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German Pages 585 Year 1988
Geschichtswissenschaft in der DDR Band I
SCHRIFTENREIHE DER GESELLSCHAFT FÜR DEUTSCHLANDFORSCHUNG BAND 25/1
Geschichtswissenschaft in der DDR Band I: Historische Entwicklung, Theoriediskussion und Geschichtsdidaktik
Herausgegeben von
Alexander Fischer· Günther Heydemann
Duncker & Humblot . Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Geschichtswissenschaft in der DDR I hrsg. von Alexander
Fischer; Günther Heydemann. - Berlin: Duncker u. Humblot. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung; Bd. 25) ISBN 3-428-06560-3 NE: Fischer, Alexander [Hrsg.]; Gesellschaft für Deutschlandforschung: Schriftenreihe der Gesellschaft ... Bd. 1 (1988) ISBN 3-428-06570-0
Alle Rechte vorbehalten © 1988 Duncker & Humb10t GmbH, Berlin 41 Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3428-06560-3 (Gesamtausgabe) ISBN 3428"()6570"() (Bd. I)
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ........................................
IX
Mitarbeiterverzeichnis .........................................
XIII
Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XV
I. Einleitung Alexander Fischer und Günther Heydemann Weg und Wandel der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsverständnisses in der SBZ/DDR seit 1945 ..............................
3
11. Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR Horst Möller Geschichte im demokratischen Pluralismus und im Marxismus-Leninismus.....................................................
33
Alexander Fischer Der Weg zur Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft in der SBZ 19451949 ....................................................
45
U1rich Neuhäußer-Wespy Aspekte und Probleme der Umorientierung in der Geschichtswissenschaft der DDR von 1971/72 ......................................
77
Johannes Kuppe Die Geschichtsschreibung der SED im Umbruch
103
Inhaltsverzeichnis
VI Ulrich Neuhäußer-Wespy
Erbe und Tradition in der DDR. Zum gewandelten Geschichtsbild der SED
129
Georg G. Iggers Einige Bemerkungen zu neueren historischen Studien aus der DDR
155
III. Theorie- und Methodenprobleme
Hans-Georg Wolf Die Geschichtswissenschaft in der DDR im Rahmen der Gesellschaftswissenschaften. Eine Bestandsaufnahme in Selbstzeugnissen . . . . . . . . . .
179
Arnold Sywottek .. Marxistische Historik": Probleme und Scheinprobleme
255
Tilman P. Koops Die Kritik der westdeutschen Methodendiskussion in der .. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ......................................
269
Günther Heydemann Der Theorieboom in der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR seit 1967. Ursachen - Entwicklung - Perspektiven. . . . . . . .
289
Jörn Rüsen und Zdenek Vasicek Geschichtswissenschaft zwischen Ideologie und Fachlichkeit. Zur Entwicklung der Historik in der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
Helmut Rumpier Parteilichkeit und Objektivität als Theorieproblem der Historie in der DDR....................................................
333
Christina von Buxhoeveden und Mechthild Lindemann Das Problem der Periodisierung in der Geschichtswissenschaft der DDR
363
Jürgen Kocka Zur jüngeren marxistischen Sozialgeschichte. Eine kritische Analyse unter besonderer Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Ansätze in der DDR
395
Carl-Ludwig Holtfrerich Zur Position und Entwicklung der Wirtschaftsgeschichte in der DDR seit 1960. Das ..Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte" .......... . . . . . . . . .
423
In haltsverzeich nis
VII
IV. Didaktik der Geschichte, Geschichtsunterricht und Historische Museen
Hans-Dieter Schmid Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft und der Geschichtsunterricht in der DDR ......................................
435
Gerhard Schneider Geschichtsmuseen und Geschichtsunterricht in der DDR
459
Dieter Riesenberger Entwicklung und Bedeutung der Geschichtsmuseen in der DDR
479
Karl-Ernst Jeismann Die Einheit der Nation im Geschichtsbild der DDR
511
V. Anhang
Autorenregister
537
Personenregister
545
Sachregister .................................................
550
Geographisches Register .......................................
563
Abkürzungsverzeichnis AGR AHR Art. ASG BRD BzG
=
BzK CDU, CD UD CEH CSR CSSR DA DDR DLZ DPZI DS DUZ DZPh EA EHR EOS ESS FAZ FDJ FDP FuF GBI Gewifa GG GI GS GSSD
=
= = =
= = =
=
=
Arbeitsgemeinschaft nach Rahmenprogramm "American Historical Review", New York Artikel "Archiv für Sozialgeschichte", Bonn Bundesrepublik Deutschland "Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" bzw. (ab 1969) "Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung", Berlin (Ost) "Beiträge zur Konfliktforschung" , Köln Christlich-Demokratische Union Deutschlands "Central European History" , Atla~ta Tschechoslowakische Republik (Ceskoslovenska republika) Tschechoslowakische Sozialistische Republik (Ceskoslovenska socialisticka republika) "Deutschland Archiv", Köln Deutsche Demokratische Republik "Deutsche Lehrerzeitung" , Berlin (Ost) Deutsches Pädagogisches Zentralinstitut, Berlin (Ost) "Deutsche Studien", Lüneburg "Deutsche Universitätszeitung" , Stuttgart "Deutsche Zeitschrift für Philosophie", Berlin (Ost) "Europa Archiv", Bonn "Economic History Review", New York Erweiterte Oberschule Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Frankfurt a. M. Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei "Forschungen und Fortschritte", Berlin (Ost) Gesetzblatt Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät "Geschichte und Gesellschaft", Göttingen Gese!lschaftswissenschaftliche Informationen "Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde", Berlin (Ost) Gruppe der Sowjetischen Streitkrafte in Deutschland
x
Abkürzungsverzeichnis
GSR GWB GWU HG HZ Jb JbfVK JbG JbWG JCH JEH JGMOD KPD KPdSU LDPD MEW MfDG NATO ND NDL NMK NPD NPL NRW NSDAP NW PH RGW SBZ SED SMA,SMAD SPD StR SWF TH UdSSR USA
=
= =
=
=
USPD VEB
Vfz
=
"German Studies Review", Tempe, Arizona Gesellschaftswissenschaftliche Beiträge "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht", Stuttgart "Hansische Geschichtsblätter", Köln/Wien "Historische Zeitschrift", München Jahrbuch "Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte", Berlin (Ost) "Jahrbuch für Geschichte", Berlin (Ost) "Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte", Berlin (Ost) "J ournal of Contemporary History" , London "Journal of Economic History" , Wilmington "Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands" , Berlin Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Karl Marx/Friedrich Engels, Werke Museum für Deutsche Geschichte, Berlin (Ost) Nordatlantikpakt-Organisation (North Atlantic Treaty Organization) "Neues Deutschland", Berlin (Ost) "Neue Deutsche Literatur", Berlin (Ost) "Neue Museumskunde" , Berlin (Ost) Nationaldemokratische Partei Deutschlands "Neue Politische Literatur", Stuttgart Nordrhein-Westfalen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei "Neuer Weg", Berlin (Ost) Pädagogische Hochschule Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sozialdemokratische Partei Deutschlands "Staat und Recht", Berlin (Ost) Südwestfunk, Baden-Baden Technische Hochschule Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Vereinigte Staaten von Amerika (United States of America) Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Volkseigener Betrieb "Vierte1jahrshefte für Zeitgeschichte", München
Abkürzungsverzeichnis VHD VR WM
XI
= Verband der Historiker Deutschlands = Volksrepublik = "Wissenschaftliche Mitteilungen der Historiker-Gesellschaft der DDR", Berlin (Ost) "Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-ArndtWZ Greifswald. GS Universität Greifswald. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe", Greifswald WZ Halle-Wittenberg. = "Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-UniverGS sität Halle-Wittenberg. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe", Halle a. d. S. WZ Leipzig. GS = "Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe", Leipzig WZ Magdeburg = "Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Hochschule ,Otto von Guericke"', Magdeburg ZfG = "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft", Berlin (Ost) ZfO = "Zeitschrift für Ostforschung" , Marburg Zentralkomitee ZK
=
Mitarbeiterverzeichnis Buxhoeveden, Christina von, Dr. phil.; Journalistin; "Kölner Stadt-Anzeiger", Köln Fischer, Alexander, Dr. phil.; o. UProf.; Seminar für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Heydemann, Günther, Dr. phil.; wissenschaftlicher Mitarbeiter; Deutsches Historisches Institut London Holtfrerich, CarI-Ludwig, Dr. rer. pol., Dipl.-Volksw.; o. UProf.; John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien / Abteilung für Wirtschaft der Freien Universität Berlin Iggers, Georg G., Dr. phil.; Prof.; Department ofHistory / Faculty ofSocial Sciences, University at Buffalo / State University of New York Jeismann, Karl-Ernst, Dr. phil.; o. UProf.; Institut für Didaktik der Geschichte der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Kocka, Jürgen, M. A., Dr. phil. ; o. UProf.; Stiftungsprofessur für Geschichte der industriellen Welt an der Freien Universität Berlin Koops, Tilman P., Dr. phil.; Referatsleiter; Bundesarchiv Koblenz Kuppe, Johannes, Dr. rer. pol., Dipl.-Pol.; Referatsleiter; Gesamtdeutsches Institut Bonn Lindemann, Mechthild, M. A.; wissenschaftliche Mitarbeiterin; Seminar für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen F riedrich-Wilhelms-Universität Bonn Möller, Horst, Dr. phil.; o. UProf.; Institut für Geschichte der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-N ürnberg Neuhäußer-Wespy, Ulrich, M. A., Dr. phi!.; wissenschaftlicher Mitarbeiter; Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg
XIV
Mitarbeiterverzeichnis
Riesenberger, Dieter, Dr. phi!.; o. UProf.; Fachbereich 1 (Philosophie, Geschichte, Geographie, Religions- und Gesellschaftswissenschaften) der Universität / Gesamthochschule Paderborn Rumpier, Helmut, Dr. phi!.; o. UProf.; Institut für Geschichte der Universität Klagenfurt Rüsen, Jörn, Dr. phi!.; o. UProf.; Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum Schmid, Hans-Dieter, Dr. phi!.; Akademischer Rat; Fachbereich Erziehungswissenschaften I / Lehrgebiet Geschichte und ihre Didaktik der Universität Hannover Schneider, Gerhard, Dr. phi!.; UProf.; Fachbereich Erziehungswissenschaften I/Lehrgebiet Geschichte und ihre Didaktik der Universität Hannover Sywottek, Arnold, Dr. phi!.; UProf.; Historisches Seminar der Universität Hamburg Vasicek, Zdenek, Dr. phi!.; wissenschaftlicher Mitarbeiter; Ecole pratique des Hautes Etudes, IVe Section, Sciences historiques et philologiques a la Sorbonne, Paris Wolf, Hans-Georg, Dr. paed., Dip!.-Päd.; Lehrer; Fürstenberg-Schule, Münster
Vorwort der Herausgeber* Die fortwirkende Auseinandersetzung über die angemessene Interpretation und die historische Einordnung des "Dritten Reiches" und seiner Verbrechen hat hierzulande erst in jüngster Zeit wieder deutlich werden lassen, wie sehr Geschichte als vergangene Wirklichkeit die Realität der Gegenwart immer wieder einzuholen vermag. Diese Erkenntnis gilt für die Deutschen in besonderem Maße, weil sich die Teilung ihrer Nation und die daraus hervorgegangene Existenz zweier Staaten mit gegensätzlichen Gesellschaftssystemen als eine schmerzliche Konsequenz aus der jüngsten deutschen Geschichte ergeben hat. Geschichtswissenschaftliche Forschung und historiographische Darstellung besitzen in Deutschland traditionell einen hohen Stellenwert; sie haben jedoch durch ihre gegenwärtige Doppelexistenz ein besonderes Gewicht erlangt: solange nämlich, wie zwei deutsche Staaten mit dem Anspruch miteinander konkurrieren, "jeweils die vernünftige Konsequenz aus der deutschen Geschichte gezogen zu haben". Dem daraus resultierenden Legitimitätsanspruch, von dem die Bundesrepublik Deutschland wie die Deutsche Demokratische Republik gleichermaßen ausgehen, entspricht die in beiden deutschen Geschichtswissenschaften vorhandene Auffassung, die jeweils richtige Interpretation der deutschen Geschichte vorzunehmen und anzubieten. Der auf diese Weise - übrigens schon vor der Entstehung der beiden deutschen Staaten - entstandene "Historikerstreit" hat es den deutschen Geschichtswissenschaftlern aufbeiden Seiten der innerdeutschen Grenze schwer gemacht, im "Bewußtsein einer gemeinsamen Geschichte, auf die wir verschiedene Antworten geben", die Nation - "solange uns die staatliche Einheit verwehrt ist" - "als dialektische Einheit" zu praktizieren, wie Karl Dietrich Erdmann bereits im Jahre 1977 kritisch angemerkt hat. 1 Tatsächlich spiegelte und spiegelt das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Geschichtswissenschaften nur eine weitere Ebene der problem beladenen "deutsch-deutschen" Beziehungen wider.
* Die folgenden, in der Herstellungsphase des Bandes erschienenen Veröffentlichungen konnten von den Herausgebern für die Einleitung nicht mehr berücksichtigt werden: Eberhard Kuhrt/Henning von Löwis, Griff nach der deutschen Geschichte. Erbeaneignung und Traditionspflege in der DDR, Paderborn 1988; Walter Schmidt, Aspekte der Erbe- und Traditionsdebatte in der Geschichtswissenschaft,'Berlin (Ost) 1988; ders., Erbe und Tradition im Geschichtsverständnis der DDR, in: Einheit, 43. Jg. (1988), H. 7, S. 637 ff.; und Walter Wimmer, Nachdenken über Geschichte, ebd., S. 645 ff. I Karl Dietrich Erdmann, Die Nation im geteilten Deutschland, in: GWU, 28. Jg. (1977), H. 12, S. 749.
XVI
Vorwort der Herausgeber
Lange Zeit haben Historiker aus der Bundesrepublik Deutschland zu ihren Kollegen in der DDR und damit zur dort vorherrschenden marxistisch-leninistischen Interpretation der deutschen Geschichte kein rechtes Verhältnis finden können. Die Frage, ob eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser - im doppelten Wortsinne - "anderen" deutschen Geschichtswissenschaft überhaupt sinnvoll und wissenschaftlich lohnend sei, ist von westdeutschen Historikern geraume Zeit sogar rundweg verneint worden. Bis in die 70er Jahre hinein wurde hierzulande der Anschein erweckt, als existiere nur eine legitime deutsche Geschichtswissenschaft, nämlich die eigene. Was da aus dem anderen Teil Deutschlands, aus der "Zone", herüberdrang und allenfalls gelegentlich zur Kenntnis genommen wurde, war Klio als Unperson - eine Muse, die eigentlich den Namen nicht verdiente und mit der das Gespräch nicht lohnte. Aus dieser Ignoranz gegenüber der anderen, der zweiten deutschen Historiographie und ihren Forschungsergebnissen entwickelte sich zwangsläufig ein Informationsdefizit, das zudem häufig genug nicht einmal wahrgenommen wurde. Demgegenüber lag und liegt - spiegelbildlich gesehen - in der SBZI DDR im Hinblick auf die Beobachtung der westdeutschen Geschichtswissenschaft ein völlig anderer Tatbestand vor. Dort ist - schon vor dem Bestehen einer personell und institutionell leistungsfähigen marxistisch-leninistischen Historiographie - die westdeutsche Klio stets Gegenstand einer konzentrierten und kontinuierlichen Beobachtung gewesen - freilich verbunden mit einer nahezu ausschließlich diffamierenden Polemik, die erst in jüngster Zeit auch moderateren Formen der Auseinandersetzung gewichen ist. Bis in die 60er Jahre hinein kam die intensive Observierung der westdeutschen Geschichtsschreibung durch die Historiker in der DDR bisweilen einer geradezu einseitigen Fixierung gleich, die sogar die Beschäftigung mit der -im offiziellen Sprachgebrauch als Vorbild gepriesenen - sowjetischen Geschichtswissenschaft in den Hintergrund treten ließ. Eine solche wissenschaftshistorische Skizzierung des antagonistischen Verhältnisses der beiden deutschen Geschichtswissenschaften nach 1945 mag auf den ersten Blick befremden oder gar als zu grobschlächtig erscheinen. Indessen bestätigt eine Reihe von Faktoren, die das vorwiegend gespannte Verhältnis der beiden deutschen Geschichtswissenschaften zueinander über Jahrzehnte hinweg bestimmt haben, ja z. T. heute noch bestimmen, den Sachverhalt: Zu nennen ist zunächst die Atmosphäre des Kalten Krieges mit all ihren - über die unmittelbar ideologisch-politischen Konsequenzen hinausreichenden - Auswirkungen auch auf den Wissenschaftsbetrieb; sodann die damit eng zusammenhängende, maßgeblich vom stalinistischen Zugriff auf die Universitäten und Hochschulen in der SBZ/DDR geprägte Auseinanderentwicklung in theoretischer und methodischer, aber auch in organisatorischer Hinsicht; schließlich die sich daraus ergebende unterschiedliche
Vorwort der Herausgeber
XVII
Definition des Selbstverständnisses der Geschichtswissenschaft mit ihrer besonderen politisch-ideologischen, vor allem aber legitimatorischen Funktion im anderen Teil Deutschlands. Hinzu kam die über Jahre hinweg bestehende ideologisch-doktrinäre Stagnation der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR, die sie für jeden wissenschaftlichen Dialog nicht nur unaufgeschlossen, sondern auch uninteressant machte. Darüber hinaus sind auch die Auswirkungen der Ende der 60er Jahre einsetzenden "dritten großen Grundlagenkrise" (Theodor Schieder) der westdeutschen Geschichtswissenschaft zu bedenken, als die hiesige Historikerzunft - in einer Grundsatzdiskussion über Theorie- und Methodenfragen, ihre gesellschaftliche Standortbestimmung sowie den Abbau des Geschichtsunterrichts an den Schulen einzelner Bundesländer befangen - kaum imstande war, den Blick auf ihr Gegenüber in der DDR zu werfen. Eine seit Anfang der 70er Jahre in der westdeutschen Historiographie zu verzeichnende stärkere Hinwendung zu sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen ThemensteIlungen wie die damit eng verbundene intensivere Theorie- und Methodendiskussion ließ das Interesse in der Bundesrepublik an der marxistisch-leninistischen Geschichtsforschung in der DDR zwar allmählich wachsen, jedoch blieb die Geschichtsschreibung der DDR für die westdeutschen Historiker bis über die Mitte der 70er Jahre hinaus im großen und ganzen ein weißer Fleck auf der geschichtswissenschaftlichen Landkarte. Erst die nicht zuletzt in den hiesigen Massenmedien als sensationell empfundene und entsprechend spektakulär dargestellte historiographische Hinwendung der DDR zu Preußen sowie zu so bedeutenden Gestalten der deutschen Geschichte wie Martin Luther, Friedrich den Großen und Otto von Bismarck weckte seit 1980 das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an der "anderen" deutschen Geschichtswissenschaft. Auch wenn dieser nunmehr - vornehmlich für ihre Leistungen im letzten Jahrzehnt - qualitative Fortschritte auf einzelnen Forschungsgebieten attestiert werden konnten, ist unter den Historikern in der Bundesrepublik Deutschland die Bereitschaft, sich vorurteilslos mit den wissenschaftlichen Bemühungen ihrer Kollegen in der DDR auseinanderzusetzen, immer noch schwach entwickelt. Dementsprechend gering sind die Kenntnisse über Voraussetzungen, Entwicklung, Organisation und Forschungsstand der marxistisch-leninistischen Historiographie im anderen Teil Deutschlands. Nachdem mit den Ostverträgen, insbesondere mit dem im Jahre 1972 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR unterzeichneten Grundlagenvertrag, wenigstens Voraussetzungen für eine Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland geschaffen wurden, steht zu hoffen, daß vor allem nach dem Abschluß des Kultur- und des Wissenschaftsabkommens auch in den Beziehungen zwischen den Historikern der beiden deutschen Staaten eine Normalisierung eintritt. Wenn der wissenschaftliche Dialog nicht gerade dort begonnen wird,
XVIII
V orwort der Herausgeber
wo die Unterschiede besonders groß sind, aber auch da nicht autbört, wo Gegensätze deutlich und vielleicht sogar schmerzlich spürbar werden, dann könnten - ungeachtet der problematischen Ratschläge für die "geschichtsideologische Auseinandersetzung" aus der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED aus dem Jahre 1987 2 - die Aussichten wachsen, den wissenschaftlichen Disput auch zwischen den beiden deutschen Geschichtswissenschaften zu intensivieren. Wie bei allen gewiß noch vorhandenen - und z. T. unüberbrückbaren - Gegensätzen dennoch eine sachliche, engagierte und durchaus auch kontrovers geführte Diskussion die im Verhältnis zwischen den Vertretern der beiden deutschen Historiographien bisher weitgehend vorherrschende Polemik zu ersetzen vermag, hat jedenfalls ein im März 1987 von der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD mit Geschichtswissenschaftlern aus bei den deutschen Staaten veranstaltetes "historisches Historikertreffen" ("Die Zeit") zum Thema "Erben deutscher Geschichte - Bundesrepublik und DDR" unter Beweis gestellt. 3 Das Ziel dieser Bestandsaufnahme der "Geschichtswissenschaft in der DDR" ist es, auf der Grundlage wissenschaftlicher Einzelanalysen aus der Sicht von Historikern aus der Bundesrepublik Deutschland die Ergebnisse und Interpretationen der marxistisch-leninistischen Historiographie in der DDR kritisch zu würdigen. Dabei sollen geschichtswissenschaftliehe Forschungsleistungen deutlich gemacht, aber auch Versäumnisse, Defizite und Fehldeutungen nicht verschwiegen werden. Mit dem Versuch, die historische Wissenschaft, die politische Bildung und die historisch interessierte Öffentlichkeit hierzulande über Stand und Standard der "zweiten" deutschen Geschichtswissenschaft zu informieren, ist die Absicht verbunden, soweit wie möglich alle Fragestellungen und Forschungsfelder vorzustellen, mit denen sich die Historiographie in der DDR bisher auseinandergesetzt hat. Mit dem vorliegenden Band werden zunächst einige wichtige Aspekte ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung seit den Anfängen in der SBZ, außerdem die Diskussion von Theorie- und Methodenproblemen sowie schließlich die in der DDR praktizierte didaktische Umsetzung von Geschichte ins Blickfeld gerückt. Im weiteren Verlauf des Vorhabens sollen kritische Analysen der marxistisch-leninistischen Deutung historischer Epochen und Einzelprobleme von der Vor- und Frühgeschichte bis hin zur jüngsten Zeitgeschichte folgen. Wo immer es sich durchführen ließ, wurde angestrebt, das in der 2 Vgl. Gerhard Lozek, Aktuelle Probleme der Auseinandersetzung mit der nichtmarxistischen Geschichtsschreibung in der BRD und anderen kapitalistischen Ländern, in: GS, 29. Jg. (1987), H. 10, S. 764 ff.; dazu den Artikel "SED-Gesellschaftswissenschaftler zur ideologischen Auseinandersetzung mit westlichen Historikern", in: Informationen, hrsg. vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Nr. 22 vom 4. 12. 1987, S. 16 ff. 3 Die Beiträge und Stellungnahmen dieser Tagung dokumentiert ein Taschenbuch: Susanne Milier/Malte Ristau (Hrsg.), Erben deutscher Geschichte. DDR-BRD: Protokolle einer historischen Begegnung, Reinbek 1988.
Vorwort der Herausgeber
XIX
DDR präsentierte Geschichtsbild mit dem jeweiligen Forschungsstand in der hiesigen Geschichtswissenschaft zu vergleichen. Durch diese komparative Gegenüberstellung sollen Orientierungsmaßstäbe für eine eigene, differenzierte Einschätzung der Ergebnisse der marxistisch-leninistischen deutschen Geschichtswissenschaft bereitgestellt werden. An eine politisch motivierte und damit sich selbst disqualifizierende "Abrechnung" ist nicht gedacht. Die Konzeption für diese historiographische Bilanz entstand ursprünglich aus dem Wunsch, die in westdeutschen Zeitschriften und Sammelwerken verstreut veröffentlichten Untersuchungen über die Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR zusammenzufassen und damit leichter zugänglich zu machen. Bestärkt durch den ermutigenden Zuspruch vieler Kollegen, entwickelte sich daraus sehr bald die Zielsetzung, möglichst alle relevanten Themen und Fragestellungen der Geschichtswissenschaft in der DDR einer wissenschaftlichen Kritik zu unterziehen. Auch wenn dabei die unverkennbar unterschiedlichen, im wesentlichen sogar diametral entgegengesetzten Ausgangsbedingungen, Grundpositionen und Interpretationen der beiden deutschen Historiographien nicht übersehen werden sollen, besteht die Zielsetzung dieses Sammelwerkes gleichwohl nicht vorrangig darin, das Trennende zwischen der marxistisch-leninistischen Geschichtsbetrachtung in der DDR und dem pluralistischen Wissenschaftsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland besonders hervorzuheben. Deutsche Geschichte ist unteilbar, auch wenn sie sich gegenwärtig in zwei deutschen Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen abspielt; nicht von ungefähr ist sie diesseits und jenseits der innerdeutschen Grenze der gemeinsame und zentrale Forschungsgegenstand. Von einem pluralistischen Wissenschaftsverständnis ausgehend, konnten und wollten die beiden Herausgeber den einzelnen Autoren bei der Abfassung ihrer Beiträge keine besonderen Auflagen machen. Sie beschränkten sich daher auf einige wenige strukturelle Hinweise und überließen die Begründung des wissenschaftlichen Urteils dem jeweiligen Verfasser. Angesichts der Mannigfaltigkeit des zu bearbeitenden geschichtswissenschaftlichen Themenkatalogs gebot sich diese Zurückhaltung überdies aus fachlichen Gründen. Neben der Erarbeitung einer Konzeption für das Sammelwerk und seiner organisatorischen Betreuung blieb für die Herausgeber mit der editorischen Feinabstimmung immer noch genug zu tun. Um der Benutzerfreundlichkeit willen wurde auf die Erarb~itung eines umfangreichen Registers Wert gelegt, während von der Zusammenstellung einer Bibliographie vorerst abgesehen wird. Der Erwähnung bedarf, daß die langwierigen Bemühungen um die finanzielle Absicherung des Vorhabens zu einer bedauerlichen, aber unvermeidbaren Kluft zwischen dem Redaktionsschluß, der bei den Originalbeiträgen in der Regel im Jahre 1987 lag, und dem Erscheinungstermin geführt haben.
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Vorwort der Herausgeber
Die Herausgeber haben bei der Verwirklichung ihres Projekts, dessen erstem Band in absehbarer Zeit weitere folgen sollen, vielfältige Unterstützung erfahren. Ihr Dank gilt in erster Linie jenen Kollegen, die sich trotz einer zunächst unsicheren Ausgangslage zur Mitarbeit entschlossen haben, außerdem jenen Zeitschriften und Verlagen, die der Bitte um Erlaubnis zum Nachdruck bereits veröffentlichter Beiträge bereitwillig entsprachen. Dankbar vermerkt werden sollen auch die vorbildliche Zusammenarbeit mit Herrn Dieter H. Kuchta vom Verlag Duncker & Humblot sowie die unermüdliche Einsatzbereitschaft von Frau Silke Arning und von Herrn Stefan Creuzberger, M. A., beide vom Seminar für Osteuropäische Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, bei der redaktionellen Betreuung des Bandes. Bonn/London, im Dezember 1988 Alexander Fischer
Günther Heydemann
I. Einleitung
I DDR I
ALEXANDER FISCHER/GÜNTHER HEYDEMANN
Weg und Wandel der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsverständnisses in der SBZ/DDR seit 1945*
I.
Als im 1 ahre 1981 das Denkmal Friedrichs des Großen wieder an seinem angestammten Platz "Unter den Linden" im Ostsektor Berlins aufgestellt wurde, galt dieser Vorgang in den Medien der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlins (West) als ein Symbol für die Wiederentdeckung der deutschen Geschichte durch die DDR. Das verbreitete Erstaunen in der westdeutschen Öffentlichkeit über diese Maßnahme der SED offenbarte einmal mehr, wie sehr Geschichte im geteilten Deutschland nach 1945 ein Politikum geblieben ist. Zugleich spiegelte es den hierzulande mangelnden Kenntnisstand über den spezifischen Umgang mit der deutschen Geschichte im anderen deutschen Staat wider. Denn in der DDR war weder die deutsche Geschichte neu "entdeckt", noch das heikle Thema "Preußen" erstmals aufgegriffen worden. Vielmehr hat man sich dort immer schon, auch vor der Gründung dieses Staates im Oktober 1949, kontinuierlich mit der deutschen Geschichte auseinandergesetzt, freilich mit politisch-ideologisch bestimmten Wertungen und mit unübersehbaren Aussparungen. Die spektakuläre Rückkehr des Reiterstandbildes des "Alten Fritz" auf die ehemalige Prachtstraße der früheren Hauptstadt Preußens und des Deutschen Reiches offenbarte eher eine neue Qualität im wechselvollen Umgang der SED mit der deutschen Vergangenheit: nämlich den im letzten lahrzehnt Zug um Zug vollzogenen Übergang von einer selektiven Interpretation zu einer integralen Darstellung der deutschen Geschichte.
* Die folgenden Ausführungen knüpfen an bereits vorliegende Veröffentlichungen der beiden Herausgeber an: Alexander Fischer, Zur Funktion von Geschichte und Geschichtswissenschaft in der deutschlandpolitischen Bildungsarbeit - Grenzen und Möglichkeiten, in: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.), Fachtagung zur deutschlandpolitischen Bildungsarbeit, Bonn 1986, S. 1-26; und Günther Heydemann, Geschichtswissenschaft und Geschichtsverständnis in der DDR seit 1945, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B 13/1987, S. 15-26. l'
4
Alexander Fischer und Günther Heydemann
Der mit der Integration herausragender Persönlichkeiten der deutschen Vergangenheit verbundene Prozeß, die Legitimation der DDR aus der deutschen Geschichte in ihrer Gesamtheit herzuleiten, kann mittlerweile als im wesentlichen abgeschlossen gelten. Bereits seit Beginn der 80er Jahre präsentiert die marxistisch-leninistische Historiographie der DDR ein weitgehend geschlossenes Geschichtsbild, das keine Periode der deutschen Geschichte mehr ausspart. Es gibt keine ausgewählten Teilbereiche in der historischen Vergangenheit des deutschen Volkes mehr, die von den Historikern der DDR besonders zu favorisieren wären. Unverkennbar ist allerdings die Tendenz, die deutsche Geschichte als Vorgeschichte der DDR zu betrachten, der sichin dezidierter Abgrenzung zu~ Geschichte der westlichen Besatzungszonen bzw. der Bundesrepublik Deutschland - die Geschichte der SBZ/DDR als der bisherige Höhepunkt deutscher Geschichte anschließt. l Die maßgebliche Veränderung im historisch-politischen Legitimationsanspruch der DDR zeigt, welch enorme Bedeutung im anderen deutschen Staat der Geschichte entgegengebracht wird. Mit einem Zitat aus Goethes "Westöstlichem Diwan" ("Wer nicht von dreitausend Jahren I Sich weiss Rechenschaft zu geben I Bleibt im Dunkeln unerfahren I Mag von Tag zu Tage leben") wurde von einem führenden Kulturfunktionär der SED erst in jüngster Zeit unterstrichen, daß die gesellschaftliche Aneignung eines historischen Selbstverständnisses in der DDR als ein notwendiges Element der kulturellen Identität gilt. 2 Im Zusammenhang mit dieser Neuaneignung wichtiger Epochen der deutschen Geschichte wird inzwischen auch auf die Anfänge der deutschen Geschichte, auf die Entstehung des mittelalterlichen Kaiserreiches und die damit verbundene "Leistung" Ottos I. zurückgegriffen. Hatten die Historiker Leo Stern und Hans-Joachim Bartmuß im ambitionierten "Lehrbuch der deutschen Geschichte" aus den 60er Jahren noch den "expansiven Drang des Ottonischen Königtums" und die "räuberische Expansionspolitik, die sich schon ein Jahrhundert später als ein schweres Hemmnis für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Entwicklung Deutschlands erweisen sollte", angeprangert, 3 so wird inzwischen der Beweis für den Beitrag des ,,frühfeudalen Herrschers" Otto I. zum "historischen Fortschritt" zu erbringen versucht. 4 Ein anderes Beispiel macht den Wandel der SED im Verhältnis zur deutschen Geschichte noch augenfälliger: Galt bis in die 70er Jahre hinein vor allem Thomas Müntzer als jener 1 Vgl. zur Entwicklung der Historiographie der SBZ/DDR die nachfolgenden Beiträge von Alexander Fischer, Ulrich Neuhäußer-Wespy und Johannes Kuppe in diesem Band, S. 45 ff., 77ff. bzw. 103 ff. 2 Hans Koch, ..... erwirb es, um es zu besitzen"-. Über das Erbe in der sozialistischen Nationalkultur, in: Einheit, 40. Jg. (1985), H. 8, S. 733. J Leo Stern I Hans-Joachi!ll Bartmuß, Deutschland in der Feudalepoche von der Wende des 5.16. Jh. bis zur Mitte des 11. Jh., Berlin (Ost) 1965, S. 186 f. 4 Koch (Anm. 2), S. 735.
Geschichtswissenschaft und -verständnis in der SBZ/DDR seit 1945
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"Volksreformator" und "revolutionäre Ideologe des Großen Deutschen Bauernkrieges" , dessen Programm für den Leipziger Historiker Max Steinmetz im Jahre 1964 schon einmal "eine keim haft-unreife, für ihre Zeit letztlich utopische, im ganzen aber doch geniale Antizipation der wahrhaft nationalen Politik der deutschen Arbeiterklasse" gewesen war,5 so ist spätestens seit dem Luther-Jubiläum des Jahres 1983 deutlich geworden, daß auch der Wittenberger Reformator mit am Anfangjener Kultur steht, die die DDR zu beerben beabsichtigt. Um die vergleichsweise komplizierte wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der marxistisch-leninistischen Historiographie in der SBZ/DDR6 nachvollziehen zu können, müssen - unter Berücksichtigung politischer, ideologischer, geschichtswissenschaftlicher, theoretisch-methodologischer, institutioneller und personeller Gesichtspunkte - insbesondere die folgenden vier Problemfelder untersucht werden: 1. das Verhältnis von Partei und Geschichtswissenschaft; Vgl. Meyers Neues Lexikon in acht Bänden, Bd. 5, Leipzig 1964, S. 939. An westdeutschen Untersuchungen zur wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung der Historiographie in der SBZ/DDR sind zu nennen: Albrecht Timm, Das Fach Geschichte in Forschung und Lehre in der Sowjetischen Besatzungszone seit 1945, Bonn 1958,41965; Alexander Fischer, Der Weg zur Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft in der SBZ 1945-1949, in: Vfz, 10. Jg. (1962), S.2, S.149-177 (Wiederabdruck in diesem Band, S.45 ff.); Reinhart Beck. Die Geschichte der Weimarer Republik im Spiegel der sowjetzonalen Geschichtsschreibung, Bonn/Berlin 1965; Manfred Hellmann (Hrsg.), Osteuropa in der historischen Forschung der DDR, Bde. 1/2, Düsseldorf 1972; Frank Reuter, Geschichtsbewußtsein in der DDR. Programm und Aktion, Köln 1973; Josef Foschepoth, Reformation und Bauernkrieg im Geschichtsbild der DDR. Zur Methodologie eines gewandelten Geschichtsverständnisses, Berlin 1976; Andreas Dorpalen, Die Geschichtswissenschaft der DDR, in: Karl Pellens, Didaktik der Geschichte, Darmstadt 1978, S. 178-197; Christina von Buxhoeveden, Geschichtswissenschaft und Politik in der DDR. Das Problem der Periodisierung, Köln 1980; Günther Heydemann, Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland. Entwicklungsgeschichte, Organisationsstruktur, Funktionen, Theorie- und Methodenprobleme in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, Frankfurt a.M. IBern/Cirencester 1980; Fritz Kopp, Das vertiefte Preußenbild der SED, in: BzK, 11. Jg. (1981), H. 2, S. 85-115; Klaus Naumann, Ökonomische Gesellschaftsformation und historische Formationsanalyse, Köln 1983; Johannes Schradi, Die DDR-Geschichtswissenschaft und das bürgerliche Erbe. Das deutsche Bürgertum und die Revolution von 1848 im sozialistischen Geschichtsverständnis, Frankfurt a.M./Bernl Cirencester 1984; Hans-Dieter Schütte, Zeitgeschichte und Politik. Deutschland- und block politische Perspektiven der SED in den Konzeptionen marxistisch-leninistischer Zeitgeschichte, Bonn 1985; und Günther Heydemann, Zwischen Diskussion und Konfrontation. Der Neubeginn deutscher Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945-1950, in: Christoph Cobet (Hrsg.), Einführung in Fragen der Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950; Frankfurt a.M. 1986, S. 12-29. Vgl. auch die englischsprachige Untersuchung von Andreas Dorpalen (German History in Marxist Perspective. The East German Approach, London 1985), die jedoch nur den Forschungsstand bis zur Mitte der 70er Jahre erfaßt und ein striktes Abhängigkeitsverhältnis der Geschichtswissenschaft in der DDR von der SED als gegeben annimmt. 5
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2. die Aufgabe und Funktion von Geschichtswissenschaft in einem marxistisch-leninistischen Herrschaftssystem; 3. die geschichtswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte sowie der theoretisch-methodologische Zugriff; und schließlich
4. die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft im Wissenschaftssystem der DDR.
Diese durchgängig miteinander verschränkten Problemfelder, denen zugleich wichtige Bestimmungsfaktoren für eine Periodisierung der Geschichtswissenschaft der SBZ/DDR entnommen werden sollen, müssen jedoch aus heuristischen Gründen auseinandergehalten werden. Für die immer noch defizitäre Auseinandersetzung der westdeutschen Historiographie mit ihrem marxistisch-leninistischen Pendant in der DDR ist es symptomatisch, daß die wenigen bisher vorliegenden Periodisierungsversuche zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR unbefriedigend ausfielen. 7 Dieser Sachverhalt hat vor allem zwei Gründe: Zum einen wurde bislang ausnahmslos von einer ausschließlich politisch-ideologischen Legitimationsfunktion dieser Historiographie, dem oben genannten zweiten Problemfeld, als alleinigem Bestimmungskriterium ausgegangen. Ohne diesen legitimatorischen Charakter der Geschichtswissenschaft verkennen zu wollen, muß jedoch daraufhingewiesen werden, daß gerade dieser Faktor seit der Etablierung einer wissenschaftlichen Historiographie in der SBZ/DDR als einer marxistisch-leninistischen bis heute vollkommen unverändert geblieben ist. Die Legitimationsfunktion kann also als alleiniges Kriterium für die Einschätzung der Wissenschaftsgeschichte der Historiographie der DDR nicht ausreichen. Denn unabhängig von kurz- oder mittelfristigen politisch-ideologischen Vorgaben (wie z. B. der "Erziehung zum fortschrittlichen Humanismus" für die Jahre 1945 bis 1948 oder der "Erziehung zum sozialistischen Patriotismus" in den Jahren 1956 bis 1961) blieb die funktionale AufgabensteIlung der Geschichtswissenschaft in der DDR stets gleich: Bis heute geht es um das Ziel, mit den Methoden des Dialektischen 7 Vgl. dazu Schütte (Anm. 6), S. 33 ff.; und Werner Berthold, Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft zu einer voll entfalteten wissenschaftlichen Spezialdisziplin, in: BzG, 26. Jg. (1984), H. I, S. 13 ff. Die seit gut einem Jahrzehnt begonnene Aufarbeitung der Geschichte ihrer eigenen Wissenschaft durch die Historiker der DDR hat auch zu einem Periodisierungsvorschlag geführt: Werner Berthold, Zur Geschichte der Geschichtswissenschaft der DDR. Vorgeschichte, Grundlegung, Konfrontation und Kooperation, in: BzG, 30. Jg. (1988), H. 2, S. 177-187. Berthold geht übrigens von einer "Vorgeschichte der Geschichtswissenschaft im engeren Sinne" aus, die für ihn "mit Marx und Engels"beginnt (ebd., S. 178). Vgl. auch den allgemeinen Überblick über den Stand der Diskussion bei Walter Schmidt: Forschungsstand und Forschungsprobleme der Geschichte der DDR-Geschichtswissenschaft, in: BzG, 29. Jg. (1987), H. 6, S. 723-733. - Zur Periodisierung der Geschichte der SBZ/DDR allgemein vgl. die Ausführungen von Alexander Fischer und Hermann Weber: Periodisierungsprobleme der Geschichte der DDR, in: DA, 12. Jg. (1979), Sonderheft ,,30 Jahre DDR", S.17-26.
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und Historischen Materialismus ein einheitliches sozialistisches Geschichtsbild auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus zu präsentieren und dieses in ein sozialistisches Geschichtsbewußtsein umzusetzen, das die Bewohner der DDR dazu stimulieren und befähigen soll, aktiv für die DDR einzutreten. Zum anderen wurde häufig verkannt, daß das Produkt wissenschaftlicher Geschichtsforschung in der DDR, das marxistisch-leninistische Geschichtsbild, selbst unterschiedliche Zäsuren aufweist und nicht mit der Wissenschaftsgeschichte der Historiographie in der DDR gleichgesetzt werden kann. Die Entwicklung von Geschichtswissenschaft und marxistisch-leninistischem Geschichtsbild ist also nicht identisch, sondern steht in einem komplementären Verhältnis zueinander. Aus den genannten Gründen muß deshalb von einem - oben angeführten - mehrfach gefächerten Kriterienkatalog ausgegangen werden, um zu einer realistischen Einschätzung von Weg und Wandel der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsbildes in der SBZ/DDR seit 1945 zu gelangen.
11. Bei einem Rückblick auf die wissenschaftshistorische Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR seit 1945 ist für die Jahre 1945 bis 1948 8 zunächst als erster Abschnitt eine nachkriegsbedingte Übergangsphase festzuhalten, die freilich als atypisch bezeichnet werden muß. Der Neubeginn im Fach Geschichte in der SBZ vollzog sich nämlich - sieht man von den situationsbedingten Faktoren wie Emigration, Kriegsverluste, Gefangenschaft, Vertreibung, nationalsozialistische Vergangenheit und beginnende Entnazifizierung einmal ab - ähnlich wie in den westlichen Besatzungszonen in Fortführung der deutschen Universitätstradition. Nach wie vor stellten nichtmarxistische Hochschullehrer die überwiegende Mehrheit unter den Geschichtswissenschaftlern. So blieben z. B. die Lehrstühle für Mittelalterliche Geschichte ausnahmslos ihre Domäne, aber auch in der Neuen und Neuesten Geschichte waren sie in der Mehrzahl, wenngleich hier nach und nach Marxisten bzw. - ab 1948 - Marxisten-Leninisten hinzustießen. Seitens der KPD bzw. SED gab es noch keine massiven Eingriffe in personeller oder institutioneller Hinsicht, auch wenn zunehmend deutlich wurde, welch hohen Stellenwert die Partei insbesondere den Fächern Geschichte und Philosophie beimaß; dementsprechend wurden bis dahin auch keine präzisen ideologisch-funktionalen AufgabensteIlungen definie'rt oder spezifische Forschungsbereiche ausgewiesen. Trotz einer feststellbaren, die marxistische 8 Vgl. zu dieser frühen Phase aus westdeutscher Sicht die Untersuchungen von Fischer und Heydemann (Anm. 6) sowie Alexander Fischer: Neubeginn in der Geschichtswissenschaft. Zum Verhältnis von "bürgerlichen" und marxistischen Historikern in der SBZ/DDR nach 1945, in: GWU, 31. Jg. (1980), H. 3, S. 149-158.
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Perspektive favorisierenden Intention der Partei blieb die Gleichberechtigung marxistischer und nicht marxistischer Lehre und Forschung grundsätzlich noch anerkannt. Die Zäsur setzte in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 ein: Unter dem Stalinschen Diktum des "Sturms auf die Festung Wissenschaft" begann in der SBZ die völlige Umstrukturierung des bisher bestehenden Bildungssystems und des Hochschulwesens. Der seitdem kompromißlos durchgesetzte Monopolanspruch der marxistisch-leninistischen Ideologie, eine kausale Folge der innerparteilichen Umwandlung der SED zu einer "Partei neuen Typs" mit totalem Anspruch auf die Führungsrolle in Staat und Gesellschaft, hatte im Wissenschaftsbereich und damit auch im Fach Geschichte die schrittweise Eliminierung nichtmarxistischer Fachvertreter zur Folge. Zug um Zug wurden nunmehr die institutionellen Voraussetzungen für ein verschultes (Hochschul-)Studium nach sowjetischem Vorbild geschaffen. Zudem wurden gleichzeitig jüngere Historiker, oft noch ohne jede zureichende Ausbildung und Qualifikation, massiert in den Lehr- und Seminarbetrieb eingeschleust. Der Exodus einer immer größer werdenden Zahl professioneller nichtmarxistischer Historiker in die westlichen Besatzungszonen war die Folge. 9 So konsequent wie brutal dieser fundamentale Umstrukturierungsprozeß durchgesetzt wurde, so sehr blieb die für diese Maßnahmen unerläßliche Definition der Bestimmung von geschichtswissenschaftlichen Forschungsthemen und -bereichen ungeklärt. Denn die neue Parole "Für eine kämpferische Demokratie" war viel zu unbestimmt, um als präzise politisch-ideologische Zielprojektion gelten zu können. Der Grund für die mangelnde Ausrichtung der neuen Geschichtswissenschaft, deren völlige Umstrukturierungja nur dann sinnvoll sein konnte, wenn klare Aufgaben zur Erarbeitung eines sozialistischen Geschichtsbildes und eines entsprechenden Forschungskatalogs vorhanden waren, lag indessen darin, daß bei vielen Funktionären der SED, vornehmlich aufgrund ihrer negativen persönlichen Erfahrungen als ehemalige Mitglieder der KPD während nationalsozialistischer Verfolgung oder im Exil, die Auffassung vorherrschte, die deutsche Geschichte stelle eine einzige Misere dar. Diese sog. Miseretheorie wirkte bis in die ersten Jahre nach der Gründung der DDR fort; als mentale politisch-historische Barriere wirkte sie wie eine Art Selbstblockade. 10 Exemplarisch sei 9 Zu den aus der SBZ/DDR sowie aus Berlin (Ost) in die Westzonen bzw. in die Bundesrepublik Deutschland und nach Berlin (West) übergesiedelten oder geflüchteten Historikern gehörten u. a. Franz Altheim, Friedrich Baethgen, Willy Flach, Hans Haussherr, Manfred Hellmann, Irmgard Höß, Johannes Kühn, Hermann Mau, Friedrich Meinecke, Helmut Thierfelder und Albrecht Timm. Vgl. Timm (Anm. 6), S. 170ff.; sowie Heydemann, Diskussion (Anm. 6), S.25 ff. 10 Vgl. hierzu den Stimmung und Atmosphäre unter den Mitgliedern der KPD im Exil gut wiedergebenden Aufsatz von Werner Berthold: Zum Kampf der Führung der KPD
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hier nur an den bezeichnenden Titel des 1946 erschienenen und mehrfach wiederaufgelegten Werkes von Alexander Abusch ("Der Irrweg einer Nation") erinnert, der dieser in der SED seinerzeit verbreiteten Auffassung über den negativen Verlauf der deutschen Geschichte exemplarisch Ausdruck verlieh. Mit einer derart pessimistischen Geschichtsperspektive konnte die junge Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR die auf sie zukommende Aufgabe einer Neuinterpretation der deutschen Geschichte jedoch nicht erfüllen. Sie vermochte damit auch keine fruchtbare wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der "bürgerlichen" Geschichtsschreibung in Gang zu setzen; infolgedessen war es ihr auch nicht möglich, ein aus einem solchen Disput resultierendes positives und damit identitätsstiftendes Geschichtsbild mit der Funktion einer sozialistischen Bewußtseinsbildung hervorzubringen, um etwa das von der SED geschaffene neue Staats- und Gesellschaftssystem zu legitimieren und zugleich zu stabilisieren. Erst mit der - wie sich Ernst Diehl und Rolf Dlubek im Jahre 1955 in der "Einheit" ausdrückten "Zerschlagung dieser [Misere-]Theorie"ll durch eine Entschließung des ZK der SED vom 20. Oktober 195p2 wurde der Weg für eine positive marxistisch-leninistische Deutung der deutschen Geschichte freigemacht und zugleich ein entscheidender Interpretationsansatz für die weitere Entwicklung der Historiographie in der DDR festgelegt. Mit dem grundlegenden Referat 13 von Leo Stern, einem der damals führenden Historiker der DDR, vom Mai 1952 auf dem ersten Kongreß der Archivare der DDR in Weimar und einer Rede Walter Ulbrichts l4 zu den Aufgaben der Geschichtswissenschaft nur ein halbes Jahr später wurde erstmals auch inhaltlich definiert, was die Partei unter der gewünschten "Neuformung" des von der sog. bürgerlichen Geschichtsschreibung angeblich "deformierten deutschen Geschichtsbildes" verstanden wissen wollte. Abgesehen von der Aufforderung, die junge Geschichtswissenschaft der DDR solle sich von den Positionen des traditionellen Historismus lossagen und die "schöpferisch weiterzuentwickelnde" Theorie des Marxismus-Leninismus in der Geschichtsforschung der DDR zum festen wissenschaftlichen Fundament machen, wurde jetzt die Bearbeitung von bestimmten Epochen und historischen Problemen der deutschen Geschichte präzise vorgegeben: gegen die faschistische Geschichtsideologie und die Miserekonzeption in der deutschen Geschichte 1939 bis 1945, in: ZfG, 17. Jg. (1969), H. 6, S. 689 ff. 11 Ernst Diehl / Rolf Dlubek, Die Historiker der Deutschen Demokratischen Republik vor neuen großen Aufgaben, in: Einheit, 10. Jg. (1955), H. 9, S. 883. 12 Vgl. den Wortlaut in: Dokumente der SED, Bd. III, Berlin (Ost) 1952, S. 581 f. 13 Leo Stern, Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, Berlin (Ost) 1952; vgl. dazu Walter Schmidt, Die Geschichtswissenschaft der DDR in den fünfziger Jahren, in: ZfG, 31. Jg. (1983), H.4, S.291 ff. I. Abgedruckt bei Jürgen von Hehn: Die Sowjetisierungdes Geschichtsbildes in Mitteldeutschland, in: EA, 19. Jg. (1954), H. 19, S. 6938.
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Die Historiker sollten sich in der Forschung vor allem auf die Reformation und die Zeit der Bauernkriege, dazu auf den Mainzer Konvent, die napoleonische Fremdherrschaft und die Befreiungskriege, außerdem auf die Revolution von 1848/49 sowie insbesondere auf die Geschichte der Arbeiterbewegung konzentrieren, um so "die bis ins Hochmittelalter zurückreichenden Freiheits- und Kampftraditionen des deutschen Volkes klar herauszustellen" .15 Diese selektive Geschichtsforschung und das hieraus resultierende Geschichtsbild hat die Historiographie der DDR - und damit die DDR selbst - bis in die Mitte der 70er Jahre hinein bestimmt. Der von der SED seinerzeit initiierte und konsequent weiterverfolgte umfassende Umstrukturierungsprozeß für die Geschichtswissenschaft dauerte etwa ein rundes Jahrzehnt. Seine negativen Folgen wurden zunehmend deutlich: Die abgewanderten bzw. ausgeschalteten qualifizierten "bürgerlichen" Historiker konnten durch "fortschrittliche", d. h. marxistische oder marxistisch-leninistische, Wissenschaftler weder kurz- noch mittelfristig ersetzt werden; darüber hinaus wirkte sich die in den Ländern der sowjetisch beherrschten Einflußsphäre Ostmittel- und Südosteuropas politisch wie ideologisch äußerst gespannte Atmosphäre der 50er Jahre auch auf die Geschichtswissenschaft der DDR aus. Dementsprechend blieben die Jahre bis zum Mauerbau von 1961 von permanenten Eingriffen der SED in die personellen und institutionellen Belange der Geschichtswissenschaft geprägt. Den Höhepunkt solcher Interventionen stellte die Korrektur jener Thesen zum 40. Jahrestag der deutschen Novemberrevolution im Jahre 1958 dar, die führende Historiker der DDR eigens für dieses Jubiläum ausgearbeitet hatten. 16 Walter Ulbricht persönlich kritisierte "die falschen Auffassungen über den Charakter der Novemberrevolution der Genossen Historiker" 17 mit harschen Worten und bezichtigte sie des Revisionismus. Durch diese massive Interpretationskorrektur, die das direkte Eingreifen der Partei in die Geschichtswissenschaft geradezu beispielhaft darstellte, wurde jedoch zugleich die Konstituierungsphase der marxistisch-leninistischen Historiographie in der DDR abgeschlossen. Mit der immer perfekter werdenden Organisationsstruktur der historischen Forschung in der DDR seit 1960 beschleunigte sich zunehmend die personelle, die institutionelle und - nicht zuletzt - die politischideologische Konsolidierung. Dieser Prozeß wurde von einschneidenden, die Stärkung der institutionellen Autonomie der jungen Geschichtswissenschaft in der DDR fördernden Maßnahmen flankiert. Dazu gehörten der Bruch mit dem "Verband der Historiker Deutschlands" (VHD) auf dem Trierer HistoVgl. Stern (Anm. 13), S. 15. Zu diesem Vorgang vgl. Timm (Anm. 6). S. 60 f.; dazu auch Schütte (Anm. 6), S. 119 ff. 17 Walter Ulbricht, Begründung der Thesen über die Novemberrevolution 1918, in: ZfG, 6. Jg. (1958), Sonderheft, S. 28-54. 15
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rikertag von 1958; die Gründung eines eigenen Verbandes, der "Deutschen Historiker-Gesellschaft" der DDR, im selben Jahr; die Bildung eines "Nationalkomitees der Historiker der DDR" zur Aufnahme in das Comite International des Sciences Historiques im Jahre 1959 sowie die durch gemeinsame Historikerkommissionen engere Anbindung an die Historiographien der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten. 18 Vor dem Hintergrund der von der SED immer wieder geforderten intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung lieferte die Geschichtswissenschaft der DDR im Jahre 1966 ihr marxistisch-leninistisches Gesellenstück ab: Mit der Fertigstellung der achtbändigen "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" 19 war die erste geschlossene, eigenständige geschichtswissenschaftliche Forschungsleistung erbracht worden, allerdings unter beträchtlichen Erstellungskosten: Infolge der Konzentration auf das 18 Vgl. Timm (Anm. 6), S. 66 ff. Zu den Vorkommnissen auf dem Trierer Historikertag von 1958 vgl. die westdeutsche Berichterstattung in: HZ 186 (1958), S. 729-731; in: GWU, 9. Jg. (1958), H. 10, S. 714-719; in dem als Beiheft der GWU erschienenen "Bericht über die 24. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 25. bis 27. September 1958", Stuttgart 1959, S. 8 ff.; und bei Timm (Anm. 6), S. 69; dazu die Stellungnahmen aus der Sicht der Historiker der DDR: Zu den Vorfällen auf der 24. Versammlung des westdeutschen Historiker-Verbandes in Trier, in: ZfG, 6. Jg. (1958), H.5, S. II34-1136; und Ernst Engelberg (Hrsg.), Trier - und wie weiter? Materialien, Betrachtungen und Schlußfolgerungen über die Ereignisse auf dem Trierer Historikertag am 25.9. 1958, Berlin (Ost) 1959. - Zur Gründung einer eigenen Historikergesellschaft für die DDR vgl. den "Aufruf zur Gründung der 'Deutschen Historiker-Gesellschaft' in der Deutschen Demokratischen Republik", abgedruckt in: ZfG, 6. Jg. (I 958), H. 2, S. 217 f.; sowie die seit 1961 erscheinenden "Mitteilungen der Deutschen Historiker-Gesellschaft". - Die Gründung eines Nationalkomitees der Historiker der DDR geht auf eine "Vorbereitungskommission für den Internationalen Historikerkongreß in Stockholm" von I 960 zurück. Vgl. Heinz Heitzer, Zur Konstituierung einer Vorbereitungskommission für den XI. Internationalen Historikerkongreß, in: ZfG, 7. Jg. (1959), H. 3, S. 681; und Rolf Rudolph, XI. Internationaler Historiker-Kongreß in Stockholm, in: ZfG, 8. Jg. (1960), H. 8, S. 1791. - Zum Komplex der gemeinsamen Historikerkommission der DDR mit der UdSSR, Polen und der Tschechoslowakei vgl. Günter Stelzig, Um ein gemeinsames Geschichtsbild? Die Zusammenarbeit der Historiker der DDR mit ihren Fachkollegen aus der UdSSR, aus Polen und der Tschechoslowakei im Rahmen der bilateralen Historikerkommissionen (1955-1984), Erlangen 1987. 19 Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bde. 1-8, Berlin (Ost) 1966. Die Lektüre legt den Schluß nahe, als sei die deutsche Geschichte mit der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung identisch. Das Werk ist inzwischen schon deshalb veraltet, weil es eine Arbeitergeschichte "von oben" (Georg G. Iggers) darstellt und hauptsächlich den politischen Organisationsformen und -strukturen nachgeht, während die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Bedingungen weitgehend ausgeblendet bleiben. Eine intensive Auseinandersetzung mit dieser GesamtdarsteIlung hat in der westdeutschen Geschichtswissenschaft nie stattgefunden, anders als beim Erscheinen des von der SED im Jahre 1963 herausgegebenen "Grundrisses der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung". Vgl. Ernst Schraepler / Henryk Skrzypczak / Siegfried Bahne / Georg Kotowski, "Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung". Kritik einer Legende, in: JGMOD, Bd. 13/14, Berlin 1965, S. 268-347.
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Forschungsgebiet "Arbeiterbewegung" wurden andere Epochen und Themen zwangsläufig vernachlässigt; zudem beanspruchte die fast ausschließliche Fixierung auf eine einzige politisch-soziale Bewegung das Forschungspotential einseitig, so daß der Anschluß an internationale Entwicklungen in anderen Bereichen z. T. verlorenging; schließlich trug diese Schwerpunktbildung auch zu einer weiteren Verstärkung des bereits ausgeprägt selektiven Geschichtsbildes bei. Zweifellos war mit dem Erscheinen der Gesamtdarstellung zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und mit den zwei Jahre später herauskommenden ersten beiden Gesamtdarstellungen der deutschen Geschichte 20 die begonnene Konstituierungs- und Konsolidierungsphase der DDR abgeschlossen. Durch massive institutionale und personelle Eingriffe hatte die SED dabei seit Mitte 1948 Zug um Zug eine marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft geschaffen, deren Abhängigkeit von der Partei nahezu total war. Die permanente politisch-ideologische Dominierung und institutionelle Administrierung hatte jedoch gerade das verhindert, was die SED in erster Linie anstrebte: die Herausbildung einer wissenschaftlich innovativen, marxistisch-leninistischen Historiographie, die in der Lage gewesen wäre, ein überzeugungsfähiges und dem politisch-historischen Legitimationsbedarf der DDR entsprechendes Geschichtsbild zu erarbeiten. Dem stand nicht nur das eindeutig selektive Geschichtsbild im Wege, dessen historische Ausstattung die Partei ja selbst dekretiert hatte; die fortwährenden politisch-ideologischen Disziplinierungen und Kontrollrnaßnahmen hatten auch eigene, originär geschichtswissenschaftliche Forschungsansätze kaum zur Ausbildung kommen lassen. Ein wissenschaftlich kreativeres Herangehen an die Geschichte konnte aber nur dann möglich werden, wenn die Historiker in der DDR, natürlich auf der Grundlage und sicherlich auch in den Grenzen des Marxismus-Leninismus, in die Lage versetzt werden würden, Geschichte nicht bloß gemäß politisch-ideologischer Vorgaben umzusetzen, sondern tatsächlich zu interpretieren, d. h. ein entsprechendes Theorie- und Methodenpotential zu entwickelnY Beim Übergang der Geschichtswissenschaft der DDR von einem politischideologischen Erfüllungsorgan zu einer Wissenschaftsdisziplin mit beachtlichen Forschungsleistungen fiel dem VII. Parteitag der SED im Jahre 1967 eine Schlüsselrolle zu. Er propagierte eine massive Bedeutungsaufwertung aller Wissenschaften als leistungssteigernde und zugleich systemstabilisierende Produktivkräfte. Dies galt sowohl für den ökonomischen Bereich mit 20 Joachim Streisand, Deutsche Geschichte in einem Band. Ein Überblick, Berlin (Ost) 1968; Autorenkollektiv (Sekretär: Joachim Streisand), Deutsche Geschichte in drei Bänden, Berlin (Ost) 1968. 2\ Vgl. die Überlegungen von Jörn Rüsen und Zdenek Vasicek zu Inhalt und Funktion einer marxistisch-leninistischen .. Historik" für die Geschichtswissenschaft in der DDR im vorliegenden Band, S. 307 ff.
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der Forderung nach einem stärkeren wissenschaftlichen Technologieschub als auch für die Gesellschaftswissenschaften im Hinblick auf eine erwünschte politisch-ideologische Konsolidierung der DDR und ihrer Bevölkerung. Dabei wurde insbesondere der Geschichtswissenschaft eine zentrale Aufgabe zugewiesen: Mit der Herausbildung eines fundierten sozialistischen Geschichtsbewußtseins durch die Erarbeitung eines überzeugenden Geschichtsbildes sollte die Basis eines eigenen sozialistischen Staatsbewußtseins geschaffen werden, das die aktive Mitarbeit der Einwohner der DDR beim Aufbau und bei der Festigung des Gesellschaftssystems der DDR stimuliert. Sozialistischer Bewußtseinsbildung wurde deshalb absolute Priorität beigemessen - und zwar nach innen und außen: zum einen als unverzichtbares Identifikationselement eines sozialistischen, hochindustrialisierten Gesellschaftssystems, zum anderen als Funktion der politisch-ideologischen Immunisierung. Die außen- und deutschlandpolitische Lage der ausgehenden 60er Jahre trug unmittelbar zu dieser Entwicklung bei: Die SED reagierte verunsichert auf die deutschland- und ostpolitischen Kursänderungen seit 1966 durch die Große Koalition in Bonn und sah mit Sorge die sich abzeichnende krisenhafte Entwicklung in der CSSR. 22 Für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR wurde nun entscheidend, daß die nach dem Parteitag sprunghaft ansteigende intensive Diskussion über ein qualifiziertes sozialistisches Geschichtsbewußtsein eine bemerkenswerte Eigenständigkeit gewann und zudem eine Richtung nahm, die verstärkt auf das Defizit des bislang bestehenden geschichtswissenschaftlichen Theorie- und Methodenpotentials hinwies. Dabei wurde offenbar deutlich, daß die unabdingbare Voraussetzung für die Schaffung eines (konkreten) sozialistischen Geschichtsbildes - wenn es nicht länger mehr aus ideologischen Leerformeln, ausgewählten historischen Teilstücken und tabuisierten historischen Themen bestehen sollte - in der Ausweitung des geschichtswissenschaftlichen Theorie- und Methodenpotentials lag. Geschichte mußte ausdeutbar werden sowie gleichzeitig differenziert interpretiert werden können, um plastisch und überzeugungsfähig zu wirken. Mit Horst Bartel und Walter Schmidt drückten das zwei führende Historiker der DDR im Jahre 1972 so aus: "Die Welt historisch erfassen - das ist keine leere Formel, keine abstrakte, des konkreten geschichtlichen Lebens entleerte These; denn das wissenschaftliche Weltbild soll das Handeln der Menschen prägen. Das verlangt eine wirkliche Vorstellung vom Gang der Geschichte in ihren wesentiichen Zügen; dazu gehört, daß man die Geschichte selbst mit all ihren Widersprüchen und Konflikten, mit ihrer Dramatik, mit den Kämpfen, Niederlagen und Siegen der fortschrittlichen " Vgl. zum Theorieboom in der Geschichtswissenschaft der DDR in dieser Phase den Beitrag von Günther Heydemann in diesem Band, S. 289 ff.
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Alexander Fischer und Günther Heydemann Klassen sich angeeignet hat: Das Geschichtsbild besteht nicht aus einer Summe von abstrakten theoretischen Formeln; zu einem Geschichtsbild gehört die Kenntnis des gesetzmäßigen Entwicklungsprozesses der Gesellschaft in ihrer Konkretheit. "23
Mit dieser Erkenntnis war für die Geschichtswissenschaft der DDR eine neue Zielprojektion vorgegeben; zugleich bildete ihre Aussage aber auch eine Negativbilanz der bisherigen historiographischen Bemühungen, denn das in der DDR bis zu diesem Zeitpunkt angebotene Geschichtsbild hatte sich als das genaue Gegenteil der hier erhobenen Forderungen erwiesen. Für den Ausbau des bestehenden theoretischen und methodologischen Instrumentariums erwies es sich darüber hinaus als hilfreich, daß sich in den 50er und 60er Jahren in der Sowjetunion eine breite Diskussion über die Schlüsselkategorie des Historischen Materialismus, den Begriff der ökonomischen Gesellschaftsformation, entwickelt hatte. In der Tendenz lief diese Debatte darauf hinaus, das Prokrustesbett der hinlänglich bekannten Abfolge der Geschichte - von der Urgesellschaft über die antike Sklavenhaltergesellschaft, den Feudalismus und den Kapitalismus bis hin zum Sozialismus/Kommunismus - zu verlassen und sich statt dessen durch eine weitere Auffächerung, Verfeinerung und Präzisierung dieser marxistisch-leninistischen Grundkategorie größere historiographische Anwendungsmöglichkeiten und dementsprechend einen flexibleren interpretatorischen Zugriff auf das historische Geschehen zu verschaffen. 24 Damit waren zwei unerläßliche Bedingungen für die weitere Entwicklung einer marxistisch-leninistischen "Historik" geschaffen: Die Geschichtswissenschaft der Sowjetunion sicherte durch ihr exemplarisches Vorgehen eine elastischere Handhabung dieses Grundbegriffes ab, gleichzeitig gewann die Historiographie in der DDR durch die Ausweitung dieser Kategorie variablere Anwendungsmöglichkeiten und neue Interpretationsfreiräume. Überblickt man die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR unter diesen Voraussetzungen, so neigen nicht wenige Beobachter dazu, der Geschichtsforschung und -darstellung in der DDR häufig nur noch einen relativen Bezug zu dieser marxistisch-leninistischen Fundamentalkategorie zu bescheinigen, dafür aber die davon abweichenden nationalen, politischen, ökonomischen, sozialen, wirtschaftlichen und regionalen Besonderheiten eines historischen Forschungsgegenstandes stark hervorzuheben. Das führte im übrigen dazu, daß die geschichtstheoretische und -methodologische Auseinandersetzung in der DDR der entsprechenden Diskussion in der Sowjet23 Horst Bartel / Walter Schmidt, Neue Probleme der Geschichtswissenschaft in der DDR. Zur bisherigen Auswertung des VIII. Parteitages der SED durch die Historiker, in: ZfG, 20. Jg. (1972), H. 7, S. 801. 24 Vgl zu diesem Themenkomplex die Untersuchung von Klaus Naumann (Anm. 6).
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union längst den Rang abgelaufen hat. Es ist keine Frage, daß das Niveau auf diesem Gebiet in der DDR sehr hoch ist und ein führender Spezialist auf diesem Sektor wie Wolfgang Küttler inzwischen internationale Anerkennung gefunden hat. 25 Ein nicht minder wichtiger Faktor für die Weiterentwicklung der Historiographie der DDR in der zweiten Hälfte der 60er Jahre bestand aber auch darin, daß sich das Verhältnis zwischen Partei und Geschichtswissenschaft grundlegend änderte. Mit der Einführung des "Rates für Geschichtswissenschaft" im Jahre 1968 wurde das Prinzip bisheriger Dekretierung politischideologischer Aufgaben der Geschichtswissenschaft durch die SED von einem konsultativen Kommunikationsprozeß abgelöst. Ein solches Verfahren wurde möglich, weil nichtmarxistische Historiker in der Geschichtswissenschaft der DDR inzwischen zu Randfiguren geworden waren, von dort also keine ideologischen Abweichungen mehr befürchtet werden mußten. Gleichzeitig war inzwischen ein Kader junger, marxistisch-leninistisch ausgebildeter Geschichtswissenschaftler herangewachsen. Die SED räumte der fachwissenschaftlichen Kompetenz der Historiker zudem nunmehr eine größere Selbständigkeit ein und ließ sogar erkennen, auf das in der Geschichtswissenschaft vorhandene Fachwissen nicht mehr verzichten zu können. Die in der Folge offenbar recht freimütige Diskussion zwischen den führenden Historikern der DDR aus den verschiedenen Forschungsbereichen und den für die Geschichtswissenschaft zuständigen Wissenschaftssekretären des ZK der SED ist für die weitere Entwicklung der Disziplin von Bedeutung geworden. Das läßt sich nicht nur aus den Berichten des Rates ablesen, sondern ergibt sich auch aus dem Vergleich der dort stattfindenden Diskussion spezifischer Forschungsthemen und -ziele sowie ihrer nachfolgenden Einbringung in den Zentralen Forschungsplan der DDR. 26 Es stellte sich nämlich heraus, daß nunmehr - im Gegensatz zu den 50er und 60er Jahren - die Geschichtswissenschaft in der DDR nicht mehr nur ein bloßes Ausführungsund Umsetzungsorgan nach Maßgabe der politisch-ideologischen Zielsetzungen der SED ist, sondern in einem konsultativen Prozeß mit der Partei eigene, ausgesprochen forschungsspezifische Belange und Probleme formuliert. Die Weisung von oben nach unten ist dementsprechend einem diskursiven Kommunikationsprozeß zwischen SED und Geschichtswissenschaft ge25 Vgl. z. B. den von Küttler zusammen mit Gerhard Lozek verfaßten Beitrag "Der Klassenkampf im Marxismus-Leninismus und in der idealtypischen Methode Max Webers" für die Sektion Methodologie zum Thema "Max Weber und die Methodologie der Geschichte" auf dem XVI. Internationalen Historikerkongreß von 1985 in Stuttgart, abgedruckt in: ZfG, 33. Jg. (1985), H. 6, S. 491-506; und in: Jürgen Kocka (Hrsg.), Max Weber, der Historiker, Göttingen 1986, S. 173-192. 26 Vgl. die jeweils in der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" abgedruckten Sitzungsberichte des Rates für Geschichtswissenschaft sowie die in der "Einheit" alle fünf Jahre veröffentlichten Forschungspläne.
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wichen, der durchaus auch von unten nach oben verlaufen kann. Die Feinabstimmung zwischen den fachspezifischen geschichtswissenschaftlichen Interessen und den politisch-ideologischen Anforderungen der Partei scheint dabei in den letzten Jahren immer konfliktärmer geworden zu seinmit positiver Auswirkung auf das Verhältnis zwischen SED und Geschichtswissenschaft, aber auch auf die innerwissenschaftliche Atmosphäre. 27 Ende der 60er, spätestens aber Anfang der 70er Jahre waren deshalb die entscheidenden strukturellen Voraussetzungen für die neuen wissenschaftlichen Operationsbedingungen der Geschichtswissenschaft in der DDR geschaffen, die im Grunde bis heute keine einschneidende Veränderung mehr erfahren haben. Ausgehend von den oben angeführten Periodisierungskriterien, kann die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR somit in drei Phasen eingeteilt werden: 1. in eine Übergangsphase zwischen 1945 und 1948/49; 2. in eine Phase der Konstituierung als marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft in den 50er Jahren, die unmittelbar in eine Konsolidierungsphase (bis Ende der 60er Jahre) überging, wobei sich aber in beiden Zeitabschnitten die Rahmenbedingungen nicht veränderten; und schließlich 3. in eine mit Beginn der 70er Jahre einsetzende Phase der Verwissenschaftlichung, deren besondere Kennzeichen ein dialogisches Verhältnis zur Partei sowie bemerkenswert erweiterte theoretische und methodologische Freiräume bilden. So sehr nicht übersehen werden darf, daß der Entwicklungsprozeß der Geschichtswissenschaft in der DDR durchweg von der SED initiiert, gefördert und kontrolliert worden ist, so deutlich ist zu vermerken, daß das spezifische Verhältnis zwischen SED und Geschichtswissenschaft insgesamt einen unübersehbaren Wandel erfuhr. Es hat den Anschein, als ob der harte, stalinistische Zugriff der Partei in den Anfangsjahren inzwischen einer flexibleren, gleichwohl permanent präsenten leninistischen Kontrolle gewichen ist. Neben dem "Rat für Geschichtswissenschaft" als landesweitem Beratungs- und Umsetzungsgremium dürfte in diesem Zusammenhang insbesondere das Zentralinstitut für Geschichte an der Akademie der Wissen27 Dem außenstehenden Beobachter bieten sich in der Geschichtswissenschaft der DDR zumindest zwei Grundrichtungen dar: zum einen eine stärker dogmatisch orientierte Gruppe von Historikern um das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED und die von diesem herausgegebene Zeitschrift .. Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung", zum anderen eine Anzahl ideologisch flexiblerer Fachkollegen aus historischen Instituten der Akademie der Wissenschaften der DDR sowie aus einigen Universitätsinstituten, die sich auch durch eine größere Bereitschaft zur Berücksichtigung neuer Forschungsansätze und -methoden auszeichnen.
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schaften der DDR in Berlin (Ost) eine entscheidende Koordinierungsfunktion ausüben.
IH. Wenn sich in der Geschichtswissenschaft der DDR zu Beginn der 70er Jahre ihre im Prinzip bis heute bestehende strukturelle Organisationsform ausgebildet hatte, dann bedeutete das - trotz bereits stattfindender innerwissenschaftlicher Diskussionen - noch nicht, daß damit ein überzeugendes, identitätsstiftendes marxistisch-leninistisches Geschichtsbild erarbeitet worden war. Für die Gestaltung eines solchen Geschichtsbildes wurden die 70er Jahre von Bedeutung, insbesondere der Zeitraum nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker im Frühjahr 1971, durch den die Abkehr der SED von dem bis dahin immer noch existenten "gesamtdeutschen Bezugsrahmen" (Hans-Dieter Schütte) zugunsten einer internationalistischen Leitlinie vollzogen wurde. Mit dem Verzicht auf die bisher gebräuchliche "Zwei-Revolutionen-Theorie" - nämlich einer antifaschistisch-demokratischen in der SBZ nach Kriegsende von 1945 bis 1949 und einer darauf folgenden sozialistischen in der DDR nach der Staatsgründung von 1949-, deren politisch-ideologische und historiographische Konzeption der Teilung Deutschlands bis dahin noch immer Rechnung getragen hatte, wurde jetzt die "Wesensgleichheit" der historischen Entwicklung in der SBZ/DDR mit der Entwicklung der anderen sozialistischen Staaten unter der Führung der Sowjetunion propagiert. Der deutschlandpolitischen Formel "Zwei Staaten - Eine Nation" der damaligen Bonner sozialliberalen Koalition setzte Honecker die eigenständige Entwicklung einer sozialistischen Nation in der DDR entgegen. Mit der Feststellung, die Teilung Deutschlands sei ein historisch inzwischen abgeschlossenes Problem und die deutsche Frage demzufolge politisch nicht mehr offen, ging die verstärkte Betonung der als revolutionär bezeichneten Entwicklung der Geschichte der SBZ/DDR einher, während das nationale Element völlig aufgegeben wurde. Die Eliminierung aller auf die deutsche Nation als Ganzes Bezug nehmenden Formulierungen in der (zweiten) Verfassung von 1968 durch die Verfassungsrevision vom November 1974 trug dieser Entscheidung Rechnung. 28 Von westlichen Beobachtern ist in diesem Zusammenhang bisweilen übersehen worden, daß mit dieser Verfassungsrevision, bei der der bisher enthaltene Passus über die Wiedervereinigung Deutschlands ersatzlos gestrichen wurde, der Nationsbegriffkeineswegs aufgegeben worden war. Im Gegenteil: Die Postulierung einer sozialistischen Nation in der DDR, die das nationale Element bezeichnenderweise stärker akzentuierte als das deutsche, stellte 28 Vgl. die Ausführungen von Ulrich Neuhäußer-Wespy in diesem Band, S. 77 ff.; dazu Schütte (Anm. 6), S. 87 ff.
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unter Beweis, daß nach wie vor an dieser Kategorie festgehalten wurde auch wenn ideologische Propagandaformeln wie z. B. "revolutionärer Weltprozeß" oder "proletarischer Internationalismus" diese Tatsache zunächst zu verdecken schienen. Der propagierte Nationsbegriff der frühen 70er Jahre in der DDR war allerdings so abstrakt gefaßt und seines - auf die DDR bezogenen - spezifischen deutschen Inhalts beraubt, die Verkündung einer angeblich homogenen Entwicklung der DDR im Gleichschritt mit den anderen sozialistischen Nachbarstaaten unter der übermächtigen politischen und militärischen Ägide der Sowjetunion zudem so künstlich, daß beides Mitte der 70er Jahre stillschweigend revidiert wurde. Nicht aufgegeben wurde jedoch die mit dem Amtsantritt Honeckers forcierte Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland einschließlich der kompromißlosen Absage an deutsche Gemeinsamkeiten - ein bis heute unverändertes Schlüsselelement der Deutschlandpolitik der SED. Die politisch-ideologischen Kurskorrekturen der SED in den 70er Jahren erforderten eine Erneuerung der Konzeption des bis dahin bestehenden marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes. Wie die internationalistische Zwischenphase insbesondere der Jahre 1971 bis 1976 gezeigt hatte, konnte nämlich mit einem solchen Nationsbegriff, der seines eigentlich national-ethnischen Elements beraubt war, auf Dauer nicht länger operiert werden. Auch ließ sich die Ausklammerung oder Nichtbeachtung bestimmter historischer Zeiträume, geschichtswissenschaftlicher Themenstellungen und sozialer Klassen und Schichten nicht weiter fortsetzen, wenn die erwünschte Identifikation der Bevölkerung mit Staat und Gesellschaft in der DDR nicht gefährdet werden sollte. Das aber bedeutete zweierlei: Der Rekurs auf die gesamte deutsche Geschichte ohne Einschränkung erwies sich jetzt als ebenso unerläßlich wie die politisch-historische Einbettung der DDR als eigenständige deutsche Nation in deren Verlauf. Damit begannen sich der Anspruch der DDR auf die gesamte deutsche Geschichte sowie die damit verbundenen Umrisse eines integralen marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes abzuzeichnen. Diese "Rückwendung zur deutschen Geschichte"29 fand erstmals ihren Ausdruck in dem im Jahre 1978 erschienenen Aufsatz über "Die zwei Gesichter Preußens" von Ingrid Mittenzwei. 30 Sie forderte am Beispiel der preußischen Historie zur Überwindung eines Geschichtsbildes auf, das bis dahin aus einer bisweilen simplifizierend anmutenden Wertung zwischen progressiv-positivem und reaktionär-negativen Elementen des historischen Prozesses bestand. Ihre Kritik war unmißverständlich: 29 So Agnes Blänsdorf: Die deutsche Geschichte in der Sicht der DDR. Ein Vergleich mit der Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich seit 1945, in: GWU, 39. Jg. (1988), H. 5, S. 275. 30 lngrid Mittenzwei, Die zwei Gesichter Preußens, in: Forum, NT. 19, 1. Oktoberheft 1978.
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"Ein Volk kann sich seine Traditionen nicht aussuchen; es muß sich ihnen stellen, und es sollte dies auf unterschiedliche Weise tun ... Dieses Bekenntnis hat nichts mit einfachen Identifikationen zu tun."
Der Rückgriff auf die gesamte deutsche Geschichte als Grundlage für ein DDR-spezifisches Geschichtsbild und ein dementsprechendes Geschichtsbewußtsein wurde schließlich mit der Übernahme des Vorsitzes des MartinLuther-Komitees der DDR durch Erich Honecker am 13. Juni 1980 sanktioniert. Dem folgte nur ein Jahr später mit dem Beitrag von Walter Schmidt im Ostberliner "Sonntag"3! die theoretische Grundlegung des neuen, seither kaum mehr veränderten marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes in der DDR. Nachdem Schmidt die Grundgedanken seines Aufsatzes kürzlich noch einmal präzisierte, ist unbestreitbar, daß sich die DDR seit Anfang der 80er Jahre nunmehr "der ganzen deutschen Geschichte" stellt: "Damit sind vier Aspekte angesprochen: eine chronologische, eine räumlich-territoriale, eine sozialstrukturelle und eine den Geschichtsprozeß in allen seinen Ebenen und Bereichen betreffende Komponente. Die Nationalgeschichte des sozialistischen deutschen Staates beginnt natürlich nicht erst mit der unmittelbaren Genesis der DDR, sondern umschließt zeitlich die deutsche Geschichte seit dem Formierungsprozeß des deutschen Volkes. Unser Bild von deutscher Geschichte läßt sich räumlich nicht ... auf die deutschen Territorien verengen, die heute zum territorialen Bestand der DDR gehören. SozialstruktureIl gesehen, ist sozialistischem Geschichtsverständnis jede Beschränkung auf das Wirken revolutionärer Kräfte fremd; es schließt alle Klassen und Schichten des deutschen Volkes ein. Sozialistisches Geschichtsdenken bezieht sich schließlich nicht nur auf politische, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern sucht auch Alltag und Lebensweise, Kultur, geistiges Leben und Mentalität zu erschließen, will ein komplexes Geschichtsbild . .. Sich der ganzen deutschen Geschichte stellen heißt endlich, das historische Erbe als Ganzes, mit seinen Guthaben wie Schulden annehmen, sich mit ihm kritisch auseinandersetzen und am Fortschrittskriterium messen. "32
Der theoretische Entwurf dieses Geschichtsbildes hat in den letzten Jahren durch die jüngste marxistisch-leninistische Geschichtsforschung insofern eine praktische Ausfüllung erfahren, als die Ausgestaltung eines dergestalt integralen Geschichtsbildes zusehends Formen annimmt: 31 Vgl. die zu diesem Anlaß gehaltene Rede Honeckers mit dem Thema "In der DDR wird die historische Leistung Martin Luthers bewahrt", abgedruckt in: ZfG, 28. J g. (1980), H. 10, S. 927-931; und in: Martin Luther und unsere Zeit, Berlin (Ost) 1980, S. 9-18; sowie außerdem Walter Schmidt, Das Gewesene ist nie erledigt. Worauf muß sich eine Nationalgeschichte der DDR stützen?, in: Sonntag, 35. Jg., Nr. 27 vom 5. Juli 1981, S. 9. 32 Walter Schmidt, Wir stellen uns der ganzen deutschen Geschichte, in: Susanne Miller I Malte Ristau (Hrsg.), Erben deutscher Geschichte. DDR-BRD: Protokolle einer historischen Begegnung, Reinbek 1988, S. 37 f. Den hier von Schmidt geäußerten Feststellungen kommt nicht zuletzt deshalb eine erhebliche politische Bedeutung zu, weil sie anläßlich einer Veranstaltung in der Bundesrepublik Deutschland vorgetragen wurden.
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1. Chronologisch gesehen geschieht das insofern, als nach Abschluß dieser entscheidenden Umbruchphase - Walter Schmidt zufolge - jetzt "die ganze deutsche Geschichte seit der Entstehung des deutschen Volkes als ethnische Einheit")) bis in die Zeit der Urgesellschaft zurückverfolgt und als Forschungsaufgabe der Geschichtswissenschaft der DDR betrachtet wird. Damit werden sowohl die historisch als auch historiographisch unsinnigen Lücken zwischen einzelnen, bisher favorisierten Forschungsthemen - z. B. zwischen "Frühbürgerlicher" und Französischer Revolution, zwischen denen immerhin ein Abstand von mehr als 250 Jahren liegt - gefüllt und somit selbstgeschaffene Erklärungssachzwänge ausgemerzt.
2. Mit der territorialen Ausweitung einschließlich der Akzeptanz einer deutschen Geschichte, die "alle deutschen Gebiete ein[bezieht], soweit sie im Deutschen Reich und vorher im Deutschen Bund bzw. im 'Römischen Reich deutscher Nation' vor 1806 zusammengeschlossen waren", wird nicht nur ein historisch-geographischer Anspruch auf die gesamte deutsche Geschichte verbunden. Es soll auch vermieden werden, sich auf "eine ausschließlich oder vornehmlich preußische, sächsische, thüringische und mecklenburgische Geschichte" zu beschränken. Politische, aber auch historisch-mentalitätsbedingte Erblasten, als deren mögliche Fortsetzerin - z. B. im Hinblick auf Preußen oder Sachsen - die DDR erscheinen könnte, werden dadurch beseitigt. Die Rückbesinnung auf die Regionalund Heimatgeschichte mündet vielmehr in das "Konzept einer selbständigen deutschen Nationalgeschichte der DDR".34 3. Sozial-strukturell erfolgt die Ausgestaltung des Geschichtsbildes insofern, als nun auch diejenigen Klassen und Schichten erfaßt werden, die bisher kaum - und wenn, dann überwiegend negativ - ins Blickfeld der Historiographie der DDR gerieten: die nach marxistisch-leninistischem Verständnis herrschenden, ausbeutenden oder an der Macht partizipierenden Klassen und Schichten in vorsozialistischen ökonomischen Gesellschaftsformationen. Das läßt sich an dem unverfänglichen Beispiel der Forschungsgeschichte der Revolution von 1848/49 in der SBZ/DDR demonstrieren, die ja schon vor der Staatsgründung als vermeintlich progressives Element deutscher Geschichte zu den Forschungsschwerpunkten der jungen marxistisch-leninistischen Historiographie gehört hatte. Wie ein selbstkritischer Forschungsbericht vor einigen Jahren vermerkte, sei man nach einer fast ausschließlichen Konzentration auf die Arbeiterklasse, auf Marx und Engels und auf den Bund der Kommunisten in den 60er Jahren Vgl. ders., in: "Neuer Tag" vom 29.9.1984, Wochenbeilage, S. 2. Walter Schmidt, Nationalgeschichte der DDR und das territorialstaatliche historische Erbe, in: ZfG, 29. Jg. (1981), H. 5, S. 400; ders., Deutsche Geschichte als Nationalgeschichte der DDR, in: BzG. 25. Jg. (1983), H. 3, S. 333. 11
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im darauffolgenden Jahrzehnt zu einer intensiven Erforschung des liberalen Bürgertums, des eigentlichen Trägers der Revolution, übergegangen und müsse nunmehr, nach Abschluß der Erforschung von Arbeiterklasse und Bourgeoisie, zur Erforschung des Adels gelangen: Die Rolle des hohen und niederen Adels und speziell des Junkertums "im Prozeß der bürgerlichen Umwälzung in Deutschland" sei nämlich "bisher kaum untersucht" worden. 35 Dieser faktische Erkenntnisfortschritt und die daraus resultierende Ausdifferenzierung des Geschichtsbildes gilt auch für andere Forschungsbereiche, z. B. für die Wirtschaftsgeschichte,36 insbesondere die Agrargeschichte im 19. Jahrhundert, außerdem für die bemerkenswerten Arbeiten auf dem Gebiet der empirischen Sozialgeschichtsschreibung,37 für den Bereich der Kulturgeschichte sowie für die von Jürgen Kuczynski in Gang gesetzte Alltagsgeschichtsschreibung. 38 4. Die unbezweifelbare "Erweiterung der historischen Interessenschwerpunkte" und die "Akzentverschiebungen in der Interpretation der Forschungsgegenstände"39 in der Geschichtswissenschaft der DDR fußen auf einer seit einigen Jahren ablaufenden Diskussion über "Erbe" und ,,Tradition" und erhalten im anderen deutschen Staat dadurch erst ihren politischen Stellenwert. Nur von daher ergibt die Einordnung der Geschichte 31 Siegfried Schmidt, Junkerturn und Genesis des deutschen Konservatismus im 19. Jahrhundert, in: ZfG, 27. Jg. (1979), H. 11, S. 1058. 36 Obwohl insbesondere schon Jürgen Kocka gegen Ende der 60er Jahre mit seinem vergleichenden Beitrag über "Wirtschafts- und Sozialgeschichte" (vgl. Claus D. Kernig [Hrsg.], Marxismus im Systemvergleich: Geschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M./New York 1974, Sp. 276-320), ohne allerdings speziell auf die Forschung in der DDR einzugehen, richtungsweisende Ansätze zu einer Analyse der marxistisch-leninistischen Wirtschaftsund Sozialgeschichte vorgelegt hat, ist die westdeutsche Geschichtswissenschaft eine eingehende Auseinandersetzung mit den sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Publikationen aus der DDR bisher schuldig geblieben, sieht man von den regelmäßigen Rezensionen vor allem im "Archiv für Sozialgeschichte" und in der "Internationalen Wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" einmal ab. Bedauerlicherweise hat die neueste Gesamtdarstellung zur deutschen Sozialgeschichte ausdrücklich auf eine Bestandsaufnahme der entsprechenden Forschung in der DDR verzichtet: Vgl. Wolfgang Schieder / Volker Sellin (Hrsg.), Sozialgeschichte in Deutschland, Bde. 1-4, Göttingen 1986/87, hier Bd. I, S. 5. 37 Besonders hervorzuheben sind hier die Publikationen von Hainer Plaul, Landarbeiterleben im 19. Jahrhundert. Eine volkskundliche Untersuchung über Veränderungen in der Lebensweise der einheimischen Landarbeiterschaft in d::n Dörfern der Magdeburger Börde unter den Bedingungen der Herausbildung und Konsolidierung des Kapitalismus in der Landwirtschaft. Tendenzen und Triebkräfte, Berlin (Ost) 1979; und Rudolf Weinhold (Hrsg.), Volksleben zwischen Zunft und Fabrik. Studien zur Kultur und Lebensweise werktätiger Klassen und Schichten während des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, Berlin (Ost) 1982. 3~ Jürgen Kuczynski, Geschichte des Alltags des deutschen Volkes. Studien, Bde. 1-5, Köln 1981/82. JO So Miller / Ristau (Anm. 32), S. 9.
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der DDR als" wichtigster Zeitabschnitt der deutschen Geschichte"40 überhaupt einen Sinn: Denn "unter Erbe wird die Gesamtheit des in der Geschichte Existierenden, im Laufe der Geschichte Hervorgebrachten, verstanden". Dieses Erbe ist objektiv gegeben, man habe "auf seine Beschaffenheit keinen Einfluß". Damit stellt sich die DDR jetzt im Gegensatz zu früheren Jahren der gesamten deutschen Geschichte; geschichtswissenschaftlich bedingt das den jetzigen, integralen Ansatz der Historiographie der DDR. Im Unterschied zum "Erbe an sich" wird hingegen unter Tradition das "Erbe für uns" verstanden, "d. h. das von uns angeeignete oder anzueignende, bewahrte oder zu pflegende Erbe, das eben in den Rang einer historischen Tradition erhoben wird". Entscheidend ist, so wird betont, daß aus diesem Erbe der gesamten deutschen Geschichte "die Traditionen des nunmehr fast 150jährigen Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, die Geschichte der DDR eingeschlossen, das Kernstück unserer Tradition waren, sind und bleiben". Auf diese Weise wird die DDR "vor allem und im unmittelbarsten Sinn Ergebnis und Krönung des Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung".41 Mit der weiteren Unterscheidung zwischen revolutionär-demokratischem Erbe, wozu z. B. der Bauernkrieg und Thomas Müntzer gehören, dem humanistischen und dem anderen progressiven Erbe sowie schließlich dem positiven Erbe herrschender Ausbeuterklassen werden Zeichen dafür gesetzt, wie differenziert die Erbediskussion inzwischen geführt wird. 42 Es ist keine Frage, daß die Geschichtswissenschaft der DDR mit Hilfe eines solchen Geschichtsbildes in Zukunft nahezu alles aufzuarbeiten vermag, was bisher in der deutschen Geschichte existierte. Vor dem Hintergrund dieses generellen Wandels des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes ergibt sich diesbezüglich eine eigenständige, in einigen Abschnitten im Hinblick auf die Ausformung der Geschichtswissenschaft nicht immer deckungsgleiche Entwicklung. Im allgemeinen können in diesem Zusammenhang fünf Phasen unterschieden werden: 43 1. 1945-1950: Dieser Abschnitt ist geprägt von einer vorwiegend pessimistisch gekennzeichneten Sicht der deutschen Geschichte, deren negative Entwicklung im Nationalsozialismus kulminiert. Historisch progressive und entsprechend positiv bewertete Kräfte und Bewegungen (Bauern40 Vgl. Heinz Heitzer, Die Geschichte der DDR wichtigster Zeitabschnitt der deutschen Geschichte, in: ZfG, 32. Jg. (1984), H. 5, S. 387-394. 41 Ebd., S. 390. 42 Ebd., S. 390 f. Grundlegend zur Diskussion um Erbe und Tradition in der Geschichtswissenschaft der DDR: Walter Schmidt, Zur Entwicklung des Erbe- und Traditionsverständnisses in der Geschichtsschreibung der DDR, in: ZfG, 33. Jg. (1985), H. 3, S.195-212. 43 Vgl. die - von Details abgesehen im wesentlichen zutreffende Periodisierung der Entwicklung des Geschichtsbildes in der DDR bei Blänsdorf (Anm. 29), S. 265 ff.
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kriege, preußische Reformer, liberales Bürgertum und demokratische Arbeiterbewegung) erleiden immer wieder Niederlagen und tragen so zur .. Misere der deutschen Geschichte" (Alexander Abusch) bei. 2. 1951-1956: Die Verwerfung der bis dahin überwiegend negativen Sicht der deutschen Geschichte, die sich bereits in der Jahrhundertfeier zur Revolution von 1848 sowie in den Klassikerfeiern (Goethe 1949; Bach 1950; Beethoven 1952) abzuzeichnen begonnen hatte, geht mit einer .. Intensivierung des nationalen Akzents" einher. Die folgende, nahezu ausschließliche Konzentration auf die .. Freiheits-und Kampftraditionen des deutschen Volkes" (Reformation und Bauernkrieg, Mainzer Konvent, Befreiungskriege, Revolution von 1848/49, Arbeiterbewegung, Widerstand der KPD) indiziert .. eine patriotische, auf die deutsche Nation gerichtete Perspektive". 44 3. 1957-1970: Die überproportionale Konzentration auf die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung rückt diese in den Mittelpunkt des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes, so daß die DDR seitdem als Krönung und Verkörperung des politisch-historischen Wirkens der Arbeiterklasse angesehen wird. Diese einseitige Schwerpunktsetzung basiert konzeptionell auf entgegengesetzten und entsprechend negativ bzw. positiv bewerteten historischen Verlaufs strängen , an deren Endpunkten jeweils die Bundesrepublik Deutschland und die DDR stehen. Die überzogene Favorisierung der Geschichte der Arbeiterbewegung wird Ende der 60er Jahre reduziert und das Geschichtsbild unter verschärfter Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland unter eine internationalistische Leitlinie gestellt. 4. 1971-1979: Mit der historiographischen Einbettung der DDR in den revolutionären Weltprozeß, insbesondere in die Entstehung und Entwicklung der sozialistischen Staatengemeinschaft unter Führung der Sowjetunion, soll die "Einheit von proletarischem Internationalismus und sozialistischem Patriotismus" dokumentiert werden. Unter grundsätzlicher Beibehaltung dieser Geschichtsperspektive wird seit der Mitte der 70er Jahre die übertriebene Akzentuierung der DDR als sozialistische Nation zugunsten einer sozialistischen deutschen Nation in der DDR revidiert, deren politisch-historische Höherentwicklung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland jedoch feststehendes Axiom bleibt. 5. Seit 1980: Mit der Berufung auf die gesamte deutsche Geschichte geht die DDR endgültig von einem bis dahin selektiven zu einem integralen marxistisch-leninistischen Geschichtsbild über. Das neue Geschichtsverständnis im anderen deutschen Staat ermöglicht auf der Grundlage der .. Erbe-Tradition"-Konzeption ein wesentlich differenzierteres Ge•• Ebd., S. 269.
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Alexander Fischer und Günther Heydemann schichtsbild. Mit dem "Erbe"-Begriffwird die gesamte, insbesondere natürlich die deutsche Geschichte in ihrer Totalität und Widersprüchlichkeit erfaßt und mit dem "Traditions"-Verständnis gleichzeitig ein besonderer Anspruch der DDR auf bestimmte, progressiv gedeutete "Erbteile" reklamiert.
Mit dieser Entwicklung ist der historische und der argumentative Begründungszusammenhang in der Geschichtswissenschaft wesentlich fundierter geworden. Die Ausweitung dieses Geschichtsbildes vollzog sich dabei auf "diachronische" und auf "synchronische" Weise: "diachronisch", indem nun der gesamte Verlauf der Geschichte, bis in die Urzeit zurückverlängert, zum Gegenstand von Forschung und Darstellung geworden ist; "synchronisch", indem nun alle am historischen Prozeß beteiligten sozialen Schichten und nicht mehr nur einzelne, zudem favorisierte Klassen erfaßt werden.
IV. Eine kritische Analyse des Weges und Wandels der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsverständnisses in der DDR bliebe unvollständig, würden einige weitere Entwicklungsmomente außer acht gelassen, welche die Geschichtswissenschaft und zugleich das marxistisch-leninistische Geschichtsbild geprägt haben und immer noch prägen. Das gilt nicht zuletzt für immer noch bestehende Defizite unterschiedlichster Art, die vor allem aus der häufig von abrupten Brüchen gekennzeichneten Wissenschaftsgeschichte selbst resultieren und bis heute belastend wirken. Generell ist festzustellen, daß die Ausweitung des gesamten historischen Forschungsfeldes sowie die Ergänzung und Verfeinerung des theoretischen und methodologischen Zugriffs in der DDR, insbesondere in den letzten Jahren, zu bemerkenswerten historiographischen Leistungen geführt hat. Die unverkennbare Anpassung an internationale, insbesondere anglo-amerikanische und französische, Forschungsansätze ist dabei hauptsächlich über die Rezeption von Ergebnissen der westdeutschen Geschichtswissenschaft vollzogen worden, gleichsam durch eine Art innerdeutschen geschichtswissenschaftlichen 'Swift'. Das beweist, daß nicht allein durch den gemeinsamen Forschungsgegenstand, sondern auch durch eine permanente Perzeption und Rezeption die beiden deutschen Geschichtswissenschaften nach wie vor eng zusammenhängen. Darüber hinaus ist unstreitbar, daß Bereiche der Alltagsund Sozialgeschichte, die Agrargeschichte sowie die häufig gelungene Verbindung von Volkskunde und Wirtschaftsgeschichte heute durchaus international beachtete Gebiete geschichtswissenschaftlicher Forschung der DDR darstellen.
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Die Ausweitung des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes in der DDR erfordert freilich auch eine fach spezifische Spezialisierung und eine fach wissenschaftliche Diversifizierung. Alte und Mittelalterliche Geschichte wie die Geschichte der Frühen Neuzeit - um nichtmarxistischer Terminologie folgend, bloß die rein chronologisch-historischen Hauptforschungsgebiete zu nennen - können nicht erst seit dem heutigen internationalen Standard praktisch nur noch von Spezialisten betrieben werden. Gerade die jahrelange Vernachlässigung dieser Forschungsgebiete sowie ihre institutionelle und personelle Ausdünnung aufgrund der vornehmlich politisch-ideologisch motivierten Einschätzung, diese Epochen gäben für den historischen Legitimationsbedarf der DDR nur wenig oder nichts her, haben im anderen deutschen Staat zu selbstgeschaffenen Engpässen geführt. Es fehlt an ausgebildetem Nachwuchs, zudem an breit gefächerter Spezialliteratur auf internationalem Standard, schließlich an ausreichenden Möglichkeiten, sich die für solche Geschichtsforschung unverzichtbaren sprachlichen Kenntnisse, z. B. in Latein und Griechisch, umfassend anzueignen. Ohne Zweifel rächt sich gegenwärtig der besonders auf diese Fächer harte Zugriff der Partei in früheren Jahren, wurden sie doch als besonders "im bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb verankerte" Disziplinen (Heinz Heitzer) historischer Forschung betrachtet. Seitens der Mittelalterhistoriker der DDR ist es deshalb nur konsequent, wenn jetzt auch die volle Einbeziehung der Geschichte des Mittelalters in das marxistisch-leninistische Geschichtsbild und zugleich stillschweigend eine erhöhte Anerkennung und Förderung in fach spezifischer Hinsicht gefordert wird. 45 Wie sehr ideologische Vorgaben den geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisprozeß und damit das aus der Forschung hervorgehende Geschichtsbild immer noch zu beeinträchtigen vermögen, zeigt sich im Bereich der Verfassungs- und Rechtsgeschichte. In diesen Spezialdisziplinen der Historiographie hat die Geschichtswissenschaft der DDR seit ihrem Bestehen keine nennenswerten Arbeiten, die dem internationalen Vergleich standhalten könnten, hervorgebracht. Hier zeigen sich die negativen Auswirkungen der vom marxistisch-leninistischen Geschichtsverständnis her determinierten Auffassung, Verfassungen und Rechtsordnungen stellten nichts anderes als Überbauphänomene und demnach Folgen antagonistischer Herrschaftsverhältnisse dar. In der Geschichtswissenschaft der DDR sind gegenwärtig jedenfalls keine innovativen Ansätze erkennbar,46 die dieses Defizit beheben 45 Vgl. z. B. Evamaria Engel, Zum historischen Erbe mittelalterlicher deutscher Geschichte, in: ZfG, 35. Jg. (198 7 ), H. I, S. 28-39, mit einer bemerkenswerten Kritik an der nur bedingt möglichen Übertragbarkeit des z. Zt. in der DDR gültigen Erbe- und Traditionsverständnisses auf die Geschichte des Mittelalters. 46 Etwa im Sinne der in den frühen 70er Jahren hierzulande vorgenommenen Ausweitung des Verfassungsbegriffes durch Ernst-Wolfgang Böckenförde (Verfassung als "politisch-soziale Bauform einer Zeit").
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könnten - ein Mangel, der u. a. auch in Fragen der Parlamentarismusforschung sowie der Wahlrechts- und Wahlverhaltensforschung zum Ausdruck kommt. Ähnliches gilt aber auch für Forschungsbereiche, in denen die marxistischleninistische Historiographie der DDR sowohl vom wissenschaftlichen Ansatz als auch vom Begriffsinstrumentarium her bemerkenswerte Leistungen vorweisen kann. So fällt auf, daß gerade in der hochentwickelten Kultur-und Alltagsgeschichte Bereiche wie Religion, Religiosität, Kirche oder Kirchenorganisation qualitativ abfallen und die davon ausgehenden Einflüsse kaum als mentalitätsgeschichtliche und sozio-kulturelle Eigenständigkeiten erfaßt werden. Auf Dauer wird es nicht genügen, in diesen Einflüssen nur politische Steuerungsmechanismen und herrschaftsstabilisierende Funktionen erkennen zu wollen. 47 Die vielleicht interessanteste Entwicklung in diesem Zusammenhang weist die seit Mitte der 70er Jahre enorm forcierte Zeitgeschichte auf, die schon seit der Ablösung Ulbrichts durch Honecker im Jahre 1971 an Bedeutung gewonnen hatte. Die seit dem Ausgang der 50er Jahre etablierte Zeitgeschichtsforschung 48 hat sich, nach einer anfänglichen Konzentration auf die unmittelbare Nachkriegszeit und auf die Entstehungsgeschichte der DDR in den Jahren 1945 bis 1949, zunehmend auf die Geschichte der DDR selbst verlegt und dürfte inzwischen ein gutes Drittel, wenn nicht mehr, der gesamten historischen Forschung im anderen deutschen Staat ausmachen. Nach wie vor wohnt ihr, verglichen mit anderen geschichtswissenschaftlichen Forschungsthemen und -bereichen, eine besonders ausgeprägte Legitimationsfunktion inne; der stark apologetische und nicht selten panegyrische Ton der früheren Jahre hat sich jedoch in jüngster Zeit erheblich abgeschwächt. Offenbar stellt der unmittelbar politikgeschichtliche und gegenwartsimmanente Bezug keinen Grund mehr für vorsichtig taktierende Zurückhaltung dar, wie das noch vor einiger Zeit der Fall war. Auffassungsunterschiede und daraus resultierender Meinungsstreit werden inzwischen offen ausgetragen. 49 Zugleich ist das Bemühen unverkennbar, die Zeitgeschichtsforschung und 47 Vgl. z. B. Jan Peters, Der Platz der Kirche. Über soziales Rangdenken im Spätfeudalismus, in: JbfVk, Bd. 28 (1985), S. 77-106. 48 Zu den AnHingen zeitgeschichtlicher Forschung mit einer von Beginn an starken Akzentuierung auf die deutsche Geschichte nach 1945 als Geschichte der DDR vgl. Heinz Heitzer, "Zeitgeschichte" 1945-1958. Ihre Grundlegung als Spezialdisziplin der Geschichtswissenschaft in der DDR, in: ZfG, 35. Jg. (1987), H. 2, S. 99-115. 49 Vgl. Siegfried Prokop, Der sozialistische Aufbau im Vorfeld des V. Parteitages der SED (1956 bis 1958), in: ZfG, 32. Jg. (1984), H. 9, S. 765-777; dazu die Erwiderung von Günter Mäschner: Die Jahre 1956 bis 1958 in unserem Geschichtsbild. Bemerkungen zu einem Beitrag von Siegfried Prokop, in: ZfG, 33. Jg. (1985), H. 11, S. 1008-1021; sowie die Entgegnung von Siegfried Prokop darauf: Probleme der Geschichte der DDR 1956 bis 1958. Anmerkungen zu Günter Mäschners Diskussionsbeitrag, in: ZfG, 34. Jg. (1986), H. 9, S. 814-818.
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-schreibung durch verstärkten Rückgriff auf authentisches Quellenmaterial qualitativ weiter zu verbessern. 50 Allerdings kann nicht übersehen werden, daß dieser Forschungsbereich jenen wissenschaftlichen Stand noch nicht erreicht hat, der etwa bereits auf dem Gebiet der Geschichtstheorie und -methodologie sowie in einzelnen Bereichen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte erzielt werden konnte. Welche politischen und faktischen Barrieren dem zugrunde liegen, ist für den westlichen Beobachter schwer einzuschätzen. Der funktionale Stellenwert der Zeitgeschichte kann jedoch schon deshalb kaum unterschätzt werden, weil sie die DDR aus ihrer eigenen Vorgeschichte und Geschichte, d. h. aus sich selbst heraus, zu legitimieren hat: Weil die Klassenfrage angeblich gelöst ist, soll die DDR - nach marxistisch-leninistischem Verständnis - zum bisherigen Höhepunkt deutscher Geschichte hochstilisiert werden. 51
v. Als Fazit der Betrachtung über Weg und Wandel der Geschichtswissenschaft in der DDR bleibt festzuhalten, daß das marxistisch-leninistische Geschichtsbild zweifellos an Konturen gewonnen hat, zudem differenzierter und nuancenreicher geworden ist. 52 Es sollte in diesem Zusammenhang jedoch keinesfalls übersehen werden, daß der Übergang von einem selektiven zu einem integralen Geschichtsbild für das politische Regime in der DDR neue und schwierige Fragen aufwirft. Wenn es auf Dauer auch wenig sinnvoll war, sich schwerpunktmäßig nur mit ausgewählten Teilen des historischen Gesamtprozesses auseinanderzusetzen, so ist es vom politisch-historischen Legitimationsbedürfnis des anderen deutschen Staates durchaus logisch ge50 Vgl. die kritischen Anmerkungen zum Stand der Zeitgeschichtsforschung in der DDR von Siegfried Prokop: Übergang zum Sozialismus in der DDR. Entwicklungslinien und Probleme der Geschichte der DDR in der Endphase der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus und beim umfassenden sozialistischen Aufbau (1958-1963), Berlin (Ost) 1986, S. 20 ff. Daß in der Zeitgeschichtsforschung neben "strukturgeschichtlichen" Darstellungen zunehmend Themenbereiche des" Überbaus" in Angriff genommen werden, zeigen die Beiträge in einem vom Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der DDR herausgegebenen Sammelband über "Geistig-kulturelle Beziehungen und Prozesse in der Periode der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zur Soziologie des Neubeginns nach dem zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (Berlin [Ost] 1986). 51 Vgl. den von Erich Honecker erstatteten Bericht des ZK der SED an den VIII. Parteitag, abgedruckt in: DA, 4. Jg. (1971), H. 7, S. 762, und passim. 52 Vgl. als Beispiel die Selbsteinschätzung der Forschungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert durch die Historiographie der DDR: Walter Schmidt / Carola Seiler, Die Durchsetzung einer differenzierten Bewertung der revolutionären deutschen Sozialdemokratie in der Geschichtswissenschaft der DDR, in: BzG, 26. Jg. (1984), H. 6, S. 750ff.
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wesen, "einen entlastenden Bogen"53 um diejenigen Epochen und Klassenverhältnisse deutscher Geschichte zu schlagen, die aus marxistisch-leninistischer Perspektive als reaktionär galten und von vornherein negativer historischer Wertung unterlagen. Von daher war es auch folgerichtig, Entstehung, Geschichte und Gegenwart der DDR nicht mit diesem Ballast zu identifizieren und damit gleichzeitig zu legitimieren. Auf diese Weise wurde das Problem nationalgeschichtlicher Kontinuität umgangen; gleichzeitig entzog man sich jeder daraus entspringenden Verantwortung. Die bis heute höchst unzureichende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist hierfür ein ebenso symptomatisches wie symbolträchtiges Beispiel. Weder politisch-ideologisch noch historiographisch kann sich die DDR jedoch im Blick gerade auf die jüngste deutsche Geschichte auf Dauer damit begnügen, sich "unter Hinweis auf ihren prinzipiellen' Antifaschismus' sowie den kommunistischen Widerstand gegen Hitler ... von der gemeinsamen deutschen Verantwortung für die NS-Diktatur"54 zu dispensieren. Das Festhalten an der Agententheorie Georgi Dimitrovs als Erklärungsmodell für den Faschismus 55 hat sich schon seit Jahren als wissenschaftlich unfruchtbar erwiesen. Ähnliches wie für die Nationalsozialismus- und Faschismusforschung gilt übrigens für die in ideologischen Verkrustungen verharrende Imperialismusforschung. 56 Dem theoretisch formulierten Anspruch auf die Behandlung der gesamten deutschen Geschichte wird deshalb gerade in diesen historischen Themenbereichen die praktische historiographische Ausfüllung erst noch folgen müssen. Noch entscheidender ist, daß die Logik der bisher selektiven Konzeption des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes von dem jetzt offerierten ganzheitlichen Verständnis umgestoßen wird. Alle rabulistischen Feinheiten eines ausgeklügelten, marxistisch-leninistischen Verständnisses von Erbe und Tradition vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der jetzt gehandhabte Zugriff auf die gesamte deutsche Geschichte das derzeit zentrale Problem der nationalen Geschichte der Deutschen, die Frage nach der deutschen Einheit, zwangsläufig erneut aufwirft. Denn mit der Aufgabe ihres bisher einseitigen Rückbezuges auf die deutsche Vergangenheit verliert nicht nur der interpretatorisch-historiographische Blickwinkel an Trennschärfe; j) Karl-Ernst Jeismann, Die Einheit der Nation im Geschichtsbild der DDR. in diesem Band, S.5l7. 14 So Horst Möller: Zeitgeschichte - Fragestellungen. Interpretationen, Kontroversen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", B 2/1988, S. 13. II Umfassend hierzu Hans-Ulrich Thamer: Nationalsozialismus und Faschismus in der DDR-Historiographie, ebd., B 13/1987, S. 27-37. 16 Vgl. hierzu demnächst Stig Förster: Imperialismus, Militarismus und das Deutsche Kaiserreich. Grundtendenzen in der DDR-Historiographie zur deutschen Geschichte 1897/98-1914. Der Beitrag wird in dem in Vorbereitung befindlichen zweiten Band des vorliegenden Sammelwerkes erscheinen.
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das neue, integrale Geschichtsbild mit dem Bezug zur gesamten deutschen Geschichte, die ja unrevidierbar die nationale Geschichte aller Deutschen bleibt, stellt auch die ungelöste Frage nach der Einheit der Nation in der Gegenwart neu. Nicht zuletzt ist diese ja gerade ein Ergebnis der deutschen Geschichte. Damit mündet die politisch-ideologisch wie in der Forschung und Historiographie notwendig gewordene Ausweitung des bisherigen, fragmentierten Geschichtsbildes in der DDR - eine Konsequenz des nach wie vor kaum zu unterschätzenden Legitimationsbedürfnisses des anderen deutschen Staates - in einen selbst geschaffenen Begründungszwang. Das nach Karl-Ernst Jeismann "auf einem dichotomischen und einem teleologischen Grundprinzip" basierende nationale Selbstverständnis der DDR, das seinerseits "in der messerscharfen Gegenüberstellung des sozialistischen ... und des kapitalistischen oder imperialistischen Systems" begründet liegt, andererseits auf "einer universalgeschichtlichen Linie" beruht, "die notwendig zum Sieg des Sozialismus führt",57 muß deshalb fragwürdig werden. Denn es erscheint wenig überzeugend, sich in historiographischer Hinsicht auf die gesamte deutsche Vergangenheit zu beziehen und sich gleichzeitig in politisch-ideologischer Hinsicht als eigenständige, nationale Größe zu definieren, ohne sich doch als existenter "Teilstaat einer Nation" weder einem historischen noch politischen Gesamtzusammenhang entziehen zu können. Die vormals eindeutige Zuordnung, die DDR als das Ergebnis aller progressiven historischen Prozesse, die Bundesrepublik Deutschland hingegen als das Resultat aller reaktionären Entwicklungen in der deutschen Geschichte darzustellen, wird damit relativiert. Viel eher impliziert das neue, integrale Geschichtsbild in der DDR eine Annäherung an das Geschichtsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein weiteres, kaum zu lösendes Problem besteht darin, daß das von der SED immer wieder geforderte hochentwickelte marxistisch-leninistische Geschichtsbild, das jetzt von den Historikern der DDR bereitgestellt worden ist, seine motivierende Funktion nur dann zu erfüllen vermag, wenn ihm eine faktische - nicht fiktive oder noch zu erwartende - Umsetzung in der realen Gegenwart seitens der politischen Führung sowie der Zustand der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ordnung entspricht. Die Einlösung dieser Forderungen erscheint um so dringlicher, je größer der normative Anspruch auf Vorrang und Höherwertigkeit des eigenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems ist - ein Anspruch, den die SED stets massiv propagiert hat. Der aus solch spezifisch historischem Bewußtsein jedenfalls erwünschte Einsatz der Einwohner der DDR für Staat und Gesellschaft der deutschen Arbeiter- und Bauernrepublik muß jedoch dort seiner beabsichtigten Wirkung verlustig gehen, wo das Recht auf Freizügigkeit buchstäblich an Mauern stößt und die Versorgung mit Verbrauchsgütern aller Art nur 57
Jeismann (Anm. 53), in diesem Band, S. 518.
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unzureichend gewährleistet wird. Damit setzt das vom politischen Regime in der DDR immer wieder von den Historikern geforderte - und jetzt weitgehend erarbeitete - Geschichtsbild die Führung von Partei und Staat selbst unter Zugzwang: Nachdem die Historiker ihrer Aufgabe weitgehend nachgekommen sind, liegt es an der SED, die historische Legitimation der DDR gesellschafts- und wirtschaftspolitisch tatsächlich einzulösen. Im Unterschied zum Beginn der Ära Honecker scheint jedoch die Erfüllung des von der SED stets erhobenen realsozialistischen Anspruchs in der DDR schwieriger denn je zu sein: Unerwartet ist zu dem immer schon bestehenden Modernisierungsdruck, insbesondere aus der Bundesrepublik Deutschland, der politisch-ideologische Reformdruck durch die Bemühungen des Generalsekretärs der KPdSU, M. S. Gorbacov, um eine Umgestaltung der Gesellschaft (Perestroika) in der Sowjetunion hinzugekommen. Die daraus resultierende Erwartungshaltung bei der Bevölkerung der DDR wird sich kaum durch ein noch so differenziertes marxistisch-leninistisches Geschichtsbild kompensieren lassen. All dies belegt,58 daß die Wiederanknüpfung der DDR an die gesamte deutsche Geschichte nicht nur ein wissenschaftsgeschichtlich bedeutendes, sondern auch ein deutschlandpolitisches Ereignis ersten Ranges ist. Vordergründig mag es um das .. sozialistische Erbeverständnis" der DDR gehen, in Wirklichkeit aber steht ihr nationaler politisch-historischer Alleinvertretungsanspruch zur Debatte. Die SED läßt jedenfalls keinen Zweifel daran, das wahre und unverfälschte Erbe deutscher Kultur- und Geistesgeschichte auf dem Boden der DDR zu bewahren, zu pflegen und fortzuentwickeln. Das kann hierzulande schon deshalb nicht unbeachtet bleiben, weil dieser Anspruch offensichtlich nicht gegenüber der Republik Österreich oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, sondern gegenüber der Bundesrepublik Deutschland durchgesetzt werden soll. Der offenkundige Versuch der Ausformung eines gesamtdeutsch orientierten Geschichts- und Nationalbewußtseins besitzt damit sowohl eine politische als auch eine wissenschaftliche Dimension. In beiden Fällen ist mithin die hiesige Geschichtswissenschaft gefordert. Ihr obliegt es in dieser innerdeutschen Auseinandersetzung schließlich gleichsam wie selbstverständlich, unbelastet von den Auflagen linientreuer Parteilichkeit der Historiographie in der DDR, die dortige Indienstnahme von Geschichte und Geschichtswissenschaft durch die SED jener kritischen Prüfung zu unterziehen, welche die Stichhaltigkeit der von der Partei vorgegebenen und von den marxistisch-leninistischen Historikern vorgetragenen Argumente und Ergebnisse erst ausmacht.
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Vgl. Fischer (Anm. *), S. 14 ff.
11. Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR
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Geschichte im demokratischen Pluralismus und im Marxismus-Leninismus*
I.
Der Ausgangspunkt des historischen Bewußtseins sowie der Geschichtswissenschaft und ihrer gesellschaftspolitischen Umsetzung scheint auf den ersten Blick nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den westlichen Besatzungszonen und in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands identisch gewesen zu sein. Der spätere Kultusminister der DDR, Alexander Abusch, ergründete im Jahre 1946 im sowjetisch besetzten Sektor der zerstörten Reichshauptstadt Berlin den "Irrweg einer Nation", 1 während im amerikanischen Sektor Friedrich Meinecke, ebenfalls im Jahre 1946, Betrachtungen über "Die deutsche Katastrophe" anstellte. 2 Beiden ging es um die SeJbstvergewisserung des eigenen historisch-politischen Standorts, um "Vergangenheitsbewältigung" als politische Voraussetzung des Überlebens. Historische Bewußtmachung oder Verdrängung lautete die Alternative. Der Zusammenbruch national staatlicher und historischer Kontinuität, die Problematisierung der überlieferten Wertvorstellungen durch die Existenz der nationalsozialistischen Diktatur, die lang anhaltende Dominanz dieser Epoche im historischen Bewußtsein, die kritische Durchleuchtung der neueren deutschen Geschichte auf Fehlentwicklungen, die schon vor 1945 im Exil lebende deutsche Gelehrte wie Helmuth Plessner 3 vorgenommen hatten,
* Leicht gekürzter, nahezu unveränderter Nachdruck des Beitrages "Geschichte" in: Wolfgang R. Langenbrucher I Ralf Rytlewski I Bemd Weyergraf (Hrsg.), Kulturpolitisches Wörterbuch: Bundesrepublik Deutschland I Deutsche Demokratische Republik, Stuttgart 1983, S. 233-239. I Alexander Abusch, Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1946. Der Verf. legte im Jahre 1960 eine 8., neu durchgesehene und erweiterte Auflage des Buches vor. 2 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen. Wiesbaden 1946. J Helmuth Plessner, Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche. Zürich 1935 (Neuauflage unter dem Titel "Die verspätete Nation". Stuttgart 51969). 3DDRI
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prägte nach 1949 in beiden deutschen Staaten das Geschichtsbewußtsein und unterschied es in signifikanter Weise vom Geschichtsverständnis in den Nachbarstaaten, die sich als Opfer und nicht als Verantwortliche für nationalsozialistische Diktatur und Zweiten Weltkrieg sehen konnten. Im Sinne politischer Pädagogik rückte die nationalsozialistische Herrschaft ins Zentrum öffentlicher Diskussion über die deutsche Geschichte und des Geschichtsunterrichts. Soweit schien der anfangs wenig reflektierte Antifaschismus in West und Ost eine gemeinsame Basis moralisch-politischer Erneuerung und staatlichen Neuaufbaus zu bilden. Aber schon hier trennten sich die Wege; der Antifaschismus war im Hinblick auf die "Vergangenheitsbewältigung" und den Neuaufbau nur ein formal einigendes Band. Während die Bundesrepublik Deutschland sich als Nachfolgestaat des Deutschen Reiches verstand, vom Anspruch auf staatsrechtliche Alleinvertretung ausging, die rechtliche Erbschaft übernahm und sich zur gesamten deutschen Geschichte bekannte, verstand sich die DDR als ein Staat, der auf den "besseren" Traditionen der deutschen Geschichte gegründet war. Sie erhob einen ideologischen "Alleinvertretungsanspruch" auf die fortschrittlichen, humanitären Traditionen, die für den Nationalsozialismus nicht verantwortlich waren. Demgegenüber vertrat die Bundesrepublik Deutschland in der Sicht der DDR die inhumanen, reaktionären und militaristischen Kräfte, die zum Aufstieg des Nationalsozialismus geführt und sein partielles Überleben nach 1945 in Revanchismus, Imperialismus und Militarismus ermöglicht hatten. Zeitgeschichte als methodisch abzugrenzende Epoche der Neueren Geschichte beschränkt die DDR folglich auf die Zeit nach 1945, auf die unmittelbare Vorgeschichte und Geschichte des eigenen Staates. Demgegenüber verstand sich die Bundesrepublik Deutschland als Produkt der neueren deutschen und europäischen Geschichte und als Ergebnis eines positiv verstandenen historischen Lernprozesses aus den politischen Krisen des 20. Jahrhunderts, die im Kampf demokratischer und totalitärer Staatensysteme Ausdruck fanden. Als Zeitgeschichte gilt in der Bundesrepublik die Epoche seit dem Jahre 1917, das mit der russischen Oktoberrevolution und dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg weltpolitisch höchst bedeutsame Weichenstellungen brachte. Nach Kriegsende gerieten die liberalen Demokratien in einen doppelten Abwehrkampf gegen die Diktatur bolschewistischen Typs oder die Diktaturen faschistischer oder nationalsozialistischer Provenienz. Die zeitgeschichtliche Trias "Scheitern der Weimarer Demokratie - nationalsozialistische Diktatur - Demokratiegründung in den Westzonen" begründete das historische Selbstverständnis der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und erlaubte es, mit Hilfe der Totalitarismuskonzeption den anderen deutschen Staat historisch als kommunistische Diktatur im Machtbereich der Sowjetunion einzuord-
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nen. Der Kalte Krieg zwischen den Machtblöcken stabilisierte für nahezu zwanzig Jahre dieses Selbstverständnis. Darüber hinaus bestand ein Unterschied darin, daß die DDR sich mit der antifaschistischen Abhebung ihres Staates vom Nationalsozialismus leichter tat als die Bundesrepublik Deutschland, obwohl deren materielle Leistungen an Opfer des Nationalsozialismus und ihre Nachkommen erheblich größer waren als die der DDR. Auch stand in der Bundesrepublik Deutschland die tatsächliche Abkehr an Radikalität derjenigen in der DDR nicht nach, zumal sie prinzipiell antitotalitär war. Zur Staatsideologie der DDR gehört, anders als in der Bundesrepublik Deutschland, ein verbindliches Geschichtsbild, in dem schon seit Beginn der 30er Jahre dem Faschismus ein spezifischer historischer Ort zugewiesen war. An diese Deutung, die in der Faschismusinterpretation der Kommunistischen Internationale des Jahres 1933 kumulierte, knüpfte die DDR an. Da sie sich als Teil einer historisch-politischen Tradition verstand, in der der Faschismus seit jeher bekämpft worden war, hatte sie vermeintlich nichts zu bewältigen. Die dieser Selbsteinschätzung widersprechenden historischen Fakten - z. B. die Zerstörung der Weimarer Demokratie durch KPD und NSDAP oder der Hitler-Stalin-Pakt von 1939, mit dem u. a. die Aufteilung Polens besiegelt wurde - tauchten in offiziellen Geschichtsdarstellungen nicht auf oder wurden kaschiert. Walter Ulbricht, langjähriger Erster Sekretär der SED, ließ trotz dieser tatsächlichen partiellen kommunistisch-nationalsozialistischen Zusammenarbeit nach 1945 an der Faschismusdefinition der Komintern festhalten und "befreite" damit die DDR als "fortschrittliche Alternative" der deutschen Geschichte prophylaktisch von der Erbschaft des Nationalsozialismus. Die Definition lautet: "Der Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals." Folgerichtig wurden kommunistische Emigration und kommunistischer Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur seit Gründung der DDR im Jahre 1949 als konstitutive historische Voraussetzungen dieses Staates begriffen. Demgegenüber konnte sich in der Bundesrepublik Deutschland erst nach Jahrzehnten ein politisch positiveres Verhältnis zur politischen Emigration durchsetzen, während auch hier der Widerstand gegen den Nationalsozialismus schon früh zur Bildung eines historisch-politischen Bewußtseins beitrug, allerdings in charakteristischer Konzentration auf den ethischen Aspekt des Widerstands. Die politische Heterogenität und das Vorherrschen zum Teil konservativ-autoritärer Staats- und Verfassungsvorstellungen in manchen Widerstandskreisen war für eine Ahnenreihe zum demokratischen Parlamentarismus in der Bundesrepublik Deutschland in politischer Hinsicht nicht immer unproblematisch.
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11. Die Bundesrepublik Deutschland kennt kein staatlich verordnetes oder offiziell sanktioniertes, für Wissenschaft, Schule und Öffentlichkeit verbindliches Geschichtsbild. Der Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit der Meinungsäußerung, der Presse, der Kunst, der Wissenschaft sowie von Forschung und Lehre. Verfassungspraxis und Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland stimmen mit dem Wortlaut dieses Artikels überein. Zwar gewährleistete auch die erste Verfassung der DDR von 1949 im Artikel 34 die Lehrfreiheit, doch fiel sie tatsächlich mehr und mehr dem kulturpolitischen Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus zum Opfer. Die 1968 erlassene neue Verfassung der DDR nannte das Grundrecht der Lehrfreiheit nicht mehr; der Verfassungstext wurde also der Verfassungspraxis angeglichen. Die Kulturautonomie der Länder der Bundesrepublik Deutschland und die politische Unterschiedlichkeit ihrer Regierungen hat zu differierendem Gewicht des Geschichtsunterrichts in den Ländern geführt. Allerdings kann der Bürger auf Einhaltung der Verfassung klagen. Beispielsweise hat der Hessische Staatsgerichtshof im Januar 1982 die zuungunsten des Geschichtsunterrichts durch die Landesregierung eingeführte Integration des Fachs Geschichte in die "Gesellschaftslehre" als verfassungswidrig erklärt und die Neueinrichtung des Fachs Geschichte in der gymnasialen Oberstufe verlangt. So mißt die Verfassung des Landes Hessen von 1946 in Artikel 56 dem Geschichtsunterricht spezifische Aufgaben zu: "Der Geschichtsunterricht muß auf getreue, unverfälschte Darstellung der Vergangenheit gerichtet sein. Dabei sind in den Vordergrund zu stellen die großen Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft, Zivilisation und Kultur, nicht aber Feldherren, Kriege und Schlachten. Nicht zu dulden sind Auffassungen, welche die Grundlagen des demokratischen Staates gefährden."
Geht diese Verfassung erheblich über die anderen Länderverfassungen und das Grundgesetz hinaus, so nennt sie doch einige Elemente des Geschichtsunterrichts, über die zumindest in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland weitgehend Konsens bei den Bildungspolitikern demokratischer Parteien bestand. Auf der anderen Seite sind die politischen und ethischen Prämissen, die aus historischen Gründen in die Verfassungstexte nach 1945 Eingang fanden, weder einer mit Totalitätsanspruch auftretenden politischen Ideologie entnommen noch geeignet, ein in sich geschlossenes Geschichtsbild zu begründen. Auch insofern ist die Rolle der Geschichte in der Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland nicht verbindlich festgelegt, noch ist solche Fixierung überhaupt angestrebt. Aus diesen Gründen normierte die für beide deutsche Staaten analoge Ausgangssituation von 1945 nur für kurze Zeit die geschichtsbezogene Dis-
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kussion. Da sich die Bundesrepublik Deutschland nicht auf die Weise von der Erbschaft des Nationalsozialismus befreien konnte wie die DDR, war die selbstkritische Radikalität dieser historischen Auseinandersetzung unter dem Stichwort "Vergangenheitsbewältigung" im westlichen deutschen Staat oft erheblich größer. Allerdings verschwanden unterhalb staatlicher Verantwortung apologetische Tendenzen nie ganz aus der öffentlichen Diskussion, blieben jedoch auf kleine Zirkel beschränkt. "Geschichtsmüdigkeit" eines Teils der überlebenden Generation war nicht selten die Reaktion auf die NS-Vergangenheit und die immer wieder erneuerten Versuche, sie zu "bewältigen". Die gebrochene Kontinuität des deutschen Nationalstaates und der deutschen Geschichte wirkte sich in der Bundesrepublik Deutschland erheblich stärker aus als in der DDR. Die historisch-politische Diskussion der 50er Jahre war denn auch von Befürchtungen um die Folgen der "peinlichen Besinnung" (Heimpel) auf die jüngste deutsche Geschichte nicht frei. Historiker wie Alfred Heuß fragten nach dem "Verlust der Geschichte" (1952)4 oder wie Hermann Heimpel nach der "Kapitulation vor der Geschichte" (1956). 5 Etwas von dieser die geschichtliche Reflexion beherrschenden Atmosphäre ist noch in den Überlegungen von Reinhard Wittram über "Das Interesse an der Geschichte" oder über "Anspruch und Fragwürdigkeit der Geschichte"6 zu spüren. Nur selten drangen geschichtswissenschaftliche Kontroversen in das gesellschaftliche Bewußtsein der Bundesrepublik Deutschland. Eine dieser Kontroversen wurde ausgelöst durch das Buch des Hamburger Historikers Fritz Fischer über Deutschlands "Griff nach der Weltmacht". 7 Seine Analyse der Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland von 1914 bis 1918 und seine These der Kontinuität imperialistischer Außenpolitik vom wilhelminischen Kaiserreich bis zur Hitier-Diktatur traf einen neuralgischen Punkt im historischen Selbstverständnis der Deutschen. Spätere Kontroversen hatten zwar eine sachlich begründetere Aktualität und waren in der Regel methodisch fruchtbarer, ihre öffentliche Wirkung aber war eher indirekt. Das galt beispielsweise für die seit Mitte der 60er Jahre sich verschärfende "Grundlagenkrise" der Geschichtswissenschaft, bei der die vorherrschenden methodischen Prinzipien des Historismus von Kri4 Alfred Heuß, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959; vgl. auch ders., Die Geschichte des Altertums und das Problem der geschichtlichen Bildung, in: GWU, 3. Jg. (1952), S. 321 ff. I Hermann Heimpe1, Kapitulation vor der Geschichte? Gedanken zur Zeit, Göttingen 1956. 6 Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte. Zwölf Vorlesungen über Fragen des zeitgenössischen Geschichtsverständnisses, Göttingen 1958; ders., Anspruch und Fragwürdigkeit der Geschichte, Göttingen 1969. 7 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1961.
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ti kern innerhalb und außerhalb der Zunft wissenschaftlich, aber auch politisch in Zweifel gezogen wurden: wissenschaftlich, weil der Historismus als methodische und thematische Verengung angesehen wurde; politisch, weil besonders die Studentenbewegung der ausgehenden 60er Jahre an dieser Methode des "forschenden Verstehens" bemängelte, sie diene nicht der rationalen Erklärung der Geschichte, sondern der "Herrschaftsstabilisierung" . Die Kritiker forderten eine Öffnung der traditionellen Geschichtswissenschaft und des Unterrichts in den Schulen zur Sozialwissenschaft hin, eine Verstärkung der Erforschung wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Themen, eine Einbeziehung von bisher eher am Rande stehenden Fragen wie der Technikgeschichte, schließlich eine Abkehr von der Geschichte der "Herrsehenden" zur Geschichte der "Beherrschten", vor allem der sozialen Unterschichten. Geschichte als "Historische Sozialwissenschaft" , wie sie u. a. von Hans-Ulrich Wehler und Jürgen Kocka gefordert wurde,8 implizierte die Kritik an bis dahin dominierenden politischen Wertungen und am "bürgerliehen" Geschichtsbild. Andere führende Historiker, die der historiographischen Tradition keineswegs unkritisch gegenüberstanden, warnten davor, der Geschichte den Prozeß zu machen und den Historiker als Ankläger und Richter über die Vergangenheit zu sehen, die Vielfältigkeit des historischen Geschehens zu reduzieren und auf dessen Verstehen zu verzichten, um vom Heute her interessenbezogen zu entscheiden, was in der Vergangenheit hätte richtig sein sollen und morgen richtig sein müsse. Demgegenüber sei die Offenheit der Geschichte festzuhalten und Vergangenheit und Zukunft ihr eigenes Recht zu belassen. 9 Die "Grundlagenkrise" führte zu einer Flut methodologischer Schriften, zu einer großen Zahl mit neuen oder modifizierten Methoden erarbeiteten historischen Werken und war deshalb zweifellos fruchtbar. Sie hatte insofern beträchtliche öffentliche Wirkung, als immer häufiger die Frage" Wozu noch Geschichte?" (Koselleck) gestellt wurde und dies zu einer starken Verminderung des Geschichtsunterrichts in den Lehrplänen einzelner Bundesländer führte. Der Streit um die hessischen Rahmenrichtlinien im Fach "Gesellschaftslehre", die dort vorgenommene Selektion historischer Themen - unter den Gesichtspunkten der Emanzipation und des gesellschaftlichen Konflikts - für den Geschichtsunterricht zählten zu den Auswirkungen, die auch im Zusammenhang mit der Studentenbewegung der ausgehenden 60er Jahre und dem Bonner Regierungswechsel von 1969 zu sehen sind. Demgegenüber blieben manche politischen Anregungen von begrenzter gesell8 Vgl. Jürgen Kocka, Sozialgeschichte. Begriff, Entwicklung, Probleme, Göttingen 1977; und Hans-Ulrich Wehler, Geschichtswissenschaft heute, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Stichworte zur "Geistigen Situation der Zeit", Bd. 2: Politik und Kultur, Frankfurt a.M. 1979, S. 709-753. 9 Vgl. die Ausführungen von Thomas Nipperdey in: Konflikt - Einzige Wahrheit der Gesellschaft? Zur Kritik der hessischen Rahmenrichtlinien, Osnabrück 1974, passim.
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schaftlieher Wirkung, so der Wunsch des von 1969 bis 1974 amtierenden Bundespräsidenten Gustav Heinemann, die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte zu erforschen, oder aber die Bemühungen des folgenden Bundespräsidenten Walter Scheel um die Begründung einer historischen Identität der Bundesrepublik Deutschland. In der DDR waren Ausdrucksformen und Inhalte des Geschichtsbewußtseins zwar seit 1949 Wandlungen unterworfen, ihr Ziel einer politischideologischen Fundierung des neuen Staates bestand und besteht aber unverändert fort. Neben durchgängigen Konstanten finden sich immer wieder Veränderungen, die in politisch-ideologischen Weichenstellungen durch die Führung der SED bedingt worden sind. Für Geschichtswissenschaft, Geschichtsunterricht und die kulturpolitische Rolle der Geschichte überhaupt gilt: "Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft ist ein Instrument der sozialistischen Gesellschaft zur Herausarbeitung eines wissenschaftlichen Geschichtsbildes als wesentlicher Bestandteil der sozialistischen Ideologie, die in ihrer Gesamtheit vom Marxismus-Leninismus gebildet wird." 10 Innerhalb dieses Rahmens läßt die im Kommunismus übliche Unterscheidung von Strategie und Taktik, lassen konkrete politische und gesellschaftliche AufgabensteIlung oder auch, soweit sie diesen nicht entgegenstehen, wissenschaftliche Probleme Spielräume zu. Die entscheidenden Entwicklungen gehen auf Anstöße oder Weisungen seitens der Partei- und Staatsführung zurück. Sie beruhen auf der Auslegung der marxistischleninistischen Geschichtstheorie zur Gewinnung eines "nationalen Geschichtsbildes der Arbeiterklasse". Dabei folgt die politische Indienstnahme der Geschichte explizit aus den methodologischen Prämissen der zugrundeliegenden Ideologie. So sieht Ernst Engelberg die partielle Identität von politischem und historischem Interesse in der "praktischen Determinante des Zusammenhangs eines in der Vergangenheit liegenden Forschungsgegenstandes mit dem, was der von Klasseninteressen geleitete und im Klassenkampf stehende Mensch in der Gegenwart und für die Zukunft braucht". 11 Eine Auslegung für aktuelle Zwecke ist in der Praxis der DDR unentbehrlich, weil die Geschichtsphilosophie des Marxismus-Leninismus zwar das Endziel und die historische Einordnung einer "Gesellschaftsformation" oder Epoche, nicht aber die einzelnen politischen Schritte innerhalb einer Epoche bestimmen kann. Die Verbindlichkeit der das Geschichtsbild prägenden Axiome - Einheit des historischen Prozesses, Gesetzmäßigkeit und zielgerichtete Fortschritt10 Walther Eckermann / Hubert Mohr (Hrsg.), Einführung in das Studium der Geschichte, Berlin (Ost) )1979, S. 19. 11 Ernst Engelberg (Hrsg.), Probleme der marxistischen Geschichtswissenschaft, Köln 1972, S. 121.
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lichkeit des Geschichtsverlaufs - führen zu einer umfassenden Periodisierung in fünf aufeinanderfolgenden "ökonomischen Gesellschaftsformationen" (Urgesellschaft, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus / Kommunismus), die sich nach Lenin in einem gleichsam naturgeschichtlichen Prozeß entwickeln. Innerhalb der Gesellschaftsformation behält auch die marxistische Geschichtstheorie eine Differenzierung in Epochen bei. Der Ost berliner Methodologe Peter Bollhagen unterscheidet in Anlehnung an sowjetische Historiker "Epochen innerhalb einer Formation" und "Epochen des Übergangs von einer Formation in die andere, revolutionäre Epoche". Jede Epoche kennt "neue ökonomische, politische und ideologische Erscheinungen und Gesetze, die innerhalb der Formation nur dieser Epoche eigentümlich sind", doch wirken in den Epochen die "Gesetzmäßigkeiten, die für die ganze Formation gültig sind". 12 Innerhalb dieser Gesellschaftsformationen ordnet sich die DDR selbst der Formation des Sozialismus / Kommunismus zu. Allein schon daraus folgt in ihrem Selbstverständnis eine historisch begründete Überlegenheit und größere "Fortschrittlichkeit" gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, die einer von der DDR überwundenen Gesellschaftsformation zugerechnet wird. Die Beibehaltung des Epochenbegriffs erlaubt der Geschichtsschreibung der DDR größere Flexibilität gegenüber der Vielfalt historischer Erscheinungen und ihrer Bewertung. Die Politik von Partei- und Staatsführung gewinnt aus dieser Konzeption eine historisch begründete Legitimation zu begrenzten Veränderungen. Die Geschichtswissenschaft der DDR durchlief bisher sieben Phasen: 1945-48 "Entwicklung des fortschrittlichen Humanismus"; 1948-52 "Sturm auf die Festung Wissenschaft"; 1952-56 "Wendung zum 'Nationalen'''; 1956-61 "Erziehung zum sozialistischen Patriotismus"; 1961-66 "Umfassender Aufbau des Sozialismus"; 1967-71 "Entwickeltes gesellschaftliches System des Sozialismus"; seit 1971 ,,'Revolutionärer Weltprozeß', Internationalismus, Integration in das sozialistische Staatengefüge" .13 Die aus dieser Periodisierung ablesbaren Wandlungen haben das Ziel, eine eigenständige, historisch begründete Identität der DDR zu schaffen. So bedarf es immer wieder ideologischer Anstrengungen, den Ort der DDR im Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus zu bestimmen, ihre internationale Einbindung in den Ostblock im Kontext des Ost-West-Verhältnisses zu klären und in diesem Rahmen zunehmend die eigene Staatlichkeit in radikaler FrontsteIlung zur Bundesrepublik Deutschiand historisch zu begreifen. Anders als in 12 Peter Bollhagen, Soziologie und Geschichte, s'Gravenhage 21973, S. 245 ff. 13 Vgl. Günther Heydemann, Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland. Entwicklungsgeschichte, Organisationsstruktur, Funktionen, Theorie- und Methodenprobleme in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR, Frankfurt a.M.lBern/Cirencester 1980, S. 139-173; dazu die Einleitung der Hrsg. zu vorliegendem Band, S. 16.
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der Bundrepublik ist Geschichte in der DDR genuiner, unverzichtbarer Teil der Staatsideologie. III.
Die Analogien in der institutionalisierten Beschäftigung mit Geschichte in beiden deutschen Staaten stammen in der Regel aus der gemeinsamen Tradition. Forschung und Lehre konzentrieren sich in den Universitäten, Spezialforschung zunehmend auch in Instituten mit besonderer geschichtswissenschaftlicher AufgabensteIlung oder in Akademien. Aufgrund der abweichenden Hochschulpolitik der einzelnen Länder der Bundesrepublik Deutschland ist kein völlig homogener Vergleichsmaßstab gegenüber der DDR gegeben. Von Interesse ist aber, daß während der kulturpolitischen Phase von 1948 bis 1952, in der das Schlagwort "Stürmt die Festung Wissenschaft" bestimmend war, in der DDR eine mehr oder weniger radikale Umgestaltung der Personalstruktur durchgeführt wurde. Die Indienstnahme der Geschichtswissenschaft zur Durchsetzung eines sozialistischen Bewußtseins wurde und wird öffentlich nicht in Frage gestellt. Das bedeutete zunächst eine Konzentration auf Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung und ideologiegeschichtliche Untersuchungen zum Marxismus-Leninismus. Daneben wurden die zum "humanistischen Erbe" gezählten Themen wie Humanismus, Literaturgeschichte der deutschen Klassik oder Aufklärungsforschung institutionell erforscht, in geringerem Maße auch Themen, die dieser gesellschaftlichen AufgabensteIlung nicht unmittelbar dienen und die ideologischen Interpretationen einen vergleichsweise geringen Spielraum lassen. Die kulturpolitische Rolle der Geschichte stand in der DDR, anders als in der Bundesrepublik Deutschland, auf offizieller Ebene nie in Frage. Geschichtsforschung wird meist von Forschungskollektiven betrieben. Größere geschichtswissenschaftliche Vorhaben folgen einer Forschungsplanung und sind von Forschungsanweisungen der Partei abhängig. Auch die Aufnahme bisher vernachlässigter oder völlig unzulänglich bearbeiteter Themenkomplexe, etwa der Geschichte Preußens, deren Erforschung und Darstellung sich seit der zweiten Hälfte der70er Jahre stark belebt hat, sind nicht aufgrund unmittelbarer Initiativen einzelner Historiker möglich. Demgegenüber sind Forschung und Darstellung der Geschichte in der Bundesrepublik Deutschland weder einheitlich konzipiert noch auf Institutionen beschränkt. Nach wie vor haben die einzelnen Geschichtsforscher den überwiegenden Anteil an der wissenschaftlichen Forschung und ihren Publikationen. Innerhalb der Hochschulen sind die Historiker im Rahmen ihrer Fachgebiete frei in der Bestimmung ihrer Themen, während in Projekten der Forschungsinstitutionen meist eine spezifische AufgabensteIlung vorgegeben ist. Die Forschungsförderung obliegt nicht nur den staatlichen Kultur-
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verwaltungen, sondern in zunehmendem Maß Wissenschaftsstiftungen, die ihre Förderungsschwerpunkte autonom bestimmen, außerdem aber Spielraum zur Finanzierung von Einzelarbeiten und Projekten haben, deren Förderung von einschlägig ausgewiesenen Historikern beantragt wird. Auftragsforschung für staatliche Stellen ist die Ausnahme. Häufiger vergeben die Stiftungen der großen Parteien historische Forschungsaufträge im Rahmen ihrer satzungsmäßigen Aufgabenstellung. Solche Vorhaben erheben aber keinerlei Monopolanspruch und stehen unter dem Konkurrenzdruck anderer Institutionen oder einzelner Forscher. Allein in der Sammlung und Archivierung zeitgeschichtlichen Quellenmaterials zeichnet sich eine Tendenz zur Monopolisierung ab. Politiker geben häufiger als früher ihren historisch-politisch bedeutsamen Nachlaß an Parteistiftungen statt an staatliche Archive, wo er allerdings heute nach den gleichen Kriterien archiviert und zuglänglich gemacht wird.
IV. Anders als zur Zeit des Streites um die hessischen Rahmenrichtlinien befürchtet werden mußte, ist das gesellschaftliche Interesse an der Geschichte auch in der Bundesrepublik eher gewachsen. Die Flut historischen, gerade auch populären Schrifttums steigt ständig. Historische Biographien laufen oft der Belletristik den Rang ab, wissenschaftliche und populäre Zeitschriften, Fernseh- und Hörfunksendungen, historische Ausstellungen haben Konjunktur. Geschichte ist keineswegs nur im Sinne des tradierten bürgerlichen Bildungsideals aktuell. Diese Aktualität der Geschichte hat vielfältige Formen, sie zeigt sich im historisierenden Bau- und Möbelstil, in anderen modeabhängigen Bereichen und auf Trödelmärkten. Dabei reizt offenbar das Andersartige, Kuriose, Dekorativ-Verspielte anderer Epochen als Kontrast zur Gegenwart. Diese Art des Geschichtsinteresses könnte der historischen Bildung zugute kommen. Die großen historischen Probleme stellen sich in Aktualitätsschüben jeder Generation neu und anders dar; so könnten sie auch für jene, die jetzt vielleicht noch vor allem am Unterhaltungswert der Geschichte interessiert sind, neue Bedeutung gewinnen. Allerdings ist der Unterhaltswert nur ein Aspekt dieses neuen Interesses. Die tiefer liegende Ursache dürfte im individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnis nach einer nur historisch begründbaren, kulturellen Identität der Deutschen liegen. Der Wunsch nach Verständnis der Gegenwart, nach Perspektiven überhaupt, hat dabei eine gesellschaftliche und kulturpolitische Bedeutung, die kaum überschätzt werden kann. In dieser Hinsicht ist die gesellschaftliche Funktion der
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Geschichte in der DDR immer unangefochten gewesen. Auch in der DDR ist eine Belebung des Geschichtsinteresses erkennbar, auch hier haben historische Belletristik, Ausstellungen und Fernsehsendungen inzwischen einen angestammten kulturpolitischen Platz. Während noch im Jahre 1950 das teilweise erhaltene Berliner Stadtschloß aus politischen Motiven abgerissen wurde, restaurierte man in den 60er und 70er Jahren den Dresdner Zwinger und andere bedeutende Bauwerke. Heute werden Biographien über Hohenzollernkönige für ein breites Publikum publiziert, werden in Gedenkstätten, wie derjenigen der klassischen deutschen Literatur in Weimar, große Aktivitäten entfaltet. Die Kulturpolitik der DDR ist bestrebt, auch die Art des öffentlichen Interesses an der Geschichte zu kanalisieren: So stehen beispielsweise die Preußenliteratur, die große "Schinkel-Ausstellung" in Berlin (Ost) im Jahre 1981, die Filmserie über den preußischen Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst und die programmatischen Äußerungen von Partei- und Wissenschaftsfunktionären über die Notwendigkeit, sich mit der Geschichte Preußens zu befassen, in einem inneren kulturpolitischen Zusammenhang. Demgegenüber entwickelt sich in der Bundesrepublik Deutschland spezielles historisches Interesse häufig aus zufälligen Anlässen, aus Gründen eines Trends, aufgrund einzelner Initiativen von Medien oder Persönlichkeiten. Initiativen staatlicher Kulturpolitik, beispielsweise in Museen oder im Ausstellungswesen, verbinden sich häufig mit solchen Trends oder verstärken sie. Staatliche Gesamtplanungen mit einer eindeutigen kulturpolitischen Zielsetzung gibt es in der Bundesrepublik Deutschland in einer der DDR vergleichbaren Form nicht. Dagegen sprechen sowohl der kulturpolitische Pluralismus als auch die Spielräume, die der städtischen Kulturpolitik und den öffentlichen oder privaten Einzelinstitutionen verbleiben. Die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Geschichte ist auf diese Weise kulturpolitisch umzusetzen; immer neue Initiativen führen zur Entdeckung immer neuer Aspekte. Die Gewinnung einer historischen Identität in beiden Teilen Deutschlands zeigt somit trotz historisch verwandter Ausgangslage und formaler Ähnlichkeit des Ziels in Formen und Inhalten deutliche Unterschiede. Kulturpolitischer Monopolanspruch in der DDR, mit innerhalb der Staatsideologie möglichen Differenzierungen und Entwicklungen, steht gegen kulturpolitische Pluralität in der Bundesrepublik Deutschland.
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Der Weg zur Gleichschaltung der Geschichtswissenschaft in der SBZ 1945-1949*
Seit in der Deutschen Demokratischen Republik die Geschichtswissenschaft "ihrer Zentralidee, der objektiven Wahrheitssuche, beraubt [und] zum apologetischen Exerzierfeld marxistischer Fortschrittsgläubigkeit degradiert" I wurde, gefallen sich die dortigen Historiker darin, ihre Ursprünge mit "der antifaschistisch-demokratischen Revolution im Osten Deutschlands" zusammenfallen zu lassen. Ihre Behauptung, die Geschichtswissenschaft
* Leicht überarbeitete Fassung des Beitrages "Der Weg zur Gleichschaltung der sowjetzonalen Geschichtswissenschaft 1945-1949", in: va, 10. Jg. (1962), H. 2, S. 149177. - Vgl. auch Günther Heydemann, Zwischen Diskussion und Konfrontation. Der Neubeginn deutscher Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945-1950, in: Christoph Cobet (Hrsg.), Einführung in Fragen an die Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950, Frankfurt a.M. 1986, S. 12-29. Die Vorgeschichte der Geschichtswissenschaft der DDR wird im übrigen in den jüngeren westlichen Veröffentlichungen von Günther Heydemann (Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland, Frankfurt a.M./Bern/Cirencester 1980) und Hans-Dieter Schütte (Zeitgeschichte und Politik, Bonn 1985) nur kurz bzw. kaum berührt. Auch die Historiographie der DDR hat sich mit ihrer eigenen Vorgeschichte in den letzten beiden Jahrzehnten nicht gerade intensiv beschäftigt, wie die wenigen Titel zeigen, die sich u. a. mit dem Zeitraum von 1945 bis 1949 befassen: Joachim Streisand, Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung auf dem Wege zur sozialistischen Menschengemeinschaft, in: WM 1969/III-1970/1, S. 9 f.; Werner Berthold, Marxistisches Geschichtsbild - Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution, Berlin (Ost) 1970, passim; Hans Wermes, Zur Rolle der SED bei der Entwicklung des Geschichtsunterrichts in der DDR, in: WM 197111, S. 26 ff.; Hans Schleier, Zur Entwicklung der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der DDR, in: GI (1982), GW 17, S. 5 ff.; Alfred Anderle (Hrsg.), Entwicklungsprobleme der marxistischleninistischen Geschichtswissenschaft in der UdSSR und in der DDR, Halle (Saale) 1983 (insbes. die Beiträge von Hans Otto Gericke, Günter Katsch und Gustav Seeber); Werner Berthold (Hrsg.), Zur Geschichte der marxistischen Geschichtswissenschaft. Lehrmaterial, Bd. 2, Berlin (Ost) o. J. [1986], S. 532 ff.; und Hans-Uwe Feige, Gründung und Rolle des Franz-Mehring-Instituts an der Universität Leipzig (1948-1951), in: BzG, 29. Jg. (1987), H. 4, S. 516 ff. I So Willi Alfred Boelcke, Die Gutsherrschaft in der mitteldeutschen Agrargeschichtsschreibung, in: Zur ostdeutschen Agrargeschichte. Ein Kolloquium, Würzburg 1960, S.59.
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habe "innerhalb dieser Revolution des Bewußtseins eine vorrangige Rolle"2 gespielt, entspricht indessen nicht den Tatsachen, und das für den zu untersuchenden Zeitraum üblich gewordene Schlagwort vom "Bündnis zwischen Kommunisten und bürgerlichen Antifaschisten"3 in der Fachschaft Geschichte bedarf erheblicher Revision. Diese dem marxistisch-leninistischen Schema von der deutschen Geschichte entlehnte Formel verwischt das Bild des spontan nach Kriegsende entflammenden Antifaschismus und überspielt "die grundlegenden Veränderungen der sozialen Struktur und des geistigen Gesichtes Deutschlands nach mehr als zwölf Jahren Naziherrschaft, Krieg, Eroberung und Zusammenbruch"4 in allzu schablonenhafter Weise. Es entspricht dieser simplifizierenden Sicht, wenn von sogenannten bürgerlichen Wissenschaftlern geleistete Aufbauarbeit herabgesetzt und eigenständige Ansätze einer marxistischen Geschichtswissenschaft mit Schweigen übergangen werden. Nicht zuletzt ist wohl eine Trübung des Blickes für jenen Würgegriff sowjetmarxistischer Parteilichkeit beabsichtigt, der vornehmlich seit der Verschärfung der politischen Situation um Deutschland im Jahre 1948 schließlich jeder freien wissenschaftlichen Betätigung den Garaus machte. Zudem verschweigt man verschämt, daß in allen Besatzungszonen, auch in der sowjetischen, anfangs die Okkupationsmächte über die Kulturund Hochschulpolitik bestimmten, um ihre durchaus nicht einheitlichen Umerziehungsvorstellungen zu erproben. In der sowjetischen Besatzungszone ließ sich mit dem Ausbau der deutschen Verwaltung zunächst vor allem eine Förderung der angewandten, zur Durchführung der Wirtschaftspläne notwendigen und nützlichen Wissenschaftszweige beobachten. 5 Geschichte wurde erst nach und nach zur Grundwissenschaft, ihre "methodische und organisatorische Formung" nicht zuletzt abhängig von der Ausbildung der notwendigen Fachkader -war "kein einmaliger Akt, sondern ein in die allgemeine Entwicklung eingebetteter Prozeß". 6 Als sich in der zweiten Hälfte des vom totalen Zusammenbruch gezeichneten Jahres 1945 wieder Leben an den Universitäten der SBZ und Berlins zu 2 Ernst Engelberg / Rolf Rudolph, Zur Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik, in: ZfG, 8. Jg. (1960), Sonderheft .. Historische Forschungen in der DDR", S. 10. ) So Gerhard Schrot: Zur Entwicklung der marxistischen Geschichtswissenschaft an der Karl-Marx-Universität Leipzig, in: ZfG, 7. Jg. (1959), H. 7, S. 1665. Vgl. auch Engelberg / Rudolph (Anm. 2), S. 10 f. 4 Alfred Kantorowicz, Vom moralischen Gewinn der Niederlage, Berlin (Ost) 1949, S. 10. S Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 11. Parteitages der SED, 20. bis 24. September 1947 in der Deutschen Staatsoper zu Berlin, Berlin 1947, S. 228. 6 Albrecht Timm, Das Fach Geschichte in Forschung und Lehre in der sowjetischen Besatzungszone seit 1945, Bonn/Berlin 1961, S. 6.
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regen begann, standen "Aufräumungsarbeiten im eigentlichen und im übertragenen Wortsinn"7 im Mittelpunkt der Bemühungen um einen Neubeginn. Sie waren für eine von Krieg und Entbehrung, Anklage und Schuld gezeichnete Generation von Dozenten und Studenten Anlaß, den Grundstein für eine geistige Bewältigung der soeben beseitigten Hitlerdiktatur zu legen. In einer Zeit äußerster Armut und Verwüstung, dazu geistiger und materieller Demontage seitens der Besatzungsmächte war als Reichtum allein die Macht des Geistes geblieben. Ein neu es Deutschland galt es zu errichten, ein "Deutschland des wirklichen Friedens, der ehrlichen Arbeit, der sozialen Ordnung und der echten, wahren Menschlichkeit". Dazu schien wissenschaftliche Arbeit "notwendig" in des Wortes wahrster Bedeutung: Man vertraute darauf, "daß die Wissenschaft Not wenden kann". Beschwörende Worte richteten sich an die Studenten des ersten "Friedenssemesters", gewonnen aus den bitteren Erfahrungen der totalitären Überfremdung durch das "Dritte Reich": "Wir können Ihnen nur die Augen öffnen, Sie zu kritikvoller Arbeit anleiten, zum eigenen Suchen und Finden der Wahrheit. Es gehört einem nichts, was man sich nicht selbst erwirbt ... So mögen Sie verlernen, blind zu gehorchen, und mögen lernen, zu erkennen."8 In diesen Worten des Rektors der Universität Rostock, deren Anliegen für alle Besatzungszonen Gültigkeit besaß, kündigte sich eine Phase kultureller und wissenschaftlicher Entfaltung an, deren antifaschistisches Fundament eine Überbrückung weltanschaulicher Gegensätze zu ermöglichen schien. Die Hoffnung auf eine solidarische Zusammenarbeit mit den aus innerer und äußerer, östlicher wie westlicher, Emigration zurückkehrenden Wissenschaftlern spornte die deutschen Gelehrten in ihrem redlichen Streben an, den internationalen Ruf der deutschen Wissenschaft wiederherzustellen und sich den Zeichen der Zeit gegenüber aufgeschlossen zu verhalten. Auch die vom Goebbelsschen Dirigismus befreiten Institutionen der öffentlichen Meinungsbildung traten nun wieder stärker in Erscheinung. Fiel ihnen doch die nicht leichte Aufgabe zu, die Entmythologisierung des Nationalsozialismus nach Kräften zu fördern und dem mehr oder minder intensiven Umerziehungsprozeß in allen Volksteilen Echo zu verschaffen. Die verantwortungsvolle Publizistik wich auch den angesichts der deutschen Katastrophe brennenden Problemen soeben erlebter und durchlittener Geschichte nicht aus. Die von dem Sozialdemokraten Max Fechner gestellte 7 Erhard Hübener, Die Wiedereröffnung der Universität am I. Februar 1946, in: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Bd. III (Halle-Wittenberg 19451952), Halle 1952, S. I. ' 8 Auf neuen Wegen, in: Forum. Zeitschrift für das geistige Leben an den deutschen Hochschulen, I. Jg. (1947), S. 3. Es handelt sich bei den zitierten Ausführungen um Auszüge aus der Ansprache des Rektors der Universität Rostock, Prof. Dr. Rienäcker, anläßlich der Wiedereröffnung dieser Hochschule im Jahre 1946.
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Frage "Wie konnte es geschehen?"9 erfaßte am ehesten das Verlangen weiter Bevölkerungskreise nach Aufklärung der noch sichtbaren Folgen des Unheils. So ist es nicht verwunderlich, daß die ganz auf praktische Bedürfnisse zugeschnittene Schrift große Verbreitung fand. lO Fechners Versuch, nur schwach von Marxismus durchmustert, ließ erkennen, daß der Autor in den Jahren des Nationalsozialismus "dem Volk aufs Maul geschaut" hatte und um die Kunst wußte, der jahrelangen Propaganda eines totalitären Staates wirkungsvoll zu begegnen. Es wäre freilich verfehlt, Fechner schon in die Ahnengalerie marxistisch-leninistischer Geschichtsschreibung einordnen zu wollen. Sein Büchlein war nur ein Symptom für das auch in der SBZ lebendige Bemühen, mit der unmittelbaren Vergangenheit fertigzuwerden. Es gehört damit in die gleiche Kategorie wie zahlreiche Aufsätze zur nationalsozialistischen Ideologie ll oder Erik Regers Roman "Union der festen Hand".12 Diese Nachkriegssituation deutschen Geisteslebens schien auch in den Erklärungen der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) zu kulturellen Problemen respektiert zu werden sowie in den Programmen der noch im Laufe des Jahres 1945 in der sowjetischen Besatzungszone ins Leben gerufenen politischen Parteien Resonanz zu finden. Noch war nichts davon zu spüren, daß etwa die dem Gesinnungsterror und der Reglementierung des Nationalsozialismus entronnenen Hochschulen der SBZ und Berlins neuen Belastungen dieser Art ausgesetzt sein könnten. Vielmehr faßte der kommunistische Funktionär Paul Wandel, seit Juni 1945 Präsident der von der SMAD geschaffenen "Zentralverwaltung für Volksbildung", den akademischen Neubeginn in hoffnungsvolle Worte: 9 So der Titel einer Schrift, die anhand fingierter .. Auszüge aus den Tagebüchern und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers" den .. Ablauf der verhängnisvollen Zeit deutscher Geschichte" zeigen will, .. wie sie hinter dem Vorhang von Lüge und Propaganda von einer Schar ehrgeiziger Gewaltpolitiker im Auftrage des Großkapitals und Militarismus gemacht wurde": Max Fechner, Wie konnte es geschehen?, Berlin o. J. [1945]. 10 Sie lag 1946 in 4. Auflage in 400.000 Exemplaren vor. Über das Echo der Verlagsproduktion in der SBZ im Westen Deutschlands vgl.: Die Gegenwart, 3. Jg., NT. 1/2 vom 5. Januar 1948, S. 24 f. 11 So etwa Ernst Niekisch, Im Vorraum des Faschismus, in: Aufbau, 2. Jg. (1946), S. 122-137; Willy Huhn, Militaristischer Sozialismus. Ein Beitrag zur Enthüllung der nationalsozialistischen Ideologie, in: ebd., S. 368-381. 12 Regers Werk ist die im sowjetisch lizenzierten Berliner Aufbau-Verlag 1945 erschienene Neuauflage der Ausgabe von 1931. Seine stark sozialkritische Grundtendenz wurde in ihrer Bedeutung für die deutschen Kulturfunktionäre der SBZ jedoch bald dadurch herabgemindert, daß der Autor als Herausgeber der Berliner Zeitung .. Der Tagesspiegel" in ihren Augen .. die Konsequenz seines Buches nicht zog". - Von Interesse in unserem Zusammenhang ist die Besprechung des Werkes durch Wolfgang Harich im .. Aufbau", die er mit einer massiven Kritik an der Haltung der deutschen Arbeiterklasse in der Weimarer Republik verband. Vgl. Wolfgang Harich, Union der festen Hand. Einsicht und Konsequenz, in: Aufbau, 2. Jg. (1946), S. 808-827.
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..... An der geistigen Pforte der neu erstehenden deutschen Kultur steht leuchtender als jemals die Idee der Humanität, der Freiheit und des Fortschritts. Der wissenschaftliche und schöpferische Mensch, der herangebildet werden soll, sei ein charaktervoller, mutiger Streiter für Recht, Wahrheit und Demokratie. Der jahrhundertealte Traum, nationale Größe auf die schöpferische Arbeit und das demokratische Selbstbewußtsein eines einigen Volkes zu stützen, eines Volkes, das nicht williger Amboß ist, sondern das mit fester Hand sein Schicksal selbst gestaltet, gehe in Erfüllung. "13
Dem prominenten Mitglied der kommunistischen Emigration in der Sowjetunion und zeitweiligen politischen Sekretär des Vorsitzenden der KPD, Wilhelm Pieck, war die Leitung der Hochschulpolitik in der sowjetischen Besatzungszone nicht ohne Grund übertragen worden. 14 In musterhafter Verbindung von Theorie und Praxis statuierte die KPD bzw. die SED im Verein mit den sowjetischen Besatzungsbehörden das Exempel einer "proletarisch gelenkten bürgerlichen Revolution" auf dem Hochschulsektor, umkleidet mit den Forderungen nach "Brechung des Bildungsmonopols" und "Erneuerung des geistigen Inhalts der Universitätslehre" im Sinne eines "wahrhaft fortschrittlichen Humanismus" und einer "kämpferischen Demokratie". 15 Dem in der Praxis peinlich spürbaren Mangel an Führungskadern kam in der Theorie die Konzeption von der nachzuholenden "demokratischen Revolution" entgegen: "Reglementierte und kontrollierte 'Freiheit' [sollte] nur geduldet werden ... , bis die wichtigsten Gleichschaltungsoperationen unter Dach und Fach waren."16 Vermöge dieser Hilfskonstruktion konnte sich in der SBZ ein reges kulturelles Leben entfalten. Vielerlei Probleme drängten sich zur Diskussion über den "moralischen Gewinn der Niederlage" auf: die Rückschau auf Tod und Zerstörung, die Gegenwart in Not und Ruinen, der Ausblick auf Leben, Frieden und Aufbau. Jedoch wurde die der wissenschaftlichen Forschung und dem künstlerischen Schaffen zugesicherte "unbedingte Freiheit" nicht bedingungslos gewährt. Wilhelm Pieck knüpfte in einer Rede auf der Ersten Zentralen Kulturtagung der KPD im Februar 1946 an dieses Versprechen "eine einzige, selbstverständliche Bedingung": daß nämlich diejenigen, die Paul Wandel, Das neue Hochschulstudium, in: Forum, 1. Jg. (1947), S. 2. Vgl. hierzu Wolfgang Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln/Beriin 1957, S. 200 ff. und 302. 15 Zitiert nach Max Gustav Lange, Wissenschaft im totalitären Staat. Die Wissenschaft der Sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg zum "Stalinismus", Stuttgart/Düsseldorf 1955, S. 2 f. Vgl. dazu auch Marianne und Egon Erwin Müller, " ... stürmt die Festung Wissenschaft!" Die Sowjetisierung der mitteldeutschen Universitäten seit 1945, Berlin 1953, S. 35 ff. Zur Kulturpolitik der KPD vgl. die Referate Wilhelm Piecks und Anton Ackermanns auf der "Kulturtagung" der Partei 1946: Wilhelm Pieck I Anton Ackermann, Unsere kulturpolitische Sendung. Reden auf der Ersten Zentralen Kulturtagung der KPD vom 3. bis 5. Februar 1946, Berlin 1946, insbes. S. 5 und 20 f. 16 Max Gustav Lange, Totalitäre Erziehung. Das Erziehungswesen der Sowjetzone Deutschlands, Stuttgart/Düsseldorf 1954, S. XVIII. 13
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diese "Freiheit der Forschung, der Lehre und der Kunstbetätigung ... genießen dürfen, keinen unserem Volke schädlichen Gebrauch machen und die Freiheit etwa dazu benutzen, den unter so unerhörten Leiden und Qualen, Kämpfen und Anstrengungen endlich ausgerotteten Faschismus wieder zu beleben und die Demokratie zu sabotieren" .17 So fiel dem bereits im Juli 1945 gegründeten "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" eine mobilisierende und zugleich kontrollierende Rolle für jenen liberalen Kurs zu, der seinen Niederschlag in einer Vielzahl kulturpolitischer Zeitschriften ebenso fand wie in den Spalten der Tagespresse und in den Sendungen des Rundfunks. 18 Der Gründungsaufruf des "Kulturbundes" ließ auch erste Richtlinien für die Geschichte und Geschichtswissenschaft erkennen: "Es geht darum, das deutsche Volk zu befreien von allem reaktionären Unrat seiner Geschichte, wie er sich am schmachvollsten in der Hitlerherrschaft konzentriert hat, und es geht darum, dem deutschen Volke aus seiner eigenen Geschichte und aus der Geschichte anderer Völker alle positiven Kräfte zuzuführen, die unser Volk als solches lebensfähig erhalten und es ein für allemal vor neuen imperialistischen Abenteuern zu bewahren imstande sind."19
In dem vom Antifaschismus als Integrationsfaktor beherrschten Zeitraum wurden auch die Universitäten der SBZ und Berlins wiedereröffnet. 20 Ihrem an alte Formen anknüpfenden akademischen Lehrbetrieb, mit einer zeitbedingten Akzentuierung der Vorlesung, kam zugute, daß er überwiegend von Gelehrten bestritten wurde, "die in den Hitlerjahren keine Konzessionen an den Ungeist der Zeit gemacht hatten und durch ihre wissenschaftlichen Leistungen internationale Geltung in ihren Fachgebieten besaßen",zt 17 Pieck I Ackermann (Anm. 15), S. 16 f. 18 Zur geistigen Situation der ersten Nachkriegsjahre in der sowjetischen Besatzungszone vgl. die Geschichte der Zeitschrift "Ost und West. Beiträge zu kulturellen und politischen Fragen der Zeit", eindrucksvoll geschildert von ihrem Herausgeber Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch, I. Teil, München 1959, insbes. S. 357 ff. und 615 ff. 19 Manifest des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Berlin o. J. [1945], S. 8. Vgl. hierzu auch Heinz Willmann, Zwei Jahre Kulturbund. Ein Tätigkeitsbericht, Berlin 1947. - Jürgen v. Hehn (Die Sowjetisierung des Geschichtsbildes in Mitteldeutschland, Frankfurt/Main 1954, Sonderdruck aus .. Europa-Archiv", Folgen 19 und 20 vom 5. und 20. Oktober 1954, S. 3) weist die .. Beseitigung des Unrats in der deutschen Geschichte" als einen "der deutschen Vergangenheit geltenden Vernichtungswillen" nach (u. a. Beseitigung von Denkmälern, Schließung von Museen, Abtransport der Sammlungen durch die sowjetische Besatzungsmacht, Abbruch zahlreicher Gutsund Herrenhäuser). 20 Als erste der mitteldeutschen Universitäten öffnete Jena am 15. Oktober 1945 die Pforten, am 20. Januar 1946 folgte Berlin, des weiteren am 1.,5.,15. und 25. Februar 1946 die Universitäten Halle-Wittenberg, Leipzig, Greifswald und Rostock. Vgl. SBZ von 1945 bis 1954, Bonn 1956,S. 22 u. 29 ff., dazu Gottfried Handel I Gerhild Schwendler (Hrsg.), Chronik der Karl-Marx-Universität Leipzig 1945 bis 1959, Leipzig 1959, S. 13 ff. und 17 ff. 21 Hübener (Anm. 7), S. I.
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Außerdem begann eine Reihe "fortschrittlicher" Hochschullehrer ihre Tätigkeit. Sie waren 1933 aus politischen Gründen vom Dienst suspendiert worden und hatten die Jahre des Hit1er-Reiches in innerer und äußerer Emigration oder gar in Zuchthäusern und Konzentrationslagern zubringen müssen. 22 War solche Wiedereinsetzung in Amt und Würde des Hochschullehrers eine Wiedergutmachung geschehenen Unrechts, so deutete sich freilich darüber hinaus in Eingriffen kommunistischer Behörden und in Befehlen der SMAD der Beginn eines langwierigen Prozesses an, der nicht zuletzt für den Bereich der Universität durch "die Zerstörung der geschichtlichen Tradition und des geschichtlich Gewordenen, die Zerstörung der Gleichheit des Rechtes und die Zerstörung des Begriffs der Wahrheit"23 von einschneidender Bedeutung werden sollte. Gelegentliche Äußerungen aus dem Kreis der "fortschrittlichen" Wissenschaftler, erwachsen aus der Begegnung mit einer kritischen Studentengeneration, waren bar aller ideologischen Verbrämung und ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Weichen der Kulturpolitik in der SBZ unter Federführung der SED auf eine "kämpferische Demokratie" besonderer Art gestellt waren. Eduard Erkes, der spätere Ordinarius für Sinologie an der 22 Vgl. hierzu die Angaben bei Lange, Wissenschaft (Anm. 15), S. 8 ff. Typische Züge für einen Vertreter dieser "fortschrittlichen" Intelligenz weist der Lebensweg Alfred Meusels (1896-1960) auf: Meusel, gutbürgerlichen Verhältnissen entstammend, nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und geriet, im Sommer 1918 nach schwerer Verwundung aus dem Militärdienst entlassen, in Kiel in den Strudel der Revolutionswirren. Er schloß sich der USPD (1918-1922), später der SPD (1922-1925)an. Nach Abschluß seines Studiums der Volkswirtschaft, der Soziologie und der Geschichte 1922 zum Dr. rer. pol. promoviert, habilitierte er sich 1923, wurde 1926 außerordentlicher und 1930 ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der TH Aachen. 1933 aus politischen Gründen entlassen und mehrmals inhaftiert, emigrierte er 1934 nach Dänemark und Großbritannien, trat dort 1937 der KPD bei und betätigte sich innerhalb der deutschen "antifaschistischen" Emigration als Begründer und Direktor der "Freien Deutschen Hochschule" in London. 1946 nach Deutschland zurückgekehrt, wurde ihm an der Berliner Universität eine Professur für "Politische und soziale Probleme der Gegenwart" übertragen. Schon 1947 wurde er zum Professor mit Lehrstuhl für Neuere Geschichte ernannt und hatte nunmehr wesentlichen Einfluß auf die Ausbildung des marxistischleninistischen Hochschulnachwuchses im Fach Geschichte. Meusel entfaltete eine rege politische Aktivität (1947-1950 Präsident der "Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion" bzw. der "Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft", seit 1950 Abgeordneter der Volkskammer, dort längere Zeit Fraktionsvorsitzender des "Kulturbundes") und übernahm 1952 das Direktorium des "Museums für Deutsche Geschichte" (ehern. Zeughaus) in Berlin. Die Vollendung der im gleichen Jahr auf Vorschlag des ZK der SED begonnenen Ausarbeitung eines "Lehrbuchs für deutsche Geschichte" erlebte Meusel, der die Leitung des "Autorenkollektivs" hatte, nicht mehr. Der "Nationalpreisträger Genosse" Prof. Dr. Alfred Meusel verstarb infolge eines Herzinfarktes am 10. September 1960. Vgl. u. a. Der Lebensweg eines Gelehrten, in: Forum, 3. Jg. (1949), S. 340-343, und den Gedenkartikel anläßlich seines Ablebens in: ZfG, 8. Jg. (1960), H. 7 (Beilage). 23 Bernhard Schweitzer, Die Universität Leipzig 1409-1959, Tübingen 1960, S. 22.
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Leipziger Universität, mochte seine bereits 1946 formulierte Forderung, die Auslese des Nachwuchses für die Lehrstühle müsse "in Zukunft nach den drei praktisch zusammenfallenden Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Qualifikation, der pädagogischen BeHihigung und der antifaschistischen Weltanschauung"24 getroffen werden, noch im Geiste eines weitverbreiteten Antifaschismus erhoben haben. Das Eintreten des Sozialökonomen Jürgen Kuczynski für "wissenschaftliche Propaganda" an den Instituten der deutschen Universität und seine Ablehnung der "künstliche[n] Trennung von Wissenschaftler und Bürger, von Forscher und Mensch",2s trug aber bereits parteiliche Züge. Mit seiner Forderung, Altphilologen wie Historiker hätten in erster Linie "Propagandisten des Fortschritts" zu sein, wurde schon die Absicht angedeutet, "alle Anknüpfungsmöglichkeiten an die nationale Vergangenheit zu beseitigen". 26 In Veröffentlichungen aus Kreisen der SED zur Problematik "Marxismus und Forschung" zeichnete sich relativ bald die Tendenz ab, die deutsche Intelligenz endlich unter der "Fahne des Fortschritts" aus ihrem "politischen Analphabetentum" herauszuführen: "Durch den Übergang der marxistischen Bewegung aus der Opposition zu der aufbauenden Tätigkeit in der Gesellschaft ist ... die Möglichkeit gegeben - wie es ja in der Sowjetunion schon geschieht -, die wissenschaftliche Forschung in die gewollte Richtung zu lenken." Es scheint in der SED kein Zweifel daran geherrscht zu haben, daß das nunmehr auch in Deutschland möglich sei. Als "brauchbares Mittel" zur Lenkung wissenschaftlicher Forschung empfahl die "Einheit", die "theoretische Monatsschrift für Sozialismus" des ZK der SED, "die Schaffung von Lehrstühlen für wissenschaftlichen Sozialismus" an den Hochschulen mit unzweideutiger Zielsetzung: "Diese Lehrstühle sollen nicht nur die Aufgabe haben, marxistische Forschung zu betreiben, sie müssen vielmehr die Zentren der Forschung überhaupt sein. Sie müssen die Forschung aller übrigen Fakultäten ... lenken. "27 Indem der Marxismus aus der sowjetisierten Theorie in die Praxis der SBZ und Ostberlins übertragen wurde, mußten sich Geschichte und Geschichtswissenschaft einer besonders heftigen Konfrontation ausgesetzt sehen. Unmittelbar nach Kriegsende konnte diese Gefahr jedoch nicht sofort wahr24 Eduard Erkes, Warum muß der Hochschullehrer Antifaschist sein?, in: Aufbau, 2. Jg. (1946), S. 903. 21 Vgl. Jürgen Kuczynski, Soll der Universitätslehrer Propaganda treiben?, in: Forum, I. Jg. (1947), S. 62. 26 Georg Stadtmüller, Die' sowjetische Umdeutung der deutschen Geschichte, in: Sowjetstudien, Nr. 3 (1957), S. 60. Vgl. hierzu Erkes (Anm. 24), S. 902: ..... Reaktionäre, die uns in die Zeiten vor dem Dritten Reich zurückzuführen streben und uns dadurch dieses selbst wiederbringen würden, müssen ebenfalls so rücksichtslos von der Universität ausgeschlossen werden wie ehemalige Pgs ...... 27 L. Ratze!, Marxismus und Forschung, in: Einheit, 1. Jg. (1946), H. I, S. 57 f.
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genommen werden, weil die Bewältigung der unmittelbaren Vergangenheit alle Kräfte in Anspruch nahm. Die geschichtsträchtige Propaganda des Nationalsozialismus hatte genug Unheil angerichtet, so daß es zu den größten Schwierigkeiten gehörte, auf dem Trümmerfeld des deutschen Geschichtsbildes mit ersten Aufräumungsarbeiten zu beginnen. So führte das gemeinsame Anliegen, Gutes pfleglich zu bewahren und Bestandteile, die der Prüfung nicht standhielten, auszumerzen,28 zunächst sogar "bürgerliche" und "fortschrittliche" Historiker zusammen. Die tiefe Erschütterung der deutschen Katastrophe wirkte auch hier als Klammer für einen gemeinsamen Neubeginn und überdeckte die verschiedenen Zielsetzungen. Während es den verbliebenen "bürgerlichen" Wissenschaftlern um den Anschluß an die Traditionen deutscher Geschichtsforschung vor der nationalsozialistischen Überfremdung ging, sahen sich die neuberufenen Historiker marxistischer Provenienz vor die Aufgabe gestellt, im Sinne der "Erneuerung des geistigen Inhalts der Universitätslehre" eine "fortschrittliche" Geschichtsschau an den Universitäten der SBZ und Berlins hofnihig zu machen. Es waren in der Mehrzahl "bürgerliche" Kräfte, die sich nach der notdürftigen Ausbesserung der Kriegsschäden dem Lehrbetrieb zur Verfügung stellten,29 der im Fach Geschichte freilich erst im Wintersemester 1946/47 aufgenommen werden konnte. Ihre Reihen, durch Krieg, Flucht und Zwangsentlassung stark gelichtet, wurden zunächst nur geringfügig durch Marxisten ergänzt. 30 Die schwache Ausgangsposition einer marxistisch orientierten Vgl. Hübener (Anm. 7), S. 7. Ähnliches läßt sich etwa auch in Polen beobachten. Dort war "im allgemeinen ... jedenfalls die Kontinuität zur Geschichtswissenschaft der Vorkriegszeit in personeller, institutioneller und ideologischer Hinsicht vollständig gewahrt". Vgl. Herbert Ludat, Die deutsch-polnische Vergangenheit in marxistischer Sicht, in: ZfO, I. Jg. (1952), S. 91 f. Die polnische "bürgerliche" Geschichtswissenschaft hatte freilich im Vergleich zur SBZ eine ungleich stärkere Position, so daß Versuche einer marxistisch-leninistischen Überfremdung in den Jahren 1946 und 1948/49 kläglich scheiterten. Nennenswerte Einwirkungen der sowjetischen Historiker erfolgten in den ersten Nachkriegsjahren nicht, und "das entscheidende Merkmal der Sphäre, der Volkspolen nunmehr angehörte, die Übernahme der marxistischen Lehre und die Anwendung der Denkkategorien des historischen Materialismus, sucht man in den Arbeiten der polnischen Historiker jener Jahre bis 1949 vergeblich" (ebd., S. 92). Vgl. hierzu auch Herbert Ludat, Die polnische Wissenschaft im Sog Moskaus, in: Osteuropa, 2. Jg. (1952), H. 2, S. 86-93, insbes. S. 89 ff. 30 "Aus den Zuchthäusern, Konzentrationslagern und aus der Emigration", so wird dieser Vorgang im Selbstverständnis der Historiographie der DDR gesehen, "kamen Kader, gering an der Zahl, doch mit großem Enthusiasmus, die an die Institute der Universitäten und Lehranstalten gingen, um das neue demokratische Geschichtsbild in den Rahmen der Grundaufgabe unserer Epoche hineinzustellen". Vgl. Engelberg / Rudolph (Anm. 2), S. 11. Bei den "fortschrittlichen·' Wissenschaftlern bzw. Funktionären handelte es sich um zurückkehrende Emigranten oder um Marxisten,die unter dem Hitler-Regime in Deutschland gelebt hatten, wie z. B. Walter Markov. Aus westlicher Emigration kehrten u. a. Ernst Hoffmann, Heinz Kamnitzer, Leo Koller, Jürgen Kuczynski, Alfred Meusel, Karl 28 29
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Geschichtswissenschaft wird nur unzureichend verdeckt, wenn Ernst Engelberg unter Berufung auf ein in Wirklichkeit nicht existierendes Generationsproblem behauptet, "die Macht des Alten und der Alten" an den Universitäten sei nach Kriegsende "noch stark" gewesen. 31 Tatsächlich gab es genug Namen, die dafür bürgten, daß es an echter wissenschaftlicher Haltung in den historischen Instituten der Universitäten in der SBZ und in Berlin nicht fehlte. 32 Eine den Zeichen der Zeit entsprechende stärkere Berücksichtigung der ökonomischen Faktoren in der Geschichte 33 vollzog sich nicht unter dem Banner des Opportunismus, sondern durchaus in der begründeten Einsicht, "daß wir in ein Zeitalter eingetreten sind, in dem die Arbeiterklasse ihren politischen Führungsanspruch durchgesetzt hat". Im übrigen blieb diese Einsicht nicht auf den Raum der SBZ und Ostberlins beschränkt; auch im Westen Deutschlands gewann Sozialgeschichte an Bedeutung. Die "bürgerliche" Intelligenz brachte durchaus Verständnis dafür auf, daß die ArbeiterObermann und Albert Schreiner zurück, aus der Sowjetunion Rudolf Lindau und Hanna Wolf, später auch Leo Stern. Hinzu kamen einzelne Wissenschaftler, die sich nach der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten oder der Aussiedlung aus den vom HitlerRegime okkupierten Staaten Ostmitteleuropas sehr bald in den Dienst des "Fortschritts" stellten. Auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft ist hier u. a. der ehemalige Ordinarius für Kirchengeschichte an der Deutschen Universität Prag, Eduard Winter, zu nennen, der im Jahre 1947 den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Halle-Wittenberg übernahm. 31 Ernst Engelberg, Politik und Geschichtsschreibung. Die historische Stellung und Aufgabe der Geschichtswissenschaft der DDR, in: ZfG, 6. Jg. (1968), H. 3, S. 489. 32 Nach den Angaben der jeweiligen Vorlesungsverzeichnisse lehrten unmittelbar nach Wiedereröffnung der mitteldeutschen Universitäten folgende Wissenschaftler im Fach Geschichte: Universität Berlin (Wintersemester I946/47): die Professoren Friedrich Baethgen (Deutsche Geschichte), Karl Griewank (Neuere Geschichte), Fritz Hartung (Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Politik), Friedrich Meinecke (Geschichte), Eugen Meyer (Geschieht!. Hilfswissenschaften), Fritz Rörig (Mittlere und neue re Geschichte); Universität Greifswald (Wintersemester 1946/47): Professor Adolf Hofmeister Geschichte}; Universität Halle-Wittenberg (Sommersemester 1947): die Professoren Franz Altheim (Alte Geschichte), Hans Haussherr (Wirtschafts- und Sozialgeschichte), Martin Lintzel (Mittlere und neuere Geschichte); Universität Jena (Sommersemester 1947): die Professoren Karl Griewank (Mittlere und neuere Geschichte), Hugo Preller (Auslandskunde und internat. Leben), Friedrich Schneider (Geschichte); Universität Leipzig (Sommersemester 1947): die Professoren Rudolf Kötzschke (Sächsische Geschichte), Johannes Kühn (Neue re Geschichte), Wilhelm Schubart (Geschichte des Altertums), Otto Theodor Schulz (Hilfswissenschaften auf dem Gebiete der alten Geschichte), die Dozenten Karl Buchheim (Neuere Geschichte), Hermann Mau (Mittlere und neue Geschichte); Universität Rostock (Wintersemester 1946/47): die Professoren Ernst Hohl (Alte Geschichte) und Heinrich Sproemberg (Mittlere und neue re Geschichte). lJ Vg!. etwa Karl Griewank, Die Entstehung des modernen Klassenbegriffs, in: Urania. Monatsschrift über Natur und Gesellschaft, 10. Jg. (1947), H. 4, S. 121-124.
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bewegung "ihren Erfolg in sichtbaren Formen der sozialen und politischen Ordnung auszugestalten" sich anschickte. Die deutsche Universität sollte von dem Odium, Kristallisationspunkt der Reaktion zu sein, befreit werden. Zwischen "der zu politischer Selbstbestimmung sich befreienden Arbeiterschaft und den Männern der Wissenschaft" schien der Weg zu einer "besondere[n] und zukunftsvolle[n] Solidarität" gangbar, wie der Rektor der Universität Leipzig, der Philosoph Hans-Georg Gadamer, bekannte. 34 Dieser Standpunkt sah sich jedoch bald mit den kulturpolitischen Tendenzen in der Sowjetunion und damit im gesamten sowjetischen Machtbereich konfrontiert. Seit dem Jahre 1946 war unter Leitung des Leningrader Parteisekretärs Zdanov eine neue Welle der ideologischen Kriegführung in Gang gesetzt worden: Unter dem Eindruck einer drohenden Infizierung durch westliches Gedankengut bildeten seitdem "Objektivismus" und "Kosmopolitismus" die zu bekämpfenden Abweichungen von der marxistisch-leninistischen Generallinie. Für die Historiker in der SBZ und in Ostberlin begann sich damit ein Standort herauszukristallisieren, den Georg von Rauch dahingehend zusammenfaßte: "Die Geschichtswissenschaft ist bedingungslos in den Dienst von Partei und Staat gestellt. Der Historiker ist in erster Linie Propagandist. .. Das Streben nach Wahrheit der Erkenntnis ist gebunden an die Doktrin der Partei ... ".35 In der SBZ und in Ostberlin vollzog sich der Einbruch des sowjetmarxistischen Doktrinarismus für die Universität im allgemeinen und für das Fach Geschichte im besonderen über die seit dem Wintersemester 1947/48 in den Studienbetrieb einbezogene "Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät" (Gewifa). 36 Seit der Wiedereröffnung der Universitäten und Hochschulen hatten 34 Hans-Georg Gadamer, Universität in unserer Zeit. Der Leipziger Rektor über den gesellschaftlichen Auftrag der Wissenschaft, in: Göttinger Universitäts-Zeitung, 2. Jg., Nr. 11 vom 9. Mai 1947, S. 10 f. 35 Vgl. hierzu Georg v. Rauch, Grundlinien der sowjetischen Geschichtsforschung im Zeichen des Stalinismus, in: EA, 5. Jg. (1950) S. 3493. 36 Eine "Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät" existierte an der Universität Leipzig bereits im Sommersemester 1947 (vgl. Universität Leipzig. Personal- und VorlesungsVerzeichnis, Sommersemester 1947, S. 47), an den Universitäten Rostock und Jena wurde sie mit Beginn des Wintersemesters 1947/48 gegründet. Vgl. Müller (Anm. 15), S. 49 f. Grundlegend für die Einrichtung der "Gewifa" war der Befehl Nr. 333 der SMAD vom 2. Dezember 1946. Vgl. Chronik der Karl-Marx-Universität (Anm. 20), S. 23; und Lothar Mosler, Zur Entwicklung und Arbeit des Franz-Mehring-Instituts, in: Karl-MarxUniversität Leipzig 1409-1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte, Bd. 11, Leipzig 1959, S. 526 f.; dazu Gottfried Berger / Peter Krebs, In tyrannos. Die Sowjetisierung der Hochschulen, dargestellt am Beispiel der Universität Leipzig, in: PZ-Archiv. Aktuelle Sonderdrucke, hrsg. im Auftrage des Publizistischen Zentrums für die Einheit Deutschlands, H. 4, o. O. [Bonn] 1951, S. 8. Die Delegierten des 11. Parteitages der SED (20. bis 24. September 1947 in Berlin) wurden durch Dr. Josef Naas (Berlin) auf die "fundamentale Tatsache" aufmerksam gemacht, "wie sich die Bildung unserer gesellschaftswissenschaftlichen Fakultäten an unseren Uni-
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kommunistische Funktionäre und marxistische Hochschullehrer vermittels "Pflichtvorlesungen für Hörer aller Fakultäten" unter nichtssagenden Titeln wie "Die soziale Problematik der heutigen Zeit" oder "Die historische Verwurzelung der gegenwärtigen Problemlage" eine Einführung sowjetmarxistischer Denkkategorien versucht. 31 Nunmehr erfolgte eine erste organisatorische Straffung der neuen Kräfte. Die Institutionalisierung der "Gewifa" kam der Errichtung bolschewistischer Zellen gleich, deren Bestimmung es war, wie Manfred Hellmann aus leidvoller Erfahrung formuliert, "den Körper der 'alten' Universitäten zu zersetzen und zu zerstören, die 'alte' durch eine 'fortschrittliche' Wissenschaft, den Marxismus-Leninismus, das Forschen nach Erkenntnis durch die Erlernung von Dogmen, die lebendige geistige Auseinandersetzung durch das Eintrichtern der von Moskau und seinen deutschen Statthaltern befohlenen Lehr- und Propagandasätze zu ersetzen".38 Die besondere Überwachung dieser Fakultäten durch die SMAD, die Kulturreferate der SED und die Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin 39 ließ unschwer erkennen, daß es sich um Kaderschulen zur Ausbildung von Funktionären für Staat, Partei, Verwaltung, Justiz, Publizistik und Wissenschaft handelte. Für die historischen und philosophischen Institute der Universitäten, an denen Marxisten noch keinen nennenswerten Einfluß besaßen, stellte die "Gewifa" eine Art Konkurrenzunternehmen dar. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die auf der Grundlage sowjetischen Materials ohne wissenschaftlichen Ehrgeiz erarbeiteten Vorlesungen und Vorträge, verbunden mit hartnäckigen Wiederbelebungsversuchen an marxistischen Klassikern, wohl parteilicher Notwendigkeit entsprachen, einem Wissenschaftsverfall jedoch uneingeschränkt Vorschub leisteten. Dieser mußte sich gewiß einstellen, wenn es beispielsweise, einem Bericht des früheren Ordinarius für Philosophie an der TH Dresden, Rudolf Schottlaender, zufolge, vorkommen konnte, daß "man einen Mann mit einer Professur für theoretische Pädagogik betraut, der sich nach Aufgabe seiner Dentistenpraversitäten, bereits realisiert in Leipzig, in der Entstehung begriffen in Jena, darstellt ... In diesen Fakultäten vollzieht sich das, was in Zukunft auf unseren Universitäten dem dialektischen Materialismus die Basis abgeben wird, von der aus unser gesamtes geistiges Leben einer Veränderung unterzogen werden wird". Vgl. Protokoll der Verhandlungen des 11. Parteitages der SED (Anm. 5), S. 227. 37 Vgl. etwa Personal- und Vorlesungs-Verzeichnis für das Sommersemester 1947, Martin-Luther-Universität Halle-Wiuenberg in Halle (Saale), Halle 1947, S. 17. Als Lehrbeauftragte für "Politische und soziale Probleme der Gegenwart" fungierten DT. Robert Mengering und Dr. Georg Mende (später Professor mit Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Jena), Vorlesungen über "Marxismus" hielt der Altkommunist (1920) Bernard Koenen. 38 Manfred Hellmann, "Gesellschaftswissenschaft" in der politischen Realität. Erfahrungen eines ehemaligen Leipziger Assistenten, in: DUZ, 4. Jg. (1949), NT. 24 vom 16. Dezember 1949, S. 11. Vgl. auch Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum, Jena 1958, Bd. I, S. 710. 39 Vgl. Hellmann (Anm. 38), S. 12.
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xis zwar in das Studium der Bücher von Marx und Lenin, nicht aber in die verborgenen Gesetze hinter der scheinbaren Sprunghaftigkeit lebendiger Kinderseelen vertieft hat". 40 Während seitens der .. fortschrittlichen Geschichtsbetrachtung" noch um Mittel und Wege der Einflußnahme auf Universität und Studentenschaft gerungen wurde, war die .. bürgerliche" Historikerschaft darangegangen, auf ihre Weise zu einer Bewältigung der Vergangenheit beizutragen. In mühevoller Kleinarbeit, oftmals buchstäblich auf den Trümmern jahrzehntelanger Forschungen stehend,41 schickte sie sich an, die unter der Belastung von Auflagen des nationalsozialistischen Regimes zerrissenen Fäden neu zu knüpfen. Die unter den mißlichen Umständen wie Papierknappheit, Lizenzschwierigkeiten usw. nicht sehr reichlich fließenden Quellen lassen, möglicherweise im Gegenzug zu der zunächst nur in hastig publizierten Neuauflagen der Werke von Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mehring und Plechanov zugänglichen marxistischen Geschichtsinterpretation, leicht eine Ausbildung von Schwerpunkten in Forschung und Lehre der Neueren Geschichte erkennen: Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte rückte stärker in den Mittelpunkt,42 die geistigen und sozialen Strömungen des 18. und 19. Jahrhunderts wurden zum Gegenstand von Vorlesungen und Seminaren, .. bürgerliche" Wissenschaftler behandelten die .. Geschichte der Arbeiterbewegung" lange vor der vollständigen Okkupation dieser Disziplin durch die Sowjetmarxisten,43 nicht zuletzt verfolgte man die .. demokratischen Ideen und Bewegungen" in die Jahrhunderte zurück. Zusammen mit den Epochenvorlesungen von Fritz Hartung in Berlin und Karl Griewank in Jena, den sozialund wirtschaftsgeschichtlichen Seminaren von Rudolf Kötzschke in Leipzig zum deutschen Spät- und Hochmittelalter, Friedrich Meineckes .. historischen 40 Rudolf Schottlaender, Ursachen des Wissenschaftsverfalls, in: Göttinger Universitäts-Zeitung, 4. Jg., Nr. 16 vom 19. August 1949, S. 12. Bei der erwähnten Professur handelte es sich um den ehern. Lehrstuhl Theodor Litts in Leipzig. 41 So etwa Rudolf Kötzschke, dessen Gesamtwerk Gerhard Heitz einer marxistischkritischen Würdigung unterzogen hat: Rudolf Kötzschke (1867-1949). Ein Beitrag zur Pflege der Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte in Leipzig, in: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409-1959 (Anm. 36), S. 262-274. Vgl. hierzu Herbert Helbig, Rudolf Kötzschke zum Gedächtnis, in: FuF, 26. Jg. (1950), S. 52-54. 42 Hier sind vor allem die Vorlesungen und Übungen von Hans Haussherr (Halle), Fritz Rörig (Berlin) und Karl Buchheim (Leipzig) zu nennen. 43 Soweit sich das anhand der Vorlesungsverzeichnisse feststellen läßt, behandelte der Dozent für neuere Geschichte an der Universität Leipzig, Dr. Karl Buchheim, erstmals diese Thematik im Sommersemester 1948 unter dem Titel "Geschichte der Arbeiterbewegung in den europäischen Hauptländern" (Seminar: "Übungen zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, insbesondere Ferdinand Lassalles"). Im Wintersemester 1948/49 folgte in Jena Karl Griewank mit einem Kolleg über die "Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung". Von marxistisch-leninistischer Seite hatte Alfred Meusel im Wintersemester 1947/48 an der Berliner Universität damit begonnen, eine "Geschichte der modernen Arbeiterbewegung" zu lesen, die im Sommersemester 1948 fortgesetzt wurde.
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Kolloquien und Einzelbesprechungen mit reiferen Studierenden" in Berlin über Grundfragen der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert, über Rankes und Burckhardts Geschichtsauffassung, über Wilhe1m von Humboldt oder über das deutsche Parteileben von 1848, und der sich ganz in den Bahnen der deutschen Universitätstradition bewegenden Lehre der Alten und Mittelalterlichen Geschichte bot sich das Bild eines nach zwölfjähriger Überfremdung neu aufblühenden Wissenschaftszweiges. Nur zaghafte Regungen waren zunächst unter den "bürgerlichen" Wissenschaftlern spürbar, wenn es um eine grundsätzliche Erörterung des deutschen Geschichtsbildes ging. Von der Meineckeschen Schrift des Jahres 1946 einmal abgesehen, unternahm Fritz Rörig unter ausgiebiger Berufung auf Ernst Troeltsch und Adolf von Harnack den schwachen Versuch einer Wiederbelebung des Historismus. Seine Forderung, der Historiker sei mit der Pflicht belastet, "seiner Gegenwart und dem in ihr wirkenden Politiker die rechten Zusammenhänge und notwendigen historischen Kenntnisse für die Gegenwartserkenntnis und rechte Zukunftsgestaltung zu vermitteln" ,44 widersprach freilich, wörtlich genommen, nicht den Maximen der Hochschulfunktionäre in der SBZ. Allein Karl Griewank blieb es vorbehalten, in fruchtbarer Auseinandersetzung mit der marxistischen Lehre "dem ihr zugrunde liegenden ökonomisch-sozialen Klassenbegriff Rechnung zu tragen und dem Problem der Klassenkämpfe in ihren verschiedenen Erscheinungsformen in der geschichtlichen und sozialen Wirklichkeit genauer nachzugehen".45 Sein in der Begegnung mit dem Marxismus gewonnener "neuzeitlicher Revolutionsbegriff"46 stellt einen nicht wieder erreichten Höhepunkt in der Diskussion zwischen idealistischer und materialistischer Geschichtsauffassung dar. Eine Erschütterung der starken wissenschaftlichen Position "bürgerlicher" Historiker vermochten die wenigen Marxisten zunächst nicht herbeizuführen. Ihre Aufgabe lag zudem in hohem Maße vorerst im geschichtspädagogischen Bereich,47 zugleich beschränkte man sich auf Universitätsebene vorerst darauf, "die 'volle Gleichberechtigung' des historischen Materialismus neben dem historischen Idealismus zu fordern".48 Die Lehrerfolge der Vertreter des Marxismus- Leninismus waren gering,49 ihr Einflußbereich jedoch Fritz Rörig, Geschichte und Politik, in: Forum, 2. Jg. (1948), S. 118 f. Griewank, Entstehung (Anm. 33), S. 123. 46 Kar! Griewank, Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung, Weimar 1955. 47 Hierzu nähere Angaben bei Timm (Anm. 6), S. 12. 48 Hehn (Anm. 19), S. 4. 49 Von Alfred Meusels Kolleg über "Geschichte der neueren Geschichtsschreibung und -auffassung", gehalten im Sommersemester 1948 an der Berliner Universität, wird von Studenten übereinstimmend berichtet, daß es "ein z.T. wörtlicher Auszug aus Meineckes Historismus, ohne daß das Buch genannt worden wäre", gewesen sei. 44 45
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unbegrenzt, so daß ein Hineinschlüpfen in die durch Emeritierung und Flucht der "bürgerlichen" Konkurrenz freiwerdenden Geschichtsprofessuren keine Schwierigkeiten bereitete. 50 Nach wie vor wurde jedoch die Fiktion eines Miteinander von "bürgerlichen" und "fortschrittlichen" Wissenschaftlern aufrechterhalten. Es entsprach daher ganz der offiziellen Hochschulpolitik, wenn sich Gelehrte der beiden Kategorien im "Forum", der "Zeitschrift für das geistige Leben an den deutschen Hochschulen", zu gemeinsamer Diskussion um die Fortbildung der deutschen Universität zusammenfanden. 51 Man wußte in der SED darum, "daß gerade viele der alten Intellektuellen ein Schauer durchläuft, wenn wir [d. h. die SED] vom dialektischen Materialismus, der Philosophie des Marxismus-Leninismus, als der weltanschaulichen Grundlage aller Wissenschaft sprechen ... ".52 Die für Historiker einmalige Chance, das in den offiziellen Verlautbarungen gewahrte Bild gewinnbringender Zusammenarbeit und wissenschaftlichen Wettbewerbs auch nach außen dokumentarisch zu belegen, bot sich im Gedenken an die lOOjährige Wiederkehr der Revolution von 1848. Sie blieb ungenutzt. Während nämlich Fritz Hartung in einer knappen Würdigung "der europäischen Bedeutung der Revolution von 1848" die historischen Aspekte beleuchtete, nicht ohne den sozialen Faktor für die Bewertung der Weltgeschichte seit dieser Zeit einzubeziehen,53 erschöpften sich die Gedenkartikel von marxistisch-leninistischer Seite in Beschuldigungen der deutschen Geschichtsschreibung, "bis heute die wahre Bedeutung der Revolutionen von 1525 und 1848 dem deutschen Volke vorenthalten" zu haben. 54 50 Vgl. Georg Kotowski, Frühe Dokumente sowjetdeutscher Hochschulpolitik, in: JGMOD, Bd. V., Tübingen 1956, S. 331. 51 An der Diskussion beteiligten sich mit mehr oder minder ausführlichen Beiträgen u. a. Friedrich Meinecke und Heinrich Deiters (beide Berlin), Erich Rothacker (Bonn) und Jürgen Kuczynski (Berlin), Alfred Weber (Heidelberg) und Ossip K. Flechtheim (Ber!in), Nicolai Hartmann (Göttingen) und Theodor Litt (Leipzig), Leopold v. Wiese (Köln) und Werner Krauss (Marburg). Vgl. Forum, I. Jg. (1947). - Auf der gleichen Linie lag das .. Streitgespräch" zwischen Alexander Abusch, Bernhard Bennedik, Günther Birkenfeld, Heinrich Deiters, Ferdinand Friedensburg, Klaus Gysi, Alfred Meusel, Ernst Niekisch, Josef Naas, Georg Zivier und Otto Dilschneider am 7. Februar 1947 über .. Gibt es eine besondere deutsche geistige Krise?" Vgl. Aufbau, 3. Jg. (1947), S. 305-325. 52 Ouo Grotewohl, Die geistige Situation der Gegenwart und der Marxismus, in: Protokoll der Verhandlungen des Ersten Kulturtages der SED. 5.-7. Mai 1948 in der Deutschen Staatsoper zu Berlin, Berlin (Ost) 1948, S. 62. 53 Fritz Hartung, Die europäische Bedeutung der Revolution von 1848, in: FuF, 24. J g. (1948), S. 25-27. 54 Kar! Obermann, 1848-1948. Einheit heißt die Losung, in: Forum, 2. Jg. (1948), S. 69. Obermann gehörte, wie Ernst Engelberg, Heinz Kamnitzer und Erich Paterna, zur Schule Alfred Meusels. Seine Studien (Geschichte und Soziologie) begann er bereits in den 20er Jahren, mußte jedoch 1933 emigrieren (Frankreich, USA). Von 1943 bis 1946 war er in New York Redakteur an der deutsch-amerikanischen Zeitschrift ..The German Ameri-
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Hinzu kam selbstgefällige Genugtuung über die Weitsicht der Verfasser des "Kommunistischen Manifestes"55 und eine einseitige Aktualisierung dieser historischen Vorgänge für die Zielsetzung der sowjetischen Deutschlandpolitik: Alfred Meusel erhob die Forderung, "die Revolution von 1848 zu Ende zu führen und Deutschland in eine einige, unteilbare, demokratische Republik zu verwandeln". 56 Allein Walter Markov, Dozent für Geschichte an den Universitäten Leipzig und Halle, behielt es sich vor, abseits parteilichen Engagements und vordergründiger Polemik zumindest die Absicht ernsthaften Wettbewerbs anzuzeigen. 57 Sein Versuch, einer marxistischen Geschichtswissenschaft Weg und Ziel zu weisen, sollte freilich nicht über das Stadium papierener Darlegungen hinauskommken. Trotzdem verdient er allein schon deshalb Beachtung, weil Markovs Ausführungen sich für diese frühe Zeit als ein getreues Spiegelbild der Situation jener Marxisten erweisen, die den Weg an die Universität gingen. In seinen Darlegungen, die wohl auch eigener Standortbestimmung dienten, werden ihre Schwierigkeiten plastisch vor Augen can". 1946 nach Deutschland zurückgekehrt und Redakteur des sowjetisch lizenzierten "Forum", wurde er 1950 an der Humboldt-Universität bei Alfred Meusel zum Dr. phi!. promoviert (Titel der Dissertation: "Die deutschen Arbeiter in der ersten bürgerlichen Revolution", erschienen 1950 im Ostberliner Dietz-Verlag, 1953 in 2. Auflage ebendort unter dem Titel "Die deutschen Arbeiter in der Revolution von 1848"). 1953 wurde er zum Professor mit vollem Lehrauftrag, 1956 zum Professor mit Lehrstuhl an der Ostberliner Universität ernannt. ss Walter Markov, 1848, in: Urania, 11. Jg. (1948), S. 87-92. S6 Alfred Meusel, Nationale Probleme in der deutschen Revolution von 1848, in: Aufbau, 2. Jg. (1948), S. 777. Vg!. auch die Festansprache Meusels beim Wartburgfest der deutschen Studenten in Eisenach am 16. Mai 1948, die er mit den Worten schloß: "Indem wir für die Umwandlung unseres verarmten und zerstückelten, aus tausend Wunden blutenden Landes in eine einige und unteilbare Volksrepublik eintreten, erfüllen wir das Testament, das uns die besten, kühnsten und klarsten Revolutionäre des Jahres 1848 hinterlassen haben. Sie sollen nicht vergeblich gestorben sein. Die beste Form der Erinnerung ist die Dankbarkeit, die sich durch die Taten erweist." Vg!. Günter Steiger (Hrsg.), Vom Collegium Jenense zur Volksuniversität, Jena 1960, S. 139 f. 57 Walter Markov, Historia docet?, in: Forum,!. Jg. (1947), S. 128-129. Markov, infolge der Auflösung Österreich-Ungarns 1918 jugoslawischer Staatsangehöriger, wurde nach ausgedehnten Studien der Neueren Geschichte, Geographie, Slavistik und Religionsgeschichte an den Universitäten Leipzig, Köln, Berlin, Hamburg und Bonn 1934 bei Fritz Kern mit einer Arbeit über "Serbien zwischen Österreich und Rußland 1897-1908" (gedruckt Stuttgart 1934) zum Dr. phi\. promoviert. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Machtergreifung trat er im Januar 1933 der KPD bei. Wegen illegaler Parteiarbeit wurde er 1935 verhaftet und zu einer hohen Zuchthausstrafe verurteilt. Erst das Ende des Krieges brachte ihm die Befreiung aus dem Zuchthaus Siegburg. 1946 siedelte Markov nach Leipzig iiber, habilitierte sich 1947 an der dortigen Universität und wurde daselbst sofort Dozent für Neuere Geschichte, im selben Jahr in Halle Professor mit Lehrauftrag für Mittlere und Neuere Geschichte, 1949 schließlich Professor mit Lehrstuhl und Direktor des Instituts für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig. Während des Stalin-Tito-Streites geriet er, titoistischer Neigungen beschuldigt, mit der SED in Konflikt und wurde zeitweilig sogar aus der Partei ausgeschlossen.
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geführt. Materielle Hindernisse, im "Wettlauf zwischen der Gründlichkeit [wissenschaftlicher Forschung] und der Rückkehr zu normalen Bedingungen" als besonders belastend empfunden, stellten sich freilich nicht nur ihm in den Weg: "Die Realitäten, d. h. die Absenz reifer Mitarbeiter und ausreichender Lehrmittel ... für das Selbststudium verdammen uns ... zu der Rolle sprechender Kompendien, in der wir außerplanmäßig noch für die Unterlassungssünden der Nominellen unter den Studienräten geradezustehen haben." Aus seinen Worten wird das Dilemma des Marxisten sichtbar: "Abgelaufene kühne Behauptungen" waren so schnell nicht "durch ebenso kühne Unverbindlichkeiten zu übertrumpfen" .58 Das "wachgerüttelte Mißtrauen seiner Hörer" stellte sich dieser Art von Wissenschaft als schwer zu umgehendes Hindernis entgegen. 59 So war es Markovs erklärtes Ziel, im Einklang mit der offiziellen Hochschulpolitik in der "streitbaren Begegnung zwischen idealistischer und materialistischer Geschichtsauffassung" die Isolierung der "fortschrittlichen" Wissenschaftler an den Universitäten zu durchbrechen und ihre Anerkennung auf der Ebene der "Fachgelehrsamkeit" zu erreichen. 60 Mit der Feststellung, der Blick nach vorne ersetze "die Korrektur der wechselseitigen Kontrolle nicht", wurde ein Weg wirklicher, nicht nur fiktiver wissenschaftlicher Koexistenz gezeichnet, wobei Markov so weit ging, einen Totalitätsanspruch des Marxismus-Leninismus mit bemerkenswerten Worten zu bestreiten: "Niemand wird den Wunsch hegen, den historischen Materialismus für seine Unterdrückung in anderen Teilen Deutschlands durch ein Monopol in der Ostzone zu entschädigen, es sei denn, daß er ihn vorsätzlich durch Inzucht ruinieren möchte. Zu fordern ist für alle deutschen Universitäten der freie Wettstreit beider Theorien, die Verpflichtung, sich mit ihnen bekannt zu machen. Es heißt kein Geheimnis preisgeben, wenn wir behaupten, eine Belehrung darüber, was historischer Materialismus nicht ist, stehe in ihrer Dringlichkeit bereits vor der Feststellung, was er eigentlich sei .... Der Satz, daß es kein Verstehen mit Hilfe eines Universalschlüssels irgendeiner allgemeinen geschichtlich-philosophischen Theorie gibt, die, da sie alles auf einmal erklärt, nichts erklärt, ist bester Marx und niemand hat die Neigung, Antworten auf konkrete Fragen in der logischen Entwicklung allgemeiner Wahrheiten zu suchen, tiefer verspottet als Lenin."61 Ebd., S. 128. Die kritische Haltung der Studentenschaft löste insbesondere bei Jürgen Kuczynski heftige Reaktionen aus: Betrachtungen zur deutschen Geschichtsschreibung, in: Aufbau, 2. Jg. (1946), S. 742-747. 60 Die Ignoranz der "bürgerlichen" Historiker in bezug auf den Marxismus wird scharf getadelt: "Die Verschiedenartigkeit der Begründung interessiert daran weniger als die erstaunliche Gleichläufigkeit zwischen jenem Scholastiker, der sich weigerte, durch das Fernrohr zu blicken, um etwas nicht sehen zu müssen, womit seine Schriften nicht übereinstimmten, und einem Erzieher unseres akademischen Nachwuchses, der den historischen Materialismus als bedenkliche Reduktion ablehnt und im gleichen Atemzug kundtut, sich mit ihm nicht befaßt zu haben." Vgl. Markov (Anm. 57), S. 129. 61 Ebd. Die Leugnung eines jeglichen Totalitätsanspruches des Marxismus-Leninismus entsprach der kulturpolitischen Taktik der SED in der Phase der "antifaschistisch18
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Markovs Ausführungen rückten zwei Aufgaben in den Mittelpunkt: 62 zum einen die Verteidigung der nicht aus eigener Kraft und nicht aus eigenem Verdienst errungenen Positionen an den Universitäten der SBZ und Ostberlins gegenüber den "bürgerlichen" Konkurrenten und zum zweiten das langsame Ertasten eines eigenen Weges, der zwischen Reglementierung durch die Besatzungsmacht und eigenem Verständnis des historischen Materialismus hindurchführen mußte. Zu letzterem gehörte die Erarbeitung eines neuen Geschichtsbildes, wobei Markov es "angesichts unserer Zerrissenheit und standortlichen Zerfahrenheit" bezweifelte, ob man in der Methode "den Sowjethistorikern die Ideallösung einer Gesamtplanung und Aufteilung der Themen unter spezialisierte Arbeitsgemeinschaften so bald entlehnen kann". Auch kam es ihm bei der Zielsetzung darauf an, sich nicht etwa nur auf die "Wendepunkte" der deutschen Geschichte zu beschränken: Die deutsche Forschung habe "drückendere Sorgen als die Entnazifizierung des Philosophen von Sanssouci und des Eisernen Kanzlers", sie könne sich auch nicht "mit Kind und Kegel auf einige Lieblingsthesen, etwa 1525, 1848 und 1933", stürzen. Vielmehr tue der deutschen Geschichtswissenschaft not, "die ganze Weite universeller Bezogenheiten zu erschließen".63 Im "Dilemma, entweder die solide Facharbeit zurückzupflocken und auf prinzipielle Erörterungen über Geschichtsbild und Geschichtsauffassung zu retirieren oder aber gar auf Kosten der Dauerhaftigkeit mit kümmerlichem Gerüst und Ersatzmaterial Behelfsbauten auszuführen, Notquartier zu beziehen und Qualitätsminderungen in Kauf zu nehmen" ,64 wurde jedoch der gute Wille der wenigen profilierten Marxisten zwischen den Mühlsteinen parteilicher Gebundenheit und einer heute kaum mehr vorstellbaren materiellen Not zerrieben. 65 Im Ertasten des eigenen Weges, im Ringen um ein neues Geschichtsbild wurde die Fachhistorie, von marxistischer Seite im demokratischen Umwälzung". Vgl. Protokoll ... des Ersten Kulturtages der SED (Anm. 52), S. 216 ff. 62 Vgl. hierzu die marxistisch-leninistische Darstellung bei Engelberg / Rudolph (Anm. 2), S. 11 ff. 63 Markov, Historia (Anm. 57), S. 129. 64 Ebd., S. 128. 65 Markov deutete diese materielle Notlage in wenigen Sätzen an: .. Das professorale Gewissen steht ... vor der Entscheidung, eine brennend notwendige Vorlesung über den Entwicklungsgang der modernen chinesischen Gesellschaft, über Voraussetzung und Spannweite des fernöstlichen Bürgerkrieges aus dem gespeicherten Erinnerungsschatz unter Zuhilfenahme greifbarer Nachschlagewerke zu schöpfen oder sie bis zur Heimsendung einer ausgelagerten Handbibliothek zurückzustellen ... Die Zierde eines OsteuropaLehrstuhles hat für Versäumnisse aufzukommen, die die durchdachte Isolierung seines Arbeitsbereichs in der Vergangenheit ... verschuldet hat. .. Die Diskussion innerhalb der Fachkreise ... setzt eine Papierzuteilung für Spezialuntersuchungen voraus, die vorläufig hinter der spürbaren Notwendigkeit der breiten Aufklärung zurücktreten muß." Vgl. ebd., S. 128.
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wesentlichen durch die Bemühungen Markovs vertreten,66 schon sehr früh von den sehr viel unproblematischeren, von Auseinandersetzungen mit einer kritischen Nachkriegsgeneration an den Universitäten befreiten Schreibern der Partei aus dem Rennen geworfen. In der Tat waren, wie Markov selbst schreibt, die "orientierenden Schriften" von Abusch, Niekisch, Girnus und anderen "ebensowenig dem Katheter entsprossen wie die Neuauflage von Engels, Mehring und Plechanow der späten Reue unseres Ordens". 67 Auf marxistischer Seite herrschte, von Markov abgesehen, auf der Ebene der "Fachgelehrsamkeit" Schweigen, wohingegen Publizisten und Schulmänner, Partei leute und Praktiker sehr schnell das deutsche Schicksal mit marxistisch-leninistischer Elle vermaßen. Ihre Stellungnahmen zu brennenden Tagesfragen zogen Nutzanwendung aus einer nach marxistischleninistischen Kategorien interpretierten deutschen Geschichte, die einen fachhistorischen Niederschlag noch nicht gefunden hatte. Damit war die historisch-marxistische Fachwissenschaft nicht nur in zwei Gefechten, dem mit der "bürgerlichen" Konkurrenz und dem mit den kommunistischen Parteigängern, unterlegen; sie hatte auch eine Schlacht verloren: Die jahrelange Vorherrschaft einer auf Polemik und Simplifikation angelegten Propagandahistorie nahm hier ihren Ausgang. 68 Die Abkehr vom Versuch der Wissenschaftlichkeit und die Indienststellung der Historie für vordergründige Zielsetzungen der kommunistischen SED, der im Zeichen der "Blockpolitik" eine nahezu uneingeschränkte Machtfülle zugefallen war, hatte sich bereits unmittelbar nach Kriegsende in Veröffentlichungen der historischen Publizistik angekündigt. Es sei versucht, den Unterschied zwischen der Wissenschaftsauffassung Markovs und dieser sowjetmarxistischen Publizistik an der unterschiedlichen Interpretation zweier, der notwendigen Revision herkömmlicher Geschichtsbetrachtung dienenden Schriften der vielgeschmähten "bürgerlichen" Historie zu zeigen: der "akademischen Beiträge" Friedrich Meineckes 69 und Gerhard Ritters,1° die zumindest den Eindruck, daß "die Historiker der Entwicklung Vgl. Lange, Wissenschaft (Anm. 15), S. 173. Markov, Historia (Anm. 57), S. 128. 68 Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft schlug erst wieder andere Töne an, als U1bricht auf der 2. Parteikonferenz der SED (9. bis 12. Juli 1952 in Berlin) die Historiker aufforderte, dem deutschen Volk das "klassische Erbe" näherzubringen, über "die revolutionären Kämpfe und die Freiheitskämpfe [zu] berichten". Vgl. Protokoll der Verhandlungen der 11. Parteikonferenz der SED, Berlin (Ost) 1952, S. 120 ff.; dazu Fritz Kopp, Die Wendung zur "nationalen" Geschichtsbetrachtung in der Sowjetzone, München 1955. 69 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 1946. 70 Gerhard Ritter, Die Dämonie der Macht. Betrachtungen über Geschichte und Wesen des Machtproblems im politischen Denken der Neuzeit, Stuttgart 1947 (5. Auflage von 66 67
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wieder einmal um mehr als eine Nasenlänge nachhinken",11 auszuwischen versucht hatten. Dabei unterschieden sich Markovs Maßstäbe der Kritik nicht unerheblich von den propagandistischen Breitseiten späterer ,,streitgespräche"72: "Gewiß steht es dem Historiker minder an als dem Volksredner, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Nur kleinbürgerliches Ressentiment schwelgt darin, Könnern von Format ihr persönliches Kaliber herunterzubuchen, weil sie in vielem auf dem falschen Flügel gefochten und die Passiva belastet haben ... ".73
Auf dieser Grundlage bemühte sich Markov in geschliffener und bildreicher Sprache um die Ausgangsposition für eine Kritik an seinen "bürgerlichen" Zunftgenossen und fand sie in der Korrelation zwischen "bürgerlicher" Geschichtsschreibung und der "ökonomischen, politischen und geistigen Rückständigkeit" Deutschlands im 19. lahrhundert. 74 Meineckes Resignation erfuhr dementsprechend Kritik als Ausdruck "vergangenheitsgebundener Prämissen" eines "nach Wesen und Werdegang den Wertungen liberaler Demokratie aufgeschlossen[en]" Gelehrten, jedoch hielt Markov sich frei von generalisierender Verurteilung, wenn auch nicht von ablehnendem Urteil: "Die teilweise aus eigener Anschauung gewonnene Aufhellung jüngsten Geschehens", so konstatierte er unerbittlich, "verpflichtet den Leser zu Dank, ohne ihn weiterzubringen als zum Beweinen seiner bürgerlichen Daseinsverfehlung." Ritters Bestreben, das nach Markov dahin ging, "Hitlers Talmistaatskunst ausgerechnet durch eine Fridericus- und BismarckRenaissance [zu] entwerten", wurde schärfer gerügt, aber sein Anliegen, dem "Eingriff des preußischen Militarismus in das deutsche Schicksal" nachzugehen, als solches gesehen und anerkannt. 75 Sehr viel dogmatischer und massiver kritisierte Alexander Abusch Meineckes Versuch einer historischen Selbstbesinnung. 76 Der vom parteilichen Bewußtsein getragene Kulturbund-Funktionär und historisierende Schriftsteller vermochte die "Waffe der geschichtlichen Kritik" hemmungsloser "Machtstaat und Utopie", München 1940); ders., Geschichte als Bildungsmacht. Ein Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung, in: Der Deutschenspiegel 6, Stuttgart 1947. 11 Markov, Historia (Anm. 57), S. 128. 12 Vgl. die ätzende Polemik bei Werner Berthold, ..... großhungern und gehorchen". Zur Entstehung und politischen Funktion der Geschichtsideologie des westdeutschen Imperialismus untersucht am Beispiel von Gerhard Ritter und Friedrich Meinecke, Berlin (Ost) 1960, insbes. S. 131 ff. 1l Markov, Historia (Anm. 57), S. 129. 14 Lange, Wissenschaft (Anm. 15), S. 172. Vgl. hierzu Walter Markov, Zur Krise der deutschen GeschichtsschreibuQg, in: Sinn und Form. Beiträge zur Literatur, 2. Jg. (1950), H. 2, S. 109-155. 1S Ebd., S. 129. 16 Alexander Abusch, Die deutsche Katastrophe, in: Aufbau, 5. Jg. (1947),1. Halbbd., S. 2-8. Zu Abuschs Rolle im .. Kulturbund" vgl. Kantorowicz (Anm. 18), S. 455 und 463.
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einzusetzen. Da in der Meineckeschen Interpretation der Revolution von 1848 und der Rolle des Bürgertums in der deutschen Geschichte die marxistisch-leninistischen Töne keinen Widerhall fanden, mußte das "ergreifende Ringen eines Mannes am Abend seines Lebens" der Verurteilung anheimfallen: " ... die rein geistig-politische Entwicklungslinie ... bleibt bei ihm isoliert, irgendwo in der Luft schwebend, ohne in den erdfesten Zusammenhang mit der Entwicklung des deutschen Kapitalismus zum Imperialismus gestellt zu sein". Da Meinecke es nach Abuschs Meinung nicht fertigbrachte, "die faschistische Ideologie in ihrer ganzen antinationalen, antisozialistischen Zweckhaftigkeit und Unechtheit zu enthüllen", war sein Verdikt über jede "bürgerliche" Beschäftigung mit der Historie schnell gesprochen: "Das Handwerkszeug auch des besten, umfassendsten und ehrlichsten idealistischen Historikers erweist sich als unzulänglich, einen historischen Prozeß zu erforschen und darzustellen. "77 Die Partei schlug also eine entschiedenere Sprache an als die Fachwissenschaftler. Das erhöhte das Gewicht jener publizistischen Versuche einer Neubewertung der deutschen Geschichte nach marxistisch-leninistischem Schema, die unter betonter Aufrechterhaltung des Bruches mit jeglicher "bourgeoisen" Überlieferung den Nachkriegsbüchermarkt belebten. Die auf parteilicher Gebundenheit beruhenden Untersuchungen Wilhelm Girnus