine Reform interessierte, die sich nicht in leicht verständlichen Schlagworten zusammenfassen ließ" (Schuster 616). Dagegen sind in der Folge eine Reihe strafrechtlich wichtiger Einzelgesetze ergangen. Wir nennen: die Summary Jurisdiction Act von 1879 mit Ausdehnung der Zuständigkeit der Friedensrichter und Polizeirichter, die Criminal Law Amendment Act von 1885 mit Verschärfung der Bestimmungen über Sittlichkeit s verbrechen, die Probation of First Offenders Act von 1887 mit bedii^gter Verurteilung in der Form der Urteilsaussetzung und Aufsicht, die Penal Servitude Act von 1891 über die Zuchthausstrafe (Schuster 616), die Infant Life Protection Act von 1897 zum Schutz Pflegebefohlener, die Inebriates Act von 1898 mit Trinkerheilanstalten, die Vagrancy Act von 1898 gegen das Zuhältertum, die Reformatory School Act von 1899 mit Besserungsschulen für Jugendliche (Mitteil. JKV. X . 52), die Probation of Offenders Act 1907 mit bedingter Verurteilung, die Prevention of Crime Act 1908 mit Sicherungshaft gegen Gewohnheitsverbrecher, die Children Act von 1908, ein Kinderschutzgesetz (deutsche Übersetzung der drei letzten Gesetze in Sammlung Nr. 27), die Criminal Law Amendment Act von 1912 gegen Mädchenhandel, Zuhälterei und Bordellwirte mit Prügelstrafe (Mitteil. JKV. X X . 316), das Spionagegesetz von 1911 (Sammlung Nr. 35), die Mental Deficiency Act von 1913 mit Verwahrung geistig Minderwertiger (Sammlung Nr. 43). So ist bemerkenswerterweise in verhältnismäßig

§ 6.

bersicht

ber da

Strafrecht de Auslandes.

55

sehr früher Zeit, während sich in den Staaten des Kontinents gelehrte Entwürfe neuer Strafgesetzbücher auf Entwürfe häuften, praktische Arbeit in allen wichtigen Fragen der Strafrechtsreform im Wege der Einzelgesetzgebung geleistet worden; unsern doktrinären Gegnern nützlicher Novellengesetzgebung sollte diese Tatsache zu denken geben. Ober die Kriegs- und Nachkriegszeit siehe ZStW. Bd. 40 S. 102; Bd. 44 S. 193, 370, 585; Bd. 45 S. 161 ; Bd. 46 S. 279, 423; Bd. 47 S. 191; Bd. 49 S. 412; Bd. 50 S. 1, 104. Über Todesstrafe MonKrimPsy. X X I I . 234. Als „ausführlichstes" Buch über englisches Strafrecht hebt Schuster StB I. 617 hervor: Russell, A treatise on Crimes and Misdemeanors I., I I . , I I I . , 5. Auflage 1877, 8. Auflage 1923, als „hervorragendstes strafrechtliches Werk mit absoluter Zuverlässigkeit seiner Definitionen": Stephen, A Digest of the Criminal Law 4. Auflage 1887, 7. Auflage 1926. Die Geschichte des Strafrechts behandelt: Stephen, A history of the Criminal Law of England, 3 Bd. 1883. Über das Recht in Schottland, in den Dominions, in den Kolonien usw. siehe an den angeführten Stellen, insbesondere bei Liszt und Hippel. Tasmanien: Code of Criminal Law vom 4. April 1924.

V I I . Die V e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n N o r d a m e r i k a . Grundlage ist englisches Common Law. Die Gesetzgebung zerfällt in die des Bundes und in die der Einzelstaaten. Die erstere, die Unionsgesetzgebung, ist nur für verfassungsmäßig übertragene Angelegenheiten zuständig, so daß die Bedeutung der einzelstaatlichen Gesetzgebung wesentlich überwiegt. Für den Bund kommt als Grundlage in Betracht: United States Penal Law. An act to codify, revise and amend the Penal Laws, 4 th March 1909. Das Gesetz enthält insbesondere völkerrechtliche, politische und Amtsdelikte, Zuwiderhandlungen gegen die Bundesgesetze usw. Von den Einzelstaaten haben einige vollständige Strafgesetzbücher — so insbesondere New York von 1881 (Sammlung Nr. 4) —, andere beschränken sich auf Einzelregelung. Siehe die Darstellung von Be ale, StG I I . 195 und neuerdings die Zusammenstellung Deutscher StGBEntwurf 1927 Anl. I. S. 102. Ferner Liszt 106. Hippel I. 433, I I . 25. Letzterer spricht von einem „Augiasstall der Gesetzgebung" (I. 435). Siehe dazu MonKrimPsy. X X I I . 249. Canada: Criminal Code von 1906 (55/56 Vict. c. 29).

V I I I . M i t t e l - und S ü d a m e r i k a . In Betracht kommen: Mexiko (7. Dezember 1871, Entwurf 12. Juni 1912), Kuba (1879), Haiti (1835 usw.), San Domingo (20. August 1884), Puerto Rico (1879), Guatemala (15. Februar 1889), San Salvator (1904), Honduras (22. Januar 1906), Nikaragua (8. Dezember 1891), Kostarika (in Kraft seit 1. Juli 1924), Panama (1922), Kolumbien (seit 1. Januar 1924), Venezuela (6. Juli 1926), Ekuador (1906), Peru (27. Juli 1924), Brasilien (11. Oktober 1890), Bolivia (3. November 1834), Paraguay (1900), Uruguay (17. Januar 1889), Chile (seit 1. März 1875), Argentinien (30. September 1921). Es sei verwiesen auf die Darstellung StG I I . Iff. 431. Liszt 106—108. Hippel I. 437—443. I I . 27—28. In der Sammlung zählen hierher Nr. 8 (Mexiko), 15, 33 (Chile). Eine Übersicht gibt jetzt StGEntw. 1927, AnL I. 3—4; die dortigen Daten sind bei den einzelnen Ländern beigefügt. Ober einen Kubanischen Entwurf nach Ferrischem Muster berichtet ZStW. 50, 486. Zum Ganzen wichtig: De Asua (Madrid) Mon Sehr KrimPsy. X X . 257 (1929).

56

Erster Abschnitt. Der Begriff und die Geschichte des Strafrechts.

I X . Asien u n d A f r i k a . Über die T ü r k e i vergleiche früher StG I. 691 ff., I I . 538. Sammlung Nr. 21 (StPO) und 34 (StGB 1858 mit Nov. 1911 und Nebengesetzen). Liszt 108. Hippel I. 425. I m Jahre 1927 hat die Türkei im wesentlichen das Italienische StGB 1889 rezipiert. Hippel I I . 24 (Übersetzung in Sammlung Nr. 46). Ä g y p t e n : StG I. 753, I I . 539. Liszt 108. Hippel I. 429. A f g h a n i s t a n : Hippel I I . 28. Über interessante Reformversuche berichtet: B e c k , Das Afghanische Strafgesetzbuch vom Jahre 1924 mit dem Zusatz vom Jahre 1925. Deutsche Gesellschaft für Islamkunde (1928). Dazu ZStW. 50, 325. C h i n a : StG I I . 369. Liszt 108. Hippel I. 448, I I . 28. Ein neues Strafgesetzbuch erging am 10. März 1912 (dazu ZStW. 35, 483, aber auch 50, 657). Es liegt vor als: The Provisional Criminal Code of the Republic of China. Published by the Commission on Extraterritoriality Peking 1923. Dazu: The Regulations Relating to Criminal Procedure of the Republic of China. Yon derselben Kommission,1923. Siehe auch MonKrimPsy. X X I I . 245. J a p a n : Das Strafgesetzbuch (Kei-ho) von 1880, in Kraft seit 1. Januar 1882, liegt der Darstellung StG I I . 353 zugrunde. Dazu Liszt 109. Hippel I. 443, I I . 28. Auf Grund von Kommissionsarbeiten kam ein Vorentwurf von 1899 zustande (Sammlung Nr. 14) mit Anlehnungen an das deutsche Recht. Es folgte ein revidierter Entwurf 1903 und ihm das geltende Strafgesetzbuch vom 23. April 1907, in Kraft seit 1. Oktober 1908 (Sammlung Nr. 23). Weitere japanische Strafgesetze Sammlung Nr. 31, 36, 44 und an den genannten Stellen. Koifimissionsvorschläge zur Abänderung des geltenden StGB von 1925 (dazu ZStW. 48, 70). K o r e a : Liszt 109. Siam: Liszt 109. Hippel I I . 28. StGB vom 1. Juni 1908. P h i l i p p i n e n : Hippel I I . 28 (angeblich seit 1. Juli 1927).

Zweiter Abschnitt.

Der Geltungsbereich des Strafgesetzes. §7.

Die räumliche Geltung des Strafgesetzes 1. I. Die Rechtssätze, welche die räumliche, zeitliche und persönliche Geltung des Strafrechts bestimmen, sind n i c h t S t r a f r e c h t , sondern Strafrechtsanwendungsrecht. Sie stehen jedoch in vielen Punkten in engstem innerem Zusammenhang mit dem eigentlichen Strafrecht und sind im Strafgesetzbuch und seinem Einführungsgesetz selbst geregelt. Was im Besonderen die r ä u m l i c h e Geltung des Strafgesetzes anlangt, so ist dieselbe nach zwei Richtungen hin zu klären: im Verhältnis des deutschen Straf rechts zum Straf rechte des Auslands ( I I ) und im Verhältnis des Reichsstrafrechts zum Landesstrafrecht ( I I I ) . I I . Deutsches und ausländisches Strafrecht (sogenanntes internationales Strafrecht) 2 . Das sogenannte internationale Strafrecht, wie es hier im Anschluß an §§ 3 ff. StGB zur Darstellung kommt, ist nicht internationales, sondern nationales deutsches Recht und gibt Auskunft über die Anwendung des deutschen Reichsstrafrechts im Verhältnis zum Auslande. 1. Grundsätzlich gilt für die Anwendung deutschen Rechts das sogenannte Territorialprinzip 8. Es kommt nach §§ 3, 4 und 6 StGB p o s i t i v ^und n e g a t i v zur Auswirkung: danach finden die Strafgesetze des Deutschen Reichs Anwendung auf alle im Gebiete desselben begangenen, strafbaren Handlungen (auch wenn der Täter ein 1

F r a n k und die andern Komm, zu §§ 3ff. StGB und §§ 2ff. EG. StGB, v. L i s z t - S c h m i d t 119—132 mit Lit. ν. H i p p e l I I . 46ff. und 69ff. Über internationale Rechtshilfe (Auslieferungsrecht) siehe mit Lit. bei v. L i s z t S c h m i d t 133ff. und bei v. H i p p e l 78. a Siehe Beling, ZStW. X V I I . 303. B i n d i n g , Hdb. I. 370. K i t z i n g e r , VDA. 1.179. M e n d e l s s o h n - B a r t h o l d y , VDA. V I . 85. v . B a r , GesetzI. 99. H e g l e r , Prinzipien des internationalen Strafrechts, Strafrl. Abh. Heft 67 (1906) und Anl. I. zum Strafgesetzentwurf 1927. Über die Frage nach dem Ort der H a n d l u n g siehe S. 150ff., über die Abgrenzung von In- und Ausland §8 StGB mit Komm. a So F r a n k § 3 I I . u. a. Abw. B i n d i n g , Hdb. 402. 437. H e g l e r , Prinz. 140.

58

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

Ausländer ist), während wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen in der Regel keine Verfolgung stattfindet und im Auslande begangene Übertretungen überhaupt nur dann zu bestrafen sind, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge angeordnet ist. A n k n ü p f u n g s p u n k t für die Anwendung inländischen Strafrechts ist also zunächst ein t e r r i t o r i a l e r Gesichtspunkt: der inländische Begehungsort der Tat. ' 2. Ausnahmsweise gilt für die Anwendung deutschen Rechts das sogenannte Pereonalprinzip. Dieses Prinzip besagt, im Gegensatz zum Territorialprinzip, daß der A n k n ü p f u n g s p u n k t für die Anwendung inländischen Strafrechts ein persönlicher ist: die inländische Staatsangehörigkeit des Täters (daher auch: Nationalitätsprinzip). Dies gilt auch dann, wenn die Tat im Auslande begangen wurde. Das Personalprinzip erklärt sich aus dem besonderen T r e u v e r h ä l t n i s 4 , das den Inländer auch im Auslande mit dem Inlande verbindet. Die Kehrseite dieses Verhältnisses ist der in § 9 StGB und Art. 112 Abs. 3 RVf ausgesprochene Grundsatz der Nichtauslieferung des Nationalen an das Ausland; infolge dieses Grundsatzes sieht sich das Deutsche Reich genötigt, selbst für die Bestrafung des Nichtausgelieferten Sorge zu tragen, gewissermaßen Geschäftsführer des Auslandes® zu werden. Das geltende Recht kann nicht einseitig aus einem dieser beiden legislatorischen Gründe (Treuverhältnis oder Geschäftsführung), sondern nur aus einem Zusammenwirken beider verstanden werden. a) der Gesichtspunkt des Treuverhältnisses überwiegt in § 4 Abs. 2 Ziff. 2 S t G B : hiernach kann ein Deutscher, der im Auslände eine l a n d e s v e r r ä t e r i s c h e H a n d l u n g gegen das Deutsche R e i c h oder einen B u n d e s s t a a t (§§ 87—92 StGB) begangen hat, im Inlande nach deutschem Recht bestraft werden. Dasselbe gilt im Falle des § 102 StGB. b) der Gesichtspunkt der Geschäftsführung überwiegt in § 4 Abs. 2 Ziff. 3 S t G B : hiernach kann ein Deutscher, der im Auslande eine nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n anzusehende Handlung begangen hat, im Inlande nach deutschem Recht bestraft werden. Der Gesichtspunkt der Geschäftsführung aber beschränkt diese Möglichkeit nach zwei Richtungen hin: α) die Handlung muß nach den Gesetzen des Begehungsorts m i t Strafe b e d r o h t sein. Es genügt freilich, wenn dies unter « F r a n k § 5 I I I . 3. « F r a n k § 5 I I I . 3. b.

§

. Die r l i c h e

Geltung des Strafgesetzes.

59

anderen Gesichtspunkten als im deutschen Recht geschieht (E. 5,424). Schwierigkeiten bereitet die Frage, wenn die Handlung auf s t a a t e n losem G e b i e t e begangen wurde, da hierauf der Wortlaut des Gesetzes nicht zutrifft. Beispiel: ein Deutscher erschlägt einen Andern im unkolonisierten Erdteil oder bei einer Polarexpedition. Die Voraussetzung der Strafbedrohung am Begehungsort hat den Sinn, daß die Geschäftsführung sich nicht in Widerspruch mit den ausländischen Gesetzen stellen will; hier fehlt eine solche Möglichkeit und es muß daher trotz des gesetzlichen Wortlauts die Bestrafungsmöglichkeit auch für Delikte auf staatenlosem Gebiete bejaht werden 6 . Das Gesagte gilt grundsätzlich auch für sogenannte N e u b ü r g e r , d. h. für solche Personen, die erst nach begangener Tat deutsche Staatsangehörige geworden sind. Doch gibt hier § 4 Abs. 2 Ziff. 3 Abs. 2 S t G B z w e i E i n s c h r ä n k u n g e n : 1. es bedarf eines Antrags der zuständigen Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen worden ist (E. 16, 216; 44, 433), so daß hier die Möglichkeit einer Bestrafung der auf staatenlosem Gebiete begangenen Taten ausscheidet, und 2. es ist das ausländische Strafgesetz anzuwenden, soweit dieses milder ist. Hier liegt also ein ganz exzeptioneller Fall einer Anwendung ausländischen Strafrechts vor, die sonst vom Gesetze abgelehnt wird; im übrigen urteilt das deutsche Gericht immer nach deutschem Recht, insbesondere wirkt sich das Personalprinzip nicht etwa dahin aus, daß der Ausländer für eine Inlandstat nach ausländischem Strafrecht beurteilt wird. ß) die Handlung muß n a c h den Gesetzen des Begehungsorts v e r f o l g b a r sein. Das ist der Sinn der in § 5 S t G B gegebenen einschränkenden Bestimmungen7. 3. Ausnahmsweise gilt für die Anwendung des deutschen Rechts das sogenannte Realprinzip· Dieses Prinzip besagt im Gegensatz zum Territorialprinzip, daß der A n k n ü p f u n g s p u n k t für die Anwendung inländischen Strafrechts ein sachlicher ist: das geschützte Interesse als solches (daher auch: Schutzprinzip). Gewisse inländische Interessen sollen strafrechtlich geschützt sein, gleichgültig, wo die verletzende Handlung begangen wurde, d. h. auch dann, wenn sie im Ausland vollzogen ist. Ebenso ist die Staatsangehörigkeit des Täters, d. h. seine persönliche Beziehung, belanglos. Die Fälle, für 6 Ebenso die h. M. Über den Stand der Meinungen siehe F r a n k S. 36, dazu auch v. H i p p e l I I . 77. 7 Näheres bei F r a n k § 5 I I I . 3. b. und zit. £ 44, 433.

60

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

die das Realprinzip gilt, nennt das Gesetz in § 4 Abs. 2 Ziff. 1 S t G B 8 . Wir unterscheiden zwei Gruppen: a) die V e r b r e c h e n oder V e r g e h e n i m A m t e eines B e a m t e n des D e u t s c h e n Reichs oder eines Bundesstaats. Schutzobjekt ist die intakte Amtsführung deutscher Beamter. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes zählen hierher ημΓ die sogenannten Verbrechen und Vergehen im Amte der §§ 331—359 StGB, nicht etwa beliebige Delikte, in denen die Beamteneigenschaft sonst eine Rolle spielt, wie in §§ 128 Abs. 2 oder § 174 Ziff. 2 StGB 9 . b)die h o c h v e r r ä t e r i s c h e n H a n d l u n g e n gegen d a s D e u t s c h e R e i c h oder einen B u n d e s s t a a t (§§80—86 StGB). Schutzobjekt ist der Bestand des Deutschen Reichs und der Länder. 4. Ausnahmsweise gilt für die Anwendung des deutschen Rechts das sogenannte Unirerealprinzip. Dieses Prinzip besagt im Gegensatz zum Territorialprinzip, daß der A n k n ü p f u n g s p u n k t für die Anwendung inländischen Strafrechts ein u n i v e r s e l l e r ist: die Begehung der Handlung als solcher. Begehungsort, Staatsangehörigkeit und besonderes Schutzinteresse sind bedeutungslos; das deutsche Strafrecht umfaßt hier die ganze Welt (daher auch: System der Weltrechtspflege). Dieses Prinzip gilt nur in dem einen Fall des § 4 Abs. 2 Ziff. 1 S t G B : bei den M ü n z v e r b r e c h e n (§§ 146, 147, 149 StGB). Wegen der internationalen Bedeutung des Münzwesens zieht der inländische Staat jedes derartige Verbrechen vor sein Forum, auch wenn ausländisches Geld im Auslande gefälscht wurde und der Täter vor inländisches Gericht gelangt; denn gefälschtes Geld macht an den Landesgrenzen nicht halt. In den A u s n a h m e f ä l l e n Ziff. 2—4 der vorstehenden Darstellung „ k a n n " nach dem Gesetze eine Strafverfolgung nach den Strafgesetzen des Deutschen Reichs erfolgen. Sie „muß" es nicht: es gilt mit anderen Worten im Gegensatz zu den dem Territorialprinzip unterliegenden Fällen — Ziff. 1 — hinsichtlich der Verfolgung das Opportunitätsprinzip, nicht das Legalitätsprinzip. Über die Opportunität der Verfolgung entscheidet freilich grundsätzlich die Staatsanwaltschaft, nicht das Gericht, das mithin die Aburteilung aus dem an8

Siehe außerdem § 298 StGB und die bei F r a n k § 5 I genannten Nebengesetze. Der Fall der „Münzverbrechen' 1 gehört nicht hierher (siehe unter 4). Auch bei den schon erwähnten landesverräterischen Handlungen spielt das Realprinzip eine Rolle, so daß hier eine gewisse Kombination von Personal- und Reälprinzip gegeben ist; der Fall ist schon oben unter 2 eingereiht. • Übereinstimmend F r a n k § 5 I I I . 3. und die dort Genannten, abweichend B i n d i n g , Hdb. I. 432. Olshausen § 4 N. 10. LeipzKomm. § 4 N. 3 u. a.

§

. Die r l i c h e

Geltung des Strafgesetzes.

61

gegebenen Gesichtspunkt allein nicht ablehnen darf, wenn die Sache an es gebracht wird. Außer dieser Ausnahme vom Verfolgungszwang gilt im Interesse der Billigkeit die Vorschrift des § 7 StGB. I I I . Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht 10. Es handelt sich um R e c h t s q u e l l e n verschiedenen Ranges. Die CCC 1532 gab mit der sogenannten salvatorischen Klausel am Ende der Vorrede grundsätzlich subsidiäres Reichsrecht, wenn auch in Art. 218 gewisse zwingende Vorschriften enthalten waren. I m neuen Deutschen Reich ist der Reichsgedanke stärker: nach Art. 2 RVf 1871 wie nach Art. 13 Abs. 1 RVf 1919 geht das Reichsrecht dem Landesrecht vor. Dabei ist sehr wohl möglich, daß sich das einzelne Reichsgesetz selbst gewisse Beschränkung auferlegt und das Landesrecht in bestimmten Beziehungen weiter gelten läßt. Entw. I und Entw. I I des RStGB wollten die früheren Landesstrafgesetzbücher ausdrücklich und im Ganzen aufheben 11 . § 2 Abs. 1 EG. St GB läßt demgegenüber früheres Bundes-(Reichs-) und Landesstrafrecht nur außer Kraft treten, insoweit dasselbe Materien betrifft, welche Gegenstand des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund (das Deutsche Reich) sind. (1.) In Abs. 2 StGB sind besondere Gebiete des Bundes- (Reichs-) und Landesstrafrechts besonders aufrechterhalten. (2.) Soweit das Landesstrafrecht hiernach in Kraft bleibt, ist es grundsätzlich auch zum Erlaß neuer Gesetze befugt (E 2, 33 und 10, 220). 1. Nach der a l l g e m e i n e n K l a u s e l des § 2 Abs.l EG. StGB tritt das Landesstrafrecht insoweit außer Kraft und kann nicht mehr erneuert werden, als dasselbe „ M a t e r i e n " betrifft, welche „Gegens t a n d " des RStGB sind. „Materien" im Sinne dieser Gesetzesbestimmung sind zusammenhängende Gebiete von Lebensinteressen, auf die sich die in Frage stehenden verbotenen Handlungen und der Schutz des Gesetzes beziehen; durch jenen lebendigen Kern des einheitlichen Interesses werden die einzelnen Handlungen und Strafschutzbestimmungen zur Einheit zusammengeschlossen. „Gegenstand" des RStGB aber sind solche Materien, also solche zusammenhängende Gebiete von Lebensinteressen, insoweit, als das Reichsstrafgesetzbuch ihren strafrechtlichen Schutz in der erkennbaren Absicht erschöpfender Regelung übernimmt (E. 10, 220ff., 222). Soweit also 10 Lit. bei v. Bar, Gesetz I. 29. v. L i s z t - S c h m i d t 119. ν. H i p p e l 46. Neuestens F i n g e r , Reichs- und Landesstrafrecht im Lichte der Rechtsprechung des Reichsgerichtes RG.-Festgabe 1929, Bd. V. 93. 11 Dazu v. H i p p e l 48 und 51. F r a n k § 2 EG StGB I. 2.

62

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

das RStGB p o s i t i v e Strafvorschriften zum Schutze bestimmter Lebensinteressen aufstellt, ist eine weitere landesrechtliche Regelung ausgeschlossen; aber auch insoweit, als das Reichsrecht erkennen läßt, daß es das Gesamtgebiet jener Interessen der eigenen Regelung unterstellt, darf das Landesrecht keine Strafbestimmungen erlassen und damit den Kreis der strafbaren Handlungen nicht seinerseits erweitern. Die reichsrechtliche Regelung besitzt mit anderen Worten nicht nur positive, sondern auch n e g a t i v e Bedeutung. I m Einzelnen ist dabei sowohl der Umkreis der „Materie" wie ihre Erhebung zum „Gegenstand" des RStGB A u s l e g u n g s f r a g e 1 2 . Auf dieser Grundlage ergibt sich folgende Stellungnahme zu den in der Rechtsprechung strittig gewordenen wichtigeren Fragen: a) einzelne s t r a f b a r e H a n d l u n g e n . Wegen erschöpfender Regelung im RStGB sind folgende landesrechtliche Strafvorschriften u n g ü l t i g : Strafbestimmungen gegen das K o n k u b i n a t , weil zwar nicht der X I I I . Abschnitt des RStGB, wohl aber die Bestrafung der Eheverfehlungen in §§ 171, 172 und des öffentlichen Ärgernisgebens im Gebiete des Geschlechtslebens in § 183 StGB eine in sich geschlossene Materie darstellt (dies übersieht die abweichende E. 33, 273) ; gegen die studentischen Schlägermensuren und gegen den Z w e i k a m p f mit nichttödlichen Waffen, weil der Zweikampf in §§ 201 ff. StGB 12 Die Bedeutung des „wenig glücklichen" — dem Art. 484 Code pénal entstammenden: „dans toutes les matières qui n'ont pas été réglées par le présent Code" — Ausdrucks „ M a t e r i e " ist in der Literatur umstritten. Zu eng ist es, mit v. L i s z t ζ. Β. 20. Aufl. 1914 S. 103 ihn nur auf die „einzelnen für strafbar oder für nichtstrafbar erklärten Handlungen" zu beziehen. Der Sache nach dasselbe bedeutet es, wenn Beling, Grd. 107 in ihm nur die „selbständigen Deliktstypen" sehen will. Nicht die einzelne Handlung und nicht der einzelne Typus, sondern das zusammenhängende Gebiet der geschützten Lebensinteressen ist für den Umfang der Materie maßgebend. Ebensowenig darf mit L e i p z K o m m . § 2 EG. StGB I I . 1 der Ausdruck auf die „Normen (Gebote und Verbote)" beschränkt werden. Vielfach wird Materie mit „Stoff" wiedergegeben: siehe bei B i n d i n g , Hdb. I. 290 und M. E. M a y e r 62. v. H i p p e l 47f. übersetzt mit „Gebiet". Dazu auch L i e p m a n n , ZStW. 32, 587, der zutreffend auf das „Kechtsgut" Bezug nimmt. Richtig betonen A l l f e l d 66 und F r a n k § 2 EG. StGB I I . 1, daß nicht nur die positive Strafandrohung des Reichsrechts, sondern auch dessen Schweigen für den Ausschluß landesrechtlicher Regelung in Betracht kommt, v. L i s z t - S c h m i d t 120 hat die frühere unrichtige Beschränkung auf die einzelnen Handlungen bei v. L i s z t preisgegeben und versteht unter Materie nunmehr zutreffend „diejenigen Gruppen von strafbaren Handlungen, die die Verletzung eines und desselben Rechtsgutes bedeuten, insofern also thematisch zusammengehören". Daß das Wort „Gegenstand" in § 2 Abs. 1 EG. StGB synonym mit Materie wäre — wie M. E. M a y e r und wohl auch v. H i p p e l a. a. O. annehmen —, trifft nicht zu; mit ihm wird die besondere Prüfung der Frage einer „erschöpfenden" Tendenz zur besonderen Aufgabe gemacht. So insbesondere F r a n k I I . 2. \

§ 7. Die räumliche Geltung des Strafgesetzes.

63

(

erschöpfend geregelt ist (ebenso E. 1, 443 ; 8, 87; 60, 257); gegen unbeeidigte unwahre Aussage vor G e r i c h t , weil sie zur Materie des I X . Abschnittes RStGB gehört (ebenso E. 42, 100); gegen une r l a u b t e S e l b s t h i l f e , weil das RStGB ersichtlich die strafbaren Formen der Selbsthilfe erschöpfend in eigene Regelung nimmt (ebenso E. 7, 63) usw. Dagegen müssen mangels erschöpfender Regelung im RStGB als g ü l t i g angesehen werden landesrechtliche Strafbestimmungen gegen S p i e l e n i n a u s w ä r t i g e n L o t t e r i e n , da der „strafbare Eigennutz" des X X V . Abschnitts keine in sich geschlossene Materie darstellt und die besonderen §§ 284—286 StGB nicht die hier in Rede stehenden finanzpolitischen Interessen der einzelnen Länder im Auge haben (ebenso E. 36, 260 und 39, 1, dazu E. 10, 220 betreffend Beeinträchtigung des freien Bietens in öffentlichen Versteigerungen) ; gegen i r r e f ü h r e n d e A n z e i g e n , da die „Verletzung der öffentlichen Ordnung" des V I I . Abschnitts keine in sich geschlossene Materie darstellt und § 164 StGB, wie E. 46, 85 zutreffend darlegt, nicht hindernd im Wege steht; gegen einzelne Ü b e r t r e t u n g e n , soweit nicht innerhalb derselben eine geschlossene Einzelmaterie gegeben ist, da der X X I X . Abschnitt „Übertretungen" diese nicht als solche zu einer geschlossenen Materie macht (dazu v. H i p p e l 51—52, insbesondere über die Polizeistrafgesetzbücher in Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und Braunschweig) usw. b) die a l l g e m e i n e n L e h r e n v o m V e r b r e c h e n u n d von der Strafe. Für Verweisungen gilt § 3 EG. StGB. Sehr umstritten ist im übrigen die Frage, ob das Landesrecht auf den ihm vorbehaltenen Gebieten an die allgemeinen Vorschriften des Reichsrechts gebunden ist oder nicht. Es stehen sich drei Ansichten gegenüber: α) die einen wollen das L a n d e s r e c h t an die allgemeinen Vorschriften des Reichsrechts für ausnahmslos gebunden halten 13 , ß) die andern lassen dem L a n d e s r e c h t v ö l l i g freie H a n d 1 4 . 18

So B i n d i n g , Hdb. I. 308, mit nur geringen Einschränkungen Μ. E. M a y e r 65—66, im wesentlichen hierher auch v. H i p p e l 49, 54ff. (mit Übersicht über die Literatur S. 56, Anm. 5), der im übrigen zwischen den allgemeinen Lehren vom Verbrechen und dem Strafensystem unterscheidet. 14 So im wesentlichen — da und dort mit gewissen Einschränkungen — Beling, L. v. V. 296ff. Grd. 108. v. L i s z t - S c h m i d t 120. A l l f e l d 67. L i e p m a n n , ZStW. 32, 621. L e i p z K o m m . § 2 EG. StGB V., ferner Gerland 59. Paul M e r k e l 30. Olehausen N. 13. Auch das Reichsgericht bewegt sich in dieser Richtung; mit Recht zeigt aber v. H i p p e l 53f., da£ dessen Standpunkt in der praktischen Durchführung zu einer vermittelnden Ansicht führt. Siehe etwa E. 2, 33; 10, 220; 80, 31; W» 139; 89, 1 ; 46, 52; 52, 274.

64

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

γ) die dritte Gruppe nimmt einen v e r m i t t e l n d e n S t a n d p u n k t insofern ein, als sie unter den einzelnen allgemeinen Bestimmungen i h r e m I n h a l t e nach u n t e r s c h e i d e t und dementsprechend die Landesgesetzgebung t e i l w e i s e für gebunden und t e i l w e i s e für frei hält 1 5 . Die letzte Ansicht erscheint als die richtige. Daß die Landesgesetzgebung in der allgemeinen Bestimmung der Strafen nicht völlig freie Hand besitzt, ergeben die §§ 5 und 6 EG. StGB; umgekehrt wäre das Dasein dieser Bestimmungen kaum verständlich, wenn schon ohnehin die Landesgesetzgebung zu keinerlei Abweichung vom Reichsrecht befugt wäre. Auch sachlich ungerechtfertigt wäre es aber, wo eine Materie der landesrechtlichen Regelung im ganzen überlassen ist, ihr zu verbieten, für die Beihilfe oder für den Versuch (in Abweichung von §§ 49, 43 StGB) gleiche Strafe anzudrohen wie für die Täterschaft und die Vollendung. Andererseits ist es einleuchtend, daß nach erfolgter Festlegung des Strafmündigkeitsalters im Reichsrecht § 2 JGG auf vierzehn Jahre die Landesgesetzgebung nicht befugt sein kann, Strafunmündige mit krimineller Strafe zu belegen. Es kommt mithin auf den „Sinn" der einzelnen allgemeinen Vorschriften des Reichsrechts an: stellen sie nur gewisse Modifikationen gegenüber der besonderen Regelung der einzelnen strafrechtlichen Materien dar, so sind auch sie mit dieser besonderen Regelung der Landesgesetzgebung überlassen; bedeuten sie dagegen eine Stellungnahme des Reichsrechts in einer grundsätzlichen Frage, also in einer besonderen „Materie" allgemeiner A r t 1 6 , so binden sie das Landesrecht. Dementsprechend hat das Landesrecht zum Beispiel freie H a n d in der Regelung von V e r s u c h und T e i l n a h m e . Dagegen ist es gebunden in den Fragen der S t r a f u n m ü n d i g k e i t und der J u g e n d l i c h k e i t §§ 2, 3 JGG, der Z u r e c h n u n g s f ä h i g k e i t § 51 StGB, der reichsrechtlich anerkannten N o t w e h r § 53 StGB, des Satzes N u l l a poena § 2 Abs. 1 StGB, des V e r b o t s einer A u s l i e f e r u n g des N a t i o n a l e n § 9 StGB. Auch die V e r j ä h r u n g s v o r s c h r i f t e n §§ 66ff. StGB kann es nicht außer Wirkung setzen. 15

So vor allem F r a n k §2 EG. StGB V., der einen Eingriff der Landesgesetzgebung dort ausschließt, wo die allgemeinen Vorschriften des Reichsrechts „Rechte der Untertanen" begründen. In ähnliche Richtung gehen v. Bar, Gesetz I. 49ff. Finger I. 154. K ö h l e r 149. W a c h e n f e l d 49. van Calker 15. 16 Für die Anwendung des § 2 Abs. 1 EG. StGB auf Fragen des Allgemeinen Teils in diesem Sinne auch F r a n k a. a. Ο. (ohne Hinderung durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, auf die LeipzKomm. a. a. O. hinweist).

§ . Die

e i c h e Geltung des Strafgesetzes

65

2. Nach der besonderen B e s t i m m u n g des § 2 Abs. 2 EG. StGB sind ausdrücklich in Kraft gelassen die besonderen Vorschriften des (Reichs- und) Landesstrafrechts über strafbare Verletzungen der P r e ß p o l i z e i - , Post-, Steuer-, Z o l l - , Fischerei-, Jagd-, F o r s t und F e l d p o l i z e i g e s e t z e und über den H o l z - (Forst-) D i e b stahl. Dies gilt selbstverständlich nur insoweit, als nicht seinerseits wieder besonderes Reichsrecht, zum Beispiel auf dem Gebiete des Presserechts, besteht. Ob die vorbehaltenen Gebiete im übrigen in besonderen Landesstrafgesetzbüchern oder in Einzelgesetzen geregelt sind, ist auch hier gleichgültig. Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 EG. StGB hebt — wie aus dem Worte „namentlich" hervorgeht — Beispiele hervor, läßt also den sonstigen Inhalt des § 2 EG. StGB unberührt; wichtig sind unter den genannten Beispielen die Vorbehalte auf dem Gebiete der Forst- und Feldpolizeigesetze. Der § 2 Abs. 2 EG. StGB geht freilich über die bloße Anführung von Beispielen zu § 2 Abs. 1 EG. StGB insofern wesentlich hinaus, als das L a n d e s r e c h t auf den hier genannten Gebieten das R e i c h s r e c h t i n die R o l l e subsidiärer G e l t u n g verdrängt: eine besondere Regelung des Forstdiebstahls im Landesstrafrecht schließt die Anwendbarkeit des § 242 StGB aus. Entsprechendes gilt gegenüber § 303 StGB. Aber auch landesrechtliche Bestimmungen über Begünstigung und Hehlerei auf den genannten Gebieten gehen den §§ 257 ff. StGB v o r 1 7 . §8.

Die zeitliche Geltung des Strafgesetzes 1. I. Die formelle Geltung des Strafgesetzes bestimmt sich nach staatsrechtlichen Grundsätzen. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des RStGB ist bereits früher erwähnt 2 . I m übrigen treten grundsätzlich Reichsstrafgesetze nach Art. 71 RVf, sofern nicht in dem Gesetze selbst ein anderer Zeitpunkt bestimmt ist, mit dem vierzehnten Tage 17 Zum Ganzen näher F r a n k a. a. 0. I I I . v. H i p p e l 50. Über die Gleichstellung kodifizierten und nicht kodifizierten Landesrechts insbesondere Frank a. a. Ο. I. 2. 1 v. L i s z t - S c h m i d t 114. F r a n k § 2 I I I — V I I . und die sonstigen Kommentare zu § 2 StGB. v. H i p p e l I I . 62. — B i n d i n g , Hdb. I. 225. Normen I. 168. Beling, L. v. V. 133. v. Bar, Gesetz I. 59. K o h l r a u s c h , ZStW. 23, 41 (1903). F r a n k , ZStW. 14. 355 und LeipzZ. 1915 S. 1. T r ä g e r , VDA. V. 317. GerS. 77, 100. ZStW. 42, 721. K ä c k e l l , Strafrl. Abh. Heft 187 (1915). E b e r h a r d S c h m i d t , ZStW. 37, 97. B e n d i x , ZStW. 39, 406. Mezger, ZStW. 42, 348 mit weiterer Lit. und Judik., sowie Anm. in J u r W o . 1928 S. 408 und 1928 S. 1595. Aus der RG.-Rechtspr. namentlich E. 57, 209 und aus neuerer Zeit E. 61, 222. E. 63, 244. E. 64, 399. 2 S. 28. M e z g e r , Lehrbuch des Strafrechte. 5

66

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Reichsgesetzblatt, das ihre Verkündung enthält, in Berlin ausgegeben ist. Sie treten außer Kraft, wenn der in ihnen selbst bestimmte Zeitpunkt eintritt oder wenn ein neues, gleichwertiges Gesetz an ihre Stelle tritt. Ob das eine oder das andere Gesetz das StGB oder ein sogenanntes strafrechtliches Nebengesetz oder überhaupt kein Strafgesetz (wie das BGB) ist, begründet keinen Unterschied. Die Beseitigung früheren Rechts kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen. Eine Auslegungsregel in dieser Richtung enthält § 2 Abs. 1 EG. StGB. Die materielle Wirksamkeit eines Strafgesetzes bestimmt sich grundsätzlich nach seiner formellen Geltungsdauer: das Gesetz findet Anwendung auf die während seiner formellen Geltungsdauer begangenen Handlungen. Diese Regel gilt aber im Strafrecht nur in beschränktem Umfange: sie findet A n w e n d u n g in dem Satze, daß Strafgesetze keine rückwirkende Kraft haben ( I I ) , sie wird d u r c h b r o c h e n in dem Satze von der rückwirkenden Kraft des milderen Strafgesetzes ( I I I ) .

II. Strafgesetze haben grundsätzlich keine rückwirkende Kraft« Dieser Satz ist in § 2 Abs. 1 S t G B noch besonders hervorgehoben; hier ist gesagt, daß eine Handlung nur mit der vor ihrer Begehung gesetzlich bestimmten Strafe belegt werden darf. Aber der damit zunächst angenommene Satz von der Identität der formellen und materiellen Geltung des Gesetzes trägt in sich selbst eine Schwierigkeit und einen Widerspruch; wenn nämlich die Gesetze zur Zeit der Begehung der Handlung und zur Zeit ihrer Aburteilung verschieden sind, so ist jener Satz in vollem Umfange gar nicht durchführbar. Denn: wird in diesem Falle das Gesetz der Tatzeit angewendet, so wird geurteilt nach einem formell nicht m e h r in Geltung befindlichen Gesetze; wird aber nach dem Gesetze der Urteilszeit erkannt, so wird auf die Tat ein zur Zeit der Tat noch nicht in formeller Geltung befindliches Gesetz angewandt. Diese Schwierigkeiten sucht das Gesetz in einer besonderen Regelung zu überwinden ( I I I ) 8 .

I I I . Das mildere Strafgesetz hat rückwirkende Kraft; von mehreren zwischen B e g e h u n g und A b u r t e i l u n g g e l t e n d e n S t r a f gesetzen f i n d e t das m i l d e s t e A n w e n d u n g . Dies ist in § 2 Abs. 2 StGB ausdrücklich gesagt: „Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwenden." 3 Zu welcher Zeit die Handlung begangen ist, wird an anderer Stelle untersucht: siehe hierüber S. 150 ff.

§ 8. Die zeitliche Geltung des Strafgesetzes.

67

Diese Regel gilt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes, mit dem die Motive übereinstimmen, auch für das sogenannte Z w i s c h e n g e s e t z : ist die nach Begehung der Handlung erfolgte Milderung vor Aburteilung wieder verschärft worden, so bleibt diese Verschärfung jener Zwischenmilderung gegenüber außer Betracht, die in diesem Falle das „mildeste" Gesetz ist 4 . Daß eine nach der Aburteilung Platz greifende Milderung grundsätzlich unberücksichtigt bleibt, ist anerkannt; eine Ausnahme enthält § 45 J G G 5 . M i l d e s t e s Gesetz ist das S t r a f g e s e t z , das i m k o n k r e t e n F a l l e das für den T ä t e r günstigste E r g e b n i s h e r b e i z u f ü h r e n v e r m a g ; mildestes Gesetz ist insbesondere das N i c h t s t r a f g e s e t z . Mit letzterem ist der Rechtszustand gemeint, bei dem die Handlung überhaupt nicht mit Strafe bedroht ist. Zum Strafgesetz gehören der Tatbestand im Sinne der allgemeinen Rechtslehre, d. h. die Summe derjenigen Voraussetzungen, von denen die Strafe als Rechtsfolge abhängig ist, insbesondere damit auch der Tatbestand im engeren, spezifisch strafrechtlichen Sinne, und die Strafdrohung. Seine tatbestandlichen Voraussetzungen entnimmt dabei das Strafgesetz vielfach außerstrafrechtlichen Gebieten; sie werden damit insoweit Bestandteile des Strafgesetzes selbst. Oder anders ausgedrückt : „Gesetz" im Sinne des § 2 Abs. 2 StGB ist der gesamte „ R e c h t s z u s t a n d " , von dem die Strafe abhängt. Eine Trennung und Unterscheidung innerhalb desselben ist nicht zulässig6. Möglich ist dabei, daß ein Gesetz teils milder, teils strenger ist als das andere. Dann kommt es entscheidend nicht mehr auf einen abstrakten Vergleich der mehreren Gesetze an, sondern darauf, welches Gesetz in Anwendung auf den k o n k r e t e n F a l l das für den Täter günstigste Ergebnis herbeiführt, indem es etwa durch dae Fehlen eines in concreto entscheidenden Tatbestandsmerkmals Freisprechung ermöglicht oder trotz eines höheren Strafhöchstmaßes ein geringeres Strafmindestmaß aufweist oder im Zusammenhalt mit 4 Durchaus herrschende Lehre, dagegen v. H i p p e l 67. Über „Zwischeni n e t a n z g e s e t z e " siehe F r a n k I V : die Rechtsprechung berücksichtigt das bis zur Berufungsinstanz ergehende Gesetz, dagegen nicht mehr das zur Zeit der Revisionsinstanz ergehende Gesetz. • Frank VI. • Mezger, ZStW. 42, 348ff. 371—372: die Beschränkung auf das „Strafgesetz" ist „entweder eine Selbstverständlichkeit oder einé petitio principii 41. Wechselt der Unterbau der Strafdrohung, so wechselt damit auch das „Gesetz4' im Sinne des § 2 Abs. 2. StGB. Bei inhaltlicher (sachlicher) Gleichheit, wenn auch formellem Wechsel der Gesetze ist dagegen solcher Wechsel zu verneinen: siehe unten und E. 49, 259 (260). 5*

68

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

allgemeinen strafrechtlichen Regeln eine Milderung ermöglicht. Diese konkrete Prüfung ist unentbehrlich, um festzustellen, welches Gesetz das „mildeste" ist. Sie steht in keinem Widerspruch damit, daß die Prüfung zunächst vom abstrakten „Rechtszustand(< ausgeht7. IV. V o n der A n w e n d u n g des m i l d e s t e n Gesetzes m a c h t die herrschende Auffassung zwei ungerechtfertigte Ausnahmen. 1. Es wird behauptet, § 2 Abs. 2 StGB finde keine Anwendung, wenn die Änderung ein a u ß e r h a l b des Strafgesetzes gelegenes Gesetz betrifft. Dieser Annahme liegen folgende, unter sich verschiedene, aber zu gleichem Ziele führende Erwägungen zugrunde 8 : innerhalb der auf die Bestrafung bezüglichen Rechtssätze sei zu unterscheiden zwischen der „Norm", der das Verbrechen zuwider handelt, und dem „Strafgesetz", durch das jene Zuwiderhandlung mit Strafe belegt wird; § 2 Abs. 2 StGB aber meine nur eine Verschiedenheit der „Strafgesetze 4 nur sie könne dem Täter zugute kommen, eine Änderung in der Norm lasse die Strafbarkeit unberührt ( n o r m e n t h e o r e t i s c h e Auffassung, insbesondere bei B i n d i n g und Beling). Oder man sagt: innerhalb der auf die Bestrafung bezüglichen Rechtssätze sei zu unterscheiden zwischen Rechstsätzen, die sich beziehen auf das geschützte „Rechtsgut (Schutzobjekt)", und solchen, welche die „schützende Norm", also das eigentliche Strafgesetz enthalten; § 2 Abs. 2 StGB aber meine nur eine Verschiedenheit der schützenden Norm, nur eine solche Entziehung oder Abschwächung des Strafschutzes könne dem Täter zugute kommen, eine Änderung in den Eigenschaften des Schutzobjekts dagegen lasse die Strafbarkeit unberührt ( r e c h t s g u t s t h e o r e t i s c h e Auffassung, insbesondere bei Kohlrausch). In der R e c h t s p r e c h u n g des R e i c h s g e r i c h t s , namentlich aus früherer Zeit, klingen vielfach Gedanken dieser Art an. Der normentheoretische Gesichtspunkt führt den höchsten Gerichtshof beispiels7

ZStW. 42, 373. Anerkannt, z. B. F r a n k IV. a. E. mit Rechtepr. v. Hippel 68. Aus der Rechtsprechung sei namentlich hervorgehoben E. 88, 187; 67, 121 („in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß nach den Umständen des besonderen Falles"); 61, 76; 61, 134. Zu E. 68, 99 (JGG) siehe die Anm. JurWo. 1924 S. 1754. L e i p z K o m m . § 2 V. am Ende des ersten Absatzes scheint zu unrecht einen Widerspruch darin zu sehen, daß zunächst vom „gesamten Rechtszustand" ausgegangen und dann eine konkrete Prüfung gefordert wird: dagegen Anm. J u r W o . 1929 S. 282. Daß auch prozessual günstige U m s t ä n d e und Nebenstrafen usw. bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind, führt F r a n k IV. 1. 3. näher aus. 8 Dazu ZStW. 42, 350ff.

§

. Die

e i c h e Geltung

es Strafgesetzes.

69

weise in E. 46, 393 (396) gegenüber den sogenannten Blankettgesetzen dazu, bei einer Änderung nur der blankettausfüllenden Norm die Vergünstigung des § 2 Abs. 2 StGB zu versagen. Aber auch über den Kreis der echten Blankettgesetze hinaus läßt das R G solche Trennung Platz greifen, z. B. in E. 4, 4 (5); 31, 225 (227); 32, 110 (112). Dem rechtsgutstheoretischen Gesichtspunkt näher stehen die Versuche, die „außerstrafrechtliche" Gesetzesänderungen aus § 2 Abs. 2 StGB ausscheiden und ihm nur die „strafrechtlichen" Änderungen belassen. Die Entscheidung in E. 33, 184 (186), daß eine Änderung der Buchführungs- und Bilanzziehungspflicht eine für § 240 KO beachtliche Milderung bringe, wird damit begründet, daß jene Vorschriften „zum Tatbestande des Konkursvergehens" gehöre. In die gleiche Richtung weisen E. 33, 187; 34, 37®. Die ganze Unterscheidung innerhalb des „Gesetzes", von dem allein § 2 Abs. 2 StGB spricht, ist willkürlich und ohne positivrechtliche Grundlage, übrigens gar nicht durchführbar. Gemeint ist vielmehr in dieser Gesetzesbestimmung mit dem Worte „Gesetz", wie bereits gesagt, der gesamte „ R e c h t s z u s t a n d " , auf dem die Strafbarkeit beruht, und seine etwaige Änderung; er umfaßt ebenso die „Norm" und die auf das „Schutzobjekt (Rechtsgut)" bezüglichen Rechtssätze, wie die schützende Norm, d. h. das Strafgesetz im engeren Sinne" 1 0 . V o r a u s s e t z u n g für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 2 StGB überhaupt aber ist, daß eine M i l d e r u n g des Rechtszustandes gegeben ist; ohne sie kommt die Anwendung des Gesetzes ü b e r h a u p t nicht in Frage 1 1 . Solche Milderung liegt beispielsweise vor bei Änderung der • Weitere Beispiele in beiden Richtungen — unter Verwendung des Ausdrucks „Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen'1, d. h. der „außer s t r a f recht liehen" Grundlagen — siehe ZStW. 42, 356—357. Auf der andern Seite „ s t r a f r e c h t l i c h e " , also für § 2 Abs. 2 StGB bedeutsame Änderungen: daselbst S. 358—359. Das RG führt freilich die ganze Unterscheidung ad absurdum, wenn es £ . 50, 398 (405) sie selbst als „eine zufällige Folge der veränderten Gesetzestechnik" bezeichnet. *· Nähere Begründung ZStW. 42, 367—370. 371—372. F r a n k V. 1, der grundsätzlich mit der im Text vertretenen Auffassung übereinstimmt, will sie nur dadurch einschränken, daß er „dieÄnderung der rechtlichen Voraussetzungen, unter denen das Rechtsgut (Interesse) entsteht", aus § 2 Abs. 2 StGB ausnimmt; aber auch diese Einschränkung findet im Gesetz keine Grundlage und läßt sich schwerlich scharf durchführen (jene „Voraussetzungen" sind selbst rechtegutsbeetimmende Normen). Die von F r a n k sachlich gewünschten Einschränkungen ergeben sich aus dem Gesetze selbst in anderer Weise, wenn man mit dem nachfolgenden Text das Erfordernis der „Milderung" betont. 11 ZStW. 42, 374. Wenn v. L i s z t - S c h m i d t 118, Anm. 8 dagegen geltend macht, „Milderung und Änderung seien keine Gegensätze", so ist übersehen, daß „Änderung" hier im engeren Sinne als „nichtmildernde Änderung" gemeint ist. Dazu die Anmerkung in J u r W o . 1928 S. 408. Einzelbeispiele ZStW. 42, 374ff.

70

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

blankettausfüllenden Norm, wenn sie den Pflichtenkreis des Täters vermindert, bei Einschränkung der Buchführungs- usw. Pflicht (E. 33, 184 und 187; 34, 37), bei Beseitigung des Yermieterkahlpfändungsrechts (E. 27, 98; 34, 157), bei Beseitigung der Urkundenqualität (E.4,4) usw., erst recht natürlich bei Erleichterung der strafrechtlichen Folgen der Tat (E. 32, 247 und 43, 122 mit besseren Verjährungsbedingungen, E. 46, 269 mit Strafantragserfordernis). K e i n e M i l d e r u n g dagegen liegt vor, § 2 Abs. 2 S t G B f i n d e t also k e i n e A n w e n d u n g , beispielsweise, wenn die zuvor gefälschte Münzgattung außer Kurs gesetzt wird (§ 146 StGB), wenn die verschiedenen Gesetze inhaltlich übereinstimmen usw. 2. Es wird ferner behauptet, § 2 Abs. 2 StGB finde keine Anwendung, wenn es sich um ein sogenanntes t e m p o r ä r e s oder Z e i t g e s e t z handelt. Gemeint ist damit: die Strafbarkeit bei den nur für eine bestimmte Zeitdauer erlassenen Gesetzen bleibe bestehen, auch wenn die Gültigkeit des Gesetzes abgelaufen ist. Auch hier führt die Begründung dieser angeblichen Ausnahme auf tieferliegende Erwägungen 12 . Der § 2 Abs. 2 StGB verleihe — so hat man gesagt — dem milderen Gesetz nur insoweit rückwirkende Kraft, als die Milderung oder Aufhebung auf einem „Wandel der Rechtsanschauung" beruhe und nicht nur auf einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die dem Gesetze zugrunde gelegen haben. Es soll also entscheidend auf das gesetzgeberische „Motiv" ankommen ( m o t i v e n t h e o r e t i s c h e Auffassung, insbesondere bei F r a n k ) . Auf dieser Grundlage beruht letzthin auch die eigenartige Behandlung der sogenannten Zeitgesetze in der R e c h t s p r e c h u n g des Reichsgerichts. Motiventheoretische Gesichtspunkte sind beispielsweise ausgesprochen schon in E. 13, 249 (251) „zu einer anderen Rechtsanschauung gelangt"; dann in E. 21, 294 (Sozialistengesetz); 47, 414 (416); 60, 398 (401, 405) usw. In E. 67,209 hat der IV. Senat unter Bezugnahme auf frühere Urteile die Stellung des höchsten Gerichtshofs dahin zusammengefaßt, daß § 2 Abs. 2 StGB für sogenannte Zeitgesetze vielfach nicht zur Anwendung gelangen könne, daß freilich die Einschränkung weder auf Zeitgesetze beschränkt sei, noch rechtsnotwendig für alle Zeitgesetze Platz greife. Entscheidend für die Anwendbarkeit der Bestimmung sei eben stets, ob ein „Wechsel in der Rechtsanschauung des Gesetzgebers" vorliege. Aus neuester Zeit sei hingewiesen insbesondere auf E. 61, 222 (Edelmetallgesetz), » Dazu ZStW. 42, 359«.

§ . Die

e i c h e Geltung des Strafgesetzes.

71

J u r W o 1928, S. 1595 (Weinsteuergesetz), E. 63, 244 und 64, 399 (Republikschutzgesetz). Die Motiventheorie kann nicht gebilligt werden. Sie steht in Widerspruch mit § 2 Abs. 2 StGB, nach dem es auf den Gesetzesinhalt, nicht auf das Gesetzesmotiv bei der Änderung ankommt 18 . Das hat das R G selbst früher in der beachtenswerten Entscheidung E. I I . 20, 407 (Reichsstempelgesetz) ausgesprochen und gegen die Motiventheorie hervorgehoben, daß mit ihr „die Vorschrift des § 2 Abs. 2 StGB vollständig außer Wirksamkeit gesetzt würde, da weder das Strafgesetzbuch noch die neuere Gesetzgebung Strafmilderungen motiviert". Leider haben E. I I I . 21,294 (Sozialistengesetz) und Ε . V. 47, 414 diese zutreffende Auffassung preisgegeben, ohne die erforderliche Entscheidung der Vereinigten Senate herbeizuführen. Demgegenüber müssen wir daran festhalten, daß auch die sogenannten Zeitgesetze grundsätzlich eine Sonderbehandlung nicht rechtfertigen 14 . Mit Recht macht aber F r a n k V. 2 darauf aufmerksam, daß schon im Wege der A u s l e g u n g sich ergibt, daß vielfach solche nur für bestimmte zeitliche Verhältnisse berechneten sogenannten Zeitgesetze ihrem Inhalt nach gar nicht unter den § 2 Abs. 2 StGB fallen. Die zeitliche Beschränkung des Gesetzes bedeutet hier, daß die Handlung nur strafbar ist, wenn sie innerhalb einer bestimmten Zeit, z. B. während der Zeit einer Seuchengefahr, begangen wird; dann liegt beim Ablauf des Gesetzes überhaupt keine Änderung des Rechtszustandes vor. Es ist in Wahrheit nur eine Frage der Gesetzestechnik, ob es heißt: die bis zum 1. April erfolgende Einfuhr wird bestraft, oder: das Gesetz tritt am 1. April außer Kraft. Die Bestrafung früher begangener Handlungen auch nach Ablauf des Gesetzes rechtfertigt sich, weil es hier an jeder „ M i l d e r u n g " des R e c h t s z u s t a n d e s f e h l t 1 5 . U n r i c h t i g aber ist es, wenn das R G eine solche Sachlage bei den nur auf eine von vornherein bestimmte Zeitdauer erlassenen Gesetzen gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie von 1878 bzw. 1888 (E. 21, 294) und zum Schutze der Republik von 1922 (E. 63, 244) angenommen hat. Straftaten gegen diese Gesetze waren in Wahrheit nach A b l a u f der dem Gesetze u

Näher dazu ZStW. 42, 370ff. " ZStW. 42, 377 ff. " Siehe ZStW. 42, 382, wodurch S. 378 ergänzt wird. Zum wesentlich gleichen Ergebnis gelangen die Ausführungen von v. H i p p e l I I . 66/67. Ganz im Sinne des Textes v. L i s z t - S c h m i d t 116—118. Näher über die Stellung der Literatur und Judikatur F r a n k , v. H i p p e l und v. L i s z t - S c h m i d t an den genannten Orten.

72

Zweiter Abschnitt. Der Geltungereich des Strafgesetzes.

gesetzten F r i s t n i c h t m e h r strafbar. D e n n hier lag i n dem A b l a u f der gesetzlichen D a u e r die „ M i l d e r u n g " . Der Sinn 1 · dieser Gesetze war n i c h t der, daß jene Bestrebungen der Sozialdemokartie bzw. diese Verfehlungen gegen die Republik strafbar sein sollen, w e n n sie i n n e r h a l b b e s t i m m t e r Z e i t begangen w ü r d e n , sondern der, daß sie ü b e r h a u p t strafbar sein sollten. Kamen die Gesetze durch Zeitablauf oder sonstwie in Wegfall, so fiel damit auch diese Strafbarkeit überhaupt. §9.

Die persönliche Geltung des Strafgesetzes 1. I. Auch wo die räumliche (§ 7) und zeitliche (§ 8) Geltung des Strafrechts bejaht wird, kann dessen persönliche Geltung beschränkt sein. Rechtssätze, die solche persönliche Beschränkung enthalten, sind, genau wie diejenigen, welche die räumliche und zeitliche Anwendung regeln, n i c h t S t r a f r e c h t , sondern Strafrechtsanwendungsrecht. Sie schaffen, da die strafrechtlichen Sätze g r u n d s ä t z l i c h innerhalb ihres räumlichen und zeitlichen Geltungsgebietes auf alle Personen Anwendung finden, bestimmte Ausnahmen von dieser umfassenden personellen Geltung. Von Rechtssätzen dieser Art sind zu unterscheiden die Rechtssätze des Strafprozeß rechts, welche sogenannte P r o z e ß h i n d e r n i s s e für die strafprozessuale Verfolgung bestimmter Straftaten schaffen. Sie entziehen aus prozessualen Gründen bestimmte Handlungen, die alle Merkmale einer strafbaren Handlung an sich tragen und auf die das geltende Strafrecht uneingeschränkt Anwendung findet, der Verfolgung. Sie können z e i t l i c h begrenzt sein in dem Sinne, daß nach Wegfall des Hindernisses der Aburteilung nichts mehr im Wege steht; sie können aber ebensogut sachlich bestimmt sein in dem Sinne, daß gewisse Handlungen ein für allemal der Aburteilung der deutschen Gerichte entzogen sind 2 . Die herrschende Lehre behandelt die hier zur Erörterung stehenden Fragen vielfach unter dem gänzlich unklaren Begriff der sogenannten le Anders zu Unrecht auch RG I I . vom 15. Mai 1930. 2. D. 1354/29. JurWo. 1931 S. 740. 1 v. L i s z t - S c h m i d t 136. v. H i p p e l I I . 81. B e l i n g , Die strafrechtliche Bedeutung der Exterritorialität 1896. v. B a r , Gesetz I. 236. K l e i n f e l l e r , VDA. I. 323. B i n d i n g , Hdb. I. 667. M. E. M a y e r 58ff. Weitere Literatur an den angegebenen Stellen. 2 Dies übersieht v. H i p p e l 82 und gelangt daher zu einer unangebrachten Einengung des Anwendungsgebietes solcher Prozeßhindernisse.

§ 9. Die persönliche Geltung des Strafgesetzes.

73

persönlichen S t r a f a u s s c h l i e ß u n g s g r ü n d e 8 . Persönliche Strafausschließungsgründe sind ihrem Wesen nach etwas durchaus nicht Einheitliches. Sie können nämlich sein: a) persönliche B e s c h r ä n k u n g e n des t a t b e s t a n d s m ä ß i g e n Unrechts. Hierher gehört etwa die Beschränkung des § 88 StGB auf „Deutsche". In Wahrheit liegt hier ein sogenanntes Sonderverbrechen mit beschränktem Täterkreis vor 4 . b) persönliche B e s c h r ä n k u n g des s c h u l d h a f t e n H a n d e l n s . Es handelt sich hierbei im einzelnen entweder um persönlichen Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit, wie in § 3 JGG, oder um persönlichen Ausschluß der Schuldform, wie beim relevanten Irrtum, oder um einen persönlichen Schuldausschließungsgrund, wie beim Notwehrexzeß des § 53 Abs. 3 StGB. Eine solche persönliche Schuldausschließung kann im Gesetz auch beim einzelnen Tatbestand verordnet sein, wie etwa für Angehörige in § 247 Abs. 2 StGB (Diebstahl unter Ehegatten usw.) oder in § 257 Abs. 2 StGB (Begünstigung). c) persönliche B e s c h r ä n k u n g der G e l t u n g gesetzes. Darüber allein ist hier zu handeln.

des

Straf-

I I . Persönliche G e l t u n g s b e s c h r ä n k u n g e n des S t r a f r e c h t s fehlen i m h e u t i g e n R e c h t . Sie bestanden früher in Ansehung des Kaisers, der deutschen Landesherren und der Regenten, auf die das deutsche Strafrecht überhaupt keine Anwendung erfuhr 6 . Für den Reichspräsidenten schafft Art. 43 Abs. 3 RVf heute nur ein prozessuales Privileg. Jene Exemption des Kaisers usw. von der Geltung der Strafgesetze schloß richtiger Ansicht nach die Möglichkeit einer strafbaren Teilnahme aus, ließ aber mittelbare Täterschaft eines Andern zu. Ebensowenig würde solche Exemption vom Strafgesetz notwendig den Ausschluß eines rechtswidrigen Angriffs und der Notwehr gegen diesen bedeuten. I I I . D i e üblicherweise als persönliche G e l t u n g s b e s c h r ä n k u n g e n des S t r a f r e c h t s v e r s t a n d e n e n F ä l l e sind i n W a h r h e i t P r o z e ß h i n d e r n i s s e 6 . Sie lassen das Unrecht und die Schuld der Tat unberührt. Es ist deshalb nicht nur mittelbare Täterschaft, s

v. L i s z t - S c h m i d t 137. ν. H i p p e l I I . 81. 382—383. Siehe dazu S. 451 ff. 5 Dazu v. H i p p e l 85; für die Mitglieder landesherrlicher Familien bestanden nur prozessuale Sonderrechte. e Treffende Bemerkungen gegen die übliche Einreihung unter die persönliche Geltung des S traf rechts bei M. E. M a y e r 59. 4

74

Zweiter Abschnitt. Der Geltungsbereich des Strafgesetzes.

sondern auch echte Teilnahme eines Andern und gegen die rechtswidrige Handlung Notwehr zulässig7. Die nähere. Behandlung der einzelnen Prozeßhindernisse gehört nach dem Gesagten nicht dem Strafrecht, sondern dem S t r a f p r o z e ß r e c h t an. Es zählt hierher: 1. die A b g e o r d n e t e n i m m u n i t ä t des Art.36 R V f ; durch diesen Artikel ist § 11 StGB ersetzt. Hier handelt es sich um ein sachlich wirkendes Prozeßprivileg für die genannten Personen. Das will besagen: das Mitglied des Reichstags oder eines Landtags darf wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs getanen Äußerungen nicht strafrechtlich verfolgt werden, und zwar auch nicht, nachdem seine Abgeordneteneigenschaft weggefallen ist. Das Prozeßprivileg wirkt gegenüber der Abstimmung und Äußerung als solcher, aber freilich immer nur für die Person des (früheren) Abgeordneten 8. Dagegen enthält § 12 StGB bzw. Art. 30 RVf einen Unrechtsausschließungsgrund, der für alle Beteiligten wirkt 9 . 2. die v ö l k e r r e c h t l i c h e n B e f r e i u n g s g r ü n d e für fremde Staatshäupter, Gesandtschaftspersonen usw. Auch sie haben durchweg nur prozessualen Charakter, wirken freilich vielfach ebenfalls nicht nur persönlich, sondern auch sachlich und schließen damit spätere Bestrafung aus. Strafbare Teilnahme Dritter und Notwehr sind möglich 1 0 . 7 I m Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung zustimmend die h. M. v. Liszt-Schmidt 137. v. H i p p e l 81. F r a n k § 11 IV. 8 Für sogenannten persönlichen Strafausschließungsgrund F r a n k § 11 IV. v. L i s z t - S c h m i d t 136. v. H i p p e l 85. 9 Ebenso F r a n k § 12 I I . 10 Siehe hierüber im einzelnen bei v. L i s z t - S c h m i d t 137f. v. H i p p e l 82ff. Letzterer wendet sich mit großer Entschiedenheit gegen die prozessuale Auffassung und tritt für die materielle Bedeutung der Befreiung ein; er geht aber auch hier von einer zu engen Auffassung des Prozeßhindernisses aus (s. o.). Für prozessuale Bedeutung Beling a. a. 0 . , F r a n k § 3 V. und andere dort Genannte.

Dritter Abschnitt.

Die Technik und die Auslegung des Strafgesetzes. § 10.

D e r Grundsatz gesetzlicher Bestimmtheit der Strafe 1 . I. Keine Strafe ohne Gesetz (Nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege). Der Satz: Keine Strafe ohne Gesetz, gilt heute mit unverbrüchlicher Strenge. § 2 Abs. 1 StGB bestimmt in dieser Hinsicht: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Ohne Gesetz soll es kein Verbrechen geben (nullum crimen sine lege) und die für das Verbrechen erkannte Strafe soll nur insoweit ausgesprochen werden dürfen, als sie g e s e t z l i c h bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde (nulla poena sine lege). Dieser Satz ist h e u t e wenigstens t e i l w e i s e verfassungsr e c h t l i c h s a n k t i o n i e r t . In dieser Hinsicht bestimmt Art. 116 der

Reichsverfassung von 1919: „Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." § 2 Abs. 1 StGB und Art. 116 RVf. besagen nicht dasselbe. Während sich Art. 116 RVf damit begnügt, daß „die S t r a f b a r k e i t " der Handlung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde (nullum crimen sine lege), fordert § 2 Abs. 1 StGB, daß „diese S t r a f e " (sc. die für die Handlung erkannt werden will) gesetzlich 1

Siehe hierzu v. L i s z t - S c h m i d t 109ff. F r a n k § 2 I. I I . v. H i p p e l Bd.II. S. 31 ff. S c h o t t l ä n d e r , Die geschichtliche Entwicklung dee Satzes: Nulla peona sine lege. Strafrl. Abh. 132 (1911). D r o s t , Das Ermessen des Sträfrichters (1930) insbesondere S. 80ff. Dazu auch H a f t e r , Lehrb. des schweizerischen Strafrechts (1926) S. lOff. H e i m b e r g e r , Freiheit und Gebundenheit des Richters in weltlichem und kirchlichem Strafrecht. Frankfurter Rektoratsrede. 1928. Beck, Das Afghanische StGB vom Jahre 1924. Aus: Die AVeit des Islams 1928, sowie das früher genannte Strafrecht von Sowjet-Rußland (oben S. 51). G r ü n h u t , ZStW. 50, 284.

76 Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgeselzes.

bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde (nulla poena sine lege). Art. 116 RVf hat also nicht etwa den § 2 Abs. 1 StGB aufgehoben, sondern — freilich nicht in seinem ganzen Umfange — verfassungsrechtlich bestätigt. Kraft Verfassungsrechts ist nunmehr festgelegt, daß keine Handlung, n a c h d e m sie begangen worden ist, zur strafbaren Handlung, zum Verbrechen, gestempelt werden darf, während es verfassungsrechtlich zulässig wäre, die früher angedrohte Strafe nachträglich gesetzlich zu ändern oder von vornherein die Strafe richterlichem Ermessen zu überlassen; kraft einfachen Reichsgesetzes ist dagegen auch solche Änderung und solche Unbestimmtheit der Strafe verboten 2 . Das Verhältnis von § 2 Abs. 1 StGB und Art. 116 RVf, wie wir es eben näher bestimmt haben, ist in L i t e r a t u r und R e c h t s p r e c h u n g umstritten. Nach dem Vorgang von A n s c h ü t z 3 nimmt v. L i s z t S c h m i d t an, daß Art. 116 RVf. genau denselben Inhalt wie der bisherige § 2 Abs. 1 StGB besitzt (nullum crimen u n d nulla poena sine lege), diesen damit außer Kraft gesetzt hat und nunmehr mit verfassungsrechtlicher Wirkung dessen sachlichen Gehalt zum verfassungsmäßig geschützten Rechte erhebt. Demgegenüber teilt v. H i p p e l zwar die Auffassung, daß Art. 116 RVf. genau dasselbe sagt wie bisher § 2 Abs. 1 StGB, er ist aber der Ansicht, daß damit § 2 Abs. 1 StGB in seiner eigenen Geltung unberührt bleibt: sein Inhalt ist in die Reichsverfassung übernommen, er selbst dadurch aufrechterhalten und als Grundrecht anerkannt, d. h. als ein Grundrecht, das nur durch Verfassungsänderung beseitigt werden könnte. Das Reichsgericht läßt leider in der Frage eine klare Stellungnahme vermissen. Als weiter geltend behandeln den § 2 Abs. 1 StGB: Ε . I V 55,115 (116). E. I I . I I I . 56,161 (168). E. I I . 57, 404 (406). E. 1.58, 401 (406). Ε. I. 62, 369 (372). Dagegen erachten ihn für aufgehoben: Ε. V. 66,318. E. I I I . 57,49. Ε. V. 57,119. Ε . I. 59,281 (288). Besonders bedenklich ist E . V . 56, 318: nach dieser soll § 2 Abs. 1 StGB durch den engeren Art. 116 RVf aufgehoben sein und diese sichtliche » So F r a n k § 2 I. * A n s c h ü t z , Die Verfassung des deutschen Reichs 3./4. Aufl. 1926 Art. 116 N. 1. Siehe auch v. H i p p e l , ZStW. 42, 405 Anm. 3 und S t i e r - S o m l o , Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht 1924.1.311. Ferner Kftckell, ZStW. 41,684. M i t t e r m a i e r , DeutStrafrZtg. I X . 226, sowie Lobe, LcipzKomm. § 2 N. 1 und Gerland 56, wobei jedoch die beiden letzten den § 2 Abs. 1 StGB im Gegensatz zu Anschütz und zu v. L i s z t - S c h m i d t 111 Anm. 3 weiter neben Art. 116 RVf. gelten lassen wollen. Weitere Literatur bei v. H i p p e l I I . 34/5. 41.

s 10. Der Grundsatz gesetzlicher Bestimmtheit der Strafe.

77

Rechtsverschlechterung dazu führen, daß heute Strafgesetze mit unbestimmter Höchststrafe als zulässig zu erachten sind 4 . Bei dieser Sachlage ist es nicht zu billigen, daß RTagsEntw. 1927 und E n t w . 1930 auf eine Wiederholung des geltenden § 2 Abs. 1 StGB verzichten und in § 1 nur die „Strafbarkeit' 4 als zuvor gesetzlich bestimmt fordern wollen. Begr. 1927 S. 7 hebt zwar den von § 2 Abs. 1 StGB abweichenden Wortlaut hervor, läßt aber nicht erkernen, weshalb der geltende Rechtszustand durch Streichung des Satzes: nulla poena sine lege, verschlechtert werden soll, oder ob dies überhaupt beabsichtigt ist. Zur Beseitigung dieser Zweifel wäre daher ein ausdrückliches Festhalten an diesem geschichtlich überkommenen und von unserem heutigen Rechtsbewußtsein dringend geforderten Satze dringend erwünscht. I I . D i e r e c h t s g e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k l u n g u n d die k u l t u r e l l e B e d e u t u n g des Satzes. Der Satz: nullum crimen, nulla poena sine lege, ist ein Palladium staatsbürgerlicher Freiheit. Er gibt der Strafrechtspflege mit ihren tiefen Eingriffen in Freiheit, Ehre, Vermögen, ja in das Leben der Rechtsunterworfenen ihren für unser Rechtsbewußtsein allein erträglichen gesetzlichen G r u n d 6 . Die Heimat des Satzes ist England. Die Magna Charta König Johanns von 1215 verbietet in Artikel 39 eine Strafe gegen den Freien, „nisi per legale judicium parium suorum vel per legem terrae" e . Von 4 Scharf gegen dieses Urteil M i t t e r m a i e r a. a. O., v. L i s z t - S c h m i d t 111 Anm. 3. ν. H i p p e l I I . 35 Anm. 2 und 43. • Der § 2 Abs. 1 StGB bzw. Art. 116 RVf. ist zunächst eine „Magna charta" des NichtVerbrechers, indem er ihn vor willkürlichen Eingriffen der Strafjustiz sichert. Er ist aber, wie v. L i s z t — freilich zu einseitig — gesagt hat, auch eine ,,Magna charta des Verbrechers", indem er auch diesen vor einer ihm n i c h t z u k o m m e n d e n Strafe bewahrt. Zu weitgehend deshalb die Kritik gegenüber dem v. Lisztschen Satz bei v. H i p p e l I I . 36 Anm. 2 und 44 Anm. 2. Zur geschichtlichen Entwicklung vergleiche namentlich die Schrift von S c h o t t l ä n d e r , v. H i p p e l I I . 33 und Drost a. a. O. 6 Das „vel 11 im Sinne von „et", nicht von „oder". S c h o t t l ä n d e r 26. Das germanische Strafrecht ruht auf Gewohnheit, die trotz gesetzlicher Festlegungen, namentlich in der Frankenzeit, auch im M i t t e l a l t e r nicht verschwindet. I m römischen Recht brachte der Quastionenprozeß gesetzliche Bindung für die crimina légitima, freilich mit der Möglichkeit der analogen Ausdehnung und mit daneben bestehender freien Coercitio des Magistrats ; die Kaiserzeit führt zu ungebundener Strafgewalt des Kaisers und seiner Beamten. Die Carolina gibt grundsätzlich Gesetzesrecht, läßt aber analoge Anwendung offen, die im gemeinen Strafrecht an Umfang zunimmt. Die A u f k l ä r u n g s z e i t wendet sich gegen die Willkür in der Strafrechtspflege und greift damit die im Text geschilderte Entwicklung auf. Zur amerikanischen, französichen, preußischen und modernen Entwicklung S c h o t t l ä n d e r S. 51 ff. Zur Déclaration von 1789, zur Josephina 1787 und zu Feuerbach auch Drost S. 86, 99 und 110. Siehe auch B i n d i n g , Hdb. I. 204. Kritisch Rieh. S c h m i d t , GerS. 96, 23.

78

Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgesezes.

hier wird der Satz in die Nordamerikanischen Petitions of Rights übernommen. Auf dem europäischen Kontinent erscheint er zuerst in der österreichischen Josephina von 1787. Die französische Déclaration des droits de l'homme et du citoyen vom 26. August 1789 in Art. 8 gibt ihm dann die scharfe Fassung: „Nul ne peut être puni qu'en vertu d'une loi établie et promulgée antérieurement au délit et légalement appliquée". Das Preußische Landrecht Teil I I Titel 20 § 9 und zahlreiche deutsche Landesverfassungen übernehmen ihn der Sache nach. F e u e r b a c h , Lehrb. 14. Aufl. §§ 19, 20 hat ihm die Formulierung des: nullum crimen, nulla poena sine lege gegeben. Heute erscheint der Satz als ein international anerkannter Bestandteil unseres Strafrechtsbewußtseins ( F r a n k ) . Von Interesse ist es aber zu sehen, wie auch im Rechtsleben der Gegenwart in bestimmten Zusammenhängen und unter scheinbar ganz verschiedenen Umständen Widerstand gegen die Anerkennung des Satzes sich findet. H e i m b e r g e r zeigt an Hand des fünften Buches des Codex juris canonici von 1917, wie hier — trotz C. 2219 § 3 — die ausschließlich gesetzliche Begründung der Strafe fehlt und „die pädagogische, über das Heil der Seelen wachende Tendenz der Kirche" solcher Bindung widerstrebt. Aus der Studie von Beck erfahren wir, daß die von dem afghanischen König Amanullah geplante Einführung des abendländischen Satzes schließlich am Widerstreben der orthodoxen islamischen Geistlichkeit gescheitert ist und die gesetzlich bestimmte Strafe den alten „Tazîr- Strafen", d. h. den Strafen nach Ermessen des Richters, hat weichen müssen; auch hier vertrug sich der Satz nicht mit den priesterlichen Grundsätzen. Endlich hat das. moderne Sowjet-Strafrecht von 1926 im revolutionären kommunistischen Staate gleichfalls die feste richterliche Bindung beseitigt7. Es zeigt sich hierin, „daß auch im Strafrecht eine engere (freiwillige oder erzwungene) Gesinnungsgemeinschaft nicht der formalen Grenzziehung bedarf, innerhalb deren der liberale Rechtsstaat Selbstbescheidung üben muß" ( G r ü n h u t ) 8 . I I I . Eine merkwürdige Ü b e r s p a n n u n g des Grundsatzes gesetzlicher Bindung des Richters treffen wir gelegentlich in der Geschichte des Rechts in dem V e r b o t der A u s l e g u n g des S t r a f 7 Siehe dazu Art. 16 des StGB der RSFSR vom 22. November 1926 mit den Ausführungen von Eberhard S c h m i d t , Strafrechtsreform und Kulturkrise (1931) S. 17. 8 v. H i p p e l I I . 34 Anm. 3 erinnert an das Wort Berners, Lb. 1898 S. 251 Anm.: diesen Grundsatz aufzugeben, „könnte nur der Despotismus bereit sein".

§

. Die

sleung des Strafgesetzes.

79

gesetzes 9 . Dieses „barocke Verbot der Kommentierung des Gesetzes" ( B i n d i n g ) findet schon bei Justinian sein Vorbild. Nach der Vorrede zum Corpus iuris Fridericiani von 1749/51 sollte es ferner „bei schwerer Strafe verboten werden, daß Niemand sich unterstehen sollte, einen Commentarium über das ganze Landrecht oder einen Teil desselben zu schreiben". In strafrechtlicher Beziehung sind in dieser Richtung besonders interessant die amtlichen „Anmerkungen zum StGB für das Königr. Bayern" Bd. I — I I I (1813/14), die S. I — I V in der VO vom 19. Oktober 1813 ausdrücklich die Abfassung anderer Kommentare verboten und den Gerichten und den „Lehrern unserer Landesuniversitäten" befahlen, sich „ausschließlich an den Text des Gesetzbuchs mit Benützung der Anmerkungen zu halten"; dies hatte zur Folge, daß in der Tat während der fünfzigjährigen Geltung des Bayerischen Strafgesetzbuchs von 1813 kein Kommentar erschienen ist. Diese verfehlten, jede gesunde wissenschaftliche Entwicklung hemmenden Verbote sind der verdienten geschichtlichen Vergessenheit anheimgefallen. Die Bindung des Richters an das Gesetz hindert nicht, sondern e r f o r d e r t erst eine A u s l e g u n g des S t r a f gesetzes. Von ihr und ihren Grundlagen soll im nachfolgenden Paragraphen die Rede sein. § 11.

I. Auslegung des Gesetzes bedeutet die Ermittlung seines maßgebenden Sinns zum Zwecke seiner Anwendung auf die Einzelfälle des wirklichen Lebens. Gesetz ist zunächst zu verstehen im w e i t e s t e n Sinn der Rechtsnorm überhaupt, einschließlich des Gewohnheitsrechts. In einem engeren Sinn bezeichnet Gesetz die Erklärung rechtlichen Inhalts seitens des zur Rechtsschöpfung besonders berufenen Organs 2 . I m 9

Siehe dazu v. B a r , Gesetz I. 10. B i n d i n g , Hdb. I. 22—24. v. L i s z t S c h m i d t 112 bei Anm. 4 mit Lit. ν. H i p p e l I. 276. 298/99, I I . 33 Anm. 13 und 34 Anm. .1. 1 Literatur bei H e c k , Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz(1914). Beling, Methodik der Gesetzgebung insbesondere der Strafgesetzgebung (1922). Grün h u t , Methodische Grundlagen der heutigen Strafrechtswissenschaft. Frank-Festgabe I. Iff. (1930). Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Straf recht (1930). Der Methodenstreit in der heutigen Rechtswissenschaft (1930). Mezger, Der Begriff der Rechtsquelle in Beilageheft zu Bd. 133 des Archivs für die zivilistische Praxis (1931) S. 19—46. * Mezger a. a. O. 25.

80

Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgesezes.

engsten Sinn versteht man unter Gesetz die Erklärung solcher Art seitens des obersten Gesetzgebungsorgans. So wird der Begriff vor allem im Strafrecht praktisch. Aber auch sog. Verordnungen, soweit ausnahmsweise staatsrechtlich ein Verordnungsrecht eingeräumt ist, oder staatsrechtlich wirksame Staatsverträge können Strafe begründen 3. Von Auslegung kann nur die Rede sein, wenn der T e x t des Gesetzes ermittelt ist und feststeht (sog. T e x t k r i t i k ) . In das Gebiet der Frage, was Gesetz ist, fällt damit auch die Frage, ob und inwieweit Berichtigungen des gesetzlichen Wortlauts zulässig und geboten sind. Liegt gegenüber der Originalurkunde des Gesetzes ein „ D r u c k f e h l e r " vor, so entscheidet der Originaltext; der Druckfehler kann, da ihm ein gesetzgeberischer Wille fehlt, nicht maßgebend sein und formlos berichtigt werden (E. 61, 135). Von einem „Red a k t i o n s v e r s e h e n " spricht man demgegenüber, wenn eine irrige Erklärung vorliegt und so das in Wahrheit vom Gesetzgeber nicht Gewollte verkündet worden ist; dann ist das Verkündete Gesetz. E. 40, 191 (196) wahrt aber mit Recht in weitgehendem Maße der richterlichen Auslegung die Befugnis zu berichtigendem Eingreifen, mindestens soweit dadurch eine Strafe ausgeschlossen oder gemildert wird. Von beiden Fällen ist der sogenannte „ M o t i v i r r t u m " zu unterscheiden, bei dem der Gesetzgeber selbst unter der Wirkung eines sachlichen Irrtums etwas gewollt und erklärt hat; hier ist das Erklärte Gesetz und kann nur durch einen neuen Gesetzgebungsakt beseitigt werden 4 . Steht der Gesetzestext seinem Wortlaute nach fest, so folgt dessen Auslegung. Für sie gilt im einzelnen folgendes: 1. Jede Auslegung beginnt mit der Auslegung des Wortlautes an Hand des allgemeinen und des besonderen juristischen, insbesondere strafrechtlichen (z. B. §§ 52 Abs. 2, 359 StGB) Sprachgebrauchs (sog. g r a m m a t i s c h e Auslegung). Dabei sind mitzuberücksichtigen die Entstehungsgeschichte (sog. historische Auslegung) und der äußere Zusammenhang des Gesetzes (sog. systematische Auslegung) ; beide sind aber nur Hilfsmittel der Auslegung, nicht bindende Richtlinien. Insbesondere fehlt den sogenannten Gesetzesmaterialien im heutigen Straf recht die Gesetzeskraft. Denn der Inhalt des Gesetzes 3 Näher v. L i s z t - S c h m i d t 113. F r a n k § 2 I. 3. v. H i p p e l I I . 36 Anm. 1 mit Rechtsprechung E. 55, 116; 55, 246; 68, 270. Siehe auch E. 44, 33 (35). 4 Siehe zum Vorstehenden v. L i s z t - S c h m i d t 113. L e i p z K o m m . § 2 N. 5.

§11. Die Auslegung des Strafgesetzes.

81

(„der Wille des Gesetzes"), nicht sein Werdegang („der Wille des Gesetzgebers") ist bindendes Recht 6 . 2. Jede Auslegung richtet sich über den Wortlaut des Gesetzes hinaus nach den aus dem Gesetz zu ermittelnden Zwecken des Gesetzes (sog. teleologische Auslegung). Denn jedes Gesetz ist ein Mittel zur Erreichung bestimmter sozialer Zwecke und kann nur aus dieser seiner Zweckbeziehung heraus wirklich verstanden werden e . Dabei ist jedoch noch genauer zu unterscheiden: a) Dieser die Auslegung des Gesetzes leitende Zweck ist zunächst der Z w e c k des e i n z e l n e n Gesetzes. Aus dem einzelnen Gesetz ist durch Auslegung jeweils sein besonderer Zweck zu ermitteln, und der so ermittelte Zweck ist dann seinerseits wieder maßgebend für die Auslegung des Gesetzes selbst. Diese Form der Auslegung wird im Rahmen des Strafrechts insbesondere von Bedeutung bei Auslegung der s t r a f r e c h t l i c h e n T a t b e s t ä n d e ; bei ihnen richtet sich der jeweilige Zweck auf den Schutz eines bestimmten „Rechtsguts", dessen Ermittlung und Verwertung damit zu einer besonders bedeutsamen Aufgabe der Auslegung wird 7 . b) Ein für die Auslegung leitender Zweck ist aber auch der Zweck der R e c h t s o r d n u n g als einem G a n z e n und der i m m a n e n t e Zweck des Rechtes selbst. Will die Gesetzesauslegung den Wert des Rechts wirklich erfassen, so darf sie nicht bei der einzelnen Gesetzesbestimmung und ihrem Einzelzweck stehen bleiben, sondern muß bis zu den Zwecken der gesamten Rechtsordnung, ja zu den Zwecken des Rechtes überhaupt zurückgreifen. Auch aus diesem, Ganzen des Rechts ergeben sich maßgebende Richtlinien für die Auslegung des einzelnen Gesetzes und für seine Anwendung auf den besonderen Fall. Selbst das „Semper et ubique" des Rechts kann damit für die Auslegung von Bedeutung werden 8. Besondere Bedeutung gewinnen diese Gedanken im Strafrecht in der Lehre vom Unrecht 6

Zutreffendes bei Schwinge, Teleol. Begr. S. 47—59. Siehe B i n d i n g , Hdb. I. 455. Anders etwa Enneccerus, Lb. bürgerl. Recht Bd. I. § 49 I I mit Lit. Der vielfach übliche Ausdruck „logische Auslegung'4 (v. H i p p e l I I . 37 Anm. 6) ist unklar und deshalb im Text vermieden. • Siehe dazu H e g l e r , ZStW. X X X V I . 20ff. Frank-Festgabe I. 270ff. Arch, civ. Prax. Beil. zu Bd. 133 S. 234, jetzt insbesondere G r ü n h u t und Schwinge a. a. O. (1930). 7 Hierzu S. 200 ff. 8 Daher wohl zu eng H e g l e r , Frank-Festgabe I. 272. In E. 62, 65ff. 67 beruft sich das RG. sogar auf das „Naturrecht"; im engeren Sinn naturrechtliche Gedanken liegen den Ausführungen des Textes nicht zugrunde. Mezger a. a. O. 44—46. Mezger, Lehrbach des Strafrechte.

6

82

Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgesezes.

bei dem allgemeinen sog. G ü t e r a b w ä g u n g s p r i n z i p als Unrechtsausschließungsgrund, in dem die verschiedenen Rechtsgüter wertabwägend einander gegenübergestellt werden, und in der Lehre von der Schuld bei der sogenannten N i c h t z u m u t b a r k e i t als allgemeinem Schuldausschließungsgrund0. 3. Jede Auslegung ist ihrem Wesen nach schöpferischer N a t u r . Indem sich die Begriffsbildung der Rechtswissenschaft 10 nach „Zwecken" richten muß, ist sie nicht bloß erkennende (kognitive), sondern g e s t a l t e n d e (emotionale) und damit n o t w e n d i g e r weise schöpferische B e g r i f f s b i l d u n g 1 1 . Aus dem gegebenen Material des Gesetzes schafft juristische Begriffsbildung in der Auslegung neue Werte, die zwar stets dem Gesetze gemäß sein müssen, die aber doch zugleich ihrem Wesen nach eine schöpferische Gestaltung bedeuten. Daß es sich bei aller juristischen Begriffsbildung letzten Endes um solche schöpferische Tätigkeit handelt, ergibt sich noch aus einer weiteren Erwägung. Alle Auslegung erstrebt die Ermittlung des maßgebenden Sinns des Gesetzes, um der Anwendung des Gesetzes auf das wirkliche Leben zu dienen. Von der abstrakten Regel des Gesetzes zu den individuellen Einzelfällen des wirklichen Lebens und ihrer rechtlichen Regelung führt aber niemals bloße Erkenntnis, sondern immer nur die T a t 1 2 . Die wissenschaftliche Auslegung des Gesetzes will das Gesetz tauglich machen zu solch richterlicher Fallentscheidung. Auch sie muß daher diejenigen Wege beschreiten, die zu solcher Anwendung führen; auch sie trägt damit i n d i v i d u a l i sierenden und schöpferischen Charakter. • Hierzu S. 239 ff. und S. 370ff. Über den Gegensatz der (für die Auslegung in Betracht stehenden) „Begriffsbildungsfrage" zur (gesetzgeberischen) „ P r i n z i p i e n f r a g e " (Rothacker) siehe Schwinge, Methodenstr. 24. 29. Über das Erfordernis einer „geisteswissenschaftlichen Methode" im Recht: Derselbe, Teleol. Begr. 18. Method. 6 mit Zit. 11 Siehe über den Gegensatz von k o g n i t i v e m und e m o t i o n a l e m Denken: H. M ai er, Psychologie des emotionalen Denkens (1908), insbesondere S. 5. Damit ergibt sich neben der kognitiven Logik als normativer Lehre von den Denknotwendigkeiten im Gebiete des erkennenden Denkens eine besondere emotionale Logik als normative Lehre von den Denknotwendigkeiten auf dem Gebiëte des gestaltenden Denkens (siehe S. 40 ff.). Zu letzterem gehört insbesondere das rechtliche Denken: darüber S. 677ff. Juristische L o g i k ist emotionale L o g i k , nicht ausschließlich kognitive Logik. Siehe B e l i n g , Methodik (1922) S. Iff. Daraus folgt: Jurisprudenz ist Kunst auf wissenschaftlicher Grundlage, nicht ausschließlich Wissenschaft. 12 Mezger a. a. O. 40. 10

$ 1 1 . Die Auslegung des Strafgesetzes.

83

II. Für die Auslegung des Strafgesetzes gelten gewisse Besonderheiten. Mit dem bisher Gesagten ist es durchaus verträglich, daß sich für einzelne Rechtsgebiete aus dem Gesetze selbst besondere Auslegungsregeln ergeben; darin folgt jedes Rechtsgebiet seinen eigenen Regeln und Bedürfnissen. Für das Strafrecht insbesondere gilt § 2

Abs. 1 StGB. 1. Strafbegründung erfolgt nur durch Gesetz. Denn die Strafe muß nach § 2 Abs. 1 StGB „gesetzlich b e s t i m m t " sein, bevor die Handlung begangen wurde. Gesetz ist hier zu verstehen als Gesetz im engeren Sinn: Gewohnheitsrecht bann Strafe nicht begründen. Die Tore des Gefängnisses öffnet nur das Gesetz. Ebensowenig darf der wissenschaftliche Nachweis eines über das Gesetz hinausgreifenden Strafbedürfnisses zur Begründung der Strafe verwendet werden 18 . Aber die Einschränkung in § 2 Abs. 1 StGB trägt weiter. Meist pflegt man zu sagen: daß von der Strafbegründung auch sogenannte

entsprechende Anwendung (Analogie) ausgeschlossen sei. So beispielsweise E. 62, 369 (372). Dabei erhebt sich freilich die schwierige Frage, wo die Grenze zwischen zulässiger „Auslegung" und unzulässiger „Analogie" zu ziehen ist; denn daß auch zur Strafbegründung Auslegung nicht entbehrt werden kann, unterliegt keinem Zweifel. Besser formuliert man den Gedanken so: zur S t r a f b e g r ü n d u n g sind nur b e s t i m m t e A u s l e g u n g s m e t h o d e n zulässig. Zulässig und geboten ist die grammatische usw. Auslegung (I. 1) und die teleologische Auslegung nach dem Zweck des einzelnen, Gesetzes (I. 2. a); dagegen ist die Auslegung nach dem Zweck der Rechtsordnung als Ganzem (I. 2. b) nur insoweit zulässig, als sie sich an die Gestaltung des einzelnen, die Strafe begründenden Gesetzes geb u n d e n hält. Daß teleologische Auslegungsmethode auch zur Strafbegründung herangezogen werden muß, folgt daraus, daß es ohne sie eine sinngemäße Gesetzesanwendung gar nicht gibt: so muß es als zulässig angesehen werden, den Jagdfrevel des § 292 StGB nach dem Zwecke dieser Bestimmung auf alle unberechtigten Eingriffe in das ausschließliche Aneignüngsrecht des Jagdberechtigten auszudehnen und unter das „die Jagd ausübt" z. B. auch das sogenannte Hirschsprengen zu subsumieren, d. h. das Aufscheuchen von Hirschen, 13 Siehe zu den im Text berührten Fragen in verschiedener Fassung: F r a n k § 2 I. v. L i s z t - S c h m i d t 112. v. H i p p e l I I . 39 Anm. 5, der im Gegensatz zu A l l f e l d 74 den Satz des in dubio mitius ablehnt, v a n Calker 20. L e i p z K o m m . § 2 N. 6. Ferner M. E. M a y e r 27. Olshausen § 2 N. 4. E x n e r , Gerechtigkeit und Richteramt (1922) S. 39 ff. 6*

84

Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgesezes.

um sie zum vorzeitigen Abstoßen der Geweihstangen zu bringen (E. 40, 7). Ebenso darf der Diebstahl des § 242 StGB trotz des Wortlautes „dieselbe (nämlich: die Sache) sich rechtswidrig zuzueignen" mit der herrschenden Meinung unbedenklich nicht nur auf die Zueignung der Sachsubstanz, sondern auch auf die Zueignung des bloßen Sachwertes bezogen werden: wer ein fremdes Sparkassenbuch wegnimmt und die Einlage unberechtigt für sich erhebt, der „stiehlt" das Buch, auch wenn er es, wie beabsichtigt, nachher wieder in den Gewahrsam des Eigentümers zurückbringt (E. 26, 151. 43, 17). Dagegen wäre es unzulässig, mögen auch Erwägungen aus dem Wertganzen des Rechts (I. 2. b) ein gleiches Strafbedürfnis bejahen, die „Sache" des § 242 StGB im Wege der Analogie auf bloße „Energien" auszudehnen (E. 32, 165). Mit dem bisher Gesagten ist vereinbar, daß m i t t e l b a r auch zur Strafbegründung Gewohnheitsrecht und Analogie wie sonst Bedeutung gewinnen können. Denn die strafrechtlichen T a t b e s t ä n d e verwenden in weitem Umfang in ihrem Aufbau Begriffe aus nichtstrafrechtlichen Rechtsgebieten, und für sie gelten jeweils die Auslegungsregeln desjenigen Rechtsgebiets, dem sie entnommen sind. Wenn beispielsweise § 292 StGB seinem Sinne nach das Erlegen „jagdbarer" Tiere verbietet, so ist es durchaus zulässig und geboten, diesen Begriff gegebenenfalls auch an Hand des Gewohnheitsrechts zu ermitteln (E. 46, 108ff. 111). Ebenso bestimmt sich das Eigentum, das für das Merkmal der „fremden Sache" in § 242 StGB entscheidet, ausschließlich nach den Regeln des bürgerlichen Rechts, also gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Gewohnheitsrecht und Analogie. Alle derartigen Hilfsmittel der Auslegung stehen nicht im Widerspruch mit § 2 Abs. 1 StGB: denn dem Erfordernis der „gesetzlichen" Begründung der Strafe ist genügt, wenn sie sich auf einen „gesetzlichen" Straftatbestand stützt; daß dieser selbst auf „außergesetzliche" Hilfsmittel verweist, tut dem keinen Eintrag 1 4 . Anders verhält es sich mit der S t r a f d r o h u n g selbst. Sie ist eine im Strafgesetz souverän und ausschließlich festgelegte Rechtsfolge. Gewohnheitsrechtliche oder analoge Begründung ist hier ebenso verboten wie Erhöhung oder Verschärfung auf diesen Wegen 1 6 . 14

Zustimmend F r a n k § 2 I. 1. a. Unrichtig wäre es, den § 2 Abs. 1 StGB überhaupt nur auf die „Strafdrohung" zu beziehen; er fordert unzweideutig, daß die Strafe für die „Handlung" gesetzlich bestimmt sein muß. Dieses Erfordernis bezieht sich daher auch auf die gesetzliche Bestimmung der „tatbestandlichen" Rechtswidrigkeit. Daher ist es nicht zutreffend, wenn Beling, Grd. 8./9. Aufl. S. 8. die „Rechts15

§11. Die Auslegung de Strafgesetzes.

2. Straf einschrSnkung und Strafausschlufi

unterliegt

85

den all-

gemeinen Auslegungsregeln. So auch Ε 56,161 ff., 168. Denn § 2 Abs. 1 StGB greift hier nicht ein. Gewohnheitsrecht und analoge Ausdehnung sind unbeschränkt zulässig und geboten, ebenso Zweckerwägungen aus dem Ganzen des Rechts. So rechtfertigt sich in der Vorsatzlehre eine weitgehende analoge Ausdehnung des schuldausschließenden § 59 Abs. 1 S t G B 1 6 . Ferner bestehen keine Bedenken gegen die Anwendung des Strafausschließungsgrundes des Rücktritts vom Versuch in § 46 StGB nicht nur auf den „Täter", sondern auch auf die Teilnehmer der T a t 1 7 . Daher kann unbedenklich aus Erwägungen allgemeiner Art ein besonderer Unrechtsausschließungsgrund in einem „übergesetzlichen'Notstand" und ein besonderer Schuldausschließüngsgrund in dem allgemeinen Gedanken der „Nichtzumutbarkeit" gesucht und gefunden werden 18 . Daher kann endlich sinngemäß die Strafmilderung des § 213 StGB auch auf die Kindstötung des § 217 StGB übertragen werden, selbst wenn man in dieser gegenüber dem § 212 StGB, auf den sich § 213 StGB zunächst allein bezieht, ein Delictum sui generis erblickt 19 .

I I I . Ziel der Gesetzesauslegung ist die Anpassung des Gesetzes an die Bedürfnisse und Anschauungen der Gegenwart. Kein Recht — auch nicht das Strafrecht — ist im Rahmen des gegebenen Gesetzes etwas Starres und Unveränderliches, das nur nach der Zeit der Entstehung des Gesetzes zurückzublicken hätte. Es ist in Wahrheit etwas Lebendiges und deshalb dynamisch sich stetig Wandelndes. Vornehmste Aufgabe der Auslegung ist es, das Gesetz der Vergangenheit den Bedürfnissen und Anschauungen der Gegenwart anzupassen und die Verbindung von gestern zu heute herzustellen. So wandeln sich im Laufe der Zeit die aus dem Gesetz gewonnenen Begriffe und Sätze, auch ohne daß sich das Gesetz selbst in seinem Wortlaut zu ändern braucht 20 . So kann heute auch die Strafe des RStGB Aufwidrigkeit" der Handlung schlechtweg gewohnheitsrechtlich usw. bestimmen lassen will. Dies kommt vielmehr nur dann in Frage, wenn es der straf gesetzliche Tatbestand durch seine Verweisung besonders gestattet. w 1 7 Siehe S. 307 ff. Zustimmend B i n d i n g , Hdb. I. 221. K ö h l e r , Leitf. 20. F r a n k § 2 I. 2. 18 Siehe dazu S. 239 und S. 370. 19 Abw. hier F r a n k § 217 V I und die Praxis E. 69, 8. Siehe dazu näher in Anwendung auf § 51 StGB und den Wechsel unserer biologischen Einsichten Mezger, Zurechnungefähigkeit in Frank-Festgabe 1930 Bd. I. S. 519ff., 537—38. Zustimmung bei Schwinge, Teleol. Begr. S. 58 mit Hinweis auf E. 12, 372 ; 89, 183 ; 47, 407. Siehe dazu auch JurWo. 1931 S. 207 (208). Damit ist gesagt, daß die juristische Begriffsbildung ein sehr ver-

86

Dritter Abschnitt. Die Technik und die Auslegung des Strafgesezes.

gaben erziehender und sichernder N a t u r übernehmen, die ihr

zur

Zeit der Entstehung des Gesetzes ferne gelegen haben mögen.

Ja,

i m Strafrecht beansprucht das Gesagte eine ganz besonders weittragende Bedeutung: die seit dem Jahre 1909 bis zur Gegenwart vorgelegten

Strafgesetzentwürfe

sind keineswegs nur Entwürfe

künftigen Rechts. Auch für die Gegenwart haben sie Bedeutung, indem i n ihnen die heute lebendigen Strafrechtsanschauungen Niederschlag und

Ausdruck

gefunden haben. Deshalb

sind sie auch für

geltendes Recht ein wertvolles u n d unentbehrliches M i t t e l d e r A u s legung.

Der höchste Gerichtshof hat m i t

Recht wiederholt

von

diesem M i t t e l Gebrauch gemacht. wickeltes und komplexes Gebilde ist: sie bewegt sich gleichzeitig in ganz verschiedenen Sphären. Sie ist gebunden an das geschichtlich gewordene Gesetz (historisches Element), sie muß das Leben der Gegenwart, auf das sie das Gesetz anwenden soll, in seinem ursächlichen Werden verstehen und in sich aufnehmen (kausales Element), und sie muß dieses Leben schöpferisch zu einem sozialen Wert gestalten (wertendes Element). All diese verschiedenen Elemente vereinigt die juristische Begriffsbildung in „ u n a u f h e b b a r e r S t r u k t u r vers c h 1 i η g u η g" : diese Komplexität ist dem rechtlichen Denken nichts Fremdes, sondern sein wesentliches Kennzeichen. Wo sie fehlt, fehlt auch juristisches Denken in seiner besonderen Eigenart. — Siehe G r ü n h u t , Begriffsbildung und Rechtsanwendung im Straf recht (1926) S. 8. E r i k W o l f , Strafrechtliche Schuldlehre I. (1928) S. 92. 99. Mezger, KritVjSchr. 3. X X I I . 495ff. I n ähnlicher Richtung bewegt sich die Forderung nach „Methodensynkretismus" bei Schwinge, Method. 28.

ZWEITER H A U P T T E I L . Die Lehre vom Verbredien.

vor § 12. L Verbrechen im weiteren Sinne bedeutet die strafbare Handlung, also den Inbegriff der Voraussetzungen der Strafe. Das Wort hat sich in diesem Sinne seit langem eingebürgert Das Gesetz selbst — § 1 StGB und entsprechend § 11 Entw. 1930 — verwendet es in einem engeren Sinne, nämlich zur Bezeichnung nur der schwersten, mit dem Tode, mit Zuchthaus oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohten strafbaren Handlungen. Diese Doppelbedeutung des Wortes „Verbrechen" darf nicht zu Verwechslungen führen. I I . Dasselbe wie V e r b r e c h e n i n diesem w e i t e r e n Sinne b e d e u t e n die A u s d r ü c k e „ S t r a f t a t " , „strafrechtliches D e l i k t " und „strafbare Handlung". Der deutsche StGEntw. 1919 §§ lOff. hatte den Ausdruck „Straftat" eingeführt, Entw. 1925 §§ 12ff., Entw. 1927 §§ 11 ff. und Entw. 1930 §§ 11 ff. haben ihn zugunsten der Bezeichnung „strafbare Handlung" wieder fallen lassen2. „Delikt" bedeutet im bürgerlichen Recht, im Strafrecht und im öffentlichen Recht zunächst die unerlaubte, dem Rechte widerstrebende Handlung. In einem besonderen Sinne verwenden B i n d i n g und F i n g e r den Ausdruck: ihnen ist „Delikt" der Gattungsbegriff der schuldhaften Normübertretung; sie trennen von ihm scharf das „Verbrechen" als die Artbezeichnung für das strafrechtliche Delikt 8 . I I I . Die L e h r è v o m V e r b r e c h e n umfaßt zweierlei: die Lehre von den allgemeinen Merkmalen des Verbrechens (A) und die Lehre von den besonderen Erscheinungsformen des Verbrechens (B). Von beiden soll im folgenden die Rede sein. 1

B a u m g a r t e n , Aufbau 69—71. Gegen den anscheinend zuerst von dem Österreicher Η δ gel gebrauchten Ausdruck „Straftat" wenden sich Gleispach, ÖKV. 1921 S. 184 (ein grober sprachlicher Fehler, ein Wortungeheuer, ein schreckliches, unsinniges, häßliches, undeutsches Wort), und T r a e g e r , GerS. 92, 289 (nicht unsinnig, aber in falschem Sinne verwendet, weil Straftat die Tat des Henkers, nicht die des Mörders sei). Wird gesagt, was unter dem Wort zu verstehen ist, so dürften diese Bedenken unbegründet sein. • B i n d i n g , Qrd. 87 und eingehend Formen I. §§ 21—36. F i n g e r , Lb. I . { 22. s

Α. Die Merkmale des Verbrechens. Verbrechen ist Handlang. Diese Handlung muß einen strafgesetziichen Tatbestand erfüllen, und es darf kein Unrechtsausschließungsgrund vorliegen. Auch muß die Handlung dem Handelnden zurechenbar sein. In dieser Definition des Verbrechens sind d r e i w e s e n t l i c h e V e r b r e c h e n s m e r k m a l e enthalten: 1. Stets muß das Verbrechen eine „ H a n d l u n g " sein. Was nicht Handlung ist, interessiert das Strafrecht nicht. Diesen Begriff der Handlung entwickelt der I. A b s c h n i t t . 2. Die Handlung muß sodann, um strafbar zu sein, „ r e c h t s w i d r i g " sein. Dies allein genügt jedoch nicht: die Handlung muß zugleich „einen gesetzlichen T a t b e s t a n d " erfüllen. Beide Merkmale stehen nicht selbständig nebeneinander, sondern bedingen sich gegenseitig: eine Handlung, die einen gesetzlichen Tatbestand erfüllt, ist rechtswidrig, solange ihr nicht ein besonderer „ U n r e c h t s a u s schließungsgrund" zur Seite steht. Von diesem Merkmal der „tatbestandlichen Rechtswidrigkeit", des „tatbestandlichen Unrechts" handelt der I I . A b s c h n i t t . 3. Die tatbestandliche, nicht durch einen Unrechtsausschließungsgrund gerechtfertigte (kurz: die tatbestandsmäßig - rechtswidrige) Handlung muß endlich, um strafbar zu sein, „ z u r e c h e n b a r " sein. Vorbehaltlich ganz verschwindender Ausnahmen ist eine Handlung „zurechenbar" nur, wenn sie „vorwerfbar", das heißt, wenn sie „ s c h u l d h a f t " ist; Zurechenbarkeit ohne Schuldhaftigkeit lehnt ein geläutertes und zeitgemäßes Strafrechtsbewußtsein ab 4 . Von dem Merkmal der Zurechenbarkeit oder — wie wir unter Vernachlässigung jener unzeitgemäßen Ausnahmefälle sagen können — der „Schuld" handelt der I I I . A b s c h n i t t . 4

Man hat gegen das Nebeneinander der Merkmale,»rechtswidrig" und „schuldhaft" eingewendet, daß in der Schuld begrifflich die Rechtswidrigkeit schon enthalten sei. Dies ist richtig: „schuldhaft" bedeutet deshalb im vorliegenden Zusammenhang nur das Mehr gegenüber den im Merkmal der Rechtswidrigkeit schon enthaltenen Voraussetzungen.

90

vor § 12.

I m Anschluß a n das Gesagte läßt sich die Definition des Verbrechens auch kürzer

fassen: Verbrechen 1st rechts widrig-tatbestandsmäßige,

schuldhafte Handlung. D i e Merkmale der „ H a n d l u n g " , der „Rechtswidrigkeit" und der „ S c h u l d " sind dabei zunächst gedacht als be* stimmte Sachverhalte, a u f d i e sich das

richterliche

U r t e i l bezieht,

und die es deshalb, u m z u m Ausspruch einer Strafe z u kommen, als unentbehrlich voraussetzt.

Aber w i r müssen uns bewußt

daß alle diese Merkmale letzten Endes i m erst ihre abschließende W ü r d i g u n g finden. nicht i n einem bloßen S e i n s - U r t e i l

richterlichen

bleiben,

U r t e i l selbst

I h i c Feststellung k a n n

erfolgen, sie schließt i m m e r

auch eine bestimmte normative Bewertung des Sachverhalts, also neben dem Seins-Urteil ein W e r t - U r t e i l

ein6.

• Mit der hier zugrunde liegenden Verbrechensdefinition übereinstimmend insbesondere M. E. M a y e r 13 (Verbrechen als ein tatbestandsmäßiges, rechtswidriges, zurechenbares Geschehnis). Mit ihm — Anm. 29 — lehnen wir die Aufnahme des „mit Strafe bedroht" (v. L i s z t - S c h m i d t 146, A l l f e l d 98, Gerl a n d 72, W a c h e n f e l d 69, v. H i p p e l I I . 89) oder „durch passende Strafdrohung gedeckt" (Beling, Grd. 10. Aufl. S. 19) als unzulässige Wiederholung des zu Definierenden in der Definition (Tautologie) ab. Ähnliches gilt gegen v. H i p p e l s Annahme I. 31, I I . 87ff., das strafbare Unrecht kennzeichne sich durch seine Rechtsfolge, nicht durch seinen Tatbestand. I m übrigen ist die Verbrechensdefinition des Textes keine bloße „ N o m i n a l d e f i n i t i o n " (Verbrechen = strafbare Handlung), indem sie bereits sachlich aussagt, daß Verbrechen Handlung, Unrecht und Schuld ist; sie gibt freilich auch keinen erschöpfenden „ m a t e r i e l l e n Verbrechensbegriff" im Sinne von F r a n k S. 6, indem sie die genauere Bestimmung des materiellen Unrechtsgehalts (Interessenverletzung) und des materiellen Schuldgehalts (rechtlich mißbilligter Ausdruck der Persönlichkeit des Handelnden) der Unrechts- und Schuldlehre vorbehält«

Erster Abschnitt.

D i e Handlung. § 12. Das Verbrechen als Handlung (menschliches Verhalten) \ I. Verbrechen ist Handlang (menschliches Verhalten) · Damit ist der allgemeinste Rahmen für den Verbrechensbegriff des geltenden Rechts gegeben. Das geltende Strafrecht kennt dabei im einzelnen strafbares Verhalten in dreifacher Gestalt 2 : 1. Als sogenanntes Begehnngs- oder Kommissivrerbrechen. Indem das Strafgesetz ein bestimmtes Geschehen mit Strafe bedroht, etwa das vorsätzliche Töten eines Menschen in § 211 StGB, die körperliche Mißhandlung eines andern in § 223 a StGB, das Wegnehmen einer Sache in § 242 StGB, die Jagdausübung in § 292 StGB, denkt es zunächst an die Entfaltung einer aktiven Tätigkeit: an das Beibringen des tödlichen Giftes, an den Schlag mit der bewaffneten Faust, an den Zugriff zum fremden Eigentum, an das Erlegen des Wildes im fremden Jagdgebiet. Hier t u t der Täter, was er n i c h t soll: er übertritt eine V e r b o t s n o r m . 1 F r a n k § 1 I I . 2 mit Lit. v. L i s z t - S c h m i d t § 28. A l l f e l d 98. Μ. Ε . M a y e r iOlff. K ö h l e r 167ff. W a c h e n f e l d 80ff., der S. 80 Anm. 1 zutreffend di