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English Pages 552 [585] Year 2008
springer-Lehrbuch
Bernd Hecker
Europaisches Strafrecht Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage
Sprin ger
Professor Dr. Bernd Hecker Justus-Liebig-Universitat Lehrstuhl fiir Strafrecht und Strafprozessrecht Hein-Heckroth-StraEe 3 35390 GieEen [email protected]
ISSN 0937-7433 ISBN 978-3-540-48364-9 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 978-3-540-21669-8 1. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York
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Vorwort zur 2. Auflage
Bereits zwei Jahre nach dem Erscheinen der ersten Auflage fordert der Anspmch von Verfasser und Verlag, den Lesern stets das aktuelle Spektmm des Europaischen Strafrechts zu.prasentieren, eine Neuauflage des Lehrbuches. Die rasante Entwicklung dieses noch jungen Rechtsgebietes ist vor allem den in letzter Zeit forcierten Initiativen und MaBnahmen von Kommission und Rat zu verdanken, die sich das Unionsziel der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf ihre Fahnen geschrieben haben. Aber auch der EuGH hat durch Aufsehen erregende Entscheidungen Dynamik in die europaische Strafrechtsentwicklung gebracht. Exemplarisch hierftir stehen seine Urteile vom 16. Juni 2005 CJ^upino'') zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Strafrechts und vom 13. September 2005, in dem erstmals hochstrichterlich eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG bejaht wurde. Fur die Mitgliedstaaten gilt es, zahlreiche strafrechtsrelevante Richtlinien und Rahmenbeschliisse in innerstaatliches Recht umzusetzen. Nachdem das BVerfG das erste deutsche Umsetzungsgesetz zum Europaischen Haftbefehl aufgrund verfassungsrechtlicher Beanstandungen fiir nichtig erklart hat, trat am 2. August 2006 das zweite Europaische Haftbefehlsgesetz in Kraft. Es bleibt abzuwarten, ob das Festhalten an der Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens auf Dauer Bestand haben wird. Wissenschaftliche Autoren scheinen durch die aktuelle Rechtsentwicklung befliigelt zu werden. Publikationen, die sich mit Fragen des Europaischen Strafrechts befassen, haben inzwischen ein kaum noch zu tiberblickendes AusmaB angenommen. Um dennoch den FuBnotenapparat fur die Leser iiberschaubar zu halten, musste eine subjektive Auswahl einschlagiger Nachweise getroffen werden. Ein fachliches „Unwerturteil" (iber nicht zitierte Beitrage ist damit selbstverstandlich nicht verbunden. Allen Rezensenten und sonstigen Lesern danke ich fiir erteiltes Lob ebenso wie fur wertvoUe Kritik und Hinweise. Konstruktive Anregungen nehme ich auch weiterhin gerne entgegen. Fiir tatkraftige Unterstiitzung danke ich meinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Herrn Markus Benner, Frau Isabel Bisegger und Herrn Dominique Dahlmanns sowie meiner Sekretarin Frau Sabine Sommer. Rechtsprechung, Literatur und Gesetzesmaterialien befmden sich auf dem Stand von Dezember 2006.
GieBen, im Januar 2007
Bernd Hecker
Vorwort zur 1. Auflage
Europaisches Strafrecht ist eine junge, in dynamischer Entwicklung begriffene Rechtsdisziplin. Der Zugang zu dieser Rechtsmaterie ist dadurch erschwert, dass der einschlagige Rechtsstoff supranationalen, volkerrechtlichen und innerstaatlichen Rechtsquellen verschiedener Hierarchien entstammt. Zu denken ist etwa an Gemeinschaftsprimarrecht, EG-Verordnungen, Richtlinien, volkerrechtliche Ubereinkommen, Rahmenbeschliisse sowie an nationale Gesetze und Rechtsverordnungen. Zwar existiert bereits eine recht stattliche Anzahl an Monographien, Zeitschriftenbeitragen sowie Entscheidungen nationaler und europaischer Gerichte (EuGH und EGMR), die sich mit Fragen des Europaischen Strafrechts befassen. Diese sind jedoch regelmaBig auf die Erorterung bestimmter Themenausschnitte bzw. spezieller Einzelprobleme fokussiert. Auch ist die Lektiire tiefschiirfender Dissertationen, Habilitationsschriften und sonstiger wissenschaftlicher Monographien eine recht „schwere Kost", die sich kaum fiir Leser eignet, die sich in ein fiir sie neues, noch weitgehend unbekanntes Rechtsgebiet einarbeiten wollen. Fiir diesen BCreis von Interessenten bietet sich das Studium von Lern- und Ubersichtbeitragen an, die - mit unterschiedHcher Problemgewichtung - in bestimmte Themen des Europaischen Strafrechts einfiihren. Schon aufgrund der in Zeitschriften iiblichen Seitenbegrenzungen vermogen diese Aufsatze freilich keine primar didaktisch ausgerichtete Gesamtdarstellung des Europaischen Strafrechts zu ersetzen, die - im Idealfall - den Rechtsstoff voUstandig und systematisch aufarbeitet, fachHche und methodische Grundkenntnisse des Rechtsgebietes vermittelt, praxisnahe Vertiefungsschwerpunkte setzt, Anleitungen fiir die Losung konkreter Falle gibt, zentrale Thesen und Erkenntnisse einpragsam zusammenfasst, wichtige Literaturbeitrage und aktuelle Rechtsprechung nachweist, dogmatisches und kriminalpolitisches Problembewusstsein weckt, zum Lernen und Weiterdenken anregt sowie nicht zuletzt - einen Kanon „abfragbaren Wissens" prasentiert. Ob und wie gut dies dem vorliegenden Lehrbuch gelungen ist, mogen die Leser entscheiden. Fiir konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschlage jeder Art ist der Verfasser of fen und dankbar. Das vorHegende Lehrbuch richtet sich in erster Linie an Studierende der Rechtswissenschaften sowie Absolventen von Polizeifachhochschulen, die sich in das Europaische Strafrecht einarbeiten, ihr Wissen festigen und erweitern oder auch nur Priifungsstoff repetieren wollen. Insbesondere Studierenden, die Strafrecht Oder Europarecht als Vertiefungs- bzw. Schwerpunktfach gewahlt haben, nnoge das Lehrbuch niitzliche Dienste erweisen. Aber auch Rechtspraktikern, die z. B. als Richter, Staatsanwalt, Strafverteidiger oder Kriminalbeamter mit der Be-
VIII
Vorwort zur 1. Auflage
arbeitung grenziiberschreitender oder europarechtsbeziiglicher Strafrechtsfalle befasst sind, soil der „Einstieg*' in die Materie erleichtert und ein rascher Zugang zu den breit verstreuten Rechtsbestimmungen sowie zu problemvertiefender Rechtsprechung und Literatur ermoglicht werden. SchlieBlich moge das Lehrbuch den in Wissenschaft und Lehre tatigen Kollegen Anregungen fiir Vortrage und Lehrveranstaltungen sowie Inspiration fiir die weitere Erforschung eines in rasanter Entwicklung befindlichen Rechtsgebietes bieten. Eine gewinnbringende Nutzung dieses Lehrbuches setzt ein gewisses MaB an fachlichem Vorwissen auf Seiten des Lesers voraus. Dieser sollte iiber fortgeschrittene Kenntnisse des deutschen Straf- und Strafprozessrechts sowie zumindest iiber Basiswissen in den Bereichen Verfassungs-, Europa- und Volkerrecht verfiigen. Studierende der Rechtswissenschaften oder Absolventen von Polizeifachhochschulen diirften diese Voraussetzungen spatestens ab dem 4. Studiensemester mitbringen. Es erscheint sinnvoll, dargebotene Beispielsfalle zunachst selbstandig zu durchdenken und sodann mit den Losungshinweisen zu vergleichen. Zur Vertiefung bestimmter Einzelprobleme oder Themenkomplexe empfiehlt sich das Studium der angegebenen Literatur und Rechtsprechung. Dem eiligen oder um Vororientierung bemiihten Leser sei die Lektiire der am Ende jedes Kapitels befindlichen Zusammenfassungen empfohlen. Auf den nachfolgend genannten Internetseiten findet der Leser Informationen iiber aktuelle europapolitische Themen und rechtliche Entwicklungen auf europaischer Ebene. Uber http://www.coe.int gelangt man auf die Homepage des Europarates und iiber http://www.europa.eu.int auf die der Europaischen Union. Der Zugriff auf die Datenbank CELEX (Recht der EU) erfolgt iiber http://europa.eu.int/celex. Fiir wertvolle Diskussionen, Anregungen, Fundstellenrecherchen und sonstige tatkraftige Unterstiitzung in der Entstehungsphase dieses Buches danke ich Herrn Richter Dr. Lars Witteck sowie meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Herrn Markus Benner, Frau Melanie Berkl, Herrn Dominique Dahlmanns, Frau Anja Dohmen und Herrn Andreas Glaser.
GieBen, im Januar 2005
Bernd Hecker
Inhaltsiibersicht
Abkiirzungsverzeichnis
XXVII
AbgekiirztzitierteLiteratur....
XXXV
Europaische Integration: Wichtige Daten und Ereignisse imUberblick
XLVII
Teil I: Einfiihrung § 1 Gmndbegriffe und Gmndfragen des Europaischen Strafrechts § 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenziiberschreitenden Beziigen
3 27
Teil II: Trager des Europaischen Strafrechts und ihre Handlungsformen § 3 Europarat § 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
81 119
§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk globaler, europaischer oder bilateraler Kooperation in Strafsachen § 6 Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit
171 223
Teil III: Strafrechtsrelevante Europaisierungsfaktoren § 7 Assimilierungsprinzip
239
§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG....
279
§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
317
§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
345
§ 11 Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
393
§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
447
§ 13 Transnationales Doppelbestrafungsverbot in der EU
483
X
Inhaltsiibersicht
Teil rV: Strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der EG § 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
Stichwortverzeichnis
,
o
519
,
545
Inhaltsverzeichnis
Abkiirzungsverzeichnis
XXVII
Abgekiirzt zitierte Literatur
XXXV
Europaische Integration: Wichtige Daten und Ereignisse im Uberblick
XLVII
Teil I: Einfiihrung § 1 Grundbegriffe und Grundfragen des Europaischen Strafrechts A. Einleitung B. Was ist ,£uropaisches Strafrecht"? I. Europaisches Strafrecht als strafrechtliche Rechtsmaterie sui generis 1. Gemeinsames rechtskulturelles Erbe der europaischen Staaten 2. Europaisches Strafrecht und Europaisierung des Strafrechts II. Europaisches Strafrecht als rechtswissenschaftliche Querschnittsmaterie 1. KJriminalpolitik 2. Strafrechtsdogmatik 3. Strafverfahrensrecht 4. Kriminologie 5. Europarecht 6. Verfassungs- und Volkerrecht III. Praktische Bedeutung des Europaischen Strafrechts 1. Strafrechtsbegrenzende Europaisierungseffekte 2. Starkung strafprozessualer Rechtspositionen 3. Strafrechtsausdehnende Europaisierungseffekte a) Europa als „kriminalgeographischer Raum" b) Europaisches Strafrecht als Antwort auf grenziiberschreitende Kriminalitat C. Literaturhinweise D. Rechtsprechungshinweise E. Zusammenfassung von § 1
3 3 4 4 4 5
18 22 23 24
§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenzuberschreitenden Bezugen A. Internationales Strafrecht I. B egriff und Funktion des internationalen Strafrechts
27 27 27
7 7 9 9 10 11 12 12 13 15 17 17
XII
Inhaltsverzeichnis II. Schutzbereich deutscher Straftatbestande III. Volkerrechtliche Grundlagen des internationalen Strafrechts IV. Prinzipien des internationalen Strafrechts 1. Territorialitatsprinzip a) Inlandsbegriff b) Ubiquitatsgrundsatz aa) Anwendungsbeispiele bb) Abtreibungstourismus c) Distanzdelikte aa) Internetkriminalitat bb) Grenzuberschreitende Umweltdelikte 2. Flaggenprinzip 3. Aktives Personalitatsprinzip 4. Passives Personalitatsprinzip 5. Schutzprinzip 6. Weltrechtsprinzip 7. Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege 8. Kompetenzverteilungsprinzip 9. Prozessuale Aspekte der Verfolgung von Auslandstaten V. Literaturhinweise VI. Rechtsprechungshinweise B. Transnationales Strafrecht I. Begriff und Funktion des transnationalen Strafrechts II. Rechtshilfe in Strafsachen am Beispiel der Auslieferung 1. Rechtliche Grundlagen des Auslieferungsverkehrs 2. Grundprinzipien und allgemeine Voraussetzungen der Auslieferung a) Grundsatz der Gegenseitigkeit b) Beiderseitige Straf- und Verfolgbarkeit c) Grundsatz der Spezialitat d) Auslieferungshindernisse 3. Auslieferungsverfahren a) Verfahrensweise nach einem Fahndungserfolg in Deutschland b) Formliches Auslieferungsverfahren in Deutschland III. Literaturhinweise IV. Rechtsprechungshinweise C. Volkerstrafrecht I. Begriff und Funktion des Volkerstrafrechts II. Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) III. Durchsetzung des Volkerstrafrechts IV. Deutsches Volkerstrafgesetzbuch (VStGB) 1. Strafanwendungsrecht des VStGB 2. Allgemeiner Teil des VStGB 3. BesondererTeildesVStGB 4. Zusammenfassende Bewertung - Vorbildcharakter des VStGB V. Literaturhinweise
29 31 33 33 33 34 35 36 39 39 41 44 44 46 46 47 49 51 52 53 54 54 54 57 57 59 59 59 60 60 62 .. 62 64 66 66 66 67 68 70 72 73 73 74 75 75
Inhaltsverzeichnis D. Zusammenfassung von § 2
XIII 76
Teil II: Trager des Europaischen Strafrechts und ihre Handlungsformen §3Europarat A. Strukturen und Ziele des Europarates I. Rechtsnatur des Europarates XL Organe des Europarates III. Arbeitsprogramm des Europarates B. Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europarates I. European Commitee on Crime Problems II. Strafrechtsrelevante Konventionen l.tFbersicht 2. Praktische Bedeutung der Konventionen III. Europarat als Forum paneuropaischer Kooperation IV. Literaturhinweise C. B edeutung der EMRK ftir die europaische Strafrechtspflege I. System des Menschenrechtsschutzes 1. Konventionsorgane 2. Verfahrensgang nach Einlegung einer Individualbeschwerde 3. Wirkung rechtskraftiger Urteile des Gerichtshofs 4. Innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs II. Anwendungsbereiche strafrechtsrelevanter Konventionsrechte 1. Autonome Auslegung der Konventionsrechte 2. Konventionsgarantien als Auslieferungshindernis a) Drohende Todesstrafe und unmenschliche Behandlung b) Rechtschutzdefizit und „drakonische" Strafe 3. Strafprozessuale Verfahrensgarantien a) Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten b) Einsatz von Lockspitzeln c) Widerruf der Bewahrung d) Frage- und Konfrontationsrecht des Beschuldigten e) tJberlange Verfahrensdauer 4. Freiheitsrechte und strafprozessuale Untersuchungshaft 5. Einfluss von Konventionsrechten auf das materielle Strafrecht III. Keine unmittelbare Bindung der EG an die EMRK D. Literaturhinweise E. Rechtsprechungshinweise F. Zusammenfassung von § 3
81 81 81 83 83 84 84 85 85 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 96 97 98 100 103 103 104 104 105 107 108 110 112 114 115 116
§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union A. Europaische Gemeinschaft (EG) I. Rechtsnatur der EG II. Organe der EG und ihre Funktionen 1. Rat der Europaischen Gemeinschaften (Rat der Europaischen Union)
119 119 120 121 121
XIV
Mialtsverzeichnis
a) AUgemeines 121 b) Aufgaben des Rates 123 c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Rates 124 2. Kommission der Europaischen Gemeinschaften (Kommission).... 125 a) AUgemeines 125 b) Aufgaben der Kommission 126 c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten der Kommission 128 d) Europaisches Amt fiir Betrugsbekampfung (OLAF) 130 3. Europaisches Parlament 132 a) AUgemeines 132 b) Aufgaben des Europaischen Parlaments 133 c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europaischen Parlaments.. 135 4. Europaischer Gerichtshof 136 a) AUgemeines 136 b) Aufgaben des Gerichthofes 136 c) Klage- und Verfahrensarten 137 aa) Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EGV; Art. 35 EUV) 137 bb) Vertragsverletzungsklagen (Art. 226 EGV) 138 cc) Nichtigkeitsklagen (Art. 230 EGV) 139 dd) Untatigkeitsklagen (Art. 232 EGV) 139 d) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des EuGH 139 5. Europaischer Rechnungshof 140 a) AUgemeines 140 b) Aufgaben des Rechnungshofes 140 c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Rechnungshofs 141 III. Rechtsquellen und Charakteristika der Gemeinschaftsrechtsordnung 141 1. Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung 141 2. Primares Gemeinschaftsrecht 143 3. Sekundares Gemeinschaftsrecht 144 a) Verordnungen (Art. 249 II EGV) 144 b) Richtlinien (Art. 249 III EGV) 145 c) Entscheidungen (Art. 249 IV EGV) 146 d) Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 249 V EGV) 146 e) Sonstige Rechtsakte („ungekennzeichnete Rechtshandlungen"). 146 IV. Literaturhinweise 147 V. Rechtsprechungshinweise 147 B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung 147 I. Strafrecht als autonom zu bestimmender Begriff des Gemeinschaftsrechts 148 1. Untauglichkeit einer formalen Begriffsbestimmung 148 2. Begriffsbestimmung anhand materieller Kriterien 149 3. Abgrenzung zwischen Kriminalstrafrecht und Strafrecht im weiteren Sinne 150 4. Zuordnung einzelner Sanktionstypen des Gemeinschaftsrechts 151
Inhaltsverzeichnis
XV
a)Geldbu6en ....151 b) Zwangsgeld und Strafgeld 152 c) Sanktionen im Agrar- und Fischereirecht 152 XL Diskussion einer etwaigen Strafgesetzgebungsbefugnis der EG 153 1. Judikatur des EuGH und deutscher Gerichte 153 2. Literaturansichten 156 3. Vertiefende Diskussion zentraler Gesichtspunkte 158 a) Kompetenzproblem und Legitimationsfrage 158 b) Wortlaut potentieller Ermachtigungsnormen und systematische Aspekte 158 c) Kriminalstrafrecht als Gegenstand der dritten Saule der EU 159 d) Bedeutung des Art. 280 IV EGV 160 4. Ergebnis - Keine Strafgesetzgebungsbefugnis der EG 163 III. Literaturhinweise 163 IV. Rechtsprechungshinweise 164 C. Europaische Union (EU) 164 I. Rechtsnatur der EU 164 II. Verhaltnis der EG zur EU - Tempelarchitektur der EU 165 III. Literaturhinweise 167 IV. Rechtsprechungshinweise 167 D. Zusammenfassung von § 4 167 § 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk globaler, europaischer oder bilateraler Kooperation in Strafsachen 171 A. EU-Mitgliedstaaten als Trager des Europaischen Strafrechts 171 B. Strafrechtsrelevante Kooperationsformen 172 I. Einfuhrung 172 II. Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) 172 III. Vereinte Nationen (UN) 173 1. Bekampfung der Geldwasche und Betaubungsmittelkriminalitat... 175 2. Bekampfung illegaler grenziiberschreitender Abfallverbringung ..175 3. Bekampfung der transnationalen Kriminalitat 175 IV. Organisation fUr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 176 1. Bekampfung von Korruption und Bestechung 177 2. Bekampfung der Geldwasche 178 V. Gipfelkonferenz der G7/G8-Staaten 179 VI. Zusammenarbeit im Europarat 179 1. Bekampfung der Geldwasche und Betaubungsmittelkriminalitat... 180 2. Bekampfung der Korruption 180 3. Bekampfung der Cyber-Kriminalitat 181 4. Bedeutung der Zusammenarbeit im Europarat 181 C. Intergouvernementale Zusammenarbeit in der Europaischen Union 182 I. Informelle Zusammenarbeit 182 1. TREVI-Arbeitsgruppen 182 2. GEL AD 183
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Inhaltsverzeichnis
II. Zusammenarbeit im Rahmen der Schengener Abkommen 184 1. Schengen I und Schengen II (SDtJ) 184 2. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auf der Basis desSDtF 185 a)tJberblick 185 b) Polizeilicher Informationsaustausch (Art. 39 SDU) 186 c) Grenzuberschreitende Observation (Art. 40 SDtJ) 187 d) Grenzuberschreitende Nacheile (Art. 41 SDtJ) 189 e) Gleichstellung der Beamten (Art. 42 SDU) und Schadensersatz (Art. 43 SDtJ) 190 f) Das Schengener Informationssystem - SIS (Art. 92-119 SDtF). 191 III. Die dritte Saule der EU 193 1. Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) 193 2. European Drug Unit (EDU). 194 3. Europol 195 a) Organisatorische Strukturen und Kontrolle von Europol 195 b) Aufgaben von Europol 197 c) Datenschutz 199 4. Europaisches Justizielles Netz (EJN) 199 5. Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) 200 6. Eurojust 202 a) Organisatorische Strukturen von Eurojust 202 b) Aufgaben von Eurojust 203 D. Bilaterale Zusammenarbeit 205 I. Motive und Ziele des deutsch-schweizerischen Polizeivertrages 206 II. Wesentlicher Inhalt des Polizeivertrages 206 l.tFberblick 206 2. Observation (Art. 14, 15) 208 3. Nacheile (Art. 16) 209 4. Verdeckte Ermittlungen (Art. 17, 18) 210 5. Kontrollierte Lieferungen (Art. 19) 211 6. Datenschutz (Art. 26-28) 212 7. Rechtsverhaltnisse bei Amtshandlungen im anderen Vertragsstaat 213 III. Wiirdigung des Polizeivertrages 213 E. Rechtsschutz gegen grenzuberschreitende Strafverfolgung 215 F. Literaturhinweise 218 G. Zusammenfassung von § 5 220 6 Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit A. Integration des Vorabentscheidungsverfahrens in das Strafverfahren I. Funktion und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens 1. Sicherung des Auslegungs- und Verwerfungsmonopols des EuGH
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Inhaltsverzeichnis 2. Individualschutzfunktion II. Vorlagebefugnis und Vorlagepflicht III. Fallgmppen von Vorlagen im Strafprozess IV. Wirkungen der Vorabentscheidung B. Vorabentscheidungsverfahren und strafprozessuale Maximen I. Vorabentscheidung im Haupt- und Zwischenverfahren 1. Zulassigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens 2. Vorlageermessen und Ermittlungsgrundsatz II. Vorabentscheidung im Ermitdungsverfahren -" 1. Zulassigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens 2. Konflikt zwischen Vorlage und Funktion des Ermittlungsverfahrens III. Auswirkung vorlagebedingter Verfahrensverzogerungen C. Literaturhinweise D. Rechtsprechungshinweise E. Zusammenfassung von § 6
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Teil III: Die strafrechtsrelevanten Europaisierungsfaktoren § 7 Assimilierungsprinzip A. MitgHedstaatliches Strafrecht im Dienste des Gemeinschaftsrechts B. Assimilierung durch supranationale Verweisungen I. Primarrechtliche Verweisung auf nationale Straftatbestande 1. Aussagedelikte 2. Verletzung von Geheimhaltungspflichten II. Sekundarrechtliche Verweisung auf nationale Straftatbestande C. Assimilierung als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. lOEGV I. Befugnis der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht („Amsterdam Bulb") II. Pflicht der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht 1. Mindestanforderungen an Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts („von Colson und Kamann") 2. Gleichstellungserfordernis und Mindesttrias („Griechischer Mais") a) Der Fall „Griechischer Mais" - ein „leading case" des Europaischen Strafrechts b) Bedeutung des „Mais-Urteils" 3. Gegenstand der strafrechtlichen Schutzverpflichtung III. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen fiir Strafgesetze im Dienste des Gemeinschaftsrechts 1. Gemeinschaftsrechtlich festgelegte Untergrenze 2. Prazisierung der Untergrenze der Sanktionierungspflicht („Vandevenne") 3. Gemeinschaftsrechdich festgelegte Obergrenze
239 239 240 241 241 243 243 244 244 246 246 247 247 248 250 252 252 253 254
XVIII
Inhaltsverzeichnis
4. Prazisierung der Obergrenze strafrechtlicher Sanktionen CHansen") 256 5. Inhaltsbestimmung der gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbegriffe 257 a) Konkretisierungsspielraum der Mitgliedstaaten 257 b) Gleichstellungserfordernis 258 c) Wirksamkeits- und Abschreckungserfordernis 260 d) VerhaltnismaBigkeit (Angemessenheit) der Sanktion 262 D. Auspragungen des Assimilierungsprinzips im deutschen Strafrecht 263 I. Schutzbereichsausdehnung durch Gleichstellungsvorschriften 263 1. Gleichstellungsbestimmung des § 264 VII Nr. 2 StGB 263 2. Gleichstellungsbestimmung des EUBestG 264 II. Verweisung auf Gemeinschaftsrecht durch Blankettstrafgesetze 266 1. Gemeinschaftsrechtsakzessorisches Blankettstrafrecht 266 2. Grundtypen gemeinschaftsrechtsakzessorischer Blankettstrafgesetze 268 a) Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Ver- oder Gebote einer EG-Verordnung 268 b) Strafbarkeitsliicken durch Austausch des Verweisungsobjekts..270 c) Strafbewehrung von Gemeinschaftsrecht durch Festlegungen des deutschen Verordnungsgebers 272 3. Zusammenfassende Wiirdigung 275 E. Literaturhinweise 276 F. Rechtsprechungshinweise 276 G. Zusammenfassung von § 7 277 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG A. StrafrechtsrelevanteSekundarrechtspraxis I. Anweisungskompetenz der EG und mitgliedstaatliche Handlungspflicht... II. Kontroverse Standpunkte von Kommission und Mitgliedstaaten 1. Kommissionsvorschlag fiir eine Geldwascherichtlinie 2. Kommissionsvorschlag fiir eine Verordnung liber die Einfiihrung des Euro 3. Kommissionsvorschlag fiir eine Richtlinie zum Umweltstrafrecht und Urteil des EuGH zur EG-Anweisungskompetenz III. EG-Anweisungen mit Strafrechtsbezug - bisherige Praxis 1. Ausgangslage 2. Beispiele sekundarrechtlicher Anweisungen zu SanktionsmaBnahmen a) Verordnung iiber Vermarktungsnormen fiir bestimmte Lebensmittel b) ,3asisverordnung" im Bereich des Lebensmittelrechts c)EG-Abfallverbringungsverordnung d) Insider-Richtlinie B. Grundlagen einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG
279 279 280 281 282 286 287 292 292 292 292 293 294 295 296
Inhaltsverzeichnis
XIX
I. Meinungsstand in der Literatur 296 II. Begrlindungsansatze fiir eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG 297 1. Anweisungskompetenzen aus Art. lOEGV 297 2. Spezielle und allgemeine Harmonisierungsbefugnisse des EGV ...298 3. Annexkompetenzen 299 III. Potentielle Ermachtigungsgrundlagen fiir strafrechtliche Anweisungen 300 1. Spezialermachtigungen im Bereich der gemeinsamen Politiken.... 300 a) Gemeinsame Agrarpolitik (Art. 32-38 EGV) 300 b) Gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 70-80 EGV) 301 c) Umweltschutz (Art. 174-176 EGV) 301 2. Allgemeine Harmonisierungsbefugnisse (Art. 94, 95 EGV) 302 3. Schutz der EG-Finanzinteressen (Art. 280 IV EGV) 305 4. Grenzen der strafrechtlichen Anweisungskompetenz 308 a) Subsidiaritatsprinzip 308 b) VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz 310 c) Reichweite der strafrechtlichen Anweisungsbefugnis der EG.... 311 C. Literaturhinweise 313 D. Rechtsprechungshinweise 314 E. Zusammenfassung von § 8 314 §9
Vorrang des Gemeinschaftsrechts 317 A. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht 317 I. Grundlagen 317 II. Vorranggrundsatz 318 1. Position des EuGH - Unbeschrankter Vorrang des Gemeinschaftsrechts 318 2. Position des B VerfG - Begrenzter Vorrang des Gemeinschaftsrechts 319 3. Anwendungs- versus Geltungsvorrang 320 B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht 321 I. Neutralisierung mitgliedstaatlicher Strafvorschriften 321 II. tJberlagerung strafverfahrensrechtlicher Bestimmungen .324 III. Kollisionskonstellationen 325 1. Echte und unechte (scheinbare) Kollision 325 2. Direkte und indirekte Kollision 328 IV. Weitere Fallbeispiele aus Praxis und Literatur 330 1. Unbefugte Austibung einer veterinarmedizinischen Tatigkeit („Auer") 330 2. VerstoB gegen nationale Kennzeichnungsvorschriften („Ratti") ....331 3. Grenztiberschreitende Veranstaltung einer Lotterie oder Werbung hierfur 332 4. tJbertreibende Produktanpreisung in grenzuberschreitender Werbekampagne 333 5. Abtreibungstourismus 335
XX
Inhaltsverzeichnis a) Gemeinschaftsrechtsbezug des Falles b) Gmndfreiheiten als Diskriminierungsverbote c) Gmndfreiheiten als Beschrankungsverbote d) Schutz des ungeborenen Lebens als zwingender Grund des AUgemeininteresses e) Strafbarkeit der Schwangeren und VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz f) Strafbarkeit des Arztes und VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz 6. Lebenslange Ausweisung als strafrechtliche Nebenfolge CCalfa") C. Literaturhinweise D. Rechtsprechungshinweise E. Zusammenfassung von § 9
335 336 337 338 338 339 341 342 342 343
10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 345 A. Das Rechtsinstitut der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 345 I. Bedeutung der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 345 II. Begriindung und Inhalt der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 346 1. Leitentscheidungen des EuGH („von Colson und Kamann"; „Harz") 346 2. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen des Auslegungsgebotes 348 3. Nationale Rechtsgrundlagen einer gemeinschaftsrechtsfreundlichen Auslegung 349 III. Gegenstand der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 350 1. Umsetzungsrecht und sonstiges nationales Recht („Marleasing").. 350 2. Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts ohne vorangegangeneTransformationsgesetzgebung 351 a) Richtlinie und nationales Recht 351 b) Fallbeispiel „Nostalgiewerbung" fur Lebensmittel 353 IV. Richtlinienkonforme Auslegung als mehrphasiger Interpretationsakt 356 V. Verhaltnis der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu nationalen Auslegungsmethoden 357 VI. Beginn der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung 359 VII. Grenzen des Gebots gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung 361 B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht 363 I. Aussagen des EuGH 363 1. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Richtlinienrecht im Falle einer zum Tatzeitpunkt nicht umgesetzten Richtlinie („Kolpinghuis Nijmegen") 364 2. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Richtlinienrecht im Falle einer zum Tatzeitpunkt fehlerhaft umgesetzten Richtlinie („Arcaro") 366 3. Erfordernis der Bestimmtheit von Richtlinie und Strafgesetz („Telecom Italia") 367
Inhaltsverzeichnis II. Aussagen des BGH (, J^yrolyse-Urteil") III. Zur sog. „strafbarkeitserweiternden" Auslegung IV. Anwendungsfelder der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht 1. AmtsanmaBung (§ 132 StGB) 2. Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) 3. Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB) 4. Urkundendelikte (§§ 267, 271, 274, 348 StGB) 5. Umweltdelikte (§§ 324 a I, 325 I, II, 325 a I, II StGB) 6. Fahrlassigkeitsdelikte V. Rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Strafrechts 1. Die Rechtssache ,JPupino" 2. Bedeutung, Inhalt und Grenzen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung 3. Anwendungsfelder C. Literaturhinweise D. Rechtsprechungshinweise E. Zusammenfassung von § 10 § 11 Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der dritten Saule A. Einfuhrung B. Angleichung des materiellen Strafrechts im Rahmen der PJZS I. Rechtlicher Rahmen der Strafrechtsangleichung 1. Begrenzung auf Mindestvorschriften 2. Gemeinsame Definitionen 3. Festlegung von Mindesthochststrafen II. Grenzen der Strafrechtsangleichung III. Handlungsformen der Strafrechtsangleichung C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV I. Organisierte Kximinalitat 1. Anwendungsbereich 2. Rahmenbeschluss I zum strafrechtlichen Schutz des Euro a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentlicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 3. Rahmenbeschluss II und Beschluss iiber den Schutz des Euro vor Falschungen 4. Rahmenbeschluss zur Bekampfung des Menschenhandels a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentlicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 5. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Schleuserkriminalitat a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentlicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 6. Rahmenbeschluss zur B ekampfung der Geldwasche
XXI 369 371 373 373 374 375 375 376 378 379 380 384 386 389 390 391 393 393 394 394 394 394 395 395 396 397 397 397 399 399 399 400 401 401 402 402 404 404 405 406 407 407
XXII
Inhaltsverzeichnis
a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht II. Terrorismus 1. Anwendungsbereich 2. Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekampfung a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesendicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 3. Rahmenbeschluss uber gemeinsame Ermittlungsgruppen III. Illegaler Drogenhandel 1. Anwendungsbereich 2. Rahmenbeschluss zur Bekampfung des illegalen Drogenhandels a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht IV. Ausdehnung der Angleichungsbefugnis auf weitere Kriminalitatsfelder 1. Weite Auslegung des Art. 31 lit. e EUV 2. Rahmenbeschluss zum strafrechtlichen Schutz bargeldloser Zahlungsmittel a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 3. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Kinderpornographie a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 4. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Bestechung im privaten Sektor a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 5. Rahmenbeschluss liber Angriffe auf Informationssysteme a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht 6. Rahmenbeschlussvorschlag zur Bekampfung von Fremdenfeindlichkeit a) Regelungsgegenstand und Ziel des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses b) Wesentiicher Inhalt c) Deutsches Strafrecht D. Literaturhinweise E. Zusammenfassung von § 11
409 409 409 411 411 411 412 413 415 416 417 417 ..418 418 419 420 422 422 424 424 424 425 426 427 427 429 430 430 430 432 433 434 435 437 439 440 441 443 444 444
Inhaltsverzeichnis
XXIII
12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen 447 A. Einfuhrung 447 B. Erleichtemng und Beschleunigung der Zusammenarbeit 448 I. Instrumente des Rechtshilfeverkehrs inEuropa 448 1. Europaisches Rechtshilfeiibereinkommen des Europarates 449 2. Rechtshilfekooperation nach Art. 48 ff. SDtJ 449 3. EU-Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen (EURtF) 449 4. Rahmenbeschlussvorschlag liber die Europaische Beweisanordnung 450 II. Instrumente des Vollstreckungshilfeverkehrs in Europa 451 C. Erleichterung der Auslieferung 452 I. Instrumente des Auslieferungsverkehrs in Europa 453 1. Europaisches Auslieferungsubereinkommen des Europarates 453 2. Erleichterung des Auslieferungs verkehrs durch Art. 59 ff. SDtJ....454 3. EU-tJbereinkommen iiber das vereinfachte Auslieferungsverfahren 455 4. EU-Auslieferungsubereinkommen (EUAU) 455 II. Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl 456 1. Einfiihrung 456 2. Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 457 3. Wesentlicher Inhalt des Rahmenbeschlusses 457 a) Verfahrensrechtliche Regelungen 457 b) Materielle Bestimmungen 458 4. Vorlaufige Bewertung und Ausblick 462 III. Umsetzung des Rahmenbeschlusses in Deutschland 465 1. Nichtigerklarung des ersten Umsetzungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht 465 2. Das Europaische Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 467 a) Abkehr vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit 467 b) Gesetzliches Priifprogramm bei Auslieferung Deutscher 468 c) Gerichtliche tJberpriifung der B ewilligungsentscheidung 469 D. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen 470 I. Anwendungsfelder 470 1. Gegenseitige Anerkennung als zentrales Strukturprinzip 470 2. Gegenseitige Anerkennung von Sanktionen 470 3. Angleichung strafprozessualer Verfahrensgarantien 471 4. Gegenseitige Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen 472 5. Informationsaustausch iiber Strafregistereintrage 473 6. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen .473 II. Gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund des Prinzips 474 III. Tragfahigkeit des Prinzips beim transnationalen Beweistransfer 476 IV. Losungsmoglichkeiten de lege ferenda 478 E. Literaturhinweise 480 F. Rechtsprechungshinweise 481 G. Zusammenfassung von § 12 481
XXrV
Inhaltsverzeichnis
§ 13 Transnationales Doppelbestrafungsverbot in der EU 483 A. Einfuhrung 483 B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDtJ 491 I. Vorabentscheidungskompetenz des EuGH gem. Art. 35 EUV 491 II. DasMerkmal „rechtskraftige Aburteilung" 493 1. Belgische „transactie" 494 2. Osterreichisches Straferkenntnis 495 3. Niederlandische „transactie" und staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung gem. § 153 aStPO 496 4. Vertiefende Diskussion 497 a) Wortlautinterpretation 498 b) Systematische Interpretation 499 c) Teleologische Interpretation 500 d) Definition des Merkmals ,^echtskraftige Aburteilung" 501 III. Vollstreckungselemente des Art. 54 SDt) 502 1. Erstes Vollsteckungselement.... 503 2. Zweites Vollstreckungselement 503 3. Drittes Vollstreckungselement 504 a) Wortlautauslegung 506 b) Teleologische Auslegung 506 IV. Tatbegriff und Reichweite der materiellen Rechtskraft 507 1. Deutscher Strafbefehl und Art. 54 SDLF 509 2. Einstellung des Verfahrens nach Erfullung einer Auflage 509 V. Anwendbarkeit des Art. 54 SDU auf Entscheidungen im BuBgeldverfahren 510 1. Verurteilung zu einer BuBgeldzahlung 511 2. Erledigungswirkung eines rechtskraftigen BuBgeldbescheids 511 VI. Zur Frage der Weitergeltung mitgliedstaatlicher Erklarungen und Vorbehalte nach der tJberfUhrung des SDtJ in den Rahmen der EU... 512 C. Ausblick 513 D. Literaturhinweise 514 E. Rechtsprechungshinweise 514 F. Zusammenfassung von § 13 515 Teil IV: Strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der EG § 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht A. Gemeinschaftsfinanzen als Angriffsflache fur kriminelle Praktiken I. Einfuhrung II. Gemeinschaftsfinanzen l.EigenmittelderEG 2. Ausgaben der EG III. Deliktsformen und Taterstrukturen 1. Erscheinungsformen der EG-Betriigereien a) Hinterziehung von Abgaben bei der Wareneinfuhr b) Erschleichung von Erstattungen bei der Warenausfuhr
519 519 519 522 522 523 523 523 524 524
Inhaltsverzeichnis c) Abgabenhinterziehung und Subventionserschleichung innerhalb derEG 2. Taterstrukturen und Schadensschatzungen IV. Praventionsstrategien B. EG-Finanzinteressen als Schutzobjekt des Europaischen Strafrechts I. Mitgliedstaatliche Schutzverpflichtung II. Rechtszersplitterung als Hindernis fiir eine effektive Betrugsbekampfung III. Wege zur tJberwindung der Rechtszersplitterung in Europa IV. tibereinkommen liber den Schutz der finanziellen Interessen derEG 1. Wesentlicher Inhalt der PIF-Konvention 2. Umsetzung in Deutschland C. Modelle fiir die kUnftige Entwicklung des Europaischen Strafrechts I. Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der EU 1. Wesentlicher Inhalt des Corpus Juris 2. Bedeutung des Corpus Juris II. Griinbuch der Kommission 1. Wesentlicher Inhalt des Grlinbuchs 2. Kxitische Wiirdigung III. Supranationales Betrugsstrafrecht auf Grundlage der zukiinftigen EU-Verfassung D. Literaturhinweise E. Zusammenfassung von § 14 Stichwortverzeichnis
XXV
525 525 526 527 527 528 529 530 530 532 533 533 534 535 536 536 538 540 542 543 545
Abkurzungsverzeichnis
a.A. aaO abl. ABIEG Abs. AE a.F. AG AIDP Alt. AMG Anm. AO AoR Art. AT ATS Aufl. AuslG
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der Europaischen Gemeinschaften Absatz Alternativentwurf Europaische Strafverfolgung alte Fassung Amtsgericht Association internationale de droit penal Alternative Arzneimittelgesetz Anmerkung Abgabenordnung Archiv fiir offentliches Recht Artikel Allgemeiner Teil Osterreichische Schilling Auflage Auslandergesetz
BAG BAGE BayObLG BayObLGSt
Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Betriebs-Berater betreffend Band Biirgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt (Teil, Seite) Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des GroBen Senats des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BB betr. Bd. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHStGrS BGHZ
XXVIII
Abkiirzungsverzeichnis
bzw.
B undeskriminalamt Bundesnaturschutzgesetz Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdmcksache Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Betaubungsmittelgesetz Basler tJbereinkommen iiber die Kontrolle der grenzuberschreitenden Verbringung gefahrlicher Abfalle und ihrer Entsorgung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise
ChemG CELAD CJ C.SIS
Chemikaliengesetz Comite Europeen de la Lutte Antidrogue Corpus Juris Central Schengen Information System
d. ders. d.h. dies. Diss. DM DOV DRiZ DVBl
der, des derselbe das heiBt dieselben Dissertation Deutsche Mark Die Offentliche Verwaltung Deutsche Richter Zeitung Deutsches Verwaltungsblatt
EAG EAGV
Europaische Atomgemeinschaft Vertrag zur Griindung der Europaischen Atomgemeinschaft European Commitee on Crime Problems European Currency Unit European Drug Unit Europaische Gemeinschaft Verordnung zur tJberwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfallen in der, in die und aus der Europaischen Gemeinschaft Europaische Gemeinschaft fiir Kohle und Stahl Europaischer Gerichtshof fUr Menschenrechte
BKA BNatSchG BRD BR-Drs. BT BT-Drs. BtMG
Btr BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE
ECCP ECU EDU EG EGAbfVerbVO
EGKS EGMR
Abkiirzungsverzeichnis EGV EJN ELR EKMR EMRK endg. EP ETS EU EuAltJbk EUAtF EUBestG EuG EuGH EuGHE EUR EuR Euratom EuRhUbk EURtJ EUV EuZW evtl. EWG exempl. EZB f. FATE FCKW ff. FS GA GASP GD gem. GG GKG
XXIX
Vertrag zur Griindung der Europaischen Gemeinschaft Europaisches Justizielles Netz European Law Review Europaische Kommission fiir Menschenrechte EuropaischeMenschenrechtskonvention endgiiltige Fassung Europaisches Parlament European Treaty Series Europaische Union Europaisches Auslieferungsiibereinkommen Auslieferungsiibereinkommen der Mitgliedstaaten der EU EU-Bestechungsgesetz Europaisches Gericht erster Instanz Europaischer Gerichtshof Entscheidungen des Europaischen Gerichtshofs Euro Europarecht (Zeitschrift) siehe EAG Europaisches tJbereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen tibereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den MitgHedstaaten der EU Vertrag iiber die Europaische Union Europaische Zeitschrift fiir Wirtschaftsrecht eventuell Europaische Wirtschaftsgemeinschaft exemplarisch Europaische Zentralbank folgende(r) Financial Action Task Force on Money Laundering Fluorchlorkohlenwasserstoff fortfolgende Festschrift Goltdammers's Archiv fiir Strafrecht Gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik Generaldirektion(en) gemaB Grundgesetz fiir die Bundesrepublik Deutschland Gerichtskostengesetz
XXX
Abkurzungsverzeichnis
GMBl. GRECO GRUR GwG
Gemeinsames Ministerialblatt Gruppe der Staaten gegen Korruption Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Geldwaschegesetz
h.A. h.L. h.M. Hrsg.
herrschende Ansicht herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber
ICLQ i.d.R. i.d.R i.e.S. IGH IKPK
IRhSt IStGH i.V.m. i.w.S.
International and Comparative Law Quarterly in der Regel in der Fassung im engeren Sinn Internatibnaler Gerichtshof Internationale Kjiminalpolizeiliche Kommission International Mitlitary Tribunal Gesetz iiber die Bekampfung des Bestechung auslandischer Amtstrager im internationalen Geschaftsverkehr Internationaler Pakt uber Biirgerliche und Politische Rechte Gesetz liber die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internationaler Strafgerichtshof in Verbindung mit im weiteren Sinn
JA jew. JI JR JURA JuS JZ
Juristische Arbeitsblatter jeweils Justiz und Inneres Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
Kap. KfZ KG kg KK KOM KorrBG krit.
Kapitel Kraftfahrzeug Kammergericht Kilogramm Karlsruher Kommentar Europaische Kommission Korruptionsbekampfungsgesetz kritisch
IMT IntBestG
IPBPR IRG
Abktirzungsverzeichnis KritV KSZE
XXXI
Kritische Vierteljahresschrift fiir Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Konferenz fiir Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
LFGB LG lit. LK LKA LMBG LRE
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht litera (Buchstabe) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Landeskriminalamt Lebensmittel- und Bedarfsgegenstandegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen
m. MarkenG MDR MedR MoU MuKoStGB m.w.N.
mit Gesetz iiber den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Monatsschrift fiir Deutsches Recht Medizinrecht Memorandum of Understanding Miinchner Konmientar zum Strafgesetzbuch mit weiteren Nachweisen
NATO n.F. NJW NK NL NLG Nr. N.SIS NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NZV
North Atlantic Treaty Organization neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch Niederlande Niederlandische Gulden Nummer National Schengen Information System Neue Zeitschrift fiir Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Natur und Recht Neue Zeitschrift fiir Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift fiir Verkehrsrecht
OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development Organisierte Kriminalitat Office europeen de Lutte Anti-Fraude Osterreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht
OK OLAF OJZ OLG OLGSt
XXXII
Abkiirzungsverzeichnis
OrgKG
OWiG PIF PJZS PKK PKW RabelsZ RIDP RIW RL Rn. Rspr. Rz. s. S. SchwZStrR SDtF SIRENE SIS SK sog. StA StAG StGB StPO str. StraFo StV StVJ u.a.
tJbK UCLAF UKG UPR UN
Gesetz zur Bekampfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalitat Ordnungswidrigkeitengesetz Protection des interets financiers Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Partiya Karkeren Kurdistan Personenkraftwagen Rabels Zeitschrift fiir auslandisches und internationales Privatrecht Revue Internationale de Droit Penal Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnunimer Rechtsprechung Randziffer siehe Satz, Seite Schweizerische Zeitschrift fiir Strafrecht Schengener Durchfuhrungsubereinkommen Supplementary Information Request at the National Entry Schengener Informationssystem Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch sogenannte(r) Staatsanwaltschaft Strafrechtsanderungsgesetz Strafbesetzbuch Strafprozessordnung streitig Strafverteidiger Forum Strafverteidiger Steuerliche Viertelj ahreszeitschrift unter anderem, und andere Ubereinkommen Unite de Coordination de la Lutte Anti-Fraude Gesetz zur Bekampfung der Umweltkriminalitat Umwelt- und Planungsrecht United Nations
Abkiirzungsverzeichnis UN-TransKrimUbK USA usw. u.U. UWG V.
VereinsG VG vgl. VO Vol. % Vorbem. VRS VStGB WeinG WiKG wistra WKD WM WpHG WRP WuR WuW WVK ZaoRV ZBJI z.B. ZeuS ZfRV ZfZ ZHR ZIS ZLR ZRP
XXXIII
Ubereinkommen der Vereinten Nationen liber die Bekampfung transnationaler Kriminalitat United States of America und so weiter unter Umstanden Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, von Vereinsgesetz Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung Volumenprozent Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung Volkerstrafgesetzbuch Weingesetz Gesetz zur Bekampfung der Wirtschaftskriminalitat Zeitschrift fiir Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaftskontrolldienst Wertpapiermitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift fiir auslandisches offentliches Recht und Volkerrecht Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres zum Beispiel Zeitschrift fiir europarechtliche Studien Zeitschrift fiir Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift fiir Zolle und Verbrauchssteuern Zeitschrift fiir das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift fiir Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift fiir das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift fiir Rechtspolitik
XXXIV ZStW ZUM zust. zutr.
Abkurzungsverzeichnis Zeitschrift fiir die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift fiir Urheber- und Medienrecht zustimmend zutreffend
Abgekurzt zitierte Literatur
Monographien Ahlbrecht, Heiko, Geschichte der volkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, 1999 (zitiert: Ahlbrecht, volkerrechtliche Strafgerichtsbarkeit) BahnmUller, Marc, Strafrechtliche Unternehmensverantwortlichkeit im europaischen Gemeinschafts- und Unionsrecht, 2004 (zitiert: BahnmUller, Unternehmensverantwortlichkeit) Bisson, Frank, Die lebensgefahrliche Verteidigung von Vermogenswerten, 2002 (zitiert: Bisson, Verteidigung von Vermogenswerten) Bose, Martin, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996 (zitiert: Bose, Strafen und Sanktionen) Braum, Stefan, Europaische StrafgesetzHchkeit, 2003 (zitiert: Braum, Strafgesetzlichkeit) Brechmann, Winfried, Die richtlinienkonforme Auslegung: zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der EG-Richtlinie, 1994 (zitiert: Brechmann, Richthnienkonforme Auslegung) Breuer, Barbara, Der Im- und Export von Abfallen innerhalb der Europaischen Union aus umweltstrafrechtlicher Sicht, 1998 (zitiert: Breuer, Im- und Export von Abfallen) Degenhardt, Kerstin, Europol und Strafprozess, 2003 (zitiert: Degenhardt, Europol) Deutscher, Jorg, Die Kompetenzen der Europaischen Gemeinschaften zur originaren Strafgesetzgebung, 2000 (zitiert: Deutscher, Kompetenzen) Dieblich, Franz, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgiiter der der europaischen Gemeinschaften, 1985 (zitiert: Dieblich, Rechtsgiiter der EG) Diehm, Dirk, Die Menschenrechte der EMRK und ihr Einfluss auf das deutsche Strafgesetzbuch, 2006 (zitiert: Diehm, Menschenrechte) Enderle, Bettina, Blankettstrafgesetze - Verfassungs- und strafrechtliche Probleme von Wirtschaftsstraftatbestanden, 2000 (zitiert: Enderle, Blankettstrafgesetze) Esser, Robert, Auf dem Weg zu einem europaischen Strafverfahrensrecht, 2002 (zitiert: Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht) Fawzy, Oliver, Die Errichtung von Eurojust - Zwischen Funktionalitat und Rechtsstaatlichkeit, 2005 (zitiert: Fawzy, Eurojust)
XXXVI
Abgekiirzt zitierte Literatur
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Abgekurzt zitierte Literatur
XXXVII
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XXXVIII
Abgekurzt zitierte Literatur
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205 Stand: 12/06; vgl. http://www.un.org/law/icc/statute/romefra.htm.
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Vertragsstaates oder durch Angehorige eines Vertragsstaates begangen worden sind^^^. Mit dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts haben die langer als ein Jahrhundert wahrenden Bemtihungen um eine standige internationale Strafgerichtsbarkeit einen historischen Hohepunkt erreichP^. Das Statut umfasst im Ganzen 13 Telle mit insgesamt 128 Artikeln. Geregelt werden Gerichtsorganisation, Straftatbestande, allgemeine Strafrechtsprinzipien, Strafverfahrensrecht sowie die Zusammenarbeit der Staaten mit dem IStGH bei Strafverfahren und Strafvollstreckung^^^. Die Hauptfunktion des Weltstrafgerichtshofes ist es, Individuen fur solche Verbrechen verantwortlich zu machen, die nicht nur die unmittelbaren Opfer selbst, sondern die internationale Staatengemeinschaft als solche bertihren, well diese Verbrechen die Grundlagen eines friedlichen und menschenwiirdigen Zusammenlebens der Menschen innerhalb ihrer jeweiligen Volksgemeinschaft sowie der Volker untereinander untergraben. Das Statut ist dementsprechend auf die Wahrung des Weltfriedens zugeschnitten und normiert in Art. 5 die vier Kerntatbestande des Volkerstrafrechts. Entgegen der bisherigen Tradition der Volkerstrafgerichtsbarkeit werden die Volkerstraftaten nicht lediglich durch Zustandigkeitstitel angedeutet, die der Ausfiillung durch das Volkergewohnheitsrecht bediirfen. Vielmehr werden die einzelnen Tatbestande in den Art. 6-8 in fast 70 Untertatbestande aufgegliedert und ausformuliert. Damit macht das Volkerstrafrecht einen gewichtigen Schritt in die Richtung kontinentaler Bestimmtheitsanforderungen^^^. Dieser Entwicklungsschritt wird in Art. 22 1 IStGH-Statut gewissermaBen formlich besiegelt, indem der IStGH darauf festgelegt wird, nur auf der Grundlage der im Statut niedergelegten Tatbestande zu judizieren (spezielles „nullum crimen sine lege"-Prinzip). Besonders innovativ ist ferner die Weiterentwicklung der „general principles" des Volkerstrafrechts, die einem „Allgemeinen Teil" nahe kommen^^^. Die Zustandigkeit des IStGH „ratione personae", also die Frage, welche Per- 88 sonen der Strafgewalt des Weltstrafgerichtshofes unterliegen, war die umstrittenste Frage der Verhandlungen^^^ Das von Deutschland favorisierte Modell automatischer und universeller Zustandigkeit des IStGH vermochte sich ebenso wenig durchzusetzen wie das restriktive Modell, jedes einzelne Strafverfahren von der Zustimmung des betroffenen Staates (Heimatstaat des Beschuldigten; Tatortstaat) abhangig zu machen. Der gefundene Kompromiss, von dem das Statut ausgeht, sieht vor, dass der IStGH zustandig ist, sofern der Tatortstaat oder der Heimat-
206 p^j. Staaten, die erst nach Inkrafttreten des Statuts beigetreten sind, ist der Zeitpunkt maBgeblich, zu dem das Statut fur diesen Staat Geltung beanspmcht; vgl. Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 17; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 202. ^^'^ Fixson, in: Kirsch (Hrsg.), Int. Strafgerichtshofe, S. 207 ff.; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 56 ff m. w. N. 208 Ambos, IntStR, § 5 Rn. 4 3 ff; Krefi, IStGH V o r III 26 Rn. 10; Satzger, IntStR, § 13 Rn. 4. 209 Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 31 ff; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 68. 210 Ambos, IntStR, § 7 Rn. 1 ff . 211 Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 11 ff
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§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenziiberschreitenden Beztigen
staat des Taters das Statut ratifiziert haben (Art. 5 i.V.m. Art. 12 IStGH-Statut)^!^. Folglich unterfallen auch Staatsangehorige von Nichtvertragsstaaten unter das Zustandigkeitsregime des IStGH, wenn sie eine Volkerstraftat auf dem Gebiet eines Vertragsstaates begangen haben. Das allgemeine Zustandigkeitsregime wird durch die sog. „sicherheitsratsgestutzte Zustandigkeit" nach Art. 12, 13 IStGH-Statut iiberlagert und erweitert^^^. Im Falle einer Verfahrensauslosung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Rahmen von Kapitel VII der UN-Charta besteht demnach keine Schranke fur die Ausiibung der IStGH-Zustandigkeit^^"^. Der Sicherheitsrat hat es somit in der Hand, die Zustandigkeit des IStGH fiir die Verfolgung von Nichtvertragsstaatsangehorigen zu begriinden, die im Verdacht stehen, in einem Nichtvertragsstaat Volkerrechtsverbrechen begangen zu haben^^^. III. Durchsetzung des Volkerstrafrechts 89 Das IStGH-Statut geht von einer zweifachen Durchsetzungsmoglichkeit des Volkerstrafrechts aus - einer direkten und einer indirekten^^^. Zum einen eroffnet es den Weg fiir eine Aburteilung volkerstrafrechtlicher Delikte auf internationaler Ebene durch den IStGH. Zum anderen lasst es den Weg offen fiir eine Durchsetzung des Volkerstrafrechts durch die Vertragsstaaten. Der IStGH soil die nationale Strafgerichtsbarkeit also nicht ersetzen, sondern erganzen. Erreicht wird dies durch die Festschreibung des Grundsatzes der Komplementaritat, wonach die nationale Strafgerichtsbarkeit Vorrang vor der des Weltstrafgerichtshofes genieBt (Art. 17-19 IStGH-Statut)^^^. Der IStGH darf seine Gerichtsbarkeit erst ausiiben, wenn ein Vertragsstaat nicht fahig oder willens ist, die Strafverfolgung ernsthaft zu betreiben (Art. 17 IStGH-Statut). Unwillig ist ein Staat, wenn die Strafverfolgung nur zum Schein erfolgt, wenn das Verfahren nicht unabhangig und unparteiisch gefiihrt wird und sich mit dem wirklichen Willen der Strafverfolgung nicht vereinbaren lasst. Unfahigkeit zur Strafverfolgung liegt vor, wenn das nationale Justizsystem ganz oder teilweise zusammengebrochen ist bzw. nicht zur Verfiigung steht und daher eine ordnungsgemaBe Strafverfolgung nicht moglich ist. Dabei liegt die Entscheidung dariiber, ob der jeweilige Staat ernsthaft verfolgen kann oder will, beim IStGff^^. Die Hauptlast der Durchsetzung des Volkerstrafrechts wird im Lichte des Komplementaritatsprinzips nicht beim IStGH und wohl auch nicht bei den Tatortstaaten, sondern bei verfolgungsbereiten Drittstaa-
214
Ambos, IntStR, § 8 Rn. 8; Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 12; Satzger, IntStR, § 13 Rn. 9; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 202. Ambos, IntStR, § 8 Rn. 11; Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 16, 19; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 202. Krefi, IStGH Vor EI 26 Rn. 16, 19.
215 Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 63, dort Fn. 120. 216 Ambos, IntStR, § 8 Rn. 52; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 195 ff 217 Ambos, IntStR, § 8 Rn. 15 ff.; Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 2 2 ff.; Satzger, NStZ 2002, 125 f; ders., JuS 2004, 9 4 3 , 945; ders., Internationales Strafrecht, § 13 Rn. 16 ff. Krefi, I S t G H Vor E I 26 Rn. 29; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 200.
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ten liegen. Das System konkurrierender Zustandigkeit zwischen IStGH und Verfolgungsstaaten nach Art. 17 f. IStGH-Statut wird in Art. 20 IStGH-Statut durch eine ne bis in idem-Regelung vervollstandigt^^^. Bekanntlich nehmen die USA eine unverandert ablehnende Haltung gegeniiber 90 dem IStGH ein^^°. Im Kern haben die USA ihre Nein-Stimme von Rom mit der Moglichkeit begriindet, dass der Weltstrafgerichtshof unter Umstanden seine Zustandigkeit auch auf amerikanische Soldaten ausiiben konne. Die USA halten dies fur unvereinbar mit ihrer iibergeordneten Aufgabe als Zentralmacht internationaler Friedenssicherung und -durchsetzung. Diesen, in dem Selbstverstandnis als Weltfriedensmacht wurzelnden politischen Bedenken der USA, ist freilich entgegenzuhalten, dass die Furcht vor dem IStGH schon deshalb unbegriindet ist, weil das im Statut verankerte Komplementaritatsprinzip jedem Staat die Moglichkeit einraumt, die Strafverfolgung von Volkerrechtsverbrechen eigener Staatsangehoriger selbst in die Hand zu nehmen und damit ein Verfahren vor dem IStGH auszuschlieBen22i.
Deutschland hat die Entwicklung, die zum Abschluss des IStGH-Statuts fiihrte, 91 auf internationalem Parkett mit groBem Engagement gefordert^^^. Mit Erlass des zur Ratifikation erforderlichen IStGH-Statutsgesetzes^^^ sowie mit der Anderung des Art. 16 II GG^^"^, wodurch gewahrleistet wird, dass auch deutsche Staatsangehorige an den IStGH iiberstellt werden konnen, hat der deutsche Gesetzgeber wesentliche Schritte zur Ermoglichung der Arbeitsaufnahme des Weltstrafgerichtshofes unternommen. Zeitgleich mit dem IStGH-Statut ist am 1. Juli 2002 schlieBlich das Ausfiihrungsgesetz (RSAG)^^^ in Kraft getreten, welches die Zusammenarbeit Deutschlands mit dem IStGH regelt.
Vgl. hierzu Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 29 und Thomas, Das Recht auf EinmaUgkeit der Strafverfolgung - Vom nationalen zum intemationalen ne bis in idem, 2002, S. 109. Die USA haben inzwischen ihre vom damaligen Prasidenten Clinton geleistete Unterschrift zuriickgezogen; vgl. Ambos, IntStR, § 6 Rn. 55 ff; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 65, 125. 221 irr^j5,NStZ2000, 617, 618. 222 Vgl. zur Entwicklungsgeschichte des IStGH-Statuts Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 1 ff und Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 59 ff, 220. ^^^ BGBl. II 2000, 1393. Die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretar der UN erfolgte am 1 l.Dezember 2000. 224 BGBL I 2000, 1633; vgl. hierzu Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 372; Zimmermann, J Z 2001, 209 ff 225 BGBL I 2002, 2144; vgl. hierzu Krefi, IStGH Vor III 26 Rn. 373; Maclean, ZRP 2002, 260 ff.
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§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenziiberschreitenden Beziigen
IV. Deutsches Volkerstrafgesetzbuch (VStGB) 92 Am 30. Juni 2002, einen Tag vor dem IStGH-Statut, ist das Volkerstrafgesetzbuch (VStGB) vom 26. Juni 2002 in Kraft getretetf^e. Mit dieser Kodifikation wird das materielle Strafrecht Deutschlands an die Bestimmungen des IStGHStatuts angepasst und damit zugleich ein „deutsches Volkerstrafrecht" begriindet. Das IStGH-Statut verpflichtet die Vertragsstaaten nicht zur Aufnahme von Volkerstraftatbestanden in ihr nationales Recht. Die Implementierung von Volkerstraftaten in deutsches Strafrecht soil jedoch nach dem erklarten Willen des deutschen Gesetzgebers vor dem Hintergrund des Komplementaritatsprinzips (Rn. 89) sicherstellen, dass Deutschland stets in der Lage ist, die in die Zustandigkeit des IStGH fallenden Verbrechen selbst verfolgen zu konnen. Das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Volkerrecht soil erfasst und Deckungsliicken zwischen deutschem Strafrecht und Volkerstrafrecht vermindert werden^^^. Da das im deutschen Verfassungsrecht verankerte Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG) eine deutsche Strafverfolgung der volkergewohnheitsrechtlich anerkannten Tatbestande des IStGH-Statuts ausschlieBt, solange diese nicht in einem formlichen Gesetz geregelt sind^^^, stand der Gesetzgeber nur vor der Wahl, das bestehende StGB durch Einfiigung neuer Straftatbestande zu erweitern oder eine einheitliche Kodifikation zu schaffen. Aus tiberzeugenden Griinden hat er sich fiir die letztgenannte Losung entschieden^^^. Zum einen kommt durch ein eigenstandiges Gesetzeswerk der besondere Stellenwert der Rechtsmaterie zum Ausdruck, zum anderen kann ihren Eigenarten besser Rechung getragen werden. Fiir eine eigenstandige Kodifikation spricht nicht zuletzt auch die bessere Ubersichtlichkeit und praktische Handhabbarkeit des komplexen Rechtsstoffes. Das VStGB kodifiziert die volkergewohnheitsrechtlich geltenden Volkerstraftatbestande in enger Anlehnung an das IStGH-Statut, wobei § 220 a StGB a. F. (Volkermord) mit marginalen Anderungen in das neue Gesetzeswerk iibernommen wurde.
226 BGBl. I 2002, 2254 (abgedruckt in Trondle/Fischer, Anhang 2); eingehend hierzu Satzger, NStZ 2002, 125; ders., IntStR, § 16 Rn. 6 ff.; Werle/Jefiberger, JZ 2002, 725; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 215 ff.; Zimmermann, NJW 2002, 3068. Zu den Vorarbeiten am VStGB vgl. Krefi, Vom Nutzen eines deutschen Volkerstrafgesetzbuches, 2000, passim; Werle, JZ 2001, 885. 22'7 Eine voUstandige Deckungsgleichheit wird mit dem VStGB nicht erreicht; vgl. Satzger, NStZ 2002, 125, 127 ff 228 Vgl. hierzu nur Satzger, N S t Z 2002, 125, 126; ders., JuS 2004, 943, ff; ders., IntStR,
§ 16 Rn. 12. 229 Y g j (^gjj entsprechenden Vorschlag v o n Krefi, V o m Nutzen eines deutschen Volkerstrafgesetzbuches, 2000, passim; teilweise a. A. Dietmeier, in: GraulAVolf (Hrsg.), Meurer-Gedachtnisschrift, 2002, S. 333 ff
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1. Strafanwendungsrecht des VStGB Die wohl bedeutsamste Einzelfrage des VStGB betrifft seinen internationalen 93 Anwendungsbereich. Nach § 1 VStGB gilt dieses Gesetz fiir alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Volkerrecht, fiir die in ilim bezeichneten Verbrechen auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Damit ordnet das VStGB fiir alle Verbrechenstatbestande die uneingeschrankte Geltung des Weltrechtsprinzips an (Rn. 50 f.). Auf Volkerrechtsverbrechen ist damit deutsches Strafrecht stets anwendbar, gleichgiiltig, wo, von wem oder gegen wen die Taten begangen worden sind^^°. Die Rechtsprechung des BGH231, nach der die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts von dem Nachweis eines legitimierenden Ankniipfungspunktes abhange, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt (z. B. standiger Aufenthalt des Taters in Deutschland), ist insoweit gegenstandslos geworden^^^. § 1 VStGB wird durch die Regelung des § 153 f I-III StPO flankiert, die eine Einstellungsmoglichkeit fiir deutsche Strafverfolgungsorgane vorsieht, wenn der Inlandsbezug fehlt oder wenn vorrangige Gerichtsbarkeiten im Spiel sind. Die Anordnung des uneingeschrankten Weltrechtsprinzips auf alle Verbrechen 94 des VStGB wirkt sich aber auch begrenzend auf die Zustandigkeit der deutschen Strafgewalt aus. Das Weltrechtsprinzip legitimiert die Anwendung des VStGB auf Auslandstaten ohne Inlandsbezug namlich nur insoweit, als es sich bei den dort defmierten Verbrechen zugleich um volkerrechtlich anerkannte Verbrechen handelt. Wiirde der deutsche Gesetzgeber nicht nur volkerrechtskonkretisierend, sondern volkerrechtsfortbildend tatig werden, so ware die Anwendung des Weltrechtsprinzips nicht mehr zu rechfertigen und ein sonstiger inlandischer Ankniipfungspunkt erforderlich, da ansonsten gegen das volkerrechtliche Nichteinmischungsgebot (Rn. 10) verstoBen wiirde^^^. 2. Allgemeiner Teil des VStGB Der Allgemeine Teil umfasst nur wenige Paragraphen (§§ 1-5 VStGB). 95 § 2 VStGB erklart als „zentrale Umschaltnorm"^^^ die Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts fiir anwendbar, wenn das VStGB keine Sonderregelung trifft. Das VStGB bleibt also laut Grundentscheidung des § 2 VStGB in die Materie des
230 Gil Gil Z S t W 112 (2000), S. 386 f.; Satzger, N S t Z 2002, 125, 131; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 230. 231 B G H S t 4 5 , 64, 66; vgl. hierzu Satzger, N S t Z 2002, 125, 131 u n d Werle, Volkerstraf-
recht, Rn. 230. 232 Yg2 2ur rechtlichen Argumentation gegen das Erfordemis eines inlandischen Ankniipfungspunktes bei internationalen Kemverbrechen AmZ?o5, N S t Z 1999, 406; Krefi, NStZ 2000, 617, 624 f.; Satzger, N S t Z 2002, 125, 131; Werle, J Z 1999, 1181, 1182 f.; Werle/Jefiberger, JuS 2 0 0 1 , 141, 142; MuKoStGB/AmZ?^^, § 6 Rn. 5; vgl. neuerdings auch B G H S t 46, 292, 307. 233 Satzger, N S t Z 2002, 125, 131 f.; ders., IntStR, § 16 Rn. 38. 234 Werle, J Z 2 0 0 1 , 886; ders., Volkerstrafrecht, 2003, Rn. 229.
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§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenztiberschreitenden Beziigen
allgemeinen Strafrechts eingebettet, indem gmndsatzlich die Vorschriften des StGB anwendbar sind, soweit das VStGB nichts Abweichendes vorsieht. Die Sonderregelungen betreffen das Strafanwendungsrecht (§ 1 VStGB), das Handeln auf Befehl (§ 3 VStGB), die Verantwortlichkeit militarischer Befehlshaber und sonstiger Vorgesetzter (§ 4 VStGB) sowie die Verjahrung (§ 5 VStGB sieht die Unverjahrbarkeit der Verfolgung von nach diesem Gesetz begangenen Verbrechen vor). Fragen zu Vorsatz, Irrtum, Notwehr, Notstand, Taterschaft und Teilnahme sowie Unterlassen sind anhand der Bestimmungen des StGB zu beantworten, 3. Besonderer Toil des VStGB 96 In §§ 6-14 VStGB werden die einzelnen Volkerstraftaten in einem Besonderen Teil normiert. Dem IStGH-Statut entsprechend enthalt der Besondere Teil in § 6 VStGB den Tatbestand des Volkermords, der friiher in § 220 a StGB verankert war. Zu beachten ist, dass sich der Begriff des Volkermordes zum Teil weit von dem Begriff des Mordes entfernt, den der deutsche Rechtsanwender aus § 211 StGB kennt235. 97 Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden in § 7 VStGB normiert. Dabei wird ein Katalog von Einzeltaten (z. B. Totung eines Menschen, Versklavung, Vertreibung, Folter, Vergewaltigung, Notigung zur Prostitution usw.) unter Strafe gestellt, wenn diese Taten im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevolkerung begangen werden^^^. In den §§ 8-12 VStGB sind Kriegs- und Biirgerkriegsverbrechen normiert, also Straftaten, die im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt begangen werden^^^. Die §§ 13-14 VStGB enthalten Sondervorschriften iiber die strafrechtliche Verantwortlichkeit von militarischen Befehlshabern (Sonderdelikte) wegen Verletzung der Aufsichtspflicht bzw. Unterlassen der Meldung einer Straftat (auch durch einen zivilen Vorgesetzten)^^^. Ausgeklammert bleibt (noch) das Aggressionsverbrechen^^^, um den laufenden internationalen Verhandlungen nicht vorzugreifen^'^^. 98 Das Inkrafttreten des IStGH-Statuts und des VStGB wird die Wechselwirkungen zwischen deutscher und internationaler bzw. auslandischer Strafrechtspflege erheblich verstarken. Die Anwendung des VStGB erfordert deshalb eine Offnung der deutschen Strafrechtspraxis und -wissenschaft zum Volkerstrafrecht und zur Rechtsvergleichung. Besonders spiirbar werden die Einfliisse des Volkerstrafrechts bei der Auslegung der in die staatliche Rechtsordnung iiberfiihrten Normen sein, da diese ihren materiellen Ursprung im Volkerrecht haben. Bei der AusleAmbos, in: Kirsch (Hrsg.), Int. Strafgerichtshofe, S. 139 ff.; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 608ff Ambos, in: Kirsch (Hrsg.), Int. Strafgerichtshofe, S. 139, 163 ff; Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 754 ff 237 Vgl. hierzu Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 1128 ff 238 Vgl. hierzu Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 499 ff 239 VgL hierzu Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 1136 ff 240 rr^jS,IStGHVorni26Rn.46,374.
C. Volkerstrafrecht
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gung der im VStGB normierten Straftatbestande miissen sich die nationalen Rechtsanwender daher einer volkerstrafrechtsfreundlichen Interpretation befleiBigen. Sowohl die volkerrechtlichen „Mutternormen" des IStGH-Statuts als auch deren Interpretation durch internationale und ggf. auch auslandische Gerichte sind bei der Anwendung des VStGB zu beachten^'^^ 4, Zusammenfassende Bewertung - Vorbildcharakter des VStGB Das VStGB darf mit Recht als „groBer Wurf bezeichnet werden242. Die Kodifika- 99 tion versetzt die deutsche Strafrechtsordnung in die Lage, adaquat auf Volkerrechtsverbrechen zu reagieren. Zwar wird der rechtspolitische Idealzustand, die im IStGH-Statut normierten Volkerstraftaten moglichst voUstandig der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, vom VStGB nicht vollstandig erreicht. Die verbleibenden Deckungsliicken werden aber nur in seltenen Ausnahmefallen zu einer tjbernahme von Verfahren durch den IStGH fuhren und erscheinen daher hinnehmbar. Das VStGB ist - trotz eventueller Nachbesserungserfordernisse im Hinbhck auf Art. 103 II GG - in vorbildHcher Weise um eine klare und systematische Ausgestaltung des deutschen Volkerstrafrechts bemiiht und mag insoweit anderen Staaten wertvoUe Anregungen fiir die Anpassung ihrer Rechtsordnung an das IStGH-Statut Hefern. Moghcherweise kann der Vorbildcharakter des VStGB sogar das kiinftige Eu- 100 ropaische Strafrecht beeinflussen. In der Literatur ist mit gewichtigen Griinden der Vorschlag unterbreitet worden, zum strafrechtlichen Schutze der EG-Finanzinteressen die Schaffung eines EU-Finanzstrafgesetzbuches nach dem Vorbild des VStGB anzustreben^^^. Hier wie dort bietet die Schaffung einer gesonderten Kodifikation folgende Vorteile: Kompakte Zusammenfiihrung und Prazisierung des komplexen und teilweise untibersichtlichen Rechtsstoffes, groBere Rechtsklarheit, bessere praktische Handhabbarkeit, Vergleichbarkeit nationaler und internationaler Rechtsprechung bei gleichzeitiger Internationalisierung der Debatte, erhohter Symbolwert einer Kodifikation.
V. Literaturhinweise Ambos, 14 examensrelevante Fragen zum neuen intemationalen Strafgerichtshof, JA 1998, 988 ders., Zur Rechtsgmndlage des Intemationalen Strafgerichtshof, ZStW 111 (1999), 175 ders., Der Allgemeine Teil des Volkerstrafrechts, 2002, passim ders., Die volkerstrafrechtlichen Kemverbrechen, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshofe, 2005, S. 139 ders., Internationales Strafrecht, 2006, §§ 5-8
241 Werle, Volkerstrafrecht, Rn. 231 ff 242 Satzger, N S t Z 2002, 125, 132. 243 Schwarzburg/Hamdorf, N S t Z 2002, 617, 623.
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§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenztiberschreitenden Beziigen
Eser/Kreicker, Nationale Strafverfolgung volkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, 2003, passim Fastenrath, Der Internationale Strafgerichtshof, JuS 1999, 632 Fixson, Der Internationale Strafgerichtshof: Seine Entstehung und seine Stellung im Volkerrecht, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshofe, 2005, S. 207 Hermsdorfer, Der zukiinftige Internationale Strafgerichtshof - eine neue Epoche des Volkerstrafrechts, JR 2001, 6 Krefi, Volkerstrafrecht in Deutschland, NStZ 2000, 617 ders., Vom Nutzen eines deutschen Volkerstrafgesetzbuches, 2000, passim ders., Vorbemerkungen zu dem Romischen Statut des Intemationalen Strafgerichtshofes, in: Griitzner/Potz (Hrsg.), Intemationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Intemationaler Strafgerichtshof, 2003, Vor III 26 Rn. 1-364 Krefi/Wannek, Von den beiden intemationalen Ad-Hoc-Tribunalen zum Intemationalen Strafgerichtshof, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshofe, 2005, S. 231 Lagodny, Legitimation und Bedeutung des standigen Intemationalen Strafgerichtshofes, ZStW 113 (2001), S. 800 Satzger, Das neue Volkerstrafgesetzbuch - eine kritische Wiirdigung, NStZ 2002, 125 ders., Die Intemationalisiemng des Strafrechts als Herausfordemng fiir den strafrechtlichen Bestimmtheitsgmndsatz, JuS 2004, 943 ders., Intemationales und Europaisches Strafrecht, 2005, §§ 11-16 Schomburg, Internationale Strafgerichtsbarkeit - Eine Einfiihmng, in: Kirsch (Hrsg.), Intemationale Strafgerichtshofe, 2005, S. 9 Werle, Konturen eines deutschen Volkerstrafrechts, JZ 2001, 885 ders., Volkerstrafrecht, 2003, passim Werle/Jefiberger, Das Volkerstrafgesetzbuch, JZ 2002, 725 Zimmermann, Auf dem Weg zu einem deutschen Volkerstrafgesetzbuch, ZRP 2002, 97 ders., Bestrafung volkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Gerichte nach In-KraftTreten des Volkerstrafgesetzbuches, NJW 2002, 3068
D. Zusammenfassung von § 2 101 In diesem Kapitel werden drei strafrechtliche Spezialgebiete mit grenztiberschreitenden Beziigen vorgestellt, die teilweise enge Beriihrungs- bzw. tJberschneidungspunkte mit dem Europaischen Strafrechts aufweisen: Internationales Strafrecht, transnationales Strafrecht und Volkerstrafrecht. 102 Bei den in §§ 3-7, 9 StGB normierten Bestimmungen des intemationalen Strafrechts handelt es sich um innerstaatliches Strafanwendungs-, Strafgewalts- bzw. Geltungsbereichsrecht. Die Regeln des intemationalen Strafrechts geben Auskunft dariiber, ob auf einen bestimmten Lebenssachverhalt, der sich im Ausland abspielt oder an dem auslandische Tater und/oder Opfer beteiligt sind, deutsche Strafnormen Anwendung finden. Falls die Auslegung der Strafnorm ergibt, dass sich ihr Schutzbereich auch auf auslandische oder supranational Schutzgiiter erstreckt, ist anhand der Bestimmungen des intemationalen Strafrechts zu priifen, ob eine Ausdehnung der nationalen Strafgewalt zulassig ist. In welchem Umfang ein Staat seine Strafgewalt in Anspmch nehmen und ausdehnen
D. Zusammenfassung von § 2
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darf, wird durch das Volkerrecht bestimmt, das in alien Fallen mit Auslandsberiihrung die Geltendmachung eines legitimierenden Ankniipfungspunkts verlangt, der im Einzelfall einen unmittelbaren Bezug zur Strafverfolgung im Inland herstellt. Als volkerrechtlich legitimierende Ankniipfungspunkte („genuine links") kommen insbesondere der Begehungsort einer Tat (Territorialitatsprinzip), die Staatsangehorigkeit des Taters oder des Opfers (aktives und passives Personalitatsprinzip), der Schutz bestimmter inlandischer Rechtsgiiter (Schutzprinzip) bzw. von Interessen universellen Charakters (Weltrechtsprinzip), das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege sowie das Kompetenzverteilungsprinzip in Betracht. Alle genannten Prinzipien finden im deutschen Strafanwendungrecht (§ 3-7, 9 StGB) - zumeist in kombinierter Form - ihren spezifischen Ausdruck. In der Praxis wirft insbesondere die Auslegung des durch den Ubiquitatsgrundsatz konkretisierten Territorialitatsprinzips (§§ 3^ 9 StGB) Probleme auf, namentlich wenn es um sog. ,^Distanzdelikte" (z. B. AuBerungsdelikte im Internet, grenziiberschreitende Umweltdelikte) geht. Transnationales Strafrecht ist eine Rechtsmaterie, die sich im weitesten Sin- 103 ne mit dem rechtlichen, institutionell-organisatorischen und verfahrenstechnischen Instrumentarium der (international-arbeitsteiligen) grenziiberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen sowie damit zusammenhangender Rechtsschutzprobleme befasst. Das transnational Strafrecht zielt auf die Bewaltigung strafrechtsrelevanter Lebenssachverhalte ab, die nicht ausschlieBlich auf nationale materiell- und verfahrensrechtliche Problemlosungen gestiitzt werden konnen. Ein Bereich, in dem die transnationale Zusammenarbeit in Strafsachen schon eine lange Tradition besitzt, ist die internationale RechtshOfe in Strafsachen. Hierunter versteht man jede Unterstiitzung, die vom ersuchten Staat fiir ein auslandisches Strafverfahren gewahrt wird. Traditionelle Bereiche der Rechtshilfe sind der zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr, die Unterstiitzung bei der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen (VoUstreckungshilfe) und die sog. „kleine" oder sonstige Rechtshilfe, bei der es um alle denkbaren Unterstiitzungshandlungen geht, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des ersuchten Staates zulassig sind. Pflege und Entwicklung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sind seit 104 jeher ein zentrales Anliegen des Europarates. Die von den Mitgliedstaaten ratifizierten Rechtshilfekonventionen des Europarates fungieren als ,JS/[utterkonventionen" des europaischen Rechtshilfeverkehrs, auf denen zahlreiche bilaterale oder multilaterale Erganzungsvertrage sowie deliktsbezogene Ubereinkommen aufbauen. Innerhalb der EU erlangen neuartige Formen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Strafsachen wachsende Bedeutung, die sich von den Mechanismen der klassischen Rechtshilfe losen. Zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel im Auslieferungsverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten fiihrt das neue Instrumentarium des Europaischen Haftbefehls. Um echtes supranationales Strafrecht handelt es sich beim Volkerstrafrecht. 105 Nach einer pragmatischen Definition sind dem Volkerstrafrecht alle universell geltenden Normen zuzuordnen, die eine unmittelbare strafrechtliche Verantwortung von Individuen durch Volkerrecht konstituieren. Das Volkerstrafrecht schiitzt den „Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt" als die hochsten Giiter der
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§ 2 Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenziiberschreitenden Beztigen
Volkergemeinschaft. Anerkannte Volkerrechtsverbrechen sind die Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Volkermord und das Aggressionsverbrechen. Solange die Volkergemeinschaft nicht iiber eine eigene Strafgerichtsbarkeit verfiigte, erfolgte die Durchsetzung des Volkerstrafrechts im wesentlichen durch die nationalen Organe der Staaten, die ihre Zustandigkeit zur Strafverfolgung durch Annahme eines entsprechenden innerstaatlichen Rechtsakts erklart haben. Eine Strafverfolgung durch internationale Organe fand bislang nur in historischen Ausnahmesituationen statt. Zu denken ist etwa an die Internationalen Kriegsverbrechertribunale von Niirnberg und Tokio („International Military Tribunals" - IMT) oder an die Einrichtung von Internationalen Ad-hocStrafgerichtshofen zur Verfolgung schwerer Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (1993) bzw. in Ruanda (1995). Die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) mit Sitz in Den Haag, der am 11. Marz 2003 seine Arbeit aufgenommen hat, bedeutet einen Quantensprung in der Entwicklung einer Volkerstrafgerichtsbarkeit. Der IStGH ist als „Weltstrafgerichtshof ^ zustandig flir die Aburteilung von Verbrechen des Volkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression, die seit dem 1. Juli 2002 auf dem Gebiet eines Vertragsstaates oder durch Angehorige eines Vertragsstaates begangen worden sind. Das IStGH-Statut weist dem IStGH die Aburteilungskompetenz zu, sofern der Tatortstaat oder der Heimatstaat des Taters das Statut ratifiziert haben. Folglich unterfallen auch Staatsangehorige von Nichtvertragsstaaten unter das Zustandigkeitsregime des IStGH, wenn sie eine Volkerstraftat auf dem Gebiet eines Vertragsstaates begangen haben. Das allgemeine Zustandigkeitsregime wird durch die sog. „sicherheitsratsgestutzte Zustandigkeit" nach Art. 12, 13 IStGH-Statut iiberlagert und erweitert. 106 Das IStGH-Statut geht von einer zweifachen Durchsetzungsmoglichkeit des Volkerstrafrechts aus. Zum einen eroffnet es den Weg fiir eine Aburteilung volkerstrafrechtlicher Verbrechen auf internationaler Ebene durch den IStGH. Zum anderen gestattet es die Durchsetzung des Volkerstrafrechts durch die Vertragsstaaten. Erreicht wird dies durch die Festschreibung des Grundsatzes der Komplementaritat, wonach die nationale Strafgerichtsbarkeit Vorrang vor der des IStGH genieBt. Der Gerichtshof darf seine Gerichtsbarkeit erst ausiiben, wenn ein Vertragsstaat nicht fahig oder willens ist, die Strafverfolgung ernsthaft zu betreiben. Deutschland hat die Entwicklung, die zum Abschluss des IStGH-Statuts fiihrte, auf internationalem Parkett mit groBem Engagement gefordert und auf nationaler Ebene alle erforderlichen legislativen UnterstiitzungsmaBnahmen getroffen. Mit dem am 30. Juni 2002 in Kraft getretenen Volkerstrafgesetzbuch (VStGB) vom 26. Juni 2002 wurde das nationale Strafrecht an die Bestimmungen des IStGH-Statuts angepasst und damit zugleich ein „deutsches Volkerstrafrecht" begriindet. Die Implementierung von Volkerstraftaten in deutsches Strafrecht versetzt Deutschland in die Lage, die in die Zustandigkeit des IStGH fallenden Verbrechen selbst verfolgen zu konnen.
Teil II Trager des Europaischen Strafrechts und ihre Handlungsformen
§ 3 Europarat
A. Strukturen und Ziele des Europarates Betrachtet man die Entwicklung des Europaischen Strafrechts im Spiegel internationaler Organisationen und Institutionen, so faiit der Blick zunachst auf den Europarat^ . Von ihm gehen schon seit Jahrzehnten die verschiedensten Initiativen in den Bereichen Strafrecht, Kriminalpolitik, Verfassungsreclit und Menschenrechtsschutz mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung und der Forderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit aus^.
I. Rechtsnatur des Europarates Der Europarat ist eine am 5. Mai 1949 gegriindete Internationale Organisation „klassischen Zuschnitts" mit Sitz in StraBburg (Europa-Palais)^. Seine Aufgabe ist es, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze und zur Forderung der Ideale und Grundsatze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fordern (vgi. Art. 1 lit. a Europaratssatzung). Erfiillt werden soil diese Aufgabe durch Beratung von Fragen von gemeinsamen Interesse, durch den Abschluss von Abkommen, durch gemeinschaftliches Vorgehen sowohl auf wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet als auch in den Bereichen des Rechts und der Verwaltung sowie durch den Schutz und die Fortentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. Art. 1 lit. b Europaratssatzung). Derzeit gehoren dem Europarat 46 Mitgliedstaaten an, darunter auch alle 27 EU-Mitgliedstaaten.
Jung, JuS 2000, 417, 418 f.; ders., StV 1990, 509, 511; LigetU Strafrecht in der EU, S. 51 ff.; Vogler, JURA 1992, 586. Informationen tiber den Europarat konnen auf der deutschsprachigen Seite im Internet abgerafen werden unter http://www.coe.int/de. Vgl. zur Einfiihmng AmZ705, IntStR, § 10 Rn. 1 ff; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 64 ff; Herdegen, Europarecht, § 2 Rn. 1 ff; Oppermann, Europarecht, § 2 Rn. 1 ff; zur Vertiefung Klebes, Die Rechtsstruktur des Europarats und insbesondere der Parlamentarischen Versammlung, 1996, passim.
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§ 3 Europarat
3 Ubersicht: Die 46 Mitgliedstaaten des Europarates (Beitrittsdaten)^ Albanien (13. JuU 1995)
Andorra (10. Oktober 1994)
Armenien (25. Januar 2001)
Aserbeidschan (25. Januar 2001)
Belgien (5. Mai 1949)
Bosnien und Herzegowina (24. April 2002)
Bulgarien (7. Mai 1992)
Danemark (5. Mai 1949)
Deutschland (13. Juli 1950)
Estland (14. Mai 1993)
Finnland (5. Mai 1989)
Frankreich (5. Mai 1949)
Georgien (27. April 1999)
Griechenland (9. August 1949)
Irland (5. Mai 1949)
Island (9. Marz 1950)
ItaUen (5. Mai 1949)
Kroatien (6. November 1996)
Lettland (10. Februar 1995)
Liechtenstein (23. November 1978)
Litauen(14.Mail993)
Luxemburg (5. Mai 1949)
Malta (29. April 1965)
Ehem. Jugosl. Rep. Mazedonien (9. November 1995)
Moldawien (13. Juli 1995)
Monaco (5. Oktober 2004)
Niederiande (5. Mai 1949)
Norwegen (5. Mai 1949)
Osterreich (16. April 1956)
Polen (29. November 1991)
Portugal (22. September 1976)
Rumanien (7. Oktober 1993)
Russische Foderation (28. Februar 1996)
San Marino (16. November 1988)
Schweden (5. Mai 1949)
Schweiz (6. Mai 1963)
Serbien und Montenegro (3. April 2003)
Slowakei (30. Juni 1993)
Slowenien (14. Mai 1993)
Spanien (24. November 1977)
Tschechische Republik (30. Juni 1993)
Ttirkei (13. April 1950)
Ukraine (9. November 1995)
Ungam (6. November 1990) Zypem(24. Mail961)
Vereinigtes Konigreich (5. Mai 1949)
Beobachterstatus im Ministerkomitee: Kanada (29. Mai 1996) - Heiliger Stuhl (7, Marz 1970) - Japan (20. November 1996) - Mexiko (1. Dezember 1999) - Vereinigte Staaten von Amerika (10. Januar 1996) Beobachterstatus bei der Parlamentarischen Versammlung: Kanada (28. Mai 1997) - Israel (2. Dezember 1957) - Mexiko (4. November 1999) 4 Der Europarat ist die umfassendste Staatenvereinigung Europas. Ilir gemeinsames Band ist die Verpflichtung zur Rechtsstaatlichkeit. Alle Mitgliedstaaten bekennen sich zum Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts sowie zur Anerkennung von Menschenrechten und Grundfreiheiten (vgl. Art. 3 S. 1 Europaratssatzung). Dieses Prinzip ist vorrangig inkorporiert in der Europaischen Konvention zum Schutz '*
Der jeweils aktuelle Stand kann im Internet abgemfen werden unter http://www.coe.int/de.
A. Stmkturen und Ziele des Europarates
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der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) v. 4. November 1950 und ihren Zusatzprotokollen^. Bei schwerwiegender Missachtung dieser Gmndsatze kann das entscheidende Organ des Europarats, das Ministerkomitee, einem Mitgliedstaat das Recht auf Vertretung vorlaufig entziehen und ihn zum Austritt auffordern. Als scharfstes Mittel kann das Komitee den Ausschluss des Mitgliedstaates beschlieBen.
II. Organe des Europarates Organe des Europarates sind das Ministerkomitee, die Parlamentarische Versammlung sowie der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas. Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsorgan des Europarates. Es setzt sich zusammen aus den AuBenministern der Mitgliedstaaten bzw. ihren standigen Vertretern. Die Parlamentarische Versammlung ist das beratende Organ, das sich aus 315 Mitgliedern zusammensetzt, die von den nationalen Parlamenten benannt werden. Die Zahl der von den nationalen Parlamenten entsendeten Vertreter ist fiir jeden Staat festgelegt (zwischen 2 und 18). Ebenfalls ein beratendes Organ ist der Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, der die Interessen der Regionalund Kommunalbehorden vertritt. Die Aktivitaten des Europarates werden von einem Generalsekretar geleitet und koordiniert, der von der Parlamentarischen Versammlung gewahlt wird. Derzeit bilden rund 1300 Beamte aus den Mitgliedstaaten unter der Leitung des Generalsekretars den permanenten Mitarbeiterstab der Organisation. Der Europaische Gerichtshof fiir Menschenrechte (EGMR) und das AntiFolter-Komitee sind keine Organe des Europarats, sondern Organe der sie tragenden Konventionen (EMRK bzw. Anti-Folter-Konvention). III. Arbeitsprogramm des Europarates Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa erhielt der Europarat neue politische Impulse durch Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs. Im Jahre 1993 stellten sich die Staats- und Regierungschefs der damals 32 Mitgliedstaaten des Europarates in Wien den neuen Herausforderungen und ebneten den Weg fiir die Erweiterung. 1997 verabschiedeten sie in StraBburg fiir die damals 40 Mitgliedstaaten einen neuen Aktionsplan zu vier groBen Themen: Demokratie und Menschenrechte, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Sicherheit der Biirger und Erziehung zur Demokratie und kulturellen Vielfalt. Diese Themen bilden die Grundlage fiir das Arbeitsprogranmi des Europarates in diesem neuen Jahrtausend. Der Europarat organisiert regelmaBig FachministerkonferenDie EMRK ist in Deutschland durch Gesetz vom 7. August 1952 (BGBl. II 1952, 685, 953) in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1953 (BGBl. II 1953, 14) ilber das Inkrafttreten ratifiziert worden und gilt seit dem 3. September 1953 als einfaches Bundesrecht.
84
§ 3 Europarat
zen (fiir Justiz, Bildung, Familienangelegenheiten, Gesundheit, Umwelt, kommunale Verwaltung, Migration, Gleichstellung von Mann und Frau, Arbeit, Massenmedien, Kultur, Sport, Jugend usw.), auf denen die aktuellen Probleme in diesen Bereichen analysiert und diskutiert werden. Amtssprachen des Europarates sind Englisch und Franzosisch, doch werden auch Deutsch, Italienisch und Russisch von der Parlamentarischen Versammlung als Arbeitssprachen eingesetzt. Die Arbeit des Europarats findet Ausdruck in themenzentrierten Empfehlungen sov^ie in Konventionen und Abkommen, die den Mitgliedstaaten zu Beitritt und Ratifikation angeboten werden. Diese konnen den AnstoB geben und die Grundlage bilden fiir die Anderung bzw. Harmonisierung des nationalen Rechts in den Mitgliedstaaten. Der Europarat verabschiedet auch Teilabkommen, die eine Art der Zusammenarbeit „mit variabler Geometrie" darstellen und jeweils interessierten Mitgliedstaaten die Moglichkeit geben, mit Zustimmung der anderen Mitglieder spezifische Arbeiten von allgemeinem Interesse durchzufiihren. Als volkerrechtlicher Zusammenschluss souveraner Staaten kann der Europarat selbst keine Rechtsvorschriften erlassen, die in den Einzelstaaten unmittelbare Geltung beanspruchen. Es bleibt stets der souveranen Entscheidung der Mitgliedstaaten iiberlassen, ob sie einer Konvention des Europarats beitreten und diese durch Ratifikation in innerstaatliches Recht verwandeln.
B. Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europarates I. European Commitee on Crime Problems 10 Bereits im Jahre 1957 hat das Ministerkomitee den europaischen Ausschuss fiir Strafrechtsprobleme (ECCP = European Commitee on Crime Problems) mit dem Ziel gegriindet, die Arbeiten auf strafrechtlichem Gebiet zu intensivieren^. Dem ECCP kommt dabei die Aufgabe zu, die Arbeiten an Fragen des Straf- und Strafverfahrensrechts, der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ebenso wie der Strafvollstreckung, des Strafvollzugs, der Kriminologie und der Kriminalpolitik zu koordinieren. Innerhalb des ECCP bestehen Unterausschiisse, deren Mitglieder aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse mit der Untersuchung bestimmter Spezialprobleme betraut werden. Der ECCP betreibt strafrechtsrelevante Grundlagenforschung und erstellt Vorarbeiten fiir volkerrechtliche Vereinbarungen. Zu denken ist etwa an rechtsvergleichende Studien iiber ausgewahlte strafrechtliche Problemfelder (Opferschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz usw.). Bis zum Jahre 2000 hat das Ministerkomitee fiir den strafrechtlichen Bereich iiber 90 Empfehlungen verabschiedet, darunter solche zu Fragen der Verletztenstellung, des Zeugenschutzes, der Strafzumessung, des Sanktionensystems und des Strafvollzugs''.
6 7
Vogler, JURA 1992, 586 ff.; ders., ZStW 79 (1969), S. 113 ff. Jung, JuS 2000, 417, 419.
B. Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europarates
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II. Strafrechtsrelevante Konventionen 1. Ubersicht Von den iiber 50 strafrechtsrelevanten Konventionen^, die der Europarat initiiert 11 und ausgearbeitet hat, werden folgende exemplarisch aufgefiihrt: - Europaische Mensehenrechtskonvention v. 4. November 1950^, - Europaisches Auslieferungsubereinkommen v. 13. Dezember 1957^° mit seinen ZusatzprotokoUen v. 15. Oktober 1975ii und v. 17. Marz 197812, - Europaisches Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen v. 20. April 1959^3 mit seinem Zusatzprotokoll v. 17. Marz 1978l^ - Europaisches Ubereinkommen iiber die Ahndung von Zuwiderhandlungen im StraBenverkehr v. 30. November 1964^^, - Europaisches Ubereinkommen uber die Ubertragung der Strafverfolgung V. 15. Mai 197216, - Europaisches tJbereinkommen zur Bekampfung des Terrorismus v. 27. Januar 1977^'^ und Protokoll zur Anderung dieses Ubereinkonmiens v. 15. Mai 2003^^, - Europaisches Ubereinkommen iiber die Kontrolle des Erwerbs und Besitzes von Schusswaffen durch Einzelpersonen v. 28. Juni 1978^^, - Zusatzprotokoll v. 15. Marz 1978^° zum Europaischen tJbereinkommen betreffend Auskiinfte iiber auslandisches Recht v. 7. Juni 1968^1, - Europaisches tJbereinkommen iiber die tJberstellung verurteilter Personen V. 2 1 . Marz 1983^^ mit seinem Zusatzprotokoll v. 18. Dezember 1997^^,
13
16 1'^ 18 19 20 21
Die Konventionen konnen im (englischen oder franzosischen) Volltext unter Angabe des jeweiligen Zeichnungs- und Ratifikationsstandes auf der Homepage des Council of Europe abgemfen werden unter http://www.conventioiis.coe.int. ETS (= European Treaty Series) Nr. 5; BGBl. II1952, 686, 953; 1954, 14; 1968, 1116, 1120; 1970, 1315; 1972, 105;1989, 546, 991; 1995 II, 578. ETS Nr. 24; BGBl. II1964, 1369; 1976, 1778; 1982, 2071; 1994, 299. ETS Nr. 86. ETS Nr. 98; BGBl. II1990, 118; 1991, 874. ETS Nr. 30; BGBl. II1964, 1369, 1386; 1976, 1799; 1982, 2071; 2000, 555. ETS Nr. 99; BGBl. II1990, 124; 1991, 909; 2000, 555. ETS Nr. 52. ETSNr.73. ETS Nr. 90; BGBl. II1978, 321, 907; 1989, 857; 1998, 1136. ETS Nr. 190. ETS Nr. 101; BGBl. I I 1 9 8 0 , 9 5 3 ; 1986, 616. ETS Nr. 97; BGBl. I I 1 9 8 7 , 58; 1987, 593. ETS Nr. 62; BGBl, I I 1 9 7 4 , 937; 1975, 300.
22
ETS Nr. 112; BGBL II 1991, 1006; 1992, 98; vgl. auch das tJberstellungsausfuhmngsgesetz V. 26. September 1991 (BGBl. 19911, 1954).
23
E T S Nr. 167.
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§ 3 Europarat Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten iiber die Abschaffung der Todesstrafe v. 28. April 1983^^, Europaisches Ubereinkommen iiber Gewalttatigkeiten und Fehlverhalten von Zuschauern bei Sportveranstaltungen und insbesondere bei FuBballspielen V. 19. August 198525, Europaisches Ubereinkommen zur Verhiitung von Folter und unmenschlicher Oder erniedrigender Behandlung oder Strafe v. 26. November 1987^^, Europaisches Ubereinkommen iiber Geldwasche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten v. 8. November 1990^'^, Europaisches Ubereinkommen iiber den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchfiihrung des Art. 17 des tJbereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen V. 13. Januar 199528, Europaisches tJbereinkommen iiber Menschenrechte und Biomedizin^^, Europaisches Ubereinkommen iiber den Schutz der Umwelt durch Strafrecht V. 4. November 199830, Strafrechtliches Anti-Korruptionsiibereinkommen v. 27. Januar 1999^^ mit seinem Zusatzprotokoll v. 15. Mai 2003^2^ Europaisches Ubereinkommen zur Datennetzkriminalitat vom 23. November 200 p3 (Cybercrime-Konvention) mit seinem Zusatzprotokoll zur Kriminalisierung von Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art begangen durch Computersysteme v. 28. Januar 2003^"^, Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten iiber die Abschaffung der Todesstrafe unter alien Umstanden V. 3. Mai 200235, Europaisches Ubereinkommen zur Terrorismuspravention v. 16. Mai 2005^^, Europaisches Ubereinkommen gegen Menschenhandel v. 16. Mai 2005^^ Europaisches Ubereinkommen iiber Geldwasche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten v. 16. Mai 200538
24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37
ETS ETS ETS ETS § 10 ETS ETS ETS ETS ETS ETS ETS ETS ETS ETS
Nr. Nr. Nr. Nr. Rn. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.
114; BGBl. I I 1 9 8 8 , 663; 1989, 814; vgl. hierzu Rosenau, ZIS 2006, 338, 339. 120 ; BGBl. I I 2 0 0 4 , 1642. 126; BGBL I I 1 9 8 9 , 946; 1990, 4 9 1 ; 1996, 1114. 141; BGBl. II 1998, 519; 2000, 1304; 2001, 339; vgl. hierzu Ambos, IntStR, 70. 156; BGBL I I 2 0 0 0 , 1313. 164. 172. 173. 191. 185; vgl. hierzu AmZ?^^, IntStR, § 10 Rn. 7 1 . 189. 187; vgl. hierzu Rosenau, ZIS 2006, 338, 339 f 196. 197.
B. Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europarates
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2. Praktische Bedeutung der Konventionen Die nachfolgenden Beispiele mogen aufzeigen, wie sich Europaratskonventionen 12 auf die grenziiberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen so wie auf Kriminalpolitik und Strafgesetzgebung auswirken: (1) Die groBte praktische Bedeutung kommt den einschlagigen Europaratskon- 13 ventionen im Bereich der Rechtshilfe (Auslieferung, Vollstreckungshilfe, sonstige Rechtshilfe) zu (§ 2 Rn. 66). Das Europaische Ubereinkommen v. 20. April 1959 iiber die RechtshUfe in Strafsachen (EuRhUbk)^^ und das Europaische Auslieferungsiibereinkommen v. 13. Dezember 1957 (EuAlUbk)^° konstituieren als sog. ,JV[utterkonventionen" des europaischen Rechtshilfeverkehrs einen rechtlichen Rahmen, auf dem zahlreiche bi- und multilaterale LFbereinkommen sowie EU-MaBnahmen der PJZS aufbauen (vgl. § 12 Rn. 4 ff.). Die Vollstreckungshilfe wird bis heute maBgeblich von dem Uberstellungsiibereinkommen V. 21. Marz 1983"^^ gepragt. Nach seinem Art. 2 II hat jede verurteilte Person das Recht, dem Urteils- oder Vollstreckungsstaat gegeniiber den Wunsch zu auBern, nach MaBgabe dieses Ubereinkommens iiberstellt zu werden"^^. Die Vollstreckungshilfe stellt ein wesentliches Element einer effektiven grenziiberschreitenden Strafrechtspflege dar, zumal die Auslieferung eines in seinen Heimatstaat zuriickgekehrten verurteilten Straftaters an den Urteilsstaat vielfach an rechtlichen Hindernissen scheitert. Im Ubrigen verspricht eine StrafvoUstreckung im Heimatstaat des Straftaters bessere Resozialisierungschancen (vgl. § 12 Rn. 12). (2) Die Bedeutung von Europaratskonventionen fiir die europaische Kriminal- 14 politik und Gesetzgebung zeigt sich darin, dass sich die Gesetzgeber bei der Ausarbeitung nationaler oder europaischer Rechtsakte - z. B. in den Bereichen Geldwasche, illegaler Drogenhandel, Umweltkriminalitat, Korruption, Cyber Crime regelmaBig an den in einschlagigen Europaratskonventionen enthaltenen Regelungsmodellen orientieren. So beeinflusste z. B. das am 1. September 1993 in Kraft getretene Ubereinkommens des Europarates iiber das Waschen, das Aufspiiren, die Beschlagnahme und die Einziehung der Ertrage aus Straftaten V. 8. November 1990"^^ bis in die jiingste Zeit legislative MaBnahmen gegen Geldwasche auf nationaler und europaischer Ebene. Es zielt darauf ab, den Vortatenkatalog der nationalen Geldwaschetatbestande iiber den Bereich der Betaubungsmitteldelikte auf alle Straftaten auszudehnen. Dariiber hinaus enthalt das Ubereinkommen detaillierte Rechtshilferegelungen fiir die Phasen Ermittlung, vorlaufige Sicherung und definitive Einziehung von Tatwerkzeugen sowie illegal erlangter Ertrage und Vermogensgegenstande. Die Vorgaben der Europaratskon-
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ETS Nr. 198. ETS Nr. 30; BGBl. I I 1 9 6 4 , 1369, 1386; 1976, 1799; 1982, 2071; 2000, 555. ETS Nr. 24; BGBl. I I 1 9 6 4 , 1369; 1976, 1778; 1982, 2071; 1994, 299. ETS Nr. 112; BGBl. II 1991, 1006; 1992, 98; vgl. auch das Uberstellungsausfuhrungsgesetz v. 26. September 1991 (BGBl. 1 1 9 9 1 , 1954). Vgl. hierzu die praxisorientierte Darstellung von Hackner u. a., Internationale Rechtshilfe, Rn. 143 ff.
ETSNr. 141.
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vention sind in die EG-Geldwascherichtlinie v. 10. Juni 1991"^^ eingeflossen. Insbesondere erklarten sich die im Rat vertretenen EG-Mitgliedstaaten ausdrlicklich bereit, strafrechtliche Bestimmungen gegen Geldwasche zu schaffen (vgl. § 8 Rn. 13). Auch der am 6. Juli 2001 in Kraft getretene Rahmenbeschluss des Rates iiber Geldwasche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Ertragen aus Straftaten"^^ v. 26. Juni 2001 kntipft an die strafrechtlichen Vorgaben des Geldwascheiibereinkommens des Europarats an (§ 11 Rn. 45), 15 (3) Die Arbeit mit multilateralen Ubereinkommen erfordert vielfach die Kenntnis des Straf- und Strafverfahrensrechts der Partnerstaaten (z. B. beiderseitige Strafbarkeit als Auslieferungsvoraussetzung). Daher kommt dem Austausch von Informationen liber das auslandische Recht besondere Bedeutung zu. In dem ZusatzprotokoU v. 15. Marz 1978 zu dem Europaischen Ubereinkommen V. 7. Juni 1968 betreffend Auskiinfte iiber auslandisches Recht^® wird den Vertragsparteien ein formlicher Anspruch auf die gegenseitige Erteilung von Rechtsauskiinften in Strafsachen, namentlich iiber ihr materielles Strafrecht, Strafverfahrensrecht und ihre Gerichtsverfassung gewahrt. Der BGH hat im Jahre 1997 von diesem Auskunftsanspruch Gebrauch gemacht, als er dariiber zu entscheiden hatte, ob einem nacli belgischem Recht abgeschlossenen verwaltungsrechtlichen Vergleich zwischen der belgischen Finanzbehorde und einem Abgabenhinterzieher (sog. „transactie") gem. Art. 54 SDU strafklageverbrauchende Wirkung auch in Deutschland zukommt (§13 Rn. 27). Um diese Frage entscheiden zu konnen, begehrte er in einem Beschluss authentische Informationen iiber bestimmte - die „transactie" betreffenden - Rechtsfragen, die das belgische Justizministerium spater konventionsgetreu beantwortet hat'^''.
III. Europarat als Forum paneuropaischer Kooperation 16 Wahrend zu Beginn der Tatigkeit des Europarats noch die klassischen Instrumente der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit - Auslieferung und Rechtshilfe - im Vordergrund standen, verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Aktivitaten in den letzten Jahren zunehmend auf strafrechtHche Spezialmaterien wie z. B. Computerkriminalitat, Umweltschutz, Korruption und Geldwasche. Dabei geht es vor allem um Rechtsangleichung durch Entwicklung gemeinsamer Definitionen"^^. Die beachtliche Zahl von Konventionen des Europarates auf strafrechtlichem Gebiet darf freilich nicht dariiber hinwegtauschen, dass den Bemiihungen um die Vereinheitlichung bzw. Angleichung der Strafrechtssysteme bislang nur ein begrenzter Erfolg beschieden war. Praktische Bedeutung haben bisher neben der EMRK (Rn. 18 ff.) 44
ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77.
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ABIEG 2001 Nr. L 182, S.l.
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E T S Nr. 97; BGBl. I I 1 9 8 7 , 58; 1987, 5 9 3 .
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Vgl. BGH wistra 1997, 268 = NStZ 1998, 149; BGH NStZ 1999, 250; Schomburg, StV 1999, 244, 246. WilkitzkU Z S t W 105 (1993), S. 8 2 1 , 824 f.
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B. Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europarates
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vor allem die Ausliefemngs-, Rechtshilfe- und die Uberstellungskonventionen erlangt (§2 Rn. 66). Bis heute bestimmen diese Konventionen - namentlich das Europaische Ausliefemngsiibereinkommen von 1957 sowie das Europaische tJbereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen von 1959 mit den daran ankntipfenden ZusatzprotokoUen und den zahlreichen bilateralen Vertragen zwischen den Vertragsstaaten - die grenziiberschreitende Zusammenarbeit in Strafsachen in Europa (§ 2 Rn. 70 ff.). Es hat sich jedoch gezeigt, dass dem Streben nach Rechtsvereinheitlichung 17 selbst im Kreis der durch die EMRK verbundenen Staaten Grenzen gesetzt sind. Die meisten strafrechtsbeziiglichen Konventionen des Europarates sind mangels der erforderlichen Zahl von Ratifikationen in den Mitgliedstaaten nicht in Kraft getreten. Schrittmacher der europaischen Strafrechtsentwicklung ist derzeit nicht der Europarat, sondern die Europaische Union, deren Mitgliedstaaten im Rahmen der sog. 3. Saule (intergouvernementale Zusammenarbeit gem. Art. 29 ff. EUV) tjbereinkommen und Rahmenbeschliisse strafrechtlichen Inhalts beschlieBen konnen (vgl. hierzu § 5 Rn. 69 ff.; § 11 Rn. 2 ff.). Der zur Ratifikation in den Mitgliedstaten anstehende Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa sieht sogar eine Kompetenz der Europaischen Union vor, durch Europaische Gesetze supranationale Straftatbestande zum Schutze der EU-Finanzinteressen zu schaffen (Art. III415 IV EU-Verfassung; vgl. hierzu § 14 Rn. 46) und durch Europaische Rahmengesetze Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen festzulegen (vgl. Art. III-271 I, II EU-Verfassung). Nichtsdestotrotz wird der Europarat auch kiinftig eine bedeutende Rolle als Forum paneuropaischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und der Kriminalpolitik spielen. Die Berichte, Konferenzen und Kolloquien sind aus der Entwicklung der europaischen Kriminalpolitik nicht mehr hinwegzudenken. Gerade die postkommunistischen Staaten konnen bei der notwendigen Umgestaltung ihres Strafrechts von dem auf Europaratsebene gebtindelten Sachverstand Nutzen ziehen.
IV. Literaturhinweise Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 10 Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Litemationale Rechtshilfe in Strafsachen - Ein Leitfaden fiir die Praxis, 2003, passim Herdegen, Europarecht, 8. Aufl., 2006, § 2-3 Jescheck, Moglichkeiten und Probleme eines Europaischen Strafrechts, Festschrift fiir Jhong-Won Kim, 1991, S. 947 Jung, Konturen und Perspektiven des europaischen Strafrechts, JuS 2000, 417 Klebes, Die Rechtsstruktur des Europarats und insbesondere der Parlamentarischen Versammlung, 1996, passim Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., 2005, § 2 Vogler, Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, JURA 1992, 586 Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenztiberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, 2002, S. 67-71
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C. Bedeutung der EMRK fur die europaische Strafrechtspflege 18 Entsprechend ihrer Ausrichtung am Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten erstrecken sich die einzelnen Garantien der EMRK auf alle Rechtsbereiche einschlieBlich und namendich des Strafrechts. Wie die folgende Ubersicht zeigt, stehen die menschenrechtlichen Garantien in weiten Teilen in einem spezifisch strafreclitlichen oder zumindest strafrechtsrelevanten Kontext. 19 Ubersicht: Strafrechtsrelevante Garantien der EMRK und ihrer ZusatzprotokoUe - Artikel 1 - Verpflichtung der Konventionsstaaten zur Aclitung der Menschenrechte - Artikel 2 I - Recht auf Leben - Artikel 3 - Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung - Artikel 41-III - Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit - Artikel 51— Recht auf Freiheit und Sicherheit - Artikel 5 II - V - Rechte von Festgenommenen - Artikel 6 I - Recht auf ein faires Verfahren - Artikel 6 II - Unschuldsvermutung - Art. 6 III - Rechte von Angeklagten, insbesondere Recht auf Verteidigerbeistand und Konfrontation mit Belastungszeugen - Artikel 7 I - Keine Strafe ohne Gesetz - Artikel 8 I - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Artikel 9 I - Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - Artikel 10 I - Freiheit der MeinungsauBerung - Artikel 111 - Versamnilungs- und Vereinigungsfreiheit - Artikel 13 - Recht auf wirksame Beschwerde - Artikel 14 - Verbot der Benachteiligung - Artikel 34 - Recht, Individualbeschwerde beim EuGM zu erheben - Artikel 1 des 6. Zusatzprotokolls - Abschaffung der Todesstrafe - Artikel 21 des 7. Zusatzprotokolls - Rechtsmittel in Strafsachen - Artikel 3 des 7. Zusatzprotokolls - Recht auf Entschadigung bei Fehlurteilen - Artikel 4 I des 7. Zusatzprotokolls - Ne bis in idem - Artikel 1 und 2 des 13. Zusatzprotokolls - Abschaffung der Todesstrafe unter alien Umstanden 20 Von alien Konventionen des Europarates hat die EMRK die nachhaltigste und pragendste Wirkung auf die Strafrechtspflege der Konventionsstaaten entfaltet. Als „gemeineuropaisches Grundgesetz" gewahrleistet sie einen bei jeder Strafverfolgung zu wahrenden gemeineuropaischen Grundrechtsstandard. Mit der Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK), die beim Europaischen Gerichtshof fiir
C. Bedeutung der EMRK ftir die europaische Strafrechtspflege
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Menschenrechte (EGMR) zu erheben ist, stellt sie ein bedeutsames volkerrechtliches Instrument zur effektiven Durchsetzung dieser Garantien zur Verfiigung. Die reiche Spruchpraxis des EGMR formt die europaischen Grundfreiheiten nicht selten bis hin zu auBerst konkreten Gewahrleistungen. Dadurch werden die Strafrechtssysteme der Konventionsstaaten „von auBen her" auf iibernational giiltige MaBstabe der Fairness und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Das von der EMRK und ihren ZusatzprotokoUen etablierte System des Menschenrechtsschutzes wird deshalb zu Recht als eine der „Triebfedern" bzw. als „Katalysator" der Europaisierung des Strafrechts bezeichnet"^^. Die in ihr enthaltenen Verfahrensgarantien gehen zum Teil iiber die Gewahrleistungen des nationalen Rechts (Verfassungs- und Strafprozessrecht) hinaus^°, was vor allem Strafjuristen zu einer vertieften Beschaftigung mit der Konvention veranlassen sollte^^
I. System des Menschenrechtsschutzes In erster Linie muss der Schutz der Menschenrechte durch das innerstaatliche 21 Recht der Konventionsstaaten gesichert werden. Alle Mitgliedstaaten des Europarates (Rn. 3) sind Vertragsstaaten der EMRK. Als solche sind sie volkervertragsrechtlich verpflichtet, die Einhaltung aller in der EMRK verbrieften Rechte zu gewahrleisten. Die meisten Konventionsstaaten haben die EMRK mit einem Vertragsgesetz in innerstaatliches Recht umgesetzt. In Deutschland wurde die EMRK durch das Gesetz iiber die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 7. August 1952 ratifiziert^^. Die Bundesrepublik Deutschland ist daher an die EMRK und deren Auslegung durch den Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte (EGMR) iiber den gem. Art. 59 II GG erfolgten innerstaatlichen Zustimmungsakt gebunden^^. In einigen Staaten (z. B. Osterreich, Schweiz^"^, Griechenland) gilt die EMRK mit Verfassungsrang. Praktisch alle Mitgliedsstaaten des Europarates haben die EMRK in ihr innerstaatliches Recht integriert^^. 49 Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, S. 45; Jung, JuS 2000, 417, 418 ff.; ders., StV 1990, 509, 514 f.; Kuhne, StV 2001, 73, 75.; Satzger, JA 2005, 656, 658; Tiedemann, Europaisierung, S. 134, 140. ^^ Vgl. hierzu die eindmcksvolle Gegenuberstellung des deutschen und europaischen Grundrechtsschutzes im Bereich der Justizgrundrechte von Grote/Marauhn/Dorr, EMRK/GG, Kap. 13 (Freiheit der Person) und Groto/Msirauhn/Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG, Kap. 14 (Faires Verfahren). 51 Weigend, StV 2000, 384 ff 52 BGBl. II 1952, 686, 953; 1954, 14; 1968, 1116, 1120; 1970, 1315; 1972, 105; 1989, 546, 9 9 1 ; 1995, 578. 53 BVerfGE 82, 106, 115; BVerfG N J W 2004, 3407; Ambos, IntStR, § 10 Rn. 8; Esser, StV 2005, 348; Kuhl, ZStW 100 (1989), 406 ff; Staebe, JA 1996, 75 ff 54 Obwohl die E M R K nur im Range eines Bundesgesetzes steht, behandelt das Schweizerische Bundesgericht Beschwerden wegen Verletzung der Konvention gleich einer Verfassungsbeschwerde; vgl. hierzu Ambos, ZStW 115 (2003), S. 583, 588; Kieschke, Praxis des EGMR, S. 170 ff 55 Ehlers, JURA 2000, 372, 373; Ziegenhahn, Menschenrechte, S, 472 ff
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Dies bedeutet, dass der einzelne Burger sich vor den nationalen Behorden und Gerichten auf die Bestimmungen der EMRK berufen kann und dass die staadichen Organe die umfangreiche Rechtsprechung (das sogenannte „Case Law") des EGMR beachten miissen. 22 Da die EMRK im innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland nicht mit Verfassungsrang ausgestattet ist, kann eine Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar auf eine Konventionsverletzung gestiitzt werden^^. Jedoch misst das BVerfG der Konvention groBe Bedeutung fiir die Konkretisierung verfassungsreciitlicher Standards zu, was sich u. a. darin zeigt, dass die Judikatur des EGMR als Auslegungshilfe fiir die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsatzen des GG herangezogen wird^''. Auch das BVerwG und der BGH erkennen eine „Pflicht zur Beachtung einer gefestigten Auslegungspraxis" des EGMR an^^. 23 Sollte der Schutz durch nationale Gerichte versagen und ist der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschopft, kann jeder Betroffene Individualbeschwerde gem. Art. 34 ff. EMRK beim EGMR in StraBburg erheben. Ebenso konnen auch Staaten gegen andere Staaten Beschwerde erheben (Art. 33 EMRK)^^, was in der Praxis allerdings sehr selten vorkommt. In den Mitgliedstaaten, in denen eine verfassungsgerichtliche KontroUe von Gesetzen fehlt oder nur schwach ausgepragt ist (wie in Frankreich, wo der Verfassungsrat Gesetze nur vor ihrer Verkundung iiberpriifen darf), kommt dem Rechtsschutz durch den EGMR die Funktion einer Art ,3rsatz-Verfassungsgerichtsbarkeit" zu. 1, Konventionsorgane 24 Urspriinglich wurden zwei voneinander unabhangige Organe zur Uberwachung der Anwendung der EMRK gegriindet: Die Europaische Kommission fiir Menschenrechte (1954) und der Europaische Gerichtshof fiir Menschenrechte (1959). Um die standig steigende Anzahl von Fallen effektiver bewaltigen und insbesondere die durchschnittliche Verfahrensdauer abkiirzen zu konnen, beschloss man 1993 die Errichtung eines neuen Europaischen Gerichtshofs fiir Menschenrechte (EGMR) als Nachfolger des zweigleisigen alten Systems. Durch das 11. ZusatzprotokoU zur EMRK^° wurde das Rechtsschutzsystem der
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BVerfGE 64, 135, 157; BVerfG N J W 2004, 3407 ff; Esser, StV 2005, 348; Limbach, E u G R Z 2000, 417, 418; zu den in dieser Frage abweichenden Ansichten vgl. Pache, EuR 2004, 393, 399 f
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BVerfGE 74, 358, 370 = NJW 1987, 2427 = NStZ 1987, 421; BVerfG NJW 2004, 3407 ff
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B V e r w G J Z 2000, 1050 m. Anm. v. Kadelbach; necker, BGH-Festgabe, S. 339, 342 ff
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Vgl. hierzu Ehlers, J U R A 2000, 372, 381 u n d Oppermann,
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BGBl. I I 1 9 9 5 , 578; 1998, 2582.
B G H S t 45, 321 ff; 46, 9 3 , 97; Dan-
Europarecht, § 2 Rn. 30.
C. Bedeutung der EMRK fiir die europaische Strafrechtspflege
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Konvention grundlegend umgestaltet^^ Der neue standige Europaische Gerichtshof fiir Menschenrechte hat am 1. November 1998 seine Tatigkeit aufgenommen. Die Richter, die von der Beratenden Versammlung des Europarates gewahlt werden, sind vollkommen unabhangig. Ihre Anzahl entspricht derjenigen der Konventionsstaaten. Das neue System kennt drei verschiedene Spruchkorper: Ausschiisse mit drei Richtern zur Vorprtifung von Individualbeschwerden, Kammern mit sieben Richtern, denen die Regelzustandigkeit fiir substanzhaltige Individualbeschwerden zukommt und die GroBe Kammer mit siebzehn Richtern, welche fiir die Entscheidung besonders wichtiger Rechtsfragen zustandig ist. Neben dem EGMR besteht weiterhin das Ministerkomitee des Europarates als 25 Konventionsorgan mit „politischem Einschlag". Das Ministerkomitee kann beim Gerichtshof die Erstattung eines Rechtsgutachtens zu Konventionsfragen beantragen und wacht iiber die Durchfiihrung endgultiger Urteile des EGMR. 2. Verfahrensgang nach Einlegung einer Individualbeschwerde Jede natiirliche Person, nicht-staatliche Organisation oder Personenvereinigung 26 kann die angebliche Verletzung eines in der EMRK verbrieften Rechts durch einen Konventionsstaat mittels Individualbeschwerde beim EGMR rugen (Art. 34 EMRK). Das Verfahren vor dem Gerichtshof ist kostenfrei. Die Amtssprachen des Gerichtshofs sind EngHsch und Franzosisch. Die Beschwerde und alle Schriftsatze konnen jedoch bis zur Zulassigkeitserklarung in der Sprache eines Konventionsstaates abgefasst sein. Etwas vereinfacht dargestellt, gestaltet sich der Verfahrensgang^^ nach Einlegung einer Individualbeschwerde wie folgt: Nach Eingang der Beschwerde priift ein Ausschuss des Gerichtshofs zunachst 27 deren Zulassigkeit (Art. 28 EMRK). Dies bedeutet, dass die Beschwerde bestimmte in der EMRK festgelegte Anforderungen erfiillen muss^^. Hierzu gehoren vor allem die vorherige Beschreitung und Ausschopfung des innerstaatlichen Rechtsweges^"^ sowie die Einhaltung der Sechs-Monats-Frist nach Erlass der endgiiltigen innerstaatlichen Entscheidung. In Fallen der Untersuchungshaft ist der Anforderung der Ausschopfung des innerstaatlichen Rechtsweges Geniige getan, wenn der Beschwerdefuhrer alle nach nationalem Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die Haftentscheidung ergriffen hat. Er muss also nicht etwa den rechtskraftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens der letzten Instanz abwarten^^. Die Beschwerde darf nicht mit einer vom Gerichtshof bereits gepriiften Beschwerde iibereinstimmen oder bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder ^^ Vgl. hierzu Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, S. 46; Kieschke, Praxis des EGMR, S. 50 ff.; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 36; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 1999,1165. 62 Vgl. hierzu die praxisnahen Darstellungen von Ehlers, JURA 2000, 372, 381 ff.; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 1999, 1165 f sowie Sommer, StPO und EMRK, § 17 Rn. 2 ff., 22 ff 6^ Vgl. hierzu Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 36. ^^ Dies erfordert in Deutschland - falls zulassig - auch die Anmfung des BVerfG. 65 ^w/in^/£55^r, StV 2002, 383, 384 m. w. N.
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Vergleichsinstanz vorgelegt worden sein, ohne dass nunmehr neue Tatsachen vorgetragen werden. Als unzulassig werden auch offensiehtlich unbegriindete oder missbrauchliche Beschwerden verworfen. Bin einstimmiger Verwerfungsbeschluss ist endgiiltig (Art. 28 S. 2 EMRK). 28 Wenn eine Beschwerde gemaB den Vorschriften der EMRK fiir zulassig erklart wurde, entscheidet in der Regel eine Kammer (Art. 29 EMRK). Diese strebt zunachst eine glitliche Einigung zwischen den Parteien (dem Beschwerdefiihrer und dem beklagten Staat) an. Eine einvernehmliche Losung kann zum Beispiel in der Zahlung einer Entschadigung durch den Staat oder einer Gesetzesanderung bei gleichzeitiger Riicknahme der Beschwerde bestehen. Gegen Urteile der Kammer ist eine Art „Berufung" zur GroBen Kammer moglich. Wird diese nicht innerhalb von drei Monaten eingelegt, wird das Urteil der Kammer rechtskraftig. Dann ist keine Berufung mehr moglich. Die Urteile der GroBen Kammer werden mit ihrer Verkiindung sofort rechtskraftig. 3. Wirkung rechtskraftiger Urteile des Gerichtshofs 29 Rechtskraftige Urteile des Gerichtshofes sind volkerrechtlich verbindlich (Art. 46 I EMRK). Sie stellen allerdings nur einen etwaigen VerstoB des beklagten Staates gegen die EMRK fest. Der Gerichtshof kann also nicht etwa ein nationales Gerichtsurteil kassieren^^. Er ist keine „Superrevisionsinstanz". Wenn der EGMR eine Verletzung der Konvention festgestellt hat, beinhaltet das Urteil fiir den betroffenen Staat die Verpflichtung, den festgestellten RechtsverstoB - soweit dieser fortdauert - unverziiglich abzustellen sowie in Zukunft vergleichbare VerstoBe gegen die EMRK zu unterlassen. AuBerdem kann der Gerichtshof dem in seinen Rechten verletzten Beschwerdefiihrer eine Entschadigung als Wiedergutmachung fiir erlittene materielle und immaterielle Schaden zuerkennen, die der betroffene Staat zu zahlen hat (Art. 41 EMRK). 30 Die Bindungswirkung (materielle Rechtskraft) eines Urteils des EGMR bezieht sich nur auf die am konkreten Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligten Parteien (Beschwerdefiihrer und Konventionsstaat). Nationales Recht vermag weder von den Konventionsgarantien noch von Urteilen des EGMR unmittelbar verdrangt zu werden. Die Behorden und Gerichte nicht verfahrensbeteiligter Konventionsstaaten sind daher an die in einer Entscheidung des EGMR festgestellte Rechtslage nicht gebunden, solange der nationale Gesetzgeber durch Erlass oder Anderung entgegenstehender Vorschriften keine neue (konventionskonforme) Rechtslage hergestellt hat^'^. Davon unberiihrt bleibt freilich die Pflicht aller innerstaatlichen Stellen zu einer konventionskonformen Auslegung und Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, sofern diese einen entsprechenden Interpretations-
Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 10 Rn. 12; Ehlers, JURA 2000, 372, 382 Kieschke, Praxis des EGMR, S. 66 ff.; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 41 m. w. N. Vgl. hierzu LG Mainz NJW 1999, 1271; Eisele, JA 2000, 424, 428; ders., JA 2005, 390, 392; Haass, NStZ 1999, 442 ff.; Masuch, NVwZ 2000, 1266, 1267 ff; Weigend, StV 2000, 384, 387 f
C. Bedeutung der EMRK fiir die europaische Strafrechtspflege
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spielraum zulassen^^. In derselben Sache diirfen die nationalen Entscheidungstrager des vemrteilten Konventionsstaates von der rechtlichen Wtirdigung der EMRK durch den Gerichtshof nicht abweichen. Fiir deutsche Gerichte folgt diese volkerrechtliche Pflicht aus dem Rechtsgedanken des § 358 I StPO.
4. Innerstaatliche Umsetzung von Urteilen des Gehchtshofs Fiir die Uberwachung der innerstaatlichen Umsetzung von Urteilen des EGMR ist 31 das Ministerkomitee des Europarates zustandig (Art. 46 II EMRK). Dieses hat z. B. dafiir zu sorgen, dass der Beschwerdefiihrer die ihm vom Gerichtshof zuerkannte Entschadigung auch wirklich erhalt und dass weitere MaBnahmen zur Wiedergutmachung getroffen werden. Es kann sich dabei zum Beispiel um die Wiederaufnahme eines Gerichtsverfahrens (vgl. § 359 Nr. 6 StPO)^^, die Aufhebung einer Beschlagnahme oder die Streichung einer Vorstrafe aus dem Strafregister handeln. Diese WiedergutmachungsmaBnahmen beziehen sich aber nur auf das konkrete, dem Urteil des Gerichtshofs zugrunde Hegende Verfahren. Dariiber hinaus stellt das Ministerkomitee sicher, dass die Staaten jene MaBnahmen treffen, die zur kunftigen Vermeidung von Konventionsverletzungen notwendig sind. Dies kann eine Anderung der Gesetze, der Rechtsprechung (konventionskonforme Auslegung) oder der Verwaltungspraxis erfordern, aber z. B. auch den Bau modernerer Gefangnisse oder den Einsatz zusatzlichen Justizpersonals mit sich bringen. Beispielsfall: In einem gegen die Niederlande gefuhrten Beschwerdeverfahren hatte der 32 EGMR einen Fall zu beurteilen, in dem bestimmte Liicken der niederlandischen Strafgesetzgebung zutage getreten waren'^^. Ein Tater, der eine geistig behinderte Minderjahrige zwang, sich zu entkleiden und mit ihm sexuell zu verkehren, konnte nach den damals einschlagigen Bestimmungen des niederlandischen Strafrechts fiir diese Tat nicht belangt werden. Der Vater des Tatopfers und dieses selbst erhoben Beschwerde bei der (damals zustandigen) Kommission fur Menschenrechte. Der Gerichtshof stellte im Ergebnis fest, dass die Niederlande ihre Schutzpflicht aus Art. 8 EMRK (Schutz des Privatlebens) verletzt habe und sprach der Beschwerdefiihrerin die Zahlung einer Entschadigung zu. Aus der genannten Konventionsgarantie leitete der EGMR eine staatliche Pflicht ab, geistig behinderte Minderjahrige vor Angriffen gegen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mit strafrechtlichen Mitteln zu schiitzen. Zivilrechtliche Vorschriften allein begriindeten keinen ausreichenden Schutz. Die innerstaatliche Umsetzung dieser Entscheidung erfordert somit ein Tatigwerden des niederlandischen Gesetzgebers. Er muss fur eine Anpassung des nationalen Strafrechts an die vom EGMR konkretisierten Konventionsgarantien sorgen.
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Vgl. hierzu BVerfG NJW 2004, 3407 ff; BGHSt 46, 93, 97 ff; Ambos, ZStW 115 (2003), S. 583, 590 ff; Esser, StV 2005, 348, 352 ff; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 41; Masuch, NVwZ 2000, 1266, 1268; Vogler, EuGRZ 1979, 640, 642. Vgl. hierzu Esser, StV 2005, 348, 354; Weigend, StV 2000, 384, 388. EGMR EuGRZ 1985, 297.
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II. Anwendungsberelche strafrechtsrelevanter Konventionsrechte 33 Die folgende Darstellung soil einen kursorischen Uberblick iiber die Anwendungsberelche strafrechtsrelevanter Garantien der EMRK liefern''''.
1. Autonome Auslegung der Konventionsrechte 34 Fall 1: In einem im Jahre 1984 laufenden Verfahren verhangte das AG Heilbronn gegen einen tiirkischen Staatsangehorigen cine GeldbuBe in Hohe von DM 60.- wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit. Nach seinem Einspmch gegen den BuBgeldbescheid vemahm das AG den Betroffenen sowie mehrere Zeugen unter Hinzuziehung eines Dolmetschers. Sodann nahm der Betroffene seinen Einspmch zuriick. Das Amtsgericht vemrteilte den Betroffenen in seiner Nebenentscheidung zur Zahlung der Gerichtskosten. Die Gerichtskasse biirdete daraufhin dem Betroffenen auch die Kosten fur die Zuziehung des Dolmetschers in Hohe von DM 63,90.- auf. Diese Kostenentscheidung wurde vom LG bestatigt. Hiergegen erhob der Betroffene Beschwerde bei der (damals zustandigen) Kommission fur Menschenrechte, mit der er die Verletzung seines Rechts auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers aus Art. 6 III lit. e EMRK rtigte^^. Mit Erfolg? 35 Losungshinweise zu Fall 1: Die Beschwerde hatte Erfolg. Zwar bezieht sich die Konventionsbestimmung des Art. 6 III lit. e EMRK nur auf „Strafverfahren". Der EGMR vermochte sich aber nicht der Auffassung der deutschen Bundesregierung als Vertreterin des beklagten Staates anzuschlieBen, welche argumentiert hatte, die Konvention finde schon deshalb keine Anwendung, well die Kosten dem Betroffenen nicht in einem Straf-, sondern in einem BuBgeldverfahren auferlegt worden seien. Der EGHM sah dies - wie zuvor bereits die Kommission ftir Menschenrechte - anders. Im Hinblick auf den repress!ven Charakter des BuBgeldverfahrens und der Sanktionierungswirkung eines BuBgelds seien die nach deutschem Recht verhangten Ordnungswidrigkeiten als Straftaten im Sinne der EMRK zu werten. Dabei betonte der Gerichthof das Prinzip einer von der nationalen Begrifflichkeit unabhangigen, autonomen Auslegung der Konventionsrechte^^. Die Entscheidung ist zwar - wie sich aus den abweichenden Voten einiger Richter ergibt Umfassendere Darstellungen der strafrechtsrelevanten Konventionsrechte finden sich bei Grote/Marauhn/Dd'rr, EMRK/GG, Kap. 13 (Freiheit der Person); Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, passim; Grotc/MaiSiuhn/Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG, Kap. 14 (Faires Verfahren); Kieschke, Praxis des EGMR, S. 72 ff; Kuhne, Grundrechtsschutz, S. 55 ff; Peters, Einfiihrung EMRK, passim; vgl. zu bestimmten Themenausschnitten AmZ7c»5, ZStW 115 (2003), S. 583 ff; Bose, ZRP 2001, 402 ff; Eisele, JA 2000, 424, 427 ff; ders., JR 2004, 12 ff; ders., JA 2005, 390 ff, 901 ff; Esser, JR 2004, 98 ff; Frowein, NVwZ 2002, 29, 30 ff; Kuhl, ZStW 100 (1988), S. 406 ff, 601 ff; ders., JR 2005, 248 ff; Kuhne, StV 2001, 73 ff; ders., JZ 2003, 670 ff; RenzikowskU in: Renzikowski (Hrsg.), EMRK, S. 97 ff; Schumann, StV 2006, 661; Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 402 ff. EGMR („Ozttirk/Deutschland") EuGRZ 1985, 62; vgl. hierzu Kieschke, Praxis des EGMR, S. 94 ff Zur autonomen Auslegung der Konventionsgarantien durch den EGMR vgl. Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, S. 51 ff, Jung, EuGRZ 1996, 370, 372 f
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nicht ganz unproblematisch. Da aber im Ergebnis festgestellt wurde, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 6 III lit. e EMRK verstoBen hat, musste sie das einschlagige innerstaatliche Recht (Gerichtskostengesetz) andern. In der Folgezeit wurden die im BuBgeldverfahren geltenden Kostenbestimmungen der Konventionsauslegung des Gerichtshofes entsprechend angepasst (vgl. § 57 GKG, § 464 StPO). Das Recht auf unentgeltHche Beiziehung eines Dolmetschers war bereits Ge- 36 genstand eines Urteils des EGMR aus dem Jahre 1978^"^. Entgegen einer damals in der deutschen Justiz weit verbreiteten Praxis des Gerichtskostenrechts stellte der Gerichtshof fest, dass ein der Gerichtssprache nicht machtiger Angeklagter auch im Falle seiner Verurteilung nicht die Kosten zu tragen habe, die durch die Beiziehung eines Dolmetschers entstehen. Die besondere Bedeutung der Konventionsgarantie des Art. 6 III lit. e EMRK fiir ein faires und rechtsstaatliches Verfahren hob auch der BGH in seinem Urteil v. 26. Oktober 2000 hervor^^. Ein der Gerichtsprache nicht kundiger Angeklagter hat demnach unabhangig von seiner finanziellen Lage fiir das gesamte Strafverfahren und damit auch fiir das vorbereitende Gesprach mit einem Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers, auch wenn kein Fall einer notwendigen Verteidigung gegeben ist^^. 2. Konventionsgarantien als Auslieferungshindernis Eine herausragende RoUe spielen die menschenrechtlichen Garantien im Bereich 37 der grenzuberscheitenden Zusammenarbeit in Strafsachen'^^, insbesondere wenn es um Rechtshilfe und Auslieferung geht'^^. Der um Rechtshilfe (Auslieferung) ersuchte Staat befmdet sich dabei regelmaBig in einer gewissen „Konfliktsituation". Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass neben volkervertragsrechtlichen Kooperationsverpflichtungen sowohl volkerrechtlich als auch innerstaatlich (namentlich durch Verfassungsrecht) begriindete Individualrechtspositionen des Verfolgten (Auszuliefernden) zu beachten sind^^. Einerseits wird der ersuchte Staat schon im eigenen politischen Interesse darauf bedacht sein, seinen bestehenden Rechtshilfeverpflichtungen nachzukommen, andererseits darf er dabei seine Bindungen an
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EGMR EuGRZ 1979, 34 = N J W 1979, 1091 mit Anm. Vogler, EuGRZ 1979, 640. Vgl. hierzu auch Kieschke, Praxis des EGMR, S. 72 ff. BGHSt 46, 178 = NJW 2001, 309. GvotQ/MsiYmhn/Grabenwarter/Pabeh EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 150. Gleiches gilt fur das gerichtliche BuBgeldverfahren; vgl. Seitz in Gohler, OWiG, § 46 Rn. 10a. Einen die praktische Arbeit erleichtemden Zugang zu den Grundlagen der intemationalen Zusammenarbeit in Strafsachen verschafft das Werk von Hackner u. a., Internationale Rechtshilfe. Zu den Grundfragen des Auslieferungsrechts vgl. die Einfiihrung von Weigend, JuS 2000, 105. Zu den auslieferungsrelevanten Konventionsrechten vgl. Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, S. 199 ff, 374 ff; zu den verfassungsrechtlichen Ausliefemngsverboten vgl. Wolff, StV 2004, 154 ff
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Grund- und Menschenrechte nicht missachten. Es ist gmndsatzlich anerkannt, dass Konventionsrechte einen Staat dazu verpflichten konnen, die Ausliefemng einer strafrechtlich verfolgten oder rechtskraftig verurteilten Person zu unterlassen, selbst wenn der ersuchte Staat durch einen (bilateralen, regionalen oder multinationalen) Auslieferungsvertrag dem ersuchenden Staat zur Auslieferung verpflichtet ist^°. Neben den traditionellen Schranken des internationalen Rechtshilferechts^^ konnen die Konventionsgarantien als subjektive Rechte des Einzelnen ein Auslieferungshindernis konstituieren. a) Drohende Todesstrafe und unmenschliche Behandlung 38 Fall 2: Der deutsche Staatsangehorige S, der im Verdacht stand, in Virginia (USA) die Eltem seiner Freundin getotet zu haben, war nach GroBbritannien geflohen. Die USA stelltenein Ausliefemngsgesuch, dem GroBbritannien aufgrund des bestehenden Auslieferungsvertrags auch stattgab. Gegen diese Entscheidung legte S Beschwerde bei der (damals zustandigen) Kommission fur Menschenrechte ein, welche den Gerichtshof zur endgultigen Entscheidung anrief. Im Falle einer Verurteilung in den USA drohte S die Todesstrafe. GroBbritannien hatte das 6. ZusatzprotokoU zur EMRK (Verbot der Todesstrafe) zu diesem Zeitpunkt (Ende der 1980er Jahre) noch nicht ratifilziert^^. Frage 1: Hat das Vereinigte Konigreich durch seine Ausliefemngsentscheidung gegen Art. 2 I, 3 I EMRK verstoBen? Frage 2: Wie stellt sich die Rechtslage in Deutschland dar, wenn dem Auszuliefemden im ersuchenden Staat die Todesstrafe droht? 39 Losungshinweise zu Fall 2 (Frage 1): Der Auslieferung des S in die USA konnte ein aus der EMRK abzuleitendes Auslieferungshindernis entgegenstehen^^. Der Schutz des Lebens (Art. 2 I EMRK) und das Verbot von Folter, unmenschlicher Behandlung oder erniedrigender Strafe (Art. 3 EMRK) gehoren aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit der Menschenwiirde zu den fundamentalen Garantien der Konvention. Gerade die fiir die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen so bedeutsamen Falle der Auslieferung bei drohender Verhangung bzw. Vollstreckung eines Todesurteils unterfalien jedoch nicht dem Schutzbereich des Art. 2 I EMRK. Denn nach Art. 2 I S. 2 EMRK ist die von einem Gericht verhangte Todesstrafe nicht konventionswidrig. Folglich kann auch die Auslieferung an einen Staat, in welchem dem Auszuliefemden die Verhangung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, nicht gegen Art. 2 I EMRK verstoBen^^. 40 Die von Art. 2 I EMRK noch uneingeschrankt als Ausnahme zum Recht auf Leben zugelassene Todesstrafe wurde erst durch Art. 1 des 6. Zusatzprotokolls zur EMRK V. 28. April 1983 verboten. Die Formulierung des Verbots „Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden" macht deutlich, dass hier nicht nur eine objektive Verpflichtung der Konventionsstaaten, sondern ein subjektives Recht der Strafverfolgten statuiert wird. Der
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Vgl. hierzu Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 274 ff., 470 ff. Vgl. hierzu Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 190 ff. EGMR („SoeringA^ereinigtes Konigreich") EuGRZ 1989, 314 = NTW 1990, 2183. Zur Anwendbarkeit der Konventionsrechte im Rechtshilfe- und Ausliefemngsverkehr vgl. Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 274 ff., 405 ff. 8^ EGMR („KirkwoodA^ereinigtes Konigreich") Decisions&Reports 37, 158.
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EGMR hat inzwischen mehrfach entschieden, dass ein Konventionsstaat gegen Art. 1 des 6. ZusatzprotokoUs zur EMRK^^ verstoBt, wenn ein Fliichtiger in einen Staat ausgewiesen wird, in dem er ernsthaft Gefahr lauft, zum Tode vemrteilt oder hingerichtet zu werden^^. Dies gilt auch fiir Auslieferungen^^. In Fall 2 gelangte das 6. Zusatzprotokoll jedoch nicht zur Anwendung, da es 41 von GroBbritannien seinerzeit noch nicht ratifiziert war. Fiir den EGMR stellte sich daher die Frage, ob die Auslieferung in einen Staat, in welchem dem Auszuliefernden ein Todesurteil droht, gegen Art. 3 EMRK verstoBt. Da der Gerichtshof Art. 3 EMRK im Einklang mit Art. 2 I EMRK auslegen musste, welcher die Vollstreckung der von einem Gericht verhangten Todesstrafe ausdriicklich zulasst, konnte er die Todesstrafe als solche nicht als „unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung" i. S. d. Art. 3 EMRK werten^^. Der Gerichtshof prufte daher, ob die einem Todeskandidaten in den USA drohenden Haftbedingungen eine Verletzung des Art. 3 EMRK begriinden konnen. Nach standiger Rechtsprechung wird die „unmenschliche Behandlung" definiert als eine Behandlung, die absichtlich schwere psychische und physische Leiden verursacht. Hierbei sind zum Beispiel die Art der Behandlung oder der Bestrafung und der Zusammenhang, in dem sie erfolgt, die Art und Weise ihrer VoUstreckung, ihre zeitliche Dauer, ihre physischen und geistigen Wirkungen sowie Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen zu beriicksichtigen^^. Auf der Grundlage dieser Definition und unter Abwagung aller konkreten Umstande des Einzelfalles entschied der EGMR, dass die Auslieferung des S an die USA im Hinblick auf das jahrelange Warten in der Todeszelle und das dadurch verursachte „Todeszellensyndrom" (Ungewissheit iiber den Zeitpunkt der Hinrichtung) mit dem Verbot unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) unvereinbar ist^°. Der Gerichtshof betonte, dass die Verantwortlichkeit eines zur Auslieferung ersuchten Staates auch Beeintrachtigungen umfasse, die auBerhalb seines Hoheitsbereichs eintreten und die er durch schlichtes Nichtausliefern verhindern kann. Bahnbrechend war diese Entscheidung vor allem deshalb, weil sie die volker- 42 rechtliche Verantwortlichkeit der Konventionsstaaten fiir die Wahrung der von der EMRK gewahrleisteten Menschenrechte auch auBerhalb ihres eigenen Hoheitsbereiches bzw. in Nicht-Konventionsstaaten begriindete und somit die mittelbare territoriale Anwendbarkeit der Konvention maBgeblich erweitert hat. Dies hat fiir den internationalen Rechtshilfeverkehr zur Folge, dass den Konventionsstaaten eine Auslieferung an Staaten, in welchen dem Auszuliefernden die Anwendung von Folter oder unmenschlicher Behandlung droht, von Art. 3 EMRK untersagt ^^ Von den 46 Europaratstaaten koimen derzeit 45 die Todesstrafe in Friedenszeiten weder verhangen noch voUstrecken, da sie das 6. Zusatzprotokoll der EMRK ratifiziert haben. Einzige Ausnahme ist Russland, das noch kein Ratifikationsverfahren durchgefuhrt hat; vgl. hierzu Rosenau, ZIS 2006, 338 ff. 86 EGMR EuGRZ 1991, 203; EGMR NVwZ 1992, 869. 8'^ Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 408 m. w. N. 88 89 90
Vgl. das abweichende V o t u m des Richters de Meyer, E u G R Z 1989, 325. E G M R E u G R Z 1979, 149, 153; E G M R E u G R Z 1979, 162; E G M R StV 2006, 617 ff. E G M R („SoeringA^ereinigtes Konigreich") E u G R Z 1989, 314 = N J W 1990, 2183.
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wird. Bestehende (bilaterale) Rechtshilfe- und Auslieferungsvertrage zwischen Konventionsstaaten und sonstigen Staaten miissen konventionskonform ausgelegt werden. 43 Losungshinweise zu Fall 2 (Frage 2): Auch die Bundesrepublik Deutschland ist als Konventionsstaat durch Art. 3 EMRK daran gehindert, in Fallkonstellationen wie dieser einem Auslieferungsersuchen stattzugeben. Da die deutsche Verfassung der Ausliefemng von Verfolgten bei konkret drohender Todesstrafe entgegensteht (Art. 102, 11, 2 II1 GGy\ ist diese durch § 8 IRG fiir den vertragslosen Auslieferungsverkehr und durch entsprechende Erklarungen zu fast alien von Deutschland unterzeichneten Auslieferungsvertragen auch einfachrechtlich deklaratorisch ausgeschlossen worden^^. b) Rechtschutzdefizit und „drakonische" Strafe 44 Fall 3: Mit Verbalnote v. 18. Dezember 2000 ersuchten die USA die Republik Osterreich um Ausliefemng des amerikanischen und israelischen Staatsangehorigen W zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von 845 Jahren aus einem Urteil des Bezirksgerichts Orlando/Florida. Der Vemrteilung des W lagen verschiedene im Rahmen von Schwindelfirmen begangene Betrugs- und Untreuehandlungen sowie Konkursstraftaten mit einem Gesamtschaden von mehreren Millionen US-Dollar zugrunde. W war wahrend einer Verhandlungspause, die der Beratung der Geschworenen vorausging, gefliichtet. So ergingen der Schuldspmch und die Festsetzung des StrafmaBes in Abwesenheit des W. Die gegen das Urteil und das StrafmaB gerichtete Berufung des W wurde auf der Gmndlage des Prinzips des Berechtigungsverlustes auf Antrag des Staatsanwaltes verworfen. Diesem steht nach amerikanischem Recht kein Rechtsmittel mehr gegen seine Vemrteilung zu^^. Frage 1: Besteht ein von Osterreich zu beachtendes Ausliefemngshindemis? Frage 2: Wie ware der Fall zu beurteilen, wenn ein entsprechendes Ausliefemngsgesuch an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet wurde? 45 Losungshinweise zu Fall 3 (Frage 1): Zwischen der Republik Osterreich und den USA besteht ein Auslieferungsvertrag, der in Art. 9 bestimmt, dass der ersuchte Staat die Ausliefemng ablehnen kann, sofern der ersuchende Staat nicht solche Informationen oder Zusicherungen abgibt, die der ersuchte Staat als ausreichend erachtet, um klarzustellen, dass die Person eine angemessene Moglichkeit hatte, ihre Verteidigungsrechte zu wahren, oder dass ihr nach der Ubergabe angemessene Rechtsmittel oder zusatzliche Verfahren offen stehen. 46 Dem Vertragswortlaut nach konnte man zu der Auffassung gelangen, W habe in den USA, namlich in dem Verfahren vor dem Bezirksgericht Orlando/Florida, bereits ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Verteidigungsrechte zu wahren. Dass ihm nunmehr im Falle einer Ausliefemng an die USA nach dem Prinzip des Berechtigungsverlustes keine weiteren Rechtsmittel mehr zur Verfiigung stiinden, habe er sich selbst zuzuschreiben und zu verantworten, da er sich dem Verfahren ^^ Vgl. zu den verfassungsunmittelbaren Ausliefemngsverboten BVerfGE 75, 1 = NJW 1987, 2155; BVerfG NJW 1994, 2883; Wolff, StV 2004, 154, 158 sowie OLG Koblenz StV 2002, 87 (Ausliefemngsverbot bei drohender Folter). ^^ Hackner u. a., Intemationale Rechtshilfe, Rn. 119. 93 OLG Wien NStZ 2002, 669 m. Anm. v. Bose.
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vor dem Geschworenengericht durch Flucht ins Ausland entzogen habe. Fraglich ist, ob diese Auslegung den Anfordemngen der EMRK geniigt, die im innerstaatlichen Recht Osterreichs Verfassungsrang genieBt^"^. Bin Ausliefemngshindernis kann nicht etwa aus Art. 13 EMRK abgeleitet wer- 47 den, der das Recht auf wirksame Beschwerde festschreibt, da der Schutzbereich dieser Garantie nicht betroffen ist. Bei Art. 13 EMRK geht es darum, dem Einzelnen Rechtsschutzmoglichkeiten vor innerstaatlichen Rechtsschutzinstanzen (nicht notwendigerweise vor einem Gericht) zu sichern, um die mogliche Verletzung der in der Konvention festgelegen Rechte riigen zu konnen^^. Genau dieses Recht wird in dem ersuchten Staat (Osterreich) aber gewahrleistet. Ein menschenrechtlich fundiertes Ausliefemngshindernis konnte sich daraus 48 ergeben, dass fiir W im ersuchenden Staat (USA) keine Moglichkeit mehr besteht, gegen das Urteil des Bezirksgerichts Rechtsmittel einzulegen. Nach Auffassung des OLG Wien wlirde die Auslieferung des W ohne vorherige Zusicherung, dass seine Verurteilung von einem iibergeordneten Gericht iiberpriift wird. Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzen. Dieser lautet: „Wer von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil von einem iibergeordneten Gericht nachpriifen zu lassen." Der Senat bedient sich hierbei methodisch des Instruments der verfassungskonformen Auslegung des zwischen den USA und der Republik Osterreich geschlossenen Auslieferungsvertrages. Im Lichte der mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtschutzgarantie des 7. Zusatzprotokolls ist der in Art. 9 des bilateralen Auslieferungsvertrages geregelte Ablehnungsgrund des Fehlens angemessener Rechtsmittel gegeben. Dass sich W durch Flucht dem Strafverfahren in den USA entzogen und dadurch nach amerikanischem Recht seine Berechtigung zum Einlegen von Rechtsmitteln verwirkt hat, darf ihm in Osterreich nicht entgegengehalten werden. Zwar ist eine Auslieferung zur VoUstreckung eines Abwesenheitsurteils nicht schlechthin unzulassig, sofern der Verfolgte von dem Strafverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich diesem Verfahren aber durch Flucht entzogen hat und er im Strafverfahren von einem ordnungsgemaB bestellten Verteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte^^. Jedoch darf - worauf der EGMR in seiner vom OLG Wien zitierten Entscheidung hinweist - der Verfolgte nicht durch Vorenthaltung seiner Verfahrensrechte dazu gezwungen werden, sich dem Strafverfahren zu stellen^'^. Der EGMR hat es deshalb als „offensichtlich unverhaltnismaBig" angesehen, das Fernbleiben des Verfolgten mit einem weitgehenden Verbot der Verteidigung zu sanktionieren. Das vom OLG Wien unter direkter Heranziehung von Art. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK angenommene Auslieferungshindernis kann sich somit auf die Judikatur des EGMR stiitzen^^. ^"^ Vgl. zum Einfluss der EMRK auf das osterreichische Straf- und Strafverfahrensrecht Fuchs, ZStW 100 (1988), S. 444 ff 95 96 97 98
FroweinlPeukerU E M R K , 2. Aufl., 1996, Art. 13 Rn. 2 ff BVerfG N J W 1987, 830 mit Verweis auf E G M R E u G R Z 1985, 6 3 1 ; B G H J Z 2002, 4 6 4 m. Anm. v. Vogel. E G M R („Krombachy^rankreich") N J W 2 0 0 1 , 2387, 2 3 9 1 . Vgl. hierzu Bose, N S t Z 2000, 670, 6 7 1 .
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49 Losungshinweise zu Fall 3 (Frage 2): Der vom OLG Wien vorgezeichnete Weg, ein Ausliefemngshindernis unmittelbar aus Art. 2 des 7. ZusatzprotokoUs zur EMRK abzuleiten, ist fiir die Bundesrepublik Deutschland derzeit nicht gangbar, da sie zu den wenigen Staaten gehort, die das 7. Zusatzprotokoll zwar gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben. Freilich ist die Bundesrepublik - unabhangig von der innerstaatlichen Geltung der Konventionsrechte - volkerrechtlich zu deren Einhaltung verpflichtet. Nach gefestigter Rechtsauffassung in Rechtsprechung und Literatur sind die Konventionsgarantien der EMRK bei der Auslegung des Grundgesetzes zu beriicksichtigen^^. Wenn es um die Priifung verfassungsrechtlicher Auslieferungshindernisse ging, vertrat das BVerfG bisher tendeziell eine restriktive Rechtsprechungslinie und hielt eine Auslieferung erst dann fiir unzulassig, wenn die Behandlung des Verfolgten im ersuchenden Staat nicht dem volkerrechtlichen Mindeststandard entsprach oder Grundrechte verletzte, die zu den unabdingbaren Grundsatzen der verfassungsrechtlichen Ordnung gehoren^^^. Auf die Hintergrtinde, die das BVerfG zu dieser „Vergr5berung" des verfassungsrechtlichen PriifungsmaBstabes im Bereich der grenziiberschreitenden Zusammenarbeit veranlasst haben, kann an dieser Stelle nicht vertieft eingegangen werden^^^ Ein zentraler Grund diirfte darin liegen, dass jeweils die Grundrechte des Verfolgten und das auf die arbeitsteilige Internationale Strafrechtspflege anzuwendende (gegenlaufige) Gebot einer effektiven Strafverfolgung gegeneinander abzuwagen sind. Ein Auslieferungshindernis kann in Fall 3 jedenfalls nicht auf Art. 19 IV GG gestutzt werden, da diese Verfassungsbestimmung zwar gerichtlichen Rechtsschutz gegen Akte der offentlichen Gewalt, aber nach herrschendem Verfassungsverstandnis gerade keine Rechtmittel gegen gerichtliche Entscheidungen garantiertio2. 50 Nach deutschem Verfassungsrecht miisste jedoch im Hinblick auf die in den USA gegen W verhangte Strafe von 845 Jahren ein Auslieferungshindernis angenommen werden^°^. Dies folgt aus dem in Art. 1 GG verankerten Gebot der Achtung der Menschenwiirde, dem das Verbot erniedrigender und unmenschlicher Bestrafung immanent ist. Die Menschenwiirde wird in ihrem unantastbaren Kern betroffen, wenn der Verurteilte ungeachtet der weiteren Entwicklung seiner Personlichkeit jegliche Hoffnung aufgeben muss, seine Freiheit jemals wieder zu erlangenio4.
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Des Weiteren wiirde die Auslieferung des W gegen Art. 3 EMRK verstoBen. Eine grob unverhaltnismaBige Strafe kann sich namlich je nach den Umstanden des Einzelfalles als „unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung" darstellen^^^. In Fall 3 ist W wegen diverser Vermogensdelikte verurteilt worden, fiir die in den entsprechenden Straftatbestanden des deutschen StGB Hochststrafen von zehn 99 BVerfGE 74, 358, 370; Kuhl, ZStW 100 (1988), S. 406, 409 f. 100 BVerfGE 59, 280, 283; 63, 332, 337; 75, 1, 19; BVerfGNJW 2001, 3111, 3113. 101 Vgl. hierzu Bose, NStZ 2002, 670 f. 102 BVerfGE 11, 263, 265; Bose, NStZ 2002, 669, 670. 103 5d5e,NStZ 2002, 670, 671 f. 104 BVerfGE 45,187, 228 f., 245; 65, 261, 281; 72, 105, 116 f. 105 EKMR DR 37, 209, 220/232 f.; TrechseU EuGRZ 1987, 69, 73.
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Jahren vorgesehen sind (§§ 263 III, 266 II StGB). Die Verhangung einer Freiheitsstrafe von 845 Jahren, die dem Vemrteilten keine Hoffnung iasst, seine Freiheit jemals wieder zu erlangen, erscheint - gemessen an dem Tatvorwurf und der in Deutschland hierbei fiir angemessen gehaltenen Hochststrafe - unertraglich hart und unangemessen^^^. 3. Strafprozessuale Verfahrensgarantien Die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK zahlen neben den in Art. 3 EMRK 52 normierten Individualrechten zu den bedeutsamsten menschenrechtlichen Gewahrleistungen der Konvention^^'^. Bei den in Art» 6 I - III EMRK formulierten Rechten handelt es sich um Mindestgarantien, die in jedem rechtsstaatlichen Strafverfahren zu beachten sind. Hierzu gehoren namentlich der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 I EMRK), die Unschuldsvermutung (Art. 6 II EMRK) und bestimmte Verteidigungsrechte des Angeklagten (Art. 6 III lit. a bis e EMRK). Letztere stellen nicht abschlieBend aufgefiihrte Auspragungen des Rechts auf ein faires Verfahren dar, welches das Kernstiick samtlicher Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK bildet. a) Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten Der EGMR stellte fest, dass Frankreich gegen das in Art. 6 I EMRK verankerte 53 „fair-trial-Prinzip" verstoBen habe, weil ein franzosisches Gericht einem nichtverteidigten Beschuldigten im Rahmen des Strafverfahrens kein eigenes Akteneinsichtsrecht gewahrte^^^. Die bis zur Anderung der StPO im Jahre 1999 geltende deutsche Gesetzeslage, die lediglich dem Verteidiger, nicht aber dem Angeklagten einen eigenen Anspruch auf Akteneinsicht zubilligte, war somit im Lichte der EMRK hochst problematisch. Mit dem neu geschaffenen § 147 VII StPO, der dem nichtverteidigten Beschuldigten das Recht zugesteht, Abschriften aus den Akten zu verlangen, reagierte der deutsche Gesetzgeber auf die Vorgaben der StraBburger Richter. In neueren Urteilen zum Akteneinsichtsrecht^°^ betont der EGMR, dass das „fair-trial-Prinzip" verletzt werde, wenn der Verteidigung der Zugang zu denjenigen Dokumenten verweigert werde, die wesentlich sind, um die RechtmaBigkeit der Untersuchungshaft ihres Mandanten angreifen zu konnen. Zwar sei die Notwendigkeit effektiver polizeilicher Ermittlungen, einschlieBlich der Geheimhaltung bestimmter Informationen, anzuerkennen. Dieser legitime Zweck konne jedoch nicht dazu fuhren, dass Rechte der Verteidigung substantiell beschnitten werden. Damit ist die Konventionswidrigkeit einer staatsanwaltlichen Praxis Mar-
ion Bose, NStZ 2002, 670, 672. 107 Ambos, IntStR, § 10 Rn. 14 ff.; ders., ZStW 115 (2003), S. 583, 596 ff.; Esser, Europaisches Strafverfahrensrecht, S. 51 ff., 400 ff.; Groio/Maiauhn/Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 12 ff; Kuhl, ZStW 100 (1989), S. 406, 413 ff; Sommer, StPO und EMRK, § 17 Rn. 43 ff 108 EGMR NStZ 1998, 429 m. zust. Anm. Deumeland. 109 Vgl. hierzu Ambos, NStZ 2003, 14 ff; RenzikowskU in: Renzikowski (Hrsg.), EMRK, S. 112ff
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gestellt, die allzu leichtfertig unter Hinweis auf eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks (§ 147 II StPO) Akteneinsicht verweigert^^^. b) Einsatz von Lockspitzein 54 Nicht minder problematisch ist aus menschenrechtlicher Sicht die hochstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland, die den Einsatz von und die Tatprovokation durch polizeUiche Lockspitzel zur Uberfuhrung von Straftatern - etwa im Bereich der Drogenbekampfung - lediglich als Strafmilderungsgrund beriicksichtigt^^^ Der EGMR entschied in einem Verfahren gegen Portugal, dass unbescholtene und bislang unverdachtige Burger nicht durch staatliche Agenten in Straftaten hineingezogen werden diirfen^^^. Wenn der Gerichtshof in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass das offentliche Interesse nicht den Gebrauch von Beweismitteln rechtfertigen kann, die als Ergebnis polizeilicher Provokation gewonnen wurden, so liegt dem die Auffassung zugrunde, dass das Recht auf ein faires Verfahren einen so herausragenden Rang einnimmt, dass es ZweckmaBigkeitsiiberlegungen nicht geopfert werden darf^^^. Folglich miisste in einschlagigen Fallen im Hinblick auf den VerstoB gegen Art. 6 IEMRK regelmaBig von einer Verwirkung des staatlichen Strafanspruches ausgegangen werden^ ^'^. c) Widerruf der Bewahrung 55 Nach Art. 6 II EMRK gilt jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig. Im der Rechtssache „Bdhmer/Deutschland''^^^ erinnerte der EGMR zunachst daran, dass die Unschuldsvermutung ein besonderer Aspekt des in Art. 6 I EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren ist. Der Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewahrung gem. § 56 f I Nr. 1 StGB ist nach den weiteren Darlegungen des EGMR nur dann mit Art. 6 II EMRK vereinbar, wenn die neue Straftat schon abgeurteilt worden ist oder - wie in einer friiheren Entscheidung der EKMR ausgefiihrt^^^ - der Verurteilte die neue Straftat im Beisein eines Verteidigers gestanden hat^^^. Diese Auslegung der Konventionsgarantie fiihrte den EGMR zu der Feststellung, dass Deutschland Art. 6 I EMRK verletzt habe, indem das OLG Hamburg eine Strafaussetzung zur Bewahrung gem. § 56 f I Nr. 1 StGB widerrufen 110 Vgl. hierzu Ambos, ZStW 115 (2003), S. 583, 628; hierzu Grote/Marauhn/Z)orr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 85; Schlothauer, StV 2001, 192 ff 111 BGHSt 32, 115, 121 ff.; 32, 345; 33, 283; 45, 321; BGH NStZ 1995, 506; vgl. hierzu Meyer-Gofiner, StPO, § 163 Rn. 34 a m. w. N. 112 EGMR NStZ 1999, 47 = StV 1999, 127 m. Anm. v. Sommer/Kinzig, StV 1999, 288. 113 Ambos, NStZ 2002, 628, 632; Dannecker, BGH-Festgabe, S. 339, 344. 114 Vgl. hierzu Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 288 m. w. N.; Hamm, StV 2001, 81, 83; RenzikowskU in: Renzikowski (Hrsg.), EMRK, S. 108 ff.; WolfslasU Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung, 1995, S. 216 ff. 115 EGMR StV 2003, 82 ff. = NJW 2004, 43 ff.; vgl. hierzu Neubacher, GA 2004, 402 ff.; Pauly, StV 2003, 86 ff.; Peglau, NStZ 2004, 248 ff 116 EKMR StV 1992, 282. 117 Vgl. zu dieser Variante OLG Koln NStZ 2004, 686.
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hat, ohne den Ausgang des wegen der Anlasstat gegen den Vemrteilten anhangigen Verfahrens beim AG Hamburg abzuwarten. Die vom OLG Hamburg praktizierte Verfahrensweise, sich im Widerrufsverfahren durch Anhorung von Zeugen selbst eine tJberzeugung vom Vorliegen der neuen Straftat zu bilden, erklarte der EGMR ausdriieklich fiir konventionswidrig. Die Rechtsprechung des EGMR steht damit im Gegensatz zu der bisherigen - vom BVerfG^^^ anerkannten - h. M. in Deutschland, nach der ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewahrung auch aufgrund eigener Ermittlungen des Widerrufsgerichts erfolgen kann, solange dieses nur von der Begehung der neuen Tat iiberzeugt ist, ohne dass die neue Tat bereits abgeurteilt sein muss^^^. Unter dem Eindruck der Entscheidung des EGMR verlangen nunmehr einige deutsche Obergerichte die rechtskraftige Aburteilung der Anlasstat als Widerrufsvoraussetzung^^^. Auch das BVerfG neigt inzwischen der Auffassung zu, dass der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewahrung nach § 56 f I Nr. 1 StGB regelmaBig die Verurteilung des Verfolgten wegen der Anlasstat voraussetzt^^^ In der Literatur ist zu Recht gesetzgeberischer Handlungsbedarf angemeldet worden, da der Text des § 56 f I Nr. 1 StGB einen - wie gezeigt konventionswidrigen - Widerruf der Strafaussetzung zur Bewahrung aufgrund eigener Ermittlungen des Widerrufsgerichts vor Aburteilung der Anlasstat nicht ausschlieBt. Es bietet sich an, entweder in § 56 f I Nr. 1 StGB klarzustellen, dass der Widerruf eine rechtskraftig festgestellte neue Straftat erfordert oder (vorzugswiirdig) durch eine Anderung der §§ 453 I, 462 a II StPO dafiir zu sorgen, dass das fiir die Aburteilung der neuen Tat zustandige Tatgericht auch iiber den Bewahrungswiderruf entscheidet^^^. d) Frage- und Konfrontationsrecht des Beschuldigten Art. 6 III lit. d EMRK garantiert dem Beschuldigten das Recht, Fragen an Belas- 56 tungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen sowie die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Der EGMR erblickte einen VerstoB gegen diese Konventionsgarantie u. a. darin, dass ein osterreichisches Gericht die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdefiihrers im Wesentlichen auf die Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle stiitzte, die im zuvor gefiihrten Ermittlungsverfahren ohne Anwesenheit des Beschwerdefiihrers oder seines Verteidigers erstellt wurden^^^.
118 BVerfG NStZ 1987, 118; NStZ 1991, 230; NJW 1994, 377. 119 TrondldFischer, § 56 f Rn. 4; Lackntr/KUhl, § 56 f Rn. 3; Schonke/Schroder/5'^re^, § 56 f Rn. 3 a jew. m. w. N. 120 OLG Celle StV 2003, 575; OLG Jena StV 2003, 574; ebenso Neubacher, GA 2004, 402, 410; Pawfy, StV 2003, 86 ff.; a. A. Peglau, NStZ 2004, 248, 251. 121 BVerfG NStZ 2005, 204. 122 LsicknQY/Kuhl, § 56 f Rn. 3; Neubacher, GA 2004, 402, 417; Peglau, ZRP 2003, 242, 243. EGMR CUnterpertinger/Osterreich") EuGRZ 1987, 147; vgl. hierzu auch Beulke, Riess-FS, S. 3, 9 ff
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In der Hauptverhandlung hatten sich die Hauptbelastungszeugen auf ihr Zeugnisverweigemngsrecht berufen. Der Gerichtshof fiihrte aus, dass die Verlesung von Zeugenaussagen durch die Konvention zwar nicht generell verboten sei. Doch stelle es eine Konventionsverletzung dar, wenn dem Beschwerdeftihrer zu keinem Zeitpunkt im Verfahren Gelegenheit gegeben worden sei, die an seiner Verurteilung maBgeblich beteiligten Zeugen direkt oder iiber seinen Verteidiger zu befragen. 57 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs mtissen grundsatzlich alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in offentlicher Verhandlung in BHckrichtung auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden^^^. Die Verwendung von im Vorverfahren erlangten Beweismitteln ist aber nicht unvereinbar mit Art. 6 III lit. d EMRK, wenn der Angeklagte eine angemessene und geeignete Gelegenheit hatte, die Glaubwurdigkeit der Zeugen durch eigene oder Verteidigerbefragung zu iiberpriifen. Diese Konventionsgarantie kann auch verletzt sein, wenn die Anonymitat eines Belastungszeugen in einem Umfang gewahrt wird, dass es weder dem Angeklagten noch dessen Verteidiger ermoglich wird, die Aussagemotivation dieses Zeugen selbst zu hinterfragen^^^. 58 Fall 4: Der Angeklagte A wurde vom Landgericht wegen Sexualdelikten zum Nachteil seiner Tochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fiinf Jahren vemrteilt. Das Urteil stiitzt sich im Wesentlichen auf die Aussage des als Zeuge vemommenen Ermittlungsrichters, nachdem die Geschadigte in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigemngsrecht Gebrauch gemacht hatte. Bei der ermittlungsrichterlichen Vemehmung der Geschadigten wurde dem noch nicht verteidigten Angeklagten wegen Gefahrdung des Untersuchungserfolgs kein Anwesenheitsrecht eingeraumt (§ 168 c III StPO). Auch wurde kein Verteidiger bestellt, so dass im Ergebnis weder eine unmittelbare Befragung durch den Angeklagten noch durch einen Verteidiger ermoglicht wurde^^^. Frage: Wie beurteilen Sie die unterlassene Verteidigerbestellung im Lichte des Art. 6 III lit. d EMRK? 59 Losungshinweise zu Fall 4: Der Angeklagte durfte gem. § 168 c III StPO wegen Gefahrdung des Untersuchungserfolgs von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschadigten ausgeschlossen werden. Dieser Ausschluss stellt als solcher noch keine Verletzung des Art. 6 III lit. d EMRK dar, da bei bestimmten Konstellationen auf eine Konfrontation des Zeugen mit dem Angeklagten verzichtet werden darf, etwa aus Grunden des Zeugenschutzes oder wenn zu beflirchten ist, dass der Zeuge in Anwesenheit des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen werde. AUerdings ware es ohne weiteres moglich gewesen, gem. § 141 III StPO einen Verteidiger zu bestellen und diesen zu dem ermittlungsrichterlichen Vernehmungstermin zu laden. Auf diese Weise hatte wenigstens der Verteidiger Gelegenheit gehabt, unmittelbar Fragen an die Geschadigte zu richten. Die konventionskonforme Auslegung des § 141 III StPO gebietet, dass in Fallen der vorliegenden Art dem noch nicht verteidigten Beschuldigten vor der ermittlungsrichterli^^^ Vgl. hierzu Gaede, StV 2006, 599, 602 ff; GxoitM2ir2i\i\mJGrabenwarterlPabeU EMRK/GG, Kap. 14 Rn. 145 ff. 125 EGMR („Kostovski/Niederlande") StV 1990, 481. 126 Fall nach BGHSt 46, 93.
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chen Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen ein Verteidiger bestellt wird. Das Ermessen der deutschen Strafverfolgungsbehorden bei der Frage der Verteidigerbestellung reduziert sich unter den, gegebenen Umstanden im Lichte des Art. 6 III lit. d EMRK auf Null. Folglich verletzt die unterlassene Verteidigerbestellung das von der Konvention garantierte Recht des Angeklagten, Fragen an den Zeugen stellen zu lassen^^'^. e) Uberlange Verfahrensdauer Immer komplexer werdende Strafverfahren und rigorose SparmaBnahmen der of- 60 fentlichen Hand haben dazu beigetragen, dass Verzogerungen bei der Erledigung von Strafverfahren leider nichts Ungewohnliches mehr sind^^^. Beschwerden wegen tiberlanger Dauer der nationalen Strafverfahren bilden daher den GroBteil der ansteigenden Klageflut vor dem EGMR^^^. Mit Urteil v. 31. Mai 2001 stellte der Gerichtshof fest, dass die Bundesrepublik Deutschland wegen wesentlicher tJberschreitung einer angemessenen Verfahrensdauer gegen ihre Konventionspflichten aus Art. 6 I EMRK verstoBen hat^^°. Der Zeitraum, der im Hinblick auf Art. 6 I EMRK beriicksichtigt werden muss, beginnt nach Auffassung des Gerichtshofs, sobald eine Person formell angeschuldigt wird oder der gegen sie gerichtete Verdacht aufgrund behordlicher StrafverfolgungsmaBnahmen ernsthafte Auswirkungen auf ihre Situation hat. Von der ersten Information des Beschwerdefiihrers, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen Umweltdelikts eingeleitet wurde, bis zur letztinstanzlichen Entscheidung waren mehr als neun Jahre vergangen. Eine Verfahrenseinstellung wegen Verletzung des Art. 6 I EMRK wurde von den deutschen Gerichten abgelehnt. Der BGH vertrat die Auffassung, dass der iiberlangen Verfahrensdauer auf der Strafzumessungsseite (Strafmilderungsgrund) ausreichend Rechnung getragen werden konne^^^ Demgegentiber rief der EGMR seine standige Rechtsprechung in Erinnerung, 61 wonach die Konventionsstaaten dazu verpflichtet seien, ihre Justizsysteme so zu organisieren, dass die Instanzgerichte in der Lage seien, ihre Verfahren in angemessener Zeit abzuschlieBen^^^. Als besonders schwerwiegende Verzogerungen stufte der Gerichtshof die Dauer von 15 Monaten zwischen Abschluss der polizeilichen Ermittlungen und Anklageerhebung ein, aber auch den Umstand, dass es zwei Jahre und drei Monate bis zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den BGH dauerte, well das LG das Urteil nicht in der gesetzlich geforderten Frist weitergeleitet hatte. Neben der Feststellung einer Konventionsverletzung sprach der Gerichtshof dem Beschwerdefiihrer eine Entschadigung fiir den erlittenen im-
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Zu den revisionsrechtlichen Folgen vgl. BGHSt 46, 93, 103 ff. KrehU StV 2006, 4 0 8 ; KrehllEidam, N S t Z 2006, 1 ff. AmZ?05, N S t Z 2002, 628, 629. EGMR („Metzger/Deutschland") StV 2001, 489 m. Anm. v. /. Roxin; vgl. auch EGMR („Eckle/Deutschland") EuGRZ 1983, 371 (Verfahrensdauer von 17 bzw. 10 Jahren) m. Anm. v. Kiihne. 131 BGHNStZ 1997, 189. 132 Vgl. hierzu GroiQM2irm\mJGrabenwarterlPabeU E M R K / G G , Kap. 14 Rn. 103 ff.
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materiellen Schaden in Hohe von DM 10 000.- sowie fiir Gerichts- und Anwaltskosten in Hohe von DM 15 000.- zu^^l 62 Die Entscheidung des EGMR legt die Schlussfolgemng nahe, dass nur eine Verfahrenseinstellung eine Vemrteilung Deutschlands wegen Verletzung des Art. 6 I EMRK hatte verhindern konnen^^^. Die Diskussion ist insoweit noch nicht abgeschlossen^^^. Immerhin hat der BGH inzwischen grundsatzlich die Moglichkeit bejaht, in „ganz auBergewohnlichen Einzelfallen" wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzogerung ein Verfahrenshindernis anzunehmen, welches vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beriicksichtigen sei^^^. Er halt jedoch daran fest, dass eine Verfahrenseinstellung nicht in Betracht komme, solange eine angemessene Beriicksichtigung des VerstoBes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwiirdigung moglich sei. In einer neueren Entscheidung stellte sich der BGH auf den Standpunkt, dass bei einem Schuldspruch wegen Mordes von der Verhangung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in aller Regel nicht des wegen abgesehen werden konne, weil die Beendigung des Strafverfahrens von den Strafverfolgungsorganen in einer Weise verzogert wurde, die beim Ausspruch von zeitiger Freiheitsstrafe oder von Geldstrafe eine Kompensation zugunsten des Angeklagten auf der Rechtsfolgenseite gebieten wiirde^^^. 4. Freiheitsrechte und strafprozessuale Untersuchungshaft 63 Art. 5 I EMRK garantiert das Recht der personlichen Freiheit. Er schiitzt die Biirger vor willkiirlicher Inhaftierung, indem er abschlieBend die Voraussetzungen aufzahlt, unter denen die nationalen Gesetze eine Freiheitsentziehung anordnen dlirfen. In Art. 5 II - IV EMRK sind spezifische Verfahrensgarantien des Inhaftierten festgeschrieben, wie z. B. seine Rechte, unverziiglich in einer ihm verstandlichen Sprache liber die Griinde seiner Festnahme informiert sowie unverziiglich einem Richter zum Zwecke der HaftkontroUe vorgefiihrt zu werden^^^. Den Garantien des Art. 5 EMRK kommt eine zentrale Bedeutung fiir das strafprozessuale Institut der Untersuchungshaft zu, welches darauf abzielt, die Durchfiihrung eines Strafverfahrens zu sichern^^^. Die besondere Problematik der Untersuchungshaft liegt zum einen darin, dass auch fiir einen Untersuchungsgefangenen bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld die Unschuldsvermutung gilt. Er ist lediglich einer Straftat verdachtig. Zum anderen ist er in der Untersuchungshaft ^^^ Zu dem Recht auf Entschadigung wegen konventionswidriger Freiheitsentziehung vgl. Grote/Marauhn/Dd'rr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 102 ff 134 /./?ox/n,StV 2001, 490, 492. 135 Wgl Ambos, NStZ 2002, 628, 630 ff m. w. N. 136 BGHSt46, 159, 171. 137 BGH StV 2006, 237 = NStZ 2006, 680 m. krit. Anm. v. Hojfmann-Holland, ZIS 2006, 539 ff und KrehU StV 2006, 408 ff 138 Vgl. hierzu EGMR NJW 2001, 51. 139 Vgl. hierzu Grote/Marauhn/Dorr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 57 ff; Kuhne/Esser, StV 2002, 383 ff
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starkeren Einschrankungen (z. B. Kontaktsperren, Einzelhaft, Reglementiemngen des Brief- und Fernmeldeverkehrs) ausgesetzt als im RegelstrafvoUzug und muss im Gegensatz zu Strafgefangenen das zusatzliche Leid der Ungewissheit der ihn erwartenden Haftdauer ertragen. Die EMRK tragt der besonderen Interessenlage des Untersuchungsgefangenen 64 Rechnung, indem sie in Art. 5 III S. 2 EMRK einen Anspruch auf gerichtliche Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Haftentlassung wahrend des Verfahrens normiert. Bestimmungen des nationalen Strafprozessrechts, die bei bestimmten Tatvorwiirfen die Moglichkeit einer Haftverschonung bzw. die Aussetzung der Untersuchungshaft gegen eine Sicherheit generell ausschlieBen, sind mit Art. 5 III S. 2 EMRK ebenso wenig vereinbar wie eine Regelung, die fiir bestimmte Taten oder im Hinblick auf eine zu erwartende Strafhohe zwingend die Anordnung von Untersuchungshaft vorschreibt^"^^. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es in erster Linie Aufgabe der staatlichen Gerichte, sicherzustellen, dass die Untersuchungshaft eines Beschuldigten eine angemessene Dauer nicht iiberschreitet. Dabei miissen die Gerichte unter gebtihrender Beachtung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung alle Umstande prlifen, die fur und gegen das Bestehen eines zwingenden offentHchen Interesses an der Fortdauer der Untersuchungshaft sprechen. Nach einer Untersuchungshaftdauer von zwei Jahren ist das Recht des Beschuldigten auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist verletzt, wenn die Justizbehorden nicht besondere Sorgfalt beim Betreiben des Verfahrens angewendet haben^'^^ Fall 5: Der in Frankreich als politischer Fltichtling anerkannte Beschwerdeftihrer, der tiirki- 65 sche Staatsangehorige E, wurde in Deutschland festgenommen, da er im Verdacht stand, Mitglied der terroristischen Vereinigung PKK zu sein und Urkundsdelikte begangen zu haben (§§ 129 a, 267 StGB). Die gegen ihn angeordnete und vollzogene Untersuchungshaft dauerte insgesamt fiinf Jahre und elf Monate. Sie wurde in sieben Haftpriifiingsentscheidungen wiederholt mit der Schwere des Tatvorwurfes, der Hohe der dem E drohenden Strafe und mit Fluchtgefahr des E begriindet, der in Deutschland iiber keinen Wohnsitz und keine personlichen Bindungen verftigte. E wurde schlieBlich wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren vemrteilti'^^ Frage: Hat Deutschland gegen Art. 5 III S. 2 EMRK verstoBen? Losungshinweise Fall 5: Bereits aus Art. 6 I S. 1 EMRK lasst sich ein Beschleu- 66 nigungsverbot als allgemeine Verfahrensgarantie ableiten. Im Hinblick auf die besondere Interessenlage von Untersuchungsgefangenen statuiert Art. 5 III S. 2 EMRK jedoch ausdriicklich einen Anspruch des Festgenommenen auf Aburteilung innerhalb einer angemessenen Frist. Das in Deutschland durchgefiihrte Verfahren gegen E ist somit an Art. 5 III S. 2 EMRK zu messen. 140 Grote/Marauhn/Dorr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 178; Kuhne/Esser, StV 2002, 383, 388. 141 EGMR („Kudla/Polen") NJW 2001, 2694; EGMR („Cevizovic/Deutschland"), StV 2005, 136; EGMR („DzeHli/Deutschland") StV 2006, 474; vgl. hierzu Grote/Marauhn/Ddrr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 60. 142 EGMR („Erdem/Deutschland") EuGRZ 2001, 391; vgl. hierzu Ambos, NStZ 2003, 14, 15.
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67 In seinem UrtQil „Erdem/Deutschland'' bejahte der EGMR eine Konventionsverletzung durch die Bundesrepublik Deutschland wegen uberlanger Untersuchungshaft. Zwar bestanden Tatverdacht und Fluchtgefahr (vgl. § 112 I StPO) wahrend der gesamten Haftzeit fort, doch reichen diese Griinde nach Auffassung des Gerichtshofs nach einer Haftdauer von fiinf Jahren und elf Monaten nicht mehr aus, um letzdich eine Untersuchungshaftdauer zu rechtfertigen, die praktisch identisch mit der spater verhangten Freiheitsstrafe war. Der EGMR verlangt von den nationalen Behorden, dass sie Fortgang und Abschluss des Verfahrens besonders fordern, damit sich die gegeniiber der normalen Strafhaft mit besonderen Belastungen verbundene Untersuchungshaft nicht unnotig lange hinzieht. Es reicht nach Auffassung des EGMR nicht aus, die Haftfortdauer durch fast gleichlautende Standardformulierungen anzuordnen. Das Urteil ist von erheblicher Bedeutung, weil es unverhohlen Kritik an der - leider verbreiteten - Praxis iibt, die Haftfortdauer gem. §§ 121, 122 StPO gleichsam automatisch und mit standardisierter Begriindung anzuordnen. Es stellt klar, dass sich die Begriindungslast der Justizbehorden mit zunehmender Haftdauer vergroBert und jeder Haftfortdauerbeschluss neu begriindet werden muss^'*^.
5. Einfluss von Konventionsrechten aufdas materielle Strafrecht 68 Die Relevanz von Konventionsgarantien ftir das materielle Strafrecht^"^ wird in Deutschland seit langem anhand der Frage diskutiert, ob sich Art. 2 II lit. a EMRK auf die Auslegung des Notwehrrechts (§ 32 StGB) auswirkt^"^^. Art. 2 II lit. a EMRK (Recht auf Leben) lautet: „Die Totung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, um die Verteidigung eines Menschen gegeniiber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen." 69 Fall 6: Dieb D flieht mit den von ihm erbeuteten wertvoUen Schmuckstiicken aus dem Juweliergeschaft des J. Die einzige erfolgversprechende Moglichkeit, den Schmuck zu retten, besteht ftir J darin, den D durch einen gezielten Schuss in die Beine niederzustrecken. So geschieht es. D wird dabei so schwer getroffen, dass er - was J zur Rettung seiner Schmuckstiicke auch billigend in Kauf genommen hat - an den Folgen der erlittenen Schussverletzung stirbt. Frage: Wie ist die Rechtslage im Lichte des Art. 2 II lit. a EMRK zu beurteilen? 70 Losungshinweise zu Fall 6: J ist nicht wegen eines Totungsdelikts ( § 2 1 2 StGB) strafbar, wenn sein Handeln durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt ist. Der Schuss auf D war nach Lage der Dinge erforderlich, um einen gegenwartigen
Vgl. hierzu BVerfG StV 2006, 703 ff.; Grote/Marauhn/Dorr, EMRK/GG, Kap. 13 Rn. 66; Kuhne/Esser, StV 2002, 383, 388 m. w. N. Zu dem (relativ begrenzten) Einfluss der EMRK auf das deutsche materielle Strafrecht vgl. Diehm, Menschenrechte, 135 ff., 325 ff; Kuhl, ZStW 100 (1988), S. 601, 624 ff; zur Relevanz der EMRK fiir das Strafrecht Osterreichs und der Schweiz vgl. Fuchs, ZStW 100 (1988), S. 444 ff und Trechsel, ZStW 100 (1988), S. 667 ff Vgl. hierzu Diehm, Menschenrechte, S. 345 ff; Kuhl, ZStW 100 (1988), S. 601, 624 ff
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rechtswidrigen Angriff auf das Eigentum des J zu beenden. Die Hoherrangigkeit des durch die Verteidigungshandlung verletzten Rechtsgutes (Leben des D) gegeniiber dem angegriffenen Rechtsgut (Eigentum des J) begriindet nach ganz h. M. keine Einschrankung des Notwehrrechts. Eine Notwehrbeschrankung wird nur in Fallen krasser Disproportionalitat zwischen Angriff und AbwehrmaBnahme bejahti46. Von einigen Autoren wird nun aber die These vertreten, Art. 2 II lit. a EMRK, 71 der die Totung von Menschen nur zur Verteidigung eines Menschen gegeniiber rechtswidriger Gewaltanwendung gestattet, wirke unmittelbar unter den Staatsbiirgern und beschranke daher ihr Notwehrrecht^'^'^. Nach dieser Auffassung ist die Totung eines Menschen zur Verteidigung von Sachglitern schlechthin verboten. Die Bundesrepublik Deutschland sei demnach verpflichtet, dass in § 32 StGB geregelte Notwehrrecht durch eine engere Auslegung oder durch eine Gesetzesanderung den Vorgaben des Art. 2 II lit. a EMRK anzupassen. Eine andere Gruppe von Autoren teilt zwar im Ausgangspunkt die These, dass 72 Art. 2 II lit. a EMRK zumindest eine mittelbare Wirkung auch unter Privaten entfalte. Das in § 32 StGB normierte Notwehrrecht und seine sozialethisch orientierte Auslegung in der deutschen Rechtspraxis stiinde aber in voUigem Einklang mit den Vorgaben der Konvention. Diese verbiete nur absichtliche, nicht aber ungewollte oder bedingt vorsatzliche Totungshandlungen, die zur Abwendung von Angriffen auf das Eigentum vorgenommen werden^"^^. Damit verliere das aufgeworfene Problem seine praktische Bedeutung, da eine mit direktem Vorsatz oder Absicht ausgefiihrte Totung kaum jemals erforderlich sein diirfte, um einen Angriff auf Sachwerte abzuwehren. Die iiberzeugende h. L. steht auf dem Standpunkt, dass § 32 StGB durch die 73 EMRK nicht modifiziert werde, well diese nicht die Rechtsbeziehungen der Biirger untereinander betreffe, sondern nur Ubergriffe des Staates in die Rechtssphare des Einzelnen verhindern wolle^"^^. Aus ihrer Sicht besteht daher keine aus Art. 2II lit. a EMRK abzuleitende Pflicht, durch eine Neuinterpretation des § 32 StGB oder eine Gesetzesanderung dafiir sorgen, dass Totungshandlungen zur
146 Vgl. MiXKoStGB/Erb, 2003, § 32 Rn. 192; Gropp, Strafrecht AT, 2. Aufl., 2001, § 6 Rn. 81 ff.; TrondldFischer, § 32 Rn. 20; Schonke/Schrodev/Lenckner/Perron, § 32 Rn. 50; Wessels/Beulke, AT, Rn. 343. 1'^' Bisson, Verteidigung von Vermogenswerten, S. 149 ff., 210; Frister, GA 1985, 553, 564; Koriath, in: Ranieri (Hrsg.), Die Europaisiemng der Rechtswissenschaft, 2002, S. 47, 52 ff.; Lagodny, in: Karl (Hrsg.), Intemationaler Kommentar zur Europaischen Menschenrechtskonvention, 2002, Art. 2 Rn. 83 ff.; Luhrmann, Eigentumsverteidigung, S. 281 f.; Marxen, Die sozialethischen Grenzen der Notwehr, 1979, S. 60 f. ^^^ Bitzilekis, Die neue Tendenz zur Einschrankung des Notwehrrechts, 1984, S. 135; Lange, JZ 1976, 546, 548; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68, 99 f.; ders., AT Teil I, § 15 Rn. 86ff. 149 Ambos, IntStR, § 10 Rn. 56; Eisele, JA 2000, 424, 428; MuKoStGBZ&Z?, 2003, § 32 Rn. 16 ff.; TxondltlFischer, § 32 Rn. 21; Gropp, AT, § 6 Rn. 91; Jescheck/Weigend, AT, § 32 V; Krey, JZ 1979, 702, 708; Schonko/Schioder/Lenckner/Perron, § 32 Rn. 62; MitscL JuS 2000, 850; Wessels/Beulke, AT, Rn. 343 a.
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§ 3 Europarat
Abwehr von Angriffen auf Sachwerte dem Anwendungsbereich des Notwehrrechts entzogen werden. Der Staat sei fiir den Schutz der Burger vor Drittbeeintrachtigungen nur zustandig, soweit es um Ubergriffe gehe, gegen die sich der Einzelne ohne Hilfe der Obrigkeit nicht problemlos selbst zu schiitzen vermag. Die im vorliegenden Zusammenhang einschlagige Gefahr, Opfer von NotwehrmaBnahmen zu werden, konne der Betroffene aber ebenso leicht vermeiden wie andere selbst gewahlte Risiken - indem er seinen eigenen rechtswidrigen Angriff unterlasse^^^. 74 Bereits die kursorische Darstellung des Meinungsstands macht deudich, dass eine Einschrankung des Notwehrrechts im Lichte des Art. 2 II lit. a EMRK immerhin diskutabel ist. Nach derzeit herrschendem Rechtsverstandnis lasst die Konventionsgarantie die bestehende Auslegung und Ausgestaltung des § 32 StGB jedoch unberiihrt^^^ Losungsvorschlag zu Fall 6: Da J in Notwehr handelte, hat er sich nicht gem. § 212 StGB strafbar gemacht. 75 Die Anwendung von Folter ist als Verteidigungsmittel im Rahmen der §§ 32, 34 StGB schlechthin unzulassig, selbst v^enn das Androhen oder Zufugen von Schmerzen durch Polizeibeamte im konkreten Fall das einzige noch zur Verfugung stehende Mittel darstellt, um etwa einen Kindesentfiihrer zur Preisgabe des Opferverstecks oder einen Terroristengehilfen zur Offenbarung von Anschlagplanen zu bewegen^^^. Das an die Konventionsstaaten gerichtete Verbot der Folter (Art. 3 EMRK) stellt zwingendes, d. h. nicht relativierbares Volkerrecht dar^^^.
III. Keine unmittelbare Bindung der EG an die EMRK 76 Der EuGH hat bei der Entwicklung eines ungeschriebenen Grundrechtsstandards als Teil der allgemeinen Rechtgrundsatze des Gemeinschaftsrechts immer wieder auf die EMRK sowie die gemeinsamen Verfassungsiiberlieferungen der Mitgliedstaaten zuriickgegriffen''^'^. Inzwischen verweist Art. 6 II EUV ausdriicklich auf die EMRK: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sic in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europaischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Gmndfreiheiten gewahrleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsiiberlieferungen der Mitghedstaaten als allgemeine Grundsatze des Gemeinschaftsrechts ergeben." 77 Eine unmittelbare Bindung der EG an die EMRK besteht nach derzeitiger Verfassungslage aber nicht. Zum einen steht der Beitritt zur EMRK nur Staaten offen (Art. 66 I EMRK). Zum anderen wiirde ein Beitritt die Gemeinschaften den Kontrollmechanismen der EMRK unterwerfen und hatte damit erhebliche Aus150 MtiKoStGB/£rZ7,2003, §32Rn. 18. 151 Zur Problematik desfinalenRettungsschusses vgl. Ambos, IntStR, § 10 Rn. 57. 152 Vgl. hierzu LG Frankfurt a. M. NJW 2005, 692; Ambos, IntStR, § 10 Rn. 61; Ellbogen, JURA 2005, 339; SchonkQ/Schrodtr/Lenckner/Perron, § 32 Rn. 62 a m. w. N. 153 Vgl. hierzu EGMR StV 2006, 617, 621; Diehm, Menschenrechte, S. 342 ff; Esser, in: Gehl (Hrsg.), Folter, S. 143 ff.; Kinzig und Schild ebenda, S. 11 ff, S. 59 ff. 154 St. Rspr.; vgl. nur EuGHE 1979, 3727, 3745 ff (Rz. 17 ff.); 2003, 3735, 3777 ff. (Rz. 72, 75 ff).
D. Literaturhinweise
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wirkungen auf das gemeinschaftliche Rechtsschutzsystem. In seinem Gutachten v. 28. Marz 1996 hat der EuGH deshalb festgestellt, dass ein Beitritt der EG zur EMRK eine vorherige Andemng des EGV erfordert^^^. Nach gegenwartiger Rechtslage konnen Rechtsakte der EG nicht vor dem EGMR angegriffen werden. Denkbar ist aber, dass ein nationaler Ausfiihrungsakt (z. B. ein nach deutschem Recht ergangener Verwaltungsakt, aber auch ein richterlicher Beschluss), dessen Inhalt vom Gemeinschaftsrecht vorgegeben ist (z. B. von einer EG-Verordnung Oder Richtlinie) wegen (angeblicher) Verletzung der EMRK im Wege einer Individualbeschwerde beim EGMR gerligt und damit zur Uberpriifung gestellt wird""^^. Lehrreiches Anschauungsmaterial fiir die soeben skizzierte Rechtsschutzkonstellation bietet der Fall „Melchers''^^^: Ein deutsches Unternehmen erhob Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Vollstreckung einer GeldbuBenzahlung, welche der EuGH im Anschluss an eine BuBgeldentscheidung der Europaischen Kommission bestatigt hatte und die in Deutschland fiir vollstreckbar erklart worden war (vgl. Art. 244, 256 EGV). Dieser Individualbeschwerde waren ein Verfahren vor dem EuGH, anschlieBend eine Klage vor deutschen Gerichten gegen die Erteilung der VoUstreckungsklausel sowie eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG vorausgegangen. Im Ergebnis vermochte die (damals zustandige) Europaische Kommission fiir Menschenrechte keine Konventionsverletzung erkennen. Die zunehmende Einbeziehung des Strafrechts in den europaischen Integrationsprozess bietet jedenfalls Grund genug, die Diskussion iiber einen Beitritt der EG zur EMRK wieder aufzunehmen^^^. Hinweis: Nach Art. 1-9 II EU-Verfassung wird die neu zu griindende Europai- 78 sche Union (Art. I-l I EU-Verfassung) der EMRK beitreten. Das kiinftige prozessuale Verhaltnis von EGMR und EuGH wird wesentlich von den Beitrittsbedingungen infolge der durch den Beitritt der EU zur EMRK notwendigen Korrekturen der EMRK abhangen^^^.
D. Literaturhinweise Ambos, Europarechtliche Vorgaben fiir das (deutsche) Strafverfahren - Zur Rechtsprechung des EGMR von 2000-2002, NStZ 2002, 626 (Teil I), NStZ 2003, 14 (Teil II) ders., Der Europaische Gerichthof fiir Menschenrechte und die Verfahrensrechte, ZStW 115 (2003), S. 583 ders., Internationales Strafrecht, 2006, § 10 Bose, Der Beitritt der EG zur EMRK aus der Sicht des Strafrechts, ZRP 2001, 402 ders., Anmerkung zu OLG Wien NStZ 2002, 669, NStZ 2002, 670 Diehm, Die Menschenrechte der EMRK und ihr Einfluss auf das deutsche Strafgesetzbuch, 2006, passim 155 EuGHE 1996,1759, 1789 (Rz. 35) = EuZW 1996, 307, 309. 156 Vgl. hierzu Kieschke, Praxis des EGMR, S. 38. 157 Vgl. hierzu GiegericK ZaoRV 50 (1990), S. 836. 158 Bo5e, ZRP 2001, 402, 404. 159 Vgl. hierzu RufferU EuR 2004, 165, 174 m. w. N.
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§ 3 Europarat
Dorr, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 13 (Freiheit der Person) Ehlers, Die Europaische Menschenrechtskonvention, JURA 2000, 372 Eisele, Internationale Beztige des Strafrechts, JA 2000, 424 ders.. Die Berucksichtigung der Beschuldigtenrechte der EMRK im deutschen Strafprozess aus dem Blickwinkel des Revisionsrechts, JR 2004, 12 ders., Die Bedeutung der Europaischen Menschenrechtskonvention fiir das deutsche Strafverfahren, JA 2005, 390 ders.. Die einzelnen Beschuldigtenrechte der Europaischen Menschenrechtskonvention, JA 2005, 901 Esser, Auf dem Weg zu einem europaischen Strafverfahrensrecht, 2000, passim ders., Die Umsetzung der Urteile des EGMR im nationalen Recht - ein Beispiel fur die Dissonanz volkerrechtlicher Verpflichtungen und verfassungsrechtlichen Vorgaben?, StV 2005, 348 Gaede, Schranken des fairen Verfahrens gem. Art. 6 EMRK bei der Sperrung verteidigungsrelevanter Informationen und Zeugen, StV 2006, 599 Giegerich, Luxemburg, Karlsruhe, StraBburg - Dreistufiger Grundrechtsschutz in Europa?, ZaoRV 50 (1990), 836 Grabenwarter/Pabel, in: Grote/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 14 (Grundsatz des fairen Verfahrens) Hamm, Der Einsatz heimlicher Ermittlungsmethoden und der Anspruch auf ein faires Verfahren, StV2001,81 Jung, Die Europaische Menschenrechtskonvention und das deutsche Strafrecht, EuGRZ 1996,370 Kieschke, Die Praxis des Europaischen Gerichtshofs fur Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht, 2003, passim Koriath, Einschrankung des deutschen Notwehrrechts (§ 32 StGB) durch Art. 2 II a EMRK?, in: Ranieri (Hrsg.), Die Europaisierung der Rechtswissenschaft, 2002, S. 47 Kiihl, Der Einfluss der Europaischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 100 (1988), S. 406 (Teill), S. 601(Teil2) KUhne, Grundrechtsschutz in einem grenzenlosen europaischen Strafrecht, in: Kreuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Europaischer Grundrechtsschutz, 1998, S. 55 ders., Die Rechtsprechung des EGMR als Motor fur eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001, 73 ders.. Die Entscheidung des EGMR in Sachen Ocalan, JZ 2003, 670 Kuhne/Esser, Die Rechtsprechung des Europaischen Gerichtshofs fiir Menschenrechte (EGMR) zur Untersuchungshaft, StV 2002, 383 Neubacher, Frank, Der Bewahrungswiderruf wegen einer neuen Straftat und die Unschuldsvermutung, GA 2004, 402 Peters, Einfiihrung in die Europaische Menschenrechtskonvention, 2003, passim Renzikowski, Fair trial als Waffengleichheit - adversatorische Elemente im Strafprozess?, in: Renzikowski, Joachim (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Offentlichen Recht - Gmndlagen einer europaischen Rechtskultur, 2004, S. 97 Rosenau, Europaische Rechtspolitik zur Abschaffung der Todesstrafe, ZIS 2006, 338 Roxin /., Anmerkung zu EGMR StV 2001, 489, StV 2001, 490
E. Rechtsprechungshinweise
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Schumann, „Brechmitteleinsatz ist Folter"? - Die Rechtsprechung des EGMR zum Brechmitteleinsatz im Strafverfahren - Besprechung des Urteils des EGMR v. 17. Juli 2006, StV 2006, 661 Sommer, in: Briissow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, Band 1,3. Aufl., 2004, § 17 (Strafprozessordnung und Europaische Menschenrechtskonvention Sommer/Kinzig, Anmerkung zu EGMR NStZ 1999, 47, StV 1999, 288 Sommermann, Der Schutz der Menschenrechte im Rahmen des Europarates, 1990, passim Tiedemann, Die Europaisierung des Strafrechts, in: Kxeuzer/Scheuing/Sieber (Hrsg.), Die Europaisiemng der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europaischen Union, 1997,8.134 Weigend, Die Europaische Menschenrechtskonvention als deutsches Recht - KoUisionen und ihre Losung, StV 2000, 384 Ziegenhahn, Der Schutz der Menschenrechte bei der grenziiberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen, 2002, passim
E. Rechtsprechungshinweise EGMR EuGRZ 1985, 62 (autonome Auslegung der EMRK) EGMR EuGRZ 1989, 314 = NJW 1990, 2183 („Todeszellensyndrom") EGMR NStZ 1998, 429 (Akteneinsichtsrecht des Beschuldigten) EGMR NStZ 1999, 47 (Emsatz polizeilicher Lockspitzel) EGMR NJW 2001, 2387 (Rechtsschutzgarantien des AuszuHefemden) EGMR StV 2001, 489 (uberlange Verfahrensdauer) EGMR EuGRZ 2001, 391 (uberlange Dauer der Untersuchungshaft) EGMR NJW 2001, 2694 (uberlange Dauer der Untersuchungshaft) EGMR StV 2003, 82 = NJW 2004, 43 (Unschuldsvermutung und Bewahmngswidermf) EGMR StV 2006, 617 (Zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln) EuGHE 1996, 1759 = EuZW 1996, 307 (Gutachten: Beitritt der EG zur EMRK) BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427 = NStZ 1987, 421 (Bedeutung der EMRK fur die Verfassungs- und Gesetzesauslegung) BVerfG NJW 2004, 3407 = StV 2005, 307 = JZ 2004, 1171 = EuGRZ 2004, 741 (Umsetzung der Urteile des EGMR im nationalen Recht) BVerfG StV 2006, 703 (Kein wichtiger Grund fur Fortdauer der Untersuchungshaft bei vermeidbarer Verfahrensverzogerung) BGHSt 32, 345 (polizeiliche Tatprovokation als Strafmildemngsgmnd) BGHSt 45, 321 (Strafzumessungslosung auch bei konventionswidrigem Lockspitzeleinsatz) BGHSt 46, 93 (Auslegung des § 141 III StPO im Lichte des Art. 6 III lit. d EMRK) BGHSt 46, 159 (Folgen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzogemngen) BGHSt 46, 178 (Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers) OLG Wien NStZ 2002, 669 (Rechtsschutzgarantien des AuszuHefemden)
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§ 3 Europarat
F. Zusammenfassung von § 3 79 Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht der Europarat, dessen Tatigkeit die Entwicklung des Strafrechts in Europa maBgeblich mitgepragt und beeinflusst hat. Von ihm gehen schon seit Jahrzehnten die verschiedensten Initiativen in den Bereichen Strafrecht, Kriminalpolitik, Verfassungsrecht und Menschenrechtsschutz mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung und der Forderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit aus. Der Europarat ist eine am 5. Mai 1949 gegriindete Internationale (paneuropaische) Organisation ,Jclassischen Zuschnitts" mit Sitz in StraBburg (Europa-Palais), die das Ziel verfolgt, eine engere Verbindung zwischen ihren Mitgliedstaaten zum Schutze und zur Forderung der Ideale und Grundsatze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fordern. Derzeit gehoren dem Europarat 46 Mitgliedstaaten an, darunter auch alle EU-Mitgliedstaaten. AUe Mitgliedstaaten bekennen sich zu dem Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts sowie zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten, die in dem bedeutsamsten Ubereinkommen des Europarates inkorporiert sind - der Europaischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) v, 4. November 1950. 80 Bereits im Jahre 1957 hat das Ministerkomitee den europaischen Ausschuss fiir Strafrechtsprobleme (ECCP) mit dem Ziel gegriindet, die Arbeiten auf strafrechtlichem Gebiet zu intensivieren. Dem ECCP kommt dabei die Aufgabe zu, die Arbeiten an Fragen des Straf- und Strafverfahrensrechts, der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ebenso wie der StrafvoUstreckung, des StrafvoUzugs, der Kriminologie und der Kriminalpolitik zu koordinieren. Zwar kann der Europarat als volkerrechtlicher Zusammenschluss souveraner Staaten selbst keine Rechtsvorschriften erlassen, die in den Einzelstaaten unmittelbare Geltung beanspruchen. Unter seinem Dach wurden aber iiber 50 strafrechtsrelevante Konventionen ausgearbeitet, denen die Mitgliedstaaten beitreten und die sie durch Ratifikation in innerstaatliches Recht transformieren konnen. 81 Die meisten Konventionen des Europarates sind mangels der erforderlichen Zahl von Ratifikationen in den Mitgliedstaaten nicht in Kraft getreten. Schrittmacher der europaischen Strafrechtsentwicklung ist derzeit nicht der Europarat, sondern die Europaische Union. Nichtsdestotrotz wird der Europarat auch kiinftig eine bedeutende Rolle als Forum paneuropaischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und der Kriminalpolitik spielen. Von alien strafrechtsrelevanten Konventionen des Europarates hat die EMRK 82 die nachhaltigste Wirkung auf die Strafrechtspflege der Konventionsstaaten entfaltet. Als „gemeineuropaisches Grundgesetz" gewahrleistet sie einen bei jeder Strafverfolgung zu wahrenden gemeineuropaischen Grundrechtsstandard. Durch die reichhaltige Spruchpraxis des Europaischen Gerichtshofs fiir Menschenrechte (EGMR) werden die europaischen Grundfreiheiten nicht selten zu auBerst konkreten Gewahrleistungen geformt und die Strafrechtssysteme der Konventionsstaaten „von auBen her" auf ubernational giiltige MaBstabe der Fairness und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Das von der EMRK und ihren ZusatzprotokoUen etablierte System des Menschenrechtsschutzes darf deshalb zu Recht als eine der „Triebfe-
F. Zusammenfassung von § 3
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dern" der Europaisierung des Strafrechts bezeichnet werden. Die in der EMRK enthaltenen Verfahrensgarantien gehen zum Teil iiber die Gewahrleistungen des nationalen Verfassungs- und Strafprozessrechts hinaus. Alle Mitgliedstaaten des Europarates sind Vertragsstaaten der EMRK und als solche volkervertragsrechtlich verpflichtet, die Einhaltung aller in der EMRK verbrieften Rechte zu gewahrleisten. In Deutschland wurde die EMRK durch das Gesetz iiber die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 7. August 1952 ratifiziert und gilt seitdem unmittelbar als einfaches Bundesrecht. Sollte der Schutz durch nationale Gerichte versagen und ist der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschopft, kann jeder Betroffene Individualbeschwerde gem. Art. 34 ff. EMRK beim EGMR - einem Organ der EMRK mit Sitz in StraBburg erheben. Rechtskraftige Urteile des Gerichtshofes sind volkerrechtlich verbindlich (Art. 46 I EMRK). Sie stellen allerdings nur einen etwaigen VerstoB des beklagten Staates gegen die EMRK fest. Der Gerichtshof kann also nicht etwa ein nationales Gerichtsurteil kassieren. Wenn der EGMR eine Verletzung der Konvention festgestellt hat, beinhaltet das Urteil fiir den betroffenen Staat die Verpflichtung, den festgestellten RechtsverstoB - soweit dieser fortdauert - unverzuglich abzustellen sowie in Zukunft vergleichbare VerstoBe gegen die EMRK zu unterlassen. AuBerdem kann der Gerichtshof dem in seinen Rechten verletzten Beschwerdefiihrer eine Entschadigung als Wiedergutmachung fur erlittene materielle und immaterielle Schaden zuerkennen, die der betroffene Staat zu zahlen hat. Der Gerichtshof befleiBigt sich einer von den nationalen Begrifflichkeiten unabhangigen, autonomen Auslegung der Konventionsrechte, was im Laufe der Jahre zur Herausbildung eines gemeineuropaischen Grundrechtsstandards geftihrt hat. GroBe Bedeutung haben die Konventionsgarantien vor allem im internationalen Rechtshilfe- und Auslieferungsverkehr und in der Strafverfahrenspraxis erlangt. Im Bereich des materiellen Strafrechts ist der Einfluss der EMRK bisher eher gering geblieben. Dass aber auch hier ein europaisches Einflusspotential besteht, zeigt die Diskussion iiber eine Einschrankung des Notwehrrechts im Lichte des Art. 2 II lit. a EMRK. Eine unmittelbare Bindung der EG an die EMRK besteht nach derzeitiger Verfassungslage nicht. Der EuGH hat aber bei der Entwicklung eines ungeschriebenen Grundrechtsstandards des Gemeinschaftsrechts immer wieder auf die EMRK sowie die gemeinsamen Verfassungsiiberlieferungen der Mitgliedstaaten zuriickgegriffen. Inzwischen verweist Art. 6 IIEUV ausdriicklich auf die EMRK.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
A. Europaische Gemeinschaft (EG) Fall 1: In einem Zeitungsartikel wird berichtet, die „EU-Komiiiission" habe gegen einen in 1 Deutschland ansassigen Chemiekonzem eine „Geldstrafe" von 99 Millionen Euro wegen „krimineller" Kartellrechtspraktiken verhangt. Frage 1:1st die Kommission - wie der Zeitungsartikel suggeriert - als Organ der Europaischen Union tatig geworden? - Frage 2: Verfiigt die EG iiber eine Kriminalstrafgewalt, d. h. tiber die Kompetenz, supranationales Kriminalstrafrecht („Gemeinschaftsstrafrecht") zu setzen und dieses mit eigenen Organen durchzusetzen? Mit den drei Europaischen Gemeinschaften haben die Mitgliedstaaten in den Jah- 2 ren 1951 (Europaische Gemeinschaft ftir Kohle und Stahl - EGKS) und 1957 (Europaische Atomgemeinschaft - BAG und Europaische Wirtschaftgemeinschaft EWG) internationale Organisationen geschaffen. Am 23. Juli 2002 ist der Montanunionsvertrag (EGKS) ausgelaufen, so dass derzeit noch zwei Europaische Gemeinschaften fortbestehen. Wenn in der offentlichen Diskussion und in den Medien teilweise alle Europaischen Gemeinschaften mit dem Begriff „Europaische Gemeinschaft" bezeichnet werden, so ist dies juristisch nicht prazise und seit der Umbenennung der EWG in EG auch missverstandlich. Richtigerweise ist der Terminus „Eui'opaische Gemeinschaft" allein der EG im Sinne der friiheren EWG vorbehalten. Durch das Abkommen iiber gemeinsame Organe der Europaischen Gemeinschaften von 1957 und den sog. „Fusionsvertrag" von 1965 sind die Organe der Europaischen Gemeinschaften stufenweise verschmolzen w^orden. Werden die Organe der Gemeinschaften auf der Grundlage der ihnen von den Griindungsvertragen zugev^iesenen Aufgaben und Kompetenzen tatig, so tun sie dies als Gemeinschaftsorgane und sollten deshalb auch als solche bezeichnet werden (z. B. Koniimission der Europaischen Gemeinschaften) und nicht - wie dies teilweise geschieht - als Unionsorgane. Denn die Europaischen Gemeinschaften haben ihre Existenz als Rechtspersonlichkeiten durch die Schaffung der Europaischen Union (EU) nicht eingebuBf. Losungshinweise zu Fall 1 (Frage 1): Die Kommission wird bei der Verfolgung 3 und Ahndung des KartellrechtsverstoBes auf der Grundlage der ihr von Art. 81-85 EGV zugewiesenen Kompetenzen tatig und erfiillt damit eine der EG obliegende Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 72 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 18 ff.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
Aufgabe^. Es ist daher juristisch nicht korrekt, zumindest aber missverstandlich, wenn in dem Zeitungsartikel geschrieben wird, die ,3U-Kommission" habe eine Geldstrafe verhangt. Zu beachten ist aber, dass der Rat der Gemeinschaften mittlerweile fast durchweg als „Rat der Europaischen Union" auftritt, und zwar auch dann, wenn er im Rahmen der Gemeinschaftsvertrage tatig wird^. Hierin liegt freilich eine juristisch unzutreffende, die Rechtsstellung des Rates als Gemeinschaftsorgan verdunkelnde Etikettierung. Die folgenden Ausftihrungen beziehen sich auf die wichtigste Europaische Gemeinschaft - die EG - und ihre Bedeutung als Tragerin bzw. Akteurin des Europaischen Strafrechts. Dabei wird auch ihr Verhaltnis zur EU zu beleuchten sein (Rn. 106 ff.). I. Rechtsnatur der EG Bei der EG handelt es sich um eine auf der Grundlage eines volkerrechtlichen Vertrages (EGV) errichtete Internationale Organisation mit eigener Rechtspersonlichkeit (Art. 281 EGV). Die EG ist Volkerrechtssubjekt und damit Tragerin eigener Rechte und Pflichten. Sie handelt durch eigene Organe (Rn. 6 ff.), die einen von den Mitgliedstaaten unabhangigen Willen bilden. Ihre Volkerrechtssubjektivitat auBert sich namentlich in dem Abschluss volkerrechtlicher Vertrage mit Staaten oder anderen internationalen Organisationen, Im Hinblick darauf, dass die Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen Hoheitsrechte auf die EG ubertragen haben (Substituierung von staatlicher Hoheitsgewalt durch Gemeinschaftsgewalt) und angesichts des hohen Grades verselbstandigter Willensbildung erscheint es korrekt, die EG nicht nur als Internationale, sondern als supranationale („iiberstaatliche") Organisation zu charakterisieren^. Als Einrichtung sui generis steht sie strukturell zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat. Es darf bei alledem aber nicht iibersehen werden, dass die EG weder ein Staat oder auch nur ein staatsahnliches Gebilde ist.
Vgl. zum EG-Kartellverfahren Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 16. Kap. Rn. 164 ff. Vgl. den Beschluss des Rates v. 8. November 1993 iiber seine Bezeichnung im Anschluss an das Inkrafttreten des Vertrages uber die Europaische Union (ABIEG 1993 Nr. L 281, S. 18, berichtigt ABIEG 1993, Nr. L 285, S. 41). EuGHE 1991, 6079, 6102; BVerfGE 22, 293, 296; 51, 222, 233; 89, 155, 181; Deutscher, Kompetenzen, S. 19 f; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 72, 138 ff; Oppermann, Europarecht, § 4 Rn. 1 ff
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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II. Organe der EG und ihre Funktionen Durch das Abkommen iiber gemeinsame Organe der Europaischen Gemeinschaften vom 25. Marz 1957 und den sog. „Fusionsvertrag" vom 8. April 1965 sind die Organe der drei Gemeinschaften stufenweise verschmolzen worden. Die Hauptorgane (Europaisches Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof und Rechnungshof) sind somit einheitliche Organe aller Europaischen Gemeinschaften, was zu einer engen institutionellen Verklammerung der Gemeinschaften gefiihrt hat^. Das Fusionsabkommen und der Fusionsvertrag wurden mit dem Inkrafttreten des EUV im Jahre 1993 aufgehoben. Art. 9 II S. 1 EUV sieht jedoch vor, dass die dem EP, dem Rat, der Kommission, dem Gerichtshof und dem Rechnungshof durch die nach Auflosung der EGKS (Rn. 2) - nunmehr zwei Gemeinschaftsvertrage iibertragenen Zustandigkeiten durch gemeinsame Organe ausgeiibt werden. 1. Rat der Europaischen Gemeinschaften (Rat der Europaischen Union) a) Allgemeines Der Rat ist das politische Entscheidungs- und Rechtsetzungsorgan der Europaischen Gemeinschaften. Die Aufgaben des Rates, seine Organisation und Willensbildung sind in den Art. 202-210 EGV geregelt. Sitz des Rates ist Briissel, wo in der Regel auch die Ministertagungen stattfinden^. Jeder Mitgliedstaat entsendet einen Vertreter auf Ministerebene in den Rat, der befugt ist, fiir seine Regierung verbindlich zu handeln. Die Teilnahme von Staatssekretaren an Beschlussfassungen des Rates entspricht standig geiibter Praxis und diirfte inzwischen durch Gewohnheitsrecht gedeckt sein''. Formell gibt es zwar nur einen Rat, jedoch wechseln die Minister je nach dem Fachressort, in dessen Zustandigkeit die auf der Tagesordnung stehende Frage fallt (z. B. Landwirtschaft, Wirtschaft und Finanzen, Umwelt, Justiz, Inneres, Binnenmarkt, Verbraucherschutz). Die Prasidentschaft des Rates wird abwechselnd fiir die Dauer von jeweils sechs Monaten von einem Mitgliedstaat iibernommen. Im institutionellen Gefiige der Gemeinschaftsorgane ist der Rat dasjenige mit der groBten Kompetenzfiille. Bei der Rechtsetzung (Erlass von Verordnungen oder Richtlinien) hat der Rat immer noch das groBte Gewicht, obwohl die Stellung des Europaischen Parlaments gegeniiber dem Rat im Laufe der letzten Jahre immer starker aufgewertet worden ist. Der Rat vertritt die Mitgliedstaaten und ist das Hauptentscheidungsgremium der EG. Die im Rat tagenden Regierungsvertreter tragen die politische Verantwortung gegeniiber ihrem nationalen Parlament sowie
Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 1; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 207; Streinz, Europarecht, Rn. 227. Nur in den Monaten April, Juni und Oktober fmden die Ministertagungen in Luxemburg statt; vgl. ProtokoU iiber die Festlegung der Sitze der Organe v. 2. Oktober 1997 (BGBl. 1998 II, 437). Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 15.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
den Biirgern, die sie vertreten. Als Bindeglied zwischen der EG und den Mitgliedstaaten kommt dem Rat eine wichtige „Scharnierfunktion" zu. 9 Seit 1993 fiihrt der Rat die Bezeichnung „Rat der Europaischen Union", womit zum Ausdruck gebracht werden soli, dass er sowohl als Gemeinschaftsorgan als auch im Dienste der intergouvernementalen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen der zweiten und dritten Saule des EU-Vertrags tatig ist. Diese Art von „Organleihe" andert aber nichts daran, dass der Rat nur im Rahmen der Europaischen Gemeinschaften eine Organstellung besitzt. Der „Rat der Europaischen Union" darf nicht verwechselt werden mit dem in Art. 4 EUV genannten „Europaischen Rat", in dem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie der Prasident der Kommission zusammenkommen. Der „Europaische Rat" ist kein Organ der EU, sondern nur ein Forum fiir die Abstimmung unter den Mitgliedstaaten unter Einbeziehung des Kommissionsprasidenten. 10 Hinweis: Der Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa sieht in Art. 1-21 I S. 1 EU-Verfassung vor, dass der „Europaische Rat" ein Organ der neu zu schaffenden Europaischen Union (Art. I-l I EU-Verfassung) ist, welches der Union die fur ihre Entwicklung erforderlichen Impulse gibt sowie ihre allgemeinen und politischen Zielvorstellungen und Prioritaten festlegt^. Er wird nicht gesetzgeberisch tatig (Art. 1-21 I S. 2 EU-Verfassung). Art. 1-23 I EU-Verfassung benennt den jjMinisterrat" als dasjenige Organ der Europaischen Union, welches gemeinsam mit dem Europaischen Parlament als europaischer Gesetzgeber fungiert und mit diesem gemeinsam die Haushaltsbefugnisse ausiibt. Der Ministerrat erfiillt ferner Aufgaben der Politikfestlegung und der Koordinierung nach MaBgabe der Verfassung. 11 Die Mitgliedstaaten haben in Briissel Standige Vertretungen bei der Europaischen Union eingerichtet. Einmal wochentlich treffen die Botschafter der Mitgliedstaaten Oder ihre Vertreter im Ausschuss der Standigen Vertreter („Comite des representants permanents") zusammen. Dieser Ausschuss bereitet die Sitzungen des Rates vor, mit Ausnahme der Sitzungen der Landwirtschaftsminister, die vom Sonderausschuss Landwirtschaft vorbereitet werden. Der Rat wird bei seiner laufenden Arbeit von Arbeitsgruppen unterstiitzt, denen nationale Regierungsbeamte angehoren. Am haufigsten, namlich einmal monatlich, treten die fiir „Allgemeine Angelegenheiten", „Wirtschaft und Finanzen" sowie „Landwirtschaft" zustandigen Minister im Rat zusammen, wahrend ein Treffen der anderen Ministerrate je nach Dringlichkeit der zu behandelnden Themen zwei bis vier Mai pro Jahr stattfindet.
Vgl. hierzu Einem, EuR 202, 210 ff.
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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b) Aufgaben des Rates Die wesentlichen Aufgaben des Rates^ sind folgende: -
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Festlegung der Gemeinschaftspolitiken und Rechtsetzung, Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, Feststellung des Haushaltsplans (mit dem Europaischen Parlament), Mitwirkung beim Abschluss volkerrechtlicher Vertrage, Ernennung der Mitglieder des Rechnungshofes, des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen.
Aus der Perspektive des Europaischen Strafrechts ist die Rechtsetzungstatigkeit 13 des Rates von besonderem Interesse. Fiir die Beschlussfassung verlangt der EGV zumeist eine qualifizierte Mehrheit^°. Im Hinblick auf die Erweiterung der EU, die am 1. Mai 2004 durch den Beitritt von zehn und am 1. Januar 2007 von zwei weiteren Staaten vollzogen wurde, sieht der Vertrag von Nizza (2001) eine Anderung der Stimmengewichtung vor. Der Beitrittsvertrag greift diese Vereinbarung auf, mit welcher den Wiinschen der bevolkerungsreicheren Mitgliedstaaten entgegen gekommen werden sollte. Er enthalt eine Bestimmung zur Regelung der Stimmengewichtung im Rat fiir die 27 Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Vertrags von Nizza, die am 1. November 2004 in Kraft getreten ist. Ein Beschluss des Rats gilt demnach als angenommen, wenn eine bestimmte Stimmenzahl darauf entfallt, die die Befurwortung durch die Mehrheit der Ratsmitglieder zum Ausdruck bringt (Prinzip der „doppelten Mehrheit"). Die qualifizierte Mehrheit ist erreicht, wenn mindestens 255 von 345 Stimmen auf die Annahme eines Ratsbeschlusses entfallen. Die Stimmen der Mitgliedstaaten werden gem. Art. 205 II EGV i. d. F. V. Nizza wie folgt gewichtet: -
Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Konigreich: je 29 Stimmen, Spanien und Polen: je 27 Stinmien, Rumanien: 14 Stimmen Niederlande: 13 Stimmen, Belgien, Griechenland, Tschechien, Ungarn und Portugal: je 12 Stimmen Osterreich, Schweden und Bulgarien: je 10 Stimmen, Slowakei, Danemark, Irland, Finnland und Litauen: je 7 Stimmen, Lettland, Slowenien, Estland, Zypern und Luxemburg: je 4 Stimmen, Malta: 3 Stinmien.
Die Bestinmiung der qualifizierten Mehrheit beinhaltet noch eine weitere Neue- 14 rung. In Art. 205 IV EGV ist ein neuer Absatz (sog. „Bevolkerungsklausel") hinzugefiigt worden, wonach ein Mitglied des Rates beantragen kann, dass bei einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit iiberpriift wird, ob diese qualifizierte ^
Vgl. hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 220 ff.; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 32; Streinz, Europarecht, Rn. 248 ff. ^^ Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 222; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 22.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
Mehrheit zumindest 62 % der Gesamtbevolkerung der Union reprasentiert. 1st dies nicht der Fall, kommt der betreffende Beschluss nicht zustande. Diese Bestimmung kommt zu den anderen Voraussetzungen fiir die Annahme eines Rechtsakts (qualifizierte Mehrheit der Stimmen und Mehrheit der Mitgliedstaaten) hinzu. Sie soil gewahrleisten, dass die Entscheidungen des Rats fur die Mehrheit der Bevolkerung der EU reprasentativ ist. 15 Im Allgemeinen wird der Rat nur auf Vorschlag der Kommission rechtssetzend tatig. In der Regel (z. B. auf den Gebieten Vollendung des Binnenmarkts, Umwelt oder Verbraucherschutz) wird das sekundare Gemeinschaftsrecht vom Rat und vom Parlament gemeinsam im Mitentscheidungsverfahren erlassen. c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Rates 16 Aufgrund der Souveranitatsvorbehalte der Mitgliedstaaten hat der Rat bislang kein „Strafgesetz" in Verordnungsform erlassen (zur Frage einer Anweisungskompetenz auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts vgl. § 8 Rn. 35 ff.). Auch wenn der Rat in der Vergangenheit zahlreiche VorstoBe der Kommission, die auf eine Angleichung nationaler Strafbestimmungen durch Anweisung abzielten, blockiert hat, bedeutet dies keineswegs, dass die Mitgliedstaaten nicht bereit waren, zum Sehutze von Gemeinschaftsinteressen auch ihr strafrechtliches Instrumentarium einzusetzen. So wurden eine Reihe von Verordnungen oder Richtlinien erlassen, die letztlich auf eine Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Sanktionenrechts einschlieBlich des Kriminalstrafrechts abzielen oder sich zumindest auf die Auslegung bestehender Straftatbestande auswirken. Beispiele fiir strafrechtsrelevante Rechtsetzungsakte bilden die: - Richtlinie des Rates 89/592/EWG zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschafte vom 13. November 1989 („Insider-Richtlinie")^\ die in Deutschland zu einer neuen Strafnorm (§ 38 i. V. m. § 14 Wertpapierhandelsgesetz) fiihrten, nach der erstmals Borsentransaktionen unter Strafandrohung gestellt werden, bei denen Insiderinformationen Grundlage des Wertpapiergeschafts waren (§ 8 Rn. 34), - Richtlinie 91/308/EWG des Rates zur Verhinderung und Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche vom 10. Juni 1991''^, geandert durch die Richtlinie 2001/97/EG^^, aufgehoben und neu gefasst durch die Richtlinie 2005/60/EG des EP und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche einschlieBlich der Finanzierung des Terrorismus v. 26. Oktober 2005^"^ (sog. Dritte Geldwascherichtlinie; § 8 Rn. 11, 15), - Verordnung Nr. 259/93 (EWG) des Rates zur tJberwachung und KontroUe der Verbringung von Abfallen in der, in die und aus der Europaischen Gemein-
" 12 13 14
ABIEG 1989 Nr. L 334, S. 30. ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77. ABIEG 2001 Nr. L 344, S. 76. ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15.
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schaft vom 1. Februar 1993^^, die in Deutschland zur Einfiigung des § 326 II StGB fiihrte (§ 8 Rn. 33), - Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates iiber die gemeinsame Marktorganisation ftir Wein vom 17. Mai 1999^^, welche die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um VerstoBe gegen die Verordnung je nach ihrer Schwere zu ahnden (§ 8 Rn. 30), - Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europaischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsatze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europaischen Behorde fiir Lebensmittelsicherheit und zur Festiegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit^^, nach der Praktiken des Betrugs oder der Tauschung, die Verfalschung von Lebensmitteln und alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irrefuhren konnen, zu untersagen sind. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, Vorschriften fiir MaBnahmen und Sanktionen bei VerstoBen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht festzulegen, die wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend sein miissen (§ 8 Rn. 31). Als zentraler und herausragender Faktor der Europaisierung der internationalen 17 Strafrechtspflege innerhalb der EU erweist sich bislang jedoch das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) nach Titel VI des Unionsvertrages (Art. 29-42 EUV; § 5 Rn. 69 ff.). Der Rat hat insbesondere von dem durch den Vertrag von Amsterdam geschaffenen neuen Handlungsinstrument des Rahmenbeschlusses (Art. 34 II lit. b EUV) rege Gebrauch gemacht und - auf Initiative eines MitgHedstaates oder der Kommission - zahlreiche Rechtsakte erlassen, die auf eine Harmonisierung des Strafrechts und eine Effektivierung der polizeilichen und strafrechtlichen Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten abzielen (vgl. hierzu ausfiihrlich § 11 und § 12). 2. Kommission der Europaisclien Gemeinsctiaften (Kommission) a) Allgemeines Die Kommission ist das Exekutivorgan der Europaischen Gemeinschaften. Be- 18 stimmungen iiber die Aufgaben der Kommission, ihre Organisation und Willensbildung finden sich in Art. 211-219 EGV. Sitz der Kommission ist Briissel. Die neue Kommission besteht aus einem KoUegium von 27 Mitgliedern (einschlieBlich des Kommissionsprasidenten) - je ein Kommissar aus jedem Mitgliedstaat. Der Prasident, die beiden Vizeprasidenten und die iibrigen Mitglieder der Kommission werden aufgrund ihrer allgemeinen Befahigung ausgewahlt und miissen die voile Gewahr fiir ihre Unabhangigkeit bieten. Bei den EG-Kommissaren handelt es sich um Personlichkeiten, die zuvor in ihrem Herkunftsland ein hohes politisches Amt - oft auf Ministerebene - ausgeiibt haben. Die Neubesetzung der 15 ABIEG 1993 Nr. L 30, S. L 16 ABIEG 1995 Nr.L 179, S.l. 17 ABIEG 2002 Nr.L 31, S.l.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
Kommission erfolgt alle fiinf Jahre in den sechs Monaten nach der Wahl des Europaischen Parlaments. So hat das neue Parlament geniigend Zeit, dem von den Mitgliedstaaten benannten neuen Prasidenten der Kommission sein Vertrauen auszusprechen, der dann in Abstimmung mit den Regierungen der Mitgliedstaaten sein kiinftiges Team zusammenstellt. AnschlieBend muss das Parlament auch der Zusammensetzung des gesamten KoUegiums seine Zustimmung erteilen. 19 Die Kommission ist dasjenige Organ der Gemeinschaften, dessen Willensbildung ganz von den Interessen der Mitgliedstaaten gelost ist. Neben dem Europaischen Gerichtshof verkorpert sie die reinste Auspragung eines supranationalen Organs im Gemeinschaftssystem. Sie ist dem Europaischen Parlament gegeniiber politisch verantwortlich, das ihr das Misstrauen aussprechen und sie so zur Amtsniederlegung zwingen kann. 20 Dem Kollegium der 27 Kommissionsmitglieder steht ein Verwaltungsapparat zur Seite, der aus allgemeinen Diensten (Generalsekretariat, Juristischer Dienst, Statistisches Amt usw.) sowie aus Generaldirektionen (GD) besteht. An der Spitze einer Generaldirektion steht ein Generaldirektor, der dem zustandigen Kommissionsmitglied gegeniiber verantwortlich ist. Die Kommission tritt gewohnlich einmal wochentlich in Briissel und wahrend der Plenartagungen des Parlaments in StraBburg zusammen. Erforderliche Beschliisse werden mit der einfachen Mehrheit der Konmiissionsmitglieder gefasst und werden damit Bestandteil der Politik der Kommission. Bei der Ausiibung ihrer Befugnisse nimmt die Kommission umfassende Anhorungen vor, in denen sich parlamentarische Kreise, nationale Behorden und Berufs- und Gewerkschaftsverbande auBern konnen. Zu technischen Einzelheiten geplanter Rechtsvorschriften oder Vorschlage holt die Kommission die Stellungnahme von Sachverstandigen ein, die in von ihr eingesetzten Ausschiissen oder Arbeitsgruppen arbeiten. Bei der Verabschiedung zahlreicher DurchfiihrungsmaBnahmen wird sie von Ausschiissen unterstlitzt, denen Vertreter der Mitgliedstaaten angehoren. Dariiber hinaus arbeitet die Kommission eng mit dem Wirtschafts- und Sozialausschuss als beratenden Organen zusammen. b) Aufgaben der Kommission 21 Die Europaische Kommission hat im Wesentlichen folgende Aufgaben""®: - Erarbeitung von Vorschlagen fiir neue Rechtsakte, - Durchfiihrung der Gemeinschaftspolitiken, - (Jberwachung der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts („Huterin der Vertrage"), - Aushandlung volkerrechtliche Vertrage. 22 Als Exekutivorgan der Europaischen Gemeinschaften fiihrt die Kommission MaBnahmen auf alien Gebieten des Gemeinschaftsrechts durch. Besonders wichtige Aufgaben sind ihr in den Bereichen Wettbewerb (KontroUe von Absprachen und Fusionen, Verbot oder KontroUe diskriminierender staatlicher Beihilfen), Land^^ Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 240 ff.; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 61 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 291 ff
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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wirtschaft (Ausarbeitung des Agrarrechts) sowie Forschung und technologische Entwicklung (Fordemng und Koordinierung durch ein Rahmenprogramm der Gemeinschaft) zugewiesen. Ferner fiihrt die Kommission unter der Kontrolle des Rechnungshofs den Haushaltsplan der Gemeinschaft aus. Beide Organe verfolgen dabei das Ziel, eine wirtschaftUche Haushaltsfiihrung zu gewahrleisten. Auf der Grundlage des Jahresberichts des Rechnungshofs stimmt das Europaische Parlament iiber die Entlastung der Kommission fur die Durchfiihrung des Haushaltsplans ab. Die Kommission wacht als „Huterin der Vertrage" iiber die ordnungsgemaBe 23 Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten. Wird aus ihrer Sicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoBen, so ergreift sie die vom EGV vorgesehenen MaBnahmen. Beispielsweise geht sie gegen einen Mitgliedstaat vor, der eine Richtlinie nicht umgesetzt oder gegen Pflichten aus den Gemeinschaftsvertragen verstoBen hat. Wird der VerstoB auch im Verlauf des Priifungsverfahrens durch die Kommission nicht abgestellt, so muss diese den Gerichtshof anrufen, der letzthch fiir die Auslegung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zustandig ist. So erhielt auch das Europaische Strafrecht durch ein von der Kommission gegen die Griechische Republik gefiihrtes Vertragsverletzungsverfahren wichtige Impulse, Deren Beamte waren gegen eine zum Nachteil des EG-Finanzhaushaltes begangene Abgabenhinterziehung nicht eingeschritten. Die Kommission sah hierin eine Verletzung der den Mitgliedstaaten gegeniiber der EG obliegenden Pflicht zu gemeinschaftstreuem Verhalten (Art. 10 EGV). Das Verfahren miindete in das beriihmte ,JVIais-Urteir' des EuGH^^ (§ 7 Rn. 27 ff.). Von besonderer praktischer Bedeutung ist auch die Aufgabe der Kommission, die Einhaltung der in Art. 8 1 85 EGV verankerten Wettbewerbsregeln zu iiberwachen und diese ggf. auf der Grundlage der am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen neuen Kartellverordnung Nr. 1/2003^° durch Einleitung eines Kartellverfahrens durchzusetzen. Dieses Verfahren kann in der Verhangung eines BuBgelds gegen Unternehmen miinden, die sich eines VerstoBes gegen Europaisches Kartellrecht schuldig gemacht haben^^. Die Rechtsetzungsvorschlage der Kommission beziehen sich auf die in den 24 Vertragen festgelegten Aufgabengebiete, darunter insbesondere Verkehr, Industrie, Sozialpolitik, Land wirtschaft, Umwelt, Energie, Regionalentwicklung, Handelsbeziehungen und Entwicklungszusammenarbeit. Nach dem Subsidiaritatsprinzip ergreift die Kommission nur dann Initiativen, wenn MaBnahmen in dem betreffenden Bereich auf Gemeinschaftsebene wirksamer erscheinen als MaBnahmen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. AuBerdem zielen diese Vorschlage auf die Wahrung der Interessen der Gemeinschaften und ihrer Biirger und nicht auf lander- oder bereichsspezifische Interessen ab. 19 20
EuGHE 1989, 2965. Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates v. 16. Dezember 2002 zur Durchfiihrung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABIEG 2003 Nr. L 1, S. 1); vgl. hierzu Bartosch, EuZW 2001, 101; Bechtold, BB 2000, 2425; Fikentscher, WuW 2001, 446; Wesseling, ELR 26 (2001), 357; Weyer, ZHR 164 (2000), 611. Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 16. Kap. Rn. 164 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten der Kommission 25 Im Mittelpunkt der strafrechtsrelevanten Aktivitaten der Kommission steht seit jeher der Schutz der finanziellen Interessen der EG - nach Art. 280 I EGV ein zentrales Feld der Gemeinschaftspolitik (vgl. hierzu § 14). Die Kommission sorgt nicht nur dafiir, dass die vorhandenen Handlungsinstrumente zum strafrechtlichen Schutz von Gemeinschaftsinteressen (namentlich EG-Finanzinteressen) und zur Durchsetzung der Gemeinschaftspolitiken konsequent genutzt werden. Dariiber hinaus arbeitet sie in den letzten Jahren verstarkt daran, den strafrechtlichen Schutzstandard zugunsten der EG auszubauen. Diese Arbeit auBert sich in konkreten Vorschlagen der Kommission fur den Erlass von Rechtsakten, die zu einer effektiveren Bekampfung strafwiirdiger VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht fiihren sollen. Beispiele hierfiir bilden: -
(Erster) Vorschlag fiir den Erlass einer Richtlinie zur Bekampfung der Geldwasche in den Mitgliedstaaten v. 23. Marz 1990^2 (§ 8 Rn. 9), Vorschlag fiir den Erlass einer Richtlinie liber den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft^^ (§8 Rn. 57), (Erster) Vorschlag fiir den Erlass einer Verordnung liber die Einflihrung des Euro V. 18. Dezember 1996^4 (§ 8 Rn. 16), Vorschlag fiir den Erlass einer Richtlinie des Rates zur Entschadigung fiir Opfer von Straftaten^^, Vorschlag fur den Erlass einer Richtlinie liber den strafrechtlichen Schutz der Umwelt26 (§ 8 Rn. 23 ff.) Vorschlag fur eine geanderte Richtlinie liber strafrechtliche MaBnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums^'' (§ 8 Rn. 50; § 11 Rn. 86).
26 In jungster Zeit hat die Kommission in einem Griinbuch zum strafrechtlichen Schutz der Onanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft^® eine neue kriminalpolitische Konzeption zur strafrechtlichen Bekampfung von Betrligereien zu Lasten des Gemeinschaftshaushaltes entwickelt (§ 14 Rn. 37). Seit jeher vertritt das EGExekutivorgan die Rechtsauffassung, dass der EGV auch strafrechtliche Anweisungskompetenzen beinhalte, welche die EG mit der Befugnis ausstatten wlirden, durch Sekundarrechtsdirektiven die inhaltliche Ausgestaltung mitgliedstaatlicher
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Vorschlag fiir eine Richtlinie des Rates zur Verhindemng der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche; ABIEG 1990 Nr. C 106, S. 6. KOM (2001) 272 endg. (ABIEG 2001 Nr. C 240 E, S. 125). Vgl. Vorschlag fur eine Verordnung (EG) des Rates iiber die Einflihrung des Euro V. 7. Dezember 1996; ABIEG 1996 Nr. C 369, S. 10. KOM (2002) 562 endg. Vgl. KOM (2001) 139 endg.; ABIEG 2001 Nr. C 180 E, S. 238; vgl. hierzu ausfuhrlich Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, passim. KOM (2006) 168 endg. KOM (2001) 715 endg., vgl. auch die Foliow-up-Mitteilung der Kommission V. 19. Marz 2003 KOM (2003) 128 endg.
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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Strafnormen auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite festzulegen (§ 8 Rn. 7). Hierbei stieB die Kommission jedoch regelmaBig auf den politischen Widerstand der im Rat vertretenen Mitgliedstaaten, die gerade auf dem Gebiet des Strafrechts sehr auf die Wahrung ihrer nationalen Souveranitat bedacht sind. In dem mit Spannung erwarteten Urteil des EuGH v. 13. September 2005 setzte sich die Kommission in dem intra-institutionellen Konflikt beziiglich der strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG durch. Der Gerichthof schloss sich dem Vorbringen der Kommission an und erklarte den Rahmenbeschluss iiber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht fiir nichtig^^ (§ 8 Rn. 27). Mit der Tragweite und den Folgen dieses Urteils, insbesondere mit dessen Auswirkungen auf bereits verabschiedete und vorgeschlagene Rechtsakte, befasst sich die Kommission in ihrer Mitteilung an das EP und den Rat v. 24. November 2005^°. Auch im Rahmen der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in 27 Strafsachen (PJZS) nach Titel VI des Unionsvertrages (Art. 29-42 EUV), die auch als „dritte Saule der EU" bezeichnet wird (§ 5 Rn. 69 ff.) entfaltet die Kommission vielfaltige Aktivitaten, um an der Verwirklichung des Unionsziels des Aufbaus eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mitzuwirken (§11 Rn. 1; § 12 Rn. 1). Ein entsprechendes Initiativrecht der Kommission ergibt sich aus Art. 34 II S. 2 EUV. Beispiele hierfiir bilden: - Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekampfung der organisierten Kriminalitat^^ (§ 11 Rn. 11), - Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekampfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit^^ (§11 Rn. 136), - Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates iiber die Europaische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstiicken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren^s (§ 12 Rn. 9), - Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates iiber bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europaischen Union^"^ (§12 Rn. 50), - Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Beriicksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der EU ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren^s (§ 12 Rn. 51).
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E u G H E u Z W 2005, 632 ff. = J Z 2006, 307 ff. = ZIS 2006, 179 ff. = E W S 2 0 0 5 , 454. K O M (2005) 583 endg. K O M (2005) 6 endg. K O M (2001) 664 endg. K O M (2003) 688 endg.; vgl. hierzu Esser, Z E u S 2004, 290, 301 ff; Glefi, StV 2004, 679 ff KOM (2004) 328 endg. KOM (2005) 91 endg.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
d) Europaisches Amt fur Betrugsbekampfung (OLAF) 28 Die strafrechtliche Bekampfung der Kriminalitat zum Nachteil der EGFinanzinteressen ist eine von den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft arbeitsteilig wahrzunehmende Aufgabe (vgl. Art. 280 I-III EGV). Bereits im Jahre 1988 hat die Kommission zu diesem Zweck auf der Grundlage von Art. 209 a EGV a. F. eine Task Force zur Bekampfung von Betriigereien zu Lasten der Gemeinschaft eingerichtet, die Unite de Coordination de la Lutte Anti-Fraude (UCLAF), eine zentrale Koordinierungsstelle innerhalb der Kommission. Diese wurde am 1. Juni 1999 durch die Nachfolgeorganisation Office de la Lutte Anti-Fraude (OLAF) abgelost^e. 29 UCLAF hatte die Aufgabe, die Aktivitaten der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Betrugsbekampfung zu koordinieren, die Kommission in diesem Bereich zu vertreten sowie eine eigene Betrugsbekampfungspolitik der Gemeinschaft zu entwickeln und durchzuflihren. Die operative Tatigkeit der UCLAF-Kontrolleure konzentrierte sich im Wesentlichen auf Ermittlungen auBerhalb der Kommission, vorrangig in mitgliedstaatlichen Wirtschaftsunternehmen. Wenn sich nach der Durchfiihrung von Kontrollen Anhaltspunkte fiir das Vorliegen strafrechtlich relevanter Sachverhalte ergaben, konnten die KontroUeure die mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsorgane auffordern, Ermittlungen durchzuflihren. Die Verfolgung von Betriigereien mit grenziiberschreitender Dimension unterstiitzte UCLAF durch Koordinierung der Ermittlungen. Stets war UCLAF jedoch auf die Kooperationsbereitschaft der nationalen Ermittlungsbehorden angewiesen. Eigene strafprozessuale Ermittlungsbefugnisse erhielt UCLAF erst durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2185/96 des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Uberpriifung vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen UnregelmaBigkeiten^^. Hierzu gehorte das Recht, zum Zwecke der Beweissammlung Unterlagen zu kopieren (nicht zu beschlagnahmen) sowie in begriindeten Verdachtsfallen Raumlichkeiten und Grundstiicke zu betreten. Dabei waren die KontroUeure an das Verfahrensrecht des jeweiligen Mitgliedstaates gebunden, auf dessen Hoheitsgebiet sie agierten. Die von UCLAF gesammelten Beweise durften in von diesen Staaten durchgefiihrten Strafverfahren verwertet werden. 30 Eine Rechtsgrundlage fur die Vornahme kommissionsinterner Ermittlungen wurde erst im Jahre 1998 geschaffen^^. Finer wirksamen Durchfiihrung interner Untersuchungen stand jedoch die fehlende Unabhangigkeit von UCLAF, die selbst
36
V. Bubnojf, ZEuS 2002, 185, 196 ff.; Dannecker, Wirtschafts- u n d Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 198 ff.; Degenhardt, Europol, S. 295 ff.; Glefi, E u Z W 1999, 618 ff.; Hetzer, KriminaHstik 2005, 4 1 9 ff.; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 9 5 ; Kuhl/Spitzer, EuR 2000, 671 ff; Ligeti, Strafrecht in der E U , S. 198 ff.; Mager, ZEuS 2000, 177 ff; Tschanett, Wirtschafts- u n d Steuerstrafrecht, 29. Kap. Rn. 4 2 .
37 3^
ABIEG 1996 Nr. L 292, S. 2. Dannecker, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 199; Glefi, EuZW 1999, 618, 619; Hetzer, Kriminalistik 2005, 419, 420.
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in die hierarchische Stmktur der Kommission eingebunden war, entgegen^^ - was einer der maBgehlichen Griinde fiir die Ablosung von UCLAF durch OLAF war'^^. Mit der Schaffung dieser supranationalen Betrugsbekampfungsbehorde, deren Befugnisse neben der externen auch die gemeinschaftsinterne administrative Betrugsaufklarung umfasst, ist eine neue Ara in der gemeinschaftsrechdichen Betrugsbekampfung angebrochen"^^. OLAF ist zum einen mit der Durchfiihrung von Verwaltungsuntersuchungen beauftragt, die der Bekampfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften dienen. Zum anderen unterstiitzt und koordiniert OLAF die mitgliedstaatlichen MaBnahmen der Betrugsbekampfung. Zwar ist OLAF organisatorisch der Kommission zuzurechnen"^^. Anders als seine Vorgangerinstitution verfiigt OLAF jedoch iiber weitreichende Befugnisse und Entscheidungsautonomie^^: OLAF ermittelt betrugsrelevante Sachverhalte in voUer Unabhangigkeit, also 31 ohne an Weisungen der Kommission gebunden zu sein (in Form eines sog. „gemeinschaftsunmittelbaren Vollzugs") und vermag durch die Weitergabe seiner Ermittlungsergebnisse StrafverfolgungsmaBnahmen auf mitgliedstaatlicher Ebene auszulosen"^"^. Die mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehorden entscheiden nach pflichtgemaBer LFberprlifung des von OLAF iibermittelten Beweismaterials iiber eine Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen. Auch sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, der EG kontinuierlich Bericht zu erstatten iiber finanzielle UnregelmaBigkeiten und Betriigereien, die Gegenstand einer ersten amtlichen oder gerichtlichen Feststellung gewesen sind. Um den OLAF-Kontrolleuren eine ordnungsgemaBe Auswertung der mitgeteilten Informationen zu ermoglichen, wurde in den einschlagigen Gemeinschaftsvorschriften im Einzelnen festgelegt, welche Informationen zu iibermitteln sind. Dazu gehort u. a. die Angabe der Vorschrift, gegen die verstoBen wurde, das Schadensvolumen, die beim Begehen der UnregelmaBigkeit angewandten Praktiken sowie Informationen iiber hieran beteiligte natlirliche oder juristische Personen. Die Befugnisse von OLAF bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben richten sich 32 nach den im Wesentlichen auf Art. 280 IV EGV gestiitzten Verordnungen (EG) Nr. 1073/99 des Europaischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999"^^ sowie der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/99 des Rates vom 25. Mai 1999"^^ Da OLAF vorrangig zur Verbesserung der gemeinschaftsinternen KontroUmoglich39 Vgl. den Sonderbericht des Rechnungshofes Nr. 8/98; ABIEG 1998 Nr. C 230, S. 1 ff., 20 ff. "^^ Beschluss der Kommission v. 28. April 1999 zur Errichtung des Europaischen Amies fur Betrugsbekampfung (OLAF); ABIEG 1999 Nr. L 136, S. 20. 41 Glefi, EuZW 1999, 618, 621; Haus, EuZW 2000, 745 ff; Hetzer, Kriminahstik 2005, 419, 421; ^^r^., ZfZ 2005, 185, 189 ff 42 43 44 45 46
Kuhl/Spitzer, E u R 2000, 6 7 1 , 673 ff V. Bubnoff, ZEuS 2002, 185, 196, 199; Haus, E u Z W 2000, 745, 747 ff V. Bubnoff, ZEuS 2002, 185, 200 ff A B I E G 1999 Nr. L 136, S. 1 ff A B I E G 1999 Nr. L 136, S. 8 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
keiten geschaffen wurde, lassen die genannten Verordnungen die Vorgaben fiir die Durchfiihrung von externen Ermittlungen praktisch unangetastet. Es bleibt dabei, dass die von den Kontrolleuren gesammelten Beweismittel in nationalen Strafverfahren gerichtsverwertbar sind. Neu ist, dass die Untersuchungen von OLAF nicht mehr von der Konmiission, sondern unter der Verantwortung eines weisungsunabhangigen Direktors durchgefiihrt werden'^''. Eine gmndlegende Innovation stellt auch die Umsetzung des Art. 280 EGV in konkrete Aufgabenbeschreibungen fiir OLAF dar. Bedeutsame Anderungen ergeben sich vor allem im Bereich der gemeinschaftsinternen Betrugsbekampfung"^^. So erhalten die OLAF-Kontolleure ohne Voranmeldung unverziiglich Zugang zu samtlichen Informationen und Raumlichkeiten der Gemeinschaftsorgane, Einrichtungen, Amter und Agenturen, um deren Rechnungsfiihrung iiberpriifen zu konnen. In seinem Urteil v. 26. Februar 2002 hat der EuGH festgestellt, dass OLAF auch bei den MitgHedern des Europaischen Parlaments Durchsuchungen zu Kontrollzwecken vornehmen darf, soweit hierdurch die Immunitat der Parlamentarier nicht beeintrachtigt wird^^. 33 Die KontroUe der Tatigkeit von OLAF obliegt einem auf Art. 11 VO (EG) Nr. 1073/99 bzw. VO (Euratom) 1074/99 basierenden tJberwachungsausschuss, der sich aus ftinf Personlichkeiten zusammensetzt, die in ihren Landern die Voraussetzungen erfiillen, um hochrangige Aufgaben in Zusammenhang mit dem Tatigkeitsbereich des Amtes wahrzunehmen. Sie werden vom Parlament, dem Rat und der Kommission im gegenseitigen Einvernehmen fiir eine Zeit von drei Jahren ernannt. AUein von diesen fiinf Personen hangt es ab, wie gut die „Kontrolle der Kontrolleure" funktioniert oder ob diese Kontrollkonzeption neu iiberdacht werden muss^°. Bedenklich muss das weitgehende Fehlen ausformulierter Rechte der Personen stimmen, die von dem gemeinschaftsrechtlichen Betrugsvorermittlungsverfahren betroffen sind^^ Hier sollte in absehbarer Zeit eine Nachbesserung erfolgen^^. 3. Europaisches Parlament a) Allgemeines 34 Das Europaische Parlament (EP) fungiert als demokratisches Reprasentativorgan, welches die Volker der Mitgliedstaaten vertritt (Art. 1 8 9 - 2 0 1 EGV). Die Urspriinge des EP reichen in die 1950er Jahre zuriick, jedoch wurde es erst 1979 erstmals von alien Biirgern der Mitgliedstaaten in allgemeiner Wahl gewahlt. Im Zuge einiger Reformen wurde der Aufgabenkreis des EP als Organ der demokratischen Kontrolle auf Gemeinschaftsebene sukzessive erweitert. Das EP tagt in al-
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Glefi, EuZW 1999, 618, 619; Hetzer, Kriminalistik 2005, 419, 420; ders., TIL 2005, 185, 188 ff. Glefi, EuZW 1999, 618, 619; Eetzer, Kriminalistik 2005, 419, 420; ders., TIL 2005, 185, 188 ff. EuGH Rs T-17/00 v. 26. Februar 2002 („Rothley/Parlament"). G/^j5, E u Z W 1999, 618, 620 f Glefi, E u Z W 1999, 618, 620 f Vgl. hierzu Eetzer, Kriminahstik 2005, 419, 421 ff; ders., TfL 2005, 185, 190 ff
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len drei „europaischen Hauptstadten" - StraBburg, Briissel und Luxemburg. Jedoch finden die Plenartagungen, zu denen alle Abgeordneten zusammenkommen, in StraBburg - dem Sitz des Parlaments - statt. Die parlamentarischen Ausschiisse tagen in Briissel, wahrend das Generalsekretariat in Luxemburg angesiedelt ist. Dieser aufwandige „Wanderzirkus" ist weniger dem EP anzulasten als den beteiligten Mitgliedstaaten, die darum ringen, moglichst viel Prasenz der Gemeinschaftsorgane auf ihrem Staatsgebiet zu erhaschen. Das Parlament wird alle fiinf Jahre gewahlt und besteht seit der EU-Erweiterung am 1. Januar 2007 aus 785 Abgeordneten, die sich zu landeriibergreifenden Fraktionen zusammengeschlossen haben. Diese reprasentieren die in den Mitgliedstaaten der Union vertretenen groBen politischen Richtungen. b) Aufgaben des Europaischen Parlaments Das EP hat im Wesentlichen die folgenden Aufgaben^^: -
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Ausubung demokratischer Kontrolle iiber die Gemeinschaftsorgane, Ausubung von (mit dem Rat geteilter) gesetzgebender Gewalt, Mitwirkung bei der Verabschiedung des Haushalts, Zustimmung bei bestimmten volkerrechtlichen Vertragen, Zustimmung zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten, Zustimmung zur Benennung neuer Kommissionsmitglieder.
Das EP iibt durcii sein Zustimmungsvotum eine demokratische Kontrolle iiber die 36 Kommission, die Ernennung des Prasidenten und der Kommissionsmitglieder aus. Auch nach ihrem Amtsantritt ist die Kommission dem EP gegeniiber politisch verantwortlich, das ihr das Misstrauen aussprechen und sie so zum Rucktritt zwingen kann. Im Allgemeinen iibt das EP seine Kontrolle durch die regelmaBige Priifung der Berichte aus, die ihm von der Kommission vorgelegt werden. Dariiber hinaus richten die Abgeordneten regelmaBig schriftliche oder miindliche Anfragen an die Kommission. Die Mitglieder der Kommission nehmen an den Plenartagungen des Parlaments und an den Sitzungen der parlamentarischen Ausschiisse teil, was einen standigen Dialog beider Organe ermoglicht. Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich auch auf den Rat. Die Abgeordneten richten regelmaBig schriftliche oder miindliche Anfragen an den Prasidenten des Rates, der an den Plenartagungen und an wichtigen Debatten teilnimmt. Auf einigen Gebieten wie z. B. der gemeinsamen AuBen- und Sicherheitspoli- 37 tik, der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit so wie in Fragen von gemeinsamem Interesse - Asylpolitik, Einwanderung, Bekampfung von Drogensucht, Internationale Betrugs- und Verbrechensbekampfung - hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen EP und Rat entwickelt. Zu diesen Fragen wird das EP regelmaBig vom Prasidenten des Rates informiert. SchlieBlich wird der Prasident des EP zur Eroffnung jeder Tagung des Rates eingeladen, wo er die Standpunkte und Anliegen des Parlaments in Bezug auf aktuelle Probleme und Themen, die auf Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 256 ff.; Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 80 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 309 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
der Tagesordnung des Europaischen Rates stehen, zur Sprache bringen kann. Die Priifung der von Biirgern eingereichten Petitionen und die Einsetzung nichtstandiger Untersuchungsausschiisse bilden weitere KontroUmoglichkeiten des EP. 38 Das EP ist mit dem Rat an der Ausarbeitung und Annahme der Rechtsvorschriften beteiligt, die von der Konunission vorgeschlagen werden. Am haufigsten gelangt das Mitentscheidungsverfahren (Art. 251 EGV) zur Anwendung. In diesem Verfahren sind das EP und der Rat einander gleichgestellt. Sie erlassen gemeinsame Rechtsakte des Rates und des Parlaments. Konnen sich beide Organe nicht einigen, so wird ein Vermittlungsausschuss einberufen, der einen Kompromissvorschlag ausarbeitet. Billigt der Vermittlungsausschuss keine gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen (Art. 251 VI EGV). Das Mitentscheidungsverfahren kommt insbesondere in folgenden Bereichen zur Anwendung: Freiziigigkeit der Arbeitnehmer, Vollendung des Binnenmarkts, Forschung und technologische Entwicklung, Umwelt, Verbraucherschutz, Bildung, Kultur und Gesundheit. AuBerdem ist die Zustimmung des Parlaments unerlasslich, wenn es um besonders wichtige politische oder institutionelle Fragen geht, wie z. B. um den Beitritt neuer Mitgliedstaaten, den Abschluss von Assoziierungsabkommen mit Drittstaaten oder von internationalen Ubereinkommen, das Verfahren der Wahlen zum EP, das Aufenthaltsrecht der Unionsbiirger sowie um die Aufgaben und Befugnisse der Europaischen Zentralbank (EZB). 39 Mit der Einfiihrung des Mitentscheidungsverfahrens durch den Vertrag von Maastricht (1992) und dessen Ausweitung durch den Vertag von Amsterdam (1997) wurde das Gewicht des EP im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsverfahrens zweifellos gestarkt. Gleichwohl ist das EP nicht im gleichen Umfang wie die mitgliedstaatlichen Parlamente in der Lage, demokratische Legitimation zu vermitteln. Das Hauptrechtsetzungsorgan der EG ist nach wie vor der aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammengesetzte Rat, welcher der Exekutive zuzurechnen ist. Insbesondere fehlt dem EP das Initiativrecht und somit die wesentliche konstruktive Gestaltungsmoglichkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung. Im Mitentscheidungsverfahren kann das EP den Erlass eines Rechtsaktes zwar verhindern, aber nicht erzwingen. Soweit nicht das Mitentscheidungs-, sondern lediglich das Anhorungs-, Zusammenarbeits- oder Zustimmungsverfahren vorgesehen ist, verfiigt das EP nicht einmal iiber diese „destruktive" Gestaltungsmacht. Dass somit der Rat in einigen Bereichen ohne das EP, das EP aber niemals ohne den Rat Recht setzen kann, bestatigt das nach wie vor bestehende Demokratiedefizit auf Gemeinschaftsebene^^. Damit stoBen auch etwaige Plane fiir die Schaffung supranationaler Strafgesetze („Gemeinschaftsstrafrecht") auf gemeinschaftsverfassungsrechtliche Grenzen. Solange das EP nicht zu einem echten Legislativorgan ausgebaut ist, bestehen erhebliche Zweifel an der Existenz einer fiir die supranationale Strafgesetzgebung ausreichenden demokratischen Legitima-
Vgl. hierzu Deutscher, Kompetenzen, S. 317 ff.; Everling, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europaisches Verfasungsrecht, S. 866; Klein, in: Remmers-FS, 1994 S. 195; Satzger, Europaisiemng, S. 122 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 281 ff
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tion^^. Die Klamng dieses Gmndsatzproblems hangt freilich von der umstrittenen Vorfrage ab, wie man den Satz „nullum crimen sine lege parlamentaria" - nach h. M. ein allgemeiner Rechtsgmndsatz des Gemeinschaftsrechts - materiell ausfiillt^e. c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Europaischen Parlaments Mangels Initiativrechts im Bereich der Gemeinschaftsrechtsetzung ist es dem EP 40 nicht moglich, supranationale Strafgesetze in Verordnungsform in das gemeinschafdiche Rechtsetzungsverfahren einzubringen. Das EP hat sich aber immer wieder in Form von EntschlieBungen zu Fragen der Kriminalpolitik, insbesondere zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EG geauBert. Dabei geht das EP - wie die Kommission - von einer strafrechdichen Anweisungsbefugnis der EG aus. Exemplarisch ist hinzuweisen auf: - EntschlieBung des EP v. 7. Marz 1977 zum Verhaltnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Strafrecht^'', - EntschlieBung des EP v. 16. Marz 1984 zur Anwendung des Grundsatzes „Ne bis in idem" innerhalb der EG^^, - EntschlieBung des EP v. 24. Oktober 1991 zum rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaft^^, - EntschlieBung des EP v. 24. Januar 1994 zur Bekampfung der Betriigereien im internationalen MaBstab^°, - EntschlieBung des EP v. 6. April 1998 zur justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der Europaischen Union^\ - EntschlieBung des EP v. 17. Mai 2001 zu der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europaische Parlament zur gegenseitigen Anerkennung von Endentscheidungen in Strafsachen^^, - EntschlieBung des EP v. 31. Marz 2004 zur Europaischen Beweisanordnung^^ - EntschlieBung des EP v. 8. Mai 2006 iiber die Folgen des Urteils des Gerichtshofs V. 13. September 2005 (Rs. C-176/03, Kommission/Rat)^^
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Vgl. hierzu mch Albrecht/Braum, KHtV 1998, 460, 471; Hilgendorf, in: FS 600 Jahre Wtirzburger Juristenfakultat, 2002, S. 333, 341; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 29 ff., 36 ff.; LUderssen, GA 2003, 71, 84; Vogel, GA 2002, 517, 525; Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 800; ders., StV 2001, 62, 67. Vgl. hierzu Bose, GA 2006, 211, 216 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 128 ff m. w. N. ABIEG 1977 Nr.C 57,8. 55. ABIEG 1984 Nr. C 104, S. 133. A B I E G 1991 Nr. C 305, S. 106. A B I E G 1994 Nr. C 20, S. 185. A B I E G 1998 Nr. C 104, S. 267. Vgl. K O M (2000) 495 endg. A B I E G 2004 Nr. C 103, S. 658. Sitzungsdokument A6-0172/2006.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
4. Europaischer
Gerichtshof
a) Allgemeines 41 Der Europaische Gerichtshof (EuGH) fungiert als gemeinsames Rechtsprechungsorgan aller Gemeinschaften (vgl. hierzu Art. 220-245 EGV)^^. Seine Aufgabe ist es, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Vertrage zu sichern. Von seiner Griindung im Jahre 1952 bis zum heutigen Tag ist der Gerichtshof mit mehr als 10.000 Rechtssachen befasst worden^^. Um diese Prozessflut bewaltigen und gleichzeitig den Rechtsschutz fiir die Burger verbessern zu konnen, wurde ihm durch Ratsbeschluss von 1988 das Gericht erster Instanz (EuG) beigeordnet. Dieses entscheidet in erster Instanz iiber bestimmte Rechtsstreitigkeiten, insbesondere iiber die Klagen von Einzelpersonen^'' und in Wettbewerbssachen. Sitz des Gerichtshofes ist Luxemburg. Aufgrund eines Ratsbeschlusses aus dem Jahre 1999 und einer Anderung der Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz konnen bestimmte Falle ohne besondere Komplexitat auch einem Einzelrichter iibertragen werden. 42 Dem EuGH gehoren nach der im Jahre 2007 erfolgten EU-Erweiterung 27 Richter an (Art. 221 I EGV). Dem Gerichtshof stehen acht Generalanwalte zur Seite, deren Aufgabe es ist, in voller Unparteilichkeit und Unabhangigkeit offentlich Schlussantrage zu den Rechtssachen, mit denen der Gerichtshof befasst ist, zu stellen und zu begriinden (Art. 222 II EGV). Die Richter und Generalanwalte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten in gegenseitigem Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt. Eine Wiederernennung ist zulassig. Alle drei Jahre findet eine teilweise Neubesetzung der Richteramter satt. Ernannt werden entweder hohe Richter oder sonst hervorragend befahigte Juristen, die jede Gewahr fiir Unabhangigkeit bieten. Der Gerichtshof und das Gericht wahlen jeweils aus ihrer Mitte einen Prasidenten fur die Dauer von drei Jahren. b) Aufgaben des Gerichthofes 43 Die zentralen Aufgaben des EuGH lassen sich wie folgt zusammenfassen: - Auslegung der Griindungsvertrage, - Fortbildung des Gemeinschaftsrechts, - KontroUe der Gemeinschaftsrechtsakte auf ihre Vereinbarkeit mit hoherrangigem Gemeinschaftsrecht, - KontroUe des Verhaltens der Mitgliedstaaten am MaBstab des Gemeinschaftsrechts, - Priifung der Giiltigkeit und Auslegung bestimmter Rechtsakte der dritten Saule (Art. 35EUV).
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Herdegen, Europarecht, § 8 Rn. 91 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 327 ff. Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 3 Rn. 1. Zu denken ist insbesondere an die Amtshaftungsklagen gem. Art. 235 EGV; vgl. hierzu Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 9 Rn. 1 ff
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Damit der Gerichtshof seinen Auftrag, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung 44 und Anwendung der Vertrage zu sichern, erfiillen kann, wurde er mit bestimmten Rechtsprechungsbefugnissen ausgestattet, die sowohl eine Reihe von Klagearten als auch das Verfahren flir den Erlass von Vorabentscheidungen betreffen^^. Die Entscheidungen des EuGH und des EuG werden in einer amtlichen Sammlung (Teil I: Entscheidungen des EuGH, Teil II: Entscheidungen des Gerichts erster Instanz) veroffentHcht. Im EGV/EUV sind die nachfolgend aufgefiihrten Klage- und Verfahrensarten vorgesehen: c) Klage- und Verfahrensarten aa) Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EGV; Art. 35 EUV) Das in der Praxis wohl wichtigste Verfahren vor dem Gerichtshof ist in Art. 234 45 EGV geregelt (ausfiihrhch hierzu § 6)^^. Danach entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung liber die Auslegung des EGV (Primarrecht), iiber die Giiltigkeit und die Auslegung der Handlungen der Gemeinschaftsorgane (Sekundarrecht) sowie iiber die Auslegung der Satzungen der durch den Rat geschaffenen Einrichtungen, soweit dies in diesen Satzungen vorgesehen ist. Wird eine derartige Frage dem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und halt dieses Gericht eine Entscheidung dariiber zum Erlass seines Urteils fiir erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen (Art. 234 II EGV). Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden konnen, sind zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet (Art. 234 III EGV). Die nationalen Gerichte miissen also prtifen, ob die Auslegung des Gemeinschaftsrechts fiir die konkrete Urteilsfindung entscheidungsrelevant ist. Der Gerichtshof entscheidet unmittelbar nur iiber die Auslegung oder die Giiltigkeit von Gemeinschaftsrecht. Daher ist die Frage nach der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht kein tauglicher Vorlagegegenstand. Es ist allein Sache der nationalen Gerichte, aus der Vorabentscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts die rechtlichen Schlussfolgerungen zur Gemeinschaftsrechtskonformitat des nationalen Rechts zu ziehen. Friiher beschrankte sich die Entscheidungskompetenz des EuGH nur auf die 46 Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Durch den Vertrag von Amsterdam aus dem Jahre 1997 wurde die Vorabentscheidungszustandigkeit des Gerichtshofs erweitert. Nach Art. 35 I EUV wird der EuGH in die Lage versetzt, iiber die Giiltigkeit und Auslegung von Rahmenbeschllissen, sonstigen Beschliissen und tJbereinkommen nach Titel VI des Unionsvertrages (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit) zu entscheiden. Dies gilt freilich nur fiir diejenigen Staaten, die - wie die Bundesrepublik Deutschland - von der gem. Art. 35 II EUV eroffneten Mog-
Vgl. hierzu Burgi, Europaischer Rechtsschutz, § 5 Rn. 1 ff Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 237 ff; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 171 ff; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 1 ff; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 53 ff; Satzger, Europaisierung, S. 658 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
lichkeit des „opt-in" Gebrauch gemacht haben^°. In der Bundesrepublik Deutschland ist das Zusammenwirken der nationalen Gerichte mit der supranationalen Gerichtsbarkeit mittlerweile durch das EuGHG^^ ausdriicklich geregelt worden. Nach § 1 I EuGHG kann jedes Gericht eine Vorabentscheidung des EuGH herbeifiihren, wenn die Auslegung eines in Art. 35 EUV genannten Ubereinkommens im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Letztinstanzliche Gerichte sind hierzu gem. § 1II EuGHG verpflichtet. bb) Vertragsverletzungsklagen (Art. 226 EGV) 47 Diese Klageart ermoglicht es dem Gerichtshof zu priifen, ob die Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind''^. Die Klage kann entweder von der Kommission - praktisch der Hauptanwendungsfall - oder von einem Mitgliedstaat erhoben werden. Jeder Mitgliedstaat muss sich dabei die VerstoBe seiner Organe zurechnen lassen, so dass sich die Klage immer gegen den Mitgliedstaat als solchen und nicht etwa gegen die nationale Behorde oder das Gericht richtet, dem eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts angelastet wird. Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Fragen kommt ein Vertragsverletzungsverfahren vor allem in Betracht, wenn es ein Mitgliedstaat versaumt hat, die erforderlichen Sanktionsgesetze zum Schutze der Rechtsgiiter und Interessen der EG zu erlassen^^. Anlass fiir die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage kann aber auch die gemeinschaftsrechtswidrige Auslegung oder Anwendung von innerstaatlichen Normen des Straf- und Strafverfahrensrechts sein. Dem Hauptverfahren vor dem EuGH ist ein obligatorisches Vorverfahren vorgeschaltet, an dessen Ende eine begriindete Stellungnahme der Kommission steht, in welcher der Mitgliedstaat (nochmals) unter Fristsetzung zur Beseitigung der Gemeinschaftsrechts verletzung aufgefordert wird. Kommt der Mitgliedstaat dieser Aufforderung nicht nach, „kann" die Kommission nach Art. 226 II EGV Klage erheben, wobei ihr Ermessensspielraum nach h. M. dergestalt beschrankt ist, dass von einer Klageerhebung nur bei Bagatellfallen oder aus Griinden wichtiger Gemeinschaftsopportunitat abgesehen werden darF^. Am Ende des Hauptverfahrens steht ein Feststellungsurteil, mit welchem der EuGH ausspricht, ob die geriigte Verletzung von Gemeinschaftsrecht vorliegt oder nicht. Stellt der Gerichtshof die behauptete Vertragsverletzung fest, so ist der betroffene Staat nach Art. 228 I EGV verpflichtet. Vgl. hierzu BOH NStZ 2002, 661 mit zust. Anm. v. Hecker, NStZ 2002, 663; OLG Koln NStZ 2001, 558, 560; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 252 ff; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 59, 73, 81. Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europaischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EUVertrages v. 6. August 1998, in Kraft getreten am 1. Mai 1999 (BGBl. 11998, 2035). Burgi, Europaischer Rechtsschutz, § 6 Rn. 1 ff.; HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 423 ff; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 25 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 656 ff Vgl. EuGHE 1989, 2965 ff = EuZW 1990, 99 („Griechischer Mais") mit Anm. v. Bleckmann, WuR 1991, 285 und Tiedemann, EuZW 1990, 100. Burgi, Europaischer Rechtsschutz, 2003, § 6 Rn. 24.
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sie unverziiglich abzustellen. Ergreift der Staat die sich aus dem Urteil des EuGH ergebenden MaBnahmen nicht, so kann die Kommission erneut den Gerichtshof anrufen, welcher gem. Art. 228 IIEGV sogar die Moglichkeit hat, ein Zwangsgeld gegen den saumigen Staat zu verhangen''^. Diese Zahlungsverpflichtung ist jedoch nicht zwangsweise durchsetzbar, sondern muss von dem verurteilten Mitgliedstaat „freiwinig" erfiillt werden. cc) Nichtigkeitsklagen (Art. 230 EGV) Mit diesen Klagen konnen Mitghedstaaten, Rat, Kommission und unter bestimm- 48 ten Voraussetzungen auch das Europaische Parlament die Nichtigerklarung von Rechtsakten der Gemeinschaft oder von Teilen dieser Rechtsakte beantragen''^. Natiirliche oder juristische Personen konnen die Nichtigerklarung von Rechtsakten fordern, die sie unmittelbar und individuell betreffen''''. Der Gerichtshof kann auf diese Weise die RechtmaBigkeit der Handlungen der Gemeinschaftsorgane iiberpriifen. Ist die Klage begriindet, so wird die angefochtene Handlung fiir nichtig erklart. dd) Untatigkeitsklagen (Art. 232 EGV) In Erganzung zu den Nichtigkeitsklagen betreffen die Untatigkeitsklagen einen 49 Unterfall der Vertragsverletzung durch die Gemeinschafsorgane''^. Ein Fall der Untatigkeit liegt vor, wenn das Europaische Parlament, der Rat oder die Kommission unter Verletzung des Vertrages keinen Beschluss fassen. Dann konnen die Mitgliedstaaten, die anderen Gemeinschaftsorgane und unter bestimmten Umstanden auch natiirliche oder juristische Personen den Gerichtshof anrufen, um die UnrechtmaBigkeit dieses Nichthandelns feststellen zu lassen. Obwohl der Wortlaut des Art. 232 EGV auf das Fehlen eines bestimmten Rechtsaktes (Verordnung, Richtlinie und Entscheidung) hindeutet, werden nach h. M. auch unverbindliche Rechtshandlungen miteinbezogen^^. d) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des EuGH Der EuGH hat durch eine autonome (von den Begrifflichkeiten der nationalen 50 Rechtsordnungen geloste) und dynamische - am „effet utile" (Wirksamkeitsprinzip) und an der „implied powers"-Doktrin ausgerichtete - Auslegung des EGV maBgeblichen Anteil an einer effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Zahlreiche Entscheidungen des EuGH betreffen das Verhaltnis zwischen Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Strafrecht. So hat der Gerichtshof eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG bejaht (§ 8 Rn. 27), den Grundsatz 75 76
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Vgl. hierzu EuGH EuZW 2000, 531. BurgU Europaischer Rechtsschutz, § 7 Rn. 1 ff.; HaratschlKoenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 442 ff; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 32ff Vgl. zum Rechtsschutz gegen EG-Verordnungen Rohl, JURA 2003, 830. Burgi, Europaischer Rechtsschutz, § 8 Rn. 1 ff.; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 470 ff; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 43. Burgi, Europaischer Rechtsschutz, § 8 Rn. 21; EU-Kommentar/^cAwarz^, Art. 232 EGV Rn. 10.
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des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Strafrecht herausgearbeitet (§ 9 Rn. 8) und ein Gebot zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationaler Strafbestimmungen statuiert (§ 10 Rn. 3 ff.). Aus Art. 10 EGV hat er das Assimiliemngsprinzip geformt, das zu einer Indienststellung (Funktionalisiemng) des nationalen Strafrechts zugunsten von Gemeinschaftsinteressen fiihrt (§ 7 Rn. 23 ff.). In einer Reihe von Urteilen betont der Gerichthof, dass die nationalen Strafgerichte zu einer das Gemeinschaftsrecht fordernden Ausgestaltung, Auslegung und Weiterentwicklung ihres nationalen Prozessrechts verpflichtet sind, um dessen Effektivitat innerstaatlich zu garantieren^°. Im Bereich des Unionsrechts hat er - gestiitzt auf die neue Zustandigkeitsbestimmung des Art. 35 I EUV - die Wirkweise von Rahmenbeschliissen als Instrument der PJZS weitgehend derjenigen von Richtlinien angeglichen (§ 10 Rn. 79 ff.) und das transnational Doppelbestrafungsverbot des Art. 54 SDU konkretisiert ( § 1 3 Rn. 31 ff.). Auf die Bedeutung und Funktion des Zusammenspiels zwischen EuGH und nationalen Gerichten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ein zentraler Faktor der Europaisierung des Strafrechts - wird an anderer Stelle noch ausfuhrlicher einzugehen sein (§6). 5. Europaischer Rechnungshof a) Allgemeines 51 Der Rechnungshof (Art. 246-248 EGV) nimmt die Rechnungspriifung wahr. Er wurde im Jahre 1975 im Zuge der Uberarbeitung der haushaltsrechtlichen Vertragsbestimmungen geschaffen und ist seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht (1. November 1993) ein vollwertiges Organ der EG^^ In der Folge des Vertrages von Amsterdam wurden im Jahre 1999 die Kontroll- und Untersuchungsbefugnisse des Rechnungshofs ausgedehnt, um eine wirksamere Bekampfung von Betriigereien und UnregelmaBigkeiten zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts zu ermoglichen. Sitz des Rechnungshofs ist Luxemburg. Der Rechnungshof besteht aus 25 Mitgliedern, die vom Rat nach Anhorung des Europaischen Parlaments einstimmig auf sechs Jahre ernannt werden. Die Mitglieder wahlen aus ihrer Mitte den Prasidenten des Rechnungshofs fiir drei Jahre. b) Aufgaben des Rechnungshofes 52 Die Hauptaufgabe des Rechnungshofes besteht darin, die wirtschaftliche Ausfiihrung des Haushaltsplans der Europaischen Union zu kontrollieren, also die RechtmaBigkeit und OrdnungsmaBigkeit der Einnahmen und Ausgaben zu prtifen. Er gewahrleistet ferner die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsfiihrung und tragt damit zur Wirksamkeit und Transparenz des Gemeinschaftssystems bei. Eine seiner Hauptaufgaben innerhalb des institutionellen Systems besteht darin, die Haushaltsbehorden (EP und Rat) zu unterstiitzen. Dies geschieht durch Vorlage eines jahrlichen Berichts, in dem er zum abgeschlossenen Haushaltsjahr Stellung nimmt. Dieser Bericht stellt eine entscheidende Grundlage fur den Beschluss des Vgl. nur EuGHE 1990, 2879; 2003, 3735. HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 279 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 337 a.
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Parlaments iiber die der Kommission zu erteilende Entlastung ftir ihre Haushaltsfiihrung dar. Des Weiteren legt er dem Rat und dem Parlament eine Erklarung iiber die Zuverlassigkeit der Rechnungsfiihrung vor, mit der eine allgemeine Gewahr fur die zweckentsprechende Verwendung des Geldes der europaischen Steuerzahler gegeben werden soil. Auch gibt der Rechnungshof Stellungnahmen ab, wenn finanzrelevante Regelungen erlassen werden sollen. Die Mitarbeiter des Rechnungshofs fiihren Priifbesuche bei anderen Organen, in den EG-Mitgliedstaaten und in alien Drittstaaten durch, die Gemeinschaftszuschiisse erhalten. c) Strafrechtsrelevante Aktivitaten des Rechnungshofs Die Priifer des Rechnungshofs kontroUieren die Belege der Rechnungsvorgange 53 und konnen auch Priifbesuche vor Ort bei den verwaltenden Stellen und den Begiinstigten der Gemeinschaftshilfen durchfiihren. Im Allgemeinen dauern diese Priifbesuche in den Mitgliedstaaten ein bis zwei Wochen und werden gemeinsam mit den nationalen Rechnungspriifungsorganen oder den zustandigen Behorden durchgefiihrt. Der Kontrollbericht muss samtliche Informationen beinhalten, die aus den Uberpriifungen hervorgegangen sind. Er muss insbesondere die in dem gepriiften nationalen oder lokalen System entdeckten Schwachstellen benennen, die festgestellten Fehler, UnregelmaBigkeiten und Betrugsdelikte aufzeigen und Vorschlage fiir das weitere Vorgehen enthalten. Der Rechnungshof besitzt keine eigenen Exekutivbefugnisse. Entdecken die Priifer Hinweise auf Betrugsfalle bzw. decken sie tatsachliche Betriigereien oder UnregelmaBigkeiten auf, werden die zustandigen Gemeinschaftsorgane hiervon so rasch wie moglich in Kenntnis gesetzt, damit diese die geeigneten MaBnahmen ergreifen konnen.
III. Rechtsquellen und Charakteristika der Gemeinschaftsrechtsordnung T. Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung Die Gemeinschaftsrechtsordnung beruht zwar auf einer volkervertragsrechtlichen 54 Grundlage, hat sich aber zu einer autonomen Rechtsordnung entwickelt^^. Entscheidend ist, dass die Mitgliedstaaten der EG Hoheitsrechte zugewiesen und den Gemeinschaftsorganen die Befugnis zu eigenstandiger Rechtsetzung iibertragen haben. Die EG verfiigt aber nicht iiber eine souverane Staatlichkeit mit unbegrenzter Rechtsetzungsgewalt. Vielmehr erfolgt die Kompetenzaufteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung (vgl. Art. 5 I, 7 I, 249 I EGV). Danach wird die EG nur innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tatig. Das Einzelermachtigungsprinzip legt fest, dass die EG-Organe fiir jeden Rechtsakt eine ausdriickliche oder zumindest im Wege der Auslegung nachweisbare Ermachtigungsgrundlage im EGV benotigen. Das Primarrecht (Rn. 59 f.) bildet mithin Grundlage und Rahmen der
EuGHE 1964, 1251, 1269; Satzger, Europaisierung, S. 36 ff.
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EG-Rechtsetzungsgewalt, steckt aber zugleich auch deren Grenzen ab^^. Nach Art. 5 EUV gilt dieses Prinzip fiir alle drei Saulen der EU. Hinweis: Der Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa halt fiir die Abgrenzung der Zustandigkeiten der neu zu griindenden Europaischen Union (Art. I-l I EU-Verfassung) ausdriicklich an dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung fest (Art. I-1II, II EU-Verfassung)84. Die zentralen Sachgebietskompetenzen der EG sind in Art. 3 I lit. a-u EGV zusammengefasst. Sie umfassen exemplarisch die Zustandigkeit fiir die Bereiche Zollunion, Freiheit des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs (Art. 3 I lit. a EGV), Binnenmarkt (Art. 3 I lit. c EGV), Landwirtschafts- und Fischereipolitik (Art. 3 1 lit. e EGV), Schutz des Wettbewerbs (Art. 3 I lit. g EGV), gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 3 I lit. f EGV), Umweltschutz (Art. 3 I lit. 1 EGV) sowie Gesundheits- und Verbraucherschutz (Art. 3 I lit. p und t EGV). Insgesamt steht den EG-Organen ein umfassendes, aus einzelnen Normen des EGV bestehendes Kompetenzmosaik zur Verfiigung. Nicht selten ergeben sich Gesetzgebungskompetenzen aus weit gefassten Vorgaben zur Aufgabenerfiillung bzw. zur Erreichung bestimmter Ziele (sog. finale Kompetenzzuweisungen). So konnen beispielsweise nach Art. 34 I 2 EGV alle zur Durchfiihrung der gemeinsamen Agrarpolitik erforderlichen MaBnahmen ergriffen oder gem. Art. 711 lit. d EGV alle zweckdienlichen Vorschriften zur Durchfiihrung einer gemeinsamen Verkehrspolitik erlassen werden. Eine sog. „Kompetenz-Kompetenz", also die Befugnis, die eigene Kompetenz zu erweitern, besitzt die EG aber nicht^^. Die umfassendsten und in der Praxis wichtigsten Einzelermachtigungen des EGV sind in Art. 94, 95 EGV niedergelegt. Diese Bestimmungen statten die EG mit der Befugnis aus, beliebige Sachbereiche zu regeln, soweit dies fiir die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich ist. Auch das mitgliedstaatliche Strafrecht ist von der in diesen Artikeln verankerten Harmonisierungskompetenz nicht ausgenommen^^. Zu beachten ist freilich, dass die Art. 94, 95 EGV lediglich eine Rechtsangleichungsbefugnis verleihen, die nicht mit einer Rechtsetzungskompetenz gleichgesetzt werden darf (Zur Frage, ob die EG iiber eine Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts verfiigt vgl. Rn. 72 ff.). Das Gemeinschaftsrecht beinhaltet das Recht der Europaischen Gemeinschaften, deren Organe seit langem fusioniert sind und die deshalb einheitlich handeln. Es stellt die sog. „erste Saule" in der Tempelarchitektur der durch den Vertrag von Maastricht (1992) geschaffenen Europaischen Union dar (Rn. 103). Neben EuGHE 1978, 1771, 1778; 1996, 1759; Haratsch/KoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 166 ff; Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 1 ff.; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 16, 62 ff; Streinz, Europarecht, Rn. 436; v. d. Groeben/Schwarze/ZM/^eg, Art. 5 Rn.2. Vgl. hierzu Wuermeling, EuR 2004, 216, 224. BVerfGE 75, 223, 242; 89, 155, 194; Deutscher, Kompetenzen, S. 204 f; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 166; Satzger, Europaisierung, S. 33. Dannecker, JURA 1998, 79, 81; Deutscher, Kompetenzen, S. 210 f; Dieblich, Rechtsgtiter der EG, S. 276; Satzger, Europaisierung, S. 419 ff, jew. m. w. N.
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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das Gemeinsehaftsrecht - und damit von der ersten Saule strikt zu trennen - treten als zweite Saule die gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik (GASP) und als dritte Saule die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Die Rechtsquellen der Gemeinschaftsrechtsordnung unterteilt man in primares und sekundares Gemeinsehaftsrecht^^.
2. Primares Gemeinsehaftsrecht An der Spitze der gemeinschaftsrechtlichen Normenhierarchie steht das primare 59 Gemeinsehaftsrecht, das die Griindungsvertrage der Europaischen Gemeinschaften einschlieBlich Anlagen, Anhange sowie ProtokoUe und Rechtsquellen gleichen Ranges umfasst. Alle primarrechtlichen Rechtsakte stehen auf derselben hierarchischen Ebene. Fiir ihr Verhaltnis untereinander gilt der Vorrang der lex posterior und der lex specialis. Das geschriebene Primarrecht wird erganzt durch ungeschriebenes Gemeinsehaftsrecht in Form allgemeiner Rechtsgrundsatze, deren Existenz von Art. 288 II EGV vorausgesetzt wird. Von herausragender Bedeutung ist die Ausformung allgemeiner Rechtsgrundsatze im Dienste eines gemeinschaftlichen Grundrechtsstandards durch die Rechtsprechung des EuGH^®. Grundlage hierftir bildet der Riickgriff auf die gemeinsamen Verfassungsiiberlieferungen der Mitgliedstaaten und die Gewahrleistungen der EMRK. Auch haben wichtige Grundsatze wie das allgemeine Willkiirverbot^^, VerhaltnismaBigkeitsprinzip^°, Vertrauensschutzprinzip^^ das Prinzip der Rechtssicherheit^^ und das Verbot der Mehrfachverfolgung derselben Tat^^ auf diese Weise Einzug in das Gemeinsehaftsrecht gehalten. Die Judikatur des EuGH ist nunmehr in Art. 6 II EUV festgeschrieben und bekraftigt worden. Das Primarrecht gilt in alien Mitgliedstaaten unmittelbar und genieBt gegen- 60 iiber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang, d. h., in gemeinschaftsrechtlich geregelten Bereichen werden nationale Regelungen verdrangt ( § 9 Rn. 8 ff.). Dem nationalen Recht wird damit nicht etwa (wie verfassungswidrigen Gesetzen in Deutschland) die Wirksamkeit abgesprochen - es ist lediglich unanwendbar. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts hat also zur Folge, dass nationale Behorden und Gerichte bei der Rechtsanwendung unmittelbar anwendbares Gemeinsehaftsrecht vollziehen und mit Gemeinsehaftsrecht unvereinbares nationales ^^ Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 323; Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 1; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 11; Streinz, Europarecht, Rn. 2. ^s EuGHE 1969, 419; 1979, 3727; 1980, 2033; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 379; Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 15 ff.; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 20 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 354 ff. 89 90 91 92 93
EuGHE EuGHE EuGHE EuGHE EuGHE nowsky,
1978,1991. 1979, 677. 1978, 169. 1983, 2633. 1966, 153, 178; 1984, 4177; Satzger, J Z 1994, 326, 334.
Europaisierung, S. 178, 6 8 6 ; Span-
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
(Straf)Recht unangewendet lassen miissen. Der Grundsatz des Anwendungsvorranges ist einer der zentralen Faktoren fiir die Europaisiemng des mitgliedstaatlichen Strafrechts. 3. Sekundares
Gemeinschaftsrecht
61 Das Sekundarrecht umfasst die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane, die aufgrund und nach MaBgabe der Gemeinschaftsvertrage erlassen worden sind. Die von den Griindungsvertragen abgeleiteten Sekundarrechtsakte werden im Wege unterschiedlicher Verfahren, die in einzelnen Vertragsartikeln festgelegt sind, erlassen. Wenn in Art. 249 I EGV bestimmt wird, dass die Gemeinschaftsorgane „nach MaBgaben dieses Vertrages" tatig werden, so kommt darin das bereits erwahnte Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung zum Ausdruck (Rn. 54). In Art. 249 II-V EGV sind die nachfolgend erlauterten Rechtsakte aufgefiihrt. a) Verordnungen (Art. 249 II EGV) 62 Verordnungen sind unmittelbar giiltig und in alien EU-Mitgliedstaaten rechtlich verbindlich, ohne dass es nationaler UmsetzungsmaBnahmen bediirfte. Damit ist die sog. „Durchgriffswirkung" der Verordnung und ihre unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten primarrechtlich festgeschrieben. Aufgrund ihrer abstrakt-generellen Regelungswirkung kommt dieser Form des Gemeinschaftsrechts Rechtssatzqualitat zu. Die Verordnung wird deshalb auch als „Europaisches Gesetz"^^ bezeichnet. Nach h. M. besteht keine Befugnis der Gemeinschaft, kriminalstrafrechtliche Regelungen im Wege einer Verordnung zu erlassen (Rn. 72 ff.). Ein Teil der Literatur bejaht indes eine aus Art. 280 IV S. 1 EGV abgeleitete bereichsspezifische - auf den Schutz der EG-Finanzinteressen beschrankte - Strafrechtsetzungskompetenz der EG (Rn. 98). 63 Hinweis: In dem Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa wird ein Gesetzgebungsakt der Europaischen Union, der allgemeine Geltung beansprucht, in alien seinen Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt, als „Europaisches Gesetz" bezeichnet (Art. 1-33 I S. 2 EU-Verfassung). Das Europaische Gesetz tritt mithin an die Stelle der EG-Verordnung. Der Durchfiihrung der Gesetzgebungsakte und bestimmter Einzelvorschriften der EU-Verfassung dient die „Europaische Verordnung", die von Art. 1-33 I S. 4 EU-Verfassung als „Rechtsakt mit allgemeiner Geltung ohne Gesetzescharakter" definiert wird. Sie kann entweder in alien ihren Teilen verbindlich sein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten oder fiir jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sein, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel iiberlassen. Die Europaische Verordnung tritt somit an die Stelle der EG-Durchfiihrungsverordnungen (Exekutivakte der Kommission) sowie der Durchfiihrungsbeschliisse des Rates gem. Art. 34 II c EUV.
Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 34; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 77.
A. Europaische Gemeinschaft (EG)
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b) Richtlinien (Art. 249 III EGV) Richtlinien binden die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die innerhalb einer be- 64 stimmten Frist zu erreichenden Ziele, iiberlassen den innerstaatlichen Stellen jedoch die Wahl der Form und Mittel, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen. Sie mils sen entsprechend den einzelstaatlichen Verfahren in nationales Recht umgesetzt werden. Art. 249 III EGV geht somit von einem zweistufigen Verfahren aus. Durch den Erlass der Richtlinie wird zunachst ein direktes Pflichtenverhaltnis zwischen der Gemeinscliaft und dem Mitgliedstaat als Richtlinienadressat hergestellt. In^ einem zweiten Schritt mils sen die Mitgliedstaaten durch nationale MaBnahmen dafiir sorgen, dass die inhaltlichen Zielvorgaben der Richtlinie effektiv umgesetzt werden^^. Die Umsetzung der Richtlinienvorgabe kann in Form eines nationalen Legislativaktes (Gesetz, Rechtsverordnung), aber auch im Wege einer richtlinienkonformen Interpretation bestehender innerstaatlicher Rechtsvorschriften erfolgen, soweit dies Rechtsdogmatik und nationales Verfassungsrecht zulassen (§ 10 Rn. 13 ff.). Auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist vermag die Richtlinie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (Art. 254 EGV) gewisse Rechtswirkungen zu entfalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH diirfen die Mitgliedstaaten wahrend der laufenden Umsetzungsfrist keine nationalen Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgegebenen Ziels in Frage zu stellen^^ (§ 10 Rn. 30 f.). Unter engen Voraussetzungen hat der EuGH eine j^Durchgriffswirkiing^^ auch 65 bei Richtlinien anerkannt^''. Danach kann eine den Burger begiinstigende Richtlinienbestimmung ausnahmsweise dann unmittelbar anwendbar sein, wenn sie trotz Fristablaufes nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde und von ihrem Inhalt her unbedingte und hinreichend bestimmte Vorgaben trifft, um im Einzelfall angewendet zu werden. Inhaltlich unbedingt ist die Richtlinie dann, wenn sie weder mit einem Vorbehalt noch mit einer Bedingung versehen ist. Hinreichend bestimmt ist die Richtlinie, wenn sie allgemein und unzweideutig bestimmte Vorgaben zum sachlichen Regelungsgehalt, zum geschiitzten Personenkreis und zu den durch die Regelungen verpflichteten Einrichtungen trifft. Der EuGH begriindet diese ausnahmsweise anzunehmende direkte Wirkung der Richtlinie mit dem Anliegen, den Normen des Gemeinschaftsrechts Geltung zu verschaffen (Gedanke des „effet utile")- AuBerdem soil verhindert werden, dass der Mitgliedstaat aus seiner Saumnis gegentiber dem von der Richtlinie Begiinstigten Vorteile zieht.
^^ Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 35 ff; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 88 ff; Scherzberg, JURA 1992, 572 ff 96 EuGHE 1997, 7411 (Rz. 50). 97 EuGHE 1974, 1337, 1349; 1979, 1629, 1641; 1982, 53, 71; 1983, 2727, 2744; 1986, 3855, 3875; 1989, 1839, 1870; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 14 ff; Gotz, NJW 1992, 1849, 1855; HaratschlKoenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 339 ff; Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 44 ff; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 92; Scherzberg, JURA 1993, 225, 226; Schroder, Richtlinien, S. 9 ff; Skouris, ZEuS 2005, 463, 469 ff Die Rspr. des EuGH wird von BVerfGE 75, 223 ff im Grundsatz als zulassige Rechtsfortbildung gebilligt.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
Eine unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien im Verhaltnis Privater untereinander (horizontale Wirkung) lehnt der EuGH aber ab^^. . 66 Hinweis: In dem Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa wird ein Gesetzgebungsakt der Union, der fiir jeden Mitgliedstaat, an den er gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel iiberlasst, als „Europaisches Rahmengesetz" bezeichnet (Art. 1-33 I S. 3 EU-Verfassung). Das Europaische Rahmengesetz tritt somit an die Stelle der EG-Richtlinie und des Rahmenbeschlusses (Art. 34 II b EUV). c) Entscheidungen (Art. 249 IV EGV) 67 Entscheidungen sind als konkret-individuelle Regelungen - vergleichbar einem deutschen Verwaltungsakt bzw. einer Allgemeinverfiigung - fiir die Empfanger rechtlich verbindlich. Sie bediirfen daher keiner Umsetzung durch nationale Rechtsakte. Entscheidungen werden in der Regel von der Kommission erlassen und konnen an Mitgliedstaaten, Unternehmen oder Einzelpersonen gerichtet sein. 68 Hinweis: An die Stelle der Entscheidung soil nach Art. 1-33 I S. 5 EUVerfassung der ^Europaische Beschluss" treten, der als ein in alien seinen Teilen verbindlicher Rechtsakt ohne Gesetzescharakter definiert wird. Ist er an bestimmte Adressaten gerichtet, so ist er nur fiir diese verbindlich. d) Empfehlungen und Stellungnahmen (Art. 249 V EGV) 69 Empfehlungen und Stellungnahmen sind zwar gem. Art. 249 V EGV nicht verbindlich. Sie entfalten aber eine mittelbare Rechtswirkung insofern, als sie bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht durch nationale Gerichte und Behorden zu beachten sind^^. 70 Hinweis: Empfehlungen und Stellungnahmen der Organe leben als Rechtsakte der Union auch nach Inkrafttreten des Vertrages iiber eine Verfassung fiir Europa fort. Die Regelung des Art. 249 V EGV wird von Art. 1-33 I S. 6 EUVerfassung iibernommen. e) Sonstige Rechtsakte („ungekennzeichnete Rechtshandlungen") 71 Als sog. „ungekennzeichnete Rechtshandlungen" oder „Akte sui generis" bezeichnet man solche Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane, die auBerhalb des in Art. 249 EGV normierten Handlungskanons liegen^°°. Zu denken ist insbesondere an Beschliisse, EntschlieBungen, Aktionen oder Programme. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Organisations- und Gestaltungsakte, Absichtsoder Selbstverpflichtungserklarungen. Rechte und Pflichten fiir auBerhalb der EGOrgane stehende Personen werden durch diese Akte nicht begriindet.
9^ EuGHE 1986, 723; 1994, 3325; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 343. 99 EuGHE 1989, 4407. 100 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 352; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 105.
B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung
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IV. Literaturhinweise von Bubnoff, Institutionelle Kriminalitatsbekampfiing in der EU - Schritte auf dem Weg zu einem europaischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsraum, ZEuS 2002, 185 Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europaischen Union, 2. Aufl., 2003, §§ 5-8 Deutscher, Die Kompetenzen der Europaischen Gemeinschaften zur originaren Strafgesetzgebung, 2000, S. 7-33. Glefi, Das Europaische Amt fur Betrugsbekampfung (OLAF), EuZW 1999, 618 Haus, OLAF - Neues zur Betrugsbekampfung in der EU, EuZW 2000, 745 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 5. Aufl., 2006, 3. Kapitel Herdegen, Europarecht, 8. Aufl., 2006, §§ 4, 6, 8-9 Hetzer, Schutz der fmanziellen Interessen der Europaischen Union - Aufgaben und Befugnisse des Europaischen Amtes fiir Betrugsbekampfung (OLAF), Kriminalistik 2005, 419 Mager, Das Europaische Amt fiir Betrugsbekampfung (OLAF) - Rechtsgmndlagen seiner Errichtung und Grenzen seiner Befugnisse, ZeuS 2000, 177 Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., 2005, §§4-6 Kuhl/Spitzer, Das Europaische Amt fiir Betrugsbekampfung (OLAF), EuR 2000, 671 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 15-56 Streinz, Europarecht, 6. Aufl., 2003, §§ 3-6
V. Rechtsprechungshinweise EuGHE 1964, 1254 (Autonomic der Gemeinschaftsrechtsordnung) EuGHE 1991, 6079 (Rechtsnatur der EG) BVerfGE 22, 293; 51, 222; 89, 155 (Rechtsnatur der EG) BVerfGE 37, 271 (Autonomic der Gemeinschaftsrechtsordnung) BVerfGE 89, 155 (Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung)
B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung Die EG iibt in den ihr vom EGV zugewiesenen Zustandigkeitsbereichen eine ei- 72 gene supranationale Hoheitsgewalt aus, die einen „Durchgriff * in den mitgliedstaatlichen Hoheitsbereich ermoglicht. Dies bedeutet, dass die Rechtsetzungsorgane der EG in den vergemeinschafteten Regelungsmaterien Gemeinschaftsrecht setzen konnen, welches Vorrang vor dem nationalen Recht besitzt und in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar ist (§ 9 Rn. 8). Im Folgenden soli der Frage nachgegangen werden, ob die EG auch eine Strafgesetzgebungskompetenz besitzt, die es ihr ermoglicht, originares Gemeinschaftsstrafrecht zu setzen. Selbst wenn man der EG die Kompetenz zur Setzung unmittelbar anwendbarer Strafnormen zuschreiben wiirde, konnte dennoch nicht von einer umfassenden Kriminalstrafgewalt der EG gesprochen werden. Denn die Kompetenz zur Rechtsetzung („jurisdiction to prescribe") beinhaltet nicht automatisch auch die VoUzugskom-
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
petenz, also die Fahigkeit, gesetztes Recht mit eigenen Vollzugsorganen durchzusetzen („jurisdiction to enforce")^°^ Fiir den Vollzug gemeinschaftsrechtlicher Normen sind nach geltender Kompetenzverteilung - auBer in den seltenen Fallen gemeinschaftsunmittelbaren Vollzugs - die Mitgliedstaaten zustandig. Somit waren auch fur die Verfolgung und Ahndung von Taten, die nach Gemeinschaftsstrafrecht mit Strafe bedroht sind, in jedem Fall die nationalen Strafverfolgungsorgane der Mitgliedstaaten zustandig^ °^. 73 Bislang findet sich im Gemeinschaftsrecht keine Verordnung, durch die unmittelbar anwendbares Kriminalstrafrecht in den Mitgliedstaaten geschaffen wird. Es existiert keine einzige genuin gemeinschaftsrechtliche Strafnorm, geschweige denn ein Kodex supranationaler Strafnormen. Es ware aber allzu voreilig, aus diesem Befund den Schluss zu ziehen, es besttinde keine kriminalstrafrechtliche Rechtsetzungskompetenz der EG. Denkbar ist ja immerhin, dass eine entsprechende Gemeinschaftskompetenz zwar besteht, von welcher der Rat jedoch bislang - etwa auf Grund politischer Vorbehalte der Mitgliedstaaten - keinen Gebrauch gemacht hat. In der Tat ist die Frage nach dem Bestehen einer Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalsstrafrechts keine ,,rein akademische" Angelegenheit. Sie bedarf schon deshalb der Klarung, weil sie den rechtlichen Rahmen fiir die Moglichkeiten zur Realisierung von „EuropaDelikten" absteckt^°^. Die Diskussion erfordert eine genaue Vorstellung iiber den Gegenstand einer etwaigen (kriminal)strafrechtlichen Rechtsetzungskompetenz.
I. Strafrecht als autonom zu bestimmender Begriff des Gemeinschaftsrechts 74 Der Begriff des Strafrechts wird weder vom geschriebenen Gemeinschaftsrecht noch von der europaischen Rechtsprechung definiert. Dies ist misslich. Denn die Untersuchung der Frage, ob eine Kompetenz der EG zur eigenstandigen Setzung strafrechtlicher Normen besteht und wie weit diese ggf. reicht, setzt Klarheit dariiber voraus, welche Regelungen iiberhaupt dem Strafrecht zuzuordnen sind und welche nicht. 7. Untauglichkeit einer formalen Begriffsbestimmung 75 Man konnte zunachst in Betracht ziehen, die Abgrenzung zwischen strafrechtlichen und nicht-strafrechtlichen Rechtsmaterien anhand formaler Kriterien vorzunehmen, etwa in dem Sinne, dass jede Sanktionsnorm des Gemeinschaftsrechts, die als Rechtsfolge eine Freiheits strafe, Geldstrafe oder GeldbuBe androht, dem
101 Ambos, IntStR, § 11 Rn. 1; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 69 f. Deutscher, Kompetenzen, S. 81; Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1403; Satzger, Europaisierung, S. 90 f jew. m. w. N. 103 Vgl. hierzu Satzger, Europadelikte, 71 ff. und die von Dannecker erlauterten Vorschlage fiir ein supranationales Lebensmittelstrafrecht, ebenda, S. 239 ff., 466 ff 102
B. Kompetenzender EGzur originarenStrafgesetzgebung
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Strafrecht zuzuordnen ware. Dieser dem deutschen Recht gelaufige Ansatz^^"^ vermag im Bereich des Gemeinschaftsrechts jedoch nicht zu iiberzeugen. Zum einen konnen und diirfen nationale Terminologien nicht ohne weiteres auf gemeinschaftsrechtliche Rechtsbegriffe ubertragen werden. Gemeinschaftstermini sind grundsatzlich autonom zu bestimmen^^^. Zum anderen sind bereits die in den Mitgliedstaaten gebrauclilichen Begriffliclikeiten im Bereich des Sanktionenrechts so uneinheithch, dass ihre unreflektierte Ubertragung auf das Gemeinschaftsrecht nicht praktikabel erscheint. So wird z. B. der in der deutschen Fassung des Art. 83 II lit. a EGV verwendete Terminus „GeldbuBe" im deutschen Recht nicht dem Kriminalstrafrecht zugeordnet, wahrend in der englischen („fine"), niederlandischen („geldboete") und italienischen („ammenda") Fassung Begriffe verwendet werden, die innerstaatlich dem Kriminalstrafrecht entstammen und insoweit mit der deutschen „Geldstrafe" vergleichbar sind. Zu Recht weist Satzger darauf hin, dass eine an die angedrohten Sanktionen ankniipfende formale Abgrenzung im tjbrigen schon deshalb nicht gelingen kann, well das Gemeinschaftsrecht - im Gegensatz zu einigen Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) - iiber kein geschlossenes strafrechtliches System im Sinne eines numerus clausus der strafrechtlichen Sanktionen verfiigt''^^ 2. Begriffsbestimmung anhand materieller Kriterien Ausschlaggebend fiir die Qualifikation einer Regelung als „strafrechtlich" konnen 76 daher im Rahmen einer autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriffsbestimmung nur materielle Kriterien sein. In der Kompetenzdiskussion hat sich die Unterscheidung zwischen Strafrecht im weiteren Sinne (sog. punitive Sanktionen), Kriminalstrafrecht und nichtstrafrechtlichen Sanktionen durchgesetzt^^''. Eine auf Gemeinschaftsebene getroffene Regelung bzw. MaBnahme ist demnach dem Strafrecht im weiteren Sinne zuzuordnen, wenn mit ihr ein repressiver, auf Sanktionierung eines missbilligten Verhaltens gerichteter Zweck verfolgt wird. Normen, die einen RechtsverstoB mit Freiheitsentziehung bedrohen, sind regelmaBig dem Strafrecht zuzuordnen. Regelungen, welche die Verhangung finanzieller Sanktionen vorsehen, wird man jedenfalls dann als strafrechtliche MaBnahmen werten miissen, wenn sie erheblich in die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Zahlungspflichtigen eingreifen und die Grenzen der Wiedergutmachung eines Schadens deutlich iiberschreiten. Die Zweckrichtung der Sanktion stellt das vorrangige Abgrenzungskriterium dar. Im Regelfall sind daher nichtstrafrechtlicher Natur solche Sanktionsregelungen, die ausschlieBlich praventive (der Gefahrenabwehr dienende) oder restitutive (auf Schadensausgleich gerichtete) Zwecke 104 Vgl. BVerfGE 27, 18, 30; Gohler, OWiG, 13. Aufl., 2002, Vor § 1 Rn. 6; krit. hierzu KKOWiG/Bohnert, Einleitung Rn. 111. 10^ Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 18; Streinz, Europarecht, Rn. 500. 1°^ Satzger, Europaisiemng, S. 65. 107 Ygi hierzu und zum Nachfolgenden Deutscher, Kompetenzen, S. 165 ff. 174 ff.; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 66 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 58 ff., 64 ff., 72 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
verfolgen. Der punitive Charakter solcher Regelungen und damit deren Zuordnung zum Strafrecht im weiteren Sinne kann sich aber auch aus der tatsachlichen Wirkung der Sanktion ergeben. Diesem gegeniiber dem Funktionskriterium nachrangigen Abgrenzungskriterium kommt alleinentscheidende Bedeutung zu, wenn sich ein repressiver Zweck der in Rede stehenden GemeinschaftsmaBnahme nicht Oder zumindest nicht eindeutig feststellen lasst. Jedenfalls bei besonders schwerwiegenden RechtsgutseinbuBen fiir den Betroffenen erscheint es gerechtfertigt, eine (an sich nicht repressive Zwecke verfolgende) Sanktionsregelung aufgrund ihrer tatsachlichen Wirkung als punitive MaBnahme (Strafrecht im weiteren Sinne) einzustufen. Dies kommt aber nur bei Anordnung von Freiheitsentziehungen und gravierenden Beschrankungen der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit in Betracht^o^
3. Abgrenzung zwischen Kriminalstrafrecht und Strafrecht im weiteren Sinne 77 Auch der Begriff Kriminalstrafrecht ist im Rahmen der Diskussion iiber eine EG-Strafrechtsetzungskompetenz als ein autonom zu bestimmender Terminus des Gemeinschaftsrechts zu begreifen und zu handhaben. Anders als beim Strafrecht im weiteren Sinne ist jedem Mitgliedstaat eine eigene Kategorie des Kriminalstrafrechts bekannt. Kein gangbarer Weg ware es aber, dass jeder Mitgliedstaat seine nationale Begrifflichkeit und damit sein Begriffsverstandnis zugrunde legt. Dies hatte angesichts divergierender Begriffsinhalte zur Folge, dass die Reichweite einer etwaigen EG-Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet des Strafrechts nicht einheitlich bestimmt werden konnte. Wie Satzger iiberzeugend dargelegt hat, miissen die mitgliedstaatlichen Definitionen im Wege einer wertenden Rechtsvergleichung zu einem einheitlichen Gemeinschaftsbegriff verschmolzen werden^ °^. Ungeachtet der bestehenden Divergenzen weisen die Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten einige Gemeinsamkeiten auf, die als Ansatzpunkte fiir die Herausarbeitung eines gemeinschaftlichen Begriffs des Kriminalstrafrechts herangezogen werden konnen. Es lasst sich ein ganzes Blindel materieller Kriterien aufstellen, die es ermoglichen, zumindest den Kern des gemeinschaftsrechtlich zu verstehenden Kriminalstrafrechts zu bestimmen und fiir die Kompetenzdiskussion fruchtbar zu machen''^°: - Kriminalstrafen bilden den Kernbestand punitiver Sanktionen (Strafrecht im weiteren Sinne) und teilen daher notwendigerweise deren repressive Zwecksetzung, - ICriminalstrafrecht liegt regelmaBig vor, wenn die Rechtsfolge des Sanktionstatbestandes auf die Verhangung einer Freiheitsstrafe oder die Auferlegung ei-
^^^ Heitzer, Punitive Sanktionen, S. 43; Satzger, Europaisiemng, S. 72. ^^^ Satzger, Europaisiemng, S. 74 ff no Satzger, Europaisiemng, S. 79.
B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung
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ner finanziellen EinbuBe gerichtet ist, die in eine Ersatzfreiheitsstrafe umwandelbar ist, Kriminalstrafrechtliche Sanktionen bringen immer ein sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck, Die Verhangung einer Kriminalstrafe wird zumeist durch den Eintrag in ein Strafregister dokumentiert, Kriminalstrafen werden durch ein Gericht in einem daflir vorgesehenen Verfahren verhangt. In Rechtsbehelfsverfahren zugunsten des Betroffenen gilt das Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot), Kriminalstrafen unterliegen der Geltung des Gesetzlichkeits- und des Schuldprinzips.
4. Zuordnung einzelner Sanktionstypen des Gemeinschaftsrechts Anhand der oben aufgestellten materiellen Kriterien lasst sich eine Zuordnung der 78 im Gemeinschaftsrecht bekannten Sanktionstypen zu den gemeinschaftsrechtlich autonom definierten Materien des Kriminalstrafrechts, des Strafrechts im weiteren Sinne oder des sonstigen (nichtstrafrechtlichen) Sanktionenrechts vornehmen''^ ^ a) GeldbuBen Bei den im europaischen Kartellrecht (Art. 83 II lit. a EGV) vorgesehen Geldbu- 79 Ben handelt es sich aufgrund ihres eindeutig repressiven Charakters unzweifelhaft um punitive Sanktionen, die dem Strafrecht im weiteren Sinne zuzuordnen sind. Gegen ihre Einordnung als kriminalstrafrechtliche Sanktionen sprechen aber gleich mehrere Griinde: Die GeldbuBe wird nicht durch ein Gericht, sondern durch die Kommission in ihrer Funktion als Exekutivorgan verhangt. Das zur Uberprtifung zustandige Europaische Gericht erster Instanz (EuG) entscheidet hier in einem Verwaltungsverfahren, so dass der Grundsatz der reformatio in peius nicht gilt^''^. Durch die Verhangung der GeldbuBe wird kein sozialethisches Unwerturteil zum Ausdruck gebracht. SchlieBlich spricht gegen die Annahme einer kriminalstrafrechtlichen Rechtsnatur der GeldbuBe, dass das Gemeinschaftsrecht bei Nichteinbringlichkeit keine Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht und dass keine Eintragung in ein Strafregister erfolgt^^^. Die vorstehenden Ausfuhrungen gelten entsprechend fiir GeldbuBen, welche die EZB nach Art. 110 III EGV gegen Unternehmen festsetzen sowie fiir GeldbuBen, die der EuGH gem. Art. 27 der Satzung des EuGH^^"^ gegen ausbleibende Zeugen verhangen kann.
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Deutscher, Kompetenzen, S. 92 ff; Liebau, Ne bis in idem, S. 38 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 80 ff. jew. m. w. N. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 16. Kap. Rn.l92, 213 m. w. N. Deutscher, Kompetenzen, S. 139 ff., 174 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 83 f. jew. m. W.N.
ProtokoU iiber die Satzung des Gerichtshofes (ABIEG 2003 Nr. L 188, S. 1).
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
b) Zwangsgeld und Strafgeld 80 Das Zwangsgeld, das sowohl in Art. 87 II lit. a EGV als auch in Art. 110 III EGV neben dem BuBgeld als mogliche Sanktion aufgezahlt wird, zielt nicht darauf ab, einen in der Vergangenheit liegenden RechtsverstoB zu ahnden. Vielmehr soil eine gegenwartige oder kiinftige Rechtsverletzung verhindert werden. Im Hinblick auf seine ausschlieBlich praventive Zwecksetzung stellt das Zwangsgeld keine Sanktion mit strafrechtlichem Charakter dar^^^. Das Zwangsgeld kann allerdings im Einzelfall als „versteckte Strafsanktion" dem Strafrecht im weiteren Sinne zugeordnet werden, wenn seine Hohe - gemessen an dem zugrunde liegenden VerstoB - unverhaltnismaBig erscheint und auf eine faktisch repressive Zwecksetzung schlieBenlasst^^^. 81 Ebenso wie das Zwangsgeld stellt auch das durch Satzung der EZB eingefiihrte sog. „Strafgeld" keine punitive Sanktion dar, da es funktional lediglich darauf abzielt, einen aktuellen RechtsverstoB abzustellen^^''. c) Sanktionen im Agrar- und Fischereirecht 82 Eine ganze Palette „neuartiger" Sanktionen stellt das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Agrar- und Fischereirechts zur Verfiigung. Bei unberechtigter Inanspruchnahme von Gemeinschaftssubventionen kommen daher Subventionskiirzungen, Abziige sowie Subventionssperren, Strafzuschlage und Kautionsverfall in Betracht^^®. Fiir diese MaBnahmen hat sich die Bezeichnung Europaisches Verwaltungssanktionenrecht durchgesetzt^^^. Obwohl einiges fiir ihre Einordnung als „verdeckte Strafsanktionen" (Strafrecht im weiteren Sinne) spricht (vgl. Rn. 76), ist die Rechtsnatur dieser Regelungen und MaBnahmen nach wie vor auBerst umstritten. In einer alteren Entscheidung erblickte der EuGH in der gemeinschaftsrechtlichen MaBnahme des Kautionsverfalls^^° keine strafrechtliche, sondern eine verwaltungsrechtliche Sanktion^^^ Auch die in einer Verordnung vorgesehene Subventionssperre stufte der Gerichtshof in einem Aufsehen erregenden Urteil V. 27. Oktober 1992 nicht als Strafsanktion ein^^^. Leider teilte der EuGH nicht mit, was er unter „Strafsanktion" versteht (Rn. 85). Falls er damit meinte, dass es sich bei den streitgegenstandlichen GemeinschaftsmaBnahmen nicht um
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Satzger, Europaisierang, S. 61, 80 f. m. w. N. Satzger, Europaisierung, S. 81. Satzger, Europaisierung, S. 61 f Deutscher, Kompetenzen, S. 94 ff.; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 70 f.; Satzger, Europaisierung, S. 62 f., 84 ff. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 85; Heitzer, Punitive Sanktionen, S. 47 ff; Tiedemann, ZStW 116 (2004), S. 945, 948. Vgl. hierzu Dannecker, Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 43 ff.; Deutscher, Kompetenzen, S. 108 ff; Heitzer, Punitive Sanktionen, S. 47 ff; Tiedemann, NJW 1983, 2728 ff jew. m. w. N. EuGHE 1970, 1125 ff = NJW 1971, 343 ff; ebenso Deutscher, Kompetenzen, S. 108 ff EuGHE 1992, 5383 („Deutschland/Kommission"); a. A. Deutscher, Kompetenzen, S. 102 ff
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kriminalstrafrechtliche Sanktionen handelt, stiinde die vom EuGH verwendete Terminologie („verwaltungsrechtliche" Sanktion) ihrer Charakterisierung als punitive, d. h. dem Strafrecht im weiteren Sinne zuzuordnende Sanktionen nicht entgegen^^^. II. Diskussion einer etwaigen Strafgesetzgebungsbefugnis der EG Eine Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts 83 kann nur angenommen werden, wenn sich die Existenz einer primarrechtlichen Kompetenzgrundlage nachweisen lasst, die den Rechtsetzungsorganen der Gemeinschaft die Befugnis verleiht, supranationale Straftatbestande zu schaffen. Denn nach dem bereits erwahnten Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung (Rn. 54) erfordert das Tatigwerden der Gemeinschaft und ihrer Organe stets eine ausdriickliche Ermachtigungsgrundlage - sowohl den Regelungsgegenstand als auch die Handlungsform betreffend - im Primarrecht (Rn. 59 f.). Supranationale Rechtsetzung auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts bedeutet, dass die EG selbst Straftatbestande erlasst, die unmittelbar, d. h. ohne nationalen Umsetzungsakt, in jedem Mitgliedstaat anwendbar sind und die Strafbarkeit Einzelner begriinden. Die einzig passende Form fiir diese Rechtsetzung ist die Verordnung (Rn. 62). Keine geeignete Handlungsform fiir die Setzung supranationalen Strafrechts stellt die Richtlinie (Rn. 64) dar. Denn sie entfaltet keine direkte Wirkung in den Mitgliedstaaten und vermag daher niemals „aus sich heraus" - also unabhangig von zu ihrer Durchfiihrung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften - eine strafrechtliche Verantwortlichkeit Einzelner zu begriinden^ ^^ (§ 10 Rn. 42). Ob und ggf. inwieweit die Gemeinschaftsorgane befugt sind, den Mitgliedstaaten mittels Richtlinien bestimmte Vorgaben zur Setzung und Ausgestaltung nationaler Strafrechtsnormen zu machen, ist somit keine Frage der Rechtsetzungskompetenz, sondern unter dem Aspekt einer etwaigen Anweisungskompetenz der EG zu diskutieren (§ 8 Rn. 35 ff.). T. Judikatur des EuGH und deutscher Gerichte In friiheren Entscheidungen, in denen sich der EuGH eher beilaufig mit der Frage 84 einer Sanktionskompetenz der EG befasste, wies er stets den Mitgliedstaaten die grundsatzliche Zustandigkeit fiir die Schaffung von Strafsanktionen zu""^^. Des Weiteren findet sich in einigen Urteilen die folgende - mehr oder weniger gleichlautende - Formulierung: „Enthalt das Gemeinschaftsrecht keine Vorschrift (Gemeinschaftsregelung), die fiir den Fall ihrer Verletzung durch den Einzelnen be123 124
Zutr. Satzger, Europaisiemng, S. 87. EuGHE 1987, 3969, 3971 („Kolpinghuis Nijmegen"); 1996, 6609 ff. („Telecom Italia"); Heise, Europaisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1999, S. 160; Kohne, RichtUnienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 65 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 538 ff; kritisch hierzu Schroder, DVBl 2002, 157 ff EuGHE 1977,1495 („Sagulo"); 1981, 2595 („Casati"); 1989, 195 („Cowan").
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
stimmte Sanktionen vorsieht, so sind die Mitgliedstaaten befugt, die Sanktionen zu wahlen, die ihnen sachgerecht erscheinen."^^^ Der erste Teil dieser Formulierung lasst Spekulationen dahingehend zu, der EuGH gehe gmndsatzlich doch von einer - in ihrem Umfang allerdings nicht naher bestimmten - Sanktionskompetenz der Gemeinschaften aus''^''. Neue Impulse erhielt die wissenschaftliche Diskussion der Kompetenzfrage vor allem durch das Urteil des EuGH v. 27. Oktober 1992^^^: 85 Gegenstand dieses Urteils war eirie von der Bundesrepublik Deutschland erhobene Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 EGV gegen Verordnungen auf dem Gebiet des Agrargemeinschaftsrechts. In diesen Rechtsakten ist u. a. vorgesehen, dass einem in UnregelmaBigkeiten verstrickten Landwirt, der zu Unrecht Beihilfen erlangt hat, nicht nur die Riickerstattung dieser Betrage nebst Zinsen, sondern auch die Zahlung eines Zuschlags aufzuerlegen ist. Des Weiteren wird vorgeschrieben, dass bei VorHegen bestimmter Voraussetzungen die nationalen Behorden den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer fiir die Dauer eines Jahres von der Subventionsgewahrung ausschlieBen mtissen. Gegen diese Regelungen wandte sich die klagende Bundesrepublik u. a. mit dem Argument fehlender Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Strafrechts. Die Klagebegriindung konzentrierte sich argumentativ nur auf den Leistungsausschluss und nicht auf den eigentlich problematischen „Strafzuschlag"''^^, was in der Literatur auf Kritik stieB^^°. Nach Auffassung der Klagerin handelt es sich bei der in der streitgegenstandlichen Verordnung vorgesehenen Subventionssperre um eine Sanktion mit Strafcharakter. Zur Einfiihrung eines Leistungsausschlusses, der zugleich ein strafrechtliches Unwerturteil iiber den Wirtschaftsteilnehmer beinhalte, seien die Gemeinschaftsorgane nicht befugt. Der EuGH vermochte sich dieser Argumentation im Ergebnis aber nicht anzuschlieBen. Er fiihrte aus, dass die EG gem. Art. 34 II, 37 II EGV dazu ermachtigt sei, alle Sanktionen einzufiihren, die fiir die wirksame Anwendung der Regelungen auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich seien. Zugleich erklarte der EuGH, dass iiber die Zustandigkeit der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Strafrechts nicht zu entscheiden sei, da der Leistungsausschluss keine Strafsanktion darstelle^^^ 86 Da der Gerichtshof den in der angegriffenen Verordnung angeordneten Leistungsausschluss mangels repressiven Charakters lediglich als eine praventive Zwecke verfolgende Regelung einstufte, die sicherstellen soil, dass unzuverlassige Subventionsbewerber nicht in den Genuss von Leistungen gelangen, sah er keinen Anlass, auf die Frage einzugehen, was er unter einer „Strafsanktion" versteht. Seinem Urteil lasst sich nicht eindeutig entnehmen, ob er damit allein das Kriminal126 EuGHE 1977,139 („Amsterdam Bulb"); 1990, 2911 („Hansen"). 12'^ So z. B. vertreten von Appel, Kompetenzen, S. 300; Bose, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 56; Pache, Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 300 ff. 128 EuGHE 1992, 5383 ff. („Deutschland/Kommission"). 129 Vgl. hierzu Schulz, Europaisches Strafrecht, S. 183, 199. 1^° Satzger, Europaisiemng, 2001, S. 86; Schroder, Richtlinien, S. 109; Tiedemann, NJW 1993, 49. 131 EuGHE 1992, 5383 (Rz. 24 f.).
B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung
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strafrecht oder auch das Strafrecht im weiteren Sinne (Rn. 76) gemeint hat. Dass sich sowohl Befiirworter als auch Gegner einer Strafrechtsetzungskompetenz der EG zur Abstiitzung ihrer Thesen auf den EuGH berufen, ist angesichts des weiten Interpretationsspielraumes, den das Urteil zulasst, nicht weiter erstaunhch^^^. Vertreten wird zum einen, in dem Urteil sei iiberhaupt keine Aussage iiber die Befugnis zum Erlass punitiver und kriminalstrafrechtliche Sanktionen getroffen worden^^^. Dem steht die These gegeniiber, der EuGH habe mit seiner Entscheidung das Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz ftir den Bereich des Kriminalstrafrechts jedenfalls nicht ausgeschlossen^^"^, zumindest aber fiir den Bereich der nicht-kriminalstrafrechtlichen (punitiven) Sanktionen auf dem Agrarsektor bejaht^^^. In spater ergangenen Urteilen hat der EuGH seine frlihere Rechtsprechungsformel wieder aufgegriffen, in welcher von der grundsatzlichen Zustandigkeit der Mitgliedstaaten fiir das Strafrecht gesprochen wird""^^. Dies spricht dafur, den Standpunkt des EuGH dahingehend zusammenzufassen, dass er jedenfalls das Kriminalstrafrecht auBerhalb der Rechtsetzungskompetenz der EG sieht^^'^. Auch die deutschen Strafgerichte haben bereits mehrfach - jedoch ohne einge- 87 hende Begriindung - die Auffassung vertreten, dass die Zustandigkeit fur die Strafgesetzgebung allein bei den Mitgliedstaaten liege^^^. In dem 1973 vor dem BGH verhandelten „Suddeutschen Getreidefall"''^^ hatte die Verteidigung vorgebracht, aus dem Fehlen einer gemeinschaftsrechtlichen Sanktionsnorm in einer vergemeinschafteten Regelungsmaterie folge die Unanwendbarkeit nationaler Strafnormen. Ausgangspunkt dieser Argumentation war die These, dass die EG in einem gemeinschaftsrechtlich besetzten Bereich auch die Kompetenz zur Einfiihrung strafrechtlicher Sanktionen innehaben miisse. Die Mitgliedstaaten diirften den Verzicht der EG auf Erlass einer solchen Sanktionsregelung nicht durch Schaffung nationaler Strafbestimmungen unterlaufen. Das Revisionsvorbringen ware nach dem Prinzip des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts durchaus schliissig, wenn eine EG-Strafrechtsetzungskompetenz besttinde. Der BGH trat dem Verteidigungsvorbringen der Revision jedoch entgegen und stellte schUcht fest, dass dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Befugnis zum Erlass
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Vgl. hierzu Satzger, Europaisierung, S. 96 f. m. w. N. Tiedemann, NJW 1993, 49; ahnlich Stojfers, JA 1994, 133. Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 35; Pache, EuR 1993, 173, 179 f.; noch weitergehend A;?;?^/, Kompetenzen, S. 183. Dannecker, Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 51; Pache, EuR 1993, 173, 178; VogeU in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekampfang des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993,8.171. EuGHE 1995, 4125 („Nutral Spa./Kommission"); 1995, 4663 („Banchero"); 1998, 7637 („Strafverfahren gegen Bickel und Franz"); 1998, 3711, 3731 f. („Lemmens"); EuGH EuZW 2005, 632, 634 (Rz. 47). Zutr. Satzger, Europaisierung, S. 97. BGHSt25, 190, 193 f.; 27, 181, 182; 41, 127, 131 f.; BayObLGSt 1992, 121, 122; KG VRS 54 (1978), 231, 232 f; OLG Koblenz NStZ 1989, 188, 189; OLG Stuttgart NJW 1990, 657, 658. BGHSt 25, 190; vgl. hierzu Dannecker, BGH-Festgabe, S. 339, 346 f.
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von Sanktionen strafrechtlicher Natur iibertragen worden sei. Die Ahndung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht bleibe daher Sache der Mitgliedstaaten. 2. Literaturansichten 88 In der Literatur wird eine EG-Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts ganz iiberwiegend abgelehnt^'^^. Die zentrale Begriindung hierflir lautet, dass sich eine solche Befugnis nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung (Rn. 54) unmittelbar aus dem Primarrecht ergeben miisste. Im EGV seien aber nur Kompetenzen zur Schaffung punitiver Sanktionsnormen (Strafrecht im weiteren Sinne) vorgesehen. Auch der durch den Amsterdamer Vertrag neu eingefiigte Art. 280 IV S. 1 EGV andere an dieser Rechtslage nichts^'^^ Die Mitgliedstaaten sahen das Kriminalstrafrecht nach v^ie vor als eine ausschlieBlich ihrer nationalen Souveranitat unterfallende Rechtsmaterie an. Zu keinem Zeitpunkt hatten sie eine so bedeutsame Befugnis wie die Androhung und Verhangung echter Kriminalstrafen der EG Iibertragen. Die h. M. sieht ihre Rechtsauffassung im tJbrigen durch die Regelungen des EUV bestatigt, in welchem das Kriminalstrafrecht eben gerade nicht als eine dem Gemeinschaftsrecht, sondern der intergouvernementalen Zusammenarbeit zugewiesene Materie angesehen wird (vgl. Art. 29 ff. EUV). Dies bestatige den Willen der Mitgliedsstaaten, der EG keinerlei Kompetenzen zur Setzung von Strafnormen einzuraumen^^^. SchlieBlich wird das auf Gemeinschaftsebene bestehende Demokratiedefizit als weiterer Einwand gegen die Annahme einer entsprechenden Rechtsetzungsbefugnis angefiihrt (Rn. 39). Das zur Rechtsetzung auf Gemeinschaftsebene hauptsachlich berufene Organ - der Rat - sei nicht unmittelbar demokratisch legitimiert und das Europaische Parlament sei - als einziges unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ - nicht wie die nationalen Parlamente in der Lage, die fiir eine Gesetzgebung auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts erforderliche demokratische Legitimation zu vermitteln'''^^. Fiir einige Autoren bildet der Grundsatz ,,nulla poena 140 Vgl. hierzu MuKoStGB/AmZ?^^, V o r §§ 3 - 7 Rn. 9; ders., IntStR, § 11 Rn. 4 ; Danne-
cker, Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 40; ders., JURA 1998, 79, 80; ders., BGHFestgabe, S. 339, 346; ders., Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 64; ders., JURA 2006, 95, 96 ff.; Deutscher, Kompetenzen, S. 309 ff.; Eisele, JA 2000, 896 ff; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 62 ff., 104 ff; Jung, JuS 2000, 417, 419; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 54; KudlicK JA 1999, 525; Moll Blankettstrafgesetzgebung, S. 4 ff.; MusiU NStZ 2000, 68, 69; Otto, JURA 2000, 98; Satzger, Europaisierung, S. 92 ff, 143 f.; ders., IntStR, § 7 Rn. 23 ff; Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, S. 18; Schroder, Richtlinien, S. 105 ff, 161; Tiedemann NJW 1993, 23; ders., ZStW 116 (2004), S. 945, 947; Thomas, NJW 1991, 2233, 2234; Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 779; Zuleeg, NJW 1992, 761, 762 jew. m. w. N. 141 Ambos, IntStR, § 11 Rn. 10; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 271, 323 f 142 Dannecker, JURA 1998, 79, 80 und Satzger, IntStR, § 7 Rn. 29. 143 Albrecht/Braum, KritV 1998, 460, 471; Braum, GA 2005, 681, 688 ff; Deutscher, Kompetenzen, S. 335 ff; Eisele, JA 2000, 896, 897; Hilgendorf, in: FS 600 Jahre Wurzburger Juristenfakultat, 2002, S. 333, 341; Luderssen, GA 2003, 71 (84); Sieber, ZStW 103 (1991), 957, 970; Streinz, Demokratische Legitimation, S. 219, 220 ff; Vo-
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sine lege parlamentaria" beim derzeitigen Stand der Gemeinschaftsverfassung ein uniiberwindbares Hindernis fiir eine gemeinschaftliche Strafgesetzgebung, well ein Organ normgebend tatig wiirde, das nach iiblichem Verstandnis der Exekutive angehore""^^. Eine literarische Minderheitsmeinung bejaht im Grundsatz eine Kompetenz der 89 EG zur Schaffung supranationaler Strafnormen (echtes Gemeinschafsstrafrecht)""^^. Sie stiitzt sich hierbei zum einen auf den Wortlaut der primarrechtlichen Ermachtigungsgrundlagen, denen sich - soweit es um die Durclisetzung bestimmter Gemeinschaftsziele gehe - keine Begrenzung auf nicht-strafrechtliche oder punitive Sanktionen entnehmen lasse. Unter Berufung auf die Lehre von den ,,implied powers"^'^®, wonach die geschriebenen Kompetenznormen immer auch die Befugnis zur Setzung notwendigerweise mitzuregelnder Tatbestande beinhalten, wird argumentiert, mit jeder Kompetenznorm sei die uneingeschrankte normative Zustandigkeit auf die Gemeinschaft iibergegangen. Dies impliziere auch die Befugnis, (kriminal)strafrechtliche Sanktionsnormen zu schaffen. Die Minderheitsmeinung beruft sich dabei auch auf Aussagen des EuGH, in denen davon gesprochen wird, dass VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht von den Mitghedstaaten unter Strafe zu stellen sind, „soweit das Gemeinschaftsrecht selbst keine Sanktionen vorsieht" (Rn. 84 ff.). Die von der h. M. vorgetragenen Bedenken gegen eine EG-Strafgesetzgebung im Hinbhck auf deren unzureichende demokratische Legitimation werden von der Minderheitsmeinung zwar als rechtspoHtische Kritik ernst genommen, in rechtlicher Hinsicht jedoch nicht fiir durchgreifend erachtet^"^^. Ein grundsatzlicher Ausschluss des Kriminalstrafrechts aus der EGRechtsetzungskompetenz konne somit nicht festgestellt werden. Allerdings sollen Strafvorschriften im Gemeinschaftsrecht auch nach Auffassung der Minderheitsmeinung die Ausnahme bleiben. Denn die Zustandigkeit der EG zum Erlass von Strafrechtsnormen werde durch die sachlichen Voraussetzungen der Ermachtigungsgrundlagen sowie durch die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Prinzipien der Subsidiaritat und der VerhaltnismaBigkeit (Art. 5 EGV) beschrankf'*^.
gel GA 2002, 517, 525; Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 800; ders., StV 2001, 63, 67. 1^ Haouache, Borsenaufsicht durch Strafrecht, 1995, S. 152; Vogel, JZ 1995, 331, 339. 145 Appel, Kompetenzen, S. 183; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 56, 61 ff., 94; ders., GA 2006, 211, 220 ff; Heitzer, Punitive Sanktionen, S. 136 ff; Pache, Schutz der finanziellen hiteressen der EG, S. 341; ders., EuR 1993, 173, 178 f Deutscher, Kompetenzen, S. 206 f; Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S, 94; HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 171 ff; Oppermann, Europarecht, § 6 Rn. 69. Diese Doktrin entspricht weitgehend der im deutschen Staatsrecht anerkannten „Bundeskompetenz kraft Sachzusammenhangs". 147 Vgl. Appel, Kompetenzen, S. 185; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 91. 148 Appel, Kompetenzen, S. 192; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 94 f; i. Erg. ebenso Satzger, Europaisiemng, S. 121 ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
3. Vertiefende Diskussion zentraler Gesichtspunkte a) Kompetenzproblem und Legitimationsfrage 90 Der entscheidende Punkt in der Kompetenzdiskussion ist nicht, ob eine etwaige EG-Strafgesetzgebung beim derzeitigen Stand der Gemeinschaftsverfassung in hinreichender Weise demokratisch legitimiert ware, sondern die Frage, ob die Mitgliedstaaten der EG die Befugnis zur Setzung kriminalstrafrechtlicher Normen iibertragen haben. Wie Schroder iiberzeugend aufgezeigt hat, vermag es schon aus systematischen Griinden nicht zu iiberzeugen, das Kompetenzproblem allein anhand des Legitimationskriteriums losen zu woUen^"^^. Dies kann in dem folgenden Gedankenexperiment demonstriert werden: Unterstellt, das Europaische Parlament (EP) erhielte aufgrund einer Anderung des EGV weitreichende Legislativbefugnisse, die denen der nationalen Parlamente entsprechen. Wollte man das Kompetenzthema rein demokratietheoretisch diskutieren und an dem Grundsatz „nulla poena sine lege parlamentaria" ausrichten, mtisste das Kompetenzproblem nunmehr erledigt sein. Dies ist aber nicht der Fall. Denn auch wenn das EP zu einem echten Legislativorgan ausgebaut worden ist, bleibt nach wie vor die Frage zu beantworten, ob die Mitgliedstaaten die Rechtsetzungszustandigkeit auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts auf den Gemeinschaftsgesetzgeber iibertragen haben. Wenn eine Analyse des Primarrechts ergibt, dass dies nicht geschehen ist, dann springt die Rechtsetzungskompetenz auch nicht etwa als Folge des Ausbaus des EP zu einem echten Legislativorgan auf dieses iiber. Damit kommt der im Lichte des Prinzips der begrenzten Einzelermachtigung zu diskutierenden Frage einer etwaigen Kompetenziibertragung die ausschlaggebende Bedeutung fiir die Losung der Kompetenzfrage zu. b) Wortlaut potentieller Ermachtigungsnormen und systematische Aspekte 91 Der Wortlaut potentieller Ermachtigungsnormen des Primarrechts (z. B. Art. 34 II, 37 II, 71 I lit. c, d, 280 IV S. 1, 308 EGV) steht der Annahme einer bereichsspezifischen Befugnis der EG, kriminalstrafrechtliche Normen zu setzen, nicht entgegen''^°. So erscheint es nach der sprachlichen Fassung etwa des Art. 711 lit. c EGV nicht ausgeschlossen, dass der Rat zwecks „Verbesserung der Verkehrssicherheit" auch MaBnahmen kriminalstrafrechtlicher Art ergreift. Die bloBe Wortlautauslegung erlaubt aber kein abschlieBendes Urteil dariiber, ob die von den Ermachtigungsnormen jeweils funktional umschriebenen Gemeinschaftsbefugnisse ohne weiteres auch die Setzung kriminalstrafrechtlicher Normen einschlieBen. Gegen eine Einbeziehung des Kriminalstrafrechts in die EG-Rechtsetzungskompetenz sprechen folgende systematische Uberlegungen: 92 Wenn es zutreffen sollte, dass der EG - unter Heranziehung der Lehre von den „implied powers" (Rn. 89) - mit der Zuweisung einer bestimmten Sachkompetenz immer zugleich auch eine - lediglich durch das Subsidiaritatsprinzip und den VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz beschrankte - Befugnis zur Setzung supranationaler 149 Schroder, Richtlinien, S. 132 ff. 150 Ygl. hierzu Bose, Strafen und Sanktionen, S 61 ff.; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 107 ff; Satzger, Europaisierung, S. 99 ff; Schroder, Richtlinien, S. 118 ff
B. KompetenzenderEGzur originaren Strafgesetzgebung
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Sanktionsnormen iibertragen wurde, dann ergibt die in Art. 83 II lit. a EGV verankerte BuBgeldkompetenz auf dem Gebiet des europaischen Kartellrechts keinen rechten Sinn. Es fragt sich, warum der EGV eine im Vergleich mit dem Kriminalstrafrecht weniger gewichtige BuBgeldkompetenz ausdriicklich regelt, wenn derartige Rechtsetzungsbefugnisse ohnehin aus der Sachkompetenz folgen sollen. Sinn ergibt die in Art. 83 II lit. a EGV getroffene Kompetenzzuweisung allerdings vor dem Hintergrund bestehender Kompetenzvorbehalte auf dem Gebiet des Strafrechts''^''. Weitere Argumente, die gegen eine Ubertragung kriminalstrafrechtlicher 93 Rechtsetzungsbefugnisse auf die EG sprechen, ergeben sich aus einer wertenden Betrachtung derjenigen Teilbereiche des Primarrechts, in denen von Anfang an nicht auf kriminalstrafrechtliche Regelungen verzichtet werden konnte. Das primare Gemeinschaftsrecht enthalt in Art. 30 der Satzung des Gerichtshofs der Europaischen Gemeinschaft fiir Eidesverletzungen von Zeugen und Sachverstandigen eine Verweisung auf die Straftatbestande der Mitgliedstaaten^^^. Danach behandelt „jeder Mitgliedstaat die Eidesverletzungen eines Zeugen oder Sachverstdndigen wie eine vor seinen eigenen in Zivilsachen zustdndigen Gerichten begangene Straftat. Auf Anzeige des Gerichtshofs verfolgt er den Tdter vor seinen zustdndigen Gerichten". Die Verweisung des Primarrechts auf das nationale Strafrecht ist Ausdruck des sog. Assimilierungsprinzips (§ 7 Rn. 8 ff.). Mit Hilfe dieser Verweisungstechnik wird der fiir notwendig erachtete Schutz eines bestimmten Gemeinschaftsinteresses gewahrleistet, ohne die Rechtsetzungs- und Verfolgungszustandigkeit der Mitgliedstaaten anzutasten. Eine vergleichbare Ausdehnungsbestimmung findet sich in Art. 194 I S. 2, 3 EAGV, in der bestimmt wird, dass die Mitgliedstaaten eine Verletzung von Geheimhaltungsverpflichtung (Art. 194 I S. 1 EAGV) als einen VerstoB gegen ihre Geheimhaltungsvorschriften behandeln und verfolgen^^^. Die Tatsache, dass die genannten primarrechtlichen Bestimmungen nicht etwa den Organen der Gemeinschaft, sondern allein den Mitgliedstaaten die Aufgabe zuweisen, die Gemeinschaftsinteressen mit dem fiir notwendig erachteten Strafrechtsschutz zu versehen, spricht eindeutig gegen eine Ubertragung kriminalstrafrechtlicher Rechtsetzungskompetenzen auf die Gemeinschaften^^^. c) Kriminalstrafrecht als Gegenstand der dritten Saule der EU Durch den Vertrag von Maastricht (1992) wurde die Zusammenarbeit der Mit- 94 gliedstaaten in Strafsachen nicht in den Rahmen des EGV einbezogen, sondern als „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse" der sog. dritten Saule der EU zugewiesen (§5 Rn. 56). Es wurde also gerade keine EG-Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet der Kriminalitatsbekampfung begriindet, sondern vielmehr das Modell
Schroder, Richtlinien, S. 120; a. A. Bose, GA 2006, 211, 220, der in Art. 83 II lit. a EGV nur die Konkretisiemng einer Regelungspflicht vor dem Hintergrund einer bereits bestehenden Ermachtigung der EG zum Erlass von Strafbestimmungen sieht. Vgl. Art. 30 des ProtokoUs tiber die Satzung des Gerichtshofs der EWG v. 17. April 1957; BGBl. II S. 1166 (aktuelle Fassung in Sartorius II Nr. 245). 153 Vgl. hierzu BGHSt 17, 121 ff 154 Zutr. Schroder, Richtlinien, S. 120 ff
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einer intergouvernementalen Kooperation gewahlt. Die Fortentwicklung des Unionsrechts durch den Vertrag von Amsterdam aus dem Jahre 1997 hat hieran nichts Gmndlegendes geandert, sondern bestatigt im Gegenteil sogar die Sonderrolle des Strafrechts im Hinblick auf die Zustandigkeitsverteilung''^^. So wird die Bekampfung der in Art. 29 S. 2 EUV aufgefiihrten Kriminalitatsfelder gerade nicht als Gemeinschaftsangelegenheit, sondern ausdriicklich als eine den Mitgliedstaaten obliegende Aufgabe begriffen. 95 Dass keine Vergemeinschaftung des Strafrechts erfolgt ist, bestatigt auch Art. 42 EUV, der es dem Rat gestattet, durch einstimmigen Beschluss MaBnahmen aus dem Anwendungsbereich des Art. 29 EUV dem Titel IV des EGV zu unterstellen^^^. Das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten schlieBt die schrittweise Annahme von MaBnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalitat, Terrorismus und illegaler Drogenhandel ein (Art. 31 lit. e EUV). Art. 34 II lit. b EUV stellt dem Rat zur Verwirklichung dieser Ziele ein neuartiges Instrument - den Rahmenbeschluss - zur Verfugung''^^. Wenn diese Bestimmung jedoch zugleich klarstellt, dass es sich hierbei nicht um eine unmittelbar wirksame Rechtsetzung handelt, so kommt auch hierin der fortwahrende Souveranitatsvorbehalt der Mitgliedstaaten zum Ausdruck. 96 Hinweis: Auch in dem Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa werden der mit eigener Rechtspersonlichkeit auszustattenden neuen Europaischen Union (Art. 1-7 EU-Verfassung) grundsatzlich keine Kompetenzen zur Setzung supranationaler Straftatbestande verliehen. Vielmehr ist gem. Art. III-271 I, II EUVerfassung lediglich eine Befugnis zur Rechtsangleichung durch ^Europaische Rahmengesetze" (Art. 1-33 I S. 3 EU-Verfassung) vorgesehen. Hinzuweisen ist aber auf Art. III-415 IV EU-Verfassung, der auch den Erlass supranationaler Straftatbestande - bezogen auf den Bereich der EU-Betrugsbekampfung - durch „Europaische Gesetze" (Art. 1-33 I S.2 EU-Verfassung) zulasst (vgl. hierzu § 14 Rn. 47). d) Bedeutung des Art. 280 IV EGV 97 Streitig diskutiert wird die Frage, ob sich zumindest aus der durch den Amsterdamer Vertrag eingefiigten Bestimmung des Art. 280 IV S. 1 EGV eine kriminalstrafrechtliche Rechtsetzungsbefugnis der EG ableiten lassf^^. Der genannte Artikel sieht vor, dass der Rat zur Gewahrleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten „die erforderlichen Mafinahmen zur Verhiitung und Bekampfung von Betrugereien, die sich gegen die flnanziellen Interessen der Gemeinschaft richten'\ beschlieBt. Ein Teil der Literatur steht auf dem Stand-
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Deutscher, Kompetenzen, S. 345 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 141 ff.; Schroder, Richtlinien, S. 152 ff.; a. A. Bose, GA 2006, 211, 215 f. Eisele, JA 2000, 896, 898; Hailbronner/Thiery, EUR 1998, 583, 613; Havings, EUR 1998 (Beiheft 2), 81, 83, 88; Kaiafa-Gbandi, KritV 1999, 162, 164. Zu diesem Instrument vgl. Baddenhausen/Pietsch, DVBl 2005, 1562 ff.; GdrditzJGusy, GA 2006, 225, 228 ff; Husemann, wistra 2004, 447 ff Vgl. hierzu ausfiihrlich Fromm, Finanzinteressen der EG, passim.
B. KompetenzenderEGzur originarenStrafgesetzgebung
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punkt, Art. 280 IV S. 1 EGV scheide als taugliche Ermachtigungsgmndlage fiir die Schaffung echten Gemeinschaftsstrafrechts bzw. auch nur fiir eine Harmonisiemng kriminalstrafrechtlicher Tatbestande schlechthin aus^^^. Zur Begriindung wird maBgeblich auf die sich aus EGV und EUV ergebende Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Kriminalstrafgesetzgebung im Allgemeinen und auf die Vorbehaltsklausel des Art. 280 IV S. 2 EGV im Besonderen hingewiesen, in der es heiBt: y,Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleibt unberiihrt." Demgegeniiber begreift eine diametral entgegengesetzte Literaturansicht - 98 darunter auch Autoren, die eine generelle EG-Rechtsetzungsbefugnis auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts als derzeit nicht existent erachten - Art. 280 IV S. 1 EGV als Kompetenzgrundlage fiir eine bereichsspezifische - auf den Schutz der finanziellen Interessen der EG beschrankte - Strafrechtsetzungsbefugnis der Gemeinschaft^^o. Der Rat werde durch Art. 280IV S. 1 EGV ermachtigt, im Mitentscheidungsverfahren gem. Art. 251 EGV die nationalen Strafbestimmungen durch supranationale Strafvorschriften zu erganzen, soweit diese erforderlich seien, um ein bestimmtes strafrechtliches Schutzniveau in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Wenn der Rat beispielsweise einen Strafrechts schutz gegen leichtfertige Subventionserschleichung zum Nachteil des EG-Finanzhaushaltes fiir notwendig erachte, so konne er eine entsprechende strafrechtliche Regelung im Verordnungswege treffen. Die Vorbehaltsklausel des Art. 280IV S. 2 EGV schlieBe die Schaffung supranationaler Straftatbestande nicht aus. Ihr komme vielmehr die Funktion zu, den Anwendungsvorrang des nationalen Straftatbestandes fiir den Fall festzuschreiben, dass dieser die im Gemeinschaftsstrafrecht beschriebene Verhaltensweise bereits erfasst. Das Gemeinschaftsstrafrecht steht nach dieser Lesart in einem komplementaren (erganzenden) und subsidiaren (nachrangigen) Verhaltnis zum nationalen Strafrecht. Nach diesem Auslegungsverstandnis soil die durch Art. 280 IV S. 1 EGV eroffnete bereichsspezifische Strafrechtsetzungskompetenz auch die Befugnis zur Schaffung supranationaler Regelungen des Allgemeinen Teils umfassen. Den Befiirwortern einer aus Art. 280 IV S. 1 EGV abzuleitenden EG- 99 Strafrechtsetzungskompetenz kann nicht gefolgt werden. Die Einfiihrung einer auch nur bereichsspezifischen - Strafrechtsetzungsbefugnis der EG stellt eine grundlegende Durchbrechung der Kompetenzverteilung dar, wie sie sich aus der systematischen Interpretation von EGV und EUV ergibt (Rn. 94 ff.). Gerade aus Griese, EuR 1998, 476; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 64; Musil, NStZ 2000, 68 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 138 ff; ders., StV 1999, 132; ders., ZRP 2001, 549 ff.; Schwarzburg/Hamdorf, NStZ 2002, 617, 620; Schroder, Richtlinien, S. 154 ff. Auch die deutsche Bundesregierung sieht in Art. 280IV S. 1 EGV ledighch eine Kompetenzgrundlage zur Angleichung praventiver Vorschriften unter Ausschluss des Strafrechts (vgl. BT-Drs. 13/9339, S. 159). Berg/Karpenstein, EWS 1998, 81; Hedtmann, EuR 2002, 122, 133 f; Moll Blankettstrafgesetzgebung, S. 11, 212; Stiebig, EuR 2005, 466, 483 ff.; Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1406 ff; Woljfgang/Ulrich, EuR 1998, 616, 644; Zieschang, ZStW 113 (2001), 255, 259 ff.
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der Sicht derjenigen Mitgliedstaaten, in denen Strafgesetze einem strikten Parlamentsvorbehalt unterliegen, ware der Erlass supranationaler Strafvorschriften durch Verordnungen, die keiner Umsetzung in das nationale Recht bediirften, liochst problematisch. Die erstmalige tJbertragung kriminalstrafrechtlicher Rechtsetzungsbefugnisse auf die EG ohne vorherige politische Diskussion in den Mitgliedstaaten ist daher undenkbar. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafiir, dass die Mitgliedstaaten im Zuge der durch „Amsterdam" bewirkten Fortentwicklung des Unionsrechts oder zu einem anderen Zeitpunkt ihren politischen Willen zum Ausdruck gebracht haben, einen Souveranitatsverzicht zu leisten und kriminalstrafrechtliche Kompetenzen auf die EG zu iibertragen^^^ Eine solche Befugniserweiterung wiirde zudem in Widerspruch zu den Bestimmungen des EUV iiber die intergouvernementale Zusammenarbeit in Strafsachen stehen. Die strafrechtliche Betrugsbekampfung wird in Art. 29 S. 2 EUV ausdriicklich als eine den Mitgliedstaaten obliegende Aufgabe verstanden. Eine bereichsspezifische Befugnis der EG, zum Schutze ihrer finanziellen Interessen kriminalstrafrechtliche Regelungen im Verordnungswege zu erlassen, besteht nach alledem nicht. 100 Andererseits erscheint eine Auslegung des Art. 280IV S. 1 EGV, die der Gemeinschaft nur die Befugnis zur Schaffung bzw. Angleichung praventiver Rechtsvorschriften (etwa verwaltungsrechtliche Regelungen zur Betrugsvorbeugung und -aufdeckung) unter vollstandigem Ausschluss des Strafrechts zugestehen will, zu eng. Es darf nicht iibersehen werden, dass sich die in Art. 280 I-III EGV (ex-Art. 209 a EGV) enthaltenen und getroffenen Bestimmungen letztlich auf die Judikatur des EuGH im Fall „Griechischer Mais"''^^ zuriickfiihren lassen^®^ (§ 7 Rn. 27). Diese Regelungen konkretisieren mithin die aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) resultierenden Pflichten der Mitgliedstaaten zur Bekampfung von Betriigereien zum Nachteil des EG-Haushaltes unter Einschluss des Strafrechts. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, dass das strafrechtliche Instrumentarium nicht von vornherein aus dem MaBnahmenkatalog des Art. 280 IV S. 1 EGV ausgeschlossen werden darf ^1 Art. 280 IV S. 1 EGV ist deshalb als eine Befugnisnorm zu interpretieren, die neben der Vornahme praventiv-verwaltungsrechtlicher auch das Ergreifen repressiv-strafrechtlicher MaBnahmen legitimiert, freilich mit der Einschrankung, dass die grundsatzliche Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Strafrechts unberiihrt bleibt. Auf der Basis dieses Vorverstandnisses stellt Art. 280 IV S. 1 EGV eine liber die allgemeinen Harmonisierungsbefugnisse des EGV hinausgehende spezielle Kompetenzgrundlage fiir eine Angleichung des mitgliedstaatlichen Strafrechts dar, soweit dies zur Erreichung des spezifischen Schutzzweeks (Bekampfung von Betriigereien zum Nachteil der EG) erforderlich ist^^s (§ g R^. 60).
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Vgl. hierzu Griese, EuR 1998, 476. EuGHE 1989, 2965 ff. Vgl. hierzu Schroder, Richtlinien, S. 137. Insoweit ist den Ausfuhmngen von Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1409 zu folgen. Ebenso Deutscher, Kompetenzen, S. 345; Eisele, JZ 2001, 1157, 1160; Hecker, JA 2002, 723, 726 f.; v. d. GvothQnJ^dmdiXzdWasmeierlJour-Schrdder, Art. 29 EUV
B. Kompetenzen der EG zur originaren Strafgesetzgebung
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4. Ergebnis - Keine Strafgesetzgebungsbefugnis der EG Mit der h. M. ist festzustellen, dass die EG iiber keine supranationale Kriminal- 101 strafgewalt verfiigt. Mangels der nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung erforderlichen Kompetenzzuweisung im Primarrecht besitzt die EG weder die Befugnis zur Setzung noch zur Durchsetzung kriminalstrafrechtlicher Normen. Auch die Einfiigung des Art. 280 IV S. 1 EGV durch den Vertrag von Amsterdam andert an diesem Befund nichts. Die EG ist aber befugt, punitive Sanktionsregelungen (Strafrecht im weiteren Sinne) zu schaffen, soweit bestehende Ermachtigungsgrundlagen des EGV diese Moglichkeit ausdriicklich oder implizit (^implied powers"; vgl. Rn. 89) vorsehen. Losungshinweise zu Fall 1 (Frage 2): Der Zeitungsartikel suggeriert durch die 102 Verwendung der Worte „Geldstrafe" wegen „krimineller Praktiken", es liege ein Fall der Ausiibung von Kriminalstrafgev^alt durch die EG vor. Dies trifft indes - wie oben gezeigt - nicht zu. Beim gegenv^artigen Stand der europaischen Rechtsentwicklung besteht keine Befugnis der EG, supranationale Strafgesetze zu schaffen, die unabhangig vom Willen der Mitgliedstaaten im gesamten Rechtsraum der EG zur Anwendung gelangen. In bestimmten, der EG vom Primarrecht zugewiesenen Aufgabenbereichen verfiigt diese jedoch iiber die Zustandigkeit zum Erlass und zur Durchsetzung punitiver Sanktionsregelungen nichtkriminalstrafrechtlicher Art. Zu denken ist insbesondere an die auf Art. 83 II lit. a EGV griindende Kompetenz der EG, in einer Verordnung^^® die Verhangung von UnternehmensgeldbuBen wegen schuldhaften VerstoBes gegen Europaisches Kartellrecht vorzusehen und die hierfiir vorgesehenen Sanktionen durch die Kommission als Exekutivorgan durchzusetzen^^''. Bei diesen Zahlungsauflagen handelt es sich aber - auch wenn es dabei teilweise um gigantische Summen geht - nicht um Kriminalstrafen, sondern um GeldbuBen, die dem Strafrecht i. w. S. (Rn. 76) bzw. - nach deutscher Terminologie - dem Ordnungswidrigkeitenrecht zuzuordnen sind. Diese Zuordnung hat zur Folge, dass auf das EG-Kartellverfahren die besonderen rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts Anwendung finden. III. Literaturhinweise Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11 Rn. 1-13 Bose, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 55-94 ders.. Die Zustandigkeit der Europaischen Gemeinschaft fiir das Strafrecht, GA 2006, 211 Dannecker, Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, JURA 1998, 79 Rn. 61 ff; wohl auch Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 72; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 335. 166 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABIEG 2003 Nr. L 1, S. 1). i6'7 Vgl. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 74 ff und 16. Kap. Rn. 166ff
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
ders.. Das Europaische Strafrecht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, in: RoxinA¥idmaier (Hrsg.): 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, 2000, S. 339 ders.. Das materielle Strafrecht im Spannungsfeld des Rechts der EU, JURA 2006, 95 Deutscher, Die Kompetenzen der Europaischen Gemeinschaften zur originaren Strafgesetzgebung, 2000, passim Fromm, Der strafrechtliche Schutz der Finanzinteressen der EG - Die Frage der Einfiihmng einer supranationalen Strafrechtskompetenz durch Artikel 280IV EGV, 2004, passim Heitzer, Punitive Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996, passim Jung, Konturen und Perspektiven des europaischen Strafrechts, JuS 2000, 417 MusiU Umfang und Grenzen europaischer Rechtsetzungsbefugnisse im Bereich des Strafrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, NStZ 2000, 68 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 90-145 Schroder, Europaische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 103-161 Stiebig, Strafrechtsetzungskompetenz der Europaischen Gemeinschaft und Europaisches Strafrecht: Skylla und Charybdis einer europaischen Odyssee?, EuR 2005, 466 Tiedemann, Europaisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, 23
IV. Rechtsprechungshinweise EuGHE 1992, 5383; 1995, 4125; 1995, 4663; 1998, 3731; 1998, 7637 (zur Sanktionskompetenz der EG) EuGH EuZW 2005, 632 (Anweisungskompetenz der EG im Umweltstrafrecht) BGHSt 25, 190; 27, 181; 41, 127 (Zustandigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Kriminalstrafgesetzgebung)
C. Europaische Union (EU) I. Rechtsnatur der EU 103 Die Rechtsnatur der durch den Vertrag von Maastricht (1992) geschaffenen Europaischen Union (EU) ist nicht einfach zu erfassen. Der EUV hat die EU an keiner Stelle mit eigenen Kompetenzen nach innen oder auBen ausgestattet. Im Gegensatz zu der EG ist die EU keine Internationale Organisation mit eigener Rechtspersonlichkeit. Erst Recht kann daher nicht von einem europaischen Bundesstaat etwa im Sinne von „Vereinigte Staaten von Europa" gesprochen werden^^^. Die EU verfiigt nicht tiber Organe, die einen von der Gesamtheit der Mitghedstaaten unterscheidbaren eigenstandigen Willen bilden konnen. Der in Art. 4
^^^ Vgl. BVerfGE 89, 155, 189 unter Hinweis auf eine Rede des damaligen Bundeskanzlers Kohl am 6. Mai 1993; Commichau, JA 1994, 600, 607; Deutscher, Kompetenzen, S. 30 f. m. w. N.
C. Europaische Union (EU)
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EUV genannte „Europaische Rat", in dem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie der Prasident der Kommission zusanimenkommen, bildet kein „Organ" der EU im engeren Sinne, sondern nur ein Forum fiir die Abstimmung unter den Mitgliedstaaten unter Einbeziehung des Kommissionsprasidenten. Der ,3uropaische Rat" darf nicht mit dem „Rat der EG bzw. EU" - einem Gemeinschaftsorgan (Rn. 7) - verwechselt werden. Nach heute h. L. bildet die EU kein von den Mitgliedstaaten unabhangiges Rechtssubjekt, sondern vielmehr ein Forum zur Btindelung der Willensbildung und Willensbetatigung der Mitgliedstaaten und ein Dach fiir die rechtsfahigen Europaischen Gemeinschaften^^^. Das BVerfG beschreibt die EU mit dem neuartigen Begriff des „Staatenver- 104 bunds", um die Eigenheiten des Unionssystems begrifflich fassen zu konnen, welches der EU eine Stellung zuweist, die zwischen einem losen Staatenbund und einem Bundesstaat anzusiedeln ist: „...Der Vertrag (gemeint: EUV) begriindet einen europaischen Staatenverbund, der von den Mitgliedstaaten getragen wird und deren nationale Identitdt achtet; er betrijft die Mitgliedschaft Deutschlands in supranationalen Organisationen, nicht eine Zugehorigkeit zu einem europaischen Staat. Die Bundesrepublik Deutschland ist ...auch nach dem Inkrafttreten des Unionsvertrages Mitglied in einem Staatenverbund, dessen Gemeinschaftsgewalt sich von den Mitgliedstaaten ableitet und im deutschen Hoheitsbereich nur kraft des deutschen Rechtsanwendungsbefehls verbindlich wirken kann..,. "''''° Als Tragerin einer supranationalen (Straf-)Gesetzgebungsgewalt kommt die EU 105 somit nicht in Betracht. Es ist aber fiir die Zukunft nicht ausgeschlossen, dass die EU in eigene Rechte und Pflichten hineinwachst und so zu einer internationalen Organisation mit eigener Rechtspersonlichkeit wird''''''. So sieht der zur Ratifikation in den Mitgliedstaaten vorgelegte Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa in Art. 1-7 EU-Verfassung vor, der Europaischen Union Rechtspersonlichkeit zu verleihen. Die neugeschaffene Europaische Union soil gem. Art. IV-438 I EUVerfassung die Rechtsnachfolge der Europaischen Gemeinschaften und der bisherigen EU antreten.
II. Verhaltnis der EG zur EU - Tempelarchitektur der EU Aus den Ausfiihrungen zur Rechtsnatur der EU folgt, dass sich durch die Errich- 106 tung der EU an der Einstufung der EG als supranationale Organisation nichts geandert hat. Die EG ist nicht etwa in der neugegrtindeten EU aufgegangen mit der Folge, dass Gemeinschafts- und Unionsrecht zu einer einheitlichen Rechtsordnung
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Herdegen, Europarecht, § 6 Rn. 13; Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 4 ff.; Streinz, ZfRV 1995, 1, 4; eingehend zum aktuellen Forschungsstand Schroeder, in: Bogdandy (Hrsg.), Europaisches Verfassungsrecht, S. 377 ff. BVerfGE 89, 155, 181, 188, 192 ff; vgl. hierzu Streinz, Europarecht, Rn. 121 a. Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 28.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
verschmolzen waren''''^. Am liberzeugendsten lasst sich die Stmktur der EU mit einem der Tempelarchitektur entlehntem Bild""^^ veranschaulichen^'^'^. Das Gemeinschaftsrecht stellt demnach die erste Saule der EU dar. Daneben treten als zweite Saule die Gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik (GASP; vgl. Art. 1 1 28 EUV) sowie als dritte Saule die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS; vgl. Art. 29-42 EUV). Der EUV stellt sich somit als ein im Wesentlichen volkerrechtlich gepragter Dachvertrag oder Rahmenvertrag dar, der die Europaischen Gemeinschaften, die GASP und die PJZS verklammert. 107 Die fur die Entwicklung des Strafrechts in Europa bedeutsame dritte Saule ist mithin als intergouvernementale Zusammenarbeit, d. h. als Kooperation souveraner Staaten konzipiert. Die Instrumentarien des Gemeinschaftsrechts finden hier keine Anwendung. Insbesondere konnen im Bereich der PJZS keine Richtlinien oder Verordnungen erlassen werden. Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten erfolgt vielmehr nach den in Art. 34 EUV enumerativ und abschlieBend aufgefiihrten, durch den Vertrag von Amsterdam erweiterten Handlungsformen. Fachlich zustandig ist in der dritten Saule der Rat der Innen- und Justizminister. Er kann anders als das Gemeinschaftsorgan Rat (Rn. 7) - nicht nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden, sondern muss seine EntschlieBungen einstimmig treffen. Immerhin bewirken die Regelungen des EUV eine institutionelle Verklammerung mit den Gemeinschaftsorganen, obwohl die PJZS keine Gemeinschaftsangelegenheit darstellt. Diese Verklammerung auBert sich darin, dass gem. Art. 34 II S. 2 EUV ein Initiativrecht der Kommission besteht. Die Kommission kann also z. B. Vorschlage fiir die Annahme von Rahmenbeschliissen unterbreiten. Des Weiteren sieht Art. 39 I EUV ein Anhorungsrecht des EP vor. Durch den EUV wird somit das Procedere der intergouvernementalen Zusammenarbeit fiir die Mitgliedstaaten verbindlich festgelegt. 108 Nach Art. 47 EUV lasst der EUV das primare Gemeinschaftsrecht unberiihrt. Damit soil eine Flucht aus dem Gemeinschaftsrecht in die zwischenstaatliche Zusammenarbeit ausgeschlossen werden''''^. Man kann daher auch von einem Primat des Gemeinschaftsrechts vor dem Unionsrecht bzw. der PJZS sprechen. Es wiirde also eine Verletzung des Art. 47 EUV darstellen, wenn die EU einen Rechtsakt auf einem Gebiet erlassen wiirde, der in die Rechtsetzungskompetenz der EG fallt. 109 Die Rechtsprechungsgewalt des EuGH blieb nach Errichtung der EU durch den Vertrag von Maastricht (1992) zunachst auf das Gemeinschaftsrecht (erste Saule) beschrankt. Eine bedeutende Weiterentwicklung der dritten Saule brachte der So die „Einheits- oder Verschmelzungsthese", vertreten von v. Bogdandy/Nettesheim, NJW 1995, 2324 ff.; dies., EuR 1996, 3 ff; dagegen zutr. Deutscher, Kompetenzen, S. 30 und Satzger, Europaisierung, S. 19 jew. m. w. N. 173 Vgl. die anschauliche Illustration bei Kilhne, Strafprozessrecht, Rn. 48.1. 1^4 Di Fabio, DOV 1997, 89, 90; Herdegen, Europarecht, § 5 Rn. 1 ff.; Nelles, ZStW 109 (1997), S. 727 f; Satzger, Europaisierung, S. 19; Sinn, EG, S. 296 ff ;v. d. GrothQn/SchwarzQ/Wasmeier/Jour-Schrdder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 1. ^^^ v. d. GvoQbQn/SchwairzQ/Wasmeier/Jour-Schrdder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 Rn. 50, Art. 29 Rn. 52.
D. Zusammenfassung von § 4
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Vertrag von Amsterdam (1997) durch Einfiigung des neuen Art. 35 I EUV. Nach dieser Bestimmung wird der EuGH in die Lage versetzt, iiber die Giiltigkeit und Auslegung von Rahmenbeschliissen, sonstigen Beschltissen und Ubereinkommen nach Titel VI des Unionsvertrages (PJZS) zu entscheiden (Rn. 46). AbschlieBend kann festgehalten werden, dass die EU aufgrund ihrer Rechtsna- 110 tur als Integrationsverbund derzeit zwar nicht selbst als Akteurin des Europaischen Strafrechts fungiert. Wohl aber finden - um im Bild der Tempelarchitektur zu bleiben - unter ihrem Dach, und zwar im Rahmen der ersten und dritten Saule, bedeutsame Rechtsentwicklungen statt, die das Strafrecht der Mitgliedstaaten in erheblichem MaBe beeinflussen. Mit den Vertragen von Schengen, Maastricht, Amsterdam und Nizza (und der kiinftigen EU-Verfassung) ist ein integriertes europaisches System der Strafrechtspflege im Entstehen begriffen, das im Wesentlichen von den Elementen Kooperation, Koordination, Harmonisierung und sektorieller Zentralisierung der Strafrechtspflege gepragt wird^''®.
III. Literaturhinweise Commichau, Grundgesetz und Europaische Union, JA 1994, 600 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 4-15 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 5. Aufl., 2006, 2. Kapitel Herdegen, Europarecht, 8. Aufl., 2006, §§ 5-6 Nelles, Europaisiemng des Strafverfahrens - Strafprozessrecht fiir Europa?, ZStW 109 (1997), S. 727 Satzger, Die Europaisiemng des Strafrechts, 2001, S. 18-23 Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europaischer Union und Europaischen Gemeinschaften, in: v. Bogdany (Hrsg.), Europaisches Verfassungsrecht, 2003, S. 373 Streinz, Die Europaische Union nach dem Vertrag von Maastricht, ZfRV 1995, 1 VogeU Licht und Schatten im Altemativ-Entwurf Europaische Strafverfolgung, ZStW 116 (2004), S. 400
IV. Rechtsprechungshinweise BVerfGE 89, 155 (Rechtsnatur der Europaischen Union)
D. Zusammenfassung von § 4 In diesem Kapitel werden die RoUe der EG als Tragerin (Akteurin) des Europai- 111 schen Strafrechts, ihre strafrechtsrelevanten Rechtsetzungsbefugnisse und ihr Verhaltnis zur Europaischen Union beleuchtet. Bei der EG handelt es sich um eine auf VogeU ZStW 116 (2004), S. 400, 402 ff.
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§ 4 Europaische Gemeinschaft und Europaische Union
der Gmndlage eines volkerrechtlichen Vertrages (EGV) errichtete Internationale Organisation mit eigener Rechtspersonlichkeit (Art. 281 EGV). Sie handelt durch eigene Organe - namentlich Europaisches Parlament, Rat, Kommission, Gerichtshof und Rechnungshof, die einen von den Mitgliedstaaten unabhangigen Willen bilden. Die Gemeinschaftsrechtsordnung stellt eine autonome Rechtsordnung dar. Uber eine souverane Staatlichkeit mit unbegrenzter Rechtsetzungsgewalt verftigt die EG aber nicht. Vielmehr erfolgt die Kompetenzaufteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung (Art. 5 I, 7 I, 249 I EGV). Danach wird die EG nur innerhalb der Grenzen der ihr zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tatig. Das Einzelermachtigungsprinzip legt fest, dass die EG-Organe fiir jeden Rechtsakt eine ausdriickliche oder zumindest im Wege der Auslegung nachweisbare Ermachtigungsgrundlage im EGV benotigen. Das Gemeinschaftsrecht stellt die sog. erste Saule in der Tempelarchitektur der durch den Vertrag von Maastricht geschaffenen Europaischen Union dar. Neben das Gemeinschaftsrecht - und damit von der ersten Saule strikt zu trennen - treten als zweite Saule die gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik (GASP) und als dritte Saule die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Die Rechtsquellen der Gemeinschaftsrechtsordnung unterteilt man in primares und sekundares Gemeinschaftsrecht. Das Primarrecht gilt in alien Mitgliedstaaten unmittelbar und genieBt gegeniiber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang, d. h., in gemeinschaftsrechtlich geregelten Bereichen werden konfligierende nationale Regelungen (einschlieBlich Strafbestimmungen) verdrangt. Nach zutreffender h. M. verfiigt die EG iiber keine Kriminalstrafgewalt. Mangels der nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung erforderlichen Kompetenzzuweisung im Primarrecht besitzt sie weder die Befugnis zur Setzung noch zur Durchsetzung kriminalstrafrechtlicher Normen. Auch die Einfugung des Art. 280 IV S. 1 EGV durch den Vertrag von Amsterdam andert an diesem Befund nichts. Die EG ist aber befugt, punitive Sanktionsregelungen (Strafrecht im weiteren Sinne) zu schaffen, soweit bestehende Ermachtigungsgrundlagen des EGV diese Moglichkeit ausdriicklich oder implizit („iniplied powers"-Lehre) vorsehen. Zu denken ist insbesondere an die auf Art. 83 II lit. a EGV griindende Kompetenz der EG, in einer Verordnung die Verhangung von UnternehmensgeldbuBen wegen schuldhaften VerstoBes gegen Europaisches Kartellrecht vorzusehen und die hierfiir vorgesehenen Sanktionen durch die Kommission als Exekutivorgan durchzusetzen. Von der (fehlenden) Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts ist ihre Befugnis zu unterscheiden, durch Sekundarrechtsakte auf das mitgliedstaatliche Strafrecht harmonisierend einzuwirken (strafrechtliche Anweisungskompetenz). Im Gegensatz zur EG ist die Europaische Union (EU) keine Internationale Organisation mit eigener Rechtspersonlichkeit. Die EU verfiigt nicht iiber Organe, die einen von der Gesamtheit der Mitgliedstaaten unterscheidbaren eigenstandigen Willen bilden konnen. Die EU kann - einer Begriffsschopfung des BVerfG folgend - als „Staatenverbund" charakterisiert werden, der sie als ein zwischen ei-
D. Zusammenfassung von § 4
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nem losen Staatenbund und einem Bundesstaat anzusiedelndes Gebilde beschreibt. Die EU ist keine selbstandige Akteurin des Europaischen Strafrechts, sondern vielmehr ein Forum zur Biindelung der Willensbildung und Willensbetatigung der Mitgliedstaaten. Unter ihrem Dach, und zwar im Rahmen der ersten und dritten Saule (Gemeinschaftsrecht und PJZS), finden aber bedeutsame Rechtsentwicklungen statt, welche die europaische Strafrechtsentwicklung in erheblichem MaBe beeinflussen.
§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk globaler, europaischer Oder bilateraler Kooperation in Strafsachen
A. EU-Mitgliedstaaten als Trager des Europaisclien Strafrechts Als Trager des Europaischen Strafrechts und Akteure einer international-ar- 1 beitsteUig operierenden Strafverfolgung und Strafrechtspflege treten die Mitgliedstaaten der EU (die alle auch Mitgliedstaaten des Europarates sind) in Erscheinung, wenn es damm geht, - die Vorgaben der EMRK, des Gemeinscliaftsrechts oder von MaBnahmen der dritten Saule der EU in der nationalen Strafgesetzgebung umzusetzen bzw. bei der Anwendung nationalen Straf- und Strafprozessrechts (durch innerstaatliche Behorden und Gerichte) zu berucksichtigen, - im Rahmen der ersten Saule der EU als Mitglieder des Rates der EG zusammenzuwirken (etwa bei der Priifung von Kommissionsvorschlagen und beim Erlass von Sekundarrechtsakten), - im Rahmen der dritten Saule unter dem Dach der EU intergouvernemental zusammenzuarbeiten (etwa bei der Ausarbeitung strafrechtsrelevanter Ubereinkommen oder der Annahme von Rahmenbeschliissen), - bei der Verfolgung grenziiberschreitender Straftaten namentlich in den Bereichen polizeiliche Fahndung, Ermittlung sowie im Rechtshilfeverkehr zu kooperieren, - die durch das Schengener Informationssystem (SIS) ermoglichte „europaische Fahndungsunion" zu verwirklichen, - eine europaische Kriminalpolitik und den jeweiligen nationalen Beitrag hierzu zu formulieren (Beispiel: Terrorismusbekampfung). Hierbei werden diverse Formen informeller und institutionalisierter Zusammenarbeit praktiziert, die eine Abstimmung der Politiken der Mitgliedstaaten ermoglichen und z. B. in gemeinsamen Erklarungen oder im Abschluss multilateraler oder bilateraler Ubereinkommen (auch mit Drittstaaten) zum Ausdruck gelangen konnen.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
B. Strafrechtsrelevante Kooperationsformen I. EinfiJhrung 2 Die EU-Mitgliedstaaten sind in ein komplexes Netzwerk weltweiter, europaischer und zwischenstaatlicher Kooperationssysteme eingebunden, welche sich die Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zu einem Teil ihrer Aufgabengebiete gemacht haben. Diese Kooperationsformen konnen auf rein informeller politischer Zusammenarbeit der beteiligten Staaten beruhen, auf volkerrechtlich nicht verpflichtenden Zusammenschliissen nationaler Behorden, aber auch auf volkerrechtlichen Abkommen, die zur Grtindung internationaler Organisationen gefiihrt haben. Zu den Institutionen, die im Bereich der internationalen Kriminalitatsbekampfung und Strafrechtspflege global tatig werden, gehoren die Internationale KriminalpolizeUiche Organisation (Interpol), die Vereinten Nationen (UN), die Organisation fiir Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und die Gipfeltreffen der G7/G8-Staaten. Auf europaischer Ebene ist die Strafrechtsentwicklung maBgeblich durch die Aktivitaten des Europarates gepragt worden. Daneben spielen auch die Nordische Passunion und die Organisation fiir Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) eine gewisse Rolle^. Die intensivste Form internationaler Zusammenarbeit in Strafsachen findet derzeit unter dem Dach der Europaischen Union im Rahmen der dritten Saule (PJZS) statt, zumal der Schengen-Besitzstand durch den Amsterdamer Vertrag in diese Kooperationsform des EUV iiberfiihrt wurde (Rn. 71). Zum Netzwerk justizieller und polizeilicher Zusammenarbeit in Strafsachen gehoren aber nicht zuletzt auch bilaterale Kooperationsformen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten.
II. Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) 3 Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer internationalen Kooperation im Bereich der Kriminalitatsbekampfung war die Griindung der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission (IKPK) im Jahre 1923, die nach Ende des zweiten Weltkrieges weiter fortentwickelt und im Jahre 1956 in Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) mit Sitz in Paris (seit 1989 in Lyon) umbenannt wurde^. Interpol hat sich zum wichtigsten Instrument fiir die weltweite polizeiliche Zusammenarbeit entwickelt. Die Mitgliedschaft bei Interpol ist allein nationalen Polizeibehorden vorbehalten, was diese Einrichtung maBgeblich von anderen Formen institutionalisierter Kooperation unterscheidet^. Im Zentrum der Arbeit von Interpol stehen die nationalen Verbindungsbiiros (in Deutschland das BKA), die in liber 80 % der Falle unmittelbar - also nicht etwa auf dem umstandlichen Vgl. hierzu Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 108 ff. Vgl. zur Entstehungsgeschichte von Interpol Lisken/Denninger/MoA:ro5, Hb. PolR, Kap.ORn. 168m. W.N. Eine Auflistung aller beteiligten Staaten (derzeit 186; Stand 12/2006) findet sich auf der Homepage der Organisation unter http://www.interpoLint.
B. StrafrechtsrelevanteKooperationsformen
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Weg iiber Botschaften und AuBenministerien - untereinander Informationen und Daten austauschen"^. Die groBte Bedeutung von Interpol liegt nach wie vor im Bereich der internationalen Fahndung^. Gesuchte Personen konnen zur Festnahme, Aufenthaltsermittlung oder verdeckten Beobachtung ausgeschrieben werden. Fiir die nationalen Verbindungsbiiros besteht freilich keine Pflicht zur Beteiligung an Interpol-FahndungsmaBnahmen. Die Erledigung von Gesuchen und die Durchfiihrung operativer MaBnahmen obliegen den jeweils zustandigen nationalen Polizeibehorden, die sich dabei ausschlieBlich an den fiir sie geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften orientieren. Interpol ist lediglich ein Instrument, dessen sich die Mitglieder nach eigenem Ermessen bedienen konnen. Der Souveranitatsanspruch der Staaten bleibt im Rahmen der Interpol-Zusammenarbeit vollig unberiihrt. Zwischen den EU-Mitgliedstaaten wird die polizeiliche Zusammenarbeit nicht mehr iiber Interpol, sondern iiber das Schengener Informationssystem (SIS) koordiniert (Rn. 50 ff.). Eine Interpol-Fahndung kommt fur die EU-Mitgliedstaaten also nur noch in Betracht, wenn Drittstaaten zu beteiligen sind. Trotz des Vorranges des SIS ist Interpol fiir die EU-Mitgliedstaaten weiterhin von Bedeutung, da es sich um die einzige weltumspannende Kooperationsform im Bereich der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit handelt.
III. Vereinte Nationen (UN) Wahrend es sich bei Interpol um eine Zusammenarbeit nationaler Polizeibehorden handelt, stellen die Vereinten Nationen (UN) als Zusammenschluss von Staaten ebenso wie der Europarat - eine klassische Internationale Organisation dar^. Eine der fundamentalen Aufgaben der UN war und ist es, jedenfalls den Mindeststandard der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu definieren und durchzusetzen''. Zur Achtung und Verwirklichung dieses Mindeststandards sind alle UN-Mitgliedstaaten verpflichtet. Die UN haben durch ihre Organe - vor allem Generalversammlung, Sicherheitsrat und Internationaler Gerichtshof - und durch die mit ihnen verbundenen Sonderorganisationen mehrfach die Bedeutung der Menschenrechte und Grundfreiheiten fiir den Strafprozess und den Strafvollzug hervorgehoben. Programmatischer Ausgangspunkt hierfiir war die AUgemeine Erklarung der Menschenrechte v. 10. Dezember 1948, die neben allgemeinen Verfahrensgrundrechten insbesondere die Garantie des fairen Verfahrens, die Unschuldsvermutung sowie das Prinzip „nulla poena sine lege" postulierte. Diese Garantien wurden neben anderen klassischen Justizgrundrechten in dem Internationalen Pakt iiber Biirgerliche und Politische Rechte (IPBPR) v. 19. Dezember 1966 Sturm, Kriminalistik 1997, 99, 100; Wahl Datenschutz, S. 79, 81 f. Vgl. zur Interpol-Fahndung Lisken/Denmnger/MoA;^^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 173 f. und Wehner, Abbau der Grenzkontrollen, S. 129, 152 f. Standiger Sitz der UN ist New York. Ihr Griindungsstatut ist die mittlerweile mehrfach geanderte Charter of the United Nations (UN-Charta). Vgl. hierzu die ausfuhrliche Darstellung von Gading, Sicherheitsrat, passim.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
kodifiziert. Inzwischen haben iiber 150 Staaten diesen Pakt ratifizierf. Da der IPBPR jedoch kein individuelles Beschwerdeverfahren, sondern lediglich eine eingeschrankte Moglichkeit der Staatenbeschwerde vorsieht, vermochte er niemals eine solche Bedeutung wie die EMRK zu erlangen^. Neben dem IPBPR kann das Ubereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe v. 10. Dezember 1984 (UN-Anti-FolterKonvention) zu den herausragenden strafrechtsrelevanten UN-Konventionen gezahlt werden''°. Seit ihrer Grtindung im Jahre 1945 haben die UN eine breite Palette an internationalen Standards, Richtlinien, Resolutionen und Modellvertragen entwickelt, um eine an rechtsstaatlichen Grundsatzen orientierte Strafverfolgungspraxis in den Mitgliedstaaten voranzutreiben''''. Der breit gefacherte Katalog strafrechtsrelevanter Bereiche, derer sich die UN angenommen haben, umfasst neben dem Volkerstrafrechti2 (§ 2 Rn. 84 ff.) und der Rechtshilfe in Strafsachen (§ 2 Rn. 64) Themen wie Behandlung von Gefangenen, Anwendung von Gewalt und Schusswaffengebrauch durch Strafverfolgungsbehorden, Opferschutz, Unabhangigkeit der Justiz sowie die Rolle von Anwalten und Staatsanwalten. Das erwiinschte Verhalten von Strafverfolgungsbehorden bzw. von offentlichen Amtsinhabern und Beamten wurde in internationalen Verhaltenscodices zusammengefasst. Zu erwahnen ist in diesem Zusammenhang auch die UN-Erklarung gegen Korruption und Bestechung. Zur Verwirklichung ihrer Hauptziele, den Weltfrieden und die Internationale Sicherheit zu wahren, betatigen sich die UN seit vielen Jahren auch auf dem Feld der Kriminalitatspravention und der Bekampfung bestimmter Formen der Kriminalitat, insbesondere des unerlaubten Verkehrs mit Betaubungsmitteln, der Korruption, Bestechung, Geldwasche und Umweltdelinquenz. Aufgrund fehlender Rechtsetzungs- und Exekutivbefugnisse handelt es sich bei den Resolutionen der Generalversammlung freilich nur um politische Willensbekenntnisse der Mitgliedstaaten. Demgegeniiber konnen die von den UN ausgearbeiteten Ubereinkommen durch innerstaatliche Ratifikation eine volkerrechtliche Verbindlichkeit fiir die Vertragsstaaten entfalten. Exemplarisch sei auf die nachfolgend behandelten Konventionen verwiesen.
Vgl. Schomburg, IRhSt, Vor Anhang 1 (Vertragstabelle) Rn. 1 ff. In Deutschland gilt der IPBPR seit 15. November 1973 als unmittelbar geltendes Bundesrecht (BGBl. II1973, 1533). In Deutschland gilt die UN-Anti-Folter-Konvention seit 31. Oktober 1990 als unmittelbar geltendes Bundesrecht (BGBl. II1990, 246; 1993, 715; 1996, 282). Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 53 ff Werle, Volkerstrafrecht, 2003, Rn. 44 ff; Wessels/Beulke, AT, Rn. 76; Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 125 ff
B. Strafrechtsrelevante Kooperationsformen
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7. Bekampfung der Geldwasche und Betaubungsmittelkriminalitat Von den deliktsspezifischen Konventionen der UN ist insbesondere das Uberein- 8 kommen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen V. 20. Dezember 1988 (UN-SuchtstoffUbK)^^ hervorzuheben, da es zu den innovativsten volkerrechtlichen Regelungen im Bereich der grenztiberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen zahlt^"^. Dieses Ubereinkommen verfolgt in erster Linie das Ziel, das „Reinwaschen" von Erlosen aus illegalen Drogengeschaften (Geldwasche) zu kriminalisieren und die Internationale Zusammenarbeit bei der Bekampfung des Drogenhandels zu fordern^^. Neben der Verpflichtung, entsprechende Strafnormen zu schaffen, enthalt das Ubereinkommen insbesondere Auslieferungs- und Rechtshilfeverpflichtungen. Diese dienen dem Zweck, grenziiberschreitende Ermittlungen und die Auslieferung von Beschuldigten in Geldwaschefallen zu erleichtern sowie Eingriffe in das Vermogen international tatiger Straftater iiber die Grenzen hinweg zu ermoglichen. Nicht zuletzt regelt die Konvention auch moderne Formen polizeilicher Kooperation wie den Austausch von Verbindungsbeamten oder kontrollierte Drogenlieferungen mit dem Ziel, Schmuggler und deren Hintermanner zu ermitteln. 2. Bekampfung illegaler grenziiberschreitender Abfallverbringung Das Easier Ubereinkommen iiber die KontroUe der grenziiberschreitenden 9 Verbringung gefahrlicher Abfalle und ihrer Entsorgung v. 22. Marz 1989 (BU)^^ zielt darauf ab, den seit den 1980er Jahren in zunehmenden Umfang auftretenden Miilltourismus international zu bekampfen. Ziel des Btj ist es, sicherzustellen, dass Sonderabfalle grundsatzlich in dem Staat entsorgt werden, in dem sie erzeugt wurden. Nach Art. 4 BU haben die Vertragsparteien jeglichen unerlaubten Verkehr mit Abfallen als Straftat einzustufen und zu ahnden. Die EG trat diesem tJbereinkommen bei und setzte ihre hieraus resultierenden Verpflichtungen durch Erlass der Verordnung (EG) Nr. 259/93 des Rates v. 1. Februar 1993 zur Uberwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfallen in der, in die und aus der Europaischen Gemeinschaft (EGAbfVerbVO)^^ urn. Art. 26 V EGAbfVerbVO verpflichtet die Mitgliedstaaten, die „illegale Abfallverbringung zu unterbinden und durch geeignete rechtliche MaBnahmen zu ahnden" (§8 Rn. 33). 3. Bekampfung der transnationalen Kriminalitat Spezifische Regelungen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit fiir alle 10 Bereiche der grenziiberschreitenden Kriminalitat enthalt das Ubereinkommen der Vereinten Nationen iiber die Bekampfung der transnationalen Kriminali-
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BGBl. 1993 II, 1137; vgl. hierzu die Kommentierung von Lagodny, IRhSt, V D 2a. Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 123 ff. Denkschrift BR-Drs. 506/92, S. 44; vgl. hierzu Ambos, ZStW 114 (2002), 236 ff. BGBl. I 1994, 771; II1994, 2703. ABlEG1993Nr.L30,S. 1.
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tat V. 15. Dezember 2000 (UN-TranskrimtJbK)''®. Hierzu gehoren Bestimmungen iiber Auslieferung, Rechtshilfe und VoUstreckungsiibernahme sowie iiber spezielle Ermittlungsmethoden wie kontrollierte Lieferungen, elektronische Uberwachung und verdeckte Ermittlungen. Im Bereich der polizeilichen Kooperation stehen die Sammlung und der Austausch von Informationen im Vordergrund. IV. Organisation fur wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 11 Die Organisation fiir Europaische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) wurde im Jahre 1948 gegriindet und mutierte im Jahre 1961 zur Organisation fiir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Cooperation and Developement = OECD). Wahrend die OECD zu Beginn ihrer Tatigkeit eine rein westeuropaische Vereinigung der Industriestaaten gewesen ist, hat sie sich nach dem Beitritt Australiens, Japans, Kanadas und der USA sowie anderer auBereuropaischer Mitgliedstaaten zu einem Forum der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der 30 wichtigsten Industrielander der Welt entwickelt^^. Als Internationale Organisation, die sich die Forderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedstaaten zum Ziel gesetzt hat, beschaftigt sich die OECD auch mit kriminalpolitischen Problemen des internationalen Geschaftsverkehrs^°. Zur Durchsetzung ihrer Ziele im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts bedient sich die OECD wie die UN iiberwiegend des sog. „soft law". Damit sind Instrumente wie Modellkonventionen, Empfehlungen und Verhaltenscodices gemeint, die nicht auf eine Rechtsharmonisierung im Sinne eines „Gleichklangs" der Normen abzielen, sondern auf eine funktionale Annaherung der Strafrechtssysteme (Assimilierung)^^ Diese Methode hat den Vorteil, dass sie die Durchsetzung gewisser strafrechtlicher Standards in grundverschiedenen Rechtsystemen wie dem angelsachsischen, kontinental-europaischen und asiatischen ermoglicht, ohne dass tradierte Prinzipien und Regelungstechniken aufgegeben werden miissen. 12 Zu den strafrechtsrelevanten Aktivitaten der OECD gehorte z. B. die Ausarbeitung detaillierter Empfehlungen iiber die Strafbarkeit bestimmter Computerdelikte im Jahre 1985^^. In den letzten Jahren haben sich die Bekampfung von Bestechung und Korruption im internationalen Geschaftsverkehr sowie der Geldwasche als strafrechtliche Hauptbetatigungsfelder der OECD herauskristallisiert.
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UN-Doc. A/55/383; vgl. hierzu Plachta, ZStW 110 (1998), S. 819 ff. Herdegen, Europarecht, § 1 Rn. 11; Oppermann, Europarecht, § 3 Rn, 2 ff. Vgl. hierzu Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 60 ff Vgl. hierzu Pieth, ZStW 109 (1997), 756, 770 f. Vgl. hierzu Sieber, JZ 1996, 429 ff, 494 ff
B. Strafrechtsrelevante Kooperationsformen
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1. Bekampfung von Korruption und Bestechung Der Rat der OECD verabschiedete am 27. Mai 1994 eine Empfehlung zur Ergrei- 13 fung wirksamer MaBnahmen zur Bekampfung der Bestechung auslandischer Amtstrager im Zusammenhang mit dem internationalen Geschaftsverkehr. Ein Jahr spater gab er eine iiberarbeitete Empfehlung ab und forderte die unverziigliche Erarbeitung eines internationalen Ubereinkommens. Vom 18. bis 21. November 1997 tagte in Paris eine diplomatische Konferenz, in der sich die Teilnehmer einvernehmlich auf den Text eines entsprechenden OECD-tJbereinkommens mit zugehorigen Erlauterungen verstandigten. Am 27. Dezember 1997 unterzeichneten die Mitgliedstaaten der OECD sowie Argentinien, Brasilien, Bulgarien, Chile und die Slowakische Republik die OECD-Konvention zur Bekampfung der Korruption. Dieses Ubereinkonunen ist inzwischen von fast alien beigetretenen Staaten ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt worden. Um die dem offenen und freien Wettbewerb unterworfenen Markte vor den ne- 14 gativen Auswirkungen der Korruption zu schiitzen, verpflichtet das tJbereinkommen die Vertragsstaaten zur Kriminalisierung der Bestechung auslandischer Amtstrager im internationalen Geschaftsverkehr durch Einfiihrung entsprechender Straftatbestande. AuBerdem versprechen sich die beteiligten Staaten, einander umfassend Rechtshilfe zu leisten. Hierbei soil das klassische Rechtshilfeerfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit als gegeben angesehen werden. Auch sollen die Konventionsstaaten gewahrleisten, dass Rechtshilfeersuchen nicht unter Hinweis auf das Bankgeheimnis abgelehnt werden dtirfen. Die Vertragsstaaten verpflichten sich des Weiteren, auch eigene Staatsangehorige auszuliefern oder eine entsprechende Strafverfolgung im eigenen Hoheitsgebiet sicherzustellen. In Deutschland erfolgte die Umsetzung der OECD-Konvention durch das Ge- 15 setz zu dem Ubereinkommen v. 17. Dezember 1997 iiber die Bekampfung der Bestechung auslandischer Amtstrager im internationalen Geschaftsverkehr (IntBestG) v. 10. September 1998, welches am 15. Februar 1999 in Kraft trat^^. Gesetzestechnisch hat der deutsche Gesetzgeber die Strafbarkeit der Bestechung auslandischer Amtstrager dadurch erreicht, dass er in Art. 2 § 1 IntBestG auslandische mit inlandischen Amtstragern gleichgestellt und in diesen Fallen die Anwendung der §§ 334, 335, 336, 338 II StGB vorgesehen hat (nicht erfasst werden also Vorteilsgewahrungen nach § 333 StGB)^^. Strafbar ist gem. Art. 2 § 2 IntBestG unter den dort genannten Voraussetzungen auch die Bestechung auslandischer Abgeordneter. Insoweit geht der Strafrechtsschutz weiter als beziiglich nationaler Abgeordneter (§ 108 e StGB)^^. Erganzt werden die oben genannten Strafbestimmungen durch das EU-Bestechungsgesetz (EUBestG) v. 10. September 1998^^, das zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der §§334, 335, 336, 338
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BGBl. II 1998, 2327; 1999, 8 7 ; z u m IntBestG vgl. Korte, wistra 1999, 8 1 ; KmuselVogeU R I W 1999, 4 8 8 ff; Taschke, StV 2 0 0 1 , 78 ff; Zieschang N J W 1999, 105, 106 ff. Pefe StraFo 2000, 300, 302 ff Lackner/iTM/i/, § 108 e Rn. 9; Taschke, StV 2 0 0 1 , 78, 80. BGBl. I I 1 9 9 8 , 2340.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
StGB auf Richter und Amtstrager der anderen EU-Mitgliedstaaten sowie auf Richter des EuGH und Gemeinschaftsbeamte fiihrt^''. Mit diesem Gesetz erfiillte der deutsche Gesetzgeber seine Verpflichtungen aus dem im Rahmen der ZBJI (Rn. 56) verabschiedeten Ersten ZusatzprotokoU zum tjbereinkommen iiber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften zur Bekampfung der Korruption^^ und dem tjbereinkommen tiber die Bekampfung der Bestechung, an der Beamte der EU oder der Mitgliedstaaten beteiligt sind^^. 2, Bekampfung der Geldwasche 16 Die Aktivitaten der OECD im Kampf gegen Geldwasche werden vor allem von der bei der OECD angesiedelten FATF (Financial Action Task Force on Money Laundering) koordiniert und vorangetrieben^°. Bei der FATF handelt es sich um ein urspriinglich von den Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten und dem Vorsitzenden der EU-Kommission im Juni 1989 eingesetztes zwischenstaatliches Gremium, dessen zentrale Aufgabe darin besteht, die Internationale Zusammenarbeit bei der Bekampfung der Geldwasche zu entwickeln und zu fordern. Die FATF setzt sich aus den Mitgliedstaaten der wichtigsten Finanzzentren Europas, Nordamerikas und Asiens sowie zwei internationalen Organisationen zusammen. Nach ihrer Griindung im Jahre 1989 entwarf sie 40 Empfehlungen zur Geldwaschebekampfung, die im Wesentlichen in die EG-Geldwascherichtlinie von 199P^ (§ 8 Rn. 9) eingeflossen sind. Die jahrlichen Berichte der FATF, in welchen die Defizite im Kampf gegen die Geldwasche nicht nur in den Mitgliedstaaten, sondern gerade auch in den nicht kooperierenden Staaten aufgezeigt werden, sind durchaus geeignet, politischen Druck auf die Staaten auszuiiben. So hat z. B. Osterreich im Februar 2000 - wie von der FATF gefordert - die bis dahin nach innerstaatlichem Recht mogliche Einrichtung anonymer Konten abgeschafft. 17 Die Konvention zur Bekampfung der Korruption und die von der OECD initiierten Aktivitaten gegen Geldwaschekriminalitat bilden anschauliche Beispiele dafur, wie durch tjbereinkommen, die im Rahmen internationaler Kooperation geschlossen wurden, aber auch durch bloBe Empfehlungen bestimmte strafrechtliche Standards und MaBnahmen in den Konventionsstaaten durchgesetzt werden konnen. Freilich funktioniert dieser ,,weiche" Durchsetzungsmechanismus nur, wenn die Konventionsstaaten zur Umsetzung der empfohlenen Zielvorgaben in nationales Recht bereit sind (vgl. zur Geldwaschebekampfung im Rahmen der EU § 8 Rn. 15; § llRn.44ff.).
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Gdnfile, NStZ 1999, 543 ff; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 306 ff.; Pelz, StraFo 2000, 300, 301 f; Zieschang, NJW 1999, 105 f. ABIEG 1996 Nr.C 313, S. 1. ABIEG 1997 Nr. C 195, S. 1; vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 46, 50. Vgl. hierzu Gentzik, Europaisiemng des Geldwaschestrafrechts, S. 37 f.; HoyerlKlos, Geldwasche, S. 38; Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 61 f. Richtlinie 91/308/EWG v. 10. Juni 1991 zur Verhinderung und Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche (ABIEG Nr. L 166, S. 77).
B. StrafrechtsrelevanteKooperationsformen
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V. Gipfelkonferenz der G7/G8-Staaten Seit 1975 treffen sich die Staats- und Regiemngschefs von sieben Industriestaaten 18 mit dem weltwirtschaftlich groBten Gewicht (G7-Staaten: Deutschland, Frankreich, GroBbritannien, Italien, Japan, Kanada und USA) zu einer jahrlichen Gipfelkonferenz, um sich iiber wirtschaftliche und politische Fragen auszutauschen. Die seit 1998 (nach dem Beitritt Russlands) in G8-Staaten umgetaufte Institution bildet eine Plattform fUr eine informelle politische Zusammenarbeit der beteiligten Staaten ohne feste Strukturen oder eigene Organe. Zu den von den G7/G8-Staaten behandelten Themen gehoren auch kriminalpolitische Fragen, insbesondere die Bekampfung des Terrorismus, der Organisierten Kriminalitat und der Geldv^asche. SchlieBlich befassen sich die beteiligten Staaten im Rahmen einer Forschungsgruppe auf Ministerebene auch mit der Bekampfung von Missbrauchen in internationalen Computernetzen^^. Die auf den Gipfelkonferenzen gefassten Beschliisse und Empfehlungen entfalten keine rechtliche Bindungswirkung, sind jedoch von nicht zu unterschatzender politischer Bedeutung.
VI. Zusammenarbeit im Europarat Im Europa des Europarates arbeiten inzwischen 46 Staaten - darunter alle EU- 19 Mitgliedstaaten - zusammen, die sich zur Wahrung und Beachtung der in der EMRK niedergelegten Grundfreiheiten verpflichtet haben. Der Tatigkeit der StraBburger Konventionsorgane (Europaische Kommission ftir Menschenrechte und Europaischer Gerichtshof fiir Menschenrechte)^^ ist es zu verdanken, dass sich innerhalb der letzten Jahrzehnte ein gemeineuropaischer Grundrechtsstandard herausbilden konnte, der die nationalen Strafrechtsordnungen der Konventionsstaaten erheblich beeinflusst (§ 3 Rn. 18 ff.). Der Europarat setzt bei seiner Arbeit im Bereich der Kriminalitatsbekampfung zum einen auf die Instrumente des „soft law" (Modellgesetze, Stellungnahmen, Empfehlungen, Verhaltenscodices), aber auch auf die harmonisierende Wirkung volkerrechtlicher Ubereinkommen ( § 3 Rn. 11 ff.). Exemplarisch ist auf die MaBnahmen des Europarates zur Bekampfung von Geldwasche, Drogenkriminalitat, Korruption und Cyber Crime hinzuv^eisen, durch die entsprechende Aktivitaten der OECD, UN bzw. G8-Staaten erganzt werden.
32 33
Vgl. hierzu Sieber, JZ 1997, 369, 372. Seit dem 1. November 1998 ist die EKMR und der nur bei Bedarf tagende EGMR durch einen standig tagenden EGMR ersetzt worden.
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T. Bekampfung der Geldwasche und Betaubungsmittelkriminalitat 20 Am 8. November 1990 wurde das Ubereinkommen iiber Geldwasche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten beschlossen^"^, das am 1. September 1993 in Kraft getreten ist. Mittlerweile ist es von den meisten Mitgliedstaaten ratifiziert worden^^. Das tJbereinkommen zielt - insoweit iiber das UN-SuchtstoffUbK v. 20. Dezember 1988 (Rn. 8) hinausgehend darauf ab, den Vortatenkatalog der nationalen Geldwaschetatbestande iiber den Bereich der Betaubungsmitteldelikte auf alle Straftaten auszudehnen. Dariiber hinaus enthalt das Ubereinkommen detaillierte Rechtshilferegelungen fiir die Phasen Ermittlung, vorlaufige Sicherung und definitive Einziehung von Tatwerkzeugen sowie illegal erlangter Ertrage und Vermogensgegenstande (vgl. zur Geldwaschebekampfung im Rahmen der EU § 8 Rn. 15; § 11 Rn. 44 ff.). 21 Durch das Europaische Ubereinkommen iiber den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchfiihrung des Art. 17 des Ubereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen v. 13. Januar 1995^^ soUen insbesondere die rechtshilferechtlichen Instrumentarien des Art. 17 UN-SuchtstoffUbK prazisiert und verstarkt werden, indem Regelungen zur Ausiibung der Strafgewalt und zum Einsatz von ZwangsmaBnahmen getroffen werden. 2. Bekampfung der Korruption 22 Am 27. Januar 1999 wurde eine Strafrechtskonvention zur Korruption^'' verabschiedet, die fiir diejenigen Staaten, welche die Konvention ratifiziert haben, zum 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist^^. Das Ubereinkommen bezieht sich umfassend auf Bestechung und Bestechlichkeit im offentlichen und privaten Sektor sowohl im nationalen als auch im internationalen Bereich. Des Weiteren finden sich in dem Ubereinkommen umfangreiche Regelungen zu Rechtshilfe, Auslieferung, Spontankontakten und direktem Informationsaustausch zwischen den nationalen Strafverfolgungsbehorden. Zugleich wurde eine Vereinbarung iiber die Einsetzung der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) getroffen, um die nationalen Aktivitaten durch intensivere Zusammenarbeit zu starken.
34 35
ETSNr. 141. In Deutschland gilt es seit dem 1. Januar 1999 (BGBl. II 1998, 519; 2000, 1304; 2001, 339).
36
E T S Nr. 156; BGBl. 2 0 0 0 I I , 1313.
37 3^
E T S Nr. 173 mit seinem ZusatzprotokoU v. 15. M a i 2003 (ETS Nr. 191). Deutschland hat das Ubereinkommen zwar unterzeichnet, aber bislang noch nicht ratifiziert.
B. StrafrechtsrelevanteKooperationsformen
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3. Bekampfung der Cyber-Kriminalitat Bin weiteres Beispiel fur die Zusammenarbeit der Europaratsstaaten im Bereich 23 der Bekampfung transnationaler Kriminalitat ist das Europaische Ubereinkommen zur Datennetzkriminalitat v. 23. November 200P^, welches erstmals hochspeziflsche und umfangreiche Anpassungen des materiellen und prozessualen innerstaatlichen Strafrechts vorsieht, um die verschiedensten Formen von „Cyber Crime" zu bekampfen (vgl. hierzu auch den - im Rahmen der PJZS erlassenen Rahmenbeschluss iiber Angriffe auf Informationssysteme; § 11 Rn. 117 ff.). Diese Konvention, die durch die Bundesrepublik Deutschland am 23. November 2001 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert worden ist, sieht u. a. die Moglichkeit vor, Internetdienste zu verpflichten, samtlichen Datenverkehr iiber drei Monate zu speichern. Das Eindringen in Computersysteme („Hacking") wird als strafwurdige Handlung angesehen^o (vgl. hierzu § 10 Rn. 90; § 11 Rn. 132). 4. Bedeutung der Zusammenarbeit im Europarat Dass dem Streben nach Rechtsvereinheitlichung auf dem Feld des Strafrechts je- 24 doch Grenzen gesetzt sind, zeigt sich daran, dass die meisten strafrechtsrelevanten tJbereinkommen des Europarates mangels der erforderlichen Zahl von Ratifikationen nicht in Kraft getreten sind. Der eigentliche „Schrittmacher" der europaischen Strafrechtsentwicklung ist derzeit nicht der Europarat, sondern die EU. Bereits an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass der Europarat dennoch eine bedeutende Rolle als Forum paneuropaischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege und der Kriminalpolitik spielt (§ 3 Rn. 16). Neben der politischen Erfahrung, die der Europarat durch die Ausarbeitung und den Abschluss zahlreicher Konventionen auf dem Gebiet der Kriminalitatsbekampfung und der internationalen Strafrechtspflege erlangt hat, pradestinieren ihn vor allem seine im Verhaltnis zur EU groBere Zahl an Mitgliedern und die dadurch bedingte kriminalgeographische Abdeckung als geeignete Institution fiir eine Abstimmung der nationalen Kriminalpolitiken bzw. Angleichung des Straf-, Strafverfahrens- und Rechtshilferechts. Die Tatigkeit des Europarates ist aus dem Prozess der Internationalisierung des Strafrechts schon deshalb nicht hinweg zu denken, well er auch die Nicht-EU-Staaten in die Internationale Zusammenarbeit einbindet. Letzteres ist von zentraler Bedeutung, weil sich Ost-, Mittel- und Westeuropa mittlerweile zu einem zusammenhangenden kriminalgeographischen Aktionsraum entwickelt haben^"".
39 ETSNr. 185. "^^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 1. Kap. Rn. 75; Schnabl, wistra 2004, 211,215. 41 Vgl. Kohl, Transnationale Kriminalitat, S. 30 ff.; Zachert, in: Sieber (Hrsg.), Europaische Einigung, S. 61, 76.
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C. Intergouvernementale Zusammenarbeit in der Europaischen Union 25 Im Europa der Europaischen Union (§ 4 Rn. 103) findet die grenziiberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der seit 1. Mai 2004 auf die Zahl 25 angewachsenen Mitgliedstaaten im Rahmen der dritten Saule (PJZS) statt^^. Die intergouvernementale Kooperation der Mitgliedstaaten im Bereich der inneren Sicherheit hat sich zwar stetig, aber im Hinblick auf die nationalen Souveranitatsvorbehalte nur langsam entwickelt und ausgeweitet. Erst nach und nach hat sich bei den Mitgliedstaaten die politische Einsicht durchgesetzt, dass im Hinblick auf die Verwirklichung des freien Binnenmarktes eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Justiz und der Innenpolitik ihrem gemeinsamen Interesse entspricht. Im Folgenden werden die entscheidenden Entwicklungsphasen einer seit Mitte der 1970er Jahre inmier enger werdenden intergouvernementalen Kooperation der EG/EU-Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Kriminalitatsbekampfung nachgezeichnet.
I. Informelle Zusammenarbeit T- TREVI-Arbeitsgruppen 26 Das Aufkommen des politisch motivierten Terrorismus in den 1970er Jahren und die hierdurch entstandene neue Bedrohungslage war der auBere Anlass fur die EGMitgliedstaaten, zu einer engeren transnationalen Zusanmienarbeit im Bereich der Strafverfolgung zu gelangen. Im Hinblick darauf, dass die EG zu diesem Zeitpunkt noch keine Kompetenz fur innen- und rechtspolitische Angelegenheiten hatte, bediente man sich zunachst einer rein informellen (nicht institutionalisierten) Kooperationsform. Der Europaische Rat von Rom (die Versanmilung der Regierungschefs der EG-Mitgliedstaaten) reagierte im Jahre 1975 auf die damaligen Terroranschlage durch die Einfiihrung einer regelmaBigen informellen Zusammenarbeit der nationalen Behorden in Konsultations- und Arbeitgruppen. Diese sollten Informationen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Terrorismusbekampfung austauschen und gemeinsame polizeiliche Strategien erarbeiten. Die informelle Zusammenarbeit in den hieraus erwachsenen, regelmaBig tagenden TREVIKonsultationsgruppen"^^ reichte aber schon bald iiber das von TREVII behandelte Thema Terrorismusbekampfung hinaus. Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 216 ff; Dieckmann, NStZ 2001, 617 ff; Glefi/Luke, JURA 1998, 70, 75 ff; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 70 ff, 96 ff; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 58 ff Der Urspmng des Kiirzels ist unklar: Wahrend manche Autoren TREVI als Ktirzel fur die Begriffe „Terrorisme, Radicalisme et Violence Internationale" sehen, fiihren andere ihn auf den Namen des ersten Tagungsortes der Arbeitsgmppe bei der „Fontana di Trevi" in Rom zuriick; vgl. GlefilLuke, JURA 1998, 70, 71, dort Fn. 25; LigetU Strafrecht in der EU, S. 55, dort Fn. 22.
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Mit der Bildung der Arbeitgruppe TREVI II reagierten die Mitgliedstaaten auf 27 die Ereignisse im Briisseler Heysel-Stadion am 29. Mai 1985, bei denen 39 Menschen getotet und mehr als 400 Personen verletzt wurden. Diese Arbeitsgruppe hatte die Aufgabe, Informationen iiber schwerwiegende Storungen der offentlichen Ordnung insbesondere im Zusammenhang mit FuBballrowdytum auszutauschen. Das Arbeitsfeld von TREVI II wurde spater erweitert auf die Bereiche Polizeiausriistung, polizeiliche Kommunikation sowie Fragen der Polizei- und Kriminaltechnik. Der Arbeitsschwerpunkt der im Jahre 1985 gegrtindeten Arbeitsgruppe TREVI III lag bei der Bekampfung der internationalen organisierten Kriminalitat, insbesondere des illegalen Rauschgifthandels. Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Europol befasste sich im Anschluss an den EG-Gipfel in Luxemburg (1991) mit der Bildung einer eurokriminalpolizeilichen Zentralstelle. In der Adhoc-Arbeitsgruppe TREVr92 wurden AusgleichsmaBnahmen fiir den aus der Umsetzung des Schengener Ubereinkommens (Rn. 30) resultierenden Wegfall der KontroUen an den Binnengrenzen und den damit einhergehenden Sicherheitsverlusten beraten. Da die TREVI-Zusammenarbeit keine rechtliche Grundlage im Gemeinschafts- 28 recht hatte, war sie nicht in den institutionellen Rahmen der EG eingegliedert. Eine gewisse Anbindung an die Organisationsstruktur der EG ergab sich nur daraus, dass der Vorsitz in den Arbeitsgruppen durch den Mitgliedstaat ausgeiibt wurde, der turnusgemaB den Vorsitz im Rat fuhrte. Im Rahmen von TREVI wurden keine rechtlich verbindlichen Vereinbarungen erarbeitet, sondern Ministerempfehlungen, deren Umsetzung von dem politischen Willen der einzelnen Mitgliedstaaten abhangig war. Durch die in den TREVI-Arbeitsgruppen praktizierte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kriminalitatsbekampfung wurde jedoch der Grundstein fiir die spater infolge der Vertrage von Maastricht (1992) und Amsterdam (1997) institutionalisierte Kooperation der Mitgliedstaaten im Rahmen der dritten Saule des EUV gelegt44. 2. CELAD In den 1980er Jahren wurde die Drogenbekampfung in vielen MitgHedstaaten zum 29 beherrschenden Thema der kriminalpolitischen Agenda. Im Jahre 1989 setzte der Europaische Rat CELAD (Comite Europeen de la Lutte Antidrogue) ein - ein Ausschuss nationaler Vertreter mit der Aufgabe, MaBnahmen der Mitgliedstaaten und der EG zur Bekampfung der Drogensucht und der Drogenkriminalitat zu koordinieren"^^. Ein wesentliches Ergebnis der Ausschussarbeit war die Erstellung eines Europaischen Drogenbekampfungsplans, der u. a. die Einrichtung einer Europaischen Drogenbeobachtungsstelle vorsah. Eine solche errichtete der Europaische Rat im Jahre 1993 in Lissabon"^^. Dort werden seither Informationen iiber die Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 218 f.; Degenhardu Europol, S. 21 ff.; Sinn, EG, S. 300; Nelles, ZStW 109 (1997), S. 727, 734. Vgl. hierzu v. d. Groebon/Schwdize/Wasmeier/Jour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 18. VO (EWG) 302/93; ABLEG 1993 Nr. L 36, S. 1.
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Drogen- und Drogensuchtproblematik, jedoch keine personenbezogenen Daten gesammelt. Die Datensammlung der Beobachtungsstelle dient als empirisch fundierte Grundlage fiir repressive und praventive MaBnahmen der Mitgliedstaaten. CELAD besteht bis heute als eine in der „Grauzone" zwischen intergouvernementaler und gemeinschaftsrechtlicher Zusammenarbeit anzusiedelnde Kooperationsform47.
II. Zusammenarbeit im Rahmen der Schengener Abkommen 1. Schengen I und Schengen II (SDU) 30 Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten" auBerte sich in der Zusammenarbeit einer Gruppe von zunachst fiinf EG-Staaten, die eine weitergehende politische Integration Europas anstrebten. Ausgehend von einem Beschluss des Europaischen Rates aus dem Jahre 1984 forcierte die Gemeinschaft das Projekt „Europa der Burger", das spiirbare Auswirkungen auf das AUtagsleben der Burger entfalten sollte. Hierzu gehorte auch und vor allem die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen. Am 14. Juni 1985 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande das Abkommen von Schengen (Luxemburg) iiber den schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen zwischen den Vertragsparteien (Schengen I)"^^. Die durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen befiirchtete EinbuBe an innerer Sicherheit sollte ein weiterer volkerrechtlicher Vertrag, das Schengener Durchfuhrungsiibereinkommen (Schengen II - SDtJ) v. 19. Juni 1990"^^ ausgleichen. 31 Das SDU trat am 1. September 1993 in Kraft. Die praktische Anwendung seiner Einzelbestimmungen und der von Schengen I beschlossene Wegfall der Personenkontrollen an den Binnengrenzen erfolgte jedoch erst nach Schaffung der erforderlichen technischen (z. B. Einrichtung von Datenbanken und der dafiir erforderlichen Datenschutzbehorden) und rechtlichen (sog. ,Jnkraftsetzung") Voraussetzungen am 26. Marz 1995, zunachst zwischen den fiinf Partnern des Schengener Abkommens sowie Spanien und Portugal. Seit 1995 traten Italien, Griechenland, Osterreich, Danemark, Finnland und Schweden dem SDLF bei. Norwegen und Island wenden das Schengen-Regelwerk seit dem 25. Marz 2001 voUumfanglich an. GroBbritannien und Irland sind keine Parteien des Schengener Abkommens. Sie konnen den „Schengen-Acquis" (Rn. 71) mit BilHgung des EU-Rates ganz Oder teilweise iibernehmen und sich an seiner Weiterentwicklung beteiligen. 47 48
GlefilLuke, JURA 1998, 70, 72; Sinn, EG, S. 341. Ubk. zwischen den Regiemngen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der BRD und der Franzosischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der KontroUen an den gemeinsamen Grenzen v. 14. Juni 1985 (GMBl. 1986, 79 ff.). Ubk. zur Durchfiihrung des Ubereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regiemngen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der BRD und der Franzosischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der KontroUen an den gemeinsamen Grenzen v. 19. Juni 1990 - SDU- (BGBL II 1993, 1013 ff).
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Danemark entscheidet von Fall zu Fall, ob es sich an der Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes auf volkerrechtlicher Grundlage anschlieBt und das ohne seine Beteiligung zustande gekommene Gemeinschaftsrecht als nationales Recht anwenden will. Die am 1. Mai 2004 der EU beigetretenen zehn Staaten haben mit ihrem Beitritt den Schengen-Besitzstand weitgehend iibernommen^^. Das SDU regelt in 142 Artikeln die grundlegenden operativen Bestimmungen 32 des Schengen-Systems. Neben MaBnahmen zur Abschaffung der GrenzkontroUen und zum freien Personenverkehr fiihrte es eine Reihe von MaBnahmen zum Ausgleich moglicher Sicherheitsdefizite ein. Hierzu gehoren namendich die Vereinbarung einheitlicher KontroUstandards an den AuBengrenzen, die Anwendung gemeinsamer Grundsatze fiir die Einreise und den Aufenthalt von Drittauslandern, die Definition einer einheitlichen Visumpolitik und -praxis, die Regelung der Zustandigkeit fur die Behandlung von Asylgesuchen sowie die Annahme gemeinsamer Grundsatze fiir die grenziiberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit^^ SchlieBlich ermoglicht das Schengener Informationssystem (SIS) das technische Kernstiick der grenztiberschreitenden Zusammenarbeit - alien Teilnehmerstaaten den Zugriff auf ein zentrales, fiir die Polizeizusammenarbeit auBerst niitzliches Informationssystem (Rn. 50 ff.). 2, Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit auf der Basis des SDU a) Uberblick Der im SDU normierte Katalog fiir eine engere polizeiliche und justizielle Zu- 33 sammenarbeit, die der vorbeugenden Bekampfung und der Aufklarung von strafbaren Handlungen dient, umfasst folgende MaBnahmen: -
Polizeilicher Informationsaustausch (Art. 39 SDU), Grenziiberschreitende Observation (Art. 40 SDtJ), Grenziiberschreitende Nacheile (Art. 41 SDU), Gleichstellung der Beamten (Art. 42 SDtJ), Direkte Kommunikation (Art. 44 SDU), Praventive Spontaninformationen (Art. 46 SDU), Entsendung von Verbindungsbeamten (Art. 47 SDU), Leistung von Rechtshilfe tiber das Europaische Rechtshilfeiibereinkommen hinaus (Art. 48-49 SDU), - Direkte Ubersendung von gerichtlichen Urkunden (Art. 52 SDU), - Unmittelbare Ubermittlung von Rechtshilfeersuchen von Justizbehorde zu Justizbehorde (Art. 53 SDU), Vgl. die in Anhang I der Beitrittsakte aufgefuhrten Bestimmungen des SchengenBesitzstandes, die ab dem Beitritt fiir die neuen Mitgliedstaaten bindend und in ihnen anzuwenden sind (ABIEU 2003 Nr. L 236, S. 50). Lisken/Denninger/Mo^roi", Hb. PolR, Kap. O Rn. 103; Oppermann, Europarecht, § 24 Rn. 21 ff.; v. d. Gwdben/SchwsirzQ/Wasmeier/Jour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 23.
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-
Staateniibergreifender Informationsaustausch (Art. 57 SDU), Erleichterung der Auslieferung (Art. 59-66 SDU), Ubertragung der Vollstreckung von Strafurteilen (Art. 67-69 SDU), Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen zur Bekampfung der Betaubungsmittelkriminalitat (Art. 70 SDU), - KontroUierte Lieferung bei dem unerlaubten Handel mit Betaubungsmitteln im Einzelfall auf der Grundlage der Vorwegbewilligung der betroffenen Vertragsparteien (Art. 73 SDU).
b) Polizeilicher Informationsaustausch (Art. 39 SDU) 34 Der formlose polizeiliche Informationsaustausch (Art. 39 I SDtJ) dient sowohl der vorbeugenden Bekampfung von Straftaten (praventivpolizeilicher Bereich) als auch der Aufklarung von Straftaten (Strafverfolgung)^^. Ein „polizeilicher Rechtshilfeverkehr" gem. Art. 39 I SDU ist aber ausgeschlossen, wenn ein Ersuchen oder dessen Erledigung nach nationalem Recht den Justizbehorden vorbehalten ist und die Erledigung des Ersuchens die Ergreifung von ZwangsmaBnahmen (z. B. Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme und Telefoniiberwachung) erfordert. Nach deutschem Recht kommen demnach z. B. folgende HilfeleistungsmaBnahmen in Betracht: erkennungsdienstliche Behandlung (§ 81 b StPO), Datenabgleich (§ 98 c StPO), Identitatsfeststellung (§ 163 b StPO), kurzfristige Observationen, Klarung der Aussagebereitschaft von Zeugen, polizeiliche Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten (§ 163 a StPO), Auskiinfte aus offentlich zuganghchen Unterlagen und Melderegistern sowie Halterfeststellungen^^. Art. 39 II SDU normiert eine Beweisverwertungsschranke. Danach konnen schriftliche Informationen, die von der ersuchten Vertragspartei nach Art. 39 I SDLF iibermittelt werden, nur mit Zustimmung der zustandigen Justizbehorde der ersuchten Vertragspartei von der ersuchenden Vertragspartei als Beweismittel in einem Strafverfahren benutzt werden. 35 Beispiel: Die franzosische Justiz darf ein polizeiliches Protokoll tiber eine Beschuldigtenvemehmung, das im Rahmen eines Informationsaustausches gem. Art. 39 I SDU von der deutschen Polizei an die franzosischen Kollegen ubersandt wurde, nur dann als Beweismittel in einem gegen den Vemonmienen gefuhrten Strafverfahren verwerten, wenn die zustandige deutsche Justizbehorde zustimmt^^. 36 Grundsatzlich wird der polizeiliche Rechtshilfeverkehr iiber die „beauftragte zentrale Stelle" abgewickelt, in der Bundesrepublik Deutschland also iiber das BKA. Ein unmittelbarer Informationsaustausch zwischen den beteiligten Polizeibehorden ist nur in Eilfallen zulassig (Art. 39 III 2 SDU). Nach Art. 39 V SDU bleiben jedoch weitergehende bilaterale Abkommen zwischen den Vertragsparteien, die eine gemeinsame Grenze haben, unberiihrt. Hierzu gehoren z. B. Vertrage, die die Bundesrepublik Deutschland mit Belgien, Frankreich und Osterreich abgeschlossen hat und die einen unmittelbaren Geschaftsweg zwischen bestimmten Po52 53 54
Vgl. hierzu UskQu/Dmninger/Mokros, Hb. PolR, Kap. O Rn. 114 ff. Lisken/Denninger/Mo^ra^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 116. Vgl. hierzu BGHSt 34, 334, 342 ff
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lizeibehorden zulassen^^. Die Kommission hat am 12. Oktober 2005 den Vorschlag fur einen Rahmenbeschluss des Rates iiber den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfiigbarkeit^^ vorgelegt. Sollte dieser auf der Grundlage des Art. 30 I lit. b EUV gestiitzte Rahmenbeschlussvorschlag vom Rat angenommen werden, waren die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bestimmte Arten von Informationen, die ihren Behorden zur Verfiigung stehen, gleichwertigen Behorden anderer Mitgliedstaaten zur Verfiigung zu stellen, soweit diese Behorden die Informationen fiir die Erfiillung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Hinblick auf die Verhiitung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten benotigen. c) Grenzuberschreitende Observation (Art. 40 SDU) Das SDtJ ermoglicht erstmals auch die Durchfiihrung grenziiberschreitender poli- 37 zeilicher MaBnahmen, bei denen Hoheitsgewalt eines Vertragsstaates auf dem Territorium eines benachbarten Vertragsstaates ausgeiibt wird. Nach Art. 40 I SDtJ sind Beamte einer Vertragspartei, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in ihrem Land eine Person wegen des Verdachts der Beteiligung an einer auslieferungsfahigen Straftat observieren, befugt, die Observation auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates fortzusetzen, wenn dieser der grenzliberschreitenden Observation auf der Grundlage eines zuvor gestellten Rechtshilfeersuchens zugestimmt hat. Unter Observation versteht man gemeinhin eine langer andauernde heimliche Beobachtung von Personen durch Polizeibehorden, wobei ein Kontakt zwischen der observierten Person und dem observierenden Beamten grundsatzlich nicht beabsichtigt ist^''. Vor Inkrafttreten des SDtJ durften deutsche Beamte grundsatzlich nur auf deutschem Hoheitsgebiet tatig werden. Die „klassische" Rechtshilfe sah demgemaB lediglich vor, dass die Observation an der Grenze an die Beamten des ersuchten Staates iibergeben wird. In Art. 40 I SDtJ wird ein neues Konzept der transnationalen Strafverfolgung deutlich, namlich die Befugnis fiir Beamte eines Schengenstaates, unter Mitnahme von Hoheitsgewalt auf dem Territorium des benachbarten Staates tatig zu werden. Nach Art. 40 I S. 3 SDU ist jedoch die Observation auf Verlangen der ersuchten Vertragspartei an die Beamten der Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Observation stattfindet, zu iibergeben. Die grenziiberschreitende Observation ist gem. Art. 40 I SDU an folgende 38 Voraussetzungen gebunden, welche kumulativ vorliegen miissen^®: - ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren im Ausgangsstaat, - wegen einer auslieferungsfahigen Straftat (richtet sich nach der Gesamtheit der auslieferungsrechtlichen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Staaten), - gegen eine bereits observierte Person („Zielperson") in dem (um grenzuberschreitende Observation) ersuchenden Staat sowie 55
Hecker
Jan, E u R 2 0 0 1 , 826, 8 3 0 ff.; Lisken/Denninger/MoA:ra5, H b . PolR, Kap. O
Rn. 119,54,59,66. 56 57 58
K O M (2005) 490 endg. Lisken/Denninger/Moy^ra^, H b . PolR, K a p . O Rn. 126. SchomburglGlefi, IRhSt, Art. 4 0 S D U Rn. 8 ff.
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- die Zustimmung des ersuchten Staates („Zielstaates") auf der Gmndlage eines zuvor gestellten Rechtshilfeersuchens. 39 Ausnahmsweise kann bei besonderer Dringlichkeit auch ohne vorherige Zustimmung eine grenziiberschreitende Observation erfolgen. Dann gelten aber besondere Voraussetzungen und Bestimmungen, die in Art. 40 II SDU niedergelegt sind: - Voraussetzungen des Art. 40 I SDU (Rn. 38), - eine besondere Dringlichkeit, die es nicht erlaubt, im Wege eines Rechtshilfeersuchens die vorherige Zustimmung des Zielstaates einzuholen, - die observierte Person steht im Verdacht der Beteiligung an einer in Art. 40 VII SDU (Straftatenkatalog) aufgefuhrten Straftat, - der Grenziibertritt ist noch wahrend der Observation unverzuglich der in Art. 40 V SDtJ bezeichneten Behorde mitzuteilen, - ein Rechtshilfeersuchen nach Art. 40 I SDtJ ist unverzuglich nachzureichen, wobei die Griinde, die einen Grenziibertritt ohne vorherige Zustimmung rechtfertigen, mitzuteilen sind, - die Observation ist einzustellen, sobald die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet die Observation stattfindet, dies verlangt oder wenn die Zustimmung nicht fiinf Stunden nach Grenziibertritt vorliegt. 40 Die Praktikabilitat der in Art. 40 II SDU fiir Eilfalle getroffenen Regelung kann durchaus bezweifelt werden^^. Es steht zu befiirchten, dass das angstliche Klammern an Souveranitatsgedanken wahrscheinlich wieder zu neuen Grauzonen fiihren wird. Unbefriedigend ist auch, dass die mit der Observation des Tatverdachtigen einhergehende Observation von Kontaktpersonen ungeregelt geblieben ist^°. 41 In Art. 40 III lit. a-h SDtJ sind weitere allgemeine Zulassigkeitsvoraussetzungen fur eine grenziiberschreitende Observation nach Art. 40 I bzw. II SDU normiert^"". Nach der Grenziiberschreitung sind die observierenden Beamten an das Recht des Staates gebunden, auf dessen Hoheitsgebiet sie operieren. Sie diirfen ihre Dienstwaffe mit sich fiihren, es sei denn, die ersuchte Vertragspartei hat dem ausdriicklich widersprochen. Der Schusswaffengebrauch ist mit Ausnahme des Falles der Notwehr nicht zulassig®^. Die observierenden Beamten sind nicht befugt, Wohnungen und offentlich nicht zugangliche Grundstiicke zu betreten. Auch durfen sie die zu observierende Person nicht anhalten oder festnehmen.
59 SchomburglGlefi, IRhSt, Art. 40 SDU Rn. 13. ^^ Lisken/Denninger/M(9^r(95, Hb. PolR, Kap. O Rn. 127 halt die grenzuberscheitende Observation von Kontaktpersonen daher fur unzulassig. 61 Lisken/Denninger/MoA:ra5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 131 f. 6^ Zur Problematik des Schusswaffengebrauchs durch Polizeibeamte an der deutschbelgisch-niederlandischen Grenze vgl. Brammertz/Bourdoux/Hartwig, Die Polizei 1996, S. 33.
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d) Grenzuberschreitende Nacheile (Art. 41 SDU) Grenziiberschreitende Nacheile bedeutet Fortsetzung der polizeilichen Verfolgung 42 von fliichtigen Personen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates^^. Diese neue Form polizeilicher Aktivitat liber die Grenzen des eigenen Staatsgebietes hinaus ist gem. Art. 411 SDU zulassig, wenn eine Person auf frischer Tat betroffen wurde oder aus Untersuchungs- oder Strafhaft geflohen ist und die Behorden des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet nachgeeilt wird, nicht rechtzeitig informiert werden und deshalb die Verfolgung nicht selbst an der Grenze aufnehmen konnen. Die Befugnis, die Verfolgung im Wege einer grenzuberschreitende Nacheile 43 auf dem Staatsgebiet einer anderen Schengen-Vertragspartei fortzusetzen, hangt gem. Art. 411 SDU von folgenden Voraussetzungen ab: - Verfolgung einer Person, die auf frischer Tat bei der Begehung oder der Teilnahme an einer Straftat nach Art. 41 IV SDU (Option: Katalogtat oder auslieferungsfahige Tat) betroffen v^ird oder die aus Untersuchungs- oder Strafhaft geflohen ist, - Eilbediirftigkeit (besondere Dringlichkeit der Angelegenheit) - insofern wird auf die Ausschopfung der Kommunikationsmittel des Art. 44 SDtJ verwiesen - Kontaktaufnahme der nacheilenden Beamten mit der zustandigen Behorde des Gebietsstaates spatestens bei Grenziibertritt, - Einhaltung der in einer Erklarung gem. Art. 41 IX SDU festgelegten Erklarung zu den konkreten raumlichen, zeitlichen und sachlichen Nacheilemodalitaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch Erklarungen gem. Art. 41 IX SDU den 44 Beamten Belgiens, Frankreichs, Luxemburgs, der Niederlande und Osterreichs das Recht der Nacheile ohne raumliche und zeitliche Begrenzung, fiir alle auslieferungsfahigen Straftaten und unter Einraumung eines Festhalterechts gewahrt. Demgegeniiber sind die Nacheilemodalitaten, an welche die deutschen Beamten gebunden sind, in den Nachbarstaaten Deutschlands jeweils unterschiedlich geregelt^^ und stellen durch eine willkurliche, sachlich nicht nachvollziehbare rigide Begrenzung eine effektive Nutzung der Nacheile als Instrument der Strafverfolgung in Frage. In der Literatur wird zu Recht eine Harmonisierung der Nacheilemodalitaten 45 gefordert mit dem Ziel, ein unbeschranktes Nacheile- und Festhalterecht im Nachbarterritorium zu erreichen^^. Hochstrichterlich ungeklart ist, welche Konsequenzen es fiir die Gerichtsverwertbarkeit von Beweismitteln hat, die unter Verletzung der Observations- oder Nacheilebestimmungen erlangt wurden. Man denke z. B. an den Fall, dass ein Tatverdachtiger in Luxemburg von nacheilenden deutschen Beamten an einem Ort festgehalten wurde, der elf Kilometer im Landesinneren liegt (nach einer Erklarung Luxemburgs gem. Art. 41 IX SDtJ gilt eine Zehn-
63 V. Bubnoff, ZRP 2000, 60; Lisken/Denninger/Moi^ro^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 133. 6^ Vgl. hierzu die Erklarungen der Vertragsstaaten im Anhang zum SDLF bei Schomburg/Lagodny/Glefi/Hackner, IRhSt. 65 V. Bubnoff, ZRP 2000, 60 ff.; Schomburg, IRhSt, Art. 41 SDU Rn. 6.
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Kilometer-Begrenzung)^®. Fraglich ist auch, ob die nacheilenden Beamten in solchen Fallen unter dem besonderen Schutz des Widerstands gegen die Staatsgewalt stehen (vgl. Art. 42 SDU).
e) Gleichstellung der Beamten (Art. 42 SDU) und Schadensersatz (Art. 43 SDU) 46 Wahrend eines Einschreitens nach MaBgabe der Art. 40 und 41 SDtJ werden die Beamten, die im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei eine Aufgabe erfiillen, den Beamten dieser Vertragspartei in Bezug auf die Straftaten gleichgestellt, denen diese Beamten zum Opfer fallen oder die sie begehen wiirden (Art. 42 SDLF). 47 Fallbeispiel: Bin aus franzosischer Strafhaft entflohener Haftling H leistet mit Gewalt Widerstand gegen seine Festnahme durch franzosische Beamte, die ihm iiber die Grenze hinweg nach Deutschland nachgeeilt sind. Da die franzosischen Beamten gem. Art. 42 SDU den deutschen Amtstragem gleichgestellt werden, muss sich H gem. § 113 StGB strafrechtlich verantworten. Die Gleichstellungsklausel bewirkt aber auch, dass sich die strafrechtliche Haftung der franzosischen Beamten nach den fiir deutsche Amtstrager geltenden Bestimmungen richtet (z. B. §§ 331, 332, 340, 343, 344, 345 StGB). YoUig ungeklart ist die Rechtslage, wenn Beamte eine grenzuberschreitende Observation oder Nacheile unter (bewusster oder unbewusster) Uberschreitung raumlicher oder zeitlicher Grenzen durchfiihren und sich hierbei strafrechtlich relevante Ereignisse abspielen®^. 48 Art. 43 I SDU bestimmt, dass die Vertragspartei fiir einen Schaden, den ihre Beamten im Rahmen einer nach Art. 40 und 41 SDU vorgenommenen Diensthandlung auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei verursacht haben, nach MaBgabe ihres nationalen Rechts der anderen Vertragspartei haftet. Nach Art. 43 II SDU verpflichtet sich die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet der in Absatz 1 genannte Schaden verursacht wird, diesen Schaden so zu ersetzen, wie sie ihn ersetzen mtisste, wenn ihre eigenen Beamten ihn verursacht batten. 49 Fallbeispiel: Eine Zivilstreife der franzosischen Polizei entdeckt kurz vor dem Grenzubergang StraBburg/Kehl den aus franzosischer Untersuchungshaft entflohenen H. Die franzosischen Polizeibeamten eilen H iiber die Rheinbriicke hinweg nach bis zu einem auf deutschem Territorium gelegenen Rastplatz. Dort zwingen sie ihn, mit erhobenen Handen auszusteigen, legen ihm Handfesseln an und durchsuchen seinen Wagen. Bei der Durchsuchungsaktion wird durch grobe Unachtsamkeit eines Beamten der PKW des H beschadigt. Nach Art. 43 II SDU muss die Bundesrepublik den materiellen Schaden so ersetzen, wie sie es miisste, wenn deutsche Beamte ihn verursacht hatten. H kann also einen Schadensersatzanspruch (aus Amtshaftung gem. § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend machen und erforderlichenfalls auch vor einem deutschen Gericht einklagen. GemaB Art. 43 III SDU besteht eine Erstattungspflicht zwischen den betroffenen Staaten. Falls Deutschland dem H Schadensersatz leistet, ist Frankreich der Bundesrepublik gegenuber zur Erstattung verpflichtet.
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Fiir die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes wegen Verletzung der souveranen Rechte des Gebietsstaates Bose, ZStW 114 (2002), S. 148, 177. Vgl. hierzu Schomburg, IRhSt, Art. 42 SDU Rn. 7.
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f) Das Schengener Informationssystem - SIS (Art. 92-119 SDU) Neben der grenziiberschreitenden polizeilichen Zusammenarbeit stellt das in den 50 Art. 92-119 SDtJ geregelte Schengener Informationssystem (SIS) die zweite wesentliche Neuerung der transnationalen Kriminalitatsbekampfung in Europa dar. Das im Marz 1995 eroffnete und mittlerweile in ganz Westeuropa (mit Ausnahme der Schweiz) einschlieBlich der am 1. Mai 2004 der EU beigetretenen Staaten etablierte SIS ist ein staateniibergreifendes, computergestiitztes polizeiliches Fahndungssystem, das in den Vertragsstaaten des SDU („Fahndungsunion") den Online-Zugriff auf polizeiliche Fahndungsdaten (davon 85 % Sachfahndungsdaten) ermoglicht®^. Durch das SIS werden Ausschreibungen, die der Suche nach Personen oder Sachen dienen, zum Abruf im automatisierten Verfahren bereitgehalten. Im Gegensatz zur Interpol-Fahndung (Rn. 3) sind die Teilnehmer des SIS verpflichtet, dem Fahndungsersuchen eines Vertragsstaates zu entsprechen. Durch die Integration des Schengen-Besitzstandes in den Rechtsrahmen der EU 51 (Rn. 71) wurde aus dem SIS ein Europaisches Informationssystem (EIS). Dadurch wird auch den Nicht-Schengen-Vertragsparteien GroBbritannien und Irland eine Teilnahme am SDIJ und somit auch am SIS ermoglicht. Fiir die Schweiz, die als einziges Land in Westeuropa (noch) nicht iiber einen Zugriff zum EIS verfiigt, sind bilaterale Zusammenarbeitsvertrage mit den Nachbarstaaten - so auch mit Deutschland - in Vorbereitung („Bilaterale 11"; Rn. 79). Damit ist ein einheitlicher europaischer Fahndungsraum mit einheitlichen fur alle Polizeien zuganglichen Fahndungsdaten in unmittelbare Nahe geriickt. Das SIS gliedert sich in einen Zentralrechner in StraBburg (C.SIS = Central 52 Schengen Information System) und in nationale Systeme der Anwenderstaaten (N.SIS = National Schengen Information System)^^. Von den N.SIS werden die Daten an das C.SIS iibermittelt, das durch Steuerung der Abfrage- und Eingabedialoge und Betreiben einer Referenzdatenbank fiir die Synchronitat der Daten sorgt und von dort die Daten an alle N.SIS verteilt, so dass nahezu ohne zeitliche Verzogerung nach Dateneingabe im N.SIS die Daten gleichzeitig alien Vertragsstaaten zur Verfiigung stehen. Jeder am SIS teilnehmende Staat hat die Verpflichtung, eine Stelle zu bestinmien, die fur den nationalen Teil des SIS zustandig ist. Diese Stellen werden SIRENE (Supplementary Information Request at the National Entry) genannt. Die deutsche SIRENE befindet sich beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden.
^^ Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 224; GlefilLuke, JURA 1998, 70, 74 f.; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 77; Lisken/Denninger/MoA;ra5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 143 ff. ^^ Hackner u. a., Leitfaden IntRSt, Rn. 59; v. d. Giothtr\JSc\\sN2irzdJour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 18; Lisken/Denninger/Moy^ra^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 143; Sinn, EG, S. 301 ff; Wahk Datenschutz, S. 79, 97 ff
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Im SIS werden folgende Fahndungskategorien unterschieden: - Fahndung nach Personen zur Festnahme zwecks Auslieferung (Art. 95 SDLF), - Fahndungen nach Drittauslandern, die zur Einreiseverweigerung bzw. Ausweisung/Abschiebung bei Antreffen im Schengen-Raum ausgeschrieben sind (Art. 96 SDtF), - Fahndungen zur Aufenthaltsermittlung (Vermisste) und zur Ingewahrsamnahme zwecks Gefahrenabwehr (z. B. Suizidgefahr) gemaB Art. 97 SDU, - Fahndungen zur Aufenthaltsermittlung fiir die Justiz (z. B. Angeklagte, Zeugen) gemaB Art. 98 SDU, - Fahndungen zur verdeckten Registrierung oder gezielten Kontrolle (Art. 99 SDtF), - Fahndungen nach gestohlenen, unterschlagenen oder sonst abhanden gekommenen Sachen gemaB Art. 100 SDU, allerdings gilt dies nur fur Kraftfahrzeuge iiber 50 cm^, Anhanger und Wohnwagen mit einem Leergewicht von mehr als 750 kg, Schusswaffen, Blankodokumente, ausgefiillte Identitatspapiere sowie Banknoten.
54 Das SDLF gewahrt einen schengenweiten Rechtsschutz vor dem Gericht einer Wahl des Betroffenen, wenn es um vom SIS beriihrte Datenschutzrechte des Betroffenen geht''°. 55 Fallbeispiel: F befurchtet, im SIS gem. Art. 99 SDtF zur „verdeckten Registrierung" (gemeint ist damit „zur polizeilichen Beobachtung")'"' ausgeschrieben zu sein. Diese Vor schrift erlaubt unter gewissen Voraussetzungen die Aufnahme von Personen- und Fahrzeugdaten zu Zwecken der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. F mochte zunachst in Erfahrung bringen, ob das zutrifft, um dann ggf die RechtmaBigkeit dieser Ausschreibung uberpriifen lassen. F steht gem. Art. 109 I SDtF gmndsatzlich ein Auskunftsanspmch zu, dessen Inhalt sich nach dem nationalen Recht des Vertragsstaates richtet, in dessen Hoheitsgebiet das Auskunftsrecht beanspmcht wird''^. Nach Art. 110 SDtF hat jeder das Recht, auf seine Person bezogenen unrichtige Daten berichtigen oder unrechtmaBig erhobene Daten loschen zu lassen. Falls zu seiner Person Daten im SIS gespeichert sind, hat F gem. Art. 114 II SDtF einen Anspruch darauf, dass die gem. Art. 114 I SDtF eingerichteten nationalen Kontrollinstanzen die RechtmaBigkeit der Datenspeicherung sowie deren Nutzung iiberprufen. Erforderlichenfalls kann F von seiner in Art. I l l SDtF niedergelegten Rechtsschutzgarantie Gebrauch machen. Art. 111 SDU gewahrt jedem das Recht, im Hoheitsgebiet jeder Vertragspartei eine Klage wegen einer seine Person betreffenden Ausschreibung insbesondere auf Berichtigung, Loschung, Auskunftserteilung oder Schadenersatz vor dem nach nationalem Recht zustandigen Gericht oder der zustandigen Behorde zu erheben.
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Baldus, Pohzeiliche Zusammenarbeit, S. 34, 51 ff; Glefi/Luke, JURA 2000, 400, 404; Lisken/Denninger/Mo^ra5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 164; WahU Datenschutz, S. 79, 92 ff., 119ff Lisken/Denninger/MoA:ro5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 155. Zu den Einschrankungen gem. Art. 109 II SDU vgl. GlefilLuke, JURA 2000, 400, 404, dort Fn. 47.
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III. Die dritte Saule der EU 7. Zusammenarbeit in den Bereichien Justiz und Inneres (ZBJI) Erst mit dem Abschluss des am 1. November 1993 in Kraft getretenen Vertrages 56 von Maastricht wurden in der seither bestehenden dritten Saule der EU gemeinsame Strukturen fiir eine staateniibergreifende Zusammenarbeit in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse geschaffen, ohne dass jedoch die Schengener Vertrage in das institutionelle System der EU integriert worden waren. Durch die tjberfiihrung der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) in den Rahmen des EUV wurde das Procedere fiir eine Zusammenarbeit aller EUMitgliedstaaten sowie die Art der moglichen MaBnahmen abschlieBend festgelegt^^. Die Eingliederung der ZBJI in den EUV rechtfertigte sich vorrangig aus der zunehmend grenziiberschreitenden Dimension vieler innen- und justizpolitischer Problemfelder. Zu den in Art. K.l EUV (in der Fassung des Maastrichter Vertrages) aufgefiihrten neun Politikbereichen, die von den Mitgliedstaaten als „Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse" angesehen wurden, gehorte nunmehr die justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen, die Kooperation im ZoUwesen sowie die polizeiliche Zusammenarbeit zur Verhiitung und Bekampfung schwerer Formen der internationalen Kriminalitat wie Terrorismus und Drogenhandel. Als Ziel der ZBJI wurde ausdriicklich auch der Aufbau eines unionsweiten Systems zum Austausch von Informationen im Rahmen eines Europaischen Polizeiamtes (Europol) genannt. Der Maastrichter Vertrag hat aber im Wesentlichen nur den Status quo der bis zu diesem Zeitpunkt volker- und europarechtlich nicht geregelten, jedoch in Gestalt einer Vielzahl von Arbeitsgruppen praktizierten intergouvernementalen Zusammenarbeit auf eine volkervertragsrechtliche Grundlage gestellt und damit von einer informellen in eine institutionalisierte Kooperationsform iiberfuhrt^"^. Die TREVI-Arbeitsgruppen (Rn. 26 f.) sind nach Inkrafttreten des EUV formell im „Rat fiir Inneres und Justiz" aufgegangen. Zur Koordinierung des mitgliedstaatlichen Vorgehens im Bereich der ZBJI 57 stellte der EUV folgende Instrumentarien zur Verftigung: - Unterrichtung und Konsultation der Mitgliedstaaten untereinander, - Gemeinsame Standpunkte, die im wesentlichen darauf abzielen, innerstaatliche Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken an gemeinsamen MaBstaben auszurichten, - Gemeinsame MaBnahmen, die das gemeinsame Vorgehen der zustandigen mitgliedstaatlichen Behorden betreffen, - Ubereinkommen, die der Rat den Mitgliedstaaten zur Annahme empfehlen kann.
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Vgl. hierzu Fischer, EuZW 1994, 747 ff. sowie MuUer-Grajf (Bxsg.), Europaische Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, 1996, passim. Vgl. hierzu GleJ], EuR 1998, 748, 749; Nelles, ZStW 109 (1997), S. 727, 734.
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58 Die tJbereinkommen haben sich im Hinblick auf das Ratifikationserfordernis als schwerfalliges Instrument erwiesen. Von den auf der Basis des Maastrichter Vertrages getroffenen Konventionen sind bisher lediglich das Europol-Ubereinkommen (Rn. 61) und - nach siebenjahriger Ratifikationsphase in den Mitgliedstaaten - am 17. Oktober 2002 das Ubereinkommen v. 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG (PIF)^^ nebst erstem ZusatzprotokolF^ betreffend Bestechung und Bestechlichkeit sowie einem weiteren ProtokolF'', das die Zustandigkeit des EuGH fiir die Auslegung der PIF-Konvention festlegt (§ 14 Rn. 24 ff.), in Kraft getreten^^ 2. European Drug Unit (EDU) 59 Der Europaische Rat von Luxemburg hatte schon im Jahre 1991 beschlossen, einen Bericht iiber Moglichkeiten zur Einrichtung eines Europaischen Polizeiamtes zu erstellen. Daraufhin wurde aus der Arbeitsgruppe TREVI III (Schwerpunkt Bekampfung der Drogenkriminalitat) die „Ad-hoc-Gruppe-Europol" gebildet, welche die Eckpunkte fur die Errichtung eines solchen Amtes erarbeitete. Schon bald war abzusehen, dass dieses Projekt unter dem Dach der EU kurzfristig nicht zu realisieren sein, sondern eine langere Vorlaufzeit benotigen wiirde. Im Hinblick auf den von alien Mitgliedstaaten bejahten dringenden Handlungsbedarf zur Bekampfung der organisierten Drogenkriminalitat und der damit verbundenen Geldwasche beschlossen sie im Jahre 1993, zunachst eine vorlaufige Stelle einzurichten, die fiir eine tJbergangszeit die fiir Europol vorgesehene Aufgaben wahrnehmen sollte. Die Minister schlossen zu diesem Zweck am 2. Juni 1993 eine Vereinbarung, die am 10. Marz 1995 als Gemeinsame MaBnahme im Rahmen der EU angenommen wurde''^. Auf dieser Grundlage hat die European Drug Unit (EDU) am 20. Marz 1995 in Den Haag ihre Arbeit aufgenommen^°. 60 Zentrale Aufgabe der in der EDU zusammenwirkenden nationalen Verbindungsbeamten war es, die nationalen Ermittlungsbehorden durch den Austausch und die Analyse von Informationen (Lageberichte, Verbrechensanalysen) zu unterstiitzen. Der Zustandigkeitsbereich der EDU war nicht auf die Bekampfung der Drogenkriminalitat beschrankt. Nach einem Beschluss des Europaischen Rates aus dem Jahre 1994 wurde die Zustandigkeit auf die Bekampfung von illegalem Handel mit radioaktiven Materialien, Schleuserkriminalitat, Verschiebung von KfZ sowie der mit diesen Kriminalitatsfeldern zusammenhangenden Geldwasche aus^5 ABIEG 1995 Nr. C 316, S. 49 (PIF=Protection des interets financiers). 76 ABlEG1996Nr. C313, S. 2. 7' 7 ABIEG 1997 Nr.C191,S. 1. 78 Eine Liste aller unter der Geltung des Maastrichter Vertrages verabschiedeten Ubereinkommen und Gemeinsamen MaBnahmen im Bereich der ZBJI findet sich bei: v. d. GroobQu/SdmaYzdWasmeierfJour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 72. ABIEG 1995 Nr. L 62, S. 1. GlefilLuke, JURA 1998, 70, 76; Glefi, NStZ 2001, 623; Lisken/Denninger/Mo^ro5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 200 f.
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gedehnt. Spater wurden auch die Bekampfung des Menschenhandels^^ sowie von Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Handlungen^^ und Geldfalschung^^ in den Kompetenzkatalog aufgenommen. Von Anfang an war vorgesehen, dass die EDU in dem geplanten Europaischen Polizeiamt aufgehen sollte, sobald die Mitgliedstaaten ein solches einrichten. 3. Europol a) Organisatorische Strukturen und Kontrolle von Europol Durch das Europol-Ubereinkommen (EuropolU) v. 26. Juli 1995 wurde schlieB- 61 lich ein Europaisches Polizeiamt (^Europol")^"^ als Internationale Organisation mit Sitz in Den Haag errichtet®^. Nach Abschluss des mit Verzogerungen behafteten Ratifikationsverfahrens in alien Mitgliedstaaten hat Europol - als erste im Rahmen der dritten Saule geschaffene Institution - am 1. Juli 1999 seine Arbeit aufgenommen®^. Gem. Art. 26 I des EuropolU ist Europol eine mit eigener Rechtspersonlichkeit ausgestattete Einrichtung der EU. Bei der Organisation, die sich inzwischen zur zentralen Schaltstelle bei der Verbrechensbekampfung in Europa entwickelt hat, sind im Jahr 2006 insgesamt rund 600 Bedienstete, davon 100 von den nationalen Behorden abgeordnete Verbindungsbeamte aus iiber 30 Staaten tatig. Letztere nehmen die Interessen des Mitgliedstaates, der sie entsendet, im Einklang mit dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaates und unter Einhaltung der fur den Betrieb von Europol geltenden Bestimmungen wahr. Ein ImmunitatenprotokoU (IP)®'' stellt die Mitglieder der Organe und das Personal von Europol von jeglicher Gerichtsbarkeit hinsichtlich der von ihnen in Ausiibung ihres Amtes vorgenommenen miindlichen und schriftlichen AuBerungen sowie Handlungen weitgehend frei (Art. 41 EuropolU iVm. Art. 8 I lit. a IP)®®. 81 ABIEG 1996 Nr. L 342, S. 4. 82 ABIEG 1999 Nr. C 26, S. 22. 83 ABIEG 1999 Nr. C 149, S. 16. 84 Ubk. aufgrund von Art. K.3 des Vertrages iiber die Europaische Union tiber die Einrichtung eines Europaischen Polizeiamtes (Europol-Konvention); ABIEG 1995 Nr. C 316, S. 1, 2 ff. (BGBl. II1997, S. 2154); in Kraft getreten am 1. Oktober 1998. Vgl. ProtokoU iiber die Festlegung des Sitzes von Europol v. 2. Oktober 1997 (BGBl. 1998 II, 437). Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 13 Rn. 5; v. Bubnoff, ZEuS 2002, 185, 190 ff; Degenhardu Europol, S. 147 ff; Glefi, NStZ 2001, 623 ff; dies., EuR 1998, 748 ff; v. d. Groeben/Schwarze/Jowr-^Sc/zroJ^r, Art. 30 EUV Rn. 34; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 98; LigetU Strafrecht in der EU, S. 204 ff; Lisken/Denninger/Moybra^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 209 ff; Satzger, IntStR, § 9 Rn. 14 ff; Tschanett, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 29. Kap. Rn. 43. ABIEG 1997 Nr. C 221, S. 1, 2 ff (BGBl. II1998, 975). Vgl. UQYzuAmbos, IntStR, § 13 Rn. 14; EU-Kommentar/5o5^, Art. 30 EUV Rn. 30 ff; GleJ], EuR 1998, 748, 751 ff; HolscheidtlSchotten, NJW 1999, 2851 ff; v. d. GrodbQn/SchwarzdJour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 53 f; Lisken/Denninger/M6>A:ro5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 232 ff; Petri, Europol, S. 28 ff; Stveinz/Satzger, Art. 30 EUV Rn. 23 ff; ausfiihrlich Degenhardt, Europol, S. 210 ff und VoJ], Europol, passim.
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62 Geleitet wird Europol von einem Direktor, der fiir die laufende Verwaltung zustandig ist und die Aufsicht liber die Europol-Bediensteten fiihrt. Grundsatzfragen werden von einem Verwaltungsrat, der sich aus einem Vertreter pro Mitgliedstaat zusammensetzt, entschieden. Europol besitzt einen eigenen Finanzkontrolleur, der die Bindung und die Zahlung der Ausgaben sov^ie die Feststellung und die Einziehung der Einnahmen iiberpriift. Jeder Mitgliedstaat benennt eine nationale KontroUinstanz, die sicherstellen soil, dass die Ubermittlung der Daten von den Mitgliedstaaten an Europol und die datenverarbeitende Tatigkeit der abgeordneten nationalen Verbindungsbeamten rechtmaBig ist. Eine gemeinsame KontroUinstanz, die sich aus Vertretern der nationalen Kontrollinstanzen zusammensetzt und ausdriicklich aus den Weisungsstrukturen der mitgliedstaatlichen Verwaltungsapparate herausgelost ist, iiberpriift die Datenverarbeitung durch die Europol-Bediensteten (Rn. 67). Zu diesem Zweck hat sie u. a. das Recht, von Europol Auskiinfte zu verlangen, Einsicht in alle Unterlagen und Akten sowie Zugriff auf alle dort gespeicherten Daten zu nehmen. Die gemeinsame KontroUinstanz kann, wie auch die nationale KontroUinstanz, auf Antrag einer Privatperson tatig werden^^. 63 Der Europaische Rat hat sich - als zentrales Entscheidungsorgan der dritten Saule - wichtige Kontrollmoglichkeiten insoweit vorbehalten, als er tiber den Haushalt von Europol beschlieBt, den Direktor mit einer Zweidrittelmehrheit ernennen und entlassen kann sowie das Procedere bei Streitigkeiten tiber die Aufhebung von Immunitaten festlegt. Die parlamentarische KontroUe von Europol ist vergleichsweise schv^ach ausgepragt^°. Der Europaische Rat muss das EP zu wichtigen Aspekten der Arbeit von Europol anhoren und dessen Auffassung hinreichend beriicksichtigen. Jahrlich wird dem EP ein Sonderbericht uber die Tatigkeit von Europol iibermittelt. Die justizielle KontroUe von Europol beschrankt sich auf die Auslegung oder Anwendung des EuropolU durch den EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach MaBgabe des Art. 35 EUV^^ Eine unmittelbare justizielle tJberpriifung der Tatigkeit von Europol kann weder durch die europaische noch durch die mitgliedstaatliche Gerichtsbarkeit erfolgen. Die aus rechtsstaatlicher Sicht hochst defizitare gerichtliche Kontrollmoglichkeit^^ gibt dringend An-
Zur exekutivischen KontroUe der Tatigkeit von Europol vgl. Degenhardt, Europol, S. 229 ff.; Glefi, EuR 1998, 748, 754 ff.; v. d. Gvo^htn/^dmdiXzdJour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 41 f. Vgl. hierzu Baldus, ZRP, 1999, 263 ff.; ders., Polizeihche Zusammenarbeit, S. 34, 42 ff.; Glefi, EuR 1998, 748, 760 f; v. d. Gxothtnl^ch^d^rzdJour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 47 ff Glefi, EuR 1998, 748, 761 ff; v. d. Groeben/Schwarze/ Jour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 52; Lisken/Denninger Lisken, Hb. PolR, Kap. K Rn. 229 ff Vgl. hierzu die Kritik von v. Bubnoff, ZEuS 2002, 185, 194 f; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 100; Ostendorf, NJW 1997, 3418, 3420; Perron, ZStW 112 (2000), S. 202, 209 und Wolter, Kohlmann-FS, 2003, S. 693, 706 ff
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lass, liber Losungsmodelle nachzudenken, wie in Zukunft die Einbindung von Europol in ein System justizieller Verantwortlichkeit gewahrleistet werden solP^. b) Aufgaben von Europol Europol soil die Leistungsfahigkeit und die Zusammenarbeit der ftir die Verhii- 64 tung und Bekampfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalitat zustandigen Behorden der Mitgliedstaaten verbessern, sofern Anhaltspunkte fiir eine kriminelle Organisationsstruktur vorliegen und von den genannten Kriminalitatsbereichen zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die ein gemeinsames Vorgehen erfordert (Art. 2 EuropolU). Der Schwerpunkt seiner Tatigkeit liegt in der Sammlung und Analyse von Erkenntnissen („Intelligence-Arbeit") betreffend grenziiberschreitende Kriminalitat und in der Erteilung von Auskiinften an die Behorden der Mitgliedstaaten. Mit Hilfe von Europol soUen Spezialkenntnisse der nationalen Ermittlungsbehorden vertieft, Beratungen angeboten, strategische Erkenntnisse iibermittelt und Gesamtberichte iiber den Stand der Arbeit verfasst werden. Zur Erfiillung seiner Aufgaben unterhalt Europol ein automatisiertes Informationssystem, in welches die Daten unmittelbar von den mitgliedstaatlichen Stellen eingegeben werden (Art. 7 EuropolU). Das Europol-Informationssystem geht iiber das SIS hinaus. Wahrend das SIS eine reine Fahndungsdatei ist (Rn. 50 ff.), enthalt das Europol-Informationssystem Daten zur Ermoglichung polizeilicher Recherche^"^. Neben nicht personenbezogenen Daten konnen in dem Informationssystem auch personenbezogene Daten (gem. Art. 8 EuropolU Informationen iiber Personen, die einer Straftat im Zustandigkeitsbereich von Europol verdachtig sind, wegen einer solchen Tat verurteilt sind oder bei denen die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat besteht) gespeichert werden. Europol hat fiir jede automatisierte Datei mit personenbezogenen Daten die Zustimmung des Verwaltungsrates zu der Errichtungsanordnung einzuholen. Unmittelbaren Zugriff auf die dort gespeicherten Daten haben nur die nationalen Stellen, die Verbindungsbeamten, der Direktor und die stellvertretenden Direktoren sowie die dazu ordnungsgemaB ermachtigten Europol-Bediensteten (Art. 9 EuropolU). Personenbezogene Daten, die aus dem Informationssystem abgerufen werden, diirfen von den zustandigen Behorden der Mitgliedstaaten nur dazu iibermittelt oder genutzt werden, die in den Zustandigkeitsbereich von Europol fallenden Kriminalitatsbereiche zu verhiiten und zu bekampfen.
93 Vgl. hierzu Glefi, NStZ 2001, 623, 625 ff; dies., ZStW 114 (2002), S. 636, 641 ff; Glefi/GrotelHeine (Hrsg.), Justizielle Einbindung und KontroUe von Europol, 2001, passim; Petri, Europol, S. 199 ff. 9^ Vgl. hierzu Degenhardt, Europol, S. 168 ff; v. d. GroQhtnlSc\mdiXzdJour-Schroder, Art. 30 EUV Rn. 20; Manske, Kriminahstik 2001, 105; Lisken/Denninger/MoA:ro5, Hb. PolR, Kap. O Rn. 222 ff; Petri, Europol, S. 52 ff; Sinn, EG, S. 331 ff
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65 Der Europol-Zustandigkeitskatalog (Art. 2 EuropolU) umfasst namentlich folgende Kriminalitatsbereiche^^: -
Verhiitung und Bekampfung des Terrorismus, Bekampfung des illegalen Drogenhandels, Bekampfung des Menschenhandels, Bekampfung von Schleuserorganisationen, Bekampfung des illegalen Handels mit spaltbarem Material, Bekampfung des illegalen Kraftfahrzeughandels, Bekampfung der Falschung des Euro, Bekampfung der Geldwasche im Zusammenhang mit der internationalen organisierten Kriminalitat, - Bekampfung bestimmter schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalitat (z. B. Straftaten gegen das Leben und die korperliche Unversehrtheit, gegen das Vermogen und gegen die Umwelt). 66 Europol besitzt derzeit (noch) keine Exekutiv- oder Ermittlungsbefugnisse, vermag jedoch durch den Zusammenfluss von Daten Synergieeffekte zu erzielen, durch welche die nationale Ermittlungstatigkeit nachhaltig unterstiitzt werden kann. Faktisch ist Europol bereits seit langerem und haufig an operativen Einsatzen nationaler Polizei- und Zolldienststellen beteiligt, ohne dabei selbst eigenverantwortlich aktiv zu werden^^. Als Beispiele aus der Praxis sind zu nennen: die Koordinierung kontrollierter Lieferungen (polizeilich tiberwachte Drogengeschafte) quer durch Europa, die unterstiitzende Einbindung in Taskforces der Ostseeanrainerstaaten gegen grenziiberschreitende Schwarzgeldbewegungen und KfZVerschiebungen, die Aufdeckung und Untersttitzung bei der Zerschlagung eines kriminellen Schleusernetzes von Afrika nach Schweden („Operation Tiger 1999") bzw. eines zwischen Litauen, Polen und Danemark agierenden Menschenhandlerrings („Operation Lagos 2000")^^. Die Rolle von Europol soil gemaB der in Art. 30 II lit. a -d EUV normierten Zielvorgaben innerhalb von fiinf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam erweitert und intensiviert werden^^. Langerfristig ist als weiterer Schritt in Betracht zu ziehen, dass Europol umfassendere, selbstandige Ermittlungsbefugnisse eingeraumt werden^^. In dem Vertrag iiber eine Verfassung fur Europa ist vorgesehen, dass Europol kiinftig „operative MaBnahmen" ergreifen darf, allerdings nur in Verbindung und in Absprache mit den Behorden der Mitgliedstaaten oder im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Art. III-276 II b EU-Verfassung).
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Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 13 Rn. 8; Lisken/Denninger/Moi^ra^, Hb. PolR, Kap. O Rn. 210 ff. V. Bubnoff, ZEuS 2002, 185, 193; Storbeck, DRiZ 2000, 481, 485 f Vgl. hierzu und zu weiteren Aktivitaten die Jahresberichte (annual reports) von Europol, abrufbar unter http://www.europoLeuropa.eu. Vgl. hierzu Heine, Trechsel-FS, S. 237, 240 ff.; v. d. Groeben/Schwarze/JowrSchroder, Art. 30 EUV Rn. 55 ff Perron, ZStW 112 (2000), S. 202, 208.
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c) Datenschutz Da das Schwergewicht der Tatigkeit von Europol in der „Intelligence-Arbeit", 67 d. h. in der Sammlung, Speicherung, Ubermittlung und analytisch-systematischen Auswertung von Daten liegt, kommt dem Datenschutz besondere Bedeutung zu. Art. 15 1 Europoltr geht grundsatzlich von einer zweigeteilten - nationalen und europaischen - Datenschutzkonzeption aus. Auf die von einem Mitgliedstaat eingegeben Daten findet nationales Datenschutzrecht Anwendung (z. B. das BDSG^°°). Auf die von Europol eingegebenen, verarbeiteten oder tibermittelten Daten sind zum einen die speziellen datenschutzrechtlichen Bestimmungen des EuropolU, z. B. Art. 8 II, 10 EuropoltJ, zum anderen die Regelungen des Europaratsiibereinkommens iiber den Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten v. 28. Januar 1981^°^ anzuwenden (Art. 14 III EuropoltJ). Uber Beschwerden Einzelner gegen nicht stattgegebene Antrage auf Auskunft, Berichtigung und Loschung von Daten entscheidet die gemeinsame Kontrollinstanz (Rn. 62) als Rechtsaufsichtsbehorde (Art. 24 VII S. 5 EuropoltJ). Eine gerichtliche Uberpriifung ihrer Entscheidung ist ausgeschlossen. Ob dieser eingeschrankte Rechtsschutz gegen Europol mit den Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts noch in Einklang steht, erscheint zweifelhaff^^. 4. Europaisches Justizielles Netz (EJN) Ein wichtiger Schritt zur Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit im Rah- 68 men der ZBJI war die Einrichtung eines Europaischen Justiziellen Netzes (EJN) auf der Grundlage einer Gemeinsamen MaBnahme des Europaischen Rates V. 29. Juni 1998, die am 7. August 1998 in Kraft getreten ist^^^ j^^s EJN soil als aktiver Vermittler fiir die Herstellung moglichst zweckdienlicher Direktkontakte bei der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Fallen schwerer Kriminalitat fungieren. Dariiber hinaus sollen Informationen iiber die ortlich zustandigen Justizbehorden vorgehalten werden, um die Vorbereitung von Kooperationsersuchen moglichst effizient zu gestalten^°^. Zu diesem Zweck richtet das EJN ein Telekommunikationsnetz ein, welches eine unkomplizierte Kommunikation und den Informationsaustausch der nationalen Kontaktstellen ermoglicht. Bei den mitgliedstaatlichen Kontaktstellen sind Verbindungsrichter bzw. Verbindungsstaatsanwalte als Vertreter der nationalen Strafverfolgungsbehorden mit besonderen Sprachkenntnissen tatig. In Deutschland sind diese Kontaktstellen bei den Gene100 Bundesdatenschutzgesetz v. 22. Mai 2001; BGBl. I 2001, 904. 101 ETS Nr. 108; BGBl. II 1985, 538 (in Deutschland in Kraft getreten am 1. Oktober 1985; BGBl. II1985, 1134). 102 CalliQss/RuffQn/Brechmann, Art. 30 EUV Rn. 21; Wahl, Datenschutz, S. 79, 88; a. A. Frowein/Krisch, JZ 1998, 589. 103 Gemeinsame MaBnahme (98/428/JI) v. 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europaischen Justiziellen Netzes; ABIEG 1998 Nr. L 191, S. 4. 10"^ Fawzy, Eurojust, S. 95 ff.; Kahlke, Eurojust, S. 76 ff.; Liged, Strafrecht in der EU, S. 209 ff.; Nehm, DRiZ 2000, 355, 358 f; Tschanett, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 29. Kap., Rn. 44.
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ralstaatsanwaltschaften und beim Generalbundesanwalt angesiedelt. Aufgrund des Informationsaustausches haben die Kontaktstellen standig Zugang zu folgenden Informationen: - vollstandige Angaben iiber alle mitgliedstaatlichen Kontaktstellen und deren Zustandigkeit, - Liste der Justizbehorden und Verzeichnis der ortlichen Behorden jedes Mitgliedstaates, - kurz gefasste Informationen liber das Gerichtswesen und die Verfahrenspraxis in den Mitgliedstaaten, - Texte der einschlagigen Rechtsinstrumente. 5. Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) 69 Mit dem am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam wurden die Grundlagen ftir das neue Unionsziel der Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" festgelegt (vgl. Art. 29 EUV)^°^. Mehrere Bereiche der bis dahin in der dritten Saule der EU verankerten zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, wie die Sicherung der Binnen- und AuBengrenzen, Visumund Asylpolitik, Einwanderung und justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen wurden „vergemeinschaftet" und in die erste Saule der EU-Kooperation iiberfiihrt. Die ZBJI wurde durch den Vertrag von Amsterdam umstrukturiert und nunmehr als Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) in die neuen Art. 29-42 EUV eingefiigt. Die PJZS prazisiert und erweitert die seit Maastricht praktizierte polizeiliche und justizielle Kooperation der Mitgliedstaaten und hebt diese auf eine hohere Integrationsstufe. Der Ausbau der Zusammenarbeit bei der Kriminalitatsbekampfung durch polizeiliche und strafverfahrensrechtliche MaBnahmen (§12 Rn. 4 ff.) wird erganzt durch Schaffung gemeinsamer materiellrechtlicher Mindeststandards (§ 11 Rn. 2 ff.)^^^ 70 Als vordringliche Bereiche der PJZS, in denen die EU ein ,,gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten" (Art. 29 EUV) entwickeln will, werden zum einen der strafrechtliche Schutz der finanziellen Interessen der EG und zum anderen die Verhiitung und Bekampfung transnationaler Kriminalitat wie Terrorismus, Menschenhandel, Straftaten gegeniiber Kindern, illegaler Drogen- und Waffenhandel, Korruption, Geldwasche und sonstige Erscheinungsformen schwerer organisierter und nichtorganisierter Kriminalitat angesehen^°^. Allerdings miissen
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Vgl. zur Bedeutung der Einzelelemente des neuen Unionsziels, EU-Kommentar/Bd^e, Art. 29 Rn. 3 ff.; Pache, EU, S. 9; Ruffert, Unionsverfassungsrechthche Grundlagen, S. 14, 16 ff.; v. d. GroobQu/ScYmaYzdWasmeierfJour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 30 m. w. N.; vgl. aber auch die kritischen Thesen zu Art. 29-35 EUV von Wolter, Kohlmann-FS, S. 693, 701 ff Vgl. hierzu v. d. GYoebon/Sdrw3.Yz&/Wasmeier/Jour-Schroder, Art. 29 EUV Rn. 18 ff Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 226; ders., JURA 2006, 97, 98 f; V. d. GvoebQu/SchwaizdWasmeier/Jour-Schroder, Art. 29 EUV Rn. 32 ff
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die Mitgliedstaaten beachten, dass der EUV vom Primat des Gemeinschaftsrechts vor der PJZS ausgeht. Aufgrund des Vorbehalts in Art. 29, 47 EUV sind Rechtsakte des Rates (z. B. die Annahme eines Rahmenbeschlusses), die in die Harmonisierungskompetenz der EG eingreifen, untersagf^^. Dadurch soil verhindert werden, dass der in der ersten Saule erreichte Integrationsstand und die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch eine etwaige Riickverlagerung von Gemeinschaftskompetenzen in die intergouvernemental gepragte PJZS ausgehohlt wird. Eine wesentliche Errungenschaft des Amsterdamer Vertrages ist die Einbezie- 71 hung des „Schengen-Acquis" (Besitzstandes)^^^ in den Rahmen der Europaischen Union^^°. Somit findet seit dem 1. Mai 1999 die Zusammenarbeit zwischen den Schengener Vertragsparteien im institutionellen und juristischen Rahmen der dritten Saule des EUV statt^ ^ ^. Die PJZS erfolgt nach den folgenden, in Art. 34 EUV enumerativ aufgefiihrten, gegeniiber der friiheren ZBJI erweiterten Handlungsformen des Rates: - gegenseitige Unterrichtung und Konsultation im Rat (Art. 34 I EUV), - einstimmige Annahme gemeinsamer Standpunkte, durch die das Vorgehen der EU in einer gegebenen Frage bestimmt wird (Art. 34 II lit. a EUV), - einstimmige Annahme von Rahmenbeschliissen zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten (Art. 34 II lit. b EUV)^^^. Diese sind fur die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, uberlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (da sie nicht unmittelbar wirksam sind, bediirfen sie der Umsetzung in nationales Recht), - einstimmige Annahme von Beschliissen fiir jeden anderen Zweck, der mit den Zielen dieses Titels (PJZS) in Einklang steht, mit Ausnahme von MaBnahmen zur Rechtsangleichung. Die Beschliisse sind verbindlich und nicht unmittelbar wirksam. Der Rat nimmt mit qualifizierter Mehrheit (vgl. Art. 34 III EUV i.V.m. Art. 205 II EGV) MaBnahmen an, die zur Durchfiihrung dieser Beschliisse auf Unionsebene erforderlich sind (Art. 34 II lit. c EUV), V. d. GvoQhQn/SchwaxzdWasmeier/Jour-Schrdder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 49 ff.; Art. 29 Rn 52 f.; zum Bereich des Umweltstrafrechts vgl. EuGH EuZW 2005, 632 = JZ 2006, 307 ff. = ZIS 2006, 179 ff Der Schengen-Besitzstand wird konstituiert durch die Schengener Abkommen v. 14. Juni 1985 (Schengen I) und v. 19. Juni 1990 (SDtJ), die spateren Beitrittsprotokolle und -tibereinkommen weiterer EG-Mitgliedstaten hierzu, die Beschliisse und Erklamngen des aufgrund des SDtJ eingesetzten Exekutivausschusse sowie die Rechtsakte zur Durchfiihrung des Ubereinkommens. Vgl. hierzu das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der Europaischen Union (ABIEG 1997 Nr. C 340, S. 93). Ambos, IntStR, § 12 Rn. 30; v. d. GY0QbQn/Schw3.rzQ/Wasmeier/Jour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 35 ff Zu diesem Instrument vgl. Baddenhausen/Pietsch, DVBl 2005, 1562 ff; GdrditzJGusy, GA 2006, 225, 228 ff; Husemann, wistra 2004, 447 ff
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§ 5 EU-Mitgliedstaateri im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
- einstimmige Erstellung von Ubereinkommen, die der Rat den Mitgliedstaaten zur Annahme gemaB ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt. Sofern in den Ubereinkommen nichts anderes vorgesehen ist, treten sie, sobald sie von mindestens der Halfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden, ftir diese Mitgliedstaaten in Kraft. MaBnahmen zur Durchfiihrung der Ubereinkommen werden im Rat mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Vertragsparteien angenommen (Art. 34 II lit. d EUV). 72 Nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages hat der Rat auf der Basis der in Art. 34 EUV vorgesehenen Instrumentarien eine Vielzahl strafrechtsrelevanter MaBnahmen erlassen, namentUch Rechtsakte zur Bekampfung von Terrorismus, OK, Geldfalschung, Drogenkriminalitat, Geldwasche, Menschenhandel, Schleuserkriminalitat, Kinderpronographie und Cybercrime sowie iiber den Europaischen Haftbefehl und die gegenseitige Anerkennung von Sanktionen (§§ 11-12). 6. Eurojust a) Organisatorische Strukturen von Eurojust 73 Zur Verstarkung der Bekampfung schwerer organisierter Kriminalitat haben die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Sondergipfel in Tampere (Finnland) im Oktober 1999 die Einrichtung einer zentralen, standigen Auskunfts-, Dokumentations- und Clearingstelle (Eurojust) als justizielles Pendant zu Europol beschlossen. Mit Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2000 wurde zunachst eine vorlaufige Stelle zur justiziellen Zusammenarbeit eingerichtet (Pro-Eurojust), die am 1. Marz 2001 ihre Arbeit in Briissel aufgenommen hat^""^. Die Einrichtung von Eurojust wurde im Vertrag von Nizza formlich verankert (Art. 29 II, 31 lit. a, II EUV)^^! 74 Seit dem 28. Februar 2002 wird die grenziiberschreitende justizielle Kooperation durch die mit Ratsbeschluss vom gleichen Tage errichtete Koordinierungsstelle Eurojust^ ^^ mit Sitz in Den Haag verstarkt, deren Aufgabe vor allem darin besteht, juristische Informationen zwischen den Strafverfolgungsbehorden der Mitgliedstaaten auszutauschen sowie transnationale Ermittlungsverfahren zu koordinieren und zu unterstiitzen^^^. Eurojust ist eine mit eigener Rechtspersonlichkeit ausges113 Vgl. hierzu Schomburg, DRiZ 2000, 341, 343 f.; Schulte-NoverlMahnken, StV 2001, 541 f. 114 ABIEG 2001 Nr. C 80, S. 1. 115 Beschluss 2002/187/JI des Rates v. 28. Februar 2002 liber die Errichtung von Eurojust zur Verstarkung der Bekampfung der schweren Kriminalitat (ABIEG 2002 Nr. L 63, S. 1 ff.). In Deutschland wurde der Beschluss umgesetzt durch das Eurojust-Gesetz i. d. F. d. Bek. v. 12. Mai 2003 (BGBl. 12004, 902). Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 13 Rn. 19 ff; v. Bubnojf, ZEuS 2002, 185, 204 ff; Dieckmann, NStZ 2001, 617, 620; Esser, GA 2004, 711, 713 ff.; Fawzy, Eurojust, S. 31 ff; Kahlke, Eurojust, S. 138 ff; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 100.3; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 211 ff; Satzger, IntStR, § 9 Rn. 21 ff; Schomburg, NJW 2002, 1629 fUTschanetU Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 29. Kap. Rn. 46 f
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tattete Einrichtung der EU (Art. 1 Eurojust-Ratsbeschluss). Jeder Mitgliedstaat entsendet einen nationalen Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamten an die Dienststelle von Eurojust. Der dienstrechtliche Status der Eurojust-Mitglieder richtet sich nach dem nationalen Recht ihres Entsendestaates, der zugleich die Dauer ihres Mandats sowie Art und Tragweite ihrer justiziellen Befugnisse festlegt. Die internen Zustandigkeiten und Arbeitsablaufe von Eurojust werden in einer vom Kollegium (Gesamtheit der nationalen Mitglieder) einstimmig angenommenen Geschaftsordnung konkretisiert, die vom Rat gebilligt werden muss^^''. b) Aufgaben von Eurojust Eurojust soil - gestiitzt auf Europol-Analysen und in enger Zusammenarbeit mit 75 dem EJN - eine zweckdienliche und effektive Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehorden ermoglichen, die strafrechtlichen Ermittlungen in Fallen transnationaler KJriminalitat erleichtern und die Erledigung von Rechtshilfeersuchen vereinfachen. Der Zustandigkeitsbereich von Eurojust erstreckt sich nach Art. 4 I Eurojust-Ratsbeschluss auf alle Kriminalitatsformen, die nach Art. 2 des EuropoltJ V. 26. Juli 1995 zum jeweiligen Zeitpunkt in die Zustandigkeit von Europol fallen. Ferner umfasst der Zustandigkeitskatalog: Computerkriminalitat, Betrug und Korruption, alle Straftaten, die die finanziellen Interessen der EG berlihren, das Waschen von Ertragen aus Straftaten, Umweltkriminalitat, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie Straftaten, die im Zusammenhang mit den aufgefuhrten Kriminalitatsformen und Straftaten begangen worden sind. Auf Antrag einer zustandigen Behorde eines Mitgliedstaats kann Eurojust auch bei anderen als den oben genannten Arten von Straftaten erganzend Unterstiitzung leisten (Art. 4 II Eurojust-Ratsbeschluss). Der Errichtungsakt (Art. 3 Eurojust-Ratsbeschluss) sieht vor, dass Eurojust im 76 Rahmen von staateniibergreifenden Ermittlungen bzw. StrafverfolgungsmaBnahmen im Bereich der schweren und organisierten Kriminalitat folgende Aufgaben wahrnehmen soil: - Forderung der Koordinierung der in den Mitgliedstaaten laufenden Ermittlungen und StrafverfolgungsmaBnahmen zwischen den zustandigen nationalen Behorden, - Verbesserung ihrer Zusammenarbeit, insbesondere durch Erleichterung der internationalen Rechtshilfe und Erledigung von Auslieferungsersuchen, - Gewahrleistung jedweder anderen Unterstiitzung der zustandigen Behorden der Mitgliedstaaten mit dem Ziel, die Wirksamkeit ihrer Ermittlungen und StrafverfolgungsmaBnahmen zu erhohen, - auf Antrag einer zustandigen Behorde eines Mitgliedstaates auch Ermittlungen und StrafverfolgungsmaBnahmen zu unterstiitzen, die allein diesen Mitgliedstaat und einen Drittstaat betreffen, sofern mit diesem Drittstaat bereits eine Vereinbarung iiber eine Zusammenarbeit geschlossen worden ist oder im Einzelfall ein wesentliches Interesse an der Unterstiitzung besteht. ^^^ Zur Umsetzung des Eurojust-Ratsbeschlusses in deutsches Recht vgl. Esser/Herbold, NJW 2004, 2421, 2422.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
77 Eurojust erledigt seine Aufgaben durch eines oder mehrere seiner nationalen Mitglieder oder als KoUegium''^^. Von welcher Handlungsform jeweils Gebrauch zu machen ist, regeln mehrere Artikel des Errichtungsaktes (Art. 5 I lit. a i.V.m. Art. 6 bzw. Art. 5 I lit. b i. V. m. Art. 7 Eurojust-Ratsbeschluss). Die Mitglieder sind befugt, mit den zustandigen Behorden ihres Entsendestaates in direkten Kontakt zu treten. Eurojust kann z. B. bei den zustandigen Behorden eines Mitgliedstaates anregen, zur Aufklarung eines strafrechtlich relevanten Sachverhaltes bestimmte Ermittlungen zu flihren, die Strafverfolgung aufzunehmen bzw. der tJbernahme der erforderlichen Ermittlungen oder Strafverfolgung durch einen anderen Mitgliedstaat zuzustimmen. Die Einrichtung unterstiitzt die Koordination mitgliedstaatlicher ErmittlungsmaBnahmen, hilft bei der Bildung gemeinsamer Ermittlungsteams nach MaBgabe der einschlagigen Kooperationsiibereinkiinfte, iibermittelt Rechtshilfeersuchen und sorgt fiir den Austausch aller Informationen, die fiir eine optimale Aufgabenerfiillung zweckdienlich erscheinen. Die nationalen Mitglieder sorgen fiir die wechselseitige Unterrichtung der zustandigen Behorden der Mitgliedstaaten iiber die Ermittlungen und StrafverfolgungsmaBnahmen, von denen Eurojust Kenntnis hat und die die Mitgliedstaaten betreffen. 78 Mittelfristig sollte sich Eurojust vor allem auch zu einer justiziellen Kontrollstelle fiir Datensammlungen durch Europol und andere europaische Einrichtungen entwickeln^^^. Zum Teil wird Eurojust als mogliche Keimzelle fiir eine zukiinftige Europaische Staatsanwaltschaft betrachtet^^°, die freilich nur im Wege einer Ver tragsanderung geschaffen werden konnte. Der Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa enthalt in Art. III-274 I EU-Verfassung eine Rechtsgrundlage, die dem Ministerrat die Befugnis verleiht, durch einstimmigen Beschluss nach Zustimmung des EP „ausgehend von Eurojust" eine Europaische Staatsanwaltschaft einzusetzen (vgl. hierzu § 14 Rn. 37 ff.). Diese soil aber lediglich fiir die „Bekampfung von Straftaten zum Nachteil der Interessen der Union" zustandig sein^^"".
Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 13 Rn. 21; v. Bubnojf, ZEuS 2002, 185, 208 ff.; Fawzy, Eurojust, S. 37 ff; Esser, GA 2004, 711, 714 ff Vgl. hierzu Esser, GA 2004, 711, 720 ff; Schomburg, Kriminahstik 2000, 13, 18 f; Walter, Kohlmann-FS, S. 693, 710 ff So die deutsche Bundesregiemng; vgl. BT-Drs. 14/4991, S. 32, 43; vgl. hierzu auch Fawzy, Eurojust, S. 115 ff Krit. hierzu Wuermeling, EuR 216, 226 f Im urspriinglich vorgelegten Verfassungsentwurf war noch eine weitergehende Zustandigkeit der Europaischen Staatsanwaltschaft (ES) fiir „schwere Kriminalitat mit grenzuberschreitender Dimension" vorgesehen (Art. III-175 I EU-Verfassung a. F.).
D. Bilaterale Zusammenarbeit
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D. Bilaterale Zusammenarbeit Zu dem europaischen Netzwerk, in das die EU-Mitgliedstaaten im Bereich 79 der grenziiberschreitenden Strafverfolgung eingebunden sind, gehoren nicht zuletzt bilaterale Kooperationsformen mit Nicht-EU-Staaten (Drittstaaten)^^^. Exemplarisch hierfiir steht der im Folgenden naher zu betrachtende deutschschweizerische Polizeivertrag^^^, der am 1. Marz 2002 in Kraft getreten ist. Hinweis: Die Schweiz wird nach Inkrafttreten und (davon zu unterscheidender) Inkraftsetzung des im Rahmen der „Bilateralen 11" geschlossenen Abkommens zwischen der Schweiz, der EU und der EG iiber die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands V. 26. Oktober 2004 alle fur die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zentralen Bestimmungen des SDU anwenden^^"^. Insbesondere wird die Schweiz kiinftig an dem europaweiten Fahndungssystem (SIS II) teilnehmen konnen. Am 24. September 2004 wurde ein Kooperationsabkommen zwischen der Schweiz und Europol abgeschlossen^^^. Signifikante Verbesserungen der justiziellen Kooperation zwischen der Schweiz und der EG-Mitgliedstaaten sind auch im Bereich der Bekampfung von Betrug, Schmuggel, Korruption und Geldwasche zu erwarten, sobald das entsprechende Kooperationsabkommen v. 26. Oktober 2004 zwischen der Schweiz einerseits und der EG und ihren Mitgliedstaaten andererseits nach Abschluss des Ratifikationsprozesses in Kraft getreten ist^^^.
I. Motive und Ziele des deutsch-schweizerischen Polizeivertrages Schon aufgrund ihrer gemeinsamen Grenzen haben beide Nachbarstaaten ein ge- 80 genseitiges Interesse daran, dass die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit einschlieBlich der Rechtsverhaltnisse bei Amtshandlungen im Nachbarstaat sowie der polizeiliche Informations- und Datenaustausch auf eine klare rechtliche Grundlage gestellt werden. Das SDtF diente dem deutsch-schweizerischen Polizeivertrag dabei als Modell und Richtschnur. Entsprechend den gegenseitigen Be-
122 Y g j jiierxu Lisken/Denninger/MoA;ra5, H b . PolR, K a p . O Rn. 7 4 ff.; Oppermann,
Eu-
roparecht, § 3 Rn. 15; Ziegenhahn, Menschenrechte, S. I l l ff. 123 Yertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft iiber die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit v. 27. April 1999 (BGBl. II2001, 946). Der Polizeivertrag wird erganzt durch zwei bilaterale Vertrage v. 8. Juli 1999 betreffend Rechtshilfe und AusHeferung. Mit Osterreich und dem Ftirstentum Liechtenstein hat die Schweiz im Wesentlichen gleiche bilaterale Abkommen geschlossen. 124 Pfenninger, Schweizerisches Jahrbuch ftir Europarecht 2004/2005, S. 315, 323 ff 125 Vgl. hierzu Wahl, Datenschutz, S. 79, 86 ff 126 Dietrich, Die Volkswirtschaft 2004, 20; Kdstli, dossierpoHtik 2004 Nr. 38/2.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
diirfnissen wurden aber auch besondere - vom SDLF abweichende - Vereinbarungen getroffen^^''. 81 In der Praambel des Vertrags wird zunachst ein Bezug hergestellt zu den im Memorandum of Understanding (MoU) v. 11. Dezember 1997 auf der Grundlage des bestehenden Rechts vereinbarten Zielen und MaBnahmen der Zusammenarbeit in den Grenzgebieten. Als politische Absichtserklarung hat das MoU freilich keine selbststandige rechtliche Bedeutung. Der zweite Absatz der Praambel legt das Schwergewicht auf die kontinuierliche Fortentwicklung der Zusammenarbeit. Mit der Hervorhebung des polizeilichen Informationsaustausches wird dessen besondere Bedeutung zusatzlich unterstrichen.
II. Wesentlicher Inhalt des Polizeivertrages I.Uberblick 82 In Kapitel I wird unter dem Titel „Abstimmung in grundsatzlichen Sicherheitsfragen" eine iiber den Einzelfallbereich hinausgehende strategische Komponente eingefiigt. Kapitel II regelt die allgemeine Zusammenarbeit der Polizeibehorden unter Einschluss des Austausches von Daten und sonstigen Informationen, der Zustellung von gerichtlichen und anderen behordlichen Schriftstiicken sowie der Aus- und Fortbildung. Besondere Formen der Zusammenarbeit werden in Kapitel III des Polizeivertrags eingehend normiert, namentlich Observation, verdeckte Ermittlung und kontrollierte Lieferung, welche sowohl ausschlieBlich auf dem Gebiet eines Vertragsstaates als auch grenziiberschreitend durchgefiihrt werden konnen, sowie die Nacheile, die definitionsgemaB nur grenziiberschreitend moglich ist. Der Vertrag versteht unter: - Observation: eine langer andauernde heimliche Beobachtung von Personen durch Polizeibehorden, wobei ein Kontakt zwischen der observierten Person und dem observierenden Beamten grundsatzlich nicht beabsichtigt ist, - verdeckter Ermittlung: der Einsatz von Beamten mit einer ihnen verliehenen veranderten Identitat im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, - kontroUierter Lieferung: die heimliche polizeiliche tJberwachung des Transports einer bestimmten (illegalen) Ware mit dem Ziel, an die Empfanger dieser Lieferung oder sonstige Hintermanner zu gelangen, - Nacheile: die Fortsetzung der polizeilichen Verfolgung von Personen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates. 83 Die bisherige grenziiberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit im Rahmen von Interpol (Rn. 3) umfasste nur den Austausch kriminalpolizeilicher Nachrichten. Das Fehlen operativer Kooperationsformen wurde aber von den Vertragsparteien oft als Mangel empfunden, da grenziiberschreitend begangene Delikte heute ohne Vgl. hierzu Cremer, ZaoRV 2000, 103 ff und Mokros, in: Lisken/Denninger, Kap. O Rn. 79 ff.
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solche Instmmente nicht mehr wirksam bekampft werden konnen. Mit den in Kapitel III enthaltenen Bestimmungen ist es gelungen, diese Defizite zu beheben. Die in dem Ubereinkommen vorgesehenen operativen Kooperationsformen weichen teilweise von den Regelungen des SDU ab. Dies erschien den Vertragsparteien geboten, um die neuen Instmmente moglichst optimal an die bilateralen Verhaltnisse anzupassen. So wurde beispielsweise angesichts der Kleinraumigkeit der Schweiz mit haufig weciiselnden Kantonsgrenzen sowie im Interesse einer praktikablen und effizienten Verbrechensbekampfung in der Kegel auf die raumlichen, zeitlichen und ortlichen Beschrankungen des SDU verzichtet. Insoweit geht der schweizerisch-deutsche Polizeivertrag also iiber die im SDU enthaltenen Regelungen grenziiberschreitender Kooperation hinaus. Der Polizeivertrag geht davon aus, dass grundsatzlich eigene Beamte die Amts- 84 handlungen in ihrem Hoheitsgebiet vornehmen sollen. Die tJbergabe der Observation Oder die Ubernahme einer Nacheile an der Grenze soil demnach der Regelfall bleiben. Die Regelungen der Observation zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung (Art. 14) und zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung (Art. 15), der Nacheile (Art. 16), der verdeckten Ermittlung zur Aufklarung von Straftaten (Art. 17) und zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung (Art. 18) sowie der kontrollierten Lieferung (Art. 19) erlauben den zustandigen Polizei- und ZoUbehorden jedoch, unter gewissen Voraussetzungen und in der Regel mit vorheriger Zustimmung der anderen Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet tatig zu werden. Als besondere Formen der Zusammenarbeit gelten ferner gemischte Streifen, 85 gemischt besetzte Kontroll-, Observations- und Ermittlungsgruppen, Analyse- und sonstige Arbeitsgruppen (gemeinsame Einsatzformen) sowie grenziiberschreitende Fahndungsaktionen (Art. 20), der Austausch von Beamten ohne und mit Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse (Art. 21 und 22), die Zusammenarbeit in gemeinsamen Zentren (Art. 23), die Hilfeleistung bei GroBereignissen, Katastrophen und schweren Ungliicksfallen (Art. 24) sowie der Einsatz von Luft- und Wasserfahrzeugen (Art. 25).
2. Observation (Art. 14,15) Art. 14 regelt die grenziiberschreitende Fortsetzung einer Observation im 86 Rahmen eines Ermittlungsverfahrens oder mit dem Ziel der Sicherstellung der StrafvoUstreckung. Als Vorbild diente Art. 40 SDtJ, welcher allerdings keine Observation zur Sicherstellung der StrafvoUstreckung vorsieht. AuBerdem lasst das SDU eine grenziiberschreitende Observation ohne vorherige Zustimmung nur bei Vorliegen einer auslieferungsfahigen und in der abschlieBenden Liste von Art. 40 VII SDtJ enthaltenen Straftat zu. Da sich diese Liste nach den Erfahrungen der Schengener Staaten als wenig praktikabel erwiesen hat, wurde im vorliegenden Vertrag darauf verzichtet. Mit der Beschrankung auf auslieferungsfahige Straftaten wird eine grenziiberschreitende Observation bei Bagatelldelikten ausgeschlossen.
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
87 Beispiel: Im Sirine des Polizeivertrages wird ein Eraiittlungsverfahren nicht nur dadurch gefordert, dass ein mutmaBlicher Straftater grenziiberschreitend observiert wird. Auch andere Personen kommen als Observationssubjekte in Betracht, wenn ihre Beobachtung der Aufklarung einer Straftat dient. Zu denken ist etwa an den Fall, dass ein Erpressungsopfer auf seinem Weg von Stuttgart nach St. Gallen (CH) bis zu dem Ort grenziiberschreitend observiert wird, wo nach der Forderung des Erpressers die Geldiibergabe stattfinden soll''^^. 88 Die Observation im Vorfeld einer Straftat ist im Rahmen der Schengener Kooperation nicht vorgesehen. Demgegeniiber gelangten die Vertragsparteien Deutschland und Schweiz zu der gemeinsamen Uberzeugung, dass in einem umfassenden Konzept der Sicherheitspartnerschaft im Interesse einer moglichst effizienten Kriminalitatsbekampfung auf die Moglichkeit der Observation im Vorfeld einer Straftat nicht verzichtet werden konne. Da eine solche praventivpolizeiliche Observation (Art. 15) im Vergleich zu Art. 14 friiher einsetzt, stellt der Vertrag weitere Zulassigkeitsvoraussetzungen auf: So kommen nur Straftaten von erheblicher Bedeutung in Betracht. Zu denken ist z. B. an Falle von Terrorismus, organisiertem Verbrechen, Entfiihrungen und anderen schwer wiegenden Delikten. Die Observation zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung ist ferner nur zulassig, soweit es das jeweilige innerstaatliche Recht zulasst. Kann ein Ersuchen nicht rechtzeitig gestellt werden oder sind die zustandigen Behorden des ersuchten Staats nicht in der Lage, die Observation rechtzeitig zu iibernehmen, so erlaubt der Vertrag die grenziiberschreitende Fortsetzung der Observation. Die observierenden Beamten haben umgehend, in der Regel bereits vor Grenzubertritt, Kontakt mit der zustandigen Behorde des anderen Vertragsstaats aufzunehmen. Auch hier ist ein begriindetes Ersuchen nachzureichen, von dem die nationalen Zentralstellen zwingend eine Kopie erhalten miissen. Wie in Art. 14 kann der ersuchte Staat jederzeit den Abbruch der Observation verlangen. Diese ist in jedem Fall einzustellen, wenn die Zustimmung nicht innerhalb von fiinf Stunden nach Grenzubertritt erfolgt. Auch hier sind Grenziibertritte auBerhalb zugelassener Grenziibergange und festgelegter Verkehrsstunden erlaubt. Die Observation zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung ist grundsatzlich auf die Grenzgebiete beschrankt. 89 Nach Art. 14 III sind die observierenden Beamten an die Bestimmungen des Rechts des Vertragsstaates gebunden, auf dessen Hoheitsgebiet sie auftreten. Es gelten fur sie auBerdem dieselben verkehrsrechtlichen Bestimmungen wie fiir die Beamten dieses Vertragsstaates. Art. 14 Ziff. 9 gewahrt observierenden Beamten, die unter der Leitung des um Mitwirkung ersuchten Vertragsstaats tatig sind, ein Festhalterecht, wenn die observierte Person auf frischer Tat bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer im ersuchten Vertragsstaat auslieferungsfahigen Straftat betroffen oder wegen einer solchen Tat verfolgt wird. Diese Bestimmung geht iiber die Schengener Regelung hinaus (Verbot der Festnahme oder des Anhaltens in Art. 40 III lit. f SDLF).
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Cremer, ZaoRV 2000, 103, 108.
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3. Nacheile (Art, 16) Die Nacheile, welche definitionsgemaB grenzliberschreitend erfolgt, ist in Art. 16 90 geregelt. Nach Art. 16 1 soil die Nacheile zum einen moglich sein, wenn jemand bei der Begehung oder Teilnahme an einer auslieferungsfahigen Straftat in flagranti erwischt wird, zum anderen, wenn eine Person aus der Haft (Untersuchungs- oder Strafhaft), der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, der Sicherungsverwahrung oder aus amtlichem Gewahrsam geflohen ist. Die Auslieferungsfahigkeit richtet sich auch hier nach dem Recht des ersuchten Staates. Die nacheilenden Beamten haben unverziiglich, in der Kegel noch vor dem Grenzubertritt, die zustandige ortliche Behorde zu unterrichten. In der Praxis bedeutet dies, dass spatestens bei Grenzubertritt eine entsprechende Meldung zu erfolgen hat. Die Behorden des ersuchten Staates konnen die Verfolgung iibernehmen. Ist die Einholung einer Zustimmung auf Grund besonderer Dringlichkeit nicht moglich oder konnen die auslandischen Behorden die Verfolgung nicht rechtzeitig iibernehmen, darf die Nacheile auch ohne vorherige Zustimmung erfolgen. Der Vertragsstaat, auf dessen Gebiet die Verfolgung stattfindet, kann jederzeit die Einstellung verlangen. Er ist auf Ersuchen der nacheilenden Beamten jedoch gehalten, die verfolgte Person zweeks Identitatsfeststellung oder Festnahme zu ergreifen. Diese MaBnahme hat im Rahmen des nationalen Rechts zu erfolgen. Nach Art. 16 II haben die nacheilenden Beamten ein Festhalterecht, sofern die 91 ortlichen Behorden nicht rechtzeitig herangezogen werden konnen. Art. 16 III sieht vor, dass die Nacheile ohne raumliche und zeitliche Begrenzung ausgeiibt werden darf. Die Grenze darf auch auBerhalb zugelassener Grenziibergange und festgesetzter Verkehrsstunden uberschritten werden. Die nacheilenden Beamten haben sich vor der Riickkehr in ihren Herkunftsstaat bei den ortlich zustandigen Behorden zu melden und sind verpflichtet, sich bis zur Klarung des Sachverhaltes vor Ort bereitzuhalten. Dies gilt auch, wenn die verfolgte Person nicht festgenommen werden konnte. Eine schriftliche Berichterstattung nach der Riickkehr geniigt hier also nicht. Art. 16 VII gestattet - liber Art. 41 SDU hinausgehend - die Nacheile, wenn 92 sich eine Person einer Grenzkontrolle oder einer polizeilichen KontroUe zum Zwecke der Bekampfung der grenziiberschreitenden Kriminalitat oder der Fahndung nach Straftatern innerhalb eines Gebietes von 30 Kilometern entlang der Grenze entzieht (sog. Schleierfahndung). Es wird hier eine aus konkretem Anlass eingeleitete Fahndungs- oder Kontrollaktion vorausgesetzt, in deren Verlauf sich eine Person durch ihr Verhalten verdachtig macht. Beispiele: Deutsche oder Schweizer Polizeibeamte diirfen einem Tatar, der sich nach einem 93 in ihrem Hoheitsgebiet veriibten Bankiiberfall auf der Flucht in den Nachbarstaat befindet, grenzuberschreitend nacheilen. Das gleiche gilt fur entflohene Strafgefangene oder in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachte. Femer ist die grenziiberschreitende Nacheile zur Verfolgung von Personen zulassig, die sich einer Grenzkontrolle durch Flucht entzogen haben^29^
Cremer, ZaoRY 2000, 103, 107.
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4. Verdeckte Ermittlungen (Art. 17, 18) 94 In Art. 17 wird eine vor allem im Bereich des organisierten Verbrechens immer mehr an Bedeutung gewinnende polizeitaktische MaBnahme - verdeckte Ermittlungen zur Aufklarung von Straftaten - geregelt. Eine verdeckte Ermittlung liegt vor, wenn ein Beamter des ersuchenden Staates, dem eine veranderte Identitat verliehen worden ist, im ersuchten Staat tatig wird, um Informationen zu sammeln oder Kontakte zu bestimmten Personen herzustellen^^°. Auf Wunsch der Schweizer Delegation wurde hier ein strikter Vorbehalt des nationalen Rechts aufgenommen. Weil es sich um einen besonders sensiblen Bereich handelt, wurden zudem verschiedene Zulassigkeitsvoraussetzungen und Schranken eingebaut. So handelt es sich bei Art. 17 I nur um eine Kann-Bestimmung, die dem ersuchten Staat die Moglichkeit belasst, ein Ersuchen abzulehnen. Ferner wird das Vorliegen zureichender tatsachliche Anhaltspunkte dafiir vorausgesetzt, dass eine rechtshilfefahige Straftat vorliegt, ftir die nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht der Einsatz verdeckter Ermittler zugelassen ist. Des Weiteren muss die Aufklarung des Sachverhalts ohne die geplanten ErmittlungsmaBnahmen aussichtslos sein oder wesentlich erschwert werden. 95 Art. 17 II verlangt weiter, dass Ermittlungen sich auf einzelne Einsatze beschranken, die zeitlich begrenzt sind. Der verdeckte Ermittler des auslandischen Staates untersteht der Leitung eines Beamten des ersuchten Staates, dessen Tatigkeit vom ersuchten Staat jederzeit beendigt werden kann. Die Handlungen des verdeckten Ermittlers sind dem einsatzfiihrenden Staat zuzurechnen. 96 Nach Art. 17 III werden die Voraussetzungen und Bedingungen der Einsatze und die Verwendung der Ermittlungsergebnisse vom ersuchten Staat nach seinem innerstaatlichen Recht festgelegt. Art. 17 IV verpflichtet den ersuchten Vertragsstaat zur Leistung notwendiger technischer und personeller Unterstiitzung. Bei besonderer Dringlichkeit braucht nach Art. 17 V keine vorherige Zustimmung beantragt zu werden. Bedingung dafiir ist allerdings, dass die rechtlichen Voraussetzungen ftir den Einsatz verdeckter Ermittler im anderen Vertragsstaat vorliegen und andernfalls die Gefahr droht, dass die veranderte Identitat aufgedeckt wird. Das Tatig werden des verdeckten Ermittlers hat sich in diesen Fallen auf das zur Aufrechterhaltung der Legende unumganglich notwendige MaB zu beschranken. Auch hier ist der Einsatz der zustandigen Behorde unverziiglich mitzuteilen und ein nachtragliches, begrundetes Gesuch einzureichen (Art. 17 VI). Art. 17 VII sieht eine Pflicht zur Unterrichtung des Einsatzstaates vor. Diese hat unverziiglich nach Abschluss des Einsatzes schriftlich zu erfolgen. Nach Art. 17 VIII konnen die Vertragsstaaten einander verdeckte Ermittler zur Verfiigung stellen. 97 Den Einsatz verdeckter Ermittlungen zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung regelt Art. 18. Wie die Observation zur Verhinderung von Straftaten von erheblicher Bedeutung (Art. 15) ist auch diese praventivpolizeiliche Variante der verdeckten Ermittlung an einschrankende Voraussetzungen gekniipft. Nur auslieferungsfahige Straftaten von erheblicher Bedeutung rechtfertigen eine
130 Cremer, ZaoRV 2000, 103, 109 f.
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solche MaBnahme. AuBerdem ist eine verdeckte Ermittlung nur zulassig, wenn sie das jeweilige nationale Recht zum Zwecke der Pravention zulasst. 5. Kontrollierte Lieferungen (Art. 19) Die Bestimmung des Art. 19 iiber kontrollierte Lieferungen orientiert sich an Art. 98 73 SDU. Eine volkerrechtliche Verpflichtung, MaBnahmen zu treffen, welche die kontrollierte Lieferung auf internationaler Ebene ermoglichen, ist bereits in Art. 11 UN-SuchtstoffUbK (Rn. 8) enthalten. Beide Bestimmungen regeln die kontrollierte Lieferung jedoch nur auf dem Gebiet der Betaubungsmitteldelikte. Im deutsch-schweizerischen Polizeivertrag wurde eine weiter gehende Regelung getroffen, da es insbesondere in den in Art. 19 I aufgezahlten Bereichen mit schwerwiegenden Straftaten (z. B. Waffen- und Sprengstoffdelikte, Falschgelddelikte, Diebstahl und Hehlerei, Geldwasche) oftmals nicht moglich ist, auf andere Weise an Hinterleute und Organisatoren oder - bei dem in der Praxis haufigsten Fall des Drogenschmuggels - an die GroBabnehmer heranzukommen. Art. 19 I verlangt die Zustimmung des ersuchten Staates zu einer kontrollierten 99 Lieferung. Diese wird nur dann gestattet, wenn nach Ansicht des ersuchenden Staates die Ermittlung von Hinterleuten und anderen Tatbeteiligten oder die Aufdeckung von Verteilerwegen ohne diese Operation aussichtslos erscheint oder wesentlich erschwert wiirde. Die Lieferung kann zur KontroUe abgefangen und dabei die (illegale) Ware in ihrem urspriinglichen Zustand belassen, entfernt oder durch eine Attrappe ersetzt werden. Die Zustimmung muss abgelehnt oder beschrankt werden, wenn von der Ware ein nicht vertretbares Risiko fiir die am Transport beteiligten Personen oder fiir die Allgemeinheit ausgeht. Gedacht wurde dabei insbesondere an Massenvernichtungswaffen oder Bestandteile fiir deren Herstellung sowie an Sondermiill oder radioaktive Stoffe. Art. 19 II normiert die KontroUaufgaben des ersuchten Staates. Er muss sicher- 100 stellen, dass keine Unterbrechung der Kontrolle der Lieferung entsteht und dass jederzeit die Moglichkeit des Zugriffs auf den Tater oder die Ware gegeben ist. Beamte des ersuchenden Staates konnen auch im ersuchten Staat an der Begleitung der kontrollierten Lieferung beteiligt werden. In diesem Fall sind sie an das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates und an die Weisungen von dessen Behorden gebunden. Beispielsfall: Den deutschen Ermittlungsbehorden ist bekannt, dass in einem aus dem 101 Landkreis Konstanz stammenden PKW, der sich auf der Fahrt in die Schweiz befindet, Drogen versteckt sind, die in Zurich abgesetzt werden soUen. Auf ein entsprechendes Ersuchen der deutschen Seite stimmen die Schweizer Stellen der MaBnahme einer kontrollierten Lieferung zu. Das bedeutet, dass der Drogenkurier mit der „heiBen Ware" nicht bereits an dem schweizerischen Grenziibergang bei Ramsen (CH) gestoppt, sondem „durchgewunken" wird. Der Kurier wird jedoch - je nach Absprache zwischen den Polizeibehorden von deutschen, schweizerischen oder gemischten Ermittlungsteams liickenlos, d. h. in einer Weise iiberwacht, dass im weiteren Verlauf jederzeit auf den Tater oder die Ware zugegriffen werden kann"" ^''. Cremer, ZaoRV 2000, 103, 111 f.
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6. Datenschutz (Art. 26-28) 102 Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit von Polizeibehorden geht in der Kegel auch mit dem Bearbeiten von Daten verdachtiger oder angeschuldigter Personen einher. So werden zum Beispiel Personendaten direkt ausgetauscht, an andere Stellen weitergegeben, bei grenziiberschreitender Nacheile oder Observation beschafft und in Informationssystemen gespeichert. Kapitel IV regelt in drei umfangreichen Artikeln den Datenschutz einschlieBlich der Datenbearbeitung auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates. In den Art. 26-28 wurden Regelungen getroffen, die die Zielsetzungen der polizeilichen Zusammenarbeit und diejenige des Personlichkeitsschutzes miteinander in Einklang bringen soUen. 103 Hierzu gehort vor allem der in Art. 26 festgeschriebene Zweckbindungsgrundsatz. Personendaten, die auf Grund des Polizeivertrages an eine Stelle iibermittelt wurden, dtirfen nur zu dem Zweck, der im Vertrag festgelegt ist, und zu den Bedingungen, die die iibermittelnde Stelle im Einzelfall stellt, verwendet werden. In Art. 27 werden einheitliche Bedingungen im Zusammenhang mit der Bearbeitung von Personendaten aufgestellt. Der Regelungskatalog umfasst die Pflicht: - zur Einhaltung der datenschutzrechtliche Grundsatze der Richtigkeit und damit zusammenhangend - zur Berichtigung bzw. Vernichtung falscher Daten, - zur Wahrung der Grundsatze der Erforderlichkeit und der VerhaltnismaBigkeit der Dateniibermittlung, - zur Gewahrung des Auskunftsrechts, - zur Einhaltung von im geltenden nationalen Recht vorgesehenen Loschungsfristen durch den empfangenden Vertragspartner, - die tJbermittlung und den Empfang der Daten aktenkundig zu machen sowie Datentibermittlungen im automatisierten Verfahren zu Zwecken der Uberpriifung der Einhaltung der maBgeblichen Datenschutzbestimmungen zu protokollieren, - MaBnahmen zur Datensicherheit zu treffen. 7- Rechtsverhaltnisse bei Amtshandlungen im anderen Vertragsstaat 104 Die Rechtsverhaltnisse bei Vornahme von Amtshandlungen im anderen Vertragsstaat werden in Kapitel V fiir den gesamten Polizeivertrag festgeschrieben. Hier linden sich Bestimmungen iiber Einreise und Aufenthalt (Art. 29), das Tragen von Uniformen und das Mitfiihren von Dienstwaffen (Art. 30), Fiirsorge und Dienstverhaltnisse (Art. 31), die zivilrechtHche Haftung (Art. 32) sowie die Rechtsstellung der Beamten im Bereich des Strafrechts (Art. 33). Das Tragen von Uniformen sowie das Mitfiihren von Dienstwaffen und sonstigen Zwangsmitteln (z. B. Handschellen, Schlagstocke) wird nach Art. 30 I generell erlaubt, kann im Einzelfall jedoch eingeschrankt oder ganz untersagt werden. Der Gebrauch der Schusswaffe ist gem. Art. 30 III nur in den Fallen der Notwehr und Nothilfe erlaubt.
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Art. 31 II legt fest, dass die Beamten des anderen Vertragsstaates jeweils den 105 dienstrechtlichen und haftungsrechtlichen Vorschriften ihres Heimatstaates unterstellt bleiben. Die Beamten unterstehen gem. Art. 33 in aktiver und passiver Hinsicht den strafrechtlichen Bestimmungen des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet sie tatig werden (entspricht Art. 42 SDtJ). Werden Dritte durch Beamte des einen Vertragsstaates auf dem Hoheitsgebiet 106 des anderen Vertragsstaates geschadigt, so haftet gem. Art. 32 III der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet der Schaden eingetreten ist (entspricht Art. 43 II SDU). Art. 32 IV regelt die Regressanspriiche unter den Vertragsstaaten. Der entsendende Staat ist verpflichtet, den Gesamtbetrag des geleisteten Schadenersatzes zu erstatten (entspricht Art. 43 I SDU). III. Wiirdigung des Polizeivertrages Der Polizeivertrag baut auf folgende Konstruktionsprinzipien^^^:
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- Der grenziiberschreitende Polizeieinsatz erfordert - auBer bei besonderer Dringlichkeit - die Zustimmung des Gebietsstaates im konkreten Einzelfall. Die Zustimmung kann unter Auflagen erteilt werden oder Modalitaten des Einsatzes festlegen. - Die Beamten haben moglichst vor oder bei Grenziibertritt dem Gebietsstaat mitzuteilen, dass sie sein Hoheitsgebiet betreten. Auf Verlangen des Gebietsstaates ist der Einsatz einzustellen oder an Beamte des Gebietsstaates zu iibergeben. - Die Beamten sind an das Recht des Gebietsstaates gebunden. Man kann im Hinblick auf das Zustimmungserfordernis des ersuchten Staates von 108 einem rechtshilfeahnlichen Charakter des Polizeivertrages sprechen. Eine erhebliche Erleichterung gegeniiber der klassischen Rechtshilfe liegt freilich darin, dass der Kooperationsvorgang von der diplomatischen auf die behordliche Ebene verlagert ist („kurzgeschlossener" Rechtshilfeverkehr). tJber die klassische Rechtshilfe geht der Polizeivertrag auch insoweit hinaus, als er den grenziiberschreitend tatigen Beamten - in den vertraglich abgesteckten Grenzen - die ,JV[itnahme" und Ausiibung hoheitlicher Befugnisse im Nachbarstaat gestattef^^. Der deutsch-schweizerische Polizeivertrag belegt eindrucksvoll, dass auch die 109 grenziiberschreitende polizeiliche Kooperation zwischen einem EU-Staat und einem Drittstaat sehr intensiv sein kann. Er bietet eine ausgezeichnete Grundlage fiir eine schnelle, direkte und unbiirokratische Kooperation im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet und damit fur eine effektive grenziibergreifende Sicherheitspartnerschaft beider Lander. Insbesondere eroffnet er die Moglichkeit, Straftater iiber die Grenze hinweg zu verfolgen und Fahndungsdaten auszutauschen. Der „Umweg", iiber das BKA schweizerische Dienststellen um Fahndungen oder In132 Cremer, ZaoRV 2000, 103, 113 ff. 133 Cremer, ZaoRV 2000, 103, 127, 136 ff.
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formationen zu ersuchen, entfallt kiinftig weitgehend. Teilweise geht das bilaterale Abkommen sogar iiber den Kooperationsstandard des SDU hinaus. So konnen z. B. gemeinsame Einheiten der Polizeien („gemischte Streifen") fiir FahndungskontroUen, Observationen oder Ermittlungen eingesetzt werden, in denen unter bestimmten Voraussetzungen die jeweils auslandischen Krafte auch hoheitliche Aufgaben auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaates wahrnehmen. Auf raumliche, zeitliche und ortliche Beschrankungen, wie sie zwischen einigen EUMitgliedstaaten bestehen, wurde verzichtet. Wahrend nach Art. 40 I SDLF grenzuberschreitende Observationen nur im Rahmen eines konkreten Ermittlungsverfahrens und nur gegen Verdachtige moglich sind, sind sie nach dem deutschschweizerischen Polizeivertrag auch zur vorbeugenden Bekampfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, d. h. ohne konkreten Tatverdacht, erlaubt. Das Instrument der „kontrollierten Lieferungen" ist nicht wie in Art. 73 SDU auf Betaubungsmittel beschrankt. Mit dem Ubereinkommen werden grenziiberschreitende verdeckte Ermittlungen erstmals in einem internationalen Abkommen verrechtlicht. Fiir den Einsatz von Polizeibeamten unter einer ihnen verliehenen veranderten Identitat bedarf es danach nur „zureichender tatsachlicher Anhaltspunkte". Die vorbildliche, von beiden Seiten angestrebte „strategische Sicherheitskooperation" umfasst unter anderem die gemeinsame Analyse der Sicherheitslage und die gegenseitige Unterrichtung iiber aktuelle Schwerpunkte der Kriminalitatsbekampfung. Das deutsch-schweizerische Polizeiabkommen kann nach alledem als Modell fiir eine Erweiterung und Vertiefung der polizeilichen Kooperation zwischen den EU-Mitgliedstaaten herangezogen werden^^'^.
E. Rechtsschutz gegen grenziiberschreitende Strafverfolgung 110 Die Ausfiihrungen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass die grenzubersclireitende Strafverfolgung in Europa inzwischen deutlich iiber die „klassische" intergouvernementale Zusammenarbeit hinausgeht, wie sie beispielsweise in den Konventionen des Europarates zum Ausdruck gelangt. Der Aufbau eines unionsweiten Systems zur Erleichterung der Rechtshilfe, zum Austausch ermittlungsrelevanter Informationen und zur Erstellung von Analysen im Rahmen eines Europaischen Polizeiamtes (Europol), die Einrichtung der juristischen Clearing- und Koordinierungsstelle Eurojust, die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der dritten Saule des EUV, welche seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am I.Mai 1999 den Schengen-Besitzstand (mit seinem Kernstiick SIS) einschlieBt, aber auch bilaterale Ubereinkommen fiihrten zu einer bedeutenden Erweiterung und Vertiefung der europaischen Integration auf dem Feld der transnationalen Kriminalitatsbekampfung und Strafrechtspflege. Untrennbar mit der international-arbeitsteilige Strafverfolgung in Europa ist jedoch das Problem des Rechts134 Cremer, ZaoRV 2000, 103, 127, 146. Zu den Gmndproblemen und Perspektiven der kunftigen Zusammenarbeit der Schweiz mit Europol vgl. Heine, Trechsel-FS, S. 237.
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schutzes ftir die von solchen StrafverfolgungsmaBnahmen betroffenen Personen verbunden^^^. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang vor allem, dass die nationalen Rechtsordnungen grundsatzlich nur Rechtschutz gegeniiber Handlungen eigener Hoheitstrager gewahren, wie die nachfolgenden Fallbeispiele verdeutlichen: Fall 1: A betreibt ein Geschaft im siidbadischen Kehl, wohnt aber auf der anderen Rhein- H I seite in StraBburg (F). Eine Streife der franzosischen Gendarmerie beobachtet eines Morgens, wie A an einer grenznah im Elsass gelegenen Tankstelle Benzin in seinen PKW fiillt und ohne zu bezahlen wegfahrt. Die Gendarmerie verfolgt A iiber die Staatsgrenze hinweg bis zu seinem Geschaft in Kehl. Dort zwingen ihn die franzosischen Polizeibeamten, mit erhobenen Handen auszusteigen und eine Durchsuchung seines PKW zu dulden. SchlieBlich gelingt es A, den Sachverhalt aufzuklaren: Zwischen A und dem Pachter der franzosischen Tankstelle bestand eine Absprache, die es ihm erlaubte, so zu verfahren wie geschehen. A will nicht glauben, dass auslandische Polizeibeamte ihn in Deutschland festhalten und durchsuchen dtirfen. Er fragt, ob ein deutsches Gericht die Unzulassigkeit der getroffenen MaBnahmen feststellen kann, um eine Wiederholungsgefahr abzuwenden. Abwandlung: Wie ware der Fall im deutsch-schweizerischen Verhaltnis zu beurteilen? Losungshinweise zu Fall 1: Bei der von der franzosischen Gendarmerie ergriffenen MaBnahme handelt es sich um eine grenziiberschreitende Nacheile, da es darum ging, die polizeiliche Verfolgung einer - zumindest dem ersten Anschein nach - auf frischer Tat betroffenen Person auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates fortzusetzen. Die Zulassigkeitsvoraussetzungen der grenziiberschreitenden Nacheile sind in Art. 41 SDJJ (Rn. 42 f.) geregelt. Das SDU sieht jedoch keine besondere Rechtsschutzmoglichkeit fiir von einer grenziiberschreitenden Nacheile oder Observation betroffenen Person vor. Zwar sind die nacheilenden Beamten an das Recht der Vertragspartei gebunden, auf deren Hoheitsgebiet sie auftreten (Art. 41 V lit. a SDU). Daraus folgt jedoch nicht zwangslaufig, dass sie der Gerichtsbarkeit dieses Staates unterworfen sind. Es existiert auch keln Rechtsweg zum EuGH. Zwar wurde das SDtJ als Bestandteil des Schengen-Besitzstandes durch ein Protokoll zu dem am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag in den Unionsvertrag integriert (Rn. 71). Dem EuGH werden in Art. 35 I EUV jedoch nur begrenzte KontroUkompetenzen zugewiesen. Die Handlungen einzelner Polizeibeamter, die im Rahmen grenziiberschreitender Observation oder Nacheile vorgenommen werden, unterliegen nicht der Jurisdiktion des EuGH. Auch findet sich keine gesetzliche Bestimmung im deutschen Recht, die eine tiberpriifung der von den franzosischen Gendarmen vorgenommenen Handlungen vor einem deutschen Gericht zulassen. Die deutsche Verfassung (Art. 19 IV GG) garantiert A die Eroffnung eines Rechtsweges zu einem deutschen Gericht, wenn er geltend machen kann, durch die deutsche offentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Zu priifen ist also, ob die franzosischen Gendarmen gegeniiber A deutsche Hoheitsgewalt ausgeiibt haben. Fremde Hoheitstrager sind grundsatzlich nicht in der Lage, deutsche Hoheitsgewalt auszutiben. Man Vgl. hierzu Glefi/Luke, JURA 2000, 400 ff.
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konnte jedoch iiberlegen, ob das SDLF den nacheilenden Beamten moglicherweise die Kompetenz iibertragt, auf dem Hoheitsgebiet eines benachbarten Schengenstaates dessen Hoheitsgewalt auszuiiben. Eine ausdriickliche Regelung in diesem Sinne enthalt das SDtJ jedoch nicht. Im Hinblick auf die volkervertragsrechtliche Natur des SDU sind fiir seine Interpretation die in Art. 31, 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK)^^^ kodifizierten Auslegungsmaximen heranzuziehen. Danach ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Ubereinstimmung mit seiner gewohnlichen, seinen Bestimmungen im Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Die teleologische Auslegung des SDU ergibt, dass die grenziiberschreitend tatig werdenden Beamten keine Hoheitsgewalt des Zielstaates wahrnehmen, sondern vielmehr im Zielstaat Hoheitsgewalt ihres Entsendestaates ausiiben^^''. Die Vertragsparteien haben die Moglichkeit grenziiberschreitender polizeilicher Zusammenarbeit geschaffen, um den mit dem Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen befiirchteten Sicherheitsverlust auszugleichen. Es sollte verhindert werden, dass Personen, die von den nationalen Behorden einer Vertragspartei verdachtigt werden, eine Straftat begangen zu haben, sich durch eine ungehinderte Flucht iiber die offene Grenze den gegen sie gerichteten ErmittlungsmaBnahmen entziehen konnen. Durch das SDU soil der „nationale Souveranitatspanzer" aufgebrochen werden und die Ausiibung originarer Hoheitsgewalt des Entsendestaates auch auf dem Hoheitsgebiet des angrenzenden Vertragsstaates ermoglicht werden. Demzufolge haben die firanzosischen Beamten franzosische Hoheitsgewalt ausgeiibt, als sie A in Kehl anhielten und seine Wagen durchsuchten. 116 Von einer volkerrechtlichen Organleihe kann nicht ausgegangen werden. Eine solche liegt vor, wenn ein Staat einzelne Organe einem anderen Staat unter Ausgliederung aus der eigenen Hoheitsgewalt zur Verfiigung stellt. Eine volkerrechtliche Organleihe basiert stets auf einer vertraglichen Regelung. Voraussetzung ist, dass die „entliehenen" Organe auf Weisung, im Namen und unter Kontrolle des „Entleiherstaates" tatig werden. Das SDtJ sieht jedoch gerade keine Weisungsbefugnis des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet die nacheilenden Beamten des Entsendestaates tatig werden, gegeniiber diesen Beamten vor^^^. 117 Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die franzosische Gendarmerie in Fall 1 keine deutsche, sondern franzosische Staatsgewalt auf deutschem Gebiet ausiibte. Da somit kein Akt der deutschen offentliche Gewalt vorlag, greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG nicht ein. Folglich kann A vor keinem deutschen Gericht die Unzulassigkeit der polizeilichen MaBname feststellen lassen. 136
Wiener tJbereinkommen v. 23. Mai 1969 uber das Recht der Vertrage (BGBl. II 1985, 927); abgedmckt bei Schomburg/Lagodny/Glefi/Hackner, IRhSt, Anhang 12. Die im WVK enthaltenen Auslegungskriterien werden als kodifiziertes Volkergewohnheitsrecht angesehen; vgl. hierzu BGH NStZ 1998, 149, 151; Dorr, DOV 1993, 696, 702 m. w. N. Ambos, IntStR, § 12 Rn. 34; Baldus, PoHzeiliche Zusammenarbeit, S. 34, 44; Glefi/Luke, JURA 2000, 400, 403 ; Hecker, J., EuR 2001, 826, 842. Glefi/LUke, JURA 2000, 400, 403.
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Ob A in Frankreich den Rechtsweg mit dem Ziel beschreiten kann, die Unzulas- 118 sigkeit der gegen ihn ergriffenen ZwangsmaBnahmen feststeilen zu lassen, ist eine nach franzosischem Recht zu beantwortende Frage. Als Vertragspartei der EMRK (Art. 13 i. V. m. Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls), des IPBPR (Art. 2 III a i. V. m. Art. 12 I) ist Frankreich volkerrechtlich verpflichtet, A eine Besciiwerdemoglichkeit zu gewahren. Eine Pflicht zur Justizgewahrleistung besteht aber nicht, da Art. 6 EMRK bzw. Art. 14 IPBPR gerichtlichen Rechtsschutz fiir das Strafverfahren erst ab dem Zeitpunkt garantieren, ab welchem eine Person unter „Anklage" steht. Unter Anklage steht eine Person erst dann, wenn ihr von einer Behorde offiziell mitgeteilt wird, dass gegen sie eine Anschuldigung vorHegt. Die MaBnahmen der franzosischen Gendarmerie gegen A stellen lediglich Ermittlungen im Vorfeld einer etwaigen Anklage dar. Losungshinweise zu Fall 1 (Abwandlung): Im deutsch-schweizerischen Verhalt- 119 nis greifen die Regelungen des deutsch-schweizerischen Polizeivertrages uber grenziiberschreitende Observation und Nacheile ein, die den nacheilenden Beamten die Befugnis verleihen, fremde Hoheitsgewalt auf dem Territorium des Nachbarstaates auszuiiben. Ein Rechtsschutz gegen MaBnahmen Schweizer Polizeibeamter durch deutsche Gerichte ist daher ausgeschlossen^^^. A ist auf die nach schweizerischem Recht bestehenden Rechtsschutzmoglichkeiten zu verweisen. Fall 2: Der deutsche Autofahrer B wird im bayerisch-osterreichischen Grenzgebiet von ei- 120 ner Streifenbesatzung der deutschen Autobahnpolizei dabei beobachtet, wie er bei einem verbotenen Uberholmanover einen anderen Wagen seitlich rammt und sodann - ohne anzuhalten - seine Fahrt mit hoher Geschwindigkeit fortsetzt. Die Zivilstreife verfolgt den B tiber die Staatsgrenze hinweg bis zu einem in Osterreich gelegenen Parkplatz. Die Beamten zwingen B unter Anwendung des „Polizeigriffes", in ihren Wagen einzusteigen, um mit ihnen zu einer auf der deutschen Seite gelegenen Polizeidienststelle zu fahren. Ein Mitglied der Streifenbesatzung iiberfuhrt den Wagen des B nach Deutschland. Ist die RechtmaBigkeit dieser MaBnahmen von einem deutschen Gericht tiberprufbar? Losungshinweise zu Fall 2: Nach Art. 19 IV GG hat B einen verfassungsrechthch 121 verbiirgten Anspruch auf die Eroffnung eines Rechtsweges zu einem deutschen Gericht, wenn er geltend machen kann, durch die deutsche offentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Die im Rahmen der grenzuberschreitenden Nacheile (Art. 41 SDU) gegen B ergriffenen MaBnahmen sind zwar nicht auf deutschem Hoheitsgebiet vollzogen worden. Jedoch ergibt sich aus dem SDU, dass die deutschen Beamten auf dem Territorium eines anderen Vertragsstaates deutsche Hoheitsgewalt ausgeiibt haben, als sie dem in Deutschland auf frischer Tat (vgl. §§ 315 c I Nr. 2 b, 142 I Nr. 1, Nr. 2 StGB) betroffenen B iiber die Grenze nacheilten. B kann daher mit der Behauptung, die Beamten batten ihn in seinen Rechten verletzt, ein deutsches Gericht anrufen, um die RechtmaBigkeit der getroffenen MaBnahmen uberpriifen zu lassen'"^°. 139 Cremer, ZaoRV 2000, 103, 136 ff. ^^^ Vgl. hierzu Baldus, Polizeiliche Zusammenarbeit, S. 34, 50 und zu einem Parallelfall Glefi/Luke, JURA 2000, 400, 403 f
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
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G. Zusammenfassung von § 5
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G. Zusammenfassung von § 5 Die EU-Mitgliedstaaten sind in ein komplexes Netzwerk weltweiter, euro- 122 paischer und zwischenstaatlicher Kooperationsformen eingebunden, v^elche sich die Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zu einem Teil ihrer Aufgabengebiete gemacht haben. Zu den Institutionen, die im Bereich der internationalen Kriminalitatsbekampfung und Strafrechtspflege global tatig werden, gehoren die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol), die Vereinten Nationen (UN), die Organisation fiir Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und die Gipfeltreffen der G7/G8-Staaten. Zur Durchsetzung ihrer Ziele im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts bedient sich die OECD wie die UN tiberwiegend des sog. „soft law". Damit sind Instrumente wie Modellkonventionen, Empfehlungen und Verhaltenscodices gemeint, die nicht auf eine Rechtsharmonisierung im Sinne eines „Gleichklangs" der Normen abzielen, sondern auf eine funktionale Annaherung der Strafrechtssysteme (Assimilierung). Auf europaischer Ebene ist die Strafrechtsentwicklung maBgeblich durch die Aktivitaten des Europarates gepragt worden. Der Europarat setzt bei seiner Arbeit im
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§ 5 EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk der Kooperation in Strafsachen
Bereich der Kriminalitatsbekampfung zum einen auf die Instmmente des „soft law", aber auch auf die harmonisierende Wirkung volkerrechtlicher Ubereinkommen. In diesem Zusammenhang ist auf die MaBnahmen des Europarates zur Bekampfung von Geldwasche, Drogenkriminalitat, Korruption und Cyber-Kriminalitat hinzuweisen, durch welche entsprechende Aktivitaten der OECD, UN bzw. G8-Staaten erganzt werden. 123 Die europaische Strafrechtsentwicklung wird heute maBgeblich von der international-arbeitsteiligen polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter dem Dach der EU gepragt. Ausgelost durch den aufkeimenden Terrorismus hatte sich seit Mitte der 1970er-Jahre im Rahmen der TREVIArbeitsgruppen ein informeller Erfahrungsaustausch entwickelt, der schon bald auf weitere Bereiche der Kriminalitatsbekampfung ausgedehnt wurde. Durch den Vertrag von Maastricht (1992) wurde die grenziiberschreitende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) als sog. dritte Saule der EU in den institutionellen Rahmen des EUV integriert. 124 Da nicht alle EU-Staateii bereit waren, die Grenzkontrollen abzuschaffen, vereinbarten Frankreich, Deutschland und die Benelux-Staaten auBerhalb des institutionellen Rahmens des EUV im Jahre 1985 im Vertrag von Schengen (Schengenl) und im Jahre 1990 im Schengener Durchfiihrungsiibereinkommen (Schengen II -SDtJ-) die Aufhebung der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen. Um einen Ausgleich fiir die mit dem Wegfall der Binnengrenzen einhergehenden Sicherheitsliicken zu schaffen, errichteten die Vertragsstaaten ein umfassendes System der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Dieses umfasste namentlich die Vereinbarung einheitlicher Kontrollstandards an den AuBengrenzen, die Anwendung gemeinsamer Grundsatze flir die Einreise und den Aufenthalt von Drittauslandern, die Definition einer einheitlichen Visumpolitik und praxis sowie die Annahme gemeinsamer Grundsatze fiir die grenziiberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. Das Schengener Informationssystem (SIS) stellt das technische Kernstiick dieser breiten Zusammenarbeit dar. Es ermoglicht alien Teilnehmerstaaten den Zugriff auf ein zentrales Informationssystem (zur Verhaftung ausgeschriebene Personen, Personen mit Aufenthaltsverbot, vermisste Personen, abhanden gekommene Gegenstande). Eine der markantesten Errungenschaften der dritten Saule stellt das am 1. Oktober 1998 in Kraft getretene Ubereinkommen zur Einrichtung eines europaischen Polizeiamtes (Europol) dar. Am 1. Juli 1999 nahm Europol als Internationale Organisation mit Sitz in Den Haag seine Arbeit auf. 125 Mit dem am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam wurden die Grundlagen fiir einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" geschaffen (Art. 29 EUV). Mehrere Bereiche der Zusammenarbeit wurden teilweise „vergemeinschaftet" und in die erste Saule der EU-Kooperation iiberfiihrt. Ein weiteres markantes Element ist die Integration des Schengen-Besitzstandes in den EUV mit der Folge, dass die Zusammenarbeit der Schengener Vertragsparteien nunmehr im institutionellen und juristischen Rahmen der EU abgewickelt wird. Die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten (PJZS) erfolgt nach den in Art. 34 EUV enumerativ aufgefuhrten, gegeniiber der
G. Zusammenfassung von § 5
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frliheren ZBJI erweiterten Handlungsformen des Rates, von denen das neue Instrument des (einstimmig anzunehmenden) Rahmenbeschlusses hervorzuheben ist. Seit dem 28. Februar 2002 wird die grenziiberschreitende justizielle Kooperati- 126 on durch die mit Ratsbeschluss vom gleichen Tage errichtete Koordinierungsstelle Eurojust mit Sitz in Den Haag verstarkt, deren Aufgabe vor allem darin besteht, juristische Informationen zwischen den Strafverfolgungsbehorden der Mitgliedstaaten auszutauschen sowie transnational Ermittlungsverfahren zu koordinieren und zu unterstiitzen. Am Beispiel des deutsch-schweizerischen Polizeivertrages wurde gezeigt, 127 dass die grenziiberschreitende polizeiliche und justizielle Kooperation auch zwischen EU-Staaten und Drittstaaten sehr intensiv sein kann. Das bilaterale Ubereinkommen geht teilweise sogar liber den Kooperationsstandard des SDLF hinaus. Die international-arbeitsteilige Strafverfolgung in Europa wirft das Problem des 128 Rechtsschutzes fiir die von grenziiberschreitenden StrafverfolgungsmaBnahmen betroffenen Personen auf, da in den einschlagigen multi- oder bilateralen Kooperationskonventionen - mit Ausnahme des Datenschutzbereiches - keine besonderen Rechtsschutzmoglichkeiten vorgesehen sind und die nationalen Rechtsordnungen grundsatzlich nur Rechtschutz gegeniiber Handlungen eigener Hoheitstrager gewahren.
§ 6 Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit
A. Integration des Vorabentscheidungsverfahrens in das Strafverfahren Die Judikatur des EuGH ist flir die Entwicklung des Europaischen Strafrechts von unschatzbarem Wert. Strafrechdiche Relevanz kann grundsatzlich jeder Entscheidung des Gerichtshofes zukommen, unabhangig davon, in welcher Verfahrensart (§ 4 Rn. 45 ff.) sie getroffen wurde. Das Zusammenwirken von supranationaler und nationaler Gerichtsbarkeit lasst sich daher als institutioneller Faktor der Europaisierung des Strafrechts begreifen, der den materiell- und prozessrechtlichen Europaisierungsfaktoren (Teil III) nicht selten erst zur praktischen Durchsetzung und Wirksamkeit verhilft. Am intensivsten gestaltet sich die Kooperation zwischen den justiziellen Akteuren des Europaischen Strafrechts - EuGH und mitgliedstaatliche Strafgerichte - im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 234 EGV), denn dieses ist als Inzidentverfahren Teil des nationalen Strafverfahrens. Hinvreis: Der zur Ratifikation in den Mitgliedstaaten anstehende Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa weist in Art. III-369 EU-Verfassung dem EuGH die Zustandigkeit fiir Vorabentscheidungen iiber die Auslegung der Verfassung und iiber die Giiltigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europaischen Union zu. Das in diesem Kapitel behandelte Zusammenwirken der nationalen Strafgerichte mit dem EuGH wird somit auch unter dem Dach der kiinftigen Europaischen Verfassung fortgesetzt.
I. Funktion und Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens 1. Sicherung des Auslegungs- und Verwerfungsmonopols des EuGH Dem in Art. 234 EGV institutionalisierten Vorabentscheidungsverfahren konrnit von alien supranationalen Verfahrensarten die groBte praktische Bedeutung zu\ Die Notwendigkeit dieses Verfahrens ergibt sich aus dem im Gemeinschaftsrechtssystem angelegten Nebeneinander zwischen mitgliedstaatlicher und suprana^
Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 54; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 14.
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§ 6 Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit
tionaler Gerichtsbarkeit. Einerseits haben die nationalen Gerichte in vielfaltiger Weise primares und sekundares Gemeinschaftsrecht anzuwenden, andererseits fehlt dem EuGH die Befugnis, innerstaatliche Gerichtsentscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zu uberpriifen. Da es infolge divergierender Auslegung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht durch die mitgliedstaatlichen Gerichte zu Rechtsunsicherheiten, Wettbewerbsverzerrungen, Diskriminierungen und letztlich zu einer Beeintrachtigung des supranationalen Geltungsanspruchs des Gemeinschaftsrechts kommen konnte, weist Art. 220 EGV aus guten Griinden dem EuGH das Monopol zur letztverbindlichen Auslegung des gesamten Gemeinschaftsrechts und zur tJberprufung der Giiltigkeit von Sekundarrechtsakten zu. Dieses Auslegungs- und Verwerfungsmonopol des EuGH wird durch das in Art. 234 EGV verankerte Kooperationsmodell gesichert. Das Vorabentscheidungsverfahren stellt das prozessuale Bindeglied zwischen der supranationalen Gerichtsbarkeit des EuGH und den nationalen Gerichten dar^. 2. Individualschutzfunktion Daneben tritt bei dem Vorabentscheidungsverfahren zunehmend auch die Individualschutzfunktion in den Vordergrund^. Die Btirger sind auf den innerstaatlich gewahrten Rechtsschutz angewiesen, wenn es um die Durchsetzung ihrer aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten subjektiv-offentlichen Rechte geht. Das Vorabentscheidungsverfahren bietet ihnen somit die einzige Moglichkeit, sich gegen gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten ihres Mitgliedstaates zu wehren. Zu beachten ist jedoch, dass das von Art. 234 EGV vorgeschriebene Procedere nicht als selbstandiger kontradiktorischer Prozess, sondern als objektives Zwischenverfahren konzipiert ist, das als eine Art Kooperationsverfahren im Rahmen eines vor dem nationalen Gericht gefiihrten Ausgangsprozesses durchgefiihrt wird. Sein Ablauf weist gewisse Parallelen zum Verfahren der konkreten Normenkontrolle gem. Art. 100 I GG auf. Art. 234 EGV gewahrt den Prozessbeteiligten daher keinen Anspruch auf Einholung einer Vorabentscheidung. Der Einzelne - ob als Partei im Zivil- bzw. Verwaltungsprozess oder als Angeklagter im Strafverfahren - kann dementsprechend vor dem nationalen Gericht ein Vorlageverfahren immer nur anregen oder beantragen, aber nicht erzwingen. tjber die vorlaufige Aussetzung des nationalen Verfahrens zum Zwecke der Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH entscheidet allein und von Amts wegen das nationale Gericht^.
Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 238; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 171; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 5 f; Satzger, Europaisierung, S. 658. Esser, StV 2004, 221, 222; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 495; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 171 f, 175 f; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 8. Standige Rspr. seit EuGHE 1962, 965; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 20.
A. Integration des Vorabentscheidungsverfahrens in das Strafverfahren
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Zwar stellt die Missachtung der Vorlagepflicht (Rn. 7) einen GemeinschaftsrechtsverstoB dar und kann daher zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat fiihren, dessen Gericht den VerstoB zu verantworten hat. Das Vertragsverletzungsverfahren kann jedoch nicht von einem einzelnen Burger betrieben werden. Nach deutschem Recht kommt die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zum BVerfG in Betracht, da der EuGH „gesetzlicher Richter" i. S. d. Art. 101 I 2 GG ist^. Die Verletzung der Vorlagepflicht gem. Art. 234 III EGV verletzt den Einzelnen aber nur unter engen Voraussetzungen in seinem verfassungsrechtlich verbtirgten Anspruch auf den „gesetzlichen Richter". Denn das BVerfG verlangt fiir eine Verletzung des Art. 1011 2 GG ein willkiirliches Verhalten des Gerichts, also eine Rechtsanwendung, die bei verstandiger Wiirdigung „nicht mehr verstandlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist"^. Somit diirfte ein etwaiger VerstoB gegen Art. 234 III EGV durch ein deutsches Gericht nur in seltenen Fallen zu einer Verletzung des Art. 101 I 2 GG fiihren, z. B. bei grundsatzlicher Verkennung der Vorlagepflicht oder bei bewusstem Abweichen von der zutreffend erkannten Vorlagepflicht mangels Vorlagebereitschaft des zustandigen Richters''.
II. Vorlagebefugnis und Vorlagepflicht Bestehen im Rahmen eines Straf- oder BuBgeldverfahrens Zweifel an der Vereinbarkeit entscheidungserheblicher innerstaatlicher Vorschriften des materiellen Rechts bzw. des Verfahrensrechts mit Gemeinschaftsrecht oder an der Giiltigkeit eines entscheidungsrelevanten Sekundarrechtsaktes, so besteht nach Art. 234 II EGV die Moglichkeit fur das nationale Gericht, die entsprechende Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen (fakultative Vorabentscheidung). Das BVerfG betont eine Pflicht der Strafgerichte, in jedem Stadium des Verfahrens mit besonderer Sorgfalt zu priifen, ob eine Vorlage an den EuGH veranlasst ist^. Will ein deutsches Gericht eine Vorabentscheidung herbeifiihren, so setzt es das Strafverfahren durch Beschluss aus, welcher nach h. M. unanfechtbar ist^. Aussetzung und Vorlage ergehen in einem einheitlichen Beschluss, der - ahnlich wie ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 GG - einer Begriindung bedarf. Insbesondere muss schliissig dargelegt werden, weshalb die in Betracht gezogene Auslegung des Gemeinschaftsrechts im konkreten Fall entscheidungserheblich ist^°.
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BVerfOE 75, 223, 245; BVerfG NVwZ 2001, 1267, 1268. BVerfOE 29, 198, 207; 31, 145, 169; 82, 159, 192 ff; vgl. hierzu auch Allkemper, EWS 1994, 255 ff '^ Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 67. 8 BVerfG NJW 1989, 2464. ^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 251; ders., Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 56; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 197 ff ^° Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 181.
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Art. 234 III EGV sieht eine Pflicht zur Vorlage (obligatorische Vorabentscheidung) vor, wenn die Entscheidungen des erkennenden Gerichts nicht mehr mit Rechtmitteln angefochten werden konnen. Letztinstanzliches Strafgericht ist nicht etwa nur das formell an der Spitze der nationalen Gerichtshierarchie stehende Gericht, sondern jedes Gericht, dessen Entscheidung im konkreten Fall nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann^^ Verfassungsbeschwerde und Wiederaufnahmeklage werden nicht als Rechtsmittel i. S. d. Art. 234 III EGV angesehen. Folglich ist ein deutsches Amtsgericht, gegen dessen Entscheidung in einer BuBgeldsache z. B. wegen Unterschreitung der in § 79 I Nr. 1 OWiG festgelegten Wertgrenze des angedrohten BuBgelds (weniger als € 250.-) keine Rechtsbeschwerde eingelegt werden kann, nach Art. 234 III EGV zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, wenn es fiir die zu treffende Sachentscheidung auf die Auslegung Oder GUltigkeit von Gemeinschaftsrecht ankommt. Eine Ausnahme von der Vorlageverpflichtung letztinstanzlicher Gerichte erkennt der EuGH an, wenn die Rechtsfrage bereits geklart ist oder aber die richtige Antwort auf die Frage derart offenkundig ist, dass „keinerlei Raum fiir einen vernlinftigen Zweifel bleibt" (sog. „acte-clair-Doktrin")^^. Es erscheint aber zweifelhaft, ob die erhohten Anforderungen an die Rechtssicherheit im Strafrecht eine Berufung auf diese Doktrin zulassen""^. Fiir nicht letztinstanzliche Gerichte besteht grundsatzlich nur eine Vorlagebefugnis, die sich jedoch nach der Rechtsprechung des EuGH zu einer Vorlagepflicht verdichtet, wenn diese Gerichte eine Sekundarrechtsnorm fiir ungiiltig halten und deshalb nicht anwenden wollen^"^. Die Staatsanwaltschaften konnen nach der Judikatur des Gerichtshofs nicht den Gerichten gleich gestellt werden und sind daher generell nicht vorlageberechtigt^^. Ebenfalls nicht vorlageberechtigt sind die fiir den Erlass von BuBgeldbescheiden zustandigen Verwaltungsbehorden^^. III. Fallgruppen von Vorlagen Im Strafprozess Die wohl wichtigste Fallgruppe von Vorlagefragen im Strafprozess betrifft das materielle Strafrecht. Die vielfaltigen unmittelbaren und mittelbaren Einfliisse des Gemeinschaftsrechts auf nationale Straf- und BuBgeldbestimmungen werfen nicht selten Auslegungs- und Giiltigkeitsfragen beim Strafrichter auf, die einer Klarung durch den EuGH bediirfen. So kann sich etwa bei der Verhandlung eines
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Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 173; Satzger, Europaisierung, S. 662; Streinz, Europarecht, Rn. 562. EuGHE 1982, 3415; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 501. Vgl. hierzu Satzger, Europaisierung, S. 663. EuGHE 1987, 4199; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 245; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 499. EuGHE 1996, 6609; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 242; ders., Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 37 f, 48; Satzger, Europaisierung, S. 660. DannecJcer, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 243; Konig, in: Gohler, OWiG, § 3 Rn. 8a.
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Anklagevorwurfes, der auf die Verletzung eines Blankettstrafgesetzes gestiitzt ist, welches auf eine EG-Verordnung verweist (§ 7 Rn. 79, 85 ff.), die Frage nach deren Giiltigkeit bzw. Auslegung stellen. Die Auslegung von Primar- oder Sekundarrecht wird auch relevant, wenn zu beurteilen ist, ob ein deutsches Strafgesetz etwa aufgrund einer Kollision mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht unanwendbar bzw. gemeinschaftsrechtskonform zu interpretieren ist^''. Die zweite Gruppe von Vorlagen im Strafprozess, mit der nationale Gerichte 10 eine fUr sie verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts begehren, betrifft das nationale Strafprozessrecht^^. Denkbar ist hier ein moglicher Konflikt innerstaatlicher Verfahrensnormen mit den primarrechtlichen Grundfreiheiten, dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 12 EGV), aber auch mit (ausnahmsweise) unmittelbar anwendbarem Richtlinienrecht^^. Bei der Formulierung der Vorlagefrage(n) haben die nationalen Gerichte zu be- 11 achten, dass dem EuGH nicht die Kompetenz zusteht, iiber die Giiltigkeit und Interpretation innerstaatlicher Rechtsnormen oder liber deren Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zu entscheiden. Der EuGH befindet stets nur iiber die Giiltigkeit und Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Vorzulegen sind dem EuGH nur abstrakt gestellte Rechtsfragen. Diese konnen z. B. wie folgt lauten: (1) „Ist Art. 7 Absatz 1 der Richtlinie 89/397/EWG des Rates v. 14. Juni 1989 12 iiber die amtliche Lebensmitteliiberwachung dahingehend auszulegen, dass daraus fiir den Hersteller eines Erzeugnisses ein unmittelbar anwendbares Recht auf Einholung eines Gegengutachtens folgt, wenn staatliche Behorden von dem Erzeugnis des Herstellers im Einzelhandel eine Probe zu Analysezwecken entnehmen und diese Probe unter lebensmittelrechtlichen Aspekten beanstandet wird?"^° (2) „Stellt die grenziiberschreitende Versendung von Werbematerial fiir eine Lotterie, die in einem Mitgliedstaat rechtmaBig veranstaltet wird, eine Dienstleistung i. S. d. Art. 49 EGV dar?"2i (3) „Stellt es eine Beschrankung der in den Artikeln 43 und 47 des Vertrags von Rom verankerten Niederlassungsfreiheit dar, wenn von einer Person, die das Recht zur Ausiibung des Tierarztberufs in einem Mitgliedstaat der Europaischen Gemeinschaft durch die Verleihung der in Artikel 3 der Richtlinie 78/1026/EWG genannten Diplome erlangt und spater die Staatsangehorigkeit eines anderen Mitgliedstaates erworben hat, verlangt wird, dass sie entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats einer nationalen berufsstandischen Kammer beitritt, um ihren Beruf ausiiben zu konnen, obwohl die Frist von zwei Jahren fiir den Erlass der zur Durchfiihrung der Richtlinien 78/1026/EWG und 78/1027/EWG erforderlichen MaBnahmen abgelaufen ist?"22 ^'^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 176 f; Satzger, Europaisierung, S. 662. ^^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 177. 19 Vgl. hierzu EuGHE 2003, 3735 mit ausfiihrlicher Besprechung von Esser, StV 2004, 221 ff Vgl. hierzu den Vorlagebeschluss des AG Schleswig in EuGHE 2003, 3735. Vgl. hierzu den Vorlagebeschluss des High Court of Justice in EuGHE 1994, 1039. Vgl. hierzu den Vorlagebeschluss der Cour d'appel Colmar in EuGHE 1983, 2727.
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13 Moglicher Gegenstand der Vorlage ist somit allein die im Ersuchen des Gerichts abstrakt zu formulierende Frage nach der Gultigkeit oder Auslegung von Gemeinschaftsrecht. In der Praxis verfahrt der EuGH jedoch relativ groBziigig und formuliert ggf. unzulassige Fragestellungen um^^. Es ist allein Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte, aus dem im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gefallten Urteil des EuGH die Konsequenzen fiir die Interpretation und Anwendung des nationalen Rechts zu ziehen. IV. Wirkungen der Vorabentscheidung 14 Die Wirkungen der Vorabentscheidung sind im EGV nicht geregelt. Sinn und Zweck dieses Verfahrens, die Einheitlichkeit in der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, erfordern aber zumindest die Bindung des vorlegenden nationalen Gerichts und aller mit der Sache befassten Instanzgerichte des Ausgangsverfahrens an die Entscheidung des EuGff"^. Dariiber hinaus entfaltet das Urteil eine faktische Prajudizwirkung, indem jedes mit der gleichen Frage befasste Gericht eines Mitgliedstaates der Vorabentscheidung Folge leisten oder - falls es hiervon abweichen will - erneut vorlegen muss. Hat der Gerichtshof einen Sekundarrechtsakt fiir ungultig erklart, so stellt dies fiir jedes mitgliedstaatliche Gericht einen ausreichenden Grund dar, diesen ebenfalls als ungiiltig anzusehen (faktische erga-omnes-Wirkung)^^. Eine entsprechende Vorabentscheidung kommt daher in ihrer Wirkung einer Nichtigerklarung nach Art. 231 EGV nahe.
B. Vorabentscheidungsverfahren und strafprozessuale Maximen 15 Wenn die Voraussetzungen zur Einholung einer fakultativen oder obligatorischen Vorabentscheidung vorliegen, spielt das Verfahrensstadium, in dem sich das innerstaatliche Strafverfahren befindet, keine Rolle. Vorabentscheidungsverfahren kommen daher im Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren in Betracht^®. Die primarrechtlich gebotene Integration des Vorabentscheidungsverfahrens in das
^^ Streinz, Europarecht, Rn. 559. ^"^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 174; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 87; Satzger, Europaisiemng, S. 664. ^^ HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 506; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 175; Middeke, Europaischer Rechtsschutz, § 10 Rn. 89; Satzger, Europaisiemng, S. 664. 26 EuGHE 1991, 3277; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstafrecht, 2. Kap. Rn. 247 ff; ders., Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 42, 48; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 178, 184 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 661.
B. Vorabentscheidungsverfahren und strafprozessuale Maximen
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Strafverfahren kann jedoch in alien Verfahrensstadien in ein losungsbediirftiges Spannungsverhaltnis zu strafprozessualen Maximen geraten. I. Vorabentscheidung im Haupt- und Zwischenverfahren 1. Zulassigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens Im strafprozessualen Hauptverfahren (§§ 213-295 StPO) und insbesondere im 16 Rahmen seines Kernstucks - der Hauptverhandlung - ist die Einholung einer Vorabentscheidung durch das erkennende Gericht jederzeit moglich, da das Hauptverfahren keine prozessualen Besonderheiten gegeniiber anderen nationalen Prozessarten aufweist. Dass eine Vorlage auch im Zwischenverfahren (§§ 199-211 StPO) moglich sein muss, wird durch eine Entscheidung des BVerfG bestatigt, wonach die Strafgerichte in jedem Stadium des Strafverfahrens mit besonderer Sorgfalt zu priifen haben, ob bei der Auslegung einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts Zweifel bestehen und die Vorlage an den EuGH erforderlich ist^^. Da dem EuGH nur abstrakt formulierte Rechtsfragen liber die Giiltigkeit oder Auslegung von Gemeinschaftsrecht vorgelegt werden diirfen, ist es nicht erforderlich, dass der zum Gegenstand einer Anklage gemachte Sachverhalt bereits abschlieBend geklart ist^^. Aus Griinden der Prozessokonomie erscheint es freilich sachgerecht, das nationale Verfahren zunachst so weit zu fordern, dass eine hinreichend konkretisierte Vorlagefrage formuliert und deren Entscheidungsrelevanz aufgezeigt werden kann. Rein innerstaatliche Rechtsfragen sollten vor Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens geklart werden^^. 2. Vorlageermessen und Ermittlungsgrundsatz Das den nicht letztinstanzlichen Gerichten von Art. 234 IIEGV eingeraumte freie 17 Vorlageermessen kann jedoch in Konflikt mit dem strafprozessualen Ermittlungsgrundsatz treten, der in den §§155 II, 160 II, 244 II StPO seinen gesetzlichen Niederschlag findet. Danach haben die Strafverfolgungsorgane den Sachverhalt von Amts wegen vollstandig zu erforschen und aufzuklaren. Das hieraus abzuleitende Aufklarungsgebot der Strafgerichte erstreckt sich auch auf die Frage, ob das Verhalten des Angeklagten iiberhaupt mit Strafe bedroht ist, was zweifelhaft sein kann, wenn seine Strafbarkeit im konkreten Fall von der Giiltigkeit oder einer bestimmten Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhangt. Aber auch die Art und Hohe einer im konkreten Fall in Betracht kommenden strafrechtlichen Sanktion kann vom Gemeinschaftsrecht beeinflusst sein, so dass sich in dieser Hinsicht ebenfalls ein gerichtlicher Aufklarungsbedarf ergibt. Das Spannungsverhaltnis zwischen der innerstaatlichen Prozessmaxime und dem gemeinschaftsrechtlichen Vorlageermessen lasst sich wegen des Vorranges des Gemein27 28 29
BVerfG N J W 1989, 2464. E u G H E 1981, 735; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 178. E u G H E 1992, 4 8 7 1 , 4933 f
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schaftsrechts nicht einfach dadurch losen, dass man von einer Uberlagemng des Vorlageermessens durch den Aufklarungsgrundsatz ausgeht mit der Folge, dass die in Art. 234 IIEGV eingeraumte Vorlagebefugnis in eine Vorlagepflicht umgedeutet wird^°. Nationales Recht kann Gemeinschaftsrecht nicht verdrangen. Eine fUr die nationalen Gerichte verbindliche Begrenzung ihres Vorlageermessens ist gemeinschaftsrechtlich nicht zulassig^^ Daher kann nur an die Gerichte appelliert werden, sich bei der Ausubung des ihnen eingeraumten Vorlageermessens von dem Ermittlungsgrundsatz leiten zu lassen. Die Klarung entscheidungsrelevanter Rechtsfragen, die sich aus dem Gemeinschaftsrechtsbezug des Verfahrengegenstandes ergeben, sollte schon aus prozessokonomischen Griinden (Beschleunigungsgebot) moglichst friihzeitig erfolgen und nicht erst dem gem. Art. 234 III EGV zur Vorlage verpflichteten letztinstanzlichen Gericht iiberlassen werden^^.
II. Vorabentscheidung im Ermittlungsverfahren 1. Zulassigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens 18 Das Ermittlungsverfahren (§§ 160-170 StPO) wird von der Staatsanwaltschaft geleitetet, die als weisungsgebundene Behorde kein Gericht i. S. d. Art. 234 EGV und daher nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung berechtigt ist (Rn. 8). Die Moglichkeit der Vorlage besteht jedoch fur Gerichte, die im Ermittlungsverfahren Entscheidungen zu treffen und dabei gemeinschaftsrechtliche Vorgaben zu beachten haben. Es handelt sich bei diesen Entscheidungen - z. B. betreffend Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO), Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO, Fernmeldeuberwachung (§ 100 a StPO) und Untersuchungshaft (§§ 112 ff. StPO) - stets nur um die Genehmigung oder Verlangerung von Grundrechtseingriffen, die nach deutschem Recht dem Richtervorbehalt unterliegen. Dass diese richterlichen Beschltisse nicht in einem kontradiktorischen Verfahren ergehen, steht der Einholung einer Vorabentscheidung nicht entgegen, da nach der Judikatur des EuGH jedes Gericht unahhangig von der Verfahrensart zur Vorlage berechtigt ist^^. 2. Konflikt zwischen Vorlage und Funktion des Ermittlungsverfahrens 19 Das Spannungsverhaltnis zwischen Vorlageverfahren und innerstaatlichen Prozessmaximen tritt im Ermittlungsverfahren noch deutlicher zutage als in den anderen Verfahrensabschnitten. Aufgrund der besonderen Eilbediirftigkeit er^^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 183. ^^ Eine Begrenzung des Vorlageermessens wird indes angenommen von Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 248; ders., Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 43. ^^ Dannecker, Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 44; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 197. 33 EuGHE 1972, 119, 136; 1986, 795, 806; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 250; ders., Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 39, 48; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 184.
B. Vorabentscheidungsverfahren und stra^rozessuale Maximen
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mittlungsrichterlicher Entscheidungen gerat die gemeinschaftsrechtliche Vorlagebefugnis bzw. Vorlagepflicht zwangslaufig in Konflikt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Beschleunigungsgebot. Ermittlungsrichterlich anzuordnende MaBnahmen dulden in der Regel keinen Aufschub. Man denke nur an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme wichtigen Beweismaterials, Telefoniiberwachung oder Inhaftierung eines dringend Tatverdachtigen wegen Fluchtgefahr. Wenn diese MaBnahmen ihre spezifische Funktion erfiillen sollen, konnen sie nicht einfach solange aufgeschoben werden, bis der EuGH iiber die ihm vorgelegte(n) Rechtsfrage(n) entschieden hat. Die Problemlage ist unter dem Gesichtpunkt der Eilbedtirftigkeit vergleichbar mit der Situation anderer innerstaatlicher Verfahrensarten im Bereich des vorlaufigen Rechtsschutzes, zumal auch das BVerfG die Einschaltung des Richters im Ermittlungsverfahren, konkret bei einer Durchsuchungsanordnung, als „summarisches und eilbedtirftiges, dem Hauptverfahren vorgeschaltetes Eilverfahren"^"^ eingestuft hat. Teilweise wird der Standpunkt vertreten, die Aussetzung von Eilverfahren sei 20 aufgrund ihrer Wesensart schlechthin unzulassig^^. Inzwischen hat sich jedoch nicht zuletzt unter dem Eindruck der Rechtsprechung des EuGH^^ - die Auffassung durchgesetzt, dass weder die Dringlichkeit noch der vorlaufige Charakter eines Verfahrens die Befugnis der nationalen Gerichte zur Anrufung des EuGH in Frage stellen konne, wenn die Gtiltigkeit oder Auslegung des Gemeinschaftsrechts entscheidungserheblich sei^^. Diesem Grundsatz ist auch ftir das strafprozessuale Ermittlungsverfahren beizupflichten. Fine generelle Ablehnung der ermittlungsrichterhchen Vorlagebefugnis hatte zur Folge, dass zentrale Rechtsbereiche, die wie z. B. das Haftrecht^^ - im Hauptverfahren keine Rolle mehr spielen, vollstandig aus dem Vorabentscheidungsverfahren ausgegliedert wUrden und damit nie auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht tiberpriift werden konnten. Fine derartig weitreichende Beschrankung der Vorlagebefugnis stunde nicht in Einklang mit den Zielen des Vorabentscheidungsverfahrens, dessen Integration in das nationale Strafverfahren nach Art. 234 EGV primarrechtlich geboten ist. Von dieser Beurteilung geht offensichtlich auch der im Ratifikationsverfahren befindliche Vertrag uber eine Verfassung fur Europa aus, der in Art. III-369 S. 4 bestimmt: „Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatHchen Gericht gestellt, so entscheidet der Gerichtshof innerhalb kurzester Zeit."
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Vgl. hierzu BVerfG Beschl. v. 14. September 1992 - 2 BvR 1214/92 - (unveroffentHcht); Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 186 (Fn. 175). Redekerlvon Oertzen, VwGO, 13. Aufl., 2000, § 123 Rn. 18; OLG Frankfurt NJW 1985, 2901, 2903. EuGHE 1977, 957, 972; 1982, 3723, 3734. Fragstein, Die Einwirkungen des EG-Rechts auf den vorlaufigen Rechtsschutz nach deutschem Verwaltungsrecht, 1997, S. 141; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 186. Zur Bedeutung des Gemeinschaftsrechts fiir das Haftrecht vgl. Bleckmann, StV 1995, 552.
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21 Da nun einerseits die richterliche Vorlagebefugnis im Ermittlungsverfahren nicht ausgeschlossen werden darf und andererseits ein Abwarten der Entscheidung des EuGH aufgrund der besonderen Eilbedurftigkeit der in diesem Verfahrensstadium zu treffenden MaBnahmen regelmaBig nicht moglich ist, muss ein Kompromiss gefunden werden, der sowohl den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts als auch den Verfahrenszielen des Ermittlungsverfahrens Rechnung tragt. Zustimmung verdient in diesem Zusammenhang der in jeder Hinsicht sachgerechte Losungsvorschlag von Jokisch, wonach das nationale Gericht bei der Entscheidungsfindung zunachst seiner eigenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts folgen und ggf. die beantragte ZwangsmaBnahme anordnen bzw. bestatigen darf, ohne die Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH abzuwarten^^. Falls eine nachtragliche Beriicksichtigung der Entscheidung des EuGH im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht mehr moglich ist, muss das nachfolgende Hauptverfahren solange ausgesetzt werden, bis der EuGH liber die Vorlagefrage(n) entschieden hat. SoUte sich aus der abzuwartenden Entscheidung des Gerichtshofs ergeben, dass die ermittlungsrichterliche MaBnahme gegen Gemeinschaftsrecht verstoBt, so muss das fur die Durchfuhrung der Hauptverhandlung zustandige Gericht priifen, welche Konsequenzen hieraus zu Ziehen sind. Zu denken ist insbesondere an die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes, wenn das Verfahren zur Erlangung des Beweisstucks nicht gemeinschaftsrechtskonform erfolgte'^^. Kann eine im Ermittlungsverfahren getroffene ZwangsmaBnahme, die sich im Nachhinein wegen VerstoBes gegen Gemeinschaftsrecht als unzulassig erweist, nicht mehr rtickgangig gemacht werden, kommt immerhin die Gewahrung einer finanziellen Entschadigung fur StrafverfolgungsmaBnahmen nach §§ 2, 4 StrEG"^"" oder nach den Regeln der Staatshaftung in Betracht. Auch kann der Betroffene sein Rehabilitationsinteresse durchsetzen, indem er gem. § 304 StPO nachtraglich die Rechtswidrigkeit des abgeschlossenen Grundrechtseingriffs - auch wenn dieser richterlich angeordnet wurde - gerichtlich feststellen lasst bzw. in analoger Anwendung des § 98 II2 StPO die Art und Weise der Durchfuhrung riigf^^. Das dafiir erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse folgt in diesen Fallen unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht.
Vgl. hierzu und zum Folgenden Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 188 ff; zust. Dannecker, Europaischer Rechtsschutz, § 38 Rn. 54. Vgl. hierzu EuGHE 2003, 3735 mit ausfiihrlicher Besprechung von Esser, StV 2004, 221; vgl. auch die gmndsatzlichen Ausfiihrungen von Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 247 f Gesetz iiber die Entschadigung fur StrafverfolgungsmaBnahmen v. 8. Marz 1971 (BGBl. I, 157). BVerfGE 96, 27, 41; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 326 f m. w. N.; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 189.
C. Literaturhinweise
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III. Auswirkung vorlagebedingter Verfahrensverzogemngen Die Dauer eines Vorabentscheidungsverfahrens betragt im Durchschnitt 12-17 22 Monate"^^. Ein Konflikt mit der im Strafprozessrecht bedeutsamen Beschleunigungsmaxime ist damit vorprogrammiert. Gleichwohl darf wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vorlagebefugnis bzw. Vorlagepflicht des nationalen Gerichts nicht durch innerstaatliches Verfahrensrecht ausgeschlossen werden'^'^. Da das Vorabentscheidungsverfahren als Inzidentverfahren Teil des nationalen Strafverfahrens ist, muss das innerstaatliche Gericht aus einer etwaigen Verletzung des Beschleunigungsgmndsatzes - also in Fallen uberlanger Verfahrensdauer - die hieraus folgenden Konsequenzen ziehen. Dies umso mehr, als der Beschuldigte Verfahrensverzogemngen, die sich aus der Durchfuhrung eines Vorabentscheidungsverfahrens ergeben, nicht zu vertreten hat"^^. Auf die menschenrechtliche Dimension der uberlangen Verfahrensdauer, die sich als VerstoB gegen Art. 6 I EMRK darstellt, wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen (§ 3 Rn. 60 ff.). Der BGH halt zwar im Grundsatz daran fest, dass eine Verfahrenseinstellung nicht in Betracht komme, solange eine angemessene Beriicksichtigung des VerstoBes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender GesamtwUrdigung moglich sei (sog. „Strafzumessungslosung")'^^. Immerhin erkennt er aber neben einer bloBen Strafmilderung auch die Moglichkeit an, in „ganz auBergewohnlichen Einzelfalien" wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzogerung ein Verfahrenshindernis anzunehmen, welches vom Tatrichter zu beachten und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beriicksichtigen sei'^''.
C. Literaturhinweise Dannecker, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europaischen Union, 2. Aufl., 2003, § 38 Rn. 34-81 ders., in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 238-251 Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 5. Aufl., 2006, Rn. 495-506 Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, 2000, S. 171-208 Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europaischen Union, 2. Aufl., 2003, § 10 Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., 2005, § 9 Rn. 53-69 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 658-669 "^^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 195; Satzger, Europaisierung, S. 666 geht sogar von einer Durchschnittsdauer von 21, 4 Monaten aus. "^"^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 196; Satzger, Europaisierung, S. 667. 45 BGH wistra 1998, 344. 46
BGHSt 35, 137, 141; B G H StV 1999, 206; B G H wistra 1998, 344; B G H StV 2002, 598; vgl. hierzu Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 26; Satzger, JA 1999, 367 ff
47
BGHSt 46, 159, 171.
234
§ 6 Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit
D. Rechtsprechungshinweise EuGHE 1982, 3415 („acte-clair-Doktrin") EuGHE 1987, 4199 (Vorlagepflicht nicht letztinstanzlicher Gerichte) EuGHE 1991, 3277 (Zulassigkeit einer Vorlage in alien Verfahrensstadien) EuGHE 1996, 6609 (Keine Vorlageberechtigung der Staatsanwaltschaft) BVerfG NJW 1989, 2464 (Vorlage von Fragen an den EuGH im Strafverfahren) BVerfGE 75, 223 (EuGH als „gesetzlicher Richter" i. S. d. Art. 10112 GG) BGH wistra 1998, 344 (Strafmilderung vorlagebedingter Verfahrensverzogerungen)
E. Zusammenfassung von § 6 23 Gegenstand dieses Kapitels ist die im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV angelegte Kooperation zwischen den justiziellen Akteuren des Europaischen Strafrechts, dem EuGH und den mitgliedstaatlichen Strafgerichten. Das Vorabentscheidungsverfahren stellt das prozessuale Bindeglied zwischen der supranationalen und nationalen Gerichtsbarkeit dar und sichert das Monopol des EuGH, iiber die Auslegung und Giiltigkeit von Gemeinschaftsrecht letztverbindlich zu entscheiden. Daneben ist auch die Individualschutzfunktion des Vorabentscheidungsverfahrens von Bedeutung, wenn es um die Durchsetzung von aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten subjektiv-offentlichen Rechten geht. Der Einzelne kann jedoch ein Vorlageverfahren immer nur anregen oder beantragen, niemals aber erzwingen. tjber die vorlaufige Aussetzung des nationalen Verfahrens zum Zwecke der Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH entscheidet allein und von Amts wegen das nationale Gericht. 24 Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH ist nach Art. 234 II EGV in jedem Stadium des Strafverfahrens moglich. Letztinstanzliche Gerichte sind nach Art. 234 III EGV zur Vorlage verpflichtet. Moglicher Gegenstand der Vorlage ist allein die im Ersuchen des Gerichts abstrakt zu formulierende Frage nach der Giiltigkeit oder Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Es ist allein Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte, aus der nach einer Vorlage ergangenen Entscheidung die Konsequenzen fur die Interpretation und Anwendung des nationalen Rechts zu Ziehen. Aus der Funktion des Vorlageverfahrens, die Einheitlichkeit in der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu sichern, folgt die Bindung des vorlegenden nationalen Gerichts und aller mit der Sache befassten Instanzgerichte des Ausgangsverfahrens an die Entscheidung des EuGH. Darliber hinaus entfaltet die Vorabentscheidung eine faktische Prajudizwirkung, indem jedes mit der gleichen Frage befasste Gericht eines Mitgliedstaates der Vorabentscheidung Folge leisten oder - falls es hiervon abweichen will - erneut vorlegen muss. 25 Die primarrechtlich gebotene Integration des Vorabentscheidungsverfahrens in das nationale Strafverfahren kann in alien Verfahrensstadien - besonders im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf die besondere Eilbediirftigkeit strafprozessualer ZwangsmaBnahmen - in Konflikt mit strafprozessualen Maximen und Verfahrenszielen geraten. Da ein vollstandiger Ausschluss der rich-
E. Zusammenfassung von § 6
235
terlichen Vorlagebefugnis im Ermittlungsverfahren nicht zulassig ist, muss das Zusammenwirken zwischen nationalem Gericht und EuGH in einer Weise gestaltet werden, die sowohl den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts als auch den Verfahrenszielen des Ermittlungsverfahrens Rechnung tragt. Als sachgerechte Kompromisslosung bietet es sich an, dem nationalen Ermittlungsrichter zuzugestehen, dass er trotz Einholung einer Vorabentscheidung zunachst seiner eigenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts folgen und ggf. die beantragte ZwangsmaBnahme anordnen bzw. bestatigen darf, ohne die Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH abzuwarten. Im nachfolgenden Hauptverfahren muss dann aber das Verfahren ausgesetzt und die Antwort des EuGH abgewartet werden. Falls im Lichte der Vorabentscheidung festgestellt wird, dass eine im Ermittlungsverfahren angeordnete MaBnahme gegen Gemeinschaftsrecht verstoBt, muss das fur die Durchfuhrung der Hauptverhandlung zustandige Gericht priifen, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind. In Betracht kommen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, die Gewahrung einer Entschadigung oder die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ermittlungsrichterlichen Handelns. Wegen der relativ langen Dauer, die fiir die Durchfuhrung eines Vorabent- 26 scheidungsverfahrens im Durchschnitt zu veranschlagen ist, sind Konflikte mit der im Strafprozessrecht bedeutsamen Beschleunigungsmaxime vorprogrammiert. Die nationalen Strafgerichte haben in Fallen iiberlanger Verfahrensdauer, auch wenn diese auf die pflichtgemaBe Einschaltung des EuGH nach Art. 234 EGV zuriickzufUhren ist, zu priifen, ob eine Einstellung des Verfahrens oder zumindest eine Strafmilderung in Betracht kommt.
Teil III Die strafrechtsrelevanten Europaisierungsfaktoren
§ 7 Assimilierungsprinzip
A. Mitgiiedstaatliches Strafrecht im Dienste des Gemeinschaftsrechts Die EG besitzt keine originaren Rechtssetzungsbefugnisse auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts (§ 4 Rn. 101). Sie ist daher nicht in der Lage, etwa durch den Erlass „europaischer Strafgesetze" in Form von Verordnungen selbst fiir den strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgiiter und Interessen zu sorgen. An dieser Rechtslage hat sich nach herrschender und zutreffender Auffassung auch durch die Einfiigung des neuen Art. 280 IV EGV nichts geandert (§ 4 Rn. 99; § 8 Rn. 60). FolgHch ist die EG darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch die Ausgestaltung und Anwendung ihres Kriminalstrafrechts dafur Sorge tragen, strafwtirdige und strafbediirftige Angriffe auf Gemeinschaftsinteressen wirksam zu bekampfen^ Die Einbeziehung gemeinschaftsrechtlicher Schutzgiiter in den Anwendungsbereich nationaler Straftatbestande (sog. „Assimilierung") ist indes keine Selbstverstandhchkeit und nicht ohne weiteres gewahrleistet. Denn eine solche Strafgesetzgebung deckt sich nicht notwendigerweise mit nationalen Interessen^. Es kann z. B. gerade zur erklarten PoHtik eines Staates gehoren, sich durch eine Hberale, auf weitreichende und einschneidende Strafbestimmungen verzichtende Gesetzgebung im Bereich des Wirtschafts- und Umweltstrafrechts als besonders wirtschaftsfreundHcher Standort zu empfehlen. Die Gemeinschaft ist jedoch im Hinblick auf die Indienststellung des nationalen Strafrechts zum Schutze ihrer Rechtsgiiter und Interessen nicht nur auf den guten Willen der Mitgliedstaaten angewiesen. Vielmehr lasst sich eine Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten gegeniiber der Gemeinschaft bereits aus dem allgemeinen Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV (Grundsatz der Gemeinschaftstreue) ableiten, welches lautet: „Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten MaBnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur ErfuUung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtem dieser die Erftillung ihrer Aufgabe. Sie unterlassen alle MaBnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrags gefahrden konnten."
1
Zu diesem „Dilenmia" der EG vgl. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 1 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 328 ff. Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 21 ff.
240
§ 7 Assimiliemngsprinzip
Eine spezielle Auspragung des Loyalitatsgebots ist in Art. 280 II EGV (exArt. 209 a II EGV) normiert, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, zur Bekampfung von Betriigereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, bestimmte MaBnahmen zu ergreifen (Rn. 33). Hinweis: Das allgemeine Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV lebt in Art. 1-5 II S. 2, 3 der klinftigen europaischen Verfassung fort. Auf den Schutz der EUFinanzinteressen gerichtete Handlungsgebote sind in Art. III-415 IV EUVerfassung vorgesehen (§ 14 Rn. 46). Folglich wird die Indienststellung mitgliedstaatlichen Strafrechts zum Schutze von EU-Interessen auch in Zukunft eine herausragende Rolle als strafrechtlicher Europaisierungsfaktor spielen. Zu einer „automatischen" Anwendbarkeit nationaler Strafbestimmungen auf gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten fiihrt das Loyalitatsgebot freilich nicht, da dies gegen den auch im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsatz „nulla poena sine lege" verstoBen wlirde. Es bleibt vielmehr Aufgabe und Pflicht der Mitgliedstaaten - sei es durch Legislativakte oder durch gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung - ihrer Schutzverpflichtung pro communitate in gehoriger Weise nachzukommen. Notfalls konnen sie hierzu durch ein von der Kommission anzustrengendes Vertragsverletzungsverfahren gezwungen werden^. Ungeachtet der fehlenden Strafrechtssetzungskompetenz der EG existieren einige wenige primar- und sekundarrechtliche Spezialregelungen, die den Schutzbereich der nationalen Strafrechtsordnungen unmittelbar ausdehnen. Diese Verweisungsnormen zielen darauf ab, bestimmte EG-Rechtsgtiter mit entsprechenden nationalen Schutzgiitern gleichzustellen und ihnen auf diesem Weg einen vergleichbaren strafrechtlichen Schutz angedeihen zu lassen („Assimilierungsprinzip")"^.
B. Assimilierung durch supranationale Verweisungen 8 Durch supranationale Assimilierungsbestimmungen entstehen neue, abgeleitete Strafrechtsnormen, die nach h. M. genuines Gemeinschaftsstrafrecht (supranationales Kriminalstrafrecht der Europaischen Gemeinschaften) konstituieren^ und insoweit eine Ausnahme von dem Grundsatz der fehlenden Strafrechtssetzungsgewalt der Gemeinschaft darstellen. Denn die in alien Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Verweisungsnormen bilden zusammen mit dem nationalen Tatbestand, auf den sie verweisen, einen supranationalen Gesamttatbestand.
3 4 ^
Tiedemann, NJW 1993,23,25. Vgl. hierzu Bose, Strafen und Sanktionen, S. 107 ff.; Dannecker, JURA 1998, 79, 80; Tiedemann, Roxin-FS, 2001, 1401, 1405; Satzger, Europaisierung, S. 188 ff. Bose, Strafen und Sanktionen, S. 107 ff; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 120; ders., BGH-Festgabe, S. 339, 349 ff; ders., JURA 2006, 95, 99; Deutscher, Kompetenzen, S. 384 ff; Johannes, EuR 1968, 69, 81; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 87; Tiedemann, NJW 1993, 23, 25; a. A. MtiKoStGB/AmZ7c»5, Vor §§ 3-7 Rn. 11; Satzger, Europaisierung, S. 196 ff
B. Assimilierang durch supranationale Verweisungen
241
L Primarrechtliche Verweisung auf nationale Straftatbestande Die bestehenden primarrechtlichen Verweisungen auf nationales Strafrecht betref- 9 fen zum einen den Bereich der europaischen Rechtspflege, zum anderen die Wahrung von Geheimhaltungspflichten durch Bedienstete der BAG:
/.
Aussagedelikte
Fall 1: Der vom EuGH nach Luxemburg geladene Zeuge Z, ein Staatsbtirger der USA mit 10 standigem Wohnsitz in Deutschland, sagt in einer Verhandlung vor dem EuGH vorsatzlich falsch aus und bekraftigt nach ordnungsgemaBer Belehmng seine Falschaussage durch Ableistung eines Eides. Kann Z in Deutschland wegen Meineids (§ 154 StGB) strafrechtiich verfolgt und von einem deutschen Gericht abgeurteilt werden? Wenngleich die Vernehmung von Zeugen und Sachverstandigen vor dem EuGH 11 in der Praxis keine groBe RoUe spielt, besteht auch fur die supranationale Gerichtsbarkeit ein Bediirfnis, Falschaussagen durch die praventive Wirkung einer Strafandrohung zu verhindern und auf diese Weise die Funktionsfahigkeit der Rechtspflege auf Gemeinschaftsebene sicherzustellen®. Das Gemeinschaftsrecht tragt diesem Schutzbedtirfnis - jedenfalls soweit es um die Strafandrohung fiir Meineide geht - durch die auf primarrechtlicher Ebene angesiedelte Assimilierungsbestimmung des Art. 30 EuGH-Satzung'' Rechnung, welche bestimmt: „Jeder Mitgliedstaat behandelt die Eidesverletzung eines Zeugen oder Sachverstandigen wie eine vor seinen eigenen in Zivilsachen zustandigen Gerichten begangene Straftat. Auf Anzeige des Gerichtshofs verfolgt er den Tater vor seinen zustandigen Gerichten." Losungshinweise zu Fall 1: Z konnte gem. § 154 StGB strafbar sein. Es stellt sich 12 die Frage, ob auch der EuGH ein „Gericht" oder eine „zur Abnahme von Eiden zustandige Stelle" i. S. dieser Vorschrift ist mit der Folge, dass auch die supranationale Rechtspflege in den Schutzbereich der Norm einbezogen ist. Geschiitztes Rechtsgut der §§ 153 ff. StGB ist nach tradierter Dogmatik allein die innerstaatliche Rechtspflege, die durch falsche Aussagen gefahrdet wird^. Dieser Befund wird bestatigt durch § 5 Nr. 10 StGB, der die deutsche Rechtspflege vor Falschaussagen schiitzen will, die zwar vor einem auslandischen oder zwischenstaatlichen Gericht begangen werden, aber im Zusammenhang mit einem deutschen Verfahren, insbesondere Rechtshilfeverfahren stehen^. Die vor einem auslandischen Gericht begangene eidliche oder uneidliche Falschaussage ist somit nicht gem. §§153 ff. StGB strafbar.
Satzger, Europaisierung, S. 189. Protokoll iiber die Satzung des EuGH (ABIEG Nr. L 188, S. 1 v. 26. Juh 2003). Seine Zugehorigkeit zum Primarrecht ergibt sich aus Art. 311 EGV. BGHSt 45, 16, 25; Lacknor/Kuhl, Vor § 153 Rn. 2; TvondldFischer, Vor § 153 Rn. 2. MiXKo-StGB/Ambos, § 5 Rn. 30; ders., IntStR, § 11 Rn. 18; Satzger, Europaisierung, S. 192 ff
242
§ 7 Assimilierungsprinzip
13 Das deutsche Straf- und Strafanwendungsrecht wird jedoch durch Art. 30 EuGHSatzung iiberlagert^^. Durch diese Assimilierungsbestimmung soil die Funktionsfahigkeit der supranationalen Gerichtsbarkeit strafrechtlich geschiitzt werden. Mit dem Inkrafttreten der Zustimmungsgesetze zu den Grlindungsvertragen sind die gemeinschaftsrechtlichen Verweisungsnormen innerstaatliches Recht geworden^^ Unabhangig davon, ob nun - wie von der h. M. vertreten - ein supranationaler Gesamttatbestand oder „nur" ein europaisierter nationaler Straftatbestand als Folge der Verweisungstechnik zur Entstehung gelangt, miissen jedenfalls die gemeinschaftsrechtliche Verweisungsnorm und der einschlagige nationale Straftatbestand (§ 1541 StGB) wie folgt zusammen gelesen werden: „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zustandigen Stelle oder vor dem Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaft falsch schwort, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft." 14 Bejaht man mit der h. M. die unmittelbare Anwendbarkeit der nationalen Strafrechtsnorm auf den von der europaischen Verweisungsnorm angeordneten Fall, so kommt es auf die Aussagen des nationalen Strafanwendungsrechts (§ 2 Rn. 2 ff.) nicht mehr an - ein Effekt des „self-executing" des Gemeinschaftsrechts. Allein das Primarrecht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen der europastrafrechtliche Gesamttatbestand zur Anwendung gelangt. Die aus der gemeinschaftsrechtlichen Uberlagerung resultierende Unanwendbarkeit des nationalen Strafanwendungsrechts hat zur Folge, dass Z - ein US-Amerikaner, der vor dem EuGH unter Eid falsch ausgesagt hat - kraft der Bestimmung des Art. 30 EuGH-Satzung in jedem EG-Mitgliedstaat nach den dort bestehenden Vorschriften strafrechtlich verfolgt werden kann, ohne dass weitere Voraussetzungen - wie etwa die des § 5 Nr. 10 StGB Oder § 7 II Nr. 2 StGB - erflillt sein miissen^^ ^ kann daher von einem deutschen Gericht wegen Meineides abgeurteilt werden. 15 Weitere Hinweise: Art. 30 EuGH-Satzung iiberlasst es den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern, die Reichweite des strafrechtlichen Schutzes der Rechtspflege gegen Eidesverletzungen festzulegen. So ist - anders als in Deutschland (§ 163 StGB) - nicht in alien Mitgliedstaaten der fahrlassig begangene Meineid mit Strafe bedroht. Da die Verweisung des Art. 30 EuGH-Satzung auf die nationalen Strafbestimmungen iiber Eidesverletzungen beschrankt ist, lasst sich die Strafbarkeit uneidlicher Falschaussagen, die vor dem EuGH begangen werden, nur im Wege einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 153 StGB begriinden (§ 10 Rn. 69). Vgl. hierzu MiXKo-SiGB/Ambos, Vor §§ 3-7 Rn. 16; ders., IntStR, § 11 Rn. 16 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 387 ff. BGHSt 17, 121, 122 (zu Art. 194 EAGV); vgl. hierzu Dannecker, BGH-Festgabe, S. 339, 349 ff m. w. N. Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 11 Rn. 18; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 167 und Satzger, Europaisiemng, S. 195 ff; ders., IntStR, § 7 Rn. 16 ff, der sich aber gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit der Verweisungsnormen ausspricht. Satzger stutzt die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf im Ausland zu Lasten der supranationalen Gerichtsbarkeit begangene Meineide auf § 6 Nr. 9 StGB.
B. Assimiliemng durch supranationale Verweisungen
243
2. Verletzung von Geheimhaltungspflichten Der zweite Anwendungsfall der Assimiliemng mittels primarrechtlicher Verwei- 16 sungsnorm ist im Bereich der Europaischen Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) angesiedelt^^. Fiir das Funktionieren der EAG ist es unerlasslich, dass deren Bedienstete und Mitglieder zur Geheimhaltung ihres Wissens iiber interne Vorgange sowie aller Informationen, Kenntnisse, Unterlagen oder sonstiger Gegenstande, die im Zusammenhang mit der Tatigkeit der EAG stehen, verpflichtet sind. Entsprechende Geheimhaltungspflichten sind in Art. 194 I 1 EAGV normiert und werden in dem nachfolgend zitierten Art. 194 I 2 EAGV auch strafrechtlich abgesichert: „Jeder Mitgliedstaat behandelt cine Verletzung dieser Verpflichtung als einen VerstoB gegen seine Geheimhaltungsvorschriften; er wendet dabei hinsichtlich des sachlichen Rechts und der Zustandigkeit seine Rechtsvorschriften iiber die Verletzung der Staatssicherheit oder die Preisgabe von Berufsgeheimnissen an. Er verfolgt jeden seiner Gerichtsbarkeit unterstehenden Urheber einer derartigen Verletzung auf Antrag eines beteiligten Mitgliedstaates oder der Kommission." Durch Art. 194 I 2 EAG wird der strafrechtliche Schutz von Staats- und Berufsge- 17 heimnissen (vgl. §§ 93 ff., 203, 353 b StGB) unter Erweiterung des Taterkreises (Bedienstete der europaischen Atomiiberwachungsbehorde) auf Geheimnisse der Europaischen Atomgemeinschaft erstreckt^^. In der Praxis haben die auf das mitgliedstaatliche Strafrecht verweisenden EG-Bestimmungen bisher freilich keine groBe RoUe gespielt.
II. Sekundarrechtliche Verweisung auf nationale Straftatbestande Eine Assimiliemng nationaler Strafrechtsnormen zum Schutze von EG-Interessen 18 kann sich auch aus unmittelbar anv^endbarem Sekundarrecht (Verordnungen) ergeben^s s^ werden z. B. nach Art. 10 IV VO (EG) Nr. 1681/94^6 bestimmte Angaben, die im Zusammenhang mit der Errichtung eines Informationssystems im Bezug auf UnregelmaBigkeiten bei der Finanzierung der Strukturpolitiken libermittelt werden, dem strafrechtlichen Schutz unterstellt, der Berufsgeheimnissen nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften zukommt (vgl. z. B. §§ 203, 204, 353 b StGB). Aufgrund der von den Mitgliedstaaten erhobenen Bedenken, im Wege von Assimilierungsverordnungen unmittelbar geltende GemeinschaftsstrafVgl. hierzu Ambos, IntStR, § 11 Rn. 21; Satzger, Europaisiemng, S. 190 f.; ders., IntStR, § 7 Rn. 19. Vgl. hierzu BGHSt 17, 121; Dannecker, BGH-Festgabe, S. 339, 350; Johannes, EuR 1968, 69 ff., 81; Tiedemann, NJW 1993, 23, 25; ders., ZStW 116 (2004), S. 945, 950. Vgl. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 122; ders., JURA 2006, 95, 100; Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 57 f.; Satzger, Europaisiemng, S. 206 ff.; Tiedemann, NJW 1993, 23, 25. ABIEG 1994 Nr. L 178, S. 43, 46.
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§ 7 Assirrdliemngsprinzip
tatbestande zu schaffen, obgleich den Gemeinschaften keine Strafrechtssetzungskompetenz zusteht, hat die EG in den letzten Jahren vom Erlass solcher Verordnungen abgesehen. Nach zutreffender Auffassung sind die wenigen, noch bestehenden Assimilierungsverordnungen im Lichte der bestehenden Kompetenzverteilung dahingehend auszulegen, dass sie lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten begriinden, den Gemeinsciiaftsinteressen den gleichen strafrechtlich Schutz angedeihen zu lassen wie den entsprechenden nationalen Interessen^^.
C. Assimilierung als Auspragung der Schutzverpflichtung ausArt. 10EGV I.
Befugnis der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht (^Amsterdam Bulb")
19 Auf das „Dilemma" der EG, mangels eigener Strafrechtssetzungskompetenz nicht selbst fiir den kriminalstrafrechtlichen Schutz ihrer Interessen sorgen zu konnen, wurde bereits hingewiesen (Rn. 1). Die EG ist auf die Bereitschaft der Mitgliedstaaten angewiesen, ihr nationales Strafrecht zum Schutze gemeinschaftsrechtlicher Interessen zu funktionalisieren. Dass die Mitgliedstaaten jedenfalls berechtigt sind, ihr nationales Kriminalstrafrecht in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, um gemeinschaftsrechtliche Ver- und Gebote strafrechtlich zu bewehren, steht nach heute herrschender und zutreffender Auffassung auBer Frage^^. Dem insoweit richtungsweisenden Urteil des EuGH im Fall ^Amsterdam Bulb"^^ lag folgender Sachverhalt zugrunde: 20 Fall 2: Die Niederlande haben eine nationale Ausfiihrungsverordnung erlassen, in welcher Ubertretungen gegen die in verschiedenen EG-Verordnungen normierten Bestimmungen liber die gemeinsame Marktorganisation fiir lebende Pflanzen und Waren des Blumenhandels mit Strafe bedroht werden. Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH stellte sich die zentrale Frage, ob die Mitgliedstaaten auch ohne besondere Ermachtigung durch eine EG-Verordnung berechtigt sind, Strafnormen zu erlassen, um die Anwendung von Gemeinschafts- bzw. nationalem Ausfiihrungsrecht zu sichem. Die IClagerin des Ausgangsverfahrens, die Fa. Amsterdam Bulb, bestritt dies. Sie stellte sich auf den Standpunkt, mit der Strafbewehrung wurde der Regelungsgehalt der EG-Verordnung in unzulassiger Weise erweitert und - entgegen dem Harmonisiemngsziel der Verordnung - eine Ungleichheit der Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten gefordert.
^^ 18 19
Satzger, Europaisiemng, S. 208 f. EuGHE 1977, 137 ff; 1977, 1495; 1994, 2479; 1996, 4345; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 9 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 210 ff, 331 ff EuGHE 1977, 137.
C. Assimilierung als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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Losungshinweise zu Fall 2: Generalanwalt Capotorti fiihrte demgegeniiber aus, 21 dass die nationale Strafandrohung die Tragweite einer EG-Verordnung nicht andere^°. Etwas anderes konne nur gelten, wenn der materiellrechtliche Inhalt der Verordnung durch nationales Recht abgeandert und damit verfalscht wiirde. Die Gefahr, dass Gemeinschaftsregeiungen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich streng angewandt wiirden, weil einige Mitgliedstaaten Strafnormen einfiihrten, andere nicht, sei hinzunehmen, da Art. 10 EGV (ex-Art. 5 EGV) es den Mitgliedstaaten iiberlasse, diejenigen MaBnahmen zu ergreifen, die sie fur sinnvoll erachteten, um die Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Der EuGH schloss sich dieser Argumentation an: „Art. 5 EGV (Art. 10 EGV n. F.), der den Mitgliedstaaten aufgibt, alle geeigneten Mafinahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfullung der Verpflichtungen zu trejfen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben, Uberldsst dem einzelnen Staat auch die Wahl der sachgerechten Mafinahmen einschliefilich der Wahl der - auch strafrechtlichen - Sanktionen. Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, dass die Mitgliedstaaten dann, wenn die Gemeinschaftsregelung keine Vorschrift enthdlt, die fur den Fall ihrer Verletzung durch den einzelnen bestimmte Sanktionen vorsieht, befugt sind, die Sanktionen zu wdhlen, die ihnen sachgerecht erscheinen." ^^ Der Leitgedanke der EuGH-Rechtsprechung lasst sich - wie auch ein neueres 22 Urteil des EuGff^ bestatigt - dahingehend zusammenfassen, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Strafbewehrung gemeinschaftsrechtlicher Ver- und Gebote nur dann begrenzt ist, wenn die gemeinschaftsrechtliche Regelung abschlieBenden Charakter hat^^. Ob dies der Fall ist, muss jeweils durch Auslegung des einschlagigen Gemeinschaftsrechtsaktes ermittelt werden. RegelmaBig wird - im Lichte des Prinzips der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) - davon auszugehen sein, dass den Mitgliedstaaten die Befugnis zum Erlass von Strafbestimmungen selbst dann zusteht, wenn bereits der Gemeinschaftsrechtsakt punitive Sanktionen (§ 4 Rn. 76) vorsieht. So steht beispielsweise eine EG-Verordnung, die das Erschleichen von Subventionen mit einer Subventionssperre sanktioniert, dem Erlass und der Anwendung nationaler Sanktionsnormen nicht entgegen, die dieses Verhalten mit Kriminalstrafe bedrohen. Die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht besteht im Ubrigen auch insoweit, als es um die Strafbewehrung von Ver- und Geboten geht, die aus Richtlinien abzuleiten sind^"^.
20 21 22 23
Generalanwalt Capotorti, E u G H E 1977, 137, 152, 155. E u G H E 1977, 137, 150. EuGHE 1999, 4883 ff Groblinghojf, Yerpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 21; Satzger, Europaisierung, S. 212. EuGHE 1977, 1495; Satzger, Europaisierung, S. 332.
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§ 7 Assiirdliemngsprinzip
II. Pflicht der MItgliedstaaten zur Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht 1. Mindestanfordemngen an Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts („von Colson und Kamann") 23 Wahrend in der Rechtssache ^Amsterdam Bulb " noch die mitgliedstaatliche Befugnis zur Sanktionierung von GemeinschaftsrechtsverstoBen im Vordergrund stand und die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten in Bezug auf Erlass und Ausgestaltung nationaler Sanktionsbestimmungen im Dienste des Gemeinschaftsrechts betont wurde, kam es in der Folgezeit zu einer bedeutsamen Relativierung dieser Rechtsprechung. Der EuGH stellte klar, dass die MitgHedstaaten nicht nur befugt sind, Gemeinschaftsinteressen strafrechthch abzusichern. Sie sind hierzu auch verpflichtet und miissen dabei bestimmte gemeinschaftsrechtliche Mindestanforderungen einhalten. Am Ausgangspunkt dieser Judikatur steht das Urteil des EuGH in der Rechtssache „ von Colson und Kamann "^^, in dem es allerdings nur um Sanktionen zivilrechtlicher Natur ging: 24 Fall 3: Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens stellte sich die Frage, ob das deutsche Recht mit den Vorgaben der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Gmndsatzes der Gleichbehandlung von Mannem und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschaftigung zur Bemfsbildung und zum bemflichen Aufstieg sowie in Bezug auf Arbeitsbedingungen^^ in Einklang stand. Die Klagerinnen des Ausgangsverfahrens waren wegen ihres Geschlechts bei der Besetzung von Sozialarbeiterstellen von einem offentlichen Arbeitgeber richtlinienwidrig nicht benicksichtigt worden. Sie klagten deshalb vor dem zustandigen Arbeitsgericht auf Einstellung, hilfsweise Schadensersatz. Nach der damaligen Fassung des § 611 a II BGB konnte im Fall von Diskriminierung bei der Einstellung nur der Vertrauensschaden, also nur die Fahrt- und Bewerbungskosten der Klagerinnen, ersetzt werden. 25 Losungshinweise zu Fall 3: Dem Vorbringen der Bundesregierung, dass die Bestimmung und Ausgestaltung von Sanktionen im freien Ermessen der Mitgliedstaaten stehe, vermochte sich der EuGH nicht uneingeschrankt anzuschlieBen. Wie im Fall „Amsterdam Bulb " bestatigte der EuGH zwar im Grundsatz ein legislatives Wahl- und Ausgestaltungsermessen der Mitgliedstaaten, wenn es um den Erlass von Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts geht. Jedoch stellte er - freilich recht weite - Kriterien auf, denen diese Sanktionsnormen geniigen miissen. Zwar iiberlasse es die hier in Rede stehende Richtlinie den Mitgliedstaaten, unter den gegebenen Moglichkeiten die Sanktion fiir einen VerstoB gegen das Diskriminierungsverbot auszuwahlen, die zur Verwirklichung der Ziele der Richtlinie geeignet sind. Entscheide sich ein Mitgliedstaat jedoch dafiir, als Sanktion fiir einen VerstoB gegen dieses Verbot eine Entschadigung zu gewahren, so miisse diese jedenfalls, damit ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung ge-
EuGHE 1984, 1891; bestatigt durch EuGHE 1984, 1921; 1990, 3941; 1993, 4367; 1997, 2195. ABIEG 1976 Nr. L 39, S. 40.
C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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wahrleistet sind, in einem angemessenen Verhaltnis stehen und somit iiber einen rein symbolischen Scliadensersatz hinausgehen. § 6 1 1 a II BGB gentige diesen Mindestanfordemngen nicht. Der EuGH folgte damit den Stellungnahmen von Kommission und Generalanwaltin Rozes, Die Judikatur des EuGH ist dahingehend zu interpretieren, dass der Freiraum 26 der Mitgliedstaaten bei der Wahl und Ausgestaltung der Sanktionsnormen zwar groB, aber keineswegs unbegrenzt ist. Zwar steht den Mitgliedstaaten ein breiter Beurteilungsspielraum zu, mit welchen rechtlichen MaBnahmen ein bestimmtes gemeinschaftsrechtliches Interesse - hier: der Schutz der Bewerber vor Diskriminierung - durchzusetzen ist. Sanktionsnormen, welche die Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Ge- und Verbote sicherstellen soUen, miissen aber jedenfalls unabhangig davon, ob sie zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlicher Natur sind eine hinreichende Abschreckungswirkung entfalten^^.
2. Gleichstellungserfordemis und Mindesttrias CGriechischer Mais") a) Der Fall „Griechischer Mais" - ein „leading case" des Europaischen Strafrechts In einer fiir die Entwicklung des Europaischen Strafrechts richtungsweisenden 27 Entscheidung im Fall „Griechischer Mais"'^^ leitete der EuGH aus dem in Art. 10 EGV verankerten Loyalitatsprinzip weitere wichtige und pragende Grundsatze iiber die Verpflichtung der Mitgliedstaaten ab, ihr nationales Strafrecht in den Dienst der effektiven Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Interessen zu stellen. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Fall 4: Die Kommission gelangte Ende 1986 zu der Uberzeugung, dass zwei Schiffsla- 28 dungen Mais, die im Mai 1986 durch die Fa ITCO tiber die griechischen Hafen Saloniki und Kevala nach Belgian ausgeftihrt und von den griechischen Behorden offiziell als „griechischer Mais" bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aus dem Drittstaat Jugoslawien eingefiihrt worden waren. Aufgrund der offiziellen Angaben der griechischen Behorden, welche die Echtheit und Richtigkeit der amtlichen Urkunden bestatigten, wurden von den belgischen Behorden, keine Agrarabschopfiingen auf den „Nicht-EG-Mais" erhoben und der Mais in den freien Verkehr iiberfuhrt. Nach Erkenntnissen der Kommission war diese Abgabenhinterziehung unter Mitwirkung von griechischen Beamten begangen und spater von mehreren hohen Beamten durch falsche Urkunden und Erklamngen zu verschleiem versucht worden. Nach Aufdeckung der Tatumstande durch die Kommission ersuchte diese die griechische Regiemng ohne Erfolg, die Agrarabschopfangen fiir die Einfiihrang von jugoslawischem Mais mit Verzugszinsen zu zahlen, die unterschlagenen Summen bei den betreffenden Tatem einzuziehen sowie Straf- und Disziplinarverfahren gegen alle Beteiligten einzuleiten. Die griechische Republik reichte in der ihr eingeraumten Frist keinen Schriftsatz ein. Daraufhin leitete die Kommission im Jahre 1987 ein Vertragsverletzungsverfahren ein.
•^^ Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 11; Satzger, Europaisierung, S. 334. 28 EuGHE 1989, 2965 = EuZW 1990, 99 mit Anm. v. Bleckmann, WuR 1991, 285 und Tiedemann, EuZW 1990, 100.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
29 Losungshinweise zu Fall 4: Der EuGH stellte mit Urteil v. 21. September 1989 fest, dass die Griechische Republik gegen den in Art. 5 EGV (Art. 10 EGV n. F.) verankerten Grundsatz der Gemeinschaftstreue verstoBen hat, weil sie keine straf- Oder disziplinarrechtlichen Verfahren gegen die Personen eingeleitet hat, die an der Durchfiihrung und Verschleierung der Abschopfungshinterziehung beteiligt waren^^. Die Mitgliedstaaten haben nach Ansicht des EuGH VerstoBe gegen das Gemeinschaftsrecht nach ahnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu verfolgen wie nach Art und Schwere vergleichbare Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht (Gleichstellungserfordernis). Zwar verbleibe den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen. Die nationalen Stellen miissten aber bei VerstoBen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften walten lieBen. Dariiber hinaus miissten die angedrohten Sanktionen jedenfalls wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend („Mindesttrias") sein. Diesen Anforderungen habe die Griechische Republik nicht Gentige getan, da die Verantwortlichen von den griechischen Behorden weder straf- noch disziplinarrechtlich verfolgt worden seien, obwohl dem keine Hindernisse entgegengestanden hatten. b) Bedeutung des „Mais-Urteils" 30 Das „Mais-Urteir' des EuGH stellt eine bedeutende Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum strafrechtlichen Schutz von Gemeinschaftsinteressen dar. In der Rechtssache „Amsterdam Bulb" hatte der Gerichtshof den Mitgliedstaaten noch ein uneingeschranktes Ermessen bei der Wahl der sachgerechten MaBnahmen zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts eingeraumt^°. Auch das in der Sache „von Colson und Kamann" aufgestellte Erfordernis der abschreckenden Wirkung von Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts liberlieB es dem freien Auswahlermessen der nationalen Gesetzgeber, ob sie sich hierbei zivil-, verwaltungs- Oder strafrechtlicher Instrumente bedienen. Demgegeniiber wandelt sich die in der vorangegangenen Rechtsprechung betonte Befugnis der Mitgliedstaaten, Sanktionen fur Gemeinschaftsrechtsverletzungen vorzusehen, mit dem „MaisUrteil" in eine Verpflichtung zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts durch Ahndung von VerstoBen hiergegen, wobei der verbleibende Ausgestaltungsspielraum fiir legislative MaBnahmen durch die aufgestellten Mindestanforderungen (justiziable Kriterien) deutlich eingegrenzt wird^^ Der EuGH leitet aus dem in Art. 10 EGV verankerten Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Loyalitatsprinzip) eine Garantenstellung der Mitgliedstaaten ab, aus der sich die Pflicht ergibt, ihr nationales Strafrecht zur Durchsetzung der Ziele der Gemeinschaft und zum Schutze gemeinschaftsrechtlicher Interessen zu funktionalisieren^^. 31 Innovativ ist zum einen die Forderung, dass VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht nach ahnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden mussen wie nach Art und Schwere vergleichbare VerstoBe gegen nationales 29 30 3^
E u G H E 1989, 2965 ff. = E u Z W 1990, 99. E u G H E 1977, 137, 150. Satzger, Europaisiemng, S. 337.
32
Blecbnann, WuR 1991, 285.
C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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Recht. Dieses Gleichstellungsgebot ist Ausdruck des Assimilierungsprinzips, denn es zielt darauf ab, den strafrechtlichen Schutz, den die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen fiir nationale Schutzgiiter vorsehen, auf vergleichbare EGSchutzguter zu erstrecken^^. Neu ist des Weiteren die Ausweitung der Erfordernisse Wirksamkeit, VerhaltnismaBigkeit und abschreckenden Wirkung auf jede Sanktionsnorm, die VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht ahnden soil. Dies bedeutet zum einen, dass sich bestehende strafrechtliche Normen an diesen Beurteilungskriterien messen las sen miissen. Zum anderen konnen sich die vom EuGH konkretisierten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben im Einzelfall zu einer Pflicht zum Tatigwerden der nationalen Strafgesetzgeber, also zu einem Ponalisierungsgebot, verdichten^^. Der Sache nach handelt es sich bei dem Gleichstellungserfordernis und bei der Mindesttrias um besondere Auspragungen des Diskriminierungsverbots bzw. des Effizienzgebots^^. Die Einschatzungsfreiheit der Mitgliedstaaten, ob tiberhaupt eine strafrechtliche Regelung in den Dienst des Gemeinschaftsrechts gestellt werden soil und wie diese ggf. inhaltlich auszugestalten ist, wird damit eingeschrankt. Das iiber das Gleichbehandlungserfordernis funktionalisierte Assimilierungs- 32 prinzip ermoglicht es den Mitgliedstaaten, neu zu schaffende Tatbestande zum Schutze des Gemeinschaftsrechts harmonisch in ihre jeweilige nationale Strafrechtsordnung einzufiigen bzw. bestehende Tatbestande im Einklang mit ihrer nationalen Dogmatik gemeinschaftsrechtskonform zu interpretieren. Die Strafrechtssysteme werden auf diese Weise - ganz im Sinne des strafrechtsspezifischen Schonungsgebotes - vor Fremdkorpern bzw. Systembriichen bewahrt^^. Freilich bewirkt das Assimilierungsprinzip noch keine wirkliche Harmonisierung, sondern lediglich eine Europaisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen. Denn die Assimilierung kann lediglich dazu beizutragen, das strafrechtliche Schutzgefalle zwischen nationalen und vergleichbaren gemeinschaftsrechtlichen Interessen abzubauen, nicht aber einen gemeinschaftsweit einheitlichen Strafrechtsschutz hervorbringen^''. Immerhin entfaltet die das Gleichstellungsgebot erganzende Forderung nach wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen aber einen gewissen Druck auf die Mitgliedstaaten, einen bestimmten strafrechtlichen Mindeststandard zum Schutze gemeinschaftsrechtlicher Interessen zu etablieren. Damit ist aus Sicht der Gemeinschaft bereits ein wesentlicher Schritt in die gewiinschte Richtung getan. Eine weitergehende Harmonisierung des materiellen Strafrechts ist nur im Rahmen sekundarrechtlicher Anweisungen (§8) oder durch den Erlass von Rahmenbeschliissen (§11) erreichbar.
33
Tiedemann, NJW 1993, 23, 25; ders., Roxin-FS, S. 1401,1405.
34
Bleckmann, W u R 1991, 285; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 14; Satzger, Europaisierung, S. 336; Tiedemann, E u Z W 1990, 100; Zuleeg, J Z 1992, 7 6 1 , 767. Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 3 1 ; Satzger, Europaisierung, S. 342. Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 36. Tiedemann, Europaisierung, S. 144.
3^ 36 3'^
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
3. Gegenstand der strafrechtlichen Schutzverpflichtung 33 Die Judikatur des EuGH im Fall „ Griechischer Mais" spiegelt sich in den durch den Vertrag von Maastricht eingefiihrten (deklaratorischen) Regelungen des Art. 209 a EGV (aktuell Art. 280 EGV) iiber die Bekampfung von Betriigereien und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichteten rechtswidrigen Handlungen wieder^^. Das Effizienzgebot gelangt in Art. 280 I, III, IV EGV, das Gleichstellungsgebot in Art. 280 II EGV zum Ausdruck. Samtliche Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 10 EGV lassen sich fiir den Bereich der Betrugsbekampfung nunmehr auf Art. 280 EGV iibertragen, was namentlich bei der Frage einer etwaigen, aus Art. 280 IV S. 1 EGV abzuleitenden strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG Bedeutung erlangt (§ 8 Rn. 60). Die „MaisJudikatur" wirkte denn auch als Impuls fiir eine globale Betrugsbekampfungsstrategie der Kommission, welche zu zahlreichen Gesetzgebungsinitiativen auf dem Gebiet des Straf- und Verwaltungsrechts fiihrte (§14 Rn. 4 f.). 34 Die Bedeutung des Urteils liegt nicht zuletzt in der darin zum Ausdruck gelangenden Anerkennung der strafrechtlichen Schutzbediirftigkeit und Schutzwiirdigkeit gemeinschaftsrechtlicher Interessen, dem die Mitgliedstaaten Rechnung tragen miissen. Nach zutreffender h. L. beschrankt sich die Aufgabe und Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Strafrecht in den Dienst der Gemeinschaftsinteressen zu stellen, nicht auf den Schutz der EG-Finanzinteressen^^. Die aus Art. 10 EGV abzuleitende Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten erstreckt sich vielmehr auf alle Rechtsgiiter und rechtlich geschiitzten Interessen der Gemeinschaft, welche fiir die Existenz und Funktionsfahigkeit der Gemeinschaft und fiir die Durchsetzung ihrer Politiken von Bedeutung sind. Als Schutzgiiter der EG kommen neben dem Finanzhaushalt der EG vor allem die Unbestechlichkeit ihrer Beamten, die Wahrung von Dienstgeheimnissen, die europaische Rechtspflege, die Realisierung der Grundfreiheiten, aber auch die Durchsetzung der Gemeinschaftspolitiken etwa auf den Gebieten der Marktorganisation, des Wettbewerbs, des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes in Betracht. Man kann insoweit von supranationalen europaischen Schutzgutern sprechen'^^. 35 In dem Fall „Franzosische Landwirte''^^ bestatigte der EuGH diese weit gezogene strafrechtliche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten. Dem gegen die Franzosische Republik geftihrten Vertragsverletzungsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 151; Satzger, Europaisierung, S. 339. Amhos, LitStR, § 11 Rn. 34; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 416; Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 721 ff; ders., JURA 2006, 95, 99 ff.; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 38 ff.; Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 33; Satzger, Europaisierung, S. 347 ff; Tiedemann, NJW 1993, 23, 27. 40 Satzger, Europaisierung, S. 348. 41 EuGHE 1997, 6959.
C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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Fall 5: Seit dem Jahre 1985 kam es in Frankreich immer wieder zu gewalttatigen Protestak- 36 tionen franzosischer Landwirte gegen die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus anderen EG-Mitgliedstaaten. So wurden z. B. Lastwagenfahrer, die solche Giiter transportierten, am Weiterfahren gehindert, bedroht oder sogar tatlich angegriffen. Teilweise wurde ihre Ladungen zerstort oder beschadigt. Auch wurden Drohungen ausgesprochen gegen franzosische Supermarktketten, die in ihrem Sortiment Obst und Gemiise aus anderen Mitgliedstaaten anboten. Wegen dieser Aktionen gingen zahlreiche Beschwerden bei der Kommission ein, mit denen die Untatigkeit der franzosischen Behorden bzw. deren unzulangliches Vorgehen geriigt wurden. Von Seiten der Kommission wurden die franzosischen Polizeiund Justizorgane mehrfach aufgefordert, die erforderlichen praventiven und repressiven MaBnahmen zu ergreifen, um gegen Gewaltakte und Vandalismus vorzugehen. Da diese Aktionen aber trotz entsprechender Zusagen der franzosischen Regierung, alle erforderlichen MaBnahmen zu ergreifen, fortdauerten, erhob die Kommission im Jahre 1995 Klage gegen die Franzosische Republik. Die franzosische Regierung machte geltend, dass alle polizeilichen und justiziellen Moglichkeiten ausgeschopft worden seien. Es sei nicht moglich, jegliches Risiko von Gewaltanwendungen auszuschlieBen. Es mtisse den Polizeikraften im Einzelfall tiberlassen bleiben, dartiber zu entscheiden, ob ein polizeiliches Eingreifen erforderlich sei oder nicht. Die franzosische Regierung wies femer darauf hin, dass der Unmut der franzosischen Bauem vor allem auf den Umstand zuriickzuftihren sei, dass verstarkt spanische Erzeugnisse zu Dumpingpreisen auf dem franzosischem Markt angeboten wtirden. Losungshinweise zu Fall 5: Der EuGH stellte durch Urteil v. 9. Dezember 1997 37 fast, dass die Franzosische Republik gegen die ihr obliegenden gemeinschaftsrechtlichen Pflichten verstoBen habe. Es seien nicht alle erforderlichen und angemessenen MaBnahmen ergriffen worden, um sicherzustellen, dass der freie Warenverkehr nicht durch Handlungen Privater im Rahmen von Agrarblockaden behindert wird. In seiner Urteilsbegriindung fiihrte der EuGH aus, dass Art. 28 EGV (Garantie des freien Warenverkehrs) den Mitgliedstaaten nicht nur die Vornahme eigener (hoheitlicher) Handlungen (etwa durch einen Akt der Gesetzgebung oder der Verwaltung) verbietet, die zu einem Handelshemmnis fiihren konnen, sondern sie in Verbindung mit Art. 10 EGV auch dazu verpflichtet, alle erforderlichen und geeigneten MaBnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen. Zwar raumt der EuGH den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen bei der Entscheidung dariiber ein, v^elche MaBnahmen sie zu diesem Zv^eck zu ergreifen haben. Es sei jedoch Sache des Gerichthofes, unter Beriicksichtigung dieses Ermessens zu priifen, ob ein Mitgliedstaat die zur Sicherstellung des ungehinderten grenziiberschreitenden Warenverkehrs geeigneten und erforderHchen MaBnahmen ergriffen habe. Im Ausgangsfall gelangte der EuGH zu der Ansicht, dass die MaBnahmen der franzosischen Behorden angesichts der Haufigkeit und Schwere der von der Kommission aufgefiihrten Vorfalle offenkundig nicht ausreichten, um den freien innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in ihrem Gebiet dadurch zu gewahrleisten, dass sie die Urheber der fraglichen Zuwiderhandlungen wirksam an deren Begehung und Wiederholung hinderten und sie davon abschreckten. Der Gerichtshof zog damit die Konsequenzen zum einen aus dem Befund, dass die von franzosischen Landwirten ausgehenden gewalttatigen Aktionen sich schon seit mehr als zehn Jahren fortsetzten und zum anderen aus der Feststellung, dass die franzosische Po-
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
lizei in einer Vielzahl von Fallen nicht zur Stelle war oder gegen gewaltsame Protestaktionen nicht eingeschritten ist. Obwohl einige Aktivisten den Justizbehorden namentlich bekannt waren, fand keine Strafverfolgung statt. 38 Der EuGH bejahte im Fall „Franzdsische Landwirte'' eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Rahmenbedingungen zu schaffen und zu garantieren, die es den Marktbtirgern ermoglichen, ihre gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten auszuuben. Die gehorige Wahrnehmung dieser Verpflichtung umfasst demnach auch das Gebot, mit polizeilichen und strafrechtlichen Mitteln gegen Private einzuschreiten, die andere Marktbiirger an der Ausiibung ihrer Grundfreiheiten hindern. In einer v^eiteren Entscheidung v. 12. Juni 2003, in der es um die Frage ging, ob die Republik Osterreich gegen die Grundfreiheit des freien Warenverkehrs verstoBen habe, well sie eine SO-stiindige Brennerblockade durch Umweltaktivisten nicht untersagt und damit Spediteure an der tJberquerung der Alpen gehindert habe, bestatigte der EuGH diesen Grundsatz^^. Er bekraftigte die aus Art. 10 EGV abzuleitende Pflicht der Mitgliedstaaten, durch alle erforderlichen und geeigneten MaBnahmen fiir die Beachtung und Durchsetzung der Grundfreiheiten in ihrem Hoheitsgebiet zu sorgen und fiihrte aus, dass das Nichteinschreiten gegen Private eine staatliche MaBnahme gleicher Wirkung v^ie eine mengenmaBige Ein- und Ausfuhrbeschrankung (Art. 28 EGV) darstellen kann. Im Ergebnis wurde jedoch eine Vertragsverletzung der Republik Osterreich verneint, well der Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit durch zwingende Griinde des AUgemeininteresses - hier: die von Osterreich zu beachtenden Grundrechte der Demonstranten - gerechtfertigt war.
III. Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen fiir Strafgesetze im Dienste des Gemeinschaftsrechts 7. Gemeinschaftsrechtlich festgelegte Untergrenze 39 Das zum Schutze von Gemeinschaftsinteressen funktionalisierte Strafrecht der Mitgliedstaaten ist in einen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen eingebunden. Solange sich die mitgliedstaatliche Strafgesetzgebung und Judikatur innerhalb dieses Rahmens bewegt, ist sie hinsichtlich der Setzung, inhaltlichen Ausgestaltung und Anwendung strafrechtlicher Normen frei und nur den innerstaatlichen Vorgaben des Verfassungsrechts und der Strafrechtsdogmatik unterworfen. Die Untergrenze des gemeinschaftsrechtlichen Rahmensystems ergibt sich aus den in der „Mais-Rechtsprechung" entwickelten Mindestvorgaben (Gleichstellungserfordernis und Mindestrias), welche fiir die mitgliedstaatlichen Strafgesetzgeber bei der Einfiihrung und Ausgestaltung von Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts sowie fiir die nationalen Gerichte bei der Auslegung einschlagiger Tatbestande verbindlich sind und nicht unterschritten werden diirfen. Das Unterschreiten der Untergrenze stellt eine Vertragsverletzung in Form eines VerstoBes
EuGH NJW 2003, 3185 = EuZW 2003, 592.
C. Assimilierung als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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gegen das gemeinschaftsrechtliche Loyalitatsgebot - genauer: gegen das Handlungsgebot des Art. 101 EGV - dar. 2. Prazisierung der Untergrenze der Sanktionierungspflicht („ Vandevenne'') Zu einer weiteren Klarung der Reichweite der gesetzgeberischen Ermessensbin- 40 dung im Sinne einer gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Untergrenze der Sanktionierungspflicht tragt das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Strafverfahren gegen Paul Vandevenne u. a.""^^ bei, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt: Fall 6: Der LKW-Fahrer Vandevenne wurde iiberftihrt, die in einer EG-Verordnung vorge- 41 schriebenen Lenk- und Ruhezeiten nicht eingehalten zu haben. Nach belgischem Recht konnten nur der Fahrer und im Betrieb verantwortliche Personen strafrechtlich haften, nicht jedoch das Untemehmen, in dessen Auftrag der dort angestellte LKW-Fahrer fahrt. Denn die belgische Rechtsordnung kennt (wie die deutsche) keine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen. In der einschlagigen BG-Verordnung war bestimmt, dass „die Untemehmen" fiir die Einhaltung der vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten zu sorgen haben. Das belgische Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob sich aus der betreffenden Verordnung eine Verpflichtung zur Einfiihrung der Strafbarkeit juristischer Personen oder zu einer (verschuldensunabhangigen) objektiven strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergebe. Losungshinweise zu Fall 6: Die Einhaltung der in einer EG-Verordnung festge- 42 legten Lenk- und Ruhezeiten stellt ein gemeinschaftsrechtliches Interesse dar, zu dessen Durchsetzung und Schutz die Mitgliedstaaten verpflichtet sind. Aus der Verordnung selbst (diese iiberlasst es den Mitgliedstaaten, die notwendigen Rechts- und Verwaltungsvorscliriften zur Durchftihrung der Verordnung zu erlassen) und aus dem Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV ergibt sich die grundsatzliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Zuwiderhandlungen gegen das sekundarrechtlich begriindete Gebot mit Sanktionsnormen zu begegnen, soweit dies zur effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts geboten ist. Der EuGH verweist in diesem Zusammenhang auf seine standige Rechtsprechung, wonach den Mitgliedstaaten ein Ermessen hinsichtlich der Wahl der Sanktionen zusteht. Zugleich zitiert er sinngemaB die Passagen des „Mais-Urteils" zum Gleichstellungserfordernis und zur Mindesttrias, die dieses Ermessen einschranken. Eine Pflicht der Mitgliedstaaten, die Strafbarkeit juristischer Personen oder eine objektive strafrechtliche Verantwortlichkeit einzufiihren, folge hieraus aber nicht. Der EuGH prazisiert in der Entscheidung „ Vandevenne " die Mindestanforde- 43 rungen an mitgliedstaatliche Sanktionen zum Schutze gemeinschaftlicher Interessen, die er aus dem Loyalitatsprinzip entwickelt hat. Diesen werde ausreichend Rechnung getragen, wenn Zuwiderhandlungen gegen Gemeinschaftsrecht durch die Anwendung von Bestimmungen des nationalen Rechts bestraft werden konnen, die mit den Grundprinzipien des nationalen Strafrechts in Einklang stehen, sofern die sich daraus ergebenden Sanktionen nur wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend sind. Damit stellt der EuGH - ganz im Sinne des strafrechtsspezifi^3 EuGHE 1991, 4371.
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§ 7 Assimilierungsprinzip
schen Schonungsgebotes'^"^ - in begriiBenswerter Deutlichkeit klar, dass die Gemeinscliaft Riicksiciit zu nehmen hat auf die identitatspragenden Eigenheiten und Besonderheiten der nationalen Strafrechtsordnungen, wie sie in den gewachsenen Rechtsstrukturen zum Ausdmck gelangen. 3- Gemeinschaftsrechtlich festgelegte Obergrenze 44 Die Obergrenze des gemeinschaftsrechtlichen Rahmensystems wird durch die allgemeinen Rechtsgrundsatze des Gemeinschaftsrechts und durch die Grundfreiheiten abgesteckt"^^. Nationales Strafrecht muss namentlich mit dem gemeinschaftsrechtlichen VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz und dem Gleichbehandlungsgebot (Diskriminierungsverbot) vereinbar sein und darf die Marktbiirger nicht an der Inanspruchnahme einer primarrechtHchen Garantie hindern. 45 Beispiele: (1) Im Fall „Casati"^^ fiihrte der EuGH aus, dass der VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz administrativen und strafrechtlichen MaBnahmen entgegenstehe, die iiber den Rahmen des unbedingt Erforderlichen hinausgehen. Insbesondere diirften an eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts keine Sanktionen gekniipft sein, die so auBer Verhaltnis zur Schwere der Tat stehen, dass sie sich als Behinderung einer Marktfreiheit erweisen. 46 (2) In der Rechtssache „Drexl"^'^ hatte der EuGH iiber die Vereinbarkeit einer italienischen Sanktionsnorm mit dem gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbot zu entscheiden. Die einschlagige Bestimmung sah ftir VerstoBe gegen Vorschriften uber die Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von Waren erheblich empflndlichere Strafen vor als dies fiir vergleichbare VerstoBe im Inlandsverkehr der Fall war. Der EuGH stufte diese strafrechtliche Ungleichbehandlung vergleichbarer VerstoBe als diskriminierende MaBnahme ein, die zu einer Beeintrachtigung des freien Warenverkehrs fiihre. 47 (3) Um die Vereinbarkeit einer Vorschrift des franzosischen Strafverfahrensrechts mit dem Diskriminierungsverbot ging es in der Rechtssache „Cowan"^^. Ein britischer Tourist war bei einem Aufenthalt in Paris tatlich angegriffen und schwer verletzt worden. Das franzosische Strafverfahrensrecht gewahrte fur solche Falle einen Entschadigungsanspruch des Opfers gegen den Staat, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass das Opfer franzosischer Staatsangehoriger, Inhaber einer Fremdenkarte oder Angehoriger eines Staates ist, der mit Frankreich ein Gegenseitigkeitsabkommen geschlossen hat. Diese Voraussetzungen lagen in dem konkreten Fall nicht vor. Der EuGH erblickte in der franzosischen Regelung eine gemeinschaftsrechtswidrige Ungleichbehandlung: „Derartige Regelungen durfen weder zu einer Diskriminierung von Personen fUhren, denen das Gemeinschafts-
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Satzger, Europaisierung, S. 166 ff., 338. Grohlinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 16 f.; Satzger, Europaisierung, S. 295 ff., 360, 373. EuGHE 1981, 2595 ff; vgl. auchEuGHE 1976, 1921 ff („Donckerwolcke"). EuGHE 1988, 1213 ff
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E u G H E 1989, 195 ff
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C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzveq)flichtung aus Art. 10 EGV
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recht einen Anspruch auf Gleichbehandlung verleiht, noch die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschrdnken. ""^^ (4) Die strafbarkeitsbegrenzende Funktion des Gemeinschaftsrechts wird 48 auch in dem Fall „SkanavV'^^ deutlich. In Deutschland wurde eine griechische Staatsbiirgerin wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 I Nr. 1 StVG) strafrechtlich verfolgt, well sie auf deutschen StraBen ein Fahrzeug gefiihrt habe, ohne im Besitz eines deutschen Fiihrerscheins zu sein. Die Angeklagte hatte es versaumt, ihren in Griechenland ausgestellten Fiihrerschein in der vom innerstaatlichen Recht vorgesehenen Frist in einen deutschen umzutauschen^''. Der EuGH entschied, dass die Umtauschpflicht lediglich verwaltungstechnischen Erfordernissen entspreche und keine konstitutive Wirkung beziiglich der Berechtigung zum Fiihren eines Kraftfahrzeugs entfalte. Die gemeinschaftsweite Anerkennung der in einem Mitgliedstaat rechtmaBig erworbenen Fahrerlaubnis folge bereits aus den Vorschriften liber die Freiziigigkeit. Der Inhaber einer in Griechenland erteilten Fahrerlaubnis, der lediglich seiner Umtauschpflicht nicht nachgekommen und daher nicht im Besitz eines deutschen Fiihrerscheins ist, darf mithin in Deutschland - im Lichte des gemeinschaftsrechtlichen VerhaltnismaBigkeitsprinzips - nicht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafrechtlich verfolgt werden. Die sanktionsrechtliche Gleichstellung der bloBen Verletzung der Flihrerscheinumtauschpflicht mit dem unberechtigten Fiihren eines Kfz steht nicht in Einklang mit Gemeinschaftsrecht. Demgegeniiber liegt nach Auffassung des EuGH kein VerstoB gegen Gemeinschaftsrecht vor, wenn infolge fehlenden Fiihrerscheinumtausches die Strafverfolgung eines Drittstaatsangehorigen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Rede steht. Da in einem solchen Fall der Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten nicht eroffnet sei, entfalte die Ausstellung des nationalen Fiihrerscheins konstitutive Wirkung^^. (5) Nationale Sanktionsnormen sind infolge des Anwendungsvorranges des 49 Gemeinschaftsrechts unanwendbar, wenn sie mit einer primarrechtlich gewahrten Grundfreiheit kollidieren ( § 9 Rn. 10 ff.). Da der EuGH mittlerweile alle Grundfreiheiten nicht nur als Diskriminierungs-, sondern auch als Beschrankungsverbote auffasst, ist eine Behinderung der Marktfreiheiten durch mitgliedstaatliche Sanktionsregelungen nur noch in den vom Primarrecht gezogenen Grenzen zulassig^^. In der Rechtssache „Gebhard"^^ bringt der EuGH die immanenten Schranken der Grundfreiheiten auf den Punkt, indem er ausfiihrt, dass nationale Sanktionsregelungen, welche die Ausiibung einer Marktfreiheit behindern, nur
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^y 52 5^ 54
EuGHE 1989, 195, 222; vgl. auch EuGHE 1999, 11, 29; 1988, 1213, 1235; 1981, 2595, 2618; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 19 ff., 27 ff EuGHE 1996, 929 ff Seit dem 1. JuH 1996 entfallt die Umtauschpflicht, da durch RL 91/439 des Rates V. 29. Juli 1991 uber den Fiihrerschein der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von in einem Mitgliedstaat rechtmaBig ausgestellten Fiihrerscheinen gilt. EuGHE 1998, 6781; vgl. hierzu Glefi, NZV 1999, 410, 413. Vgl. hierzu die beriihmte „Cassis-Rechtsprechung" zur Warenverkehrsfreiheit seit EuGHE 1979, 649; lehrreich hierzu Schutz, Jura 1998, 631. EuGHE 1995, 4165 ff
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
dann nicht gegen den EGV verstoBen, wenn sie aus zwingenden Griinden des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und das Diskriminierungsverbot sowie das VerhaltnismaBigkeitsprinzip beachtet wird. 50 Die gemeinschaftsrechtliche Obergrenze bildet mithin eine Schranke, die von nationalen Strafnormen nicht iiberschritten werden darf. Jede gemeinschaftsrechtswidrige Setzung, Aufrechterhaltung oder Anwendung nationalen Strafrechts stellt eine Vertragsverletzung in Form eines VerstoBes gegen das gemeinschaftsrechtliche Loyalitatsgebot - in diesem Fall gegen das Unterlassungsgebot des A r t 10II EGV - dar.
4. Prazisierung der Obergrenze strafrechtlicher Sanktionen („Hansen") 51 Zu einer weiteren Klarung der vom Gemeinschaftsrecht abgesteckten Obergrenze fiir mitgliedstaatliche Sanktionsbestimmungen tragt das Urteil des EuGH in der Rechtssache „//an^^/2"^^ bei: 52 Fall 7: Die danische Fa. Hansen wurde von nationalen Behorden mit einer GeldbuBe belegt, weil einer ihrer Fahrer die durch eine EG-Verordnung festgelegte tagliche Lenkzeit iiberschritten hatte. Dem Arbeitgeber fiel nach den getroffenen Feststellungen weder Vorsatz noch Fahrlassigkeit zur Last. Jedoch haftet er nach den einschlagigen danischen Sanktionsbestimmungen verschuldensunabhangig. Die Fa. Hansen machte zum einen geltend, die nationale Regelung wiirde die EG-Verordnung erweitem (also inhaltlich abandem). Zum anderen wiirden durch die danischen Sanktionsbestimmungen in Danemark angesiedelte Untemehmen in hoherem MaBe der Gefahr einer Bestrafung ausgesetzt als in anderen Mitgliedstaaten angesiedelte Konkurrenten, da nur Danemark eine objektive Strafhaftung eingefiihrt habe. Dies fuhre zu einer Verzerrung des freien Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes, was den Zielen der einschlagigen Verordnung zuwiderlaufe. Das zustandige Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob die im danischen Recht vorgesehene objektive strafrechtliche Verantwortlichkeit gegen Gemeinschaftsrecht verstoBt. 53 Losungshinweise zu Fall 7: Mit ihrem Vorbringen, die danischen Sanktionsbestimmungen wiirden den Inhalt der EG-Lenkzeitenverordnung in unzulassiger Weise erweitern, vermochte die Firma Hansen beim EuGH nicht durchzudringen. Bereits in der Sache „Amsterdam Bulb" (Rn. 20 ff.) hatte der Gerichtshof entschieden, dass den nationalen Gesetzgebern die Befugnis zusteht, Sanktionsbestimmungen zu erlassen, um die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zu sichern. Auch die weiteren Argumente der Firma Hansen, mit denen der EuGH davon iiberzeugt werden sollte, dass die danischen Bestinrimungen zu streng seien und damit gleichsam eine gemeinschaftsrechtliche Hochstgrenze fiir Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrecht iiberschritten worden sei, teilte der Senat nicht. Die Einfiihrung einer verschuldensunabhangigen Strafbarkeit stelle nicht ohne weiteres eine gemeinschaftsrechtswidrige Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen dar. Da der EuGH schon keine Wettbewerbsverzerrung annahm, auBerte er sich nicht zu der Frage, ob und in welchem Zusammenhang eine
55
EuGHE 1990, 2911.
C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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Wettbewerbsverfalschung durch divergierende nationale Sanktionsnormen iiberhaupt eine begrenzende Wirkung fur die mitgliedstaatliche Rechtsetzung entfalten konnte. Der EuGH griff jedoch das VerhaltnismaBigkeitskriterium als Obergrenze 54 auf, indem er ausfiihrte: „Aufierdem liegt die Verkehrssicherheit, die ...eines der Ziele der Verordnung ist, im Interesse der Allgemeinheit, das die Festsetzung einer objektiven strafrechtlichen Verantwortlichkeit rechtfertigen kann. Eine solche Sanktion, die der in Art. 5 EGV (Art 10 EGV n. F.) verankerten Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit entspricht, ist deshalb gegenUber dem angestrebten Ziel nicht unverhdltnismdfiig. "^^ Damit folgte der Gerichtshof im Ergebnis dem Schlussantrag von Generalanwalt van Gerven, welcher - noch deutlicher als der EuGH dargelegt hatte, dass der Grundsatz „nulla poena sine culpa" (keine Strafe ohne Schuld) im Gemeinschaftsrecht keine absolute Geltung beanspruchen, sondern unter Beachtung des VerhaltnismaBigkeitsprinzips eingeschrankt werden konne (hier: Durchsetzung wichtiger Interessen des Allgemeinwohls und keine Androhung auBergewohnlich hoher Strafen). 5. Inhaltsbestimmung
der gemeinschaftsrechtlichen
Rahmenbegriffe
a) Konkretisierungsspielraum der Mitgliedstaaten Die Zusammenschau der Rechtssachen „ Vandevenne'' (Rn. 40 ff.) zur Untergren- 5S ze der aus dem Loyalitatsgebot abgeleiteten strafrechtlichen Schutzverpflichtung und „Hansen'' (Rn. 51 ff.) zur Obergrenze fiir innerstaatliche Sanktionsbestimmungen zum Schutze des Gemeinschaftsrechts macht Folgendes deutlich: Einerseits sind die Mitgliedstaaten nicht zur Einfiihrung einer Strafbarkeit juristischer Personen oder zur Schaffung einer verschuldensunabhangigen (objektiven) strafrechtlichen Verantwortlichkeit verpflichtet. Andererseits steht es ihnen frei, auf nationaler Ebene gerade diese strafrechtlichen MaBnahmen zu ergreifen. Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen, in den das mitgliedstaatliche Strafrecht eingebunden ist, belasst den Mitgliedstaaten also einen relativ breiten Spielraum fiir die inhaltliche Ausgestaltung von Sanktionsnormen im Dienste des Gemeinschaftsrechts. Bei den das gemeinschaftsrechtliche Rahmensystem nach unten und oben ein- 56 grenzenden Schrankenbestimmungen handelt es sich um Ternndni des Gemeinschaftsrechts, die der autonomen Interpretation des EuGH unterliegen^'^. Die Zustandigkeit der supranationalen Gerichtsbarkeit stellt sicher, dass es nicht zu einer vollig uneinheitlichen Handhabung der Mindesterfordernisse und Obergrenzenkriterien in den Mitgliedstaaten kommt - eine Gefahr, die vorprogrammiert ware, wenn jeder Mitgliedstaat nach eigenem Belieben den Rahmen fiir seine legislative Tatigkeit zum Schutze des Gemeinschaftsrechts festlegen konnte. Andererseits betont der EuGH - ganz im Sinne des strafrechtsspezifischen Schonungsprinzips -, dass den Mitgliedstaaten grundsatzlich die Wahl der Sanktionen zu-
56 BuGHE 1990, 2911 (Rz. 19). 5^ Satzger, Europaisierung, S. 361 ff., 373 ff.
258
§ 7 Assimiliemngsprinzip
steht^^. Den mitgliedstaatlichen Strafgesetzgebern und Gerichten verbleibt mithin bei der Auslegung und Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Rahmenkriterien ein gewisser Konkretisierungsspielraum, dessen gemeinschaftsrechtskonforme Ausiibung jedoch einer VertretbarkeitskontroUe durch den EuGH unterliegt. 57 Im Vorabentscheidungsverfahren judiziert der Gerichtshof ohnehin nur liber die Auslegung von Gemeinschaftsrecht, nicht aber iiber den konkreten Sachverhalt des Ausgangsverfahrens oder die Anwendbarkeit einer nationalen Sanktionsnorm. Seine Aufgabe beschrankt sich vielmehr darauf, dem fiir die Entscheidung des Ausgangsfalles zustandigen Gericlit erlauternde Hinweise hinsichtlich der Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zu geben, um diesem eine Beurteilung zu ermoglichen, ob die einschlagige Sanktionsnorm gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen geniigt. Im Vertragsverletzungsverfahren ist der EuGH dazu berufen, festzustellen, ob eine konkrete mitgliedstaatliche Regelung mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Aber auch in diesem Verfahren respektiert der EuGH aufgrund des von ihm in der Sache anerkannten strafrechtsspezifischen Schonungsgebotes den Einschatzungs- und Konkretisierungsspielraum der Mitgliedstaaten und beschrankt sich demgemaB auf eine VertretbarkeitskontroUe^^. b) Gleichstellungserfordernis 58 Die Mitgliedstaaten sind aufgrund des Loyalitatsgebotes (Art. 10 EGV) verpflichtet, VerstoBe gegen das Gemeinschaftsrecht (Angriffe auf Gemeinschaftsinteressen) durch ihr innerstaatliches Recht nach ahnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu ahnden wie nach Art und Schwere gleichartige VerstoBe gegen nationale Schutzgiiter (Rn. 29). Das Gleichbehandlungserfordernis erstreckt sich auf die Setzung und Anwendung sowohl des materiellen Sanktionenrechts (Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht) als auch des zu seiner Durchsetzung bestimmten Prozessrechts (Straf- und BuBgeldverfahrensrecht). In verfahrensrechtlicher Hinsicht miissen die mitgliedstaatlichen Stellen gegeniiber VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften walten lassen. 59 Das Gleichstellungsgebot gelangt nur zur Anwendung, wenn es sich bei dem festgestellten VerstoB gegen Gemeinschaftsrecht um einen solchen handelt, der nach Art und Schwere einem VerstoB gegen nationales Recht gleicht. Ob ein „gleichartiger" VerstoB vorliegt, ist anhand eines von dem nationalen Gesetzgeber oder Rechtsanwender (Gerichte und sonstige Behorden) vorzunehmenden Wertungsaktes zu beurteilen, welcher seinerseits lediglich einer VertretbarkeitskontroUe durch den EuGH unterliegt (Rn. 56). 60 „Gleicher Art" sind VerstoBe dann, wenn sie identische oder zumindest vergleichbare Interessen beruhren^°. Dies ist der Fall, wenn eine Norm des Gemeinschaftsrechts verletzt wird, die dasselbe oder ein funktionell gleichwertiges
59 60
EuGHE 1989, 2965 (Rz. 24); 1990, 2911 (Rz. 17); 1991, 4371 (Rz. 11); 1994, 2435 (Rz. 55); 1995, 3573 (Rz. 20); 1997, 1111 (Rz. 35). Satzger, Europaisierung, S. 375. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 23; Satzger, Europaisierung, S. 365.
C. Assimiliemng als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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Rechtsgut wie eine nationale Strafnorm schiitzt. Zu denken ist etwa an einen VerstoB gegen das gemeinschaftsrechtliche Luftreinhalterecht, durch den das gleiche Rechtsgut (Reinheit der Luft in ihrer Funktion als natiirliche Lebensgrundlage des Menschen) angegriffen wird, das auch der deutschen Strafbestimmung des § 325 StGB zugrunde liegt^^ Als weitere Beispiele fiir VerstoBe, die sich aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Strafrechts gegen vergleichbare Interessen richten, sind zu nennen: Angriffe auf den Finanzhaushalt der EG (z. B. in Form des Subventionsbetruges oder der Abgabenhinterziehung) sowie auf die Lauterkeit der Amtsfiihrung von EG-Beamten. Der Finanzhaushalt eines Mitgliedstaates und die Lauterkeit der Amtsfiihrung des nationalen offentlichen Dienstes stellen funktional vergleichbare Interessen dar, die vom innerstaatlichen Strafrecht geschiitzt werden. Hieraus folgt in Anwendung des Gleichstellungsgebotes, dass die Mitgliedstaaten den genannten Gemeinschaftsinteressen den gleichen materiellrechtlichen und prozessualen Schutz angedeihen lassen mussen wie den funktionsidentischen nationalen Interessen. Fiir den Schutz des EG-Finanzhaushalts wird das Gleichstellungserfordernis durch Art. 280 II EGV deklaratorisch festgeschrieben. Von „gleicher Schwere" sind VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht, wenn der 61 darin liegende Angriff auf das einschlagige Gemeinschaftsinteresse eine Intensitat aufweist, die vom nationalen Recht - unterstellt, es lage ein Angriff auf ein vergleichbares nationales Rechtsgut vor - als strafbare (oder mit sonstigen repressiven Sanktionen belegbare) Handlung erfasst wird^^. Der nationale Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des Rechtsgiiterschutzes einen breiten Ausgestaltungsspielraum. Er kann Kriminalstrafrecht oder sonstiges Sanktionenrecht (BuBgeldrecht, Verwaltungssanktionen) einsetzen. Die Schutzintensitat wird des Weiteren dadurch bestimmt, ob z. B. nur die Schadigung (Erfolgsdelikte) oder bereits die Gefahrdung des Rechtsgutes strafbar ist (konkrete und abstrakte Gefahrdungsdelikte). Weitere Faktoren der Schutzintensitat bilden etwaige Qualifikationen, Strafzumessungsregeln (besonders schwere Falle) sowie Schuldkomponenten (Vorsatz, Fahrlassigkeit, objektive strafrechtliche Verantwortlichkeit). SchlieBlich hangt der strafrechtliche Schutzstandard auch davon ab, ob und inwieweit bereits der Versuch oder bestimmte Vorbereitungshandlungen mit Strafe bedroht sind. Das Gleichstellungserfordernis ware z. B. verletzt, wenn das nationale Recht 62 einen VerstoB gegen Gemeinschaftsrecht lediglich im Falle der Schadigung des Gemeinschaftsinteresses (oder bei vorsatzlichem Handeln) mit Strafe bedroht, wahrend das gleichartige nationale Schutzgut bereits vor einer bloBen Gefahrdung (oder vor fahrlassigem Handeln) strafrechtlich geschiitzt wird. Gemeinschaftsrechts widrig ware es auch, den Versuch der Bestechung nationaler Amtstrager im innerstaatlichen Recht unter Strafe zu stellen, beziiglich der Bestechung von EGBeamten eine Strafandrohung aber nur fur die vollendete Tat vorzusehen. Das Gleichstellungsgebot legt die Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf die
61
Vgl. hierzu Hecker, ZStW 115 (2003), 800, 895 ff ^^ Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 24; Satzger, Europaisiemng, S. 366.
260
§ 7 Assimiliemngsprinzip
Gewahrleistung eines innerstaatlich gleichen Schutzstandards fiir Gemeinschaftsinteressen und funktional vergleichbare nationale Schutzgiiter fest. c) Wirksamkeits- und Abschreckungserfordernis 63 Das aus dem Gleichbehandlungserfordernis abzuleitende Assimilierungsgebot, also die Pflicht der Mitgliedstaaten, Gemeinschaftsinteressen im Wesentlichen den gleichen strafrechtlichen Schutz angedeihen zu lassen wie vergleichbaren nationalen Rechtsgiitern, liefe gleichsam „ins Leere", wenn sich ftir ein schutzwiirdiges Gemeinschaftsinteresse kein nationales Aquivalent ausmachen oder in der innerstaatlichen Rechtsordnung kein vergleichbar schwerer Angriff feststellen lieBe. Denkbar ist schlieBlich auch, dass ein Mitgliedstaat ein bestimmtes Rechtsgut strafrechtlich nicht oder nur unzureichend schiitzt. In diesen Fallen iibernimmt die Mindesttrias als Substitut fiir das unanwendbare Gleichbehandlungsgebot die Funktion der gemeinschaftsrechtlichen Untergrenze der strafrechtlichen Sanktionierungsverpflichtung und stellt sicher, dass das Gemeinschaftsinteresse in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht (weitgehend) schutzlos gestellt ist^^. Die Bedeutung der Mindesttrias erschopft sich aber nicht in dieser Auffangfunktion. Unabhangig davon, ob ein dem Gemeinschaftsinteresse vergleichbares nationales Schutzgut existiert und ob sich ein gleichartiger VerstoB gegen nationales Recht ermitteln lasst, sind die vom EuGH aufgestellten Mindesterfordernisse einer wirksamen, verhaltnismaBigen und abschreckenden Sanktion von den Mitgliedstaaten zu gewahrleisten. Erst recht miissen sich die zu Assimilierungszwecken geschaffenen oder heranziehbaren Sanktionsnormen an dem gemeinschaftsrechtlichen MaBstab der Wirksamkeit, VerhaltnismaBigkeit und Abschreckungstauglichkeit messen lassen. 64 Auch wenn der EuGH im Zusammenhang mit der Mindesttrias stets von „Sanktionen" spricht, so bedeutet dies nicht etwa, dass nur die Rechtsfolgen wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend sein miissen. Unter „Sanktion" ist die gesamte Strafnorm, bestehend aus Tatbestand und Rechtsfolge zu verstehen^"^. So bezeichnet der EuGH etwa im Fall „Hansen" (Rn. 51 ff.) das System der objektiven (verschuldensunabhangigen) strafrechtlichen Verantwortlichkeit als Sanktion. 65 Die Bedeutung des Wirksamkeitskriteriums erschlieBt sich durch einen Blick auf die Funktion der Sanktionen im Dienste des Gemeinschaftsrechts. Diese soUen die Geltungskraft und Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts gewahrleisten. Wirksam ist eine Sanktion also nur dann, wenn sie tatsachlich dazu beitragt, das Gemeinschaftsinteresse zu schiitzen bzw. die Ziele der gemeinschaftsrechtlichen Regelung zu verwirklichen. Sie muss daher geeignet sein, die Allgemeinheit von VerstoBen abzuhalten (negative Generalpravention) und den Tater von weiteren VerstoBen abzuschrecken (negative Spezialpravention)^^. Zugleich muss sie dazu beitragen konnen, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltungskraft des Ge-
Grdblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 24 f.; Satzger, Europaisierung, S. 363. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 25. Groblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 25; Satzger, Europaisierung, S. 368; ders., IntStR, § 7 Rn. 27.
C. Assimilierang als Auspragung der Schutzverpflichtung aus Art. 10 EGV
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meinschaftsrechts bzw. des nationalen Ausfiihrungsrechts zu bekraftigen (positive Generalpravention). An dieser Stelle wird deutlich, dass sich das Wirksamkeitskriterium mit dem Erfordernis der Abschreckung inhaltlich iiberschneidet. Das Wirksamkeits- und das Abschreckungskriterium konnen daher als ein zusammengehorendes Gebot behandelt werden^®. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktionsnorm wirksam und ab- 66 schreckend ist, bedarf es einer umfassenden Wiirdigung ihrer Praventionswirkung, die sich nicht nur aus der Reichweite ihres Tatbestandes bzw. aus der abstrakten Hohe der angedrohten Strafe, sondern auch aus Faktoren der „gelebten Rechtsordnung", wie Haufigkeit und Intensitat von Kontrollen, gangige Verfolgungspraxis, Art und Weise des VoUzugs usw., ergibt. Den nationalen Gesetzgebern ist ein breiter, dem strafreciitsspezifischen Schonungsgebot Rechnung tragender Beurteilungs- und Konkretisierungsspielraum zu belassen. Verletzt ist das als gemeinschaftsrechtliche Untergrenze der mitgliedstaatlichen Sanktionierungspflicht fungierende Wirksamkeits- und Abschreckungskriterium jedoch, wenn das nationale Recht fiir einen mit hoher krimineller Energie gefiihrten Angriff auf Gemeinschaftsinteressen oder fiir eine Tat, die zu einer gravierenden Schadigung eines supranationalen Rechtsgutes gefiihrt hat, lediglich eine Bagatellsanktion androht^''. Zu denken ist etwa an das Extrembeispiel, dass das mitgliedstaatliche Recht fiir den Fall eines organisierten Subventionsbetruges groBen AusmaBes lediglich die Verhangung eines BuBgelds oder einer Verwaltungssanktion vorsieht. Offensichtlich ineffektive MaBnahmen oder lediglich „symbolische" Strafen geniigen dem Gebot wirksamer und abschreckender Sanktionen nicht^^. Die Mitgliedstaaten miissen dem Wirksamkeitserfordernis nicht zuletzt durch 67 eine effektive Ausgestaltung ihres Strafanwendungsrechts (§ 2 Rn. 2 ff.) in Form eines europaischen Territorialitatsprinzips Rechnung tragen^^. Es muss sichergestellt werden, dass die vom Territorium eines Mitgliedstaates aus begangenen Angriffe auf Gemeinschaftsinteressen von den Strafgerichten jedes Mitgliedstaates nach dessen innerstaatlichem Recht abgeurteilt werden konnen (zu dem daraus resultierenden Problem konkurrierender nationaler Strafanspriiche vgl. § 13). Einen Schritt in diese Richtung stellen § 6 Nr. 8 StGB und § 370 VII AO dar, die den Anwendungsbereich der Tatbestande des Subventionsbetrugs (§ 264 StGB) und der Steuerhinterziehung (§370 AO) auf Taten erstrecken, die auBerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen werden.
So der Vorschlag von Satzger, Europaisiemng, S. 368; a. A. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 26, der das Abschreckungskriterium als Ausdruck der negativen Generalpravention deutet. Wenn der betreffende Staat einem vergleichbaren nationalen Rechtsgut einen intensiveren strafrechtlichen Schutz angedeihen lasst, liegt zugleich eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots vor. Satzger, Europaisiemng, S. 369 ff. Satzger, Europaisiemng, S. 370.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
d) VerhaltnismaBigkeit (Angemessenheit) der Sanktion 68 Der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz der VerhaltnismaBigkeit bildet - wie gezeigt - eine Obergrenze fiir mitgliedstaatliche Sanktionen (Rn. 44 ff.). Wenn der EuGH in den Fallen „von Colson undKamann" (Rn. 23 ff.), „Griechischer Mais'' (Rn. 27 ff.) und „Vandevenne" (Rn. 40 ff.) von dem Erfordernis verhaltnismaBiger Sanktionen spricht, die bei VerstoBen gegen Gemeinschaftsinteressen anzudrohen sind, so versteht er die VerhaltnismaBigkeit als Mindesterfordernis (Untergrenze der Sanktionierungspflicht). Die Mitgliedstaaten diirfen also keine MaBnahmen treffen, die dem Grad und der Schwere des Angriffs auf das Gemeinschaftsinteresse nicht angemessen Rechnung tragen. Das VerhaltnismaBigkeitserfordernis bzw. - konkreter formuliert - das Gebot der Androhung angemessener Sanktionen - fordert den Mitgliedstaaten ab, diejenigen MaBnahmen zu treffen, die der Intensitat und Schwere des RechtsverstoBes entsprechen. Art (Strafnorm, BuBgeldnorm, zivilrechtliche Schadensausgleichsnorm) und inhaltliche Ausgestaltung der nationalen Sanktion (Tatbestand und Rechtsfolge) miissen dem Gewicht und der Intensitat des VerstoBes gegen ein Gemeinschaftsinteresse angemessen Rechnung tragen. Der den Mitgliedstaaten diesbezliglich eingeraumte B eurteilungsspielraum ist nicht gemeinschaftsrechtskonform wahrgenommen, wenn der nationale Gesetzgeber die Bedeutung des zu schiitzenden Gemeinschaftsinteresses oder das Gewicht eines VerstoBes gegen Gemeinschaftsrecht offensichdich verkennt (Vertretbarkeitskontrolle durch den EuGH). 69 Der Fall einer - die Untergrenze der mitgliedstaatlichen Sanktionierungspflicht unterschreitenden - unangemessen Sanktion ist z. B. gegeben, wenn ein Mitgliedstaat die Beeintrachtigung eines grundlegenden Gemeinschaftsinteresses (EGFinanzhaushalt, Lauterkeit der Amtsftihrung von EG-Beamten, Umweltschutz, Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit usw.) wie eine bloBe Verletzung von Ordnungsvorschriften ahndet. Dabei muss sich der Mitgliedstaat auch daran messen lassen, wie er vergleichbare VerstoBe gegen nationale Schutzgiiter sanktioniert. Unangemessen ist der Strafrechtsschutz bereits dann, wenn er fiir einen gleichartigen und gleichschweren VerstoB gegen ein Gemeinschaftsinteresse systemfremd und ohne sachlichen Grund nach unten abweicht'^^. 70 Das Erfordernis der Angemessenheit der Sanktion erlangt als Element der Mindesttrias eine eigenstandige Funktion als Untergrenze der mitgliedstaatlichen Sanktionierungsverpflichtung, wenn das Gleichstellungsgebot mangels Existenz einer schutzzweckidentischen Sanktionsnorm ins Leere lauft.
Satzger, Europaisierang, S. 373.
D. Auspragungen des Assimiliemngsprinzips im deutschen Strafrecht
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D. Auspragungen des Assimiliemngsprinzips im deutschen Strafrecht I. Schutzbereichsausdehnung durch Gleichstellungsvorschriften Dem aus der Loyalitatspflicht (Art. 10 EGV) und - bezogen auf den Schutz der 71 EG-Finanzinteressen - aus Art. 280 II EGV abzuleitenden Assimilierungserfordernis kann prinzipiell auf zwei Wegen Rechnung getragen werden: zum einen durch gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Strafrechtsnormen, soweit dies innerstaatliches Verfassungsrecht und Strafrechtsdogmatik zulassen, zum anderen durch Schaffung von Strafgesetzen, die zu einer Erstreckung des nationalen Strafrechtsschutzes auf Gemeinschaftsinteressen fiihren. Eine in der deutschen Gesetzgebungspraxis iibUche Technik ist die Einfiigung sog. „Gleichstellungsklauseln" in einschlagige Strafbestimmungen oder spezialgesetzHche Regelungen. So sorgt etwa die Gleichstellungsvorschrift des § 108 d StGB dafiir, dass die den Schutz der Unverfalschtheit von Wahlen bezweckenden Strafbestimmungen der §§ 107-108 c StGB auch auf die Wahl der Abgeordneten des EP Anwendung finden. Des Weiteren ist die Bestechung von Abgeordneten des EP in § 108 e StGB in gleichem MaBe unter Strafe gestellt wie die Bestechung von Mitgliedern nationaler Volksvertretungen. Weitere Beispiele fiir die Indienststellung deutscher Strafbestimmungen zum Schutze supranationaler Gemeinschaftsinteressen finden sich im Subventions- und Korruptionsstrafrecht. 1. Gleichstellungsbestimmung des § 264 VII Nr. 2 StGB Fall 8: Der deutsche Untemehmer U bietet dem EG-Beamten B die Zahlung von € 25 000.- 72 an, um mit dessen Hilfe ungerechtfertigt in den Genuss einer EG-Subvention zu gelangen. B nimmt das Geld an und sorgt durch die Weitergabe eines unrichtigen Priifangsergebnisses an seinen fiir die Vergabe der Subvention allein zustandigen Dienststellenleiter dafiir, dass diesem die unzutreffenden (fiir U vorteilhaften) Angaben des U nicht auffallen. Strafbarkeit von U und B? Das deutsche Strafrecht schiitzt den Finanzhaushalt der EG in § 264 StGB vor 73 Angriffen in Form des vorsatzlich oder leichtfertig begangenen Subventionsbetruges. Nach § 264 VII Nr. 2 StGB unterfallt dem Tatbestandsmerkmal ^Subvention" auch „eine Leistung aus offentlichen Mitteln nach dem Recht der Europaischen Gemeinschaften, die wenigstens zum Teil ohne marktmaBige Gegenleistung gewahrt wird". Erste Losungshinweise zu Fall 8: (1) U ist wegen Subventionsbetruges in einem 74 besonders schweren Fall gem. § 264 I Nr. 1, II S. 2 Nr. 3, VII Nr. 2 StGB strafbar, weil er gegentiber dem Subventionsgeber unrichtige, fiir ihn vorteilhafte Angaben iiber subventionserhebliche Tatsachen gemacht und dabei die Mithilfe eines Amtstragers ausgenutzt hat, der seine Stellung missbraucht. Ob es letztlich zu einer Auszahlung der Subvention an U kommt, ist unerheblich, da die Erfiillung des § 2641 Nr. 1 StGB nicht vom Vorliegen eines Vermogensschadens abhangt.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
(2) B hat sich durch die Weiterleitung eines unrichtigen Priifungsergebnisses an den fiir die Vergabe der Subvention zustandigen Dienststellenleiter wegen Subventionsbetruges in einem besonders schweren Fall gem. § 264 I Nr. 1, II S. 2 Nr. 2, VII Nr. 2 StGB strafbar gemacht, da er seine Stellung als Amtstrager missbraucht hat''^ Die Gleichstellung des Gemeinschaftsbeamten B mit deutschen Amtstragern folgt aus Art. 2 § 1 II Nr. 1 EUBestG (Rn. 76; § 5 Rn. 15). Dass B keinen unmittelbaren Nutzen aus der ungerechtfertigten Subventionsgewahrung zieht und ziehen will, hindert die Annahme von Mittaterschaft nicht, denn § 264 I Nr. 1 StGB setzt objektiv keine Vorteilserlangung und subjektiv keine Bereicherungsabsicht voraus. Die Ausdehnung des Schutzbereichs des § 264 I Nr. 1 StGB auf EG-Subventionen folgt aus der Gleichstellungsklausel des § 264 VII Nr. 2 StGB. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ergibt sich aus § 6 Nr. 8 StGB (§2Rn.51). 75 Weitere Hinweise: Gabe es die Legaldefinition in § 264 VII Nr. 2 StGB nicht, lieBe sich eine Erstreckung des Schutzbereiches auf EG-Subventionen bereits mit Hilfe einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 264 StGB im Lichte des Art. 280 II EGV begriinden. Die Einbeziehung von Gemeinschaftsbeamten als taugliche Tater eines Subventionsbetruges gem. § 264 I Nr. 1, II S. 2 Nr. 2 StGB konnte hingegen nicht durch eine entsprechende Neuinterpretation des § 11 I Nr. 2 StGB erzielt werden, da die eindeutige Wortlautgrenze der Norm („Amtstrager: wer nach deutschem Recht...") nicht iiberschritten werden darF^. Insoweit bildet die Gleichstellungsvorschrift des Art. 2 § 1 II Nr. 1 EUBestG eine unersetzbare rechtliche Briicke fiir die Anwendbarkeit des § 264 StGB auf tatbestandsmaBige Handlungen von Gemeinschaftsbeamten. 2. Gleichstellungsbestimmung des EUBestG 16 Das Assimilierungsprinzip spielt auch im deutschen Korruptionsstrafrecht eine wichtige RoUe. Zur Eindammung der grenzliberschreitenden Korruption hat der Gesetzgeber auBerhalb des StGB eine Ausdehnung der nationalen Strafvorschriften iiber Bestechlichkeit und Bestechung (§§ 332, 334-336, 338 StGB) durch die Gleichstellung von deutschen, mitgliedstaatlichen und EU-Amtstragern (einschlieBlich Richtern) vorgenommen (vgl. Art. 2 § 1 I Nr. 1, 2 EUBestG)^^. Des Weiteren bewirkt Art. 2 § 1II Nr. 1, 2 EUBestG eine Gleichstellung von Gemeinschaftsbeamten und Kommissionsmitgliedern mit deutschen Amtstragern im Hinblick auf die Begehung von Taten gem. §§ 263 II S. 2 Nr. 4, 264 II S. 2 Nr. 2, 3 StGB sowie § 370 III S. 2 Nr. 2, 3 AO. Mit dem Erlass des EUBestG hat der deutsche Gesetzgeber seine unionsrechtliche Verpflichtung (ZBJI) aus dem Ersten ZusatzprotokoU zum Ubereinkommen iiber den Schutz der finanziellen Interessen
^1 Vgl. hierzu TvondldFischer, § 264 Rn. 12, 47. '^^ Vgl. hierzu Bose, Strafen und Sanktionen, S. 434; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 204 f. '^3 EU-Bestechungsgesetz v. 10. September 1998 (BGBl. II 1998, 2340); abgedmckt bei Trondle/Fischer; Anhang 21.
D. Auspragungen des Assimiliemngsprinzips im deutschen Strafrecht
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der Europaischen Gemeinschaften zur Bekampfung der Korruption'''* und dem Obereinkommen iiber die Bekampfung der Bestechung, an der Beamte der EU Oder der Mitgliedstaaten beteiligt sind''^, erfiillt (§ 5 Rn. 15). Nach der zuvor geltenden Rechtslage war die Bestechung eines Beamten der Gemeinschaft bzw. eines Beamten eines anderen Mitgliedstaates nicht nach §§331 ff. StGB strafbar, weil die Definition des Amtstragerbegriffs in § 11 I Nr. 2 StGB nur auf die nach deutschem Recht begriindete Amtstragereigenschaft abstellt. AbschlieBende Losungshinweise zu Fall 8: (1) U hat sich wegen der Zahlung 77 von € 25 000.- an den Gemeinschaftsbeamten B mit dem Ziel, diesen zur Vornahme einer Diensthandlung zu veranlassen, durch welche B seine Dienstpflichten verletzen wiirde, der Bestechung gem. § 334 I StGB i. V. m. Art. 2 § 1 Nr. 2 b EUBestG schuldig gemacht. Das EUBestG sorgt fiir eine Ausdehnung des Schutzbereichs des deutschen Korruptionsstrafrechts auf Bestechungshandlungen, die gegeniiber einem Gemeinschaftsbeamten i. S. d. Art. 1 des Protokolls v. 27. September 1996 zum tJbereinkommen iiber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften begangen werden. Falls U die Tat im Ausland begangen hat, findet gem. Art. 2 § 2 Nr. 1 a StGB deutsches Strafrecht Anwendung (aktives Personalitatsprinzip; vgl. § 2 Rn. 45 f.). (2) B hat sich durch die Annahme eines Vorteils als Gegenleistung ftir die Vornahme einer pflichtwidrigen Diensthandlung wegen Bestechlichkeit gem. § 332 I StGB i. V. m. Art. 2 § 1 Nr. 2 b EUBestG strafbar gemacht. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf Auslandstaten von Gemeinschaftsbeamten folgt aus Art. 2 § 2 Nr. 1 a EUBestG, falls er Deutscher ist und nach MaBgabe des Art. 2 § 2 Nr. 1 b) bb) EUBestG, falls er Auslander ist. Weitere Hinweise: Die Bekampfung der Korruption auf internationaler Ebene 78 ist auch ein Anliegen der OECD (§ 5 Rn. 15). Mit dem Gesetz zu dem Ubereinkommen vom 17. Dezember 1997 iiber die Bekampfung der Bestechung auslandischer Amtstrager im internationalen Geschaftsverkehr (IntBestG) v. 10. September 1998, welches am 15. Februar 1999 in Kraft trat, wurde eine einschlagige OECD-Konvention in deutsches Recht umgesetzt. Gesetzestechnisch hat der deutsche Gesetzgeber auch hier das Assimilierungsprinzip funktionalisiert, indem er in Art. 2 § 1 IntBestG auslandische mit inlandischen Amtstragern gleichgestellt und in diesen Fallen die Anwendung der §§ 334, 335, 336, 338 II StGB vorgesehen hat. Das IntBestG beschrankt sich jedoch auf die Strafbarkeit der aktiven Bestechung von auslandischen Amtstragern und Richtern und fmdet auf Auslandstaten nur Anwendung, wenn der Tater Deutscher ist (Art. 2 § 3 IntBestG).
^4 ABIEG 1996 Nr. C 313, S. 1. 7' 5 ABIEG 1997 Nr. C 195, S. 1; vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 46, 50; ders., ZStW 117 (2005), S. 697, 730 f.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
II. Verweisung auf Gemeinschaftsrecht durch Blankettstrafgesetze 1. Gemeinschaftsrechtsakzessorisches
Blankettstrafrecht
79 Eine weitere Moglichkeit, um der aus Art. 10 EGV abzuleitenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewahrleistung einer gleichartigen und gleichwertigen Straf- und BuBgeldbewehrung von unmittelbar geltenden Rechtsakten der EG nachzukommen, besteht in der Setzung gemeinschaftsrechtsakzessorischer Blankettgesetze''^. Diese vor allem im Nebenstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht vielfach genutzte Gesetzgebungstechnik ermoglicht eine Sanktionierung vorsatzlich Oder fahrlassig begangener Zuwiderhandlungen gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht. Der Blanketttatbestand beschrankt sich auf eine Beschreibung der wesentlichen Strafbarkeits- bzw. Ahndungsvoraussetzungen (benennt z. B. Art und Weise der Zuwiderhandlung) und ordnet eine bestimmte Rechtsfolge (Sanktion) an. Im tjbrigen verweist er auf eine blankettausfiillende EG-Verordnung. Der vollstandige Straftatbestand ergibt sich somit erst durch ein Zusammenlesen des Strafblanketts und der auBerstrafrechtlichen Ausfiillungsnorm. Durch die Verkniipfung der tatbestandsmaBigen Handlung mit der in Bezug genommenen EG-Verordnung entsteht ein gemeinschaftsrechtsakzessorischer Tatbestand. 80 Soweit nationale Blankettstrafgesetze ausschlieBlich auf Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht (Gesetze, Rechtsverordnungen) verweisen, handelt es sich um sog. „Binnenverweisungen". Demgegeniiber besteht die tatbestandsmaBige Handlung bei den hier interessierenden gemeinschaftsrechtsakzessorischen Blankettgesetzen in einem VerstoB gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht. Folglich haben wir es hier im Hinblick auf den supranationalen Ursprung des Verweisungsobjekts mit sog. „AuBenverweisungen" zu tun. In der Literatur werden die gemeinschaftsrechtsakzessorischen Straf- und BuBgeldblankette plastisch als „januskopfige" Normen beschrieben, weil eine Tatbestandsseite in das Gemeinschaftsrecht hineinreicht, wahrend die andere ausschlieBlich vom nationalen Recht gepragt ist''^. Fiir den deutschen Normanwender bedeutet dies, dass er das von dem Blankett in Bezug genommene Verweisungsobjekt anhand gemeinschaftsrechtlicher Auslegungsgrundsatze unter besonderer Beriicksichtigung einschlagiger EuGH-Rechtsprechung zu interpretieren hat. 81 Neben der Unterscheidung der Blankettgesetze nach dem Normgeber des Verweisungsobjekts lasst sich mit dem Begriffspaar „statische" und „dynamische" Verweisung noch eine weitere Differenzierung treffen, die vor allem fiir die Diskussion ihrer Verfassungskonformitat eine wichtige Rolle spielt. Um eine „statische Verweisung" handelt es sich bei einer Blankettnorm, die auf bereits beste-
Vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 11 Rn. 14 f, 24 ff; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 54 ff., 198 ff, 265 ff; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 151 ff; ders., JURA 2006, 95, 101; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 23 ff; Satzger, Europaisierang, S. 210 ff; ders., IntStR, § 8 Rn. 50 ff Ambos, IntStR, § 11 Rn. 26; Satzger, Europaisierung, S. 233 m. w. N.
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hende Rechtsvorschriften in einer bestimmten Fassung verweist. Sie folgt dem Muster: „Mit...wird bestraft/Ordnungswidrig handelt, wer gegen die Verordnung (EG) Nr. x verstoBt, indem er vorsatzlich oder fahrlassig entgegen Artikel y folgende Zuwiderhandlung begeht...". Demgegeniiber haben wir es mit einer sog. „dynamische Verweisung" zu tun, 82 wenn der Blanketttatbestand auf eine EG-Verordnung in der jeweils giiltigen Fassung verweist und sich damit flexibel an etwaige Anderungen des Verweisungsobjekts anpasst''^. Von einer sog. „verdeckten dynamischen Verweisung" spricht man, wenn das statisch in Bezug genommene Verweisungsobjekt seinerseits einen dynamischen Verweis auf weitere Normen in ihrer jeweils giiltigen Fassung enthalt. Gemeinschaftsrechtsakzessorische Blankettstrafgesetze miissen sich in alien ih- 83 ren Bestandteilen am MaBstab des deutschen Verfassungsrechts messen lassen. Dies gilt auch fiir die von dem Strafblankett in Bezug genommene EGVerordnungsvorschrift in ihrer Funktion als blankettausfiillendes Verweisungsobjekt^^. Denn durch die Inkorporation der Verordnungsvorschrift in ein innerstaatliches Blankettstrafgesetz wird sie formal zu deutschem Bundesrecht. SoUte sich eine blankettausfiillende EG-Verordnung z. B. als mit dem Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG) unvereinbar erweisen, zoge dieser Befund lediglich die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des Blankettgesetzes nach sich. Davon unbertihrt bliebe im Hinblick auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts die EGVerordnung in ihrem originaren Anwendungsbereich als Bestandteil des materiellen Gemeinschaftsrechts. Gemeinschaftsrechtsakzessorische Blankettstrafgesetze sind mit Art. 103 II, 84 104 I GG nur vereinbar, wenn der nationale Gesetzgeber (Demokratieprinzip) die wesentlichen Voraussetzungen der Straf- bzw. Ahndbarkeit hinreichend genau festgelegt hat (Bestimmtheitsgrundsatz) und dem EG-Verordnungsgeber nur die nahere Spezifizierung des Tatbestandes iiberlassen bleibt (Parlamentsvorbehalt)®°. Um eine „apokryphe Delegation" von Gesetzgebungsbefugnissen zu vermeiden und eine ausdriickliche Aufnahme des Verweisungsobjekts in den gesetzgeberischen Regelungswillen zu gewahrleisten, fordern einige Oberlandesgerichte eine statische Verweisung, welche die EG-Verordnung nach Artikel, Absatz, Unterabsatz und Buchstabe zitieren muss^^.
Vgl. hierzu Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 11; Satzger, Europaisiemng, S. 216 f; Jer^.,IntStR, §8Rn. 63. Krey, EWR 1981, 109, 152, 190 ff; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 61 ff., 75 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 237; a. A. Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 199. Diese Anfordemngen entsprechen denjenigen, die auch fiir Blankettverweisungen auf nationale Verweisungsobjekte gelten; vgl. BVerfGE 32, 346, 363; 75, 329, 342; 78, 374, 382 f; BVerfGNJW 1992, 2624; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 198 ff, 266. OLG Stuttgart NJW 1990, 657 f; ebenso Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 266.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
2. Grundtypen gemeinschaftsrechtsakzesson'scher Blankettstrafgesetze 85 Im deutschen Recht lassen sich zumindest drei typische Gesetzeskonstruktionen (Modelle) unterscheiden, die auf eine Sanktionierung von Zuwiderhandlungen gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht durch nationales Straf- und BuBgeldrecht abzielen^^.
a) Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Ver- oder Gebote einer EG-Verordnung 86 Modell 1: Das deutsche Straf- bzw. BuBgeldblankett bedroht Zuwiderhandlungen gegen einen unmittelbar geltenden Rechtsakt der EG mit Strafe. Bin Beispiel hierfiir findet sich in § 95 I N r . 11 AMG^^, der folgendes bestimmt: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2377/90 einen Stoff einem dort genanten Tier verabreicht." 87 Dieselbe Tatbestandskonstruktion liegt der BuBgeldnorm des § 14 I Nr. 3 AbfVerbrG®"^ zugrunde: „Ordnungswidrig handelt, wer entgegen Art. 5 Abs. 3 der EG-Abfallverbringungsverordnung eine Sendung nicht mit einer Kopie des Begleitscheins versieht." 88 Auch der Straftatbestand des § 39 I Nr. 2 Sortenschutzgesetz^^ folgt diesem Muster: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1, auch in Verbindung mit Abs. 4 S. 1 oder Abs. 5, der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 liber den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. EG Nr. L 227 S. 1) Material einer nach gemeinschaftlichem Sortenschutzrecht geschiitzten Sorte vermehrt, zum Zwecke der Vermehrung aufbereitet, zum Verkauf anbietet, in den Verkehr bringt, einfuhrt, ausfuhrt oder aufbewahrt." 89 Blankettbestimmungen dieser Kategorie sind im Hinblick auf Art. 103 II, 104 I GG verfassungsrechtlich unbedenklich, da sie die in Bezug genommene EGVerordnung jeweils durch eine statische Verweisung (Rn. 81) genau bezeichnen und die Art des VerstoBes hinreichend deutlich beschreiben^^. Unter dem Gesichtpunkt des Demokratieprinzips macht es keinen Unterschied, ob die Ausfiillung des Straf- bzw. BuBgeldblanketts durch nationales oder unmittelbar geltendes Ge82 83
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^^
Vgl. hierzu Satzger, Europaisiemng, S. 235 f Arzneimittelgesetz i. d. F. d. Bekanntmachung v. 11. Dezember 1998 (BGBl. I 1998, 3586). Gesetz iiber die Uberwachung und Kontrolle der grenzuberschreitenden Verbringung von Abfallen v. 30. September 1994 (BGBl. 11994, 2771). Sortenschutzgesetz i. d. F. v. 19. Dezember 1997 (BGBl. I 1997, 3164). Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 270 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 276 ff
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meinschaftsrecht erfolgt, da der nationale Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen hat, welche Verhaltensweisen (hier: die im Blankettgesetz beschriebene Zuwiderhandlung gegen ein bestimmtes Ge- oder Verbot einer genau bezeichneten EG-Verordnung) straf- bzw. buBgeldrechtlich relevant sein sollen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht problematischer sind Blankettbestimmungen, 90 die sich einer extensionalen Verweisungstechnik bedienen. Lehrreiches Anschauungsmaterial fiir die verfassungsrechtliche Diskussion bieten vor allem die gemeinschaftsrechtsbeziiglichen Straf- und BuBgeldblankette des Naturscliutzstrafrechts. Das im BNatSchG geregelte Naturschutzstrafrecht wurde letztmals durch das am 4. April 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege geandert^^. Die BuBgeldnorm des § 30 BNatSchG a. F. und die Strafnorm des § 30 a BNatSchG a. F. wurden - ohne wesentliche inhaltliche Anderungen - in die neuen §§ 65, 66 BNatSchG eingestellt. § 65 III Nr. 1 BNatSchG bestimmt: „Ordnungswidrig handelt, wer gegen die die Verordnung (EG) Nr. 338/97 verstoBt, indem er vorsatzlich oder fahrlassig entgegen Art. 4 Abs. 1 S. 1 oder Abs. 2 S. 1 oder Art. 5 Abs. 1 Oder Abs. 4 S. 1 ein Exemplar einer dort genannten Art einfUhrt, ausfiihrt oder wiederausfuhrt." Nach § 66 II BNatSchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren oder Geldstrafe 91 bestraft, wer u. a. eine in § 65 III Nr. 1 BNatSchG bezeichnete vorsatzliche Handlung begeht, die sich auf „Tiere oder Pflanzen einer streng geschiitzten Art" bezieht. „Streng geschiitzt" sind gem. § 10II Nr. 11 BNatSchG besonders geschiitzte Arten, die im Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 und in Anhang IV der RichtHnie 92/43/EWG des Rates v. 21. Mai 1992 (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie)^^ aufgefiihrt sind. Die §§65 III Nr. 1, 66 II BNatSchG dienen der Durchsetzung gemeinschafts- 92 rechtlicher Vermarktungsverbote. Sie kniipfen jeweils an die Verletzung der VO (EG) Nr. 338/97 des Rates v. 9. Dezember 1996 iiber den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Uberwachung des Handels (EGArtenschutzverordnung)^^ an. Der Geltungsbereich dieser Verordnung ergibt sich aus Art. 3, welcher auf vier Anhange (A bis D) verweist. In Anhang A sind z. B. rund 1 000 vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten aufgelistet, in Anhang B ca. 24 000 Tier- und Pflanzenarten. Aus Anhang A ergibt sich ebenso wie aus der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie die fiir die Anwendung des § 66 II BNatSchG bedeutsame Qualifikation von Tieren und Pflanzen als „besonders geschiitzte Arten". Die EG-Artenschutzverordnung wird erganzt durch die Durchfiihrungsverordnung EG Nr. 1808/01 der Kommission v. 30. August 200P°. Diese enthalt u. a. Konkretisierungen der EG-Artenschutzverordnung so wie Ausnahmen
Bundesnaturschutzgesetz v. 25. Marz 2002 (BGBl. I 2002, 1193); vgl. hierzu Gellermann, NVwZ 2002, 1025; Louis, NuR 2002, 385; Stich, UPR 2002, 161. ABIEG Nr. L 206, S. 7. ABlEGNr.L 61,8.1. ABlEGNr.L250, S. 1.
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vom Vermarktungsverbot. Falls etwa ein Tourist ermitteln will, ob er sich gem. §§65 III Nr. 1, 66 II BNatSchG strafbar macht, wenn er ein bestimmtes „Souvenir" nach Deutschland einfiihrt (das moglicherweise zu den „streng geschiitzten Arten" zahlt), so muss er eine lange Kette von Verweisungen im deutschen und europaischen Recht (Verordnungen oder Richtlinien) nebst Anhangen sowie Ausnahmebestimmungen nachvollziehen. Es darf bezweifelt werden, ob ein juristisch nicht geschulter Normadressat hierzu iiberhaupt in der Lage ist. Das Artenschutzund Naturschutzstrafrecht wendet sich schlieBlich nicht nur an mit besonderem Fachwissen ausgestattete Experten. 93 Der BGH schloss sich jedoch den in der Literatur^^ gegen die strukturgleichen Vorlauferbestimmungen (§§ 30 a, 30 I Nr. 3 BNatSchG a. F. i. V. m. VO (EWG) Nr. 3626/82) erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht an^^. Die Verweisung auf eine EG-Verordnung diene ausschlieBlich der weiteren Prazisierung des bereits bestimmten Straftatbestandes. Allein das Bestehen einer langen Verweisungskette, die eine Mehrzahl von Einzelvorschriften zusammenfasst, fiihre noch nicht zur Unbestimmtheit der Norm^^. Im tJbrigen sei diese Regelungstechnik im Nebenstrafrecht iiblich und diene der liickenlosen Erfassung komplexer Materien. Dem Demokratieprinzip (Parlamentsvorbehalt) werde dadurch Rechnung getragen, dass der deutsche Gesetzgeber die wesentlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit in einem formlichen Gesetz selbst festgelegt und dem europaischen Verordnungsgeber lediglich gewisse Spezifizierungen iiberlassen habe^^. b) Strafbarkeitslucken durch Austausch des Verweisungsobjekts 94 Blankettgesetze, die in ihrem objektiven Tatbestand auf eine bestimmte EGVerordnung verweisen, laufen stets Gefahr, im Falle einer Anderung des Verweisungsobjekts im wahrsten Sinne des Wortes „ins Leere" zu laufen^^. Strafbarkeitsund Ahndungsliicken drohen immer dann, wenn es dem deutschen Strafgesetzgeber nicht gelingt, die betroffenen Straf- bzw. BuBgeldblankette rechtzeitig an den geanderten EG-Rechtsakt anzupassen. 95 Beispielsfall: In einem vom BayObLG^^ zu entscheidenden Fall war dem Angeklagten vorgeworfen worden, mittels eines Werbeschreibens den Tatbestand der irrefiihrenden Werbung gem. § 67 I Nr. 2 WeinG a. F. i. V. m. einer EG-Verordnung erftillt zu haben. ^^ Vgl. nur Weber, Naturschutz mit den Mitteln des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, 1991,S. 86ff 92 BGHSt 42, 219; ebenso OLG Stuttgart NStZ-RR 1999, 161; krit. Hammer, DVBl 1997 401,404. 9^ Ebenso Stegmann, Artenschutz-Strafrecht, S. 112 ff 9"^ Ebenso Stegmann, Artenschutz-Strafrecht, S. 119 ff 95 Die Entscheidungen BVerfGE 81, 132; BGHSt 27, 181; OLG Koblenz NStZ 1989, 188; OLG Koln NJW 1988, 657; OLG Stuttgart NJW 1990, 657; OLG Stuttgart NStZRR 1999, 379; LG Bad Keuznach ZLR 2001, 899 vermitteln einen reprasentativen Uberblick liber die verschiedenen Problemlagen; vgl. hierzu Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 159 ff; Satzger, Europaisierung, S. 270 ff; ders., IntStR, § 8 Rn. 67 f; Schroder, ZLR 2004, 265, 267 ff 96
B a y O b L G S t 1992, 121.
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Diese EG-Verordnung - sie war an die Stelle einer frtiheren EG-Verordnung getreten - gait bereits zum Tatzeitpunkt. Obwohl feststand, dass der Angeklagte durch sein Verhalten sowohl gegen die alte als auch gegen die aktuelle EG-Verordnung verstoBen tiatte, sah sich das BayObLG mit Recht an einer Vemrteilung des Angeklagten gehindert. Die Anpassung des innerstaatlichen Rechts an die neue EG-Verordnung war namlich erst nach der Begehung der Tat in Kraft getreten. Eine Vemrteilung des Angeklagten auf der Grundlage des Tatzeitrechts musste also ausscheiden, well die alte EG-Verordnung von § 61 I Nr. 2 WeinG a. F. zwar noch in Bezug genommen wurde, aber zum Tatzeitpunkt nicht mehr gait. Der VerstoB gegen die zum Tatzeitpunkt bereits geltende neue EG-Verordnung konnte nicht bestraft werden, well er zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch nicht durch ein nationales Strafgesetz mit Strafe bedroht war. Dem Umstand, dass die neue EG-Verordnung eine Bestimmung enthielt, wonach Verweisungen auf die alte EG-Verordnung - also auch die Verweisungen des deutschen Weinstrafrechts - als Verweisungen auf die neue EGVerordnung anzusehen seien, maB das BayObLG richtigerweise keine Bedeutung fiir das deutsche Strafrecht bei. Da die Gemeinschaft tiber keine Rechtsetzungskompetenz im Bereich des Kriminalstrafrechts verfiigt (§ 4 Rn. 101), vermag die in der neuen EGVerordnung enthaltene Ubergangsbestimmung keine verbindliche Anordnung tiber die Anwendbarkeit einer deutschen Strafbestimmung zu treffen. Das Problem der Entstehung von Strafbarkeits- und Ahndungsllicken verscharft 96 sich vor dem Hintergrund des Lex-mitior-Grundsatzes des § 2 III StGB, welcher folgendes besagt: „Wird das Gesetz, dass bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geandert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden." Eine entsprechende Regelung enthalt § 4 III OWiG. Die mildeste aller Rechtsla- 97 gen ist die Straflosigkeit^''. War die Handlung des Taters auch nur an einem Tag zwischen Tatbegehung und Urteilszeitpunkt straflos, so wirkt diese Straflosigkeit aufgrund des § 2 III StGB zuriick. Selbst wenn die Mitgliedstaaten Kenntnis von einer bevorstehenden Anderung strafrechtsrelevanter EG-Rechtsakte haben, ist es ihnen nicht immer moglich, mit dem relativ zeitaufwendigen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren rechtzeitig zu reagieren. Es ist also denkbar, dass ein sowohl zum Tatzeitpunkt als auch zum Urteilszeitpunkt mit Strafe bedrohter VerstoB gegen Gemeinschaftsrecht nur deshalb straflos bleiben muss, well es zv^ischenzeitlich infolge einer nicht rechtzeitig vorgenommenen Anpassung des nationalen Strafgesetzes an das geanderte Verv^eisungsobjekt (EG-Verordnung) eine Ahndungsliicke gab. Vor diesem Hintergrund erklart sich das Bestreben des deutschen Gesetzgebers, Regelungsmodelle anzuwenden, die es ermoglichen sollen, ohne Durchfiihrung eines aufwendigen Gesetzgebungsverfahrens auf Anderungen der EG-Rechtslage zu reagieren und Sanktionierungsliicken zu vermeiden (vgl. hierzu die nachfolgend beschriebenen Modelle 2 und 3).
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BGH NStZ 1992, 535, 536; Schonke/Schroder/E^er, § 2 Rn. 29; LK-Gribbohm, § 2 Rn. 24; Konig, in: Gohler, OWiG, § 4 Rn. 5 a.
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c) Strafbewehrung von Gemeinschaftsrecht durch Festlegungen des deutschen Verordnungsgebers 98 Modell 2: Der deutsche Verordnungsgeber wird gesetzlich ermachtigt, durch Riickverweisung die Normen des Gemeinschaftsrechts naher zu bezeichnen, deren Verletzung in einer vorgeformten Blankettnorm mit BuBgeld oder Strafe bedroht sind. 99 Blankettgesetze dieser Kategorie verweisen im Gegensatz zur erstgenannten nicht selbst auf die zu bewehrende EG-Verordnung, sondern tiberlassen dem nationalen Verordnungsgeber die Festlegung, welches gemeinschaftsrechtliche Ge- oder Verbot buBgeld- oder strafbewehrt sein soil. Dabei bedient sich der Gesetzgeber sog. jjRiickverweisungsklauseln^'. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Gesetzgebungstechnik - wie oben ausgefiihrt - das Ziel, einem zeitaufwendigen formellen Gesetzgebungsverfahren zu entgehen, welches um der Vermeidung von Strafbarkeitsliicken willen durchgefiihrt werden miisste, wenn sich das Verweisungsobjekt (EG-Verordnung) als zentraler Bestandteil des Blankettgesetzes andert. Exemplarisch fiir Modell 2 stehen Straf- und BuBgeldblankette wie §§ 48 I Nr. 3, 4, 49 Nr. 6, 7, 50 II Nr. 12 WeinG^s jeweils i. V. m. § 51 WeinG; §§ 58 III Nr. 1, 2, 59 III Nr. 1, 2 a, b, 60 IV Nr. 1 a, b LFGB^Q jeweils i. V. m. § 62 I Nr. 1, 2 a, b LFGB; §§ 26 I Nr. 11, 27 I Nr. 3 ChemG^oo sowie § 144II, VI MarkenG^oi. 100 Anschauungsmaterial fiir die verfassungsrechtliche Diskussion soil im Folgenden das Strafblankett des § 49 Nr. 6 WeinG liefern. Die Bestimmung lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen einer unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europaischen Gemeinschaft ein Erzeugnis mit irreftihrenden Bezeichnungen, Hinweisen, sonstigen Angaben oder Aufmachungen in den Verkehr bringt, einfiihrt, ausftihrt oder zum Gegenstand der Werbung macht, soweit eine Rechtsvorschrift nach § 51 ftir einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist." 101 Erganzt wird die Strafbestimmung durch § 51 Nr. 1 WeinG: „Das Bundesministerium fiir Verbraucherschutz, Emahmng und Landwirtschaft wird ermachtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, soweit dies zur Durchsetzung der Rechtsakte der Europaischen Gemeinschaften erforderlich ist, die Tatbestande zu bezeichnen, die als Straftat nach § 48 I Nr. 3 oder 4 oder § 49 Nr. 6 oder 7 zu ahnden sind." 102 Von dieser Ermachtigung hat der Verordnungsgeber in der Verordnung zur Durchsetzung des gemeinschaftlichen Weinrechts (DurchsVO)''^^ Gebrauch gemacht. In § 3 DurchsVO werden bestimmte vorsatzlich begangene VerstoBe gegen 98 99 100 101 102
Weingesetz i. d. F. d. Bekanntmachung v. 16. Mai 2001 (BGBl. I 2001, 985). Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch - LFGB - v. 1. September 2005 (BGBl. I 2005, S. 2618). Chemikaliengesetz i. d. F. v. 20. Juni 2002 (BGBl. I 2002, 3082). Markengesetz i. d. F. v. 19. Juh 1996 (BGBL 11996, 1014). DurchsVO i. d. F. d. Bekanntmachung v. 7. August 2001 (BGBl. 12001, 2159).
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dort bezeichnete EG-Verordnungen dem Straftatbestand des § 49 I Nr. 6 WeinG unterstellt. tjber § 49 Nr. 6 WeinG (und gleich strukturierte Straf- und BuBgeldblankette) 103 diirfte aus mehreren Griinden das Verdikt der Verfassungswidrigkeit zu fallen sein^°^. Die Strafbestimmung iiberlasst die zentrale Grundentscheidung, das „Ob" der Strafbarkeit, dem Verordnungsgeber und unterlauft damit den von Art. 103 II, 104 I GG geforderten Parlamentsvorbehalt. Zwar beschreibt § 49 Nr. 6 WeinG bestimmte Tathandlungen („Inverkehrbringen", „Einfuhren" usw.) und benennt die tauglichen Tatobjekte („Erzeugnis mit irrefiihrenden Bezeichnungen" usw.). Strafbares Unrecht stellen die genannten Verhaltensweisen jedoch nur dar, wenn sie gegen Gemeinschaftsrecht verstoBen. § 49 Nr. 6 WeinG gibt die einschlagigen EG-Verordnungen aber nicht selbst an, sondern begniigt sich insoweit lediglich mit einer pauschalen Verweisung auf alle unmittelbar geltenden Vorschriften in Rechtsakten der EG. Erst der Verordnungsgeber und nicht - wie vom Grundgesetz gefordert - das Parlament, legt durch die genaue Bezeichnung der EG-Verordnung die wesentliche Strafbarkeitsbedingung fest, welche GemeinschaftsrechtsverstoBe liberhaupt tatbestandsrelevant sind. Etwas zugespitzt formuliert lassen sich derartige Verweisungen in ihrem sachlichen Gehalt auf folgende Tatbestandsfassung reduzieren, welche die glatte Aushebelung des Parlamentsvorbehalts deutlich werden lasst^°^: „Strafbar bzw. ahndbar ist, wer gegen eine Vorschrift in unmittelbar geltenden Rechtsakten der EG verstoBt, die nach Ansicht eines Verordnungsgebers straf- bzw. buBgeldbewehrt sein soil." Strafblankette dieser Art geraten regelmaBig auch in Konflikt mit Art. 80 I S. 2 104 GG, da sich erst aus der nationalen Rechtsverordnung, nicht aber schon aus dem Blankettgesetz vorhersehen lasst, welchen Inhalt die bewehrten Ge- und Verbote haben werden''^^. SchlieBlich verstoBen sie, soweit sie dynamische Verweisungen auf das jeweils geltende Gemeinschaftsrecht enthalten, aus dem der Verordnungsgeber die zu bewehrenden EG-Rechtsakte erst noch auswahlen und festlegen soil, gegen das von Art. 103 II GG geforderte Gebot der Normenklarheit (Bestimmtheitsgebot)^°^. Art. 103 II GG verlangt, dass die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe schon aufgrund des Gesetzes und nicht erst aufgrund der hierauf gestiitzten Rechtsverordnung vorhersehbar sind. Der Konflikt mit dem Parlamentsvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot tritt 105 noch deutlicher zutage bei denjenigen Straf- und BuBgeldblanketten, die - wie §§ 48 I Nr. 4, 49 Nr. 7 WeinG; §§ 58 III Nr. 2, 59 III Nr. 2, 60IV Nr. 1, 2 LFGB die Bewehrung des jeweils geltenden Gemeinschaftsrechts von der Entscheidung des nationalen Verordnungsgebers dariiber abhangig machen, ob die zu bewehrende EG-Verordnung inhaltlich einer Regelung (nationale Rechtsverordnung) ^^^ Vgl. hierzu Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 265 ff.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S.148 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 281 f; ders., IntStR, § 8 Rn. 66. 104 Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 149. 105 Satzger, Europaisiemng, S. 282; ders., IntStR, § 8 Rn. 66; Volkmann, ZRP 1995, 220 ff; Ziekow, JZ 1999, 963, 968. Ambos, IntStR, § 11 Rn. 28; Satzger, Europaisiemng, S. 282; TvondlQ/Fischer, § 1 Rn. 5.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
entspricht, zu deren Erlass das nationale Gesetz ermachtigt (sog. „Entsprechungsklausel") So bestimmt z. B. § 58 III Nr. 2 LFGB: „Ebenso (Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe) wird bestraft, wer einer anderen als in Absatz 2 genannten unmittelbar geltenden Vorschrift in Rechtsakten der Europaischen Gemeinschaft zuwiderhandelt, die inhaltlich einer Regelung entspricht, zu der die in Absatz 1 Nr. 18 genannten Vorschriften ermachtigen, soweit eine Rechtsverordnung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 fur einen bestimmten Tatbestand auf diese Vorschrift verweist." 106 Zu den in § 58 I Nr. 18 LFGB genannten Ermachtigungsnormen gehort § 13 I Nr. 2 LFGB. Diese ermachtigt den deutschen Verordnungsgeber zum Erlass einer Regelung (Rechtsverordnung), die fiir bestimmte Lebensmittel besondere Anforderungen an das Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen stellt. Damit wird dem Verordnungsgeber bereits auf nationaler Ebene ein umfassender Spielraum zur Bewehrung iiberlassen, der sich jedoch auf gesetzlich vorgegebene Spezifizierungen beschrankt und daher den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots noch geniigt. Durch die in § 62 I Nr. 1 LFGB erteilte Ermachtigung an den Verordnungsgeber, diejenigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auszuwahlen und zu bezeichnen, die einer nach § 13 I Nr. 2 LFGB erlassenen Rechtsverordnung inhaltlich entsprechen, wird die verfassungsrechtliche Grenze jedoch iiberschritten. Nicht der Gesetzgeber trifft hier die konstitutive Entscheidung liber die Voraussetzungen der Strafbarkeit, sondern der Verordnungsgeber, dem sowohl die Auswahl beziiglich der Bezeichnung von Verhaltensweisen als auch deren normative Bewertung iiberlassen ist. Aus Sicht des Normadressaten stellen Strafblankette dieser Art ein schier undurchdringliches ,,Verweisungsgestriipp" dar, die dem Bestimmtheitsgebot nicht mehr gerecht werden^^''. 107 Modell 3: Der deutsche Verordnungsgeber wird gesetzlich ermachtigt, innerhalb eines bestimmten Rahmens zur Absicherung und Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Ge- oder Verbote BuBgeld- oder Strafvorschriften zu erlassen. Exemplarisch fiir dieses Regelungsmodell steht das BuBgeldblankett des § 1 III Nr. 2 HandelsklassenG^ °^: „Soweit es zur Durchfiihrung von Verordnungen des Rates oder der Kommission der Europaischen Gemeinschaften uber Qualitatsnormen, Verkaufsnormen oder ahnliche Vorschriften, die einer Regelung nach diesem Gesetz entsprechen, erforderlich ist, kann der Bundesminister im Einvemehmen mit den Bundesministem fiir Jugend, Familie und Gesundheit und fiir Wirtschaft mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung das Zu-
Die Annahme von Verfassungswidrigkeit der §§58 III Nr. 1, 2, 59 III Nr. 1, 2 a, b, 60 IV Nr. 1 a, b LFGB (friiher in §§ 56-59 LMBG geregelt) entspricht der h. L.; vgl. nur Dannecker/Gortz-Leible, Entsanktionierung der Straf- und Bufigeldvorschriften des Lebensmittelrechts, 1996, S. 88 ff.; Enderle, Blankettstrafgesetze, S. 265 ff.; Kuhne, ZLR 2001, 379, 387 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 283 f.; MuKoStGB/Schmitz, § 1 Rn. 51; a. A. Schroder, ZLR 2004, 265, 270 ff.; Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht Bd. 2, Loseblatt, Vor § 56 LMBG Rn. 2 ff. Handelsklassengesetz v. 5. Dezember 1968 (BGBl. 11968, 1303).
D. Auspragungen des Assimiliemngsprinzips im deutschen Strafrecht
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widerhandeln gegen bestimmte in den Verordnungen des Rates oder der Kommission enthaltene Gebote oder Verbote mit GeldbuBe bis zu 10.000 EURO bedrohen." Den Anforderungen der Art. 103 II, 104 I GG kann diese Tatbestandskonstruktion 108 ebenso wenig gerecht werden wie die Modell 2 zuzuordnenden Blankettbestimmungen. § 1 III Nr. 2 HandelsklassenG enthalt eine Pauschalermachtigung des nationalen Verordnungsgebers, in dem von der Vorschrift relativ grob umrissenen Rahmen Ge- und Verbote des Gemeinschaftsrechts zu sanktionieren. Es bleibt dem Verordnungsgeber erstens iiberlassen, zu entscheiden, welche EG-Rechtsakte iiber Qualitatsnormen, Verkaufsnormen oder „ahnliche Vorschriften" einer Regelung nach diesem Gesetz entsprechen und zweitens, aus den fiir einschlagig eingestuften EG-Rechtsakten diejenigen auszuwahlen, die buBgeldbewehrt sein sollen. Im Ubrigen diirfte § 1 III Nr. 2 HandelsklassenG auch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoBen, da er die Voraussetzungen der Ahndbarkeit im Hinblick auf die dynamische Verweisung auf jeweils geltendes Gemeinschaftsrecht nicht bereits aus sich heraus hinreichend deutlich erkennen lasst^°^.
3. Zusammenfassende Wiirdigung Die Bestandsaufnahme der in der deutschen Blankettgesetzgebung anzutreffenden 109 Regelungsmodelle fiihrt zu dem ernlichternden Ergebnis, dass eine Vielzahl von Straf- und BuBgeldblanketten, die der Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Geund Verbote dienen, mit den Vorgaben der Art. 103 II, 1041 GG nicht in Einklang stehen. Verfassungsrechtlich unbedenklich sind nur statische Verweisungen auf bestimmte EG-Rechtsakte im formlichen Strafgesetz (Modell 1). Diese laufen jedoch - wie gezeigt - stets Gefahr, infolge einer Anderung des Verweisungsobjekts ins Leere zu laufen. Sanktionsliicken tun sich auf, wenn das nationale Strafgesetz nicht rechtzeitig an den geanderten EG-Rechtsakt angepasst wird. Aus verfassungsrechtlichen Griinden bietet die Einschaltung des Verordnungsgebers als „Anpassungsinstanz" (Modelle 2 und 3) keinen gangbaren Ausweg aus der Problemlage, Der rechtstechnisch einfachste Weg, eine zuverlassige und liickenlose Strafbewehrung des Gemeinschaftsrechts zu erzielen, bestiinde darin, der Gemeinschaft selbst die Sanktionsgewalt fiir VerstoBe gegen EG-Rechtsakte zu iibertragen. Diese Moglichkeit scheitert bislang an dem fehlenden Willen der Mitgliedstaaten, der EG durch eine Anderung des EGV strafrechtliche Legislativbefugnisse einzuraumen. Solange allein die Mitgliedstaaten fiir den strafrechtlichen Schutz von Gemeinschaftsinteressen zustandig sind, muss die Suche nach rechtsstaatlich vertretbaren Losungen, die eine rasche Anpassung des Blankettstrafrechts an geanderte EG-Verordnungen ermoglichen, weitergehen.
Satzger, Europaisierung, S. 284 f.
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§ 7 Assimiliemngsprinzip
E. Literaturhinweise Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11 Rn. 14-36 Bleckmann, Anmerkung zum Fall „Griechischer Mais", WUR 1991, 285 Base, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 409-424 Dannecker, Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, JURA 1998, 79 ders., in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 120-122, 151-160 ders., Die Dynamik des materiellen Strafrechts unter dem Einfluss europaischer und internationaler Entwicklungen, ZStW 117 (2005), S. 697 ders.. Das materielle Strafrecht im Spannungsfeld des Rechts der EU, JURA 2006, 95 Enderle, Blankettstrafgesetze, 2000, S. 54-58, 198-200, 265-271 Groblinghoff, Die Verpflichtung des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europaischen Gemeinschaften, 1996, S. 9-37 Moll, Europaisches Strafrecht durch nationale Blankettstrafgesetzgebung?, 1998, passim Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 188-290, 210-290, 328-392 ders., Internationales und Europaisches Strafrecht, 2005, §§ 7-8 Tiedemann, Anmerkung zum Fall „Griechischer Mais", EuZW 1990, 100 ders., Europaisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, 23 ders., EG und EU als Rechtsquellen des Strafrechts, FS f. Roxin, 2001, S. 1401
F- Rechtsprechungshinweise EuGHE 1977, 137 („Amsterdam Bulb" - Befugnis zur Sanktionierung von EG-RechtsverstoBen) EuGHE 1984, 1891 {„von Colson w/xJZama/2fz" - Diskriminierungsverbot) EuGHE 1989, 2965 ff. = EuZW 1990, 99 („Griechischer Mais" - Gleichstellungsgebot und Mindesttrias) EuGHE 1990, 2911 {^Hansen" - verschuldensunabhangige Strafbarkeit) EuGHE 1991, 4371 („Strafverfahren gegen Paul Vandevenne u. a." - keine Pflicht zur Einfuhrung einer strafrechtlichen Verbandshaftung) EuGHE 1997, 6959 („Franzosische Landwirte" - strafrechtliche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten) EuGH NJW 2003, 3185 = EuZW 2003, 592 („Brennerblockade" - strafrechtiiche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten) BGHSt 17, 121 (Bedeutung der Verweisungsnorm des Art. 194 EAGV) BGHSt 42, 219 (Verfassungskonformitat von Blankettbestimmungen des BNatSchG) BayObLGSt 1992, 121 (Strafbarkeitsliicken infolge Austausches des Verweisungsobjekts)
G. Zusammenfassung von § 7
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G- Zusammenfassung von § 7 Die EG ist mangels eigener Rechtssetzungsbefugnisse auf dem Gebiet des Krimi- 110 nalstrafrechts nicht in der Lage, durch originare europaische Strafgesetze selbst fiir den strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgiiter zu sorgen. Sie ist daher darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch die Ausgestaltung und Anwendung ihres Strafrechts dafiir Sorge tragen, strafwiirdige und strafbediirftige VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht wirksam zu bekampfen. Die Indienststellung (Instrumentalisierung) nationaler Straf- und BuBgeldnormen zum Schutze von Gemeinschaftsinteressen bzv^. zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Ge- und Verbote bezeichnet man als Assimilierung. Durch einige wenige Assimilierungsbestimmungen des primaren Gemeinschaftsrechts entstehen neue, abgeleitete Strafrechtsnormen, die nach h. M. genuines Gemeinschaftsstrafrecht konstituieren und insow^eit eine Ausnahme von dem Grundsatz der fehlenden Strafrechtssetzungsgewalt der Gemeinschaft darstellen. Ein Beispiel hierfiir ist die deutsche Strafnorm des § 154 I StGB, deren Tatbestand im Lichte des Art. 30 EuGH-Satzung wie folgt zu lesen ist: „Wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zustandigen Stelle oder vor dem Gerichtshof der Europaischen Gemeinschaft falsch schwort, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft." Von ungleich groBerer praktischer Bedeutung sind freilich Assimilierungsgebote, die der EuGH aus dem in Art. 10 EGV verankerten Grundsatz der Gemeinschaftstreue ableitet. In dem beriihmten „Mais-Urteir', dem ein Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Griechische Republik zugrunde lag, postulierte der EuGH die Pflicht der Mitgliedstaaten, VerstoBe gegen das Gemeinschaftsrecht nach ahnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu verfolgen v^ie nach Art und Schv^ere vergleichbare Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht (Gleichstellungserfordernis). Zv^ar verbleibe den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen. Die nationalen Stellen miissten aber bei VerstoBen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften weaken lieBen. Daruber hinaus mussten die angedrohten Sanktionen jedenfalls wirksam, verhaltnismafiig und abschreckend (sog. „Mindesttrias") sein. Als strafrechtlich zu schiitzende Gemeinschaftsinteressen kommen neben dem Finanzhaushalt der EG (vgl. Art. 280 I-IV EGV) vor allem die Unbestechlichkeit ihrer Beamten, die Wahrung von Dienstgeheimnissen, die europaische Rechtspflege und die Realisierung der Grundfreiheiten, aber auch die Durchsetzung der Gemeinschaftspolitiken etwa auf den Gebieten der Marktorganisation, des Wettbewerbs, des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes in Betracht. Das vom EuGH auf der Grundlage von Art. 10 EGV ausgeformte gemein- 111 schaftsrechtliche Rahmensystem fiir mitgliedstaatliches Strafrecht im Dienste des Gemeinschaftsrechts legt zum einen Untergrenzen fiir Sanktionierungspflichten fest, die nicht unterschritten w^erden dtirfen. Mitgliedstaatliches Strafrecht darf zum anderen aber auch bestimmte Obergrenzen, die sich aus den Grundfreiheiten und allgemeinen Rechtsgrundsatzen des Gemeinschaftsrechts ergeben, nicht iiberschreiten. Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen, in den das mitgliedstaatliche
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§ 7 Assimilierungsprinzip
Strafrecht eingebunden ist, belasst den Mitgliedstaaten jedoch einen relativ breiten Spielraum fiir die inhaltliche Ausgestaltung dieser Sanktionsnormen. Einerseits sind die Mitgliedstaaten nicht zur Einfiihrung einer Strafbarkeit juristischer Personen oder zur Schaffung einer verschuldensunabhangigen (objektiven) strafrechtlichen Verantwortlichkeit verpflichtet. Andererseits steht es ihnen frei, auf nationaler Ebene genau diese strafrechtlichen MaBnahmen zu ergreifen. 112 Dem aus der Loyalitatspflicht (Art. 10 EGV) und - bezogen auf den Schutz der EG-Finanzinteressen - aus Art. 280 II EGV abzuleitenden Assimilierungserfordernis kann zum einen durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Strafrechtsnormen Rechnung getragen werden, soweit dies das innerstaatliche Verfassungsrecht und die nationale Strafrechtsdogmatik zulassen. Eine in der deutschen Gesetzgebungspraxis libliche Methode, die zu einer Ausdehnung des Schutzbereiches deutscher Strafgesetze fiihrt, ist zum anderen der Erlass von Gleichstellungsbestimmungen (vgl. § 264 VII S. 2 Nr. 2 StGB; Art. 2 § 1 EUBestG) sowie von gemeinschaftsrechtsakzessorischen Straf- und BuBgeldblanketten. Diese Blanketttatbestande zeichnen sich dadurch aus, dass sie die vorsatzliche oder fahrlassige Zuwiderhandlung gegen eine blankettausfiillende EG-Verordnung, auf die sie verweisen, mit Strafe oder BuBgeld bedrohen. Verfassungsrechtlich unbedenklich sind jedoch nur statische Verweisungen auf bestimmte EG-Rechtsakte im formlichen Strafgesetz. Diese laufen jedoch stets Gefahr, infolge einer Anderung des Verweisungsobjekts ins Leere zu laufen mit der Folge, dass Ahndungsliicken entstehen. Die in der deutschen Gesetzgebung weit verbreitete Regelungspraxis, die Bezeichnung des Verweisungsobjekts dem Verordnungsgeber zu iiberlassen, steht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 801 S. 2, 103 II, 104 IGG nicht in Einklang.
§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
A. Strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis Fall 1: Die Kommission legte am 23. Marz 1990 einen ersten Vorschlag fiir den Erlass einer Richtlinie zur Bekampfung der Geldwasche in den Mitgliedstaaten^ vor. In den Erwagungsgriinden soUte nach dem Willen der Kommission ausgefuhrt werden, dass die Geldwasche vor allem mit strafrechtlichen Mitteln und im Rahmen der intemationalen Zusammenarbeit zwischen den Justiz- und Vollstreckungsbehorden zu bekampfen sei. Art. 2 des Richtlinienvorschlags enthielt die Anweisung: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafiir, dass das Waschen von Erlosen aus schweren Straftaten nach ihren nationalen Rechtsvorschriften als strafbare Handlung gilt." Die schlieBlich vom Rat am 10. Juni 1991 erlassene Geldwascherichtlinie^ schrieb aber lediglich vor: Art. 2: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafiir, dass Geldwasche im Sinne dieser Richtlinie untersagt wird." Art. 14: „Jeder Mitgliedstaat trifft geeignete MaBnahmen, um die vollstandige Anwendung aller Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen, und legt insbesondere fest, wie VerstoBe gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu ahnden sind." Frage 1: Vor welchem rechtspolitischen Hintergrund ist die Ablehnung des Kommissionsvorschlags v. 23. Marz 1990 zu sehen? - Frage 2: Bestehen gegen die in Art. 14 der Geldwascherichtlinie v. 10. Juni 1991 enthaltene Anweisung kompetenzrechtliche Bedenken? Frage 3: Ermachtigt der EGV zum Erlass einer spezifisch kriminalstrafrechtlichen Richtlinienregelung, wie sie in Art. 2 des ersten Kommissionsvorschlags vorgesehen war?
Vorschlag fiir eine RichtHnie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zumZwecke der Geldwasche (ABIEG 1990 Nr. C 106, S. 6). Richtlinie 91/308/EWG des Rates v. 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche (ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77). Hinweis: Am 26. Oktober 2005 wurde die Dritte Geldwascherichtlinie erlassen (ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15), die noch wesendich detailliertere strafrechtliche Vorgaben enthalt; vgl. hierzu nur SchroderlTextor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 26.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
I. Anweisungskompetenz der EG und mitgliedstaatliche Handlungspflicht In den letzten Jahren hat die Konimission zahlreiche Anlaufe unternommen, den Mitgliedstaaten im Wege von Sekundarrechtsvorgaben (EG-Verordnungen und Richtlinien) die Verpflichtung aufzuerlegen, nationale Strafbestimmungen zum Schutze bestimmter Gemeinschaftsinteressen zu erlassen^. Anweisungen dieser Art wirken sich auf einen Gesetzgebungsbereich aus, der in den ausschlieBlichen Zustandigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fallt ( § 4 Rn. 101). Damit stellt sich aus europarechthcher Sicht die vielfach diskutierte Grundsatzfrage, ob der EG eine Anweisungskompetenz auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts tiberhaupt zusteht und wie weit diese ggf. reicht. Zentrale Voraussetzung fiir die Begriindung einer strafrechtHchen Anweisungskompetenz und einer damit korrelierenden Verpflichtung der MitgHedstaaten ist - ausgehend von dem Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung ( § 4 Rn. 54) - der Nachweis einer entsprechenden Rechtsgrundlage im Primarrecht. Dabei ist die Anweisungskompetenz streng von der Rechtsetzungskompetenz zu unterscheiden, welche der Gemeinschaft im Bereich des Kriminalstrafrechts gerade nicht eingeraumt wurde. Die genannten Kompetenzarten unterscheiden sich im Hinblick auf ihren jeweiligen Regelungsgegenstand und ihr Regelungsziel. Eine Anweisung erzeugt keine unmittelbar geltenden Strafrechtsnormen, sondern beinhaltet lediglich eine an die Mitgliedstaaten adressierte gesetzgeberische Handlungspflicht. Den nationalen Gesetzgebern wird im Ziel verbindlich vorgeschrieben, nationales Strafrecht zu schaffen. Das typische Instrument der Anweisung ist die Richtlinie (§ 4 Rn. 64). Die Anweisung, Strafgesetze zu schaffen, kann aber auch in einer (unmittelbar in alien Mitgliedstaaten geltenden) Verordnung ( § 4 Rn. 62) enthalten sein, wenn diese vorschreibt, dass der VerstoB gegen ein Verordnungsgebot oder -verbot mit strafrechtHchen Mitteln zu sanktionieren ist"^. Eine solche Verordnung beinhaltet dann hinsichtlich der Sanktionierungsverpflichtung materiell eine richtlinienahnliche Anweisung an die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber, so dass insoweit - ausnahmsweise - eine Umsetzung der Verordnung durch einen nationalen Legislativakt erforderlich und zulassig ist. Unmittelbar anwendbares Strafrecht vermag allein der nationale Gesetzgeber zu schaffen. Die Strafbarkeit des Einzelnen folgt also stets aus dem nationalen Recht, nicht etwa aus einer Richtlinie oder Verordnung. Wenn eine Anweisung so detaillierte Vorgaben iiber Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen enthalt, dass dem nationalen Gesetzgeber praktisch tiberhaupt kein eigener inhaltlicher Ausgestaltungsspielraum mehr verbleibt, nahert sie sich bedenklich stark einem kompetenzrechtlich unzulassigen Rechtsetzungsakt an.
Vgl. hierzu Dannecker, JZ 1996, 869, 873 f.; ders., JURA 1998, 79, 81; ders., JURA 2006, 95, 97 f; Hecker, JA 2002, 723, 726 f; Hugger, Strafrechthche Anweisungen, S. 48 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 393 ff. Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 77 ff; Satzger, Europaisierung, S. 394.
A. Strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis
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Beispiel: Der Rat erlasst eine Richtlinienbestimmung des Inhalts „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vorsatzliche und fahrlassige Zuwiderhandlungen gegen die in Art. 1 der Verordnung (EG) xy genannten Ge- und Verbote mit einer Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren Oder Geldstrafe bestraft werden." - Eine derart konkrete Anweisung wiirde den nationalen Gesetzgebem keinerlei Umsetzungsspielraum mehr belassen. Sie kame im Ergebnis fast einem supranationalen Strafgesetz in Form einer unmittelbar in alien Mitgliedstaaten anwendbaren EG-Verordnung gleich, welche bestinunt: „Wer vorsatzlich oder fahrlassig den in Art. 1 der Verordnung (EG) xy genannten Ge- oder Verboten zuwiderhandelt, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren oder Geldstrafe bestraft." Anweisungen dieser Art stellen eine unzulassige Umgehung der fehlenden Strafrechtsetzungskompetenz der EG dar. Dieser Befund gibt Anlass, die kompetenzrechtlich zulassige Reichweite der Anweisungsbefugnis („Anweisungsdichte") zu bestimmen. An der begrifflichen und rechtlichen Unterscheidung zwischen Anweisungs- und Rechtsetzungskompetenz ist aber festzuhalten^.
II. Kontroverse Standpunkte von Kommission und Mitgliedstaaten Wahrend die Kommission und das Europaische Parlament (EP)^ schon mehrfach zu erkennen gegeben haben, dass sie die Gemeinschaft fiir ermachtigt halten, durch den Erlass von Sekundarrechtsakten auf die mitgliedstaatlichen Strafrechtssysteme Einfluss zu nehmen, stehen die nationalen Regierungen einer solchen Anweisungskompetenz der EG grundsatzlich ablehnend gegentiber. Die deutsche Bundesregierung lehnt eine Anweisungsbefugnis der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts seit jeher entschieden ab und pocht auf das Recht der Mitgliedstaaten, Uber die Setzung und Ausgestaltung strafrechtlicher Normen souveran, d. h. nach eigenem Ermessen zu bestimmen''. Der Bundesrat vertritt die gleiche Auffassung^. Dies bedeutet nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht bereit waren, Strafvorschriften zum Schutze von Gemeinschaftsinteressen zu erlassen. Jedoch resultieren solche Rechtsetzungsakte aus ihrer Sicht nicht aus einer sekundarrechtlich begriindeten Umsetzungsverpflichtung, sondern bleiben Ausdruck einer souveran getroffenen einzelstaatlichen Entscheidung.
Unzutr. Wegener!Greenawalt, ZUR 2005, 585, 586, die aus einer fehlenden Rechtsetzungszustandigkeit der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts auf eine fehlende Anweisungskompetenz schlieBen. Richtlinienanweisungen an die Mitgliedstaaten lassen jedoch die Kompetenzverteilung unberuhrt, sofem den Mitgliedstaaten ein ausreichender Umsetzungsspielraum verbleibt. Vgl. exempl. die in ABIEG 1977, Nr. C 57, S. 55 f., 1974, Nr. C 93, S. 24 und 1994 Nr. C 20, S. 185 abgedruckten EntschlieBungen des EP. Vgl. zum Meinungsstand Satzger, Europaisierung, S. 400 ff.; vgl. auch die Stellungnahme der Bundesregierung in BT-Drs. 14/4991, S. 9. Vgl. BR-Drs. 98/92, S. 11; BR-Drs. 657/01, S. 1.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
8 Der Widerstand der Mitgliedstaaten gegen Versuche der Kommission, spezifisch kriminalstrafrechtliche Anweisungen in Richtlinien oder Verordnungen festzuschreiben, lasst sich exemplarisch an den folgenden drei Beispielen aus der Sekundarrechtspraxis aufzeigen^.
1. Kommissionsvorschlag fur eine Geldwascherichtlinie Die Richtlinie 91/308/EWG des Rates der Europaischen Gemeinschaften v. 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche („Geldwascherichtlinie")''° wird haufig als praktischer Anwendungsfall fiir Gemeinschaftsinitiativen genannt, die in Form einer Richtlinienanweisung zu einer strafrechtlichen Regelung auf nationaler Ebene geftihrt haben^ ^. Mit dem Terminus „Geldwasche" werden gemeinhin Vorgange bezeichnet, die darauf abzielen, die illegale Existenz, Quelle oder Verwendung von Geld oder geldwerten Giitern zu verbergen bzw. so zu bemanteln, dass sie aus einer legalen Herkunft herzuriihren scheinen. Dies geschieht regelmaBig in der Weise, dass durch kriminelle Aktivitaten erlangte Vermogenswerte in den legalen Finanzkreislauf eingeschleust werden. Es liegt auf der Hand, dass die liberalisierten Wirtschafts- und Finanzstrukturen des zusammenwachsenden Europas kriminellen Wirtschaftsteilnehmern vielfaltige Moglichkeiten eroffnen, „schmutzige" (d. h. aus illegalen Handlungen oder Geschaften wie z. B. Betaubungsmittelhandel herriihrende) Vermogenswerte in den legalen Wirtschaftskreislauf des Binnenmarktes einzuschleusen, zu verwerten oder zu erneuten illegalen Aktivitaten zu nutzen. Das Phanomen „Geldwasche" tritt daher in hohem MaBe grenzliberschreitend auf 2. Als Reaktion auf die wachsende Aktivitat krimineller Organisationen entstanden zahlreiche internationale tJbereinkunfte so wie nationale Regelungen zur Bekampfung der Geldwasche. Wichtigstes Instrument zur Bekampfung der Geldwasche auf Gemeinschaftsebene ist die oben genannte Geldwascherichtlinie^^. Die Richtlinie zielt auf eine einheitliche Ausgestaltung der auf nationaler Ebene zu ergreifenden GeldwaschebekampfungsmaBnahmen sowie auf eine europaweit koordinierte Bekampfung der Geldwasche ab.
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Vgl. zu gescheiterten Vorhaben der Kommission Dieblich, Schutz der Rechtsgiiter der EG, S. 262 ff und Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 35 ff ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77. Amhos, ZStW 114 (2002), S. 236, 242 ff.; Braum, StV 2003, 576, 577; Dannecker, JURA 1998, 79, 83; ders., Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 96; Hecker, JA 2002, 723, 726; Mehlhom, Strafverteidiger als Geldwascher, S. 188 ff; Vogel, ZStW 109 (1997), S. 335 ff Zu den Gefahrdungspotentialen der Geldwasche vgl. Gentzik, Europaisierung des Geldwaschestrafrechts, S. 30 ff; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 331 ff; Mehlhom, Strafverteidiger als Geldwascher, S. 17 ff Am 26. Oktober 2005 wurde die Dritte Geldwascherichtlinie erlassen (ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15); vgl. hierzu nur Schroder/Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 26.
A. Strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis
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Losungshinweise zu Fall 1 (Frage 1): Gegen den von der Kommission am 23. 10 Marz 1990 vorgelegten ersten Vorschlag fiir den Erlass einer Richtlinie zur Bekampfung der Geldwasche in den Mitgliedstaaten^"^, der die Mitgliedstaaten in Art. 2 anwies, dafiir zu sorgen, dass das Waschen von Erlosen aus schweren Straftaten nach ihren nationalen Rechtsvorschriften als strafbare Handlung gilt, auBerte der Wirtschafts- und Sozialausschuss des Rates in seiner Stellungnahme v. 19. September 1990 nicht nur Bedenken gegen die von der Kommission angefuhrte Kompetenzgrundlage. Dariiber hinaus bemerkte er, ^.--d^ss die Ausweitung der Befugnisse der Gemeinschaft auf das Strafrecht juristische Einwande aufwirft, die einer Klarstellung bediirfen."^^ Dennoch hielt die Kommission in dem geanderten Richtlinienvorschlag v. 30. November 1990 an dem urspriinglichen Wortlaut des Art. 2 fest^^. Auch das EP verlangte in seiner Stellungnahme v. 22. November 1990 lediglich die Streichung des Adjektivs „schweren" vor dem Wort „Straftaten"'''', was zugleich den grundsatzlichen Rechtsstandpunkt des EP in der Frage einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG sichtbar werden lasst. Die in den Vorschlagen der Kommission und der befiirwortenden Stellung- 11 nahme des EP zum Ausdruck gelangende Forderung, die Mitgliedstaaten durch eine ausdriickliche Richtlinienanweisung zur Setzung strafrechtlicher Normen zu verpflichten, scheiterte letztlich jedoch an den Souveranitatsvorbehalten der Mitgliedstaaten. Zu den Ratsmitgliedern, die eine Annahme des Kommissionsvorschlags verhinderten, gehorte insbesondere auch der deutsche Vertreter^^. Bereits zuvor hatte der deutsche Bundesrat dem Kommissionsvorschlag in einer Stellungnahme entgegengehalten, die Gemeinschaft verfiige iiber keine Kompetenz, die Mitgliedstaaten zum Erlass von Strafvorschriften zu verpflichten^^. In der schlieBlich vom Rat am 10. Juni 1991 erlassenen Geldwascherichtlinie^^ wird den Mitgliedstaaten lediglich die recht vage formulierte Verpflichtung auferlegt, dafiir zu sorgen, dass Geldwasche im Sinne dieser Richtlinie untersagt wird (Art. 2). Wenn den Mitgliedstaaten in Art. 14 vorgegeben wird, „geeignete MaBnahmen" zu treffen, um die voUstandige Anwendung aller Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen und insbesondere festzulegen, wie VerstoBe gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften „zu ahnden" sind, so bringt dies alienfalls eine politische Empfehlung zum Ausdruck, die den Mitgliedstaaten nahe legt, kriminalstrafrechtliche MaBnahmen zur Bekampfung der Geldwasche zu ergreifen. ^"^ Vorschlag fiir eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zumZwecke der Geldwasche (ABIEG 1990 Nr. C 106, S. 6). 15 ABIEG 1990 Nr. C 332, S. 86, 87 f 16 Anderung des Vorschlags fur eine Richtlinie des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zumZwecke der Geldwasche (ABIEG 1990 Nr. C 319, S. 9). 17 ABIEG 1990 Nr. C 324, S. 257, 259. 1^ FUlbier, wistra 1996, 49, Fn. 5. 19 20
BR-Drs. 288/90, S. 1 f Richtlinie 91/308/EWG des Rates v. 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems z u m Z w e c k e der Geldwasche (ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77).
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der E G
12 Eine notfalls im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH (Art. 226 EGV; § 4 Rn. 47) durchsetzbare Verpflichtung zur Schaffung bestimmter Straftatbestande wird damit jedoch gerade nicht begriindet. 13 Zwar waren sich die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen dariiber einig, dass Geldwasche trotz der allgemein gehaltenen Formulierung der Richtlinie mit strafrechtlichen Mitteln bekampft werden sollte^''. Ihre diesbezugliche tJbereinstimmung darf aber nicht dahingehend interpretiert werden, dass sie eine entsprechende Verpflichtung kraft Sekundarrechtsanweisung akzeptiert hatten^^. Vielmehr ergab sich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einfuhrung eines Kriminalstraftatbestandes bereits aus Art. 3 Nr. 1 und 4 lit. a des Wiener Ubereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen^^ v. 20. Dezember 1988 (§ 5 Rn. 8) und aus Art. 6 Nr. 1 des Europaischen Ubereinkommens uber Geldwasche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten V. 8. November 19902"^ (§ 5 Rn. 20). Die Richtlinie verweist auf beide tJbereinkommen. Der spater in Deutschland durch das Gesetz zur Bekampfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalitat v. 15. Juli 1992 in das StGB eingefugte neue Straftatbestand der Geldwasche (§ 261 StGB) beruht somit zwar auch, aber eben nicht ausschlieBlich auf der Ersten Geldwascherichtlinie^^. Daher ist es zwar einerseits durchaus zutreffend, darauf hinzuweisen, dass § 261 StGB auf eine Gemeinschaftsinitiative zurtickzufuhren ist. Es ware aber andererseits verfehlt, § 261 StGB als Beispiel fiir originar gemeinschaftsrechtsgezeugtes Strafrecht anzufuhren. 14 Losungshinweise zu Fall 1 (Frage 2): Bei der in Art. 14 Geldwascherichtlinie 91/308/EWG enthaltenen Anweisung handelt es sich um eine deklaratorische Bestimmung, die lediglich eine bereits aus Art. 10 EGV (Loyalitatsgebot) abzuleitende Sanktionierungsverpflichtung konkretisiert. Die Richtlinienbestimmung ist daher kompetenzrechtlich unbedenklich. 15 Bereits durch die am 28. Dezember 2001 in Kraft getretene RL 2001/97/EG26 (Zweite Geldwascherichtlinie) ist die RL 91/308/EWG mit dem Ziel geandert worden, einen weiterhin hohen Schutzstandard bei der Bekampfung der Geldwasche zu etablieren^^. Mit der Neufassung sollte der Finanzsektor so weit wie mog21 Vgl. den Wortlaut ihrer Erklarung in ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77, 83. 22 Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 45 f. 23 BGBl. I I 1 9 9 3 , 1137, I I 1 9 9 4 , 496; vgl. hierzu Lagodny, IRhSt, V D 2a. 24 ETS (= European Treaty Service) Nr. 141; BGBL I I 1 9 9 8 , 519; 2000, 1304; 2001, 339. 25 Ambos, Z S t W 114 (2002), S. 236 ff.; Hugger, StrafrechtHche Anweisungen, S. 43 ff; MiXKoSiGB/Neuheuser, 2003, § 261 Rn. 22; Satzger, Europaisierung, S. 398; Vogel, Z S t W 109 (1997), S. 335, 337; Schroder I Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 16 ff 26 ABIEG 2001 Nr. L 344, S. 76 ff 27 Vgl. hierzu Ambos, Z S t W 114 (2002), S. 236, 238; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 98 Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 343 ff; Schroder/Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 20; v. d. GroobQn/Schww^ze/Wasmeier/Jour-Schroder, Art. 29 E U V Rn. 45; krit. Braum, StV 2003, 576, 577.
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lich in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen werden. Dartiber hinaus wurde der Tatbestand der Geldwasche auf das Erlangen von Erlosen aus einem breiteren, liber Drogenstraftaten deutlich hinausgehenden Spektrum strafbarer Vortaten ausgedehnt (vgl. Art. 1 lit. e RL 2001/97/EG). Zudem wurden auch Notare, Rechtsanwalte^^, Abschlusspriifer, externe Buchpriifer, Steuerberater und Immobilienmakler, Spielkasinobetreiber sowie Handler hochwertiger Outer und Versteigerer grundsatzlich in den Adressatenkreis der von der Richtlinie statuierten Pflichten einbezogen, wobei den Mitgliedstaaten jedoch ein relativ breiter Umsetzungsspielraum verblieb. Noch wesentlich detailliertere strafrechtliche Vorgaben enthalt die am 26. Oktober 2005 erlassene Dritte Geldwascherichtlinie 2005/60/EG des EP und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche einschlieBlich der Finanzierung des Terrorismus v. 26. Oktober 2005^^ (zur Harmonisierungskompetenz der EG vgl. Rn. 53 ff.). Als Beispiel sei die Definition der fur den Vortatenkatalog des § 261 StOB relevanten „schweren Straftaten" in Art. 3 Nr. 5 lit. a-f RL 2005/60/EO genannt^°. Erganzt wird die strafrechtliche Bekampfung der Geldwasche durch den auf Art. 31 lit. a, c und e EUV gestlitzten Rahmenbeschluss des Rates v. 26. Juni 2001 uber Geldwasche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Ertragen aus Straftaten^^ der die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Wertersatzstrafe sowie fiir schwere Straftaten Mindesthochststrafen von vier Jahren Freiheitsstrafe einzuflihren ( § 1 1 Rn. 45 ff.)^^.
^^
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Zur Diskussion iiber eine etwa erforderliche teleologische Reduktion des § 261 StGB in Fallen einer Annahme von Strafverteidigerhonoraren, die aus einer Katalogtat des Mandanten herruhren vgl. TrondldFischer, § 261 Rn. 32 ff. und Mehlhom, Strafverteidiger als Geldwascher, S. 141 ff jew. m. w. N. Der BGH ist diesen Vorschlagen nicht gefolgt (BGHSt 47, 68). Das BVerfG hat jedoch am 30. Marz 2004 entschieden, dass § 261 II Nr. 1 StGB nur dann mit der Verfassung vereinbar ist, wenn der Strafverteidiger bei Annahme des Honorars sichere Kenntnis von dessen illegaler Herkunft aus einer Katalogtat habe (BVerfG StV 2004, 254). ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15.
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Vgl. hierzu BGHSt 50, 347, 355; Schroder/Textor,
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ABIEG 2001 Nr.L 182, S.l. Nach Auffassung der Konmiission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH V. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgmndlage (Art. 47 II, 95 EGV) gestutzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 7 (Anhang).
GwG, Vor § 261 StGB Rn. 26, 30.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
2. Kommissionsvorschlag fur eine Verordnung iiber die Einfiihrung des Euro 16 Die Kommission legte am 18. Dezember 1996 einen Vorschlag fiir den Erlass einer Verordnung iiber die Einfiihrung des Euro^^ vor, der in Art. 12 die Anweisung enthalt: „Die teilnehmenden Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachahmungen und Falschungen von Banknoten und Munzen angemessen bestraft werden." 17 In den Erwagungsgriinden der Verordnung sollte festgehalten werden, dass Banknoten und Munzen eines „angemessenen Schutzes vor Falschungen" bedtirfen. Vor diesem Hintergrund sollte nach dem Willen der Kommission eine ausdriickliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung entsprechender Strafbestimmungen statuiert werden. Mit diesem Vorschlag vermochte sich die Kommission indes nicht durchzusetzen. Die am 3. Mai 1998 erlassene Verordnung des Rates iiber die Einfiihrung des Euro^"^ entspricht dem Vorschlag der Kommission zwar insoweit, als in den Erwagungsgriinden auf die Notwendigkeit eines „angemessenen Schutzes vor Falschungen" hingewiesen wird. Als Sanktionsregelung enthalt die Verordnung in Art. 12 jedoch keine ausdriickliche strafrechtliche Anweisung, sondern begniigt sich mit der „weichen" Formulierung: „Die teilnehmenden Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es angemessene Sanktionen fiir Nachahmungen und Falschungen von Euro-Banknoten und Euro-Munzen gibt." 18 Die Verordnung iiberlasst es mithin den Mitgliedstaaten, wie sie den strafrechtlichen Schutz des Euro sicherstellen. Den Erlass spezifisch kriminalstrafrechtlicher MaBnahmen legt die Verordnung zwar nahe, schreibt sie aber nicht explizit vor. Letzteres ware kompetenzrechtlich unbedenklich gewesen, da sich eine strafrechtliche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten bereits aus dem allgemeinen Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV ergibt^^. Die in Art. 12 des Verordnungsvorschlages vorgesehene Sanktionierungsanweisung hat somit rein deklaratorischen Charakter. Dass selbst eine rein deklaratorische Sanktionsverpflichtung keinen Eingang in die spater erlassene Verordnung fand, bestatigt die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten, ihre Souveranitat auf dem Gebiet der Strafgesetzgebung zu verteidigen. 19 Am 29. Mai 2000 hat der Rat auBerhalb des Gemeinschaftsrechts, namlich auf der Grundlage des Art. 31 lit. e EUV, einen Rahmenbeschluss iiber die Verstarkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfalschung im Hinblick auf die Einfiihrung des Euro verabschiedet, der am 30. Mai 2000 in Kraft getreten ist^^. Durch diesen im Rahmen der dritten Vgl. Vorschlag fur eine Verordnung (EG) des Rates iiber die Einfiihrung des Euro V. 7. Dezember 1996 (ABIEG 1996 Nr. C 369, S. 10). Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3. Mai 1998 iiber die Einfiihrung des Euro; ABIEG 1998 Nr. L 139, S. 1; vgl. hierzu Kilb, JuS 1999, 10 ff 35 Borries/ReppUnger-Hach, NJW 1996, 3111, 3116; C Schroder, NJW 1998, 3179 f 36 ABIEG 2000 Nr. L 140, S. 1.
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Saule erlassenen Rechtsakt werden alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Falschungshandlungen einschlieBlich des (grenzuberschreitenden) Inverkehrbringens strafrechtlich zu erfassen (§11 Rn. 13 ff.)^''. In Deutschland sind die Falschgelddelikte (§§ 146 ff. StGB) unmittelbar auf 20 das Eurobargeld anwendbar, welches hier seit 1. Januar 2002 gesetzliches Zahlungsmittel ist^^. Einer Gesetzesanderung bedurfte es hierfur nicht, da die bestehenden Strafgesetze einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung (Schutz der neubegriindeten Geldgewalt der Gemeinschaft) zuganglich sind^^. 3. Kommlssionsvorschlag fiir eine Richtlinie zum Umweltstrafrecht und Urteil des EuGH zur EG-Anweisungskompetenz Vor dem Hintergrund regionaler und globaler Umweltprobleme hat sich in vielen 21 Staaten der Welt die Einsicht durchgesetzt, dass die Umwelt nicht allein durch den Einsatz des Privat- und Verwaltungsrechts, sondern auch mit dem Instrument strafrechtlicher Repression zu schiitzen isf^^. Wie die rechtsvergleichende Forschung lehrt, gibt es heute in Europa keine Rechtsordnung mehr, die auf das Strafrecht als Mittel des Umweltschutzes ganzlich verzichtet'^''. Von einem einheitlichen europaischen Umweltschutzstandard kann allerdings nicht die Rede sein. Angesichts der erheblichen juristischen und praktischen Probleme, vor die sich die Strafverfolger vor allem in Fallen grenziiberschreitender Umweltkriminalitat gestellt sehen'^^, erscheint die Forderung unabweisbar, einheitliche umweltstrafrechtliche Standards in den europaischen Staaten zu schaffen. Nur ein vereinheitlichtes europaisches Umweltstrafrecht vermag der Einsicht Rechnung zu tragen, dass die Bewahrung einer intakten Umwelt im Sinne der Erhaltung und des Schutzes der natUrlichen Lebensgrundlagen schon per se ein universelles und nicht nur ein nationales Interesse darstellt"^^. Hinzu kommt, dass divergierende umweltstrafrechtliche Standards in den Mitgliedstaaten ein Strafrechtsgefalle schaffen, dass zu Wettbewerbsverzerrungen fUhren kann und damit das Binnenmarktziel konterkariert^"^.
^'^ Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH V. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgrundlage (Art. 123 IV EGV) gestutzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 7 (Anhang). 38 Trondle/Fischer, § 146 Rn. 2; Vogel, ZRP 2002, 7, 9. 3^ Satzger, Europaisiemng, S. 585. 40 Heine, UPR 1987, 281; ders., ZStW 101 (1989), S. 722, 724 ff ^^ Heine, Umweltstrafrecht in mittel- und sudeuropaischen Landem, 1997, passim; CornilslHeine, Umweltstrafrecht in den nordischen Landem, 1994, passim; EserlHeine (Hrsg.), Umweltstrafrecht in England und den USA, 1994, passim; Knaut, Europaisiemng des Umweltstrafrechts, S. 145-238. 42 43
Hecker, Z S t W 115 (2003), S. 880 ff m. w. N . Eisele, Harmonisiemng des Umweltstrafrechts, S. 134, 140 f; Hopfel,
1996, S. 425, 426 f 44
Knaut, Europaisiemng des Umweltstrafrechts, S. 306.
Triffterer-FS,
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
22 Das Ziel der Harmonisierung des Umweltstrafrechts in Europa wird bereits von der Konvention des Europarates zum Schutz der Umwelt durch Strafrecht V. 4. November 1998 verfolgt"^^. In diesem - bisher nur von Estland ratifizierten Ubereinkommen werden umweltstrafrechtliche Tatbestande formuliert, die von den beitretenden Staaten in nationales Recht umzusetzen sind. Bisher ist jedoch noch nicht einmal die fiir das Inkrafttreten der Konvention erforderliche Mindestzahl von 3 Ratifikationen zustande gekommen. Es besteht jedoch die begriindete Aussicht, dass es in absehbarer Zeit gelingen wird, wenigstens in den 27 MitgUedstaaten der EU einen einheitUchen umweltstrafrechtlichen Mindeststandard zu etablieren. 23 Die Kommission hat am 13. Marz 2001 einen auf Art. 175 EGV gestutzten Richtlinienvorschlag uber den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vorgelegt"^®. Nach Auffassung der Kommission reichen die derzeitigen Sanktionen der Mitgliedstaaten nicht aus, um die vollstandige Einhaltung des umweltschutzbezogenen Gemeinschaftsrechts zu gewahrleisten. Nicht alle Mitghedstaaten wiirden strafrechtliche Sanktionen gegen die schwerwiegendsten Verletzungen des Umweltrechts der Gemeinschaft vorsehen. Nach wie vor komme es hier oft zu ernsten VerstoBen gegen das Gemeinschaftsrecht, die nicht mit hinreichend wirksamen und abschreckenden Sanktionen geahndet wiirden. Art. 3 des Richtlinienvorschlages sieht deshalb eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um bestimmte Tatigkeiten unter Strafandrohung zu stellen, wenn sie vorsatzlich oder grob fahrlassig begangen werden und die folgende Umweltschutzvorschriften der Gemeinschaft und/oder Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Umsetzung solcher Vorschriften der Gemeinschaft verletzen: 1. Abieitung von Kohlenwasserstoffen, Altolen oder Klarschlamm in Gewasser; Ablagerung, Abieitung oder Beseitigung einer Menge von S toff en in die Atmosphare, in den Boden oder in Gewasser und Behandlung, Beseitigung, Lagerung und Beforderung sowie Aus- oder Einfuhr gefahrlicher Abfallstoffe; 2. Beseitigung von Abfallen auf dem oder im Boden oder in Gewassern einschHeBlich des Betriebes einer Abfalldeponie; 3. Besitz, Entnahme, Beschadigung oder Totung von sowie Handel mit geschiitzten wildlebenden Tier- oder Pflanzenarten oder Teilen davon; 4. erhebliche Schadigung geschtitzter Lebensraume; 5. Handel mit Stoffen, die zum Abbau der Ozonschicht fiihren; 6. Betrieb einer Anlage, in der eine gefahrliche Tatigkeit ausgeiibt wird oder in der gefahrliche Stoffe oder Zubereitungen gelagert oder verwendet werden. Convention sur la protection de Tenvironnement par le droit penal; European Treaty Series (ETS) Nr. 172. Der Konventionstext sowie der jeweils aktuelle Ratifikationsstand konnen auf der homepage des Council of Europe im Internet abgemfen werden unter http://conventions.coe.int. Vgl. hierzu ausfiihrlich Knaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 243-295. KOM (2001) 139 endg.; ABIEG 2001 Nr. C 180 E, S. 238; vgl. hierzu Eisele, Harmonisierung des Umweltstrafrechts, S. 134, 142 ff; Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, passim.
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Nach Art. 4 des Richtlinienvorschlages haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, 24 dass bei Straftaten gemaB Art. 3 sowie Beihilfe und Anstiftung zu diesen Straftaten wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhangt werden konnen. Genauere Vorgaben zur Ausgestaltung des Allgemeinen und des Besonderen Teils des Umweltstrafrechts sowie zur Rechtsfolgenseite enthalt der Richtlinienvorschlag nicht. Hinsichtlich natiirlicher Personen sollen die Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionen vorsehen, einschlieBlich des Freiheitsentzuges in schwerwiegenden Fallen. Juristische Personen sollen in angemessenen Fallen mit dem Ausschluss von offentlichen Zuwendungen oder Hilfen, voriibergehenden oder standigen Verboten von Handelstatigkeiten oder mit richterlicher Aufsicht beziehungsweise einer richterlich angeordneten Auflosung bedroht werden. Der Richtlinienvorschlag enthalt keine Regelungsvorgaben zum Bereich des Strafverfahrens. Es wird den Justizbehorden der Mitgliedstaaten Uberlassen, zu entscheiden, ob die Straftaten nach Art. 3 in jedem Fall zu verfolgen sind, oder ob sie Moglichkeiten zum Absehen von Strafe in Fallen von geringer Bedeutung vorsehen, in denen die Auswirkungen auf die Umwelt vernachlassigt werden konnen. Bereits in der Vergangenheit haben die im Rat vertretenen Mitgliedstaaten un- 25 ter Berufung auf ihre nationale Souveranitat Richtlinienvorschlage mit kriminalstrafrechtlichen Anweisungen zurtickgewiesen (Rn. 9 ff.). So auch in diesem Fall. Aufgrund bestehender Kompetenzvorbehalte der Mitgliedstaaten lehnte der Rat mit iiberwaltigender Mehrheit die Annahme der von der Kommission vorgeschlagenen Richtlinie ab. Stattdessen aktivierten die Mitgliedstaaten nach langen Verhandlungen das Instrumentarium der PJZS (§ 5 Rn. 69 ff.). Am 27. Januar 2003 verabschiedete der Rat der Europaischen Union einen Rahmenbeschluss iiber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht, der am 6. Februar 2003 in Kraft getreten ist"^^. Auch nach Auffassung der Mitgliedstaaten stellt die Bekampfung der Umweltkriminalitat eine staateniibergreifende Angelegenheit dar, die abgestimmte strafrechtliche MaBnahmen erfordere. Der Rahmenbeschluss stellt unter Beriicksichtigung des Richtlinienvorschlags der Kommission und der Europaratskonvention einen Katalog umweltkrimineller Handlungen auf, die - wenn sie vorsatzlich oder zumindest grob fahrlassig begangen werden - mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen zu bedrohen sind. Inhaltlich lehnt sich der Rahmenbeschluss weitgehend an das tjbereinkommen des Europarates (Rn. 22) an, dessen Umsetzung in deutsches Recht im Hinblick auf die Verhandlungen auf EU-Ebene zurtickgestellt worden war. Bemerkenswert sind vor allem die in dem Rahmenbeschluss vorgesehenen Eignungsdelikte im Bereich des Gewasser-, Luftund Bodenschutzes sowie des Abfallstrafrechts. Die Kommission stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass ein gemein- 26 schaftsrechtlicher Besitzstand bei Umweltkriminalitat nur durch das Gemeinschaftsrecht festgelegt werden konne und miisse. Dies gelte insbesondere fUr die Definition der umweltbelastenden Tatigkeiten, die strafbar sein sollen und die allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen vorzusehen. Insoweit bestehe also kein Raum fUr die Annahme eines Rechtsaktes nach ABIEG 2003 Nr. L 29, S. 55; vgl. hierzu Eisele, Harmonisierung des Umweltstrafrechts, S. 134, 146 ff; Knaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 340 ff.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
Art. 34 EUV. Die Kommission reichte daher eine Klage auf Nichtigerklarung des Rahmenbeschlusses beim EuGH ein. Damit bestand fiir den EuGH Gelegenheit, erstmalig iiber die Frage der Existenz einer kriminalstrafrechtlichen Anweisungskompetenz zu entscheiden. Eine aus Art. 29, 47 EUV abzuleitende Befugnis der Mitgliedstaaten, MaBnahmen im Rahmen der dritten Saule zu treffen, kommt nur in Betracht, wenn hierdurch nicht unzulassig eine Gemeinschaftskompetenz hier in Form einer strafrechtlichen Anweisungsbefugnis - beschnitten wird"^^. 27 Mit Urteil v. 13. September 2005 erklarte der EuGH - dem Schlussantrag von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer folgend - den Rahmenbeschluss iiber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht fiir nichtig"^^. Der EuGH hob hervor, dass die Kompetenzen der Gemeinschaft nach Art. 47 und 29 EUV durch die Bestimmungen des EUV unberiihrt bleiben, wie insbesondere im Wortlaut „ Unheschadet der Befugnisse der Europdischen Gemeinschaft... " zum Ausdruck gelange. Der Umweltschutz sei eines der wesentlichen Ziele der Gemeinschaft. In Art. 2 EGV werde die Aufgabe der Gemeinschaft beschrieben, „ ein hohes Mafi an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualitdt'' zu fordern und Art. 3 I Buchst. 1 EGV sehe zu diesem Zweck „eine Politik auf dem Gebiet der Umwelt" vor. Dariiber hinaus miissten nach Art. 6 EGV „die Erfordernisse des Umweltschutzes...bei der Festlegung und Durchfuhrung der ...Gemeinschaftspolitiken und -mafinahmen...einbezogen werden'\ was den Querschnittscharakter und die grundlegende Bedeutung dieses Zieles verdeutliche. Die Art. 174-176 EGV stellen - so der EuGH - grundsatzlich den Rahmen dar, in dem die gemeinschaftliche Umweltpolitik durchzufiihren sei. Art. 174 EGV fUhre die Ziele der Umweltpolitik auf und Art. 175 EGV lege das Verfahren zur Erreichung dieser Ziele fest. Grundsatzlich falle das Strafrecht ebenso wie das Strafprozessrecht nicht in die Zustandigkeit der Gemeinschaft. Dies konne den Gemeinschaftsgesetzgeber jedoch nicht daran hindern, MaBnahmen in Bezug auf das Strafrecht der Mitghedstaaten zu ergreifen, die erforderUch sind, um die voile Wirksamkeit der von ihm zum Schutz der Umwelt erlassenen Rechtsnormen zu gewahrleisten, wenn die Anwendung wirksamer, verhaltnismaBiger und abschreckender Sanktionen durch die zustandigen nationalen Behorden eine zur Bekampfung schwerer Beeintrachtigungen der Umwelt unerlassliche MaBnahme darstellt. Die in Art. 135 S. 2 EGV bzw. Art. 280 IV S. 2 EGV enthaltenen Vorbehaltsklauseln („Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleiben...unberiihrt.") stunden der Annahme einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG jedenfalls im Bereich der Umweltpolitik nicht entgegen. Nach den Darlegungen des EuGH steht somit fest, dass der Rahmenbeschluss des Rates iiber den Schutz der Umwelt durch Strafrecht in unzulassiger Weise in die Kompetenz der EG Ubergreift und daher fiir nichtig zu erklaren ist. Von einem Teil der Litera-
Vgl. hierzu Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 92 f m. w. N.; Pohl, ZIS 2006, 213, 216 f und v. d. Gvoobtn/Sdmarze/Wasmeier/Jour-Schroder, Vorbem. zu den Art. 29 bis 42 EUV Rn. 49 ff.. Art. 29 EUV Rn. 52 f Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden EuGH EuZW 2005, 632 ff. = JZ 2006, 307 ff = ZIS 2006, 179 ff = EWS 2005, 454.
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tur ist das Urteil des EuGH sehr kritisch bewertet worden^°, was angesichts der schon seit jeher geauBerten Vorbehalte gegen Strafrechtskompetenzen der EG kaum zu uberraschen vermag. Nach hier vertretener Ansicht verdient das Urteil im Ergebnis BeifalP^ Der EuGH bestatigt die schon friiher in der Literatur vertretene Ansicht, dass sich aus den Kompetenzgrundlagen des EGV (hier: Art. 175 EGV) ungeachtet der fehlenden Zustandigkeit der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts eine Rechtsangleichungsbefugnis in Form einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz ableiten lasst (vgl. hierzu Rn. 40, 44 ff.). Die nicht ganz frei von Polemik geauBerte Befiirchtung, hiermit werde der Weg fur eine „Totalharmonisierung des Strafrechts"^^ geebnet und der nationale Gesetzgeber zum „Brusseler Lakaien"^^ degradiert, geht an der Rechtswirklichkeit vorbei und ubersieht die vom Gemeinschaftsrecht abgesteckten Grenzen, die der Angleichung mitgliedstaatlichen Strafrechts gesetzt sind (Rn. 63 ff.). Der von der Kommission vorgelegte Richtlinienvorschlag iiber den straf- 28 rechtlichen Schutz der Umwelt v. 15. Marz 2001 (Rn. 23) kann somit auf die Kompetenzgrundlage des Art. 175 EGV gestutzt werden. Jedoch sollte durch Anlegung materieller Strafbarkeitskriterien eine deutlichere Grenzziehung zu bloBem Verwaltungs- bzw. Ordnungsunrecht gewahrleistet werden. Der schlichte VerstoB gegen gemeinschaftsrechtliches Umweltrecht vermag die Verhangung kriminalstrafrechtlicher Sanktionen nicht zu legitimieren. Gerechtfertigt ist der Einsatz des Kjiminalstrafrechts nur, wenn ein solcher VerstoB zu einer ernsthaften Gefahrdung Oder Verletzung von Individual- oder UmweltrechtsgUtern fiihrt („additional qualitative and substantial requirements"^"^). Auch der EuGH stellt darauf ab, dass die Anwendung wirksamer, verhaltnismaBiger und abschreckender Sanktionen eine zur Bekampfung „schwerer Beeintrdchtigungen der Umwelt unerldssliche Mafinahme " darstellen miisse^^. Der Kommissionsvorschlag sollte daher unter Berucksichtigung der genannten materiellen Strafbarkeitsbedingungen vom Rat erneut beraten und mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit (Art. 251 II EGV) als Richtlinie beschlossen werden, was freilich voraussetzt, dass die Mitgliedstaaten ihre ablehnende Haltung gegeniiber einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz aufgeben^®. Damit ware der Weg zu einem europaischen Umweltstrafrecht im Sinne vereinheitlichter umweltstrafrechtlicher Mindeststandards beschritten.
^0 Hefendehl, ZIS 2006, 161 ff.; Heger, JZ 2006, 310 ff; Kaiafa-Gbandi, ZIS 2006, 521, 523 ff; Pohl, ZIS 2006, 213 ff; Wegener/Greenawalt, ZUR 2005, 585 ff ^1 Zust. auch Diehm, wistra 2006, 366, 368 ff; Schdfer, JA 2006, 342 ff und Bose, GA 2006, 211 ff, der weitergehend als EuGH und h. L. sogar eine Strafrechtsetzungsbefagnis der EG bejaht. 52
Hefendehl,
53 5"^
2005, 585, 588. Hefendehl ZIS 2006, 161, 167 im Anschluss an Schunemann, StV 2003, 531. Heine/Ringelmann, Approximation of Europ. Criminal Legislation, in: Comte/Kramer (Hrsg.), Environmental Crime in Europe, 2004, S. 199, 207 ff
ZIS 2006, 161, 166, 167 („Brusseler Krake"); Wegener!Greenawalu
55
E u G H E u Z W 2005, 632, 634 (Rz. 48).
56 feg^r,JZ 2006, 310, 311.
ZUR
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
III. EG-Anwelsungen mit Strafrechtsbezug - bisherlge Praxis 7. Ausgangslage 29 Bestrebungen der Kommission, die Mitgliedstaaten auf die Ergreifung spezifisch kriminalstrafrechtlicher MaBnahmen zum Schutz gemeinschaftsrechtlicher Interessen festzulegen, waren angesichts der mitgliedstaatlichen Souveranitatsvorbehalte bislang nur von bescheidenem Erfolg gekront. Kompetenzrechtlich unbedenklich sind sekundarrechtliche Anweisungen, soweit sie lediglich eine bereits aus dem Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV abzuleitende Sanktionierungspflicht deklaratorisch wiedergeben bzw. konkretisieren^'^. Charakteristisch fiir die Praxis sind daher Richtlinien und Verordnungen, die lediglich eine allgemein formulierte Forderung nach abschreckenden, wirksamen und verhaltnismaBigen Sanktionen enthalten, ohne deren Art und inhaltliche Ausgestaltung im Einzelnen festzulegen. Insbesondere wird in einschlagigen Rechtsakten die zurlickhaltende Formulierung gewahlt, die Mitgliedstaaten batten „geeignete" oder „erforderliche" MaBnahmen zum Schutz bestimmter Interessen zu treffen. Typisch ist z. B. die Anweisung in der GeldwascherRL 91/308/EWG (Rn. 1), die den Mitgliedstaaten in Art. 14 aufgibt, „geeignete MaBnahmen zu treffen, um die vollstandige Anwendung aller Bestimmungen dieser Richtlinie sicherzustellen und insbesondere festzulegen, wie VerstoBe gegen die aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu ahnden sind" Oder Art. 5 der RL 79/409/EWG des Rates zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten^^, der die Mitgliedstaaten anweist, „die erforderlichen MaBnahmen zur Schaffung einer allgemeinen Regelung zum Schutz aller unter Art. 1 fallenden Vogelarten" zu treffen. Sekundarrechtsakte dieser Auspragung iiberlassen es den nationalen Gesetzgebern, nach eigenem pflichtgemaBem Ermessen zu beurteilen, ob es zum Schutz eines bestimmten Gemeinschaftsinteresses der Schaffung einer Strafnorm iiberhaupt bedarf, wie diese auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite ggf. zu gestalten und in das vorhandene Strafrechtssystem zu integrieren ist. Von der Moglichkeit, den Mitgliedstaaten eine Sanktionierungspflicht aufzugeben, hat die EG mehrfach Gebrauch gemacht^^. Die folgenden Beispiele entstammen dem Lebensmittel-, Umwelt- und Wirtschaftsrecht. 2. Beispiele selcundarreclrtiiciier Anweisungen zu SanlctionsmaBnaiimen a) Verordnung uber Vermarktungsnormen fiir bestimmte Lebensmittel 30 Das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes fiir landwirtschaftliche Erzeugnisse (Art. 32 EGV) erfordert die Schaffung einer gemeinsamen Agrarpolitik, die insbesondere eine gemeinsame Organisation der Agrarmarkte umfassen muss. Die Be^'7 Eisele, JZ 2001, 1157, 1158; Satzger, Europaisierung, S. 395, 459. 58 ABIEG 1979 Nr.L 103,8.1. 5^ Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2. Kap. Rn. 92 ff; Dieblich, Schutz der Rechtsgtiter der EG, S. 269 f; Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 48 ff; Satzger, Europaisierung, S. 396 ff
A. Strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis
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schreibung, Klassifizierung und auBere Aufmachung kann erhebliche Auswirkungen auf die Vermarktung von Lebensmittel haben und beriihrt somit die Interessen der Wettbewerber (Erzeuger, Handler) sowie Verbraucherschutzbelange (Tauschungsschutz). Die EG hat im Interesse eines moglichst reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes, aber auch zugunsten der Erzeuger, Handler und Verbraucher eine Fulle von Vermarktungsnormen fiir bestimmte Lebensmittel erlassen, die fiir einen vereinheitlichten Vermarktungsstandard - etwa die Vermarktungskategorie oder die Etikettierung des Erzeugnisses betreffend - in der Gemeinschaft sorgen. Sie bediente sich dabei des Instruments der unmittelbar in alien Mitgliedstaaten anwendbaren Verordnung. Einige dieser Verordnungen enthalten ausdriickliche Anweisungen an die Mitgliedstaaten, geeignete Bestimmungen zu erlassen, damit Zuwiderhandlungen gegen die festgelegten Vermarktungsnormen geahndet werden konnen. Beispielhaft heranzuziehen ist etwa die Verordnung (EWG) Nr. 1906/90 des Rates iiber Vermarktungsnormen fiir Gefliigelfleisch v. 26. Juni 1990^°. Diese legt einheitliche, d. h. gemeinschaftsweit geltende Normen fiir die Vermarktung bestimmter Kategorien von Gefliigelfleisch und deren auBere Aufmachung fest. Hierzu gehort z. B. die Einstufung von Gefliigelfleisch je nach Aussehen und Beschaffenheit in „Handelsklasse A" und „Handelsklasse B" bzw. die Vermarktung in einem der folgenden „Angebotszustande": „frisch", „gefroren" und „tiefgefroren". Auch muss die Etikettierung von Gefliigelfleisch bestimmten, im Detail vorgegebenen Anforderungen geniigen. Innerhalb der Gemeinschaft darf Gefliigelfleisch gewerblich nur vermarktet werden, wenn es den Vorschriften dieser Verordnung entspricht. Nach Art. 10 der Verordnung treffen die Mitgliedstaaten „die erforderlichen MaBnahmen, um VerstoBe gegen diese Verordnung zu ahnden". Vergleichbare Ahndungsanweisungen befinden sich z. B. in Art. 49 II der Verordnung (EG) Nr. 1493/99 des Rates iiber die gemeinsame Marktorganisation fiir Wein v. 17. Mai 1999^^ b) „Basisverordnung" im Bereich des Lebensmittelrechts Mit der am 21. Februar 2002 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 178/2002 31 des Europaischen Parlaments und des Rates v. 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsatze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europaischen Behorde fiir Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit^^ wurde nach langwierigen Vorarbeiten das ehrgeizige Projekt eines Europaischen Lebensmittelrahmenrechts reahsiert. Das vielfach auch als „Basisverordnung" bezeichnete Regelwerk beschreibt die Zielsetzungen und den Anwendungsbereich des europaischen „Dachgesetzes" zum Lebensmittelrecht. Zentrale Begriffe des Lebensmittelrechts, u. a. der des ,J^ebensmittels" (Art. 2) und des „Inverkehrbringens" (Art. 3 Nr. 8), werden legal definiert. Kapitel II (Art. 4-21) normiert die allgemeinen Grundsatze des Lebensmittelrechts und legt einen fiir alle Lebensmittel ^ ABIEG 1990 Nr. L 173, S.l. 61 ABIEG 1999 Nr. L 179, S. 1. 62 ABIEG 2002 Nr.L 31, S.l.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
geltenden rechtlichen Gesamtrahmen fest. Hierzu gehoren auch detaillierte Vorgaben zur Lebensmittelsicherheit (Art. 14) und zum Schutz der Verbraucherinteressen (Art. 8, 16). Im vorliegenden Zusammenhang ist Art. 8 BasisVO hervorzuheben, der den Mitgliedstaaten eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zum Schutz der Verbraucherinteressen auferlegt. Namentlich miissen verhindert werden „.-a) Praktiken des Betrugs oder der Tauschung, b) die Verfalschung von Lebensmitteln und c) alle sonstigen Praktiken, die den Verbraucher irrefiihren konnen". Des Weiteren weist Art. 17 II S. 3 Basis VO die Mitgliedstaaten an, Vorschriften fiir „MaBnahmen und Sanktionen bei VerstoBen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht" festzulegen, die „wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend" sein miissen. 32 Die Basis VO verlangt den Mitgliedstaaten zwar nicht explizit eine spezifisch kriminalstrafrechtliche Sanktionierung von LebensmittelrechtsverstoBen ab. Sie erhebt den Schutz der Verbraucher jedoch zu einem Gemeinschaftsinteresse. Folglich sind die Mitgliedstaaten im Lichte des Loyalitatsgebots (Art. 10 EGV) verpflichtet, fUr Praktiken der in Art. 8 beschriebenen Art, aber auch fiir sonstige LebensmittelrechtsverstoBe Sanktionen vorzusehen, die den fiir vergleichbare VerstoBe gegen nationales Recht vorgesehenen MaBnahmen entsprechen (Gleichstellungsgebot) und die wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend sein miissen (Mindesttrias)^^. Dies schlieBt kriminalstrafrechtliche MaBnahmen gegen besonders schwerwiegende bzw. gefahrliche LebensmittelrechtsverstoBe ein. Das deutsche Recht geniigt dieser Forderung, da es neben den kernstrafrechtlichen Strafbestimmungen (z. B. §§ 212, 222, 223, 229, 314, 263 StGB) ein spezielles lebensmittelstraf- und buBgeldrechtliches Instrumentarium zum Schutz der Verbraucher bereit halt (vgl. §§ 58 ff. LFGB64). c) EG-Abfallverbringungsverordnung 33 Der seit den 1980er Jahren in zunehmenden Umfang auftretende Miilltourismus und die Gefahren, die mit dem Verbringen von gefahrlichen Abfallen in Lander verbunden sind, die mangels entsprechender Anlagen keine angemessene Entsorgung gewahrleisten konnen, haben zu verstarkten Aktivitaten der EG auf dem Gebiet des grenziiberschreitenden Abfallverkehrs gefiihrt. Ein wichtiger Schritt war das auf der Ebene der UN geschlossene Easier Ubereinkommen uber die KontroUe der grenzuberschreitenden Verbringung gefahrlicher Abfalle und ihrer Entsorgung v. 22. Marz 1989 (BlJf\ das im Marz 1996 bereits von 94 Staaten darunter Deutschland - ratifiziert wurde (§ 5 Rn. 9). Ziel des Btj ist vor allem, Sonderabfalle in demjenigen Staat zu entsorgen, in dem sie erzeugt wurden. Nach Art. 4 BU haben die Vertragsparteien jeglichen unerlaubten Verkehr mit Abfallen als Straftat einzustufen und zu ahnden. Da auch die EG das BtJ unterzeichnete. Vgl. hierzu auch Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 106; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 459. Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) v. 1. September 2005 (BGBl. I 2005, S. 2618). BGBl. 11994, 771; II1994, 2703.
A. Strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis
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war sie volkerrechtlich verpflichtet, die unmittelbare Geltung der Regelungen des Btj in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Dieser Verpflichtung kam die EG durch die Verordnung (EG) Nr. 259/93 des Rates v. 1. Februar 1993 zur Uberwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfallen in der, in die und aus der Europaischen Gemeinschaft (EGAbfVerbVO)^^ nach. Nach Art. 26 V EGAbfVerbVO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die „iU^g^l^ Abfallverbringung zu unterbinden und durch geeignete rechtliche MaBnahmen zu ahnden". Der deutsche Gesetzgeber ist seiner Umsetzungsverpflichtung durch Schaffung des § 326 II StGB im Rahmen des 2. UKG nachgekommen. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer Abfalle im Sinne des Abs. 1 entgegen einem Verbot oder ohne die erforderliche Genehmigung in den, aus dem oder durch den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbringt. Art. 26 V EGAbfVerbVO bildet somit ein anschauhches Beispiel dafiir, wie die EG auf eine Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafrechts hinwirkt, obwohl die genannte Verordnung gerade keine explizit kriminalstrafrechtliche Anweisung enthalt^^. d) Insider-Richtlinie Ein weiteres Beispiel fiir die strafrechtsrelevante Sekundarrechtspraxis bildet die 34 Richtlinie des Rates 89/592/EWG zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschafte v. 13. November 1989 („Insider-Richtlinie")^^, welche die Mitgliedstaaten anweist, dem unerlaubten Insiderhandel mit geeigneten Sanktionen zu begegnen. Das Phanomen des Insiderhandels betrifft das Ausnutzen von Kenntnissen bei Wertpapiergeschaften, die nicht allgemein bekannt sind und sich nach ihrer Veroffentlichung auf den Kurs des betreffenden Wertpapiers erheblich auswirken. Hierbei kann es sich um die fiir die Entwicklung eines Unternehmens positiv oder negativ beeinflussende vertrauliche Informationen handeln. Die RL enthalt insbesondere eine Aufzahlung der in Betracht kommenden Wertpapiere (Art. 1) sowie eine Bestimmung des tauglichen Taterkreises (Art. 3). Art. 13 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten im Einzelnen festlegen, „wie VerstoBe gegen aufgrund dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften zu ahnden sind", wodurch die aus Art. 10 EGV abzuleitende mitgliedstaatliche Schutzpflicht konkretisiert wird. Durch die Schaffung einer neuen Strafnorm in § 38 i. V. m. § 14 WpHG^^ wurden in Deutschland erstmalig Borsentransaktionen unter Strafandrohung gestellt, bei denen Insiderinformationen Grundlage des Wertpapiergeschafts waren. Der deutsche Gesetzgeber hat sich damit autonom und pflichtgemaB i. S. d. Art. 10 EGV fiir den Einsatz des Kriminalstrafrechts entschieden^°.
66 ABIEG 1993 Nr. L 30, S. 1. 67' Vgl. hierzu Dannecker, JURA 1998, 79, 82; ders., Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 101 und ausfiihrlich Breuer, Im- und Export von Abfallen, S. 53 ff 68 ABIEG 1989 Nr. L 334, S. 30. 69 Gesetz iiber den Wertpapierhandel v. 26. Juli 1994; BGBl. 11994, S. 1749. ^^ Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 95; Diehm, wistra 2006, 366 ff
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
B. Grundlagen einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG 35 Die bisherige Sekundarrechtspraxis geht - soweit strafrechtsrelevante Anweisungen erteilt werden - iiber eine bloBe Konkretisierung der bereits aus dem Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV abzuleitenden Vorgaben (Gleichstellungsgebot und Mindesttrias) nicht hinaus (vgl. aber zur Dritten Geldwascherichtlinie Rn. 56). Im Folgenden wird indes zu zeigen sein, dass die Harmonisierungsbefugnis der EG im Bereich des Strafrechts - wie inzwischen auch vom EuGH'"' (Rn. 27) bestatigt wurde - weit iiber den von Art. 10 EGV abgesteckten Rahmen hinausreicht. I. Meinungsstand in der Literatur 36 Vereinzelt wird der EG eine strafrechtliche Anweisungsbefugnis vor allem unter Hinweis auf die nationale Souveranitat im Bereich der ICriminalstrafgesetzgebung schlechthin abgesprochen''^. Es wird die Gefahr beschworen, dass der demokratisch legitimierte nationale Gesetzgeber die auf europaischer Ebene getroffenen strafrechtlichen Zielbestimmungen nur noch exekutiere. Daran ist richtig, dass die fehlende Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts nicht umgangen werden darf, indem solche HarmonisierungsmaBnahmen zugelassen werden, die im Ergebnis denselben Effekt wie die Setzung von Kriminalstrafrecht hatten''^. Durch die Annahme einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG wird die Rechtsetzungskompetenz der Mitgliedstaaten aber jedenfalls dann nicht in Frage gestellt, wenn sie nicht so weit gefasst wird, dass die Mitgliedstaaten eine „von Briissel" in Tatbestand und Rechtsfolge detailliert ausformulierte Strafbestimmung ohne eigene gesetzgeberische Gestaltungsrechte umsetzen miissen'''^. Nach ganz uberwiegend vertretener Auffassung im Schrifttum, die Zustimmung verdient, ist eine strafrechtliche Anweisungsbefugnis der EG im Grundsatz anzuerkennen. Meinungsunterschiede bestehen nicht in der Frage des „0b" einer strafrechtlichen Anweisungsbefugnis, sondern im Hinblick auf ihre Reichweite''^.
EuGH EuZW 2005, 632 ff = JZ 2006, 307 ff. = ZIS 2006, 179 ff. = EWS 2005, 454. Braum, KritV 1998, 460, 471 f.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung S. 207 ff., 215 ff, 224; Oehler, Jescheck-FS, S. 1399, 1408; Ruter, ZStW 105 (1993), S. 30, 42. 73 Satzger, Europaisierung, S. 406. '^'^ Satzger, Europaisierung, S. 452; Schroder, Richtlinien, S. 184 ff; Tiedemann, NJW 1993, 23, 26; Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 799. ^5 Ambos, IntStR, § 11 Rn. 30 ff; Hugger, Strafrechthche Anweisungen, S. 53 ff; Satzger, Europaisierung, S. 403 ff; ders., IntStR, § 8 Rn. 32 ff
B. Grundlagen einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG
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II. BegriJndungsansatze fur eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG In der Literatur wurden bisher im Wesentlichen drei Ansatze zur Begrlindung ei- 37 ner strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG entwickelt: 1. Anweisungskompetenzen aus Art 10 EGV Ein Teil der Literatur sieht in dem allgemeinen SoUdaritatsgebot des Art. 10 EGV 38 eine maBgebliche Kompetenzgrundlage fUr den Erlass strafrechtsrelevanter Sekundarrechtsanweisungen''^. Da Art. 10 EGV der EG aber keine Befugnis zum Erlass verbindlicher Strafrechtsanweisungen ubertragt'''^, sondern lediglich dazu ermachtigt, in einem Sekundarrechtsakt deklaratorisch auf die aus dem Gleichstellungserfordernis und dem Effektivitatsgebot (Mindesttrias) folgenden Sanktionierungspflichten hinzuweisen, nahert sich dieser Ansatz im Wesentlichen dem status quo der derzeitigen Sekundarrechtspraxis an. Die Bedeutung strafrechtsrelevanter Anweisungen erschopft sich von diesem Standpunkt aus weitgehend darin, die primarrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten auf bestimmte Geund Verbote zu beziehen und damit zu konkretisieren, was der Rechtsklarheit diene. Diese Konkretisierung soil zugleich die Aufgabe der Kommission erleichtern, auf eine korrekte Umsetzung des Sekundarrechts in nationales Recht zu achten, da sie den Mitgliedstaaten gegeniiber auf eine genau umrissene Verpflichtung und nicht nur auf den recht allgemein gehaltenen Art. 10 EGV verweisen konne''^. Wenn Art. 10 EGV die einzig taugliche Befugnisnorm fiir strafrechtsbeziigliche 39 Anweisungen der EG ware, so ergabe sich hieraus eine entsprechend begrenzte Relevanz des Sekundarrechts fiir die Strafrechtsharmonisierung. Der iiberwiegende Teil der Literatur vertritt indes die iiberzeugende Auffassung, dass die Gemeinschaftsorgane durchaus befugt seien, auf dem Gebiet des Strafrechts eine Rechtsangleichung in Gang zu setzen, die liber die bereits durch Art. 10 EGV zu erreichende Mindestharmonisierung hinausgeht.
Bose, Strafen und Sanktionen, S. 414; Bruns, Der strafrechtliche Schutz der europaischen Marktordnungen fur die Landwirtschaft, 1980, S. 92; Dieblich, Schutz der Rechtsguter der EG, S. 288; Tiedemann, NJW 1993, 23, 26; Schroder, Richtlinien, S. 195; ders., GwG, Vor § 261 StGB Rn. 27. So Winkler, Die Rechtsnatur der GeldbuBe im Wettbewerbsrecht der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1971, S. 11 f; dagegen zutr. Hugger, StrafrechtHche Anweisungen, S. 54 ff Bose, Strafen und Sanktionen, S. 414.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
2. Spezielle und allgemeine Harmonisierungsbefugnisse des EGV 40 Eine strafrechtliche Anweisungskompetenz kann sich nach h. L. aus speziellen und allgemeinen Ermachtigungsgrundlagen des EGV ergeben, die eine Befugnis zur Harmonisierung bestimmter Regelungsbereiche verleihen^^. Die Zielsetzungen der Gemeinschaft sind in Art. 3 EGV im Einzelnen festgeschrieben. Zu ihrer Verwirklichung stellt der EGV eine Fiille spezieller Kompetenzgrundlagen bereit, die eine bereichsspezifische Rechtsangleichung ermoglichen (Rn. 45 ff.). Zu denken ist etwa an die Errichtung einer gemeinsamen Organisation der Agrarmarkte, zu deren Durchfiihrung der Rat alle „erforderlichen MaBnahmen" ergreifen kann (Art. 34 II EGV), an die gemeinsame Verkehrspolitik, die u. a. „MaBnahmen zur Verbesserung der Verkehrsicherheit" einschlieBt (Art. 711 lit. c EGV) oder an die gemeinsame Umweltpolitik, die ein „Tatigwerden" der Gemeinschaft erfordert (Art. 175 I EGV)^°. Eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG kann sich auch aus der durch den Amsterdamer Vertrag eingefiigten Bestimmung des Art. 280 IV S. 1 EGV ergeben, wonach der Rat die erforderlichen MaBnahmen „zur Verhiitung und Bekampfung von Betriigereien" zum Nachteil der finanziellen Interessen der EG ergreift (Rn. 57 ff.). Daneben enthalt der EGV allgemeine Kompetenzgrundlagen (Rn. 49 ff.), die nicht auf bestimmte sachliche Materien begrenzt sind, sondern die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sowie des Binnenmarktes zum Gegenstand haben (Art. 94, 95 EGV). 41 Fiir das Verhaltnis dieser Kompetenzgrundlagen zueinander gilt grundsatzlich, dass die Spezialermachtigungen den allgemeinen Befugnisnormen vorgehen. Soweit eine HarmonisierungsmaBnahme nicht auf erstere gestutzt werden kann, ist die allgemeine Befugnisnorm des Art. 95 EGV zu priifen, welche wiederum gegeniiber Art. 94 EGV vorrangig zur Anwendung gelangt. Hochst subsidiar ist Art. 308 EGV anwendbar, namlich nur dann, wenn ein Tatigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines ihrer Ziele zu verwirklichen, jedoch die hierfiir erforderlichen Befugnisse im EGV nicht vorgesehen sind^^ 42 Der Wortlaut der primarrechtlichen Harmonisierungsgrundlagen schlieBt ihre Heranziehung zur Begriindung strafrechtlicher Anweisungskompetenzen nicht aus^^. Zudem wurde in der Literatur^^ iiberzeugend nachgewiesen, dass sich aus Gemeinschaftsrecht kein ungeschriebener Rechtsgrundsatz ableiten lasst, nach dem das Strafrecht dem Anwendungsbereich der primarrechtlichen Harmonisierungsgrundlagen von vornherein entzogen ware. Auch wenn allein die Mitglied-
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Vgl. hierzu exempl. Bose, Strafen und Sanktionen, S. 61 ff; Dannecker, JURA 2006, 95, 97; Dieblich, Rechtsguter der EG, S. 276ff; Eisele, JZ 2001, 1157, 1160 ff; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 91 ff; Satzger, Europaisierung, S. 407 ff; Vogel, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekampfung des Subventionsbetmgs im EG-Bereich, 1993, S. 170, 172; ders., JZ 1995, 331, 335. Bestatigt durch EuGH EuZW 2005, 632 ff = JZ 2006, 307 ff = ZIS 2006, 179 ff Satzger, Europaisierung, S. 437 ff Bose, Strafen und Sanktionen, S. 78; Satzger, Europaisierung, S. 470. Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 54; 62 ff; ihm folgend Bose, Strafen und Sanktionen, S. 81, 94 und Satzger, Europaisierung, S. 470.
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staaten zur Setzung von Kriminalstrafrecht befugt sind, so bedingt doch die final und dynamisch konzipierte sowie auf Effektivitat angelegte Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten, dass kein Bereich des nationalen Rechts von vornherein den Harmonisierungsbefugnissen der EG entzogen sein kann. Dies muss dann auch fiir den Bereich des Strafrechts gelten. Das Strafrecht befindet sich somit nicht in einer gemeinschaftsrechtlichen Tabuzone. Die h. L. wird durch das Urteil des EuGH v. 13. September 2005 (Rn. 27) bestatigt, bei dem es sich nach zutreffender Einschatzung um eine Grundsatzentscheidung handelt, die nicht nur auf den Bereich des Umweltschutzes, sondern darliber hinaus auf alle sonstigen im EGV angelegten Gemeinschaftspolitiken und Grundfreiheiten ausstrahlt^"^. 3. Annexkompetenzen Ein dritter Ansatz zieht zur Begriindung strafrechtlicher Anweisungskompetenzen 43 eine aus den Spezialermachtigungen des EGV abzuleitende Annexkompetenz in Betracht. Unter Berufung auf die Lehre von den ^implied powers"^^, wonach die geschriebenen Kompetenznormen immer auch die Befugnis zur Setzung notwendigerweise mitzuregelnder Tatbestande beinhalten, wird argumentiert, mit jeder Kompetenznorm sei die uneingeschrankte normative Zustandigkeit auf die Gemeinschaft iibergegangen (vgl. hierzu bereits § 4 Rn. 89). Dieser Zustandigkeitsubergang schHeBe auch die Befugnis der EG ein, (kriniinal)straf-rechtliche Anweisungen zu erteilen, soweit dies zur Erreichung des jeweiHgen Harmonisierungsziels erforderlich sei^^. Bei genauerer Betrachtung reicht der Ansatz, strafrechtliche Rechtsangleichungsbefugnisse aus „impHed powers" abzuleiten, jedoch nicht weiter als der oben referierte Ansatz, geschriebene Kompetenznormen heranzuziehen. Denn bei den Annexkompetenzen handelt es sich um bloBe Hilfsbefugnisse, die nur zur wirksamen Ausiibung bereits ausdriicklich zugewiesener Befugnisse dienen. Folglich vermogen sie keine strafrechtlichen Sekundarrechtsanweisungen zu legitimieren, die nicht bereits in speziellen Ermachtigungsgrundlagen des EGV angelegt sind^^. Zu folgen ist daher dem Begriindungansatz der im Ergebnis auch vom EuGH^^ bestatigten h. L., wonach sich strafrechtliche Anweisungsbefugnisse aus den vom EGV normierten speziellen und allgemeinen Kompetenzgrundlagen ergeben konnen.
Vgl. hierzu KOM (2005) 583 endg., S. 3. Vgl. hierzu Deutscher, Kompetenzen, S. 206 f; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 94; HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 173. Johannes, EuR 1968, 63, 107 f; diesem Ansatz folgend Bleckmann, StreeAVessels-FS, S. 107, 111; Bruns, Der strafrechtliche Schutz der europaischen Marktordnungen fiir die Landwirtschaft, 1980, S. 92; Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 723; Jescheck, Maurach-FS, 1972, S. 579, 594; Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, S. 29. Dieblich, Schutz der Rechtsguter der EG, S. 274 f; Hugger, Strafrechtliche Anweisungen, S. 56 ff EuGH EuZW 2005, 632 ff = JZ 2006, 307 ff = ZIS 2006, 179 ff
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III. Potentielle Ermachtigungsgrundlagen fur strafrechtliche Anweisungen 44 Im Folgenden soil der Blick auf einige exemplarisch ausgewahlte Befugnisnormen des EGV gerichtet werden, die als potentielle Ermachtigungsgrundlagen fiir den Erlass strafrechtlicher Anweisungen in Betracht kommen. Von der nach h. L. anzuerkennenden Harmonisierungsbefugnis sind vor allem das Lebensmittelstrafrecht^^, aber auch das Wirtschafts-, Umwelt- und Steuerstrafrecht betroffen^^. Im Anschluss daran sind die gemeinschaftsrechtlichen Grenzen aufzuzeigen, die jeder Harmonisierung im Bereich der Strafen und Sanktionen gesetzt sind. Diese Schranken stecken zugleich die Reichweite der strafrechtlichen Anweisungskompetenz ab. T. Spezialermachtigungen im Bereich der gemeinsamen Poiitilcen a) Gemeinsame Agrarpolitik (Art. 32-38 EGV) 45 Im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik, deren Ziele in Art. 33 EGV beschrieben werden, sind nach Art. 34 I EGV gemeinsame Marktorganisationen zu errichten. Nach Art. 34 II EGV schlieBt die gemeinsame Marktorganisation alle zur DurchfUhrung des Art. 33 EGV „erforderlichen" MaBnahmen ein. Wie die Erfahrung der vergangenen Jahre lehrt, ist der Agrarsektor fiir Betriigereien und UnregelmaBigkeiten besonders anfallig (§ 14 Rn. 15). Vorfalle dieser Art konterkarieren die MaBnahmen der EG zur Stabilisierung der Agrarmarkte, zur StUtzung der Lebenshaltung der Landwirte, zur Preispolitik und zum Verbraucherschutz. Daher dient die Bekampfung von Betriigereien und UnregelmaBigkeiten auch der Verfolgung der in Art. 33 EGV genannten Ziele^^ Vor diesem Hintergrund ist die Kompetenznorm des Art. 34 II EGV dahingehend auszulegen, dass sie der EG grundsatzlich auch die Befugnis verleiht, die Mitgliedstaaten anzuweisen, VerstoBe gegen GemeinschaftsmaBnahmen, welche die effektive DurchfUhrung der gemeinsamen Marktorganisation behindern, mit strafrechtlichen Sanktionen zu ahnden. Fiir die Erforderlichkeit einer richtliniengesteuerten Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafrechts spricht auch, dass divergierende mitgliedstaatliche MaBnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen fiihren, welche die in Art. 33 EGV genannten Ziele gefahrden (Rn. 51).
Dannecker, WiVerw 1996, 190 ff.; Hecker, Produktwerbung, S. 65 ff.; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 119 ff. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 65 ff; ders., JURA 2006, 95, 97; Knaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 320 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 413. Bose, Strafen und Sanktionen, S. 63; Satzger, Europaisierung, S. 471.
B. Grundlagen einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG
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b) Gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 70-80 EGV) Art. 711 lit. c EGV verleiht der EG im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspoli- 46 tik die Befugnis, „MaBnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit" zu erlassen. Das Ziel der Verbesserung der Verkehrsicherheit steht somit nicht nur im Zusammenhang mit der Realisierung wirtschaftpolitischer (binnenmarktbezogener) Ziele, sondern stellt ein eigenstandiges Gemeinschaftsinteresse dar. Die Befugnisnorm des Art. 711 lit. c EGV ermachtigt daher nicht nur zum Erlass von Richtlinien tiber die technische Uberwachung von Kraftfahrzeugen^^, Gurtanlegepflicht^^, Lenkzeiten^"^ und Gefahrguttransporten^^. Vielmehr erstreckt sich die Zustandigkeit der EG auch auf MaBnahmen zur Regelung des Verhaltens der Verkehrsteilnehmer. Damit ist die Moglichkeit, weite Telle des StraBenverkehrsrechts und der damit zusammen hangenden Straf- und BuBgeldbestimmungen zu harmonisieren, prinzipiell eroffnet^^. Zu denken ware etwa an eine einheitliche Ausgestaltung der Trunkenheitsdelikte^''. Zu Recht stellt sich die Kommission auf den Standpunkt, dass auch die Einftihrung von Sanktionen zur Bekampfung der Verschmutzung durch Schiffe nach Art. 80 II EGV in die Anweisungskompetenz der EG fallt^^ (§11 Rn. 86). Freilich sind in jedem Fall die sich aus dem Subsidiaritats- und VerhaltnismaBigkeitsprinzip (Art. 5 II, III EGV) abzuleitenden Schranken der strafrechtlichen Anweisungskompetenz zu beachten (Rn. 63 ff.). c) Umweltschutz (Art. 174-176 EGV) Der Umweltschutz wird heute maBgeblich durch eine aktive Umweltpolitik der 47 EG gepragt. Zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt wurden bislang ca. 200 Rechtsakte erlassen^^. Bereits seit Anfang der 1970er Jahre setzte die Gemeinschaft europaisches Umweltrecht auf der Grundlage einer dynamischen Handhabung des Vertrages, insbesondere einer extensiven Interpretation der in Art. 94 EGV und Art. 308 EGV enthaltenen Harmonisierungskompetenzen^°°. Eine bedeutsame Aufwertung erfuhr der gemeinschaftliche Umweltschutz mit dem Inkrafttreten der EEA im Jahre 1987 durch Einfiigung eines besonderen Umweltkapitels in den EGV (ex-Art. 130 lit. r-t EGV), welches spater durch die Vertrage von Maastricht und Amsterdam weiterentwickelt wurde (Art. 174-176 EGV). Art. 2 EGV schreibt ein hohes MaB an Umweltschutz und an Verbesserung der 92 93
R L Nr. 96/96/EG v. 20. Dezember 1996; ABIEG 1997 Nr. L 46, S. 1. R L Nr. 2003/20/EG v. 8. April 2003; ABIEG 2003 Nr. L 115, S. 6 3 .
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Verordnung Nr. 3820/85/EWG v. 20. Dezember 1985; ABIEG 1985 Nr. L 370, S. 1.
95 RL Nr. 94/55/EG v. 21. November 1994; ABIEG 1994 Nr. L 319, S. 7. 9^ Bose, Strafen und Sanktionen, S. 66; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 93; Satzger, Europaisierung, S. 413 f 9'^ Bislang existiert nur eine Empfehlung der Kommission betr. den ftir Kraftfahrzeugfahrer hochsten zulassigen Blutalkoholgehalt; ABIEG 2001 Nr. L 43. 98 KOM (2005) 583 endg. (Anhang, S. 8). 99 KOM (2003) 745 endg./2, S. 29. ^^ Lonz/BoTchardt/Breier/Vygen, Vorbem. Art. 174-176 Rn. 1; Hailbronner, EuGRZ 1989, 101, 103; Scheuing, EuR 1989, 153 ff
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Qualitat der Umwelt als Aufgabe der Gemeinschaft ausdriicklich fest. Umweltschutz stellt sotnit ein eigenstandiges Vertragsziel und nicht mehr bloB ein Mittel zur Verwirklichung des Binnenmarktes dar^^"". 48 Die Umweltpolitik der Gemeinschaft dient nach der Zielsetzung des Art. 174 I EGV der Erhaltung und dem Schutz der Umwelt sowie einer Verbesserung ihrer Qualitat, dem Schutz der menschlichen Gesundheit, der umsichtigen und rationellen Verwendung der natUrlichen Ressourcen und der Forderung von MaBnahmen auf internationaler Ebene zur Bewaltigung regionaler oder globaler Umweltprobleme. Sie hat sich an einem „hohen Schutzniveau" zu orientieren (Art. 174 II EGV). Schwerpunkte der bisherigen Harmonisierungsaktivitaten bildeten die Bereiche Gewasserschutz, Luftreinhaltung, Larmbekampfung und Abfallrecht. Damit ist bereits vorgezeichnet, welche Bestimmungen des mitgliedstaatlichen Strafrechts von einer Harmonisierung erfasst sein konnten. Zu denken ist in diesem Zusammenhang vor allem auch an die bei grenzuberschreitenden UmweltverstoBen auftretenden Rechtsprobleme^^^. Eine Vereinheitlichung des mitgliedstaatlichen Umweltstrafrechts erscheint im Interesse eines effektiveren Umweltschutzes dringend geboten^^^. Art. 175 I EGV stellt hierfiir eine taugliche Kompetenzgrundlage zur Verfugung (vgl. hierzu bereits Rn. 27). Erganzend kann auf Art. 95 EGV rekurriert werden, da divergierende umweltstrafrechtliche Standards in den Mitgliedstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen fiihren konnen^^"^. 2. Allgemeine Harmonisierungsbefugnisse (Art 94, 95 EGV) 49 Anders als die Spezialermachtigungen sind die Harmonisierungsbefugnisse der Art. 94, 95 EGV nicht auf bestimmte Sachbereiche begrenzt, sondern funktional (zielgerichtet) konzipiert. HarmonisierungsmaBnahmen konnen auf Art. 94 EGV nur gestutzt werden, wenn sie sich auf Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten beziehen, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Der EuGH charakterisiert den „Gemeinsamen Markt" durch „die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Markte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes moglichst nahe kommen^°^." Die h. M. steht daher zu Recht auf dem Standpunkt, dass zumindest keine wesentlichen Unterschiede zwischen Gemeinsamem Markt (Art. 2 EGV) und Binnenmarkt, der in Art. 14 II EGV als Raum ohne Binnengrenzen definiert wird, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen,
^^^ Vgl. zum Umweltschutz auf europaischer Ebene Epiney, Umweltrecht in der EU, S. 10 fUKnaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 243 ff, 297 ff 102 Hecker, ZStW 115 (2003), S. 880, 901 ff 103 Dannecker, JZ 1996, 869, 879; ders., Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 268. 104 Knaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 306; Satzger, Europaisierung, S. 424; Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, S. 32. 105 EuGHE 1982, 1409 (Rz. 33).
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Dienstleistungen und Kapital gemaB den Bestimmungen des Vertrages gewahrleistet ist, bestehen^^^. Nach Art. 95 EGV erlasst der Rat gemaB dem Verfahren des Art. 251 EGV die 50 MaBnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Die der Verwirklichung des Binnenmarktziels dienende Kompetenzgrundlage des Art. 95 EGV wird im Verlialtnis zu Art. 94 EGV als speziellere und damit vorrangige Ermachtigungsgrundlage zur Rechtsangleichung angesehen. Der Binnenmarkt beschrankt sich nicht auf die ausdrticklich in Art. 14 EGV genannten Elemente, sondern erstreckt sich im Rahmen der Grundfreiheiten auf ein System unverfalschten Wettbewerbs. Im Anwendungsbereich des Art. 95 EGV liegen somit alle Vorschriften - einschlieBlich Strafbestimmungen -, die den freien Wettbewerb im Binnenmarkt beeintrachtigen konnen und deren Harmonisierung der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen dient^°^. Die von der Kommission am 26. April 2006 vorgeschlagene Richtlinie des EP und des Rates iiber strafrechtliche MaBnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums''^^ kann daher auf Art. 95 EGV gestutzt werden. Unterschiede zwischen den nationalen Strafrechtsordnungen - zu denken ist 51 insbesondere an das Betrugs-, Wettbewerbs-, Steuer-, Lebensmittel- und Umweltstrafrecht - konnen im Einzelfall unmittelbare Auswirkungen auf den Gemeinsamen Markt entfalten^°^. Werden gleichartige Wettbewerbshandlungen in einem Mitgliedstaat mit Kriminalstrafe bedroht, in einem anderen als bloBes Ordnungsunrecht eingestuft und im dritten als nicht sanktionierbare Tatigkeit gewertet, so entsteht hierdurch ein Strafrechtsgefalle, das territorial unterschiedliche Zugangsbedingungen fur die Marktteilnehmer schafft. Hieraus konnen sich dysfunktionale Folgen fUr die Internationale Wettbewerbssituation ergeben, die das von der Gemeinschaft angestrebte Ziel der Herstellung eines einheitlichen Binnenmarktes konterkarieren^^°. Gerade am Beispiel der uneinheitlichen strafrechtlichen Beurteilung bestimmter Formen der Produktvermarktung lasst sich dieser unerwunschte Nebeneffekt deutlich aufzeigen: Wenn das Inverkehrbringen eines Erzeugnisses oder eine bestimmte Werbung hierfiir in 52 Mitgliedstaat A einem Straftatbestand unterfallt, der den verantwortlichen Anbieter mit Freiheits- oder Geldstrafe bedroht, wahrend die gleiche Produktvermarktung im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaat B keine strafbare Handlung darstellt, daan kann bereits die Existenz 106 Herdegen, Europarecht, § 14 Rn. 4; Satzger, Europaisiemng, S. 431. ^^'^ Bose, Strafen und Sanktionen, S. 69; HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 943; Calhess/Ruffert/fe/i/, Art. 94 EGV Rn. 14; Satzger, Europaisiemng, S. 431. 108 KOM (2006) 168 endg. 109 Bose, Strafen und Sanktionen, S. 71; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 99 ff.; Hecker, Produktwerbung, S. 424; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 482; Knaut, Europaisiemng des Umweltstrafrechts, S. 322. Vgl. hi&rzn Appel, Lebensmittelstrafrecht in der EU, S. 165; Dannecker, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn 267; ders., JURA 2006, 95, 97; Dieblich, Schutz der Rechtsguter der EG, S. 279ff; Sieber, JZ 1997, 369, 374; Spannowsky, JZ 1994, 326 ff; Tiedemann, NJW 1990, 2226, 2231; Zuleeg, JZ 1992, 761, 766.
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bzw. das Fehlen einschlagiger Straftiormen die Standortwahl des Anbieters beeinflussen. Falls dieser sich entschlieBt, den raumlichen Ausgangspunkt seiner untemehmerischen Aktivitaten in Mitgliedstaat B zu verlagem, erlangt er einen klaren Wettbewerbsvorteil gegeniiber seinen Konkurrenten in Mitgliedstaat A. Er kann sein Produkt ohne Strafbarkeitsrisiko von Mitgliedstaat B aus gemeinschaftsweit vermarkten. Wettbewerbsverzerrungen, die aus der Divergenz mitgliedstaatlicher Strafrechtssysteme resultieren, kann letztlich nur durch eine Angleichung einschlagiger Straftatbestande begegnet werden. Die an obigem Beispiel verdeutlichte Auswirkung divergierender Strafrechtssysteme auf den Gemeinsamen Markt macht deutlich, dass strafrechtsrelevante HarmonisierungsmaBnahmen, die das Ziel verfolgen, wettbewerbsverfalschende Einfltisse abzubauen, auch die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts (Art. 14 EGV) zum Gegenstand haben. Die Art. 94, 95 EGV sind als hierfiir prinzipiell taugliche Befugnisnormen einzustufen. Jedoch diirfte die praktische Bedeutung des Art. 94 EGV wegen des Vorranges von Art. 95 EGV eher gering sein''''"". 53 Losungshinweise zu Fall 1 (Frage 3): Die Frage, ob der EGV den Erlass einer strafrechtlichen Anweisung zulasst, wie sie in Art. 2 des Kommissionsvorschlags fiir eine Geldwascherichtlinie v. 23. Marz 1990 vorgesehen war (Rn. 1), ist im Lichte der einschlagigen Befugnisnormen des EGV zu beantworten. Gestiitzt wird die RL auf zwei Kompetenznormen, deren Bezug zum Geldwaschestrafrecht nicht ohne weiteres zu erkennen ist, namlich zum einen auf Art. 47 II EGV (ex-Art. 57 II EGV), der die Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten liber die Aufnahme und Ausubung selbstandiger Tatigkeiten zum Gegenstand hat, und zum anderen auf Art. 95 EGV (ex-Art. 100 a EGV), wonach der Rat die MaBnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen hat, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. 54 Die herangezogenen Kompetenznormen eroffnen der EG einen weiten Harmonisierungsspielraum. Nach Art. 47 II EGV diirfen MaBnahmen getroffen werden, die speziell die Ausubung des Finanzgewerbes betreffen, wahrend Art. 95 EGV eine Grundlage fiir alle MaBnahmen bildet, die zum Schutz des Binnenmarktes erforderlich sind. Der von den genannten Kompetenzgrundlagen jeweils umfasste Regelungsbereich wird ganz offensichtlich von Geldwaschehandlungen betroffen, wenn man sich die Gefahrdungspotentiale der Geldwasche vergegenwartigt^^^. 55 Durch Einschleusung „schmutziger" Gelder in den Finanzkreislauf konnten kriminelle Vereinigungen wirtschaftliche Einflussmacht und Kontrolle liber Finanzinstitute und deren Geschaftspolitik gewinnen. Zum Schutz des Finanzgewerbes erscheint daher eine Koordinierung der Geldwaschebekampfung unerlasslich. Auch sind ungleiche Wettbewerbsbedingungen zu beflirchten, wenn die Mitgliedstaaten den Finanzinstituten national divergierende tJberwachungs- und Kontrollaufgaben vorschreiben. Finanzinstitute in Staaten mit hohem Schutzstandard mlissten dann erhebliche Mehrkosten tragen, was zu Wettbewerbsverzerrungen und somit zur Gefahrdung des Binnenmarktzieles flihren wlirde. Die Geldwasche-
^^^ Bose, Strafen und Sanktionen, S. 74; Satzger, Europaisierung, S. 431. ^^^ Gentzik, Europaisierung des Geldwaschestrafrechts, S. 47.
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richtlinie ist somit als eine dem Schutz der legalen Wirtschaft und des Binnenmarkts dienende MaBnahme zu verstehen^^^. Fraglich ist aber, ob Art. 47 II, 95 EGV auch eine spezifisch strafrechtliche 56 Anweisung nach dem Modell des Art. 2 des Kommissionsvorschlags fiir eine Geldwascherichtlinie zulassen. Hierfiir spricht vor allem der Effektivitatsgedanke. Eine wifkungsvolle Bekampfung des grenzuberschreitenden Phanomens Geldwasche erfordert nicht nur eine gemeinschaftsweite Koordinierung der Geldwaschebekampfung, sondern auch gemeinsame strafrechtliche Mindeststandards. Divergierende einzelstaatHche Regelungen zur Geldwaschebekampfung sind nicht nur weniger geeignet, die von Art. 47 II, 95 EGV vorgegebenen Ziele zu erreichen. Sie begrtinden sogar die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen und konterkarieren damit geradezu das Binnenmarktziel. Die aus dem Subsidiaritats- und VerhaltnismaBigkeitsprinzip (Art. 5 II, III EGV) abzuleitenden Kompetenzausubungsschranken (Rn. 63 ff.) stehen deshalb nicht der Befugnis der EG entgegen, die Mitgliedstaaten im Wege einer Richtlinie anzuweisen, effektive MaBnahmen gegen Geldwasche unter Einschluss kriminalstrafrechtlicher Mittel zu ergreifen^^"^. Eine Richtlinienanweisung nach dem Modell des Art. 2 des Kommissionsvorschlags erscheint kompetenzrechtlich auch deshalb unbedenklich, weil sie den Mitgliedstaaten einen eigenstandigen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung belasst. Die hier in Rede stehende Anweisung stellt keine unzulassige Umgehung der fehlenden EG-Rechtsetzungskompetenz im Bereich des Kriminalstrafrechts dar. Im Lichte des Grundsatzurteils des EuGH v. 13. September 2005 (Rn. 27) bewegen sich sogar die wesentlich detaillierteren strafrechtlichen Vorgaben, die die Dritte Geldwascherichtlinie (Rn. 15) aufstellt, noch im Rahmen der Rechtsangleichungskompetenzen der EG^^^. 3. Schutz der EG-Finanzinteressen (Art 280IV EGV) Fall 2: Die Kommission nimmt eine strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG in An- 57 spruch, wie der von ihr vorgelegte Vorschlag fiir eine Richtlinie des Europaischen Parlaments und des Rates iiber den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft v. 23. Mai 2001'"''^ zum Ausdruck bringt''"'^. Rechtspolitischer Hintergrund dieses Richtlinienvorschlags ist die aus Sicht der Kommission allzu zogerliche Ratifikation des im Rahmen der dritten Saule geschlossenen tJbereinkommens tiber den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften v. 26. Juli 1995 nebst den beiden Zusatzprotokollen. Die Kommission sieht in Art. 280 IV EGV eine passende Rechtsgmndlage fur die 113 Dannecker, JZ 1996, 869, 874. 11"^ Gentzik, Europaisierung des Geldwaschestrafrechts, S. 50; Vogel, ZStW 109 (1997), S. 335, 343, 349. 11^ Dies wird auch zugestanden, wenngleich kritisiert von Schroder/Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 26. Zu dem hieraus resultierenden Umsetzungsbedarf im Rahmen des § 261 StGB vgl. Schroder/Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 30 ff. 116 KOM (2001) 272 endg.; ABIEG 2001 Nr. C 240 E, S. 125; vgl. auch BR-Drs. 657/01, S. 1. 11^ Vgl. nunmehr die uberarbeitete Fassung des Richtlinienvorschlags v. 16. Oktober 2002; KOM (2002), 577 endg.
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Annaherung des materiellen Strafrechts in Bezug auf die Definition von Betrug, Korruption und Geldwasche zum Nachteil der Gemeinschaft sowie die strafrechtliche Verantworthchkeit und die Strafen. Nach dem Willen der Kommission sollen in der RichtHnie definitorische Vorgaben zu bestimmten, von den Mitghedstaaten zu erlassenden Straftatbestanden gemacht werden. Femer sollen die Mitghedstaaten dazu verpflichtet werden, dass die den Vorgaben entsprechenden Handlungen (Straftaten) durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen geahndet werden konnen, die zumindest in schweren Betmgsfallen auch Freiheitsstrafen umfassen. Die vorgeschlagenen Bestinunungen gehen also deutlich uber eine bloBe Konkretisierung der bereits aus Art. 10 EGV abzuleitenden Sanktionierungsgebote zum Schutz der finanziellen Interessen hinaus. Frage: 1st der Richtiinienvorschlag von Art. 280 IV EGV gedeckt? 58 Losungshinweise zu Fall 2: Der durch den Amsterdamer Vertrag neu eingefugte Art. 280 IV S. 1 EGV wurde bereits bei der Diskussion einer etwaigen Rechtsetzungsbefugnis der EG einer naheren Betrachtung unterzogen (§ 4 Rn. 97 ff.). Er bestimmt, dass der Rat zur Gewahrleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitghedstaaten „die erforderlichen Mafinahmen zur Verhutung und Bekdmpfung von Betriigereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten'\ beschlieBt. Ein Teil der Literatur steht auf dem Standpunkt, Art. 280 IV S. 1 EGV scheide als taugliche Ermachtigungsgrundlage nicht nur fur die Schaffung originaren Gemeinschaftsstrafrechts, sondern auch fUr strafrechtliche Anweisungen schlechthin aus^^^. Angesichts der Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Kriminalstrafgesetzgebung sei das Strafrecht aus dem Anwendungsbereich des Art. 280 IV S. 1 EGV generell ausgenommen, so dass diese Vorschrift auch nicht als Befugnisnorm fiir eine Harmonisierung kriminalstrafrechtlicher Tatbestande zur Verfugung stehe. Bestatigt sieht sich diese Auffassung durch die Vorbehaltsklausel des Art. 280 IV S. 2 EGV, in der es heiBt: „Die Anwendung des Strafrechts der Mitghedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleibt unberiihrt." 59 Demgegenliber will eine entgegengesetzte Literaturansicht Art. 280 IV S. 1 EGV sogar als Kompetenzgrundlage fur eine bereichsspezifische Strafrechtsetzungsbefugnis der Gemeinschaft heranziehen^^^. Erst Recht bejahen diese Autoren eine die Souveranitat der Mitghedstaaten weniger einschneidende strafrechtliche Rechtsangleichungskompetenz der EG^^°.
^^^ Griese, EuR 1998, 476; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 64; Musil, NStZ 2000, 68 f.; Satzger, Europaisierung, S. 437; ders., StV 1999, 132; ders., ZRP 2001, 549 ff.; SchwarzburglHamdorf NStZ 2002, 617, 620; Schroder, Richtlinien, S. 154 ff. Auch die deutsche Bundesregierung und der Bundesrat sehen in Art. 280IV 1 EGV lediglich eine Kompetenzgrundlage zur Angleichung praventiver Vorschriften unter Ausschluss des Strafrechts (vgl. BT-Drs. 13/9339, S. 159; BT-Drs. 14/4991, S. 9 und BR-Drs. 657/01, S. 1). 119 Vgl. Berg/Karpenstein, EWS 1998, 81; Hedtmann, EuR 2002, 122, 133 f.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 11, 212; Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1406 ff.; WolffganglUlricK EuR 1998, 644; Zieschang, ZStW 113 (2001), S. 255, 259 ff. 120 So explizit Tiedemann, FS fiir Roxin, 2001, S. 1401, 1412, der eine strafrechthche Rechtsangleichung durch Richtlinien fiir zulassig halt.
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Dass den Befurwortern einer aus Art. 280 IV S. 1 EGV abzuleitenden Strafrecht- 60 setzungskompetenz nicht gefolgt werden kann, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt (§ 4 Rn. 99). Nicht zu iiberzeugen vermag andererseits eine Verengung des Anwendungsbereichs des Art. 280 IV S. 1 EGV auf rein preventive MaBnahmen der Betrugsbekampfung unter vollstandigem Ausschluss des Strafrechts. Schon der Wortlaut der Norm („Bekampfung" von Betriigereien im Gegensatz zu „VerhUtung") spricht gegen ihre Reduzierung auf bloBe PraventivmaBnahmen. Noch starker fallt der systematische Zusammenhang des Art. 280 IV S. 1 EGV mit den in Art. 280 I-III EGV getroffenen Regelungen ins Gewicht. Diese stellen eine deklaratorische Auspragung der „Mais-Judikatur" des EuGH dar (§ 7 Rn. 27 ff.). Folglich liegt es nahe, auch Art. 280 IV S. 1 EGV im Lichte des vom EuGH konkretisierten Loyalitatsprinzips (Art. 10 EGV) zu interpretieren, aus dem sich eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Bekampfung von Betriigereien zum Nachteil des EG-Haushaltes unter Einschluss des Strafrechts ableiten lasst. Die systematisch und teleologisch argumentierenden Interpretationsansatze fUhren zu der Erkenntnis, dass das strafrechtliche Instrumentarium nicht von vornherein aus dem MaBnahmenkatalog des Art. 280 IV S. 1 EGV ausgeschlossen werden darf ^^ Art. 280 IV S. 1 EGV ist deshalb als eine Befugnisnorm zu interpretieren, die der EG eine strafrechtUche Anweisungskompetenz einraumt. Auf der Basis dieses Vorverstandnisses stellt Art. 280 IV S. 1 EGV eine spezielle Kompetenzgrundlage fiir die Angleichung mitgliedstaatlichen Strafrechts dar, soweit dies zur effektiven Bekampfung von Betriigereien zum Nachteil der EG erforderlich ist""^^. Die Harmonisierungskompetenz der EG schHeBt neben definitorischen Vorgaben iiber die Ausgestaltung bestimmter Straftatbestande und allgemeine Haftungsstrukturen (z. B. VerantwortUchkeit juristischer Personen) auch Anweisungen iiber festzulegende Mindestsanktionen ein^^^. Art. 280 IV S. 2 EGV steht dieser Auslegung nicht entgegen, da nach seinem Wortlaut nur die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten, nicht hingegen die Rechtsetzung unberiihrt bleibt^^"^. Bestatigt wird die hier vertretene Ansicht durch die Ausfiihrungen des EuGH im Urteil v. 13. September 2005 (Rn. 27). Wenn den in Art. 135 S. 2, 280 IV S. 2 EGV Regelungen nach zureffender Auffassung des EuGH nicht zu entnehmen ist, dass im Rahmen der Durchfiihrung der Umweltpolitik jede strafrechtliche Harmonisierung unzulassig ist, so muss dies auch und erst Recht fiir den Bereich des Schutzes der EG-Finanzinteressen gelten. Hinweis: Der zur Ratifikation in den Mitgliedstaaten anstehende Vertrag uber 61 eine Verfassung fiir Europa enthalt in Art. III-415 IV einen Kompetenztitel, der die EU-Rechtssetzungsorgane in die Lage versetzt, durch Europaische Rahmenge121 Zutr. Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1409. 122 Ebenso Deutscher, Kompetenzen, S. 345; Eisele, JZ 2001, 1157, 1160; Hecker, JA 2002, 723, 726 f; v. d. GroQbcn/SdmarzdWasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 BUY Rn. 61 ff; wohl auch Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 72; Fromm, Finaazinteressen der EG, S. 335. 123 Ebenso Eisele, JZ 2001, 1157, 1162. 12"^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 72; Zieschang, ZStW 113 (2001), S. 255, 256.
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setze die mitgliedstaatlichen Strafbestimmungen zur Bekampfung des EU-Betrugs anzugleichen oder in Form Europaischer Gesetze sogar supranationale Strafbestimmungen zu schaffen (vgl. hierzu § 14 Rn. 47). Die streitig diskutierte Frage nach der Existenz einer bereichsspezifischen Rechtsangleichungsbefugnis wird sich somit unter der Geltung der ktinftigen EU-Verfassung im Sinne der hier vertretenen Auslegung des § 280IV EGV erledigt haben. 62 Losungsvorschlag zu Fall 2: Auf die gestellte Frage ist nach hier vertretener Ansicht zu antworten, dass der Erlass einer Richtlinie iiber den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, wie ihn der Kommissionsvorschlag v. 23. Mai 2001 vorsieht, von Art. 280 IV S. 1 EGV gedeckt ist^^s Denn die EG besitzt - wie gezeigt - eine Kompetenz zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Strafvorschriften, wenn die wirksame Durchsetzung einer Gemeinschaftspolitik (hier: Schutz der EG-Finanzinteressen) abschreckende und verhaltnismaBige strafrechtliche Sanktionen unerlasslich macht. Allerdings muss vor dem Erlass einer solchen Richtlinie - wie in alien Fallen der Ausiibung einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz - sorgfaltig gepriift werden, ob die vorgesehen Anweisungen zur Zielerreichung erforderlich sind. Insbesondere gilt es, das Subsidiaritatsprinzip und den VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz zu beachten. Damit sind zugleich die vom Gemeinschaftsrecht selbst abgesteckten Harmonisierungsgrenzen angesprochen. 4. Grenzen der strafrechtlichen Anweisungskompetenz 63 Das Prinzip der begrenzten Einzelermachtigung (§ 4 Rn. 54) steht dem Erlass strafrechtsrelevanter Sekundarrechtsakte nicht entgegen, wenn man - der zutreffenden h. L. folgend - anerkennt, dass der EGV spezielle und allgemeine Ermachtigungsgrundlagen enthalt, aus denen sich grundsatzlich (auch) strafrechtliche Anweisungsbefugnisse der EG ableiten lassen. Die Grenzen, die einer Strafrechtsharmonisierung gesetzt sind, konnen sich wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts (§ 9 Rn. 2) nicht aus dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten ergeben, sondern miissen im Gemeinschaftsrecht selbst verankert sein. Begrenzt wird die Kompetenzausiibungsbefugnis der EG namentlich durch zwei elementare Rechtsgrundsatze des Primarrechts: Subsidiaritatsprinzip (Art. 2 II EUV, 5 II EGV) und VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz (Art. 5 III EGV). a) Subsidiaritatsprinzip 64 Eine Kompetenzausubungsschranke^^^ ergibt sich zunachst aus dem in Art. 2 II EUV und Art. 5 II EGV verankerten Subsidiaritatsprinzip, wonach die EG in den Bereichen, die nicht in ihre ausschlieBliche Zustandigkeit fallen, nur tatig werden darf, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen MaBnahmen auf ^^^ Vgl. hierzu v. d. GroQbtn/Schv/arzdWasmeier/Jour-Schroder, Art. 29 EUV Rn. 63. 126 Herdegen, Europarecht, § 7 Rn. 25; Streinz, Europarecht, Rn. 145 a; v. d. Groeben/Schwarze/Zw/ee^, Art. 5 EGV Rn. 26.
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der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden konnen. Das Subsidiaritatsprinzip soil einer ausufernden Inanspruchnahme der gemeinschaftsrechtlichen Regelungsgewalt entgegenwirken. Es handelt sich dabei nicht um einen bloBen Programmsatz, sondern um eine rechtlich verbindliche KompetenzausubungsregeP^''. Nach h. M. besteht eine ausschlieBliche Zustandigkeit der EG nur fur die Bereiche gemeinsame Handelspolitik, Erhaltung der Fischbestande, internes Organisations- und Verfahrensrecht, Festlegung der Zolltarife und materielles Zollrecht sowie gemeinsame Wahrungspolitik^^^. Im Regelfall besteht also lediglich eine konkurrierende Zustandigkeit der EG mit der Konsequenz, dass HarmonisierungsmaBnahmen nur unter strikter Beachtung des Subsidiaritatsprinzips zulassig sind. Die Bedeutung des Subsidiaritatsprinzips liegt vor allem darin, dass es den an 65 der Rechtsetzung beteiligten Organen beim Ergreifen von MaBnahmen eine besondere Rechtfertigungs- und Begrlindungslast auferlegt^^^. Dem Vertrag von Amsterdam ist ein rechtlich verbindliches ProtokoU iiber die Anwendung der Grundsatze der Subsidiaritat und der VerhaltnismaBigkeit^^° beigefugt, in dem die aus Art. 5 II EGV abzuleitenden Kriterien dieser Subsidiaritatspriifung konkretisiert werden. Mit dem Subsidiaritatsprinzip konform sind im Ergebnis nur MaBnahmen, die das Erforderlichkeits- und das Effizienzkriterium erfiillen^^''. Die Erforderlichkeit ist zu bejahen, wenn ein Gemeinschaftsziel nur durch das Tatigwerden der Gemeinschaft erreicht werden kann. Kann dieses Ziel bereits durch MaBnahmen der Mitgliedstaaten in ausreichender Weise verwirklicht werden, so steht dieser Befund der Erforderlichkeit einer GemeinschaftsmaBnahme entgegen. Bei der Prognose, ob die Mitgliedstaaten in der Lage sind, das Gemeinschaftsziel bereits durch MaBnahmen auf nationaler Ebene in ausreichender Weise zu erreichen, sind deren wirtschaftliche und organisatorische Leistungsfahigkeit sowie rechtlichen Handlungsmoglichkeiten einer Gesamtbewertung zu unterziehen. Die Erforderlichkeit von GemeinschaftsmaBnahmen wird am ehesten in grenziiberschreitenden Bereichen der gemeinsamen Politiken (z. B. Umwelt, Verbraucherschutz, Wettbewerb) zu bejahen sein, in denen die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele gerade die Uberwindung divergierender nationaler MaBnahmen, also die Herstellung einheitlicher Schutzstandards und Wettbewerbsbedingungen erfordert. Erst recht ist ein Tatigwerden der Gemeinschaft erforderlich, wenn zumindest ein Mitgliedstaat „von sich aus" voraussichtlich keine hinreichenden Aktivitaten zur Erreichung des Gemeinschaftsziels entfalten wird^^^. Nachdem die
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Zur Frage der (zu bejahenden) Justiziabilitat des Subsidiaritatsprinzips (Uberprufbarkeit durch den EuGH) vgl. Satzger, Europaisierung, S. 439 ff. m. w. N. Vgl. hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 163; Satzger, Europaisierung, S. 444; V. d. Groeben/Schwarze/Zw/e^g, Art. 5 EGV Rn. 8 jew. m. w. N. Vgl. hierzu Satzger, Europaisierung, S. 441, 445. Abgedruckt in Sartorius II, Nr. 151, ProtokoU Nr. 30. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 138 f.; Satzger, Europaisierung, S. 446 f. Satzger, Europaisierung, S. 447.
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
Erforderlichkeit einer GemeinschaftsmaBnahme bejaht wurde, bleibt fiir das Effizienzkriterium („Mehrwert-Test") nur noch ein geringer Anwendungsspielraum. Nur wenn die EG ebenso wenig wie die Mitgliedstaaten in der Lage ist, ausreichende MaBnahmen zur Zielerreichung zu treffen, steht dies der Ausubung einer Gemeinschaftskompetenz entgegen^ ^^. 66 Nach alledem diirfte das Subsidiaritatsprinzip der Ausubung strafrechtlicher Harmonisierungsbefugnisse auf den Gebieten der Gemeinsamen Politiken in weiten Teilen entgegenstehen, da die Mitgliedstaaten regelmaBig in der Lage sein diirften, hinreichende strafrechtliche MaBnahmen zu ergreifen, um die Realisierung der gemeinsamen Politiken zu gewahrleisten. Dies gilt etwa fiir den Bereich der Verkehrssicherheit (Art. 711 lit. c EGV), da entsprechende Zuwiderhandlungen von Verkehrsteilnehmern - man denke an Trunkenheitsfahrten oder sonstige gravierende VerstoBe gegen StraBenverkehrsbestimmungen - bereits auf mitgliedstaatlicher Ebene wirkungsvoll bekampft werden konnen, ohne dass es hierzu einer Angleichung der nationalen Sanktionsnormen bedarf. Wird das Gemeinschaftsziel bereits durch mitgliedstaatliche MaBnahmen verwirklicht, ist kein Raum mehr fiir die Ausiibung der Gemeinschaftskompetenz. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob das Subsidiaritatsprinzip der Harmonisierung des Umweltstrafrechts entgegensteht^^"*. Nach zutreffender und inzwischen auch vom EuGH (Rn. 27) bestatigter Auffassung ist die Erforderlichkeit einer Angleichung umweltstrafrechtlicher Haftungsprinzipien und die Schaffung eines umweltstrafrechtlichen Mindeststandards zu bejahen, well nur so das Phanomen der grenziiberschreitenden Umweltkriminalitat wirksam bekampft und das Gemeinschaftsziel eines effektiven Umweltschutzes realisiert werden kann^^^. Das Subsidiaritatsprinzip steht auch strafrechtlichen Anweisungen nach Art. 280 IV S. 1 EGV, die auf den Schutz der EG-Finanzinteressen abzielen, nicht entgegen, da sich gerade die Uneinheitlichkeit des mitgliedstaatlichen Strafrechtsschutzes als Hindernis fiir eine wirksame Bekampfung von Betriigereien und UnregelmaBigkeiten erweist. Auch den im Anwendungsfeld der allgemeinen Harmonisierungsbefugnisse (Art. 94, 95 EGV) liegenden MaBnahmen zur Realisierung des Binnenmarktes ein Beispiel hierfiir ist die Geldwaschebekampfung (Rn. 15, 56) - steht das Subsidiaritatsprinzip nicht entgegen, soweit ihre transnationale Dimension die Erforderlichkeit gemeinschaftlichen Handelns indiziert^^^. b) VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz 67 Flankiert wird der Subsidiaritatsgrundsatz durch den Grundsatz der VerhaltnismaBigkeit, der durch Art. 5 III EGV auf das Verhaltnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten ausgedehnt wird. Die Mitgliedstaaten werden im Kontext dieser 133 134 135
Satzger, Europaisierung, S. 447 f. So die Auffassung von Satzger, Europaisierung, S. 448. Vgl. hierzu Hecker, ZStW 115 (2003), S. 880, 901 ff; Dannecker, JZ 1996, 869, 879; ders., Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 268; Knaut, Europaisierung des Umweltstrafrechts, S. 320 ff Satzger, Europaisierung, S. 449.
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Norm wie belastete Einzelne betrachtet, denen gegenliber eine MaBnahme nur dann als rechtmaBig erscheint, wenn sie zur Erreichung des mit ihr angestrebten Gemeinschaftsziels geeignet, erforderlich und angemessen ist^^''. Als denkbare Belastungen fiir die Mitgliedstaaten konnen sich z. B. die in der MaBnahme vorgesehene Regelungsdichte, ihre finanziellen Auswirkungen, die von ihr erzwungene Abkehr von eingespielten Verfahren oder die systemwidrige Durchbrechung bewahrter nationaler Rechtsstrukturen erweisen. Beispiel fiir eine unverhaltnismaBige Anweisung: Wiirde den Mitgliedstaaten 68 von einer Richtlinie vorgeschrieben, den (in der Richtlinie naher definierten) Kapitalanlagebetrug mit einer erhohten Mindeststrafe zu bedrohen, so fuhrte dies zu erheblichen Friktionen mit bestehenden nationalen Strafbestimmungen, die den Kapitalanlagebetrug als Vorfeldtatbestand gegeniiber dem „klassischen" Betrug ausgestaltet haben. So entstiinde bei einer Umsetzung dieser Vorgabe in deutsches Recht ein systemimmanenter Wertungswiderspruch, weil § 264 a StGB als gegeniiber § 263 StGB subsidiarer Tatbestand eine hohere Mindeststrafe aufweisen wUrde als fiir eine Tat nach § 263 StGB vorgesehen ist. Die gleichzeitige Anhebung des Mindeststrafrahmens beim Betrugstatbestand wiirde zwar den Wertungswiderspruch zwischen § 263 StGB und § 264 a StGB beseitigen, jedoch neue Friktionen mit § 242 StGB hervorrufen, welcher bislang denselben Strafrahmen aufweist wie § 263 StGB^^B Wenn mehrere geeignete GemeinschaftsmaBnahmen fiir die Zielerreichung zur 69 Auswahl stehen, muss die fiir die Mitgliedstaaten am wenigsten belastende gewahlt werden. Ferner miissen die auferlegten Belastungen in einem angemessenen Verhaltnis zu den angestrebten Zielen stehen. Art. 5 III EGV betrifft im Gegensatz zu Art. 5 II EGV nicht das „0b", sondern das „Wie" der Ausiibung einer gemeinschaftlichen Kompetenzausiibung und gilt auch fiir MaBnahmen, die in den ausschlieBlichen Zustandigkeitsbereich der EG fallen. In den Fallen, in denen nicht bereits das Subsidiaritatsprinzip der Ausiibung einer strafrechtlichen Harmonisierungskompetenz der EG entgegensteht, bewirkt der VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz, dass die GemeinschaftsmaBnahme nicht iiber das zur Zielerreichung notwendige Interventionsminimum hinausgeht. c) Reichweite der strafrechtlichen Anweisungsbefugnis der EG In der Zusammenschau der nach Art. 6 III EUV zu achtenden nationalen Identitat 70 der Mitgliedstaaten sowie der in Art. 5 II, III EGV verankerten Kompetenzausiibungsschranken (Subsidiaritat und VerhaltnismaBigkeit) lasst sich ein strafrechtsspezifisches Schonungsgebot postulieren, das der Harmonisierungstatigkeit der EG auf dem Gebiet des Strafrechts Grenzen setzt^^^. Die Grenzen, die der
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EU-KommQniar/Lienbacher, Art. 5 EGV Rn. 34 ff; v. d. Groeben/Schwarze/Zw/^eg, Art. 5 EGV Rn. 37 ff. Vgl. hierzu Eisele, JZ 2001, 1157, 1163. Eisele, JZ 2001, 1157, 1160, 1163; Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 140 ff; Satzger, Europaisierung, S. 166 ff
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
Ausiibung einer strafrechtlichen Anweisungsbefugnis der EG gesetzt sind, lassen sich in folgenden Leitsatzen zusammenfassen: (1) Die EG darf keine unmittelbar anwendbaren Strafnormen - auch nicht im Gewande einer HarmonisierungsmaBnahme - erlassen. (2) Eine Sekundarrechtsdirektive darf die von den Mitgliedstaaten zu erlassende(n) Sanktionsnorm(en) weder auf der Tatbestands- noch auf der Rechtsfolgenseite detailliert vorgeben, sondern muss sich darauf beschranken, den Mitgliedstaaten ein Leitbild fiir den zu erreichenden Ahnungseffekt vorzugeben. Es ist also unzulassig, in einer Richtlinie oder Verordnung den Erlass konkret ausformulierter Straftatbestande - wie sie sich z. B. im deutschen StGB finden - vorzuschreiben. (3) Die Anweisung muss den Mitgliedstaaten so viel Umsetzungsspielraum belassen, dass es diesen moglich ist, die zu schaffende(n) Sanktionsnorm(en) unter Wahrung der Koharenz ihres Sanktionensystems in die nationale Rechtsordnung zu integrieren. Dem nationalen Gesetzgeber muss deshalb eine Auswahlmoglichkeit zwischen mehreren annahernd gleichwertigen UmsetzungsmaBnahmen eingeraumt werden. 71 Als gesetzgeberische Methode, die es den Gemeinschaftsorganen ermoglicht, die Effekte der Sanktionen im Sinne einer „obligation de resultat" (,3rgebnisverpflichtung") zu harmonisieren, ohne dabei die formale und inhaltliche Ausgestaltung der Sanktionsnorm „schonungsgebotswidrig" vorzuschreiben, bietet sich die Regelbeispielstechnik an^'^^. Eine nach dieser Gesetzgebungstechnik erlassene Richtlinie konnte etwa folgende Anweisungselemente enthalten: - dass die MitgUedstaaten fiir den Fall eines gravierenden VerstoBes Sanktionen vorsehen, die eine besondere Qualitat verschuldeten Unrechts zum Ausdruck bringen, - die in einem offentlichen Verfahren verhangt werden und - zu einer in Einklang mit den im nationalen Recht bei Delikten ahnlicher Art und Schwere vorgesehenen Rechtsfolgen flihren. Hier konnen beispielhaft vergleichbare Delikte oder Deliktskategorien, Zurechnungsstrukturen des Allgemeinen Teils (z. B. Haftung von Amtstragern oder von juristischen Personen) sowie die in Betracht kommenden Sanktionen (z. B. Auferlegung und Ausgestaltung finanzieller EinbuBen, freiheitsentziehender MaBnahmen, Nebenfolgen wie Fahrverbot) aufgefuhrt werden. 72 Regelbeispiele dieser Art umschreiben in Form konkretisierter „Leitbilder", welche Wirkung die gewiinschte Sanktionsnorm entfalten soil. Die Regelbeispielsmethode ermoglicht somit eine Mindestharmonisierung nationalen Strafrechts, ohne Systembriiche in den nationalen Referenzsystemen zu provozieren'"^''. Ein weiterer 1^0 Satzger, Europaisierung, S. 460 ff.; ders., IntStR, § 8 Rn. 40. ^"^^ Auch die Kommission hebt das (in Art. 3 EUV rechtUch verankerte) Koharenzgebot als zentrales Element der Strafrechtspolitik der Union hervor; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 5.
C. Literaturhinweise
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Vorteil dieser Methode, die lediglich auf eine Angleichung der Ahndungseffekte abzielt, besteht darin, dass sich auf ihrer Gmndlage die Grenzen des den Mitgliedstaaten verbleibenden Umsetzungs- und Beurteilungsspielraums praziser ermitteln und kontrollieren lassen.
C. Literaturhinweise Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11 Rn. 30-32 Bose, Strafen und Sanktionen im Europaischen Gemeinschaftsrecht, 1996, S. 61-78 ders., Die Zustandigkeit der Europaischen Gemeinschaft fur das Strafrecht, GA 2006, 211 Dannecker, Strafrecht in der Europaischen Gemeinschaft, JZ 1996, 869, 873 ders.. Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, JURA 1998, 79 ders., in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, Kap. 2 Rn. 65, 86-119 ders., Das materielle Strafrecht im Spannungsfeld des Rechts der Europaischen Union, JURA 2006, 95 Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgiiter der europaischen Gemeinschaften, 1985, S. 262-281 Diehm, Die „safe-harbour"-Verordnung und das Urteil des EuGH zum Rahmenbeschluss tiber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht - Erste Konturen einer europaischen Strafrechtskompetenz? -, wistra 2006, 366 Eisele, Einflussnahme auf nationales Strafrecht durch Richtliniengebung der Europaischen Gemeinschaft, JZ 2001, 1157 ders., Harmonisierung des Umweltstrafrechts in der Europaischen Union, in: Pache (Hrsg.), Die Europaische Union - ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, 2005, S. 134 Groblinghojf, Die Verpflichtung des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europaischen Gemeinschaften, 1996, S. 83-142 Hecker, Europaisches Strafrecht als Antwort auf transnationale Kriminalitat?, JA 2002, 723 Hefendehl, Europaischer Umweltschutz: Demokratiespritze fur Europa oder Briisseler Putsch?, ZIS 2006, 161 Heger, Anmerkung zu EuGH v. 13. September 2005, JZ 2006, 310 Hugger, Strafrechtliche Anweisungen der Europaischen Gemeinschaft, 2000, passim Kaiafa-Gbandi, Aktuelle Strafrechtsentwicklung in der EU und rechtsstaatliche Defizite, ZIS 2006, 521 Kehrt, Lebensmittelstrafrecht in Spannungsfeld des Gemeinschaftsrechts, 2004, S. 488 ff Knaut, Die Europaisierung des Umweltstrafrechts, 2005, S. 320 ff Pohl, Verfassungsvertrag durch Richterspruch - Die Entscheidung des EuGH zu Kompetenzen der Gemeinschaft im Umweltstrafrecht, ZIS 2006, 213 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 393-473 ders., Internationales und Europaisches Strafrecht, 2005, § 8 Rn. 31-40 Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, 2004, passim Schroder, Europaische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 179-196 Spannowsky, Wettbewerbsverzerrende Defizite des gemeinschaftsrechtlichen Sanktionsund Vollstreckungssystems, JZ 1994, 326
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§ 8 Strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG
Vogel, Wege zu europaisch-einheitlichen Regelungen im Allgemeinen Teil des Strafrechts, JZ 1995,331 ders., Geldwasche - ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 109 (1997), S. 335 Wegener/Greenawalt, (Umwelt-)Strafrecht in europaischer Kompetenz - zugleich eine Anmerkung zu EuGH, Urteil v. 13. September 2005, ZUR 2005, 585
D. Rechtsprechungshinweise EuGH EuZW 2005, 632 = JZ 2006, 307 = ZIS 2006, 179 ff. (Anweisungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Umweltstrafrechts)
E. Zusammenfassung von § 8 73 Zu den zentralen Grundsatzproblemen des Europaischen Strafrechts gehort die Frage nach Existenz und Reichweite einer strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG. Wie der EuGH in seinem Aufsehen erregenden Urteil v. 13. September 2005 bestatigt, ist nicht ersichtlich, dass der EGV das Kriminalstrafrecht ganzlich aus dem Anwendungsbereich der Harmonisierungsgrundlagen ausklammern will. Auch die fehlende Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts spricht nicht gegen die Zuerkennung einer strafrechtlichen Rechtsangleichungsbefugnis. Die Sekundarrechtspraxis beschrankte sich im Hinblick auf die Souveranitatsvorbehalte der Mitgliedstaaten bislang darauf, in einschlagigen Rechtsakten auf die bereits aus Art. 10 EGV abzuleitende Forderung hinzuweisen, bestimmte VerstoBe gegen gemeinschaftsrechtliche Interessen durch „geeignete" MaBnahmen „wirksam, angemessen und abschreckend" zu ahnden. Die kontrovers diskutierte Frage, ob dartiber hinaus eine Befugnis der EG besteht, die Mitgliedstaaten zur Schaffung kriminalstrafrechtlicher Normen zu verpflichten, wird nunmehr vom EuGH fiir den Bereich des Umweltstrafrechts bejaht. Der EuGH bestatigt damit die uberzeugende h. L., wonach das Kriminalstrafrecht grundsatzlich einer Rechtsangleichung nach MaBgabe der im EGV enthaltenen (speziellen und allgemeinen) Harmonisierungsgrundlagen - ggf. unter Heranziehung einer Annexkompetenz - zuganglich ist. RechtsangleichungsmaBnahmen der EG sind in erster Linie im Bereich des Wirtschafts- und Nebenstrafrechts denkbar, da sich diese Normen auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken konnen (wie z. B. die Vorschriften liber Geldwasche). Aber auch soweit es um die Durchsetzung von Gemeinschaftspolitiken, etwa zum Schutz der Verbraucher, Umwelt, Lebensmittelsicherheit oder EG-Finanzinteressen geht, muss der Gemeinschaft eine Harmonisierungsbefugnis im Bereich des Kriminalstrafrechts zuerkannt werden. Die Ausiibung der strafrechtlichen Anweisungsbefugnis wird freilich von den in Art. 5 II, III EGV verankerten Grundsatzen der Subsidiaritat und VerhaltnismaBigkeit beschrankt, die zugleich Ausdruck eines strafrechtsspezifischen Schonungsgebotes sind. Die EG darf keine unmittelbar anwendbaren
E. Zusammenfassung von § 8
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Strafnormen - auch nicht im Gewande einer HarmonisierungsmaBnahme - erlassen und sie darf den Mitgliedstaaten nicht im Detail vorgeben, wie eine Sanktionsnorm auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite auszugestalten ist. Strafrechtliche Anweisungen miissen sich auf die Vorgabe eines Leitbildes fiir den zu erzielenden Ahnungseffekt beschranken, wobei sich als gesetzgeberische Methode die Regelbeispielstechnik anbietet.
§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
A. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht I. Grundlagen Das Verhaltnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten gehort zu den am meisten diskutierten europarechtUchen Fragen, die auch fur das Europaische Strafrecht von fundamentaler Bedeutung sind^ Ausgangspunkt der Diskussion bilden die Ausfiihrungen des EuGH in der Sache „Costa/ENEL"2, in welcher der Gerichtshof klarstellte, dass mit der Unterzeichnung und Ratifikation des EGV eine supranationale Organisation mit einer eigenstandigen Rechtsordnung entstanden ist, gegen die die Mitgliedstaaten nachtraglich keine einseitigen - die Geltung des Gemeinschaftsrechts in Frage stellenden - Mafinahmen treffen diirften. Das Gemeinschaftsrecht bildet also eine autonome Rechtsordnung, die kraft ihrer Eigenstandigkeit - ohne jedweden innerstaatlichen Umsetzungsakt - Geltung beansprucht (§ 4 Rn. 54). Aufgrund der in den Griindungsvertragen getroffenen Kompetenzabgrenzung steht sie neben den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, wobei jeder Rechtskreis seinen eigenen Anwendungsbereich hat. Verletzt daher ein Mitgliedstaat die ihm durch eine Sekundarrechtsdirektive auferlegte Umsetzungspflicht, indem er z. B. eine Richtlinie nicht, nicht gehorig oder nicht rechtzeitig in nationales Recht transformiert, so verstoBt er zwar gegen seine EG-vertraglichen Pflichten und setzt sich dem Risiko eines Vertragsverletzungsverfahrens aus (§ 4 Rn. 47). Die innerstaatliche Rechtslage bleibt hiervon aber bis zur erfolgten Umsetzung unberiihrt. Insbesondere sind die nationalen Gerichte und Behorden an das innerstaatliche Recht trotz fehlender tJbereinstimmung desselben mit Gemeinschaftsrecht gebunden. Die Situation andert sich jedoch grundlegend, wenn das Gemeinschaftsrecht unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten beansprucht, wie dies bei primarrechtlichen Bestimmungen des EGV (§ 4 Rn. 59), EG-Verordnungen (§ 4 Rn. 62) und unter bestimmten Voraussetzungen sogar bei Richtlinien ( § 4 Rn. 65) der Fall ist. Sofern unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht und nationales Recht denselben Lebenssachverhalt unterschiedlich regeln, kommt es zu einem Konflikt zwischen zwei nebeneinander stehenden Rechtsordnungen. Die Losung dieses KoUisionsfalles muss dem Geltungsanspruch beider Rechtsordnungen Rechnung Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 124 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 36 ff. EuGHE 1964, 1251, 1270.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
tragen, d. h. sie muss einerseits sicherstellen, dass dem unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrecht zur Durchsetzung verholfen wird, ohne andererseits das nationale Rechtssystem iiber das erforderliche MaB hinaus zu beeintrachtigen^. Im Grundsatz ist aber unbestritten, dass bei Kollisionslagen von einem Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber dem nationalen Recht auszugehen ist. Hinweis: In der kiinftigen Europaischen Verfassung wird der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten in Art. 1-6 EU-Verfassung festgeschrieben.
II. Vorranggrundsatz 1. Position des EuGH - Unbeschiranlcter Vorrang des Gemeinsctiaftsrechits 3 Nach standiger Rechtsprechung des EuGH setzt sich unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht uneingeschrankt gegen entgegenstehendes nationales Recht, sogar gegen Verfassungsrecht, durch^. Begriindet wird das Primat des Gemeinschaftsrechts vor allem mit dem Befund, dass durch die Gemeinschaftsvertrage eine eigenstandige supranationale Rechtsordnung geschaffen wurde und die MitgHedstaaten durch Ubertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft ihre Souveranitat beschrankt haben. Hinzu kommt, dass Art. 10 EGV die MitgHedstaaten zu gemeinschaftstreuem Verhalten und somit zur loyalen Mitwirkung bei der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet^. In der bereits erwahnten Entscheidung „Costa/ENEL" (Rn. 1) fiihrte der Gerichtshof aus, „...dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fliefienden Recht... keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen konnen, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soil "^ 4 In der Tat wiirde der unionsweite Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts konterkariert, wenn sich ein MitgHedstaat auBerhalb einer besonderen vertraglichen Ermachtigung auf abweichendes nationales Recht berufen konnte. Auch stehen die aus den romischen Vertragen resultierenden Pflichten der MitgHedstaaten unter keinem Vorbehalt zugunsten der nationalen Rechtsordnungen.
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Zum strafrechtsspezifischen Schonungsgebot vgl. Satzger, Europaisiemng, S. 166 ff. Wegweisend insoweit EuGHE 1964, 1251, 1269 ff.; 1978, 629 ff; 1979, 2729 ff; vgl. hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 188; Herdegen, Europarecht, § 11 Rn. 1; Oppermann, Europarecht, § 7 Rn. 2 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 42 ff; Streinz, Europarecht, Rn. 179 ff EuGHE 1990, 2433. EuGHE 1964, 1251, 1270.
A. Gemeinschaftsrecht und Rationales Recht
2. Position des BVerfG -Begrenzter Gemeinsctiaftsrectits
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Vorrang des
Was das Verhaltnis von Gemeinschaftsrecht und einfachem Gesetzesrecht anbelangt, so hat sich das BVerfG bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1971 fiir den uneingeschrankten Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber dem einfachen deutschen Gesetzesrecht ausgesprochen^ und dies in standiger Rechtsprechung bestatigt^. Indessen erkennt das BVerfG dem Gemeinschaftsrecht lediglich einen begrenzten Vorrang zu, wenn dessen Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht in Frage steht^. In seinem sog. „Solange I-Beschluss"^° bejahte das BVerfG die verfassungsgerichtliche tJberprufbarkeit von unmittelbar in alien Mitgliedstaaten geltendem Gemeinschaftsrecht am MaBstab der deutschen Grundrechte im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 GG, indem es EG-Verordnungen nachkonstitutionellen Gesetzen gleichstellte. Solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten sei, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen vom Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthalte, der dem Grundrechtskatalog des GG adaquat sei, sei eine Uberpriifung des Gemeinschaftsrechts auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes moglich. Nach zwei vorbereitenden Beschllissen""^ gelangte das BVerfG schlieBlich im „Solange II-Beschluss"''^ zu einer Umkehrung der „Solange I-Formel" bei gleichzeitiger Abschwachung ihrer Voraussetzungen. Wenn der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz hinsichtlich der Hoheitsgewalt einer zwischenstaatlichen Einrichtung entfallen soUe, so miisse statt dessen eine Grundrechtsgeltung gewahrleistet sein, die nach Inhalt und Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unabdingbar sei, im Wesentlichen gleichkomme. Auf die Voraussetzung eines dem Grundgesetz adaquaten Grundrechtskatalogs hat das BVerfG ebenso verzichtet wie auf dessen Kodifikation und demokratische Legitimation durch Parlamentsbeschluss. Diese (gegeniiber „Solange-r') verminderten Voraussetzungen sah das BVerfG mittlerweile als erfiillt an: „...solange die Europdischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegeniiber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewdhrleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleich zu achten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbUrgt, wird das BVerfG seine Gerichtsbarkeit uber die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht ... nicht mehr ausUben und ^
BVerfGE 31, 145, 173 ff = NJW 1971, 2122; in diese Richtung weisend bereits BVerfGE 22, 292, 296 = NJW 1968, 348. ^ BVerfGE 52, 187; 75, 223, 240 f ^ Vgl. hierzu HaratschlKoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 189; Masing, NJW 2006, 264 ff.; Oppermann, Europarecht, § 7 Rn. 6; Streinz, Europarecht, Rn. 202 ff 10 BVerfGE 37, 271. 11 BVerfGE 52, 187; BVerfG NJW 1983, 1258. 12 BVerfGE 73, 223, 339 = NJW 1987, 577; bestatigt in BVerfGE 89, 155, 174 f; 102, 162, 164.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
dieses Recht mithin nicht mehr am Mafistab der Grundrechte des Grundgesetzes uberprilfen; entsprechende Vorlagen nach Art. 1001 GO sind somit unzuldssig. """^ 7 Das BVerfG zieht sich somit auf eine „generelle Gewahrleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards" zuriick''^ und akzeptiert ein „Kooperationsverhaltnis" zum EuGH, dem vorrangig die Aufgabe zukommt, den Grundrechtsschutz fiir das gesamte Gebiet der EG zu garantieren. Hierin liegt kein vollige Aufgabe, sondern nur eine Zuriicknahme der Uberpriifungskompetenz des B VerfG. Die latent weiter bestehende tJberpriifungskompetenz des B VerfG konnte dann wieder aktuell werden, wenn die Rechtsprechung des EuGH in einem wichtigen Grundrechtssektor von dem aus deutscher Sicht unabdingbaren Grundrechtsstandard dramatiscli abweichen sollte. Nationaler Grundrechtsschutz wird demnach nur in Ausnahmefallen erforderlich. Die Position des BVerfG zur Vorrangfrage lasst sich zusammenfassend dahingehend charakterisieren, dass ein beschrankter, nach den obigen Grundsatzen relativierter Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber nationalem Verfassungsrecht anerkannt wird. Im Hinblick auf den mittlerweile erreichten Grundrechtsstandard auf Gemeinschaftsebene, iiber dessen Einhaltung der EuGH wacht, steht freihch nicht zu erwarten, dass den verfassungsrechtlichen Vorbehalten des BVerfG groBe praktische Bedeutung zukommen wird^^. 3. Anwendungs- versus Geltungsvorrang 8 Die radikalste Schlussfolgerung, die aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten gezogen werden konnte, ware das Brechen des nationalen Rechts im foderalen Sinne (vgl. z. B. Art. 31 GG) mit der Folge der Nichtigkeit des nachrangigen Rechts^^. Die Gemeinschaftspraxis, insbesondere die supranational Rechtsprechung hat sich indessen fiir einen behutsameren Umgang mit dem nationalen Recht entschieden. Nach Auffassung des EuGH^'' sowie der hochstrichterlichen deutschen Rechtsprechung^^, die in der Sache mit der h. L.""^ iibereinstimmt, genieBt das Gemeinschaftsrecht gegeniiber dem nationalen Recht keinen Geltungsvorrang, sondern lediglich einen Anwendungsvorrang. In besonders deutlicher Weise fiihrte der EuGH aus: „Daruber
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BVerfGE 73, 339, 387 = NJW 1987, 577. Vgl. BVerfGE 89, 155, 175 = NJW1993, 3047; BVerfGE 102, 147, 162 f = NJW 2000, 3124. Vgl. nur Oppermann, Europarecht, § 7 Rn. 6; Schwarze, JZ 1999, 634, 640; Streinz, Europarecht, Rn. 202. Dies war u. a. der Vorschlag von Grabitz, Gemeinschaftsrecht bricht nationales Recht, 1966,S.98ff., 113ff. Vgl. nur EuGHE 1978, 629 ff.; 1984, 483; 1991, 297, 321. Vgl. nur BVerfGE 31, 145, 174; 75, 223, 244; 85, 191, 204; BGHSt 37, 168, 175; BVerwGE87, 15. Vgl. nur Ambos, IntStR, § 11 Rn. 37; Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 124 ff; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 187; Herdegen, Europarecht, § 11 Rn. 3; Satzger, Europaisierung, S. 53 ff, 484.
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht
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hinaus haben nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vertragsbestimmungen und die unmittelbar geltenden Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane in ihrem Verhdltnis zum intemen Recht der Mitgliedstaaten nicht nur zur Folge, dass allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar wird, sondern auch - da diese Bestimmungen vorrangiger Bestandteil der im Gebiet eines jeden Mitgliedstaates bestehenden Rechtsordnung sind - dass ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wdren... "^° Dem mit Gemeinschaftsrecht kollidierenden nationalen Recht wird also nicht die Wirksamkeit abgesprochen - es ist lediglich unanwendbar. Demgegeniiber wiirde bei Annahme der Geltungsvorrangregel jede Kollision des nationalen Rechts mit entgegenstehendem Gemeinschaftsrecht automatisch zur Nichtigkeit der betroffenen Rechtsvorschrift fuhren. Die Griinde, die flir das Prinzip des Anwendungsvorranges und somit fiir eine KoUisionsregel sprechen, welche lediglich die Unanwendbarkeit gemeinschaftsrechtswidriger Rechtsvorschriften vorsieht, sind iiberzeugend. Neben dem rechtspolitischen Argument der Riicksichtnahme auf nationale Empfindlichkeiten sind es vor allem kompetenzrechtliche Erwagungen, die gegen die Geltungsvorrangthese sprechen. Durch die Anordnung der Nichtigkeitsfolge wiirde die Gemeinschaft die ihr vom EGV zugeschriebenen Kompetenzen iiberschreiten, soweit hierdurch die Normgeltung in rein innerstaatlichen Regelungszusammenhangen beriihrt wiirde. Im tJbrigen ist die Annahme eines Geltungsvorranges auch gar nicht erforderlich, um dem Gemeinschaftsrecht gegentiber koUidierendem nationalen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Dem Primat des Gemeinschaftsrechts wird bereits dadurch Geniige getan, dass kollidierende nationale Rechtsvorschriften schlicht unangewendet bleiben, ohne deren Geltung (Wirksamkeit) im rein innerstaatlichen Bereich in Frage zu stellen.
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht I. Neutralisierung mitgliedstaatlicher Strafvorschriften Das mitgliedstaatliche Strafrecht kann nicht etwa eine SonderroUe fiir sich in An- 10 spruch nehmen, die eine Durchbrechung der allgemeinen Grundsatze zum Verhaltnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht rechtfertigen konnte^^. Die Gesetzgeber, Gerichte und Behorden der Mitgliedstaaten mils sen dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch im Bereich des Strafrechts Rechnung tragen. Kollidiert eine nationale Strafnorm mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht, so darf sie nicht angewendet werden. Derartige Kollisions20 EuGHE 1978, 629, 644 („Simmenthal 11"). 2^ Vgl. hierzu nur Satzger, Europaisierung, S. 492 unter Hinweis auf die Entscheidung EuGHE 1977, 1495, in der es um die Kollision von Strafbestimmungen des deutschen AuslG mit dem Freiztigigkeitsrecht ging.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
konstellationen konnen sich ergeben, wenn Strafbestimmungen Verhaltensweisen unter Strafandrohung stellen, die vom Primarrecht, einer EG-Verordnung oder von einer Richtlinienbestimmung gestattet sind, soweit diese - ausnahmsweise - unmittelbare Wirkung entfaltet ( § 4 Rn. 65). Im Falle einer (echten) KoUision zwischen mitgliedstaatlichem Strafrecht und unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht bewirkt die Vorrangregel eine Neutralisierung der betroffenen Sanktionsvorschrift^^. 11 Infolge der sich aus der Vorrangregel ergebenden Neutralisierungswirkung sind die nationalen Strafverfolgungsorgane daran gehindert, eine Strafrechtsnorm anzuwenden, die ein vom Gemeinschaftsrecht erlaubtes Verhalten ponalisiert. Wie der vom Gemeinschaftsrecht geforderte Anwendungsvorrang erreicht wird, bestimmt das nationale Recht. FragHch ist, mit welcher dogmatischen Rechtsfigur die Unanv^endbarkeit einer deutschen Strafnorm begriindet v^erden kann. Diese Frage ist relativ einfach zu beantworten bei Blankettstrafgesetzen, die an eine innerstaatliche Ausfiillungsnorm ankniipfen, indem sie auf die Zuwiderhandlung gegen ein auBerstrafrechthches Ge- oder Verbot abstellen (§7 Rn. 80). Aufgrund dieser besonderen Tatbestandskonstruktion ist bereits eine Tatbestandserfiillung ausgeschlossen, wenn das vom Strafblankett in Bezug genommene Ge- oder Verbot infolge des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts unanwendbar ist^^. Nach zutreffender Ansicht bewirkt der Neutralisierungseffekt der Vorrangregel aber auch bei einem voUstandigen Strafgesetz den Ausschluss des objektiven Tatbestandes^"^. Begriinden lasst sich dies damit, dass jedem Strafgesetz eine (geschriebene oder ungeschriebene) Verhaltensnorm in Form eines Ge- oder Verbots zugrunde liegt^^. Ein VerstoB gegen diese Verhaltensnorm ist mithin unabdingbare Voraussetzung jeder Bestrafung. Kollidiert die Verhaltensnorm mit Gemeinschaftsrecht, so darf sie im konkreten Fall nicht angewandt werden. Damit steht zugleich fest, dass das im objektiven Tatbestand des jeweiligen Strafgesetzes vertypte Unrecht nicht verwirklicht werden kann^^.
Dannecker, JURA 2006, 173 f.; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 12 ff; Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 47; JunglSchroth, GA 1983, 241, 264; Satzger, Europaisierung, S. 478; ders., IntStR, § 8 Rn. 72 f Vgl. hierzu Garcia Marques, Gemeinschaftstreue, S. 174 ff; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 274 ff; Satzger, Europaisierung, S. 225. Garcia Marques, Gemeinschaftstreue, S. 184 ff; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 274 ff; Satzger, Europaisierung, S. 478, 506, 510, 646; ders., IntStR, § 8 Rn. 73; Schroder, Richtlinien, S. 287. Vgl. hierzu die normtheoretischen Ausfuhrungen von Satzger, Europaisierung, S. 220 ff, 489 ff m. w. N. Zu der noch kaum geklarten Frage, wie sich ein Irrtum des Taters liber die strafbefreiende Wirkung des Gemeinschaftsrechts auswirkt vgl. Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 278 ff
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht
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Ein Teil der Literatur zieht die Moglichkeit in Betracht, aus unmittelbar an wend- 12 baren Rechtssatzen des Gemeinschaftsrechts strafrechtliche Rechtfertigungsgriinde abzuleiten^''. Gegen die Bildung gemeinschaftsrechtsgezeugter Rechtfertigungsgriinde spricht aber, dass jedenfalls nach deutscher Strafrechtsdogmatik jeder Rechtfertigungsgrund ein subjektives Rechtfertigungselement voraussetzt, um seine rechtfertigende Wirkung vol! entfalten zu konnen^^. Damit hinge die Straflosigkeit eines Taters, dessen Verhalten durch ein von der Gemeinschaftsrechtsordnung gewahrtes subjektives Recht gebilligt wird, davon ab, dass er in Kenntnis und unter bewusster Inanspruchnahme dieses Rechts handelte. Dies aber ware mit dem Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts nicht vereinbar, das sich unabhangig vom Willen des Einzelnen in jedem Fall einer Kollision durchsetzen muss^^. Reichhaltiges Anschauungsmaterial fiir die Neutralisierung von Strafnormen 13 findet sich im Lebensmittelstrafrecht^^. Ein (nicht gesundheitsschadliches) Lebensmittel, das in einem Mitgliedstaat rechtmaBig hergestellt wurde, darf im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. EGV) auch in jedem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden, selbst wenn es in seiner stofflichen Zusammensetzung oder auBeren Darbietung nicht den innerstaatlichen Bestimmungen des Lebensmittelrechts (und damit der nationalen Verbrauchererwartung) entspricht^^ Es gilt also das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. So darf z. B. bei entsprechender Kennzeichnung (Etikettierung) in Deutschland Bier in Verkehr gebracht werden, das nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wurde^^. Das gleiche gilt fiir Saucen, die nicht den deutschen Rezepturen entsprechen^^. Der italienische Gesetzgeber darf nicht die Vermarktung von Essig untersagen, der innerstaatlichen Rezeptur- bzw. Bezeichnungsvorstellungen nicht entspricht^"^. Eine deutsche weinrechtliche Vorschrift, die die Verwendung der Bocksbeutelflasche nur Qualitatsweinen aus bestimmten deutschen Anbaugebieten vorbehalt, darf nicht der Einfuhr von Weinen mit Ursprung in einem anderen Mitgliedstaat entgegengehalten werden, die dort nach herkommlicher Ubung in Flaschen identischer oder ahnlicher Form abgefiillt sind.
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Weigend, ZStW 105 (1993), 774, 781; vgl. hierzu auch die Hinweise auf entsprechende Stimmen in der auslandischen Literatur von Satzger, Europaisierung, S. 507. Vgl. hierzu WQSSQls/Beulke, AT, Rn. 275 ff.; Gropp, AT, § 6 Rn. 32; SchonkdSchrodQv/Lenckner, Vorbem §§ 32 Rn. 13 ff.; Roxin, AT Teil I, § 14 Rn. 96 ff. Garcia Marques, Gemeinschaftstreue, S. 187; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 278; Satzger, Europaisierung, S. 509. Zu den Griinden, die gegen eine Einordnung der Neutralisierung als StrafausschlieBungsgmnd sprechen vgl. Schroder, Richtlinien, S. 279 ff Zur Europaisierung des deutschen bzw. osterreichischen Lebensmittelstrafrechts vgl. Hecker, Produktwerbung, S. 58 ff. bzw. Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 119 ff. Standige Rspr. seit EuGHE 1979, 649, 664 („Cassis de Dijon"); vgl. hierzu Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 729 ff; Schutz, JURA 1998, 631. EuGHE 1987, 1227, 1262 ff EuGHE 1995, 3599, 3617 ff
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E u G H E 1980, 2 0 7 1 ; E u G H E 1981, 3019.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
Auch hier weist der EuGH darauf hin, dass Verwechslungen im Hinblick auf die Herkunft des Weines bereits durch eine angemessene Etikettierung vermieden werden konnen^^. In alien oben genannten Fallen wiirde die straf- und buBgeldrechtliche Sanktionierung der Lebensmittelvermarktung gegen die primarrechtliche Garantie der Warenverkehrsfreiheit verstoBen. Entsprechende Bestimmungen des nationalen Strafrechts miissen nach der Vorrangregel unangewendet bleiben. II. Uberlagerung strafverfahrensrechtlicher Bestimmungen 14 Der Judikatur des EuGH ist zu entnehmen, dass auch das Strafprozessrecht der Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlichen Begrenzungen unterliegt bzw. den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht zuwiderlaufen darf. Mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehorden und Gerichten ist es daher verwehrt, nach MaBgabe einer strafprozessualen Bestimmung zu verfahren, deren Anwendung zu einer unzulassigen Beeintrachtigung einer gemeinschaftsrechtlich begriindeten Rechtsposition fiihren wiirde^^. So wurde bereits entschieden, dass der VerstoB gegen eine unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmung ein gemeinschaftsrechtliches Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen kann^^. Besondere Bedeutung kommt dem auch im Strafverfahren zu beachtenden Diskriminierungsverbot zu, soweit es dem personalen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts unterfallt^^. EU-Auslander diirfen deshalb in keinem mitgliedstaatlichen Strafprozess allein aufgrund ihrer Staatsangehorigkeit ohne sachlich vertretbaren Grund anders behandelt werden als Inlander. Exemplarisch sei auf das vor einem italienischen Gericht gefiihrte Strafverfahren gegen Bickel und Franz hingewiesen^^. Der EuGH stellte im Vorabentscheidungsverfahren klar, dass sich Strafverfahrensregelungen des nationalen Rechts am Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV (ex-Art. 6 EGV) messen lassen miissen, wenn es um die Verfolgung von Personen geht, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation in einem anderen Mitgliedstaat befinden. Im konkreten Fall bedeutete dies, dass eine verfahrensrechtliche Regelung, die an sich nur der deutschsprachigen Bevolkerung in Bozen das Recht auf eine Gerichtsverhandlung in deutscher Sprache einraumte, auch zugunsten von Angeklagten deutscher und osterreichischer Staatsangehorigkeit anzuwenden war.
35 EuGHE 1984, 1299, 1322 ff. 36 Vgl. hierzu Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 143 f; Kilhne, Strafprozessrecht, Rn. 56. 3^ EuGHE 2003, 3735 mit ausfiihrhcher Besprechung von Esser, StV 2004, 221 ff. 38
E u G H E 1989, 195; 1996, 161; Zuleeg, J Z 1992, 7 6 1 , 762.
39
EuGH EuZW 1999, 82.
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht
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III. Kollisionskonstellationen 1. Echte und unechte (scheinbare) Kollision Zu einer die Neutralisierungswirkung auslosenden Kollision zwischen nationaler 15 Strafnorm und Gemeinschaftsrecht kann es nur kommen, wenn die Anwendung der Strafnorm im konkreten Einzelfall zwangslaufig gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht verstoBt (echter KoUisionsfall). Dies setzt auf der Seite des Gemeinschaftsrechts die Existenz einer hinreichend klaren und abschlieBenden Regelungsalternative voraus, die den Mitgliedstaaten keinerlei Gestaltungs- und Konkretisierungsspielraum belasst (Rn. 19). Nur ein scheinbarer KoUisionsfall liegt demgegeniiber vor, wenn nationales Strafrecht den Zielvorgaben einer nicht unmittelbar anwendbaren Richtlinienbestimmung zuwiderlauft^°. Da das Gemeinschaftsrecht fiir diese Fallkonstellation keine KoUisionsregel bereithalt, kommt eine Neutralisierung der Strafnorm nicht in Betracht. Zwar ist in diesen Fallen zu priifen, ob im Hinblick auf Art. 10 EGV eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Strafnorm besteht. Doch andert dies nichts daran, dass fiir die rechtliche Wurdigung des in Rede stehenden Sachverhalts ausschlieBlich das innerstaatliche Recht heranzuziehen ist, solange die Richtlinie nicht in nationales Recht umgesetzt ist. Die praktische Bedeutung der zutreffenden Abgrenzung zwischen echter und scheinbarer Kollision kann anhand des folgenden Falles studiert werden, der Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens war: Fall 1 (EuGHE 2005, 3565): Im Rahmen der gegen den ehemaligen italienischen Minis- 16 terprasidenten Berlusconi und weitere Angeklagte wegen des Vorwurfs der Bilanzfalschung gefuhrten Strafverfahren beriefen sich die Angeklagten auf ein nach (mutmaBlicher) Tatbegehung erlassenes decretro legislative Nr. 61/2002, dessen Anwendung zur Folge hatte, dass die urspriinglich als Verbrechen nach Art. 2621 Codice civile (Co) a. F. geahndeten Taten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden konnten. Die vorlegenden Gerichte wiesen darauf hin, dass die einschlagigen Straftatbestande durch Einfiigung von zusatzlichen Tatbestandsmerkmalen, Geringftigigkeitsklauseln, Strafantragserfordemissen sowie Verkiirzung der Verjahrungsfristen wesentlich entscharft worden seien, so dass bei Anwendung des neuen (milderen) Rechts keine Strafbarkeit mehr gegeben sei oder zumindest Verjahrung eintreten wiirde. Allerdings hatten die vorlegenden Gerichte Zweifel, ob die entscharften Strafvorschriften noch mit den einschlagigen Richtlinienbestimmungen zum Gesellschaftsrecht im EinMang stehen, wonach die Mitgliedstaaten „geeignete Sanktionen" fur den Fall androhen mtissen, dass die vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibt. Zweifel an der Vereinbarkeit der neuen italienischen Strafbestimmungen ergaben sich nach Auffassung der vorlegenden Gerichte ferner im Hinblick auf Art. 10 EGV, demzufolge nach standiger Rechtsprechung des EuGH das nationale Recht bei VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht wirksame, abschreckende und verhaltnismafiige Sanktionen vorzusehen habe. Vor diesem Hintergrund stellte sich insbesondere die Frage, ob der Grundsatz der riickwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes auch dann gilt, wenn dieses gegen Gemeinschaftsrecht verstoBt. Die italienischen Gerichte initiierten deshalb ein Vorabentscheidungsverfahren.
Satzger, Europaisiemng, S. 478 ff.; ders., IntStR, § 8 Rn. 73; Schroder, Richtlinien, S. 89 ff; ders,, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 29.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
17 Losungshinweise zu Fall 1: Nach Auffassung von Generalanwaltin Kokott laufen die neuen (milderen) italienischen Strafbestimmungen den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts zuwider. Sie kommt in ihren Schlussantragen zu dem Ergebnis, dass aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts weiterhin die friihere strafrechtliche Regelung (Art. 2621 Cc a. F.) anwendbar sei'^^ Der Lex-mitiorGrundsatz, demzufolge bei einer Gesetzesanderung nach Tatbegehung nur das mildere Strafgesetz Anwendung findet, komme nicht zum Tragen, wenn dieses den gemeinschaftsrechthchen Anforderungen an eine „geeignete Sanktion" nicht geniige. In Fallen mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht rechtfertige sich die riickwirkende Anwendung des milderen Strafgesetzes nur dann, wenn der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleibe. Es sei nicht ersichtlich, weshalb dem Einzelnen riickwirkend die veranderte rechtliche Bewertung des nationalen Gesetzgebers iiber die Strafwiirdigkeit seines Verhaltens zugute kommen soil, wenn diese den unverandert fortbestehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungsvorgaben zuwiderlaufe"^^. Auf den Punkt gebracht konne man sagen, dass ein nachtraglich erlassenes gemeinschaftsrechtswidriges Strafgesetz gar kein anwendbares Strafgesetz darstelle. Nach Auffassung der Generalanwaltin folgt aus der Unanwendbarkeit des neuen (milderen) Strafgesetzes, dass auch dessen derogierende (das alte Strafgesetz auBer Kraft setzende) Wirkung entfallt (vgl. hierzu Rn. 20). Daher sei fiir die Aburteilung der Angeklagten die zum Tatzeitpunkt geltende (scharfere) Strafbestimmung heranzuziehen. 18 Der EuGH gelangt zu einem entgegengesetzten Ergebnis. Der Grundsatz der riickwirkenden Anwendung des milderen Strafgesetzes sei als Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsatze des Gemeinschaftsrechts anzusehen, die der nationale Richter zu beachten habe, wenn er das zur Durchfiihrung des Gemeinschaftsrechts erlassene nationale Recht anwende"^^. Dabei stelle sich allerdings die Frage, ob der Lex-mitior-Grundsatz auch gelte, wenn das mildere Strafgesetz gegen Gemeinschaftsrecht verstoBe. Der EuGH lasst die von ihm selbst gestellte Frage jedoch unbeantwortet, well die hier interessierende Gemeinschaftsregel in einer Richtlinie enthalten sei. Er sieht offenkundig die Gefahr, dass die vorlegenden Gerichte unter Berufung auf Richtlinienrecht das nicht richtlinienkonforme mildere Strafgesetz unangewandt lassen und stattdessen das zum Tatzeitpunkt geltende scharfere Strafgesetz heranziehen konnten. Dies aber wiirde dem vom Gerichtshof in standiger Rechtsprechung vertretenen Grundsatz widersprechen, wonach eine Richtlinie nicht dazu fiihren diirfe, die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Angeklagten festzulegen oder zu verscharfen"^"^. Folgt man der Urteilsbegriin-
41 Schlussantrage v. 14. Oktober 2004, Rn. 165. "^2 Schlussantrage v. 14. Oktober 2004, Rn. 162. 43
44
E u G H E 2005, 3565 = J Z 2005, 997 = E u Z W 2005, 369 (Rz. 69) i m Anschluss an Generalanwaltin Kokott, Schlussantrage, R n . 157; anders noch E u G H E 1998, 6784 (Rz. 31 f.); vgl. hierzu Dannecker, Z I S 2006, 309, 3 1 4 ff.; ders., Z S t W 117 (2005), S.697, 739 ff. E u G H E 2005, 3565 = J Z 2005, 9 9 7 = E u Z W 2005, 369 (Rz. 73); vgl. hierzu bereits E u G H E 1987, 3969, 3985.
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht
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dung des EuGH, ist eine Aburteilung der Angeklagten nach der zum Tatzeitpunkt geltenden (scharferen) Strafbestimmung ausgeschlossen. Die von Generalanwaltin Kokott und vom EuGH entwickelten Losungswege 19 sind in der Literatur"^^ auf berechtigte Kritik gestoBen. Beide verstricken sich in den widerstreitenden Prinzipien des Gemeinschaftsrechts - Vorrangprinzip, Lexmitior-Grundsatz und Verbot strafbegriindender bzw. -scharfender (unmittelbarer) Wirkung von Richtlinien - und erreichen einen Ausgleich nur unter volliger Preisgabe eines der Prinzipien"^^. Die tJberzeugungskraft beider Argumentationsstrange leidet bereits daran, dass sie iibereinstimmend von einer unzutreffenden Grundannahme, namlich der Anv^endbarkeit des gemeinschaftsrechtlichen Vorrangprinzips, ausgehen. Damit wird verkannt, dass die eine Neutralisierungswirkung auslosende Vorrangregel nur dann zum Zuge kommt, wenn eine echte KoUisionslage zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht vorliegt. Dies setzt notwendig voraus, dass sich verbindliche Regelungen aus der nationalen Rechtsordnung und der Gemeinschaftsrechtsordnung widerstreitend gegeniiberstehen, was immer nur dann denkbar ist, wenn das in Rede stehende Gemeinschaftsrecht unmittelbar anwendbar ist'^''. Weder die hier einschlagige Richtlinienbestimmung, die sich in der Zielvorgabe der Androhung „geeigneter Sanktionen" erschopft, noch das aus Art. 10 EGV abzuleitende Gebot, fiir VerstoBe gegen Gemeinschaftsrecht wirksame, abschreckende und verhaltnismaBige Sanktionen vorzusehen (§ 7 Rn. 29), stellen eine hinreichend prazise bzw. abschlieBende Regelungsalternative zum nationalen Recht dar. Eine echte KolHsion liegt nur dann vor, wenn das nationale Recht eine Sanktionierung von VerstoBen gegen Gemeinschaftsrecht ganzlich ausschlieBen wiirde, was auf die hier interessierenden Bestimmungen des italienischen Cc nicht zutrifft. Mangels Vorliegens einer echten Kollisionslage zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht stellte sich somit das von Generalanwaltin und EuGH breit erorterte Problem der strafbarkeitsbegriindenden Wirkung der Richtlinien bzw. der Anwendbarkeit des Lexmitior-Grundsatzes gar nicht. Die italienischen Gerichte miissen daher die fiir die Angeklagten giinstigeren Neuregelungen des Cc anwenden. SoUten bei der Anwendung der neuen Vorschriften Auslegungsspielraume bestehen, sind diese gemeinschaftsrechtskonform auszufiillen (vgl. hierzu § 10 Rn. 39 ff.). Weiterfiihrende Hinvreise: Die Ausfiihrungen von Generalanwaltin Kokott zu 20 dem ihrer Auffassung nach moglichen Wiederaufleben der zum Tatzeitpunkt geltenden Strafbestimmungen des italienischen Rechts (Rn. 17) werfen die Grundsatzfrage nach der Reichweite des Vorrangprinzips auf. Die Generalanwaltin misst diesem eine zweifache Wirkung zu. Das gemeinschaftsrechtswidrige (mildere) Strafgesetz soil unanwendbar sein und das urspriingliche (scharfere) Strafgesetz fortgelten"^^. Damit wird der Gemeinschaft gleichsam die Befugnis zu45
Dannecker, ZIS 2006, 309, 311 ff.; Gross, EuZW 2005, 371 ff; Satzger, JZ 2005, 998 ff
46
Satzger, JZ 2005, 998, 1000.
47
Satzger, EuroipaisiQmng, S. 479; ders., J Z 2 0 0 5 , 998, 1000; ihm folgend Dannecker, ZIS 2006, 309, 312. Insoweit wohl der Linie der Generalanwaltin folgend Gross, EuZW 2005, 371, 373.
4^
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
erkannt, die Fortgeltung aufgehobener Strafgesetze fiir gemeinschaftsrechtlich relevante Falle anzuordnen. Dies aber kame einer Strafgesetzgebungskompetenz der EG gleich, die von der ganz h. M. zutreffend abgelehnt wird (§ 4 Rn. 83 ff., 101). Die Erstreckung des Vorrangprinzips auf die derogierende (das alte Strafgesetz auBer Kraft setzende) Funktion eines Strafgesetzes ware allenfalls auf der Basis der Anerkennung eines Geltungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts begriindbar. Fine so weitreichende Wirkung des Gemeinschaftsrechts hat der EuGH jedoch stets abgelehnt (Rn. 8 f.). Das vorzugswiirdige und heute allgemein anerkannte Prinzip des Anwendungsvorranges ist von vornherein nicht darauf gerichtet, die durch Unanwendbarkeit nationalen Rechts entstehende Liicke durch hinzugedachtes nationales Recht zu ftillen. AbschlieBend bleibt daher festzuhalten, dass auch eine echte KoUision zwischen nationaler Strafnorm und unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht niemals zum Ausschluss des Derogationseffekts fiihrt. Ein Wiederaufleben des (gemeinschaftsrechtswidrig) ersatzlos aufgehobenen oder durch ein milderes Gesetz ersetzten nationalen Strafgesetzes ist daher ausgeschlossen"^^. 2. Direkte und indirekte KoUision 21 Echte Kollisionen sind wiederum moglich im Rahmen einer direkten oder einer indirekten KoUisionskonstellation: Von einer direkten KoUision zwischen mitgliedstaatlichem Strafrecht und Gemeinschaftsrecht spricht man, wenn die nationale Sanktionsvorschrift und die unmittelbar geltende gemeinschaftsrechtliche Norm dieselbe Materie inhaltlich unterschiedlich regeln^°. Charakteristisch fiir diese KoUisionskonstellation ist, dass der Rechtsanwender sich in einer Situation befindet, in der er zwischen zwei inhaltlich divergierenden Regelungsalternativen auswahlen muss, wobei eine dem nationalen Recht, die andere dem Gemeinschaftsrecht entstammt. Ein typischer Fall der direkten KoUision liegt vor, wenn das nationale Strafrecht ein Verhalten verbietet, das vom Gemeinschaftsrecht gestattet wird. Beispielhaft hierfiir stehen die oben aufgefiihrten Falle der KoUision deutschen Lebensmittelstrafrechts mit der primarrechtlichen Garantie der Warenverkehrsfreiheit (Rn. 13). 22 Eine echte KoUision kann aber auch eintreten, wenn eine nationale Vorschrift und eine Gemeinschaftsrechtsnorm zwar unterschiedliche Regelungsziele verfolgen, jedoch durch die Anwendung der innerstaatlichen Bestimmung die Durchsetzung und praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts mittelbar beeintrachtigt wiirde. Man kann insoweit von einer indirekten KoUision zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht sprechen^^. Die Ursache fiir die Entstehung indirekter KoUisionslagen ist in der kompetenzbedingten Unvollstandigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung zu suchen. Die vom Prinzip der begrenzten Einzeler49 Dannecker, ZIS 2006, 309, 313 f; Satzger, JZ 2005, 998, 1000. ^° Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 45 ff.; Satzger, Europaisiemng, S. 491 ff ^^ Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 50 ff; Satzger, Europaisiemng, S.499ff
B. Anwendungsvorrang und nationales Strafrecht
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machtigung gepragte Kompetenzverteilung fiihrt dazu, dass die Gemeinschaftsrechtsordnung und die nationale Rechtsordnung nicht dergestalt nebeneinander stehen, dass bestimmte Sachverhalte voUstandig nach Gemeinscliaftsrecht, andere vollstandig nach nationalem Recht geregelt werden konnen. Das Gemeinschaftsrecht bleibt vielmehr dort, wo sein Zustandigkeitsbereich endet, auf eine Kooperation mit dem innerstaatlichen Recht angewiesen. Besonders deudich wird dies in Regelungszusammenhangen, in denen es um den Vollzug materiellen Gemeinschaftsrechts durch nationales Verfahrensrecht geht. Die mitghedstaatlichen Behorden und Gerichte verfahren nach innerstaatUchem Verfahrensrecht, das nicht immer speziell auf gemeinschaftsrechthche Belange zugeschnitten ist. Zu denken ist beispielsweise an eine nationale Bestimmung des Verwaltungsverfahrensrechts, die eine Ausschlussfrist fur die Geltendmachung eines gemeinschaftsrechtlich begriindeten Riickerstattungsanspruchs wegen zu Unrecht erhobener Einfuhrgebiihren vorsieht. Ist die vom nationalen Recht gesetzte Frist verstrichen, so ist der Riickerstattungsanspruch nicht mehr durchsetzbar, was in Widerspruch zu dem Effektivitats- und VoUzugsanspruch des Gemeinschaftsrechts geraten kann. Indirekte Kollisionskonstellationen konnen aber auch im Verhaltnis zwischen 23 Strafrecht und Gemeinschaftsrecht auftreten. Bereits an anderer Stelle wurde dargelegt, dass die Mitgliedstaaten im Lichte des Art. 10 EGV verpflichtet sind, ihr Strafrecht in den Dienst des Schutzes gemeinschaftsrechtlicher Interessen zu stellen (§7 Rn. 27 ff.). Zu einer mittelbaren Beeintrachtigung gemeinschaftsrechtlicher Regelungsziele kann es kommen, wenn eine der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dienende Strafbestimmung letztlich nicht zur Anwendung gelangt, well z. B. ein materiellrechtlicher Rechtfertigungsgrund eingreift oder well die Strafverfolgungsbehorde von ihrer Moglichkeit Gebrauch macht, das Strafverfahren aus Opportunitatsgrtinden einzustellen (vgl. §§ 153 ff. StPO)^^. Die Losung dieser indirekten Kollisionskonstellationen gestaltet sich erheblich schwieriger als dies beim Aufeinandertreffen direkt kollidierender Regelungen des innerstaatlichen und des supranationalen Rechts der Fall ist. Eine automatische Anwendung der Vorrangregel mit der Folge der Unanwendbarkeit des innerstaatlichen Rechts kommt jedenfalls schon mit Riicksicht auf die nationale Rechtsgestaltungsautonomie und das strafrechtsspezifische Schonungsgebot nicht in Betracht. Vielmehr ist eine flexible und einzelfallbezogene Losung geboten, welche die widerstreitenden Rechtspositionen und Interessen in Ausgleich bringt. Insoweit bietet sich eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der nationalen Bestimmungen an.
Vgl. hierzu Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 50 ff.; 154 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 504 ff
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
IV. Weitere Fallbeispiele aus Praxis und Literatur f, Unbefugte Ausubung einer veterinarmedizinischen Tatigkeit
CAuen
24 Fall 2 (EuGHE 1983,2727): Der aus Osterreich stammende franzosische Staatsangehorige Auer absolvierte in Italien sein Examen im Fach Veterinarmedizin. AnschlieBend wollte er sich als Tierarzt im Elsass niederlassen. Wegen des fehlenden franzosischen Diploms wurde ihm jedoch von der zustandigen Tierarztekammer die Approbation verweigert. Auer lieB sich dennoch nieder und tibte den Bemf des Tierarztes aus. Die franzosische Anklagebehorde warf ihm vor, den Straftatbestand der unbefagten Ausubung der Tiermedizin erfiillt zu haben. Eine zum Tatzeitpunkt trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist noch nicht in franzosisches Recht transformierte Richtiinie ordnete die gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten erworbenen tierarztlichen Diplome an.
25 Losungshinweise zu Fall 2: Im Hinblick auf eine denkbare Kollision des einschlagigen franzosischen Straftatbestandes mit der primarrechtlichen Garantie der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV) machte das franzosische Strafgericht von der Moglichkeit der Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH Gebrauch (vgl. hierzu § 6). Die Besonderheit des Falles lag darin, dass eine zum Tatzeitpunkt trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist noch nicht in franzosisches Recht transformierte Richtiinie die Gleichwertigkeit und gegenseitige Anerkennung der in den Mitgliedstaaten erv^orbenen tierarztlichen Diplome vorsah. Der EuGH sah in der Ablehnung des Aufnahmeantrags durch die zustandige Veterinarkammer einen VerstoB gegen die Niederlassungsfreiheit und insbesondere gegen die Richtiinie Nr. 78/1026/EWG^3. Die Richtiinie enthalte fiir jeden Mitgliedstaat klare, vollstandige, genaue und unbedingte Verpflichtungen, die fiir eine Ermessensausiibung keinen Raum lassen. Unter diesen Voraussetzungen konne sich ein Einzelner nach Ablauf der Umsetzungsfrist gegeniiber den Gerichten und Behorden des Mitgliedstaats auf die nicht umgesetzte Richtiinie berufen. Die franzosische Veterinarkammer hatte demnach die Aufnahme des Tierarztes Auer jedenfalls nicht wegen fehlender Gleichwertigkeit des in Italien erworbenen Diploms ablehnen diirfen. Rechtsvorschriften, die Straf- und VerwaltungsmaBnahmen gegen einen Tierarzt vorsehen, der seinen Beruf ausiibt, ohne Mitglied der berufsstandischen Kammer zu sein, seien insoweit mit Gemeinschaftsrecht unvereinbar, als die Aufnahme des Betroffenen in die Kammer unter Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots abgelehnt worden sei. Nach Auffassung des EuGH ist daher der Umstand, dass Auer zum Tatzeitpunkt keiner nationalen Tierarztekammer angehorte, nicht geeignet, ein Strafverfahren wegen unzulassiger Berufsausiibung zu rechtfertigen. Das franzosische Gericht wird diese Vorabentscheidung des EuGH zum Anlass nehmen miissen, den einschlagigen Straftatbestand unangewendet zu lassen. Da Auer zum Tatzeitpunkt kraft unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts zur Ausubung des Tierarztberufs in Frankreich berechtigt war, lag kein VerstoB gegen das von der Strafnorm bewehrte Verhaltensgebot vor. 53 EuGHE 1983, 2727 ff.
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2. Version gegen nationale Kennzeichnungsvorschriften („Ratti") Fall 3 (EuGHE 1979, 1629): Herm Ratti, dem Leiter eines Untemehmens, das Losungs- 26 mittel und Lacke herstellte und in Verkehr brachte, wurde von einem italienischen Strafgericht vorgeworfen, gegen strafbewehrte Kennzeichnungsvorschriften des Gesetzes Nr. 245 V. 5. Marz 1963 iiber die Etikettierang von Losemitteln verstoBen zu haben. Bei isolierter Betrachtung des italienischen Rechts hat der Angeklagte den Straftatbestand erfiillt. Der Angeklagte wies aber in der Sache zutreffend darauf hin, dass er die hinreichend klaren Kennzeichnungsvorschriften beachtet hatte, welche die RL 73/173 des Rates insoweit aufstellte. Nach den Bestimmungen dieser Richtlinie war es demnach erlaubt, die Produkte entsprechend der vom Angeklagten veranlassten Kennzeichnung zu vermarkten. Die Richtlinie war jedoch trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist weder zum Tatzeitpunkt noch zum Urteilszeitpunkt in nationales Recht umgesetzt worden. Fallvariante: Der Angeklagte hat Losemittel und Lacke in den Verkehr gebracht, deren Kennzeichnung weder den italienischen Vorschriften noch den Bestimmungen der RL 73/173 entsprechen. Losungshinweise zu Fall 3: Der italienische Straftatbestand kniipft an die Verlet- 27 zung einer innerstaatlichen Kennzeichnungsvorschrift an, die dem Rechtsadressaten strengere Pflichten auferlegt als die mit dem gleichen sachlichen Regelungsziel erlassene Richtlinie. Da der Angeklagte die Vorgaben der Richtlinie eingehalten hat, kommt es fiir die strafrechtliche Losung des Falles entscheidend darauf an, ob er sich im konkreten Fall auf die ihn begiinstigende, aber noch nicht umgesetzte Richtlinie berufen darf. Der EuGH fiihrte hierzu aus: „...Sonach ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Mitgliedstaat nach dem Ablauf der fiir die DurchfUhrung einer Richtlinie gesetzten Frist sein dieser Richtlinie noch nicht angepasstes innerstaatliches Recht - auch wenn es Strafsanktionen enthdlt - nicht auf eine Person anwenden kann, die den Vorschriften der Richtlinie nachgekommen ist'\^^ Dem gingen folgende grundsatzliche Feststellungen voraus: „...Mit der den 28 Richtlinien durch Art. 189 III EGV (aktuell Art. 249 III EGV) zuerkannten verbindlichen Wirkung ware es unvereinbar, grundsdtzUch auszuschliefien, dass sich betroffene Personen auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen konnen. Insbesondere in den Fallen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehorden die Mitgliedstaaten durch Richtlinien zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, wurde die praktische Wirksamkeit einer solchen Mafinahme abgeschwdcht, wenn die Einzelnen sich hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts beriicksichtigen konnten. Daher kann ein Mitgliedstaat, der die in der Richtlinie vorgeschrieben DurchfUhrungsmafinahmen nicht fristgerecht erlassen hat, den Einzelnen nicht entgegenhalten, dass er - der Staat - die aus der Richtlinie erwachsene Verpflichtung nicht erfiillt hat. Hieraus folgt, dass das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsburger, der den Vorschriften der Richtlinie nachgekommen ist, die Nichtanwendung einer mit dieser noch nicht in die innerstaatliche Rechtsordnung des sdumigen Staates ubernommenen Richtlinie unvereinbaren nationalen Bestimmung beantragt hat, diesem Antrag stattgeben muss, sofern die in Frage stehende Verpflichtung unbedingt und hinreichend genau ist. "^^ 54
E u G H E 1979,1629, 1642.
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EuGHE 1979, 1629, 1642.
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29 Da sich der Angeklagte somit auf die unmittelbar anwendbare Richtlinie berufen kann, deren Vorschriften er eingehalten hat, wird das entgegenstehende (strengere) innerstaatliche Kennzeichnungsrecht verdrangt mit der Folge, dass der hieran ankniipfende Straftatbestand neutralisiert wird. Das nationale Gericht kann aus dieser Rechtslage nur die Konsequenz ziehen, den Angeklagten vom Vorwurf eines strafbaren KennzeichnungsverstoBes freizusprechen. 30 Losungshinweise zu Fall 3 (Variante): Die Feststellung, dass die einschlagige Kennzeichnungsrichtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfaltet, konnte zu der Annahme fiihren, dass das hiermit kollidierende nationale Recht nunmehr schlechthin unanwendbar, also auch die das italienische Kennzeichnungsgebot bewehrende Strafnorm generell gesperrt sei^®. Dies hatte zur Folge, dass der Angeklagte straflos bleibt, obwohl er Produkte in den Verkehr gebracht hat, die weder den Kennzeichnungsvorschriften des innerstaatlichen Rechts noch des Gemeinschaftsrechts entsprechen. tJber den konkreten Einzelfall hinaus wtirde dieser Rechtsstandpunkt, der von einer generellen Unanwendbarkeit der innerstaatlichen Strafnorm ausgeht, ein Rechtsvakuum entstehen lassen. VerstoBe gegen nationales Kennzeichnungs- und Richtlinienrecht blieben solange straflos, bis der nationale Gesetzgeber die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt und eine neue Strafnorm geschaffen hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH verlangt das aus Art. 10 EGV abzuleitende Gebot der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts jedoch keine derart weitreichende Verdrangung des nationalen (Straf-)Rechts. Wie die oben (Rn. 28) zitierte Passage aus der Urteilsbegriindung in der Rechtssache „Ratti" belegt, macht der EuGH die unmittelbare Anwendung der nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinie von der Bedingung abhangig, dass sich derjenige, der sich auf sie beruft, auch richtliniengetreu verhalten hat^''. Folglich bleibt ein Verhalten, das weder mit innerstaatlichem noch mit unmittelbar anwendbarem Richtlinienrecht in Einklang steht, weiterhin aus dem nicht verdrangten nationalen Straftatbestand strafbar. Der Tater kann also nicht etwa abstrakt vorhandene Inkongruenzen zwischen nationalem Recht und Richtlinienrecht fiir sich reklamieren, wenn er sich selbst nicht an die nach beiden Rechtsquellen einschlagigen Bestimmungen gehalten hat. 3. Grenzuberschreitende Veranstaltung einer Lotterie Oder Werbung hierfur 31 Fall 4: Ein niederlandischer Anbieter A wirbt grenziiberschreitend fiir die Teilnahme an seiner Lotterieveranstaltung, indem er u. a. Werbeprospekte, Aufnahmeformulare und Lose an deutsche Verbraucher iibersendet. Da ihm hierfur von deutschen Behorden keine Erlaubnis erteilt wurde, stellt sich die Frage, ob er nach deutschem Recht gem. § 287 I, II StGB strafbar ist^^.
^^ ^^ ^^
So die Auffas sung von Satzger, Europaisierung, S. 491 f Zutr. gesehen und eingehend begriindet von Schroder, Richtlinien, S. 275 ff. Vgl. zu diesem Fall Satzger, Europaisierung, S. 493 f; ders., IntStR, § 8 Rn. 76.
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Losungshinweise zu Fall 4: Die Veranstaltung einer grenziiberschreitenden Lot- 32 terie und die Werbung hierfiir unterfallen grundsatzlich dem Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 49 EGV. Insoweit genieBt die Tatigkeit des Veranstalters nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern auch vor einer unverhaltnismaBigen Beschrankung durch mitgliedstaatliches Recht. Allerdings lasst sich - auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Schind/^^"59 _ (^^g strafbewehrte Lotterieverbot letztlich nicht beanstanden, da es durch zwingende Griinde des AUgemeininteresses gerechtfertigt ist. Der EuGH erkennt in dieser Entscheidung an, dass die Mitgliedstaaten eine Reihe achtenswerter Griinde und Erwagungen sittlicher, religioser, kultureller, sozialer und verbraucherschutzpolitischer Art anfiihren konnen, die gegen eine voUige LiberaHsierung des Gliicksspiels ins Feld gefiihrt werden konnen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die schadlichen wirtschaftHchen und sozialen Folgen, die dem Gliicksspiel verfallene Verbraucher zu gewartigen haben. Deshalb gesteht der Gerichtshof den Mitgliedstaaten ein Ermessen bei der Beurteilung und Reglementierung von Lotterieveranstaltungen zu, was auch nichtdiskriminierende Beschrankungen, bis hin zu einem grundsatzlichen Verbot, rechtfertigen kann. Ubertragen auf die deutsche Rechtslage bedeutet dies, dass der durch § 287 I, II StGB strafrechthch bewehrte Genehmigungsvorbehalt jedenfalls dann nicht gegen die Garantie des freien Dienstleistungsverkehrs verstoBt, wenn er diskriminierungslos gehandhabt wird^°. In der Rechtssache „Gambelir gibt der EuGH allerdings zu bedenken, dass die Berufung eines Mitgliedstaates auf „zwingende Griinde des AUgemeininteresses" zweifelhaft sei, wenn die staatliche Politik auf eine starke Ausweitung des Spielens und Wettens zum Zweck der Einnahmeerzielung aus genehmigten Gliicksspielen ausgerichtet sei^^. 4. Ubertreibende Produktanpreisung in grenziiberschreitender Werbekampagne Fall 5: Der von Osterreich aus agierende P verbreitet im Rahmen einer intemationa- 33 len Werbekampagne eine bestimmte Werbebotschaft, durch die er in anderen Mitgliedstaaten - damnter auch in Deutschland - seine Produkte in einem Prospekt mit folgenden Versprechungen anpreist: „ ...Unser neuartiges und weltweit einzigartiges Produkt „Haarverdicker-Doppelhaar" verdoppelt das Haar bereits nach einer Anwendung binnen zehn Minuten mit 100%iger Garantie..." ^^. Nach den von BGH und h. L. entwickelten
59 EuGHE 1994, 1039, 1096 = EuZW 1994, 311; bestatigt durch EuGHE 1999, 6067 = EuZW 2000, 148 und EuGHE 1999, 7289 = EuZW 2000, 151. ^^ Aus dem gleichen Grund verstoBt die Ahndbarkeit einer Person gem. § 8 I Nr. 1 Rechtsberatungsgesetz, die von einem anderen Mitgliedstaat aus eine unbefugte Rechtsberatung in Deutschland betreibt, nicht gegen Art. 49 EGV (vgl. hierzu OLG Koln NJW 2004, 2684, 2685). ^^ EuGH NJW 2004, 139; vgl. zu dem hiemach verbleibenden staatlichen Reglementierungsspielraum Schonke/Schroder/E'^^r/i/em^, § 284 Rn. 2 b. 62 Vgl. zu diesem Fall Hecker, Produktwerbung, S. 284 ff.
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Grundsatzen erfiillt P durch die Verbreitung dieser Werbebotschaft zumindest den Straftatbestand des § 161UWG und - falls ein Vermogensschaden eintritt - des § 263 I StGB^^.
34 Losungshinweise zu Fall 5: Der Rechtsanwender hat bei der strafrechtlichen Wiirdigung solcher Fallkonstellationen zu beachten, dass die nach deutschem Wettbewerbs- oder Betmgsstrafrecht tatbestandsmaBige Verhaltensweise - das Verbreiten einer produktbezogenen Werbebotschaft - in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit einbezogen ist^"^. Aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts handelt es sich bei den Werbeverboten des nationalen Wirtschaftsstrafrechts um „MaBnahmen gleicher Wirkung wie mengenmaBige Beschrankungen" i. S. d. Art. 28, 29 EGV. Sie miissen sich daher an den im Rahmen der „CassisRechtsprechung"^^ des EuGH entwickelten Vorgaben der Warenverkehrsfreiheit messen lassen, wenn ihre Anwendung auf eine grenziiberschreitende Produktvermarktung in Betracht kommt^®. Freilich erkennt auch das Gemeinschaftsrecht den Schutz der Verbraucher vor Tauschung prinzipiell als schutzwiirdiges Interesse an, indem der Verbraucherschutz zu den „zwingenden Erfordernissen" gerechnet wird, die als immanente Schranken die Warenverkehrsfreiheit begrenzen. Bei der Beurteilung der Tauschungsgefahr stellt der EuGH auf das Leitbild eines aufmerksamen und verstandigen Verbrauchers ab, der willens und in der Lage ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen (§10 Rn. 17 ff.). Es ist somit zu priifen, ob die tatgegenstandliche Werbebotschaft iiberhaupt geeignet ist, einen diesem Verbraucherleitbild entsprechenden Werbeadressaten in die Irre zu fiihren^''. Da dies im vorliegenden Fall zu verneinen ist, genieBt die Werbekampagne den Schutz der primarrechtlichen Warenverkehrsfreiheit und darf nicht durch die Anwendung nationaler Strafrechtsbestimmungen untersagt werden. Das Prinzip des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts fiihrt somit zur Unanwendbarkeit der §§ 161 UWG, 263 I StGB. 35 Die nationale Strafrechtsdogmatik tragt der Vorrangregel dadurch Rechnung, dass bereits der objektive Tatbestand der in Rede stehenden Strafbestimmungen als unerfiillt betrachtet wird (Rn. 11). Wahrend im Bereich des Wettbewerbsstrafrechts spatestens nach der UWG-Reform im Jahre 2004^^ anerkannt wird, dass das Irrefuhrungsmerkmal des § 16 I UWG nunmehr auch in rein inlandischen Fallkonstellationen anhand des - auch vom Reformgesetzgeber^^ iibernommenen -
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BGHSt 34, 199 („Haarverdicker"); vgl. auch OLGSt § 263, S. 126 („Wunderburstenfall"). EuGHE 1974, 837 („Dassonville-Former'). EuGHE 1979, 649, 664. Dannecker, JURA 2006, 174, 175; Hecker, Produktwerbung, S. 61 ff.; Kehrt, Lebensmittelstrafrecht, S. 272 ff. jew. m. w. N. Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 711; ders., JURA 2006, 174, 175; Rengier, Lauterkeitsrecht, § 16 UWG Rn. 77 m. w. N. Vgl. hierzu Rengier, Lauterkeitsrecht, § 16 UWG Rn. 2 ff.; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 144 ff. BT-Drs. 15/1487, S. 19.
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gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherleitbildes zu bestimmen ist^°, stellt sich im Bereich des Betrugstrafrechts weiterhin die Frage, ob eine Zweispurigkeit des strafrechtlichen Schutzes vermieden werden sollte, indem das europaische Verbraucherleitbild auch in rein nationalen Fallen angewandt wird. Denkbar ware, das gemeinschaftsrechtlich etablierte Tauschungsschutzniveau im Wege einer Neubestimmung des Tauschungsmerkmals in den objektiven Tatbestand des § 263 I StGB zu implementieren''^ Hierfiir wiirde insbesondere die Herstellung einer Wertungskongruenz zwischen Betrugsstrafrecht und (europaisiertem) Wettbewerbsstrafrecht und die Vermeidung einer Inlanderdiskriminierung sprechen. Diese resultiert daraus, dass ein und dasselbe Verhalten bei grenziiberschreitender Begehung wegen des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts straflos bleibt, wahrend es im innerstaatlichen Bereich als Straftat gewertet wird''^. In der Literatur''^ werden indes gegen die bier befiirwortete Entwicklung einer auf den Bereich der Publikumswerbung zugeschnittenen betrugsstrafrechtlichen Sonderdogmatik gewichtige Einwande erhoben, die der weiteren Diskussion bediirfen. 5. Abtreibungstourismus Fall 6: In der 16. Woche ihrer Schwangerschaft entschlicBt sich S, ohne vorherige Inan- 36 spruchnahme einer Beratung (§ 219 StGB) in einer niederlandischen Klinik eine Abtreibung ihrer Leibesfmcht vomehmen zu lassen. Arzt A nimmt den Eingriff nach MaBgabe niederlandischen Rechts legal vor. Bei A und S handelt es sich um deutsche Staatsbiirger, die ihren standigen Wohnsitz in Deutschland haben. A pendelt jeden Tag iiber die Grenze, um in der niederlandischen Klinik einer selbstandigen Tatigkeit als Arzt nachzugehen. Nach deutschem Recht haben sich, da die in § 218 a StGB normierten Voraussetzungen nicht gegeben sind, sowohl A (§ 218 I StGB) als auch S (§ 218 I, III StGB) strafbar gemacht. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt fur beide Strafanspriiche jeweils aus § 5 Nr. 9 StGB (vgl. hierzu bereits § 2 Rn. 25 ff.). Losungshinweise zu Fall 6: a) Gemeinschaftsrechtsbezug des Falles Im Hinblick auf den - freilich nicht auf den ersten Blick erkennbaren - Gemein- 37 schaftsrechtsbezug dieser Fallkonstellation besteht Anlass, die einschlagigen deutschen Strafrechtsregelungen auf ihre Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zu iiberpriifen. Die in Art. 49 EGV garantierte Freiheit des innergemeinschaftlichen Dienstleistungsverkehrs beinhaltet in ihrer Auspragung als sog. „passive Dienstleistungsfreiheit" das Recht der Marktbiirger, in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Heimatstaat Dienstleistungen in Empfang zu nehmen, ohne durch BeDannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 710 ff.; ders., JURA 2006, 174, 175; Rengier, Lauterkeitsrecht, § 16 UWG Rn. 77; Ruhs, Strafbare Werbung, S. 161 ff.; so bereits Hecker, Produktwerbung, S. 308 ff. fiir § 4 UWG a. F. 71 Vgl. hierzu Hecker, Produktwerbung, S. 320 ff. ^2 Vgl. hierzu Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 712; Hecker, Produktwerbung, S. 335 f. 73 Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 712; Jung, ZStW 116 (2004), 475, 500.
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schrankungen daran gehindert zu werden''^. Wie der EuGH in der Rechtssache „Society for the protection of unborn children/Grogan u. a." ausgefiihrt hat, stellt auch der arztliche Schwangerschaftsabbruch, der im Einklang mit dem Recht des Staates steht, in dem er vorgenommen wird, eine gemeinschaftsrechtlich geschiitzte Dienstleistung dar''^. Etwaige moralische Bedenken, die im Hinblick auf die Vernichtung menschlichen Lebens erhoben werden konnten, miissen nach Auf fas sung des EuGH bei der Vertragsauslegung auBer Betracht bleiben, da es nicht Sache des Gerichtshofes sei, die Beurteilung, die vom Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten vorgenommen worden sei, durch seine eigene zu ersetzen. 38 Ein deutscher Arzt mit Wohnsitz in einer deutsch-niederlandischen Grenzregion, der seinen personlichen bzw. familiaren Lebensmittelpunkt im Inland behalt, jedoch taglich in die benachbarten Niederlande pendelt, um dort einer dauerhaft angelegten Berufstatigkeit in einer Abtreibungskliriik nachzugehen, kann sich auf die EG-vertragliche Garantie der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV) berufen. Diese Garantie stellt sicher, dass die grenztiberschreitende Erbringung einer Dienstleistung in einem Mitgliedstaat unter den gleichen Voraussetzungen ermoglicht wird, welche dieser Staat fur seine eigenen Angehorigen vorschreibt (Art. 43 II EGV). 39 Zunachst ist festzustellen, dass das deutsche Strafrecht in gemeinschaftsrechtlich gewahrleistete Grundfreiheiten eingreift, indem es bestimmte, im Zusammenhang mit dem Abtreibungstourismus stehende Handlungen deutscher Staatsbiirger bei Strafe verbietet. Die auf § 218 I, III StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB beruhende Strafandrohung ist geeignet, deutsche Patientinnen davon abzuhalten, einen Schwangerschaftsabbruch im Ausland durchfuhren zu lassen''®. Der nationale Strafanspruch behindert auf diese Weise die grenztiberschreitende Inanspruchnahme einer in einem anderen Mitgliedstaat legal angebotenen medizinischen Dienstleistung und stort damit den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb des europaischen Binnenmarktes. Soweit das deutsche Strafrecht den im Ausland praktizierenden deutschen Arzt gem. § 218 I StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB mit Strafe bedroht, bertihrt dies seine Niederlassungsfreiheit. Er wird in der Ausiibung seiner selbstandigen Erwerbstatigkeit behindert, weil er bei der Erbringung einer medizinischen Dienstleistung in einem anderen Mitgliedstaat nicht nur die dort geltenden Bestimmungen, sondern auch die deutschen Strafvorschriften einhalten muss. b) Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote 40 Die Vertragsbestimmungen iiber die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit enthalten zunachst ein das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV konkretisierendes Verbot ungleicher Behandlung aufgrund der Staatsangehorig-
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EuGHE 1989, 195, 222; 1999, 11, 28; Hailbronner/Nachbaur, EuZW 1992, 105, 108; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 857; Holoubek, EU-Kommentar, 2000, Art. 49 EGV Rn. 50; Kort, JZ 1996, 132, 133; Streinz, Europarecht, Rn. 756. EuGHE 1991, 4685, 4733, 4739; vgl. hierzu OXeary, ELR 1993, 138, 143 ff. Satzger, Europaisiemng, S. 416.
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keit^''. Die von § 5 Nr. 9 StGB angeordnete Unterwerfung deutscher Staatsblirger unter den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts stellt indes keine gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierung aus Griinden der Staatsangehorigkeit dar. Zwar bewirkt § 5 Nr. 9 StGB in den Fallen des Abtreibungstourismus, dass deutsche Staatsangehorige nicht im gleichen Umfang wie Auslander eine medizinische Dienstleistung erbringen bzw. empfangen diirfen. Diese faktische Schlechterstellung von Inlandern gegentiber Auslandern resultiert aber letztlich daraus, dass das Abtreibungsstrafrecht zu den nicht harmonisierten Regelungsmaterien der nationalen Rechtsordnungen gehort mit der Folge, dass der strafrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens in den EG-Mitgliedstaaten zwangslaufig unterschiedlich ausgestaltet ist. Auf Unterschiede dieser Art, die sich als Resultat eines Gefalles autonomer Rechtsordnungen darstellen, sind die Diskriminierungsverbote des EGV nicht anwendbar^^. c) Grundfreiheiten als Beschrankungsverbote Die Gewahrleistung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit beinhal- 41 tet aber nicht nur ein bloBes Diskriminierungsverbot, sondern auch ein allgemeines Beschrankungsverbot''^. Nach standiger Rechtsprechung des EuGH diirfen die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten nur beschrankt werden durch Regelungen, die aus zwingenden Griinden des AUgemeininteresses gerechtfertigt sind. Diese Regelungen miissen ferner verhaltnismaBig, d. h. geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewahrleisten, und sie diirfen nicht iiber das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist^°. Der EuGH hatte bislang keine Gelegenheit, sich zu der Frage zu auBern, ob es die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten zulassen, dass nationale Vorschriften den von einem inlandischen Staatsangehorigen im Ausland legal vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch mit Strafe bedrohen. Deutsche Gerichte, deren Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden konnen, miissen deshalb in einschlagigen Fallen gem. Art. 234 III EGV eine Vorabentscheidung durch den EuGH herbeifiihren (§ 6 Rn. 7). In der Rechtssache ^Society for the protection of unborn chUdren/Grogan 42 u. a."^^ ging es lediglich um die Frage, ob eine unzulassige Beschrankung der Dienstleistungsfreiheit darin zu sehen ist, dass ein Mitgliedstaat (hier: Irland) einer Studentenvereinigung verbietet, im Inland Informationen iiber Kliniken eines anderen Mitgliedstaates (hier: GroBbritannien) zu verbreiten, in denen SchwangerHaratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 868 ff.; Holoubek, EU-Kommentar, Art. 43 Rn. 3, 33; Art. 49 Rn. 56 ff. Vgl. hierzu HaratschlKoenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 875; Nachbaur, Niederlassungsfreiheit, 1999, S. 105 f. m. w. N. EuGHE 1979, 35; 1981, 3305; 1991, 659, 709, 727; 1991, 4221, 4243; 1993, 1663, 1697 f; 1995, 1141; 1995, 4165, 4197 ff.; 1999, 11, 29; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 876; Holoubek, EU-Kommentar, Art. 43 Rn. 3, 45 ff; Art. 49 Rn. 35, 58 ff; 81 ff.; Streinz. Europarecht, Rn. 671, 677. EuGHE 1999, 11, 29; 1995, 4165, 4197 f; Holoubek, EU-Kommentar, Art. 43 Rn. 48; Art. 49 Rn. 105; Kort, JZ 1996, 132, 135; Streinz, Europarecht, Rn. 677 ff Vgl. EuGHE 1991, 4685, 4733 ff
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schaftsabbriiche legal praktiziert werden. Den Ausfiihrungen des Generalanwaltes van Gerven^^y der aus den Vertragsbestimmungen iiber die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs auch das Recht ableitet, im eigenen Mitgliedstaat ungehindert Informationen (iber die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer von Dienstleistungen zu verbreiten, vermochte sich der EuGH nicht anzuschlieBen. Da die Informationen nicht im Auftrag eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmers verbreitet worden seien, konne in dem Informationsverbot schon keine Beschrankung der Dienstleistungsfreiheit gesehen werden^^. Folglich musste der EuGH auch nicht dariiber entscheiden, ob das Informationsverbot moglicherweise aus zwingenden Griinden des Allgemeininteresses verhangt werden durfte. d) Schutz des ungeborenen Lebens als zwingender Grund des Allgemeininteresses 43 Im Ausgangspunkt steht auBer Frage, dass die den Abtreibungstourismus mit Strafe bedrohenden Bestimmungen des deutschen Rechts einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses zu dienen bestimmt sind - dem Schutz des ungeborenen Lebens, der in der deutschen Rechtsordnung mit Verfassungsrang ausgestattet ist^"^. Aber auch die zur Wahrung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses bestimmten Regelungen miissen sich an den Kriterien des gemeinschaftsrechtlichen VerhaltnismaBigkeitsgrundsatzes messen lassen^^. e) Strafbarkeit der Schwangeren und VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz 44 In diesem Zusammenhang sind die Ausfiihrungen des Generalanwaltes auBerst interessant. Van Gerven legte zunachst dar, dass eine nationale Regelung, die es verbietet, schwangeren Frauen Informationen iiber auslandische Kliniken zu geben, in denen ein legaler Schwangerschaftsabbruch praktiziert werden kann, im Hinblick auf das hohe Schutzgut des ungeborenen Lebens nicht unverhaltnismaBig und daher zulassig erscheine. Als MaBnahmen, die unverhaltnismaBig waren, da sie den freien Dienstleistungsverkehr zu stark behindern wiirden, nennt er indes: yydas an schwangere Frauen gerichtete Verbot, sich ins Ausland zu begeben oder eine Regelung, nach der sie sich bei ihrer Ruckkehr aus dem Ausland unerwUnschten Untersuchungen unterziehen mUssten. "^^ 45 Ubertragt man die soeben dargelegte Wertung des Generalanwaltes auf die hier interessierende Fallkonstellation des Abtreibungstourismus, so konnte man zu der Ansicht gelangen, dass die deutschen Strafbestimmungen (§§ 218 I, III, 5 Nr. 9 StGB) schon deshalb als mit dem gemeinschaftsrechtlichen VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz unvereinbar eingestuft werden miissten, weil sie Abtreibungstouristinnen dem Risiko einer Strafverfolgung aussetzen. Die hierdurch geschaffene Bar^^ Vgl. den Schlussantrag des Generalanwaltes van Gerven EuGHE 1991, 4685, 4712 f. ^3 Vgl. EuGHE 1991, 4685, 4740. ^"^ Vgl. nur BVerfGE 39, 1; 88, 203. Auch Generalanwalt van Gerven sieht im Schutz des ungeborenen Lebens einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses; vgl. EuGHE 1991, 4685, 4715 ff. ^^ Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 889. S6 EuGHE 1991, 4685, 4721.
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riere fiir die Inanspruchnahme einer im Ausland legal angebotenen medizinischen Dienstleistung wirke sich - so konnte man argumentieren - faktisch wie ein Verbot aus, sich zum Zwecke eines Schwangerschaftsabbmches ins Ausland zu begeben. Letztlich hangt die Entscheidung, ob die genannten Strafvorschriften den Anforderungen des gemeinschaftsrechtlichen VerhaltnismaBigkeitsgmndsatzes ausreichend Rechnung tragen, jedoch von einer Abwagung der Auswirkungen dieser Regelungen auf die Binnenmarktordnung einerseits und den Interessen des Mitgliedstaates an der Ausdehnung seiner Strafgewalt andererseits ab. UnverhaltnismaBig ware es demnach, wenn deutschen Staatsangehorigen schlechthin untersagt wiirde, sich zum Zwecke eines Schwangerschaftsabbruches in einen Mitgliedstaat zu begeben, in dem dieser Eingriff als legale arztliche Dienstleistung angeboten wird. Denn von der passiven Dienstleistungsfreiheit der Schwangeren bliebe dann nichts iibrig. Der im deutschen Recht vorgesehene strafrechtliche Schutz des ungeborenen Lebens beinhaltet indes gerade kein absolutes Verbot, im Ausland einen Schwangerschaftsabbruch durchfuhren zu lassen. Fiir die Schwangere bleibt der innerhalb der 22. Woche seit der Empfangnis durch einen Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch - falls nicht ohnehin bereits die Voraussetzungen der § 218 a I-III StGB vorliegen - gem. § 218 a IV S. 1 StGB straflos, wenn sie zuvor eine Beratung durch eine anerkannte Beratungsstelle (§ 219 StGB) in Anspruch genommen hat. Die genannten Strafbestimmungen tragen auf diese Weise dem legitimen Interesse der deutschen Rechtsordnung Rechnung, einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundwert zu schiitzen, ohne hierdurch die gemeinschaftsrechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit abtreibungswilliger Frauen voUstandig auszuhohlen. Es erscheint nicht unverhaltnismaBig, wenn ein Staat seinen Angehorigen, die ihre Lebensgrundlage im Inland haben, zumutet, dass sie die im Inland geltenden Bestimmungen zum Schutze des ungeborenen Lebens auch im Ausland beachten, sofern ihnen noch ein ausreichender Raum fiir die Wahrnehmung ihrer Grundfreiheiten verbleibt. Im Ergebnis stehen somit die deutschen Regelungen zur Strafbarkeit des Abtreibungstourismus von Schwangeren (§§ 218 I, III StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB) im Einklang mit Gemeinschaftsrecht. f) Strafbarkeit des Arztes und VerhaltnismaBigkeitsgrundsatz Anders zu beurteilen ist hingegen die gemeinschaftsrechtliche Zulassigkeit der in 46 § 218 I StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB vorgesehenen Strafandrohung gegeniiber einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen oder voriibergehend tatigen deutschen Arzt, der im Rahmen seiner gewohnlichen Berufstatigkeit Schwangerschaftsabbriiche vornimmt. Zunachst muss man sehen, dass seine Niederlassungsbzw. aktive Dienstleistungsfreiheit hierdurch in wesentlich intensiverem MaBe beschrankt wird als die passive Dienstleistungsfreiheit der Schwangeren. Die Abtreibungstouristin begibt sich schlieBlich nur in einer singularen Ausnahmesituation ins Ausland, um dort als Dienstleistungsempfangerin eine Abtreibung ihrer Leibesfrucht vornehmen zu lassen. Demgegeniiber stellt die Durchfiihrung von Schwangerschaftsabbriichen fiir den in einer Abtreibungsklinik praktizierenden Arzt eine hauptberufliche Tatigkeit dar, aus der er sein regelmaBiges Erwerbseinkommen bezieht. Die deutschen Strafbestimmungen zwingen ihn, bei jedem medizinischen Eingriff - gleich, ob es sich bei seiner Patientin um eine deutsche oder
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
um eine auslandische Staatsangehorige handelt - das deutsche Abtreibungsstrafrecht zu beachten. Gerade von nichtdeutschen Patientinnen wird man nun aber schwerlich erwarten diirfen, dass sie die vom deutschen Recht in § 218 a StGB statuierten Verfahrens- und Fristbestimmungen einhalten. Dies aber bedeutet ftir den Arzt, dass er eine Vielzahl von Einriffen nicht durchfiihren darf, sei es, weil die Zwolfwochenfrist (§ 218 a I Nr, 3 StGB) verstrichen ist oder weil seine Patientin keine Beratung bei einer nach deutschem Recht anerkannten Beratungsstelle in Anspmch genommen hat. 47 Die von § 5 Nr. 9 StGB angeordnete Unterwerfung des im Ausland praktizierenden deutschen Arztes unter deutsches Abtreibungsstrafrecht stellt damit eine unverhaltnismaBige Beschrankung seiner vom EGV garantierten Niederlassungsfreiheit dar^''. Zwar sind die den Arzt betreffenden Strafbestimmungen geeignet, den Schutz des ungeborenen Lebens - ein zwingender Grund des AUgemeininteresses - zu sichern. Sie sind jedoch nicht erforderUch, weil diesem Ziel bereits die den medizinischen Dienstleistungsbereich reglementierenden Vorschriften des Niederlassungsstaates, in dem der Arzt praktiziert, Rechnung tragen. Im Bereich der medizinischen Berufe ist die Gemeinschaftsrechtssetzung bereits sehr weit fortgeschritten. In zahlreichen Richtlinien wird etwa die Anerkennung der im Heimatstaat erworbenen Abschliisse und Befahigungsnachweise geregelt, um die grenziiberschreitende Mobilitat der betroffenen Berufsgruppen zu fordern und den tjbergang von einem Mitgliedstaat zum anderen zu erleichtern^^. Das in diesen Richthnien zum Ausdruck kommende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung muss deshalb zum Tragen kommen, wenn es um nationale Reglementierungen medizinischer Dienstleistungen geht. Angesichts des in diesem Regelungsbereich erzielten Harmonisierungsgrades muss das in einem MitgHedstaat bestehende Schutzniveau von den anderen Mitgliedstaaten prinzipiell als ausreichend betrachtet werden. Das deutsche Recht konterkariert hingegen mit seiner Strafandrohung gegeniiber dem Arzt, der in einem anderen Mitgliedstaat legal einen Schwangerschaftsabbruch durchfiihrt, die von der Gemeinschaftsrechtsordnung intendierte Liberalisierung des Niederlassungs- und Dienstleistungsverkehrs im Bereich der medizinischen Berufe. 48 Folgt man der hier getroffenen Wertung, so verstoBt das deutsche Recht insoweit gegen Gemeinschaftsrecht, als es gem. § 218 I StGB i. V. m. § 5 Nr. 9 StGB einen Arzt mit Strafe bedroht, der im Ausland einen legalen Schwangerschaftsabbruch durchfiihrt. Die nationale Strafnorm darf infolge ihrer direkten Kollision mit Gemeinschaftsrecht nach dem Prinzip des Anwendungsvorranges nicht angewendet werden.
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Diesem Ergebnis zustimmend Amhos, IntStR, § 3 Rn. 59; Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 716. Vgl. nur Schlag, EU-Kommentar, Art. 47 Rn. 14 m. w. N.
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6. Lebenslange Ausweisung als strafrechtliche Nebenfolge („Calfa") Fall 7 (EuGHE 1999, 11): Frau Calf a, eine italienische Staatsangehorige, wurde wahrend 49 ihres Urlaubes in Griechenland im Besitz von Betaubungsmitteln aufgegriffen. Bin griechisches Gerieht vemrteilte die Angeklagte deshalb zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und verfiigte als strafrechtliche Nebenfolge - wie dies die einschlagigen Bestimmungen des griechischen Rechts vorsahen - ihre lebenslange Ausweisung aus Griechenland. Gegen diese Ausweisungsverfiigung richtete sich das Rechtsmittel der Angeklagten. Losungshinweise zu Fall 7: Es bestehen Zweifel, ob die lebenslange Ausweisung 50 der Btirgerin eines Mitgliedstaates, die sich als Touristin in einem anderen Mitgliedstaat aufhalt, mit der gemeinschaftsrechtlichen Garantie der (passiven) Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV) vereinbar ist. Das fiir die strafrechtliche Aburteilung der Angeklagten zustandige griechische Gerieht setzte das Verfahren daher aus und legte dem EuGH gem. Art. 234 EGV die Frage vor, ob eine nationale Vorschrift, die dem Gerieht im Falle eines Schuldspruches wegen VerstoBes gegen Betaubungsmittelstrafrecht die lebenslange Ausweisung des Verurteilten vorschreibe, mit Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Der EuGH verneinte dies. Er verwies zunachst auf die primarrechtlichen Vorschriften iiber den freien Dienstleistungsverkehr, welche nach standiger Rechtsprechung auch die Freiheit des Dienstleistungsempfangers einschlieBen, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschrankungen daran gehindert zu werden®^. Touristen seien als Empfanger von Dienstleistungen anzusehen. Zwar konnen die Freiziigigkeitsrechte durch die Mitgliedstaaten aus Griinden der offentlichen Ordnung beschrankt werden (sog. „Ordre-publicVorbehalt"). Da Frau Calf a die Drogen aber lediglich zum Eigenkonsum und nicht zum illegalen Handeltreiben besessen habe, liege hierin keine so schwerwiegende Gefahrdung der Gesellschaft, dass ihre lebenslange Ausweisung aus Griinden der offentlichen Ordnung ausnahmsweise gerechtfertigt erscheine^°. Da der EuGH nur iiber die Auslegung des Gemeinschaftsrechts entscheidet (§ 6 Rn. 11), bleibt es dem nationalen Gerieht iiberlassen, die sich aus der Vorabentscheidung des Gerichtshofs fiir das nationale Strafrecht ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Im Lichte der Vorrangregel kann dies im vorliegenden Fall nur darauf hinauslaufen, die innerstaatliche Bestimmung, auf welche die lebenslange Ausweisung der Angeklagten gestiitzt wurde, unangewendet zu lassen. Dem Rechtsmittel der Angeklagten kann somit im Ergebnis der Erfolg nicht versagt bleiben.
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Vgl. hierzu E u G H E 1984, 377; 1989, 195; 1991,4685, 4733 ff.; Hanf J Z 1999, 785. E u G H E 1999, 1 1 , 2 9 ff.
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
C. Literaturhinweise Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11 Rn. 37-41 Dannecker, Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts, JURA 1998, 79 ders., in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 124-135 ders., Der zeitliche Geltungsbereich von Strafgesetzen und der Vorrang des Gemeinschaftsrechts, ZIS 2006, 309 ders.. Das materielle Strafi^echt im Spannungsfeld des Rechts der Europaischen Union, JURA 2006, 173 ders. Die Dynamik des materiellen Straftrechts unter dem Einfluss europaischer und intemationaler Entwicklungen, ZStW 117 (2005), S. 697 Eisele, Einfiihrung in das Europaische Strafrecht, JA 2000, 896 Esser, Europaische Vorgaben ftir die amtliche Lebensmitteliiberwachung - Auf dem Weg zu einem europaischen Beweisverwertungsverbot, StV 2004, 221 Gross, Anmerkung zu dem Urteil des EuGH v. 3. Mai 2005 („Berlusconi"), EuZW 2005, 371 Hecker, Straft^are Produktwerbung im Lichte des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 58-65, 282-287 ders., Europaisches Strafi*echt als Antwort auf transnationale Kriminalitat?, JA 2002, 723 Heise, Europaisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1998, S. 5-41 Herdegen, Europarecht, 8. Aufl., 2006, § 11 Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, 1994, S. 1 Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, 2000, S. 44-60 Kehrt, Lebensmittelstrafrecht im Spannungsfeld des Gemeinschaftsrechts, 2004, S. 105-110; 274-278 Masingy Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, 264 Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., 2005, § 7 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 36-56, 475-517 ders., Internationales und Europaisches Strafrecht, 2005, § 8 Rn. 71-79 ders., Anmerkung zu dem Urteil des EuGH v. 3. Mai 2005 („"Berlusconi"), JZ 2005, 998 Schroder, Europaische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 56-102, 249-319 Streinz, Europarecht, 6. Aufl., 2003, § 3 VII (zum Anwendungsvorrang)
D. Rechtsprechungshinweise EuGHE 1964, 1251 („Costa/ENEL" - Verhaltnis der Gemeinschaftsrechtsordnung zu den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten) EuGHE 1977, 1495 (Strafverfahren gegen Sagulo - Freiziigigkeitsrecht und AuslG) EuGHE 1978, 629 („Simmenthal 11" - Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber nationalem Recht) EuGHE 1979, 1629 (Strafverfahren gegen Ratti - Vorrang einer unmittelbar anwendbaren Richtlinienbestimmung)
E. Zusammenfassung von § 9
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EuGHE 1983, 2727 (Strafverfahren gegen Auer - Vorrang einer unmittelbar anwendbaren Richtlinienbestimmung) EuGHE 1991, 4685 („Society for the protection of unborn children/Grogan u. a." - legaler arztlicher Schwangerschaftsabbruch als gemeinschaftsrechtlich geschtitzte Dienstleistung) EuGHE 1994, 1039 (Strafverfahren gegen Schindler - Dienstleistungsfreiheit und strafbewehrtes Verbot ungenehmigter Lotterieveranstaltungen) EuGHE 1999, 11 (Strafverfahren gegen Calfa - lebenslange Ausweisung als VerstoB gegen passive Dienstleistungsfreiheit) EuGH EuZW 1999, 82 (Strafverfahren gegen Bickel und Franz - Diskriminiemngsverbot im Strafverfahren) EuGHE 2003, 3735 (BuBgeldverfahren gegen Steffensen - gemeinschaftsrechtliches Beweisverwertungsverbot) EuGHE 2005, 3565 = JZ 2005, 997 = EuZW 2005, 369 (Strafverfahren gegen Berlusconi u. a. - Konflikt zwischen riickwirkender Anwendung eines milderen Strafgesetzes und Gemeinschaftsrecht) BVerfGE 31, 145 (uneingeschrankter Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber deutschem Gesetzesrecht) BVerfGE 73, 339 („Solange II-Beschluss" - relativierter Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber nationalem Verfassungsrecht) BVerfGE 75, 223 (uneingeschrankter Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber deutschem Gesetzesrecht) BGHSt 37, 168 (Steuerstrafrecht - Anwendungsvorrang einer unmittelbar anwendbaren Richtlinie)
E. Zusammenfassung von § 9 Nach standiger Rechtsprechung des EuGH setzt sich unmittelbar geltendes Ge- 51 meinschaftsrecht uneingeschrankt gegen entgegenstehendes nationales Recht (einschlieBlich Verfassungsrecht) durch. Das BVerfG bestatigt zwar den uneingeschrankten Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegeniiber deutschem Gesetzesrecht, relativiert das Vorrangprinzip jedoch, wenn die Vereinbarkeit von sekundarem Gemeinschaftsrecht mit nationalem Verfassungsrecht in Frage steht. In seinem „Solange II-Beschluss" legte das BVerfG dar, dass es seine Gerichtsbarkeit iiber die Anv^endbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausiiben werde, solange die Europaischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegeniiber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewahrleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist. Nach zutreffender h. M. genieBt das Gemeinschaftsrecht gegeniiber dem natio- 52 nalen Recht keinen Geltungsvorrang, sondern lediglich einen Anwendungsvorrang. Dem mit Gemeinschaftsrecht kollidierenden nationalen Recht wird also nicht die Wirksamkeit abgesprochen - es ist lediglich unanwendbar. Im Falle einer direkten Kollision zwischen mitgliedstaatlichem Strafrecht und unmittelbar gel-
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§ 9 Vorrang des Gemeinschaftsrechts
tendem Gemeinschaftsrecht bewirkt diese Vorrangregel eine Neutralisierung der betroffenen Sanktionsvorschrift. Die Neutralisierungswirkung schlagt sich strafrechtsdogmatisch in einem Tatbestandsausschluss nieder. Nicht moglich ist das Wiederaufleben eines nationalen Strafgesetzes, welches durch ein an seine Stelle tretendes milderes - gegen Gemeinschaftsrecht verstoBendes - Gesetz aufgehobenen wurde. Das Vorrangprinzip ist namlich von vornherein nicht darauf gerichtet, die durch Unanwendbarkeit nationalen Rechts entstehende Liicke durch hinzugedachtes nationales Recht zu fiillen. Auch eine nicht fristgerecht umgesetzte Richtlinie kann strafbarkeitsbegrenzende Wirkung entfalten, wenn sie ohne einen Umsetzungsakt durch den nationalen Gesetzgeber bereits aus sich heraus klare, vollstandige, genaue und unbedingte Regelungen enthalt (Fall „Auer'y. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht aber kein gemeinschaftsrechtliches Gebot, nach dem unmittelbar wirkende Richtlinieninhalte die Anwendung eines Strafgesetzes generell sperren. Wie der Fall „RattV' lehrt, kann sich ein Angeklagter nur dann auf ihn begiinstigendes Richtlinienrecht berufen (mit der Folge der Unanwendbarkeit der Strafnorm), wenn er sich selbst richtliniengetreu verhalten hat. 53 Anhand von Fallen einer grenziiberschreitenden Dienstleistung („ungenehmigte Lotterieveranstaltung") und Produktvermarktung („irrefiihrende Werbung") sowie am Beispiel des nach deutschem Recht strafbaren „Abtreibungstourismus" wurde aufgezeigt, ob und inwieweit nationale Strafbestimmungen wegen VerstoBes gegen Primarrecht unangewendet bleiben miissen. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Calfa'' macht deutUch, dass auch strafrechtliche Sanktionen auf dem Priifstand des Gemeinschaftsrechts stehen.
§10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
A- Das Rechtsinstitut der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung I. Bedeutung der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung Das Institut der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationaler Rechtsnormen erweist sich nicht nur auf dem Gebiet des Strafrechts als einer der bedeutsamsten Europaisierungsfaktoren^ Es sorgt ftir eine Anpassung der innerstaatlichen Rechtsanwendung an die Wertungsvorgaben des Gemeinschaftsrechts und sichert dessen Geltungsanspruch. Der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung kommt schon deshalb eine besondere Bedeutung fiir die Rechtspraxis zu, weil sie es ermogUcht, auch nicht unmittelbar in alien Mitgliedstaaten anwendbaren supranationalen Rechtsakten, insbesondere Richtlinien, zu innerstaatlicher Beachtlichkeit zu verhelfen^. Durch die Rezeption gemeinschaftsrechtlicher Wertungsvorgaben losen sich einzelstaatliche Normen nicht selten von dem Inhalt, der ihrer bisherigen, unter Umstanden schon lange zuriickreichenden nationalen Auslegungstradition entspricht. Dies mag mitunter - je nach rechtspolitischem Standpunkt als erwiinschter oder unerwiinschter Eingriff in die nationale Rechtskultur empfunden werden. Auf der anderen Seite tragt das Institut aber auch zur Schonung der nationalen Rechtsordnung bei, wenn sich bereits durch eine den gemeinschaftsrechtlichen Wertungen Rechnung tragende Rechtsinterpretation potentielle KoUisionen mit unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht und damit die Unanwendbarkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften vermeiden lassen. In Rechtsprechung und Literatur wird im Zusammenhang mit der Frage, ob und wie das Gemeinschaftsrecht bei der Interpretation nationaler Vorschriften zu beriicksichtigen ist, zumeist von richtlinienkonformer Auslegung gesprochen. Dies mag mit der liberragenden praktischen Bedeutung der Richtlinie als Instrument zur Harmonisierung nationaler Rechtsvorschriften auf nahezu alien Tatigkeitsfeldern der EG zusammenhangen^, andert aber nichts daran, dass es sich bei der richtVgl. nur Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 128 und passim; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 100 und passim; Satzger, Europaisierung, S. 518; Schroder, Richtlinien, S. 333. Zur Beriicksichtigung von Empfehlungen bei der Normauslegung vgl. EuGHE 1989, 4407, 4421 (Rz. 18). Vgl. zur Funktion der Richtlinie im Integrationsprozess Gotz, NJW 1992, 1849 ff.; Scherzberg, JURA 1992, 572, 574 ff.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
linienkonformen Auslegung nur um einen - freilich sehr bedeutsamen - Unterfall der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung handelt"^. Im Ubrigen ist zu beachten, dass sich die richtlinienkonforme Auslegung als mehrphasiger Interpretationsakt^ darstellt, der sich nicht nur auf eine reine Richtlinienexegese beschranken darf, sondern auch das vorrangige Primarrecht zu beriicksichtigen hat (Rn. 23). Bei der praktischen Rechtsanwendung tritt die Richtlinie regelmaBig insoweit in den Hintergrund, als innerstaatliches Recht die Ziele der Richdinie umfassend verwirklicht. Sie bleibt aber OrientierungsmaBstab fur die ihr konforme Auslegung nationalen Rechts, kann Anlass zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens geben oder wird moglicherweise selbst zum unmittelbar anwendbaren, entscheidungserheblichen Rechtssatz (§ 4 Rn. 65)^.
II. Begrundung und Inhalt der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 7. Leitentscheidungen des EuGH („von Colson und Kamann"; „Harz") Als wegweisend fiir die Begrundung einer Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung gelten die Entscheidungen des EuGH in den Fallen „ von Colson und Kamann'''^ und „Harz''^ (vgl. hierzu bereits § 7 Rn. 23 ff.). Hintergrund beider Entscheidungen war die Frage, ob das deutsche Recht mit den Vorgaben der Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG^ in Einklang steht. Nach der damaligen Fassung des § 611 a II BGB stand dem von einem Arbeitgeber richtlinienwidrig diskriminierten Bewerber nur Ersatz des Vertrauensschadens, also Erstattung der Fahrt- und Bewerbungskosten, zu. Eine Sanktionierung des richtlinienwidrigen Verhaltens in Form einer lediglich symbolischen Entschadigung tragt nach Auff as sung des EuGH dem Erfordernis einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht ausreichend Rechnung. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht bestand das Problem des Falles darin, dass einerseits die Beschrankung des nationalen Rechts auf bloBen Ersatz der Bewerbungskosten nicht als gemeinschaftsrechtskonform eingestuft werden konnte, andererseits die Richtlinie keinerlei konkrete Inhalte hinsichtlich der an einen VerstoB zu kniipfenden Rechtsfolgen vorsah. Sie konnte folglich gegeniiber einem Arbeitgeber des offentlichen Dienstes nicht unmittelbar angewendet werden. Die Bundesregierung auBerte im Verlauf des Vorabentscheidungsverfahrens die Auffassung, die Gewahrung von Schadensersatz sei auf der Grundlage des § 611 a II BGB bzw. § 823 II i. V. m. § 611 a II BGB nicht
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Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 48. Schroder, Richtlinien, S. 408 ff., 451 ff Klein, Everling-Festschrift, S. 641, 650. EuGHE 1984, 1891. EuGHE 1984, 1921. ABIEG 1976 Nr. L 39, S. 40.
A. Das Rechtsinstitut der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung
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ausgeschlossen^°. Diese Stellungnahme diente dem Gerichtshof als Anknlipfungspunkt, um eine gemeinschaftsrechtsfreundliche Losung zu prasentieren^ ^. Zwar war es dem EuGH verwehrt, selbst eine richtlinienkonforme Auslegung des § 611 a II BOB vorzunehmen, denn die Auslegung des nationalen Rechts ist ausschlieBlich Aufgabe der vorlegenden Gerichte (§ 6 Rn. 13). Der Gerichtshof stellte jedoch klar, dass alle Trager offentlicher Gewalt und somit auch die mitgliedstaatlichen Gerichte verpflichtet sind, alle zur Verwirklichung des Richtlinienziel erforderlichen MaBnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu ergreifen. Daraus folge, dass die Gerichte insbesondere ein speziell zur Umsetzung einer Richtlinie erlassenes Gesetz im Lichte ihres Wortlautes und Zwecks auszulegen haben, um das in Art. 249 III EGV (ex-Art. 189 EGV) genannte Ziel zu erreichen^^. Den nationalen Gerichten obliege mithin die Pflicht, das zur Durchfiihrung einer Richtlinie erlassene Gesetz unter voUer Ausschopfung des ihnen vom nationalen Recht eingeraumten Beurteilungsspielraums in Ubereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden^^. Wie weit die Entscheidung des EuGH in den Fallen „ von Colsen und Kamann " und „Harz'' fortgewirkt hat, zeigen die Reaktionen des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Das BAG befand zunachst, § 611 a II BGB a. F.^^ konne auch im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung nicht iiber seinen Wortlaut hinaus und gegen den Willen des Gesetzgebers als Grundlage eines den Vertrauensschaden iibersteigenden Anspruchs auf Schadensersatz herangezogen werden^^. Jedoch stufte das Gericht die geschlechtsspezifische Diskriminierung beim Zugang zum Beruf als allgemeine Personlichkeitsrechtsverletzung ein, die grundsatzlich einen auf § 823 I BGB gestiitzten Schadensersatzanspruch in Hohe von - im Regelfall - einem Monatsgehalt begrunden konne. Im Lichte der Gleichbehandlungsrichtlinie sei bei einem VerstoB gegen das Benachteiligungsverbot eine Sanktion zu verlangen, die iiber einen rein symbolischen Schadensersatz hinausgehe. Die Problematik dieser Judikatur bestand darin, dass sie mit der tradierten deliktsrechtlichen Dogmatik brach. Nach § 253 I BGB setzt ein Anspruch auf Schadensersatz fur immaterielle Schaden eine gesetzliche Anordnung voraus, an der es gerade fehlte. Ein Schadensersatzanspruch konnte nach der bis dahin maBgebenden Rechtsentwicklung nur bei schweren Personlichkeitsrechtsverletzungen bejaht werden^^. Demgegeniiber bejahte das BAG einen Schadensersatzanspruch bereits fiir den Regelfall der Benachteiligung im Einstellungsverfahren, was die enorme Sprengkraft des Prinzips der richtlinienkonformen Auslegung aufzeigt.
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EuGHE 1984, 1891, 1901, 1908; 1984, 1921, 1935, 1942. Vgl. hierzu Schroder, Richtlinien, S. 332 f. m. w. N. EuGHE 1984, 1891, 1909 (Rz. 26); EuGHE 1984, 1921, 1942 (Rz. 26). EuGHE 1984, 1891, 1909 (Rz. 27 f.); EuGHE 1984, 1921, 1942 (Rz. 27 f). § 611 a BGB wurde mittlerweile den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angepasst. BAGE 61, 219, 222 ff. = NJW 1990, 65 ff. Vgl. hierzu nur Deutsche Deliktsrecht: Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz, Schmerzensgeld, 4. Aufl., 2002, Rn. 488 f.
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2, Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen des Auslegungsgebotes Der Gerichtshof setzte seine in den Entscheidungen „von Colson und Kamann'' und „Harz'' begriindete Judikatur in der Folgezeit fort und verlangte mit mehr oder weniger gleichlautenden Begriindungsformeln unter Berufung auf Art. 10 EGV und Art. 249 III EGV eine richtlinienkonforme Auslegung desjenigen nationalen Rechts, welches der Umsetzung einer Richtlinie dienf''. Im deutschen Schrifttum^^ und in der hochstrichterlichen deutschen Judikatur^^ stoBt dieser Begriindungsansatz des EuGH, der das Interpretationsgebot sowohl aus dem Loyalitatsprinzip als auch aus der Umsetzungsverpflichtung des Art. 249 III EGV ableitet, auf breite Zustimmung. Nur vereinzelt wird die Annahme einer Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung prinzipiell abgelehnt^°. Einige Vertreter der Literatur fiihren - bei grundsatzlicher Akzeptanz eines im Gemeinschaftsrecht wurzelnden Interpretationsgebotes - teilweise abweichende oder erganzende Begriindungselemente an. Fiir manche Autoren folgt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung allein schon aus der Zielverbindlichkeit der umzusetzenden Richtlinienbestimmung. Daher sei das Gebot primar auf die gegeniiber Art. 10 EGV speziellere Vorschrift des Art. 249 III EGV zu stiitzen^^ Es wird jedoch auch genau umgekehrt argumentiert und die Auf fas sung vertreten, Art. 249 III EGV konne zwar den Rechtsakten der Gemeinschaft bestimmte Wirkungen zuschreiben, nicht aber den Umgang mit koUidierendem nationalen Recht regeln. Da Fragen der Auslegungsregeln bzw. der Methodenwahl jenseits des Regelungsbereichs des Art. 249 III EGV lagen, finde auch das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung seine gemeinschaftsrechtliche Grundlage nur in Art. 10 EGV^^. Die Mitgliedstaaten sind zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet (Art. 101 EGV) und miissen alle MaBnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des EGV gefahrden konnten (Art. 10 II EGV). Vor diesem Hintergrund erscheint es im Ansatz iiberzeugend, das Interpretationsgebot als KonkreExemplarisch EuGHE 1986, 1651, 1690; 1987, 3969, 3986; 1988, 4635, 4662; 1992, 131, 148. Vgl. nur BacK JZ 1990, 1108, 1111 f.; Bauer/Kahl, JZ 1995, 1077, 1078 f.; Burgi, DVBl 1995, 772, 774 f.; Dannecker, JZ 1996, 869, 872; ders., JURA 2006, 173, 175 Gotz, NJW 1992, 1849, 1853 f; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 92 ff.: Lutter, JZ 1992, 593, 604; Roth, EWS 2005, 385 f.; Satzger, Europaisierung, S. 527 ff Schroder, Richtlinien, S. 336 ff; Veelken, JuS 1993, 271; a. A. Ddnzer-Vanotti, StVj 1991, 1,4 ff; Ehricke, RabelsZ 59, (1995), 598, 613 f und Jarass, EuR 1991, S. 211, 216, die lediglich einerichtlinienkonformeAuslegung kraft innerstaatlichen Interpretationsgebotes annehmen woUen. BVerfGE 75, 223, 237; BVerfG NJW 1988, 2173; BGH NJW 1998, 2208, 2210; NJW 1998, 3561, 3562; NJW 1999, 948, 949; BAG 61, 209, 216; BVenvGE 89, 320, 323 f Di Fabio, NJW 1990, 947, 953; restriktiv auch der Ansatz von Scherzberg, JURA 1993, 225, 232; vgl. hierzu die zutr. Gegenargumentation von Schroder, Richtlinien, S. 336ff Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 265 ff; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 426; Ruffler, OJZ 1997, 121, 123. Nettesheim, AoR 119 (1994), S. 261, 268.
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tisierung des allgemeinen Loyalitatsgebots zu begreifen. Aber auch die Bemfung auf Art. 249 III EGV iiberzeugt, denn die Inpflichtnahme der in dieser Bestimmung (im Gegensatz zu Art. 10 EGV) ausdriicklich genannten „innerstaatlichen Stellen", also auch der zur Rechtsanwendung berufenen staatlichen Organe, ist notwendiger Bestandteil der mitgliedstaatlichen Umsetzungsverpflichtung. Wiirde sich diese nur auf die Verpflichtung zur Setzung richtlinienkonformer Rechtsvorschriften beschranken, also nur den Gesetzgeber binden, bestiinde die Gefahr, dass bei der konkret-individuellen Rechtsanwendung (Gerichtsurteile, Verwaltungsakte) auseinanderdivergiert, was durch einen abstrakt-generellen Rechtssatz harmonisiert worden ist^^. Zusammenfassend lasst sich damit feststellen, dass eine Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts aus Art. 10 EGV und wenn es um die Umsetzung von Richtlinien geht - zusatzHch aus Art. 249 III EGV abzuleiten ist. Gebunden sind durch dieses Interpretationsgebot alle Trager offentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehorden. 3. Nationale Rechtsgrundlagen einer gemeinschaftsrechtsfreundlichen Auslegung Allgemein anerkannt ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch schon im Rahmen der klassischen nationalen Auslegungskriterien Beriicksichtigung finden kann (sog. gemeinschaftsrechtsfreundliche Auslegung). Dient eine nationale Vorschrift der Umsetzung einer Richtlinie, so fiihren bereits der historische und teleologische Interpretationsansatz zur Implementierung der gemeinschaftsrechtlichen Wertungsvorgaben. Da der Rechtsanwender davon ausgehen darf, dass der Gesetzgeber die Richtlinie korrekt umsetzen woUte, ist die Umsetzungsvorschrift nach ihrem Sinn und Zweck im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen^^. In der Literatur wird das Phanomen, dass die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung auch eine Grundlage im nationalen Recht findet, als Verdoppelung des rechtlichen Grundes bezeichnet^^. Die gemeinschaftsrechtliche Fundierung des Instituts der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist jedoch schon deshalb unverzichtbar, weil nur auf ihrer Grundlage ein fiir die innerstaatlichen Stellen verbindliches Interpretationsgebot begrundet werden kann. Beruhte die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nur auf nationalen Interpretationsmaximen, so ware eine solche Auslegung stets nur zulassig, aber nicht geboten^^. Auch ist zumindest zweifelhaft, ob sich eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der vor einer Richtlinie erlassenen oder nicht der Umsetzung einer Richtlinie dienenden nationalen
^^ Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 256; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 83 ff.; Ruffler, OJZ 1997, 121, 125 f.; Schroder, Richtlinien, S. 339 f. ^^ Jarass, EuR 1991, 211, 217; Kohne, DierichtlinienkonformeAuslegung im Umweltstrafrecht, S. 145 f.; Satzger, Europaisierung, S. 525; Schroder, Richtlinien, S. 338. ^^ Gellermann, Beeinflussung, S. 105. 26 Satzger, Europaisierung, S. 526.
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Vorschriften auf der Basis rein innerstaatlicher Interpretationsmaximen iiberhaupt begriinden lasst. III. Gegenstand der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung 1. Umsetzungsrecht und sonstiges nationales Recht („Marleasing") 10 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erstreckt sich zunachst auf das nationale Umsetzungsrecht, also diejenigen Vorschriften, die von den Mitgliedstaaten speziell zur Durchfiihrung einer Richtlinie erlassen worden sind. Dariiber hinaus ist jedoch nach ganz h. M. auch das sonstige nationale Recht selbst dann richtlinienkonform auszulegen, wenn es sich um Vorschriften handelt, die vor Oder unabhangig vom Erlass der Richtlinie ergangen sind^''. Bereits in den Urteilen „von Colson und Kamann" und „Harz" klingt durch die einleitende Wendung „insbesondere" (Rn. 4) an, dass der EuGH das nationale Umsetzungsrecht zwar hervorheben, jedoch dariiber hinaus den gesamten innerstaatlichen Rechtsbestand als Gegenstand einer richtlinienkonformen Auslegung in Betracht Ziehen wilP^. Ausdriicklich bestatigt wird diese Rechtskonzeption in der vielfach zitierten Entscheidung des Gerichtshofs im Fall „Marleasing''^^. 11 In dem Ausgangsverfahren vor einem spanischen Zivilgericht ging es um die Klage einer spanischen Gesellschaft {„Mcirleasing SA''), die das Ziel verfolgte, den Gesellschaftsvertrag einer anderen Gesellschaft fiir nichtig zu erklaren. Die Klagerin trug vor, dass diese Gesellschaft nur mit dem Zweck gegriindet worden sei, um ihr - der Klagerin - den Zugriff auf das Vermogen einer weiteren Gesellschaft zu entziehen. Sie stiitzte ihren Antrag auf Vorschriften des spanischen Rechts, wonach Vertrage ohne rechtlichen Grund oder mit einem unerlaubten Grund unwirksam sind. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung hatte Spanien die Richtlinie 68/151/EWG zur Koordinierung der Schutzbestimmungen fiir Gesellschafter und Glaubiger^° noch nicht umgesetzt. Art. 11 der Richtlinie zahlt die Nichtigkeitsgriinde abschlieBend auf, ohne die von der Klagerin vorgetragenen Griinde explizit zu nennen. Die im Vorlageverfahren von dem spanischen Gericht gestellte Frage nach der unmittelbaren Wirkung des Art. 11 verneinte der EuGH unter Hinweis auf seine standige Rechtsprechung, nach der eine Richtlinienbestimmung nicht selbst Verpflichtungen fiir den Einzelnen begriinden konne. Er stellte jedoch klar, dass ein nationales Gericht die Auslegung des innerstaatlichen Rechts - unabhangig vom Zeitpunkt seines Erlasses - so weit wie moglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten miisse, um das mit ihr ver-
^'^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 137; DoepnerlReese, GRUR 1998, 761, 771; Gellermann, Beeinflussung, S. 106; Gotz, NJW 1992, 1849, 154; Kohler-Gehrig, JA 1998, 807, 811; Rujfler, OJZ 1997, 121, 125 f; RotK EWS 2005, 385, 388; Schroder, Richtlinien, S. 339 f. ^^ Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 83. 29 EuGHE 1990, 4135. 30 ABlEG1968Nr.L65,S. 8.
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folgte Ziel zu erreichen und auf diesem Weg Art. 249 III EGV nachzukommen^^. Der Gerichtshof begniigte sich nicht mit diesem allgemeinen Hinweis, sondern stellte dariiber hinaus sehr detaillierte Vorgaben fiir die Auslegung des einschlagigen spanischen Rechts auf, die das Ergebnis der Auslegung praktisch vorprogrammierten^^. Das Erfordemis der richtlinienkonformen Rechtsanwendung schlieBe es aus, die Nichtigkeit einer Aktiengesellschaft aus anderen als den in Art. 11 der Richtlinie abschlieBend aufgezahlten Griinden auszusprechen. Die Entscheidung des Gerichthofs im Fall „Marleasmg'' bestatigt, dass das ge- 12 samte nationale Recht, unabhangig davon, ob es der Umsetzung einer Richtlinie dient oder nicht und gleichgiiltig, ob es zeitlich vor oder nach der Richtlinie erlassen wurde, richtlinienkonform auszulegen ist. Auf diese Weise diirften auch keine Wertungswiderspriiche entstehen, wenn der nationale Gesetzgeber nicht tatig wird (und nicht tatig werden muss), well bereits die bestehenden Rechtsvorschriften den Richtlinienvorgaben geniigen (Rn. 15). 2. Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts ohne vorangegangene Transformationsgesetzgebung a) Richtlinie und nationales Recht Richtlinien sind gem. Art. 249 III EGV an die Mitgliedstaaten gerichtet (§ 4 13 Rn. 64). Um unmittelbare Wirkung fur die Biirger zu entfalten, bediirfen sie prinzipiell der Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten^^. Die Mitgliedstaaten miissen dabei jene Formen und Mittel wahlen, „die sich zur Gewdhrleistung der praktischen Wirksamkeit (sog. „ ejfet utile ") der Richtlinie unter Berilcksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks am besten eignen"^^. Die Verpflichtung zu einer den Zielsetzungen der Richtlinie entsprechenden Ausgestaltung bzw. Anpassung des nationalen Rechts fiihrt regelmaBig zu besonderen Legislativakten der Mitgliedstaaten in Form eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung^^. Inhalt und AusmaB der erforderlichen Rechtsumgestaltung hangen davon ab, inwieweit das nationale Recht bereits den inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie entspricht. Damit die Umsetzungsnorm ihre spezifische Funktion, dem materiellen Rege- 14 lungsgehalt der Richtlinie innerstaatliche Geltung zu verschaffen, erfiillen kann, muss zum einen ihre tatbestandliche Fassung richtlinienkongruent ausgestaltet 31 EuGHE 1990, 4135, 4159 (Rz. 8); bestatigt in EuGHE 1993, 6911, 6932 (Rz. 20); 1994, 3325, 3357. 3^ Krit. hierzu Schroder, Richtlinien, S. 343. 33 Nur unter besonderen Voraussetzungen kommt eine unmittelbare Wirkung nicht umgesetzter Richtlinienbestimmungen zugunsten von Unionsbiirgem in Betracht; vgl. hierzu EuGHE 1970, 825, 838 (Rz. 5); 1982, 53, 70 f. (Rz. 17 ff.); 1983, 2727, 2744 (Rz. 16); 1987, 3969, 3985 (Rz. 6 ff.); 1988, 4635, 4662 (Rz. 39 f); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 14 ff; Gotz, NJW 1992, 1849, 1855. 34 3^
E u G H E 1976, 497, 517 (Rz. 69, 73). Z u r Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten u n d zu d e n verbleibenden Entscheidungsspielraumen vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 10 ff.; Gellermann, Beeinflussung, S. 15 ff; Scherzberg, Jura 1992, 572, 576 ff
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sein. Dies geschieht entweder durch eine wortiiche Ubernahme der in der Richdinie enthaltenen Rechtssatze oder zumindest durch Verwendung einer dem Sinngehalt der Richdinie entsprechenden Formulierung. Nach standiger Rechtsprechung des EuGH erfordert die Umsetzung einer Richtlinie aber nicht notwendigerweise, dass ihre Bestimmungen formlich oder wordich in die nationale Rechtsordnung iibernommen werden^^. Die rechtstechnischen Moglichkeiten der Transformation von Richtiinien in nationales (Straf)Recht konnen etwa am Beispiel des Geldwaschetatbestandes (§ 261 StGB) studiert werden^''. 15 • Die Notwendigkeit einer speziellen Transformationsgesetzgebung entfallt, soweit die nationale Rechtsordnung bereits ein dem sachlichen Regelungsziel der Richtlinie entsprechendes Rechtsinstrumentarium bereithalt. In diesem Fall kommt der richtlinienkonformen Auslegung die Funktion zu, eine schon vor Inkrafttreten der Richtlinie existierende mitgliedstaatliche Norm, die durch eine moglicherweise schon lange wahrende Rechtspraxis gepragt wurde, in den gemeinschaftsrechtlichen Kontext zu stellen und anhand der sich hieraus ergebenden Vorgaben neu zu interpretieren. Auf diese Weise wird ohne Zutun des Gesetzgebers - durch bloBe Interpretationsakte - europaisiertes nationales (Straf)Recht in den Mitgliedstaaten erzeugt. Ein anschauliches Beispiel hierfiir bietet das lebensmittelrechtliche Irrefuhrungsverbot: 16 § 11 I LFGB38 (§ 17 I Nr. 5 LMBG^^ a. F.) verbietet das Inverkehrbringen von Lebensmitteln unter irrefiihrender Aufmachung bzw. das Werben fur Lebensmittel mit irrefiihrenden Aussagen. Vorsatzliche Zuwiderhandlungen sind mit Strafe, fahrlassige VerstoBe mit BuBgeld bedroht (vgl. §§ 59 I Nr. 7, 60 I LFGB). Das lebensmittelrechtliche Irrefuhrungsverbot existierte als zentraler Pfeiler des deutschen Lebensmittel(straf)rechts schon lange vor dem Inkrafttreten der am 18. Dezember 1978 erlassenen Richtlinie 79/112/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten iiber die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfiir (EtikettierungsRL)^°. Die genannte Richtlinie sclireibt den Mitgliedstaaten u. a. vor, den Schutz der Endverbraucher vor irrefiihrungsgeeigneter Etikettierung bzw. Aufmachung von Lebensmitteln und Werbung sicherzustellen. Da die Richtlinie und die deutsche Bestimmung das 36 ^^
Vgl. nur EuGHE 1991, 2607, 2631 (Rz. 18); EuGHE 1992, 3265, 3309 (Rz. 17). Wie Vogel ZStW 109 (1997), S. 335, 342 ff. eindmcksvoU demonstriert, bestehen bemerkenswerte sprachliche, stilistische und systematische Unterschiede bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung der Richtlinie 91/308/EWG des Rates der Europaischen Gemeinschaften v. 10. Juni 1991 zur Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche (ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77); zu dem Umsetzungsbedarf, der sich aus der Dritten Geldwascherichtlinie (ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15) ergibt vgl. Schroder/Textor, GwG, Vor § 261 Rn. 30 ff. 3^ Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch v. I.September 2005 (BGBl. I 2005, S. 2618). 3^ Lebensmittel- und Bedarfsgegenstandegesetz i. d. F. d. Bek. v. 9. September 1997 (BGBl. I 1997, S. 2296); aufgehoben und ersetzt durch das am 7. September 2005 in Kraft getretene LFGB. "^0 ABIEG 1978 Nr. L 33, S. 1; inzwischen konsohdiert durch die Richtlinie 2000/13/EG (ABIEG 2000 Nr. L 109, S. 29).
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gleiche Regelungsziel (Schutz der Verbraucher vor Tauschung) verfolgen, ist § 111 LFGB wie schon die Vorlauferbestimmung des § 17 I Nr. 5 LMBG a. F. als eine Vorschrift zu behandeln, die der Umsetzung der EtikettierungsRL in deutsches Recht dient. Zu Recht wird daher in der lebensmittelrechtlichen Literatur einhellig erkannt, dass das Verbot irrefuhrender Lebensmittelwerbung und darstellungsbezogener Tauschung im Lebensmittelverkehr zum harmonisierten Bereich des Lebensmittelrechts gehort. Als solches ist das lebensmittelrechtliche Irrefuhrungsverbot richtlinienkonform auszulegen^^. Der lebensmittelrechtliche Zentralbegriff der Irrefiihrung unterliegt nunmehr 17 der Definitionsmacht des EuGH und nicht (mehr) den unterschiedlichen Vorstellungen der mitgliedstaatlichen Gerichte. Folglich sind bei der Auslegung des § 111 LFBG die vom Gerichtshof entwickelten MaBstabe zugrunde zu legen. Bei der tauschungsrechtlichen Beurteilung einer bestimmten Lebensmitteldarbietung muss mithin von dem Leitbild eines verstandigen, informierten und an Informationen interessierten Verbrauchers ausgegangen werden^^. Demgegenliber unterfallt der dem traditionellen Leitbild des deutschen Lebensmittelrechts zugrunde liegende „fluchtige Verbraucher" nicht (mehr) dem Schutzbereich der Verbotsnorm. Eine Lebensmittelprasentation, die zwar geeignet sein mag, bei unaufmerksamen, nicht aber bei verstandigen Verbrauchern eine Fehlvorstellung hervorzurufen, darf somit von dem nationalen Lebensmittelrecht nicht (mehr) untersagt oder gem. §§ 59 I Nr. 7, 60 I LFGB mit Strafe oder BuBgeld bedroht werden. b) Fallbeispiel „Nostalgiewerbung" fur Lebensmittel Fall 1 (OLG Koblenz LRE 20, 277): Lebensmittelhersteller L macht auf dem Etikett der 18 vermarkteten Fleischerzeugnisse, die unter Verwendung des zugelassenen Zusatzstoffes Nitritpokelsalz hergestellt worden sind, die Angaben: „... Peine Kalbsleberwurst la" ... wie Anno damals... Wurstmachen hat bei A. Tradition - 100 Jahre - und Tradition heiBt, die Wurst zu machen wie die alten Metzger..., „gemacht mit Zutaten wie friiher". Nach Auffassung des Wirtschaftskontrolldienstes (WKD) fiihrt diese Werbung bei den Verbrauchern zu der Vorstellung, das so beworbene Fleischerzeugnis werde mit den vor 100 Jahren tiblichen Zutaten hergestellt. Dies treffe jedoch auf die Verwendung von Nitritpokelsalz nicht zu. Dass der Hersteller in einer auf der Vorderseite der Packung angebrachten Zutatenliste auf die Verwendung von Nitritpokelsalz hinweise, sei nicht geeignet, die Abweichung der Beschaffenheit der Ware von der Verkehrsauffassung ausreichend kenntlich zu machen. Frage: Kann gegen L ein BuBgeld gem. §§ 59 I Nr. 7, 60 I LFGB i. V. m. § 11 I LFGB verhangt werden?
Dannecker, WiVerw 1996, 190, 199; Eckert, ZLR 1979, 163, 168; Hecker, Produktwerbung, S. 102 ff.; HerbsU Irrefiihrungsverbot, S. 43 ff., 171 ff.; Hohmann, WRP 1993, 225, 229 f; Rathke, ZLR 1999, 189, 193 f; ZipfoURathke, LFGB, § 11 Rn. 32ff.; Schroder, Richtlinien, S. 418 f; Streinz, GRUR 1996, 16, 25; Zipfel, ZLR 1994, 557, 558, 563 ff. EuGHE 1990, 4827; 1995, 1923, 1944; 1998, 4657; 1999, 513; 2000, 117; 2000, 2297; vgl. hierzu Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 705 ff.; ders., JURA 2006, 173, 174; Hecker, Produktwerbung, S. 50 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 589 ff.
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19 Losungshinweise zu Fall 1: Der BuBgeldtatbestand ist erftillt, wenn die vom WKD beanstandete Nostalgiewerbung zur Irrefiihrung der Verbraucher geeignet ist. BeurteilungsmaBstab fiir diese Frage ist die Verkehrsauffassung, die wiederum maBgeblich von dem zugrunde gelegten Verbraucherleitbild gepragt wird"^^. Die deutschen Strafgerichte legen bei der Beurteilung beanstandeter Produktbezeichnungen bzw. Werbeslogans traditionell einen auBerst strengen IrrefiihrungsmaBstab zugrunde"^"^. Sie orientieren sich dabei an dem Leitbild des „unkundigen", „fliichtigen" und „leichtglaubigen" Verbrauchers. Von diesem Ansatz aus beziehen die Gerichte auch den Verbraucher in den Schutzbereich des § 11 ILFGB ein, der Angaben auf der Verpackung allenfalls oberflachlich liest, eventuellen Risiken des beworbenen Produkts eher unkritisch gegeniibersteht und nur allzu leicht an die ihm durch die Werbung suggerierten Eigenschaften bzw. Wirkungen eines Produkts glaubt. Von diesem Standpunkt aus bestatigte das OLG Koblenz die Argumentation des WKD und somit die Ahndbarkeit des L"^^. 20 Diese Rechtsprechung missachtet das gemeinschaftsrechtliche Gebot richtlinienkonformer Auslegung und gerat dadurch in Widerspruch zu der wesentlich liberaleren Tauschungsschutzkonzeption des Gemeinschaftsrechts. Das straf- und buBgeldbewehrte Irrefiihrungsverbot des § 11 I LFGB entspricht in seinem materiellen Regelungsgehalt den in Art. 2 EtikettierungsRL festgelegten Vorgaben. Nach Art. 2 I lit. a EtikettierungsRL darf die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, nicht geeignet sein, den Kaufer irrezuflihren. Um die korrekte Unterrichtung und den Schutz des Verbrauchers vor Irrefiihrung sicherzustellen, schreibt Art. 3 I EtikettierungsRL die Verwendung bestimmter Kennzeichnungselemente vor, die bei vorverpackten Lebensmitteln auf der Verpackung oder auf einem mit ihr verbundenen Etikett anzubringen sind. Zu den obligatorischen Kennzeichnungselementen gehort u. a. neben der Verkehrsbezeichnung ein Zutatenverzeichnis. § 11 I LFGB ist wie eine die EtikettierungsRL in nationales Recht umsetzende Norm zu behandeln. Es handelt sich insoweit um harmonisiertes Recht, auch wenn das nationale Irrefiihrungsverbot (§17 1 Nr. 5 LMBG a. F.) bereits vor Erlass der Richtlinie existierte. Als solches muss die Verbotsbestimmung von den Rechtsanwendern richtlinienkonform ausgelegt werden, d. h., es ist eine sinnidentische Interpretation der in der Richtlinie und in der Umsetzungsnorm enthaltenen Regelung vorzunehmen. Nach der EtikettierungsRL reicht ein inhaltlich korrektes und vollstandiges Zutatenverzeichnis grundsatzlich aus, um die Verbraucher vor Tauschung zu schiitzen. Mit der lapidaren Behauptung, der Hinweis auf die verwendeten Zusatzstoffe in der Zutatenliste sei nicht geeignet, die Irrefiihrungsgefahr der beanstandeten Nostalgiebezeichnungen zu beseitigen, diirfen sich die nationalen tJberwachungsbehorden und Gerichte also nicht begntigen. 21 Wie der EuGH in vielen Urteilen bestatigte, geht das Gemeinschaftsrecht bei der Auslegung des Irreftihrungsbegriffs von dem Leitbild eines „durchschnittlich Informierten, aufmerksamen und verstandigen Durchschnittsverbrauchers" ^^ ^ 45
Vgl. hierzu Hecker, Produktwerbung, S. 33 ff.; Hohmann, Die Verkehrsauffassung im deutschen und europaischen Lebensmittelrecht, 1994, S. 35. Vgl. Hecker, Produktwerbung, S. 104 ff, 120 ff. m .w. N. OLG Koblenz LRE 20, 277 ff (zu § 171 Nr. 5 LMBG a. F.).
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aus, der gewillt und fahig ist, die ihm durch die Produktkennzeichnung und in der Werbung unterbreiteten Informationen kritisch aufzunehmen und zu verarbeiten. Der Schutz dieses MaBstabsverbrauchers vor Tauschung ist regelmaBig bereits durch eine den Anforderungen der EtikettierungsRL entsprechende Etikettierung gewahrleistet. Wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck des bahnbrechenden „becer'-Urteils des BVerwG v. 23. Januar 1992"^^ haben die deutschen Verwaltungsgerichte inzwischen erkannt, dass das Gemeinschaftsrecht eine einschneidende Anderung des Verbraucherleitbildes und damit eine Neubestimmung des lebensmittelrechtlichen Irrefuhrungsverbots bewirkt hat"^^. So stellte z. B. das VG Koblenz"^® fest, dass Wurstkonserven unter den Bezeichnungen „Bauern-Leberwurst nach alter Hausschlachtungsart", „Original Hunsriicker Bauern-Schwartenmagen nach Original Familienrezept" oder „Bauern-Mettwurst" in den Verkehr gebracht werden diirfen, obwohl diese Produkte mit modernen Zusatzstoffen wie Stabilisatoren, Emulgatoren und Geschmacksverstarkern hergestellt werden. Die Verbrauchererwartung gehe nicht dahin, aus Nostalgiebezeichnungen auf vollstandige „Chemiefreiheit" des Erzeugnisses zu schlieBen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom OVG Rheinland-Pfalz als unbegriindet verworfen"^^. Der Senat wies in seiner Urteilsbegriindung zutreffend darauf hin, dass bei der Interpretation des lebensmittelrechtlichen Irrefuhrungsverbotes das Gemeinschaftsrecht - insbesondere Art. 2 EtikettierungsRL - sowie die einschlagige Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit nicht auBer Acht gelassen werden diirfen. Unter Beriicksichtigung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sei hiernach entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht auf den „oberflachlichen" und „fluchtigen", sondern auf den „vernunftigen und informationsfahigen" Verbraucher abzustellen, der seine Kaufentscheidung anhand der im Zutatenverzeichnis aufgefiihrten Angaben iiber die Zusammensetzung des Lebensmittels treffe. Da die Etikettierung der beanstandeten Produkte den Anforderungen des Art. 3 EtikettierungsRL entspreche, sei ein ausreichender Schutz des Verbrauchers vor Irrefiihrung gewahrleistet. Die Verwendung von Nostalgiebezeichnungen fuhre somit nicht zu einer rechtlich relevanten Irrefiihrung, die ein entsprechendes Bezeichnungsverbot rechtfertigen konne. Losungsvorschlag: Gegen L kann nach zutreffender Ansicht keine GeldbuBe gem. §§ 59 I Nr. 7, 60 I LFGB i. V. m. § 11 I LFGB verhangt werden. Erganzende Hinweise: Mit der am 21. Februar 2002 in Kraft getretenen Ver- 22 ordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europaischen Parlaments und des Rates v. 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsatze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europaischen Behorde fur Lebensmit-
46 BVerwGE 89, 320 ff. = ZLR 1992, 528 ff. (zu § 171 Nr. 5 LMBG a. F.). 47 BayVGH LRE 32, 123, 127 ff.; OVG NRW LRE 33, 400, 404 ff = ZLR 1997, 81, 84 ff; OVG RhPf LRE 33, 406 ff; BayVGH LRE 38, 400, 401; VG Koblenz LRE 32, 144 f; VG Neustadt LRE 33, 439 ff; VG Stuttgart LRE 34, 157, 160 f (jew. zu § 17 I Nr. 5 LMBG a. F.). VG Koblenz LRE 32, 144 f (zu § 17 I Nr. 5 LMBG a. F.). OVG RhPf LRE 33, 406 ff (zu § 17 I Nr. 5 LMBG a. F.).
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telsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit^° (Basisverordnung) wurde ein horizontaler Gesamtrahmen geschaffen, in den das gesamte nationale Lebensmittel(straf)recht eingebettet ist. Die Basisverordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten u. a. dazu, betriigerische und sonst irrefiihrende Praktiken im Lebensmittelverkehr zu verhindern (§ 8 Rn. 31)^''. Eine Anpassung des nationalen Lebensmittel(straf)rechts an das gemeinschaftsrechtliche Tausciiungsschutzniveau ist somit unausweichlich. Durch das Festhalten an einem durch die europaisciie Rechtsentwicklung iiberholten Verbraucherleitbild wird eine Auslegungsfreiheit in Anspruch genommen, die den nationalen Gerichten im Anwendungsfeld der gemeinschaftsrechtskonform zu interpretierenden Irrefuhmngsverbote nicht (mehr) zusteht.
IV. Richtlinienkonforme Auslegung als mehrphasiger Interpretationsakt 23 Die Losungshinweise zu Fall 1 machen deutlich, dass es sich bei der richtlinienkonformen Auslegung regelmaBig um einen mehrphasigen Interpretationsakt handelt^^. Zumeist kann es mit der isolierten Analyse des Richtlinientextes nicht sein Bewenden haben. Denn das primare Gemeinschaftsrecht - namentlich die Grundfreiheiten und die allgemeinen Rechtsgrundsatze - iiberlagern das nationale Recht und das Sekundarrecht. So kann z. B. der in der EtikettierungsRL enthaltene Begriff der „Irrefuhrung" nur im Lichte der sog. „Cassis-Rechtsprechung"^^ (§ 9 Rn. 13, 34) zur primarrechtlichen Warenverkehrsfreiheit gemeinschaftsrechtskonform konkretisiert werden^"^. Der gesamte Auslegungsvorgang, also die Ausdeutung der nationalen Vorschrift und der Richtlinie muss den primarrechtlichen Hintergrund (unter besonderer Beriicksichtigung der Rechtsprechung des EuGH) reflektieren, weil andernfalls nicht in jedem Fall die Gemeinschaftsrechtskonformitat des Auslegungsergebnisses gewahrleistet wird. 24 Die Notwendigkeit einer mehrphasigen Priifung zeigt sich insbesondere in den Fallen, in denen eine Richtlinie ausdriicklich strengere nationale Vorschriften zulasst, jedoch der hohere nationale Schutzstandard seinerseits eine Begrenzung in den Grundfreiheiten des EGV findet. Ein Beispiel hierfiir bietet das deutsche Wettbewerbsstrafrecht, das in § 16 I UWG u. a. an die ,JEignung zur Irreftihrung" ankniipft. Die Richtlinie 84/450/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften iiber irrefiihrende Werbung v. 10. September 1984 (WerbeRL)^^ verpflichtet die Mitgliedstaaten u. a. zum Erlass geeigneter und wirksamer Rechtsvorschriften zur Bekampfung irrefiihrender Werbung. Art. 3 WerbeRL fiihrt in einem nicht abschlieBenden Katalog einige zentrale Kriterien 50 51 52 53
ABlEG2002Nr. L31,S. 1. ZipfQyRathke, LFGB, § 11 Rn. 29 ff. Schroder, Richtlinien, S. 408 ff., 451 ff EuGHE 1979, 649, 664.
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Schroder,
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ABIEG 1984 Nr. L 250, S. 17.
Richtlinien, S. 415 ff.
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auf, die bei der Beurteilung der Frage, ob eine Werbung irrefuhrend i. S. d. Richtlinie ist, zu beachten sind. Nach Art. 7 I WerbeRL steht es den Mitgliedstaaten jedoch frei, innerstaatliche Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz vor irrefiihrender Produktwerbung gewahrleisten. Das nationale Wettbewerbsstrafrecht scheint somit keine Begrenzung durch das Gemeinschaftsrecht zu erfahren. Doch dieser Schein triigt, denn die Anwendung des nationalen Verscharfungsvorbehalts wird durch die primarrechtlichen Vorgaben des Art. 28 EGV begrenzt. Bei grenziiberschreitenden Werbekampagnen ist mithin der (liberalere) IrrefiihrungsmaBstab anzulegen, der vom EuGH anhand der Warenverkehrsfreiheit entwickelt wurde^^.
V. Verhaltnis der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu nationalen Auslegungsmethoden Im Grundsatz wird die Pflicht zu gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des 25 nationalen Rechts zwar allgemein anerkannt. Das Verhaltnis dieses Interpretationsgebotes zu den Kriterien der nationalen Auslegungsmethoden ist jedoch von einer „uberbordenden Vorrangdiskussion" ^^ gepragt. Dabei dreht sich der Hauptstreitpunkt um die Frage, ob der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung gegeniiber den Kriterien der grammatischen, teleologischen, historischen und systematischen Interpretation ein absoluter Vorrang zukomme (Vorrangigkeitsthese)^^ oder ob Inhalt und Zielsetzung der Richtlinie grundsatzlich nur als eines von mehreren gleichrangigen Auslegungskriterien zu beriicksichtigen seien (Gleichrangigkeitsthese)^^. Die Vertreter der Vorrangigkeitsthese stufen das Gebot der gemeinschafts- 26 rechtskonformen Auslegung als „ranghochstes Normauslegungsprinzip" ein. Nach ihrer Auf fas sung beansprucht das Resultat einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung daher uneingeschrankten Vorrang vor den nach der tradierten Interpretationsmethode gewonnenen Auslegungsergebnissen. Folgerichtig miissten nach dieser Lehre auch Auslegungsresultate akzeptiert werden, welche unter Zugrundelegung der nationalen Interpretationskriterien unvertretbar erschienen. Um einer nicht unmittelbar geltenden Richtlinie zu innerstaatlicher Durchsetzung gegeniiber ^^ Ygl. hierzu Hecker, Produktwerbung, S. 298 ff.; Schroder, Richtlinien, S. 414 f. ^'^ Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 131 ff. ^^ Die Vorrangigkeitsthese wird im Grundsatz vertreten von Bose, Strafen und Sanktionen, S. 425 ff; FranzheimlKrefi, JR 1991, 402, 403; Gotz, NJW 1992, 1849, 1854; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 100; Lutter, JZ 1992, 593, 604; Spetzler, RIW 1991, 579, 580. ^^ Die Gleichrangigkeitsthese (h. L.) wird im Grundsatz vertreten von Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 213 ff., 247 ff; Classen, EuZW 1993, 83, 87; DdnzerVanotti, StVj 1991, 1, 8; di Fahio, NJW 1990, 947 ff; Gellermann, Beeinflussung, S. 112 f; Jarass, Gmndfragen, S. 93 ff; Kohne, Richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 93 ff, 137; Satzger, Europaisiemng, S. 531 f; Schroder, RichtUnien, S. 351 ff
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nationalen Vorschriften zu verhelfen, ist nach einer Ansicht sogar eine Rechtsfortbildung contra legem in Kauf zu nehmen^°. Aus spezifisch strafrechtlicher Sicht wird jedoch zu Recht geltend gemacht, dass - selbst bei gmndsatzlicher Anerkennung der Vorrangigkeitsthese - die Pflicht zu gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung von Straf- und BuBgeldnormen auf gemeinschaftsrechtliche Grenzen (allgemeine Rechtsgrundsatze) stoBt^^ Fundamentale Strafrechtsprinzipien wie das Riickwirkungs- und Analogieverbot diirfen also keinesfalls - auch nicht durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung - verletzt werden (Rn. 34 ff.). 27 Der Vorrangigkeitsthese kann nicht gefolgt werden. Soweit sich diese Lehre auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegentiber dem nationalen Recht beruft, wird verkannt, dass es sich hierbei um eine KoUisionsregel handelt, die nur im Falle eines Widerspruchs zwischen unmittelbar geltendem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht zum Zuge kommt (§ 9 Rn. 15). AuBerhalb dieser Konstellation lasst sich aus dieser KoUisionsregel kein „methodenbrechendes", andere Auslegungskriterien iiberspielendes Interpretationsgebot ableiten^^. Die These vom absoluten Vorrang des Gebotes gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung findet auch in der Rechtsprechung des EuGH keine Grundlage. Der Gerichtshof verlangt lediglich, dass die nationalen Gerichte das in Rede stehende Interpretationsgebot im Rahmen des ihnen durch das innerstaatliche Recht eingeraumten Beurteilungsspielraumes anwenden^^, d. h., ihre Pflicht zu gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung wird durch die Auslegungsregeln der innerstaatUchen Dogmatik und durch den verfassungsrechtlich abgesteckten Rahmen begrenzt. Nach den Darlegungen des Gerichthofs kommt eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nur insoweit in Betracht, als das nationale Recht dem Gesetzesanwender einen Spielraum einraumt. Dementsprechend ist der EuGH in der Rechtssache „Forster" allein auf die unmittelbare Wirkung der in Rede stehenden Richtlinie eingegangen, weil eine richtlinienkonforme Auslegung nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht moglich war®"^. Indem der EuGH damit implizit von der Auslegungsfahigkeit und -bediirftigkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften ausgeht und die nationalen Gerichte als hierftir allein zustandige Interpretationsinstanzen anerkennt, stellt er in begriiBenswerter Weise sicher, dass bedenkliche Kompetenziibergriffe der Judikative in den Bereich der Legislative im Zuge der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung vermieden werden^^. Aus der Beschrankung des Interpretationsgebotes durch die nach innerstaatlichem Recht bestehenden Auslegungsspielraume ergibt sich, dass die gemeinschafts-
60 Besonders deudich Lutter, JZ 1992, 593, 607. 6^ Bose, Strafen und Sanktionen, S. 431 ff.; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 106 ff.; Ruffler, OJZ 1997, 121, 129. 6^ Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 147 ff., 247 ff; Gellermann, Beeinflussung, S. 104; Kohne, Richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 93; Satzger, Europaisierung, S. 531; Schroder, Richtlinien, S. 352. 63 Vgl. nur EuGHE 1984, 1891, 1909; EuGHE 1984, 1921, 1942. 64 EuGHE 1990, 3313, 3343, 3346; vgl. hierzu Jarass, Grundfragen, S. 94; Schroder, Richtlinien, S. 359. 6^ Satzger, Europaisierung, S. 531; Schroder, Richtlinien, S. 353.
A. Das Rechtsinstitut der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung
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rechtskonforme Auslegung einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung keine entgegengesetzte Bedeutung verleihen darf^^. Die Ablehnung der Vorrangigkeitsthese bedeutet freilich nicht, dass der ge- 28 meinschaftsrechtskonformen Auslegung keine hervorgehobene Stellung innerhalb des nationalen Auslegungskanons zukommen konnte. Vergleichbar der verfassungs- oder volkerrechtskonformen Auslegung ist dem Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung Geniige getan, wenn von mehreren nach nationaler Dogmatik und Verfassungsrecht vertretbaren Auslegungsergebnissen dasjenige gewahlt wird, welches der - etwa in einer Richtlinie zum Ausdruck gelangenden gemeinschaftsrechtlichen Wertungsvorgabe am besten entspricht. Damit nimmt die gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation zwar nur den gleichen Rang wie die klassischen Auslegungskriterien ein. Jedoch genieBt sie innerhalb dieses Auslegungskanons als „primus inter pares" einen relativen Vorrang, den man treffend mit dem Begriff einer Vorzugsregel beschreiben kann^''.
VI. Beginn der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Vor dem Hintergrund, dass Richtlinien den Mitgliedstaaten regelmaBig eine Frist 29 zur Umsetzung einraumen, stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die innerstaatlichen Stellen verpflichtet sind, nationales Recht richtlinienkonform auszulegen. Einigkeit besteht daruber, dass die Richtlinie jedenfalls bei der Interpretation solcher Vorschriften zu beriicksichtigen ist, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu dem Zweck erlassen worden sind, die Vorgaben der Richtlinie in nationales Recht zu transferieren. Die Beachtlichkeit der Richtlinie fiir die Ausdeutung des Umsetzungsrechts folgt hier bereits aus den Auslegungsregeln des nationalen Rechts (historische und teleologische Interpretation), da davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber die Richtlinie korrekt umsetzen wollte (Rn, 9)^^. Ob auch ohne vorangegangene Transformationsgesetzgebung bereits vor Ab- 30 lauf der Umsetzungsfrist eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung besteht, wird streitig diskutiert. Wenngleich sich der Gerichtshof zu dieser Frage noch nicht dezidiert geauBert hat, scheint er in der Rechtssache „Kolpmghuis Nijmegen''^^ (Rn. 40 ff.) der Ansicht zuzuneigen, dass die innerstaatlichen Gerichte und Behorden bereits ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie (Art. 254 I EGV) eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung treffe. Ein Teil 66 67
Jarass, Gmndfragen, S. 95. Ambos, IntStR, § 11 Rn. 46; Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598, 623; Satzger, Europaisierung, S. 532; Schroder, Richtlinien, S. 353 f.; ders., GwG, Vor § 261 StGB Rn. 29. Gellermann, Europaischer Rechtsschutz, § 33 Rn. 53; ders., Beeinflussung, S. 109 f; Langenfeld, DOV 1992, 955, 964; Ruffler, OJZ 1997, 121, 125; Schroder, Richtlinien, S. 462. EuGHE 1987, 3969, 3987. Die Entscheidung lasst diesbeziiglich jedoch einen groBen Interpretationsspielraum offen und wird dementsprechend unterschiedlich gedeutet; vgl. Gotz, NJW 1992, 1849, 1854; Ruffler, OJZ 1997, 121, 125; Satzger, Europaisiemng, S. 536; Schroder, Richtlinien, S. 462.
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der Literatur''^ stimmt dieser Auffassung zu und beruft sich zur Untermauerung dieser These auf ein weiteres Urteil, in dem der EuGH im Wesentlichen Folgendes forderte: Bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist sind die Mitgliedstaaten gehalten, keine Vorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Zieles bei Ablauf der Umsetzungsfrist ernstlich in Frage zu stellen''^. 31 Aus der hiernach bestehenden Vorwirkung einer erlassenen, aber noch nicht umgesetzten Richtlinie lasst sich jedoch keine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist ableiten. Der Sache nach postuliert der Gerichtshof nicht mehr als ein Vereitelungs- oder Frustrationsverbot''^, wie es auch im Recht der volkerrechtlichen Vertrage bekannt ist, wahrend die richtlinienkonforme Auslegung (positiv) auf die materielle Verwirklichung der Richtlinienvorgaben gerichtet ist. Ein dahingehendes Interpretationsgebot vermag aber - wie die h. L. zutreffend erkennt - erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist zur Entstehung gelangen^^. Da die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung u. a. aus der Umsetzungsverpflichtung des Art. 249 III EGV abzuleiten ist (Rn. 6 ff.), kann eine Bindung der innerstaatlichen Stellen an dieses Interpretationsgebot auch erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist in Betracht kommen. Erst ab diesem Zeitpunkt will das Gemeinschaftsrecht einen der jeweiligen Richtlinie entsprechenden Rechtszustand gesichert wissen. Auch wiirde es nicht iiberzeugen, durch eine bereits vor Fristablauf einsetzende Inpflichtnahme der nationalen Gerichte in den legislativen Entscheidungsspielraum des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers iiber Form und Mittel der Umsetzung einzugreifen. Da das Richtlinienrecht grundsatzlich ein innerstaatliches Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, bei dem erhebliche Ermessensspielraume gegeben sein konnen, diirfen die Gerichte vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht in die Rolle eines ,^Ysatzgesetzgebers" gedrangt werden. Erst dann, wenn der Mitgliedstaat seinen Umsetzungsauftrag nicht fristgerecht erfiillt, besteht Anlass, dem Richtlinienrecht mittels richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Rechts oder durch Anerkennung einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie zum Durchbruch zu verhelfen. 32 Die Verwerfung einer Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist steht jedoch der Zuerkennung einer entsprechenden Interpretationsbefugnis der Gerichte nicht entgegen, soweit nationale Rechtsdogmatik und Verfassungsrecht eine richtlinienkonforme Ausdeutung innerstaatlicher Vor70 Lenz. DVBl 1990, 903, 908; Schilling, ZaoRV 48 (1988), S. 637, 648; Satzger, Europaisiemng, S. 535 ff. 71 EuGHE 1997, 7411, 7450 f. (Rz. 50). 72 T^^zjS, D V B l 1998, 572 ff 73 Ambos, IntStR, § 11 Rn. 45; Bose, Strafen und Sanktionen, S. 427; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 264 f; Ehricke, E u Z W 1999, 553; Gellermann, Europaischer Rechtsschutz, § 33 Rn. 52; Gotz, NJW 1992, 1949, 1854; Jarass, EuR 1991, 211, 221; Klein, Everling-FS, S. 641, 646; Konig, in: Gohler, OWiG, § 3 Rn. 8 a; LeiblelSosnitza, N J W 1998, 2507, 2508; Lutter, JZ 1992, 593, 605; Nettesheim, AoR 119 (1994), S. 261, 277; Roth, EWS 2005, 385, 387; Schroder, Richtlinien, S. 461 ff; Rujfler, OJZ 1997, 121, 125.
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schriften zulassen. So hat der BGH seine friihere Rechtsprechung, die von einem grundsatzlichen Verbot der vergleichenden Werbung ausging, noch vor Umsetzung der Richtlinie 97/55/EG''^ (AnderungsRL) geandert, indem er die groBe Generalklausel des § 1 UWG richtlinienkonform interpretierte^^. Obwohl sich der BGH vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht zu einer richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet sah, scheute er mit feinem Gespiir davor zuriick, ein richtliniengemaBes Verhalten von Wettbewerbsteilnehmern bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist als sittenwidrig i. S. d. § 1 UWG zu tadeln, um es nach Fristablauf als rechtskonform zu bewerten. Ein unzulassiger Ubergriff der Judikative in den legislativen Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers ist hierin nicht zu erblicken, da die wettbewerbsrechtliche Generalklausel gerade dazu dient, eine rasche Anpassung des nationalen Wettbewerbsrechts an aktuelle Entwicklungen zu ermoglichen. Im Ubrigen sind die Vorgaben der AnderungRL so eindeutig gefasst, dass der Gesetzgeber ohnehin nur eine Umsetzungsregelung''^ treffen kann, die mit der vom BGH „vorweg hergestellten" Rechtslage inhaltlich iibereinstimmt. Zusammenfassend lasst sich festhalten: Eine Pflicht zur richtlinienkonfor- 33 men Auslegung besteht erst nach Ablauf der in einer Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist. Zuvor besteht jedoch eine Befugnis der mitgliedstaatlichen Gerichte, bestehende Interpretationsspielraume des innerstaatlichen Rechts nach MaBgabe der nationalen Rechtsdogmatik und innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen richtlinienkonform auszufiillen.
VII. Grenzen des Gebots gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung Der sachliche Gehalt von (Straf)Gesetzen wird durch Auslegung in die praktische 34 Rechtsanwendung umgesetzt. Die Vielfalt der Lebenssachverhalte und der rechtstatsachliche Wandel werfen immer wieder die Frage auf, ob ein konkretes Geschehen noch unter den abstrakt formulierten Rechtssatz subsumiert werden kann. Nach deutschem Methoden- und Verfassungsverstandnis ist davon auszugehen, dass fur die Auslegung einer Gesetzesbestimmung der in der Norm zum Ausdruck gelangende Wille des Gesetzgebers maBgeblich ist, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist''''. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht kommt der grammatikalischen Auslegung eine besondere Bedeutung zu, weil der mogliche Wortsinn einer Vorschrift der
^"^ Richdinie 97/55/EG des Europaischen Parlaments und des Rates v. 6. Oktober 1997 zur Anderung der Richtlinie 84/450/EWG iiber irrefiihrende Werbung zweeks Einbeziehung der vergleichenden Werbung (ABIEG 1997 Nr. L 290, S. 18). 75 BGHZ 138, 55, 64 = NJW 1998, 2208, 2210 ff.; BGH NJW 1998, 3561 ff; BGH WRP 1999,414 ff. ^^ Die Umsetzung der AnderungsRL erfolgte in Deutschland durch das Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Anderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften v. 1. September 2000 (BGBl. 12000, 1347); vgl. hierzu Plafi, NJW 2000, 3161 ff. 77 StandigeRspr.; vgl. nurBVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 132; 105, 135, 157.
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Auslegung mit Blick auf das in Art. 103 II GG verankerte Analogieverbot eine Grenze zieht, die nicht iiberschritten werden darf^^. 35 Wiirde das Gebot zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung unbegrenzt gelten, so folgte hieraus eine Pflicht der innerstaatlichen Stellen, den Anwendungsbereich einer Strafbestimmung erforderlichenfalls auch iiber ihren auBersten moglichen Wortsinn hinaus auszudehnen, wenn nur auf diese Weise dem Gemeinschaftsrecht zur Durchsetzung verholfen werden konnte. Dies aber kame der Schaffung neuen Strafrechts, mithin der AnmaBung einer Strafrechtsetzungskompetenz der EG gleich, die im geltenden Gemeinschaftsrecht gerade nicht besteht''^ (§ 4 Rn. 101). Die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung findet jedoch ihre Grenzen sowohl im nationalen Recht als auch im Gemeinschaftsrecht. Ein Konflikt zwischen diesen kumulativ nebeneinander stehenden Schranken ist von vornherein ausgeschlossen, da die gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation innerstaatlicher Vorschriften nach der Rechtsprechung des EuGH^° ohnehin nur im Rahmen des nach nationalem Recht bestehenden Auslegungsspielraumes vorzunehmen ist. Folglich stellen insbesondere die im nationalen Verfassungsrecht verankerten Bindungen eine auch vom Gemeinschaftsrecht akzeptierte Auslegungsgrenze dar^^. 36 Den Aussagen des EuGH zu den Grenzen des Gebotes der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist zu entnehmen, dass die praktische Anwendung dieses Interpretationsgebotes auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ungeachtet seines (relativen) Vorranges gegeniiber den nationalen Auslegungskriterien (Rn. 28) stets im Einklang mit dem nationalen Recht stehen muss. So fiihrte der Gerichtshof in der Rechtssache „Kolpinghuis Nijmegen" (Rn. 40 ff.) aus: „...Diese Verpflichtung des innerstaatlichen Gerichts, bei der Auslegung der einschldgigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, findet jedoch ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsdtzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im RUckwirkungsverbot. "^^
BVerfGE 85, 69, 73; 105, 135, 157; BVerfG StV 2004, 254, 256; SchonkdSchrodQY/Eser, § 1 Rn. 24; Konig, in: Gohler, OWiG, § 3 Rn. 8a; KKOWiG/Rogall, § 3 Rn. 51 ff.; Scheffler, JURA 1996, 505 ff; MiiKoStGB/Schmitz, § 1 Rn. 55 ff; Schroder, Richtlinien, S. 355 ff Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 64 ff; unzutreffend daher die vereinzelt gebliebene Auffassung von Thomas, NJW 1991, 2233, 2237, wonach die verfassungsrechtlichen Auslegungsgrenzen durch das Gemeinschaftsrecht gesprengt werden konnen. EuGHE 1984, 1891, 1909 (Rz. 28); EuGHE 1984, 1921, 1942 (Rz. 28); EuGHE 1994, 3325, 3357 (Rz. 26). Dannecker, JZ 1986, 869, 873; ders., JURA 2006, 173, 176; Gellermann, Beeinflussung, S. 108; Jarass, Grundfragen, S. 93 ff; Klein, Everling-FS, S. 641, 646; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 259; Roth, EWS 2005, 385, 392 ff; Satzger, Europaisierung, S. 533 ff; ders., IntStR, § 8 Rn. 84; Schroder, Richtlinien, S. 355 ff EuGHE 1987, 3969, 3986 (Rz. 13); vgl. auch EuGHE 1996, 6609, 6636 (Rz. 24); EuGHE 1996, 4705, 4730 (Rz. 42).
B. Gemeinschaftsrechtskonforme AuslegungimStrafrecht
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In seiner Entscheidung im Fall „Telekom Italia" (Rn. 49 ff.) zitierte der EuGH 37 sogar explizit das in Art. 7 I EMRK normierte Gesetzlichkeitsprinzip, um darzulegen, dass sich die Einleitung einer Strafverfolgung wegen eines Verhaltens verbiete, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergebe^^. Mit dieser Schranke zieht der EuGH die logische Konsequenz aus der Verankerung des Interpretationsgebotes im Primarrecht (Rn. 6 ff.). Denn auch die allgemeinen Rechtsgrundsatze gehoren dem primarrechdichen Gemeinschaftsrecht an, so dass die einander gegeniiberstehenden, gleichrangigen Prinzipien im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden miissen^"^. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen (Straf)Rechts ihre Grenzen sowohl im nationalen Verfassungsrecht als auch in den allgemeinen Rechtsgrundsatzen des Gemeinschaftsrechts fmdet. Ein praktisches Beispiel, in dem die Grenzen der gemeinschaftsrechtskonfor- 38 men Auslegung sichtbar werden, bildet der Straftatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB). Das aus Art. 10 EGV abgeleitete Assimilierungsprinzip (§ 7 Rn. 29) fordert, dass Falschbeurkundungen von EG-Beamten ebenso mit Strafe bedroht werden wie gleich gelagerte Handlungen deutscher Amtstrager (Gleichstellungserfordernis). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 348 StGB sind taugliche Tater einer Falschbeurkundung im Amt aber nur deutsche Amtstrager (vgl. § 11 I Nr. 2 StGB). FolgHch ist dieser Tatbestand keiner Auslegung zuganglich, die Falschbeurkundungen von EG-Beamten erfasst^^. Eine gegen Art. 103 II GG verstoBende Interpretation contra legem wird - wie oben dargelegt - auch vom Gemeinschaftsrecht nicht gefordert. Hier liegt somit ein Versaumnis des nationalen Gesetzgebers vor, das durch eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht ausgeglichen werden kann. Der Gesetzgeber ist gefordert, eine neue Strafnorm - etwa nach dem Vorbild des EUBestG (§ 7 Rn. 76) - zu schaffen, um sicherzustellen, dass Falschbeurkundungen von EG-Beamten nach deutschem Recht mit Strafe bedroht sind.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im St raf recht I. Aussagen des EuGH Die Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung erstreckt sich auf alle 39 Rechtsbereiche einschlieBlich des Strafrechts und bezieht sowohl das Umsetzungsrecht als auch das vor oder unabhangig vom Erlass einer Richtlinie ergangene nationale Recht ein. In den nachfolgend behandelten Leitentscheidungen des ^3 EuGHE 1996, 6609, 6637 - Hervorhebungen durch den Verfasser. ^4 Rujfler, OJZ 1997, 121, 129; Satzger, Europaisiemng, S. 535; Schroder, Richtlinien, S. 360 ff ^^ Schonke/Schroder/Cramer///emg, § 271 Rn. 1; Satzger, Europaisiemng, S. 582.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
EuGH - allesamt pleading cases" des Europaischen Strafrechts - fmden sich zentrale Aussagen zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht, deren Quintessenz lautet, dass jedenfalls im strafrechtlichen Kontext ein restriktiver Umgang mit diesem Interpretationsgebot zu fordern ist^^.
1. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Richtlinienrecht im Falle einerzum Tatzeitpunkt nicht umgesetzten Richttinie („Kolpinghuis Nijmegen") 40 Die bereits mehrfach zitierte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Kolpinghuis Nijmegen" (Fall 2) ist ftir die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht von grundlegender Bedeutung, da ihre Interpretation nahezu alle Stellungnahmen zu diesem Problemkreis pragt^''. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: 41 Fall 2 (EuGHE 1987, 3969): Gegen die Kolpinghuis Nijmegen BV wurde in den Niederlanden Anklage erhoben, well sie im August 1984 ein Getrank - mit Kohlensaure versetztes Leitungswasser - unter der Bezeichnung „Mineralwasser" zum Verkauf anbot. Laut Anklage verstieB die Angeklagte damit gegen eine niederlandische Verordnung, welche es verbietet, fur den menschlichen Genuss bestimmte Waren, die aufgrund ihrer Zusammensetzung fehlerhaft sind, zum Verkauf und zur Lieferung vorratig zu halten, wobei der Begriff „fehlerhaft" nicht naher definiert ist. Der gemeinschaftsrechtliche Hintergrund des Falles ergibt sich aus einer Richtlinie v. 15. Juli 1980^^, die festlegt, unter welchen Voraussetzungen ein Getrank als „Mineralwasser" vertrieben werden darf. Nach Art. 4 der Richtlinie muss Mineralwasser aus einer Quelle gewonnen werden und darf bis auf den Entzug oder die Zufiigung von Kohlensaure nicht weiter behandelt worden sein. Fur die Umsetzung der Richtlinie sah Art. 15 eine Frist von vier Jahren vor (Ablauf: Juli 1984). Der zum Gegenstand der Anklage gemachte Sachverhalt spielte sich also nach Ablauf der Umsetzungsfrist, aber noch vor Umsetzung der Richtlinie in niederlandisches Recht ab. In dem Vorabentscheidungsverfahren stellten sich somit die Fragen, ob die Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar anwendbar ist und sich die Anklagebehorde infolgedessen zu Lasten der Angeklagten auf die Richtlinienbestimmung des Art. 4 berufen konne. Des Weiteren wurde die Frage aufgeworfen, ob der im niederlandischen Recht enthaltene, aber nicht naher defmierte Begriff der „Fehlerhaftigkeit" der Ware im Lichte der Richtlinie ausgedeutet werden kann. 42 Losungshinweise zu Fall 2: Im Hinblick auf eine unmittelbare Wirkung der nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinie bestatigte der EuGH seine friihere Rechtsprechung, wonach eine Richtlinienbestimmung nicht aus sich heraus, also ohne Umsetzung in nationales Recht, Verpflichtungen fiir den Einzelnen begriinden konne. Mithin antv^ortete er auf die beiden ersten Vorlagefragen, dass sich eine innerstaatliche Behorde nicht zu Lasten des Einzelnen auf eine Richtlinie berufen
Schroder, Richtlinien, S. 380, 388. Vgl. hierzu nur Sdtzger, Europaisierung, S. 538 ff.; Schroder, Richtlinien, S. 16 ff, 380 ff Richtlinie 80/777/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften iiber Gewinnung von und den Handel mit naturhchen Mineralwassem (ABIEG 1980 Nr. L 229, S. 1).
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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konne, deren erforderliche Umsetzung in nationales Recht noch nicht erfolgt sei^^. Der Gerichtshof hat damit eine belastende, die Strafbarkeit begriindende Wirkung einer nicht fristgemaB umgesetzten Richtlinie im Verhaltnis des Staates zum Biirger (sog. umgekehrt vertikales Verhaltnis) abgelehnt^°. Die dritte Vorlegungsfrage fiihrt vor Augen, dass eine belastende Wirkung der 43 RichtUnie auch in Form einer richtlinienkonformen Auslegung eintreten kann, da der in der niederlandischen Strafbestimmung enthaltene Begriff der Fehlerhaftigkeit der Ware mittels der Richtlinienwertung ausgefiillt werden konnte. Der Gerichtshof verweist zunachst auf seine friihere Rechtsprechung, aus der sich ein Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung ergibt, und bestatigt damit, dass dieses Institut auch fiir den Bereich des Strafrechts bedeutsam ist. Sodann verweist er jedoch darauf, dass dieses Interpretationsgebot durch die allgemeinen Rechtsgrundsatze, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und des Riickwirkungsverbots begrenzt wird^^ Wie Generalanwalt Mischo iiberzeugend ausfiihrte, darf ein nationales Gericht 44 auch die nicht umgesetzte Richtlinie beriicksichtigen, um eine Auslegung des nationalen Rechts zu bestatigen^^. Gemeint ist damit, dass bei Vorliegen mehrerer nach nationalem Recht vertretbarer Auslegungsmoglichkeiten die Richtlinienvorgabe ausschlaggebende Bedeutung erlangen kann. Auch der Gerichtshof postulierte kein grundsatzliches Verbot, nicht umgesetzte Richtlinien bei der Ausdeutung von Strafbestimmungen in den Interpretationsvorgang einflieBen zu lassen. Durch seinen Hinweis auf die gemeinschaftsrechtlichen Grenzen der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung stellte er jedoch klar, dass es sich verbietet, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen auf einen unbestimmten Tatbestand zu stiitzen, der erst durch die Heranziehung von Richtlinienbestimmungen eine hinreichend bestimmte Beschreibung der Verbotsmaterie erlangt. Dies kame in der Tat einer „verkappten" unmittelbaren Wirkung der Richtlinie zu Lasten des Einzelnen gleich, die nach standiger Rechtsprechung des EuGH unzulassig ist. Der Gerichtshof hat somit dem Versuch der niederlandischen Anklagebehorde eine Absage erteilt, die nicht umgesetzte Richtlinienbestimmung als ,JEinfallstor" fiir die Konkretisierung eines unbestimmten Strafgesetzes zu funktionalisieren^^.
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EuGHE 1987, 3969, 3985 - Hervorhebungen durch den Verfasser. Dies entspricht auch der h. A. in der Literatur; vgl. Bach, JZ 1990, 1108, 1115; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, Rn. 342; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 160; Kohne, Richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 65 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 538 ff.; teilweise a. A. Mansdorfer, JURA 2004, 297, 303; Schroder, Richtlinien, S. 5 ff., 209 ff; ders., DVBl 2002, 157 ff. E u G H E 1987, 3969, 3986 (Rz. 13). E u G H E 1987, 3969, 3979 - Hervorhebung i m Original. Satzger, Europaisierung, S. 5 4 1 ; Schroder, Richtlinien, S. 19, 382.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
2. Strafrechtliche Verantwortlichkeit und Richtlinienrecht im Falle einerzum Tatzeitpunkt fehlerhaft umgesetzten Richtlinie („Arcaro'') 45 In der Rechtssache „Arcaro" (Fall 3) ging es um die unmittelbare Wirkung von fehlerhaft umgesetzten Richtlinien sowie um die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umweltstrafrechts. 46 Fall 3 (EuGHE 1996, 4705): Italien hatte umweltrelevante Richtlinien fehlerhaft umgesetzt. Im nationalen Recht fehlte eine von den Richtlinien geforderte Genehmigungspflicht zur Ableitung von Cadmium, die ihrerseits strafrechtlich relevant war. Gegenstand des Strafverfahrens war eine zum Tatzeitpunkt nicht genehmigte und damit richtlinienwidrige Ableitung von Cadmium durch den von Herm Arcaro geleiteten Betrieb. Frage: Kommt eine unmittelbare Anwendung der Richtlinien oder eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts zu Lasten des Angeklagten in Betracht? 47 Losungshinweise zu Fall 3: Rechtstheoretisch lieBe sich argumentieren, bei einer lediglich fehlerhaften Transformation einer Richtlinie sei im Gegensatz zu dem Fall einer fehlenden Umsetzung eine unmittelbare Wirkung zu Lasten des Einzelnen zuzulassen, da aus der Umsetzungsaktivitat des Mitgliedstaates regelmaBig ein Wille zur Herbeifiihrung eines gemeinschaftsrechtskonformen Rechtszustandes herzuleiten sei. Etwaige Umsetzungsdefizite konnten durch Heranziehung der entsprechenden Richtlinieninhalte geheilt werden^^. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall - anders als in dem Fall „Kolpinghuis Nijmegen" (Rn. 40 ff.) - nationale Umsetzungsnormen ergangen waren, veranlasste den Gerichtshof aber nicht zu einer abweichenden Gesamtwiirdigung. Der EuGH priifte nicht einmal, ob die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung der einschlagigen Richtlinienbestimmungen gegeben sind, sondern verwies auf seine Rechtsprechung, nach der die Richtlinie selbst Verpflichtungen des Einzelnen nicht begriinden und auch eine strafrechtliche Verantv^ortung nicht festlegen oder verscharfen kann^^. Was die Pflicht zu einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts anbelangt, wiederholte der EuGH zunachst seine „so weit wie moglich"-Formel aus dem Urteil „Marleasing" (Rn. 10 ff.). Sodann umschrieb er die Grenzen dieses Interpretationsgebots noch wesentlich pragnanter als dies in seiner Entscheidung im Fall „Kolpinghuis Nijmegen'' geschehen war: „...Diese Verpflichtung des nationalen Gerichts, bei der Auslegung der einschlagigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, findet jedoch ihre Grenzen, wenn eine solche Auslegung dazu fiihrt, dass einem Einzelnen eine in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehene Verpflichtung entgegengehalten wird, und erst Recht dann, wenn sie dazu fuhrt, dass auf der Grundlage der Richtlinie und in Ermangelung eines zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetzes die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen verschdrft wird, die gegen die Richtlinienbestimmungen verstoflen. "^^
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Vgl. hierzu Schroder, Richtlinien, S. 20. EuGHE 1996, 4705, 4729 f. EuGHE 1996, 4705, 4730 - Hervorhebung durch den Verfasser.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme AuslegungimStrafrecht
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Fiir die konkrete Falllosung hatte es der Gerichtshof bei dem Hinweis belassen 48 konnen, dass dem Einzelnen jedenfalls keine Verpflichtungen aus einer nicht umgesetzten Richtlinie entgegengehalten werden konnen. Mit seiner „erst Recht"Formel bringt der EuGH jedoch seine Zuriickhaltung gegeniiber einer strafrechtlichen Belastung durch das Richdinienrecht sowohl in Gestalt der unmittelbaren Wirkung als auch im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zum Ausdruck^'^. Als greifbares und zentrales Ergebnis dieser Entscheidung bleibt mitliin die Schlussfolgerung, dass der Gerichtshof eine dem Fail „Marleasmg'' (Rn. 10 ff.) vergleichbare extensive Auslegung des nationalen Rechts im Bereich des Strafrechts nicht fordert und auch nicht billigt.
3. Erfordernis der Bestimmtheit von Richtlinie und Strafgesetz („ Teiecom Italia ") Was in der Entscheidung „Arcaro'' (Rn. 45 ff.) zum Thema Umfang und Grenzen 49 der richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht mit der „erst Recht"-Formel bereits anklang, wird vom Gerichtshof in dem nachfolgend behandelten Urteil in der Rechtssache „ Telecom Italia " (Fall 4) noch weiter prazisiert. Fall 4 (EuGHE 1996, 6609): Ausgangspunkt war ein von italienischen Strafverfolgungs- 50 organen gefiihrtes Strafverfahren gegen Unbekannt. Italian hatte die EG-Bildschirmrichtlinie^^ durch ein Dekret („decreto legislative") umgesetzt, das die Einhaltung des nationalen Umsetzungsrechts mit Strafnormen flankierte. Der italienische Ermittlungsrichter hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft tiber die Einholung eines Sachverstandigengutachtens zu entscheiden, welches Aufschluss dariiber geben soUte, ob die Arbeitsbedingungen bei der Telecom Italia diesen Arbeitsschutzvorschriften entsprechen. Um diesen Antrag bescheiden zu konnen, stellten sich dem Ermittlungsrichter Auslegungsfragen, die er dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte. Das italienische Umsetzungsrecht hatte zwar die Vorgaben der EG-Bildschirmrichtlinie konkretisiert, doch aus Sicht des vorlegenden Richters ergab sich aus dem einschlagigen Dekret nicht eindeutig, welche Arbeitnehmer den Schutzvorschriften unterfallen. Nach Art. 2 c der Richtlinie ist darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer „gewohnlich bei einem nicht unwesentlichen Teil seiner normalen Arbeit ein Bildschirmgerat benutzt". Losungshinweise zu Fall 4: Der Gerichtshof nahm dieses Verfahren zum Anlass, 51 seine Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht weiter zu vertiefen. Zunachst wiederholte er seine bereits aus friiheren Entscheidungen bekannten Leitsatze zu Umfang und Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Interpretationsgebots. Hierauf folgen Ausfiihrungen, die in ihrer Aussagekraft iiber seine Judikatur in den Fallen „Kolpinghuis Nijmegen'' (Rn. 40 ff.) und „Arcaro'' (Rn. 45 ff.) hinausreichen und deshalb der wortlichen Wiedergabe bediirfen: „...Insbesondere in Bezug aufeinen Fall wie den des Ausgangsverfahrens, in dem es um den Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit geht, die sich speziell ^^ ^^
Satzger, Europaisierung, S. 543; Schroder, Richtlinien, S. 383 ff. Richtlinie 90/270/EWG v. 29. Mai 1990 tiber die Mindestvorschriften bezughch der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeraten (ABIEG 1990Nr.L156,S. 14).
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
zur Durchfuhrung einer Richtlinie erlassenen Rechtsvorschriften ergibt, istfestzustellen, dass der Grundsatz, wonach ein Strafgesetz nicht zum Nachteil des Betroffenen extensiv angewandt werden darf, der aus dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen, und, allgemeiner, dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, es verbietet, die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleitetiy dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Dieser Grundsatz, der zu den allgemeinen Rechtsgrundsdtzen gehort, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, ist auch in verschiedenen intemationalen Vertrdgen verankert, u. a. in Art. 7 EMRK (...). Daher ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, bei der Auslegung des zur Durchfuhrung der Richtlinie erlassenen nationalen Rechts unter BerUcksichtigung des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie fUr die Einhaltung dieses Grundsatzes zu sorgen. "^^ 52 Das Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit von Strafnormen ist damit vom EuGH klar und eindeutig als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts eingestuft worden^°°. Als wegweisend muss das nun folgende Vorgehen des Gerichtshofs eingestuft werden. Er verweigerte unter Berufung auf den Bestimmtheitsgrundsatz dem vorlegenden Gericht kurzerhand die Beantwortung der Vorlagefrage, die auf eine konkretisierende Ausdeutung des Arbeitnehmerbegriffes des Art. 2 c EG-Bildschirmrichtlinie abzielte. Grundlegend formulierte der Gerichtshof wie folgt: „...In Anbetracht des vagen Charakters des fraglichen Ausdrucks ist den Mitgliedstaaten beim Erlass dieser Umsetzungsmafinahmen ein weites Ermessen zuzuerkennen, das im Hinblick auf den oben (...) genannten Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen die zustdndigen nationalen Behorden jedenfalls daran hindert, auf die einschldgigen Bestimmungen der Richtlinie Bezug zu nehmen, wenn sie auf dem von der Richtlinie erfassten Gebiet Strafverfahren einleiten wollen. Unter diesen Umstdnden braucht dieseFrage nicht beantwortet zu werden (...). "''°'' 53 Der Gerichtshof bekraftigt damit, dass er den Grundsatz nulla poena sine lege auch im Rahmen der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Umsetzungsrechts gewahrt wissen will. Dariiber hinaus versagt er den Mitgliedstaaten die Berufung auf unbestimmte Formulierungen einer Richtlinie „jedenfalls" dann, wenn die Auslegung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten erfolgt. Er stellt damit eine fiir die Zulassigkeit der richtlinienkonfomen Auslegung im Strafrecht geltende Voraussetzung auf. Die Richtlinie darf nur dann zur Ausdeutung eines nationalen Strafgesetzes herangezogen werden, wenn sie ihrerseits hinreichend bestimmt ist. Da demnach einer unbestimmten Richtlinie fiir das Strafverfahren keine Bedeutung zukommt, war es nur konsequent, dass der EuGH im Fall „ Telecom Italia'' von einer weiteren Auslegung der EG-Bildschirmrichtlinie absah und die diesbeziigliche Vorlagefrage des nationalen Gerichts unbeantwortet lieB.
^^ EuGHE 1996, 6609, 6637 - Hervorhebungen durch den Verfasser. ^°° Hammer-Strnad, Bestimmtheitsgebot, S. 71 f; Satzger, Europaisierung, S. 544; Schroder, Richtlinien, S. 33, 386. 101 EuGHE 1996, 6609, 6638 - Hervorhebungen durch den Verfasser.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der EuGH mit seiner Entschei- 54 dung in der Rechtssache „ Telecom Italia" zum einen die strikte Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes bei der Auslegung nationaler Strafrechtsnormen einfordert und zum anderen die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung fiir das Strafrecht enger zieht, indem er verlangt, dass die zur Ausdeutung nationaler Strafbestimmungen herangezogene Richtlinie ihrerseits hinreichend bestimmt sein muss^°^. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf das Phanomen der sog. richtlinienbeding- 5S ten Normspaltung''°^. Durch eine rechtsgebietsspezifisch unterschiedliche Auslegung von Strafvorschriften und auBerstrafrechtlichen Normen kann sich die Situation ergeben, dass ein der Umsetzung einer Richtlinie dienendes Ge- oder Verbot, welches von einer Blankettstrafbestimmung (§ 7 Rn. 79) in Bezug genommen wird, im strafrechtlichen Kontext - unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes - enger ausgelegt werden muss als im rein auBerstrafrechtlichen Zusammenhang. Es mag auf den ersten Blick befremdlich wirken, wenn ein und dieselbe Norm unterschiedlich ausgelegt wird, je nachdem, ob sie in einem Straf- oder einem Zivil- bzw. Verwaltungsverfahren zur Anwendung gelangt. Jedoch fiihrt die Normspaltung jedenfalls nicht zu rechtslogischen Widerspriichen, da nicht jedes rechtswidrige Verhalten auch bestraft werden muss^^"^.
II. Aussagen des BGH („Pyrolyse-Urteil'') Die gemeinschaftsrechtskonforme (hier speziell: richtlinienkonforme) Auslegung 56 einer deutschen Strafrechtsnorm wurde vom BGH erstmals in seinem viel diskutierten^°^ „Pyrolyse-Urteir' v. 26. Februar 1991 praktiziert''^^, in dem es um die Ausdeutung des Tatbestandsmerkmals „AbfaH" i. S. d. § 326 I StGB ging. Dieser in enger Anlehnung an den verwaltungsrechtlichen Kontext zu bestimmende Begriff umfasst sowohl Stoffe, derer sich der Besitzer entledigen will („gewillkurter Abfall"; subjektiver Abfallbegriff), als auch Stoffe, deren geordnete Entsorgung zur Wahrung des Gemeinwohls, insbesondere zum Schutz der Umwelt, geboten ist („ZwangsabfaU"; objektiver Abfallbegriff)^°^.
102 5'c/iroJer, Richtlinien, S. 387 f. 10^ Vgl. hierzu Satzger, Europaisierung, S. 560 ff.; Schroder, Richtlinien, S. 390 ff. jew. m. w. N. 10^ Satzger, Europaisierung, S. 563. 105 Vgl. Breuer, Im- und Export von Abfallen, S. 68 ff.; Franzheim/Krefi, JR 1991, 402 ff; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 167 ff; Hugger, NStZ 1983, 421; Sack, JR 1991, 338 ff; Mansdorfer, JURA 2004, 297, 300 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 545 ff; Schroder, Richtlinien, S. 322 ff 106 BGHSt 37, 333. In BGHSt 43, 219, 224 ff wird die Frage der richtlinienkonformen Auslegung als nicht entscheidungserheblich betrachtet; vgl. hierzu Schall, NStZ-RR 1998, 353, 355. 107 BGHSt 37, 21, 24; 37, 333, 334; Laickner/KUhl, § 326 Rn. 2 f; Schonke/Schrodcr/Lenckner/Heine, § 326 Rn. 2 a-g.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
57 Das Landgericht hatte zunachst das Vorliegen von Zwangsabfall verneint. Auch erachtete die Vorinstanz den subjektiven Abfallbegriff als nicht gegeben, da die Angeklagten den fraglichen Stoff, bei dem es sich um in Tankwagen abgeflillte und kontaminierte Ole handelte, der Wiederverwertung zufiihren wollten. Nach Auffassung der Vorinstanz stand die Moglichkeit der Wiederverwendung und Weiterverwertung dieser Stoffe ihrer Qualifizierung als „AbfaU" entgegen. Vielmehr seien sie als Wirtschaftsgut einzustufen. Der BGH trat dieser Wertung, die durchaus im Einklang mit der damals h. M. stand, entgegen. Zutreffend erkannte der Senat, dass der Abfallbegriff durch zwei EG-Abfallrichtlinien^°^ gemeinschaftsrechtlich besetzt war. Der EuGH hatte hierzu entschieden, dass diesen Richtlinien eine nationale Regelung widerspricht, wenn sie Stoffe oder Gegenstande von dem Abfallbegriff ausnimmt, die einer wirtschaftlichen Wiederverwertung zugefiihrt werden konnen^°^. In einer zweiten Entscheidung vertrat der Gerichtshof die Ansicht, die Anwendung des Richtlinienrechts konne nicht von den Vorstellungen des Besitzers der Stoffe im Hinblick auf ihre Wiederverwertung abhangen^^°. 58 Methodisch ging der BGH so vor, dass er zunachst auf § 1 I AbfG a. F. abstellte, der unter „Abfallverwertung" auch das Gewinnen von Stoffen oder Energie verstand. Hieraus leitete der Senat ab, dass als Abfall nicht nur anzusehen sei, was ,,reif fiir die Schutthalde" sei, sondern dass auch solche Stoffe dazu zahlen konnten, die nach ihrer Wiederaufarbeitung ein Wirtschaftsgut darstellen. Entscheidend sei demnach nicht die Vorstellung des Besitzers iiber die Moglichkeit der Wiederverwertung, sondern nur, ob er sich des Stoffes als fiir ihn wertlos geworden entledigen will, um ihn der Entsorgung zuzufiihren oder zufiihren zu lassen^''^ Bis zu diesem Punkt beschrankte sich der BGH auf eine rein national ausgerichtete Auslegung des Abfallbegriffs. Erst nachdem er festgestellt hatte, dass das innerstaatliche Recht eine Qualifizierung der tatgegenstandlichen Stoffe als Abfall zulasst, referierte er den gemeinschaftsrechtlichen Hintergrund, den er sodann als Bestatigung seines nach nationalen Auslegungskriterien entwickelten Auslegungsergebnisses heranzog^^^. Ohne weitere Begriindung fiihrte der BGH nur in einem Satz aus, dass die nationalen Verwaltungen und Gerichte diese Rechtsprechung (gemeint sind die Urteile des EuGH zur Auslegung der Abfallrichtlinien) bei ihrer Rechtsanwendung zu beriicksichtigen haben, wobei in einem Klammerzusatz auf BGHSt 37, 168, 175 hingewiesen wird^^^.
108 Richtlinie 75/442/EWG v. 15 M i 1975 (ABIEG 1975 Nr. L 194, S. 47 und Richtlinie 78/319/EWG V. 20. Marz 1978 (ABIEG 1978 Nr. L 84, S. 43). 109 EuGHE 1990,1509, 1518 ff. 110 EuGHE1990, 1461, 1474 ff. 111 BGHSt 37, 333, 335. 112 BGHSt 37, 333, 336. 11^ Der Hinweis auf BGHSt 37, 168 ist zumindest missverstandlich, da es in der zitierten Entscheidung nicht um eine richtlinienkonforme Auslegung, sondern um die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie ging; krit. hierzu Hugger, NStZ 1993, 422; Satzger, Europaisierung, S. 547.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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Der BGH praktizierte damit eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen 59 Strafrechts, ohne diese explizit als solche zu benennen oder naher zu begriinden. In der Literatur wird das Urteil daher nur als „erster vorsichtiger Schritt" der Strafgerichtsbarkeit gewiirdigt, mit dem sie sich der Problematik des Einflusses von EG-Richtlinien wenigstens genahert habe. Das Urteil sei mithin symptomatisch fiir die Unsicherheit, die haufig beim Aufeinandertreffen strafrechtlicher und europarechtlicher Erwagungen herrsche'''''*. Jedenfalls kann festgehalten werden, dass der BGH mit seinem „Pyrolyse-Urteil" die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung in den Kanon der strafrechtsrelevanten Auslegungsmethoden aufgenommen hat^^^. Hiervon zeugt das Urteil des BGH v. 6. November 2003, in welchem er die Strafvorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes im Lichte der „Iiisider-Richtlinie" (§ 8 Rn. 34) auslegt und auf dieser Grundlage das sog. „Scalping", d. h. den Erwerb von kapitalmarktgehandelten Vermogenswerten (Wertpapiere, Aktien) in der Absicht, sie anschlieBend einem anderen zum Erwerb zu empfehlen, um sie dann bei steigendem Kurs - infolge der Empfehlung - wieder zu verkaufen, nicht als strafbares Insidergeschaft bewertef''^. Ein weiteres Praxisbeispiel bildet die Entscheidung des 1. Strafsenats v. 24. Januar 2006, in der das Verhaltnis zwischen (leichtfertiger) Geldwasche und Hehlerei unter Einbeziehung der Vorgaben der Dritten Geldwascherichtlinie^'''' (§ 8 Rn. 15) bestimmt wird^^^.
III. Zur sog. „strafbarkeitserweitemclen" Auslegung Einige Stimmen in der Literatur halten mit unterschiedlichen Begriindungsansat- 60 zen eine sog. „strafbarkeitserweiternde" gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, also die im Lichte des Gemeinschaftsrechts vorgenommene Neuinterpretation eines Strafgesetzes, die zu Ungunsten des Beschuldigten von der bisherigen nationalen Auslegungspraxis abweicht, fiir schlechthin unzulassig^^^. Sie erblicken hierin entweder einen VerstoB gegen Art. 103 II GG, da sich der Strafanspruch nicht mehr allein auf die deutsche Strafvorschrift, sondern auf Gemeinschaftsrecht griinde^^^ oder eine Missachtung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Rechtssicherheit, da diese Rechtsanwendung im Ergebnis einer faktischen unmittelbaren
Satzger, Europaisierung, S. 547; ihm folgend Ambos, IntStR, § 11 Rn. 43; vgl. aber auch Schroder, Richtlinien, S. 325, der eine mogliche Erklarung fiir die zuruckhaltende Begriindung des BGH bietet. 115 Dannecker, BGH-Festgabe, S. 339, 366. 116 BGH NStZ 2004, 285; zum Begriff des „Scalping" vgl. VogeU NStZ 2004, 252. 117 ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15. 118 BGHSt 50, 347, 355. 119 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 275 ff; Hugger, NStZ 1993, 421, 423; Kohne, Richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 107 ff., 115. 120 ^wgg^r, NStZ 1993, 421, 423.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu Lasten des Einzelnen im Staat-BiirgerVerhaltnis gleichkomme''^"'. 61 Bei genauerer Betrachtung erweist sich das von diesen Autoren diskutierte Verbot einer strafrechtserweiternden gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung jedoch als bloBes Scheinproblem. Bereits die Verwendung des Schlagworts „Strafbarkeitserweiterung" ist im Zusammenhang mit Interpretationsvorgangen verfehlt, zumindest aber missverstandlich. Nach ganz h. M. vermag eine friihere Auslegungspraxis, die fiir einen Beschuldigten giinstiger gewesen sein mag, die Gerichte nicht zu binden. Grundlage der Strafbarkeit ist immer nur das Gesetz. Eine Rechtsprechungsanderung, die sich unter Beachtung der innerstaatlichen Verfassungsvorgaben fiir eine nach nationalen Auslegungskriterien vertretbare Auslegungsvariante entscheidet, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht unproblematisch, mag die gewahlte Auslegung im konkreten Fall fiir den Beschuldigten auch ungiinstiger sein als die verworfene Auslegungsvariante. Das Vertrauen in den Fortbestand einer bestimmten Auslegungspraxis wird nicht geschiitzt, da Vertrauensgrundlage allein das nationale Gesetz ist, das der Biirger allein zu kennen braucht. Zu Recht geht die h. M. daher davon aus, dass ein Rechtsprechungswandel nicht dem Riickwirkungsverbot unterliegt^^^. Wenn es somit schon kein Gebot einer starren, in sich verharrenden Interpretation strafrechtlicher Normen gibt, so iiberzeugt es nicht, eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, die zu einer fiir den Beschuldigten gegeniiber der friiheren Rechtsprechung ungiinstigeren Ausdeutung des Strafgesetzes fiihrt, generell fiir unzulassig zu halten. Andert sich eine fiir den Tater giinstige Auslegungspraxis, ohne dass er dies bei der Tat wissen konnte, kann diesem Umstand durch Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB) Rechnung getragen werden''^^. 62 Aber auch die vom Gerichtshof im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Auslegung von Strafgesetzen herangezogenen allgemeinen Rechtsgrundsatze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Prinzip der Rechtssicherheit und das Riickwirkungsverbot, stehen einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu Ungunsten des Beschuldigten nicht entgegen. Der EuGH will nur sichergestellt wissen, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen nicht allein auf eine Richtlinie, sondern stets auf ein nationales Strafgesetz gestiitzt wird. Solange nur eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegungsvariante gewahlt wird, die sich innerhalb des nach nationalem Recht moglichen Interpretationsspielraumes bewegt, also keine Auslegung contra legem darstellt, schlieBen die allgemeinen
Brechmann, Richthnienkonforme Auslegung, S. 275; Kohne, Richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, S. 107. BVerfGE 18, 224, 240; BGHSt 41, 101, 111; BayObLG NJW 1990, 2833; OLG Frankfurt NJW 1969, 1634; Ambos, IntStR, § 11 Rn. 45; Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, S. 364 ff, 390; Heise, Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, S. 116 ff; Konig, in: Gohler, OWiG, § 3 Rn. 8a; LacknerfKuhl, § 1 Rn. 4; Satzger, Europaisierung, S. 556; ders., IntStR, § 8 Rn. 86; Schroder, Richtlinien, S. 328; a. A. MuKoStGB/ Schmitz. § 1 Rn. 33 ff. OLG Dusseldorf VRS 73, 367,369; TrondldFischer, § 17 Rn. 9 b.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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Rechtsgmndsatze eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht aus""^"^. In diesem Rahmen ist es dem innerstaatHchen Gericht insbesondere erlaubt, eine Richtlinie als Bestatigung des aus dem nationalen Recht gewonnenen Auslegungsergebnisses heranzuziehen, wie dies z. B. der BGH in seinem „PyrolyseUrteil" (Rn. 56 ff.) im Hinblick auf den strafrechtHchen Abfallbegriff getan hat. Zusammenfassend lasst sich somit festhalten: Es bestehen weder verfassungs- 63 rechtliche noch gemeinschaftsrechtliche Bedenken dagegen, unter Heranziehung von Gemeinschaftsrecht zu einer Neuinterpretation eines Strafgesetzes zu gelangen, die fiir den Angeklagten ungiinstiger ist als eine friiher vertretene Ausdeutung, solange das Auslegungsergebnis nicht die vom Wortiaut der Norm gezogene Grenze iiberschreitet. Dem Vertrauen des Angeklagten in den Fortbestand einer friiheren, fiir ihn giinstigen Rechtsanwendungspraxis kann bei der Prlifung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (§17 StGB) Rechung getragen werden.
IV. Anwendungsfelder der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht Im Folgenden sollen anhand einiger exemplarisch ausgewahlter Straftatbestande, 64 mogliche Anwendungsfelder der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung im Strafrecht aufgezeigt werden^ ^^.
r. AmtsanmaBung (§ 132 StGB) § 132 StGB schiitzt die Autoritat des Staates und seiner Organe als Voraussetzung 65 fiir die Funktionsfahigkeit der staatlichen Verwaltung und Rechtsprechung^^^. Es stellt sich die Frage, ob auch die Autoritat der supranationalen Organe der EG vom Schutzbereich dieser Strafnorm erfasst wird. Ein Teil der Literatur steht auf dem Standpunkt, ein „offentliches Amt'* konne nur ein inlandisches sein^^^. Fiir diese Ansicht spricht die systematische Interpretation des § 132 StGB. Offentliche Amter werden von „Anitstragern" wahrgenommen und bei diesen handelt es sich nach der Legaldefinition § 11 I Nr. 2 StGB um nach deutschem Recht bestellte Funktionstrager. Jedoch ist der Wortiaut des § 132 I StGB fiir eine weitere AusBose, Strafen und Sanktionen, S. 432 f.; Ruffler, OJZ 1997, 121, 129; Satzger, Europaisierung, S. 557 ff.; Schroder, Richtlinien, S. 382. Vgl. hierzu die ausfiihrliche Darstellung von Satzger, Europaisiemng, S. 571-641; weitere Anwendungsbeispiele fmden sich bei Schroder, Richtlinien, S. 410-465; zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 112 II Nr. 2 StPO vgl. Gercke, StV 2004, 675 ff.; zur richtlinienkonformen Auslegung des Markenstrafrechts vgl. Schulz, Markenstrafrecht, S. 59 ff., 63 ff BGHSt 12, 30, 31; 40, 8, 12; SchonkQ/SchYodQr/Cramer/Sternberg-Lieben, § 132 Rn. 1; TrondldFischer, § 132 Rn. 2; LacknQv/Kuhl, § 132 Rn. 1. LK-v. Buhnoff, § 132 Rn. 10; Schonke/Schvoder/Cramer/Stemberg-Lieben, § 132 Rn. 1; Tvondle/Fischer, § 132 Rn. 4, vor § 3 Rn. 9.
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deutung of fen, da unter einem „offentlichen Amt" auch Amter der EG - als Trager supranationaler Hoheitsgewalt - verstanden werden konnen. § 132 StGB ist somit ein der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung prinzipiell zuganglicher Tatbestand^^^. Angesichts der vielfaltigen Verwaltungskompetenzen der EG konnte ein Vertrauensverlust beim Burger durch unberechtigte Inanspruchnahme hoheitlicher Funktionen zu schwerwiegenden Storungen bei der Aufgabenerfullung der Gemeinschaft fiihren. Die EG bedarf daher ebenso des strafrechtiichen Schutzes wie ihn § 132 StGB im innerstaatlichen Bereich gewahrleistet. Das aus Art. 10 EGV abzuleitende Assimilierungsgebot legt den Mitgliedstaaten u. a. die Pflicht auf, den EG-Interessen einen gleichwertigen strafrechtiichen Schutz angedeihen zu lassen wie den entsprechenden nationalen Schutzgiitern (§ 7 Rn. 27 ff.). Der fur eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung offene Tatbestand des § 132 StGB ist daher im Lichte des Art. 10 EGV dahingehend auszulegen, dass er auch „offentliche Amter der EG" erfassf^^. Der Sinn des § 132 StGB wird durch diese weite, aber innerhalb der Wortlautgrenze liegende Ausdeutung nicht verfalscht Oder in sein Gegenteil verkehrt. Eine entsprechende Klarstellung durch den Gesetzgeber - etwa in Form einer Gleichstellungsklausel - ware angesichts des Streitstandes in der Literatur jedoch wiinschenswerf^^. 66 Beispielsfall: Privatdetektiv A gibt sich zu Unrecht als Mitarbeiter der Europaischen Betrugsbekampfungsbehorde OLAF aus und nimmt in einem Betrieb Handlungen vor, zu denen nach der Verordnung Nr. 2185/96 des Rates v. 11. November 1996 betreffend die KontroUen und Uberprufiing vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften vor Betmg und anderen UnregelmaBigkeiten''^'' nur OLAF-Bedienstete befugt sind (§ 4 Rn. 28 ff.). Nach hier vertretener Auffassung hat sich A gem. § 132 I, 1. Alt. StGB strafbar gemacht. Falls A im Ausland gehandelt hat, ergibt sich die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aus § 6 Nr. 9 StGB, der als intemationalstrafrechtliche „Auffangnorm" sicherstellt, dass deutsche Strafbestimmungen, die dem Schutz von Gemeinschaftsinteressen dienen, auf extraterritoriale Taten anwendbar sind""^^ (§2Rn.54).
2. Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) 67 § 133 StGB schiitzt die staatliche Gewalt iiber Sachen in dienstlichem Verwahrungsbesitz und das Vertrauen in deren sichere Aufbewahrung^^^. Wie bei § 132 StGB spricht auch bei § 133 StGB der systematische Zusanmienhang mit der Aufgabenerfiillung des offentlichen Dienstes fiir eine Schutzzweckbeschran-
^^^ Nicht gefolgt werden kann LK-v. Bubnoff, § 132 Rn. 10, der von einem „eindeutigen VerstoB gegen das Analogieverbot" spricht. ^^^ LackiiQY/KUhl, § 132 Rn. 4; SK-Rudolphi, § 132 Rn. 6; Satzger, Europaisiemng, S. 572; ders., IntStR, § 8 Rn. 92. ^^^ Eine (aus seiner Sicht konstitutive) gesetzliche Regelung fordert TrondldFischer, § 132 Rn. 4. 131 ABIEG 1996 Nr. L 292, S. 2. 132 MuKoStGBMm^o5, Vor §§ 3-7 Rn. 16. 133 BGHSt 38, 381, 386; TrondlQ/Fischer, § 133 Rn. 2; LackuQv/KUhl, § 133 Rn. 1.
B. Gemeinschaflsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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kung auf inlandische Rechtsgiiter''^'^. Da der Wortiaut der Norm jedoch keine Beschrankung auf solche Sachen vorsieht, deren Verwahrung auf deutsche Hoheitsgewalt zuriickzufiihren ist, kommt auch hier prinzipiell eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Tatbestandes dahingehend in Betracht, dass auch solche Sachen dem Schutzbereich unterfallen, deren Verwahrung auf die Ausiibung von Gemeinschaftsgewalt zuriickgeht. Dem Loyalitatsgebot des Art. 10 EGV folgend, muss sichergestellt werden, dass die dienstliche Verfiigungsgewalt von EG-Behorden den gleichen strafrechtlichen Schutz genieBt wie die von deutschen Behorden (§ 7 Rn. 34). § 133 StGB ist daher gemeinschaftsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass unter „dienstlicher Verwahrung" auch eine solche fallt, die sich auf gemeinschaftsrechtliche Hoheitsgewalt zuriickfiihren lasst^^^. Beispielsfall: A nutzt einen Aufenthalt in den Raumlichkeiten von OLAF, um Schriftstiicke 68 (oder andere bewegliche Sachen), die sich in dienstlicher Verwahrung der Europaischen Betrugsbekampfungsbehorde befinden, an sich zu nehmen und zu vemichten. Nach hier vertretener Auffassung ist er gem. §§ 133 I, 6 Nr. 9 StGB strafbar. 3. Aussagedelikte (§§ 153 ft StGB) Aus dem Assimilierungsgebot des Art. 10 EGV folgt, dass die europaische 69 Rechtspflege den gleichen strafrechtlichen Schutz beanspruchen kann wie die deutsche (§ 7 Rn. 34). Der Wortiaut der §§ 153, 154, 156, 160 StGB ist offen fiir eine Interpretation, die auch den EuGH bzw. das EuG als „Gericht" bzw. eine „zur Abnahme von Eiden zustandige Stelle" begreift. Alle Aussagedelikte sind daher auch auf (uneidliche und eidliche) Falschaussagen von Zeugen und Sachverstandigen anwendbar, die vor dem EuGH bzw. dem EuG begangen werden^ ^^. Die Anwendbarkeit des § 154 StGB folgt bereits aus der primarrechtlichen Assimilierungsbestimmung des Art. 30 der Satzung des EuGH^^'' (§ 7 Rn. 11 ff.). 4. Urkundendelikte (§§ 267, 271, 274, 348 StGB) Wie bereits dargelegt (Rn. 38), ist der Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt 70 (§ 348 StGB) nach dem eindeutigen Wortiaut der Norm keiner Auslegung zuganglich, welche die Falschbeurkundung durch EG-Beamte erfasst. Diese Tat kann nur von einem deutschen Amtstrager begangen werden (vgl. § 111 Nr. 2 StGB)^^^.
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Schonke/Schiodev/Cramer/Sternberg-Lieben, § 133 Rn. 2a; TrondldFischer, Vor § 3 Rn. 9. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 42, 71; Lackn^r/Kuhl, § 133 Rn. 3; Satzger, Europaisiemng, S. 573; ders., IntStR, § 8 Rn. 93. Groblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 72 f; Satzger, Europaisiemng, S. 575 ff; a. A. TrondldFischer, vor § 3 Rn. 9; Lackncv/Kuhl, Vor § 153 Rn. 2. ProtokoU iiber die Satzung des EuGH (ABIEG Nr. L 188, S. 1 v. 26. Juh 2003). Satzger, Europaisiemng, S. 582.
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71 Demgegeniiber ist der Tatbestand der Urkundenfalschung (§ 267 StGB) von seinem Wortiaut her offen fiir eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung. Diese Bestimmung schiitzt die Sicherheit und Zuverlassigkeit des Beweisverkehrs mit Urkunden^^^. Nach zutreffender Auffassung wird damit nicht nur der inlandische, sondern auch der auslandische oder supranationale Rechtsverkehr geschiitzt, also z. B. die Vorlage einer unechten oder verfalschten Urkunde bei einer europaischen Institution^'^°. Entsprechendes gilt fiir die Urkundenunterdriickung (§ 274 StGB). 72 Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob § 271 StGB einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zuganglich ist. Dem Wortiaut nach steht einer Einbeziehung von Urkunden mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht nichts im Wege. Unter „offentlichen Urkunden" konnten mithin auch solche Urkunden zu verstehen sein, die von einer EG-Behorde oder von einer auslandischen Stelle im Rahmen der Durchfiihrung von Gemeinschaftsrecht ausgestellt werden'"^^ Gegen diese Auslegung konnte aber das systematische Argument sprechen, dass § 271 StGB nur der SchlieBung einer Liicke diene, die daraus resultiert, dass § 348 StGB nur von deutschen Amtstragern (Sonderdelikt!) begehbar ist^'^^. Ohne die Regelung des § 271 StGB waren Handlungen, die darauf abzielen, einen Amtstrager zur Herstellung einer falschen Urkunde zu veranlassen, nicht strafbar, da die allgemeinen Grundsatzen der mittelbaren Taterschaft nicht eingreifen. Da § 271 StGB also nur eine Strafbarkeitsliicke schlieBt, lieBe sich argumentieren, dass der Anwendungsbereich des § 271 StGB im Hinblick auf seine Tatobjekte (falsche offentliche Urkunden deutscher Amtstrager) nicht iiber den des § 348 StGB hinausgehen kann. Der Wortiaut der Norm lasst freilich eine weitergehende Auslegung zu, ohne hierdurch den Sinn der Strafbestimmung zu verfalschen. Im Hinblick auf das aus Art. 10 EGV abzuleitende Gleichstellungsgebot (§ 7 Rn. 27 ff.) sollte § 274 StGB daher gemeinschaftsrechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass auch die offentliche Beweiskraft von Urkunden mit EG-Bezug geschiitzt wird^"^^. 5. Umweltdelikte
(§§ 324 a /, 3251, II, 325 a I, II StGB)
73 Fraglich ist, ob bei verwaltungsakzessorisch ausgestalteten Umweltdelikten, die wie §§ 324 a I, 325 I, II, 325 a I, II StGB - an die „Verletzung verwaltungsrechtHcher Pflichten" (vgl. § 330 d Nr. 4 StGB) ankniipfen, nur VerstoBe gegen deutsches Verwaltungsrecht tatbestandsrelevant sind""^"^. Demnach ware z. B. eine Strafbarkeit gem. § 325 I, II StGB wegen grenziiberschreitender Luftverunreinigung durch eine im Ausland betriebene Anlage ausgeschlossen, wenn hierdurch zwar gegen auslandisches, nicht aber gegen deutsches Verwaltungsrecht verstoBen wird (vgl. hierzu bereits Fall 4 in § 2 Rn. 40 ff.). Richtigerweise ist aber davon 139 BGHSt 9, 44, 45; TvondldFischer, § 267 Rn. 1 ; LsLckncr/Kuhh § 267 Rn. 1. Sch6nk&/Schi6der/Cramer/Heine, § 267 Rn. lb; Lackner/Kuhl, § 267 Rn. 1; Satzger, Europaisiemng, S. 579. 141 Satzger, Europaisiemng, S. 581. 140
142 SchonkQ/SchrodQr/Cramer/Heine,
§ 271 Rn. 1.
143 LsLckner/KUhl, § 271 Rn. 5; Satzger, Europaisiemng, S. 580 ff. 144 So die Auffassung von Trondle/F/^c/i^r, Vor § 3 Rn. 9; Wimmer, ZfW 1991, 140, 146.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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auszugehen, dass eine Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten auch darin liegen kann, dass der Tater gegen unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht oder gegen harmonisiertes nationales Umweltrecht verstoBt^"^^. Der Umweltschutz wird heute maBgeblich durch die Umweltpolitik der EG ge- 74 pragt. Zum Schutz und zur Erhaltung der Umwelt wurden in den zuriickliegenden dreiBig Jahren einige hundert Rechtsakte erlassen. Bereits seit Anfang der 1970er Jahre setzte die Gemeinschaft europaisches Umweltrecht auf der Grundlage einer dynamischen Handhabung des Vertrages, insbesondere einer extensiven Interpretation der in Art. 100 und 235 EGV enthaltenen Harmonisierungskompetenzen^'^^. Eine bedeutsame Aufwertung erfuhr der gemeinschaftliche Umweltschutz mit dem Inkrafttreten der EEA im Jahre 1987 durch die Einfligung eines besonderen Umweltkapitels in den EGV (ex-Art. 130 r-t EGV; heute Art. 175 ff. EGV), welches spater durch die Vertrage von Maastricht und Amsterdam weiterentwickelt wurde. Fortan stellte der Umweltschutz nicht mehr ein bloBes Mittel zur Verwirklichung des Binnenmarktes, sondern ein eigenstandiges Vertragsziel dar^"^"^. Vor dem Hintergrund der Entwicklung des Europaischen Umweltschutzrechts 75 kann es keinem Zweifel unterliegen, dass den Mitgliedstaaten im Lichte des Gebotes der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EGV) die Verpflichtung obliegt, ihr nationales Sanktionensystem zum Zwecke einer effektiven Durchsetzung des umweltschutzrelevanten Gemeinschaftsrechts zu funktionalisieren. Dies bedeutet konkret, dass die Anwendbarkeit von Tatbestanden des deutschen Umweltstrafrechts, die an die Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten ankniipfen, auch in den Fallen sichergestellt sein muss, in denen der Tater gegen ein im Gemeinschaftsrecht wurzelndes Gebot verstoBt. Denkbar ist in diesem Zusammenhang die Schaffung einer Gleichstellungsklausel nach dem Vorbild des § 264 VII Nr. 2 StGB, durch die klargestellt wird, dass auch dem VerstoB gegen gemeinschaftsrechtlich begriindete Pflichten Tatbestandsrelevanz zukommt. Zum gleichen Ergebnis fiihrt aber bereits eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Merkmals „verwaltungsrechtliche Pflichten". Diese Tatbestandsformulierung ist in Befolgung des gemeinschaftsrechtlichen Assimilierungsgebotes so auszulegen, dass die nach der Legaldefinition des § 330 d Nr. 4 StGB tatbestandsrelevanten „Rechtsvorschriften" nicht nur deutsche Umweltgesetze, sondern auch EGVerordnungen^"^^ sowie das gesamte harmonisierte Umweltverwaltungsrecht des Staates erfassen, auf dessen Territorium die tatbestandsmaBige Handlung begangen wird. Die Legaldefinition des § 330 d Nr. 4 StGB verwandelt sich durch diese Auslegung pro communitate in eine Gleichstellungsklausel und die betroffenen Strafbestimmungen in europarechtsakzessorische Tatbestande, die dem europa145 Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden Hecker, ZStW 115 (2003), S. 880, 898 ff. 146 Vgl. Breier/Vygen, in Lenz (Hrsg.), EG-Vertrag, 2. Aufl., 1999, Vorbem. Art. 174-176 Rn. 1; Hailhronner, EuGRZ 1989, 101, 103; Nicklas, Implementationsprobleme des EG-Umweltrechts unter besonderer Berucksichtigung der Luftreinhalterichtlinien, 1997, S. 23 ff; Scheuing, EuR 1989, 153 ff i4'7 Vgl. zum Umweltschutz auf europaischer Ebene Epiney, Umweltrecht in der EU, S. 10ff.,93ff., 113ff 148 Zutr. Schonke/Schroder/Cramer, § 330 d Rn. 12.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
ischen Umweltstrafrecht zuzuordnen sind. Gegen den Betreiber einer in einem angrenzenden Mitgliedstaat betriebenen Anlage kann daher wegen grenziiberschreitender Luftvemnreinigung nach deutschem Strafrecht (§ 325 I, II StGB) vorgegangen werden, wenn er gegen harmonisiertes Umweltrecht verstoBt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Strafrechtsanwendungsbestimmung die Ausdehnung deutscher Strafgewalt gestattet (vgl. hierzu § 2 Rn. 41 ff.). 6. Fahrlassigkeitsdelikte 76 Gemeinschaftsrecht kann sich auf die Auslegung generalklauselartiger Tatbestandsmerkmale auswirken""^^. Bin Hauptanwendungsfall sind die Fahrlassigkeitsdelikte, die eine fahrlassig begangene Handlung (z. B. § 59 I Nr. 7, 60 I LFGB i. V. m, § 11 I LFGB) oder das fahrlassige Verursachen eines Erfolgs (z. B. §§ 222, 229, 306 d I StGB) mit Strafe bedrohen. 77 Das Fahrlassigkeitsmerkmal kniipft an die Verletzung einer Sorgfaltspflicht an. Inhalt der Sorgfaltspflicht ist es, die aus dem konkreten Verhalten erwachsenen Gefahren fiir das geschiitzte Rechtsgut zu erkennen und sich darauf richtig einzustellen, also die gefahrliche Handlung nur unter ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen oder ganz zu unterlassen. Art und MaB der anzuwenden Sorgfalt ergeben sich nach h. M. aus den Anforderungen, die bei einer Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen Menschen in der konkreten Lage und in der sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind^^°. In zahlreichen Lebens- und Arbeitsbereichen kann der Rechtsanwender bei der Ausfiillung der Sorgfaltspflicht auf sog. Sondernormen zuriickgreifen. Dabei handelt es sich um auBerstrafrechtliche (nicht notwendigerweise gesetzliche) Verhaltensvorschriften oder allgemeine Erfahrungssatze, die zum Ausdruck bringen, wie sich der Einzelne in einer konkreten Situation zu verhalten hat (z. B. Verkehrsregeln, Unfallverhlitungsvorschriften. Sport- und Wettkampfregeln, anerkannte Regeln der Technik, arztliche Kunstregeln etc.)^^^ Wenn sich der Tater an eine rechtlich verbindliche Sondernorm gehalten hat, wird man ein sorgfaltswidriges Verhalten regelmaBig ausschlieBen miissen (Aspekt des erlaubten Risikos)""^^. Der Riickgriff auf Sondernormen bildet das dogmatische „Einfallstor" zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung von Fahrlassigkeitstatbestanden. Gemeinschaftsrechtliche Sondernormen konnen sich aus unmittelbar anwendbaren EG-Vorschriften oder weitaus haufiger - aus Richtlinien ergeben^ ^^.
149 Ygj hierzu ausfiihrlich Satzger, Europaisierung, S. 606 ff; ders., IntStR, § 8 Rn. 94 ff 150 BGHSt 7, 307, 309; 20, 315, 321; 37, 184, 187 ff; BGH NJW 2000, 2754, 2758; WesSQls/Beulke, AT, Rn. 669; hackntr/Kuhl, § 15 Rn. 37; KKOWiG-Rengier, § 10 Rn. 18. 151 Vgl. hierzu nut Bohnert, JR 1982, 6; Lackner/Kuhh § 15 Rn. 39. 152 Satzger, Europaisierung, S. 609 ff. 153 Satzger, Europaisierung, S. 612 ff; Schroder, NStZ 2006, 670 ff
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Beispiel: Die RL 88/378/EWG des Rates v. 3. Mai 1988 zur Angleichung von 78 Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten iiber die Sicherheit von Spielzeug^^"^ bestimmt, dass die Mitgliedstaaten alle zweckdienlichen MaBnahmen treffen, damit Spielzeug nur in den Verkehr gebracht werden kann, wenn es den in Anhang II angegebene wesentlichen Sicherheitsanforderungen entspricht. Dieser Anhang enthalt teilweise auBerst konkrete Sicherheitsanforderungen, wie z. B. die Festsetzung von Hochstmengen bestimmter gesundheitsgefahrdender Stoffe in Kinderspielzeug. Diese Richtlinienvorgaben sind so konkret, dass sie zumindest als Indiz fiir die anzuwendende Sorgfalt herangezogen werden konnen^^^. Freilich muss erst noch durch Auslegung der Richtlinie ermittelt werden, ob diese nur einen bestimmten Mindeststandard oder einen Hochststandard herbeifiihren wilP^®. Sollte sich hierbei ergeben, dass die Richtlinie nur auf die Herstellung eines gemeinschaftsweiten Mindeststandards abzielt, so steht es den Mitgliedstaaten frei, im innerstaatlichen Recht strengere Sicherheitsanforderungen zu stellen, deren Verletzung in eine strafrechtliche Fahrlassigkeitshaftung miinden kann.
V. Rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Strafrechts Rahmenbeschliisse stellen die wohl wichtigste Handlungsform der PJZS als dritter 79 Saule der EU (§ 5 Rn. 69 ff.) dar^^^. Gem. Art. 34 II lit. b S. 2 EUV sind Rahmenbeschliisse fiir die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, iiberlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Im Gegensatz zu Richtlinien der EG, bei denen nach der von der h. L. gebilligten Judikatur des EuGH eine „Durchgriffswirkung" unter engen Voraussetzungen moglich ist (§ 4 Rn. 65) scWieBt Art. 34 II lit. b S. 3 EUV eine unmittelbare Anwendbarkeit von Rahmenbeschliissen aus. Obwohl die PJZS eine vom supranationalen Gemeinschaftsrecht zu trennende intergouvernementale Kooperationsform darstellt^^^, bietet es sich an, die rahmenbeschlusskonforme Auslegung wegen ihrer Parallelitat zur richtlinienkonformen Auslegung in diesem Kapitel zu behandeln. In einer wegweisenden Entscheidung in der Rechtssache „Pupino" hat der EuGH die Funktion von Rahmenbeschliissen weitgehend derjenigen von Richtlinien angeglichen.
154 ABIEG 1988 Nr. L 187, S. 1 ff.; geandert durch RL 93/68/EWG v. 22. Juli 1993 (ABIEG 1993 Nr. L 220, S. 4). 155 Satzger, Europaisierung, S. 615; Schroder, NStZ 2006, 670 ff; vgl. zum Einfluss der EG-Produktsicherheitsrichtlinie auf die sog. „Kettenverantwortlichkeit" im Lebensmittelstrafrecht Hecker, Produktwerbung, S. 206 ff.; Satzger, Europaisierung, S. 623 ff 156 Vgl. zur Methodik der Auslegung von EG-Richtlinien Schroder, Richtlinien, S. 397 ff 157 Vgl. hierzu nur Baddenhausen/Pietsch, DVBl 2005, 1562 ff; Streinz, JuS 2005, 1023. 158 Vgl. hierzu nur Fetzer/Grofi, EuZW 2005, 550 ff.; GarditzlGusy, GA 2006, 225; Herrmann, EuZW 2005, 437, 438.
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1. Die Rechtssache „Pupino" 80 Fall 5 (EuGH NJW 2005, 2839): Der Kindergartnerin Maria Pupino wird im Rahmen eines von der italienischen Staatsanwaltschaft gegen sie eingeleiteten Strafverfahrens vorgeworfen, zahlreiche Delikte des nach dem italienischen Strafgesetzbuch (Codice penale CP) strafbaren „Missbrauclis disziplinarischer Mittel" (Art. 571 CP) bis hin zu einer „ erschwerten Korperverletzung" (Art. 582, 585, 575 CP) an einigen ihr anvertrauen Kindem begangen zu haben, die zur Tatzeit unter fiinf Jahre alt waren. Unter anderem soil sie diese Kinder regelmaBig geschlagen, ihnen mit der Verabreichung von Beruhigungsmitteln und dem Zukleben ihres Mundes mit Pflastem gedroht und sie am Aufsuchen der Toiletten gehindert haben. Im Ermittlungsverfahren, das von der Staatsanwaltschaft unter Aufsicht des Ermittlungsrichters durchgefiihrt wird, widerspricht die Angeklagte der Vemehmung der Kinder als Zeugen im Beweissicherungsverfahren, da hierfiir nach ihrer Ansicht die Voraussetzungen der italienischen Strafprozessordnung (Codice di procedure penale - CPP) nicht vorlagen. Der Ermittlungsrichter beim zustandigen Tribunale Firenze sieht sich an geeigneten MaBnahmen zum Zeugenschutz gehindert und bringt vor, nach den einschlagigen nationalen Bestimmungen miisse der Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt werden, da die genannten Bestimmungen der CPP die Befugnis zur Durchftihrung eines Beweissicherungsverfahrens und die Anwendung besonderer Modalitaten der Beweissammlung und erhebung auf Sexualdelikte und Delikte mit sexuellem Hintergrund beschrankten. Er hegt jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit der Art. 392 ff., 398 CPP mit Art. 2, 3 und 8 des Rahmenbeschlusses des Rates v. 15. Marz 2001 iiber die Stellung des Opfers im Strafverfahren''^^, soweit diese Bestimmungen die Befugnis des Ermittlungsrichters, ein Beweissicherungsverfahren durchzufiihren und besondere, dem Opferschutz dienenden Modalitaten der Beweissammlung und -erhebung anzuwenden, auf Sexualdelikte und Delikte mit sexuellem Hintergrund beschranken. Nach seiner Auffassung hat ein nationales Gericht das innerstaatliche Recht im Licht des Wortlautes und Zieles der Gemeinschaftsvorschriften auszulegen. Er hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und den EuGH ersucht, sich zur Tragweite der Art. 2, 3 und 8 des Rahmenbeschlusses (im Folgenden RB) zu auBem. Art. 2 II RB lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass besonders gefdhrdete Opfer eine ihrer Situation am besten entsprechende spezifische Behandlung erfahren". Art. 3 II RB lautet: „Die Mitgliedstaaten ergreifen die gebotenen Mafinahmen, damit ihre Behorden Opfer nur in demfUr das Strajverfahren erforderlichen Umfang befragen". Art. 8 I RB lautet: „Die Mitgliedstaaten gewdhrleisten ein angemessenes Schutzniveau fur die Opfer ... "; Art. 8 IV RB lautet: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafiir, dass Opfem, insbesondere den am meisten gefdhrdeten, die vor den Folgen ihrer Zeugenaussagen in der dffentlichen Gerichtsverhandlung geschUtzt werden miissen, im Wege gerichtlicher Entscheidungen gestattet werden kann, unter Einsatz geeigneter Mittel, die mit den Grundprinzipien ihrer jeweiligen Rechtsordnung vereinbar sind, unter Bedingungen auszusagen, unter denen dieses Ziel erreicht werden kann". Frage 1:1st das Vorabentscheidungsersuchen des italienischen Ermittlungsrichters zulassig? - Frage 2:1st der RB unmittelbar anwendbar? - Frage 3: Darf Oder muss das nationale Gericht das innerstaatliche Recht im Licht des RB auslegen? 81 Losungshinweise zu Fall 5: Nach Art. 46 lit. b EUV gelten die Bestimmungen des EGV betreffend die Zustandigkeit des EuGH und die Ausiibung dieser Zustandigkeit, zu denen Art. 234 EGV gehort, nach MaBgabe des Art. 35 EUV fiir die Bestimmungen des Titels VI des EUV. Die italienische Republik hat eine Erklarung i. S. d. Art. 35 III lit. b EUV abgegeben, mit der es die Zustandigkeit des EuGH fiir Entscheidungen iiber die Giiltigkeit und die Auslegung der in 159 ABIEG 2001 Nr. L 82, S. 1.
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EuGH fur Entscheidungen iiber die Giiltigkeit und die Auslegung der in Art. 35 EUV genannten Rechtsakte anerkannt hat^^°. Sowohl Art. 35 III lit. b EUV als auch Art. 234 I, II EGV sehen vor, dass jedes nationale Gericht eine Frage, die sich in einem schwebenden Verfahren stellt und die sich auf die Giiltigkeit oder Auslegung der genannten Rechtsakte bezieht, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen kann, wenn es eine Entscheidung dariiber zum Erlass seines Urteils ftir erforderlich halt (§6 Rn.'6 ff.). Der italienische Ermittlungsrichter ist bei funktioneller Betrachtungsweise als „Gericht eines Mitgliedstaates" i. S. d. Art. 35 III lit. b EUV anzusehen. Fraglich ist, ob das Vorabentscheidungsersuchen wegen Unerheblichkeit der Vorlagefrage als unzulassig anzusehen ist^^^ Unerheblich ware die Vorlagefrage, wenn definitiv feststtinde, dass die einschlagigen Bestimmungen des italienischen Rechts angesichts ihres Wortlautes und des objektiv erkennbaren Willens des innerstaatlichen Normgebers von vornherein keiner der Zielsetzung des RB entsprechenden Auslegung zuganglich sind""®^. Nach standiger Rechtsprechung des EuGH ist die Erheblichkeit der von nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen indes nur ausnahmsweise zu verneinen, namlich wenn die erbetene Auslegung von Rechtsvorschriften der Union offensichtlich in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht liber die tatsachlichen oder rechtlichen Angaben verfugt, die fiir eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind^®^. Da eine mit dem RB konforme Auslegung des nationalen Rechts im Ausgangsverfahren nicht offensichtlich ausgeschlossen erscheint, steht das Erheblichkeitskriterium der Zulassigkeit des Vorabentscheidungsersuchens nicht entgegen^^"^. Losungsvorschlag zu Frage 1: Das Vorabentscheidungsersuchen des italienischen Ermittlungsrichters ist zulassig. Der EuGH geht in seiner Entscheidung nicht auf die unmittelbare Anwendbar- 82 keit von Rahmenbeschliissen ein, sondern beschrankt seine Ausfiihrungen auf die Thematik der rahmenbeschlusskonforme Auslegung nationalen Rechts^^^. Diese Vorgehensweise ist insoweit konsequent, als der EuGH im Gegensatz zu dem das Vorabentscheidungsverfahren initiierenden Ermittlungsrichter von bestehenden Interpretationsspielraumen im nationalen Strafprozessrecht ausgeht, so dass sich fur ihn eben nur die Frage einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung des inner-
160 ABIEG 1999 Nr. L 114, S. 56. 161 So Hillgruber, JZ 2005, 841, 843. 162 So Thomas!Grofi, EuZW 2005, 550, 551 und Tinkl, StV 2006, 36, 39, die aber nicht von der Unzulassigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens ausgehen. 163 EuGH NJW 2005, 2839 ff. = EuZW 2005, 433 ff = JZ 2005, 838 ff = StV 2006, 1 ff (Rz. 30) m. w. N. 164 EuGH NJW 2005, 2839 ff = EuZW 2005, 433 ff = JZ 2005, 838 ff = StV 2006, 1 ff (Rz. 19 ff, 29 ff, 48 unter Hinweis auf die Schlussantrage der Generalanwaltin Kokott, dort Rz. 40, die auf den Auslegungsspielraum des Art. 392 I ht. a CPP verweist); zust. GdrditzlGusy, GA 2006, 225, 227 f; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Weifier, ZIS 2006, 562 ff 165 Vgl. hierzu die krit. Anmerkungen von Adam, EuZW 2005, 558,560 f
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staatlichen Rechts stellt. Im Ubrigen lieBe sich eine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschliissen auch nicht begrtinden. Im Bereich des Richtlinienrechts hat der EuGH entschieden, dass ausnahmsweise eine Durchgriffswirkung in Betracht kommt, die es dem Einzelnen gestattet, sich gegeniiber dem umsetzungssaumigen Staat auf eine ihn - den Burger - begiinstigende Richtlinienregelung zu berufen (§ 4 Rn. 65; § 9 Rn. 25). Einer entsprechenden Rechtsfortbildung im Rahmen der dritten Saule steht die eindeutige Regelung des Art. 34 II lit. b S. 3 EUV entgegen^^^. Selbst bei Annahme einer weitestgehenden Parallehsierung der Wirkungsmechanismen von Richthnien und Rahmenbeschliissen^^^, muss eine unmittelbare Wirkung des RB im Ausgangsfall schon deshalb abgelehnt werden, weil hierin nicht nur eine Verbesserung der Rechts stellung kindlicher Zeugen, sondern zugleich ein belastender Eingriff in die Rechte der Angeklagten liegen wiirde''^^. Losungsvorschlag zu Frage 2: Der RB ist nicht unmittelbar anwendbar. 83 Die Bestimmungen des RB bezwecken die Gewahrleistung des Opferschutzes im Strafverfahren^^^. Zwar sind konkrete Modalitaten zur Umsetzung dieses Ziels nicht vorgeschrieben. Jedoch haben die Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH zu gewahrleisten, dass das Opfer wahrend des Verfahrens mit der gebiihrenden Achtung seiner personlichen Wiirde behandelt wird. Besonders gefahrdeten Opfern gebiihre eine ihrer Situation am besten entsprechende spezifische Behandlung. Die Art. 2, 3 und 8 IV RB seien dahin auszulegen, dass das nationale Gericht die Moglichkeit haben miisse, Kleinkindern, die - wie im Ausgangsverfahren - nach ihren Angaben Opfer von Misshandlungen geworden sind, zu erlauben, unter Modalitaten auszusagen, die ihnen einen angemessenen Schutz bieten, z. B. auBerhalb der offentlichen Gerichtsverhandlung und vor deren Durchfiihrung. Vor diesem Hintergrund stellt sich das Problem, wie die nationalen Gerichte der Zielsetzung des RB Rechnung zu tragen haben. Denkbar ware, lediglich die Interpretationsmaxime einer volkerrechtsfreundlichen Auslegung des innerstaatlichen Rechts zu postulieren^''°. Es handelt sich hierbei um eine im nationalen Recht wurzelnde und durch dieses zugleich beschrankte Auslegungsregel, die gegeniiber dem klassischen Auslegungskanon der nationalen Dogmatik keinen Vorrang genieBt. Da unterstellt werden darf, dass die nationalen Gesetzgeber die Vorgaben von Rahmenbeschliissen richtig umsetzen woUen, diirfen letztere jedenfalls
168 169
BVerfG NJW 2005, 2289, 2292; Adam, EuZW 2005, 558, 561; BaddenhausenlPietscK DVBl 2005, 1562, 1565; Calliess/Ruffert/5r^c/imann, Art. 34 EUV Rn. 9; Masing, NJW 2006, 264, 265; SirtrnzlSatzger, Art. 34 Rn. 9; Skouris, ZEuS 2005, 463, 475; Tinkl StV 2006, 36, 37. Vgl. hierzu Wasmeier, in: v. d. Groeben/Schwarze, Art. 34 EUV Rn. 13, der die unmittelbare Anwendbarkeit eines Rahmenbeschlusses nicht von vomherein fur ausgeschlossen halt. Garditz/Gusy, GA 2006, 225, 2291 Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden EuGH NJW 2005, 2839 ff. = EuZW 2005, 433 ff. = JZ 2005, 838 ff. = StV 2006, 1 ff. (Rz. 52 ff.). Vgl. hierzu Dannecker, JURA 2006, 95, 99; FetzerlGrofi, EuZW 2005, 550; Gdrditz/Gusy, GA 2006, 225, 232 f.; Herrmann, EuZW 2005, 436, 437; Weifier, ZIS 2006, 562 ff.
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bei der Auslegung innerstaatlichen Umsetzungsrechts beriicksichtigt werden. Ob auch das sonstige, nicht der Umsetzung eines Rahmenbeschlusses dienende Recht in dieser Weise ausgelegt werden darf, hangt von der Vorfrage ab, ob dem Rahmenbeschluss eine objektive Rechtswirkung zuzubilligen ist^''^ Die Einordnung der rahmenbeschlusskonformen Interpretation als bloBen Sonderfall einer volkerrechtsfreundlichen Auslegung ist dogmatisch konsequent, wenn man Rahmenbeschliisse als rein volkerrechtliche Akte einordnet, die auf dem Bindungswillen der Mitgliedstaaten basieren^^^. Auch das BVerfG betont, dass der Rahmenbeschluss als Handlungsform des Unionsrechts auBerhalb der supranationalen Entscheidungsstruktur des Gemeinschafsrechts stehe. Das Unionsrecht stelle trotz des fortgeschrittenen Integrationsstandes weiterhin eine Teilrechtsordnung dar, die dem Volkerrecht zugeordnet sei^^^ (vgl. jedoch Rn. 85). Der EuGH statuiert indes eine iiber das vorstehend beschriebene Postulat vol- 84 kerrechtsfreundlicher Auslegung hinausgehende unmittelbar auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung. Die nationalen Gerichte seien gehalten, die einschlagigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts so weit wie moglich an Wortlaut und Zweck des genannten RB auszurichten^''^. Der zwingende Charakter von Rahmenbeschliissen, der in Art. 34 II lit. b EUV mit der gleichen Formulierung wie in Art. 249 III EGV zum Ausdruck gelange, habe fiir die nationalen Stellen eine Verpflichtung zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung^^^ des nationalen Rechts zur Folge. Dem stehe nicht entgegen, dass die Zustandigkeiten des Gerichtshofes nach Art. 35 EUV weniger weit reichen als im Rahmen des EGV und im Rahmen des Titels VI des EUV kein voUstandiges Rechtsschutzsystem existiere. Unabhangig von dem durch den Vertrag von Amsterdam angestrebten Integrationsgrad bei der Verwirklichung einer immer engeren Union zwischen den Volkern Europas sei es voUig verstandlich, dass die Verfasser des EUV es fiir angemessen hielten, im Rahmen von Titel VI den Riickgriff auf Rechtsinstrumente mit analogen Wirkungen wie im EGV vorzusehen, um einen wirksamen Beitrag zur Verfolgung der Ziele der Union zu leisten. Die Union konnte ihre Aufgabe kaum erfullen, wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nicht auch im Rahmen der PJZS gelten wiirde. Aus den vorstehenden Erwagungen schlieBt der EuGH, dass der Grundsatz und die Grenzen des Gebots gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung auch in Bezug auf Rahmenbeschliisse anzuwenden sei. Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, bei der Auslegung des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des RB heranzuziehen,
Gr2ihitzftiiimdben, Art. 34 EUV Rn. 15; vgl. hierzu Adam, EuZW 2005, 558, 560 und Herrmann, EuZW 2005, 436, 437 jew. m. w. N. FetzerlGrofi, EuZW 2005, 550; Hillgruber, JZ 2005, 841; Haratsch/KoeniglPechstein, Europarecht, Rn. 1148. BVerfG NJW 2005, 2289, 2292 unter Hinweis auf BVerfGE 89, 155, 196 = NJW 1993, 3047. Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden EuGH NJW 2005, 2839 ff = EuZW 2005, 433 ff = JZ 2005, 838 ff = StV 2006, 1 ff (Rz. 33 ff, 43 ff) m. w. N. Der EuGH spricht terminologisch verfehlt von „gemeinschaftsrechtskonformer" Auslegung.
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
werde durch die allgemeinen Rechtsgmndsatze, insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Riickwirkungsverbot begrenzt. Die rahmenbeschlusskonforme Auslegung diirfe nicht zu einer Anwendung des nationalen Rechts contra legem fiihren. Im Ubrigen weist der EuGH explizit darauf hin, dass die nach dem RB sicher zu stellenden Aussagebedingungen mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaates und mit den nach Art. 6 II EUV zu achtenden Grundrechten vereinbar sein miissen, wie sie in der EMRK gewahrleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsuberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsatze ergeben. Es sei allein Sache der mitgliedstaatlichen Gerichte, aus einer Vorabentscheidung des EuGH die Konsequenzen fiir die Interpretation und Anwendung des nationalen Rechts zu Ziehen (hierzu bereits § 6 Rn. 13). Der das Ausgangsverfahren betreibende italienische Ermittlungsrichter hat somit zu priifen, ob nationale Rechtsdogmatik, innerstaatliches Verfassungsrecht und menschenrechtliche Garantien eine analoge Oder erweiternde Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen des GPP zulassen, um den vom EuGH konkretisierten Vorgaben der Art. 2, 3 und 8 IV RB Rechnung tragen zu konnen^''^. Losungsvorschlag zu Frage 3: Es besteht eine unmittelbar aus Unionsrecht abzuleitende Befugnis und Pflicht des italienischen Ermittlungsrichters, die einschlagigen Bestimmungen des GPP rahmenbeschlusskonform auszulegen. 2. Bedeutung, Inhalt und Grenzen der rahmenbeschlusskonformen Auslegung 85 Die Bedeutung des Urteils in der Rechtssache „Pupino'' liegt darin, dass der EuGH erstmalig eine unmittelbar aus Unionsrecht abgeleitete Befugnis und Verpflichtung mitgliedstaatlicher Gerichte statuiert, nationales Recht im Lichte europaischer Rahmenbeschliisse zu interpretieren. Der Gerichtshof lost die europarechtskonforme Auslegung aus dem supranationalen Bereich des Gemeinschaftsrechts heraus und weitet sie auf die intergouvernementalen Handlungsformen der PJZS aus^''''. Damit bestatigt er den besonderen, iiber eine klassische volkerrechtliche Kooperationsform signifikant hinausreichenden Charakter der justiziellen Zusammenarbeit in der Union^^^. Im Gegensatz zu dem im nationalen Recht wurzelnden und von diesem zugleich begrenzten Postulat der volkerrechtsfreundlichen Auslegung nationalen Rechts kommt dem aus Unionsrecht abgeleiteten Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung innerhalb der nach nationaler Dogmatik bestehenden Auslegungskriterien ein relativer Vorrang zu (Rn. 28)^''^.
Vgl. hierzu Fetzer/Grofi, EuZW 2005, 550, 551; Gdrditz/Gusy, GA 2006, 225, 227, 235; Wehnert, NJW 2005, 3760, 3761. Adam, EuZW 2005, 558, 561; Gdrditz/Gusy, GA 2006, 225, 232; v. Unger, NVwZ 2006, 46, 48. Vgl. hierzu EU-Kommentar/5o5^, Art. 29 Rn. 2; ders., IRG, Vor § 78 Rn. 8; CalliQSs/RuffQrt/Brechmann, Art. 34 EUV Rn. 7; GarditzJGusy, GA 2006, 225, 236; Masing, NJW 2006, 264, 266; a. A. Hillgruber, JZ 2005, 841 f. Gdrditz/Gusy, GA 2006, 225, 233; Tinkl, StV 2006, 36, 39.
B, Gemeinschaftsrechtskonforme AuslegungimStrafrecht
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In der Anerkennung der prinzipiellen Parallelitat von Richtlinien und Rahmenbeschliissen durch den EuGH liegt eine bedeutsame Fortentwicklung des Unionsrechts, das auf eine zunehmende europaische Integration angelegt ist und sich immer starker den Strukturen des Gemeinschaftsrechts annaherf^^. In der deutschen Literatur ist das Urteil, obwohl es eine Vielzahl interpretationsbediirftiger Passagen beinhaltet und einige klarungsbediirftige Fragen offen lasst, zumindest im Ergebnis mit Recht auf iiberwiegende Zustimmung gestoBen^^"". Auch das BVerfG geht in einer neueren Entscheidung unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH davon aus, dass sich die innerstaatlichen Stellen bei der Auslegung und Anwendung nationalen Rechts (hier: das IRG betreffend) an den Zielvorgaben eines Rahmenbeschlusses (hier: den Europaischen Haftbefehl betreffend) orientieren miissen, soweit dies nach innerstaatlichem Recht zulassig ist^^^. Die Pflicht der innerstaatlichen Stellen, ihr gesamtes nationales Recht (nicht 86 nur Umsetzungsrecht) rahmenbeschlusskonform auszulegen, lasst sich aus der wechselseitigen Loyalitats- und Treuepflicht der Mitgliedstaaten (Unionstreuepflicht)^^^ sowie dem Umsetzungsgebot des Art. 34 II lit. b S. 1 EUV ableiten. Dieses unionsrechtliche Interpretationsgebot setzt eine unmittelbare Wirkung des Rahmenbeschlusses gerade nicht voraus, so dass deren Ausschluss gem. Art. 34 II lit. b S. 2 EUV insoweit irrelevant ist^^'*. Der in der Literatur erhobene Einwand, die Annahme einer vorrangigen Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Rechts stehe in Widerspruch zu Art. 34 II lit. b S. 2 EUV, well sie faktisch einer unmittelbaren Anwendbarkeit von Rahmenbeschliissen gleichkame^^^, ist unbegriindet. Zwar mag die Rezeption unionsrechtlicher (wie gemeinschaftsrechtlicher) Zielvorgaben dazu fiihren, dass sich einzelstaatliche Normen von dem Inhalt losen, der ihrer bisherigen, unter Umstanden schon lange zuriickreichenden nationalen Auslegungstradition entspricht (vgl. hierzu die Beispiele in Rn. 90 f.). Da die rahmenbeschlusskonforme Interpretation innerstaatlicher Vorschriften aber nur innerhalb der Grenzen des nach nationalem Recht bestehenden Auslegungsspielraumes vorzunehmen ist, bleibt die vom EuGH ausdriicklich anerkannte mitgliedstaatliche Rechtssetzungszustandigkeit
^^^ Zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Bereich des nationalen Grundrechtsschutzes bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten vgl. Bose, IRG, Vor § 78 Rn. 8 ff; Masing, NJW 2006, 264 ff. 1^1 Adam, EuZW 2005, 558 ff; Egger, EuZW 2005, 652 ff; FetzerlGrofi, EuZW 2005, 550 ff; GdrditzlGusy, GA 2006, 225 ff; Herrmann, EuZW 2005, 436 ff; Skouris, ZEuS 2005, 463, 476; Streinz, JuS 2005, 1023 ff; abl. Hillgruber, JZ 2005, 841 ff; Tinkl, StV 2006, 36 ff; v. Unger; NVwZ 2006, 46 ff 182 BVerfG, Beschl. v. 24. November 2005 - 2 BvR 1667/05 (Rz. 15). 183 Diese ist aus einer Gesamtschau der Bestimmungen des Unionsvertrages, namentlich Art. 1 II, III EUV, abzuleiten; vgl. hierzu den Schlussantrag der Generalanwaltin V. 11. November 2004, Rz. 25 ff (im VoUtext abrufbar unter http://curia.eu.int) und Weifier, ZIS 2006, 562 ff 184 Egger, EuZW 2005, 652, 653. 185 Hillgruber, JZ 2005, 841, 842; Kaiafa-GbandU ZIS 2006, 521, 534; TinkU StV 2006, 36, 39; V. Unger\ NVwZ 2006, 46, 48; Weifier, ZIS 2006, 562 ff
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
in Strafsachen unberiihrt. Der EuGH fordert zwar von den nationalen Gerichten, dass sie bestehende Auslegungsspielraume des nationalen Rechts ausschopfen, verlangt aber keine Gesetzesanwendung contra legem. Das unionsrechtliche Interpretationsgebot findet seine Grenzen sowohl im nationalen Verfassungsrecht, in den menschenrechtlichen Garantien der EMRK als auch in den allgemeinen Rechtsgrundsatzen des Gemeinschaftsrechts (Art. 6 II EUV)^^^. Im Bereich des materiellen Strafrechts sind der rahmenbeschlusskonformen Auslegung engere Schranken gesetzt als im Strafprozessrecht^^''. 87 Offen gelassen hat der EuGH die Frage nach dem Beginn der Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung. Nach hier vertretener Auffassung gelangt diese - wie das entsprechende gemeinschaftsrechtliche Interpretationsgebot - erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist zur Entstehung (Rn. 31). Schon vor Ablauf der Umsetzungspflicht besteht jedoch ein Frustrationsverbot des Inhalts, die Zielsetzungen eines Rahmenbeschlusses nicht durch den Erlass von mit diesen unvereinbaren MaBnahmen zu konterkarieren""^^. Fraglich ist, ob die Pflicht zur rahmenbeschusskonformen Auslegung auch fiir die innerstaatlichen Stellen derjenigen Mitgliedstaaten gilt, die die Zustandigkeit des EuGH nach Art. 35 II EUV nicht anerkannt haben. Zwar diirfte es nationalen Gerichten, denen die Moglichkeit der Einholung einer Vorabentscheidung tiber die Giiltigkeit und Auslegung eines Rahmenbeschlusses fehlt, schwieriger fallen, ihr innerstaatliches Recht im Einklang mit Rahmenbeschliissen auszulegen als den Gerichten derjenigen Staaten, die von der Moglichkeit des „opt-in" Gebrauch gemacht haben. Diese rein faktischen Rechtsanwendungsprobleme entbinden die erstgenannten Gerichte aber nicht von ihren Pflichten aus dem Unionsvertrag, die fiir die innerstaatlichen Stellen aller Mitgliedstaaten gelten^^^. 3- Anwendungsfelder 88 Angesichts der Vielzahl der zum Straf- und Strafverfahrensrecht erlassenen RahmenbeschlUsse ( § 1 1 und § 12) liegt die hohe Praxisrelevanz der rahmenbeschlusskonformen Auslegung auf der Hand^^°. Hierzu folgende Beispiele: 89 (1) Der BGH verneinte jiingst eine rechts staatswidrige Verzogerung infolge Gewahrung von Akteneinsicht fiir einen Geschadigtenanwalt nach § 406e StPO unter Hinweis darauf, dass die Beachtung der Opferbelange Teil der zentralen Aufgaben des Strafverfahrens sei und bemerkte in diesem Zusammenhang - ganz im Sinne einer rahmenbeschlusskonformen Gesetzesinterpretation -, dass auch der Rahmenbeschlusses des Rates v. 15. Marz 2001 iiber die Stellung des Opfers im 186 Vgl. hierzu Egger, EuZW 2005, 652 ff. 187 So explizit EuGH NJW 2005, 2839 ff. = EuZW 2005, 433 ff = JZ 2005, 838 ff = StV 2006, 1 ff (Rz. 45 f); vgl. hierzu Wehnert, NJW 2005, 3760. 188 Zutr. Adam, EuZW 2005, 558, 561; Grahitz/HimRdben, Art. 34 EUV Rn. 18; Weifier, ZIS 2006, 562 ff 189 Zutr. Herrmann, EuZW 2005, 436, 438. 190 Vgl. hierzu Herrmann, EuZW 2005, 436, 438; Tinkl, StV 2006, 36, 41.
B. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht
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Strafverfahren den Informationsanspruch des Opfers hervorhebe^^^ In der Literatur wurde bereits zutreffend festgestellt, dass die deutsche StPO spatestens seit dem Inkrafttreten des Opferrechtsreformgesetzes (OpferRRG)^^^ am 1. September 2004 einen Opferschutz gewahrleistet, der den Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses sogar iiberobligationsmaBig Rechnung tragt^^^. (2) Im deutschen Schrifttum wird kontrovers diskutiert, ob das ^Hacking" in 90 Form eines bloBen unbefugten Eindringens in fremde Dateien oder Dateniibermittlungsvorgange, dessen ausschlieBlicher Zweck in der Uberwindung einer Zugangssicherung besteht, nach § 202 a StGB (Ausspahen von Daten) strafbar ist^^"^. Wortlaut und Zweckbestimmung der Norm lassen diese Auslegung ohne weiteres zu^^^. Allerdings woUte der Gesetzgeber des 2. WiKG Handlungen, die sich im bloBen „Knacken eines Codes" erschopfen, nicht ponalisieren^^^. Im Schrifttum wird daher eine dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragende teleologische Reduktion des § 202 a StGB befurwortef^^. AUein darin, dass nach erfolgreicher tjberwindung einer Zugangssicherung Daten eines fremden Computersystems auf dem Monitor des Hackers erscheinen, soil noch kein „Sichverschaffen von Daten" gesehen werden. Teilweise wird die Straflosigkeit daran gekniipft, dass der Hacker mit dem gelungenen Erstzugang zu einem System nicht mehr von weiteren Daten Kenntnis nimmt und abbricht^^^. Die Frage der Einbeziehung des Hacking in den Tatbestand des § 202 a StGB muss im Lichte des Rahmenbeschlusses iiber Angriffe auf Informationssysteme^^^ (§11 Rn. 117 ff., 132) neu diskutiert werden. Dieser Rechtsakt verpflichtet die Mitgliedstaaten, den vorsatzlichen und unbefugten Zugang zu einem Informationssystem oder einem Teil eines Informationssystems zumindest dann unter Strafe zu stellen, wenn kein leichter Fall vorliegt (vgl. Art. 2 I RB). Fiir deutsche Gerichte besteht in einschlagigen gegen Hacker gefiihrten Strafverfahren Anlass, nach MaBgabe des Art. 35 EUV eine Vorabentscheidung des EuGH (§6 Rn. 9 ff.) zu der Frage einzuholen, ob das Eindringen in fremde Rechner, das ohne Datenverwendungsabsicht ausschlieBlich zu dem Zweck erfolgt, eine Zugangssicherung zu iiberwinden, als „leichter Fall" i. S. d.
191 BGH V. 21. Mi 2005 - 1 StR 78/05, S. 4, BeckRS 2005, 10778. 192 BGBl. 12004, S. 1354. 193 Vgl. hierzu Wehnert, NJW 2005, 3760, 3761 ff. 194 Bejahend Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 50 ff., 59; TrondIdFischer, § 202 a Rn. 11; lessen, Zugangberechtigung, S. 179 ff; Krutisch, Unberechtigter Zugang, S. 130 ff; ablehnend MuKo/StGB/Gra/, § 202 a Rn. 50 f; Schonke/Schroder/L^/2c/:n^r, § 202 a Rn. 10; zur Diskussion vgl. Hilgendorf, JuS 1996, 702 ff; Lackner/Kuhl, § 202 a Rn. 5; Schnabl, wistra 2004, 211 ff 195 TrondldFischer, § 202 a Rn. 11; Krutisch, Unberechtigter Zugang, S. 131; Schnabl, wistra 2004, 211, 213. 196 BT-Drs. 10/5058, 28; krit. Lenckner/Winkelbauer, CR 86, 488; Sieber, CR 95, 103. 197 Vgl. hierzu nur Hilgendorf, JuS 1996, 702, 704; Lackner/Kuhl, § 202 a Rn. 5; Schonkc/Schiodev/Lenckner, § 202 a Rn. 10; Schmitz, JA 1995, 478, 483. 198 MuKo/StGB/Gra/, §202aRn. 51. 199 ABIEG 2005 Nr. L 69.
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Art. 2 I RE anzusehen ist^°°. Nach hier vertretener Auffassung ist jedoch kein Grund ersichtlich, die hier interessierende Tathandlung als nicht ponalisierungspflichtigen „leichten Fall" zu verharmlosen. Denn das heimliche und nach erstmaligem Erfolg jederzeit wiederholbare Knacken der Zugangssicherung stellt sich als Angriff auf die von dem Rahmenbeschluss als Schutzgut in Bezug genommene Netz- und Informationssicherheit dar, durch den bereits erheblich in den abgegrenzten Geheimbereich des Verfligungsberechtigten eingegriffen wird. Eine rahmenbeschlusskonforme Ausdeutung des § 202 a StGB wird daher die hier in Rede stehende Form des Hacking in den Tatbestand einbeziehen miissen. Die Gefahr einer „Uberkriminalisierung" geht damit nicht einher. Die Strafverfolgung erfolgt ohnehin nur auf Antrag des Verletzten (§ 205 StGB). Im tJbrigen verfiigen die Strafverfolgungsbehorden iiber das elastische Instrumentarium der §§ 153, 153 a StPO. Hinweis: Am 2. September 2006 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf eines StrRAG zur Bekampfung der Computerkriminalitat beschlossen. Durch eine Anderung des § 202 a StGB soil klargestellt werden, dass bereits der unbefugte Zugang zu besonders gesicherten Daten unter Uberwindung von Sicherheitsvorkehrungen mit Strafe bedroht ist. Wenn dieser Gesetzesvorschlag umgesetzt wird, hat sich das oben beschriebene Auslegungsproblem erledigt. 91 (3) Weitere Anwendungsfelder fiir eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung deutschen Strafrechts bilden im Hinblick auf den am 23. Juni 2002 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekampfung^^^ (§11 Rn. 53) die Vereinigungsdelikte (§§ 129 ff. StGB)202, im HinbHck auf den am 21. Januar 2004 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss zur Bekampfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie^^^ (§11 Rn. 96) die Sexualdelikte (§ 184 b StGB)204 und vor dem Hintergrund des am 12. November 2004 in Kraft getretenen Rahmenbeschlusses zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels^°^ (§11 Rn. 70) die Betaubungsmitteldelikte (§ 29 ff. BtMG)206. Im Bereich der internationalen RechtshUfe in Strafsachen miissen - wie jiingst auch vom BVerfG (Rn. 85) anerkannt wurde - die Bestimmungen des IRG so ausgelegt werden, dass sie im Einklang mit dem Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl (§ 12 Rn. 19 ff.) stehen^°^.
^^° Zu den Bestrebungen der Bekampfung des Hacking auf europaischer Ebene vgl. bereits Schnabl, wistra 2004, 211, 215 f., die den aktuellen Rahmenbeschluss und das „Pupino"-Urteil des EuGH jedoch noch nicht beriicksichtigen konnte. 201 AB1EG2002,L164,S. 3. 202 Vgl. hierzu v. Heintschel-Heinegg, Schroeder-FS, S. 799, 805 ff; Krefi, J A 2005, 220, 223 ff 203 ABIEG 2004 Nr. L 13, S. 44. 204 Vgl. hierzu Bose, Schroeder-FS, S. 751 ff
205 ABlEG2004Nr. L335, S. 8. 206 Vgl. hierzu B G H S t 50, 252, 256. Bose, IRG, V o r § 78 Rn. 6, 13; vgl. zu moglichen Auslegungsfragen Ahlbrecht, 2005, 40, 46.
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StV
C. Literaturhinweise
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C. Literaturhinweise Adam, Die Wirkung von EU-Rahmenbeschliissen im mitgliedstaatlichen Recht, EuZW 2005, 558 Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11 Rn. 42-46 Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, passim Ddnzer-Vanotti, Richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung, StVj 1991, 1 Dannecker, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 136-150 ders.. Das materielle Strafrecht im Spannungsfeld des Rechts der EU, JURA 2006, 173 Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Saule, EuZW 2005, 652 Fetzer/Grofl, Die Pupino-Entscheidung des EuGH - Abkehr vom intergouvemementalen Charakter der EU? - Erwiderung auf Herrmann, EuZW 2005, 436, EuZW 2005, 550 Gdrditz/Gusy, Zur Wirkung europaischer Rahmenbeschliisse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, 225 Gellermann, Beeinflussung des deutschen Rechts durch Richtlinien der EG: dargestellt am Beispiel des europaischen Umweltrechts, 1994, passim Hecker, Die Strafbarkeit grenziiberschreitender Luftverunreinigungen im deutschen und europaischen Umweltstrafrecht, ZStW 115 (2003), S. 880 Heintschel-Heinegg, Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff. StGB, Schroeder-FS, S. 799 Heise, Europaisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1998, S. 42-207 Herrmann, Anmerkung zu EuGH v. 16. Juni 2005 („Pupino "), EuZW 2005, 436 Hillgruber, Anmerkung zu EuGH v. 16. Juni 2005 („Pupmo"X JZ 2005, 841 Hugger, Zur strafbarkeitserweitemden richtlinienkonformen Auslegung deutscher Strafvorschriften, NStZ 1993, 421 Jarass, Richtlinienkonforme bzw. EG-rechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, EuR 1991,211 ders., Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts: die Vorgaben des Rechts der Europaischen Gemeinschaft fiir die nationale Rechtsanwendung und die nationale Rechtsetzung nach Maastricht, 1994, passim Kohne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 1997, passim Kohler-Gehrig, Europarecht und nationales Recht - Auslegung und Rechtsfortbildung, JA 1998,807 Klein, Objektive Wirkungen von Richtlinien, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), Festschrift ftir Everting, Bd. 1, 1995, S. 641 Lutter, Die Auslegung angeglichenen Rechts, JZ 1992, 593 Mansdorfer, Einfiihrung in das Europaische Umweltstrafrecht, JA 2004, 297 Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, 264 Nettesheim, Auslegung und Fortbildung des nationalen Rechts im Lichte des Gemeinschaftsrechts, AoR 119 (1994), 261 Roth, Die richtlinienkonforme Auslegung, EWS 2005, 385 Ruffler, Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, OJZ 1997, 121 Satzger, Die Europaisierung des Strafrechts, 2001, S. 518-642 ders., Internationales und Europaisches Strafrecht, 2005, § 8 Rn. 84-101
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Scherzberg, Richtlinie als Instrument der Europaischen Integration, Jura 1992, 572 ders.. Die innerstaatlichen Wirkungen von EG-Richtlinien, JURA 1993, 225 Schroder, Europaische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 321-465 ders., Zur Europaisierung der Fahrlassigkeits- und Unterlassungsdelikte, NStZ 2006, 670 Schulz, Das deutsche Markenstrafrecht - Eine Untersuchung des § 143 MarkenG unter Beriicksichtigung europarechtlicher Einfliisse, 2004, passim Streinz, Anmerkung zu EuGH v. 16. Juni 2005 CPupino "), JuS 2005, 1023 Tinkl, Anmerkung zu EuGH v. 16. Juni 2005 („Pupino "), StV 2006, 36 Unger v., Pupino: Der EuGH vergemeinschaftet das intergouvemementale Recht, NVwZ 2006,46 Veelken, Die Bedeutung des EG-Rechts fiir die nationale Rechtsanwendung, JuS 1993, 265 Vogel, Geldwasche - ein europaweit harmonisierter Straftatbestand?, ZStW 109 (1997), 335 Wehnert, Rahmenbeschlusskonforme Auslegung deutschen Strafrechts, NJW 2005, 3760 WeiJ]er, Die Wirkungen von EU-RahmenbeschlUssen auf das mitgliedstaatliche Recht Zugleich Besprechung von EuGH EuZW 2005, 433 ff. = JZ 2005, 838 ff. = NJW 2005, 2839 ff. = StV 2006, 1 ff. („Pupmo "), ZIS 2006, 562
D. Rechtsprechungshinweise EuGHE 1984, 1891 („von Colson und Kamann" - Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts) EuGHE 1984, 1921 {„Harz" - Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts) EuGHE 1987, 3969 („Kolpmghuis Nijmegen" - Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht) EuGHE 1990, 4135 {^Marleasing" -Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des sonstigen nationalen Rechts) EuGHE 1996, 4705 {„Arcaro" - Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht) EuGHE 1996, 6609 („Telecom Italia" - Erfordemis der Bestimmtheit von Richtlinie und Strafgesetz) EuGH NJW 2005, 2839 = EuZW 2005, 433 = JZ 2005, 838 = StV 2006, 1 („Pupino'' Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung) BGHSt 37, 333 („Pyrolyse-Urteil" - Richtlinienkonforme Auslegung des § 3261 StGB)
E. Zusammenfassung von § 10 92 Nach standiger Rechtsprechung des EuGH, die vor allem dutch die Leitentscheidungen ,yVon Colson und Kamann", „Harz'' und „Marleasing'' gepragt ist, sind die Trager offentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten (Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehorden) nach Art. 10 EGV i. V. m. Art. 249 III EGV verpflichtet, insbesondere die der Umsetzung von Richtlinien dienenden Transformationsvorschriften, aber auch das sonstige nationale Recht so weit
E. Zusammenfassung von § 10
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wie moglich gemeinschaftsrechts- bzw. richtlinienkonform auszulegen. Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung setzt erst mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist ein. Jedoch sind die innerstaatlichen Stellen nicht daran gehindert, bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine Ausdeutung nationaler Vorschriften pro communitate vorzunehmen, wenn nationales Verfassungsrecht dies zulasst und hierdurch nicht dem gesetzgeberischen Gestaltungsermessen bei der Umsetzung der Richtlinie vorgegriffen wird. Hat der Gesetzgeber eine Richtlinie schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist umgesetzt, sind die einschlagigen Bestimmungen im Wege der historischen und teleologischen Interpretation gemeinschaftsrechtskonform auszulegen. Der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung kommt innerhalb des natio- 93 nalen Auslegungskanons keine absolute, sondern nur eine relative Vorrangstellung zu. Dem Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ist Geniige getan, wenn von mehreren nach nationaler Dogmatik und Verfassungsrecht vertretbaren Auslegungsergebnissen dasjenige gewahlt wird, welches der - etwa in einer Richtlinie zum Ausdruck gelangenden - gemeinschaftsrechtlichen Wertungsvorgabe am besten entspricht. Das Interpretationsgebot findet seine Grenzen sowohl im nationalen Verfassungsrecht (Art. 103 II GG) als auch in den allgemeinen Rechtsgrundsatzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit (Bestimmtheitsgebot) und des Riickwirkungsverbots. Der EuGH fordert im strafrechtlichen Kontext einen restriktiven Umgang mit 94 der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung. So lehnt er in seinen Entscheidungen „Kolpinghuis Nijmegen" und „Arcaro" nicht nur eine belastende, die Strafbarkeit begriindende (unmittelbare) Wirkung einer nicht fristgemaB umgesetzten Richtlinie im Verhaltnis des Staates zum Burger ab, sondern versagt den innerstaatlichen Stellen auch die Moglichkeit, unbestimmte Strafgesetze durch Heranziehung von Richtlinienrecht zu konkretisieren. Dariiber hinaus stellt der EuGH in der Rechtssache „Telecom Italia" klar, dass eine Richtlinie nur dann zur Ausdeutung eines nationalen Strafgesetzes herangezogen werden darf, wenn sie ihrerseits hineichend bestimmt ist. Die vom Gerichtshof im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Ausle- 95 gung von Strafgesetzen herangezogenen allgemeinen Rechtsgrundsatze stehen entgegen einer in der Literatur vertretenen Minderheitsmeinung - der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu Ungunsten des Beschuldigten nicht entgegen. Der EuGH will nur sichergestellt wissen, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelnen nicht allein auf eine Richtlinie, sondern stets auf ein nationales Strafgesetz gestiitzt wird. Wenn sich das innerstaatliche Gericht fiir eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegungsvariante entscheidet, die sich innerhalb des nach nationalem Recht moglichen Interpretationsspielraumes bewegt, begegnet dies keinen verfassungs- oder gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. In diesen Grenzen ist es dem Gericht insbesondere erlaubt, eine Richtlinie als Bestatigung des aus dem nationalen Recht gewonnenen Auslegungsergebnisses heranzuziehen, wie dies z. B. der BGH in seinem „Pyrolyse-Urteil" im Hinblick auf den strafrechtlichen Abfallbegriff getan hat. Dem Vertrauen des Angeklagten in den Fortbestand einer friiheren, fiir ihn giinstigen Rechtsanwendungspraxis kann bei der
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§ 10 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
Priifung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums (§17 StGB) Rechung getragen werden. 96 Als mogliche Anwendungsfelder fur eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung im Strafrecht werden in diesem Kapitel exemplarisch die Bereiche AmtsanmaBung (§ 132 StGB), Verwahrungsbruch (§ 133 StGB), Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB), Urkundendelikte (§§ 267, 271, 274, 348 StGB), Umweltdelikte (§§ 324 a I, 325 I, II, 325 a I, II StGB) und Fahrlassigkeitsdelikte behandelt. 97 In seiner wegweisenden Entscheidung in der Rechtssache „Pupino" statuiert der EuGH erstmalig eine unmittelbar aus Unionsrecht abgeleitete Befugnis und Verpflichtung mitgliedstaatlicher Gerichte, nationales Recht im Lichte europaischer Rahmenbeschliisse zu interpretieren. Der Gerichtshof lost damit die europarechtskonforme Auslegung aus dem supranationalen Bereich des Gemeinschaftsrechts heraus und weitet sie auf die intergouvernemental-volkerrechtlichen Handlungsformen der PJZS aus. Damit bestatigt er den besonderen, uber eine klassische volkerrechtliche Kooperationsform signifikant hinausreichenden Charakter der justiziellen Zusammenarbeit in der Union. Da die rahmenbeschlusskonforme Auslegung inhaltlich der richtlinienkonformen Auslegung nachgebildet ist, sind die zu dem gemeinschaftsrechtlichen Interpretationsgebot gewonnenen Erkenntnisse sinngemaB auf sein unionsrechtliches Pendant iibertragbar. Praktische Anwendungsbeispiele fiir eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung des nationalen Strafrechts bilden u. a. die prozessualen Regelungen iiber den Opferschutz im Strafverfahren sowie die Strafbarkeit des Hacking gem. § 202 a StGB.
§11 Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
A. Einfuhrung Vor dem Hintergrund des Fehlens einer supranationalen Rechtsetzungskompetenz 1 der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts (§ 4 Rn. 101) und einer nur bereichsspezifischen strafrechdichen Anweisungskompetenz der EG, deren Ausiibung zudem auf politischen Widerstand der Mitgliedstaaten stoBt (§ 8 Rn. 7), erweist sich derzeit das gemeinsame Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit (PJZS) als zentraler und herausragender Faktor der Europaisierung der international-arbeitsteiligen Strafrechtspflege. Die Entwicklung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit der EG/EU-Mitgliedstaaten und die Handlungsinstrumente der dritten Saule wurden bereits an anderer Stelle behandelt (§ 5 Rn. 25 ff., 56 ff.). Erinnert sei noch einmal daran, dass erst durch den Vertrag von Maastricht aus dem Jahre 1992 gemeinsame Strukturen fiir eine intergouvernementale Zusammenarbeit in Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse - hierzu gehorte die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) - geschaffen wurden (§ 5 Rn. 56). Ein fiir die europaische Strafrechtsentwicklung bedeutsamer Schritt stellte schlieBlich die mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam einhergehende Integration des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der EU dar (§ 5 Rn. 71). Seit dem 1. Mai 1999 findet die Zusammenarbeit zwischen den Schengener Vertragsparteien in dem institutionellen und juristischen Rahmen des EUV statt. Die ZBJI wurde durch den Amsterdamer Vertrag umstrukturiert und nunmehr als Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) in die neuen Art. 29-42 EUV eingefiigt (§ 5 Rn. 69). Nach Art. 29 EUV ist auf das Unionsziel der Schaffung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts"^ hinzuarbeiten durch eine engere Polizei- und Justizzusammenarbeit, aber auch durch eine Annaherung des mitgliedstaatUchen Strafrechts. Im Folgenden soil die dritte Saule unter dem Aspekt der Harmonisierung des materiellen Strafrechts beleuchtet sowie anhand ergriffener oder geplanter Rechtsakte veranschauHcht werden.
Vgl. zu dieser Zielbestimmung Pache, EU, S. 9; Ruffert, Unionsverfassungsrechtliche Grundlagen, S. 14, 16 ff.
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§ 11 Harmonisiemng des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
B. Angleichung des materiellen Strafrechts im Rahmen der PJZS 1. Rechtlicher Rahmen der Strafrechtsangleichung T- Begrenzung auf Mindestvorschriften Art. 31 lit. e EUV sieht eine schrittweise Annahme von MaBnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen vor, allerdings - dem Wortlaut nach - begrenzt auf die Bereiche Organisierte Kriminalitat, Terrorismus und illegaler Drogenhandel (vgl. jedoch Rn. 84 ff.). Kompetenzrechtlich ist die Angleichung nationaler Straftatbestande im Rahmen der dritten Saule unbedenklich, soweit nicht in bestehende Harmonisierungsbefugnisse der EG eingegriffen wird (§ 8 Rn. 27). Freilich erfordern Rechtsakte, die auf Unionsebene erlassen werden, stets ein einstimmiges Vorgehen aller EU-Mitgliedstaaten (vgl. Art. 34 II EUV). Auch kommt eine Angleichung des materiellen Strafrechts nach Art. 29 II EUV (dritter Spiegelstrich) nur insoweit in Betracht, als sie zur Zielerreichung erforderlich ist (Rn. 6). 2. Gemeinsame Definitionen Zu den MaBnahmen, die auf eine Annaherung des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten in den von Art. 31 lit. e EUV erfassten Kriminalitatsbereichen abzielen, gehort zunachst der Erlass von Mindestvorschriften zur Ausgestaltung der einschlagigen Tatbestande des Besonderen Teils. Diese konnen z. B. in einer gemeinsamen Definition enthalten sein, in welcher die zentralen objektiven und subjektiven Merkmale der zu inkriminierenden Handlung beschrieben werden (z. B. „terroristische Straftat"; „illegaler Drogenhandel"; ,JV[enschenhander' usw.) und durch die detailliertere oder weitergehende Begriffsbestimmungen des nationalen Rechts nicht ausgeschlossen werden. Die Mitgliedstaaten bleiben demnach frei, dariiber hinaus auch weitere Verhaltensweisen unter Strafandrohung zu stellen. Es ist ihnen jedoch verwehrt, die Mindestvorschriften der in einem Rechtsakt definierten strafbaren Handlung zu unterschreiten, indem sie zusatzliche Strafbarkeitsvoraussetzungen aufstellen^. Von der Angleichungskompetenz des Art. 31 lit. e EUV umfasst sind auch Anweisungen, die sich auf die Anwendung von Bestimmungen des AUgemeinen Teils beziehen, soweit dies fiir eine wirksame Bekampfung der jeweiligen Kriminalitatsbereiche erforderlich ist und hierdurch nicht in die Grundstruktur der nationalen Strafrechtssysteme eingegriffen wird. Unproblematisch sind z. B. bereichsspezifische Vorgaben, durch die sichergestellt werden soil, dass der Versuch einer bestimmten Straftat und die Teilnahme (Anstiftung, Beihilfe) mit Strafe bedroht werden^. Nicht gedeckt von Art. 31 lit. e EUV waren jedoch iiber die Festlegung von Mindestvorschriften hinausgehende Definitionen des Versuchs oder der Ta^ ^
v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 73. v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 56.
B. Angleichung des materiellen Strafrechts im Rahmen der PJZS
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terschaft und Teilnahme. Vorgaben zur Verantwortlichkeit juristischer Personen sind nur zulassig, wenn den Mitgliedstaaten ein weiter Umsetzungsspielraum belassen wird, der auch die Moglichkeit einer Beschrankung auf nichtstrafrechtliche Sanktionen zulasst^. 3- Festlegung von Mindesthochststrafen Einer Mindestangleichung zuganglich sind schlieBlich die Strafen in den einschlagigen Kriminalitatsbereichen, welche z. B. in Form der Vorgabe sog. Mindesthochststrafen erfolgen kann. Diese legen das MindestmaB einer im nationalen Strafrecht vorzusehenden Hochststrafandrohung fest^. Zu beachten ist, dass hierdurch lediglich die nach den Rechtvorschriften der Mitgliedstaaten anwendbaren Strafen einander angenahert werden, nicht aber die tatsachlich zu verhangenden Strafen. Insoweit sind der Rechtsangleichung durch das Prinzip der tat- und schuldangemessenen Strafe und aufgrund der Unabhangigkeit der Gerichte von vornherein Grenzen gesetzt. Freilich steht zu erwarten, dass sich aus der Angleichung der gesetzlichen Sanktionsvorgaben mittelbar auch gewisse Angleichungseffekte in der mitgliedstaatlichen Sanktionspraxis ergeben^. Auch bereichsspezifische Vorgaben iiber erschwerende oder strafmildernde Umstande sowie iiber das Strafanwendungsrecht („Internationales Strafrecht") konnen auf Art. 31 lit. e EUV gestiitzt werden.
II. Grenzen der Strafrechtsangleichung Im Rahmen der intergouvernemental angelegten PJZS kommt dem Subsidiaritatsprinzip - anders als im Bereich der strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG (§ 8 Rn. 63 ff.) - keine Funktion als Kompetenzausiibungsschranke zu, da es in der dritten Saule an einer hierarchischen Uber-/Unterordnung zweier abgrenzbarer Kompetenzebenen (Mitgliedstaaten - EG) fehlt''. Nichtsdestotrotz sind auch der Rechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV Grenzen gesetzt. In Art. 29 (dritter Spiegelstrich) EUV wird darauf hingewiesen, dass eine Annaherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten nur erfolgt, „soweit dies erforderlich ist". Diese Klausel tragt dem Umstand Rechnung, dass strafrechtsrelevante HarmonisierungsmaBnahmen in einen rechtspolitisch sensiblen Bereich eingreifen, der den Kernbereich staatlicher Souveranitat beruhrt. Die Annaherung des Strafrechts ist somit kein Selbstzweck, sondern muss sich im konkreten Einzelfall als eine zur Durchsetzung des in Art. 29 EUV beschriebenen Unionsziels erforderliche MaB-
^ ^ ^ '^
V. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 EUV Rn. 57. V. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^fgr, Art. 31 EUV Rn. 78. v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 76. Vgl. hierzu CaUiess/Ruffert/^/an^g, Art. 2 EUV Rn. 20; Satzger, Europa-Delikte, S. 71,83.
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§ 11 Harmonisiemng des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
nahme rechtfertigen lassen^. Kann die Verwirklichung des Unionsziels auch ohne Rechtsangleichung in ausreichender Weise erreicht werden, so steht dieser Befund der Erforderlichkeit einer HarmonisiemngsmaBnahme und damit ihrer Zulassigkeit entgegen. Stehen mehrere gleich geeignete Handlungsalternativen zur Verfiigung, muss diejenige ergriffen werden, die die Strafrechtsordnungen am meisten schont (Schonungsgebot). Ferner miissen die den Mitgliedstaaten auferlegten Belastungen in einem angemessenen Verhaltnis zu dem jeweils angestrebten Ziel stehen. Praktische Bedeutung entfaltet die in Art. 29 EUV normierte Rechtsangleichungsgrenze bereits im Diskussions- und Planungsstadium von MaBnahmen, da er die beteiligten Akteure (vor allem Kommission und Mitgliedstaaten) zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung iiber die zur Zielerreichung erforderlichen Schritte und ggf. zu einer gewissen Abstimmung ihrer Politiken zwingt^. Hinweis: Der Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa sieht in Art. 111-211 IEU-Verfassung weitreichende Kompetenzen zur Harmonisiemng des materiellen Strafrechts in Form von Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalitat vor, die aufgrund der Art Oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekampfen, eine grenziiberschreitende Dimension haben^°. Auch wird in Art. III-271 II EU-Verfassung explizit die Anweisungsbefugnis zu einer strafrechtlichen Bewehrung von EUPolitiken erteilt, wenn es sich um ein Gebiet handelt, auf dem HarmonisierungsmaBnahmen erfolgt sind. Als Instrument der Mindestangleichung kommt das ,JEuropaische Rahmengesetz" zum Einsatz (§ 4 Rn. 66). Die auf den Schutz der EUFinanzinteressen bezogene Kompetenznorm des Art. III-415 IV EU-Verfassung lasst sogar die Setzung supranationaler Strafbestimmungen zu (§ 14 Rn. 47).
III. Handlungsformen der Strafrechtsangleichung Als passende Handlungsform fiir die Angleichung nationaler Strafbestimmungen bietet sich in erster Linie .der Rahmenbeschluss an^''. Dieser ist nach Art. 34 II lit. b EUV parallel zu den EG-Richtlinien konstruiert und damit fiir die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, nicht aber in Bezug auf die Formen und Mittel der Zielverwirklichung. Zwar ist eine unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschliissen gem. Art. 34 II lit. b S. 2 EUV explizit ausgeschlossen. Der EuGH hat jedoch in seinem Aufsehen erregenden Urteil in der Satzger, Europa-Delikte, S. 71, 83 f.; v. d. GroQbQn/SchwarzQ/Wasmeier/JourSchroder, Art. 29 EUV Rn. 19. Zu den Erfordemissen und stmkturellen Voraussetzungen der Angleichung unterschiedlicher Strafrechtsysteme vgl. Perron, ZStW 109 (1997), S. 281, 296 ff. Krit. hierzu Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275, 281 ff.; Wuermeling, EuR 2004, 216, 227. Zu diesem Instrument vgl. Baddenhausen/Pietsch, DVBl 2005, 1562 ff.; Gdrditz/Gusy, GA 2006, 225, 228 ff.; Husemann, wistra 2004, 447 ff
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV
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RQchtsssicho,,Pupino''^^ die Funktion von Rahmenbeschliissen weitgehend derjenigen von Richtlinien angeglichen, indem er eine unionsrechtliche Pflicht zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung nationalen Strafrechts statuierte (§ 10 Rn. 79 ff.). Neben der Annahme von Rahmenbeschliissen besteht nach Art. 34 II lit. d EUV die - bereits im Rahmen der ZBJI eroffnete - Moglichkeit der Erstellung volkerrechtlicher Ubereinkommen, die der Rat den Mitgliedstaaten zur Annahme empfiehlt. Wie die Erfahrung mit dem erst sieben Jahre nach seinem Abschluss (am 17. Oktober 2002) in Kraft getretenen Ubereinkommen v. 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG (vgl. § 14 Rn. 24) lehrt, sind Konventionen - wegen des Ratifikationserfordernisses - eine eher schwerfallige Handlungsform^^. Zwar wurde dieses Instrument durch die Neufassung des Art. 34 II lit. d EUV im Amsterdamer Vertrag insoweit effektiviert, als Ubereinkommen nunmehr vorzeitig in Kraft treten konnen, wenn sie mindestens von der Halfte der Mitgliedstaaten ratifiziert wurden. Eine unionsweite Annaherung der Strafbestimmungen wird hierdurch aber nicht erreicht, da der volkerrechtliche Vertrag nur in den „vorausgeeilten" Staaten in Kraft tritt. Da MaBnahmen nach Art. 34 EUV dem Einstimmigkeitsprinzip unterfallen, 10 steht die politische Uneinigkeit der Mitgliedstaaten der Realisierung strafrechtlicher Harmonisierungsprojekte grundsatzlich entgegen. Unter engen Voraussetzungen eroffnen die Art. 40, 43 EUV einer Gruppe von mehr als der Halfte der Mitgliedstaaten aber die Moglichkeit, untereinander eine starkere Zusammenarbeit bzw. weitergehende Integration zu begriinden, der sich die iibrigen Mitgliedstaaten jederzeit anschlieBen konnen. Allerdings ist zu bedenken, dass durch ein ,JEuropa der zwei Geschwindigkeiten" das Ziel einer unionsweiten Rechtsangleichung gerade nicht erreicht wird.
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit e EUV I. Organisierte Kriminalitat I. Anwendungsbereich Als Gegenstand einer moglichen Strafrechtsangleichung nennt Art. 31 lit. e EUV 11 explizit den Bereich der „Organisierten Kriminalitat" (OK). Zwar fehlt es bislang an einer allseits anerkannten Definition dieses Begriffes. Gewisse Konturen erhalt er jedoch dadurch, dass es sich bei den der OK zuzurechnenden Taten jedenfalls um solche handeln muss, die typischerweise planvoU und arbeitsteilig von mehreren organisatorisch verbundenen Personen begangen werden"""^. Als Interpre-
12 EuGH NJW 2005, 2839 = EuZW 2005, 433 = JZ 2005, 838 = StV 2006, 1 ff. 1^ Vgl. nur Satzger, Europaisierung, S. 467 ff.; ders., Europa-Delikte, S. 71, 84 ff ^^ Satzger, Europa-Delikte, S. 71, 81 f; v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 EUV Rn. 61.
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tationshilfe fiir die Bestimmung des Organisationsgrades kann die Gemeinsame MaBnahme betreffend die Strafbarkeit der kriminellen Vereinigung v. 21. Dezember 1998^^ herangezogen werden. Eine kriminelle Vereinigung wird dort definiert als ein auf langere Dauer angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit Freiheitsentzug im HochstmaB von mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Nach Ansicht der Konunission benotigt die Union jedoch ein ehrgeizigeres und verbindlicheres Instrument, das tatsachlich eine Angleichung des Strafrechts der Mitgliedstaaten bewirkt und die zwischenstaatliche Zusammenarbeit effektiviert. Sie hat daher am 19. Januar 2005 den Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekampfung der organisierten Kriminalitat vorgelegt^®. Der Vorschlag sieht u. a. eine Angleichung der Definitionen der Straftatbestande im Zusammenhang mit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vor. Gegen natiirliche und juristische Personen, die solche Straftaten begangen haben oder dafiir verantwortlich gemacht werden konnen, soUen Strafen und Sanktionen verhangt werden, welche die Schwere dieser Straftaten widerspiegeln. Bereits in Kraft getreten ist am 16. Marz 2005 der Rahmenbeschluss iiber die Einziehung von Ertragen, Tatwerkzeugen und Vermogensgegenstanden aus Straftaten^ ^. Der Rahmenbeschluss sieht in Art. 2 I vor, dass Tatwerkzeuge und Ertrage aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind oder Vermogensgegenstande, deren Wert diesen Ertragen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden konnen. Erweiterte EinziehungsmogUchkeiten soUen nach Art. 3 gegeniiber Personen bestehen, die wegen bestimmter, der OK zuzurechnenden Straftat vemrteilt wurden. Zu den nach Art. 34 lit. e EUV unter dem Aspekt der Zugehorigkeit zur OK angleichungsfahigen Delikten gehoren neben den Organisationsund Bandendelikten im engeren Sinne auch solche Strafbestimmungen, bei denen ein organisiertes Zusammenwirken mehrerer Tater zwar kein Tatbestandsmerkmal ist, die jedoch typischerweise in organisierter Form begangen werden^^. Beispiele hierfiir sind das Herstellen und Inverkehrbringen von Falschgeld (Rn. 12 ff.), der Menschenhandel (Rn. 24 ff.), die Schleuserkriminalitat (Rn. 33 ff.) und bestimmte Formen der Geldwasche (Rn. 44 ff.) - alles Straftaten, die in der Regel unter Einsatz technischer, logistischer, finanzieller und personeller Mittel im Rahmen einer arbeitsteilig agierenden Organisation begangen werden^^.
15 16 17 1^ 1^
ABIEG 1998 Nr.L 351,8. 1. KOM (2005) 6 endg. ABIEG 2005 Nr. L 68, S. 49. Vgl. nur v. d. Groeben/Schwarze/Wa^me/gr, Art. 31 EUV Rn. 62. Vgl. nur V. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 63 f.
C. Bereichezulassiger Strafrechtsangleichungnach Art. 31 lit. eEUV
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2. Rahmenbeschluss I zum strafrechtlichen Schutz des Euro Bereits an anderer Stelle wurde - im Zusammenhang mit der Frage nach einer 12 strafrechtlichen Anweisungskompetenz der EG - darauf hingewiesen, dass der Rat mit seiner am 3. Mai 1998 erlassenen Verordnung iiber die Einfiihrung des Euro^° lediglich auf die Notwendigkeit eines „angemessenen Schutzes des Euro vor Falschungen" hingewiesen und den von der Kommission geforderten kriminalstrafrechtlichen Anweisungen eine klare Absage erteilt hat ( § 8 Rn. 17). Art. 12 der Verordnung verpflichtet die teilnehmenden Mitgliedstaaten lediglich dazu, sicherzustellen, dass es angemessene Sanktionen fiir Nachahmungen und Falschungen von Euro-Banknoten und Euro-Miinzen gibt, obwohl sich eine entsprechende strafrechtliche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten bereits aus der allgemeinen Loyalitatspflicht des Art. 10 EGV ergibt. Der Rat zog es vor, von dem Instrument des Rahmenbeschlusses Gebrauch zu machen. Durch den auf der Grundlage des Art. 31 lit. e EUV angenommenen Rahmen- 13 beschluss des Rates v. 29. Mai 2000 iiber die Verstarkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldi^lschung im Hinblick auf die Einfiihrung des Euro^i, der am 30. Mai 2000 in Kraft trat, werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, alle Falschungshandlungen einschlieBlich des (grenziiberschreitenden) Inverkehrbringens strafrechtlich zu erfassen^^. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses Durch eine Angleichung der mitgliedstaatlichen Straftatbestande soil gewahrleis- 14 tet werden, dass der Euro in alien Mitgliedstaaten (auch in denjenigen, in denen der Euro nicht eingefiihrt wurde) durch wirksame strafrechtliche MaBnahmen in geeigneter Weise geschiitzt wird, um die erforderliche Glaubwiirdigkeit der neuen Wahrung sicherzustellen und dadurch ernste wirtschaftliche Konsequenzen zu vermeiden. b) Wesentlicher Inhalt (1) Jeder Mitgliedstaat hat nach Art. 3 sicherzustellen, dass die folgenden Verbal- 15 tensweisen (einschlieBlich der Anstiftung und mit Ausnahme von Buchstabe d des Versuchs) mit Strafe bedroht werden: a) betriigerische Falschung oder Verfalschung von Geld, b) betriigerisches Inumlaufbringen von falschem oder verfalschtem Geld, c) Einfiihren, Ausfiihren, Transportieren, Annehmen oder Sichverschaffen vonfalschem oder verfalschtem Geld in Kenntnis der Falschung und in der Absicht, es in Umlauf zu bringen.
Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3. Mai 1998 iiber die Einfiihrung des Euro; ABIEG 1998 Nr.L 139, S.l. ABIEG 2000 Nr. L 140, S. 1. Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH v. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgmndlage (Art. 123 IV EGV) gestiitzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 7 (Anhang). V. Bubnoff, ZEuS 2001, 165, 175.
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d) betriigerisches Anfertigen, Annehmen, Sichverschaffen oder Besitzen von Geratschaften, Gegenstanden, Computerprogrammen und anderen Mitteln, die ihrer Beschaffenheit nach zur Falschung oder Verfalschung von Geld besonders geeignet sind bzw. von Hologrammen oder anderen der Sicherung gegen Falschung dienenden Bestandteilen von Geld. 16 (2) Die Geldfalschungsdelikte sind nach Art. 6 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen zu bedrohen, die auch Freiheitsstrafen umfassen, welche zu einer Auslieferung fiihren konnen. Das betriigerische Falschen oder Verfalschen von Geld i. S. d. Art. 3 1 lit. a ist mit Freiheitsstrafe zu bedrohen, die im HochstmaB mindestens acht Jahre (sog. Mindesthochststrafe) betragen muss. 17 (3) Die Verantwortlichkeit juristischer Personen und die vorzusehenden (auch nichtstrafrechtlichen) Sanktionen sind in Art. 8 und 9 des Rahmenbeschlusses geregelt. 18 (4) Nach den in Art. 7 enthaltenen Regelungen zur Gerichtsbarkeit und Strafverfolgung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen MaBnahmen zu ergreifen, um ihre gerichtliche Zustandigkeit zu begriinden, wenn die Falschgelddelikte ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurden. Zumindest die Mitgliedstaaten, in denen der Euro eingefiihrt worden ist, treffen geeignete MaBnahmen, um sicherzustellen, dass zumindest die Falschung des Euro unabhangig von der Staatsangehorigkeit des Straftaters und vom Tatort verfolgt werden kann. Steht mehreren Mitgliedstaaten die Gerichtsbarkeit zu und haben sie die Moglichkeit, eine Straftat, die auf denselben Tatsachen beruht, wirksam zu verfolgen, so arbeiten die betreffenden Mitgliedstaaten zusammen, um dariiber zu entscheiden, welcher von ihnen den oder die Straftater verfolgt, um die Strafverfolgung nach Moglichkeit in einem einzigen Mitgliedstaat zu konzentrieren. c) Deutsches Strafrecht 19 Die deutsche Rechtsordnung tragt den Strafbarkeits- und Sanktionsvorgaben des Rahmenbeschlusses durch die auf den strafrechtlichen Schutz des Euro anwendbaren §§ 146, 147, 149 StGB vollumfanglich Rechnung^^. Einer Gesetzesanderung bedurfte es hierfiir nicht, da die bestehenden Strafgesetze einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zuganglich sind, die der bereits aus dem Loyalitatsgebot (Art. 10 EGV) abzuleitenden Pflicht Rechnung tragt, den Schutz des Euro durch wirksame, abschreckende und verhaltnismaBige Sanktionsandrohungen zu schiitzen. Die deutsche Strafgewalt erstreckt sich gem. § 6 Nr. 7 StGB auch auf Geldfalschungen, die im Ausland begangen werden.
Vgl. hierzu MuKoStGB/£:rZ7, Vor §§ 146 ff. Rn. 23; VogeU ZRP 2002, 7 ff.
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3. Rahmenbeschluss II und Beschluss iiber den Schutz des Euro vor Falschungen Durch den Rahmenbeschluss des Rates v. 6. Dezember 2001 zur Andemng des Rahmenbeschlusses 2000/383/JI iiber die Verstarkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfalschung im Hinblick auf die Einfiihrung des Euro (Rahmenbeschluss 11)^"^ wird der oben behandelte Rahmenbeschluss I um eine Vorschrift iiber die Riickfalligkeit von Straftatern erganzt, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat wegen eines Geldfalschungsdelikts rechtskraftig abgeurteilt worden sind. Rahmenbeschluss II bestimmt, dass in Rahmenbeschluss I folgender Art. 9 a einzufiigen ist:. „Jeder Mitgliedstaat erkennt den Grundsatz der Riickfalligkeit gemaB seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften an und erkennt gemaB seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften an, dass Riickfalligkeit gegeben ist, wenn wegen einer der Straftatbestande nach den Art. 3-5 dieses Rahmenbeschlusses oder wegen einer der Straftatbestande nach Art. 3 des Abkommens bereits rechtskraftige Urteile in einem anderen Mitgliedstaat ergangen sind, und zwar unabhangig davon, welche Wahrung gefalscht wurde." Diese Regelung kann sich z. B. dahingehend auswirken, dass ein bereits in einem anderen Mitgliedstaat wegen Geldfalschung rechtskraftig verurteilter Straftater, der sich wegen einer in Deutschland erstmalig begangen Tat gem. § 146 StGB vor einem deutschen Gericht zu verantworten hat, als Rtickfalltater i. S. d. Art. 9 a Rahmenbeschluss I strenger zu bestrafen ist als ein Ersttater. Zu denken ist aber auch an die Moglichkeit des Widerrufs einer in Deutschland verhangten Bewahrungsstrafe, wenn der Verurteilte in einem anderen Mitgliedstaat in einschlagiger Weise straffallig geworden und damit auch in Deutschland als Riickfalltater anzusehen ist. Erganzt und verstarkt wird das strafrechtliche Instrumentarium durch den ebenfalls am 6. Dezember 2001 erlassenen Beschluss des Rates iiber den Schutz des Euro vor Falschungen^^. Der Beschluss sieht vor, dass die Mitgliedstaaten ihre im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen iiber Euro-Falschungen durchgefiihrten nationalen Analysen und gewonnenen Informationen an Europol iibermitteln. Dartiber hinaus ist die Einschaltung von Eurojust vorgesehen.
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4. Rahmenbeschluss zur Bekampfung des Menschenhandels Menschenhandel im engeren Sinne kann als Verbringen von Personen gegen ihren 24 Willen unter Anwendung von Gewalt oder Drohung, Ausnutzung eines Abhangigkeitsverhaltnisses oder Vorspiegelung falscher Tatsachen definiert werden^^. Am 29. M i 2002 hat der Rat einen Rahmenbeschluss zur Bekampfung des
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ABIEG 2001 Nr. L 329, S. 3.
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ABIEG 2001 Nr.L 329,8.1.
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V. Bubnoff, ZEuS 2001, 165, 180 f; v. d. Art. 29 E U V Rn. 36.
GvocbQn/SchwBXzo/Wasmeier/Jour-Schrdder,
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Menschenhandels angenommen, der am 2. August 2002 in Kraft getreten ist^^. Hinweis: Der Verbesserung des Opferschutzes dient auch die Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 uber die Erteilung von Aufenthaltstiteln fiir Drittstaatsangehorige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zustandigen Behorden kooperieren^^. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 25 Menschenhandel stellt nach Auffassung der EU-Mitgliedstaaten einen schweren VerstoB gegen grundlegende Menschenrechte und die Menschenwurde dar. Sie halten es daher fiir erforderlich, dem schweren Straftatbestand Menschenhandel nicht nur durch einzelne MaBnahmen eines jeden Mitgliedstaats, sondern auch durch ein umfassendes Konzept zu begegnen, in dem die Definition der alien Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundelemente des Strafrechts, darunter wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen, einen festen Bestandteil bildet. Der vorliegende Rahmenbeschluss beinhaltet eine Festlegung gemeinsamer Regeln zur Bekampfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern im Hinblick auf ein effizienteres Vorgehen gegen bestimmte Formen der illegalen Einwanderung sowie eine intensivere Zusammenarbeit der Justizbehorden in Strafsachen. b) Wesentlicher Inhalt 26 (1) Der Rahmenbeschluss legt den Mitgliedstaaten bestimmte Ponalisierungspflichten auf. Jeder Mitgliedstaat trifft nach Art. 1 I die erforderlichen MaBnahmen, um sicherzustellen, dass folgende Handlungen (einschlieBlich Anstiftung, Beihilfe und Versuch) unter Strafe gestellt werden: Anwerbung, Beforderung, Weitergabe, Beherbergung und spatere Aufnahme einer Person, einschlieBlich Tausch der Kontrolle oder Weitergabe der Kontrolle iiber sie, wenn eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist: a) Anwendung oder Androhung von Gewalt oder anderen Formen der Notigung, einschlieBlich Entfuhrung, b) arglistige Tauschung oder Betrug, c) Missbrauch einer Machtstellung oder Ausnutzung einer Position der Schwache, in einer Weise, dass die betroffene Person keine wirkliche und fiir sie annehmbare andere Moglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen oder d) Gewahrung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vergiinstigungen mit dem Ziel, das Einverstandnis einer Person zu erhalten, die die Kontrolle iiber eine andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung der Person durch Arbeiten oder Dienstleistungen, mindestens einschlieBlich unter Zwang geleisteter Arbeiten oder Dienstleistungen, Sklaverei oder der Sklaverei oder der Knechtschaft ahnlichen Verhaltnissen, oder zum Zwecke der Ausbeutung einer Person mittels Prostitution oder anderer For-
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ABIEG 2002 Nr. L 203, S. 1.
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ABIEG 2004 Nr. L 261, S. 19.
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men der sexuellen Ausbeutung einschlieBlich Pornographic. Nach Art. 1 II ist das Einvcrstandnis cincs Opfcrs von Mcnschcnhandcl zur bcabsichtigtcn odcr tatsachlich vorlicgcndcn Ausbeutung uncrhcblich, wcnn cine der in Abs. 1 aufgeflihrtcn Voraussetzungen gegeben ist. Betrifft die Handlung nach Abs. 1 ein Kind (definiert als Person unter 18 Jahre), so ist sic auch dann als Mcnschcnhandcl unter Strafe zu stcllcn, wcnn keinc der in Art. 1 I lit. a-d aufgefiihrten Voraussetzungen gegeben ist (Art. 1 III). Die Strafbarkcit hangt nicht von ciner grenzuberschrcitenden Tatbegehung ab^^. (2) Nach Art. 4 hat jeder Mitglicdstaat zu gcwahrlcistcn, dass cine juristische 27 Person fiir cine Straftat nach Art. 1 und 2 verantwortlich gemacht werden kann, die zu ihren Gunsten von ciner Person begangen wurde, die entweder allcin odcr als Teil cincs Organs der juristischen Person gehandclt hat und die cine Flihrungsposition innerhalb der juristischen Person innehat. (3) Des Weitcren sind die Mitgliedstaatcn nach Art. 3 zur Festlegung be- 28 stimmter Sanktionen vcrpflichtet. Jeder Mitglicdstaat hat die crfordcrlichcn MaBnahmen zu treffen, um sicherzustcllcn, dass Straftaten nach den Art. 1 und 2 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen geahndet werden, die zu ciner Ausliefcrung fiihren konnen. Jeder Mitglicdstaat muss gcwahrlcistcn, dass Straftaten nach Art. 1 mit Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens acht Jahren geahndet werden, wcnn sic unter cinem der folgendcn Umstande begangen wurden: a) durch die Straftat wurde das Leben des Opfcrs vorsatzlich odcr leichtfcrtig gefahrdet, b) Opfer der Straftat wurde cine Person, die besonders schutzbediirftig war. Eine besondcre Schutzbediirftigkcit licgt auf jeden Fall vor, wcnn das Opfer das Alter der sexuellen Selbstbestimmung nach nationalem Recht noch nicht errcicht hatte und die Straftat zum Zweck der Ausbeutung ciner Person mittels Prostitution odcr anderer Formen der sexuellen Ausbeutung einschlieBlich Pornographic begangen wurde, c) die Straftat wurde unter Anwendung schwerer Gcwalt begangen odcr dem Opfer wurde durch die Straftat ein besonders schwerer Schaden zugefiigt, d) die Straftat wurde im Rahmen ciner krimincUen Vercinigung gemaB der Definition in der Gemcinsamen MaBnahmc 98/733/JP° begangen. (4) Jeder Mitglicdstaat muss nach Art. 5 dafiir sorgcn, dass gegen vcrantwortlichc 29 juristische Person wirksame, angemesscne und abschreckende Sanktionen verhangt werden konnen, zu denen strafrechtliche odcr nicht strafrechtlichc Gcldsanktionen gehoren und andere Sanktionen gehoren konnen. (5) Fiir die Gerichtsbarkeit bestimmt Art. 6, dass jeder Mitglicdstaat die erfor- 30 derlichen MaBnahmen ergrcift, um seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf cine Straftat nach den Art. 1 und 2 in den Fallen zu begriinden, in denen a) die Straftat ganz odcr tcilwcise in scinem Hohcitsgebict begangen wurde, b) es sich bei dem Tater um cinen seiner Staatsangehorigen handelt odcr ^^ v. d. Gvoeben/SchwaTzdWasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 EUV Rn. 36. 30 ABIEG 1998 Nr.L 351, S.L
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c) die Straftat zugunsten einer im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats niedergelassenenjuristischen Person begangen wurde. 31 Ein Mitgliedstaat kann beschlieBen, dass er die Gerichtsbarkeitsbestimmungen in Art. 6 I lit. b und c nicht oder nur in bestimmten Fallen oder unter bestimmten Umstanden anwendet, wenn die Straftat auBerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurde. Falls ein Mitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften eigene Staatsangehorige nicht ausliefert, trifft er die erforderlichen MaBnahmen, um seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf eine Straftat nach den Art. 1 und 2 zu begriinden und gegebenenfalls die Strafverfolgung einzuleiten, sofern die Straftat von einem seiner Staatsangehorigen auBerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurde. Die Mitgliedstaaten miissen festlegen, dass die strafrechtlichen Ermittlungen oder die Strafverfolgung in Bezug auf Straftaten, die unter diesen Rahmenbeschluss fallen, zumindest in den Fallen, die von Art. 6 I lit. a erfasst werden (Straftat wurde ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen), nicht von einer Anzeigeerstattung des Opfers abhangen (Art. 7 I). c) Deutsches Strafrecht 32 Im deutschen Strafgesetzbuch fmden sich namentlich in §§ 232-233a, 234, 236 StGB einschlagige Strafbestimmungen, durch welche die von dem Rahmenbeschluss beschriebenen Handlungen (einschlieBlich Anstiftung, Beihilfe und Versuch) als weltweit verfolgbare Offizialdelikte erfasst werden (§6 Nr. 4 StGB bzgl. §§ 232-233a StGB)^^ Des Weiteren werden bestimmte Formen des Menschenhandels von § 7 I Nr. 3, 4, 7 lit. a, 9 VStGB als Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe gestellt, fiir die ebenfalls der Weltrechtsgrundsatz gilt (§ 1 VStGB). Gegen juristische Personen kann nach § 30 I OWiG eine GeldbuBe verhangt werden, was nach Art. 5 des Rahmenbeschlusses ausreicht. Falls festgestellt wird, dass fiir die Begehung des Menschenhandels die Einrichtung eines Vereins genutzt wird, dessen Zwecke oder Tatigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, erfolgt nach § 3 VereinsG eine Verbots- und Auflosungsverfiigung durch die zustandige Behorde (Bundes- oder Landesinnenminister). 5. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Schleuserkriminalitat 33 Durch den auf Art. 31 lit. e EUV gestiitzten Rahmenbeschluss v. 28. November 2002 betreffend die Verstarkung des strafrechtlichen Rahmens fiir die Bekampfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt^^, der am 6. Dezember 2002 in Kraft getreten ist, werden die Gemeinsamen MaBnahmen gegen Menschenhandel durch spezifische MaBnahmen gegen Schleuserkriminalitat erganzt. Der Rahmenbeschluss fiillt die in der am gleichen Tag in Kraft getretenen Richtlinie 2002/90/EG des Rates v. 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum ^^ Ausfuhrlich zu der Umsetzung der intemationalen und europarechtlichen Vorgaben in deutsches Recht Schonke/Schroder/£'w^/^, § 232 Rn. 2 ff. 32 ABIEG 2002 Nr. L 328, S. 1.
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unerlaubten Aufenthalt^^ enthaltenen Vorgaben zur Sanktioniemng der dort naher beschriebenen Erscheinungsformen des Schleuserwesens aus. Ermachtigungsgrundlagen fiir die Richtlinie sind die durch den Amsterdamer Vertrag in die erste Saule uberftihrten Art. 61 lit. a, 63 Nr. 3 lit. b EGV, die der EG die Befugnis verleihen, MaBnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt zu treffen. Bemerkenswert ist, dass die Richtlinie lediglich die bereits aus dem Loyalitatsgebot (Art. 10 EGV) abzuleitenden Sanktionierungspflichten konkretisiert und damit das Ergreifen spezifisch kriminalstrafrechtlicher MaBnahmen in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellt. Nach Art. 1 I S. 3 der Richtlinie 2002/90/EG hat jeder Mitgliedstaat wirksame, 34 angemessene und abschreckende Sanktionen fiir Tater festzulegen, die a) einer Person, die nicht Angehorige eines Mitgliedstaates ist, vorsatzlich dabei helfen, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates iiber die Einreise oder die Durchreise von Auslandern einzureisen oder durch dessen Hoheitsgebiet zu reisen, b) einer Person, die nicht Angehorige eines Mitgliedstaats ist, zu Gewinnzwecken vorsatzlich dabei helfen, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Verletzung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates iiber den Aufenthalt von Auslandern aufzuhalten. Auch die Anstiftung und Beihilfe zu diesen Taten sowie der Versuch einer solchen 35 Tat sind unter Sanktionsandrohung zu stellen (Art. 2). Jeder Mitgliedstaat kann beschlieBen, wegen der in Art. 1 I lit. a beschriebenen Handlungen in Anwendung seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften und Rechtspraktiken keine Sanktionen zu verhangen, wenn das Ziel der Handlungen die humanitare Unterstiitzung der betroffenen Person ist (Art. 1II). a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses Der Rahmenbeschluss legt die Mitgliedstaaten darauf fest, die in Art. 1 1 2 der 36 RichtHnie 2002/90/EG defmierten Formen der Schleuserkriminalitat (Beihilfe zur illegalen Einwanderung) mit kriminalstrafrechtlichen Mitteln zu bekampfen, und zwar sowohl, wenn diese den unerlaubten Grenziibertritt im engeren Sinne betrifft, als auch, wenn dadurch ein Netzwerk zur Ausbeutung von Menschen unterhalten wird. Zu diesem Zweck sollen zum einen die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften angeglichen, zum anderen Mindestvorschriften fiir Strafen, die Verantwortlichkeit von juristischen Personen und die Gerichtsbarkeit erlassen werden.
33
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b) Wesentlicher Inhalt 37 (1) Nach Art. 1 I des Rahmenbeschlusses hat jeder Mitgliedstaat sicherzustellen, dass die in den Art. 1 und 2 der Riehtlinie 2002/90/EG beschriebenen Handlungen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht sind, die zu einer Auslieferung fiihren konnen. Gegebenenfalls konnen neben den in Art. 11 genannten Strafen noch folgende MaBnahmen ergriffen werden: - Einziehung des Verkehrsmittels, das zur Begehung der strafbaren Handlung benutzt wurde, - Verbot, unmittelbar oder iiber Dritte die berufliche Tatigkeit auszuiiben, in deren Rahmen die strafbare Handlung begangen wurde, - Abschiebung. 38 Jeder Mitgliedstaat muss nach Art. 1 III dariiber hinaus gewahrleisten, dass die Handlungen nach Art. 1 lit. a der Riehtlinie 2002/90/EG und, soweit relevant, die Handlungen nach Art. 2 lit. a, sofern sie zu Gewinnzwecken begangen werden, mit Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens acht Jahren bedroht sind, wenn sie unter einem der folgenden Umstande begangen wurden: a) die strafbare Handlung wurde als Handlung einer kriminellen Vereinigung begangen, wie sie in der Gemeinsamen MaBnahme 98/73S/JP"^ definiert ist oder b) bei der Begehung der strafbaren Handlung wurde das Leben der Personen gefahrdet, auf die sich die strafbare Handlung bezog. 39 Wenn es zur Wahrung der Koharenz des nationalen Sanktionensystems unerlasslich ist, werden die Handlungen nach Art. 1 III mit Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens sechs Jahren bedroht, sofern es sich hierbei um eine der Hochststrafen handelt, die fiir vergleichbare strafbare Handlungen vorgesehen sind. 40 (2) Nach Art. 2 ist die Verantwortlichkeit juristischer Personen zu regeln. Art. 3 legt die Mitgliedstaaten darauf fest, die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um gegen eine i. S. v. Art. 2 I verantwortliche juristische Person wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen verhangen zu konnen, zu denen strafrechtliche oder nicht strafrechtliche Geldsanktionen so wie andere Sanktionen gehoren konnen. 41 (3) Jeder Mitgliedstaat ergreift nach Art. 41 die erforderlichen MaBnahmen, um seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf die Handlungen nach Art. 1 I zu begriinden, wenn diese a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet, b) von einem seiner Staatsangehorigen oder c) zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wurden.
34 ABIEG 1998 Nr.L 351, S.l.
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(4) Art. 5 enthalt Vorgaben zur Auslieferung und zur Sicherstellung der Straf- 42 verfolgung eigener Staatsangehoriger, falls diese nicht an andere Mitgliedstaaten ausgeliefert werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Vorgaben des Rahmenbeschlusses vor dem 5. Dezember 2004 zu erfiillen (Art. 91). c) Deutsches Strafrecht Das Gesetz iiber den Aufenthalt, die Erwerbstatigkeit und die Integration von Aus- 43 landern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG)^^ enthalt einschlagige Straftatbestande, die den Ponalisierungsvorgaben des Rahmenbeschlusses entsprechen^^. Nach § 96 I AufenthG wird das Einschleusen von Auslandern - hierzu gehoren auch die Anstiftung und das Hilfeleisten zu einer illegalen Einreise - mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren bestraft, wenn der Tater dafiir einen Vermogensvorteil erhalt oder sich versprechen lasst bzw. wenn er wiederholt oder zugunsten von mehreren Auslandern handelt. Der Strafrahmen erhoht sich nach § 96 II AufenthG auf eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zehn Jahren, wenn der Tater gewerbsmaBig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. Der Versuch ist strafbar (§96 III AufenthG). Als Verbrechen, das mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht ist, wird das gewerbs- und bandenmaBige Einschleusen von Auslandern nach § 97 II AufenthG eingestuft. Nach Art. 97 IV AufenthG sind die Bestinmiungen iiber den erweiterten Verfall (§ 73 d StGB) anzuwenden, d. h., die Strafverfolgungsbehorden konnen auf etwaige Gewinne zugreifen, die im Rahmen organisierter Schleusertatigkeit erzielt wurden. 6. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Geldwasche Bei den MaBnahmen gegen die organisierte Finanzkriminalitat spielt die Bekamp- 44 fung der Geldwasche eine zentrale RoUe^^. Die EG hat die Mitgliedstaaten bereits durch die Geldwascherichtlinie v. 10. Juni 1991^^ angewiesen, das Verbot der Geldwasche im Bereich des Finanz- und Bankensektors mit geeigneten Mitteln durchzusetzen (§ 8 Rn. 11). Da sich der Rat nicht auf eine explizit kriminalstrafrechtliche Anweisung einigen konnte, wurde es den Mitgliedstaaten iiberlassen, die zur Umsetzung der Richtlinie erforderlichen MaBnahmen zu ergreifen. Unter den Mitgliedstaaten bestand jedoch Einigkeit dariiber, dass sie die in dem UNSuchtstoffUbK V. 20. Dezember 1988^9 (§ 5 R^. 8) und im Geldwascheiibereinkommen des Europarats v. 8. November 1990"^^ (§ 3 Rn. 14) vorgesehenen strafrechtlichen MaBnahmen ergreifen werden, wobei der im Europaratsiibereinkom35 3^ 3"^ 38 39 40
BGBl. I 2004, S. 1959 ff. Zur strafrechtlichen Relevanz auslanderrechtlicher Erlaubnisse vgl. BGHSt 50, 105 ff Vgl. zum EU-Besitzstand der Geldwasche Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 327 ff; Schwder/Textor, GwG, Vor § 261 StGB Rn. 16 ff ABIEG 1991 Nr. L 166, S. 77. Vgl. das deutsche Ratifikationsgesetz v. 22. JuH 1993 (BGBl. I I 1 9 9 3 , 1136). ETS Nr. 141; BGBl. II1998, 519; 2000, 1304; 2001, 339.
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men erfasste Vortatenkatalog fiir Geldwaschedelikte nicht auf den Bereich der Drogendelikte beschrankt ist. Die Anderung der Geldwascherichtlinie durch die am 28. Dezember 2001 in Kraft getretene Richtlinie 2001/97/EG41 fiihrte zu einer Erweiterung des Geldwascheverbots auf alle Formen der schweren Kriminalitat und bezog auch Aktivitaten und Berufe auBerhalb des Finanzsektors (u. a. Rechtsanwalte, Notare) ein (§ 8 Rn. 15). Noch wesentlich detailliertere strafrechtliche Vorgaben enthalt die am 26. Oktober 2005 erlassene Dritte Geldwascherichtlinie 2005/60/EG des EP und des Rates zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwasche einschlieBlich der Finanzierung des Terrorismus v. 26. Oktober 2005^2 (§ 8 Rn. 15). 45 Mit einer Reihe weiterer Initiativen verfolgen die Mitgliedstaaten das Ziel, dem organisierten Verbrechen seinen groBten Anreiz, die Erzielung von Ertragen, zu nehmen. Die Gemeinsame MaBnahme v. 3. Dezember 1998 iiber Geldwasche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Ertragen aus Straftaten beschrankt die Moglichkeit der Mitgliedstaaten, Vorbehalte zu bestimmten Vorschriften des Geldwascheiibereinkommens geltend zu machen und verbessert die Zusammenarbeit bei der Einziehung von Vermogensgegenstanden. Der am 6. JuH 2001 in Kraft getretene Rahmenbeschluss des Rates v. 26. Juni 2001 iiber Geldwasche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Ertragen aus Straftaten"^^ reformiert und effektiviert die Gemeinsame MaBnahme. Des Weiteren enthalt das am 16. Oktober 2001 verabschiedete ProtokoU zum EUUbereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen v. 29. Mai 2000^^ spezifische Regelungen zur Erleichterung der Rechtshilfe bei der Bekampfung der Geldwaschekriminalitat. Hierzu gehort insbesondere die Bearbeitung von Auskunftsersuchen zu Bankkonten und Bankgeschaften zwischen den Mitgliedstaaten. Das ProtokoU sieht vor, dass Rechtshilfe kiinftig nicht mehr unter Berufung auf das Bankgeheimnis oder auf die fiskalische bzw. politische Natur eines Delikts verweigert werden darf. Mangels Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten noch nicht in Kraft getreten ist das am 19. Juni 1997 beschlossene Zweite ZusatzprotokoU zum Ubereinkommen iiber den Schutz der Onanziellen Interessen der EG zur Bekampfung der Geldwasche"^^, dem die Bundesrepublik Deutschland durch das Vertragsgesetz v. 21. Oktober 2002"^^ zugestimmt hat.
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44 45 46
ABIEG 2001 Nr. L 344, S. 76 ff. ABIEG 2005 Nr. L 309, S. 15. ABIEG 2001 Nr. L 182, S. 1. Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des E u G H v. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgmndlage (Art. 4 7 II, 9 5 EGV) gestiitzt werden; vgl. K O M (2005) 583 endg., S. 7 (Anhang). ABIEG 2001 Nr. C 326, S. 1. ABIEG 1997 Nr. C 221, S. 12. BGBl. 2 0 0 2 I I , 2722.
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a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses Die Geldwasche als „Herzstuck der organisierten Kriminalitat" soil von den Mit- 46 gliedstaaten mit aller Entschlossenheit bekampft werden. In den Erwagungsgriinden des Rahmenbeschusses ruft der Europaische Rat die Mitgliedstaaten deshalb dazu auf, die materiellen und die formellen Strafrechtsbestimmungen zur Geldwasche (insbesondere zum Einziehen von Vermogensgegenstanden) einander anzunahern. Vor allem soil das Spektrum der kriminellen Aktivitaten, die als Vortaten strafbarer Geldwasche angesehen werden, in alien Mitgliedstaaten einheitlich und hinreichend weit gefasst sein. Die Regelungen des Rahmenbeschlusses kniipfen an die strafrechtlichen Vorgaben des Geldwascheubereinkommens des Europarats v. 8. November 1990 an und zielen darauf ab, die in den Mitgliedstaaten bereits ergriffenen UmsetzungsmaBnahmen zu effektivieren'*''. b) Wesentlicher Inhalt (1) Das Recht der Mitgliedstaaten, Vorbehalte zu den strafrechtlichen Vorgaben 47 des Geldwascheiibereinkonmiens von 1990 geltend zu machen oder aufrecht zu erhalten, wird nach Art. 1 noch weiter eingeschrankt als dies in der Gemeinsamen MaBnahme v. 3. Dezember 1998 geregelt ist. (2) Nach Art. 2 hat jeder Mitgliedstaat in Koharenz mit seinem Strafensystem 48 die erforderlichen MaBnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die in Art. 6 I lit. a und b des Geldwascheubereinkommens von 1990 genannten schweren Straftaten, wie sie sich aus Art. 1 lit. b dieses Rahmenbeschlusses ergeben, mit Freiheitsstrafen belegt werden konnen, die im HochstmaB nicht unter vier Jahren liegen diirfen (sog. Mindesthochststrafe). (3) Art. 3 fiihrt die sog. „Wertersatzstrafe" ein. Jeder Mitgliedstaat muss ge- 49 wahrleisten, dass seine Rechts- und Verfahrensvorschriften iiber die Einziehung von Ertragen aus Straftaten, mindestens in den Fallen, in denen ein Zugriff auf diese Ertrage nicht moglich ist, auch die Einziehung von Vermogensgegenstanden ermoglichen, deren Wert dem Wert dieser Ertrage entspricht. Dies gilt sowohl in rein innerstaatlichen Verfahren als auch in Verfahren, die auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats einschlieBlich der Ersuchen um Vollstreckung auslandischer Einziehungsentscheidungen eingeleitet werden. Die Mitgliedstaaten konnen jedoch die Einziehung von Vermogensgegenstanden, deren Wert den Ertragen aus Straftaten entspricht, in den Fallen ausnehmen, in denen dieser Wert unter € 4 000.- liegen wtirde. c) Deutsches Straf recht In Erfiillung der von Deutschland iibernommenen Verpflichtungen aus dem UN- 50 SuchtstoffUbK V. 20. Dezember 1988, dem Geldwascheiibereinkommen des Europarats V. 8. November 1990 und der Geldwascherichtlinie v. 10. Juni 1991 schuf der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Bekampfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten KriYgl. hierzu die rechtsvergleichenden Ausfiihrungen zur Geldwaschestrafbarkeit in den EU-Mitgliedstaaten Yon Ambos, ZStW 114 (2002), S. 236, 240 ff. sowie Gentzih Europaisiemng des Geldwaschestrafrechts, S. 59 ff.
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minalitat v. 15. Juli 1992 (OrgKG) den Straftatbestand der Geldwasche (§ 261 StGB)"^^. Seitdem wurde der Tatbestand - im Wesentlichen bedingt durch die Erweiterung des Vortatenkatalogs als auch durch dessen Anpassung an geanderte Bezugsstraftatbestande - mehrfach geandert"^^. § 261 StGB zielt darauf ab, das Einschleusen von Vermogensgegenstanden aus organisierter Kriminalitat (OK) und verwandten Erscheinungsformen in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf zu verhindern^^. Die Strafverfolgungsbehorden sollen in die Lage versetzt werden, die „Geld- bzw. Papierspur" (paper-trail) illegaler Finanzstrome aufnehmen, in die Strukturen der OK eindringen und deren Nerv durch Entziehung ihrer Gewinne treffen zu konnen. Obwohl die Bekampfung der OK Anlass zur Schaffung des Geldwaschetatbestandes war, reicht der in § 261 StGB enthaltene Katalog geldwascherelevanter Vortaten inzwischen weit iiber die Straftaten hinaus, die der OK zuzurechnen sind^^. 51 Den Vorgaben des Rahmenbeschlusses zur Geldwaschebekampfung tragt das bestehende Rechtsinstrumentarium vollumfanglich Rechnung. Dies gilt zum einen fiir die in § 261 I bzw. IV StGB vorgesehenen Strafandrohungen (vgl. hierzu die in Art. 2 des Rahmenbeschlusses angeordnete Mindesthochststrafe), als auch fiir die Regelung des § 261 VII StGB iiber Einziehung und Verfall. Der Geldwaschetatbestand ist insoweit in Zusammenschau mit den Vorschriften iiber den erweiterten Verfall (§ 73 d StGB) und dem am 29. November 1993 in Kraft getretenen Gesetz iiber das Aufspiiren von Gewinnen aus schweren Straftaten - Geldwaschegesetz (GwG)^^ - zu sehen. Die erweiterten Verfallsvorschriften dienen der Abschopfung illegalen Vermogens aus dem Wirtschaftskreislauf. Ist der Verfall eines bestimmten Gegenstandes nach der Tat ganz oder teilweise unmoglich geworden, ordnet das Gericht den Verfall eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht (vgl. §§ 73 d II, 73 a, 73 b StGB)^^. Damit erfullt das deutsche Recht auch die in Art. 3 des Rahmenbeschlusses niedergelegte Forderung nach Einfiihrung einer „Wertersatzstrafe".
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BGB1.I1992, 1302. Vgl. hierzu Trondle/F/^c/i^r, § 261 Rn. 1; MiiKoStGB/Neuheuser, § 261 Rn. 17 ff. BT-Drs. 12/989, S. 26; BR-Drs. 507/92, S. 23. Zur Diskussion iiber eine etwa erforderliche teleologische Reduktion des § 261 StGB in Fallen einer Annahme von Strafverteidigerhonoraren, die aus einer Katalogtat des Mandanten herriihren vgl. TrondldFischer, § 261 Rn. 32 ff.; Lackn&v/Kuhl, § 2 6 1 Rn. 5 jew. m. w. N. Der B G H ist diesen Vorschlagen nicht gefolgt (BGHSt 47, 68). Das BVerfG hat jedoch am 30. Marz 2004 geurteilt, dass § 2 6 1 I I Nr. 1 StGB nur dann mit der Verfassung vereinbar sei, wenn der Strafverteidiger bei Annahme des Honorars sichere Kenntnis von dessen illegaler Herkunft aus einer Katalogtat habe (BVerfG N J W 2004, 1305 = StV 2004, 254; vgl. hierzu DahslKrauselWidmaier, NStZ 2004, 261; Wohlers, JZ 2004, 670). B G B 1 I 1 9 9 3 , 1770. Vgl. hierzu Podolsky, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 26. Kap. Rn. 46 ff
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II. Terrorismus 7. Anwendungsbereich Art. 31 lit. e EUV benennt als zweiten Bereich angleichungsfahiger Kriminalitats- 52 formen den Terrorismus. Eine prazise Definition dieses Terminus erweist sich schon deshalb als schwierig, weil sich in den Mitgliedstaaten bislang kein einheitliches Begriffsverstandnis herausgebildet hat und nur wenige Rechtsordnungen einen speziell auf Terrorismus zugeschnittenen Straftatbestand kennen^"^. Unter dem Eindruck der Terroranschlage auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 erhielt die Terrorismusbekampfung in den EU-Mitgliedstaaten eine neue Dynamik^^. Es bestand Einigkeit dartiber, dass der massiven Bedrohung der internationalen Gemeinschaft durch starker aufeinander abgestimmte strafrechtliche MaBnahmen entgegenzuwirken sei. Der Europaische Rat stellte am 21. September 2001 einen Aktionsplan auf, der einen MaBnahmenkatalog zur Verbesserung der PJZS und zur Finanzierung der Terrorismusbekampfung beinhaltete^^. Noch im Dezember 2001 nahm der Rat einen gemeinsamen Standpunkt iiber die Bekampfung des Terrorismus^^ an und einigte sich auf der Basis eines Kommissionsvorschlages^^, der auch Definitionsansatze des Volkerrechts beriicksichtigte, am 6. Dezember 2001 auf einen Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekampfung. Die in Art. 1 des Rahmenbeschlusses enthaltene Definition des Begriffs „Terrorismus" (Rn. 57) bietet als Ausdruck einer gemeinsamen Rechtsiiberzeugung eine wesentliche Auslegungshilfe fiir die Bestimmung des Anwendungsbereiches des Art. 31 lit. e EUV^^. Nach den Anschlagen von Madrid am 11. Marz 2004 wurden ein EU-Koordinator zur Terrorismusbekampfung ernannt und sieben strategische Ziele fiir den iiberarbeiteten Aktionsplan formuliert^°. 2, Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekampfung Am 13. Juni 2002 hat der Rat einen Rahmenbeschluss zur Terrorismusbe- 53 kampfung angenommen, der am 23. Juni 2002 in Kraft getreten ist^^ Die Bekampfung des Terrorismus war bereits Thema beim Europaischen Rat von Tampere (1999) und beim Europaischen Rat von Santa Maria da Feira (2000). Nach der gemeinsamen Uberzeugung aller Mitgliedstaaten stellt der Terrorismus eine schwerwiegende und ernsthafte Verletzung der Grundfreiheiten, der MenschenVgl. hierzu die Begriindung zum Vorschlag der Kommission fiir einen Rahmenbeschluss zur Bekampfung des Terrorismus; KOM (2001) 5121 endg., S. 6 ff und v.Bubnoff^NJW 2002,2672. Vgl. zu den Moglichkeiten einer Antiterrorismusgesetzgebung der EU v. Bubnojf, NJW 2002, 2672 ff. und Gusy, GA 2005, 215 ff 56 Ratsdokument SI (2001) 990, vgl. hierzu Gusy, GA 2005, 215 ff. 57 ABIEG 2001 Nr. L 344, S. 90. 58 KOM (2001) 5121 endg., S. 3 ff 59 v. d. Groeben/Schwarze/Wa^me/er, Art. 31 EUV Rn. 60. 60 Amhos, IntStR, § 12 Rn. 11 m. w. N. 61 ABIEG 2002, L 164, S. 3.
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rechte sowie der Grundsatze von Freiheit und Demokratie dar. Bestimmungen zur Terrorismusbekampfung sind bereits in mehreren Rechtsakten der EU-Mitgliedstaaten enthalten^^. Hierzu zahlen: 54 - das Europol-tibereinkommen nach den Anderungen aufgrund des Beschlusses des Rates v. 3. Dezember 1998 (Auftrag an Europol, sich mit Straftaten zu befassen, die im Rahmen von terroristischen Handlungen gegen Leben, korperliche Unversehrtheit, personliche Freiheit sowie gegen Sachen begangen wurden oder begangen werden konnten)^^, - die Gemeinsame MaBnahme 96/610/JI betreffend die Erstellung eines Verzeichnisses der besonderen Fahigkeiten und Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Terrorismusbekampfung, mit dem die Zusammenarbeit zwischen den EUMitgliedstaaten bei der Terrorismusbekampfung erleichtert werden solP"^, - die Gemeinsame MaBnahme 98/428/JI v. 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europaischen Justiziellen Netzes (EJN), das laut Art. 2 Befugnisse in Bezug auf terroristische Straftaten hat^^, - die Gemeinsame MaBnahme 98/733/JI v. 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der EU^^, - die Empfehlung des Rates v. 9. Dezember 1999 betreffend die Bekampfung der Finanzierung von terroristischen Gruppierungen^^. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 55 Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, einen unionsweit einheitlichen strafrechtlichen Besitzstand zur Bekampfung des Terrorismus zu schaffen, der die Bildung „sicherer Hafen" fiir Terroristen ausschlieBt. Der Rahmenbeschluss zielt daher auf eine Angleichung der mitgliedstaatlichen Strafbestimmungen ab, indem er Mindestvorschriften tiber die Tatbestandsmerkmale terroristischer Handlungen und die anzudrohenden Strafen festlegt, welche die Schwere dieser Straftaten widerspiegeln. Er findet Anwendung auf terroristische Straftaten, - die in einem Mitgliedstaat begangen oder vorbereitet wurden, - die von einem Staatsangehorigen eines Mitgliedstaates oder zu Gunsten einer juristischen Person, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat hat, begangen wurden oder - die gegen die Institutionen oder die Bevolkerung eines Mitgliedstaats begangen wurden.
62 Ausfiihrlich hierzu Ambos, IntStR, § 12 Rn. 12 ff ABlEG1999Nr. C26,S.22.
63
64
ABIEG 1996 Nr. L 273, S. 1.
65 66 67
ABIEG 1998 Nr. L 191, S. 4. ABIEG 1998 Nr.L 351,8. 1. ABIEG 1999 Nr. C 373, S. 1.
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV
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b) Wesentlicher Inhalt Der Rahmenbeschluss erlegt den Mitgliedstaaten umfangreiche Ponalisierungs- 56 pflichten auf: (1) Nach Art. 1 hat jeder Mitgliedstaat die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die unter lit. a-i aufgefuhrten, nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Straftaten definierten vorsatzlichen Handlungen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine Internationale Organisation ernsthaft schadigen konnen, als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, die Bevolkerung auf schwerwiegende Weise einzuschiichtern, offentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstoren: a) Angriffe auf das Leben einer Person, die zum Tode fiihren konnen, b) Angriffe auf die korperliche Unversehrtheit einer Person, c) Entfuhrung oder Geiselnahme, d) schwerwiegende Zerstorungen an einer Regierungseinrichtung oder einer offentlichen Einrichtung, einem Verkehrsmittel, einer Infrastruktur einschlieBlich eines Informatiksysterns, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zuganglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefahrden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten fiihren konnen, e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen offentlichen Verkehrs- bzw. Giitertransportmitteln, f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beforderung, Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, atomaren, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit biologischen und chemischen Waffen, g) Freisetzung gefahrlicher Stoffe, Herbeifuhren von Branden, tJberschwemmungen oder Explosionen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefahrdet wird, h) Storung oder Unterbrechung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natiirHchen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen gefahrdet wird, i) Drohung, eine der in lit. a-h genannten Straftaten zu begehen. Als terroristische Straftaten geahndet werden somit Straftaten, die mit dem Vor- 57 satz begangen werden, die Bevolkerung einzuschiichtern und die politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Strukturen dieses Landes ernsthaft zu schadigen oder zu zerstoren (namentlich Mord, Korperverletzung, Geiselnahme, Erpressung, Herstellung von Waffen, Anschlage, Anfiihren einer terroristischen Vereinigung usw.)^^. Die vorgenannten Straftaten konnen von einer Einzelperson oder ei-
Vgl. hierzu v. Bubnojf, NJW 2002, 2672, 2673.
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ner Vereinigung begangen werden und gegen ein Land oder mehrere Lander gerichtet sein. 58 (2) Nach Art. 2 II muss jeder Mitgliedstaat dafiir sorgen, dass die nachstehenden vorsatzlichen Handlungen unter Strafe gestellt werden: a) Anfiihren einer terroristischen Vereinigung, b) Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschlieBlich Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tatigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beitragt. 59 Der Rahmenbeschluss definiert eine „terroristische Vereinigung" in Art. 2 I als einen auf langere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Der Begriff „organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht nur zufallig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise formlich festgelegte RoUen fiir seine Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgepragte Struktur hat. 60 (3) Bestimmte Delikte (Diebstahl, Erpressung, Urkundendelikte), die mit dem Ziel einer terroristischen Aktivitat begangen werden, sind nach Art. 3 lit. a-c unter Strafandrohung zu stellen. Ferner muss gem. Art. 4 die Strafbarkeit der Anstiftung, der Mittaterschaft und des Versuchs gewahrleistet werden. 61 (4) Durch Art. 5 I werden die Mitgliedstaaten zur Festlegung bestimmter Sanktionen verpflichtet. Straftaten nach Art. 1-4 miissen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht werden, die zu einer Auslieferung fiihren konnen. Terroristische Straftaten i. S. d. Art. 1 I und i. S. d. Art. 4, soweit sie sich auf terroristische Straftaten beziehen, miissen nach Art. 5 II mit hoheren Freiheitsstrafen bestraft werden konnen, als nach dem innerstaatlichen Recht fiir solche Straftaten ohne den nach Art. 1 I erforderlichen besonderen Vorsatz vorgesehen sind, es sei denn, die vorgesehenen Strafen stellen bereits die nach innerstaatlichem Recht moglichen Hochststrafen dar. 62 (5) Dariiber hinaus muss nach Art. 7, 8 jeder Mitgliedstaat gewahrleisten, dass auch juristische Personen fiir eine der in Art. 1-4 genannten Straftaten verantwortlich gemacht werden konnen und gegen diese ggf. wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen (auch nichtstrafrechtliche Geldsanktionen und andere Sanktionen) verhangt werden konnen, z. B. - MaBnahmen des Ausschlusses von offentlichen Zuwendungen oder Hilfen, - MaBnahmen des voriibergehenden oder standigen Verbots der Ausiibung einer Handelstatigkeit, - richterliche Aufsicht, - richterlich angeordnete Auflosung, - voriibergehende oder endgiiltige SchlieBung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden.
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV
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(6) Spezielle Regelungen zur Gerichtsbarkeit und Strafverfolgung sind in Art. 9 63 enthalten. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, die erforderlichen MaBnahmen zu ergreifen, um: - ihre gerichtliche Zustandigkeit im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten zubegriinden, - ihre gerichtliche Zustandigkeit zu begriinden, wenn sie sich weigern, eigene Staatsangehorige auszuHefern, - ihr Vorgehen zu koordinieren, wenn mehrere Mitgliedstaaten zustandig sind, - sachdienliche Hinweise auszutauschen (hierzu sind entsprechende operationelle Anlaufstellen zu benennen). c) Deutsches Strafrecht Die deutsche Strafrechtsordnung enthalt zahlreiche Straftatbestande, die auf terro- 64 ristische Handlungen der in Art. 1 I des Rahmenbeschlusses beschriebenen Art Anwendung finden und die den von Art. 5 vorgeschriebenen Sanktionierungspflichten in ausreichender Weise Rechnung tragen diirften. Zu denken ist vor allem an Volkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 6, 7 VStGB), Kriegsverbrechen (Art. 8-12 VStGB), Totungs- und Korperverletzungsdelikte (§§ 211, 212, 221, 223, 224, 226, 227 StGB), Freiheitsdelikte (§§ 239 I, IV, 239 a, 239 b StGB), gemeingefahrliche Delikte (§§306-306 c, 306 f-311, 313, 314, 315-315 b, 316 b-318, 330, 330 a StGB), Delikte gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates (§§ 81-83, 87, 88 StGB), VerstoBe gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (vgl. insbesondere die Verbrechenstatbestande der §§ 19-20 a KWKG) sowie gegen das Waffen- und Sprengstoffrecht (§§ 51-52 WaffG, §§ 40, 42 SprengG). Das von Art. 2 II aufgestellte Ponalisierungsgebot (Schaffung von Organisa- 65 tionsdelikten) wird von §§ 129 a, 129 b StGB erfiillt®^. Durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates v. 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekampfung v. 22. Dezember 2003''° wurde § 129 a StGB neu gefasst, erweitert und mit rahmenbeschlusskonformen (angehobenen) Strafandrohungen versehen''^ Diese Tatbestande ermoglichen Zugriffe der Strafverfolgungsbehorden im Vorund logistischen Umfeld terroristischer Straftaten, also unabhangig von deren konkreter Ausfiihrung''^. Fiir kriminelle oder terroristische Vereinigungen, die zumindest eine Teilorganisation innerhalb eines EU-Mitgliedstaates aufweisen, gelten die §§ 129, 129 a StGB gem. § 129 b I S. 1 StGB uneingeschrankt. Auf Vereinigungen auBerhalb der EU sind die §§ 129, 129 a StGB nur dann anzuwenden, wenn die Beteiligungstat entweder im Inland begangen wird, wenn der Tater oder ^^ Eine rahmenbeschlusskonformen Auslegung des „Vereinigungsbegriffs" i. S. d. §§129 ff. StGB wird aufgezeigt von v. Heintschel-Heinegg, Schroeder-FS, S. 799, 805 ff. und Krefi, JA 2005, 220, 223 ff ™ BGBl. 12003, 2836. 71 TxondXdFischer, § 129 a Rn. 1; krit. hierzu Konig, NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 57, 58. V. Bubnojf, NJW 2002, 2672, 2673, 2675 ff
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das Opfer Deutscher ist oder sich Tater oder Opfer im Inland befinden''^. Juristische Personen unterfallen nach § 30 I OWiG einer buBgeldrechtlichen Verantwortlichkeit, was nach Art. 8 des Rahmenbeschlusses ausreicht. Gegen Vereine, deren Zwecke oder Tatigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und die daher nach § 3 VereinsG verboten sind, ist von der zustandigen Behorde (Bundes- oder Landesinnenminister) eine Verbots- und Auflosungsverfiigung zu treffen. 3. Rahmenbeschluss iiber gemeinsame Ermittlungsgruppen 66 Die oben behandelte materiellrechtliche HarmonisierungsmaBnahme zur Bekampfung des Terrorismus wird durch eine weitere MaBnahme erganzt, die in erster Linie auf eine Effektivierung der grenziiberschreitenden Zusammenarbeit bei der Ermittlung und Aufklarung terroristischer Straftaten abzielt, aber auch in sonstigen Bereichen der internationalen Kriminalitat Anwendung finden kann. Der am 20. Juni 2002 in Kraft getretene Rahmenbeschluss des Rates v. 13. Juni 2002 iiber gemeinsame Ermittlungsgruppen'''^ sieht vor, dass die zustandigen Ermittlungsbehorden von zwei oder mehr Mitgliedstaaten fiir einen bestiromten Zweck und einen begrenzten Zeitraum, der im gegenseitigen Einvernehmen verlangert werden kann, eine gemeinsame Ermittlungsgruppe zur Durchfiihrung strafrechtlicher Ermittlungen in einem oder mehreren der an der Gruppe beteiligten Mitgliedstaaten bilden konnen. 67 Das Ersuchen um Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe kann von jedem der betroffenen Mitgliedstaaten gestellt werden. Die Gruppe wird in einem der Mitgliedstaaten gebildet, in dem die Ermittlungen voraussichtlich durchzufiihren sind. Eine gemeinsame Ermittlungsgruppe kann im Wege einer zwischenstaatlichen Vereinbarung insbesondere gebildet werden, a) wenn in dem Ermittlungsverfahren eines Mitgliedstaats zur Aufdeckung von Straftaten schwierige und aufwandige Ermittlungen mit Beziigen zu anderen Mitgliedstaaten durchzufiihren sind, b) wenn mehrere Mitgliedstaaten Ermittlungen zur Aufdeckung von Straftaten durchfiihren, die infolge des zugrunde liegenden Sachverhalts ein koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen in den beteiligten Mitgliedstaaten erforderlich machen.
73
Krit. hierzu TrondldFischer, § 129 b Rn. 7 ff; Krefi, JA 2005, 220, 226 ff. ^4 ABIEG 2002 Nr. L 162, S. 1. Der Rahmenbeschluss tritt auBer Kraft, sobald das Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EURtF; vgl. § 12 Rn. 7) in alien Mitgliedstaaten in Kraft getreten ist.
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV
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III. Illegaler Drogenhandel 1. Anwendungsbereich Die strafrechtliche Bekampfung des illegalen Drogenhandels gehorte von Anfang 68 an zu den zentralen Zielen der EU. Bereits am 17. Dezember 1996 nahm der Rat im Rahmen der ZBJI aufgrund von Art. K.3 EUV (i. d. F. des Vertrags von Maastricht) die Gemeinsame MaBnahme 96/750/JI betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften und der Verfahren der Mitgliedstaaten der EU zur Bekampfung der Drogenabhangigkeit und zur Verhiitung und Bekampfung des illegalen Drogenhandels''^ an. Nach Art. 1 der Gemeinsamen MaBnahme „bemiihen sich (die Mitgliedstaaten), ihre Rechtsvorschriften einander anzugleichen, um sie aufeinander abzustimmen, soweit dies zur Verhiitung und Bekampfung des illegalen Drogenhandels in der Europaischen Union erforderlich ist". Nach MaBgabe von Art. 4 tragen die Mitgliedstaaten dafur Sorge, dass „ini Rahmen ihrer Rechtsordnungen die Sanktionen fiir schwere Delikte im Bereich des Drogenhandels zu den strengsten Strafen fiir vergleichbar schwere Straftaten gehoren". Des Weiteren verabschiedete der Rat mit der EntschlieBung v. 20. Dezember 69 1996 iiber die Ahndung von schweren Straftaten im Bereich des unerlaubten Drogenhandels''^ ein weiteres Rechtsinstrument, in dem die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, sicherzustellen, dass „ihre nationalen Rechtsvorschriften fiir schwere Drogendelikte die Moglichkeit von Freiheitsstrafen vorsehen, die im Bereich der hochsten Freiheitsstrafen liegen, die das nationale Strafrecht fiir vergleichbar schwere Verbrechen vorsieht". Als Einrichtungen der praktischen Zusammenarbeit bei der Drogenbekampfung auf EU-Ebene spielen insbesondere Europol (§ 5 Rn. 61) und die Europaische Drogenbeobachtungsstelle CELAD (§ 5 Rn. 29) eine herausragende RoUe. Auch in Art. 29 EUV wird die Verhiitung und Bekampfung des illegalen 70 Drogenhandels als zentrales Unionsziel hervorgehoben. Nach Art. 31 lit. e EUV schlieBt das gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der PJZS auch die schrittweise Annahme von MaBnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in dem Bereich des illegalen Drogenhandels ein. DemgemaB hat der Rat am 25. Oktober 2004 auf Vorschlag der Kommission'''' einen Rahmenbeschluss zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels angenommen''^. Dort findet sich eine konsensfahige Ausdeutung des Begriffs „illegaler Drogenhandel", die wesentliche Elemente der in dem UN-SuchtstoffUbK v. 20. Dezember 1988''^ und in einzelstaatlichen Vorschriften enthaltenen Begriffsbe-
75
ABIEG 1996 Nr. L 342, S. 6.
76 77 78
ABIEG 1997 Nr. C 10, S. 3. A B I E G 2001 Nr. C 304 E, S. 172. A B I E G 2004 Nr. L 335, S. 8.
79
Vgl. das deutsche Ratifikationsgesetz v. 22. JuH 1993; BGBl. I I 1 9 9 3 , 1136.
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stimmungen aufnimmt. Diese kann als wichtiger Ansatz zur Bestimmung des Anwendungsbereiches des Art. 31 lit. e EUV herangezogen werden®°. 71 Dem Kriminalitatsbereich ^iU^S^lcr Drogenhandel" zuzuordnen sind gem. Art. 2 I RE folgende vorsatzliche Handlungen, wenn sie ohne Berechtigung vorgenommen werden: - Gewinnen, Herstellen, Ausziehen, Zubereiten, Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Verkaufen, Liefern - gleich zu welchen Bedingungen -, Vermitteln, Versenden - auch im Transit -, Befordern, Einfuhren oder Ausfiihren von Drogen (lit. a); - Anbauen des Opiummohns, des Kokastrauchs oder der Cannabispflanze (lit. b); - Besitzen oder Kaufen von Drogen mit dem Ziel, eine der unter lit. a aufgefiihrten Handlungen vorzunehmen (lit. c); - Das Herstellen, Befordern oder Verteilen von Grundstoffen in der Kenntnis, dass sie der illegalen Erzeugung oder Herstellung von Drogen dienen (lit. d). 2. Rahmenbeschluss zur Bekampfung des illegalen Drogenhandels 72 Der am 12. November 2004 in Kraft getretene Rahmenbeschluss zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels^^ fiigt sich in das von der EU seit 1990 verfolgte Konzept eines umfassenden, multidisziplinar ausgerichteten und integrierten Vorgehens zur Drogenbekampfung ein, das sich auf vier Grundpfeiler stiitzt: Nachfragereduzierung, Verringerung des Angebots und Bekampfung des illegalen Handels, Internationale Zusammenarbeit sowie Koordinierung auf einzelstaatlicher und Unionsebene^^. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 73 Der Rahmenbeschluss beinhaltet Mindestvorschriften liber die Tatbestandsmerkmale der aus Sicht des Rates strafwiirdigen Handlungen im Bereich des illegalen Handels mit Drogen und Grundstoffen, um einen gemeinsamen Ansatz der strafrechtlichen Bekampfung auf EU-Ebene zu ermoglichen. Der nunmehr angenommene Rechtsakt geht in seinen Ponalisierungsvorgaben inhaltlich iiber die EntschlieBung des Rates v. 20. Dezember 1996 iiber die Ahndung von schweren Straftaten im Bereich des unerlaubten Drogenhandels hinaus. Dieser ist mit der Annahme des Rahmenbeschlusses obsolet geworden. Nicht hinfallig wird hingegen die Gemeinsame MaBnahme 96/750/JI v. 17. Dezember 1996 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften und der Verfahren der Mitgliedstaaten der EU zur Bekampfung der Drogenabhangigkeit und zur Verhiitung und Bekampfung des illegalen Drogenhandels. Letztere enthalt namlich zahlreiche weiterhin bedeutsame Vorgaben fiir eine verstarkte Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und Justizbehorden bei der Bekampfung des illegalen Drogenhandels. ^° Vgl. hierzu v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 EUV Rn. 59. 81 ABIEG 2004 Nr. L 335, S. 8. 8^ Vgl. hierzu auch den Aktionsplan zur Drogenbekampfung 2000-2004 (Ratsdok. 12553/3/99 Cordrogue 64 REV 3).
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b) Wesentlicher Inhalt (1) In Art. 1 werden einige Zentralbegriffe des Rahmenbeschlusses („Drogen'\ 74 „Grundstoffe", juristische Person") definiert. Diese Begriffsbestimmungen schlieBen detailliertere Definitionen in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht aus. Die Kommission hatte vorgeschlagen, dass der Rahmenbeschluss keine Anwendung finden sollte auf einen Konsumenten, der Drogen zum personlichen Gebrauch illegal produziert, erwirbt oder besitzt und den Konsumenten, der Drogen ohne Gewinnerzielungsabsicht weitergibt^^. Der Rat folgte diesem Vorschlag nur insoweit, als er in Art. 2 II bestimmt, dass Handlungen nach Art. 2 I lit. a (Rn. 71) nicht in den Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses fallen, wenn die Tater sie ausschlieBlich fiir ihren personlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen haben. Dies stellt aber - wie in Erwagungsgrund 4 ausgefiihrt wird - keine Leitlinie des Rates dafiir dar, wie die Mitgliedstaaten solche Falle regeln soUen. Als tauglicher Tater erfasst wird von dem in Art. 2 I lit. a normierten Ponalisierungsgebot somit auch, wer ohne Gewinnerzielungsabsicht Drogen an andere abgibt. Des Weiteren wird der lokale Drogenhandler erfasst, der iiber ein Netz von vor Ort agierenden Dealern verfiigt oder an Personen verkauft, welche auf eigene Rechnung weiterverkaufen. Der Rahmenbeschluss bezieht insbesondere den grenziiberschreitenden Drogenhandel ein. Da die eingesetzten Kommunikationsmittel nicht prazisiert werden (z. B. Telefon, Fax, Internet), wird auch der iiber die neuen Informations- und Kommunikationstechniken laufende Handel einbezogen. (2) Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die in Art. 2 lit. a - d beschriebenen 75 Handlungen (Rn. 71) einschlieBlich Anstiftung und Beihilfe hierzu sowie den Versuch unter Strafe zu stellen (Art. 3 I). Von einer Ponalisierung des Versuchs des Anbietens, Zubereitens sowie des Erwerbs von Drogen konnen die Mitgliedstaaten nach eigenem Ermessen absehen (Art. 3 II). (3) Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 4 I sicherzustellen, dass die in 76 den Art. 2 und 3 genannten Straftaten mit wirksamen, verhaltnismaBigen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen bedroht sind. Straftaten i. S. d. Art. 2 sind mit Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens einem bis drei Jahren zu ahnden. Fiir Straftaten i. S. d. Art. 2, die eine groBe Menge von Drogen oder die gesundheitsschadhchsten Drogen betreffen oder bei mehreren Personen zu schweren Gesundheitsschaden gefiihrt haben, muss im nationalen Recht eine Mindesthochststrafe von fiinf bis zehn Jahren angedroht werden (Art. 4 II). Werden die genannten Straftaten im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemaB der Definition in der GM 98/733/JI v. 21. Dezember 1998^^ begangen, sind Mindesthochststrafen von zehn Jahren vorzusehen (Art. 4 III). Ferner muss die Einziehung der Substanzen, die Gegenstand des illegalen Drogenhandels waren, der Tatwerkzeuge und Vermogensgegenstande sowie der direkt oder indirekt durch den Handel erzielten Ertrage oder Vorteile ermoglicht werden (Art. 4 V).
83 84
ABIEG 2001 Nr. C 304 E, S. 172 ff. ABIEG 1998 Nr.L 351,8.1.
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77 (4) Nach Art. 5 konnen die die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um die in Art. 4 genannten Strafen zu mildern, wenn sich der Straftater von seinen kriminellen Aktivitaten lossagt und den zustandigen Behorden zu Ermittlungs- oder Beweiserhebungszwecken sachdienliche Hinweise iiber die Identitat anderer Straftater liefert oder zur Identifizierung von Drogennetzen beitragt. 78 (5) Die Verantwortlichkeit juristischer Personen fiir die in Art. 2 und 3 genannten Straftaten ist nach MaBgabe der Art. 6 und 7 sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten haben zu gewahrleisten, dass gegen eine verantwortliche juristische Person wirksame, verhaltnismaBige und abschreckende Strafen verhangt werden konnen, die Geldstrafen und andere, insbesondere folgende Sanktionen einschlieBen: a) Ausschluss von steuerlichen oder sonstigen Vorteilen oder offentlichen Zuwendungen, b) voriibergehendes oder standiges Verbot der Ausiibung einer gewerblichen Tatigkeit, c) richterliche Aufsicht, d) richterlich angeordnete Auflosung, e) voriibergehende oder endgiiltige SchlieBung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden, f) Einziehung von Vermogensgegenstanden, die der Straftat entstammen, sowie von Ertragen und Vorteilen, die direkt oder indirekt durch die Straftat erzielt werden. 79 (6) Jeder Mitgliedstaat ergreift nach Art. 8 I die erforderlichen MaBnahmen, um seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf die in Art. 2 und 3 genannten Straftaten zu begriinden, wenn diese a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet, b) von einem seiner Staatsangehorigen oder c) zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wurden. c) Deutsches Strafrecht 80 Den in Art. 2-4 des Rahmenbeschlusses vorgesehenen Mindestbestrafungsverpflichtungen tragt das geltende deutsche Strafrecht vollumfanglich Rechnung. Der umfangreiche Tatkatalog der §§ 29-30a BtMG^^ ermoghcht eine flachendeckende und liickenlose Erfassung der verschiedensten Tatbegehungsweisen^^. So wird in § 29 I Nr. 1 BtMG - dem Grundtatbestand des deutschen Betaubungsmittelstrafrechts - der unerlaubte Verkauf und Handel mit Drogen unter Strafandrohung gestellt. Qualifikationen (Verbrechenstatbestande) sind in §§ 29a I, 30 I, 30 a I, II BtMG normiert. Anbau, Produktion, Herstellung, Einfuhr, Ausfuhr, Verteilung, Gesetz liber den Verkehr mit Betaubungsmitteln i. d. F. v. 1. Marz 1994 (BGBl. I 1994, 358; zuletzt geandert durch Art. 15 des Gesetzes v. 21. Juni 2005 (BGBl. 12005, 1818). Vgl. hierzu die umfassende und praxisnahe Kommentiemng von Korner, BtMG.
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Anbieten und Verbringung von Drogen ohne Genehmigung werden von § 29 I Nr. 1 BtMG, besonders schwere Falle dieser Tathandlungen von § 29 III Nr. 1, 2 BtMG erfasst. Ebenfalls strafbar gem. § 29 I Nr. 1 BtmG sind der ungenehmigte Empfang oder Kauf von Betaubungsmitteln („Erwerben" oder „Sichverschaffen in sonstiger Weise")- Der bloBe Besitz von Betaubungsmitteln stellt - ohne dass eine Absicht zur Gewinnerzielung oder Weitergabe vorliegen muss - gem. § 29 I Nr. 3 BtMG eine Straftat dar, wenn der Besitzer iiber keine schriftliche Erlaubnis fiir den Erwerb von Betaubungsmitteln verfiigt. Der Versuch von Taten gem. § 29 I Nr. 1 BtMG ist gem. § 29 II BtMG strafbar („versuchter Besitz" ist als „versuchtes Erwerben oder Sichverschaffen" von §§ 29 I Nr. 1, II BtMG erfasst). Fiir Taterschaft und Teilnahme gelten die allgemeinen Regeln (§§ 25-27 StGB). Die im Katalog des § 29 I Nr. 1-14 BtMG geregelten Handlungen sind mit Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren oder Geldstrafe bedroht, was mit den Rahmenbeschlussvorgaben des Art. 4 I ohne weiteres vereinbar ist. Auch den in Art. 4 II-IV des Rahmenbeschlusses aufgefiihrten erschwerenden 81 Umstanden, die mit einer erhohten Mindesthochststrafe von fiinf bis zehn Jahre Freiheitsstrafe zu bedrohen sind, tragt das geltende deutsche Strafrecht Rechnung: Falle, in denen ein Bezug zur Organisierten Kriminalitat besteht, werden von §§ 30 I Nr. 1, 30 a I BtMG erfasst. Erganzend ist auf § 129 StGB, § 30 b BtMG hinzuweisen. Wenn die Straftat unter Anwendung von Gewalt begangen wurde, liegt ein besonders schwerer Fall gem. § 29 III S. 1 BtMG vor (vgl. auch § 29 III S. 2 Nr. 2 BtMG). Bei Einsatz von Schusswaffen oder gefahrlichen Gegenstanden greift § 30 a II Nr. 2 BtMG ein. Wenn in die Straftat Minderjahrige oder Personen, die nicht ihren Willen ausiiben konnen involviert werden, liegt zumindest ein besonders schwerer Fall gem. § 29 III S. 1 BtMG vor, wenn nicht sogar §§ 29 a I Nr. 1, 30 a II Nr. 1 BtMG Anwendung finden^^. Wird die Straftat innerhalb oder in der Nahe von Schulen, Aufenthaltsorten und Freizeiteinrichtungen fiir Jugendliche oder Einrichtungen zur Behandlung und Wiedereingliederung von Drogenabhangigen begangen, ist ein besonders schwerer Fall gem. § 29 III 1 BtMG anzunehmen^^. Das Gleiche gilt, wenn es sich bei den Tatern um Arzte, Apotheker, Justiz-, Polizei- oder Zollbeamte, Beamte von JustizvoUzugsanstalten oder Diensten zur sozialen Wiedereingliederung, Lehrer, Erzieher oder um in Bildungseinrichtungen tatige Personen, die sich ihre berufliche Stellung zur Begehung der Straftat zunutze gemacht haben^^. Wenn der Tater in einem Mitgliedstaat der EU wegen einer oder mehrerer vergleichbarerer Straftaten rechtskraftig verurteilt wurde, so stellt dies einen von dem Tatgericht nach § 46 II StGB zu beriicksichtigenden, strafscharfend ins Gewicht fallenden Strafzumessungsgrund dar^°. Der nach Art. 5 RB vorzusehenden Strafmilderungsmoglichkeit fiir „kooperati- 82 ve Tater" tragt das deutsche Recht zum einen durch § 31 BtMG Rechnung, der bei bestimmten Taten gem. § 29 BtMG unter gewissen Voraussetzungen ein Absehen
87 88 89
Komer, BtmG, § 29 Rn. 1570. Komer, BtmG, § 29 Rn. 1563. Komer, BtmG, § 29 Rn. 1569.
90
Vgl. nur TvondldFischer,
§ 4 6 Rn. 38.
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von Strafe oder eine Strafmildemng erlaubt^^. Aber auch wenn die Voraussetzungen des § 31 BtMG nicht vorliegen, kann die Aufklarungsbereitschaft des Taters bei der Strafzumessung zugunsten des Taters ins Gewicht fallen^^. 83 Nach MaBgabe des § 33 I BtMG sind die Bestimmungen liber den erweiterten Verfall (§ 73 d StGB) anzuwenden, d. h., etwaige Gewinne, die im Rahmen der Betaubungsmittelkriminalitat erzielt wurden, sind abzuschopfen^^. Die buBgeldrechtliche Haftung juristischer Personen folgt aus § 30 OWiG. IV. Ausdehnung der Angleichungsbefugnis auf weitere Kriminalitatsfelder 1. Weite Auslegung des Art. 31 lit e EUV 84 Dem Wortlaut nach konnte Art. 31 lit. e EUV so zu verstehen sein, dass nur die dort explizit aufgefiihrten drei Kriminalitatsbereiche (Organisierte Kriminalitat, Terrorismus und illegaler Drogenhandel) als Gegenstand von RechtsangleichungsmaBnahmen im Rahmen der PJZS in Betracht kommen. Doch spricht vieles dafiir, dass die sprachHche Fassung des Art. 31 Ht. e EUV missgliickt ist und von vornherein weiter verstanden werden muss^"^. Darauf deutet bereits Art. 29 EUV hin, der die Bekampfung der - organisierten und nichtorganisierten - Kriminalitat, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegeniiber Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Bestechung und Bestechhchkeit sowie des Betrugs als Unionsziel formuHert. Eine enge Auslegung bedeutete zudem einen offensichtlich nicht beabsichtigten Riickfall hinter den unter der Geltung des Maastrichter Vertrages geschaffenen „acquis communautaire" (Besitzstand). Die ZBJI beinhaltete namlich bereits die Moglichkeit einer iiber die oben genannten drei Kriminalitatsbereiche hinausgehenden Rechtsangleichung^^, von der die Mitgliedstaaten z. B. in dem auf Art. K.3 EUV gestiitzten tJbereinkommen v. 26. Juli 1995 iiber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften^^ (§ 14 Rn. 24 ff.) Gebrauch gemacht haben. 85 In der Praxis wird eindeutig eine weite Auslegung des Art. 31 lit. e EUV zugrunde gelegt. So bezog der Europaische Rat von Tampere in seiner Schlussfolgerung Nr. 48 u. a. auch die sexuelle Ausbeutung von Kindern sowie die Umweltund Computerkriminahtat in die Bereiche ein, auf die sich seiner Uberzeugung nach die „Bemuhungen zur Vereinbarung gemeinsamer Definitionen, Tatbe^^ ^^ 93 94
Vgl. hierzu nur die detailHerte Darstellung von Komer, BtmG, § 31 Rn. 8 ff, 43 ff Vgl. nur TvondltlFischer, § 46 Rn. 66 m. w. N. Komer, BtmG, § 33 Rn. 61 m. w. N. So auch Amhos, IntStR, § 12 Rn. 9; Bose, EU-Kommentar, Art. 31 EUV Rn. 10; GraUizfmWRobert, Art. 31 E U V Rn. 17 f; Satzger, Europa-Delikte, S. 7 1 , 82; SirtinzlSatzger, Art. 31 E U V Rn. 12; v. d. Groeben/Schwarze/Wa^me/er, Art. 31 EUV Rn. 69; a. A. Schmalenberg, Europaisches Umweltstrafrecht, S. 25; Schunemann, GA 2002, 501, 504. 9^ Vgl. v. d. GYOobon/SchwaLTZQ/Wasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 EUV Rn. 18. 96 ABlEG1995Nr. C316,S.49.
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standsmerkmale und Sanktionen" konzentrieren sollen. Der Europaische Rat ging somit auch nach Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages (1999) davon aus, dass eine Strafrechtsangleichung in alien Bereichen zulassig ist, in denen die EU bereits eine gemeinsame Politik entwickelt hat oder die von grenztibergreifender Dimension sind^'^. Aus systematischen und teleologischen Griinden ist die in Art. 31 EUV enthal- 86 tene Eingangsformulierung „Das gemeinsame Vorgehen ... schlieBt ein..." so zu verstehen, dass die unter Buchst. e) aufgefiihrten Kriminalitatsbereiche nicht abschliefiend gemeint, sondern nur exemplarisch hervorgehoben sind. Daraus folgt, dass das Mittel der Strafrechtsangleichung im Rahmen der PJZS grundsatzlich fiir alle Kriminalitatsbereiche zur Verftigung steht, soweit dies zur Erreichung des in Art. 29 EUV formulierten Unionsziels erforderlich ist. Die im Folgenden dargestellten Rahmenbeschltisse betreffend Kinderpornographie, Bestechung im privaten Sektor, Cyber Crime und fremdenfeindlich motivierte Straftaten (Planungsstadium) konnen daher auf Art. 31 lit. e EUV gestiitzt werden. Nicht zu den im Rahmen der PJZS angleichungsfahigen Rechtsmaterien gehort das Umweltstrafrecht (§ 8 Rn. 27)^8. Der am 1. Oktober 2005 in Kraft getretene Rahmenbeschluss des Rates zur Verstarkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekampfung der Verschmutzung durch Schiffe^^ diirfte nicht von der Kompetenznorm des Art. 31 lit. e EUV gedeckt sein''°°. Auch die in einem Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Verstarkung des strafrechtlichen Rahmens zur Ahndung der Verletzung geistigen Eigentums^°^ vorgesehen MaBnahmen sollten - gestiitzt auf Art. 95 EGV - in Form einer Richtlinie erlassen werden (vgl. zu dieser Kompetenzgrundlage § 8 Rn. 40 ff., 49 ff.)^°^. Die Konmiission hat diesen Rahmenbeschlussvorschlag inzwischen zuriickgezogen und am 26. April 2006 einen geanderten Vorschlag fiir eine Richtlinie des EP und des Rates iiber strafrechtliche MaBnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorgelegt^°^.
^^ Vgl. hierzu v. d. Groeben/Schwarze/Wa^me/er, Art. 31 EUV Rn. 68. ^8 EuGH EuZW 2005, 632 ff. = JZ 2006, 307 ff = ZIS 2006, 179 ff = EWS 2005, 454. 99 ABLEG 2005 Nr. L 255, 164. 100 Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt auf eine primarrechtliche Kompetenzgrundlage (Art. 80 II EGV) gestutzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 8 (Anhang). 101 KOM (2005) 276 endg.; vgl. 102 Zu dem strafrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums in Deutschland vgl. Moller, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 15. Kap. Rn. 13 ff und Schulz, Markenstrafrecht, passim. 103 KOM (2006) 168 endg.
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2. Rahmenbeschluss zum strafrechtlichen Schutz bargeldloser Zahlungsmittel 87 Mit dem am 3. Juni 2001 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss v. 28. Mai 2001 zur Bekampfung von Betrug und Falschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln^°4 erganzt der Rat entsprechende Aktivitaten verschiedener internationaler Organisationen (z. B. Europarat, G8, OECD, Interpol und UN). a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 88 Der Rat vertritt die Ansicht, dass die Schwere und die wachsende Bedeutung bestimmter Formen des Betrugs mit unbaren Zahlungsmitteln unionsweite strafrechtliche MaBnahmen erforderlich machen. Der Rahmenbeschluss soil deshalb den strafrechtlichen Schutz sog. „ZahIungsinstrumente" in alien Mitgliedstaaten gewahrleisten. Der Begriff des „Zahlungsinstruments" wird in Art. 1 des Rahmenbeschlusses definiert als ein korperliches Instrument mit Ausnahme gesetzlicher Zahlungsmittel (Banknoten und Mlinzen), das aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit allein oder in Verbindung mit einem anderen Zahlungsinstrument den Inhaber/Benutzer in die Lage versetzt. Geld oder einen monetaren Wert zu iibertragen, wie beispielsweise Kreditkarten, Euroscheckkarten oder andere von Finanzinstituten herausgegebene Karten, Reiseschecks, Euroschecks, andere Schecks und Wechsel, die beispielsweise durch ihr Design, eine Kodierung oder eine Unterschrift gegen Falschung oder betrugerische Verwendung geschiitzt sind. b) Wesentlicher Inhalt 89 (1) Der Rahmenbeschlusses erstellt in Art. 2 einen Katalog verschiedener Verhaltensweisen, die in alien Mitgliedstaaten als Straftaten einzustufen sind. Bei den Handlungen wird danach unterschieden, ob sie das Zahlungsinstrument selbst betreffen oder die Herstellung desselben, ob sich die Tat auf ein Zahlungsgeschaft oder mehrere Zahlungsgeschafte richtet oder aber auf die Schritte der Auftragserteilung, der Einziehung des Betrags, der Bearbeitung, Verrechnung und Leistung der Zahlung. Im Einzelnen geht es um folgende vorsatzliche Verhaltensweisen, die zumindest hinsichtlich Kreditkarten, Euroscheckkarten, andere von Finanzinstituten herausgegebene Karten, Reiseschecks, Euroschecks, andere Schecks und Wechsel unter Strafe gestellt werden miissen: a) Diebstahl oder eine andere widerrechtliche Aneignung eines Zahlungsinstruments, b) Falschung oder Verfalschung eines Zahlungsinstruments zum Zwecke betriigerischer Verwendung, c) Annehmen, Sichverschaffen, Transportieren, Verkauf oder Weitergabe an eine andere Person oder Besitz von gestohlenen oder in anderer Weise widerrechtlich angeeigneten oder ge- oder verfalschten Zahlungsinstrumenten zum Zwecke betriigerischer Verwendung, 104
ABIEG 2001 Nr. L 149, S. 4. Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH v. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgrundlage (Art. 57 II, 95 EGV) gestiitzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 7 (Anhang).
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d) betriigerische Verwendung von gestohlenen oder in anderer Weise widerrechtlich angeeigneten oder ge- oder verfalschten Zahlungsinstrumenten. (2) Von der Ponalisierungspflicht erfasst werden nach Art. 3 auch die Ausfiihrung 90 oder Veranlassung einer Ubertragung von Geld oder monetaren Werten, durch die einer anderen Person ein unzulassiger Vermogensverlust entsteht, mit der Absicht, dem Zuwiderhandelnden oder einem Dritten einen unzulassigen Vermogensvorteil zu verschaffen durch: a) unrechtmaBige Eingabe, Veranderung, Loschung oder Unterdriickung von Computerdaten, insbesondere von Identifikationsdaten oder b) unrechtmaBiges Eingreifen in den Ablauf eines Computerprogramms oder den Betrieb eines Computersystems. (3) Ferner hat jeder Mitgliedstaat nach Art. 4 sicherzustellen, dass die folgenden Verhaltensweisen Straftaten darstellen, wenn sie vorsatzlich begangen wurden: betriigerisches Anfertigen, Annehmen, Sichverschaffen, Verkaufen, Weitergeben an eine andere Person oder Besitzen von Geratschaften, Gegenstanden, Computerprogrammen und anderen Mitteln, die ihrer Beschaffenheit nach zur Begehung der in Art. 2 lit. b beschriebenen Straftaten besonders geeignet sind bzw. von Computerprogrammen, deren Zweck die Begehung einer in Art. 3 beschriebenen Straftaten ist. Es handelt sich hierbei um typische Vorbereitungshandlungen zu den in Art. 2 lit. b und 3 aufgefiihrten Tathandlungen. Die Teilnahme an oder die Anstiftung zu den in Art. 2, 3 und 4 genannten Handlungen oder der Versuch zur Begehung der in Art. 2 lit. a, b und d und in Art. 3 genannten Handlungen ist unter Strafandrohung zu stellen. (4) Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 6-8 fiir diese Straftaten wirksame, verhaltnismaBige und abschreckende Sanktionen gegen natiirliche bzw. juristische Personen vorzusehen, die zumindest in schweren Fallen auch Freiheitsstrafen einschlieBen. (5) Jeder Mitgliedstaat ergreift nach Art. 9 I die erforderlichen MaBnahmen, um seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf die im Rahmenbeschluss genannten Straftaten zu begrtinden, wenn diese a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet, b) von einem seiner Staatsangehorigen oder c) zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wurden.
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c) Deutsches Strafrecht Alle in Art. 2-4 des Rahmenbeschlusses bezeichneten Handlungen sind nach deut- 95 schem Strafrecht unter Strafe gestellt und mit rahmenbeschlusskonformen Sanktionen bedroht^^^. Der Umsetzung des Rahmenbeschlusses dienen insbesondere
Vgl. hierzu Knierim, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 8. Kap. Rn. 128 ff; Rumpe, JA 2004,424.
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die neu gefassten §§ 152 a, 152 b StGRioe, in Betracht kommen §§ 242 ff., 246 StGB fiir Handlungen nach Art. 2 lit. a (Diebstahl oder andere widerrechtliche Aneignung eines Zahlungsinstruments); §§ 267 ff., § 151 Nr. 5 StGB i. V. m. §§ 146, 147, 149 StGB, §§ 152 a I Nr. 1, 152 b StGB fiir Handlungen nach Art. 2 lit. b (Falschung oder Verfalschung eines Zahlungsinstruments zum Zwecke betriigerischer Verwendung); §§ 259 ff., 152 a I Nr. 2 StGB fiir Handlungen nach Art. 2 lit. c (Annehmen, Sichverschaffen, Transportieren, Verkauf oder Weitergabe an eine andere Person oder Besitz von gestohlenen oder in anderer Weise widerrechtlich angeeigneten oder ge- oder verfalschten Zahlungsinstrumenten zum Zwecke betriigerischer Verwendung); §§ 263, 263 a, 152 a I Nr. 2, 266 b StGB fiir Handlungen nach Art. 2 lit. d (betriigerische Verwendung von gestohlenen oder in anderer Weise widerrechtlich angeeigneten oder ge- oder verfalschten Zahlungsinstrumenten). Die in Art. 3 genannten Handlungen (Datenmanipulationen und Einwirken auf den Ablauf eines Computerprogramms) werden von §§ 263 a, 303 a, 303 b, 269, 274 I Nr. 2 StGB erfasst. Vorbereitungshandlungen der in Art. 4 beschriebenen Art (betriigerisches Anfertigen, Annehmen, Sichverschaffen, Verkaufen, Weitergeben an eine andere Person oder Besitzen von Geratschaften, Gegenstanden, Computerprogrammen und anderen Mitteln, die ihrer Beschaffenheit nach zur Begehung der in Art. 2 lit. b beschriebenen Straftaten besonders geeignet sind) konnen nach § 152 a I Nr. 2 StGB i. V. m. § 149 I StGB sowie als strafbare Beihilfe zu den oben aufgefiihrten Urkunden-, Falschungs- und Computerdelikten strafbar sein. Gegen juristische Personen kann nach MaBgabe des § 30 OWiG ein BuBgeld verhangt werden. 3. Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Kinderpornographie 96 Der auf Art. 29, 31 lit. e EUV gestiitzte Rahmenbeschluss des Rates v. 22. Dezember 2003 zur Bekampfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie^°^, der am 21. Januar 2004 in Kraft getreten ist, tragt der Forderung nach Ergreifung legislativer MaBnahmen zur Bekampfung bestimmter Formen der gegen Kinder gerichteten Kriminalitat Rechnung, die im Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmoglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags liber den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in den Schlussfolgerungen des Europaischen Rates von Tampere und in der EntschlieBung des EP v. 11. April 2000 erhoben wurde. Die im Rat vertretenen Mitgliedstaaten sind sich dariiber einig, dass die sexuelle Ausbeutung von Kindern und die Kinderpornographie schwere VerstoBe gegen die Menschenrechte und das Grundrecht des Kindes auf eine harmonische Erziehung und Entwicklung darstellen. Sie halten es daher fiir erforderlich, der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie durch ein umfassendes Konzept zu begegnen, in dem die alien Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundelemente des Strafrechts, darunter wirksame, verhaltnismaBige und ab106 35. StAG V. 22. Dezember 2003 (BGBl. I 2003, S. 2838); vgl. hierzu Tvondlc/Fischer, § 152 a Rn. 1, § 152 b Rn. 1; SchonldSchiodQr/Stree/Sternberg-Lieben, § 152 a Rn. 1. 107 ABlEG2004Nr.L13,S.44.
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schreckende Sanktionen, zusammen mit einer moglichst breiten justiziellen Zusammenarbeit einen festen Bestandteil bilden. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses Der Rahmenbeschluss verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erlass strafrechtlicher 97 Bestimmungen zur Bekampfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie und legt zu diesem Zweck gemeinsame Defmitionen, Tatbestandsmerkmale und Sanktionen fesf°^. Diese MaBnahme erganzt bereits verabschiedete Instrumente zum Schutz von Kindern, welche die EU seit 1996 eingesetzthat^o^. b) Wesentlicher Inhalt (1) Art. 1 des Rahmenbeschlusses definiert die Begriffe 98 a) „Kind": jede Person unter achtzehn Jahren, b) ^Kinderpornographie": pornographisches Material mit bildlichen Darstellungen aa) echter Kinder, die an einer eindeutig sexuellen Handlung aktiv oder passiv beteiligt sind, einschlieBlich aufreizendem Zur-Schau-Stellen der Genitalien oder der Schamgegend von Kindern, bb) von echten Personen mit kindlichem Erscheinungsbild, die aktiv oder passiv an der genannten Handlung beteiligt sind, oder cc) von realistisch dargestellten, nicht echten Kindern, die aktiv oder passiv an der genannten Handlung beteiligt sind. (2) Art. 2 legt den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, Straftatbestande gegen 99 die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu schaffen. Folgende vorsatzliche Handlungen sind unter Strafe zu stellen: a) Notigung von Kindern zur Prostitution oder zur Mitwirkung an pornographischen Darbietungen oder Gewinnerzielung durch Kinder oder sonstige Ausbeutung von Kindern zu solchen Zwecken, b) Anwerbung von Kindern zur Prostitution oder zur Mitwirkung an pornographischen Darbietungen, c) Vornahme sexueller Handlungen mit einem Kind, soweit aa) Notigung, Gewalt oder Drohungen angewendet werden, bb) Geld oder sonstige Vergiitungen oder Gegenleistungen daftir geboten werden, dass sich das Kind an den sexuellen Handlungen beteiligt, oder cc) eine anerkannte Stellung des Vertrauens, der Macht oder des Einflusses auf das Kind missbraucht wird.
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Vgl. hierzu ausfiihrlich 5d'5^, Schroeder-FS, S. 751 ff. Vgl. hierzu v. d. GroobQu/SchwaTzo/Wasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 EUV Rn. 37.
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100 (3) Nach Art. 3 I sind Straftatbestande gegen Kinderpornographie zu schaffen, welche folgende, widerrechtlich vorgenommene vorsatzliche Handlungen mit Strafe bedrohen, unabhangig davon, ob diese unter Verwendung eines EDVSystems begangen wurden: a) Herstellung von Kinderpornographie, b) Vertrieb, Verbreitung und Weitergabe von Kinderpornographie, c) Anbieten oder sonstiges Zuganglichmachen von Kinderpornographie oder d) Erwerb oder Besitz von Kinderpornographie. 101 (4) Art. 3 II eroffnet den MitgHedstaaten die Moglichkeit, festzulegen, dass die nachstehenden Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornographie keinen Straftatbestand erfiillen: a) Handlungen nach Art. 1 lit. b Ziff. bb) (betrifft echte Personen mit kindlichem Erscheinungsbild) in den Fallen, in denen die echte Person mit kindlichem Erscheinungsbild zum Zeitpunkt der Abbildung in Wirklichkeit 18 Jahre alt oder alter war, b) Handlungen nach Art. 1 lit. b Ziff. aa) und bb) in Fallen der Herstellung und des Besitzes, in denen die abgebildeten Kinder die sexuelle Miindigkeit erreicht, ihre Zustimmung zu der Herstellung und dem Besitz der Bilder gegeben haben sowie die Bilder ausschlieBlich zu ihrer personlichen Verwendung bestimmt sind. Fine Zustimmung wird auch dann, wenn sie nachweislich erteilt wurde, nicht als giiltig betrachtet, wenn beispielsweise hoheres Alter, Reife, Stellung, Status, Erfahrung oder Abhangigkeit des Opfers vom Tater zur Einholung der Zustimmung missbraucht worden sind, c) Handlungen nach Art. 1 lit. b Ziff. cc) (betrifft realistisch dargestellte, nicht echte Kinder) in den Fallen, in denen feststeht, dass das pornographische Material vom Hersteller ausschlieBlich zu seiner personlichen Verwendung hergestellt worden ist und sich ausschlieBlich zu diesem Zweck in seinem Besitz beflndet, soweit zu seiner Herstellung kein pornographisches Material i. S. V. Art. 1 lit. b Ziff. aa) und bb) verwendet wurde und sofern mit der Handlung keine Gefahr der Verbreitung des Materials verbunden ist. 102 (5) Nach Art. 4 I hat jeder Mitgliedstaat sicherzustellen, dass die Anstiftung oder Beihilfe zur Begehung einer Straftat nach den Art. 2 und 3 unter Strafe gestellt wird. Des Weiteren ist gem. Art. 4 II bereits der Versuch der Begehung einer Handlung nach Art. 2 und Art. 3 I lit. a und b mit Strafe zu bedrohen. 103 (6) Nach der in Art. 5 I niedergelegten Sanktionsverpflichtung hat vorbehaltlich des Abs. 4 jeder Mitghedstaat sicherzustellen, dass Straftaten nach den Art. 2, 3 und 4 mit Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens einem bis drei Jahren (Mindesthochststrafen) bedroht werden. Art. 5 II legt einen umfangreichen Katalog erschwerender Umstande dar, bei deren Vorliegen gesetzliche Mindesthochststrafen von fiinf bis zehn Jahren angedroht werden miissen. Als erschwerende Umstande nennt der Rahmenbeschluss - differenzierend nach bestimmten Taten - u. a. die Anwendung von Notigung, Gewalt oder Drohungen, die vorsatzliche oder riicksichtlose Ge^hrdung des Tatopfers oder die Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung. Nach Art. 5 III miissen die
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Mitgliedstaaten dafiir sorgen, dass eine natiirliche Person, die wegen einer Straftat nach den Art. 2, 3 oder 4 verurteilt wurde, voriibergehend oder dauerhaft daran gehindert werden kann, eine die Beaufsichtigung von Kindern einschlieBende berufliche Tatigkeit auszutiben. (7) Die Verantwortlichkeit juristischer Personen flir die in Art. 2, 3 und 4 104 genannten Straftaten ist nach MaBgabe des Art. 6 sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten haben gem. Art. 7 zu gewahrleisten, dass gegen eine verantwortliche juristische Person wirksame, verhaltnismaBige und abschreckende Strafen verhangt werden konnen, die Geldstrafen und andere Sanktionen einschlieBen. (8) Jeder Mitgliedstaat ergreift nach Art. 8 I die erforderlichen MaBnahmen, um 105 seine Gerichtsbarkeit in Bezug auf die im Rahmenbeschluss genannten Straftaten zu begrunden, wenn diese a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet, b) von einem seiner Staatsangehorigen oder c) zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wurden. Des Weiteren sind in Art. 8 III MaBnahmen zur Sicherstellung der Strafverfolgung 106 bei Nichtauslieferung von Staatsangehorigen durch die Mitgliedstaaten und in Art. 9 Bestimmungen iiber den Schutz und die Unterstiitzung der Opfer vorgesehen. Die Mitgliedstaaten miissen den sich aus dem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen bis spatestens 20. Januar 2006 nachkommen (Art. 12 I). c) Deutsches Strafrecht Es ist Aufgabe des deutschen Gesetzgebers, zu priifen, inwieweit die Umsetzung 107 der im Rahmenbeschluss enthaltenen Ponalisierungsverpflichtungen Gesetzesanderungen erforderlich macht^"'°. Zwar beziehen sich die §§ 176-176 b StGB, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, auf Personen unter 14 Jahren, wahrend der Rahmenbeschluss den Schutz von „Kindern" auf alle Personen unter 18 Jahren erstrecken will (vgl. Art. 1 lit. a). Jedoch enthalt das deutsche Strafgesetzbuch zahlreiche Tatbestande zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, die nicht auf das Alter des Opfers abstellen (z. B. §§ 174 a174 c, 177-179, 232, 233a StGB). Fiir den Schutz von Personen unter 18 bzw. 16 Jahren sind ferner §§ 174, 180, 182 StGB einschlagig. Auf im Ausland von Deutschen begangene Straftaten gem. §§ 176-176 b StGB und § 182 StGB („Sextourismus") findet deutsches Strafrecht Anwendung (§ 5 Nr. 8 b StGB). Bestimmungen gegen Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften sind in dem umfangreichen Tatbestandskatalog des § 184 b I Nr. 1-3 StGB enthalten. Da sich die in dieser Strafvorschrift inkriminierten Handlungen auf Darstellungen beziehen, die den sexuellen Missbrauch von Personen unter 14 Jahren zum Gegenstand haben (nationaler Kinderbegriff), stellt sich die Frage, ob das deutsche Strafrecht insoweit den Vorgaben der Art. 3 I i. V. m. Art. 1 lit. a und b des Rahmenbeschlusses geniigt. Immerhin greift fiir sonstige pornographische Schriften § 184IStGBein. 110 Vgl. hierzu Baier, ZUM 2004, 39, 51; Bose, Schroeder-FS, S. 751 ff.
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4, Rahmenbeschluss zur Bekampfung der Bestechung im privaten Sektor 108 Aktivitaten zur Korruptionsbekampfung stehen seit Jahren auf der Agenda internationaler Organisationen (zu den MaBnahmen, die im Rahmen der UN, OECD, des Europarates und der ZBJI ergriffen wurden vgl. § 5 Rn. 6, 13, 22, 58). Art. 29 EUV erklart die Verhtitung und Bekampfung von Bestechung und Bestechlichkeit ausdrticklich zu einem Ziel der EU^^^ Durch den am L August 2003 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss des Rates v. 22. Juli 2003 zur Bekampfung der Bestechung im privaten Sektor^ ^^ werden die bisher auf internationaler Ebene eingesetzten Instrumente erganzt. Der Rahmenbeschluss ersetzt die Gemeinsame MaBnahme 98/42/JI v. 22. Dezember 1998 (ZBJI) betreffend die Bestechung im privaten Sektor^^^. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 109 Die Mitgliedstaaten messen der Bekampfung der Bestechung sowohl im offentlichen als auch im privaten Sektor besondere Bedeutung bei, da nach ihrer Auffassung die Bestechung sowohl im offentlichen als auch im privaten Bereich die Rechtstreue der Gesellschaft gefahrdet, den Wettbewerb im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen verzerrt und eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung hemmt. Mit dem am 22. Juli 2003 erlassenen Rahmenbeschluss soil insbesondere sichergestellt werden, dass in alien Mitgliedstaaten sowohl die Bestechung als auch die Bestechlichkeit im privaten Sektor unter Strafe gestellt wird, dass auch juristische Personen fiir diese Straftaten haftbar gemacht werden konnen und dass die dabei verhangten Strafen wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend sind. Den aus dem Rahmenbeschluss ergebenden Pflichten miissen die Mitgliedstaaten bis zum 22. Juli 2005 nachkommen. b) Wesentlicher Inhalt 110 (1) Art. 1 definiert die Begriffe „juristische Person" und „Pflichtverletzung". In Art. 2 und 3 werden den Mitgliedstaaten Ponalisierungspflichten auferlegt. Jeder Mitgliedstaat muss sicherstellen, dass folgende vorsatzliche Handlungen (einschlieBlich Beihilfe und Anstiftung) Straftaten darstellen, wenn sie im Rahmen von Geschaftsvorgangen ausgefiihrt werden: a) Handlungen, bei denen jemand unmittelbar oder liber einen Mittelsmann einer Person, die fur ein Unternehmen im privaten Sektor in leitender oder sonstiger Stellung tatig ist, einen unbilligen Vorteil fiir diese Person selbst oder fiir einen Dritten verspricht, anbietet oder gewahrt, damit diese Person Hetzer, NJW 2004, 3746 ff.; v. d. GvoQbQn/SchwsirzQ/Wasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 EUV Rn. 42. ABIEG 2003 Nr. L 192, S. 54; vgl. hierzu Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 319 ff. Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH v. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtliche Kompetenzgmndlage (Art. 95 EGV) gestiitzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 8 (Anhang). ABIEG 1998 Nr.L 358, 2.
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unter Verletzung ihrer Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlasst (Bestechung im privaten Sektor), b) Handlungen, bei denen jemand, der in einem Unternehmen im privaten Sektor in leitender oder sonstiger Stellung tatig ist, unmittelbar oder iiber einen Mittelsmann fur sich oder einen Dritten einen unbilligen Vorteil als Gegenleistung dafiir fordert, annimmt oder sich versprechen lasst, dass er unter Verletzung seiner Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlasst (Bestechlichkeit im privaten Sektor). Diese Verpflichtung gilt flir Geschaftsvorgange in Unternehmen mit oder ohne 111 Erwerbszweck (Art. 2 II). Den Mitgliedstaaten wird gestattet, dass sie den Geltungsbereich von Art. 2 I auf Handlungen beschranken, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Wettbewerbsverzerrung zur Folge haben oder haben konnen (Art. 2 III). (2) Nach Art. 4 I muss jeder Mitgliedstaat gewahrleisten, dass die in Art. 2 112 und 3 genannten Handlungen mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen geahndet werden. Die in Art. 2 genannten Handlungen sind mit einer Mindesthochststrafe zwischen einem Jahr und drei Jahren Freiheitsstrafe zu bedrohen (Art. 4 II). Des Weiteren hat nach Art. 4 III jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften und Grundsatzen die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass einer natiirlichen Person, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Geschaftstatigkeit wegen der in Art. 2 genannten Handlungen verurteilt worden ist, - zumindest dann, wenn sie im Rahmen der betreffenden Geschaftstatigkeit in einem Unternehmen eine Fiihrungsposition innehatte - die weitere Ausiibung dieser oder einer vergleichbaren Geschaftstatigkeit in einer ahnlichen Position oder Eigenschaft voriibergehend untersagt werden kann, wenn der festgestellte Sachverhalt eindeutig auf das Risiko schlieBen lasst, dass die betreffende Person ihre Position oder Tatigkeit fiir Bestechung oder Bestechlichkeit missbrauchen konnte. Die Verantwortlichkeit juristischer Personen und ihre Sanktionierung ist nach MaBgabe der Art. 5 und 6 sicherzustellen. (3) Jeder Mitgliedstaat trifft nach Art. 7 die erforderlichen MaBnahmen, um 113 seine Zustandigkeit fur die strafbaren Handlungen nach den Art. 2 und 3 in den Fallen zu begriinden, in denen die Straftat a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet begangen wurde, b) von einem seiner Staatsangehorigen begangen wurde oder c) zugunsten einer juristischen Person begangen wurde, die ihren Sitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hat.
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c) Deutsches Strafrecht 114 Den sich aus dem Rahmenbeschluss ergebenden Ponalisierungs- und Sanktioniemngsverpflichtungen tragt das deutsche Recht bereits vollumfanglich Rechnung. Die Strafbestimmung des § 299 StGB, die durch Art. 1 Nr. 3 des KorrBG v. 13. August 1997^^"^ in das Strafgesetzbuch eingefligt wurde, erfasst in ihrem ersten Absatz die Bestechlichkeit und im zweiten Absatz die Bestechung im geschaftlichen Verkehr. Eine Erweiterung ihres tatbestandlichen Anwendungsbereiches auf Handlungen im auslandischen Wettbewerb (§ 299 III StGB) erfolgte durch Gesetz V. 22. August 2002 zur Ausfiihrung der Gemeinsamen MaBnahme betreffend die Bestechung im privaten Sektor v. 22. Dezember 1998^^5. § 299 StGB tritt an die Stelle des § 12 UWG und beschrankt die Strafbarkeit - nach Art. 2 III rahmenbeschlusskonform - auf Handlungen, die im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Wettbewerbsverzerrung zur Folge haben oder haben konnen. 115 Die als Sonderdelikt ausgestaltete Strafbestimmung schiitzt das AUgemeininteresse an einem freien, lauteren Wettbewerb. Geschtitzt sind auch die Vermogensinteressen der Mitbewerber, vor denen sich der Vorteilsgeber einen Vorsprung verschaffen will^''^. Tater der Bestechlichkeit (§ 299 I StGB) konnen nur Angestellte oder Beauftragte eines geschaftlichen Betriebs - einer auf Dauer angelegten Unternehmung, die auBerhalb des reinen Privatbereichs am Wirtschaftsverkehr durch Austausch von Waren und Dienstleistungen teilnimmt - sein. Als Tater einer - spiegelbildHch zu § 299 I StGB konstruierten - Bestechung (§ 299 II StGB) kommen nur Mitbewerber oder fur ihn handelnde Dritte in Betracht. Gegenstand beider Tatalternativen ist eine Unrechtsvereinbarung, die darauf abzielt, dass der Vorteilsgeber oder ein Dritter von dem Vorteilsnehmer in unlauterer Weise beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen bevorzugt wird. Unlauter ist die Bevorzugung, wenn sie nicht durch sachliche Erwagungen, sondern durch den Vorteil motiviert ist. 116 Fiir besonders schwere Falle der Bestechlichkeit und Bestechung im geschaftlichen Verkehr droht § 300 StGB eine erhohte Mindeststrafe an. Taten nach § 299 StGB werden auf Antrag oder bei Bejahung eines besonderen offentlichen Interesses von Amts wegen verfolgt (§ 301 StGB). Unter den in § 302 StGB geregelten Voraussetzungen finden die Vorschriften iiber den erweiterten Verfall (§ 73 d StGB) Anwendung. Der von Art. 4 III des Rahmenbeschlusses geforderten MaBnahme tragt § 70 StGB (Anordnung eines Berufsverbotes) Rechnung.
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Kormptionsbekampfungsgesetz (KorrBG) v. 13. August 1997 (BGBl. 11997, 2038). 115 BGBl. I 2002, 3387. 116 Trondle/Fischer, § 299 Rn. 2; Schonke/Schroder/Fg/n^, § 299 Rn. 2; LsLcknor/Kuhl, §299Rn. 1.
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5. Rahmenbeschluss iiber Angriffe auf Informationssysteme Die Entwicklung der Computer- und Informationstechnologie hat in den letzten 117 Jahrzehnten zu grundlegenden Veranderungen in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und im privaten Bereich gefiihrt^^^. Elektronische Kommunikationsnetze und Informationssysteme sind mittlerweile ein fester Bestandteil des Alltags der Burger und zudem von grundlegender Bedeutung fiir den nationalen und internationalen Geschaftsverkehr. Netze und Informationssysteme wachsen zusammen und werden immer enger miteinander verkniipft. Neben zahlreichen Vorteilen bieten die eingesetzten Informationssysteme zugleich eine vielfaltige und breite Angriffsflache fiir Manipulationen und schadliche Einwirkungen aller Art. Zur Computerkriminalitat („Cyber Crime") gehoren nach allgemeiner Auffas- 118 sung alle Kriminalitatsphanomene, die unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der elektronischen Datenverarbeitung stehen und unter Einbeziehung einer EDV-Anlage (als Tatmittel und/oder Tatobjekt) begangen werden""^^. Hierzu zahlen namentlich die folgenden Erscheinungsformen: - Computerspionage: unberechtigtes Eindringen in firemde Rechner und Ausforschung fremder Daten („Hacking"), - Computer sabotage: Beschadigung oder Vernichtung von Daten; - Computermanipulation: Datenveranderung mit dem Ziel, das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorganges zu beeinflussen, - Unberechtigte Nutzung von Computern, Programmen, Datentibertragungseinrichtungen und unbefugte Verwertung von Programmen. Da elektronische Informationen in Sekundenbruchteilen jederzeit von einem Ort 119 der Welt an einen beliebigen anderen iibertragen werden konnen, ist die Schaffung eines international einheitlichen Mindeststandards zum Schutz der offenen Informationsgesellschaft unverzichtbar. Unterschiedliche nationale Gesetzgebungen zur Bekampfung der Computerkriminalitat fiihren unweigerlich zur Bildung „sicherer Hafen", von denen aus strafwiirdige Praktiken ohne Strafbarkeitsrisiko begangen werden konnen. Bestrebungen einer internationalen Harmonisierung des Informationsrechts gibt es bereits auf der Ebene der UN, G8-Staaten, OECD, des Europarats und der EG. So beschreibt die Cyber-Crime-Konvention des Europarats v. 23. November 2001^^^ einige Tathandlungen, die innerstaathch unter Strafe gestellt werden sollen und regelt zugleich einige strafprozessuale Fragen. Zu einer Harmonisierung der nationalen Bestimmungen tragt ferner die Daten-
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Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 1. Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 9; v. Bubnojf, ZEuS 2001, 165, 185 f.; Dannecker, BB 1996, 1285; Hilgendorf, JuS 1996, 509 f.; Sieber, CR 1995, 100. ETS Nr. 185; vgl. hierzu Ambos, IntStR, § 10 Rn. 71; Hilgendorf, Harmonisierung des Intemetstrafrechts, S. 257, 268 ff.
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schutzrichtlinie v. 24. Oktober 1995^^° bei, die durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)i2i y 22. Mai 2001 in deutsches Recht transferiert wurde^^i 120 Nach Auffassung des Rates bedrohen Angriffe auf Informationssysteme das Ziel des Aufbaus einer sichereren Informationsgesellschaft und eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Es fanden nachweislich - insbesondere im Rahmen der organisierten Kriminalitat - Angriffe auf Informationssysteme statt und es wachse die Furcht vor Terroranschlagen auf Informationssysteme, die Teil der kritischen Infrastruktur der Mitgliedstaaten seien. Die Bekampfung der organisierten Kriminalitat und des Terrorismus wtirden durch betrachtliche Unterschiede und Diskrepanzen zwischen den einschlagigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten behindert, was eine wirksame polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit erschwere. Da Angriffe auf Informationssysteme hauflg eine grenziiberschreitende Dimension annehmen wiirden, bestehe ein dringender Bedarf an weiteren MaBnahmen zur Angleichung der einschlagigen Strafrechtsvorschriften. Der Rat hat vor dem Hintergrund dieser Lageeinschatzung am 24. Februar 2005 den Rahmenbeschluss iiber Angriffe auf Informationssysteme^^^ angenommen^^^. Der am 16. Marz 2005 in Kraft getretene Rahmenbeschluss geht zu weiten Teilen iiber die Cyber-Crime-Konvention des Europarats hinaus. a) Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses 121 Mit dem vorliegenden Rahmenbeschluss soil innerhalb der EU eine starkere Rechtsangleichung herbeigefiihrt werden, als dies bisher in anderen internationalen Foren moglich war. Die von internationalen Organisationen und insbesondere vom Europarat geleisteten Arbeiten zur Angleichung des Strafrechts sowie die Arbeiten der G8-Staaten zum Thema grenziiberschreitende Zusammenarbeit im Bereich der High-Tech-Kriminalitat soUen durch einen gemeinsamen Ansatz der EU fiir diesen Bereich erganzt werden. Erwagungsgrund (1) formuliert den Anwendungsbereich und das Ziel des Rahmenbeschlusses wie folgt: „Dieser Rahmenbeschluss stellt darauf ab, durch Angleichung der einzelstaatlichen Strafrechtsvorschriften fiir Angriffe auf Informationssysteme die Zusammenarbeit zwischen den Justiz- und sonstigen zustandigen Behorden, einschlieBlich der Polizei und anderen spezialisierten Strafverfolgungsbehorden der Mitgliedstaaten, zu verbessern", 122 Durch eine Mindestangleichung des materiellen Rechts im Bereich der Computerkriminalitat („High-Tech-Kriminalitat") soil sichergestellt werden, dass alle Formen schwerwiegender Angriffe auf Informationssysteme mit Hilfe der nach dem Strafrecht verfiigbaren Techniken und Methoden aufgeklart, verfolgt und ge-
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ABlEG1995Nr.L281,31. BGBLI2001,904. Vgl. Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 8. ABIEG 2005 Nr. L 69. Nach Auffassung der Kommission muss dieser Rechtsakt im Lichte des Urteils des EuGH V. 13. September 2005 (EuZW 2005, 632) auf eine primarrechtHche Kompetenzgrundlage (Art. 95 EGV) gestutzt werden; vgl. KOM (2005) 583 endg., S. 8 (Anhang).
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ahndet werden konnen. Auf diese Weise soli eine hohe Abschreckungswirkung erzielt und die flir die internationale Rechtshilfe erforderliche beiderseitige Strafund Verfolgbarkeitgewahrleistet werden^ ^^. b) Wesentlicher Inhalt (1) Art. 1 des Rahmenbeschlusses prazisiert durch Definitionen zentrale Begriffe 123 des Rechtsaktes. Der Terminus „Informationssystein" (Art. 1 lit. a) wird weit gefasst, um dem Zusammenwachsen der elektronischen Netze und der unterschiedlichen iiber sie verbundenen Systeme Rechnung zu tragen. Er umfasst daher Personal Computer (PC) und elektronische Kommunikationsnetze (,Jnternet") sowie die von ihnen zum Zweck des Betriebs, der Nutzung, des Schutzes und der Pflege gespeicherten, verarbeiteten oder iibertragenen Computerdaten. (2) Nach Art. 2 I („rechtswidriger Zugang zu Informationssystemen") ha- 124 ben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass der vorsatzliche und unbefugte Zugang zu einem Informationssystem oder einem Teil eines Informationssystems zumindest dann unter Strafe gestellt wird, wenn kein leichter Fall vorliegt. Auch die Beihilfe bzw. Anstiftung zur Begehung einer solchen Tat sowie der Versuch sind strafrechtlich zu erfassen (Art. 5 I, II). Die mitgliedstaatliche Ponalisierungspflicht wird jedoch wie folgt relativiert. Art. 2 II gestattet den Mitgliedstaaten zu bestimmen, dass Handlungen nach Art. 2 I nur geahndet werden, sofern sie durch eine Verletzung von SicherheitsmaBnahmen erfolgen. Auch darf nach Art. 5 III jeder Mitgliedstaat davon absehen, den Versuch einer in Art. 2 I beschriebenen Tat unter Strafe zu stellen. Zu den typischen Angriffsformen, auf deren strafrechtliche Bekampfung Art. 2 I abzielt, gehort das ^Hacking"^^^. Hierunter versteht man Handlungen, die darauf gerichtet sind, sich unberechtigt Zugang zu einem Computer oder einem Computernetz zu verschaffen. Hacking kann auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen, z. B. durch bloBe Ausnutzung von InsiderInformationen oder Abfangen von Passwortern. Haufig geschieht dies in der boswilligen Absicht, Daten zu kopieren, zu verandern oder zu zerstoren. Der unbefugte Zugriff kann auch darauf abzielen, Webseiten zu korrumpieren oder sich unentgeltlich Zugang zu zugangskontrollierten Diensten zu verschaffen. Zuweilen geht es dem Hacker aber auch nur darum, durch bloBes „Knacken" eines Codes seine technischen Fertigkeiten unter Beweis zu stellen, ohne weitergehende Ziele (unbefugte Datenverwendung) zu verfolgen (§10 Rn. 90). (3) Nach Art. 3 („rechtswidriger Systemeingriff') sind die nachstehenden 125 vorsatzlichen und unbefugten Handlungen (gem. Art. 5 I, II einschlieBlich Beihilfe, Anstiftung und Versuch) zumindest dann unter Strafe zu stellen, wenn kein leichter Fall vorliegt: schwere Behinderung oder Storung des Betriebs eines Informationssystems durch Eingeben, Ubermitteln, Beschadigen, Loschen, Verstiimmeln, Verandern, Unterdriicken oder Unzuganglichmachen von Computerdaten.
^^^ Vgl. hierzu Hilgendorf, Harmonisierung des Intemetstrafrechts, S. 257, 271 ff. 126 Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 51, 59, 61, 65; Schnabl wistra 2004, 211,212.
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126 (4) Nach Art. 4 („rechtswidriger Eingriff in Daten") sind die nachstehenden vorsatzlichen und unbefugten Handlungen (gem. Art. 5 I, II einschlieBlich Beihilfe, Anstiftung und Versuch) zumindest dann unter Strafe zu stellen, wenn kein leichter Fall vorliegt: Loschen, Verstiimmeln, Verandern, Unterdriicken oder Unzuganglichmachen von Computerdaten eines Informationssystems. 127 Die Moglichkeiten, Informationssysteme durch boswillige Angriffe zu storen, sind auBerst vielfaltig''^''. Eine der bekanntesten Moglichkeiten, die im Internet angebotenen Dienste zu blockieren oder anzugreifen, ist der ,,Denial of Service"Angriff (vergleichbar mit einer Blockade eines Faxgerates durch lange, wiederholte Nachrichten). Mit „Denial of Service"-Attacken wird versucht, Web-Server oder Anbieter von Internetdiensten (ISP) mit automatisch erzeugten Nachrichten zu tiberlasten. Andere Angriffsformen sind beispielsweise die Storung von Servern, die das System der Bereichsnamen (DNS) betreiben, und Angriffe auf Router. Bestimmte bekannte Webseiten (z. B. Portale) haben durch derartige Storangriffe bereits schweren Schaden erlitten. Eine weit verbreitete Form der Computersabotage ist der Einsatz von Software, die Daten verandert oder zerstort („Computerviren" bzw. „Computerwurmer"). Manche dieser Programme schadigen den PC selbst, wahrend andere den PC nur dazu benutzen, andere vernetzte Komponenten anzugreifen. Einige Programme (haufig als „logische Bomben" bezeichnet) „schlummern" so lange, bis sie durch ein Ereignis (wie etwa ein bestimmtes Datum) aktiviert werden und dann Daten verandern oder loschen. Andere, auf den ersten Blick gutartige Programme losen bei Aufruf bosartige Angriffe aus (daher die Bezeichnung „Trojanische Pferde")- Eine weitere Variante sind (haufig als „Wurmer" bezeichnete) Programme, die im Gegensatz zu einem Virus nicht andere Programme infizieren, sondern sich selbst kopieren. Die Kopien kopieren sich immer weiter und tiberschwemmen so letztendlich das gesamte System mit nicht selten schwerwiegenden v^irtschaftlichen Folgeschaden fiir die hiervon betroffenen Betreiber des Informationssystems. 128 (5) Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 6 I verpflichtet, die erforderlichen MaBnahmen zu treffen, um die in Art. 2 bis 5 beschriebenen Straftaten mit wirksamen, verhaltnismafiigen und abschreckenden Strafen bedrohen zu konnen. Fiir Straftaten i. S. d. Art. 3 und 4 sind gem. Art. 6 II Freiheitsstrafen im HochstmaB von mindestens einem bis drei Jahren vorzusehen. Wenn Handlungen i. S. d. Art. 2 II, 3 und 4 im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemaB der Definition in der Gemeinsamen MaBnahme 98/733/JI v. 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europaischen Union''^^ begangen wurden, ist dies gem. Art. 7 I als erschwerender Umstand zu werten, fiir den Mindesthochststrafen von zwei bis fiinf Jahren anzudrohen sind. Nach Art. 7 II konnen die Mitgliedstaaten eine entsprechend erhohte Strafandrohung auch fiir solche Straftaten i. S. d. Art. 2 II, 3 und 4 anordnen, durch die schwere Schaden verursacht oder wesentliche Interessen beeintrachtigt wurden. Zu denken ist in diesem Zusammenhang insbesondere an Falle, in denen einer natiirlichen Person direkt oder indirekt ein erheblicher ^^'^ Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 64 ff. 128 ABIEG 1998 Nr.L 351, S.l.
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wirtschaftlicher Verlust zugefiigt oder ein Teil der kritischen Infrastruktur des Mitgliedstaates erheblich beschadigt wurde. (6) Art. 8 und 9 regelt die Verantwortlichkeit und Sanktionierung von juris- 129 tischen Personen. Jeder Mitgliedstaat muss nach Art. 101 dafiir sorgen, dass seine Verfolgungszustandigkeit fiir strafbare Handlungen nach den Art. 2 bis 5 in den Fallen begriindet ist, sofern diese a) ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet oder b) von einem seiner eigenen Staatsangehorigen oder c) zugunsten einer juristischen Personen, deren Hauptsitz sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates befindet, begangen wurden. Bei der Begriindung der Zustandigkeit gemaB Art. 10 I lit. a muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass sich diese auch auf Falle erstreckt, in denen: a) der Tater die Straftat begeht, wahrend er sich physisch im Hoheitsgebiet dieses Staates aufhalt, unabhangig davon, ob sich die Straftat gegen ein Informationssystem in seinem Hoheitsgebiet richtet, oder b) sich die Straftat gegen ein Informationssystem in seinem Hoheitsgebiet richtet, unabhangig davon, ob der Tater die Straftat begeht, wahrend er sich physisch im Hoheitsgebiet dieses Staates aufhalt. Art. 10 IV gibt den Mitgliedstaaten im Falle einer Mehrfachverfolgungszustan- 130 digkeit auf, gemeinsam zu entscheiden, welcher von ihnen die Strafverfolgung gegen den Tater vornimmt, um das Verfahren nach Moglichkeit auf einen Mitgliedstaat zu konzentrieren. Diese Regelung zielt darauf ab, Jurisdiktionskonflikte zu vermeiden (§2 Rn. 60). Die Mitgliedstaaten miissen den Zielbestimmungen des Rahmenbeschlusses bis zum 16. Marz 2007 nachkommen (Art. 12). c) Deutsches Strafrecht Spezielle Straftatbestande zur Bekampfung der Computerkriminalitat wurden in 131 der Bundesrepublik Deutschland bereits im Jahre 1986 durch das Zweite Gesetz zur Bekampfung der Wirtschaftskriminalitat (2. WiKG)^^^ geschaffen (insbesondere §§ 202 a, 263 a, 269, 270, 271, 303 a, 303 b, 348 StGB). Der Gesetzgeber zog damit die legislatorischen Konsequenzen aus der Erkenntnis, dass die „klassischen" Straftatbestande (z. B. §§267, 263, 303 StGB) nicht ausreichen, um die neuen Kriminalitatsphanomene angemessen zu bekampfen''^^. Der von dem Rahmenbeschluss in Art. 2-5 geforderten Ponalisierung des rechtswidrigen Zugangs zu bzw. Eingriffs in Informationssysteme(n) und Daten tragt das deutsche Strafrecht bei kursorischer Betrachtung bereits weitgehend Rechnung^^"", was den Gesetzgeber freilich nicht von seiner Pflicht entbindet, die Rahmenbeschlusskonformitat des deutschen Strafrechts griindlich zu prufen. ^^^ Zweites Gesetz zur Bekampfung der Wirtschaftskriminalitat - 2. WiKG - v. 15. Mai 1986 (BGBl. 11986, 721). 130 Vgl. hierzu Mohrenschlager, wistra 1986, 128 ff; Tiedemann, JZ 1986, 865, 867 f. 131 Vgl. hierzu den UberbHck tiber typische Tathandlungen und die Merauf anwendbaren Straftatbestande bei Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 12.
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132 Die in Art. 2 I („rechtswidriger Zugang zu Informationssystemen") beschriebenen Handlungen werden von § 202 a StGB („Ausspahen von Daten") unter Strafandrohung gestellt. Die Begrenzung des Tatbestandes auf Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, ist mit dem Rahmenbeschluss ebenso vereinbar (vgl. Art. 2 II) wie die fehlende Anordnung der Versuchsstrafbarkeit (vgl. Art. 5 III). § 202 a StGB schiitzt das personliche, zumeist auch wirtschaftliche Interesse des Verfiigungsbereclitigten, die in Daten, Dateien oder Datenbanksystemen verkorperten Informationen vor unbefugtem Zugriff zu bewahren. Von dem Tatbestand erfasst ist nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung auch das ^Hacking" in Form eines bloBen unberechtigten Eindringens in fremde Dateien oder Dateniibermittlungsvorgange^^^. Allein diese - zwar nicht mit dem Willen des Gesetzgebers des 2. WiKG iibereinstimmende^^^, aber dem Wortlaut und Schutzzweck des § 202 a StGB entsprechende - Interpretation diirfte nach hier vertretener Auffassung dem unionsrechtlichen Gebot rahmenbeschlusskonformer Auslegung^^"^ entsprechen (§10 Rn. 90). Die Vorschrift erfasst neben dem unberechtigten Eindringen in fremde Dateien oder Dateniibermittlungsvorgange auch das unbefugte Kopieren von Daten oder Programmen so wie die Ausbeutung von Datenbestanden durch Spionage (^Datendiebstahl")^^^. Daten wirtschaftlicher Unternehmen sind im tJbrigen, soweit es sich um Geschaftsund Betriebsgeheimnisse handelt, bereits von § 17 II Nr. 1 UWG^^® geschiitzt''^''. § 17 III UWG stellt auch - wie von Art. 5 I gefordert - den Versuch unter Strafe. 133 Sabotagehandlungen der in Art. 3 und 4 („rechtswidriger Eingriff in Informationssysteme bzw. in Daten") umschriebenen Art werden nach deutschem Recht von mehreren einschlagigen Straftatbestanden erfasst^^^. Das rechtswidrige Loschen, Unterdriicken, Unbrauchbarmachen oder Verandern von Daten (Software) ist strafbar gem. § 303 a StGB. Richtet sich diese Tat gegen eine Datenverarbeitung, die fiir einen fremden Betrieb, ein fremdes Unternehmen oder eine Behorde von wesenthcher Bedeutung ist, so greift als Qualifikationstatbestand § 303 b I Nr. 1 StGB ein. Bei Zerstorung oder Beschadigung von Hardware kommt ein qualifizierter Fall der Sachbeschadigung gem. § 303 b I Nr. 2 StGB in Betracht. Daneben konnen Manipulationen bei der Dateneingabe - je nach Fallgestaltung gem. §§ 263 a, 269, 270, 274 I Nr. 2 StGB strafbar sein^^g Werden Computerdelikte der oben beschriebenen Art aus einer kriminellen Vereinigung heraus began-
Bejahend Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 50 ff, 59; Trond\dFischer, § 202 a Rn. 11; lessen, Zugangberechtigung, S. 179 ff; Krudsch, Unberechtigter Zugang, S. 130 ff; ablehnend MuKo/StGB/Gra/, § 202 a Rn. 50 f; Schonke/Schroder/Z^ncA:n^r, § 202 a Rn. 10; zur Diskussion vgl. Hilgendorf, JuS 1996, 702 ff; Lsickner/Kuhl, § 202 a Rn. 5; Schnabl, wistra 2004, 211 ff 133 BT-Drs. 10/5058, 28; krit. LencknerlWinkelbauer, CR 86, 488; Sieber, CR 95, 103. 134 EuGH NJW 2005, 2839 ff = EuZW 2005, 433 ff = JZ 2005, 838 ff = StV 2006, 1 ff 135 TrbndldFischer, § 202 a Rn. 2,10 f m. w. N. 136 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG (BGBL I 2004, 1414). 137 Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 108 f 138 Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 62 ff 139 Vgl. hierzu Bar, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 12. Kap. Rn. 15 ff, 37 ff; 46 ff
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gen, findet § 129 I StGB Anwendung. Die Haftung und Sanktionierung juristischer Personen ergibt sich aus § 30 OWiG. 6. Rahmenbeschlussvorschlag zur Bekampfung von Fremdenfeindlichkeit Seit dem Jahre 1977 haben die europaischen Institutionen bei verschiedenen Gele- 134 genheiten ihre Entschlossenheit bekraftigt, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu verteidigen und alle Formen von Intoleranz, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verurteilt^^^. Der erste wichtige Schritt zur Rassismusbekampfung auf EUEbene war eine EntschlieBung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, in der das Jahr 1997 zum Europaischen Jahr gegen Rassismus erklart wurde'"^''. Darauf aufbauend wurde die Europaische Beobachtungsstelle fiir Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Wien eingerichtet. Auch im Rahmen des EU-Erweiterungsprozesses spielen der Schutz der Menschenrechte und die Bekampfung von Rassismus eine zentrale Rolle. Auf der Tagung des Europaischen Rates 1993 in Kopenhagen wurde vereinbart, dass die beitrittswilligen Lander „...institutionelle Stabilitat als Garantie fiir demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, fiir die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten" gewahrleisten miissen. Alljahrlich iiberpriift die Kommission, welche Fortschritte die einzelnen Beitrittslander in Bezug auf die Kopenhagener Kriterien gemacht und inwieweit sie das Gemeinschaftsrecht iibernommen haben. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde ein neuer Art. 13 in den EGV aufgenommen, der der Gemeinschaft erstmals die Befugnis verleiht, legislative MaBnahmen zur Bekampfung von Diskriminierungen zu ergreifen^"^^. Der Wiener Aktionsplan zur bestmoglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags iiber den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts^^^ fiihrt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit unter den spezifischen Formen von Kriminalitat auf, bei denen zu priifen ist, wie sie am besten mit einem EU-Konzept bekampft werden konnen. In den Schlussfolgerungen des Europaischen Rates von Tampere (Oktober 1999) wird im Zusammenhang mit der gerechten Behandlung von Drittstaatsangehorigen gefordert, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausgehend von der Mitteilung der Kommission iiber einen Aktionsplan gegen Rassismus verstarkt bekampft werden miissen.
140 Ygi (jjg Gemeinsame Erklarung des EP, des Rates und der Kommission betreffend die Achtung der Grundrechte sowie der Europaischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Gmndfreiheiten v. 5. April 1977 (ABIEG 1977 Nr. C 103, S. 1). 141 ABIEG 1996 Nr.C 237, S.l. 142 Vgl. Richtlinie 2000/43/EG des Rates v. 29. Juni 2000 (ABIEG 2000 Nr. L 180, S. 22) und Richtlinie 2000/78/EG des Rates v. 27. November 2000 (ABIEG 2000 Nr. L 303, S. 16). 143 ABIEG 1999 Nr. C 19, S. 1 (Ziff 51a).
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135 Die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekampfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist Gegenstand einer aufgrund von Art. K.3 des EUV erlassenen Gemeinsamen MaBnahme v. 15. Juli 1996^^^. In der Gemeinsamen MaBnahme werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, einige naher bezeichnete rassistisch oder fremdenfeindlich motivierte Verhaltensweisen unter Strafandrohung zu stellen oder, wenn dies nicht getan wird, bei diesen Verhaltensweisen bis zur Schaffung der erforderlichen Bestimmungen von dem (auslieferungsrechtlichen) Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit abzusehen. Es soil verhindert werden, dass die Tater sich divergierende strafrechtliche Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten zunutze machen konnen, indem sieeinfach ihren Aufenthaltsort wechseln, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Ebenfalls vorgesehen sind die Beschlagnahme und Einziehung von rassistischem und fremdenfeindlichem Schrift- und Bildmaterial sowie ein zwischenstaatlicher Informationsaustausch. Im Jahre 1998 wurde ein erster Bericht iiber die Durchfiihrung der Gemeinsamen MaBnahme von 1996 erstellt. In den Schlussfolgerungen heiBt es, dass die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Gemeinsamen MaBnahme zwar sehr weitgehend umgesetzt hatten, jedoch immer noch Raum fur weitere Verbesserungen bestehe. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Bekampfung rassistischer und fremdenfeindlicher Inhalte im Internet hervorgehoben. Das EP forderte in seiner EntschlieBung v. 21. September 2000^^^ die Ersetzung der Gemeinsamen MaBnahme v. 15. Juli 1996 durch einen Rahmenbeschluss. 136 Die Kommission legte am 28. November 2001 einen Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Bekampfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit^^^ vor. Sie stiitzte ihren Vorschlag maBgeblich auf Art. 29 EUV, welcher vorsieht, dass ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten im Bereich der PJZS entwickelt sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhiitet und bekampft werden. Der Verwirklichung dieser Ziele dient zum einen die Angleichung des materiellen Strafrechts nach Art. 31 lit. e EUV, zum anderen die Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit unter den in Art. 31 lit. a-c EUV genannten Aspekten. a) Regelungsgegenstand und Ziel des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses 137 Die von der Kommission vorgeschlagene MaBnahme soil gewahrleisten, dass rassistisch oder fremdenfeindlich motivierte Straftaten in alien Mitgliedstaaten mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen geahndet werden, die eine Auslieferung oder tJbergabe nach sich ziehen konnen. Insbesondere soil die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Inhalte im Internet in alien Mitgliedstaaten strafbar sein. Alles, was „offline" gesetzeswidrig ist, soil auch „online" gesetzeswidrig sein. Durch die im Rahmenbeschlussvorschlag vorgese-
^^^ Gemeinsame MaBnahme betreffend die Bekampfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (ABIEG 1996 Nr. L 185, S. 5). 145 ABIEG 2001 Nr. C 146, S. 110. 146 KOM (2001) 664 endg.
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henen gemeinsamen Definitionen und Strafen soli die justizielle Zusammenarbeit und Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten erleichtert werden. Der vorgeschlagene Rahmenbeschluss erweitert die Liste der in der Gemeinsa- 138 men MaBnahme von 1996 aufgefiihrten Straftaten, die in alien Mitgliedstaaten als Straftaten eingestuft werden mtissen. Eine Neuerung gegeniiber der Gemeinsamen MaBnahme von 1996 besteht schlieBlich auch darin, dass den Mitgliedstaaten nicht mehr die Wahlfreiheit belassen v^ird, ob sie diese Verhaltensweisen unter Strafandrohung stellen oder vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit abweichen. Vielmehr wird die Sicherstellung der Strafbarkeit solcher Verhaltensweisen als verbindliche Pflicht festgeschrieben. b) Wesentlicher Inhalt (1) Art. 1 erlautert die Zielsetzung des vorgeschlagenen Rahmenbeschlusses, 139 namlich die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten und die engere Zusammenarbeit zwischen den Justiz- und sonstigen Behorden der Mitgliedstaaten bei Straftaten mit rassistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund. (2) Art. 2 legt den Anwendungsbereich der geplanten MaBnahme fest. Der 140 Rahmenbeschluss soil flir rassistische und fremdenfeindliche Straftaten gelten, die begangen werden: a) im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, b) von Staatsangehorigen der Mitgliedstaaten, wenn die Straftat Einzelpersonen oder Gruppen dieses Staates schadigt, oder c) zum Nutzen einer in einem Mitgliedstaat ansassigen juristischen Person. (3) In Art. 3 werden zentrale Begriffe des Rahmenbeschlusses definiert. Demnach 141 beschreiben die Begriffe ,,Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" eine Uberzeugung, nach der Rasse, Hautfarbe, Abstammung, Religion, Weltanschauung, nationale oder ethnische Herkunft ein maBgebender Faktor fur die Ablehnung von Einzelpersonen oder Gruppen ist. Unter einer „rassistischen oder fremdenfeindlichen Gruppe" versteht der vorgeschlagene Rahmenbeschluss einen auf langere Dauer angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um Straftaten nach Art. 4 lit. a-e zu begehen. (4) Der Vorschlag statuiert in Art. 4 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die 142 nachfolgend aufgefiihrten vorsatzlichen Handlungen einschlieBlich Anstiftung, Beihilfe, Mittaterschaft und Versuch (Art. 5) als „Straftaten mit rassistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund" unter Strafandrohung zu stellen: a) Aufstachelung zu rassistischer oder fremdenfeindlicher Gewalt bzw. zu Rassen- und Fremdenhass oder zu einem anderen rassistischen oder fremdenfeindlichen Verhalten, das den betroffenen Einzelpersonen oder Gruppen erheblichen Schaden zufiigt, b) offentliche Beleidigungen oder Drohungen gegeniiber Einzelpersonen oder Gruppen in rassistischer oder fremdenfeindlicher Absicht, c) offentliche Duldung von Volkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach den Art. 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in rassistischer oder fremdenfeindlicher Absicht,
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§ 11 Harmonisierung des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
d) offentliches Leugnen oder Verharmlosen von Verbrechen nach Art, 6 der Charta des Internationalen Militargerichtshofs im Anhang zum Londoner Abkommen v. 8. April 1945 in einer Weise, die geeignet ist, den offentlichen Frieden zu storen, e) offentliche Verbreitung oder Verteilung von Schriften, Bild- oder sonstigem Material mit rassistischen oder fremdenfeindlichen Inhalten, f) Leitung oder Unterstiitzung der Aktivitaten einer rassistischen oder fremdenfeindlichen Gruppe bzw. Beteiligung an solchen Aktivitaten, in der Absicht, zu den kriminellen Machenschaften der Organisation beizutragen. 143 Die Aufstellung der unter Art. 4 lit. a-f aufgefiihrten Verhaltensweisen stiitzt sich auf die entsprechende Liste in der Gemeinsamen MaBnahme von 1996, die um den Straftatbestand „offentliche Beleidigungen oder Drohungen gegen Einzelpersonen oder Gruppen in rassistischer oder fremdenfeindlicher Absicht" erweitert wird. Auch wird den Mitgliedstaaten die - leider allzu vage formulierte - Verpflichtung festgelegt, neben der offentlichen Aufstachelung zu Gewalt oder Hass „jedwede sonstige rassistische Verhaltensweise" unter Strafe zu stellen, die Einzelpersonen oder Gruppen erheblichen Schaden zufugen kann. Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die in Umsetzung des Art. 4 erlassenen Strafvorschriften auch auf rassistische und fremdenfeindliche Inhalte im Internet Anwendung finden. Nach Art. 11 sind zumindest die in Art. 4 lit. a, e und f beschriebenen Handlungen im Tatortstaat von Amts wegen strafrechtlich zu verfolgen. 144 (5) Umfangreiche Vorgaben iiber Strafen und Sanktionen sind in Art. 6 enthalten. Danach tragen die Mitgliedstaaten dafur Sorge, dass - Straftaten nach den Art. 4 und 5 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen geahndet werden (Nr. 1), - Straftaten nach Art. 4 lit. b-e zumindest in schwerwiegenden Fallen mit Freiheitsstrafen geahndet werden, die gegebenenfalls zur Auslieferung oder Uberstellung fiihren konnen (Nr. 2), - Straftaten nach Art. 4 lit. a und f mit einer Freiheitsstrafe im HochstmaB von mindestens zwei Jahren geahndet werden (Nr. 3), - bei Straftaten nach den Art. 4 und 5 erganzende oder alternative Sanktionen, wie Gemeinschaftsarbeit oder Teilnahme an SchulungsmaBnahmen, Aberkennung bestimmter biirgerlicher oder politischer Rechte oder vollstandige oder teilweise Veroffentlichung des Urteils verhangt oder vorgesehen werden konnen (Nr. 4), - fur Straftaten nach den Art. 4 und 5 GeldbuBen bzw. Geldstrafen oder die Zahlung eines Betrags fiir wohltatige Zwecke vorgesehen werden konnen (Nr. 5), - die Einziehung und Beschlagnahme aller zur Begehung der Straftaten nach den Art. 4 und 5 eingesetzten Materialien und Instrumente sowie der Ertrage aus diesen Straftaten ermoglicht wird (Nr. 6).
C. Bereiche zulassiger Strafrechtsangleichung nach Art. 31 lit. e EUV
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(6) Nach Art. 7 ist es als erschwerender Umstand mit der Folge einer Strafver- 145 scharfung zu werten, wenn der Tater eine Straftat nach Art. 4 und 5 in Ausiibung einer beruflichen Tatigkeit begeht und das Opfer auf diese Tatigkeit angewiesen ist. Art. 8 legt die Mitgliedstaaten darauf fest, daflir Sorge zu tragen, dass rassistische Oder fremdenfeindliche Beweggriinde auch bei anderen als in den Art. 4 und 5 genannten Straftaten - zu denken ist etwa an Totungs- oder Korperverletzungsdelikte - als erschwerender Umstand gewertet werden konnen. Die Verantwortlichkeit juristischer Personen und ihre Sanktionierung ist nach MaBgabe der Art. 9 und 10 zu gewahrleisten. (7) Detaillierte Regelungen iiber die gerichtliche Zustandigkeit, Ausliefe- 146 rung, Verfolgung und Informationsaustausch sind in Art. 12-15 enthalten. Die Mitgliedstaaten stellen nach Art. 14 sicher, dass die in den Art. 4 und 5 genannten Straftaten nicht als politische Straftaten gelten, welche die Ablehnung von Rechtshilfe- oder Auslieferungsgesuchen rechtfertigen. c) Deutsches Strafrecht Falls der von der Kommission vorgeschlagene Rahmenbeschluss angenommen 147 und damit fiir die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich wird (vgl. Art. 34 II lit. b EUV), muss der deutsche Gesetzgeber prtifen, ob die Umsetzung der Zielvorgaben legislative MaBnahmen erfordert. Bereits das geltende deutsche Strafrecht enthalt Straftatbestande, die auf vorsatzliche Handlungen der in Art. 4 beschriebenen Art (Rn. 142) Anwendung finden. Zu denken ist insbesondere an die in § 130 I-III StGB normierten Tatbestande der Volksverhetzung. Daneben konnen auch §§ 111, 140, 185-189 StGB sowie die gegen den Gedanken der Volkerverstandigung gerichteten Vereinigungs- und Propagandadelikte gem. §§ 85-86 a StGB einschlagig sein. Aus internationalstrafrechtlicher Sicht ist auf die Rechtsprechung des BGH hinzuweisen, wonach deutsches Strafrecht (hier: § 130 III StGB) gem. §§ 3, 9 I, 3. Var. StGB auch auf einen Tater Anwendung findet, der von ihm verfasste volksverhetzende AuBerungen auf einem auslandischen Server in das Internet stellt und auf diese Weise Internetnutzern in Deutschland zuganglich macht^"^^ (§ 2 Rn. 32 ff.). Die nach deutschem Recht angedrohten Sanktionen tragen den Vorgaben des Rahmenbeschlussvorschlages vollumfanglich Rechnung. Auch besteht nach §§ 74, 74 b-76 a StGB die Moglichkeit der Einziehung von Schriften oder anderen Tatwerkzeugen.
BGHSt 46, 212 = NJW 2001, 624; zust. Hecker, ZStW 115 (2003), S. 880, 888; krit. hierzu Hilgendorf, ZStW 113 (2001), S. 672 und TvondldFischer, § 9 Rn. 8a.
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§ 11 Harmonisiemng des materiellen Strafrechts in der dritten Saule
D. Literaturhinweise Ambos, Intemationalisiemng des Strafrechts: das Beispiel „Geldwasche", ZStW 114 (2002), S. 236 ders. Internationales Strafrecht, 2006, § 12 Rn. 5-18 Bar, in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 12. Kap. (Computerkriminalitat) V. Bubnoff, Schwerpunkte strafrechtlicher Harmonisiemng in Europa unter Beriicksichtigung der Orientiemngsvorgaben aus der Grundrechtscharta 2000, ZEuS 2001, 165 ders., Terrorismusbekampfung - eine weltweite Herausfordemng, NJW 2002, 2672 ders., Institutionelle Kriminalitatsbekampfung in der EU - Schritte auf dem Weg zu einem europaischen Ermittlungs- und Strafverfolgungsraum, ZEuS 2002, 185 Gusy, Moglichkeiten und Grenzen einer europaischen Antiterrorpolitik, GA 2005, 215 Heintschel-Heinegg, Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Vereinigungsbegriffs in den §§ 129 ff. StGB, Schroeder-FS, S. 799 Hetzer, Korruptionsbekampfung in Europa, NJW 2004, 3746 Husemann, Die Beeinflussung des deutschen Wirtschaftstrafrechts durch Rahmenbeschliisse der Europaischen Union, wistra 2004, 447 Krefi, Das Strafrecht in der Europaischen Union vor der Herausfordemng durch organisierte Kriminalitat und Terrorismus, JA 2005, 220 Satzger, Die Europaisiemng des Strafrechts, 2001, S. 465-470 ders., Rechtspolitische Moglichkeiten zur Realisiemng der Tatbestandsvorschlage der „Europa-Delikte", in: Tiedemann (Hrsg.), Wirtschafts strafrecht in der Europaischen Union, 2002, S. 71 Sieber, Bekampfung des EG-Betmgs und Perspektiven der europaischen Amts- und Rechtshilfe, ZRP 2000, 186 Weigend, Der Entwurf einer Europaischen Verfassung und das Strafrecht, ZStW 116 (2004), S. 275
E. Zusammenfassung von § 11 148 Das gemeinsame Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten im Bereich der PJZS erweist sich als einer der bedeutsamsten Faktoren der Europaisierung des materiellen Strafrechts und der international-arbeitsteiligen Strafrechtspflege. In diesem Kapitel wird der unionsrechtliche Rahmen fiir eine Harmonisierung des materiellen Strafrechts herausgearbeitet. Sodann werden die auf der Grundlage der Art. 29, 31 EUV ergriffenen und geplanten MaBnahmen dargestellt, die auf eine Mindestangleichung bestimmter Bereiche des materiellen Strafrechts der EUMitgliedstaaten abzielen. 149 Der im Dienste des Unionsziels der Schaffung eines „Raumes der Freiheit der Sicherheit und des Rechts" (Art. 29 EUV) stehende Handlungsauftrag des Art. 31 lit. e EUV sieht eine schrittweise Annahme von MaBnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften iiber die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen vor. Die in diesem Artikel aufgefiihrten Kriminalitatsbereiche „Organisierte Kriminalitat", „Terrorismus" und „iU^galcr Drogenhandel" beschreiben
E. Zusammenfassung von § 11
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den Kreis angleichungsfahiger Materien nicht abschlieBend, sondern nur exemplarisch. Das Mittel der Strafrechtsangleichung steht im Rahmen der PJZS fiir alle Kriminalitatsbereiche zur Verfiigung, in denen die EU bereits eine gemeinsame Politik entwickelt hat oder die von grenziiberschreitender Dimension sind, soweit nicht eine Zustandigkeit der EG besteht (wie etwa im Bereich des Umwehstrafrechts). Zur Umsetzung ihres Handlungsauftrages bedienen sich die EUMitgliedstaaten der in Art. 34 II lit. a-d EUV aufgefiihrten Handlungsinstrumente, wobei der (einstimmigen) Annahme von Rahmenbeschliissen und Erstellung von Ubereinkommen die groBte praktische Bedeutung zukommt. Die Angleichung des materiellen Strafrechts erfolgt durch Erlass von Mindestvorschriften zur Ausgestaltung der einschlagigen Tatbestande des Besonderen Teils, insbesondere in Form gemeinsamer Definitionen, in denen die zentralen Tatbestandsmerkmale der zu inkriminierenden Handlung beschrieben werden. Von der Angleichungskompetenz umfasst sind auch Anweisungen zur Ausgestaltung des Allgemeinen Teils, insbesondere Taterschaft und Teilnahme sowie Versuch, soweit hierdurch nicht in die Grundstruktur der nationalen Strafrechtssysteme eingegriffen wird. Vorgaben zur Verantwortlichkeit juristischer Personen sind zulassig, wenn den Mitgliedstaaten ein ausreichend breiter Umsetzungsspielraum belassen wird, der auch die Moglichkeit einer Beschrankung auf nichtstrafrechtliche Sanktionen zulasst. Einer Mindestangleichung zuganglich sind schlieBlich die Rechtsfolgen (Strafen und sonstige Sanktionen). Insbesondere konnen sog. „Mindesthochststrafen" und bereichsspezifische Vorgaben iiber strafzumessungsrelevante Umstande festgelegt werden. Im Rahmen der dritten Saule wurden bereits zahlreiche Rechtsakte erlas- 150 sen oder geplant, die auf eine Mindestangleichung des materiellen Strafrechts der EU-Mitgliedstaaten abzielen. Folgende Kriminalitatsbereiche sind davon betroffen: Organisierte ICriminalitat, Falschgelddelikte, Menschenhandel, Schleuserkriminalitat, Geldwasche, Terrorismus, illegaler Drogenhandel, Straftaten im Zusammenhang mit bargeldlosen Zahlungsmitteln, Kinderpornographie, Korruption im privaten Sektor, Cyber-Crime (Angriffe auf Informationssysteme) und rassistisch oder fremdenfeindlich motivierte Straftaten.
§12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
A. Einfuhrung Das Unionsziel der Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (§5 Rn. 69) soil u. a. im Wege einer engeren Zusammenarbeit der Justizbehorden sowie anderer zustandiger Behorden der Mitgliedstaaten nach Art. 31 lit. a-d und Art. 32 EUV erreicht werden (vgl. Art. 29 II, 2. Spiegelstrich EUV). Die im EUV angesprochene Zusammenarbeit der Justizbehorden betrifft die gesamte Strafrechtspflege einschlieBlich der Tatigkeit der Gerichte^ Dieser Refund wird bestatigt von Art. 31 lit. a EUV, wonach sich die angestrebte Intensivierung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf Gerichtsverfahren ebenso bezieht wie auf das Ermittlungsverfahren und die Strafvollstreckung. Die Formulierung „...im Wege einer engeren Zusammenarbeit..." (Art. 29 EUV) weist zudem auf den dynamischen Charakter des Handlungsauftrages hin. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die bestehenden Verfahren des zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehrs in einem Wirtschaftsraum ohne Binnengrenzen effizienter gestaltet werden miissen als bisher^. Rechtshilfe in Strafsachen ist jede Unterstiitzung, die vom ersuchten Staat auf Ersuchen fiir ein auslandisches Strafverfahren (des ersuchenden Staates) gewahrt wird. Dies gilt unabhangig davon, ob das auslandische Verfahren von einem Gericht Oder einer Behorde (Staatsanwaltschaft, Polizei-, Zoll- und Finanzbehorden) betrieben wird oder ob die Rechtshilfehandlung von einem Gericht oder einer Behorde vorzunehmen ist^. Traditionelle Bereiche der Rechtshilfe sind der Auslieferungsverkehr"^, die Unterstiitzung bei der Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen (VoUstreckungshilfe)^ und die sog. „kleine" oder sonstige Rechtshilfe^, bei der es um alle denkbaren Unterstiitzungshandlungen geht, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des ersuchten Staates zulassig sind. Hierzu gehoVgl. hierzu v. d. Groeben/SchwsLVZQ/Wasmeier/Jour-Schrdder, Art. 29 EUV Rn. 14. Vgl. hierzu v. Bubnoff, ZEuS 2000, 185, 188 ff; ders., Leitfaden EuHb, S. 1; Wasmeier, ZStW 116 (2004), S. 320 ff. Zu den Grundfragen und rechtlichen Gmndlagen des Rechtshilferechts vgl. die praxisorientierte Darstellung von v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 3 ff; Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 1-29. Vgl. hierzu v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 12 ff; Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 54 ff und die instmktive Einfuhrung von Weigend, JuS 2000, 105. Vgl. hierzu Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 133 ff Vgl. hierzu Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 171 ff
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
ren z. B« die Zustellung von Ladungen und Urteilen, die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten oder die Beschlagnahme und Herausgabe von Beweismitteln, aber auch grenziiberschreitende operative MaBnahmen wie die Uberwachung des Fernmeldeverkehrs, der Einsatz verdeckter Ermittler, die Observation und kontrollierte Lieferung. Innerhalb der EU erlangen die von den Mechanismen der klassischen Rechtshilfe gelosten Formen der justiziellen Zusammenarbeit - zu denken ist z. B, an einige Instrumente des SDU (§ 5 Rn. 33 ff.) - wachsende Bedeutung''. Eine dynamische Fortentwicklung der zwischenstaatlichen Kooperationsformen ist dringend erforderlich, da sich das bestehende Rechtshilfesystem nach den Erfahrungen der Strafverfolgungspraxis vielfach als zu schwerfallig und ineffizient erwiesen hat^. Ein deutscher Strafverfolger driickte diesen Befund in folgendem Bild aus: „Die Verbrecher reisen mit tFberschallgeschwindigkeit in der Concorde, die Polizei folgt ihnen im Porsche, und die Justiz besteigt die Postkutsche."^ Zur Verwirklichung der in Art. 31 lit. a-d EUV konkretisierten Ziele bedienen sich die Mitgliedstaaten der in Art. 34 II lit. a-d EUV vorgesehenen Handlungsformen, wobei der Annahme von Rahmenbeschliissen und der Erstellung volkerrechtlicher tJbereinkommen die groBte praktische Bedeutung zukommt.
B. Erieichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit I. Instrumente des Rechtshilfeverkehrs in Europa 4 Als Gegenstand der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen wird in Art. 31 lit. a EUV zunachst die Erieichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit bei Gerichtsverfahren und bei der Vollstreckung von Entscheidungen aufgefiihrt. Dieser Handlungsauftrag bezieht sich vor allem auf die zwischenstaatliche RechtshOfe sowie auf die Koordinierung justizieller Aktivitaten^^. Art. 31 lit. a EUV ist mithin als dynamischer Auftrag an die Mitgliedstaaten zu verstehen, iiber den status quo der bestehenden Kooperation hinauszugehen, wie er sich vor allem in der „Mutterkonvention" des europaischen Rechtshilfeverkehrs, dem Europaischen Ubereinkommen v. 20. April 1959 iiber die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhUbk)^^ mit seinem ZusatzprotokoU v. 17. Marz 1978^^ niederschlagt.
Vgl. Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 3. Vgl. hierzu v. Bubnoff, ZEuS 2000, 185, 188 f.; ders,, Leitfaden EuHb, S. 1; Perron, Strafrechtsvereinheitlichung, S. 135, 147 ff 9 Fdtkinhauer, Der KriminaHst 1994, 257, 258. ^° V. d. Groeben/Schwarze/Wa5m^z>r, Art. 31 EUV Rn. 5 11 ETS Nr. 30; BGBl. II1964, 1369, 1386; 1976, 1799; 11982, 2071; II2000, 555. 12 ETS Nr. 99; BGBL II1990, 124; 1991, 909; 2000, 555.
^' ^
B. Erleichtemng und Beschleunigung der Zusammenarbeit
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1, Europaisches Rechtshilfeubereinkommen des Europarates Nach Art. 1 I EuRhUbk verpflichten sich die Vertragsparteien „einander Rechtshilfe zu leisten in alien Verfahren hinsichtlich strafbarer Handlungen". Das (Jbereinkommen raumt den Vertragsparteien jedoch zahlreiche Moglichkeiten zur Geltendmachung einschrankender Vorbehalte ein, von denen sie reichlich Gebrauch gemacht haben. Einige dieser Vorbehalte haben sich als der effektiven Zusammenarbeit entgegenstehende Hindernisse erwiesen. Zu denken ist insbesondere an die Verweigerung der Rechtshilfe im Bereich fiskalischer oder politischer Straftaten sowie an das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit^^. Im Ubrigen bilden die neben der „Mutterkonvention" des Europarates bestehenden zahlreichen bioder multilateralen Rechtshilfeabkommen mit ihren unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Vorbehalten ein fiir den Rechtsanwender kaum mehr zu iiberschauendes Normendickicht^"^, was sich in der alltaglichen Rechtshilfepraxis als Hemmnis fiir eine effektive Strafverfolgung erweist^^. 2. Rechtshilfekooperation nach Art. 48 ft SDU Zu einer Erleichterung der zwischenstaatlichen Rechtshilfekooperation fiihrten die Art. 48 ff. SDtF^^. So sind die Vertragsparteien nach Art. 50 SDU verpflichtet, einander Rechtshilfe bei der Verfolgung von Fiskaldelikten zu leisten, wenn sich diese auf bestimmte (vergemeinschaftete) Abgaben beziehen. Art. 52 SDU ermoglicht die direkte Ubersendung gerichtlicher Urkunden unmittelbar an Privatpersonen und Art. 53 SDU den unmittelbaren Austausch von Rechtshilfeersuchen zwischen Justizbehorden der Vertragsparteien. 3- EU'Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen (EURU) Ein iiber den bestehenden Kooperationsstandard weit hinausgehender Schritt ist das Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU v. 29. Mai 2000 (EURU)^^. Aufbauend auf dem EuRhUbk nebst Zusatzprotokoll (Rn. 4) wird das Ubereinkommen nach erfolgter Ratifikation im Wesentlichen folgende Regelungen und Neuerungen mit sich bringen: - Erstreckung der Rechtshilfe auf die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (Art. 3, der Art. 49 lit. a SDtJ ersetzt). 13 14
Vgl. hierzu v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 9. Perron, ZStW 112 (2000), S. 202, 205; ders., Strafrechtsvereinheitlichung, S. 135, 148 f.; Schomburg, DRiZ 1999, 107, 108 ff.; ders., ZRP 1999, 237 f Eine Ubersicht iiber die wichtigsten Rechtshilfebeziehungen Deutschlands in Strafsachen fmdet sich bei Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Anhang 5, S. 193. Vgl. hierzu Epiney, EuZW 2003, 421, 422 ff.; v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 EUV Rn. 11. ABIEG 2000, Nr. C 197, S. 1. Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 41; Epiney, EuZW 2003, 421 ff; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 138 ff; V. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^z^r, Art. 31 EUV Rn. 12.
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
- Verpflichtung des um Rechtshilfe ersuchten Staates, die Form- und Fristbestimmungen des ersuchenden Staates einzuhalten (Art. 4); sog. „forum regit actum"-Grundsatz anstelle des bisher geltenden Grundsatzes „locus regit actum"''8, - Grundsatz der unmittelbaren Ubersendung von Urkunden (Art, 5, ersetzt Art.52SDU), - Grundsatz des unmittelbaren Geschaftsverkehrs (Art. 6, ersetzt Art. 53 SDtJ), - Informationsaustausch auch ohne Ersuchen (Art. 7), - zeitweilige Uberstellung inhaftierter Personen zu Ermittlungszwecken (Art. 9), - Vernehmung von Zeugen und Sachverstandigen per Video- oder Telefonkonferenz (Art. 10 f.), - Durchfiihrung kontroUierter Lieferungen (Art. 12), - Bildung und Arbeit gemeinsamer Ermittlungsgruppen (Art. 13), - Durchfiihrung verdeckter Ermittlungen (Art. 14), - Regelungen zur tJberwachung des Telekonmiunikationsverkehrs (Art. 17 ff.), - Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten (Art. 23). Am 16. Oktober 2001 hat der Rat ein - von den Mitgliedstaaten noch zu ratifizierendes - Protokoll zum EURU''^ beschlossen, das weitere Erganzungen und Erleichterungen der Zusammenarbeit sowie bereichsspeziflsche Bestimmungen zur Rechtshilfe vorsieht. Unter anderem schrankt es die Moglichkeiten zur Geltendmachung von Vorbehalten bei fiskalischen und politischen Delikten ein, stellt spezielle Regelungen fiir die Einholung von Bankauskiinften bereit und bezieht die justizielle Koordinierungsstelle Eurojust (§ 5 Rn. 73 ff.) in die Rechtshilfe ein. 4. Rahmenbeschlussvorschlag uber die Europaische Beweisanordnung Am 14. November 2003 hat die Kommission einen Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates iiber die Europaische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstucken und Daten zur Verwendung in Strafverfahren^^ vorgelegt^^ Die bisher bestehenden Rechtshilfeinstrumente sollen nach dem vorliegenden Vorschlag durch eine Europaische Beweisanordnung ersetzt werden, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht. Damit folgt die vorgeschlagene MaBnahme dem gleichen strukturellen Ansatz wie der Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl (vgl. Rn. 19 ff.). Bei der Europaischen Bev^eisanordnung handelt es sich um eine von der zustandigen Behorde eines Mitgliedstaats erlassene justizielle Entscheidung, welche die Erlangung von Sa1^ Vgl. hierzu Lagodny, SpineUis-FS, 2002, S. 641. 19 ABIEG 2001 Nr.C 326, S.l. 20 KOM (2003) 688 endg.; vgl. hierzu Ahlhrecht, NStZ 2006, 70 ff.; Esser, ZEuS 2004, 290, 301 ff; Glefi, StV 2004, 679 ff Vgl. hierzu die in der EntschlieBung des EP v. 31. Marz 2004 enthaltenen Andemngsantrage (ABLEG Nr. C 103 E, S. 658 ff).
B. ErleichterungundBeschleunigung der Zusammenarbeit
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chen, Schriftstticken und Daten aus einem anderen Mitgliedstaat zur Verwendung in einem Strafverfahren bezweckt (Art. 1). Die zentrale Innovation dieses Instruments besteht darin, dass die Beweisanordnung einer Justizbehorde des Anordnungsstaates in einem anderen Mitgliedstaat (Vollstreckungsstaat) innerhalb einer vorgegebenen Frist unmittelbar - also ohne eine vorangehende innerstaatliche Bewilligung - zu voUstrecken ist (Art. 11). Die Griinde fur eine Versagung der Vollstreckung werden eng begrenzt. Insbesondere stellt die beiderseitige Strafbarkeit - anders als im traditionellen Rechtshilfeverkehr - grundsatzlich keinen Versagungsgrund dar (Art. 16). Der Anwendungsbereich der Europaischen Beweisanordnung ist nach dem 10 Vorschlag der Kommission auf die Erlangung von Sachen, Schriftstiicken oder Daten beschrankt, die aufgrund verschiedener prozessualer Eingriffsrechte (z. B. Beschlagnahme-, Vorlage- oder Durchsuchungsbefugnisse) erlangt wurden. Rechtshilfeersuchen, die auf die Erlangung sonstiger Beweismittel gerichtet sind - zu denken ist z. B. an die Vernehmung von Verdachtigen oder Zeugen, die Entnahme von DNA-Proben beim Verdachtigen sowie an die Uberwachung des Telekommunikationsverkehrs und von Kontobewegungen - soUen weiterhin in den Formen und Verfahren des bestehenden Rechtshilfeinstrumentariums abgewickelt werden. In der Begriindung des Rahmenbeschlussvorschlags fiihrt die Kommission je- 11 doch aus, dass die Europaische Beweisanordnung nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden einheitlichen Regelung sein soil, die zu gegebener Zeit alle bestehenden Rechtshilferegelungen ersetzen wiirde. Ein derartiges gemeinsames Instrument wiirde innerhalb der EU die traditionelle Rechtshilfe in derselben Weise ersetzen wie der Europaische Haftbefehl die klassische Auslieferung (vgl. Rn. 19 ff.). Bereits in ihrem Griinbuch v. 11. Dezember 2001 zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft^^ hat die Kommission das Konzept eines „europaweit verkehrsfahigen Beweises"^^ vorgeschlagen. Danach sollen die mitgliedstaatlichen Gerichte, die mit einem Strafverfahren befasst sind, in dem es um den Vorwurf einer Beeintrachtigung der finanziellen Interessen der EG geht, verpflichtet werden, jedes Beweismittel zuzulassen, das nach dem nationalen Recht eines anderen Mitgliedstaates rechtmaBig erhoben wurde (vgl. hierzu Rn. 58 ff.).
II. Instrumente des Vollstreckungshilfeverkehrs in Europa Die VoUstreckungshilfe stellt ein wesentliches Element einer effektiven grenz- 12 iiberschreitenden Strafrechtspflege dar^^. Nicht selten entziehen sich verurteilte auslandische Straftater der Strafvollstreckung durch Riickkehr in ihr Heimatland. Wenn eine Auslieferung dieser Personen an den Urteilsstaat ausscheidet, kann nur 22
K O M (2001) 7 1 5 endg.
23 24
Vgl. hierzu Glefi, ZStW 115 (2003), S. 131. Vgl. Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 133 ff.; LigetU Strafrecht in der EU, S. 174 ff.
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
die grenziiberschreitende Zusammenarbeit bei der StrafvoUstreckung die Durehsetzung des Rechts (Pravention und gerechter Schuldausgleich) sicherstellen. Hinzu kommt, dass das Ziel der Resozialisierung eines zu Freiheitsstrafe verurteilten Straftaters in seinem Heimatstaat in der Regel besser erreicht werden kann. Der Bereich der VoUstreckungshilfe wird von folgenden Ubereinkommen gepragt^^: - Europaisches tJbereinkommen iiber die Uberstellung verurteilter Personen v. 21. Marz 1983^^ mit seinem ZusatzprotokoU v. 18. Dezember 1997^^, - Ubereinkommen iiber die Anwendung der Europaratskonvention von 1983 iiber die Uberstellung von verurteilten Personen v. 25. Mai 1987^^, - tJbereinkommen v. 13. November 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der EG iiber die VoUstreckung auslandischer strafrechtlicher Verurteilungen (EGVollstrUk)29, - (Jbereinkommen v. 17. Juni 1998 iiber die VoUstreckung des auslandischen Entzugs der Fahrerlaubnis^°, - Ubereinkommen v. 28. April 1999 iiber die Zusammenarbeit in Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften und bei der VoUstreckung von dafiir verhangten GeldbuBen und Geldstrafen wegen verkehrsrechtlicher VerstoBe (Schengen III-Abkommen)^''.
C. Erieichterung der Auslieferung 13 Nach Art. 31 lit. b EUV schlieBt das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen die Erieichterung der Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten ein. Die Auslieferung stellt eine besondere Form der Rechtshilfe dar und ist Gegenstand eines formlichen Verfahrens, welches darauf abzielt, einen mutmaBlichen oder rechtskraftig verurteilten Straftater der Gerichtsbarkeit des ersuchenden Staates zu iiberstellen^^. Von der Auslieferung abzugrenzen ist die befristete tJberstellung von Personen zum Zwecke der Beweisaufnahme (eine MaBnahme der „kleinen" Rechtshilfe) und die auf Wunsch eines Verurteilten erfolgende Uberstellung desselben in seinen Heimatstaat zum Zwecke einer
^^ Eine Ubersicht iiber die wichtigsten VoUstreckungshilfebeziehungen Deutschlands in Strafsachen findet sich bei Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Anhang 5, S. 194. 26 ETS Nr. 112; BGBl. I I 1 9 9 1 , 1006; 1992, 98; vgl. auch das Uberstellungsausfiihmngsgesetz V. 26. September 1991 (BGBl. 1 1 9 9 1 , 1954). 27 ETS Nr. 167. 28 ABlEG1987Nr.L169,S.29. 2^ Noch nicht in Kraft getreten, aber fiir Deutschland im Verhaltnis zu den Niederlanden vorzeitig in Anwendung (BGBl. II1997, 1350; 1998, 896). 30 ABIEG 1998 Nr. C 216, S. 2. 31 ABIEG 2000 Nr. L 239, S. 429. 32 Vgl. hierzu v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 E U V Rn. 30.
C. Erleichtemng der Ausliefemng
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besseren Resozialisiemng^^. Auch wenn in Art. 31 lit. b EUV nur von „Erleichterung" und niclit von „Beschleunigung" der Auslieferung die Rede ist, wird man den Handlungsauftrag dieser Bestimmung dahingehend verstehen miissen, dass gerade in dem eingriffsintensiven, da mit Freiheitsverlust verbundenen Auslieferungsverfahren eine moglichst kurze Verfahrensdauer, also ein Beschleunigungseffekt anzustreben ist^^.
I. Instrumente des Auslieferungsverkehrs in Europa 1. Europaisches Auslieferungsubereinkommen des Europarates Der Auslieferungsverkehr zwischen den europaischen Staaten wird wie der Be- 14 reich der Rechts- und Vollstreckungshilfe durch ein komplexes Netzwerk von Regelungen volkerrechtlicher und nationaler Provenienz gepragt^^. Als „Mutterkonvention" fungiert auch hier ein Ubereinkommen des Europarates, das in alien EUMitgliedstaaten anwendbare Europaische Auslieferungsubereinkommen v. 13. Dezember 1957 (EuAlUbk)^^. Es wird durch zwei ZusatzprotokoUe v. 15. Oktober 1975^'' und v. 17. Marz 1978^^ erganzt, welche aber nicht von samtlichen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden. Nach dem EuAlUbk konnen die Unterzeichnerstaaten die Auslieferung von folgenden Bedingungen abhangig machen^^: - Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit (Art. 2 I). Das dem Verfolgten zu Last gelegte Verhalten muss nach dem Recht des ersuchten und ersuchenden Staates mit Freiheitsentziehung im HochstmaB von mindestens einem Jahr bedroht sein bzw. die im ersuchenden Staat verhangte Strafe oder freiheitsbeschrankende MaBregel muss mindestens vier Monate betragen, - keine Auslieferung wegen politischer Straftaten (Art. 3 I). Dieser Nichtauslieferungsvorbehalt greift ein, wenn der ersuchte Staat den Tatvorwurf als iiberwiegend politisch motivierte oder gepragte Handlung bewertet, - keine Auslieferung bei drohender rechtsstaatswidriger Verfolgung. Eine Auslieferung ist unzulassig, wenn ernstliche Griinde ftir die Annahme sprechen, dass der verfolgten Person aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatsangehorigkeit, Zugehorigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund ihrer politi-
^^ Vgl. hierzu das Europaratsubereinkommen tiber die Uberstellung vemrteilter Personen v. 21. Marz 1983 (ETS Nr. 112; BGBl. II1991, 1006; 1992, 98). ^^ Vgl. V. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/er, Art. 31 EUV Rn. 31. ^^ Eine Ubersicht iiber die wichtigsten Rechtshilfebeziehungen Deutschlands die Ausliefemng betreffend findet sich bei Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Anhang 5, S. 192. 36 ETS Nr. 24; BGBl. II 1964, 1369; 1976, 1778; I 1982, 2071; II1994, 299; vgl. hierzu die Kommentierung von Schomburg, IntRhSt, II A. 37 ETS Nr. 86. 38 ETS Nr. 98; BGBl. II1990, 118; 1991, 874. 3^ Vgl. hierzu v. d. Groeben/Schwarze/Wa^m^/^r, Art. 31 EUV Rn. 32; Ziegenhahn, Menschenrechte, S. 190 ff.
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
schen Anschauungen im ersuchenden Staat menschenrechtswidrige Repressalien drohen (Art. 3 II), Ausliefemng wegen Fiskaldelikten kommt nur bei besonderer Vereinbamng in Betracht (Art. 5), Ablehnung der Auslieferung eigener Staatsangehoriger (Art. 6), Ablehnung wegen Rechtshangigkeit (Art. 8). Der Auslieferung steht entgegen, dass im ersuchten Staat bereits ein Strafverfahren gegen die verfolgte Person anhangig ist, Prinzip des „ne bis in idem" (Art. 9). Der Auslieferung steht die bereits erfolgte rechtskraftige Aburteilung der Tat im ersuchten Staat entgegen. Dieses Prinzip erstreckt sich iiber Art. 54 SDtJ auf den gesamten EU-Rechtsraum (vgl. hierzu§ 13Rn. 12f.), Nichtauslieferung bei Verjahrung der Strafverfolgung nach den Vorschriften des ersuchenden Oder des ersuchten Staates (Art. 10), Spezialitatsprinzip (Art. 14). Der Ausgelieferte darf im ersuchenden Staat grundsatzlich nur wegen der Taten verurteilt werden, fiir welche die Auslieferung bewilligt wurde.
15 Die zahlreichen Vorbehaltsmoglichkeiten, die das EuAltJbK zulasst, stehen einer effektiven grenziiberschreitenden Zusammenarbeit entgegen. Zumindest im Rahmen des Verhaltnisses der EU-Mitgliedstaaten untereinander, das auf gegenseitigem Vertrauen in das ordnungsgemaBe Funktionieren der Strafrechtspflege und die Beachtung der Menschenrechte basieren sollte, erscheinen sie zu weitgehend. Ein erster Schritt zur Erleichterung des Auslieferungsverkehrs wurde mit dem von alien EU-Staaten ratifizierten Europaratsiibereinkommen zur Bekampfung des Terrorismus v. 27. Januar 1977"^° unternommen. Diese Konvention schrankt die Vorbehaltsmoglichkeiten bei politischen Straftaten fiir bestimmte Begehungsformen ein. 2- Erleichterung des Auslieferungsverkehrs durch Art, 59 ft SDU 16 Weitere Verbesserungen der justiziellen Zusammenarbeit bringen die das EuAlUbk erganzenden und seine Anwendung erleichternden Bestimmungen der Art. 59-66 SDU^^ So sind nach Art. 62 I SDtJ fiir die Unterbrechung der Verjahrung allein die Vorschriften des ersuchenden Staates maBgebend"^^. Eine im ersuchten Staat erlassene Amnestic steht der Auslieferung nicht mehr generell entgegen (Art. 62 II SDU). Art. 63 SDU schrankt die Vorbehaltsmoglichkeiten bei Fiskaldelikten ein. Art. 65 SDtJ vereinfacht den Geschaftsweg bei der Stellung von Auslieferungsersuchen. In fast alien EU-Mitgliedstaaten ist inzwischen der Geschaftsverkehr iiber die Justizministerien moglich (Art. 12 EuAltJbK sieht hierfiir den diplomatischen Weg vor). Des Weiteren wird in Art. 66 SDU eine Auslieferung im vereinfachten Verfahren ermoglicht, wenn die verfolgte Person nach 40 41 42
ETS Nr. 90; BGBl. I I 1 9 7 8 , 321, 907; 1989, 857; 1998, 1136. Vgl. hierzu SchomburglGlefi, IRhSt, Art. 59 Rn. 1; VogeU JZ 2001, 937, 939. Vgl. hierzu B G H N S t Z 2002, 661 m. Anm. v. Hecker.
C. Erleichtemng der Auslieferung
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Belehrung iiber ihr Recht auf Durchfiihrung eines formlichen Ausliefemngsverfahrens zustimmt. 3. EU-Ubereinkommen iiber das vereinfachte Auslieferungsverfahren Die bereits in Art. 66 SDU angelegte Moglichkeit der Durchfiihrung eines verein- 17 fachten Verfahrens der Auslieferung wird in dem mangels Ratifikation in alien Mitgliedstaaten noch nicht in Kraft getretenen Ubereinkommen v. 10. Marz 1995 iiber das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU'^^ weiter ausgebaut. Dieses tJbereinkonimen zielt durch verbindliche Fristsetzungen und einen weitgehenden Verzicht auf Formlichkeiten auf eine weitere Beschleunigung und Vereinfachung des Auslieferungsverkehrs ab"^"^. 4. EU'Auslieferungsubereinkommen (EUAU) Zur Erleichterung des gewohnlichen (nicht vereinfachten) Auslieferungsverfah- 18 rens wurde das mangels Ratifikation in alien Mitgliedstaaten noch nicht in Kraft getretene Ubereinkommen v. 27. September 1996 uber die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EUAU)'^^ getroffen, das die Europaratskonventionen erganzt und deren Vorbehaltsmoglichkeiten - insbesondere was die Auslieferung eigener Staatsangehoriger sowie die Verfolgung von politischen und Fiskaldelikten anbelangt - deutlich einschrankt^^. Auslieferungsfahig sollen auch Delikte sein, fur die im ersuchten Staat eine Hochststrafe von mindestens sechs Monaten gilt. Der Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit kann bei Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nur noch unter engen Voraussetzungen angebracht werden. Die Verjahrungsfrage richtet sich allein nach dem Recht des ersuchenden Staates (Art. 8 I EUAtJ). Eine praktische Erleichterung ist schlieBlich die Eroffnung der Moglichkeit, Auslieferungsersuchen auch per Fernkopie (Fax) zu stellen.
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ABIEG 1995 Nr. C 78, S. 2; vgl. hierzu SchomhurglGlefi,
IRhSt, III Ac (Vertragstabel-
le). 44 45 46
Vgl. hierzu Hackner u. a., Leitfaden IRhSt, Rn. 89 ff. ABIEG 1996 Nr. C 313, S. 11; vgl. hierzu Schomburg/Glefi, IRhSt, III A a Rn. 8 (Vertragstabelle). Vgl. hierzu SchomburglGlefi, IRhSt, III A a Rn. 2; Vogel, J Z 2 0 0 1 , 937, 938 f.
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
II. Rahmenbeschluss uber den Europaischen Haftbefehl 1. Einfiihrung 19 Auf der Tagung des Rates der Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten in Sevilla wurde auf Vorschlag der Kommission'^^ am 13. Juni 2002 der Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl und die Ubergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten"^^ angenommen. Dieser trat am 7. August 2002 in Kraft. Der Verabschiedung des Rahmenbeschlusses waren zahe politische Verhandlungen auf EU-Ebene vorausgegangen"^^. Zwar vermochten die Mitgliedstaaten bereits auf der Sitzung des Rates in Laeken am 6./7. Dezember 2001 eine grundsatzliche Einigung iiber das Vorhaben zu erzielen. Aufgrund des Widerstands Italiens gegen den Anwendungsbereich des Europaischen Haftbefehls, der sich nach der Vorstellung aller anderen Mitgliedstaaten auf einen Katalog von 32 Straftaten erstrecken soUte, musste das Projekt jedoch zuriickgestellt werden. Italien wollte die Katalogtaten zunachst auf sechs Tatbestande beschranken und u. a. Geldwasche und Korruption nicht mit aufnehmen. Dieser Vorschlag fand ebenso wie weitere nachgereichte Kompromissvorschlage Italiens nicht die Zustimmung der iibrigen Mitgliedslander. Unter dem offentlichen Druck gab Italien daraufhin seine Blockadehaltung auf und machte damit den Weg frei fiir die Schaffung eines Instruments, das die traditionelle Form der Rechtshilfe (Staatenkooperation) durch ein „System des freien Verkehrs strafrechtlich justizieller Entscheidungen"^° ersetzt. 20 Der mit dem Europaischen Haftbefehl eingeleitete Wandel des Auslieferungsverkehrs spiegelt sich bereits in der neuen Terminologie wider^^ Der „ersuchende" Staat, der im tradierten Auslieferungsrecht um die Auslieferung einer verfolgten Oder rechtskraftig verurteilten Person ersucht, wird nach MaBgabe des Rahmenbeschlusses zu dem Mitgliedstaat, der einen Europaischen Haftbefehl ausstellt („Ausstellungsmitgliedstaat")- Der „ersuchte" Staat, der bisher dariiber zu entscheiden hatte, ob er das Auslieferungsersuchen bewilligt, wird zu dem Mitgliedstaat, der den Europaischen Haftbefehl voUstreckt („Vollstreckungsmitgliedstaat"). An die Stelle der „Auslieferung'* im herkommlichen Sinne tritt die „(Jbergabe" aufgrund eines Europaischen Haftbefehls. Die bestehenden Auslieferungsiibereinkommen linden nach Umsetzung des Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten nur noch insoweit Anwendung, als sie eine iiber das im Rahmenbeschluss
ABIEG 2001 Nr. E 332, S. 305. ABIEG 2002 Nr. L 190, S. 1. Der Text des Rahmenbeschlusses ist abgedruckt bei Glefi, IRhSt, III A d nach Rn. 11. 49 Vgl. hierzu Wegner, StV 2003, 105. 50 Vgl. die Erwagung in Ziff. 5 des Rahmenbeschlusses. Hierzu bereits Sieber, ZStW 103 (1991), S. 957, 963; ders., ZRP 2000, 186, 190. Vgl. hierzu ausfiihrlich Rohlff, EuHb, passim sowie AmZ?^^, IntStR, § 12 Rn. 59; Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 240 f; Esser, ZEuS 2004, 290, 298 ff; V. Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 44, 45; Hetzer, Kriminalistik 2005, 566 ff.; Sefe NStZ 2004, 546.
C. Erleichterung der Auslieferung
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vorgesehene Verfahren hinausgehende Vereinfachung oder Erleichterung der Ubergabe der verfolgten Person ermoglichen. 2. Regelungsgegenstand und Ziel des Rahmenbeschlusses Bei dem Europaischen Haftbefehl handelt es sich gem. Art. 1 I um eine justizielle 21 Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Ubergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur VoUstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden MaBregel der Sicherung bezweckt. Durch den Europaischen Haftbefehl soil - dem Handlungsauftrag des Art. 31 lit. b EUV folgend - die Auslieferung von Straftatern innerhalb der EU-Mitgliedstaaten erleichtert und beschleunigt werden. Zu diesem Zweck ersetzt der Rahmenbeschluss den undurchsichtigen, aus einer Vielzahl von Abkommen bestehenden „Regelungsdschunger' des Auslieferungsrechts und statuiert ein vereinfachtes System der tJbergabe, das an die Stelle des bisherigen Auslieferungsverfahrens tritt. Das traditionelle Auslieferungsverfahren, das eine Einbeziehung politischer Gesichtspunkte erlaubte, wird durch Einfiihrung des Europaischen Haftbefehls EU-intern beseitigt. An mehreren Stellen verweist der Rahmenbeschluss auf die Zusammenarbeit der nationalen Justizbehorden mit Eurojust (§ 5 Rn. 73 ff.) und auf die Inanspruchnahme der Kontaktstellen des EJN (§ 5 Rn. 68), was die Einbindung des Europaischen Haftbefehls in ein entstehendes System europaischer Strafverfolgung unterstreicht. 3. Wesentlicher Inhalt des Rahmenbeschlusses a) Verfahrensrechtliche Regelungen (1) Die wichtigste verfahrenstechnische Neuerung, die der Rahmenbeschluss mit 22 sich bringt, ist die Abschaffung des gouvernementalen Bewilligungsverfahrens (§ 2 Rn. 79 ff.). Wahrend das traditionelle (zweistufige) Auslieferungsverfahren dadurch gekennzeichnet ist, dass zunachst ein Gericht (in Deutschland das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk der Betroffene ergriffen oder ermittelt worden ist) die rechtliche Zulassigkeit der Auslieferung priift und sodann eine Regierungsbehorde (in Deutschland der Bundesjustizminister oder eine von ihm beauftragte Behorde) dariiber entscheidet, ob sie die (rechtlich zulassige) Auslieferung bewilligt, sieht der Rahmenbeschluss ein (einstufiges) rein justizielles Verfahren vor. Demnach soil nur noch die zustandige Justizbehorde eines EU-Mitgliedstaates liber die Auslieferung (Ubergabe) einer Person entscheiden. Das Ubergabeverfahren wird direkt zwischen den beteiligten Justizbehorden abgewickelt (Art. 9 I). Der Europaische Haftbefehl kann durch jedes sichere Mittel an die zustandige Justizbehorde iibermittelt werden, wenn der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt ist (Art. 10 IV). Andernfalls kann eine Ausschreibung im SIS (vgl. § 5 Rn. 50 ff.) erfolgen (Art. 9 II). (2) Ein Europaischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt 23 (Art. 17 I). Die endgtiltige Entscheidung iiber die VoUstreckung soil in den Fallen, in denen die gesuchte Person ihrer Ubergabe zustimmt, innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen (Art. 17 II). In den anderen Fallen soil
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
die endgiiltige Entscheidung liber die VoUstreckung des Europaischen Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der gesuchten Person erfolgen (Art. 17 III). Die Ubergabe der gesuchten Person soli sobald wie moglich zu einem zwischen den Behorden vereinbarten Zeitpunkt, spatestens aber zehn Tage nach der endgiiltigen Entscheidung iiber die VoUstreckung des Europaischen Haftbefehls (Art. 23 I, II), erfolgen. b) Materielle Bestimmungen 24 (1) Art. 2 I legt fest, dass ein Europaischer Haftbefehl bei Handlungen erlassen werden kann, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden MaBregel der Sicherung im HochstmaB von mindestens zwolf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer VerurteUung zu einer Strafe oder der Anordnung einer MaBregel der Sicherung, deren MaB mindestens vier Monate betragt. Diese Regelung entspricht den Festlegungen des Art. 2 I EuAltJbk uber auslieferungsfahige Straftaten (Rn. 14). 25 (2) Im Rahmenbeschlussvorschlag der Kommission war vorgesehen, das traditionelle Auslieferungserfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit (§ 2 Rn. 72) abzuschaffen und den Mitgliedstaaten lediglich die Erstellung einer Negativliste mit denjenigen Delikten zu gestatten, die vom Anwendungsbereich des Europaischen Haftbefehls ausgenommen sein sollten^^. Da die Mitgliedstaaten aber offensichtlich nicht auf die mit dem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit verbundene ,JN[otbremsenfunktion"^^ verzichten woUten, vermochte sich der Konmmissionsvorschlag insoweit nicht durchzusetzen. Der erlassene Rahmenbeschluss bestimmt in Art. 2 IV, dass die Ubergabe von der beiderseitigen Strafbarkeit der Handlung abhangig gemacht werden kann (vgl. auch Art. 4 Nr. 1). Allerdings und dies gehort zu den zentralen Innovationen des Rechtsinstituts - gilt dies nicht, wenn es sich bei der dem Europaischen Haftbefehl zugrunde liegenden Handlung um eine Katalogtat i. S. d. Art. 2 II handelt, die im Ausstellungsmitgliedstaat im HochstmaB mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden MaBregel der Sicherung im HochstmaB von mindestens drei Jahren bedroht ist^^. Unter diesen Voraussetzungen erfolgt nach Art. 2 II eine Ubergabe aufgrund eines Europaischen Haftbefehls ohne Uberpriifung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit bei folgenden Deliktsgruppen: 52
Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie, illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen, illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen,
Vgl. Art. 27 und Erwagungsgrund Ziff 14 des Vorschlags (ABIEG 2001 Nr. E 332, S. 305). 53 Vgl. hierzu Weigend, JuS 2000, 105, 110. 5"^ Zu der Diskussion iiber die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den allgemeinen Rechtsgrundsatzen des Art. 6IIEUV vgl. Bose, IRG, Vor § 81 Rn. 7 ff m. w. N.
C. Erleichtemng der Auslieferung
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- Korruption, - Betmgsdelikte, einschlieBlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften i. S. d. Ubereinkommens v. 26. M i 1995 liber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften, - Wasche von Ertragen aus Straftaten, - Geldfalschung, einschlieBlich der Euro-Falschung, - Cyberkriminalitat, - Umweltkriminalitat, einschlieBlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten Oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten, - Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, - vorsatzliche Totung, schwere Korperverletzung, - illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe, - Entfiihrung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme, - Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, - Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen, - illegaler Handel mit Kulturgiitern, einschlieBlich Antiquitaten und Kunstgegenstande, - Betrug, - Erpressung und Schutzgelderpressung, - Nachahmung und Produktpiraterie, - Falschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit, - Falschung von Zahlungsmitteln, - illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsforderern, - illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, - Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, - Vergewaltigung, - Brandstiftung, - Verbrechen, die in die Zustandigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen, - Flugzeug- und Schiffsentfiihrung, - Sabotage. Die eher kriminologisch denn tatbestandsorientierte Positivliste^^ entspricht dem 26 derzeitigen Grundbestand an gemeinsamen bzw. iibereinstimmenden strafrechtlichen Bewertungen, wie sie in deliktsspezifischen tJbereinkommen auf UN-, Europarats- und EU-Ebene Ausdruck finden^^. Deren Eignung als Uberstellungsgrundlage wird vom Rahmenbeschluss unionsweit verbindlich festgelegt, obwohl nicht fiir alle in der Liste aufgefiihrten Straftaten vollstandig harmonisierte Definitionen
55 Hackner, IRhSt, Vor § 78 IRQ Rn. 7; Schomburg, NJW 2003, 3392, 3393. 5^ Vgl. zu den Deliktsgmppen im einzelnen Bose, IRG, § 81 Rn. 12 ff.
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
existieren^''. Die Anmahnung weiterer Prazisierungen bestimmter Deliktsgruppen - namentlich „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" sowie „Sabotage" - ist daher berechtigt^^. Ungeachtet dessen, dass in den Randbereichen der jeweiligen Deliktsgruppe Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung der einschlagigen nationalen Strafbestimmungen bestehen, ist aus Sicht des Unionsgesetzgebers jedenfalls ein Harmonisierungsgrad erreicht, der eine Priifung der beiderseitigen Strafbarkeit verzichtbar erscheinen lasst^^. 27 (3) Der klassische Auslieferungsvorbehalt der Spezialitat will sicherstellen, dass der Auszuliefernde im ersuchenden Staat ausschlieBlich wegen der Tat strafrechtlich verfolgt wird, wegen der die Auslieferung vom ersuchten Staat bewilligt wurde (§ 2 Rn. 74). Entgegen dem ersten Entwurf der Kommission, der die Abschaffung des Spezialitatsgrundsatzes vorsah, halt der erlassene Rahmenbeschluss in Art. 27 II grundsatzlich an diesem Prinzip fest. Jedoch sind in Art. 27 I und III Ausnahmen genereller und spezieller Art vorgesehen, was zu einem hochkomplexen und uniibersichtlichen Regelungsgeflecht fiihrt^^. (4) In Art. 3 Nr. 1-3 normiert der Rahmenbeschluss Griinde, bei deren Vorlie28 gen die VoUstreckung des Europaischen Haftbefehls zwingend abzulehnen ist. Ein obligatorischer Ablehnungsgrund liegt vor, wenn - die Straftat, aufgrund deren der Europaische Haftbefehl ergangen ist, im VoUstreckungsstaat unter eine Amnestic fallt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht fiir die Verfolgung der Straftat zustandig war (Nr. 1), - sich aus den der vollstreckenden Justizbehorde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat rechtskraftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits voUstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird Oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann (transnationales „ne bis in idem"; Nr. 2), - die Person, gegen die der Europaische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des VoUstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters fiir die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrcchtlich zur Verantwortung gczogen werden kann (Nr. 3). 29 (5) Die voUstreckende Justizbehorde kann die VoUstreckung des Europaischen Haftbefehls verweigern, wenn einer der in Art. 4 Nr. 1-7 aufgefiihrten fakultativen Ablehnungsgriinde vorliegt, namlich
5^ Vgl. hierzu v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 67 ff.; Rohlff, EuHb, S. 87 ff.; krit. zu dem generellen Verzicht auf Uberprtifung der beiderseitigen Strafbarkeit Vogel, JZ 2001, 937, 940. ^^ Vgl. die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drs. 15/3831, S. 3 ff. zu dem vergleichbaren Art. 16 RB-Vorschlag Europaische Beweisanordnung. 59 5o5^, IRG, § 81 Rn. 11. 60 Vgl. hierzu v. Heintschel-HeinegglRohljf, GA 2003, 44, 48.
C. Erleichtemng der Ausliefemng
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- in einem der in Art. 2 IV 4 genannten Falle die Handlung, aufgrund deren der Europaische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt (beiderseitige Strafbarkeit); dies gilt jedoch nicht in Steuer-, Zoll- und Wahrungsangelegenheiten (Nr. 1), - die Person, gegen die der Europaische Haftbefehl ergangen ist, im VoUstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der Europaische Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird („Rechtshangigkeit"; Nr. 2), - die Justizbehorden des Vollstreckungsmitgliedstaats beschlossen haben, wegen der Straftat, aufgrund deren der Europaische Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen, oder wenn gegen die gesuchte Person in einem Mitgliedstaat aufgrund derselben Handlung eine rechtskraftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht (transnationales „ne bis in idem"; Nr. 3), - die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjahrt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand (Nr. 4), - sich aus den der vollstreckenden Justizbehorde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskraftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade voUstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann (transnationales „ne bis in idem"; Nr. 5), - der Europaische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden MaBregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich die gesuchte Person im VoUstreckungsmitgliedstaat aufhalt, dessen Staatsangehoriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die MaBregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu voUstrecken (Nr. 6), - der Europaische Haftbefehl sich auf Straftaten erstreckt, die a) nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind oder b) auBerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die Verfolgung von auBerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen (Nr. 7). Hinzuweisen ist darauf, dass das Verbot der Doppelbestrafung im Hinblick 30 auf die in Art. 54 SDtJ getroffene Regelung iiber ein transnationales „ne bis in idem" innerhalb der EU (vgl. hierzu § 13) zu einem obligatorischen Ablehnungsgrund nach Art. 3 Nr. 2 fiihrt. Ein Vollstreckungshindernis ergibt sich nach Art. 54 SDtJ i. V. m. Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses nicht nur im Falle einer in einem Mitgliedstaat erfolgten rechtskraftigen Aburteilung in Form einer gerichtlichen Verurteilung oder eines Freispruchs, sondern auch im Falle des Erlasses einer sonstigen verfahrenserledigenden Entscheidung, die materielle
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Rechtskraft entfaltet (z. B. eine Einstellung nach § 153 a StPO oder eine belgische „transactie"^"'). 31 (6) Art. 5 sieht bestimmte Falle vor, in denen die Vollstreckung des Europaischen Haftbefehls davon abhangig gemacht werden kann, dass der Ausstellungsmitgliedstaat bestimmte Garantien abgibt. Handelt es sich um einen Haftbefehl aufgrund eines gegen die gesuchte Person verhangten AbwesenheitsurteUs^^, kann die Moglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens unter Anwesenheit des Betroffenen im Ausstellungsmitgliedstaat nach der tJbergabe des Betroffenen gefordert werden (Art. 5 Nr. 1). Droht dem Betroffenen eine lebenslange Freiheitsstrafe, kann die Vollstreckung des Europaischen Haftbefehls an die Bedingung gekniipft werden, dass die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaates eine Uberpriifung der verhangten Strafe - auf Antrag oder spatestens nach 20 Jahren - oder Gnadenakte zulasst, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der MaBregel fiihren konnen und auf die die betroffene Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaates einen Anspruch hat (Art. 5 Nr. 2)^^. Bei eigenen Staatsangehorigen des VoUstreckungsmitgliedstaates oder bei Personen, die ihren Wohnsitz im VoUstreckungsmitgliedstaat haben, kann die Ubergabe davon abhangig gemacht werden, dass sie nach Gewahrung rechtlichen Gehors zur VerbiiBung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden MaBregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhangt werden, ruckuberstellt werden (Art. 5 Nr. 3). 32 (7) SchlieBlich weist Art. 1 III ausdriicklich darauf hin, dass der Europaische Haftbefehl unter dem Vorbehalt der Grundrechte und der in Art. 6 EUV niedergelegten allgemeinen Rechtsgrundsatze steht, was mittelbar auch die Gewahrleistung der Konventionsgarantien der EMRK einschlieBt (Art. 6 II EUV)^"^. Art. 1 III formuliert mithin einen ^^europaischen ordre pubbc"®^. Uber die Auslegung des Rahmenbeschlusses, insbesondere der Auslieferungshindernisse, kann der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach MaBgabe des Art. 35 EUV entscheiden. 4, Vorlaufige Bewertung und Ausblick 33 Der Europaische Haftbefehl stellt den Auslieferungsverkehr zwischen den EUMitgliedstaaten auf eine neue rechtliche Grundlage und markiert zugleich einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Das von Europaischem Rat, Kommission und EP als „Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit bezeichnete Prinzip der
61 Vgl. hierzu EuGH NJW 2003, 1173 f. = NStZ 2003, 332 = StV 2003, 201 ff 6^ Diese sind in einigen Staaten (z. B. in Italian, Frankreich, Ungam) zulassig; vgl. hierzu EGMR NJW 2001, 2387; BGH JZ 2002, 464 m. Anm. v. Vogel; OLG Stuttgart ZIS 2006, 452 m. Anm. v. Karsai, ZIS 2006, 443 ff 6^ Nach deutschem Recht besteht ein solcher Anspruch gem. §§ 57 a, b, 67 d, 67 e StGB. 64 65
Vgl. hierzu Esser, E R A - F o r u m 2003, 70 ff; Vogel, J Z 2002, 464, 468. Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 2 4 1 ; v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 72.
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gegenseitigen Anerkennung^^ (Rn. 48 ff.) wird in diesem neuen Instrument erstmalig konkret ausgeformt (vgl. hierzu Erwagungsgrund Ziff. 6 und Art. 1 II des Rahmenbeschlusses)^''. Mit der Schaffung eines unionsweit vollstreckbaren Festnahme- und tJberstellungsbefehls riickt das an die Stelle des klassischen Auslieferungsverfahrens tretende EU-interne tjbergabeverfahren zwischen den mitgliedstaatlichen Justizbehorden bereits in die Nahe einer innerstaatlichen Zusammenarbeit. Zwar haben sich die Mitgliedstaaten bereits in bestehenden bi- und multilateralen Auslieferungsiibereinkommen sowie in dem noch in der Ratifikationsphase befindlichen EUAU (Rn. 18) grundsatzlich verpflichtet, Auslieferungsersuchen der Vertragsparteien zu bewilligen. Diese volkerrechtliche Pflicht ist jedoch durch bestehende Vorbehaltsmoglichkeiten, insbesondere durch den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit eingeschrankt. Demgegentiber legt der Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl die moglichen Auslieferungshindernisse abschlieBend fest (Art. 3, 4). Auf andere als die dort aufgefiihrten Griinde darf die Ablehnung der Vollstreckung des Haftbefehls also nicht gestiitzt werden. Nach den Vorgaben des Art. 2 II des Rahmenbeschlusses miissen die Mitglied- 34 staaten im Falle der Verfolgung einer Katalogtat auch eigene Staatsangehorige an einen anderen Mitgliedstaat ubergeben, ohne den Vorbehalt der beiderseitigen Strafbarkeit (Art. 2 IV) geltend machen zu diirfen. Der deutsche Gesetzgeber hat durch eine Anderung des Art. 16 II GG den Weg fiir eine Auslieferung eigener Staatsangehoriger frei gemacht, indem er das verfassungsrechtliche Verbot der Auslieferung deutscher Staatsangehoriger mit einer Einschrankung versehen hat^^. Nach Art. 16 II 2 GG n. F. kann durch Gesetz eine abweichende Regelung fiir Auslieferungen an einen Mitghedstaat der EU oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatUche Grundsatze gewahrt sind. In seiner Entscheidung v. 18. JuH 2005 forderte das BVerfG vom Gesetzgeber, den Rahmenbeschluss so umzusetzen, dass die dabei unumgangliche Einschrankung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhaltnismaBig ist und stellte hierfiir Kriterien fur ein erforderliches gesetzliches Priifprogramm auf (Rn. 39, 43)®^. Damit ist hochstrichterlich geklart, dass die Auslieferung Deutscher verfassungsrechtlich jedenfalls nicht schlechthin ausgeschlossen ist''°.
^^
6^ 68 69 ^0
Vgl. Schlussfolgemngen Nr. 35 und 36 des Vorsitzes des Europaischen Rates am 15./16. Oktober 1999 in Tampere (EU-BuUetin 10-1999, S. 7, 12); Mitteilung der Kommission an den Rat und das EP „Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Rechtssachen" v. 26. M i 2000 in KOM (2000) 495; Mafinahmenprogramm des Rates und der Kommission zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtUcher Entscheidungen in Strafsachen (ABIEG 2001 Nr. C 12, S. 10); EntschlieBung des EP zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen (ABIEG 2001, Nr. C 34, S. 385). Vgl. hierzu Bose, IRG, Vor § 78 Rn. 2; v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 50 ff; Hackner, IRhSt, Vor § 78 Rn. 4 ff Vgl. Art. 1 des Gesetzes v. 29. November 2000 (BGBl. 12000, 1633). BVerfG NJW 2005, 2289, 2292 ff So aber die Auffassung von Schunemann, ZRP 2003, 185; ders., GA 2004, 193, 205 ff; zur Entscheidung des BVerfG vgl. Schunemann, StV 2005, 681 ff
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35 Auf welche Gmnd- und Menschenrechte der Betroffene sich berufen kann, um die VoUstreckung eines Europaischen Haftbefehls zu verhindern, wird auch in Zukunft fiir Diskussionen sorgen''^ Hierzu gehort - im Lichte der \^upino''Entscheidung des EUGH (§10 Rn. 80 ff.) - auch die Frage, ob nationale Gesetze (hier: die Bestimmungen des IRG) und ihre Auslegung iiberhaupt noch einer Uberpriifung am MaBstab der deutschen Grundrechte durch das BVerfG zuganglich sind, soweit sie zwingendes Unionsrecht (Rahmenbeschliisse) umsetzen''^. Das BVerfG lieB diese Grundsatzfrage in seiner Entscheidung v. 18. Juli 2005, in der es das Europaischen Haftbefehlsgesetzes v. 21. Juli 2004 fiir nichtig erklarte (Rn. 38), offen^^. Mit den aus seiner Sicht aus Art. 16 II GG abzuleitenden Nachbesserungsvorschlage hielt sich das Gericht jedoch im Rahmen der Umsetzungsspielraume, die der Rahmenbeschluss den Mitgliedstaaten einraumt. Der mit der VoUstreckung des Europaischen Haftbefehls verbundene Eingriff in die Freiheitsrechte der verfolgten Person erscheint jedenfalls bei dem vom Rahmenbeschluss geforderten Vorliegen einer auslieferungsfahigen Straftat (vgl. Art. 2 I) oder einer Katalogstraftat (Art. 2 II) nicht unverhaltnismaBig^^. Die Art und Weise des Vollzugs des Europaischen Haftbefehls und die Rechte der verfolgten Person bestimmen sich nach dem Recht des VoUstreckungsstaates. Der Rahmenbeschluss verlangt explizit die Gewahrleistung bestimmter Mindestgarantien fiir den Verfolgten nach MaBgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates, wie das Recht auf Unterrichtung iiber den Haftbefehl und dessen Inhalt (Art. 11 I), den Anspruch auf Beiziehung eines Rechtsbeistandes und eines Dolmetschers (Art. 11 II) und auf rechtliches Gehor (Art. 14). Auch besteht die Moglichkeit einer vorlaufigen Haftentlassung, sofern eine Flucht der verfolgten Person auf andere Weise als durch Inhaftierung verhindert werden kann (Art. 12). Zusatzliche Garantien sieht der Rahmenbeschluss fiir bestimmte Problemkonstellationen (Abwesenheitsverurteilungen, drohende lebenslange Freiheitsstrafe im Ausstellungsstaat) vor. 36 Es ist Aufgabe aller EU-Mitgliedstaaten, fiir eine ausgewogene Balance zwischen den Erfordernissen einer modernen Verbrechensbekampfung einerseits und einem hohen rechtsstaatlichen Standard andererseits zu sorgen. Die Umsetzung des neuen Rechtsinstituts erfordert nationale Ausfiihrungsgesetze, die inzwischen von alien Mitgliedstaaten erlassen wurden'^^. Einem Bericht der Kommission v. 23. Februar 2005^^ zufolge bewirkte die Einfiihrung des Europaischen Haftbefehls eine wesentliche Verfahrensbeschleunigung im Bereich des Auslieferungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Nach einer vorlaufigen Schatzung hat sich das Auslieferungsverfahren bis zur VoUstreckung eines Haftbefehls im Durchschnitt von 71 Vgl. hierzu v. Heintschel-Heinegg/Rohlff, GA 2003, 44, 50; Weigend/GorskU ZStW 117 (2005), S. 193, 206 f; VogeU JZ 2001, 937, 941. 72
V g l . hierzu Ambos, N J W 2006, 264 ff.
IntStR, § 12 R n . 7 0 ; Bose, IRG, V o r § 78 R n . 8 ff.;
Masing,
73
Krit. hierzu Verfassungsrichter Gerhardt (NJW 2005, 2302).
74
Vgl. hierzu v. Bubnojf, ZEuS 2002, 185, 2 3 1 f.
75 76
Zur Umsetzung des Euhb in Polen vgl. WeigendlGorskU ZStW 117 (2005), S. 193 ff KOM (2005) 63 endg., S. 6.
C. Erleichterung der Ausliefemng
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bislang neun Monaten auf 43 Tage verkiirzt. Dabei wurden noch nicht einmal die haufig vorkommenden Falle beriicksichtigt, in denen der Betreffende seiner tJbergabe zustimmt. In diesen Fallen betragt der betreffende Zeitraum im Durchschnitt nur noch 13 Tage. Reichlich iiberzogen erscheint die Befiirchtung, der Europaische Haftbefehl 37 laufe „eindeutig auf die europaweite Herrschaft des jeweils punitivsten Strafrechts und damit auf die Schaffung eines Raumes der Unfreiheit und der Unsicherheit hinaus"^''. Zwar ist es vollig legitim, gerade im Bereich des eingriffsintensiven tjbergabeverfahrens die Wahrung der Biirgerrechte einzufordern. Es sollte dabei aber nicht iibersehen werden, dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten ein faires, rechtsstaathches Verfahren fiir den Verfolgten gewahrleistet ist^^. Den Schutz der Grund- und Menschenrechte kann man in alien EU-Mitgliedstaaten - zumal sie alle der EMRK verpflichtet sind - grundsatzlich als gleichwertig ansehen. Daher besteht innerhalb des Rechtsraumes der EU kein Grund, die von dem Rahmenbeschluss geforderte zwischenstaatliche Kooperation zum Zwecke der Strafverfolgung oder Strafvollstreckung in Frage zu stellen. Dies gilt nicht nur fiir die Festnahme und tJbergabe eigener Staatsangehoriger, sondern auch von Auslandern, die ihren Lebensmittelpunkt in einem Mitgliedstaat haben. Dem im Hinblick auf seine Resozialisierung verstandlichen Interesse des Betroffenen, die gegen ihn verhangte Strafe in seinem Heimat- oder Wohnsitzstaat verbiiBen zu konnen, kann bereits mit einer Riickiiberstellung hinreichend Rechnung getragen werden (vgl. Art. 5 III)^^.
III. Umsetzung des Rahmenbeschlusses in Deutschland 1. Nichtigerklarung des ersten Umsetzungsgesetzes dutch das Bundesverfassungsgericht In Deutschland wurde der Rahmenbeschluss liber den Europaischen Haftbefehl 38 und die Ubergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten durch das Europaische Haftbefehlsgesetz (EuHbG)^^ v. 21. M i 2004, das am 23. August 2004 in Kraft getreten ist, in deutsches Recht umgesetzt. Hierzu wurde ein neuer achter Teil mit dem Titel „Unterstutzung von Mitgliedstaaten der Europaischen Union" in das
^^ Schunemann, ZRP 2003, 185, 188; ders., StV 2003, 116, 119; vgl. auch Nestler, ZStW 116 (2004), S. 332, 336, 350 („Horrorvision der entfesselten Krafte des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung"). Gegen diese Fundamentalkritik zu Recht Bose, IRG, Vor § 78 Rn. 14. ^^ Vgl. hierzu BT-Drs. 14/2668, S. 5 zur Andemng des Art. 16 II GG; Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 245; Wasmeier, ZStW 116 (2004), S. 320, 321. ^^ Einen subjektiv-rechtlichen Anspmch auf Ruckiiberstellung bejaht Lagodny, ZRP2000, 175,176. ^^ Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses iiber den Europaischen Haftbefehl und die Ubergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europaischen Union (BGBl. 12004,1748).
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IRG eingefiigt (§§ 78-83 i IRG)^\ In dem auf Verfassungsbeschwerde eines Deutsch-Syrers eingeleiteten Verfahren gegen die Zulassung der Auslieferung nach Spanien wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung durch das OLG Hamburg und die Bewilligung der Hamburger Justizbehorde erklarte der Zweite Senat des BVerfG mit Beschluss v. 18. Juli 2005^^ mehrheitlich das ganze Gesetz fiir nichtig. Eine verfassungskonforme Auslegung oder die Feststellung der Teilnichtigkeit schieden nach Auffassung des Senats aus, well der Gesetzgeber in normativer Freiheit unter Beachtung der verfassungsrechtlichen MaBstabe iiber die Ausiibung des qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 16 II S. 2 GG erneut entscheiden konnen miisse^^. 39 Das BVerfG beanstandete, dass das EuHbG dem in Art. 16 II S. 2 GG verankerten Verbot der Auslieferung Deutscher nicht hinreichend Rechnung trage. Eingriffe in dieses Grundrecht diirften nur unter Beachtung des VerhaltnismaBigkeitsgrundsatzes, insbesondere des Schonungsgebotes, erfolgen. Der Gesetzgeber habe es unterlassen, den ihm gem. Art. 4 Nr. 7a des Rahmenbeschlusses eroffneten Umsetzungsspielraum zur Nichtauslieferung Deutscher (Rn. 29) in Form einer tatbestandlichen Konkretisierung auszuschopfen und durch ein gesetzliches Prtifprogramm dafiir Sorge zu tragen, dass die das Gesetz ausfiihrenden Stellen in einem Auslieferungsfall in eine konkrete Abwagung der widerstreitenden Rechtspositionen eintreten. Straftatvorwiirfe mit maBgeblichem Inlandsbezug seien bei tatverdachtigen deutschen Staatsangehorigen prinzipiell im Inland durch deutsche Strafverfolgungsbehorden aufzuklaren. 40 Des Weiteren monierte das BVerfG, dass das EuHbG keine gerichtliche Uberpriifung der Bewilligungsentscheidung vorsehe, was einen VerstoB gegen Art. 19 IV GG darstelle. Zwar sei die gerichtliche Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung im klassischen Auslieferungsverfahren bislang abgelehnt worden, well die auBen- und allgemeinpolitischen Aspekte zum Kernbereich der Exekutive gehorten (vgl. hierzu § 2 Rn. 81). Durch die Anderung des Art. 16 II GG und das Inkrafttreten des EuHbG hatten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen
Vgl. hierzu OLG Stuttgart StV 2004, 546; Hetzer, Kriminahstik 2005, 566, 568; Seitz, NStZ 2004, 546 ff.; krit. im Hinblick auf die Beibehaltung der Terminologie und Systematik des IRG Ahlbrecht, StV 2005, 40, 42; Bose, IRG, § 83 b Rn. 1; v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 17; Wehnert, StraFo 2003, 356, 359 f. Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden BVerfGE 113, 237 ff = NJW 2005, 2289 ff = StV 2005, 505 ff. und hierzu Ambos, MtStR, § 12 Rn. 71; Bohm, NJW 2005, 2588; Hetzer, Kriminalistik 2005, 566, 570; Hufeld, JuS 2005, 865; Jekewitz, GA 2005, 625; Knopp, JR 2005, 448; Lagodny, StV 2005, 515; Ranft, wistra 2005, 361; Schunemann, StV 2005, 681; Tomuschat, EuGRZ 2005, 453; Vogel, JZ 2005, 801. Die Verfassungsrichter Lubbe-Wolff und Gerhardt auBem in ihren Minderheitsvoten Bedenken gegen die Aufhebung des gesamten Gesetzes. In einem Urteil v. 27. April 2005 hat der polnische Verfassungsgerichtshof eine nationale Bestimmung, die die Ubergabe eigener Staatsangehoriger an einen anderen Mitgliedstaat aufgrund eines Europaischen Haftbefehls erlaubt, zwar als VerfassungsverstoB gewertet, jedoch den Geltungsverlust der betroffenen Bestimmung in Erwartung einer bevorstehenden Verfassungsanderung auf hochstens 18 Monate aufgeschoben (EuR 2005, 494 ff).
C. Erleichterung der Ausliefemng
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ftir Auslieferungen in Mitgliedstaaten der EU jedoch grundlegend verandert. Im Grundsatz gelte nunmehr, dass zulassige Ausliefemngsersuchen anderer Mitgliedstaaten nur abgeiehnt werden konnen, soweit dies im achten Teil des IRG vorgesehen sei. Durch diese Grundregel werde das der Bewilligungsbehorde im klassischen Auslieferungsverfahren zustehende weite Ermessen prinzipiell beseitigt und das Verfahren iiber die schon bestehenden vertraglichen Bindungen hinaus verrechtlicht. Der Bewilligungsentscheidung falle nunmehr die Funktion zu, die gesetzliche Einschrankung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit zu konkretisieren. Die bei der Bewilligung zu treffende Abwagungsentscheidung diirfe daher richterlicher Uberpriifung nicht entzogen werden. 2. Das Europaisches Haftbefehlsgesetz vom 20. Juli 2006 Nachdem die Umsetzung des Rahmenbesclilusses in nationales Recht im ersten 41 Anlauf gescheitert war, bestand fiir den deutschen Gesetzgeber dringender Handlungsbedarf. Am 2. August 2006 trat das zweite Europaische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) V. 20. M i 2006^"^ in Kraft. Das zweite Umsetzungsgesetz weicht von dem ersten nur insoweit ab, als das Urteil des BVerfG Anderungen oder Erganzungen gebietet. Auch das zweite EuHbG halt an der traditionellen Terminologie („Auslieferung"; „ersuchender Staat"; „ersuchter Staat") und Systematik des IRG (Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens) fest®^. Die maBgeblichen Umsetzungsbestimmungen sind im achten Teil (§§ 78-83 i IRG) enthalten. § 79 IRG normiert eine grundsatzliche Pflicht zur Bewilligung zulassiger Auslieferungsersuchen. Dieses kann nur abgeiehnt werden, soweit im Einzelfall Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG bestehen. Von besonderer Bedeutung sind die nachfolgenden Bestimmungen des IRG: a) Abkehr vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit Eine der grundlegendsten Neuerungen, die mit dem RB verbunden sind, ist die 42 Abkehr von dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit. Dieser Vorgabe tragt § 81 Nr. 4 IRG Rechnung, wonach die beiderseitige Strafbarkeit abweichend von der Grundregel des § 3 IRG nicht zu priifen ist, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates eine Strafbestimmung verletzt, die den in Art. 2 II RB in Bezug genommenen Deliktsgruppen („Positivliste" Rn. 25) zugehorig ist^^. Scheidet eine Zuordnung der in Rede stehenden Tat zu einer der Deliktsgruppen eindeutig aus, so ist die beiderseitige Strafbarkeit weiterhin zu priifen (§ 78 IRG i. V. m. § 3 IRG). Letzteres ist z. B. Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses tiber den Europaischen Haftbefehl und die Ubergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europaischen Union (BGBL I 2006, 1721). Vgl. hierzu die berechtigte Kritlk v. HacknerlSchomburg/Lagodny/Glefi, NStZ 2006, 664, 665 sowie die bereits gegen das erste EuHbG zu Recht erhobenen Einwande von AhlbrechU StV 2005, 40, 42; Bose, IRG, § 83 b Rn. 1; v. Bubnoff, Leitfaden EuHb, S. 17; Lagodny, StV 2005, 515, 518; Wehnert, StraFo 2003, 356, 359 f Vgl. zu den Deliktsgruppen im einzelnen Bose, IRG, § 81 Rn. 12 ff.
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der Fall, wenn es sich bei der dem Ausliefemngsersuchen zugrunde liegenden Tat um einen illegalen Schwangerschaftsabbmch handelt^''.
b) Gesetzliches Prufprogramm bei Auslieferung Deutscher 43 In § 80 IRG wird das vom BVerfG geforderte Priifprogramm bei der Auslieferung deutscher Staatsangehoriger gesetzlich festgeschrieben^^. Nach § 80 I S. 1 IRG ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur zulassig, wenn -
1. gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhangung einer rechtskraftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich diese Gesetzes zuriickzuiiberstellen, und - 2. die Tat einen maBgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist. Ein raaBgeblicher Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat liegt in der Kegel vor, wenn die Tathandlung vollstandig oder in wesentlichen Teilen auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist, oder wenn es sich um eine schwere Tat mit typisch grenziiberschreitendem Charakter handelt, die zumindest teilweise auch auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurde (§ 8 0 1 S. 2 IRG). 44 Beispiele: (1) Ein Deutscher ermordet in Frankreich einen Franzosen. (2) Deutsche Staatsangehorige beteihgen sich in Deutschland an der Vorbereitung eines terroristischen Anschlages, der auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates begangen wird^^. Wegen des maBgeblichen Auslandsbezugs ist eine Auslieferung der verfolgten deutschen Staatsangehorigen in beiden Fallen prinzipiell zulassig. 45 Liegen die Voraussetzungen des § 80 I Nr. 2 IRG nicht vor, so ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zweck der Strafverfolgung nach § 80 II S. 1 IRG nur zulassig, wenn -
1. die Voraussetzungen des § 8 0 1 S. 1 Nr. 1 IRG vorliegen und die Tat 2. keinen maBgeblichen Bezug zum Inland aufweist und 3. auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat ist, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht oder bei sinngemaBer Umstellung des Sachverhalts auch nach deutschem Recht eine solche Tat ware, und bei konkreter Abwagung der widerstreitenden Interessen das schutzwiirdige Vertrauen des Verfolgten in seine Nichtauslieferung nicht iiberwiegt. Ein maBgeblicher Bezug
Vgl. hierzu Bose, IRG, § 81 Rn. 25. Vgl. hierzu Hackner/SchomburglLagodnylGlefi, NStZ 2006, 664, 666 ff Das BVerfG fiihrte insoweit aus, dass derjenige, der sich in verbrecherische Stmkturen wie namentlich den intemationalen Terrorismus oder organisierten Drogen- oder Menschenhandel einbindet, nicht in voUem Umfang auf den Schutz des Auslieferungsverbots berufen konne (NJW 2005, 2289, 2292).
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zum Inland liegt in der Regel vor, wenn die Tathandlung vollstandig oder in wesentlichen Teilen im Geltungsbereich dieses Gesetzes begangen wurde und der Erfolg zumindest in wesentlichen Teilen dort eingetreten ist (§ 80 II S. 2 IRG). Bei der Abwagung sind insbesondere der Tatvorwurf, die praktischen Erfordernisse und Moglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung und die grundrechtlich geschiitzten Interessen des Verfolgten unter Beriicksichtigung der mitder Schaffung eines Europaischen Rechtsraums verbundenen Ziel zu gewichten und zueinander ins Verhaltnis zu setzen (§ 80 II S. 3 IRG). Liegt wegen der Tat, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens ist, eine Entscheidung einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts vor, ein deutsches strafrechtliches Verfahren einzustellen oder nicht einzuleiten, so sind diese Entscheidung und ihre Griinde in die Abwagung mit einzubeziehen; Entsprechendes gilt, wenn ein Gericht das Hauptverfahren eroffnet oder einen Strafbefehl erlassen hat (§ 80 II S.4IRG). Beispiele: (1) Der Deutsche D versteigert von Deutschland aus im Internet betriigerisch 46 Waren und schadigt dadurch zahlreiche Opfer im In- und Ausland, damnter uberwiegend Deutsche. Da der Inlandsbezug der Tat iiberwiegt, ist eine Ausliefemng des D unzulassig. D ist in Deutschland abzuurteilen. (2) Der deutsche Staatsbiirger A ist in einen Komplex bandenmaBig begangener Autodiebstahle und -verschiebereien verwickelt, die sich in Deutschland und Polen abspielen. Hierbei handelt es sich um einen sog. „MischfaH", da weder ein tiberwiegender Inlands- noch Auslandsbezug festgestellt werden kann. Die zustandige deutsche Behorde muss in diesem Fall in das von § 80 II S. 3, 4 IRG vorgeschriebene Priifprogramm eintreten. Wenn A wegen dieser Taten in Deutschland bereits angeklagt und ein deutsches Gericht das Hauptverfahren eroffnet hat, spricht dies gegen die Zulassigkeit seiner Aushefemng (§ 80 II S. 4 IRG). Hinweis: Nach Abschluss der gegen D bzw. A gefiihrten Strafverfahren in Deutschland kommt - wie § 83 Nr. 1 IRG bestatigt - ihre Ausliefemng an einen anderen Mitgliedstaat nicht mehr in Betracht, da nach Art. 54 SDtJ die rechtskraftige Aburteilung in einem Mitgliedstaat einer emeuten Aburteilung des A wegen derselben Tat in anderen Mitgliedstaaten entgegensteht (vgl. zum transnationalen Doppelbestrafungsverbot § 13 ). c) Gerichtliche Uberprufung der Bewilligungsentscheidung Da auch das zweite EuHbG an der Zweistufigkeit des Auslieferungsverfahrens 47 festhalt, bleibt die Moglichkeit bestehen, dass eine Ausliefemng nicht bewilligt wird, obwohl die Zulassigkeitsvoraussetzungen des IRG erfiillt sind. § 83 b IRG benennt abschlieBend die Griinde, die zur Ablehnung einer Bewilligung fiihren konnen, aber nicht miissen. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Strafverfolgung vorrangig im Inland bzw. einem Drittstaat erfolgen soil (§ 83 b I lit. a, c IRG) oder die Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens wegen derselben Tat, die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegt, abgelehnt oder ein bereits eingeleitetes Verfahren eingestellt wurde (§ 83 b I lit. b IRG). Die Bewilligungsbehorde trifft ihre Entscheidung nach pflichtgemaBem Ermessen mit einem auch auBenpolitischen Erwagungen zuganglichem Spielraum. Bewilligungsbehorden sind aufgrund der Ubertragung der Bewilligungsbefugnis von der Bundesregierung auf die Lander und der von diesen vorgenommenen Delegationserlasse die Generalstaatsan-
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waltschaften der Lander^^. Um dem Betroffenen den vom BVerfG geforderten effektiven Rechtsschutz zu gewahren und dennoch zugleich das Verfahren ziigig zu gestalten, trifft die Bewilligungsbehorde nach § 79 IIIRG bereits vorab ihre mit Griinden versehene Entscheidung, ob sie im Falle einer vom Gericht rechtlich fiir zulassig erklarten Ausliefemng Bewilligungshindernisse nach § 83 b IRG sieht oder nicht. Sieht sie BewiUigungshindernisse, wird das Auslieferungsersuchen bereits in diesem Stadium abgelehnt. Verneint sie hingegen das Vorliegen von Bewilligungshindernissen, iibermittelt sie ihre Begriindung dem OLG zusammen mit dem Antrag, iiber die Zulassigkeit der Auslieferung zu entscheiden (§ 79 II S. 3 IRG).
D. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen I. Anwendungsfelder 48 Die gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen soil nach der gemeinsamen Uberzeugung des Europaischen Rates, der Kommission und des EP als grundlegendes Strukturprinzip („Eckstein") der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen etabliert werden (Rn. 33). Danach sollen Entscheidungen der nationalen Justizbehorden grundsatzlich ohne Priifung in alien anderen Mitgliedstaaten Giiltigkeit beanspruchen und Wirksamkeit entfalten konnen. Eine Auspragung dieses Prinzips findet sich bereits in friiher erlassenen Rechtsakten, namlich in Art. 1 EG-ne bis in idem-Ubk und Art. 54 SDU, die ein transnationales Doppelbestrafungsverbot statuieren (§ 13)^^ In jiingster Zeit sind wichtige Rechtsakte erlassen oder initiiert worden, die auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhen. 2- Gegenseitige Anerlcennung von Sanlctionen 49 Der am 22. Marz 2005 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss des Rates iiber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und GeldbuBen^^ bildet ein weiteres Beispiel fur den herausragenden Stellenwert, die dem schon im Titel des RB anklingenden Strukturprinzip beigemessen wird. Die in einem Mitgliedstaat („Entscheidungsstaat") ergangene rechtskraftige Entscheidung iiber die Verhangung einer Geldstrafe oder GeldbuBe wegen einer in dem Katalog des Art. 5 I RB aufgefiihrten Straftat oder Verwaltungsiibertretung (Ordnungswidrigkeit) - z. B. ein Verkehrsdelikt - ist gem. Art. 6 RB von dem Mitgliedstaat, dem diese Entscheidung zum Zwecke der VoUstreckung iibermittelt wurde („Vollstreckungsstaat") auch ohne Uberpriifung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit grundsatzlich anzuerkennen und zu voUstrecken. Der 90
Vgl. hierzu Hackner, IRhSt, Vor § 78 I R G Rn. 20.
91 Vgl. hierzu Glefi, ZStW 116 (2004), S. 353, 362 ff.; Radtke, GA 2004, 1,17 m .w. N. 92 ABIEG 2005 Nr. L 76, S. 16.
D. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen
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Vollstreckungsstaat kann die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung nur aus den in Art. 7 RB aufgefiihrten Griinden verweigern, z. B. wenn die auferlegte Geldzahlung unter 70 Euro liegt. Bemerkenswert ist, dass nach Art. 9 III RB Geldstrafen oder GeldbuBen, die gegen juristische Personen verhangt werden, selbst dann zu vollstrecken sind, wenn der Grundsatz der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristisclier Personen im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt ist. Die Mitgliedstaaten miissen die Zielvorgaben des RB bis spatestens 22. Marz 2007 in nationales Recht umsetzen. 3. Angleichung strafprozessualer Verfahrensgarantien Nach zutreffender Auffassung der Kommission setzt eine effiziente Anwendung 50 des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung allseitiges Vertrauen voraus. Nicht nur die Justizbehorden, sondern alle an Strafverfahren beteiligten Personen miissten Entscheidungen der Justizbehorden der anderen Mitgliedstaaten als gleichwertig zu ihren eigenen ansehen diirfen und keinen Anlass haben, deren justizielle Funktion und die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren anzweifeln^^. Die Kommission legte daher am 28. April 2004 einen Vorschlag fur einen Rahmenbeschluss des Rates iiber bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europaischen Union^"^ vor. Hintergrund dieser Kommissionsinitiative bildet die Prognose, dass die Zahl auslandischer Angeklagter aufgrund verschiedener Faktoren, vor allem hohere berufliche Mobilitat, vermehrte Auslandsreisen, Migrationsbewegungen, Anstieg der Asylbewerber- und Fliichtlingszahlen, weiterhin zunehmen werde. Laut entsprechenden Statistiken wtirden etwa sechs Millionen Unionsbiirger in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsstaat leben. Mit zunehmender Ausiibung des Rechts, sich in der Union frei bewegen und auflialten zu diirfen, werde auch die Zahl der Unionsbiirger aus anderen Mitgliedstaaten, die in Strafverfahren verwickelt sind, steigen. Es sei Aufgabe der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die prozessualen Rechte der Unionsbiirger, gegen die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsstaat ein Strafverfahren anhangig ist, angemessen gewahrt werden. Der Rahmenbeschlussvorschlag der Kommission verlangt in einem ersten Schritt, dem weitere folgen soUen, die Annahme gemeinsamer Mindestnormen in folgenden fiinf Bereichen: - Vertretung durch einen Rechtsbeistand vor dem und im Hauptverfahren, - kostenlose Inanspruchnahme eines Dolmetschers/Ubersetzers, - Sicherstellung, dass Personen, die das Verfahren nicht verstehen oder ihm nicht folgen konnen, entsprechende Betreuung erhalten, - Recht auf Kontaktierung konsularischer Behorden bei auslandischen Verdachtigen sowie - Aufklarung der Verdachtigen iiber ihre Rechte.
93 94
K O M (2004) 328 endg. (Rz. 28). K O M (2004) 328 endg.
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4. Gegenseitige Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen 51 Der am 17. Marz 2005 von der Kommission initiierte Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates zur Beriicksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der EU ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren^^ statuiert den Gmndsatz, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene strafrechtliche Verurteilung mit den gleichen rechtlichen Wirkungen zu versehen ist, die das innerstaatliche Recht den im Inland ergangenen Verurteilungen zuerkennt. Die hier angesprochenen Rechtswirkungen betreffen insbesondere die Verfahrensvorschriften einschlieBlich der Vorschriften zur Untersuchungshaft, die rechtliche Einordnung des Tatbestands, Art und Umfang der verhangten Strafe sowie die VoUstreckungsvorschriften. Nach Erkenntnissen der Kommission werden auslandische Verurteilungen haufig entweder gar nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang beriicksichtigt. Die Unmoglichkeit, eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung mit gleichen Wirkungen zu versehen, stehe aber im Widerspruch zu dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und fiihre dazu, dass EU-Biirger bei einer etwaigen neuen Strafverfolgung allein aufgrund des unterschiedlichen Orts der Strafverfolgung ungleich behandelt wiirden. Daher miisse die Union in diesem Bereich legislativ tatig werden. 52 Beispiele: (1) Die deutsche Rechtspraxis misst inlandischen Vorstrafen im Rahmen der Strafzumessung regelmaBig eine strafscharfende Wirkung bei, sofem sic wegen einer einschlagigen Straftat ergangen sind („Wiederholungstater") oder erkennen lassen, dass der Tater sich iiber fnihere Wamungen hinweggesetzt hat, wahrend Auslandsvemrteilungen nur ausnahmsweise strafscharfend beriicksichtigt werden diirfen^®. SoUte der Rahmenbeschluss wie vorgeschlagen vom Rat angenommen werden, miisste sichergestellt werden, dass deutsche Gerichte der gegen einen Angeklagten in einem anderen Mitgliedstaat verhangten Vorstrafe die gleiche Wirkung beimessen wie einer in Deutschland verhangten Vorstrafe. Eine Gesetzesandemng diirfte insoweit nicht notwendig sein, da § 46 StGB einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung zuganglich ist (vgl. hierzu § 10 Rn. 79 ff.). (2) Einer rahmenbeschlusskonformen Auslegung ist auch § 56 f I Nr. 1 StGB zuganglich mit der Folge, dass auch die in einem anderen Mitgliedstaat begangene Straftat Anlass fiir den Widermf der Strafaussetzung zur Bewahmng im Inland bietet^^.
5. Informationsaustausch iiber Strafregistereintrage 53 Die international-arbeitsteilige Strafrechtspflege benotigt einen funktionierenden zwischenstaatlichen Informationsaustausch iiber Strafregistereintrage. Derzeit ist die Unterrichtung iiber in anderen Mitgliedstaaten ergangene Verurteilungen durch die Art. 13 und 22 des EuRhtJbk aus dem Jahre 1959 geregelt^®. Die darin vorgesehenen Verfahren geniigen jedoch nach Auffassung der Kommission nicht 95 96 9^ 98
KOM(2005)91endg. Vgl. hierzu BayOLG JZ 1978, 449; TrondldFischer, § 46 Rn„ 38 f; Schonke/Schroder/5'fr^^, § 46 Rn. 31 f Dies entspricht bereits der deutschen Rechtspraxis; vgl. hierzu OLG Koln MDR 1972; 438; TrondldFischer, § 56 f Rn. 3; Schonke/Schroder/^rr^g, § 56 f Rn. 3 a. ETS Nr. 30; BGBl. II1964, 1369, 1386; 1976, 1799; 11982, 2071; II2000, 555.
D. Gegenseitige Anerkennungjustizieller Entscheidungen
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mehr den Erfordernissen der Rechtshilfe innerhalb des EU-Rechtsraumes. Sie hat deshalb am 22. Dezember 2005 den Vorschlag fiir einen Rahmenbeschluss des Rates iiber die Durchfiihrung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten^^ vorgelegt. Mit diesem Rahmenbeschluss sollen - die Modalitaten festgelegt werden, nach denen ein Mitgliedstaat, in dem eine Vemrteilung gegen einen Staatsangehorigen eines anderen Mitgliedstaats ergangen ist, die betreffenden Informationen dem Mitgliedstaat iibermittelt, dessen Staatsangehorigkeit die vemrteilte Person besitzt (Herkunftsmitgliedstaat), - die Verpflichtung des Herkunftsmitgliedstaats zur Aufbewahrung dieser Informationen und die Modalitaten fiir die Beantwortung eines Antrags auf Informationen aus dem Strafregister prazisiert werden und - die Rahmenbedingungen fiir den Auf- und Ausbau eines elektronischen Systems zum Austauseh von Informationen iiber strafrechtliche Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt werden. 6. Internationale Rechtshilfe in Strafsachen In dem Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl (Rn. 19 ff.) wird 54 das Strukturprinzip der gegenseitigen Anerkennung - soweit es um die Festnahme und tJbergabe von Personen zum Zwecke der Verfolgung von Katalogtaten i. S. d. Art. 2 II geht - erstmalig konkret umgesetzt. An die Stelle des tradierten zwischenstaatlichen Auslieferungsverkehrs tritt ein System des freien Verkehrs strafrechtlich justizieller Entscheidungen (hier in Form einer auf Festnahme und Ubergabe einer Person gerichteten richterlichen Anordnung). Ein nachster Schritt in diese Richtung ware der Erlass der von der Kommission vorgeschlagenen Europaischen Beweisanordnung (Rn. 9 ff.). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Kommission langfristig eine umfassende einheitliche MaBnahme anstrebt, die zu gegebener Zeit alle bestehenden Rechtshilferegelungen ersetzen soil (Rn. 11). Die Idee eines j^europaweit verkehrsfahigen Beweises" liegt — thematisch be- 55 grenzt auf den Schutz der EG-Finanzinteressen - auch der im Griinbuch der Kommission v. 11. Dezember 2001^°° (§ 14 Rn. 37 ff.) vorgestellten Konzeption zugrunde''^^ Die Kommission betont, dass der Schwerpunkt der derzeitigen Hindernisse bei der transnationalen Strafverfolgung in den Unterschieden der nationalen Rechtssysteme im Vor- und nicht etwa im Hauptverfahren begriindet liege. Dementsprechend legt sie besonderes Gewicht auf die Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens. Das Griinbuch unterscheidet zwischen nationalen und gemeinschaftlichen ErmittlungsmaBnahmen, die von der neu zu errichtenden Institution eines Europaischen Staatsanwalts durchgefiihrt werden sollen. Fiir nicht mit 99
K O M (2005) 690 endg.
100 KOM (2001) 715 endg. 101 Vgl. hierzu Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233; Glefi, ZStW 115 (2003), S. 131; Radtke, GA 2004, 1, 4 ff; Satzger, StV 2003, 137, 141.
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ZwangsmaBnahmen verbundene gemeinschaftliche ErmittlungsmaBnahmen (z. B. Informationssammlung, Zeugenbefragung, einvernehmliche Beschuldigtenvernehmung) sei ein spezielles gemeinschaftliches Verfahren einzufiihren. Ftir die ZwangsmaBnahmen soil dagegen nationales Recht einschlagig sein. Bei den ZwangsmaBnahmen unterscheidet das Kommissionsmodell wiedemm zwischen solchen, die vom Europaischen Staatsanwalt mit richterlicher Genehmigung vorgenommen werden soUen und solchen, die der nationale Richter selbst anordnen soil (z. B. Haftbefehl). Es sollen also keine nationalen Prozessordnungen ersetzt, sondern mehrere Prozessordnungen miteinander verbunden werden. Um auf supranationale Regelungen verzichten zu konnen, schlagt die Kommission vor, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Leitprinzip des europaischen Ermittlungsverfahrens zu erheben. Strafprozessuale EingriffsmaBnahmen - man denke etwa an Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Gegenstanden, Telefoniiberwachungen bis hin zum Haftbefehl -, die durch das Gericht eines Mitgliedstaates angeordnet oder genehmigt wurden, sollen demnach in jedem anderen Mitgliedstaat ohne weitere gerichtliche Priifung vollstreckt werden konnen^ °2. Beweise, die in einem Mitgliedstaat nach dessen Recht rechtmaBig erhoben worden sind, sollen von den Strafgerichten jedes anderen Mitgliedstaates verwertet werden diirfen^^^.
II. Gemeinschaftsrechtlicher Hintergrund des Prinzips 56 Seinen Ursprung findet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EGV, insbesondere in der Garantie des freien Warenverkehrs (Art. 28 ff. EGV). Nach der Judikatur des EuGH muss sich an der primarrechtlichen Garantie der Warenverkehrsfreiheit jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten messen lassen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsachlich oder potentiell zu behindern^^"^. In der fiir die Dogmatik des freien Warenverkehrs wegweisenden Entscheidung „Cassis de Dijon"^°^ hat der EuGH bestatigt, dass dies auch fiir nicht diskriminierende MaBnahmen gilt, die nicht zwischen Inlands- und Importprodukten unterscheiden. Im konkreten Fall, welcher dieser Rechtsprechung den Namen verlieh, war zu beurteilen, ob die Anforderungen des deutschen Lebensmittelrechts an den Mindestweingeistgehalt von Fruchtlikoren (25 Vol. %) einem Produkt, das in Frankreich mit 15-20 Vol. % unter der Bezeichnung „Cassis de Dijon" rechtmaBig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurde, als Einfuhrhindernis entgegengehalten werden konnen. Der EuGH wies das von der Bundesregierung vorgebrachte Argument des Gesundheitsschutzes als „nicht stichhaltig" zuriick und bewertete die MaBnahme als unverhaltnismaBig, da dem legitimen Ziel des Verbraucher102 103 104
KOM (2001) 715 endg., S. 55 ff KOM (2001) 715 endg., S. 63 ff Gmndlegend EuGHE 1974, 837, 852 = NJW 1975, 515, 516 („Staatsanwaltschaft/Dassonville"). Gmndlegend EuGHE 1979, 649, 664 („Cassis de Dijon").
D. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen
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schutzes bereits durch eine angemessene Etikettierung Rechnung getragen werden konne. Ein nicht gesundheitsschadliches, ordnungsgemaB gekennzeichnetes Lebensmittel, das in einem Mitgliedstaat rechtmaBig hergestellt wurde, darf in jedem anderen Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden, selbst wenn es in seiner Zusammensetzung oder auBeren Darbietung nicht den dortigen Produktbestimmungen entspricht. Die Interpretation der Warenverkehrsfreiheit als Beschrankungsverbot fiihrt 57 faktisch zu einer gegenseitigen Anerkennung der Produktstandards nach dem Herkunftslandprinzip. So darf z. B. - bei entsprechender Kennzeichnung - in Deutschland Bier in Verkehr gebracht werden, das nicht nach MaBgabe des deutschen Reinheitsgebots hergestellt wurde^°^. Die Kommission griff die Rechtsprechung des EuGH auf und machte das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung zur Grundlage ihrer Binnenmarktkonzeption, welche sie in ihrem WeiBbuch zur Vollendung des Binnenmarktes^^'' im AUgemeinen und in ihren Mitteilungen v. 8. November 1985^08 ^^d v. 24. Oktober 1989^0^ uber den freien Verkehr mit Lebensmitteln innerhalb der Gemeinschaft im Besonderen dargelegt hat. Die unter dem Schlagwort „Neue Strategie" verfolgte Konzeption beinhaltete den kiinftigen Verzicht auf die Vereinheitlichung von Lebensmittelrezepturen. Harmonisierungsbedarf erkannte die „Neue Strategie" nur in den Bereichen, in denen Handelshemmnisse auch nach MaBgabe des Primarrechts gerechtfertigt sind und daher der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht greifen kann (z. B. im Bereich des Gesundheitsschutzes). Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung pragt auch den Bereich der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EGV)^^°. Ein Kreditinstitut, das in einem Mitgliedstaat ansassig ist, bedarf nur einer Erlaubnis dieses Mitgliedstaates, um in alien anderen Mitgliedstaaten Finanzdienstleistungen erbringen zu konnen''^^ SchlieBlich ist auf das verwaltungsrechtliche Institut des sog. „transnationalen Verwaltungsakts" hinzuweisen^""^. Es handelt sich dabei um eine in einem Mitgliedstaat getroffene behordliche Entscheidung, die in den anderen Mitgliedstaaten Wirkung entfaltet (z. B. gemeinschaftsweite Anerkennung des in einem Mitgliedstaat erworbenen Hochschuldiploms).
106 EuGHE 1987, 1227, 1262 ff. KOM (1985) 310 endg. (BR-Drs. 289/95 v. 10.7.1985). 108 „Vollendung des Binnenmarktes: Das gemeinschaftliche Lebensmittelrecht"; KOM (1985) 603 endg. (BR-Dmcks. 35/86). 109 ABIEG 1989 Nr.C 271,8. 3. no EuGHE 1979, 35, 52. 111 Vgl. hierzu Kurth, WM 2000, 1521,1525. 112 Vgl. hierzu Becker, DVBl. 2001, 855, 856 f; FastenratK Die Verwaltung 31 (1998), 277, 301 f; Ohler, DVBl. 2002, 880 f 107
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III. Tragfahigkeit des Prinzips beim transnatlonalen Beweistransfer 58 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, insbesondere seine Auspragung in Form eines europaischen Beweistransfers durch „europaweit verkehrsfahige Beweise", lehnt sich offenkundig an das im Gemeinschaftsrecht praktizierte Freiziigigkeitskonzept an. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass eine uneingeschrankte tJbertragung der fiir den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen entwickelten Grundsatze auf den Bereich des zwischenstaatlichen Beweistransfers unter den gegenwartigen Rahmenbedingungen kein gangbarer Weg ist. Das in einem Mitgliedstaat nach MaBgabe innerstaatlicher Rechtsvorschriften erlangte Beweismittel kann nicht einfach mit einem Wirtschaftsprodukt gleichgesetzt werden, das in alien Mitgliedstaaten „Verkehrsfahigkeit" beanspruchen kann. Dies folgt bereits aus der schlichten Erkenntnis, dass der ungehinderte Verkehr von Waren und Dienstleistungen darauf gerichtet ist, wirtschaftliche Freiheit (Binnenmarktziel) zu verwirklichen, wahrend strafjustizielle MaBnahmen naturgemaB in die Freiheit der Burger eingreifen (eine Ausnahme bildet insoweit die transnational Ausdehnung von Verfahrensrechten, z. B. das Prinzip „ne bis in idem")^^^. Der „Import" von Beweismitteln beriihrt somit in elementarer Weise die Rechte des Beschuldigten, die in den mitgliedstaatlichen Strafverfahrensordnungen - und zwar in alien Abschnitten vom Ermittlungs- bis zum gerichtlichen Hauptverfahren - hochst unterschiedlich ausgestaltet sind^^"^. Zwar sorgen die von der EMRK garantierten Verfahrens- und Beschuldigtenrechte fiir einen gemeinsamen europaischen Grundrechtsstandard in alien mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen (vgl. § 3 Rn. 18 ff.). Aber abgesehen davon, dass die EMRK nur Mindestrechte garantiert, darf nicht iibersehen werden, dass die nationalen Rechtsordnungen als „komplexe dynamische Systeme"''''^ ganz unterschiedliche Strategien verfolgen, um ein rechtsstaatliches Strafverfahren zu gewahrleisten^""^. Die Anwendung des Prinzips des freiziigigen Beweismittelverkehrs lasst auBer Acht, dass die Regelungen fiir die Beweismittelerhebung im Ermittlungsverfahren und deren Verwertung im Hauptverfahren in bestimmten Fallen nicht nur nicht deckungsgleich, sondern inkompatibel sind. Das gilt insbesondere fiir den Vergleich des kontinentalen Offizialverfahrens mit dem Parteiverfahren des Common Law^''''. Die folgenden Beispielsfalle mo gen die Problemlage verdeutlichen:
Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 238 ff; Glefi, ZStW 116 (2004), S. 353, 364 ff.; Satzger, StV 2003, 137, 142. 114 Vgl. Perron, ZStW 112 (2000), S. 202, 211 ff 115 P^rra/2, ZStW 109 (1997), S. 281, 288. 116 Glefi, ZStW 115 (2003), S. 131, 143 f; Nestler, ZStW 116 (2004), S. 332, 346; Radtke, GA 2004, 118; Satzger, StV 2003, 137, 141. 11^ Bendler, StV 2003, 133, 135; vgl. hierzu auch die umfassende rechtsvergleichende Darstellung von Perron, Die Beweisaufhahme im Strafverfahrensrecht des Auslands, 1995, passim.
D. Gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen
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Beispielsfall 1: In Frankreich und England werden parallele Ermittlungen gegen verschie- 59 dene Personen wegen des Verdachts des Subventionsbetrugs zum Nachteil der EG gefiihrt. Ein franzosischer Ermittlungsrichter vemimmt in diesem Zusammenhang einen Zeugen und fertigt Member ein Protokoll. Nach franzosischem Recht darf der in der Voruntersuchung erhobene Zeugenbeweis durch Verlesung des Vemehmungsprotokolls in die Hauptverhandlung eingefiihrt und verwertet werden („preuve litterale")- Wird die Hauptverhandlung dagegen in England durchgefiihrt, kommt nach englischem Strafprozessrecht eine Einfuhrung und Verwertung des ProtokoUs durch Verlesung gmndsatzlich nicht in Betracht. Anders als das franzosische ist das angelsachsische Hauptverfahren entscheidend durch die Gmndsatze der Unmittelbarkeit und Miindlichkeit gepragt. Die unter Beweis gestellten Tatsachen miissen demnach durch eine in der Hauptverhandlung vorzunehmende Vemehmung des Zeugen eingefiihrt werden. Nach dem Konzept des freien Beweismitteltransfers ware das englische Gericht gezwungen, das nach franzosischem Recht rechtmaBig erhobene und daher verwertbare Beweismittel ohne weitere Uberpriifung seiner Vereinbarkeit mit englischem Recht in das Strafverfahren einzubeziehen^^^. Beispielsfall 2: In Spanien ist eine auf richterliche Anordnung erfolgte Uberwachung des 60 Femmeldeverkehrs gmndsatzlich bei jeder Straftat zulassig''''^. Das Prinzip des freien Verkehrs justizieller Entscheidungen wtirde bedeuten, dass die Anordnung eines spanischen Richters, wegen des Verdachts eines einfachen Diebstahls den Telefonanschluss eines in Deutschland lebenden Verdachtigen zu iiberwachen, von den deutschen Strafverfolgungsbehorden anerkannt und voUstreckt werden mtisste, obwohl dieser Eingriff nach innerstaatlichem Recht (§ 100 a StPO) nicht zulassig ware. Falls es zu einer Anklage dieser Tat vor einem deutschen Gericht kommt, miissten die aus der UberwachungsmaBnahme gewonnenen Erkenntnisse als Beweismittel anerkannt und verwertet werden''^^. Der in Deutschland gewahrte Gmndrechtsschutz wtirde dadurch ausgehebelt''^''. Die hier an den Beispielen des Zeugenbeweises und der Telekommunikations- 61 uberwachung verdeutlichten Grundprobleme des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung von Beweisroitteln bzv^. Ermittlungshandlungen treffen auch auf andere Beweismittel und justizielle Entscheidungen zu. Eine dem Modell des freien Warenverkehrs folgende Umsetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung wiirde zu einer beliebigen Kombinierbarkeit strafprozessualer EingriffsmaBnahmen und einem grenziiberschreitenden Beweis transfer fiihren, der die strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Fundamente der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen untergrabt und verfalscht^^^. Durch die Vielzahl denkbarer Kombinationsmoglichkeiten strafprozessualer Versatzstiicke unterschiedlicher nationaler 118 119
120 121
Glefi, ZStW 115 (2003), S. 131, 139 f.; Radtke, GA 2004, 1, 18. Vgl. zum spanischen Recht und zu den unterschiedlichen Regelungen der Telekommunikationsiiberwachung in Schweden und den Niederlanden P^rraw, ZStW 112 (2000), S. 202, 219 m. w. N. Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 246 f., 248 f. Zur Verwertung von im Ausland gewonnenen Beweismitteln im deutschen Strafverfahren Bose, ZStW 114 (2002), S. 149. Hecker, Kreuzer-Freundesgabe, S. 181, 197 f.; Nestler, ZStW 116 (2004), S. 332, 346 f.; Satzger, StV 2003, 137, 141; a. A. BrUner/Hetzer, NStZ 2003, 113 mit der Bemerkung, die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen erlaube keine Beschrankung auf die „Asthetik" einer Rechtsordnung.
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Herkunft entstiinde ein schwer iiberschaubares und inkoharentes Gesamtrechtsgebilde, das schon aus rechtsstaatlichen Grtinden kein taugliches Modell fiir ein Europaisches Strafverfahrensrecht sein kann. Hochst bedenklich ist auch, dass kein Parlament die moglichen Beweis.transfers jemals in einem geordneten Gesetzgebungsverfahren diskutiert und beschlossen hat. 62 Die hier vorgetragene Kritik richtet sich ausschlieBlich gegen das Konzept einer gegenseitigen Anerkennung von Beweismitteln und justiziellen Entscheidungen, wie es in dem Griinbuch v. 11. Dezember 2001 und in dem Vorschlag der Kommission fiir einen Rahmenbeschluss iiber die Europaische Beweisanordnung (Rn. 9 ff.) zum Ausdruck gelangt. Sie betrifft nicht den Europaischen Haftbefehl, der das traditionelle Auslieferungsverfahren durch ein Ubergabeverfahren ersetzt. Beim Europaischen Haftbefehl bezieht sich die Anerkennung durch die anderen Mitgliedstaaten auf die gerichtliche Entscheidung eines Ausstellungsmitgliedstaates, die unter Anwendung einer in sich konsistenten Verfahrensordnung zustande gekommen ist (vgl. Art. 1 II des Rahmenbeschlusses). Die betroffene Person wird dabei vom Vollstreckungsmitgliedstaat der Strafgewalt des Ausstellungsmitgliedstaates uberantwortet, welcher das Strafverfahren gegen den Betroffenen ausschlieBlich nach den Regeln seines innerstaatlichen Strafverfahrensrechts durchfiihrt. Die Zusammenarbeit zwischen Ausstellungs- und Vollstreckungsmitgliedstaat fiihrt also nicht dazu, dass nationale Justizorgane gezwungen werden, Ermittlungsanordnungen einer auslandischen Justizbehorde zu exekutieren oder in einem Strafverfahren auch solche Beweise zu verwerten, die nach innerstaatlichem Recht gesperrt waren.
IV. Ldsungsmdglichkeiten de lege ferenda 63 Wie gezeigt, begegnet das Konzept der Verkehrsfahigkeit von Beweismitteln und strafjustiziellen Entscheidungen, die auf die Gewinnung von Beweisen gerichtet sind, erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken, well die Gewinnung und Verwertung von Beweisen dem strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Referenzsystem einer Rechtsordnung folgt, die mit dem Referenzsystem einer anderen Rechtsordnung nicht kompatibel ist. In der Literatur sind bereits Losungsmoglichkeiten angedacht worden, wie das Problem der Beweiserhebung und des Beweistransfers gelost werden konnte: 64 Der erste Losungsansatz besteht darin, den miihsamen Weg einer Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafprozessrechts zu beschreiten^^^. Je starker die mitgliedstaatlichen Referenzsysteme in Bezug auf die Gewinnung und Verwertung von Beweismitteln iibereinstimmen, desto groBer ist der mogliche Anwendungsbereich des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung. Hierbei stellt sich allerdings die Frage, ob der hierfur erforderliche Aufwand nicht unverhaltnismaBig erscheint und in Konflikt mit dem Subsidiaritatsprinzip gerat^^^. 123 Vgl. hierzu Esser, ZEuS 2004, 290, 306 ff.; Tiedemann, Eser-FS, S. 889, 897 ff 124 Vgl. hierzu Bose, Gegenseitige Anerkennung, S. 233, 249 f; Satzger, StV 2003, 137, 142.
D. Gegenseitige Anerkennungjustizieller Entscheidungen
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Als zweite Losungsmoglichkeit ist an die Verlagemng strafrechtlicher Kompeten- 65 zen auf die EG und Schaffung eines supranationalen Strafverfahrensrechts zu denken. Ein genuin europaisches Strafverfahrensrecht bezoge sich - wie im Griinbuch vorgeschlagen - nur auf die Verfolgung von abschlieBend statuierten Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EG. Zugleich wiirde eine bereichsspezifische supranationale Kodifikation die Rechtsgrundlage fiir die Tatigkeit einer europaischen Finanzstaatsanwaltschaft und eines europaischen Strafgerichts bilden. Sie miisste auBerdem Kollisions- und Kompetenzkonfliktregelungen vorsehen, die eine Antwort darauf geben, wie zu verfahren ist, wenn sich Straftaten (wie haufig) nicht nur gegen die EG-Finanzinteressen richten, sondern auch gegen materielles Strafrecht der Mitgliedstaaten verstoBen^^^. Der Vorteil dieses Losungsmodells besteht darin, dass die nationalen Strafrechtsordnungen starker geschont wiirden als dies bei einer „Breitbandharmonisierung" der Fall ware^^^. Allerdings sind die Chancen fiir die Realisierung eines supranationalen Strafverfahrensrechts aufgrund der Souveranitatsvorbehalte der Mitgliedstaaten derzeit als gering einzustufen. Ein dritter Losungsweg besteht in der Einfiihrung eines europaischen Beweis- 66 zulassungsverfahrens^^'^. Im Rahmen dieses Zulassungsverfahrens wiirde die RechtmaBigkeit der Beweiserhebung am MaBstab eines einheitlichen europaischen Referenzsystems gepriift. Fallt diese Priifung positiv aus, so ware das Produkt der Beweiserhebung europaweit verkehrsfahig. Die mitgliedstaatlichen Gerichte miissten den zugelassenen Beweis ohne weitere tJberpriifung in einer Hauptverhandlung verwerten. Durch die Setzung eines europaischen Beweiszulassungsstandards lieBe sich die einem freien Beweistransfer entgegenstehende Unvereinbarkeit der nationalen Standards iiberwinden. Als Grundlage fiir die inhaltliche Ausgestaltung des europaischen Referenzsystems konnte auf die Vorgaben der EMRK zuriickgegriffen werden. Die Entscheidungsgewalt iiber die Frage des Beweistransfers konnte einem europaischen Gericht oder den nationalen Gerichten (evt. kombiniert mit einer Vorlagepflicht an ein europaisches Gericht zur Sicherung einer europaweit einheitlichen Rechtsanwendung) iibertragen werden. Das dritte Losungsmodell belasst die Durchfiihrung der Strafverfahren bei den Mitgliedstaaten, wiirde diesen also - im Gegensatz zum zweiten Modell - keine Abtretung von Hoheitsgewalt abfordern. Allerdings konnte die Koexistenz eines europaischen Beweiszulassungsstandards (im Bereich des strafrechtlichen Schutzes der EG-Finanzen) und eines nationalen Beweiszulassungsstandards (bei Verfolgung sonstiger Straftaten) Probleme aufwerfen, wenn sich eine Tat im prozessualen Sinne sowohl gegen EG-Finanzinteressen als auch gegen nationale Schutzgiiter zugleich richtet.
125 126 127
Vgl. hierzu Radtke, GA 2004, 1,19. Vgl. hierzu Schwanburg/Hamdorf, NStZ 2002, 617, 623. Vgl. hierzu Glefi, ZStW 115 (2003), S. 131, 148 ff.; Radtke, GA 2004, 1, 19 ff.
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G. Zusammenfassung von § 12
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F. Rechtsprechungshinweise BVerfGE 113, 237 = NJW 2005, 2289 = StV 2005, 505 (Nichtigerklarung des EuHbG v. 21. Mi 2004)
G. Zusammenfassung von § 12 Art. 29 EUV formuliert den Auftrag an die Mitgliedstaaten, die strafjustizielle 67 Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Wirksamkeitssteigerung dynamisch fort zu entwickeln, d. h. iiber den Status quo der bestehenden Rechtshilfekooperation (Auslieferung, Vollstreckungshilfe, sonstige Rechtshilfe) hinauszugehen. Die in Umsetzung dieses Auftrages ergriffenen bzw. geplanten MaBnahmen werden in diesem Kapitel dargestellt. Hierzu gehort vor allem die Schaffung neuer Rechtshilfeinstrumente auf EU-Ebene, die gegentiber den einschlagigen „Mutterkonventionen" des Europarates erhebliche Erleichterungen der zwischenstaatlichen Zusanunenarbeit in Strafsachen mit sich bringen und Beschleunigungseffekte erzielen. Hervorzuheben ist der Rahmenbeschluss iiber den Europaischen Haftbefehl 68 und die Ubergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, der am 7. August 2002 in Kraft getreten und mittlerweile von den Mitgliedstaaten in nationales Recht transformiert wurde. In Deutschland bedurfte es hierzu eines zweiten Anlaufs, da das erste Umsetzungsgesetz (EuHbfG) vom BVerfG fiir nichtig erklart wurde. Der Europaische Haftbefehl ersetzt die traditionelle Auslieferung durch ein „System des freien Verkehrs strafrechtlich justizieller Entscheidungen". In diesem neuen Handlungsinstrument wird erstmaUg das von Europaischem Rat, Kommission und EP „Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierte Prinzip der gegenseitigen Anerkennung konkret ausgeformt. Ein nachster Schritt in diese Richtung v^are der Erlass der von der Kommission vorgeschlagenen Europaischen Beweisanordnung. Die Idee eines „europaweit verkehrsfahigen Beweises" liegt - thematisch begrenzt auf den Schutz der EG-Finanzinteressen - auch der im Griinbuch der Kommission v. 11. Dezember 2001 vorgestellten Konzeption zugrunde. Dariiber hinausgehend strebt die Kommission langfristig eine umfassende einheitliche MaBnahme an, die zu gegebener Zeit alle bestehenden Rechtshilferegelungen ersetzen soil. Seinen Ursprung findet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in den wirt- 69 schaftlichen Grundfreiheiten des EGV. Eine uneingeschrankte tJbertragung der fiir den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen entwickelten Grundsatze auf den Bereich des zwischenstaatlichen Beweistransfers ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen, die durch unterschiedliche Strafverfahrenssysteme der Mitgliedstaaten gekennzeichnet sind, kein gangbarer Weg. Das Konzept der Verkehr sfahigkeit von Beweismitteln und strafjustiziellen Entscheidungen begegnet erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken, well die Gewinnung und Verwertung von Beweisen dem Referenzsystem einer nationalen Rechtsordnung folgt, die mit dem einer anderen Rechtsordnung nicht kompatibel ist. Die beliebige Kombinierbarkeit
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§ 12 Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen
strafprozessualer EingriffsmaBnahmen und der freie Beweistransfer wiirden so zu einer Untergrabung und Verfalschung der strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Fundamente der nationalen Rechtsordnungen fiihren. Ohne weitreichende Harmonisierung der nationalen Verfahrensrechte erscheint das Konzept des freien Beweistransfers aufgrund gegenseitiger Anerkennung weder tragfahig noch wiinschenswert. Als Alternative zu einem aufwandigen Harmonisierungskonzept bieten sich eine bereichsspezifische (auf den Schutz der EG-Finanzinteressen beschrankte) Verlagerung strafrechtlicher Kompetenzen auf die EG und die Schaffung eines supranationalen Strafverfahrensrechts an. Die Realisierungschancen dieses Projekts sind jedoch aufgrund der Souveranitatsvorbehalte der Mitgliedstaaten derzeit als gering einzustufen. Eine weitere Losungsmoglichkeit besteht schlieBlich in der Einfiihrung eines europaischen Beweiszulassungsverfahrens, in welchem die RechtmaBigkeit der Beweiserhebung am MaBstab eines einheitlichen europaischen Referenzsystems gepriift wiirde. 70 Auch auBerhalb des Rechtshilferechts findet das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung Ausdruck. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die in einem bereits in Kraft getretenen Rahmenbeschluss statuierte wechselseitige Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und GeldbuBen hinzuweisen. Nach dem Willen der Kommission sollen auch bestimmte strafprozessuale Verfahrensgarantien angeglichen sowie die gegenseitige Anerkennung der Wirkung strafrechtlicher Verurteilungen und der grenziiberschreitende Informationsaustausch liber Strafregistereintrage in einem Rahmenbeschluss geregelt werden.
§ 13 Transnationales Doppelbestrafungsverbot in derEU
A. Einfiihrung Fall 1: Der deutsche Staatsangehorige A veriibte am 20. Januar im elsassischen StraBburg einen bewaffneten Bankiiberfall. Ohne Beute floh er mit seinem Wagen liber den offenen Grenztibergang nach Deutschland. In Offenburg genet er in eine Verkehrskontrolle. Dabei stellte sich heraus, dass er nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist. Noch bevor den deutschen Strafverfolgungsbehorden der Vorfall in StraBburg bekannt wurde, vemrteilte ihn das AG Offenburg wegen des am 20. Januar begangenen Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zur Zahlung einer Geldstrafe. Das Urteil wurde rechtskraftig. Frage 1: Darf A vor einem deutschen Gericht wegen versuchten schweren Raubes angeklagt und vemrteilt werden? - Frage 2: Angenommen, in Deutschland erfolgte noch keine Strafverfolgung des A. Stehen deutsches Verfassungsrecht (Art. 103 III GG), allgemeine Regeln des Volkerrechts Oder Gemeinschaftsrecht einer Aburteilung des A in Deutschland entgegen, wenn A wegen des Bankiiberfalls von einem franzosischen Gericht rechtskraftig vemrteilt worden ist? Der bereits in der romischen Rechtslehre bekannte Rechtssatz „ne bis in idem" konnte sich iiber die Jahrtausende hinweg zu einem stra^rozessualen Menschenrecht entwickeln, das - freilich in unterschiedlicher Auspragung - Eingang in alle rechtsstaatlichen Strafrechtsordnungen der Welt gefunden hat^ Im deutschen Recht ist der Grundsatz „Niemand darf wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden" in der Verfassung (Art. 103 III GG) verankert und implementiert ein Strafverfolgungshindernis, welches zur Verfahrenseinstellung gem. §§ 206 a, 260 III StPO fiihrt^. Man spricht hierbei von einem Strafklageverbrauch. Uber den zu eng gefassten Wortlaut („bestraft'0 hinaus erfasst Art. 103 III GG nicht nur den Fall einer rechtskraftigen Verurteilung, sondern auch und erst recht den eines rechtskraftigen Freispruchs. Die Einmaligkeit der strafrechtlichen Verfolgung eines Taters wegen derselben Tat nimmt im Recht der Gegenwart den unbestrittenen Rang einer allgemeinen Regel des Volkerrechts^ ein - wobei jedoch eine bedeutsame Einschrankung nicht (ibersehen werKuhne, Strafprozessrecht, Rn. 60; Liebau, Ne bis in idem, S. 74 ff.; Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 53 ff.; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 33 f.; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 23 ff. Zur Rechtsnatur und dogmatischen Fundierung des Grundsatzes „Ne bis in idem" vgl. Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 600 ff.; Liebau, Ne bis in idem, S. 45 ff., 58 ff., 67 ff.; Schroeder, JuS 1997, 227; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 31 ff. Vgl. BVerfGE75, 1,23.
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§ 13 Transnationales Doppelbestrafangsverbot in der EU
den darf: Das volkerrechtliche Doppelbestrafungsverbot hindert nur die mehrfache Aburteilung derselben Tat im Inland. Nach wie vor gilt, was das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1987 feststellte: „Es existiert keine allgemeine Regel des Volkerrechts, die es gebietet, die Strafverfolgung gegen eine Person wegen eines Lebenssachverhaltes zu unterlassen, dessentwegen sie bereits in einem dritten Staat verfolgt und rechtskraftig abgeurteilt worden ist'"^. In neuerer Zeit wird diese Rechtsprechung von einigen kritischen Stimmen in der Literatur zwar in Frage gestellt^. Aber vor dem Hintergrund, dass die meisten Staaten ~ darunter auch die Bundesrepublik Deutschland - nur ein rechtsordnungsinternes Doppelbestrafungsverbot kennen und auch Art. 4 I des 7. ZusatzprotokoUs zur EMRK^ v. 22. November 1984 sowie Art. 14 VII des Internationalen Paktes iiber biirgerliche und politische Rechte'' v. 19. Dezember 1969 explizit nur ein innerstaatliches „ne bis in idem" fordern, wird man ein staateniibergreifendes Doppelbestrafungsverbot derzeit nicht als allgemeine Regel des Volkerrechts anerkennen konnen^. Die am 7. Dezember 2000 auf dem EUGipfel in Nizza feierlich verkiindete Charta der Grundrechte der Europaischen Union postuliert in Art. 50 das Verbot erneuter Verfolgung oder Bestrafung wegen einer Tat, derentwegen ein Beschuldigter in der Union nach dem Gesetz rechtskraftig verurteilt oder freigesprochen worden ist. Dieser Grundsatz beinhaltet eine transnational Dimension, da er sich sowohl auf das Verhaltnis der Mitgliedstaaten untereinander als auch auf das Verhaltnis zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft bezieht^. Mangels vertraglich begriindeter Geltung vermag die Grundrechtscharta derzeit aber keine unmittelbare Verbindlichkeit zu entfalten^°. Das Prinzip „ne bis in idem" wird im Gemeinschaftsrecht zwar als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt^ ^. Dieser statuiert aber nur ein rechtsordnungsinternes Doppelbestrafungsverbot auf Gemeinschaftsebene^^. Er steht daher nur der wiederholten Verhangung einer Gemeinschaftssanktion (etwa wegen VerstoBes gegen europaisches Kartellrecht) entgegen.
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BVerfGE 75, 1,18 ff.; vgl. auch BGHSt 34, 334, 340. Vgl. EndrifilKinzig, StV 1997, 665, 667; Schomburg, StV 1999, 244, 249. ETSNr. 117. UNTS Vol. 999 Nr. 14668; BGBl. II1973, 1533; 1976, 1068; 1979, 1218; 1991, 1111. So auch Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 596; Jung, in: Schtiler-Springomm-FS, S. 493, 496 f.; Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 19 ff., 126; Mayer, Ne-bis-in-idemWirkung europaischer Strafentscheidungen, 1992, S. 50; Landau, SoUner-FS, S. 627, 634; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 98; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. Ill f, V. d Wyngaert, RIDP, 1999, S. 76; Vogel/NorouzU JuS 2003, 1059, 1060. Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 596. Vgl. hierzu Liebau, Ne bis in idem, S. 99 ff; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 101; Schroder, JZ 2002, 849, 850; Thomas, Einmahgkeit der Strafverfolgung, S. 83. EuGHE 1966, 153, 178; 1984, 4177, 4195 t (Rz. 12 ff); Liebau, Ne bis in idem, S. 92 ff; Satzger, Europaisiemng, S. 178, 686; Spannowsky, JZ 1994, 326, 334. EuGHE 1969, 1, 13 ff (Rz. 2 ff); Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 62.
A. Einfiihmng
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Losungshinweise zu Fall 1: Materiellrechtlich besteht gegen A ein deutscher Strafanspmch gem. §§ 249, 250 II Nr. 1, 22, 23 I, 7 II Nr. 1 StGB. Allerdings konnte einer strafrechtlichen Verfolgung des A der in Art. 103 III GG festgeschriebene Grundsatz „ne bis in idem" - ein prozessuales Verfolgungshindernis entgegenstehen. Bekanntlich dominiert im deutschen Strafverfahrensrecht ein prozessualer Tatbegriff, demzufolge unter „Tat" nicht etwa das verwirklichte Delikt, sondern das gesamte Taterverhalten zu verstehen ist, das nach natiirlicher Auffassung einen einheitlichen historischen Lebensvorgang bildet^^. Die Flucht iiber die Grenze (und damit das Fahren ohne Fahrerlaubnis) steht mit dem in StraBburg veriibten Bankuberfall in einem so engen raumlichen, zeitliclien und sachlichen Zusammenliang, dass es einer unnatiirlichen Aufspaltung eines einheitlichen Gescheliens gleichkame, wenn man diese Ereignisse getrennt aburteilen wiirde^'*. Die materielle Rechtskraft des Offenburger Gerichtsurteils bewirkt somit auch hinsichtlich des Bankiiberfalles einen Verbrauch der Strafklage, der durch Art. 103 III GG verfassungsrechthch abgesichert ist. Losungsvorschlag zu Frage 1: Im Hinblick auf den in StraBburg begangenen Bankuberfall ist die Strafklage verbraucht. A darf in Deutschland nicht mehr strafrechtHch verfolgt werden (Zu der Frage, ob das Urteil des AG Offenburg auch einer strafrechtHchen Verfolgung in Frankreich entgegensteht vgl. Rn. 58). Losungsvorschlag zu Frage 2: Weder Art. 103 III GG noch eine allgemeine Regel des Volkerrechts oder Gemeinschaftsrecht stehen der strafrechtlichen Verfolgung des A in Deutschland wegen derselben - in Frankreich abgeurteilten - Tat entgegen. Nach § 51 III S. 1 StGB wird jedoch auf die neue Strafe die auslandische angerechnet, soweit sie voUstreckt ist. AuBerdem kann die Staatsanwaltschaft gem. § 153 c II StPO von der Verfolgung der Straftat absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der auslandischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskraftig freigesprochen worden ist. Das Risiko, in mehreren Staaten wegen derselben Tat strafrechtHch verfolgt und abgeurteilt zu werden, hangt vor allem mit der Ausdehnung der nationalen Strafgewalten aufgrund der Bestimmungen des Internationalen Strafrechts zusammen (§ 2 Rn. 2 ff.). Der heutige Mobilitatsgrad der Burger und ihr nahezu unbeschrankter raumlicher Aktionsradius lassen zahlreiche strafrechtsrelevante Fallkonstellationen entstehen, die mehr als einen nationalen Strafanspruch auszulosen vermogen^^. Dabei ist nicht nur an Sachverhalte aus dem Bereich der seit jeher international operierenden Organisierten Kriminalitat zu denken, wie Rauschgifthandel, Waffenschmuggel oder Kfz-Verschiebung. Bereits das recht triviale ErYgl. BVerfGE 56, 22, 28; BGHSt 35, 60, 62; 45, 211, 212; BGH NStZ 2006, 350; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 513; KUhne, Strafprozessrecht, Rn. 639 ff.; MeyerGofiner, StPO, § 264 Rn. 1 ff.; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 188 ff jew. m. w. N. Aus osterreichischer Sicht vgl. PldckingerlLeiden-miihler, wistra 2003, 81,87. 14 So auch BGH NStZ 1996, 41, 42 in einer vergleichbaren Fallkonstellation. ^^ Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 113 ff, krit. zu der „uferlosen" Weite des deutschen internationalen Strafrechts LagodnylNill-Theobald, JR 2000, 205, 206 f.
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eignis eines Taschendiebstahls, der von einem italienischen Gelegenheitsganoven zum Nachteil einer deutschen Touristin wahrend eines Kurzbesuches im Elsass veriibt wird, fuhrt zu einer Kumulation konkurrierender nationaler Strafanspriiche und begriindet damit das Risiko einer mehrfachen Strafverfolgung und Aburteilung wegen derselben Tat. Das Fehlen eines transnationalen „ne bis in idem"-Prinzips im innerstaatlichen Recht der meisten Staaten und im Volkerrecht stellt nicht nur aus individualrechtlichen Griinden ein losungsbediirftiges Problem dar. Konkurrierende nationale Strafanspriiche bergen auch ein nicht unbetrachtliches zwischenstaatliches Konfliktpotential. So fiihrten in der Vergangenheit die unterschiedlichen Drogenbekampfungsstrategien in den Niederlanden und Deutschland immer wieder zu Irritationen. Das nachbarschaftliche Verhaltnis wurde erheblich getriibt, als das LG Diisseldorf Mitte der 1980er Jahre einen hoUandischen Canabishandler zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilte. Der Verurteilte war zumindest fiir einen Teil der von ihm zwischen 1978 und 1981 ausschlieBlich in Arnheim (NL) begangenen Taten schon im Jahre 1981 vom Gerichtshof in Arnheim zu einer Gefangnisstrafe von 20 Wochen verurteilt worden. Das AusmaB der durch das Diisseldorfer Strafverfahren verursachten Verstimmung zeigte sich u. a. daran, dass der niederlandische Justizminister nicht nur jede Rechtshilfe verweigert, sondern dariiber hinaus auch offiziell um Einstellung des Verfahrens gebeten hatte. Der BGH hob das Diisseldorfer Urteil spater im Rahmen eines Revisions verfahrens wegen VerstoBes gegen ein Beweisverwertungsverbot zwar auf. Er bestatigte aber unter Heranziehung des Weltrechtsprinzips (vgl. § 6 Nr. 5 StGB) ausdriicklich die Existenz eines deutschen Strafanspruches, dem das in Art. 103 III GG mit Verfassungsrang ausgestattete Doppelbestrafungsverbot nicht entgegenstehe''^. Ein prominenter Vertreter der niederlandischen Strafrechtslehre nahm diesen Fall zum Anlass, die Einmischung Deutschlands in innerstaatliche Angelegenheiten zu beklagen. Die deutsche Justiz wiirde den Niederlanden das deutsche Bekampfungsmodell aufoktroyieren, das nicht in die niederlandische Drogenpolitik passe. Dem kleinen Nachbarn, dessen Strafrecht bereits seit iiber 100 Jahren jedes auslandische Strafurteil als Strafverfolgungshindernis akzeptiere, sei es schwer zu vermitteln, dass sich die deutsche Justiz als „Weltrichter fiir Strafzumessungsfragen" aufspiele""^. Das Bestreben der Staaten, ihre Souveranitat gerade im Bereich des Strafrechts zu verteidigen, ist durchaus nachvollziehbar, wenn man sich bewusst macht, dass in den nationalen Strafgesetzbiichern die fundamentalen sozialen, kulturellen und politischen Wertentscheidungen eines Gemeinwesens zum Ausdruck gelangen""^. In welchem Umfang und in welchen Bereichen eine Rechtsordnung gerade das repressive Mittel Strafrecht einsetzt und in welchen Bereichen nicht, stellt eine eminent politische Entscheidung dar. Das rechtsunterworfene Individuum gerat dabei freilich allzu leicht in die Gefahr, zwischen den nationalen Interessen 16 BGHSt 34, 334. 17 i?Mr^r,JR1988, 136, 137f 18 Vgl. hierzu Perron, ZStW 109 (1997), S. 281, 288; Ruter, ZStW 105 (1993), S. 30, 35; Weigend, ZStW 105 (1993), S. 774, 789.
A. Einfuhmng
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zerrieben und auf dem Altar konkurrierender Strafanspriiche geopfert zu werden^^. Vor diesem Hintergrund kann es nur begriiBt werden, dass die Vermeidung von Mehrfachvemrteilungen aus international-strafrechtlicher Sicht inzwischen als ein vorrangig zu losendes Problem erachtet wird^°. Die Association international de droit penal (AIDP) forderte auf ihrem XVI. Kongress die Anerkennung der Einmaligkeit der Strafverfolgung als Menschenrecht, das einer Bestrafung derselben Tat durch mehrere Staaten entgegensteht^^. In Betracht zu ziehen sei vor allem die Moglichkeit, ein transnationales Doppelbestrafungsverbot in dem Internationalen Pakt iiber biirgerliche und politische Rechte sowie in den regionalen Menschenrechtskonventionen zu verankern^^. Bestrebungen des Europarates, ein zwischenstaatliches Doppelbestrafungsver- 9 bot in den Mitgliedstaaten des Europarates zu etablieren, waren bislang nicht von Erfolg gekront. So statuiert etwa das Europaische Ubereinkommen iiber die internationale Geltung von Strafurteilen v. 28. Mai 1970^^ in Art. 53 das staateniibergreifende Verbot, eine Person, gegen die ein rechtskraftiges „europaisches Strafurteil" ergangen ist, wegen derselben Handlung erneut zu verfolgen oder abzuurteilen. Naeh Ablauf von 36 Jahren haben aber lediglich 19 von 46 Mitgliedstaaten des Europarates das Ubereinkommen ratifiziert. Bei realistischer Betrachtung ist also nicht damit zu rechnen, dass sich das Projekt eines paneuropaischen Doppelbestrafungsverbotes nach dem Modell der genannten Europaratskonvention in einem absehbaren Zeitraum realisieren lasst. Das EP hatte bereits in seiner EntschlieBung v. 16. Marz 1984 die staateniiber- 10 greifende Anwendung des Grundsatzes „ne bis in idem" innerhalb der EG gefordert^"^. Im Jahre 1987 unternahmen die EG-Mitgliedstaaten schlieBlich einen ersten Anlauf zur Durchsetzung eines gemeinschaftsweiten Doppelbestrafungsverbots. Ihre Regierungen schlossen am 25. Mai 1987 das Ubereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europaischen Gemeinschaften iiber das Verbot der doppelten Strafverfolgung (EG-ne bis in idem-Ubk)^^. Art. 1 EG-ne bis in idemUbk lautet: „Wer in einem Mitgliedstaat rechtskraftig abgeurteilt worden ist, darf in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits voUstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann."
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/i/fzg, StV 1990, 509, 517. Vgl. hierzu Jung, Schiiler-Springomm-FS, S. 493, 500; Lagodny, Z S t W 101 (1989), S. 987, 1004 ff. Vgl. hierzu Vogel Z S t W 110 (1998), S. 9 7 3 ff. Vgl. hierzu den Resolutionstext (vgl. B . 4.) in Z S t W 112 (2000), S. 723 ff.
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ETS Nr. 70. Das EuVoUstrUbk trat am 26. Juh 1974 nach Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde in Kraft. Der jeweils aktuelle Ratifikationsstand kann abgemfen werden unter http://conventions.coe.int.
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A B I E G 1984 Nr. C 104, S. 133; vgl. auch E u G R Z 1984, 355 f. Abgedruckt in Schomhurg/Lagodny/Glefi/Hackner, IRhSt, III E (mit Vertagstabelle).
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11 Die EG-Mitgliedstaaten praktizierten damit eine intergouvernementale justizielle Zusammenarbeit, die spater mit dem Vertrag von Maastricht (1992) institutionalisiert wurde und heute als dritte Saule der EU bezeichnet wird^^. Da das EG-ne bis in idem-Ubk noch nicht von alien Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, steht das Datum seines Inkrafttretens noch nicht fest. Neun Mitgliedstaaten - namentlich Belgien, Danemark, Deutschland, Frankreich, Irland, Italien, Osterreich, Portugal und die Niederlande - haben jedoch von der Moglichkeit Gebrauch gemacht, das Ubereinkommen im Verhaltnis untereinander schon vorzeitig anzuwenden^''. 12 Eine inhaltlich mit Art. 1 EG-ne bis in idem-Ubk iibereinstimmende Regelung findet sich in Art. 54 des Schengener Durchfiihrungsubereinkommens (SDU) V. 19. Juni 199028; „Wer durch eine Vertragspartei rechtskraftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt warden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Vemrteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann." 13 Das SDU dient der Umsetzung der bereits im Schengener Abkommen^^ v. 14. Juni 1985 beschlossenen Abschaffung der PersonenkontroUen an den Binnengrenzen und sieht AusgleichsmaBnahmen fiir hierdurch befiirchtete Sicherheitsverluste vor^°. Deswegen enthalt das SDU u. a. Bestimmungen iiber die Kontrollen an den AuBengrenzen, die polizeiliche grenziiberschreitende Kooperation, die Einrichtung des Schengener Informationssystems und die Erleichterung der Rechtshilfe in Strafsachen. Nach der Gemeinsamen Erklarung zu Art. 139 SDU in der Schlussakte bedurfte das am 1. September 1993 in Kraft getretene Regelungswerk noch einer ausdriicklichen Inkraftsetzung in den Schengener Vertragsstaaten. Diese erfolgte am 26. Marz 1995 zunachst fiir Deutschland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Spanien und Portugal. Seit 1995 traten Italien, Griechenland, Osterreich, Danemark, Finnland und Schweden dem SDU bei, wobei das SDtJ fiir die drei nordischen Staaten erst am 25. Marz 2001 in Kraft gesetzt wurde. Island und Norwegen sind assoziierte Staaten, die das SDtJ anwenden. Gem. Art. 1 der Ratsbeschliisse v. 1. Juni 2000^^ und v. 7. Marz 2002^^ wenden auch GroBbritannien und Irland die Bestimmungen iiber das transnationale Doppelbe-
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Vgl. hierzu KUhne, Strafprozessrecht, Rn. 70; Nelles, ZStW 109 (1997), S. 727, 734; Schomburg, NJW 1999, 540. Vgl. hierzu Schomburg/Lagodny/Glefi/Hackner, IRhSt, III E Rn. 9. Vgl. hierzu das deutsche Zustimmungsgesetz in BGBl. II1993, 1010,11997, 1606. Ubereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Franzosischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (vgl. GMBl. 1986, S. 79). Vgl. hierzu ausfuhrlich Kattau, Strafverfolgung nach Wegfall der europaischen GrenzkontroUen, eine Untersuchung der Schengener Abkommen, 1993, passim und Kuhne, Kriminalitatsbekampfang durch innereuropaische GrenzkontroUen?, 1991, passim. ABIEG 2000 Nr. L 131, S. 43. ABIEG 2002 Nr. L 64, S. 20.
A. Einfuhrung
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strafungsverbot an. Nach dem am 1. Mai 2004 erfolgten EU-Beitritt von zehn Staaten, die den Schengen-Besitzstand grundsatzlich vollstandig zu iibernehmen hatten^^, erstreckt sich der raumliche Anwendungsbereich des Art. 54 SDU derzeit auf insgesamt 27 europaische Staaten. Der EuGH hat mit Urteil v. 9. Marz 2006 entschieden, dass der in Art. 54 SDtJ niedergelegte Grundsatz ne bis in idem auch auf ein Strafverfahren anzuwenden ist, das in einem Vertragsstaat (hier: Belgien) wegen einer Tat eingeleitet worden ist, die in einem anderen Vertragsstaat (hier: Norwegen) bereits zur rechtskraftigen Verurteilung des Verfolgten gefiihrt hat, auch wenn das SDtJ in dem Erstverfolgerstaat zum Zeitpunkt der Urteilsverkiindung noch nicht in Kraft getreten war.^"^ Voraussetzung hierfiir ist jedoch, dass das SDLF spatestens zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht des Zweitverfolgerstaates in die Priifung des Art. 54 SDtJ eintritt, auch im Erstverfolgerstaat geltendes Rechtist. Hinweis: Der am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der 14 EU-Mitgliedstaaten unterzeichnete Vertrag iiber eine Verfassung fiir Europa statuiert in Art. I l l 10 ein unionsweites Doppelbestrafungsverbot: „Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskraftig vemrteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren emeut verfolgt Oder bestraft werden." Dieses Justizgrundrecht erlangt jedoch erst mit dem Inkrafttreten des Verfas- 15 sungsvertrages Geltung, wozu es erst noch seiner Ratifikation in alien EUMitgliedstaaten bedarf. Eine Neuauflage des in den 1980er Jahren spielenden Falles der Doppelverfol- 16 gung eines hollandischen Drogenhandlers durch die deutsche Justiz (Rn. 6) ist heute - unter der Geltung des Art. 54 SDU und dem zw^ischen den Niederlanden und Deutschland vorzeitig anwendbaren Art. 1 EG-ne bis in idem-Ubk - ausgeschlossen. Dass eine gesamteuropaische Losung der Doppelbestrafungsproblematik aber noch immer aussteht, zeigt sich in dem folgenden Fall. Fall 2: Der niederlandische Staatsangehorige S machte sich Mitte Juli 1992 mit den in sei- 17 nem Wagen versteckten 85 kg Haschisch von Amsterdam aus auf den Weg nach Mailand, um die Drogen dort weiterzuverkaufen. Dazu kam es aber nicht, da das Schmuggelgut bei der Ausreise von Deutschland in die Schweiz von Schweizer Grenzbeamten entdeckt und beschlagnahmt wurde. Nach seiner Entlassung aus der mnd zwei Monate andauemden Untersuchungshaft in der Schweiz kehrte S in die Niederlande zurtick. Das AG Basel-Stadt vemrteilte ihn im Dezember 1992 in Abwesenheit wegen VerstoBes gegen das Schweizer Betaubungsmittelgesetz zu einer Haftstrafe von 18 Monaten, deren VoUstreckung zur Bewahrung ausgesetzt wurde. Fast vier Jahre spater, im Oktober 1996, wurde S bei seiner Einreise nach Deutschland festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht. Im Frtihjahr 1997 wurde er wegen desselben Sachverhalts, der schon der Schweizer Verurteilung aus dem Jahre 1992 zugmndelag, von einem deutschen Gericht wegen unerlaubten Handeltrei^^
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Vgl. die in Anhang I der Beitrittsakte aufgefiihrten Bestimmungen des SchengenBesitzstandes, die ab dem Beitritt fiir die neuen Mitgliedstaaten bindend und in ihnen anzuwenden sind (ABIEU 2003 Nr. L 236, S. 50). EuGH StV 2006, 393, 394 f.
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bens mit Betaubungsmitteln in nicht geringer Menge (vgl. § 29 a I Nr. 2 BtMG) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des S wurde vom BGH unter Hinweis auf die lediglich rechtsordnungsinteme Wirkung des in Art. 103 III GG verankerten Doppelbestrafungsverbotes verworfen^^. Frage: Angenommen, dieser Fall spielte sich im Jahre 2006 ab. Konnte sich S gegeniiber den deutschen Strafverfolgungsbehorden auf Art. 54 SDU berufen? 18 Losungshinweise zu Fall 2: Wegen des beschrankten raumlichen Anwendungsbereiches des Art. 54 SDU ist ein in einem Nichtvertragsstaat abgeurteilter Tater nicht davor geschiitzt, in Deutschland oder einem sonstigen Vertragsstaat wegen derselben Tat erneut strafrechtlich verfolgt zu werden. Der von einigen Stimmen in der Literatur^^ erhobenen Forderung, iiber eine den raumlichen Anwendungsbereich des Art. 54 SDU erweiternde Auslegung nachzudenken, kann nicht gefolgt werden. Auch eine Erstreckung des transnationalen „ne bis in idem"Grundsatzes auf Nichtvertragsstaaten, die der EMRK beigetreten sind, kommt derzeit nicht in Betracht. Denn diese Norminterpretation wiirde sich sowohl iiber den Willen der Vertragsparteien als auch iiber den spezifischen europapolitischen Kontext hinwegsetzen, in den die besonders enge Kooperation der Vertragsstaaten eingebunden ist^''. Hierzu gehoren ausweislich der Praambel des SDU der Abbau der GrenzkontroUen und die im Lichte der Binnenmarktrealisierung zu sehende Erleichterung des Personen- und Warenverkehrs im Schengener Rechtsraum. Hinweis: Nach Inkrafttreten und (davon zu unterscheidender) Inkraftsetzung des im Rahmen der „Bilateralen 11" geschlossenen Assoziierungsabkommens zwischen der Schweiz, der EU und der EG v. 26. Oktober 2004 wird Art. 54 SDU im Verhaltnis zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedstaaten anwendbar sein. 19 Es bleibt daher den nationalen Rechtsordnungen iiberantwortet, dariiber zu befinden, wie sich eine auBerhalb des Schengener Rechtsraumes erfolgte rechtskraftige Aburteilung auf ein wegen derselben Sache gefiihrtes inlandisches Strafverfahren auswirkt. Ein rechtsvergleichender Blick offenbart diesbezuglich betrachtliche Unterschiede zwischen den nationalen Strafrechtssystemen: Wahrend etwa das deutsche, osterreichische, englische und italienische Recht auslandischen Strafentscheidungen prinzipiell keine strafklageverbrauchende Wirkung im Inland zuerkennt, verbieten das niederlandische und spanische Recht eine erneute Strafverfolgung selbst bei Inlandstaten, die im Ausland abgeurteilt wurden^^. Die „ne bis in idem"-Regelungen des belgischen, franzosischen und luxemburgischen Rechts statuieren fiir den Fall einer rechtskraftigen Auslandsaburteilung zwar ein
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Dieser Fall wird mitgeteilt von Endrifi/Kinzig, StV 1997, 665 f.
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EndrifilKinzig, StV 1997, 665, 668. Zutr. Landau, SoUner-FS, S. 627, 634 f. Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 598; Mansdorfer, N e bis in idem, S. 61 f., 7 0 f.; 74 ff., 80 ff. Fiir eine einseitig-nationale Anerkennung auslandischer Urteile i m deutschen Recht nach d e m Modell der hoUandischen Regelung pladieren LagodnylNillTheobald, JR 2000, 2 0 5 , 207.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU
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Verfahrenshindernis. Dieses findet allerdings nur auf extraterritoriale Taten Anwendung^^. Immerhin ist mit Art. 54 SDtJ ein teileuropaisches Doppelbestrafungsver- 20 bof^^ auf den Weg gebracht worden, dessen Bedeutung fiir die Strafrechtsentwicklung in Europa gar nicht hocli genug geschatzt werden kann. Zahlt doch die wechselseitige Anerkennung strafjustizieller Erledigungsakte zu den elementarsten Grundlagen und Voraussetzungen einer gemeinsamen europaischen Strafverfolgung'^''. Von dieser tJberzeugung ist auch die zukiinftige europaische Verfassung geleitet, die in Art. 11-110 ein unionsweites Verbot der Doppelbestrafung als Justizgrundrecht verankert (Rn. 14). Bis zum Inkrafttreten des EU-Verfassungsvertrages bleibt Art. 54 SDLF zentrale Rechtsgrundlage fiir die unionsweite Geltung des Prinzips „ne bis in idem". Die bei der Auslegung dieser Bestimmung durch Rechtsprechung und Literatur gewonnenen Erkenntnisse werden auch fiir das Verstandnis des in Art. II-110 EU-Verfassung normierten Doppelbestrafungsverbots von erheblicher Bedeutung sein.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU I. Vorabentscheidungskompetenz des EuGH gem. Art. 35 EUV Vor dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999 fehlte im 21 Rahmen der dritten Saule der EU ein Verfahrensmechanismus zur Gewahrleistung einer gemeinschaftsweit einheitlichen und verbindlichen Norminterpretation. Den mit der Auslegung des Art. 54 SDU befassten nationalen Strafgerichten war insbesondere die Moglichkeit versagt, den EuGH zur Vorabentscheidung (§6) anzurufen. Es war daher vorbildlich, dass der BGH in den von ihm zu entscheidenden Fallen stets eine bilaterale Verstandigung mit dem jeweiligen Erstverfolgerstaat herbeifiihrte"^^. Die Gefahr, dass die strafrechtliche Integration Europas infolge divergierender nationaler Interpretationen des „ne bis in idem"-Prinzips einen Riickschlag erleiden konnte, bestand aber dennoch fort.
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Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 598 f.; Epp, OJZ 1979, 36, 37; Jung, ScMlerSpringorum-FS, S. 493, 496; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 136 ff.; Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 65 ff.; v. d. Wyngaert, RIDP 1999, S. 77.
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Lagodny, NStZ 1997, 265. Jung, Schtiler-Springorum-FS, S. 493, 5 0 1 . Vgl. B G H NStZ 1998, 149; BGHSt 45, 123. Volkerrechtliche Rechtsgrundlage fiir das Einholen authentischer Auskunfte iiber auslandisches Recht ist das Europaische Ubereinkommen v. 7. Juni 1968 betreffend Auskunfte iiber auslandisches Recht (BGBl. II 1974, 937) i. V. m. dem Zusatzprotokoll v. 15. Marz 1978 (BGBl. I I 1 9 8 7 , 58).
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22 Durch die mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages erfolgte Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes"^^ in den Rahmen der Europaischen Union wurde - im Zusammenspiel mit dem neuen Art. 35 EUV - die Voraussetzung dafiir geschaffen, dass nunmehr der EuGH eine Zustandigkeit fiir die Auslegung nicht nur des EG-ne bis in idem-Ubk, sondern auch des Art. 54 SDU erhielt"^"^. Art. 35 I EUVlautet: „Der Gerichtshof der EG entscheidet unter den in diesem Artikel festgelegten Bedingungen im Wege der Vorabentscheidung iiber die Giiltigkeit und Auslegung der Rahmenbeschliisse und Beschliisse, iiber die Auslegung der Ubereinkommen nach diesem Titel und tiber die Giiltigkeit und Auslegung der dazugehorigen DurchftihrungsmaBnahmen." 23 Dies gilt freilich nur fiir diejenigen Staaten, die von der gem. Art. 35 II EUV eroffneten Moglichkeit des „opt-in" Gebrauch gemacht haben. Nach dieser Bestimmung kann jeder Mitgliedstaat durch eine bei der Unterzeichnung des Vertrages von Amsterdam oder zu jedem spateren Zeitpunkt abgegebene Erklarung die Zustandigkeit des EuGH fiir Vorabentscheidungen nach Art. 35 I EUV anerkennen. 24 In Deutschland ist das Zusammenwirken der nationalen Gerichte mit der supranationalen Gerichtsbarkeit mittlerweile durch das EuGHG^^ ausdriicklich geregelt worden. Nach § 1 I EuGHG kann jedes Gericht eine Vorabentscheidung des EuGH herbeifiihren, wenn die Auslegung eines in Art. 35 EUV genannten Ubereinkommens im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Letztinstanzliche Gerichte sind hierzu gem. § 1 II EuGHG sogar verpflichtet"^^. Inzwischen wurde der EuGH schon mehrfach mit der Auslegung des Art. 54 SDU befasst'^''. Damit besteht die Aussicht, Schritt fiir Schritt zu einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des transnationalen Doppelbestrafungsverbotes im Rechtsraum der Vertragsparteien zu gelangen.
Der Schengen-Besitzstand wird konstituiert durch die Schengener Abkommen v. 14. Juni 1985 (Schengen I) und v. 19. Juni 1990 (SDU), die spateren Beitrittsprotokolle und -ubereinkommen weiterer EG-Mitgliedstaaten hierzu, die Beschliisse und Erklarungen des aufgrund des SDU eingesetzten Exekutivausschusse sowie die Rechtsakte zur Durchfiihrung des Ubereinkommens; vgl. hierzu das ProtokoU zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europaischen Union (ABIEG 1997 Nr. C 340, S. 93). OLG Koln NStZ 2001, 558, 560; Hecker, StV 2001, 306, 307; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 59, 73, 81; Lagodny, NStZ 1998, 154; Schomburg, StV 1999, 246, 248; ders., NJW 2000, 1833, 1839. Gesetz betreffend die Anrafung des Gerichtshofes der Europaischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EUVertrages v. 6. August 1998, in Kjraft getreten am 1. Mai 1999 (BGBl. 11998, 2035). BGH NStZ 2002, 661 mit zust. Anm. v. Hecker, NStZ 2002, 663; PlockingerlLeidenmUhler, wistra 2003, 81, 82. EuGH NJW 2003, 1173 = NStZ 2003, 332; EuGH StV 2006, 393; EuGH NJW 2006, 3403; EuGH v. 28. September 2006 - Rs. C-150/05.
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Problematisch ist freilich, dass bei einer Einschaltung des EuGH mit erheblichen 25 Verfahrensverzogemngen zu rechnen ist. Neueren Untersuchungen zufolge betragt die durchschnittliche Dauer eines Vorabentscheidungsverfahrens ca. 12-17 Monate^^. Konflikte mit der stral^rozessualen Maxime des Beschleunigungsgebotes erscheinen vorprogrammiert. Es sollte daher dringend ein strafrechtlicher Spruchkorper des EuGH geschaffen werden"^^, der eine raschere Erledigung von Vorabentscheidungsersuchen gewahrleisten konnte.
II. Das Merkmal „rechtskraftige Aburteilung" Unter den Voraussetzungen des Art. 54 SDtJ bewirkt die rechtskraftige Aburtei- 26 lung durch eine Vertragspartei im gesamten Rechtsraum der Vertragsstaaten den Verbrauch der Strafklage und schafft damit ein Verfahrenshindernis, das jeder erneuten Strafverfolgung aus Anlass der abgeurteilten Tat entgegensteht^°. Uber die Reichweite dieses zentralen Rechtsbegriffes des Art. 54 SDU konnte bislang in Rechtsprechung und Literatur jedoch keine Einigkeit erzielt werden. Als gesichert gilt nach dem derzeitigen Stand der Diskussion ledigiich die Erkenntnis, dass jedenfalls das von einer Vertragspartei gefallte freisprechende^^ oder verurteilende Gerichtsurteil die Strafklage im gesamten Rechtsraum verbraucht^^. Eine dogmatische Klarung des Aburteilungsmerkmals ist dringend geboten, da die Rechtsordnungen aller Vertragsparteien eine Fiille strafprozessualer Erledigungsakte kennen, die nicht in Gestalt eines formlichen Gerichtsurteils ergehen. Man denke nur an die im deutschen Justizalltag tausendfach praktizierte Erledigung von Strafsachen im Strafbefehlswege (§§ 407 ff. StPO) sowie in Form eines richterlichen oder staatsanwaltlichen Beschlusses iiber die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfiigigkeit bzw. nach Erfiillung von Auflagen (§§ 153, 153 a StPO). Umgekehrt stellt sich aus deutscher Sicht die Frage, welche Wirkung auslandischen Verfahrensabschliissen beizumessen ist, die in der deutschen Rechtsordnung kein prozessuales Pendant finden^^. Die rechtliche Problematik kann exemplarisch
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Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 195. Satzger, Europaisierung, S. 666 geht sogar von einer Durchschnittsdauer von 21, 4 Monaten aus. Vgl. Appl Vogler-GS, S. 109, 123; Schomburg, NJW 1999, 540, 543. Vgl. zu den ausliefemngsrechtlichen Folgen Schomhurg, IRhSt, Einleitung Rn. 69; ders., Eser-¥S, S. 829, 837. Vgl. zur Einbeziehung des Freispruchs in den Anwendungsbereich des Art. 54 SDU EuGH NJW 2006, 3403 und EuGH v. 28 September 2006 - Rs. C-150/05 (Rz. 54 ff.); BGH NJW 2001, 2270; Kniehuhler, Ne bis in idem, S. 224 f; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 661. BGH NStZ 1998, 149, 152; BGHSt 45, 123, 127; OLG Saarbriicken StV 1997, 359; BayObLG StV 2001, 263; Ambos, IntStR, § 12 Rn. 42; Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 148, 179 f; Schomburg, StV 1997, 383, 384; ders., StV 1999, 246, 247; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 468 ff; v. d. Wyngaert, NStZ 1998, 153, 154. Vgl. zu den verfahrensbeendenden Entscheidungen im franzosischen und niederlandischen Strafprozess Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 359 ff; 407, 439 ff. und im belgischen Recht Kniebiihler, Ne bis in idem, S. 35 ff, 136 ff
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anhand der folgenden Erledigungsarten aufgezeigt werden: belgische bzw. niederlandische „transactie" (Fall 3 und 5), osterreichisches Straferkenntnis (Fall 4) und staatsanwaltlicher Einstellungsbeschluss gem. § 153 a I StPO (Fall 5). 1. Beigische Jransactie" 27 Fall 3 (BGH NStZ 1999, 250): Die StA wirft den beiden Angeklagten mit der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vor, in der Zeit von Oktober bis Dezember 1988 in Hamburg, Antwerpen, Briissel und Monaco gemeinsam mit andem Beteiligten durch neun selbstandige Handlungen belgische Eingangsabgaben in Hohe von DM 2, 9 Mio. verkiirzt zu haben, indem sie als Angestellte der Hamburger Firma E Breitbandstahl und Blechplatten aus Jugoslawien mit gefalschten Ursprungszeugnissen als tiirkische Erzeugnisse in Belgien abfertigen lieBen, um die Erhebung von AntidumpingzoU in der Europaischen Gemeinschaft zu umgehen (§ 370 I Nr. 1, VI AO). Wegen dieses Sachverhaltes wurden in Belgien und Deutschland Ermittlungsverfahren gegen die Beteiligten geftihrt. Das von den belgischen ZoUbehorden eingeleitete Verfahren wurde am 30. Dezember 1991 durch eine „transactie" nach belgischem Recht abgeschlossen, durch die sich der Inhaber der Firma E gegeniiber dem Finanzministerium verpflichtete, die angefallenen ZoUe, eine ZoUstrafe und die Saumniszinsen zu zahlen. Das LG Hamburg stellte gegen die Angeklagten in Deutschland durchgefiihrte Verfahren wegen eines Verfahrenshindemisses (Strafklageverbrauch) ein. Hiergegen richtet sich die Revision der StA. Frage: Steht Art. 54 SDU einer strafrechtlichen Verfolgung der Angeklagten entgegen? 28 Erste Losungshinweise zu Fall 3: Die belgische Rechtsordnung sieht die Moglichkeit vor, ein Steuerstrafverfahren niederzuschlagen, indem der Beschuldigte sich einem von der Finanzbehorde vorgeschlagenen verwaltungsrechtlichen Vergleich, der sog. „transactie" unterv^irft, der ihn zur Begleichung des hinterzogenen Betrages sowie zur Zahlung einer von der Behorde festgelegten Geldsumme verpflichtet. Nach voUstandiger Erfiillung der Zahlungspflicht ist inn Inland eine erneute Strafverfolgung wegen derselben Sache ausgeschlossen^"^. Ob die Erledigung einer Steuerstrafsache durch ein in Belgien abgewickeltes Transactie verfahren in Deutschland nach Art. 54 SDU zu einem Verfolgungshindernis fiihrt, hangt davon ab, ob man die belgische „transactie" als „rechtskraftige Aburteilung" wertet. Diese Frage wurde von dem zur Entscheidung berufenen LG Hamburg^^ bejaht, vom OLG Hamburgh® indessen abgelehnt. Vor dem Hintergrund, dass das deutsche Recht die Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fiinf Jahren bedroht (vgl. § 370 I AO) erblickte der Hamburger Senat in der belgischen „transactie" gar einen willkiirlich anmutenden „Freikauf von Strafe". Der BGH lieB die Beantwortung der Rechtsfrage in seinem Urteil v. 2. Februar 1999 aufgrund der gegebenen Sachverhaltskonstellation ausdriicklich offen^''. Durch eine belgische „transactie" trete jedenfalls dann kein Strafklageverbrauch ein, wenn es sich um
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Vgl. hierzu Kniebuhler, N e bis in idem, S. 4 7 ff.; v. d. WyngaerU N S t Z 1998, 153. LG Hamburg wistra 1995, 358; ebenso LG Hamburg wistra 1996, 359.
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O L G Hamburg wistra 1996, 193.
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BGH NStZ 1999, 250; vgl. bereits BGH NStZ 1998, 149, 152, wo ahnliche Uberlegungen angestellt werden.
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ein Verfahren handele, in dem die „transactie" unmittelbar eine juristische Person betreffe und die Wirkung im Rahmen des verwaltungsrechtlichen Vergleichs auf Dritte (hier: die Angeklagten) erstreckt werde, ohne dass diese ihrerseits Leistungen zu erbringen haben. Der BGH gab zwar zu bedenken, dass nach dem Willen der Vertragsparteien nur GerichtsurteUen - zumindest aber gerichtlichen Entscheidungen - eine strafklageverbrauchende Wirkung zukommen sollte. Den Urteilsgriinden lasst sich jedoch die bemerkenswerte Andeutung entnehmen, dass der Senat im Hinblick auf eine fortschreitende rechtliche Integration der EGMitgliedstaaten auch eine weite Auslegung des Art. 54 SDU, die Verfahrenserledigungen nach Art der belgischen „transactie" erfasst, nicht generell ausschlieBt^^.
2. dsterreichisches Straferkenntnis Fall 4 (BayObLG StV 2001, 263): Der Angeklagte A fuhr am 12. Februar 1997 gegen 29 3 Uhr 40 von Innsbruck kommend mit seinem PKW auf der Inntalautobahn Richtung Kufstein, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses nicht mehr in der Lage war, sein Fahrzeug sicher zu ftihren. An sich woUte er an der Anschlussstelle Kufstein-Nord die Autobahn verlassen und nach Hause fahren. Da er jedoch die Ausfahrt iibersah, gelangte er nach einer Fahrtstrecke von 800 Metem auf deutschem Staatsgebiet an den Grenzubergang Kiefersfelden-Autobahn zur Einreise in das Bundesgebiet. Eine bei ihm am 12. Februar 1997 um 4 Uhr 25 entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille im Mittelwert. Aufgrund eines Straferkenntnisses der (osterreichischen) Bezirkshauptmannschaft Kufstein wurde A mit einer Geldstrafe von ATS 10 000.- wegen einer Verwaltungsiibertretung belegt. Das AG Rosenheim vemrteilte A am 4. November 1997 wegen derselben Trunkenheitsfahrt (§ 316 II StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewahrung. Das LG Traunstein anderte als Berufungsgericht am 1. April 1998 das Urteil dahingehend ab, dass die gegen A verhangte Freiheitsstrafe zur Bewahrung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil legte A Revision zum BayObLG ein, mit der er die Einstellung des Verfahrens wegen Strafklageverbrauchs begehrte. Frage: Kann sich A auf Art. 54 SDU berufen? Erste Losungshinweise zu Fall 4: Die Beantwortung der Rechtsfrage hangt da- 30 von ab, ob das osterreichische Straferkenntnis eine ,^echtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU darstellt. Dem konnte entgegenstehen, dass es sich bei dem gegen A nach osterreichischem Recht erlassenen Straferkenntnis nicht um eine richterliche Entscheidung handelt. Vielmehr wurde das Trunkenheitsdelikt des A als bloBe Verwaltungsiibertretung behandelt, die von der Bezirkshauptmannschaft - einer Verwaltungsbehorde - geahndet wurde. Wahrend der BGH in seiner oben aufgefiihrten Entscheidung (Fall 3) immerhin eine gewisse Offenheit gegeniiber einer weiten Auslegung des Aburteilungsmerkmals signalisierte, vertrat das BayObLG in seinem Urteil v. 26. Mai 2000 einen eindeutig restriktiven Standpunkt^^. Nach Auffassung des BayObLG vermogen nur Gerichtsurteile, zumin-
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So auch die Einschatzung von Schomburg, StV 1999, 246, 247. BayObLG StV 2001, 263. Der gleichen Auslegungslinie folgen Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 468 ff; v. d Wyngaert, NStZ 1998, 153, 154; v. d. Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, 779, 797 ff; Vogel Schroeder-FS, S. 877, 888; vgl. aber Kniebuhler, Ne
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dest aber gerichtliche Entscheidungen ein staateniibergreifendes Doppelbestrafungsverbot auszulosen. Der Senat lehnte es daher ab, dem in Osterreich ergangenen Straferkenntnis strafklageverbrauchende Wirkung in Deutschland zuzuerken-
3. Niederlandische „transactie" und staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO 31 Fall 5 (EuGH NJW 2003, 1173): Der EuGH hatte infolge der Vorabentscheidungsersuchen eines deutschen und eines belgischen Gerichts gem. Art. 35 EUV liber die Auslegung des Art. 54 SDt) zu entscheiden. Dem lagen folgende Ausgangsverfahren zugmnde. 32 (1) Der Beschuldigte G, ein tiirkischer Staatsangehoriger mit Wohnsitz in den Niederlanden, betrieb in Heerlen (Niederlande) eine Imbissstube. Dort beschlagnahmte die niederlandische Polizei im Rahmen zweier Betriebsdurchsuchungen im Januar und Februar 1996 groBere Rauschgiftmengen. Die niederlandische Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren gegen G ein, nachdem er ihr Angebot, Geldbetrage in Hohe von NLG 3 000.- bzw. NLG 750.- angenommen und gezahlt hatte („transactie"). In der Folgezeit wurde G in Deutschland festgenommen und von der Staatsanwaltschaft Aachen wegen gewerbsmaBigen Handels mit Betaubungsmitteln angeklagt (vgl. § 6 Nr. 5 StGB). Am 13. Januar 1997 vemrteilte ihn das AG Aachen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fiinf Monaten, deren VoUstreckung zur Bewahrung ausgesetzt wurde. Nachdem G hiergegen Berufung eingelegt hatte, stellte das LG Aachen das Verfahren gegen G mit Beschluss v. 27. August 1997 ein. Zur Begriindung wurde auf den durch den niederlandischen Verfahrensabschluss eingetretenen Strafklageverbrauch verwiesen, der gem. Art. 54 SDU auch fur die deutsche Strafverfolgung verbindlich sei. Hiergegen legte die StA Aachen sofortige Beschwerde beim OLG Koln ein. Der Senat setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob gem. Art. 54 SDU Strafklageverbrauch eintrete, wenn nach niederlandischem Recht wegen desselben Sachverhaltes national die Strafklage verbraucht sei. 33 (2) Der Beschuldigte B, ein deutscher Staatsangehoriger mit Wohnsitz in Deutschland, wurde von der belgischen StA wegen einer Korperverletzung angeklagt, die er im Oktober 1997 in Ostduinkerke (Belgien) zum Nachteil von Frau L begangen haben soil. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Bonn das wegen dieser Tat gegen B gefuhrte Verfahren gegen Zahlung einer GeldbuBe von DM 1 000.- gem. § 153 a StPO eingestellt. Nach § 153 a I S. 5 StPO kommt dem Einstellungsbeschluss eine eingeschrankte materielle Rechtskraftwirkung dergestalt zu, dass die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann. Die belgische Rechtbank van Eerste Aanleg Veume setzte deshalb das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage vor, ob Art. 54 SDtJ einer Strafverfolgung in Belgien entgegensteht. 34 Erste Losungshinweise zu Fall 5: Der EuGH beantwortete die Vorlegungsfragen in einer gemeinsamen Entscheidung dahingehend, dass das in Art. 54 SDU aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch fiir zum Strafklageverbrauch fiihrende Verfahren der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art gilt, in denen die bis in idem, S. 270 ff. und Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 173, die die Begrundung des BayObLG mit Recht fiir unzureichend halten. Des Weiteren berief sich das BayObLG auf die Vorbehaltsklausel des Art. 55 I lit. a SDU, die den Vertragsparteien das Recht einraumt, unter bestimmten Voraussetzungen (Tatort liegt ganz oder teilweise auf deutschem Hoheitsgebiet) nicht an Art. 54 SDU gebunden zu sein.
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Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaates ohne Mitwirkung eines Gerichts ein in diesem Mitgliedstaat eingeleitetes Strafverfahren einstellt, nachdem der Beschuldigte bestimmte Auflagen erfullt und insbesondere einen bestimmten, von der Staatsanwaltschaft festgesetzten Geldbetrag entrichtet hat^"". Dabei stellte der EuGH maBgeblich auf den Sinn und Zweck des transnationalen Doppelbestrafungsverbotes ab. Art. 54 SDLF soil verhindern, dass eine Person, die von ihrem Recht auf Freiziigigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat in mehreren Mitgliedstaaten verfolgt wird. Zur Verwirklichung dieses Zieles konne Art. 54 SDtJ nur beitragen, wenn er auch auf solche strafklageverbrauchende Entscheidungen anwendbar ist, die ohne Mitwirkung eines Gerichts und nicht in Form eines Urteils ergangen sind. Der EuGH fiihrte klarstellend aus, dass das Doppelbestrafungsverbot den durch die Straftat Geschadigten nicht hindere, eine zivilrechtliche Klage auf Ersatz des erlittenen Schadens zu erheben. 4. Vertiefende Diskussion Weitere Losungshinweise zu den Fallen 3 bis 5: Wie die nachfolgende Diskus- 35 sion zeigt, vermag die vom OLG Hamburg (Fall 3) und vom BayObLG (Fall 4) vertretene restriktive Interpretation des Aburteilungsbegriffes nicht zu iiberzeugen, wahrend die Entscheidung des EuGH (Fall 5) Beifall verdient^^. Im Hinblick auf die volkervertragsrechtliche Natur des SDU sind ftir die Interpretation des in die dritte Saule der EU iiberfiihrten Art. 54 SDU die in Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention kodifizierten Auslegungsmaximen heranzuziehen^^. Danach ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Ubereinstimmung mit seiner gewohnlichen, seinen Bestimmungen im Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen^^. Die spezifische Ziel- und Zweckbestimmung des Art. 54 SDU muss dabei den Anhaltspunkten entnommen werden, die der Text des Vertrages einschlieBlich seiner Praambel und Anlagen liefert, da andere Auslegungsaspekte - wie etwa die Entstehungsgeschichte des Abkommens - nach Art. 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention nur erganzend und bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen herangezogen werden konnen. Da das SDU in drei amtlichen Sprachen (deutsch, niederlandisch und franzosisch) abgefasst wurde und Art. 142 II4 SDU jeden Wortlaut fiir gleichermaBen verbindlich erklart, ist von der in Art. 33 III Wiener Vertragsrechtskonvention angeordneten Vermutung auszugehen, dass die Ausdriicke des Vertrages in jedem authentischen Text die gleiche Bedeutung haben. Durch die Einbeziehung des SDU in das Unionsrecht ist
61 EuGH NJW 2003, 1173 = NStZ 2003, 332 = StV 2003, 201. 62 Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 263 ff.; krit. Amhos, IntStR, § 12 Rn. 47; RadtkelBuscK NStZ 2003, 281, 283; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 478, 486 ff. 6^ Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 97 ff 6"^ Das Wiener Ubereinkommen v. 23. Mai 1969 iiber das Recht der Vertrage (BGBl. II 1985, 927; 1987, 757) ist abgedmckt bei Schomburg, IRhSt, Anhang 12. Die dort enthaltenen Auslegungskriterien werden als kodifiziertes Volkergewohnheitsrecht angesehen; vgl. hierzu BGH NStZ 1998, 149, 151; Dorr, DOV 1993, 696, 702 m. w. N.
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nunmehr zwar der Wortlaut aller Amtssprachen der EU verbindlich^^. Dies andert aber nichts daran, dass die grammatikalische Auslegung des Art. 54 SDtJ anhand der Textfassung der drei urspriinglich authentischen Rechtssprachen vorzunehmen ist, denn nur diese geben sprachlich den originaren Regelungsgehalt wieder, der nunmehr als Unionsrecht weitergelten soil. Es iiberzeugt daher nicht, etwa unter Hinweis auf die portugiesische Fassung des Art. 54 SDU („... defmitivamente julgado por um tribunal...") eine restriktive Interpretation des Doppelbestrafungsverbotes herzuleiten, die nur noch Gerichtsurteilen transnational Erledigungswirkung zuerkennt^^. Vielmehr ist der portugiesische wie jeder andere mitgliedstaatliche Gesetzgeber verpflichtet, eine sprachliche Fassung des Art. 54 SDtJ zu wahlen, die den materiellen Regelungsgehalt der Norm, wie er sich aus den urspriinglich fiir verbindlich erklarten Rechtssprachen ergibt, zum Ausdruck bringt. Andernfalls hatten es die Mitgliedstaaten in der Hand, je nach der von ihnen gewahlten tJbersetzung des Art. 54 SDtJ den Anwendungsbereich des Doppelbestrafungsverbotes neu zu bestimmen. a) Wortlautinterpretation 36 Setzt man zunachst bei der Wortlautauslegung der deutschen Textfassung an, so scheint diese an eine ganz spezielle Form der Verfahrenserledigung anzukniipfen, namlich an ein Gerichtsurteil. Art. 54 SDU spricht ausdriicklich von dem „Urteilsstaat" und auch in der Vorbehaltsregelung des Art. 55 SDtJ ist von einem „auslandischen Urteil" die Rede^''. Dieses Begriffsverstandnis kann sich auf die Tradition friiherer „ne bis in idem"-Abkommen berufen, die auf der Ebene des Europarates ausgearbeitet wurden. In diesen tJbereinkommen wurde stets zwischen gerichtlichen Urteilen und nichtgerichtlichen Verfahrenserledigungen unterschieden^®. Auch die in Art. 58 SDtJ verwendete Bezeichnung „Justizentscheidung", legt ein enges Begriffsverstandnis nahe^^. Der Sprachgebrauch der deutschen Fassung des SDU ist jedoch nicht einheitlich. So findet sich in Art. 57 SDtJ, der die wechselseitige Erteilung von Auskiinften iiber die in einem Vertragsstaat erfolgte Aburteilung einer Person regelt, der weite Begriff „Entscheidung". Auch das in Art. 54 SDLF enthaltene VoUstreckungselement zwingt nicht etwa dazu, nur voUstreckbaren Gerichturteilen die Qualitat einer rechtskraftigen Aburteilung zuzuerkennen. Denn die Formulierung „... vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist..." kann auch so verstanden werden, dass sie nur bei Verfahrensabschliissen Bedeutung erlangt, denen typischer-
^^ Bose, GA 2003, 744, 747; Schomburg, InRhSt, Art. 54 SDU Rn. 9; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 57. 66 So Bose, GA 2003, 744, 749, 756. 67 Wie sich den Denkschriften der deutschen und der osterreichische Regierung entnehmen lasst, gingen sie bei Vertragsabschluss in der Tat davon aus, dass die ne-bis-inidem-Regelung nur bei Vorhegen eines auslandischen Gerichtsurteils zur Anwendung gelangen soil (vgl. Denkschrift der Bundesregiemng zum SDU; BT-Drs. 12/2453, S.91,93). Kniehuhler, Ne bis in idem, S. 184; v. d. Wyngaert, NStZ 1998, 153. Stein, NJW2003, 1162, 1163.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU
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weise eine Vollstreckung nachfolgt. Bei alien sonstigen Erledigungsakten ist das Vollstreckungselement schlicht gegenstandslos. Die niederlandische Formulierung „vonnis" bezeichnet ebenso wie der franzosische Ausdruck „jugement" zwar in erster Linie ein Gerichtsurteil. In den jeweiligen Rechtssprachen werden diese Bezeichnungen aber auch fiir sonstige Entscheidungen, z. B. richterliche Beschliisse, verwendet''^. Die grammatikalische Interpretation vermag demnach keine eindeutige Antwort auf die gestellte Auslegungsfrage zu liefern'"'. Dem Wortlaut nach ist es also - wovon im Ergebnis auch der EuGH ausgeht''^ - zumindest nicht ausgeschlossen, unter den Begriff „rechtskraftige Aburteilung" nicht nur formliche Gerichtsurteile zu subsumieren, sondern auch sonstige verfahrensabschlieBende und rechtskraftbewirkende Entscheidungen, an denen kein Gericht mitgewirkt hat. b) Systematische Interpretation Flir eine Beschrankung des Anwendungsbereiches des Art. 54 SDU auf in Urteils- 37 Oder Beschlussform ergangene richterliche Entscheidungen konnte der systematische Zusammenhang mit der in Art. 58 SDU getroffenen Regelung sprechen. Nach Art. 58 SDU stehen die vorstehenden Bestimmungen - also auch Art. 54 SDU - der Anwendung weitergehender Bestimmuiigen des nationalen Rechts iiber die Geltung des Verbots der Doppelbestrafung in Bezug auf „auslandische Justizentscheidungen" nicht entgegen. Art. 58 SDLF stellt mithin klar, dass Art. 54 SDU keine abschlieBende Regelung des transnationalen Doppelbestrafungsverbotes darstellt, sondern lediglich einen von alien Vertragsparteien einzuhaltenden verfahrensrechtlichen Mindeststandard garantieren soil. Den Vertragsstaaten steht es also frei, auf nationaler Ebene das Verbot der Doppelbestrafung groBziigiger auszugestalten''^. Wenn man den Terminus „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU als Unterfall des (Ober-)Begriffes „auslandische Justizentscheidungen" auffasst, konnte man hieraus den Schluss ziehen, dass in grenziiberschreitenden Konstellationen nur gerichtlichen Entscheidungen strafklageverbrauchende Wirkung beizumessen seien''^. Zwingend ist diese restriktive Auslegung freilich nicht, da sich im SDU selbst keine Defmition oder sonstige erlauternde Bemerkung zu dem Terminus „auslandische Justizentscheidung" findet''^. Auch nach Auffassung des EuGH folgt aus Art. 58 SDIJ nicht, dass Art. 54 SDU ausschlieBHch auf Urteile oder gerichtliche Entscheidungen anwendbar sein soil. Vielmehr raume diese Bestimmung unabhangig von der Natur der fraglichen auslandischen Entschei-
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Vgl. L G Hamburg wistra 1995, 358, 359; L G Hamburg wistra 1996, 359, 3 6 1 ; Schomburg, IRhSt, Art. 54 SDU Rn. 12; ders. StV 1997, 383, 384; ausftihrlich hierzu Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 197 ff. 71 Hecker, StV 2001, 306, 308; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 178 ff.; Plockinger/Leidenmuhler, wistra 2003, 81, 84; RadtkelBusch, NStZ 2003, 281, 284; VogellNorouzU JuS 2003, 1059, 1062; a. A. insoweit Stein, NJW 2003, 1162, 1163. 72 EuGHNJW2003, 1173, 1174 (Rz. 42). 7^ Vgl. hierzu PlockingerlLeidenmiihler, wistra 2003, 81, 85. 74 So BGH wistra 1997, 271 = NStZ 1998, 151; a. A. Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer, EuGHE 2003, 1348, 1371 (Rz. 108). Plockinger/Leidenmiihler, wistra 2003, 81, 85.
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dungen den Mitgliedstaaten das Recht ein, nationale Rechtsvorschriften anzuwenden, die dem Doppelbestrafungsverbot eine groBere Tragweite verleihen oder seine Anwendung an weniger strenge Voraussetzungen kniipfen''^. c) Teleologische Interpretation 38 Da weder die Wortlautauslegung noch die systematische Interpretation zu eindeutigen Ergebnissen fiihrt, kann eine Prazisierung des Aburteilungsbegriffes letztlich nur anhand einer an Sinn und Zweck orientierten Interpretation des Art. 54 SDU gelingen: Man konnte sich - wie das OLG Hamburg (Fall 3) - auf den Standpunkt stellen, es handle sich bei Verfahrensabschliissen wie der belgischen „transactie" lediglich um nationale Besonderheiten, die schon deshalb nicht als ,^echtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU gewertet werden konnen, weil sie nicht mit den Rechtsordnungen samtlicher Vertragsstaaten harmonieren'^''. Wenn Art. 54 SDU demnach nur Verfahrenserledigungen erfassen wiirde, die im nationalen Recht aller Vertragsparteien anerkannt sind, waren nur Gerichtsurteile geeignet, ein transnationales Doppelbestrafungsverbot auszulosen. Eine solche Auslegung des Aburteilungsbegriffes auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner" des Strafprozessrechts aller Vertragsparteien wiirde somit eine Vielzahl sonstiger, nicht in Urteilsform ergehender Verfahrensabschliisse aus dem Anwendungsbereich des Art. 54 SDU ausklammern, was schon aus rein praktischen Grtinden nicht iiberzeugen kann. Kein gut beratener Beschuldigter wiirde einer Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO zustimmen oder auf das Einlegen eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl verzichten, wenn er befiirchten miisste, in einem anderen Vertragsstaat mangels Aburteilung in Urteilsform wegen derselben Tat erneut zur Rechenschaft gezogen zu werden. Justizentlastende Erledigungsformen, die einen Verfahrensabschluss ohne gerichtliche Hauptverhandlung ermoglichen, wiirden faktisch entwertet - ein Effekt, der angesichts der nicht nur in Deutschland knappen Justizressourcen nicht sachgerecht erscheint''^. 39 Bei einer an Sinn und Zweck des transnationalen Doppelbestrafungsverbotes orientierten Norminterpretation muss - worauf auch der EuGH zu Recht hinweist''^ - beriicksichtigt werden, dass die Vertragsparteien in einen bereits fortgeschrittenen und stetig fortschreitenden Integrationsprozess im Rahmen der Europaischen Union eingebunden sind®°. Alle Vertragsstaaten sind dazu verpflichtet, an dem in Art. 29 EUV formulierten Ziel der Herstellung eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" mitzuwirken. Dieses Ziel wird vor allem durch eine Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten erreicht (vgl. Art. 30, 31 EUV). Innerhalb des Rechtsraumes der Vertragsparteien hat diese Zusammenarbeit bereits eine sehr konkrete Gestalt angenommen - etwa in Form des Informationsaustausches aufgrund des SIS (§ 5 Rn. 50 ff.), der operativen Zusammenarbeit der Polizei- und Strafverfol76 EuGH NJW 2003, 1173, 1174 (Rz. 43, 45). OLG Hamburg wistra 1996, 193, 195. 78 Hecker, StV 2001, 306, 307; PldckingerlLeidenmuhler, wistra 2003, 81, 86. 79 EuGH NJW 2003, 1173, 1174 (Rz. 36, 37). ^0 Dieser Aspekt wird auch von BGH NStZ 1998, 149, 152 gesehen. 77
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gungsbehorden (§5 Rn. 33 ff.), der Erleichterung der Rechtshilfe und der gegenseitigen Unterstutzung im Ermittlungs- und Strafverfahren (§ 12 Rn. 4 ff.)^"". Das Zusammenwachsen der Vertragsparteien zu einem Rechtsraum, in dem die Krafte der nationalen Strafgewalten im Interesse einer effektiveren Kriminalitatsbekampfung gebiindelt werden, darf nicht zu einer Aushohlung elementarer Beschuldigtenrechte fuhren. Es muss verhindert werden, dass eine Vertragspartei die ihr zuganglichen Informationen oder Ermittlungsergebnisse eines Erstverfolgerstaates benutzt, um eine dort bereits rechtskraftig abgeschlossene Strafsache im Inland erneut aufzurollen. Ein GesetzesverstoB, der in einem Vertragsstaat nicht mehr abgeurteilt werden kann, weil er aufgedeckt und abschlieBend sanktioniert worden ist, soil nicht erneut in einem anderen Vertragsstaat strafrechtlich verfolgt werden konnen. Insoweit stellt die Ausformung eines moglichst weitreichenden transnationalen Doppelbestrafungsverbotes ein unabdingbares rechtsstaatliches Korrektiv gegeniiber einer international-arbeitsteiUg operierenden Strafverfolgung dar^^. Die im SDtJ vorgesehene Abschaffung der Personenkontrollen an den gemein- 40 samen Grenzen dient der Vollendung des europaischen Binnenmarktes. Das Binnenmarktziel korrespondiert mit der Idee, einen gemeinsamen Rechtsraum zu schaffen, in dem die divergierenden nationalen Rechtsvorschriften keine Storung des freien Verkehrs von Personen, Giitern und Kapital mehr darstellen^^. Dieses Ziel kann nur durch eine Harmonisierung des Rechts oder durch die Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung realisiert werden. Da die divergierenden nationalen Strafrechtssysteme einer Angleichung derzeit allenfalls beschrankt zuganglich sind, kann sich ein gemeinsamer Rechtsraum im Bereich der Strafrechtspflege nur auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung verfahrensabschlieBender Erledigungsakte herausbilden^"^. Hieraus folgt fur die Auslegung des Art. 54 SDtF, dass die Definitionsmacht iiber den nationalen Rechtsakt, an den das staatentibergreifende Doppelbestrafungsverbot anknlipft, ausschlieBlich beim Erstverfolgerstaat Hegt. Entscheidend ist also, dass nach dem Recht des erstverfolgenden Staates die ergriffene MaBnahme eine erneute Verfolgung derselben Tat im Inland ausschlieBt^^.
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Vgl. hierzu Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 96. Jung, Schuler-Springomm-FS, S. 493, 501; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 190: Schomburg, StV 1999, 246, 247; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 283. Auf den Aspekt der Freizugigkeit stellen - im Anschluss an EuGH NJW 2003, 1173 1174 (Rz. 38) - ebenfalls die Vorabentscheidungen EuGHE 2005, 2009 (Rz. 32) EuGH StV 2006, 393, 395, EuGH v. 28. September 2006 - Rs. C-150/05 (Rz. 46) ab. EuGH NJW 2003, 1173, 1174 (Rz. 33); Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 193 f, 211 Vogel, Schroeder-FS, S. 877, 881, 887. Dannecker, Kohlmann-FS, S. 593, 611, 614; Hecker, StV 2001, 306, 309; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 212 f; Liebau, Ne bis in idem, S. 282 ff; Seitz, in: Gohler, OWiG, § 84 Rn. 18; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 297, 303.
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d) Definition des IVIerkmals „rechtskraftige Aburteilung" 41 Auf der Grundlage einer teleologischen Interpretation des transnationalen Doppelbestrafungsverbotes, wird folgende Definition des Aburteilungsmerkmals vorgeschlas em ^^RcchtskrUftigc Aburteilung^' i. S. d. Art. 54 SDIJ ist jede verfahrensabschlieBende und rechtskraftbewirkende Entscheidung, die nach dem Recht des Erstverfolgerstaates zu einem Verbrauch der Strafklage fiihrt. Verfahrenserledigungen nach Art der belgischen bzw. niederlandischen „transactie" (Falle 3 und 5), des osterreichischen Straferkenntnisses (Fall 4) oder des staatsanwaltlichen Einstellungsbeschlusses gem. § 153 a StPO (Fall 5) sind demnach geeignet, im gesamten Rechtsraum der EU ein Verfahrenshindernis auszulosen. Nach hier vertretener Auffassung stellen auch strafprozessuale Erledigungen wie die ohne Auflage ergehende richterliche Verfahrenseinstellung gem. § 153 II StPO, der Nichteroffnungsbeschluss gem. §§ 204, 211 StPO oder die Verwerfung eines Klageerzwingungsantrages gem. § 174 StPO eine „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDtJ insoweit dar, als diese Entscheidungen materielle Rechtskraft entfalten. Es bleibt abzuwarten, ob diese weite Auslegung auch vom EuGH geteilt wird. Zwar hob der EuGH in seinem Urteil v. 11. Februar 2003 (Fall 5) das Erfordernis einer „Ahndung" hervor^^. Ob die Ahndung aber eine notwendige Bedingung fiir die Einstufung strafprozessualer Verfahrensabschliisse als „rechtskraftige Aburteilung" sein soll^^, kann dem Urteil nicht mit Sicherheit entnommen werden®^. Nach iiberzeugender Auffassung des EuGH liegt jedenfalls keine „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDlJ vor, wenn die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaates die Strafverfolgung nur deshalb einstellt, weil in einem anderen Mitgliedstaat StrafverfolgungsmaBnahmen gegen denselben Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sind, ohne dass im Erstverfolgerstaat eine Priifung in der Sache erfolgt ist^^.
III. Vollstreckungselemente des Art. 54 SDU 42 Nach Art. 54 SDtJ ist das Verbot doppelter Strafverfolgung an die weitere Voraussetzung gekniipft, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion - bereits voUstreckt ist, - gerade voUstreckt wird oder - nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr voUstreckt werden kann. 43 Fall 6 (OLG Saarbriicken StV 1997, 359): A wurde von einem belgischen Gericht wegen unerlaubten Besitzes von Betaubungsmitteln rechtskraftig zu einer Gefangnisstrafe von drei Monaten unter Gewahrung eines auf zwei Jahre befristeten Strafaufschubs und daneben zur ^6 EuGH NJW 2003, 1173, 1174 (Rz. 27, 29); Stein, NJW 2003, 1162, 1164; Thym, NStZ 2003, 334. ^7 So Thym, NStZ 2003, 334. ^s Zutr. gesehen von Stein, NJW 2003, 1162, 1164. 89 EuGHE 2005, 2009.
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Zahlung einer Geldstrafe (zwei Monate Ersatzgefangnisstrafe) verurteilt. Die Geldstrafe hat A noch nicht gezahlt. Frage: Steht Art. 54 SDU einer strafrechtlichen Verfolgung des A in Deutschland wegen derselben Tat entgegen? Erste Losungshinweise zu Fall 6: Zunachst ist festzustellen, dass eine ,^echts- 44 kraftige Aburteilung" des A durch eine Vertragspartei (Belgien) wegen derselben Tat vorliegt. Da A von dem belgischen Gericht zu einer (zur Bewahrung ausgesetzten) Freiheitsstrafe und zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt wurde, hangt die Anwendbarkeit des Art. 54 SDU davon ab, ob eines der drei Vollstreckungselemente gegeben ist. 1, Erstes Vollsteckungselement Das erste Vollstreckungselement („.. .bereits vollstreckt worden ist...") ist nur bei 45 voUstandiger Erledigung der Vollstreckung einer Sanktion erfiillt, z. B. nach VerbtiBung einer Gefangnisstrafe, Zahlung einer Geldstrafe, Erfiillung einer Auflage Oder nach Erlass einer Bewahrungsstrafe. In Fall 6 hat A weder die gegen ihn verhangte Freiheitsstrafe verbiiBt noch die ihm auferlegte Geldstrafe gezahlt. Somit ist das erste Vollstreckungselement nicht verwirklicht. 2. Zweites Vollstreckungselement Das zweite Vollsteckungselement („.. .gerade vollstreckt wird...") beschreibt eine 46 Situation, in der die Vollstreckung der verhangten Sanktion bereits eingeleitet wurde und noch andauert. In Fall 6 stellt sich die Frage, ob dieses Vollstreckungselement erfiillt ist, obwohl A „unter Bewahrung" steht, also die gegen ihn verhangte Freiheitsstrafe derzeit nicht verbiiBt. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur steht auf dem Standpunkt, eine Freiheitsstrafe werde nur dann „gerade vollstreckt", wenn der Verurteilte sich zwecks StrafverbiiBung im Strafvollzug befinde^°. Diese Auffassung vermag nicht zu iiberzeugen. Bereits bei der Interpretation des Merkmals „rechtskraftige Aburteilung" wurde darauf hingewiesen, dass die Ausformung eines moglichst weitreichenden transnationalen Doppelbestrafungsverbotes ein unabdingbares rechtsstaatliches Korrektiv gegeniiber einer international-arbeitsteilig operierenden Strafverfolgung darstellt (Rn. 39). Die Herausnahme der in alien Vertragsstaaten hochst praxisrelevanten Sanktionsform bedingte Freiheitsstrafe aus dem Anwendungsbereich des Art. 54 SDU ist mit dieser iibergeordneten Zielsetzung unvereinbar. Der Wortlaut steht einer weiten Auslegung des zweiten Vollstreckungselements 47 nicht entgegen. Da der Verurteilte nur bei genauer Einhaltung aller Bewahrungsauflagen vom Strafvollzug im Verurteilungsstaat verschont bleibt, kann man davon sprechen, dass eine bedingte Freiheitsstrafe auch schon wahrend der laufenden Bewahrungszeit vollstreckt wird. Jeder VerstoB gegen eine Bewahrungsauflage (insbesondere gegen das Gebot, keine weitere Straftat zu begehen) kann den OLG Saarbriicken StV 1997, 359, 360; Specht, Die zwischenstaadiche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 165 ff
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Widerruf der Bewahrung nach sich ziehen. Sinn und Zweck des zweiten VoUstreckungselements ist es, zu verhindern, dass der in einem Vertragsstaat rechtskraftig Verurteilte, dem vor voUstandiger Erledigung der StrafvoUstreckung die Flucht in einen anderen Vertragsstaat gelingt, sich dort unter Berufung auf Art. 54 SDU einer neuerlichen Verfolgung und letztlich Vollstreckung des Ersturteils entziehen kann. Diese Zwecksetzung - Verhinderung einer Vollstreckungsvereitelung wird auch erreicht, wenn man bereits den Beginn der Bewahrungszeit als gegenwartige Vollstreckung der Freiheitsstrafe erfasst. Wird die Strafaussetzung zur Bewahrung von dem Erstverfolgerstaat widerruf en, so kann er in jedem anderen Vertragsstaat um Auslieferung zur Vollstreckung oder (Jbernahme der Vollstreckung ersuchen^^ Das zweite Vollstreckungselement ist daher mit der tiberzeugenden h. M. auch bei Verhangung einer zur Bewahrung ausgesetzten Freiheitsstrafe erfiillt^^. 48 Weitere Losungshinweise zu Fall 6: Nach den bisherigen Ausftihrungen wird die von dem belgischen Gericht gegen A verhangte Sanktion - eine zur Bewahrung ausgesetzte Freiheitsstrafe - „gerade vollstreckt". Der Anwendung des Art. 54 SDU konnte aber entgegenstehen, dass A die ihm zugleich auferlegte Geldstrafe (bisher) nicht gezahlt hat. Es stellt sich somit die Frage, ob die beiden nebeneinander verhangten Strafen als Gesamtsanktion zu verstehen ist, die kein Doppelbestrafungsverbot gem. Art. 54 SDU auslost, wenn auch nur bei einer der beiden Strafen die VoUstreckungsvoraussetzungen nicht vorliegen^^. Von diesem Standpunkt aus ware A in den anderen Vertragsstaaten nicht vor einer erneuten Strafverfolgung wegen derselben Tat geschtitzt, solange er die ihm in Belgien auferlegte Geldstrafe nicht gezahlt hat - ein Ergebnis, das schon im Hinblick auf die Schutzfunktion des Art. 54 SDtJ (Rn. 39) nicht zu iiberzeugen vermag. Der Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung durch A wird bereits dadurch ausreichend entgegengetreten, dass wenigstens eine der beiden Strafen die VoUstreckungsanforderungen erfiillt^'^. Losungsvorschlag zu Fall 6: Art. 54 SDU steht der strafrechtlichen Verfolgung des A in Deutschland wegen der bereits von einem belgischen Gericht abgeurteilten Tat entgegen. 3. Drittes Vollstreckungselement 49 Typische Anwendungsfalle des dritten Vollstreckungselements („...nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann...") sind die Amnestie, Begnadigung oder VoUstreckungsverjahrung (vgl. § 79 I StGB). Die Aus-
^^ Pldckinger/Leidenmiihler, wistra 2003, 81, 87 f. 92 BGHSt 46, 187 = NStZ 2001, 163 = StV 2001, 262, 263; Auer, ORiZ 2000, 52, 53; Kniebiihler, Ne bis in idem, S. 228; Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 182; Plockinger/Leidenmiihler, wistra 2003, 81, 87, Satzger, Europaisiemng, S. 690; Schomburg, IRhSt, Art. 54 SDtJ Rn. 30; ders., StV 1997, 383, 384; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 285; Vogel, Schroeder-FS, S. 877, 890. 93 So OLG Saarbriicken StV 1997, 359; krit. hierzu Schomburg, StV 1997, 383, 384. 9"^ Plockinger/Leidenmuhler, wistra 2003, 81, 88.
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legung des dritten VoUstreckungselements bereitet in der Praxis Schwierigkeiten, wie der folgende Fall zeigt. Fall 7 (OLG Miinchen StV 2001,495): B - eine deutsche Staatsbiirgerin - hat ihre Mutter 50 vorsatzlich getotet, indem sic am 11. Oktober 1996 in Las Aguilas/Puerto de la Cruz (Teneriffa/Spanien) der auf dem Bett liegenden Frau ein Kopfkissen auf Mund und Nase driickte, ihr sodann einen mitgebrachten PlastikmuUbeutel iiber den Kopf stulpte und so lange zuhielt, bis der Tod eintrat. Das zustandige spanische Geschworenengericht in Santa Cruz de Tenerife wertete diese Tat als Totschlag und verhangte in seinem Urteil v. 24. Dezember 1997 gegen B unter Beriicksichtigung strafmildemder Umstande eine Freiheitsstrafe von fiinf Jahren unter Anrechnung der seit 15. Oktober 1996 vollzogenen Untersuchungshaft. Mit Beschluss v. 6. August 1998 verfiigte das Gericht gem. Art. 89 codigo penal, die verbleibende Restfreiheitsstrafe durch die Ausweisung der B fiir die Dauer von fiinf Jahren aus dem nationalen Hoheitsgebiet zu ersetzen, verbunden mit der Mahnung, dass B im Falle einer Wiedereinreise nach Spanien die ihr auferlegte Freiheitsstrafe zu verbiiBen hatte. B wurde am 19. August 1998 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Das AG Miinchen erlieB am 29. September 1999 wegen derselben Tat einen Haftbefehl gegen die untergetauchte B. Am 26. Marz 2001 wurde B durch Zielfahnder des LKA Miinchen in Wiesbaden ausfindig gemacht und sodann in Untersuchungshaft genommen. Nachdem der von B eingelegten Haftbeschwerde vom Haftrichter des AG Miinchen nicht abgeholfen wurde, hob das LG Miinchen I mit Beschluss v. 24. April 2001 den Haftbefehl auf. Hiergegen richtete sich die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft Munchen II, iiber die das OLG Miinchen zu entscheiden hatte. Frage: Steht die in Spanien erfolgte Vemrteilung der B dem Erlass eines Haftbefehls in Deutschland entgegen? Losungshinweise zu Fall 7: Der fiir den Erlass eines Haftbefehls gem. § 112 I 51 StPO vorausgesetzte dringende Tatverdacht muss sich auf eine prozessual verfolgbare, rechtswidrig und schuldhaft begangene Tat beziehen^^. Ein deutscher Strafanspruch wegen des von B im Ausland begangenen vorsatzlichen Totungsdelikts lasst sich aus § 7 II Nr. 1 StGB i. V. m. § 211 StGB bzw. § 212 StGB ableiten. Fraglich ist, ob die auslandische Aburteilung iiber Art. 54 SDU eine Sperrwirkung auslost mit der Folge, dass die Tat in Deutschland nicht mehr verfolgbar ist. Das OLG Miinchen verwarf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unbegriindet. Der Senat stiitzt seinen - die Aufhebung des Haftbefehls bestatigenden Beschluss maBgeblich auf die Bestinmiung des Art. 54 SDU, die nach Auffassung des Senats einer erneuten Verfolgung der B wegen des von ihr am 11. Oktober 1996 in Spanien begangenen Totungsdelikts entgegenstehe. Diese Entscheidung verdient im Ergebnis BeifalP^, wie die nachfolgende Subsumtion zeigt: Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch das Konigreich Spanien sind 52 Vertragsparteien des SDU. Auch stellt das in einem formlichen Verfahren erlassene Gerichtsurteil zweifellos eine ,,rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDtJ dar. Die von dem Geschworenengericht verhangte Sanktion - hier: Freiheitsstrafe von fiinf Jahren - ist nicht „bereits voUstreckt" worden, da dieses VoUstreckungsmoment nur bei voUstandiger VerbiiBung einer Gefangnisstrafe oder nach Erlass einer Bewahrungsstrafe erfiillt ist (vgl. Rn. 45). B hat jedoch unter Anrech95
Vgl. nur Meyer-Gofiner, StPO, § 112 Rn. 5.
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Vgl. hierzu Hecker, StV 2002, 71 ff.; Mansdorfer,
N e bis in idem, S. 181 ff.
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nung der Untersuchungshaft weniger als zwei Jahre Haft verbiiBt. Bei dem erfolgten Procedere kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Sanktion „gerade vollstreckt" wird, wie dies etwa bei einer Freiheitsstrafe der Fall ist, deren Vollstreckung von Anfang an oder nach TeilverbiiBung zur Bewahrung ausgesetzt worden ist (Rn. 46). Vielmehr wurde die weitere Vollstreckung der verhangten Sanktion abgebrochen und durch die Ausweisung der B aus dem spanischen Hoheitsgebiet ersetzt^''. Nach alledem hangt die Entstehung eines transnationalen Verfahrenshindernisses von der entscheidenden Frage ab, ob die Sanktion „nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann". a) Wortlautauslegung 53 Ob das dritte Vollstreckungselement erfiillt ist, kann mit einer bloBen Wortlautauslegung nicht zweifelsfrei entschieden werden. Einerseits kann man die Klausel „nach dem Recht des Urteilsstaat nicht mehr vollstreckt werden kann" als nicht erfiillt ansehen, da die weitere Vollstreckung der gegen B verhangten Freiheitsstrafe - anders als in den (typischen) Fallen einer Amnestic, Begnadigung oder Vollstreckungsverjahrung - nach spanischem Recht nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern nur unter der Bedingung ausgesetzt ist, dass B innerhalb der Fiinf-JahresFrist nicht wieder nach Spanien einreist. Auf der anderen Seite lasst sich argumentieren, das in Art. 54, 3. Var. SDU beschriebene Erfordernis sei gegeben, weil Spanien sich durch die Ausweisung der B der faktischen Moglichkeit zur weiteren Strafvollstreckung begeben habe und die einzige Bedingung fiir eine Fortsetzung der Vollstreckung - die Einreise der B in spanisches Hoheitsgebiet - dem Willen der B unterstellt habe. Da beide - zu gegensatzlichen Ergebnissen fuhrenden Auslegungsmoglichkeiten vom Wortlaut des Art. 54 SDU gedeckt sind, kommt abermals der teleologischen Interpretation ausschlaggebende Bedeutung zu. b) Teleologische Auslegung 54 Begreift man Art. 54 SDU als Gradmesser und Katalysator der strafrechtlichen Integration Europas, muss die Auslegung des Art. 54 SDtJ von einer groBtmoglichen Toleranz und Akzeptanz anderer Rechtsordnungen im Rechtsraum der Vertragsparteien ausgehen^^. Es gilt, der im Verurteilungsstaat getroffenen Entscheidung groBtmoglichen Respekt entgegenzubringen und zur Anerkennung im Inland zu verhelfen. Hierzu gehort die Bereitschaft, etwa bestehende abweichende Rechtsgrundsatze und Gerechtigkeitsvorstellungen, die in der inlandischen Justizpraxis moglicherweise zu einer anderen Behandlung der im Ausland erledigten Strafsache gefiihrt hatten, in einem justiziell immer starker zusammenwachsenden Europa zuriicktreten zu lassen. Fiir die Losung von Fall 7 bedeutet dies, dass bei wertender Betrachtung die von dem spanischen Gericht verfiigte Ausweisung der B der Gewahrung einer Strafaussetzung zur Bewahrung bzw. einem Gnadenerweis - beides anerkannte Anwendungsfalle des Art. 54 SDU - gleichzustellen sind.
^'^ Eine entsprechende Verfahrensweise sieht das deutsche Recht in § 456 a StPO vor. 98 In diesem Sinne auch EuGH NJW 2003, 1173, 1174 (Rz. 33); Hecker, StV 2001, 306, 309; Jung, StV 1990, 509, 517; Lagodny, NStZ 1997, 265, 266; Landau, SoUner-FS, S. 627, 630, 633.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU
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Die teleologische Auslegung des Art. 54 SDtJ spricht somit dafiir, das dritte VoUstreckungselement bereits dann zu bejahen, wenn der Verurteilungsstaat den Verurteilten ausweist und die Vollstreckung der verhangten Freiheitsstrafe mit der MaBgabe abbricht, dass diese nur im Falle seiner erneuten Einreise fortgesetzt werden kann. Losungsvorschlag zu Fall 7: Das transnationale Doppelbestrafungsverbot steht dem Erlass eines Haftbefehls gegen B in Deutschland entgegen.
IV. Tatbegriff und Reichweite der materiellen Rechtskraft Der Verfahrensgegenstand, auf den sich der grenziiberschreitende Strafklage- 55 verbrauch bezieht, ist die „abgeurteilte Tat". Es stellt sicli somit die Frage, wie der in Art. 54 SDU genannte TatbegrifP^ zu bestimmen ist. In Betracht kommt das Abstellen auf den Tatbegriff des Erstverfolgerstaates. Denkbar ware aber auch die Entwicklung eines eigenstandigen „europaischen" Tatbegriffs^°°. In der Literatur ist des Weiteren vorgeschlagen worden, wenigstens die materielle Rechtskraft eines Verfahrensabschlusses nach „europaischen" Mindestanforderungen zu bestimmen^ °^ So soil anhand der folgenden Kriterien ein Kanon der unter Art. 54 SDU subsumierbaren Verfahrensabschliisse zusammengestellt werden: - Reichweite der Kognitionspflicht (Pflicht, die angeklagte Tat aufzuklaren), - Ausgestaltung der Sachverhaltsaufklarung (miindliche Verhandlung oder Entscheidung nach Aktenlage), - Erfordernis einer Begriindung. Legt man diese Kriterien zugrunde, so kame etwa einer staatsanwaltlichen Ein- 56 stellungsverfiigung gem. § 153 a StPO keine transnationale Sperrwirkung gem. Art. 54 SDtJ zu, weil die Divergenz der fiir die materielle Rechtskraftfahigkeit aufgestellten Kriterien im Verhaltnis zum gerichtlichen Sachurteil zu gravierend erscheint^°^. Dieser Vorschlag verdient keinen Beifall. Mit seiner Orientierung an der materiellen Rechtskraft strafgerichtlicher Sachurteile lauft er Gefahr, sonstige Formen strafprozessualer Verfahrensabschliisse, denen im Rechtsraum der Vertragsparteien eine hohe Praxisrelevanz zukommt, vom Anwendungsbereich des Art. 54 SDU weitgehend auszuklammern. Dies stiinde mit der Funktion des transnationalen Doppelbestrafungsverbots als rechtsstaathches Korrektiv gegeniiber einer international-arbeitsteilig operierenden Strafverfolgung nicht in Einklang. Das 99
Vgl. zur Problematik des Tatbegriffes Grotz, StraFO 1995, 102, 103; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 103 ff; Plockinger/Leidenmiihler, wistra 2003, 81, 86 f.; Schomburg, IRhSt, Art. 54 SDU Rn. 20 ff.; ders., NJW 2000, 1833, 1834 f; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 183 ff, 203 ff; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 188 ff; v. d. Wyngaert, RIDP 1999, 35, 80 ff; v. d. Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, 779, 788 ff
100 Amhos, IntStR, § 12 Rn. 49; Bose, G A 2003, 744, 758 ff; Thomas, Einmaligkeit der Strafverfolgung, S. 209. 101 Bohnert/Lagodny, NStZ 2000, 636, 640; Radtke/Busch, N S t Z 2003, 2 8 1 , 286 f 102 So Radtke/Busch, NStZ 2003, 2 8 1 , 286 f gegen E u G H N J W 2003, 1173 ff
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Verbot der Doppelbestrafung soil - wie der EuGH in seinem Urteil v. 11. Februar 2003 hervorhebt^^^ - gerade auch solchen Beschuldigten zugute kommen, deren Straftaten in vereinfachten Erledigungsformen geahndet werden konnen. Es erscheint daher verfehlt, nur solchen Verfahrensabschltissen eine transnationale Sperrwirkung zuzuerkennen, die nach den oben aufgefiihrten Kriterien qualitativ einem nach miindlicher Hauptverhandlung ergehenden gerichtlichen Sachurteil entsprechen oder nahe kommen. 57 Eine an Sinn und Zweck des Art. 54 SDtJ orientierte Auslegung erfordert weder die Bildung eines „europaischen" Tatbegriffs noch die Aufstellung „europaischer" Kriterien zur Bestimmung der materiellen Rechtskraft. Das transnationale Doppelbestrafungsverbot zielt darauf ab, den Tater im gesamten Rechtsraum der Vertragsparteien so zu stellen, wie er im Erstverfolgerstaat steht. Dieses Ziel wird bereits durch die gegenseitige Anerkennung rechtskraftbewirkender Verfahrensabschliisse erreicht (§12 Rn. 48 ff.). Daraus folgt, dass die Definitionsmacht liber Verfahrensgegenstand (Tatbegriff) und Reichweite der strafprozessualen Erledigungswirkung eines rechtskraftigen Verfahrensabschlusses (materielle Rechtskraft) allein beim Erstverfolgerstaat liegt^°^. Solange es in der EU lediglich eine Koexistenz nationaler Strafrechtssysteme und kein vereinheitlichtes Straf- und Strafprozessrecht gibt, liegt es in der Natur der Sache, dass der Erstverfolgerstaat die strafprozessualen Erledigungsformen so wie deren jeweilige materielle Rechtskraft festlegt und damit letztlich die Reichweite des in Art. 54 SDtJ verankerten „ne bis in idem" bestimmt. Die hier vertretene Ansicht sieht sich durch die Urteile des EuGH v. 9. Marz 2006^05 und v. 28. September 2006^°^ bestatigt. Darin fiihrt der EuGH aus, dass die Anwendbarkeit des Art. 54 SDtJ nicht von der Harmonisierung mitgliedstaatlicher Strafvorschriften abhangig sei, weshalb die Moglichkeit divergierender rechtlicher Qualifizierungen derselben Tat in zwei Vertragsstaaten die Anwendung des transnationalen Doppelbestrafungsverbots nicht hindern konne. Demnach sei das einzig maBgebende Kriterium fiir die Anwendung des Art. 54 SDU das der Identitat der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlosbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhangig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem rechtlich geschiitzten Interesse''^''. Ob die tatsachlichen Voraussetzungen der Tatidentitat im konkreten Einzelfall gegeben sind, obliege der Beurteilung durch die zustandigen nationalen Gerichte. Um „dieselbe Tat" i. S. d. Art. 54 SDLF handele es sich beispielsweise, wenn in zwei Vertragsstaaten die illegale Ein- und Ausfuhr von Betaubungsmitteln strafrechtlich verfolgt wird.
103 EuGHNJW2003, 1173, 1174 (Rz. 40). 104 MiXKoStGB/Ambos, V o r §§ 3-7 Rn. 76; Appl, Vogler-GS, S. 109, 121; Ebensperger, OJZ 1999, 171, 183; Hecker, StV 2 0 0 1 , 306, 309; Kniebuhler, N e bis in idem, S. 212; Lagodny, N S t Z 1997, 265, 266; Satzger, Europaisierung, S. 6 9 1 ; Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 189 ff.; Vogel, Schroeder-FS, S. 877, 881, 887 ff.
105 EuGH StV 2006, 393, 395. 106 EuGH - Rs. C-150/05 (Rz. 47 f, 53). 10'^ Demgegeniiber pladiert Ambos, IntStR, § 12 Rn. 50 fiir eine rechtsgutsorientierte oder interessensgeleitete Bestimmung des Tatbegriffes.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU
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In Fall 1 (Rn. 1) steht das Urteil des AG Offenburg gem. Art. 54 SDU auch einer 58 erneuten strafrechtlichen Verfolgung in Frankreich wegen der in StraBburg begangenen Tat entgegen. Abzustellen ist auf den im Erstverfolgerstaat (Deutschland) geltenden, mit den Rahmenvorgaben des EuGH (Rn. 57) im Einklang stehenden Tatbegriff und auf die nach dortigem Recht eintretende - einen uneingeschrankten Strafklageverbrauch bewirkende - materielle Rechtskraft. Den franzosischen Justizbehorden ist es im Hinblick auf das Art. 54 SDU innewohnende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung verwehrt, sich auf einen moglicherweise engeren Tatbegriff des franzosischen Rechts zu berufen. Fall 8 (Variante 1): Wie Fall 1 (Rn. 1) jedoch mit folgender Abwandlung: Das AG Offen- 59 burg erlasst gegen A einen Strafbefehl wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. A lasst die Binspruchsfrist verstreichen und zahlt die ihm auferlegte Geldstrafe. Variante 2: Das AG Offenburg stellt das Verfahren gegen A gem. § 153 a II StPO nach Zahlung einer GeldbuBenauflage endgtiltig ein. Spater wird A in Frankreich festgenommen. Frage: Kann A von der franzosischen Justiz wegen des in StraBburg begangenen Bankiiberfalles verfolgt werden? 1. Deutscher Strafbefehl und Art. 54 SDU Losungshinweise zu Fall 8 (Variante 1): Nach Ablauf der Einspruchsfrist steht 60 der Strafbefehl einem Urteil gleich (§ 410 III StPO) und entfaltet deshalb wie dieses eine unbeschrankte materielle Rechtskraftwirkung. Als verfahrensabschlieBende und rechtskraftbewirkende Entscheidung, die in Deutschland zu einem Verbrauch der Strafklage fiihrt, stellt der Strafbefehl eine ,^echtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU dar (Rn. 41). Zwar lasst das deutsche Recht bei Verfahrenserledigungen durch Strafbefehl - iiber § 362 StPO hinausgehend - eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten zu, wenn neue Beweismittel oder Tatsachen beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den friiheren Beweisen geeignet sind, die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begriinden (§ 373 a StPO). Die Befugnis, die Rechtskraft des Strafbefehls auf diesem Wege zu durchbrechen, steht aber nur dem zustandigen deutschen Gericht zu. Am Ende einer angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens und einer erneuten gerichtlichen Hauptverhandlung (vgl. § 370 II StPO) steht ein Verfahrensabschluss in Urteilsform, der an die Stelle des (aufgehobenen) rechtskraftigen Strafbefehls tritt und gem. Art. 54 SDU einer Verfolgung derselben Tat im Ausland entgegensteht. Losungsvorschlag zu Fall 8 (Variante 1): A kann im Hinblick auf den in Deutschland gegen ihn erlassenen rechtskraftigen Strafbefehl von der franzosischen Justiz nicht wegen des in StraBburg veriibten Bankiiberfalls verfolgt werden. 2. Einstellung des Verfahrens nach Erfullung einer Auflage Losungshinweise zu Fall 8 (Variante 2): Bei dem vom AG Offenburg erlassenen 61 Beschluss iiber die endgiiltige Einstellung des Verfahrens gem. § 153 a II StPO handelt es sich zwar grundsatzlich um eine „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDtJ (vgl. Rn. 41). Zu beachten ist jedoch, dass dem Einstellungsbe-
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schluss nach §153 a I S. 5 StPO lediglich eine eingeschrankte materielle Rechtskraftwirkung dergestalt zukommt, dass die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden kann. Da der von A in StraBburg veriibte Bankiiberfall nach deutschem Strafrecht ein Verbrechen darstellt, besteht in Deutschland kein Verbot erneuter Strafverfolgung wegen derselben Tat. A wird von Art. 54 SDtJ unionsweit nur so gestellt, wie er im Erstverfolgerstaat stiinde. In Deutschland besteht - wie gezeigt - kein Verbot, A wegen des Bankiiberfalles in StraBburg zu verfolgen. Losungsvorschlag zu Fall 8 (Variante 2): Art. 54 SDU steht somit einer Verfolgung des A durch die franzosische Justiz nicht entgegen. 62 Die soeben am Beispiel des § 153 a II StPO aufgezeigten Grundsatze gelten entsprechend auch fiir andere Verfahrensabschliisse, die lediglich zu einem beschrankten Strafklageverbrauch fiihren und daher iiber Art. 54 SDU nur ein beschranktes transnationales Doppelbestrafungsverbot zu begriinden vermogen. Zu denken ist etwa an den Nichteroffnungsbeschluss (§§ 204, 211 StPO), an die Verwerfung eines Klageerzwingungsantrages (§ 174 StPO)^°^, an die gerichtliche Einstellung des Verfahrens gem. § 153 II StPO^°^ oder an die nach franzosischem Recht von der Anklagekammer eines Appelationsgerichtshofes getroffene „ordonnance de non lieu par des raisons de fait"^^° (untersuchungsrichterliche Verfahrensbeendigung wegen nicht hinreichenden Tatverdachts aus tatsachlichen Griinden^^""). Keine materielle Rechtskraft und damit auch keinen transnationalen Strafklageverbrauch entfalten die staatsanwaltliche Einstellung des Verfahrens gem. § 170 II StPO (Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts) bzw. § 153 I StPO (Einstellung aus Opportunitatsgrunden)^^^.
V. Anwendbarkeit des Art. 54 SDU auf Entscheidungen im BuBgeldverfahren 63 Fall 9 (Variante 1): A begeht auf deutschem und franzosischem Staatsgebiet eine Tmnkenheitsfahrt, die nach deutschem und franzosischem Recht eine Straftat darstellt. Wahrend dieser Fahrt wird er in einer deutschen Ortschaft „geblitzt". Noch bevor A in Deutschland Oder Frankreich wegen der Trunkenheitsfahrt strafrechtlich verfolgt wird, verurteilt ihn ein
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OLG Innsbruck NStZ 2000, 663 ff; abl. Kniehuhler, Ne bis in idem, S. 248 f. Zur (umstrittenen) Reichweite des Strafklageverbrauchs bei § 153 II StGB vgl. BGH NStZ 2004, 218 = JR 2005, 31 (fiir analoge Anwendung des § 153 a I S. 5 StPO); zust. Mansdorfer, Ne bis in idem, S. 172 f; abl. Beulke, JR 2005, 37 ff; Heghmanns, NStZ 2004, 633, 635. BGHSt 45, 123; abl. Kuhne, StV 1999, 480; ders., JZ 1998, 876; zust. Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 269 f; Satzger, Europaisierung, S. 691 f. und Schomburg, NJW 2000, 1833, 1836. Vgl. hierzu ausfiihrlich Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 365 ff Nicht gefolgt werden kann daher dem Strafgericht Eupen, wistra 1999, 479, das der mit richterlicher Zustimmung erfolgten staatsanwaltHchen Einstellung gem. § 153 I StPO transnationale Erledigungswirkung beimisst; zutr. gesehen v. Appl, Vogler-GS, S. 109, 122; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 241 ff; Radtke/Busch, NStZ 2003, 281, 286; Satzger, Europaisierung, S. 692.
B. Auslegung und Anwendungsbereich des Art. 54 SDU
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deutsches Gericht wegen Geschwindigkeitsubertretung ohne mtindliche Verhandlung durch Gerichtsbeschluss zur Zahlung einer GeldbuBe. Variante 2: Der von einer deutschen Verwaltungsbehorde wegen Geschwindigkeitsiiberschreitung gegen A erlassene BuBgeldbescheid wird rechtskraftig. Frage: Steht Art. 54 SDU einer Strafverfolgung des A wegen Trunkenheitsfahrt durch die franzosische Justiz entgegen? 1. Verurteilung zu einer Bufigeldzahlung Losungshinweise zu Fall 9 (Variante 1): Die durch rechtskraftiges Urteil oder 64 Beschluss (§ 72 OWiG) eines deutschen Gerichts erfolgte Verurteilung eines Betroffenen zur Zahlung einer GeldbuBe wegen einer von ihm begangenen Ordnungswidrigkeit bzw. der diesbeziigliche Freispruch stehen gem. § 84 II OWiG einer Verfolgung derselben Tat als Straftat entgegen. Hieran ankniipfend bewirkt Art. 54 SDU den Verbrauch der Strafklage im gesamten Rechtsraum der Vertragsparteien^^^. Zwar ist gem. § 85 III S. 1 OWiG eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Betroffenen unter den in § 362 StPO genannten Voraussetzungen zu dem Zweck zulassig, die Verurteilung nach einem Strafgesetz herbeizufiihren. Dariiber hinaus ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten gem. § 85 III S. 2 OWiG bereits dann zulassig, wenn neue Beweismittel oder Tatsachen beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den friiheren Beweisen geeignet sind, die Verurteilung wegen eines Verbrechens zu begriinden. Die Befugnis, die Rechtskraft des Gerichtbeschlusses auf diesem Wege zu durchbrechen, steht aber nur dem zustandigen deutschen Gericht (§85 IV OWiG) zu. Am Ende einer angeordneten Wiederaufnahme des Verfahrens und einer erneuten gerichtlichen Hauptverhandlung steht somit ein Verfahrensabschluss in Urteilsform, der gem. Art. 54 SDtJ die Verfolgung derselben Tat im Ausland verbietet. Losungsvorschlag zu Fall 9 (Variante 1): Art. 54 SDtJ steht der Strafverfolgung des A in Frankreich entgegen. 2. Eriedigungswirkung eines rectttslcraftigen BuBgeldbesctieids Losungshinweise zu Fall 9 (Variante 2): Schwieriger zu beurteilen ist die trans- 65 nationale Eriedigungswirkung des von einer deutschen Behorde in Form eines rechtskraftigen BuBgeldbescheids verhangten BuBgeldes. Nach hier vertretener Auffassung stellt dieser Erledigungsakt - obgleich von einer Verwaltungsbehorde erlassen - eine „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU dar^^"^. Fiir eine Gleichstellung des BuBgeldbescheids mit einer strafprozessualen Aburteilung spricht sein eindeutig repressiv-punitiver Charakter^''^. Zu beachten ist jedoch die nur eingeschrankte materielle Rechtskraft des BuBgeldbescheids. Nach deutschem Recht (§ 84 I OWiG) steht der BuBgeldbescheid nur der erneuten Verfolgung derselben Tat unter dem Aspekt einer Ordnungswidrigkeit entgegen. 113 Hecker StV 2001, 306, 310; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 252 ff. 11^ Hecker, StV 2001, 306, 310; a. A. KKOWiG/Bohnert, Einleitung Rn. 136; Kniebuhler, Ne bis in idem, S. 251. 115 Vgl. auch EGMR EuGRZ 1985, 62 („Otzturk/Deutschland").
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Somit besteht auch nur ein beschrankter transnationaler Strafklageverbrauch. Beispielsweise konnte A, wenn er die Trunkenheitsfahrt auf osterreichischem Staatsgebiet begangen hatte, nicht etwa mit einem Straferkenntnis - einer buBgeldahnlichen Verwaltungssanktion - geahndet werden (Rn. 29 f.). Kein transnationales Verfolgungshindernis besteht indes, wenn dieselbe Tat nach dem Recht des Zweitverfolgerstaats als Straftat gewertet wird. Denn Art. 54 SDU stellt A nur so, wie er im Erstverfolgerstaat stiinde. In Deutschland kann A trotz des rechtskraftigen BuBgeldbescheids wegen Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) strafrechtlich verfolgt werden. Losungsvorschlag zu Fall 9 (Variante 2): Der in Deutschland erlassene rechtskraftige BuBgeldbescheid stellt kein nach Art. 54 SDU zu beriicksichtigendes Hindernis fiir die franzosische Justiz dar, A wegen der in Frankreich begangenen Trunkenheitsfahrt strafrechtlich zu verfolgen.
VI. Zur Frage der Weitergeltung mitgliedstaatlicher Erklarungen und Vorbehalte nach der Uberfuhrung des SDU in den Rahmen der EU 66 Nach Art. 55 I SDU ist es den Vertragsparteien gestattet, bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung des Ubereinkommens in bestimmten Fallen Vorbehalte zu erklaren mit der Folge, dass sie nicht gem. Art. 54 SDU gebunden sind. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Ratifikation des SDU von dieser Moglichkeit Gebrauch gemacht^""^. So hat sie erklart, dass sie durch Art. 54 SDLF u. a. nicht gebunden ist, wenn die Tat, die dem auslandischen Urteil zugrunde lag, ganz Oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde oder wenn die Tat, die dem auslandischen Urteil zugrunde lag, eine bestimmte Strafvorschrift (vor allem Straftaten gegen die innere und auBere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland) erfiillt hat. 67 Bereits an anderer Stelle wurde dargelegt, dass mit dem am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam der gesamte Schengen-Besitzstand („Schengen-Acquis") in den rechtlichen und institutionellen Rahmen der Europaischen Union einbezogen wurde ( § 5 Rn. 71). Die formale Abwicklung erfolgte durch ein dem Vertrag beigefiigtes Protokoll, mit dem die Vertragsparteien primarrechtlich ermachtigt wurden, untereinander eine engere Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstandes, der in einem Anhang zum Protokoll definiert wird, einzurichten (Schengen-Protokoll). Das Schengen-ProtokoU sah vor, dass der Rat durch einstimmigen Beschluss die Rechtsgrundlage fur jede Bestimmung und jeden Beschluss festzulegen hat, die den Schengen-Besitzstand bilden. Diese Einordnung hat der Rat im Wege des Beschlusses 1999/436/EG v. 20. Mai 1999 zur Festlegung der Rechtsgrundlagen fiir die einzelnen Bestimmungen und Beschliisse, die den Schengen-Besitzstand bilden, vorgenommen"''"'^. 68 Es bestehen gute Griinde fiir die Annahme, dass die von Deutschland und anderen Vertragsparteien abgegebenen einseitigen Erklarungen (Vorbehalte) mit der Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen (dritte Saule) der EU in 116 BGBl. II 1994, 631; vgl. hierzu Schomburg, IRhSt, Art. 55 SDU Rn. 1. 11^ ABIEG 1999 Nr. L 176, S. 17 ff.
C. Ausblick
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Wegfall geraten sind^^^. Denn nach dem Wortlaut des im Anhang zum SchengenProtokoll im Einzelnen spezifizierten Schengen-Besitzstandes sind einseitige Erklamngen, die erst anlasslich der Ratifikation eines Beitrittsiibereinkommens von einer Vertragspartei abgegeben wurden, nicht Bestandteil des Schengen-Acquis. Auch eine Analyse des Ratsbeschlusses v. 20. Mai 1999 spricht gegen die Weitergeltung einzelstaatlicher Erklamngen gem. Art. 55 SDU. Die Anhange dieses Beschlusses listen auBerst detailliert auf, welche Erklarungen und Beschltisse zum Schengen-Besitzstand gehoren. Es findet sich aber kein einziger Hinweis auf die Fortgeltung einzelstaatlicher Vorbehalte. Folglich ist davon auszugehen, dass die mit der Ratifikation erklarten Vorbehalte gem. Art. 55 SDU durch die Uberfiihrung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der EU ihre Geltung verloren haben. Dies entspricht auch dem mit der Uberfiihrung des Schengen-Besitzstandes in die Unionsordnung verfolgten Ziel, die europaische Integration zu vertiefen und der EU die Moglichkeit zu geben, sich schneller zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln.
C. Ausblick In dem derzeit 46 Mitgliedstaaten umfassenden Europa des Europarates werden 69 auf der Basis der EMRK bestinunte strafrechtsrelevante Mindestgarantien gewahrleistet. Das transnationale Doppelbestrafungsverbot fand bislang jedoch noch keine Aufnahme in den Kreis konventionsgeschiitzer Individualrechte. Immerhin existiert mit Art. 54 SDU ein teileuropaisches transnationales Doppelbestrafungsverbot, das sich zu einem verfahrensrechtlichen Motor der Strafrechtsintegration innerhalb der EU entwickeln kann. Voraussetzung hierfiir ist freilich, dass die nationalen Gerichte in geeigneten Fallen von der Moglichkeit Gebrauch machen, eine Vorabentscheidung des EuGH herbeizufiihren. Die supranational Gerichtsbarkeit hat es dann in der Hand, das transnationale Doppelbestrafungsverbot so zu formen, dass seine integrationsfordernden Effekte weitestmoglich zum Tragen kommen. Die den Vertragsparteien abzuverlangende gegenseitige Akzeptanz auslandischer Verfahrenserledigungen mag fiir eine gewisse Ubergangszeit dazu fiihren, dass Verfolgungsbehorden und Verteidiger danach trachten, die Abwicklung einer Strafsache in dem aus jeweiliger Sicht giinstigsten Rechtssystem zu erreichen. Es steht jedoch nicht zu befiirchten, dass sich die nationalen Strafrechtssysteme von den Prozessbeteiligten auf Dauer in dieser Weise gegeneinander ausspielen las sen. Mittel- bis langfristig wird gerade die Existenz eines weitreichenden Doppelbestrafungsverbotes zu einer Angleichung der Sanktionsbreiten im Rechtsraum der Vertragsparteien und damit zu einer Vertiefung der europaischen Integration im Bereich der Strafrechtspflege beitragen^^^.
^^^ Zutr. Pldckinger/Leidenmiihler, wistra 2003, 81, 82 f.; a. A. Liebau, Ne bis in idem, S.126 f ^^^ Zu moglichen Leitlinien fiir eine neue europaweite „ne bis in idem"-Regelung vgl. Stein, Europaisches ne bis in idem, S. 492 ff.
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§ 13 Transnationales Doppelbestrafungsverbot in der EU
D. Literaturhinweise Amhos, Internationales Strafrecht, 2006, § 12 Rn. 38-55 AppU Bin neues „ne bis in idem" aus Luxemburg?, Vogler-GS, S. 109 Bose, Der Grundsatz „ne bis in idem" in der Europaischen Union, GA 2003, 744 Dannecker, Die Garantie des Grundsatzes „ne bis in idem" in Europa, Kohlmann-FS, S. 593 Hecker, Das Prinzip „Ne bis in idem" im Schengener Rechtsraum (Art. 54 SDU), StV 2001, 306 ders., Strafklageverbrauch gem. Art. 54 SDU bei Aburteilung eines Totungsdelikts in Spanien - Anm. zu OLG Munchen StV 2001, 495; StV 2002, 71 Jung, Zur Intemationalisierung des Grundsatzes „ne bis in idem", Schiiler-Springomm-FS, 1993, S. 493 Kniebiihler, Transnationales „nebis in idem", 2005, passim Kuhne, Ne bis in idem in den Schengener Vertragsstaaten, JZ 1998, 876 Lagodny, Teileuropaisches „ne bis in idem" durch Art. 54 SDU, NStZ 1997, 265 Liebau, „Ne bis in idem" in Europa - Zugleich ein Beitrag zum Kartellsanktionenrecht in der EU und zur Anrechung drittstaatlicher Kartellsanktionen, 2005, passim LigetU Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europaischen Union, 2005, S. 97-112 Mansdorfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europaischen Strafrecht, 2004, passim Plockinger/Leidenmuhler, Zum Verbot doppelter Strafverfolgung nach Art. 54 SDU, wistra 2003,81 Radtke/Busch, Transnationaler Strafklageverbrauch in der Europaischen Union, NStZ 2003, 281 Stein, Ein Meilenstein fiir das europaische „ne bis in idem", NJW 2003, 1162 dies., Zum europaischen ne bis in idem nach Artikel 54 des Schengener Durchftihrungstibereinkommens, 2004, passim Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, passim Thym, Anmerkung zu EuGH NJW 2003, 1173 (= NStZ 2003, 332), NStZ 2003, 334 Vogel/Norouzi, Europaisches „ne bis in idem" - EuGH, NJW 2003, 1173, JuS 2003, 1059
E. Rechtsprechungshinweise EuGH NJW 2003, 1173 f. = NStZ 2003, 332 = StV 2003, 201 („transactie und Einstellung gem. § 153 a StPO) EuGHE 2005, 2009 (staatsanwaltlicher Verfahrenseinstellung ohne Sachpriifung ist keine „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU) EuGH StV 2006, 393 (Anwendungsbereich und Tatbegriff des Art. 54 SDU) EuGH V. 28. September 2006 - Rs. C-150/05 (freisprechendes Sachurteil ist „rechtskraftige Aburteilung" i. S. d. Art. 54 SDU) EuGH NJW 2006, 3403 (Freispruch wegen Verjahrung ist ,,rechtskraftige Aburteilung" i.S.d.Art. 54SDU) BVerfGE 75, 1 (Zur Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem" im allgemeinen Volkerrecht)
F. Zusammenfassung von § 13
515
BGH NStZ 1999, 250 = StV 1999, 244 („transactie") BGHSt 45, 123 = StV 1999, 478 („ordonnance den non lieu") OLG Miinchen, StV 2001, 495 (Ausweisung mit Abbruch der VoUstreckung nach Aburteilung eines Totungsdelikts in Spanien) BayObLG StV 2001, 263 (osterreichisches Straferkenntnis) OLG Hamburg wistra 1996, 193 („transactie") LG Hamburg wistra 1996, 359 („transactie") OLG Innsbruck NStZ 2000, 663 (Einstellung gem. § 174 StPO)
F. Zusammenfassung von § 13 Volker- und Gemeinschaftsrecht kennen ebenso wie die meisten nationalen 70 Rechtsordnungen lediglich ein rechtsordnungsinternes Verbot doppelter Strafverfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat. Das in Art. 54 SDU verankerte transnationale Doppelbestrafungsverbot („ne bis in idem") erstreckt die Erledigungswirkung der in einem Erstverfolgerstaat getroffenen „rechtskraftigen Aburteilung" einer Tat auf alle Vertragsparteien - derzeit insgesamt 27 europaische Staaten (25 EU-Staaten sowie Island und Norwegen als assoziierte Staaten) - und begriindet damit ein unionsweites Verfahrenshindernis. Erfasst sind neben den von einem Gericht nach Durchfiihrung einer Hauptverhandlung in Urteilsform gefallten Verurteilungen und Freispriichen auch sonstige Verfahrensabschliisse, die nach dem Recht des Erstverfolgerstaates materielle Rechtskraft entfalten. Hierzu gehoren exemplarisch der deutsche Strafbefehl, die Einstellung des Verfahrens gem. §§ 153 II, 153 a StPO, der Nichteroffnungsbeschluss gem. §§ 203, 210 StPO, der rechtskraftige BuBgeldbescheid, die niederlandische oder belgische „transactie" sowie das osterreichische Straferkenntnis. Zu beachten ist jedoch, dass in den Fallen, in denen die materielle Rechtskraft des Verfahrensabschlusses beschrankt ist, auch nur ein beschrankter transnationaler Strafklageverbrauch eintreten kann. Die Definitionsmacht iiber den Verfahrensgegenstand (Tatbegriff) und die Reichweite der strafprozessualen Erledigungswirkung eines rechtskraftigen Verfahrensabschlusses (materielle Rechtskraft) liegt allein beim Erstverfolgerstaat. Im Falle einer Verurteilung ist des Weiteren zu priifen, ob eines der drei Vollstreckungselemente gegeben ist. Die von Deutschland und anderen Vertragsstaaten gem. Art. 55 SDtJ abgegebenen Vorbehalte sind mit der Einbeziehung des Schengen-Besitzstandes in den Rahmen der dritten Saule der EU in Wegfall geraten.
Teil IV Strafrechtlicher Schutz der finanziellen Interessen der EG
§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
A. Gemeinschaftsfinanzen als Angriffsflache fiir kriminelle Praktiken Fall l"": Eine rumanische Tatergmppe hinterzog mindestens ECU 84,5 Mio. Eingangsabgaben, indem sie hochwertiges Rindfleisch bei der Einfuhr in die EG (hier: von Rumanien nach Deutschland) als „genieBbaren Schlachtabfall" (insbesondere Zwerchfellmuskulatur) deklarierte. Aufgrund der Zerkleinemng des Fleisches war eine serologische Untersuchung der Ware zum Zeitpunkt ihrer Einfuhr nicht moglich. Das Tauschungsmanover wurde aber durch eine Uberpriifung der Plausibihtat der gemachten Angaben aufgedeckt. Die Tater hatten eine Einfahrmenge von 10 870 Tonnen angeblicher Zwerchfellmuskulatur geltend gemacht. Da bei der Schlachtung eines Rindes maximal ein Kilogramm Zwerchfell anfallt, hatten 10,87 Mio. Rinder geschlachtet werden miissen, um die angegebene Einfuhrmenge zu erreichen. Wenn die Angaben der Tater zutrafen, diirfte es in Rumanien keine lebenden Rinder mehr geben. Fall 2^: Mit Hilfe eines neuen biochemischen Untersuchungsverfahrens sind Karlsmher Zollfahnder Subventionsbetrugem auf die Schliche gekommen. Ein Importeur angeblich estnischer Butter hatte zu Unrecht Subventionen in Hohe von zwei Millionen Euro erhalten. Bei einer Untersuchung stellte sich heraus, dass die Butter nicht aus Estland kam. Die Fahnder hatten die eingeftihrte Butter mit der sog. Stabilisotopen-Analyse untersucht. Dabei werden Proben des landestypischen Erdbodens mit landwirtschaftlichen Produkten verglichen. Die Tests zeigten, dass die Milch fiir die Butter nicht von estnischen Kiihen stammen konnte. Zudem war die Butter in Blocken von 25 Kilogramm verpackt - in Estland sind jedoch nur 20-Kilo-Blocke iiblich.
I. Einfiihrung Die EG hat ein vitales Interesse an einer recht- und ordnungsgemaBen Vereinnahmung der ihr zustehenden Mittel und an einer ebensolchen Verausgabung. In alien einnahmen- und ausgabenrelevanten Bereichen bietet der EG-Haushalt indes breite Angriffsflachen fiir betriigerische Praktiken (Rn. 10 ff.). Neben der EinbuBe materieller Ressourcen der EG bergen diese Angriffe - jedenfalls wenn sie gehauft auftreten - in bestimmten Wirtschaftssektoren die Gefahr von Wettbewerbs\ 2
Mitgeteilt von Sieber, ZSchwStrR 114 (1996), S. 357, 363. Bericht in Siidkurier v. 15. April 2003.
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§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
verzerrungen^. Sollte sich bei den Steuerzahlern der Eindruck bilden und verfestigen, dass „Brusser' (scheinbar) tatenlos zusieht, wie Jahr fiir Jahr horrende Summen aus dem „europaischen Subventionstopf" in „unsichtbaren Kanalen" versickern, sind auch ideelle Schaden in Form eines dem europaischen Einigungsprozess abtraglichen Ansehensverlustes der Gemeinschaft nicht auszuschlieBen"^. Der Schutz der EG-Finanzinteressen steht daher seit Jahren im Zentrum der strafrechtsrelevanten Aktivitaten auf Gemeinschaftsebene. Die Notwendigkeit, Angriffen auf die EG-Finanzen auch durch den Einsatz repressiv-strafrechtlicher MaBnahmen zu begegnen, wird heute im Grundsatz einhellig bejaht^. Mangels eigener Strafrechtsetzungskompetenz ( § 4 Rn. 101) kann die EG ihre finanziellen Interessen jedoch nicht selbst strafrechtlich sichern. Sie ist hierbei auf das oftmals liickenhafte und uneinheitliche Strafrecht der Mitgliedstaaten angewiesen^. Mit seinem „Mais-Urteil"'' (§ 7 Rn. 27 ff.) setzte der Gerichtshof im Jahre 1989 ein klares Signal. Das aus dem Loyalitatsgebot (Art. 10 EGV) abgeleitete Gleichstellungserfordernis (Assimilierungsprinzip) sowie das Gebot wirksamer, verhaltnismaBiger und abschreckender Sanktionen (,JVIindesttrias") fanden mit der deklaratorischen Bestimmung des Art. 280 EGV (ex-Art. Art. 209 a EGV) Eingang in das kodifizierte Primarrecht. Da das Assimilierungsprinzip nur eine begrenzte Rechtsangleichung ermoglicht, arbeitete die Kommission verstarkt daran, den Schutzstandard weiter auszubauen. Am 28. Juni 2000 legte die Kommission ein Konzept fiir eine Gesamtstrategie zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften vor, das sich auf einen Zeitraum von fiinf Jahren (2001-2005) bezieht^. Als die vier entscheidenden Herausforderungen werden dabei eine umfassende Gesetzgebungspolitik im Bereich der Betrugsbekampfung, eine neue Kultur operativer Zusammenarbeit, ein organiibergreifendes Vorgehen zur Pravention und Bekampfung von Korruption sov^ie die Starkung der strafrechtlichen Dimension genannt^. In institutioneller Hinsicht ist bereits am 1. Juni 1999 mit der Schaffung eines eigenstandigen Amtes fiir Betrugsbekampfung (OLAF) eine neue Ara in der gemeinschaftsrechtlichen Betrugsbekampfung angebrochen^° (§ 4 Rn. 28 ff.). Im Jahre 2001 sind wichtige Schritte zur Konsolidierung des OLAF unternommen worden: zum einen durch die Einrichtung einer Direktion ^Intelligence", welche sich durch den Auf- und Ausbau strategischer und operativer Analysen dafiir einSchwarzburg/Hamdorf, NStZ 2002, 617, 618; Sieber, ZRP 2000, 186, 187. Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 16 ff. Hecker, Kreuzer-Freundesgabe, S.181, 188; Hedtmann, EuR 2002, 122, 131 ff; Heitzer. Punitive Sanktionen, S. 3 f; Pac/ig, Schutz der finanziellen Interessen der EG, passim; Sieber, ZRP 2000, 186, 187; Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616, 626 ff Vgl. hierzu den rechtsvergleichenden Uberblick bei Dannecker, Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 155 ff; ders., ZStW 108 (1996), S. 577, 585 ff EuGHE 1989, 2965 = EuZW 1990, 99. KOM (2000) 358 endg. 9 Vgl. hierzu die Bilanz aus Sicht der Kommission in KOM (2006) 378 endg., S. 6 ff 10 Glefi, EuZW 1999, 618, 621; Hetzer, Kriminalistik 2005, S. 419 ff; ders., TIL 2005, 185, 188 ff 3 4
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setzen soil, die operative Strategie der Kommission zu verbessern und die Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer Prioritaten fiir die Betrugsbekampfung zu unterstiitzen, zum anderen durch das neu geschaffene Referat „Richter und Staatsanwalte", das die justizielle Weiterverfolgung von betrugsrelevanten Untersuchungen in den Mitgliedstaaten sicherstellen und die reibungslose Zusammenarbeit zwischen OLAF und den nationalen Ermittlungsstellen fordern solP^. Eine im Jahre 2003 zwischen OLAF und Eurojust geschlossenen Vereinbarung sieht einen gegenseitigen Informationsaustausch und eine Zusammenarbeit zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften vor^^. OLAF und Eurojust haben im Jahre 2004 die praktischen Modalitaten fur die Umsetzung ihrer Vereinbarung festgelegt. Es wurde eine Verbindungsgruppe OLAF-Eurojust eingesetzt, die die Umsetzung der Vereinbarung sicherstellen soil. Eine im Jahre 2004 von OLAF und Europol geschlossene Vereinbarung sieht den verstarkten Austausch technischer und strategischer Informationen sowie einen Informationsaustauch zur Gefahrenabschatzung und Risikoanalyse in Bereichen von gemeinsamem Interesse vor. Die Zusammenarbeit zwischen OLAF und Europol wurde im Jahre 2005 insbesondere auf den Gebieten Schmuggelbekampfung und Falschung des Euro ausgeweitet. AuBerdem arbeitet OLAF mit internationalen Einrichtungen wie Interpol Oder der WeltzoUorganisation (WZO) zusammen. Von besonderer Bedeutung ist die Ausgestaltung des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten. Am 17. Oktober 2002 trat nach uber siebenjahriger Ratifikationsphase das Ubereinkommen v. 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG (PIF-Konvention)^^ nebst erstem ZusatzprotokolP^ betreffend Bestechung und Bestechlichkeit sowie einem weiteren ProtokolP^, welches die Zustandigkeit des EuGH fiir die Auslegung der PIF-Konvention festlegt, in Kraft. Es sieht die Schaffung eines gemeinschaftsweit angeglichenen Betrugsstrafrechts bei betrugerischen Handlungen zum Nachteil der EG vor (Rn. 23 ff.). Man kann deshalb mit Recht davon sprechen, dass sich der Schutz der finanziellen Interessen der EG als Motor der Entwicklung eines Europaischen Strafrechts darstellt^^.
KOM (2002) 348 endg., S. 10 f. Praktische Fallbeispiele einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen OLAF und den nationalen Behorden bei der Betrugsbekampfung werden auf S. 15 ff. aufgefuhrt. 12 Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden KOM (2006) 378 endg., S. 11 ff. ^3 ABIEG 1995 Nr. C 316, S. 49 ; PIF=Protection des interets financiers. 1^ ABIEG 1996 Nr. C 313, S. 2. 15 ABIEG 1997 Nr.C 191, S.l. 1^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 270; Fromm, Finanzinteressen der EG; S. 6; Sieber, Corpus Juris, S. 4 ff
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§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
II. Gemeinschaftsfinanzen 7 Dass der strafrechtliche ,3igenschutz" zu einem vordringlichen Anliegen der Gemeinschaft geworden ist, hangt maBgeblich mit der Finanzreform der Gemeinschaften im Jahre 1970 zusammen^'', insbesondere mit der Umstellung der Finanzierung von einer Fremdfinanzierung durch die EG-Mitgliedstaaten zu einem System der Eigenfinanzierung^^. Derzeit beruht das Finanzierungssystem des Gemeinschaftshaushalts auf dem Ratsbeschluss v. 31. Oktober 1994 iiber das System der Eigenmittel der Europaischen Gemeinschaften^^. T, Eigenmittel der EG 8 Die Eigenmittel der EG umfassen^°: - Agrarabschopfungen: Agrarzolle, die auf Einfuhren von einer Gemeinsamen Marktorganisation unterliegenden Agrarerzeugnissen erhoben werden, - Zuckerabgaben: Produktionsabgaben, die im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation fiir Zucker vorgesehen sind und zur Stutzung des Marktes verwendet werden, - ZoUe: Einnahmen, die sich aus der Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs auf den Zollwert der aus Drittlandern eingefuhrten Waren ergeben, - Mehrwertsteuereigenmittel: Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf der nach den Gemeinschaftsvorschriften harmonisierten Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage eines jeden Mitgliedstaats ergeben, - Bruttosozialprodukteigenmittel: Einnahmen, die sich aus der Anwendung eines jahrlich im Rahmen des Haushaltsverfahrens unter Beriicksichtigung aller sonstigen Haushaltseinnahmen festgelegten Satzes auf das Bruttosozialprodukt der Mitgliedstaaten ergeben. Es handelt sich hierbei um eine Einnahme zur Gewahrleistung des Haushaltsausgleichs, die es ermoglichen soil, den Gesamtbetrag der Zahlungsermachtigungen zu decken, die zur Finanzierung der in den Haushaltsplan eines gegebenen Haushaltsjahres eingesetzten Ausgaben erforderlich sind, - Sonstige Einnahmen: Einnahmen aus laufender Verwaltungstatigkeit der EG (z. B. aus Verkaufen, Vermietungen, Vergiitungen fur erbrachte Leistungen, GeldbuBen und Zwangsgeldern).
^^' Vgl. hierzu Beschluss des Rates v. 21. April 1970 tiber die Ersetzung der Finanzbeitrage der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (ABIEG 1970 Nr. L 94, S. 9). ^^ Dannecker, Schutz der fmanziellen Interessen der EG, S. 9, 14; ders., ZStW 108 (1996), S. 577; WoljfganglUlrich, EuR 1998, 616, 617. 19 20
ABIEG 1994 Nr. L 293, S. 9. Vgl. hierzu Wolffgang/UlricK EuR 1998, 616, 618 ff.
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2. Ausgaben der EG Beziiglich der Ausgaben der EG enthalt das Primarrecht keine ausdriicklichen Vorgaben. Vielmehr folgt aus der Zuweisung einer Aufgabenkompetenz an die EG notwendig auch deren Befugnis, diese Aufgaben durch Einsatz entsprechender Mittel zu erfiillen. Die folgenden Ausgabenbereiche^^ sind - wie die oben aufgefiihrten Einnahmen - potentielle Objekte strafwurdiger Angriffe auf die EGFinanzinteressen: - Agrarausgaben: Ausgaben zur Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 32-38 EGV), insbesondere MaBnahmen der Marktregulierung, Erstattungen bei Ausfuhr in Drittstaaten und direkte Einkommensbeihilfen, - StrukturmaBnahmen: Ausgaben mit struktureller Zweckbestimmung zur Forderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts innerhalb der EG (z. B. zur Entwicklung strukturschwacher Regionen, Entwicklung des landlichen Raumes, Forderung von Vorhaben im Bereich des Umweltschutzes), - Interne Politiken: Ausgaben zur Finanzierung von Programmen in den Bereichen Bildung, Kultur, Jugendaustausch, Energiepolitik und Umwelt, Verbraucherschutz, transeuropaische Netze sowie Forschung und technologische Entwicklung, - Externe Politiken: Ausgaben zur Finanzierung von MaBnahmen in Drittstaaten (z. B. Reformprogranime fiir die mittel- und osteuropaischen Staaten, humanitare HilfsmaBnahmen, Beitrage zu Hilfsprogrammen internationaler Organisationen), - Verwaltungsausgaben: Kosten fiir Personal, Dienstgebaude, Material, Veroffentlichungen und sonstige Verwaltungsausgaben. III. Deliktsformen und Taterstrukturen 1. Erscheinungsformen der EG-Betrugereien Wie die Erfahrungen in den vergangenen Jahren zeigen, bildet der EG-Finanz- 10 haushalt offensichtlich eine attraktive Zielscheibe fiir eine facettenreiche Vielzahl betriigerischer Praktiken, welche letztlich darauf abzielen, das Finanzaufkommen der EG zu schmalern^^. Dabei sind auf der Einnahmenseite insbesondere die Zolle und Mehrwertsteuereinnahmen, auf der Ausgabenseite vor allem die Aufwendungen fiir die Agrar- und Strukturpolitik (Subventionen, Erstattungen) betroffen^^. Als Hauptursache fiir auftretende UnregelmaBigkeiten wird haufig das planwirt-
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Vgl. hierzu Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616, 621 ff. Vgl. z u m typischen modus operandi Dannecker, Z S t W 108 (1996), S. 577, 579 ff.; ders., J U R A 1998, 79, 86; Ligeti, Strafrecht in der E U , S. 2 7 7 ff.; Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 361 ff Hedtmann, EuR 2002, 122; Wolffgang/Ulrich, EuR 1998, 616, 624 f
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schaftliche System staatlich gelenkter und geordneter Agrarmarkte genannt^'*. Die EG erhebt Agrarabschopfungen und Einfuhrzolle auf viele Waren aus Drittstaaten, um die niedrigen Weltmarktpreise kiinstlich auf ihr Preisniveau anzuheben, damit die teureren EG-Produkte innerhalb des Europaischen Binnenmarktes iiberhaupt absetzbar sind. Fiir die Ausfuhr von EG-Produkten werden dem Exporteur Erstattungen bezahlt, weil bestimmte Produkte auf dem Weltmarkt sonst nicht konkurrenzfahig waren. Sowohl die Einfuhrzolle als auch die Ausfuhrerstattungen bilden einen erheblichen Anreiz fiir „schwarze Schafe" aus der Import- und Exportbranche, durch Manipulationen unberechtigte Gewinne zu Lasten des EGHaushalts zu erzielen. Tauschungen werden sowohl im Zusammenhang mit der Einfuhr von Drittlandswaren in die EG begangen, um die gemeinschaftsrechtlichen ZoUe nicht oder nicht voUstandig bezahlen zu miissen, als auch bei der Ausfuhr von Waren in Drittlander vorgenommen, um hohere Erstattungen zu erlangen. Die Aussicht, bei relativ niedrigem Entdeckungsrisiko eine erhebliche finanzielle Leistung ohne jedwede Gegenleistung nur aufgrund vorgetauschter Abgabentatbestande bzw. Erstattungs- oder Subventionskriterien zu erhalten, macht diese dirigistischen Steuerungsmittel zu einem kriminogenen Faktor ersten Ranges. AuBerdem ist die Scheu der Tater, Delikte zu Lasten des EG-Haushalts zu begehen, gering, weil ein sichtbarer Geschadigter fehlt. a) Hinterziehung von Abgaben bei der Wareneinfuhr 11 Eine klassische Methode der Abgabenhinterziehung ist die unterlasse Anmeldung (Deklaration) von Waren bei deren Einfuhr in die EG (Schmuggel)^^. Praktisch noch bedeutsamer sind Falschanmeldungen der Warenmengen nach Zahl und Gewicht sowie Tauschungen iiber die Warengattung oder deren Qualitat (vgl. hierzu den in Fall 1 mitgeteilten Sachverhalt). Haufig erfolgt die Hinterziehung von Abgaben auch durch falsche Angaben liber das Ursprungsland oder die Zweckbestimmung der eingefiihrten Waren. Die Falschangaben werden dabei nicht selten mit gefalschten Stempeln (z. B. Zollstempel) oder unrichtigen Urkunden (z. B. Ursprungszeugnisse, veterinararztliche Zeugnisse) belegt. b) Erschleichung von Erstattungen bei der Warenausfuhr 12 Die Tauschungsmanover zur Erschleichung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Waren in Drittlander entsprechen - spiegelbildlich - im Wesentlichen denjenigen bei der Hinterziehung von Abgaben. Um zu Unrecht in den Genuss von Ausfuhrerstattungen zu gelangen, werden unrichtige Angaben tiber Menge, Gewicht, Gattung und Ursprungsland der Waren gemacht. Wahrend beim Import hochwertige Erzeugnisse als minderwertige deklariert oder zu geringe Mengen angegeben werden, um die zu zahlenden Abschopfungsbetrage zu senken, werden beim Export minderwertige Erzeugnisse als hochwertige deklariert oder hohere Exportmengen angegeben, um iiberhohte Ausfuhrerstattungen zu erschleichen. Hinzu kommen 24
Dannecker, Z S t W 108 (1996), S. 577, 580; Hedtmann, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 377 f.
E u R 2001, 122, 123; Sieber,
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Vgl. hierzu und zum Nachfolgenden Dannecker, ZStW 108 (1996), S. 577, 580 ff; Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 361 ff.
A. Gemeinschaftsfmanzen als Angriffsflache fiir kriminelle Praktiken
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Falschangaben bezuglich des Bestimmungslandes oder Verwendungszweeks der ausgefiihrten Waren. c) Abgabenhinterziehung und Subventionserschleichung innerhalb der EG Innerhalb der EG werden zahlreiche Beihilfen und sonstige Vergtinstigungen ge- 13 wahrt. Eine verbreitete Methode der Vorteilserlangung besteht dementsprechend darin, durch Falschangaben das Vorliegen eines Subventionstatbestandes zu behaupten (vgL hierzu den in Fall 2 mitgeteilten Sachverhalt). Um eindeutige Betrugsfalle zu Lasten der EG-Finanzinteressen handelt es sich bei betriigerischen „Karusselgeschaften" oder beim Erschleichen mehrfacher Subventionsgewahrung fiir dieselben Produkte^^. In einem Bericht iiber die Exportsubventionen der EG hat der Europaische Rechnungshof aber auch vor fiktiven Handelsgeschaften gewarnt, die sich in einer rechthchen Grauzone befinden^''. Zu denken ist zum einen an Warentransaktionen, bei denen Giiter ohne stichhaltigen wirtschaftiichen Grund in der Absicht, Ausgleichsbetrage zu erhalten, auf Umwegen versandt werden. Zum anderen werden durch Schein- oder Umgehungsgeschafte Gesetzesliicken oder mehrdeutige Gesetzesformulierungen ausgenutzt^^. 2. Taterstrukturen und Schadensschatzungen Die zum Nachteil des EG-Finanzhaushalts begangenen Betrugs-, Steuer- und 14 Zolldelikte stellen typische Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalitat dar. Sie werden von intelligent operierenden Tatern bzw. Tatergruppen mit der Zielrichtung begangen, durch geschickte Manipulationen (z. B. Falschdeklarierungen, Falschung von Urkunden, Zertifikaten, Stempeln) hohe Gewinne zu erzielen und zugleich Entdeckungsrisiken zu minimieren^^. Eine typische Methode zur Verschleierung von Sachverhalten ist die Einschaltung (Verschachtelung) einer Vielzahl von Gesellschaften unter Einbeziehung von Strohmannern und Briefkastengesellschaften. Ein GroBteil der Betriigereien erfolgt im Namen von Unternehmen oder Gesellschaften, die ausschlieBlich zum Zweck der Deliktsbegehung gegriindet wurden. Zudem weisen diese Taten zunehmend transnationale Beziige auf und betreffen einen Bereich, der fiir die organisierte Kriminalitat von besonderem Interesse ist^°. Weil sich der durch straff organisierte Tatergruppen gepragte illegale Markt durch eine oligopolistische Struktur auszeichnet, fiihrt selbst die Verhaftung von Fiihrungspersonen und die damit einhergehende Zerschlagung ganzer Tater-
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Dannecker, ZStW 108 (1996), S. 577, 581. ABlEG1986C321,S.51ff. Dannecker, ZStW 108 (1996), S. 577, 582 f.; Tiedemann, N J W 1990, 2226, 2230 f. VgL hierzu den illustrativen Betrugsfall, der in Anhang 3 (S. 98 ff.) des Griinbuchs der Kommission v. 11. Dezember 2001 geschildert wird; K O M (2001) 715 endg. ^^ VgL hierzu Dannecker, Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 18; Kuhl, Kriminahstik 1997, 105; Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 372 f.
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gruppen haufig nur dazu, dass deren Marktanteile sofort von einer anderen Tatergruppe libernommen werden^^. 15 Gesicherte empirische Untersuchungen iiber die Hohe der tatsachlichen Schaden gibt es nicht^^. Die Kommission beziffert das auf der Grundlage der bekannt gewordenen UnregelmaBigkeitsfalle errechnete Gesamtschadensvolumen fiir das Jahr 2005 mit 1042 Mio. €^^„ Die Aufschliisselung des gesamten Schadensvolumens nach Bereichen ergab dabei folgendes Bild: 322 Mio. € bei den Einnahmen (traditionelle Eigenmittel) und 720 Mio. € bei den Ausgaben, davon 102 Mio. € bei den Agrarausgaben (0,05% der Gesamtmittel), 601 Mio. € bei den Strukturund Kohasionsfonds (0, 53% der Gesamtmittel) und 17 Mio. € bei den Heranfiihrungshilfen (0,06% der Gesamtmittel). Nach Schatzungen der Kommission konnen aus der Menge der gemeldeten UnregelmaBigkeiten im Bereich der Einnahmen rund 20 %, der Agrarausgaben rund 13 %, der Strukturfonds rund 15 % und der Heranfuhrungshilfen rund 18 % als Betrugsfalle - definiert als vorsatzlich begangene UnregelmaBigkeiten - eingestuft werden. Die meisten gemeldeten UnregelmaBigkeiten beziehen sich auf den Zigarettenschmuggel. Ansteigende Fallzahlen sind auch im Zucker- und Textilsektor zu verzeichnen.
IV, Praventionsstrategien 16 Kriminalstrafrechtliche Sanktionen kommen regelmaBig zu spat, denn sie greifen immer erst ein, wenn das „Kind schon in den Brunnen gefalien ist". Das Gebot der Stunde lautet daher, alle nur erdenklichen administrativen PraventionsmaBnahmen auszuloten, um Missbrauchsmoglichkeiten einzudammen^^. Neben der Verbesserung der institutionellen Zusammenarbeit zwischen den europaischen (OLAF) und den mitgliedstaatlichen Akteuren (ZoU- und Steuerverwaltungen sowie Polizei- und Strafverfolgungsbehorden) gilt es, die Zollerhebungs-, Erstattungs- und Subventionsverfahren sowie die darauf bezogenen Kontrollmechanismen so zu gestalten, dass VermogenseinbuBen, Fehlleitungen von Finanzmitteln, Zweckentfremdungen von Zuschiissen usw. nach Moglichkeit schon im Ansatz verhindert werden und zugleich ein hohes Entdeckungsrisiko geschaffen wird^^. Im Agrarbereich fmden sich noch viele produktbezogene Subventionen und ZoUe, die an schwer zu kontrollierende Parameter ankniipfen. Der Europaische Rechnungshof wies darauf hin, dass durch ein erhohtes MaB an Pravention sowie durch
31 Sieber,ZRP 2000,1^6,1^1. 3^ Vgl. hierzu Dannecker, Schutz derfinanziellenInteressen der EG, S. 17 f.; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 11 ff.; Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 373 f. 33 Vgl. Jahresbericht der Kommission 2005 - KOM (2006) 378 endg., S. 13 ff. ^^ Vgl. hierzu Hecker, Kreuzer-Freundesgabe, S. 181, 187 f; Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 30 ff; Hedtmann, EuR 2002, 123, 124 ff; Magiera, Friauf-FS, 1996, S. 13, 20 f; Pache, Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 316; ders., EuR 1993, 173, 176; Sieber, ZRP 2000, 186, 187 ff; Wattenberg, StV 2000, 95, 102. 35 Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 377.
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einen Abbau betrugsanfalliger Subventionsmechanismen auf EG-Ebene bereits eine deutliche Verringerung des Schadensvolumens bewirkt werden konnte^^. Auch der von der Kommission vorgelegte „Aktionsplan 2001-2003"^^ tragt in bemerkenswerter Weise der zutreffenden Annahme Rechnung, dass das Strafrecht allein keinen flachendeckenden Schutz fur ein - pointiert ausgedriickt - „kriminogenes Subventionierungssystem"^^ bieten kann. In der Tat greifen kriminalstrafrechtliche MaBnahmen zu kurz, solange die notwendige Reform des bestehenden Subventionierungswesens aussteht - eines Systems, das sich als auBerst anfallig fiir UnregelmaBigkeiten, Verschwendung, Zweckentfremdung, Korruption und Betrug erwiesen hat.
B. EG-Finanzinteressen als Schutzobjelct des Europaisclien Strafrechts I. Mitgliedstaatliche Schutzverpflichtung Die Notwendigkeit, Angriffen auf die EG-Finanzen auch durch den Einsatz re- 17 pressiv-strafrechtlicher MaBnahmen zu begegnen, wird im Grundsatz von niemandem ernsthaft bestritten. Eine effektive Betrugspravention kann auf flankierende strafrechtliche Mittel nicht verzichten. Da die EG mangels originarer Kriminalstrafgewalt (§ 4 Rn. 101) fiir den strafrechtlichen Schutz ihrer Finanzinteressen nicht selbst sorgen kann, ist sie darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten entsprechende Angriffe unter Strafandrohung stellen und festgestellte kriminelle Handlungen effektiv verfolgen. Bereits mehrfach wurde auf die Judikatur des EuGH hingewiesen, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, VerstoBe gegen die EG-Finanzinteressen nach ahnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu verfolgen wie nach Art und Schwere vergleichbare Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht (§ 7 Rn. 29). AuBerdem mussen die angedrohten Sanktionen wirksam, verhaltnismaBig und abschreckend („Mindesttrias") sein. Art. 280 I, IIEGV bestimmen deklaratorisch: „(1) Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten bekampfen Betriigereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichtete rechtswidrige Handlugen mit MaBnahmen nach diesem Artikel, die abschreckend sind und in den Mitgliedstaaten einen effektiven Schutz bewirken. (2) Zur Bekampfung von Betriigereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, ergreifen die Mitgliedstaaten die gleichen MaBnahmen, die sie auch zur Bekampfung von Betriigereien ergreifen, die sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richten."
3^ 37 38
Vgl. hierzu den Bericht der SZ v. 6.November 2002, S. 26. K O M (2001), 254 endg. Sieher, AGON Nr. 29, S. 3, 9.
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§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
II. Rechtszersplitterung als Hindernls fur eine effektive Betrugsbekampfung 18 Zwar existieren in alien Mitgliedstaaten einschlagige Straftatbestande wie etwa Betmg, Subventionsbetrug, Steuer- und Abgabenhinterziehung sowie Urkundenfalschung. Als problematisch erweist sich jedoch der Refund, dass diese Tatbestande in den jeweiligen Mitgliedstaaten inhaltlich zum Teil hochst unterschiedlich ausgeformt sind, etwa was die Strafbarkeit der Fahrlassigkeitstat, des Versuchs, die strafrechtliche Haftung juristischer Personen sowie die Art und Hohe der vorgesehenen Sanktionen betrifft^^. 19 In Deutschland gibt es neben dem Vermogensdelikt des Betruges (§ 263 StGB) den Tatbestand des Subventionsbetruges (§ 264 StGB), der nicht nur die Bestrafung wegen vorsatzlicher Tatbegehung erlaubt, sondern auch leichtfertiges, d. h. grob fahrlassiges Handeln mit Strafe bedroht (§ 264 IV StGB)'^^. Der deutsche Tatbestand des § 264 IV StGB gewahrt somit eine strafrechtliche Handhabe auch gegen solche Tater, denen der Vorsatz zur Tauschung nicht mit der fiir eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden kann: In der Kegel werden Falschangaben zumindest auf Leichtfertigkeit beruhen. AuBerdem setzt die Bestrafung wegen voUendeten Subventionsbetruges nicht - wie § 263 StGB - den Nachweis eines eingetretenen Vermogensschadens voraus. Bereits die bloBe Tauschungshandlung begriindet die Strafbarkeit. 20 Das spanische Strafrecht kennt lediglich einen betrugsahnlich ausgestalteten Tatbestand (Art. 309 Codigo penal), der nur vorsatzliche Schadigungen von iiber 50 000 ECU mit Strafe bedroht. Unterhalb dieser Grenze gibt es lediglich die Moglichkeit der Verhangung einer GeldbuBe durch die Verwaltungsbehorde^^ Portugal und Italien kennen einen dem spanischen Modell folgenden betrugsahnlichen Tatbestand, jedoch ohne die Festlegung von Schadensmindestgrenzen"^^. Der franzosische Betrugstatbestand („escroquerie". Art. 313 Code penal) kann anders als das deutsche Pendant nicht schon durch eine einfache Liige und nicht durch Unterlassen begangen werden"^^. Wahrend schriftliche Liigen im franzosischen, belgischen, portugiesischen, spanischen und niederlandischen Recht als eine strafbare Form der Urkundenfalschung angesehen werden, unterfallen sie im deutschen, danischen, englischen, irischen und griechischen Strafrecht nicht dem Tatbestand der Urkundenfalschung'^'*.
^^ Vgl. hierzu die rechtsvergleichenden Ausfiihrungen von Dannecker, Strafrechtsentwicklung in Europa, S. 155 ff.; ders., ZStW 108 (1996), S. 577, 585 ff. ^^ Vgl. hierzu nur Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 186 ff. ^^ Bacigalupo, in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 129, 130. 42
Dannecker,
43
Dannecker, ZStW 108 (1996), S. 577, 588.
Z S t W 108 (1996), S. 577, 5 9 1 .
44
Bacigalupo,
in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 129, 130 f.; Dannecker,
(1996), S. 577, 592.
Z S t W 108
B. EG-Finanzinteressen als Schutzobjekt des Europaischen Strafrechts
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Hochst unterschiedlich ausgestaltet ist die Strafbarkeit juristischer Personen"^^. In 21 manchen Mitgliedstaaten - wie in Deutschland - entfallt sie ganz. Das Fehlen einer Verbandsstrafe in Deutschland muss sich freilich nicht zwangslaufig nachteilig auf den Schutz der finanziellen Interessen der EG auswirken. Denn die nach § 30 I OWiG eroffnete Moglichkeit der Verhangung einer UnternehmensgeldbuBe wird in Deutschland bei weitem haufiger eingesetzt als die Verbandsstrafe im Ausland, und die Sanktionierungen mit hohen GeldbuBen konnen die Betroffenen zuweilen barter treffen als eine Geldstrafe. Die nationalen Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten weisen zudem hochst unterschiedliche Sanktionssystematiken und -groBen auf. Wahrend beispielsweise die kurze Freiheitsstrafe in einigen Mitgliedstaaten verbreitet ist, ist es ein zentrales und im Wesentlichen umgesetztes Anliegen des deutschen Reformgesetzgebers, diese zuriickzudrangen. Stattdessen nimmt in Deutschland die Geldstrafe einen hohen Stellenwert ein. Was die Geldstrafe anbelangt, ist das Tagessatzsystem eingeflihrt, wahrend anderswo die Geldsummenstrafe existiert. Ferner sind die Obergrenzen fiir die Strafaussetzung zur Bewahrung voUig unterschiedlich. Die Divergenzen erstrecken sich ferner auf das Strafverfahrensrecht. So gilt z. B. das Legalitatsprinzip nicht in alien Mitgliedstaaten, was zu Unterschieden in der Strafverfolgungspraxis fuhrt"^®. Als Fazit der kursorischen rechtsvergleichenden Betrachtung kann festgehalten 22 werden, dass von einem einheitlichen strafrechtlichen Schutzstandard zugunsten der EG-Finanzinteressen innerhalb der EU nicht die Rede sein. Die hieraus zu ziehende Konsequenz kann daher nur darauf hinauslaufen, durch RechtsangleichungsmaBnahmen zu verhindern, dass intelligent, transnational und zumeist in organisierter Form operierende Tater bzw. Personenverbande die Strafrechtsdivergenzen der Mitgliedstaaten fiir ihre kriminellen Zwecke ausnutzen. Im Idealfall soUten die Tater im gesamten Rechtsraum der EU einem (zumindest annahernd) gleichen Strafbarkeits- und Strafverfolgungsrisiko unterliegen.
III. Wege zur Uberwindung der Rechtszersplitterung in Europa Zur Uberwindung der Zersplitterung des europaischen Rechtraumes bieten sich im 23 Prinzip zwei Optionen an: Zum einen konnte der EG durch eine Anderung des EGV die Kompetenz zur Schaffung eines echten supranationalen Strafrechts - etwa in Form eines EUFinanz-Strafgesetzbuches'^'' - zum Schutz ihrer eigenen Rechtsgiiter eingeraumt werden"^^. Die zweite Moglichkeit besteht darin, durch bereichsspezifische HarmonisierungsmaBnahmen die einschlagigen Straftatbestande einschlieBlich der Zurechnungsnormen des AUgemeinen Teils sowie der Rechtsfolgenseite vollstan45 46
Dannecker, Z S t W 108 (1996), S. 577, 592 f. Perron, Strafrechtsvereinheitlichung, S. 135, 142.
47
Schwarzburg/Hamdorf, NStZ 2002, 617, 623 f. Perron, ZStW 112 (2000), S. 202, 210; ders., Strafrechtsvereinheithchung, S. 135, 154; Sieber, SchwZStrR 114 (1996), S. 357, 393; Tiedemann, Roxin-FS, S. 1401, 1411.
48
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§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
dig Oder wenigstens teilweise anzugleichen mit dem Ziel, in alien Mitgliedstaaten einen einheitlichen strafrechtlichen (Mindest-)Schutzstandard zugunsten der finanziellen Interessen der EG zu etablieren"^^. Rechtstechnisch kann eine Harmonisiemng jedenfalls mit dem Instmmentarium der dritten Saule (Rahmenbeschluss Oder Ubereinkommen) erfolgen^°. Streitig diskutiert wird, ob eine richtliniengesteuerte Rechtsangleichung auch im Rahmen der ersten Saule auf der Basis von Art. 280 IV S. 1 EGV moglich ist (§ 8 Rn. 57 ff.). Die nur zogerliche Ratifikation der PIF-Konvention (Rn. 24) durch die Mitgliedstaaten hat die Kommission veranlasst, am 23. Mai 2001 den Vorschlag fiir eine Richtlinie iiber den strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft vorzulegen^^. Mittels der vorgeschlagenen Richtlinie soUten der Ratifikationsstau aufgelost und die weiteren Vorteile der ersten Saule genutzt werden. Aufgrund der Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegen eine so weitreichende Harmonisierungskompetenz der EG wurde diese Richtlinie vom Rat bisher nicht erlassen.
IV. Ubereinkommen iiber den Schutz der finanziellen Interessen der EG 24 Eine VorreiterroUe auf dem Weg zu einem vereinheitlichten Betrugsstrafrecht nimmt das auf der Grundlage von Art. K.3 EUV (ZBJI; § 5 Rn. 56) getroffene Ubereinkommen v. 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der i^nanziellen Interessen der EG (PIF-Konvention)^^ ein, das am 17. Oktober 2002 nach iiber siebenjahriger Ratifikationsphase in Kraft trat.
1. Wesentlicher Inhalt der PIF-Konvention 25 Die PIF-Konvention geht auf intensive Bemiihungen um einheitliche Strafrechtsregelungen gegen betriigerische Handlungen zum Nachteil der EG in den 1990er Jahren zuriick. Das Ubereinkommen zielt auf die Schaffung eines einheitlichen Betrugsstrafrechts mit angeglichenen Mindeststrafen ab^^. Art. 1 I PIFKonvention enthalt eine fiir alle Mitgliedstaaten verbindliche Definition des Be-
49 Dannecker, JZ 1996, 869, 879; ders., ZStW 108 (1996), S. 577, 603; ders., Einfluss des Gemeinschaftsrechts, S. 161,182 ff; Zieschang, ZStW 113 (2001), S. 255, 265 ff ^^ Vgl. hierzu nur Satzger, Europa-Delikte, S. 71 ff 51 KOM (2001) 272 end. (ABIEG 2001 Nr. C 240 E, S. 19); vgl. hierzu Satzger, ZRP2001, 537 ff Vgl. auch dietiberarbeiteteFassung des Richtlinienvorschlags v. 16. Oktober 2002; KOM (2002), 577 endg. 52 53
ABIEG 1995 Nr. C 316, S. 49 ; PIF=Protection des interets financiers. Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- u n d Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 4 3 ff; ders., Einfluss des Gemeinschaftsrechts, S. 161, 166 ff; ders., Z S t W 108 (1996), S. 577, 596 ff; Grdblinghojf, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 157 ff; Ligeti, Strafrecht in
der EU, S. 280 ff; Zieschang, EuZW 1997, 78 ff
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truges zum Nachteil der finanziellen Interessen der EG im Zusammenhang mit Ausgaben (lit. a) und Einnahmen (lit. b). Er lautet wie folgt: „Art. 1 Allgemeine Bestimmungen (1) Fiir die Zwecke dieses Ubereinkommens umfasst der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften a) jede vorsatzHche Handlung oder Unterlassung betreffend die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollstandiger Erklarungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europaischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europaischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, unrechtmaBig erlangt oder zuriickbehalten werden, - das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge, - die missbrauchliche Verwendung solcher Mittel zu anderen Zwecken als denen, fiir die sie urspriinglich gewahrt worden sind, b) im Zusammenhang mit Einnahmen jede vorsatzliche Handlung oder Unterlassung betreffend - die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollstandiger Erklarungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europaischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europaischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, rechtswidrig vermindert werden, - das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge, - die missbrauchliche Verwendung eines rechtmaBig erlangten Vorteils mit derselben Folge. (2) Vorbehaltlich des Art. 2II trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen und geeigneten MaBnahmen, um Abs. 1 so in sein innerstaatliches Recht umzusetzen, dass die von ihm erfassten Handlungen als Straftaten umschrieben werden. (3) Vorbehaltlich des Art. 2II ergreift jeder Mitgliedstaat femer die erforderlichen MaBnahmen, damit die vorsatzliche Herstellung oder Bereitstellung falscher, unrichtiger oder unvollstandiger Erklarungen oder Unterlagen mit der in Abs. 1 erwahnten Folge als Straftat umschrieben wird, sofem sie nicht bereits entweder als selbstandige Straftat oder als Beteiligung am Betrug im Sinne von Abs. 1, als Anstiftung dazu oder als Versuch eines solchen Betrugs strafbar ist. (4) Der vorsatzliche Charakter einer Handlung oder Unterlassung im Sinne der Abs. 1 und 3 kann aus den objektiven Tatumstanden geschlossen werden." In Art. 2 PIF-Konvention sind die von den Mitgliedstaaten vorzusehenden 26 Sanktionen fiir Taten i. S. d. Art. 1 geregelt: „Art. 2 Sanktionen (1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen MaBnahmen um sicherzustellen, dass die in Art. 1 genannten Handlungen so wie die Beteiligung an den Handlungen im Sinne von Art. 1 Abs. 1, die Anstiftung dazu oder der Versuch solcher Handlungen durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen geahndet werden konnen, die zumindest in schweren Betrugsfallen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Ausliefemng fuhren konnen; als schwerer Betrug gilt jeder Betrug, der einen in jedem Mitgliedstaat festzusetzenden Mindestbetrag zum Gegenstand hat. Dieser Mindestbetrag darf 50 000 ECU nicht liberschreiten.
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§ 14 Betrugsbekampfang durch Europaisches Strafrecht
(2) Jedoch kann ein Mitgliedstaat in minderschweren Betrugsfalien, die einen Gesamtbetrag von weniger als 4 000 ECU zum Gegenstand haben und bei denen gemaB seinen Rechtsvorschriften keine besonderen erschwerenden Umstande vorliegen, Sanktionen einer anderen Rechtsnatur als die in Abs. 1 vorgesehenen Strafen vorsehen." 27 Die Mitgliedstaaten miissen ferner nach Art. 3 PIF-Konvention die erforderlichen MaBnahmen treffen, damit Letter oder Entscheidungstrager von Unternehmen als strafrechtlich verantwortlich angesehen werden konnen. In Art. 6 des Ubereinkommens wird der Grundsatz einer verstarkten justiziellen Zusammenarbeit bekraftigt. Art. 7 enthalt den Grundsatz „ne bis in idem". Nach Art. 9 PIFKonvention sind die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, weitergehende innerstaatliche Rechtsvorschriften (z. B. die Einbeziehung grob fahrlassiger Verhaltensweisen) zu erlassen, die iiber die Verpflichtungen aus diesem LFbereinkommen hinausgehen. 28 Der Weg, iiber deliktsbezogene tJbereinkonimen zumindest zu einer Mindestharmonisierung im Bereich des materiellen Strafrechts zu gelangen, mag zwar miihsam und langwierig erscheinen, weil volkerrechtliche Ubereinkommen zunachst von den berufenen Vertretern der Mitgliedstaaten ausgehandelt, nach erfolgtem Abschluss von den Mitgliedstaaten ratifiziert und sodann in nationales Recht umgesetzt werden miissen. Andererseits bietet dieser Weg den Vorteil, dass es den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern iiberlassen bleibt, wie sie die auf europaischer Ebene erarbeiteten und im Ubereinkommen niedergelegten Regelungen in ihr jeweils bestehendes nationales Strafrechtssystem integrieren. Die gesetzestechnische Einpassung kann so unter Beriicksichtigung der spezifischen legislatorischen und dogmatischen Gegebenheiten erfolgen. So bleibt es z. B. dem deutschen Gesetzgeber zur freien Entscheidung iiberlassen, ob er an der klassischen Zweiteilung zwischen dem strafrechtlichen Schutz der Einnahmenseite (§ 370 AO) und Ausgabenseite (§§ 263 ff. StGB) festhalt oder nicht. 2. Umsetzung in Deutschland 29 Die Umsetzung der PIF-Konvention erfolgte in Deutschland durch das EGFinanzschutzgesetz v. 10. September 1998^"^. Die Mehrzahl der in dem Ubereinkommen genannten Handlungen wurde vom deutschen Recht bereits durch § 370 AO (Einnahmenseite) bzw. §§ 263, 264 StGB a. F. (Ausgabenseite) erfasst. § 264 StGB wurde den Vorgaben der Konvention angepasst. Neu ist z. B. die nunmehr in § 264 I Nr. 2 StGB geregelte zweckwidrige Verwendung von Subventionen^^, Die Ausdehnung des Subventionsbegriffs auf Leistungen an Private sowie fiir andere Zwecke als der Wirtschaftsforderung gilt gem. § 264 VII Nr. 2 StGB nur fiir Subventionen, die nach Gemeinschaftsrecht gewahrt werden. Dies hat zu einer Aufspaltung des Subventionsbegriffs gefiihrt, je nachdem, ob es sich um eine nach nationalem Recht (Bundes- oder Landesrecht) oder nach Gemeinschaftsrecht zu
54 55
BGBl. II1998, 2322. Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 187.
C. Modelle fur die kiinftige Entwicklung des Europaischen Strafrechts
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erbringende Leistung handelt^^. Nach § 6 Nr. 8 StGB unterliegt der Subventionsbetrug dem Weltrechtsprinzip (§2 Rn. 51). Somit konnen Auslander auch dann in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie in einem anderen Land einen Subventionsbetrug zum Nachteil der EG-Finanzinteressen begangen haben. Fiir die Verfolgung dieser Taten sind in Deutschland gem. § 74 c 1 Nr. 5 GVG die Wirtschaftsstrafkammern zustandig, wenn der Staatsanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles Anklage zum Landgericht erhebt.
C. Modelle fur die kunftige Entwicklung des Europaischen Strafrechts I. Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der EU Als Modellkodifikation fiir ein kiinftiges supranationales oder harmonisiertes 30 Strafrecht konnte das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der i^nanziellen Interessen der EU („Corpus Juris") von 1997 dienen, das in iiberarbeiteter Fassung (in Anlehnung an den Ort der Abschlusskonferenz) als ^Corpus Juris Florence"^'' im September 1999 dem EP vorgelegt wurde^^. Die Vorschlage des Corpus Juris beziehen sich ausschlieBlich auf den Schutz der EG-Finanzinteressen: „Was wir vorschlagen, ist vielmehr eine Reihe von strafrechtlichen Regelungen, die eine Art Corpus Juris bilden, die auf den strafrechtlichen Schutz der Finanzinteressen der Europaischen Union beschrankt und dazu bestimmt sind, in einem weitgehend vereinheitlichten europaischen Rechtsraum ein gerechteres, einfacheres und effizienteres Sanktionssystem zu ermoglichen"^^. Dem Corpus Juris Hegen die gemeineuropaischen Grundlagen sowie die Ideen der Aufklarung und Garantien der Europaischen Menschenrechtskonvention zugrunde, wodurch nach der Intention seiner Verfasser das Fundament des zukiinftigen Europaischen Strafrechts geschaffen werden solP°.
^^ Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 186. ^^ Der Text des „Corpus Juris Florence" (auch „Corpus Juris 2000") kann - ebenso wie die englische bzw. franzosische Originalfassung - in deutscher Ubersetzung abgemfen werden auf der Seite http://europa.eu.int/comin/anti_fraud/green_paper/links.html (Stand 12/04). ^^ Vgl. Huher (Hrsg.), Corpus Juris, passim; vgl. hierzu auch Dannecker, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 273 ff.; Kuhne, Strafprozessrecht, Rn. 63 ff.; Sieber, Corpus Juris, S. 2 ff. 59 Delmas-Marty, Corpus Juris, S. 28. ^^ Zu Inhalt und Kritik am Corpus Juris vgl. die Beitrage von Braum, JZ 2000, 493, 495 ff.; Brockhaus, ZIS 2006, 481 ff.; Hassemer, KritV 1999, 133 ff.; Manoledakis, KritV 1999, 181 ff.; Otto, JURA 2000, 99 ff.; Spinellis, KritV 1999, 141 ff.; Wattenberg, StV 2000, 95 ff.
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§ 14 Betrugsbekampfung durch Europaisches Strafrecht
1. Wesentlicher Inhalt des Corpus Juris 31 Nach Auffassung der Verfasser des Corpus Juris haben es die bisher unternommenen Schritte der Assimilierung, der justiziellen Kooperation und partieller Harmonisierungsansatze nicht vermocht, ein gerechtes, einfaches und effizientes System zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu errichten^^ Die von einer Gruppe europaischer Strafrechtswissenschaftler im Auftrag der Konunission erarbeitete Studie schlagt daher in einem Regelwerk (Corpus Juris) die Einfiihrung straf- und strafverfahrensrechtlicher Normen eines Europaischen Strafrechts vor. Materiellrechtlich ist das Corpus Juris auf eine vollstandige Vereinheitlichung der dort vorgesehenen Straftatbestande^^ u^^j Sanktionen^^, verbunden mit einem Allgemeinen TeiP"^ gerichtet. Verfaiirensrechtlich wird die Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft und eines Freiheitsrichters vorgeschlagen^^. 32 Ausgeliend von dem Gesetzlichkeitsprinzip werden in einem Katalog von acht Artikeln (des Corpus Juris Florence; CJ) folgende Straftatbestande formuliert: - Art. 1 CJ: Betriigereien zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und gleichgestellte Delikte - Art. 2 CJ: Betriigereien bei der Erteilung von Auftragen - Art. 3 CJ: Geldwasche und Hehlerei - Art. 4 CJ: Bildung einer kriminellen Vereinigung - Art. 5 CJ: Bestechung und Bestechlichkeit - Art. 6 CJ: Amtspflichtverletzung - Art. 7 CJ: Amtsmissbrauch - Art. 8 CJ: Bruch des Dienstgeheimnisses 33 Mit Ausnahme von Taten nach Art. 1 CJ, bei denen Leichtfertigkeit gentigt, wird in subjektiver Hinsicht Vorsatz verlangt (Art. 9 CJ). Es werden einheitliche Strafen und MaBnahmen fiir alle Tatbestande vorgeschlagen, die neben Freiheitsstrafen (bis zu fiinf Jahren, in schweren Fallen bis zu sieben Jahren) und/oder Geldstrafen (hochstens 365 Tagessatze bei einer maximalen Tagessatzhohe von 3 000 Euro) fiir natiirliche Personen auch Sanktionen fiir juristische Personen wie Geldstrafen (bis zu zehn Mio. Euro), Ausschluss von offentlichen Subventionen oder gerichtliche Uberwachung beinhalten (Art. 14 CJ). Fiir die Ermittlung, Verfolgung, Aburteilung und StrafvoUstreckung wird ein europaisches Territo61 62
Delmas-Marty, Corpus Juris, S. 10. Vgl. hierzu die Beitrage zur Erstfassung des CJ von Bacigalupo und Otto, in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 129 ff., 141 ff. Vgl. hierzu die Beitrage zur Erstfassung des CJ von Grasso und Trdskman, in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 215 ff., 225 ff. Vgl. hierzu die Beitrage zur Erstfassung des CJ von Tiedemann und Neumann, in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 61 ff, 67 ff Vgl. hierzu die Beitrage zur Erstfassung des CJ von Spencer und Nelles, in: Huber (Hrsg.), Corpus Juris, S. 249 ff, 261 ff
C. Modelle fur die kunftige Entwicklung des Europaischen Strafrechts
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rialitatsprinzip^® statuiert, das die Gesamtheit der Staatsgebiete der EGMitgliedstaaten umfassen soil (Art. 18 ff. CJ). Dementsprechend sollen die vorgenannten Aufgaben von einer Europaischen Staatsanwaltschaft wahrgenommen werden. Es handelt sich bei dieser um eine unabhangige Strafverfolgungsbehorde, die sich aus einem Europaischen Generalstaatsanwalt sowie abgeordneten nationalen Europaischen Staatsanwalten zusammensetzt (Art. 18 III CJ)^^. Wahrend der gesamten Vorbereitungsphase nimmt den justiziellen Freiheits- 34 schutz ein unabhangiger und unparteiischer Richter wahr, der so genannte Freiheitsrichter (Art. 25 I CJ). Jeder Mitgliedstaat benennt einen solchen Richter bei dem Gericht des Ortes, an dem es einen abgeordneten Europaischen Staatsanwalt gibt. Der Freiheitsrichter ist auch zustandig, um beziiglich der Umstande, die Gegenstand der Strafverfolgung sind, Gutachten oder SicherungsmaBnahmen anzuordnen, sofern die Existenz einer Verbindlichkeit nicht ernstlich zu bestreiten ist und sofern solche MaBnahmen zum Schutz der zivilrechtlichen Anspriiche notwendig und verhaltnismaBig sind. Die Anklageentscheidung des Europaischen Staatsanwaltes unterliegt der Priifung durch den Freiheitsrichter (Art. 21 III CJ). Dieser ruft das nationale Gericht an, das fur das Hauptverfahren zustandig ist, und ladt den Beschuldigten unter Angabe von Tag und Uhrzeit seiner Verhandlung. Der Freiheitsrichter wendet auBer dem CJ sein eigenes nationales Recht an. 2. Bedeutung des Corpus Juris Das CJ lasst bewusst offen, auf welchem Weg es in das Gemeinschaftsrecht imp- 35 lementiert werden soll^®. Die vorgeschlagenen Regelungen eines bereichsspezifischen Straf- und Strafverfahrensrechts dienen in erster Linie als Diskussionsgrundlage fiir die Fortentwicklung des Europaischen Strafrechts^^. In der Literatur stoBen vor allem die im CJ angelegte Tendenz zu einer weitreichenden Vorverlagerung der Strafbarkeit, aber auch die noch nicht in jeder Hinsicht ausgereiften prozessualen Regelungen zum Schutz des Beschuldigten (Verfahrensgarantien) aufKritik^o. Vor dem Hintergrund, dass die Entwicklung des Europaischen Strafrechts mit 36 der europaischen Integration bisher nicht Schritt gehalten hat''^ unterbreitet das CJ erstmals fundierte Vorschlage zu der Frage, welche europaischen Interessen als strafrechtlich schutzwiirdig zu definieren sind und wie dieser Schutz im gesamten europaischen Raum moglichst effektiv gestaltet werden kann. Den Verfassern des CJ ist bewusst, dass die hierfiir notwendige Harmonisierung der nationalen Strafrechtssysteme sowie die erforderliche Zusammenarbeit sich nicht in Form eines „groBen Wurfes" einer europaischen Einheitslosung fur alle Bereiche des Straf66 67
69 70
Vgl. hierzu Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 89 ff. Vgl. hierzu Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 215 ff. Vgl. hierzu Dannecker, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Kap. Rn. 276. Vgl. hierzu die zahlreichen Beitrage in Huber (Hrsg.), Corpus Juris, passim. Vgl. hierzu Braum, JZ 2000, 493, 498 ff.; Dannecker, Hirsch-FS, 1999, S. 141, 143 ff.; Salditt, StV 2003, 136 f.; Wattenberg, StV 2000, 95, 96 ff. Sieber, Corpus Juris, S. 2.
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§ 14 Betrugsbekampfang durch Europaisches Strafrecht
rechts durchsetzen wird. Das zukiinftige Europaische Strafrecht wird vielmehr in vielen Einzelschritten, in zahlreichen bereichsspezifischen Regelungen, in verschiedenen Modellen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten entstehen^^. Bei aller Kritik im Detail kommt dem CJ daher das unbestreitbare Verdienst zu, eine breite offentliche Diskussion iiber die Rolle des Strafrechts und des Strafprozessrechts im europaischen Einigungsprozess ausgelost zu haben.
II. GriJnbuch der Kommission 1. Wesentlicher Inhalt des Grunbuchs 37 Die EG-Kommission hat am 11. Dezember 2001 ein Griinbuch zum strafrechtlichen Schutz der fiinanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft vorgelegt''^. Mit ihrem dort zur Diskussion gestellten Konzept eines europaischen Finanzstrafrechts und der Schaffung einer supranationalen Strafverfolgungsbehorde lehnt sich die Kommission eng an das Modell des CJ an. Der neu zu schaffende Art. 280 a EGV soil nach dem Vorschlag der Kommission folgenden Wortlaut haben: „1. Um einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des Art. 280 I EGV zu leisten, emennt der Rat, der auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit und nach Zustimmung des Europaischen Parlaments beschlieBt, fur eine nicht verlangerbare Amtszeit von sechs Jahren einen Europaischen Staatsanwalt. Der Europaische Staatsanwalt hat die Aufgabe, gegen Tater von Straftaten und Teilnehmer an Straftaten, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, zu ermitteln, sie strafrechtlich zu verfolgen und wegen dieser Straftaten vor den zustandigen Gerichten der Mitgliedstaaten offentliche Anklage gemaB den in Absatz 3 genannten Vorschriften zu erheben. 2. Der Europaische Staatsanwalt wird unter Personlichkeiten ausgewahlt, die jede Gewahr fiir Unabhangigkeit bieten und in ihrem Staat die fiir die Ausiibung hochster richterlicher Amter erforderlichen Voraussetzungen erftillen. Er darf bei der Erfiillung seiner Pflichten Anweisungen weder anfordem noch entgegennehmen. Er kann auf Antrag des Parlaments, des Rats oder der Kommission vom Gerichtshof seines Amtes enthoben werden, wenn er die Voraussetzungen fur die Ausiibung seines Amtes nicht mehr erftillt oder eine schwere Verfehlung begangen hat. Der Rat legt das Statut des Europaischen Staatsanwalts nach dem Verfahren des Art. 251 EGV fest....". 38 Die Kommission lasst die Frage offen, auf welcher materiellrechtlichen Basis der Europaische Staatsanv^alt tatig werden soil und begniigt sich mit einer Auflistung der in Betracht kommenden Moglichkeiten^^. Die Kommission schlagt vor, folgenden Art. 280 a III in den EGV einzufiigen:
^^ Sieber, Corpus Juris, S. 3. '^'^ KOM (2001) 715 endg. (abrufbar im Internet auf der Homepage der Kommission unter http://www.europa.eu.int; vgl. auch die „Follow-Up-Mitteilung" der Kommission in KOM (2003) 128 endg. v. 19. Marz 2003; vgl. hierzu Hetzer, Kriminahstik 2005, S. 419, 426 ff; ders., TIL 2005, 223 225 ff ^4 Vgl. Griinbuch, S. 36 ff
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„Der Rat legt nach dem Verfahren des Art. 251 die Bedingungen fiir die Ausiibung des Amtes des Europaischen Staatsanwalts fest und erlasst insbesondere (a) Vorschriften zur Festlegung der Tatbestandsmerkmale von Betmg und jeder anderen rechtswidrigen Handlung, die gegen die fmanziellen Interessen der Gemeinschaft gerichtet ist, sowie der Strafen fiir alle Straftatbestande;...". Da dieser Artikel keine Beschrankung auf eine Richtliniengesetzgebung vorsieht, 39 ware es nicht ausgeschlossen, dass die EG durch den Erlass einer Verordnung ein in alien Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes, supranationales Strafrecht schafft. Nach Auffassung der Kommission soil sich die Frage, wie das fiir die Arbeit des Europaischen Staatsanwaltes notwendige „gemeinsame materielle Recht" am besten festgelegt werden kann, im Rahmen des Griinbuchs unter neuen Vorzeichen stellen''^. Das Mandat des Europaischen Staatsanwaltes soil materiellrechtlich jedenfalls kein umfassendes sein, sondern sich entsprechend der Zielrichtung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaft auf einen bestimmten Katalog einschlagiger Delikte beschranken. Was den Inhalt dieser Tatbestande anbelangt, bezieht sich die Kommission auf den bereits erwahnten Richtlinienvorschlag v. 23. Mai 2001 (Rn. 23). Dieser definiert in Kapitel III. vier Straftatbestande: Betrug (aller Arten), Bestechlichkeit, Bestechung und Geldwasche. Dariiber sollen in Anlehnung an die Arbeiten zum CJ nunmehr auch Delikte wie Ausschreibungsbetrug, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Missbrauch von Amtsbefugnissen und Verletzung des Dienstgeheimnisses normiert und der Verfolgungszustandigkeit des Europaischen Staatsanwaltes unterstellt werden. Um auf supranationale Strafverfahrensregelungen verzichten zu konnen, 40 schlagt die Kommission vor, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Leitprinzip des europaischen Ermittlungsverfahrens zu erheben (vgl. hierzu § 12 Rn. 48 ff.). Strafprozessuale EingriffsmaBnahmen, die durch ein Gericht eines Mitgliedstaates angeordnet oder genehmigt wurden, sollen demnach in jedem anderen Mitgliedstaat ohne weitere gerichtliche Priifung vollstreckt werden konnen''^. Auch sollen Beweise, die in einem Mitgliedstaat nach dessen Recht legal erhoben worden sind, von dem Strafgericht eines anderen Mitgliedstaates verwertet werden diirfen'''^. Ist der Europaische Staatsanwalt nach Abschluss der Ermittlungen zu der tJberzeugung gelangt, ausreichende Beweise dafur zu haben, dass eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als ein Freispruch - es bleibt die Frage nach dem MaB des Verdachtes -, soil er Anklage vor einem Gericht eines Mitgliedstaates erheben. Form, Inhalt und KontroUe der Anklageschrift sollen sich dabei allein nach dem jeweiligen nationalen Recht des Staates richten, bei dessen Gericht Anklage erhoben worden ist. Wo dies im Einzelfall zu erfolgen hat, soil sich aus vom Gemeinschaftsgesetzgeber festzulegenden bestimmten Kriterien ergeben. Fiir den Fall, dass nach jenen Vorschriften in mehreren Mitgliedstaaten Anklage erhoben werden konnte, soil der Europaische Staatsanwalt nach pflichtgemaBem Ermessen ein Gericht auswahlen oder die Verfahren
^5 Vgl. Griinbuch, S. 36. 76 Vgl. Grunbuch, S. 55 ff. 77 Vgl. Grunbuch, S. 63 ff.
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trennen und in verschiedenen Staaten Anklage erheben diirfen. Beziiglich der Kontrolle dieser Entscheidung des Europaischen Staatsanwaltes liber den Anklageort stellt die Kommission drei Moglichkeiten zur Diskussion: Entweder die Kontrolle seitens des nationalen Gerichts, bei dem Anklage erhoben wird oder die Kontrolle seitens eines dafiir einzurichtenden Gerichts auf Gemeinschaftsebene einer ,3uropaischen Vorverfahrenskammer" - oder, drittens, der Ausschluss jeglicher Kontrolle, getragen von dem Vertrauen in die Gleichwertigkeit der nationalen Rechtssysteme. 2. Kritische Wurdigung 41 Auf das vom Griinbuch zum strafprozessualen Leitsatz erhobene Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wurde bereits an anderer Stelle kritisch eingegangen (§ 12 Rn. 58 ff.). Die folgende Wurdigung des Griinbuchvorschlages konzentriert sich daher auf die im Griinbuch angedachte Errichtung einer Europaischen Finanzstaatsanwaltschaft. 42 Zunachst ist festzustellen, dass die Europaische Staatsanwaltschaft - wenn sie ins Leben gerufen wtirde, ohne dass zuvor eine supranationale Strafrechtsbasis hergestellt wurde - zwangslaufig nur mitgliedstaatliches Strafrecht voUziehen konnte. Dabei liegt ein grundlegendes Problem schon darin begriindet, dass auch bei europaweit harmonisierten Straftatbestanden zu erwarten ist, dass diese von Mitgliedstaat zu MitgHedstaat abweichend, namlich im Lichte nationaler Auslegungsmaximen interpretiert werden, was angesichts des unterschiedlichen richterlichen Selbstverstandnisses in den jeweiligen EU-Staaten, verbunden auch mit unterschiedlichen rechtskulturellen Pragungen zu Divergenzen bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale und ihrem Zusammenspiel mit Zurechnungsnormen des AUgemeinen Teils fiihren konnte''^. Dariiber hinaus sind nicht nur die materiellrechtlichen Grundlagen von Bedeutung, sondern auch die Strafzumessungspraxis. Betrachtet man allein die von Bundesland zu Bundesland divergierende Sanktionspraxis innerhalb Deutschlands („Nord-Sud-Gefalle"), die doch auf einem einheitlichen Rechtsrahmen beruht, so wird die Schwierigkeit deutlich, eine auch nur einigermaBen koharente Strafzumessungspraxis innerhalb Europas zu erzielen''^. Weitere Probleme wirft die Strafzumessung im Einzelfall auf. Dies gilt etwa fiir die Berlicksichtigung des Vorlebens, namentlich von Vorverurteilungen des Taters. Soil das aburteilende Gericht mit Strafen, die durch ein Strafgericht eines anderen Mitgliedstaats verhangt worden sind, eine nachtragliche Gesamtstrafe bzw. Einheitsstrafe bilden konnen oder ist hier europaweit nach den Grundsatzen des Harteausgleichs zu verfahren? - Kann ein deutsches Gericht Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die formalen Voraussetzungen aufgrund auslandischer Verurteilungen vorliegen? - Diirfen auch Sanktionen beriicksichtigt werden, die im jeweils anderen Mitgliedstaat nicht existieren? - Die Fiille der hier nur kursorisch angedeuteten Schwierigkeiten lasst erhebliche Zweifel daran aufkommen, ob es sinnvoll und wiinschenswert erscheint, eine europaische Strafverfolgungsinstitu78 79
Vgl. hierzu Perron, Z S t W 109 (1997), S. 2 8 1 , 288. Vgl. hierzu Konig, NJW-Sonderheft B a y O b L G 2005, 57, 58.
C. Modelle fiir die ktinftige Entwicklung des Europaischen Strafrechts
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tion ins Leben zu rufen, solange keine supranationalen materiellrechtlichen Grundlagen geschaffen wurden (vgl. aber zu den sich aus III-Art. 415 IV EUVerfassung ergebenden Perspektiven Rn. 47). Im Ubrigen ist nicht ohne weiteres einsichtig, wamm ein supranationales Straf- 43 verfolgungsorgan besser in der Lage sein soil, nationale Strafrechtsnormen effektiv anzuwenden und durchzusetzen als die seit jeher damit betrauten nationalen Strafverfolgungsbehorden. Den „Mehrwert" einer Europaisehen Staatsanwaltschaft konnte man freilich darin sehen, dass sie eine von nationalen Interessen losgeloste Strafverfolgung garantiert und dass sie grenziiberschreitende Ermittlungs- und StrafverfolgungsmaBnahmen moglicherweise effektiver koordinieren kann als eine nationale Strafverfolgungsbehorde. Das Gewicht dieser denkbaren Vorteile sollte jedoch nicht iiberschatzt und gegeniiber den drohenden Nachteilen sorgfaltig abgewogen werden. Zum einen ist anerkannt, dass das Unterlassen einer Strafverfolgung unter bestinunten Voraussetzungen gemeinschaftsrechtswidrig sein und ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen kann^°. Kein Mitgliedstaat kann es sich daher auf Dauer erlauben, strafbare VerstoBe gegen Gemeinschaftsrechtsgiiter - etwa aus Unwillen oder Desinteresse - systematisch unverfolgt zu lassen. Zum anderen bietet sich in der gegenwartigen Entwicklungsphase der transnationalen Strafrechtspflege eine verstarkte Nutzung und Fortentwicklung bereits vorhandener Instrumente der grenziiberschreitenden Kooperation, insbesondere die seit 28. Februar 2002 tatige Koordinierungsstelle Eurojust (§ 5 Rn. 73 ff.) als echte und vorzugswurdige Alternative an^^. Die mitgliedstaatliche Souveranitat bliebe unangetastet. Ein konflikttrachtiges Nebeneinander zweier Strafrechtsorgane - eines europaischen und eines nationalen - die ihre Tatigkeit beide auf der Basis mitgliedstaatlichen Strafrechts vollziehen, wiirde ebenso vermieden wie die Gefahr von Kompetenzstreitigkeiten in den (nicht eben seltenen) Fallen, in denen eine Tat im prozessualen Sinne sich sowohl gegen gemeinschaftsrechtliche wie nationale Rechtsgiiter richtet. Die hieraus resultierenden Probleme, z. B. Strafklageverbrauch, Koordinierung der Ermittlungen, auch zur Vermeidung unergiebiger oder schadlicher Parallelermittlungen, Stellung des Beschuldigten sowie Zustandigkeit fur Verfolgung und Rechtsschutz, die mit der Begrenzung der Zustandigkeit auf den engen Bereich des Schutzes der fmanziellen Interessen der Gemeinschaften einhergehen, sollten nicht unterschatzt werden. Uberdacht werden sollte auch die Frage einer parlamentarischen KontroUe der Europaischen Staatsanwaltschaft. Der Europaische Staatsanwalt ist gemaB dem Kommissionsentwurf fur einen neuen Art. 280 a Nr. 2 S. 2 EGV weisungsunabhangig und damit keinem Parlament rechenschaftspflichtig. Das Amtsenthebungsverfahren gemaB Art. 280 a Nr. 2 S. 3 EGV gewahrleistet keine ausreichende Kontrolle des supranationalen Strafverfolgungsorgans. Das im Griinbuch angelegte Modell eines europaischen Ermittlungsverfahrens 44 mit seinem Herzstiick - dem Europaischen Staatsanwalt - vermag in dieser Form nicht zu iiberzeugen und erscheint beim gegenwartig erreichten Stand der grenziiberschreitenden Kooperation der Mitgliedstaaten als allzu voreiliger „Schnell^° Vgl. hierzu nur Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, S. 149 ff. ^1 Vgl. hierzu nur Schomburg, ZRP 1999, 237 ff. und Dieckmann, NStZ 2001, 617, 620.
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schuss", dessen „Risiken und Nebenwirkungen" den versprochenen Mehrwert in Frage stellen^^. Da die Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft ohnehin nur eine von mehreren Moglichkeiten zur Verbesserung des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaften darstellt, muss der Griinbuchvorschlag einem kritischen Vergleich mit anderen Optionen einer europaischen Kriminalpolitik unterzogen werden. Vorrangig sollte iiber eine verstarkte Nutzung und Fortentwicklung der bereits vorhandenen Formen der transnationalen Zusammenarbeit diskutiert werden. Die Zeit ist noch nicht reif fiir die Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft. Zum einen wiirde es in der Logik einer solchen Institution liegen, dass diese supranationales Recht vollzieht und ihre Anklagen vor einem europaischen Strafgericht erhebt^^. Hierfiir fehlt es aber an den europaverfassungsrechtlichen Voraussetzungen, insbesondere an einem demokratische Legitimation vermittelnden europaischen Legislativorgan. Aber auch aus praktischen Griinden kann den Vorschlagen der Konmiission nicht zugestimmt werden. Bevor einer geradezu revolutionaren Umwalzung auf dem Gebiet der Strafrechtspflege das Wort geredet wird, sollten auf der Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten vorrangig alle nur denkbaren praventiv-administrativen Moglichkeiten ausgeschopft werden, um die Betrugsanfalligkeit des bestehenden „kriminogenen" EG-Subventions- und Finanzwesens zu minimieren. Das Kriminalstrafrecht kann und soil diese MaBnahmen flankieren bzw. erganzen, aber nicht ersetzen. In alien Mitgliedstaaten sollte ein annahernd gleicher strafrechtlicher Mindestschutzstandard etabliert werden. Das Inkrafttreten der PIF-Konvention ist bereits ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Koordinierung der transnationalen Zusammenarbeit zwischen den mitgliedstaatlichen Strafverfolgungsbehorden sollte durch den Ausbau von Eurojust verbessert werden. Es gilt, alle bereits verfiigbaren praventiven und repressiven Instrumente zu optimieren. Erst wenn dies geschehen und ihr Versagen erwiesen ist, erscheint es gerechtfertigt, sich an tiefergehende Einschnitte in die gewachsenen nationalen Strafrechtskulturen der Mitgliedstaaten heranzuwagen.
III. Supranationales Betrugsstrafrecht auf Grundlage der zukunftigen EU-Verfassung 45 Der am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der EUMitgliedstaaten unterzeichnete (noch ratifikationsbediirftige) Vertrag iiber eine Verfassung fur Europa (EU-Verfassung) geht in Art. III-271 I von dem Grundsatz aus, dass HarmonisierungsmaBnahmen auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts in Form von Mindestangleichungen durch Europaische Rahmengesetze vorzunehmen sind. Das Europaische Rahmengesetz ist ein Gesetzgebungsakt, der fiir jeden Mitgliedstaat, an den es gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden ^^ Vgl. auch die berechtigte Kritik von Bose, PJZS im Verfassungsentwurf, S. 157 ff.; Radtke, GA 2004, 1, 16 ff.; Satzger, StV 2003, 137, 139 und Sommer, StV 2003, 126 ff ^3 Sieber, ZRP 2000, 186, 191.
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Ziels verbindlich ist, jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel iiberlasst (Art. 1-33 I S. 3 EU-Verfassung). Damit setzt die EU-Verfassung den bereits in Art. 29, 31 lit. e EUV eingeschlagenen Weg der Strafrechtsangleichung fort. Da die Saulenarchitektur der EU - und damit die bisherige Unterscheidung zwischen erster und dritter Saule - aufgelost und durch einen einheitlichen Pfeiler (supranationales Unionsrecht) ersetzt werden soil, ist es konsequent, dass Art. III-271 II EU-Verfassung die strafrechtliche Rechtsangleichungskompetenz auch auf Regelungsbereiche erstreckt, auf denen bereits HarmonisierungsmaBnahmen erfolgt sind. Dabei handelt es sich vor allem um Materien, die bislang in der ersten Saule der EU (Gemeinschaftsrecht) angesiedelt waren^"^. Wahrend Art. III-271 I, II EU-Verfassung lediglich eine unionsweite Mindest- 46 angleichung des mitgliedstaatlichen Strafrechts vorsieht, lasst der in den Abschnitt „Betrugsbekampfung" eingefiigte Art. III-415 IV EU-Verfassung sogar die Moglichkeit unmittelbar geltender europaischer Straftatbestande in Form Europaischer Gesetze aufscheinen. Art. III-415 IV EU-Verfassung lautet: „Zur Gewahrleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten sowie in den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union werden die erforderlichen MaBnahmen zur Verhiitung und Bekampfung von Betriigereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, durch Europaisches Gesetz oder Rahmengesetz festgelegt. Es wird nach Anhorung des Rechnungshofs erlassen." Der Wegfall der in Art. 280 IV S. 2 EGV enthaltenen Vorbehaltsklauseps („Die 47 Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten ...bleibt unberiihrt") und die Auffiihrung des ,JEuropaischen Gesetzes" (Art. 1-33 I S. 2 EU-Verfassung) als zulassige Handlungsform lasst die Auslegung zu, dass auf der Grundlage des Art. III415 IV EU-Verfassung auch supranationale Straftatbestande erlassen werden dtirfen. Denkbar ware z. B. die Ausformulierung konkreter Strafvorschriften nach dem Modell des CJ (Rn. 32). Mit diesem Schritt ware der Durchbruch fiir ein Europaisches Strafrecht im engeren Sinne erzielt, wenngleich auch nur beschrankt auf den Bereich der EU-Betrugsbekampfung^^. Solche Europastraftaten im engen Sinne konnten von einer nach Art. III-274 I EU-Verfassung einzurichtenden Europaischen Staatsanwaltschaft verfolgt werden.
V. Bubnoff, Legislative Gestaltung, S. 101, 112 f:; Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 743; ders., JURA 2006, 173, 176; Ligeti, Strafrecht in der EU, S. 46 ff; Walter, ZStW 117 (2005), S. 912, 924 ff.; Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275, 284. Sie bildet eines der Hauptargumente gegen die Annahme einer Strafrechtsetzungskompetenz der EG gem. Art. 280 IV S. 1 EGV; vgl. hierzu Fromm, Finanzinteressen der EG, S. 304ff Ambos, IntStR, § 11 Rn. 13; Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697, 743 f.; ders., JURA 2006, 173, 176; Satzger, IntStR, § 7 Rn. 40 f.; Tiedemann, ZStW 116 (2004), S. 945, 954 ff.; Walter, ZStW 117 (2005), S. 912, 917 f.; Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275, 288.
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D. Literaturhinweise Brockhaus, Die Europaisiemng des Versuchs und Riicktritts im Wirtschaftsstrafrecht - Eine Untersuchung zu Art. llbis Corpus Juris 2000, ZIS 2006, 481 Dannecker, Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europaischen Gemeinschaft gegen Tauschung, ZStW 108 (1996), S. 577 ders.. Das Ubereinkommen iiber den Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften, in: Leitner (Hrsg.), Aktuelles zum Finanzstrafrecht, 1998, S. 9 ders., in: Wabnitz/Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl., 2004, 2. Kap. Rn. 43-48, Rn. 273-280 Fromm, Der strafrechtliche Schutz der Finanzinteressen der EG - Die Frage der Einfuhrung einer supranationalen Strafrechtskompetenz durch Artikel 280IV EGV, 2004, passim Groblinghoff, Die Verpflichtung des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europaischen Gemeinschaften, 1996, S. 149-166 Hecker, 1st die Zeit reif fiir die Schaffung eines „Europaischen Staatsanwaltes" zum Schutz der EG-Finanzinteressen?, in: Kube/Schneider/Stock (Hrsg.), Freundesgabe fiir A. Kreuzer, 2003, S. 181 Hedtmann, UnregelmaBigkeiten und Betrug im europaischen Agrarsektor, EuR 2002, 122 Hetzer, Europaische Betrugsbekampfung - Rechtsgiiterschutz und Grundrechte - Teil I -, ZfZ 2005, 185; Teil II, ZfZ 2005, 223 ders., Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union - Aufgaben und Befugnisse des Europaischen Amtes fiir Betrugsbekampfung (OLAF), Kriminalistik 2005, 419 Huber (Hrsg.), Das Corpus Juris als Gmndlage eines Europaischen Strafrechts, 2000, passim LigetU Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europaischen Union, 2005, S. 89-91; 215-218; 231-233; 273-295 Otto, Das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union, JURA 2000, 98 Radtke, Der Europaische Staatsanwalt - Ein Modell fiir Strafverfolgung in Europa mit Zukunft?, GA 2004, 1 Satzger, Gefahren fur eine effektive Verteidigung im geplanten europaischen Verfahrensrecht, StV 2003, 137 Sckwarzhurg/Hamdorf, Brauchen wir ein EU-Finanz-Strafgesetzbuch?, NStZ 2002, 617 Sieber, Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung zum Nachteil der Europaischen Gemeinschaft, SchwZStrR 114(1996), S. 357 ders., Auf dem Weg zu einem europaischen Strafrecht - Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union, in: Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Union, 1998, S. 2 ders., Bekampfung des EG-Betrugs und Perspektiven der europaischen Amts- und Rechtshilfe,ZRP 2000, 186 Tiedemann, DQT Schutz der Finanzinteressen der Europaischen Gemeinschaft, NJW 1990, 2226 Walter, Inwieweit erlaubt die Europaische Verfassung ein europaisches Strafgesetz?, ZStW 117 (2005), S. 912
E. Zusammenfassung von § 14
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Wattenberg, Der „Corpus Juris" - Tauglicher Entwurf ftir ein einheitliches europaisches Straf- und Strafprozessrecht?, StV 2000, 95 Woljfgang/Ulrich, Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften, EuR 1998, 616 Zieschang, Das Ubereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der EG und seine Auswirkungen auf das deutsche Strafrecht, EuZW 1997, 78
E. Zusammenfassung von § 14 Der EG-Finanzhaushalt bildet eine attraktive Zielscheibe fiir eine facettenreiche 48 Vielzahl betrligerischer Praktiken, welche letztlich darauf abzielen, das Finanzaufkommen der EG zu schmalern. Dabei sind auf der Einnahmenseite insbesondere die Zolle und Mehrwertsteuereinnahmen, auf der Ausgabenseite vor allem die Aufwendungen fiir die Agrar- und Strukturpolitik (Subventionen, Erstattungen) betroffen. Die zum Nachteil des EG-Finanzhaushalts begangenen Betrugs-, Steuer und Zolldelikte stellen typische Erscheinungsformen der - auch organisierten Wirtschaftskriminalitat dar. Sie werden von intelligent operierenden Tatern bzw. Tatergruppen mit der Zielrichtung begangen, durcli geschickte Manipulationen hohe Gewinne zu erzielen und zugleich Entdeckungsrisiken zu minimieren. Der Schutz der EG-Finanzinteressen steht daher seit Jahren im Zentrum der strafrechtsrelevanten Aktivitaten auf Gemeinschaftsebene. Die Mitgliedstaaten sind gem. Art. 280 I, II EGV zu einem effektiven Schutz der EG-Finanzinteressen verpflichtet. Zwar existieren in alien Mitgliedstaaten einschlagige Straftatbestande wie etwa 49 Betrug, Subventionsbetrug, Steuer- und Abgabenhinterziehung sowie Urkundenfalschung. Als problematisch erweist sich jedoch der Befund, dass diese Tatbestande in den jeweiligen Mitgliedstaaten inhaltlich zum Teil hochst unterschiedlich ausgeformt sind, etwa was die Strafbarkeit der Fahrlassigkeitstat, des Versuchs, die strafrechtliche Haftung juristischer Personen sowie die Art und Hohe der vorgesehenen Sanktionen betrifft. Die bisherige Entwicklung des Europaischen Strafrechts zum Schutz der EG-Finanzinteressen zielte deshalb auf die Schaffung eines strafrechtlichen Mindestschutzstandards in den Mitgliedstaaten ab. Eine Vorreiterrolle auf dem Weg zu einem gemeinschaftsweit angeglichenen Betrugstrafrecht nimmt das Ubereinkommen v. 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG (PIF-Konvention) ein, das am 17. Oktober 2002 nach iiber siebenjahriger Ratifikationsphase in Kraft trat. In Deutschland erfolgte die Umsetzung der PIF-Konvention durch das EGFinanzschutzgesetz vom 10. September 1998. Insbesondere im Rahmen des § 264 StGB (Subventionsbetrug) fiihrte die Anpassung an die Konventionsvorgaben zu einschneidenden Veranderungen. Als Modellkodifikation fiir ein kiinftiges supranationales oder harmonisiertes 50 Strafrecht konnte das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der Onanziellen Interessen der EG („Corpus Juris") von 1997 dienen, das in iiberarbeiteter Fassung (in Anlehnung an den Ort der Abschlusskonferenz)
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als „Corpus Juris Florence" im September 1999 dem EP vorgelegt wurde. Dieses Regelwerk schlagt die Einftihrung straf- und strafverfahrensrechtlicher Normen eines Europaischen Strafrechts vor. Materiellrechtlich ist das CJ auf eine voUstandige Vereinheitlichung der dort vorgesehenen Straftatbestande und Sanktionen, verbunden mit einem Allgemeinen Teil gerichtet. Verfahrensrechtlich wird die Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft und eines Freiheitsrichters vorgeschlagen. 51 Weitreichende Reformvorschlage finden sich auch in dem von der Kommission am 11. Dezember 2001 vorgelegten Griinbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europaischen Staatsanwaltschaft. Nach Auffassung der Kommission soil sich die Frage, wie das fur die Arbeit des Europaischen Staatsanwaltes notwendige gemeinsame materielle Recht am besten festgelegt werden kann, im Rahmen des Griinbuchs unter neuen Vorzeichen stellen. Das Mandat des Europaischen Staatsanwaltes soil materiellrechtlich jedenfalls kein umfassendes sein, sondern sich entsprechend der Zielrichtung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europaischen Gemeinschaft auf einen bestimmten Katalog einschlagiger Delikte beschranken. Die Kommission betont, dass der Schwerpunkt der derzeitigen Hindernisse bei der transnationalen Strafverfolgung in den Unterschieden der nationalen Rechtssysteme im Vor- und nicht etwa im Hauptverfahren begriindet liege. Dementsprechend legt sie besonderes Gewicht auf die Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens. Um auf supranationale Regelungen verzichten zu konnen, schlagt die Kommission vor, den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Leitprinzip des europaischen Ermittlungsverfahrens zu erheben. 52 Der Durchbruch zu einem Europaischen Strafrecht im engeren Sinne konnte auf der Grundlage der zuktinftigen Europaischen Verfassung gelingen. Nach Art. III-415 IV EU-Verfassung diirfen - bezogen auf den Schutz der EUFinanzinteressen - auch supranationale Straftatbestande in Form Europaischer Gesetze erlassen werden. Solche Europastraftaten im engen Sinne konnten von einer nach Art. III-274 I EU-Verfassung einzurichtenden Europaischen Staatsanwaltschaft verfolgt werden.
Stichwortverzeichnis
Abkommen von Schengen (Schengen I) 5 30 Abschreckungserfordemis 7 63 ff. Abtreibungstourismus 2 25 ff., 9 36 ff, Aburteilung 13 26 ff. Akteneinsichtsrecht 3 53 Aktives Personalitatsprinzip 2 45 f. Allgemeine Erklarung der Menschenrechte 5 5 AmtsanmaBung 10 65 f. Amtstrager ~begriffl0 38,65, 70,72 Analogieverbot 10 26, 34 Annexkompetenzen 8 43 Anti-Folter-Komitee 3 6 Anweisungskompetenz Begriindungsansatze fiir eine strafrechtliche ~ der EG 8 37 ff. Grenzen der strafrechtlichen ~ 8 63 ff. Reichweite der strafrechtlichen ~ 8 70 ff. Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts 7 49, 9 8 ff. Assimiliemngsprinzip 7 1 ff., 27 ff. Auslegung autonome ~ der Gemeinschaftsrechtsbegriffe 7 56 autonome ~ der Konventionsrechte 3 35 contra legem 10 26, 38, 62 gemeinschaftsrechtskonforme - 7 6, 15, 71,75,101 Grenzen der gemeinschaftsrechtskonformen ~ 10 34 ff. rahmenbeschlusskonforme ~ 10 79 ff. richtlinienkonforme ~ 10 2 strafbarkeitserweitemde gemeinschaftsrechtskonforme ~ 10 60 ff. Auslegungsmonopol 6 3 Ausliefemng 2 64, 69 ff., 12 13 ff., 38 ff. EuAltJbK 12 14 EUAU12 18 Europaischer Haftbefehl 12 19 ff.
Ausliefemngshindemisse 2 75, 3 37 ff. Auslieferungsrecht 2 70 ff. Ausliefemngsverbote 3 37 ff. Auslieferungsverfahren 2 76 ff. Auslieferangsverkehr 2 70,12 14 ff. Aussagedelikte 7 10 ff. Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der -10 69 AuBerungsdelikte ~ im Internet 2 32 ff. Ausweisung lebenslange ~ 9 50 B Easier Ubereinkommen (BU) 5 9, 8 33 Beschrankungsverbote 9 41 Bestechung EU-BestG 5 15 IntBestG5 15 Rahmenbeschluss zur Bekampfung der ~ im privaten Sektor 11 108 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 7 83 f., 104 ff., 10 52, 54 f. Betrug gegen EG-Finanzinteressen 14 10 ff. Betrugsbekampfung 14 16 ff. Bevolkemngsklausel 4 14 Beweisanordnung Europaische -12 9 ff. Bilaterale Zusammenarbeit mit Drittstaaten 5 2,26,51 - am Beispiel des deutschschweizerischen Polizeivertrags 5 79 ff. Binnenmarkt 8 40 Blankettstrafnormen 7 79 ff.
Cassis de Dijon 9 34,12 56 Cyber Crime 11 118 Cyber-Crime-Konvention des Europarats3 1 1 , l l 119 Rahmenbeschluss zum Schutz vor Angriffen auf Informationssysteme 11 117
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Stichwortverzeichnis
Comite Europeen de la Lutte Antidrogue (CELAD) 5 29 Corpus Juris 14 31 ff. D Denial of Service-Angriff 11 127 Deutscher ~ als Opfer einer Straftat 2 47 ~ als Tater einer Straftat 2 45 ff. Deutsch-schweizerischer Polizeivertrag 5 79 ff. Dienstleistungsfreiheit aktive ~ 9 32, 40 ff. passive ~ 9 37, 40 ff. Direct Enforcement Model 2 85 Diskriminierung -sverbot 9 14, 40 geschlechtsspezifi^che - 1 0 5 Inlander- 9 35, 40 Distanzdelikte 2 32 ff. Doppelbestrafung -sverbot als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts 13 3 -sverbot im nationalen Recht 13 2, 4 EG-ne bis in idem-Ubk 13 10 Europaisches Ubereinkommen tiber die Internationale Geltung von Strafurteilen 13 9 transnationales Verbot der - in der EU 13 1 ff., 26 ff. volkerrechtliches Verbot der - 13 2 Doppelte Mehrheit Prinzip der -n Mehrheit 4 13 Drogenhandel 5 8, 56, 64 f., 11 2, 68 ff. Rahmenbeschluss zur Bekampfung des illegalen ~s 11 70 ff. UN-SuchtstoffubK 5 8 Durchgriffswirkung -von Richtlinien 4 65 E EG-Kommission 4 18 ff. Einzelermachtigung Prinzip der begrenzten -4 54 Einziehung von Ertragen aus Straftaten 5 20 Entsprechungsklausel 7 105 Erfolgsort 2 - bei Gefahrdungsdelikten 2 35 ff., 38 ff. - beim Unterlassungsdelikt 2 17, 20
- beim versuchten Delikt 2 17, 19, 23 - beim voUendeten Delikt 2 17, 19 - der Teilnahme 2 17, 21 f. Ermittlungsgrundsatz 6 17 Euro Rahmenbeschluss zum strafrechtlicher Schutzdes-8 19,1113 Verordnung des Rates tiber die Einfuhrungdes - 8 16ff. Eurojust 5 73 ff. Europa - als kriminalgeographischer Raum 1 33 - der zwei Geschwindigkeiten 5 30 Europaische Atomgemeinschaft (EAG) 4 2 Europaische Beweisanordnung 12 9 ff. Europaische Gemeinschaft (EG) 4 2 ff. Europaische Gemeinschaft fur Kohle und Stahl (EGKS) 4 2 Europaische Menschenrechtskonvention (EMRK)3 4, 18ff. Europaische Staatsanwaltschaft 14 33, 37 ff., 46 Europaische Union (EU) 4 103 ff. Europaische Verfassung 1 3 Europaischer Gerichtshof (EuGH) 4 41 ff. strafrechtsrelevante Aktivitaten des - 4 50 Europaischer Gerichtshof fiir Menschenrechte (EGMR) 3 6, 20 ff., 24 ff. Europaischer Haftbefehl 12 19 ff. Europaischer Rat 4 9 Europaischer Rechnungshof 4 51 ff. Europaisches Amt fiir Betrugsbekampfung (OLAF) 4 28 ff. Europaisches Ausliefemngsiibereinkommen (EuAlUbk) 2 70, 3 11, 13, 16,12 14 Europaisches Gesetz 4 63 Europaisches Haftbefehlsgesetz (EuHbG) 12 41 ff. Europaisches Justizielles Netz (EJN) 5 68 Europaisches Kartellrecht 4 23, 79, 102 Europaisches Parlament 4 34 ff. strafrechtsrelevante Aktivitaten des - 4 40 Europaisches Rahmengesetz 4 66 Europaisches Strafrecht 1 5 ff. Europaisches Ubereinkommen tiber die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRhUbk) 3 11, 13, 16,12 4 f.
Stichwortverzeichnis Europaisches Ubereinkommen iiber Geldwasche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten 5 20 Europaisches Ubereinkommen zur Datennetzkriminalitat 5 23 Europaisches Verfassungsrecht 117 Europaisches Verwaltungssanktionenrecht 4 82 Europaisierung ~ des nationalen Strafrechts 1 5 ff. -seffekte 1 21 ff. Europarat 3 1 ff. Europarecht 116 European Commitee on Crime Problems (ECCP)3 10 European Drug Unit (EDU) 5 59 f. EuropolS 61 ff.
Fahndungskategorien im SIS 5 53 Fahrlassigkeitsdelikte Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der ~ 10 76 ff. Fair-trial-Prinzip 3 52 ff. Financial Action Task Force on Money Laundering (FATE) 5 16 Flaggenprinzip 2 44 Folterverbot3 39,42,75 Frage- und Konfrontationsrecht 3 56 ff. Freiheitsrichter 14 34 Fremdenfeindlichkeit 11 134 ff. Rahmenbeschlussvorschlag zur Bekampfung von Rassismus und ~ 11 136 ff. Frustrationsverbot 10 31 Fusionsvertrag 4 2, 6
Gebietsgrundsatz siehe Territorialitatsprinzip Gegenseitige Anerkennung 9 13, 25, 47,12 9, 33, 48 ff. ~ der Wirkung von Verurteilungen 12 51 ~ im Rahmen des transnationalen Doppelbestrafungsverbots 13 57 Tragfahigkeit der ~ beim transnationalen Beweistransfer 12 58 ff. ~ von Sanktionen 12 49 Geheimhaltungspflichten Verletzung von ~ 7 16 f.
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GeldbuBen4 79 Geldwasche Europaisches Ubereinkommen iiber ~ sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Ertragen aus Straftaten 5 20 Phanomen der ~ 8 9, 55 Rahmenbeschluss zur Bekampfung der ~ 8 15,11 45 Geldwascherichtlinie 8 1, 9, 11, 13 ff. Gemeinsame Agrarpolitik 8 45 Gemeinsame AuBen- und Sicherheitspolitik (GASP) 4 58 Gemeinsame Verkehrspolitik 8 46 Gemeinsamer Markt 8 40 Gemeinschaftsrecht ~ als Obergrenze fur nationales Strafrecht7 44ff., 51ff. ~ als Untergrenze fiir nationales Strafrecht 7 39 ff. Rechtsquellen und Charakteristika des ~s 4 54 ff. Vorrang des ~s 4 60, 9 1 ff. GemeinschaftsrechtsakzessorischesBlankettstrafrecht 7 79 ff. Gemeinschaftsrechtsfreundliche Auslegung 10 9 Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 101 Anwendungsfelder der ~ im Strafrecht 10 64 ff. Begrtindung der Pflicht zur ~ 10 6 ff. Grenzen der Pflicht zur ~ 10 34 ff. strafbarkeitserweitemde ~ 10 60 ff. Gemeinschaftsstrafrecht 7 8 Gemeinschaftstreue 7 2 Genuine link 2 10 Gleichstellung der Beamten 5 46 ff. Gleichstellungserfordemis 7 27 ff. Gleichstellungsklauseln 7 71 ff. Grenziiberschreitende Nacheile 5 42 ff., 90 ff. Grenziiberschreitende Observation 5 37 ff., 86 ff. Grenziiberschreitende Werbekampagne 9 34 f. Griechischer Maisskandal 7 27 ff. Griinbuch 14 37 ff. Grundrechtscharta der EU 13 3
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Stichwortverzeichnis
H Hacking 10 88,11118, 124, 132 Haftbefehl Rahmenbeschluss Europaischer ~ 12 19 ff. Europaisches -sgesetz (EuHbG) 12 38 ff. Handlungsort 2 17 f., 34,40 Harmonisiemng ~ des Strafrechts mittels Anweisungen derEG8 21ff. ~ des Strafrechts im Rahmen der dritten SaulederEUlllff. Harmonisiemngsbefugnisse allgemeine ~ 8 40, 49 ff. Annexkompetenzen 8 43 spezielle ~ 8 40, 45 ff. Herkunftslandprinzip 12 57
Immunitatenprotokoll 5 61 Implied powers 4 50, 89,101, 8 43 Indirect Enforcement Model 2 85 Individualbeschwerde 3 20, 23 f., 26 ff. Individualschutzprinzip 2 49 Informationsaustausch tiber Strafregistereintrage 12 53 Informationssysteme 11 117 ff. Denial of Service-Angriff 11 127 Hacking 10 88,11 118, 124,132 Rahmenbeschluss zum Schutz vor Angriffenauf~11120ff. Informelle Zusammenarbeit 5 2,18, 26 ff. Inlanderdiskriminiemng 9 35, 40 Inlandsbegriff 2 13 Inlandstaten Anwendung des deutschen Strafrechts auf ~ 2 13ff. Insider-RichtUnie 8 34 Intergouvemementale Zusammenarbeit in der EU4 107,5 25ff. Intemational-arbeitsteilige Strafrechtspflege 5 1,11 Iff., 13 39 Intemationaler Pakt fiir btirgerliche und politische Rechte (IPBPR) 5 5,13 3 Intemationaler Strafgerichtshof (IStGH) 2 86 Internationales Strafrecht 2 2 ff. Interpol 5 3 Irrefiihrungsverbot lebensmittelrechtliches ~ 10 15 ff. gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des ~s 10 19 ff.
Jurisdiktionskonflikte 2 59 ff. K Kautionsverfall 4 82 Kinderpomographie 11 96 ff, Rahmenbeschluss zur Bekampfung der ~ 11 96 ff. KoUision direkte ~ 9 21 echte~915ff. indirekte ~ 9 21 ff. scheinbare - 9 15 Kommission der EG 4 18 ff. strafrechtsrelevante Aktivitaten der ~ 4 25 ff. Kompetenzverteilungsprinzip 2 59 Komplementaritat 2 89 f. Konferenz von Rom 2 86 Kongress der Gemeinden und Regionen Europas 3 5 KontroUierte Liefemng 5 10, 33, 98 ff. Konventionsorgane der EMRK 3 24 f. Konventionsrechte als Auslieferungshindernis 3 37 ff. Kormptionsbekampfung OECD-Konvention zur Bekampfung der Kormption5 13 Strafrechtskonvention zur ~ 5 22 Kriminalitat Organisierte - 5 18, 27, 59, 65, 73, 76, 88,112,11 Kriminalpolitik Europaische ~ 1 10 f. Kriminologie 115
Lebensmittelstrafrecht 7 98 ff., 9 13,10 15 ff., 18 ff. Legitimierender Ankntipfungspunkt 2 10, 12,60 Lex-mitior-Gmndsatz 1 22, 7 96, 9 17 ff. Lockspitzel 3 54 Lotterieveranstaltung grenzuberschreitende ~ 9 32 Werbung fur ~ 9 32 Loyalitatsgebot 7 2, 4 ff., 10 6, 86
Stichwortverzeichnis M Mehrphasiger Interpretationsakt 10 2, 23 f. Menschenhandel 11 24 Rahmenbeschluss zur Bekampfung des ~s 11 25 ff. Menschenrechtsschutz 3 21 ff. Mindesthochststrafe 11 5 Mindesttrias 7 27 ff., 63 ff. Mindestvorschriften ~ zum Zwecke der Strafrechtsangleichung 11 2 ff. Ministerkomitee 3 4 f., 25, 31 N Ne bis in idem im nationalen Recht 13 2 ff. im allgemeinen Volkerrecht 13 2 transnationales ~ in der EU 13 1 ff., 26 ff. Neutralisiemng - v o n Strafrechtsnormen 9 10 ff. Nichteinmischungsgebot volkerrechtliches - 2 10 ff., 94 Nichtigkeitsklagen 4 48 Niederlassungsfreiheit 9 25, 38 ff., 46 f. Nostalgiewerbung 10 18 ff. Notwehr - im Lichte der EMRK 3 68 ff.
O OECD-Konvention zur Bekampfung der KorruptionS 13 Office de la Lutte Anti-Fraude (OLAF) 4 28 ff. Ordre Public 2 58, 75,12 32 Organe ~ d e r E G 4 6ff. ~ des Europarates 3 5 Organisation fur Wirtschafdiche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) 5 11 OrganleiheS 116 Organisierte Kriminalitat 5 18, 27, 59, 65, 73, 76,88,112,11
Parlamentarische Versammlung 3 5 Passives Personalitatsprinzip 2 47 PIF-Konvention 14 25 ff. Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) 5 69,12 1 ff.
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Polizeilicher Informationsaustausch 5 22, 34ff., 81 Primarrecht 4 59 f. Punitive Sanktionen 4 76 R Rahmenbeschluss ~ als neue Handlungsform im Rahmen der PJZS 5 71 ~ konforme Auslegung 10 79 ff. ~ iiber den Europaischen Haftbefehl 12 19 ff. ~ tiber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht 8 25 ff. ~ iiber die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und GeldbuBen 12 49 ~ iiber die Einziehung von Ertragen, Tatwerkzeugen und Vermogensgegenstanden aus Straftaten 11 11 ~ iiber die Stellung des Opfers im Strafverfahren 10 80, 83 ~ iiber gemeinsame Ermittlungsgruppen 11 66 f. ~ zum Schutz vor Angriffen auf Informationssysteme 11 117 ff. ~ zum strafrechtlicher Schutz des Euro 8 19,1113 ~ zur Bekampfung der Bestechung im privaten Sektor 11 108 ff. ~ zur Bekampfung der Geldwasche 8 15,11 45 ~ zur Bekampfung der Kinderpomographie 11 96 ff. ~ zur Bekampfung der Schleuserkriminahtat 11 33 ff. ~ zur Bekampfung des illegalen Drogenhandels 11 70 ff. ~ zur Bekampfung des Menschenhandels 11 25 ff. ~ zur Bekampfung von Betrug und Falschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln 11 87 ff. ~ zur Terrorismusbekampfung 11 53 ff. ~ zur Verstarkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekampfung der Verschmutzung durch Schiffe 11 86
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Stichwortverzeichnis
Rahmenbeschlussvorschlag ~ iiber bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europaischen Union 12 50 ~ liber den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfiigbarkeit 5 36 ~ iiber die Durchfiihrung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten 12 53 ~ iiber die Europaische Beweisanordnung 12 9 ff. ~ zur Beriicksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der EU ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren 12 51 ~ zur Bekampfung der organisierten Kriminalitat 11 11 ~ zur Bekampfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit 11 136 ff. ~ zur Verstarkung des strafrechtlichen Rahmens zur Ahndung der Verletzung geistigen Eigentums 11 86 Rassismus 11 134 ff. Rahmenbeschlussvorschlag zur Bekampfung von ~ und Fremdenfeindlichkeit 11 136 Rat der EG (EU) 4 7 ff. strafrechtsrelevante Aktivitaten des ~ 4 16 f. Rechtsetzungskompetenz strafrechtliche ~ der EG 4 72 ff., 101 Rechtsgiiter auslandische - 2 6 europaische (supranationale) ~ 7 34 inlandische ~ 2 5 f. Rechtshilfe in Strafsachen 2 64 ff., 69 ff., 12 2,4ff. EuRhUbk 12 5 Rechtshilferecht 2 70 ff., 12 4 ff. Rechtsschutz ~ gegen grenziiberschreitende StrafverfolgungSllOff. Rechtsprechungswandel 10 61 Richdinien 4 64 -recht und strafrechtliche Verantwortlichkeitl0 40ff.,45ff.,49ff. Erfordemis der Bestimmtheit von ~ 10 49 ff. Unmittelbare Anwendbarkeit von ~ 4 65
Richtlinienkonforme Auslegung 10 2 Beginn der Pflicht zur ~ 10 29 ff. Grenzen der Pflicht zur ~ 10 34 ff. Rom-Statut (IStGH-Statut) 2 86 ff. Riickverweisungsklausel 7 99 Riickwirkungsverbot 10 36, 43, 61 f., 84
Sanktionstypen des Gemeinschaftsrechts 4 78 ff. Schengen-acquis (Schengen-Besitzstand) 5 31,71 SchengenerDurchfiihrungsiibereinkommen (SDU) 5 30 ff. Schengener Informations system (SIS) 5 50 ff. Schleuserkriminalitat 11 11, 33 Rahmenbeschluss zur Bekampfung der - 11 33 ff. Schonungsgebot strafrechtsspezifisches ~ 8 70 Schutz der EG-Finanzinteressen 8 57 ff., 14 24 ff. Schutzbereich ~ eines Straftatbestandes 2 5 ff. Schutzbereichsausdehnung ~ auf Rechtsguter der EG 2 7 ff., 7 71, 74 ff. Schutzbereichsbeschrankung ~ auf inlandische Rechtsgiiter 2 5 f. S chutzverpflichtung ~ der EG-Mitgliedstaaten 7 2, 6, 19 ff. Schutzprinzip 2 48 Sekundarrecht 4 61 ff. Sondemormen 10 77 Sorgfaltspflichten Gemeinschaftsrechtliche Uberlagemng von ~ 10 77 f. Staatenbeschwerde 3 23 Staatenverbund EU als ~ 4 104 Staatsschutzprinzip 2 48 Strafanwendungsrecht 2 2 ff. Strafbarkeitsliicken ~ durch Austausch des Verweisungsobjekts 7 94 ff. Straferkenntnis 13 29 f. Strafgeld4 81 Strafklageverbrauch ~ auf Gemeinschaftsebene 13 3
Stichwortverzeichnis ~ im deutschen Recht 13 2 ff. transnationaler ~ 13 1 ff., 26 ff. Strafrecht im weiteren Sinne 4 76 Strafprozessuale Verfahrensgarantien 3 52 ff. Strafrechtsdogmatik 112 Strafrechtsetzungskompetenz der EG 4 72 ff., 101 Strafrechtsrelevante Garantien der EMRK 3 33 ff. Strafrechtsvergleichung 1 13 Strafverfahrensrecht 1 14 Strafzuschlage 4 82 Subsidiaritatsprinzip 8 64 ff., 11 6 Subventionskiirzungen 4 82 Subventionssperren 4 82 Supplementary Information Request at the National Entry (SIRENE) 5 52 Supranational Straftatbestande 14 47 Supranationale Verweisungen 7 8 ff. Supranationaler Gesamttatbestand 7 8, 13 f.
Tatortstrafbarkeit 2 45, 55 ff. Tempelarchitektur ~ der Europaischen Union 4 58, 106 Territorialitatsprinzip 2 13 ff. europaisches ~ 7 67 Terrorismus 5 18, 26, 56, 64, 70, 72, 88,11 2, 52 ff. Terrorismusbekampfung Rahmenbeschluss tiber gemeinsame Ermittlungsgruppen 11 67 f. Rahmenbeschluss zur -11 53 ff. Todesstrafe Verbot der ~ 3 40, 43 Todeszellensyndrom 3 41 Transactie 13 27 ff. Transnationales Strafrecht 2 63 ff. Treuepflicht siehe Loyalitatsgebot TREVI-Arbeitsgruppen 5 26 ff. U Ubiquitatsprinzip 2 17 Ubereinkommen iiber die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der EU (EURtJ) 12 7 Umsetzungsrecht 10 10 ff. Umweltdelikte Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der ~ 10 73 ff.
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grenzuberschreitende ~ 2 38 ff. Umweltschutz 8 21 ff., 47 f. Umweltstrafrecht Rahmenbeschluss liber den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht 8 25 ff. Richtlinienvorschlag iiber den strarechtlichen Schutz der Umwelt 4 27, 8 21 ff. UN-Anti-Folterkonvention 5 5 Unite de Coordination de la Lutte AntiFraude (UCLAF) 4 28 ff. United Nations (UN) 5 5 ff. UN-Sicherheitsrat sicherheitsratsgesttitzteZustandigkeit des IStGH 2 88 UN-SuchtstoffUbK 5 8 UN-TranskrimtJbK 5 10 Unschuldsvermutung 3 55 Untatigkeitsklagen 4 49 Untersuchungshaft 3 27, 53, 62 ff. iiberlange ~ 3 63 ff. Urkundendelikte Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der ~ 10 70 ff.
Verbraucherleitbild 10 19, 21 f. Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2 50, 84, 87, 97 Verdeckte Ermittlungen 5 10, 82, 84, 94 ff. Verdeckte Registrierung 5 55 Vereinte Nationen (UN) 5 5 ff. Verfahrensdauer iiberlange ~ 3 59 ff. Verfahrensverzogerungen vorlagebedingte ~ 6 22 Verfassung fiir Europa 1 3 VerhaltnismaBigkeitsprinzip gemeinschaftsrechdiches ~ 7 44 f., 48 f., 54, 68, 8 66 ff., 9 44 ff. Verordnungen 4 62 Vertrag von Amsterdam 4 39, 5 69 Vertrag von Maastricht 4 39, 5 56 Vertrag von Nizza 4 13, 5 73 Vertragsverletzungsklagen 4 47 Verwahmngsbruch 10 67 f. Verwaltungssanktionrecht Europaisches ~ 4 82 Verweisung dynamische ~ in Blankettstrafnormen 7 82 statische ~ in Blankettstrafnormen 7 81
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Stichwortverzeichnis
Volkermord 2 50, 84, 87, 92, 96 Volkerrechtll8,210ff. Volkerstrafgesetzbuch (VStGB) 2 92 ff. Volkerstrafrecht 2 83 ff. VoUstreckungshilfe 2 64,12 12 Vorabentscheidungsverfahren 4 45 f., 6 1 ff. ~ im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens6 18ff. ~ im Rahmen eines Haupt- und Zwischenverfahrens 6 16 f. ~ und strafprozessuale Maximen 6 15 ff. Funktion und Bedeutung des ~ 6 3 ff. Zulassigkeit des ~ 6 6 ff. Vorlageermessen 6 6, 17 Vorlagepflicht 6 7 Missachtung der ~ 6 5 Vorrang des Gemeinschaftsrechts 4 60, 9 Iff. Anwendungs- 4 60, 9 8 ff. begrenzter ~ 9 5 ff. Geltungs- 9 8 unbeschrankter ~ 9 3 f. W Warenverkehrsfreiheit 9 13, 34 Werbung grenzuberschreitende ~ 9 34 f. Weltrechtsprinzip 2 50 f., 93 Wettbewerbsverzerrang 8 21, 45,48, 51, 54 Wiener Ubereinkommen uber das Recht der Vertrage 13 35 Wirksamkeitserfordemis 7 63 ff. Wortlaut ~ als auBerste Grenze der Auslegung im Strafrecht 10 5, 34
Zahlungsmittel Rahmenbeschluss zur Bekampfang von Betrug und Falschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln 11 87 ff. Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZB JI) 5 56 Zuwiderhandlung gegen EG-Verordnung 7 86 ff. Zwangsgeld 4 47, 80