Geschichte der Reformation 9783788732042

Die Reformation, die in erster Linie auf eine umfassende kirchlich-theologische Erneuerung zielte, brachte zugleich tief

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German Pages 312 [307] Year 2017

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Geschichte der Reformation
 9783788732042

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Theologische Bibliothek Herausgegeben von Christoph Auffarth / Irene Dingel / Bernd Janowski / Friedrich Schweitzer / Christoph Schwöbel und Michael Wolter

Band V Irene Dingel Geschichte der Reformation

Irene Dingel

Geschichte der Reformation

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978–3–7887–3204 –2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten DTP: Dorothee Schönau, Wülfrath Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen

Vorwort

Eine kleine Geschichte der Reformation zu schreiben, ist keine geringe Herausforderung, zumal der Markt angesichts des Reformationsjubiläums boomt. Darstellungen zum Reformationsjahrhundert und vor allem zum Wirken Martin Luthers haben Hochkonjunktur. Dennoch lohnt es sich, sich aufs Neue dieser Epoche zu widmen, die sich durch eine vielschichtige Interaktion theologischer, politischer, gesellschaftlicher und kultureller Faktoren auszeichnet und dadurch entscheidende Transformationen auf all diesen Ebenen in Gang setzte. Dies umfassend zu behandeln, würde allerdings hunderte von Seiten füllen. Die hier vorliegende Studie beschränkt sich dagegen auf die großen Zentren der Reformation in Zentraleuropa, auf die entscheidenden Akteure und die ausschlaggebenden Ereignisse, die die Reformation förderten oder behinderten, sie veränderten und prägten. Die Entwicklungen kommen aus den jeweiligen historischen Kontexten und Konstellationen heraus in den Blick und sollen sich in der Vielfalt der Perspektiven zu einem differenzierten Gesamtbild zusammenfügen. Der so entstandene Überblick ist eine gekürzte und verbesserte Fassung meiner 2016 erschienenen Publikation „Reformation. Zentren – Akteure – Ereignisse“. Er soll eine schnelle und dennoch fundierte Orientierung über ein hoch komplexes Zeitalter gewährleisten. Das erfordert eine – nicht immer einfach umzusetzende – Konzentration auf das Wesentliche. Auch die Anmerkungen sind davon betroffen. Sie beschränken sich auf strikt notwendige Literaturnach-

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Vorwort

weise1 und solche Begleitinformationen, die zum Verständnis unerlässlich sind. Die für die Entwicklung der Reformation relevanten Personen wurden im allgemeinen nur bei ihrer ersten Nennung mit Lebensbzw. Regierungsdaten versehen, um ihre historische Einordnung zu erleichtern. Frühneuzeitliche Zitate sind heutigem Sprachgebrauch angeglichen. Dass dieses Buch als Teil der Reihe „Theologische Bibliothek“ noch im Jahr 2017 erscheinen kann, wurde durch ein Fellowship des Historischen Kollegs im Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt/M. ermöglicht, das in Kooperation mit der Werner Reimers Stiftung in Bad Homburg steht. Die hier vorhandenen ausgezeichneten Arbeitsbedingungen und die produktive Atmosphäre haben entscheidend zum Abschluss des Projekts beigetragen. Dafür sei allen Verantwortlichen an dieser Stelle herzlich gedankt. Ebenso herzlich habe ich Herrn Dr. Dr. h.c. Heinz Scheible für zahlreiche verbessernde Hinweise zu danken. Mainz, im August 2017

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Irene Dingel

Die Abkürzungen folgen dem Abkürzungsverzeichnis von Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 2014 (IATG3).

Inhalt

Vorwort ....................................................................... 5 Einleitung.................................................................. 13 Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500 ................................................. 17 I.

Ständeordnung und Verfassungsstrukturen ....... 17

II. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation ... 19 Religiöses Leben im Spätmittelalter und an der Schwelle zur Frühen Neuzeit ................................... 25 I.

Die Kirche in ihren institutionellen Erscheinungsformen und Strukturen ................. 25 1. Kirche und Papsttum ...................................... 25 2. Klerus.............................................................. 27

II. Frömmigkeit ....................................................... 29 1. Mystik und Devotio moderna......................... 29 2. Volksfrömmigkeit ............................................ 33 III. Erneuerungsbewegungen ................................... 36 1. Kirchenkritik und Reformansätze vor der Reformation .................................................... 36 2. Renaissance und Humanismus ....................... 40 Die Reformation in Wittenberg ................................ 45 I.

Martin Luthers Entwicklung zum Reformator ... 47

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Inhalt

1. Theologische Grundlegung: Disputationen und reformatorische Hauptschriften ................................................. 53 2. Evangelische Verkündigung: Bibelübersetzung – Predigt – Unterweisung ... 68 II. Philipp Melanchthon als Wittenberger Professor und theologischer Lehrer..................... 72 1. Der Universalgelehrte und sein wissenschaftliches Werk .................................. 77 2. Der Theologe und Reformator ........................ 81 Die Reformation in Zürich......................................... 87 I.

Huldrych Zwinglis Weg zur Reformation ............ 88

II. Der Beginn der Reformation in Zürich ............... 90 1. Zwinglis reformatorische Predigt..................... 90 2. Der Bruch mit der römischen Kirche .............. 94 III. Die Zürcher Disputationen .................................. 96 1. Die erste Zürcher Disputation und ihre Wirkung .......................................................... 96 2. Die zweite Zürcher Disputation ...................... 99 IV. Theologische Grundlegung und praktische Gestaltung der Reformation .............................. 101 Kontroversen und Abgrenzung ............................... 105 I.

Die Wittenberger Bewegung (1521/1522) ........ 105

II. Der Streit mit Erasmus über den freien Willen (1524/1525) ........................................... 111 III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529) ...................................................... 115

Inhalt

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IV. Die Antinomistischen Streitigkeiten (1527 und 1537/1538) ..................................... 124 Reformatorischer Dissent ........................................ 130 I.

Das Täufertum .................................................. 131 1. Das frühe Täufertum in Zürich – Konrad Grebel und Felix Mantz ................... 132 2. Vielfalt des Täufertums – Balthasar Hubmaier, Hans Denck, Hans Hut ....................................................... 134 3. Konsolidierung und Abgrenzung ................. 137 4. Das Täuferreich in Münster .......................... 140 5. Mennoniten und Hutterer ............................ 143

II. Ausprägungen des Spiritualismus .................... 145 1. Thomas Müntzer: Kämpferische Leidensnachfolge ................... 147 2. Caspar Schwenckfeld von Ossig: die Botschaft vom inneren Christus ............. 155 3. Sebastian Franck: Konsequenter Individualismus..................... 159 III. Antitrinitarische Strömungen........................... 163 1. Die Anfänge .................................................. 164 2. Verbreitung ................................................... 166 Die Reformation in Straßburg ................................ 170 I.

Martin Bucers Weg nach Straßburg ................. 170

II. Einführung und Etablierung der Reformation . 174 III. Abgrenzung und Konsolidierung ..................... 177 IV. Bucers Wirken außerhalb ................................. 181

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Inhalt

Reformation und Reichspolitik................................ 188 I.

Der Römische Prozess gegen Luther und die Lage im Reich .............................................. 188

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation ...................................................... 194 1. Der Wormser Reichstag von 1521 und die Ächtung Luthers ........................................... 194 2. Der Reichstag von Speyer 1526, die Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments und die Ordnung der Kirche ........ 197 3. Der Reichstag von Speyer 1529 und das Ringen um ein Minderheitenrecht in Glaubensfragen ............................................. 202 4. Der Augsburger Reichstag von 1530 und die reformatorische Bekenntnisbildung ........ 205 5. Der Schmalkaldische Bund, das Ringen der Mächte und erste Religionsfriedensschlüsse.......................................................... 212 Ringen um Konsens ................................................ 215 I.

Die Wittenberger Konkordie (1536) ................. 216

II. Kaiserliche Konzilspolitik und Schmalkaldische Artikel (1537) ......................................... 220 III. Das Religionsgespräch von Hagenau, Worms und Regensburg (1540/1541) ........................... 224 Krieg und Frieden.................................................... 230 I.

Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers ................................... 231

II. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547) und das Augsburger Interim (1548).................. 238

Inhalt

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III. Fürstenkrieg und Passauer Vertrag (1552) ....... 246 IV. Der Augsburger Religionsfrieden (1555) .......... 249 Die Reformation in Genf......................................... 255 I.

Calvins Weg zur Reformation und sein frühes reformatorisches Wirken ....................... 255

II. Calvins Wirken in Genf (1536–1538) und sein Straßburger Exil (1538–1541)................... 258 III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564)......................................... 261 1. Neuordnung der Kirche – Struktur, Praxis, Kirchenzucht ..................... 262 2. Konsolidierung der Lehre – Theologische Kontroversen .......................... 265 IV. Der Consensus Tigurinus und der Bruch mit dem entstehenden Luthertum.......................... 269 V. Wirkungen auf Lehre und Leben der Reformierten ..................................................... 272 Reformatorische Transformationen ........................ 279 Quellen und Literatur ............................................. 291 I. Quellen ............................................................. 291 II. Literatur ............................................................ 294

Einleitung

Die Reformation war ein historischer Prozess, der auf eine umfassende kirchlich-theologische Erneuerung zielte und zugleich tiefgreifende Wirkungen in Kultur, Gesellschaft und Politik hervorbrachte.1 Auch wenn sie Elemente persönlicher Frömmigkeit und kirchlicher Erneuerungsbewegungen des Spätmittelalters aufgriff und weiterführte, wurden doch zugleich weitreichende Neuansätze geschaffen. Denn die Reformation transformierte christliche Theologie und Spiritualität sowie gesellschaftlich-politische Strukturen in Europa grundlegend; ethische Auffassungen wurden auf ein neues Fundament gestellt und rechtliche Normen neu definiert. Zwar entfaltete sich die Reformation in den verschiedenen europäischen Räumen und politischen Gemeinwesen auf der Basis der jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und frömmigkeitsgeschichtlichen Bedingungen unterschiedlich. Gemeinsam aber war allen reformatorischen Entwicklungen, dass sie ausgelöst und befördert wurden durch die von den Reformatoren propagierte neue Bibelhermeneutik, durch ihre Kritik an herrschenden Autoritätsstrukturen, durch die massenhafte Verbreitung reformatorischer Ideen mit Hilfe neuer Medien und eine wirkmächtige Rezeption in allen gesellschaftlichen Schichten. Dies setzte Veränderungen in Gang, die kirchliche Strukturen und individuelle Frömmigkeit ebenso betrafen wie gesellschaftliches Leben und poli1

Zu den unterschiedlichen semantischen Füllungen des Reformationsbegriffs vom 15./16. Jahrhundert bis in die Gegenwart, vgl. Wohlfeil, Einführung, 44–79.

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Einleitung

tisches Handeln. Zu Recht hat man der Reformation deshalb eine „epochale“ Bedeutung zugesprochen und hier den Beginn der Frühen Neuzeit gesehen. Als ausschlaggebendes Datum gilt das Jahr 1517, die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers, die nicht nur das Nachdenken über zentrale Fragen der Theologie in Gang setzten, sondern auch den Ruf nach Erneuerung von Kirche und Gesellschaft entscheidend verstärkten und weite Verbreitung erfuhren. Dem standen weitere und andere reformatorische Ansätze in Europa zur Seite, die mit dem, was sich um 1517 von Wittenberg ausgehend entwickelte, in Interaktion traten. Ausschlaggebend für die Distanzierung von der überkommenen Tradition war die konsequente Orientierung der Reformatoren an den Ausschließlichkeitskriterien „sola scriptura“, „solus Christus“, „sola gratia“ und „sola fide“, die sie – auch wenn sie dies nicht explizit formulierten – ihrer Lehre und ihrer Position im politischen und gesellschaftlichen Miteinander normativ zugrunde legten. Zugleich ging mit der Reformation die vermeintliche religiöse Einheit Europas in der einen christlichen Kirche endgültig verloren. Langfristig entstanden die bis heute existierenden großen christlichen Konfessionen, deren Herausbildung und Etablierung oft mit Staatsbildungsprozessen sowie gesellschaftlicher und kultureller Transformation verbunden waren.2 Diese Darstellung versucht die Prozesse der Etablierung und Entfaltung der Reformation im Spannungsfeld der politischen Entwicklungen in Europa nachzuzeichnen. Nicht nur Wittenberg und die von dort ausgehende Reformation kommen zur Sprache, sondern mit Zürich, Straßburg und Genf weitere re2 Vgl. dazu den Überblick von Wolgast, Einführung der Reformation, 1–27.

Einleitung

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formatorische Zentren in Zentraleuropa und ihre herausragenden Akteure, deren Ausstrahlung den Westen ebenso wie den Osten Europas erreichte. Die Perspektive ist eine theologie- und ideengeschichtliche, die Kontroversen, reformatorischen Dissent, Reichspolitik, Ringen um Konsens, Krieg und Frieden von den Fragen her betrachtet, welche Impulse von der reformatorischen Lehre ausgingen, welche Wirkungen und Rückwirkungen sich im Kontext von Politik und Gesellschaft ergaben bzw. welche Transformationen reformatorische Positionen in Gang setzten bzw. selbst erfuhren. Die Abfolge der Kapitel orientiert sich weitestgehend an chronologischen Faktoren und ermöglicht zugleich einen auf Schwerpunkte konzentrierten Durchgang durch die Reformationsgeschichte. Er endet mit der durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 gesetzten Zäsur, der den „Augsburger Konfessionsverwandten“ reichsrechtliche Duldung garantierte, ohne hier jedoch eine strikte Grenze ziehen zu können.

Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500

I. Ständeordnung und Verfassungsstrukturen Dass die Reformation Fuß fassen, in Europa eine rasante Ausbreitung erfahren und nachhaltig wirken konnte, lag u.a. an den politischen und gesellschaftlichen Strukturen, in denen sie sich entfaltete. Diese waren seit dem Mittelalter in einem Wandlungsprozess begriffen, der in den einzelnen Ländern und Regionen Europas unterschiedlich weit fortgeschritten war. Herrschaft im europäischen Mittelalter war geprägt durch Lehenswesen und Vasallitätsverhältnisse. Sie bezog sich weniger auf ein bestimmtes, durch Grenzen definiertes Gebiet, sondern ergab sich durch ein komplexes Gefüge persönlicher Bindungen, dessen Grundlage das wechselseitige Treueverhältnis zwischen Lehensherr und Vasall war. Reste dieses Lehenswesens hielten sich bis in die Frühe Neuzeit hinein. Aber bereits im Spätmittelalter begannen die ursprünglich lehensrechtlich an einen Kaiser gebundenen Grafschaften und Fürstentümer ihre politische Struktur zu verändern. Dieser Transformationsprozess betraf auch die ehemals genossenschaftlich-kommunal organisierten Gebilde, wie sie mit der alten Eidgenossenschaft, in den italienischen Stadtstaaten oder den deutschen Reichsstädten vorhanden waren. Gleichzeitig trat das Ideal einer Universalmonarchie bzw. eines Universalkaisertums mittelalterlicher Prägung immer mehr in den Hintergrund. Karl V. (reg.

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Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500

1519–1556) war der letzte Kaiser, der dieses Ideal zu verwirklichen strebte. Aber bereits um das Jahr 1300 hatte die Entwicklung hin zu souveränen Einzelstaaten eingesetzt. Bis in die Frühe Neuzeit hinein war das politische Gemeinwesen ein fürstlich-ständisches Gebilde, das in Interaktion des jeweiligen politischen Oberhaupts mit seinen Ständen funktionierte. Zu den Ständen gehörte der Adel, z.B. auf Reichsebene die Kurfürsten und Fürsten, sodann die hohe Geistlichkeit, wie z.B. die Prälaten und Bischöfe, und schließlich, wiederum auf Reichsebene, die Reichsstädte. Auf der Ebene des Territoriums war der ständische Aufbau ähnlich und bestand im Allgemeinen aus der Ritterschaft, der hohen Geistlichkeit und den Städten des jeweiligen Territoriums. Meist lag das Hauptgewicht auf der Seite des Fürsten, der aber auf Rat und Hilfe seiner Stände angewiesen blieb. Dabei konnte es durchaus zu Spannungen zwischen ihm und den Ständen kommen. Grund dafür war weniger das Streben der Stände nach Herrschaftspartizipation als vielmehr das Bedürfnis, die fürstliche Regierung zu kontrollieren und zu begrenzen. Man wollte verhindern, dass sich der Fürst Privilegien anmaßte, die womöglich die Rechte der unter ihm existierenden Gewalten und Korporationen beeinträchtigten. Oft war das Verhältnis zwischen Fürst und Ständen deshalb vertraglich festgelegt. Aber selbst wenn das nicht der Fall war, so existierte doch der Gedanke eines Rechts der Stände, d.h. der unteren Gewalten – nicht jedoch der einzelnen Untertanen – auf Widerstand, falls der Herrscher den geschriebenen oder ungeschriebenen Vertrag mit den Ständen verletzte. Diese Strukturen führten zu einem kontinuierlichen Ringen zwischen der obrigkeitlichen, nach souveräner Herrschaft strebenden Gewalt und den territorialen Ständen, zwischen dem Kaiser und den Reichsständen. Dieses Ringen bestimmte die Poli-

II. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

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tik des gesamten 16. Jahrhunderts. Erst seit dem 17. Jahrhundert verloren die Stände kontinuierlich an Bedeutung, so dass es dem Träger der Krone oder vergleichbaren Machthabern gelingen konnte, die ständischen Gewalten immer mehr zu neutralisieren. Dieser Transformationsprozess wurde flankiert durch die allmähliche, ebenfalls vereinzelt schon im 14. und 15. Jahrhundert beginnende Zentralisierung von Verwaltungsstrukturen. Erste Ansätze zeigten sich darin, dass Immunitäten und Privilegien der großen Grundherren, besonders deren gerichtliche Kompetenzen, durch fürstliche Lokalverwaltungen angetastet wurden. Langfristig gesehen beförderten all diese Tendenzen die Entwicklung zum modernen Nationalstaat, der im eigentlichen Sinne allerdings erst im 19. Jahrhundert entstand. Wenn in der Frühen Neuzeit dennoch immer wieder von „Nation“ bzw. „Nationen“ oder von der „deutschen Nation“ die Rede war, so ist das weit von dem entfernt, was man seit dem 19. Jahrhundert – staatsbezogen – unter Nation verstand. In der Frühen Neuzeit und damit auch im Zeitalter der Reformation ist unter „Nation“ – analog zu dem Lateinischen „natio“ und im Unterschied zu dem modernen Nationsverständnis – eine Gruppe von Menschen zu verstehen, die durch Herkunft, Sprache und Kultur ein Kollektiv bilden.

II. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation Das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ gilt zu Recht als Kernland der Reformation, auch wenn sich weitere Zentren der Reformation in anderen Räumen Europas ebenfalls einflussreich entwickelten. Dass die von Wittenberg ausgehenden Impulse aber – anders als vergleichbare Anstöße in anderen Regionen Euro-

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Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500

pas – eine so schnelle und nachhaltige Wirkung entfalten konnten, wurde durch die spezifische politische und gesellschaftliche Struktur des Alten Reichs begünstigt.1 An der Spitze dieses Reichs stand ein durch den Papst, den Stellvertreter Christi auf Erden, zum Kaiser gekröntes Oberhaupt, das sich als „advocatus ecclesiae“ in besonderer Verantwortung für die Kirche sah. Der Kaiser dieses Reichs sah sich durch die „Translatio Imperii“ in einer Linie mit den ersten christlichen Kaisern der Antike und den späteren großen mittelalterlichen Herrschern, auch wenn das frühneuzeitliche Reich faktisch nur noch einen Teil des ehemaligen Reichsgebiets umfasste. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts trat deshalb in der Bezeichnung die „nationale“ Komponente als eingrenzender Faktor hinzu, um auszusagen, dass sich dieses Reich von den „nichtdeutschen“ Ländern unterschied, auch wenn die geographischen Grenzen instabil waren. Denn in fast allen Grenzgebieten waren die rechtlichen Zugehörigkeiten unbestimmt. Der Deutschordensstaat z.B. im Nordosten des Reichs war im Jahre 1466 mit dem Frieden von Thorn dem polnischen König lehenspflichtig geworden. Kaiser und Papst aber hatten diesen Vertrag nicht anerkannt. Hinzu kam, dass die Ordensritter zweimal nacheinander – 1498 und 1510 – Angehörige des Reichsfürstenstands zu ihren Hochmeistern gewählt hatten. Beiden hatte der Kaiser untersagt, dem König von Polen in Krakau den Lehenseid zu leisten. Der Deutschordensstaat gehörte also nicht zum Reich, stand aber durch seine Hochmeister dennoch in enger Verbindung zum Reich. Im Jahre 1525 wurde er von 1

Vgl. hierzu und zum folgenden Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, 4–35. Außerdem Dixon, The Reformation in Germany, 1–19.

II. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

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seinem Hochmeister Albrecht von Brandenburg der Reformation zugeführt und in ein weltliches Herzogtum verwandelt, blieb aber unter polnischer Lehenshoheit. Im Nordwesten und Westen waren die niederländischen und burgundischen Gebiete an Habsburg gefallen. Daher galten sie als Bestandteile des Reichs. Aber sowohl in den Niederlanden als auch in Burgund gab es Adlige, die Vasallen des französischen Königs und des Kaisers zugleich waren. Diese habsburgischen Besitzungen fügten sich deshalb nur schwer in das Reich ein und bildeten einen Herd ständiger Unruhe. An der südlichen Grenze hatte sich im Jahre 1499 mit dem Friedensschluss von Basel endgültig das Ausscheiden der Eidgenossenschaft aus dem Reichsverband ergeben: ein Prozess, der schon im 13. Jahrhundert begonnen hatte. Die Eidgenossenschaft war ein lockerer Bund von Landgebieten und Städten, die zu gemeinsamen Beratungen, den sog. Tagsatzungen, zusammentraten, gemeinsam Vogteien verwalteten und genossenschaftliche Verfassungsformen hatten. Sie waren bestrebt, sich der Steuer an das Reich und vor allem dessen Gerichtshoheit zu entziehen und nannten sich daher in der Folgezeit auch die „des heiligen römischen Reichs besonders gefreite Stände“. Dieser genossenschaftliche Bund übte eine nicht geringe Anziehungskraft auch auf die Städte jenseits des Rheins aus, wie z.B. auf Basel, Schaffhausen und Mühlhausen, die sich ihm anschlossen, sowie auf Konstanz und Straßburg, die aber letzten Endes dem Reichsverband verhaftet blieben. Alle Bemühungen des habsburgischen Kaisers Maximilian I. (reg. 1493–1519) um Festigung der Reichsgrenzen verliefen angesichts dieser Lage nicht sehr erfolgreich. Seine Regierungszeit war zudem von einer aktiven Italienpolitik bestimmt, denn er wollte die

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Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500

uralten Reichslehen in Italien, vor allem das wohlhabende Mailand, wiedergewinnen. Dies führte zu einem lang andauernden habsburgisch-französischen Gegensatz, zumal auch der französische König Ansprüche auf Mailand erhob. All dies stand am Beginn einer weiter schwelenden, immer wieder kriegerisch ausgetragenen Feindschaft. Angesichts des insgesamt schwachen Reichsverbands waren diese und andere politische Herausforderungen nur schwer zu bewältigen. Der Gedanke einer grundlegenden Reform war daher allgegenwärtig.2 Dieser Gedanke war nicht neu. Ende des 15. Jahrhunderts wurde die lange geforderte Reform der Reichsverfassung endlich umgesetzt.3 Sie sollte der inneren Struktur des Reichs feste Konturen geben und zielte darauf, das Funktionieren des Reichsverbands sicherzustellen. Die wichtigsten Entscheidungen wurden auf dem Reichstag zu Worms 1495 und dem Reichstag zu Augsburg im Jahre 1500 getroffen. Die Reform bezog sich auf die Institutionen des Reichs, die man neu organisierte und zum Teil auch neu einrichtete: den Reichstag und das Reichskammergericht. Außerdem wurden eine Friedensordnung, eine Reichssteuer und die Einrichtung eines Reichsregiments beschlossen. Der Reichstag wurde als maßgebliches Organ des Reichs vom Kaiser einberufen. Er sollte ihn möglichst jedes Jahr zusammentreten lassen, was allerdings nicht dauerhaft umgesetzt werden konnte. Der Kaiser legte mit einer „Proposition“ die Tagesordnung fest, war dann aber von den eigentlichen Verhandlungen nahezu ausgeschlossen. Dies lag an der Struktur des Reichstags und dem Ablauf der Beratungen. Im 2 3

Vgl. Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, 4–6. Vgl. dazu auch Schorn-Schütte, Reformation, 16–19.

II. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

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Reichstag vertreten waren die regionalen Träger der Macht, d.h. die Reichsstände. Sie bildeten die drei „Kurien“ des Reichstags: den Kurfürstenrat, den Fürstenrat und das Reichsstädtekollegium. Deren Beratungen fanden in getrennten Sitzungen statt, bevor man in einem komplizierten Verfahren zu einer Beschlussfassung kam. Das Votum der Reichsstädte hatte dabei nur konsultatives Gewicht. Verkündet wurden die Beschlüsse, nach vorheriger Zustimmung des Kaisers, in den „Reichs-Abschieden“ (1497 eingeführt). Neben dem Reichstag galt das Reichskammergericht als zweites Organ des Reichs. Dessen Einrichtung war durch die Ausweitung des Fehdewesens im 15. Jahrhundert notwendig geworden. Versuche, die Fehde über Landfriedensordnungen einzudämmen, waren stets erfolglos verlaufen. Im Jahre 1495 verabschiedete der Wormser Reichstag einen „ewigen Landfrieden“, den das Reichskammergericht garantieren und für dessen Einhaltung es sorgen sollte. Während zuvor die oberste Gerichtsbarkeit am Hof des Kaisers ausgeübt worden war, übertrug man sie nun dem Reichskammergericht. Es sollte ständig tagen und sesshaft sein. Als Sitz wurde die Stadt Frankfurt am Main bestimmt. Ab 1527 tagte das Reichskammergericht jedoch in Speyer. Die Richter waren in der Mehrzahl studierte Juristen, die auf der Grundlage des römischen Rechts ihr Amt ausübten. Um das Reichskammergericht zu unterhalten waren finanzielle Mittel notwendig. So wurde ebenfalls 1495 der „Gemeine Pfennig“ beschlossen, eine ständige Reichssteuer. Aber deren Erträge waren unzulänglich, was zum einen daran lag, dass kein wirksames Mittel zur Eintreibung dieser Steuer zur Verfügung stand, zum anderen daran, dass die Stände dem entgegenarbeiteten. Dies hatte zur Folge, dass das Reichskammergericht aufgrund des finanziellen Mangels jahrelang arbeitsunfähig war.

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Politische, gesellschaftliche und rechtliche Strukturen um 1500

Die letzte Komponente der Reichsreform betraf das Reichsregiment, dessen Aufgabe es sein sollte, die Regierung des Reichs zu gewährleisten. Im Jahre 1500 wurde zu diesem Zweck eine Regimentsordnung erlassen, die vorsah, dass ein Gremium von 20 Personen die Macht im Reich ausüben sollte. Den Vorsitz sollte der Kaiser führen und zwei Vertreter bestimmen können. Außerdem waren Repräsentanten der Städte und die Kurfürsten darin vertreten. Die generelle Mehrheit in diesem Gremium lag bei den Kurfürsten. In allen wichtigen Entscheidungen sollte der Kaiser an das Reichsregiment gebunden sein. Es kontrollierte seine Außenpolitik und regulierte das Kriegswesen. Sitz des Reichsregiments war Nürnberg, später Esslingen. Aber es war nur von kurzem Bestand. Im Jahre 1521 tagte es in Worms, bevor es der Kaiser 1531 endgültig auflöste. Der Dualismus von Kaiser und Ständen blieb also bestehen und war charakteristisch für das gesamte Reformationszeitalter. Anders als in monarchisch zentralisierten Ländern Europas ergaben sich dadurch erhebliche Spielräume für die Etablierung der Reformation.4

4

Vgl. Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation, 7–10.

Religiöses Leben im Spätmittelalter und an der Schwelle zur Frühen Neuzeit I. Die Kirche in ihren institutionellen Erscheinungsformen und Strukturen 1. Kirche und Papsttum Die Kirche hatte sich vor allem im Hoch- und Spätmittelalter zu einer einflussreichen Institution entwickelt, die sowohl für das Leben in Politik und Gesellschaft als auch für das Leben des Einzelnen von tragender Bedeutung war.1 Sie galt als Hüterin der wahren Lehre und Hort der Bildung. Ihr Einfluss ragte weit in den Alltag hinein, indem sie Tages- und Jahreszeiten, ja den gesamten Lebenslauf mit Sakralhandlungen begleitete. Sie war die sachverständige Helferin in Notsituationen und Grenzfällen des Lebens, die Trost und Hilfe bot. Die gesamte gesellschaftliche Ordnung in Ehe und Familie, Stand und Beruf war von kirchlich vermittelten Grundsätzen geprägt, ebenso wie Politik und Wirtschaft. Zudem verfügte die Kirche über beträchtliche materielle Güter. Sie hatte Grundbesitz, richterliche Kompetenzen und konnte obrigkeitliche Funktionen ausüben. Gleichzeitig war es dem Papsttum gelungen, seinen Primat zu festigen, was erhebliche Auswirkungen auf die Kompetenzen von Synoden und Bischöfen mit sich brachte. Vor allem aber sah sich das Papsttum als Träger nicht nur des geistlichen, sondern auch des weltlichen Schwerts (Zwei-Schwerter-Lehre), welches 1 Vgl. hierzu und zum Folgenden Seebaß, Geschichte des Christentums III, 23–82.

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Religiöses Leben im Spätmittelalter

es – symbolisch vollzogen in Salbungen und Krönungen – an die Inhaber weltlicher Macht übertrug. Die theoretische Grundlage dafür findet sich in der Lehre von der päpstlichen „plenitudo potestatis“. Nach der von Papst Bonifatius VIII. promulgierten Bulle „Unam Sanctam“ von 1302 bedeutete dies nicht nur die Herrschaft über die Kirche, sondern auch über den weltlich-politischen Bereich. Demnach war es der Papst, der den weltlichen Herrscher damit beauftragte, das weltliche Schwert – zum Schutze der Christenheit – zu führen. Auch nach der Zeit Bonifatius‘ VIII. traten päpstliche Kurialisten weiter für diese Prinzipien ein. Diese auf das römische Papsttum hin orientierte Kirche hatte auch politisch immer mehr an Bedeutung gewonnen. Politische Aufgaben und eine ausgebaute, zentralisierte Verwaltung erforderten immer größere finanzielle Mittel. Bereits im 13. Jahrhundert hatten deshalb die Päpste damit begonnen, Steuern zu erheben. Die hauptsächlichen Einnahmen bestanden aus den Erträgen des Kirchenstaats, aus den Zinsen, die der Papst von lehenspflichtigen Königreichen erhielt (z.B. von Neapel und England), aus dem Peterspfennig (Polen und Ungarn) und den Kreuzzugssteuern, die ihrem eigentlichen Zweck auch entfremdet werden konnten. Hinzu kamen weitere Einnahmequellen, die sich die Kirche nach und nach erschloss. Dazu gehörte z.B. dass sich die Päpste durch Reservationen die Besetzung kirchlicher Ämter (Pfründen, Benefizien) vorbehielten. Während in der Regel bei der Neubesetzung einer Pfründe die Hälfte der Einnahmen des ersten Jahres an den zuständigen Bischof ging, flossen im Falle einer päpstlichen Reservation diese sogenannten „Annaten“ direkt an die „camera apostolica“, die zentrale Finanzbehörde der Kurie. Prälaten hatten für ihre Bestätigung durch den Papst die „Servitien“, d.h. ein Drittel ihrer Jahreseinnahmen

I. Die Kirche in ihren institutionellen Erscheinungsformen

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zu entrichten. Außerdem wurden Amtsgeschäfte der päpstlichen Behörden mit Gebühren belegt. Daneben spielte das Recht eine große Rolle. Die Kirche verfügte über eine eigene Gesetzgebung und eine eigene Gerichtsbarkeit. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde das kanonische Recht als Disziplin an den jungen Universitäten gelehrt. Die Päpste jener Zeit waren sämtlich gelehrte Kanonisten, die sich darum bemühten, die geltenden Rechtssätze zu sammeln und zugänglich zu machen. Damit rückte der Papst immer mehr in die Rolle des höchsten Gesetzgebers, wodurch sich die Befugnis der Konzilien zunehmend darauf beschränkte, die päpstlichen Dekretalen nachträglich zu billigen. Das kanonische Recht erlangte eine derartige Bedeutung, dass man auch sakramentale Vollzüge in einen rechtlichen Verständnishorizont einbettete. Die Buße z.B. verstand man als Abtragen einer Schuld, die man sich durch Sünde aufgeladen hatte. Die Schuld war dann abgegolten, wenn ein ihrer Schwere entsprechendes göttlich bzw. kirchlich auferlegtes Strafmaß vollzogen war. 2. Klerus Angesichts dieser Entwicklungen war seit dem 13. Jahrhundert der Ruf nach einer Reform der Kirche immer lauter geworden. Man hatte dem kurialen Zentralismus und dem päpstlichen Anspruch auf die „plenitudo potestatis“ den konziliaren Gedanken gegenübergestellt und versucht, dem aus Geistlichen und Laien bestehenden Konzil die höchste kirchliche Autorität zuzusprechen. Aber dieser „Konziliarismus“ wurde schnell wieder zurückgedrängt. Die Tatsache, dass sich in der Kirche trotz vielversprechender Ansätze nichts änderte, mag u.a. damit zusammenhängen, dass die bestehenden Verhältnisse und Strukturen in mancherlei Hinsicht Vorteile boten. Die Kirche

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Religiöses Leben im Spätmittelalter

war nämlich zu einer Versorgungsanstalt für die nachgeborenen Söhne und Töchter aus adligen Familien geworden. Aus ihnen kam die soziale Oberschicht des Klerus: Fürstbischöfe, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen. Gelegentlich fanden auch Söhne reicher Bürger Zugang zu ähnlich gehobenen kirchlichen Positionen. Auch in einem geistlichen Amt oder im Kloster behielt man den adlig wohlhabenden Lebensstil im Sinne standesgemäßer Repräsentation bei. Das Hauptinteresse der Stellen- oder Pfründeninhaber richtete sich daher eher auf die mit dem Amt verbundenen Erträge, weniger auf die geistlichen Aufgaben. Zudem bot das Kirchenrecht die Möglichkeit, kirchliche Ämter und die damit zusammenhängenden Einkünfte zu kumulieren, d.h. in einer Hand anzusammeln. Dies konnte für die Aufrechterhaltung einer standesgemäßen Repräsentation wichtig sein. Die Kehrseite der damit verbundenen Steigerung des Einkommens aber war die Abwesenheit des Amtsinhabers von seinen zusätzlichen Pfründen. Dies wiederum bedeutete Vernachlässigung des geistlichen Amtes in Predigt, Sakramentsverwaltung und Seelsorge an jenen Stellen. Demgegenüber lebte der einfache Weltklerus unter eher dürftigen Bedingungen. Er war es, der die eigentliche Arbeitslast trug, denn die Inhaber mehrerer Benefizien stellten für die mit einer solchen Pfründe verbundenen kirchlichen und seelsorgerlichen Pflichten Vikare ein. Deren unzulängliche Besoldung begünstigte das Entstehen eines regelrechten Klerikerproletariats. Die ohnehin schon hohe Zahl der Pfarrkleriker stieg durch die zahlreichen Mess- und Altarstiftungen zusätzlich an. In einigen Städten des Reichs gehörten – nimmt man die Zahl der Mönche und Nonnen hinzu – ca. 10% der Bevölkerung dem geistlichen Stand an. Entsprechend niedrig waren die Einkünfte. Ein Kaplan verdiente etwa ein Viertel dessen, was damals ein Maurergeselle bekam. Es lag also na-

I. Die Kirche in ihren institutionellen Erscheinungsformen

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he, auch auf den unteren Ebenen Pfründen zu kumulieren, um überhaupt das Existenzminimum zu erreichen. Die Frage nach der beruflichen Qualität eines Geistlichen wurde dabei kaum gestellt. Es genügte im allgemeinen, wenn er seine Pflichten vom Ablauf her beherrschte und allenfalls die Fähigkeit besaß, einen lateinischen Messtext zu übersetzen. Akademische Studien waren nicht sehr verbreitet. Aber nicht nur die theologische Qualität der Geistlichen war fraglich, auch die Moralität ihrer Lebensführung. Schon damals stellte der geforderte Zölibat für viele eine schwere Belastung dar. Häufig arrangierte man sich, indem man einen Dispens einholte, d.h. beim zuständigen Bischof eine Ablösegebühr entrichtete. Diese Gebühr konnte sich sowohl auf eine jährliche Abgabe belaufen, als auch auf eine Abgabe bei der Geburt eines Kindes. Auch von dem Makel und den gesellschaftlich-rechtlichen Behinderungen einer solchen illegitimen Geburt konnte man sich durch einen Dispens befreien lassen. Diese Art der Aufrechnung kirchlicher Vollzüge war weit fortgeschritten. Vieles, was die Kurie leistete, bekam Geldwert: nicht nur die Verleihung von Pfründen und Würden, nicht nur die Entscheidung in Rechtsfragen und die Ablösung von der Überschreitung des kanonischen Rechts, sondern – wie sich zu Beginn des Reformationszeitalters im Ablasswesen zeigte – auch die Vermittlung von Gnade und Heil.2 II. Frömmigkeit 1. Mystik und Devotio moderna Während alle Ansätze zu einer strukturellen Reform der Kirche im Wesentlichen gescheitert waren, kamen 2

Vgl. Seebaß, Geschichte des Christentums III, 23–43.

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von der Frömmigkeit her neue Impulse, vor allem von Seiten der Mystik. Die Mystik, deren Ziel die unmittelbare, persönliche Vereinigung des Einzelnen mit Gott bzw. mit Christus ist, stellte die Innerlichkeit und die Abkehr von allen irdischen Dingen und Äußerlichkeiten in den Vordergrund. Dazu gehörte in den Augen der Mystiker auch die von äußerlicher Erstarrung geprägte, institutionalisierte Kirche mit ihren Amtsinhabern als Vermittlern des Heils. Die hervorragendsten Vertreter der Mystik im 14. Jahrhundert waren Angehörige des Dominikanerordens im deutschsprachigen Bereich. Man bezeichnet diese Richtung daher auch als „Deutsche Mystik“. Sie griff auf Gedankengut zurück, das die romanische Mystik mit Bernhard von Clairvaux (1091–1153), Bonaventura (1221–1274) und Hugo von St. Victor (1097–1141) bereits vorgeprägt hatte. Einflussreich wurde die Deutsche Mystik vor allem durch ihre Predigt in der Volkssprache. Zwei Hauptrichtungen lassen sich unterscheiden: eine extreme Linie, die nur einzelne kleine Kreise hervorbrachte, z.B. vertreten durch die „Brüder und Schwestern vom freien Geist“, und eine demgegenüber gemäßigte Linie, vertreten von Meister Eckhart (ca. 1260–1327) und seinen Schülern. Meister Eckhart gilt als der bekannteste und einflussreichste Vertreter der deutschen Mystik. Seine Schüler waren Johannes Tauler (ca. 1300–1361) und Heinrich Seuse (ca. 1298–1366). Die von der Mystik erfassten Kreise nannten sich „Gottesfreunde“ (Namensgebung nach Joh 15,14f). Die besonders am Oberrhein verbreiteten Gruppen wirkten in Klöstern und Beginenhäusern, unter Bürgern und Handwerkern. In diesen geistigen Zusammenhang gehört auch eine Schrift, die unter dem Titel „Vom vollkommenen Leben“ verbreitet wurde. Der Verfasser blieb anonym, war aber wohl um 1400 in Frankfurt beheimatet. Auch Martin Luther hat diese Schrift gelesen und

II. Frömmigkeit

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außerordentlich geschätzt. Er brachte sie unter dem Titel „Theologia deutsch“ neu heraus. Aus den Aktivitäten der Mystiker und mystisch geprägter Gruppen erwuchs eine Erweckungsbewegung: die „Devotio moderna“. Sie zielte auf Vertiefung und Verinnerlichung des religiösen Lebens. Anders als der Mystik fehlte der Devotio moderna die spekulative und ekstatische Seite. Sie trug eher praktischen und erbaulichen Charakter. Die Bewegung ruhte hauptsächlich auf zwei Trägergruppen: zum einen auf den „Brüdern und Schwestern vom gemeinsamen Leben“ und zum zweiten auf den Augustiner-Chorherren der Windesheimer Kongregation. Die Brüder und Schwestern vom gemeinsamen Leben gingen auf das Wirken des Holländers Geert Groote (1340–1384) zurück. Er hatte in seinen letzten Lebensjahren sein Haus in Deventer armen Frauen zur Verfügung gestellt, die gemeinsam Gott dienen wollten. So entstanden noch vor 1400 allenthalben Hausgemeinschaften (z.B. in Zwolle). Nicht nur Frauen fanden sich in solchen Gemeinschaften zusammen, sondern auch Männer, nicht nur Geistliche, sondern auch Laien. Allmählich bildeten sie unter der Leitung von Rektoren eine festere Organisation heraus. Der Unterhalt wurde aus einer gemeinsamen Kasse bestritten, und man pflegte die „vita communis“. Gelübde wurden nicht abgelegt, und jedem stand frei, jederzeit wieder aus dem Haus auszutreten. Das allerdings war selten, ebenso wie der Fall, dass eine Gemeinschaft später eine Ordensregel annahm. Dennoch ähnelte das Leben durchaus demjenigen im Kloster. Neben der Frömmigkeitsübung stand die alltägliche Arbeit. Geistliche betätigten sich meist als Abschreiber von Handschriften, Laien als Handwerker, z.B. als Spinner oder Weber. Außerdem sorgten die Brüder für den Unterhalt von Bursen, in denen die Schüler der städtischen Lateinschulen beherbergt und ver-

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pflegt wurden. Die Seelsorge – auch bei den Schwestern – übernahmen die geistlichen Brüder. Sie konnten außerdem als Prediger in den Stadtkirchen wirken. All dies zeigt, dass der Geist der Devotio moderna nicht etwa auf die Hausgemeinschaften beschränkt blieb, sondern nach außen wirkte. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erteilten die Brüder der Devotio moderna auch Unterricht, zumeist als Repetitoren in den Bursen. Dies war der Anfang von Fratresschulen, die gelegentlich in Konkurrenz zu den bestehenden Stadtschulen traten. Aber auch an Stadtschulen wirkten vereinzelt Brüder als Lehrer. Stärker noch als dieser bildungsgeschichtliche Impuls war der religiöse Einfluss der Bewegung, der auch auf Nikolaus von Kues (1401–1464) und Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) während ihrer Schulzeit in Deventer wirkte. Nach 1400 griff die Bewegung der Devotio moderna auch auf benachbarte Gebiete über, nämlich ins Rheinland und nach Westfalen. Sie erreichte Hildesheim, Magdeburg und Marburg. Im oberhessischen Butzbach entstand ein Brüderhaus. Von dort aus gelangte die Devotio moderna durch Gabriel Biel (ca. 1410–1495), den späteren Tübinger Theologieprofessor, nach Württemberg. Die zweite Trägergruppe der Devotio moderna, die Windesheimer Kongregation, erhielt ihren Namen von dem Stift Windesheim, das im Jahre 1387 von Schülern Grootes bei Zwolle gegründet worden war. Dort nahm man in der Folgezeit die Augustinerregel an. Windesheim wurde zum Ausgangspunkt einer weitreichenden Kongregation von Augustiner-Chorherren. Ihr Ziel war eine strengere Disziplinierung und bessere Bildung der Kanoniker. Ende des 15. Jahrhunderts hatte die Kongregation bereits über 100 Niederlassungen in den Niederlanden und im Reichsgebiet. Bis nach Dänemark und Frankreich reichte ihre Ausstrahlung. Diese reformorientierte Kongrega-

II. Frömmigkeit

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tion war kein Solitär. Auch in anderen Orden entstanden vergleichbare Reform- und Frömmigkeitsbestrebungen. Im Reich wirkte die Bursfelder Kongregation, eine Vereinigung reformierter Benediktinerklöster, in ähnlicher Weise. Bei den Franziskaner-Observanten oder in der toskanischen Kongregation der Dominikaner, bekannt geworden durch Girolamo Savonarola (1452–1498), oder in der deutschen Kongregation der regulierten Augustiner-Eremiten mit Johann von Staupitz (1460–1524) gab es vergleichbare Ansätze. Auch wenn die Ausstrahlung jener Reformkongregationen durchaus unterschiedlich und nicht gleichermaßen intensiv war, so war der auf die Frömmigkeit zielende, erneuernde Impuls doch beachtlich. Dazu trug die in den Kreisen der Devotio moderna entstandene Literatur bei. Als wichtigstes Werk gilt die „Imitatio Christi“, abgefasst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Autor der Schrift war, zumindest teilweise, Thomas von Kempen (Thomas a Kempis, ca. 1380–1471), ein ehemaliger Fratresschüler in Deventer und späterer Augustinerchorherr in St. Agnetenberg bei Zwolle. Dem Titel der Schrift gemäß geht es um eine Nachfolge Christi, die sich darin verwirklichen soll, dass der Mensch in Geduld und Demut sein Kreuz auf sich nimmt. Insgesamt blieb die Mystik des 15. Jahrhunderts überwiegend der kirchlichen Sphäre verhaftet. Sie stand auf dem Boden der kirchlichen Lehre, deren Grenzen sie nicht überschritt. Dennoch konnten die Inhalte ihrer Predigt und ihre Frömmigkeit für reformatorische Inhalte fruchtbar gemacht werden. 2. Volksfrömmigkeit Die Devotio moderna war eine Bewegung, die im Grunde auf eine Minderheit beschränkt blieb. Sie

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erfasste nicht die Massen. Denn diejenigen, die ihr angehörten, hatten eine überdurchschnittliche, religiöse Erziehung. Die Frömmigkeit des einfachen Volks sah anders aus. Sie setzte sich aus den verschiedensten Elementen zusammen und bildete ein Gemisch aus christlichem Gedankengut, Aberglauben und nicht-christlichen Vorstellungen und Praktiken. Hexenwahn und Magie, Astrologie und Alchemie gingen mit christlichen Vorstellungen eine enge Verbindung ein. Der Hexenwahn stellt dabei nur einen kleinen Ausschnitt dessen dar, was die spätmittelalterliche Frömmigkeit kennzeichnete. Aber was das Leben aller grundlegend bestimmte, war der Gedanke an den zeitlichen Tod und das Weltende. Das Thema der Apokalypse und des Jüngsten Gerichts tauchte immer wieder in Kunstwerken jener Zeit auf, ebenso wie das Thema des Totentanzes, das vor allem in den großen Pestzeiten von unmittelbarer Aktualität war. Dieses Bewusstsein der Begrenztheit und Unberechenbarkeit des Lebens wurde durch alltägliche Erfahrungen, wie z.B. die ständige Bedrohung durch Epidemien oder die politische Bedrohung durch die vor den Grenzen stehenden Osmanen als Feinde der Christenheit (1453 Fall Konstantinopels), gestärkt und bestätigt. Dies wiederum führte zu einer bemerkenswerten Steigerung der Frömmigkeit. Angesichts dessen, dass der Tod unmittelbar und unverhofft in das Leben einbrechen konnte, war es wichtig, sich rechtzeitig durch Buße und fromme Handlungen auf ein gutes Ende vorzubereiten, um vor Gottes Gericht bestehen zu können. Auch Christus war in den Vorstellungen der Menschen in erster Linie Richter. Zu den charakteristischen Frömmigkeitsübungen jener Zeit gehörte z.B. die Kreuzwegandacht, die Marienverehrung und das Rosenkranzgebet. Man suchte Gnade und Erbarmen über die Fürsprache der Gottesmutter Maria, die den Menschen mit ihrem Sohn, dem gerechten Richter,

II. Frömmigkeit

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versöhnen sollte. Maria, der man mehr Verständnis, Mitleid und Erbarmen zutraute als Christus, rückte immer mehr in den Vordergrund. Kapellen, Altäre, Messen, Feste, Gebete, Lieder und Bruderschaften wurden zu Ehren der Gottesmutter eingerichtet. Darüber hinaus entstanden neue Heiligenkulte, denn auch die Heiligen sollten – wie Maria – fürbittend und mit ihren Verdiensten für den sündigen Menschen vor Gott eintreten und so die Brücke zwischen dem Sünder und dem gerecht richtenden Gott schlagen. Dabei ordnete man den Heiligen bestimmte Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche leiblicher oder geistlicher Art zu. Außerdem wuchs die Verehrung von Reliquien, denn über die sterblichen Überreste von Heiligen oder durch geheiligte Gegenstände ragte das Transzendente heilbringend in das Diesseits hinein. Wer es sich leisten konnte, sammelte selbst Reliquien, wie z.B. der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, Luthers Landesherr, der eine der größten Reliquiensammlungen seiner Zeit besaß. Hinter der Reliquienverehrung stand die Vorstellung, dass Reliquien den Weg zum Heil ebnen könnten, zumal sie oft mit Ablässen ausgestattet waren, die man durch verehrende Betrachtung gewinnen konnte. Darüber hinaus wurden Prozessionen durchgeführt, die – veranstaltet von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen – in unsicheren Zeiten sogar täglich stattfanden und sich über Wochen hinziehen konnten. Auch Wallfahrten nahmen stark zu und entwickelten eine außergewöhnliche Anziehungskraft. Während man bisher vornehmlich zu den Heiligtümern nach Rom, nach Santiago de Compostela oder ins Heilige Land gepilgert war, kamen jetzt die verschiedensten Orte hinzu, sofern sich dort Kirchen oder Heiligenbilder befanden, die durch wundersame Ereignisse hervorgetreten waren. Zugleich florierten die Stiftungen. Man baute reichlich Kapellen und spendete für die Innenausstattung sakraler Räume,

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z.B. für Fenster und Kultgeräte. Bruderschaften, Zünfte und wohlhabende Bürgerfamilien stifteten, um über einen eigenen Seitenaltar oder eine eigene Kapelle verfügen zu können, an dem bzw. in der für sie gemäß ihrer Stiftung regelmäßig Messe gelesen wurde. Mit all diesen Stiftungen und Spenden, den Gebeten und Andachten verrichtete man gute Werke, die als Verdienste für die Abgeltung der Sündenschuld und zur Erlangung des Heils vor Gott wichtig waren. Auf diese Weise wurden gute Werke zu Instrumenten für die Aneignung des Heils.1

III. Erneuerungsbewegungen 1. Kirchenkritik und Reformansätze vor der Reformation Schon vor Beginn der Reformation hatte es immer wieder Kritik an der herrschenden Kirche und Impulse zur Erneuerung gegeben. Einige der Bewegungen bzw. Akteure wurden rückblickend als vorreformatorisch bzw. Vorläufer der Reformation klassifiziert, auch wenn sie sich weder zu Keimzellen der sich später etablierenden Reformation entwickelten noch deren spezifische (theologische) Anliegen speisten.2 Dennoch ergaben sich in Kirchenkritik, ethischen Forderungen, Erneuerung des rituellen Handelns und gelegentlich in der Lehre durchaus Überschneidungen, so dass man auch von „Wegbereitern“ der Reformation gesprochen hat.3

1 2 3

Vgl. Seebaß, Geschichte des Christentums III, 50–69. Vgl. Schäufele, Wegbereiter der Reformation?, 137–153. Vgl. Benrath (Hg.), Wegbereiter, XI–XXXV.

III. Erneuerungsbewegungen

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Zu diesen Bewegungen zählten die Waldenser, Anhänger des aus Lyon stammenden Kaufmanns Petrus Valdes (1140–1217), der aufgrund seiner volkssprachlichen Laienpredigten Predigtverbot erhielt und schließlich exkommuniziert wurde.4 Die Waldenser führten fortan eine Untergrundexistenz vor allem in Südfrankreich und Italien, betreut durch Wanderprediger, die den Idealen der apostolischen Armut und Ehelosigkeit nachlebten. Grundlegend und kennzeichnend für die Waldenser war ihre Orientierung an der Heiligen Schrift, die sie in volkssprachlicher Übersetzung aneigneten. Sowohl ihre eigene Lebensweise als auch die Kritik an der institutionalisierten Kirche speiste sich aus ihrem Biblizismus. Besitzlosigkeit und eine Lebensführung im Sinne der „vita apostolica“ wurden hochgehalten. Gegen die Beschränkung der Auslegung und Predigt auf den Klerus favorisierten sie die Predigt durch Laien und das persönliche Bibelstudium. Heiligenverehrung, die Fegfeuerlehre, den Ablass und manch andere kirchlichen Satzungen lehnten sie ab. Der lombardische Zweig der Waldenser stellte zudem die herrschende Sakramentenlehre und -praxis in Frage, sofern sie sich nicht durch das biblische Zeugnis legitimieren ließen. All dies brachte sie auf Seiten der Kirche in Häresieverdacht. Ihre konsequente Ausrichtung auf die Bibel machte die Waldenser, deren Reste zu Beginn des 16. Jahrhunderts in kleinen Gemeinden im Piemont, Apulien und Kalabrien sowie im Dauphiné und in der Provence lebten, für die Reformation empfänglich. Sie eigneten sie in ihrer reformierten Ausprägung an, wie sie anfänglich durch Guillaume Farel, später durch Johannes Calvin, vermittelt wurde.5 4 5

Vgl. Benrath (Hg.), Wegbereiter, 1–24. Vgl. Gilmont, Anschluss der romanischen Waldenser, 83–95. Zu Farel vgl. u. S. 257f.

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In England traten gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Lollarden hervor, eine Bewegung, die ihren Ursprung in dem Wirken des Oxforder Theologieprofessors John Wyclif (1330–1384) hatte. Auch sie machten die Bibel, die unter ihnen in eigenen englischen Übersetzungen zirkulierte,6 zu Ausgangspunkt und Maßstab von Kirchenkritik und Reformforderungen. Dazu gehörte der Ruf nach apostolischer Armut der Kirche und die Absage an die kirchliche Ämterhierarchie. Der Papst war in ihren Augen das Gegenbild des in Armut lebenden Christus und daher geradezu der Antichrist schlechthin. Den päpstlichen Anspruch auf Überordnung über den weltlichen Herrscher wiesen sie dezidiert zurück und postulierten, dass in weltlichen Angelegenheiten allein der König die Prärogative habe. Während die lollardische Kritik zu Anfang vornehmlich auf die Verfassung der Kirche gezielt hatte, wandte sie sich schließlich auch gegen die Heiligenverehrung und die für das Abendmahlsverständnis der römischen Kirche konstitutive Transsubstantiationslehre.7 Dies spaltete die Bewegung, da nun ihr häretischer Charakter zu Tage trat. Sie verlor an Rückhalt und musste im 15. Jahrhundert schwere Verfolgungen erdulden. Auf dem Erbe der Lollarden aber, die sich überwiegend im Südosten Englands etabliert hatten, konnte später die Reformation in England aufbauen. Die Hussiten dagegen – so genannt nach Jan Hus (ca. 1370–1415) – konnten in Böhmen und Mähren als von Rom unabhängige Kirche existieren. Man nannte sie auch „Utraquisten“, da sie unter Berufung auf das Zugeständnis des Laienkelchs auf dem Basler Konzil 6

Vgl. Hudson, Premature Reformation, 239–246; Benrath (Hg.), Wegbereiter, 254–341 7 Sie besagt, dass bei der Konsekration eine Wandlung der Elemente Brot und Wein in Leib und Blut Christi stattfindet.

III. Erneuerungsbewegungen

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1433 das Abendmahl „sub utraque specie“, d.h. unter beiderlei Gestalt praktizierten. Ihnen gehörte sogar die Mehrheit der Bevölkerung an.8 Im utraquistischen Hussitismus verbanden sich die Reformforderungen an die Kirche mit der Opposition gegen die böhmische Krone. Wie für Valdes und Wyclif war auch für Hus die Hochschätzung der Heiligen Schrift charakteristisch. Auch bei ihm und seinen Anhängern fand sich die Armutsforderung an die Kirche, die Beanstandung des eingetretenen moralischen Verfalls und die Kritik an päpstlichen Primatsvorstellungen zusätzlich zu der Forderung des Laienkelchs. Bald sah sich Hus mit dem Vorwurf der Häresie konfrontiert. Während des Konstanzer Konzils wurde er im Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sein gedankliches Erbe wurde von Jan Rokycana (1396–1471) in seinen 1420 aufgestellten Vier Prager Artikeln aufgenommen, die für die Bewegung der Utraquisten – auch als Kalixtiner bezeichnet – grundlegend wurden. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts trat eine weitere, sich als Kirche formierende Richtung hinzu: die Böhmischen bzw. Mährischen Brüder, die sich 1457 in einer „unitas fratrum“, d.h. in einer Brüderunität zusammenschlossen. Sofern der sympathisierende Adel sie schützte, konnten sie eine gesicherte Existenz führen. Die Brüderunität trug kongregationalistische Züge und stand unter der Leitung von vier Senioren. Hochschätzung der Heiligen Schrift, die Ablehnung des institutionalisierten Priestertums und eine pazifistische Haltung charakterisierten die Brüder. Der Hussitismus war also – anders als das Waldensertum und der Wyclifismus – kein der Verfolgung ausgesetztes Minderheitenphänomen, so dass später 8

Vgl. Benrath (Hg.), Wegbereiter, 342–413; Bahlcke, Geschichte Tschechiens, 35–39.

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die Reformation hier auf sichere Grundlagen traf. Das bedeutete aber keineswegs, dass sie sich problemlos durchsetzte, zumal politische, kulturelle und sprachliche Gegensätze die aus dem deutschen in den tschechischen Raum dringende Reformation auch behindern konnten. In der protestantischen Geschichtsschreibung wurde Hus jedenfalls bald zu einem Vorläufer Luthers stilisiert,9 zumal Luther auf der Leipziger Disputation Lehrsätze des Hus als evangelisch verteidigt und sich in eine Reihe mit ihm gestellt hatte. 2. Renaissance und Humanismus Zu den die Reformation vorbereitenden Strömungen gehörte die ganz Europa erfassende Renaissance. Der im 19. Jahrhundert gebildete Terminus bedeutet „Wiedergeburt“ und bezeichnet eine Phase kulturellen Aufbruchs, der es um eine allgemeine Erneuerung in Orientierung an der griechischen und römischen Antike ging. Man wollte deren authentische Gestalt wieder freilegen, so dass die Kulturleistungen der Antike zu einem neuen Maßstab werden konnten. Die Renaissance wirkte sich auch auf die Lebenseinstellung der Menschen aus. Die Konzentration auf die Jenseitshoffnung der Kirche trat zurück. Genuss und irdischer Ruhm galten nicht mehr per se als verwerflich. Auch die Kunst erlebte einen neuen Höhepunkt. Malerei, Architektur und Dichtung erfuhren eine neue Blüte. Vor allem Italien, auch die Kurie, entwickelte sich zu einem Zentrum der europäischen Kultur. Trotz neuer Akzentsetzungen war die Renaissance aber keineswegs kirchen- oder christentumsfeindlich. Sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur zeigte sich das Bestreben, Antike und Christentum 9

Vgl. Schäufele, Wegbereiter der Reformation?, 148f.

III. Erneuerungsbewegungen

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zu harmonisieren, selbst wenn man durchaus Gegensätze wahrnahm. Auch in der Wiederentdeckung der Lehre des griechischen Philosophen Platon und in der Zurückdrängung des scholastischen Aristotelismus bildete sich das Streben nach einer Erneuerung des Christentums ab. Marsilio Ficino (1433–1499) und Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) wirkten in diesem Sinne an der philosophischen Akademie in Florenz. Häufig waren es Funktionsträger der Kirche, die die Renaissance als Erneuerungsbewegung propagierten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann sich der Geist der Renaissance auch nördlich der Alpen auszubreiten. Dies führte in Frankreich, England, den Niederlanden und dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zu einem kulturellen Aufschwung. Die hier in den Mittelpunkt tretende philologisch-wissenschaftliche Begeisterung wurde charakteristisch für den Humanismus, der sich als umfassende Bildungsbewegung verstand. Im Zentrum stand der Ruf „Ad fontes!“, d.h. „Zurück zu den Quellen!“, wobei sich das Interesse nicht nur auf die Schriften der klassischen Antike, sondern auch auf diejenigen des christlichen Altertums richtete. Man studierte die Bücher der antiken Gelehrten und der Kirchenväter gleichermaßen und eignete ihre Lehren, ihre Sprache und Rhetorik sowie ihre Erkenntnisse an. Damit rückten zugleich die Ideale des klassischen und christlichen Altertums in den Mittelpunkt, was das religiöse, politische und gesellschaftliche Leben seit dem 14. Jahrhundert in ganz Mitteleuropa triefgreifend durchdrang. Der sich im Reich ausbreitende Humanismus wurde durch herausragende Humanistenschulen, vor allem durch die Lateinschule Sankt Georg in Schlettstadt im Elsass (Sélestat) befördert. Die Anhänger des Humanismus schlossen sich in „Sodalitäten“ zusammen, die durch Korrespondenzen international mit-

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Religiöses Leben im Spätmittelalter

einander vernetzt waren. Vor allem in den großen Städten, wie Nürnberg, Basel und Straßburg, existierten solche vorwiegend literarisch ausgerichteten Zirkel. Erste Ansätze für eine Bildungsreform finden sich bei dem Humanisten Conrad Celtis (1449–1508). Im Anschluss an die italienischen Gelehrten Francesco Petrarca (1304–1374) und Lorenzo Valla (ca. 1405– 1457) betonte er die kulturstiftende Funktion der Sprache, wobei er in erster Linie das Lateinische im Blick hatte. Allen Humanisten galt das Lateinische als Sprache der Wissenschaft und der freien Künste, ja als Sprache der Weltkultur generell. Es war als Rechtsund Kirchensprache Träger einer bestimmten Kulturund Geisteshaltung. An dieser Kultur und der durch sie verbürgten Weisheit konnte man nur durch das Erlernen des Lateinischen teilhaben. Es wurde zum Kennzeichen des wahren „eruditus“ (d.h. Gelehrten) und echter „civilitas“ (d.h. menschlicher Umgangsformen). Dementsprechend sahen die Humanisten im Sprachverfall eine allgemeine geistige Dekadenz. Die Pflege des Lateinischen und der Sprachen überhaupt verband sich mit dem Interesse an der Geschichte, deren Literaturdenkmäler man wiederum nur über Sprachenkenntnis wiederentdecken und erschließen konnte. Und so hielten auch das Griechische und Hebräische in die „studia humanitatis“ Einzug. Das Hauptverdienst dafür kam Johannes Reuchlin (1455– 1522) zu, der als Begründer der Hebraistik gilt und sich im Streit mit dem getauften Juden Johannes Pfefferkorn (1469–1521) mutig gegen die Vernichtung der Literatur des Judentums aussprach.10 Der kirchenkritische, christliche Humanismus war aber keineswegs mit der Reformation identisch, auch wenn er ihr in

10

Zu Reuchlin vgl. Augustijn, Humanismus, 70–72.

III. Erneuerungsbewegungen

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Form von bibelhumanistischen Ansätzen den Weg bereitete.11 Der Hauptrepräsentant des Humanismus war Erasmus von Rotterdam. Seine Ausrichtung auf die christliche Antike ließen die Bibel und die Kirchenväter in das Zentrum seines Interesses rücken. Auf Erasmus gehen die ersten gedruckten Kirchenväterausgaben zurück. Die in den Schriften der Väter zum Ausdruck kommende Lehre sollte als „philosophia Christi“ zum Orientierung gebenden Maßstab für das Christentum werden.12 In dieser „philosophia Christi“ sah er alle guten und erhaltenswerten Elemente der vorchristlichen Philosophie, die dank göttlichen Wirkens in der Lehre der Väter noch überboten worden seien, zusammengefasst. Erasmus‘ Ziel war es, die Christenheit dazu anzuleiten, sich von diesen Quellen her zu erneuern, Missstände zu erkennen und die Überfremdung der Theologie durch die aristotelische Logik abzustreifen. Zu seinen Hauptwerken zählt das „Enchiridion militis christiani“ von 1502 (Handbüchlein des christlichen Streiters), ein Erbauungsbuch für den Christen; außerdem das „Encomium Moriae“ von 1509 (Lob der Torheit), eine feinsinnige Satire; und schließlich das „Novum Instrumentum“, die erste kritische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments von 1516 mit einer eigenen lateinischen Übersetzung. Die zweite Ausgabe dieses Textes lag Luther im Jahre 1519 vor, als er damit begann, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen. Obwohl Erasmus der alten Kirche nie den Rücken kehrte und sich dezidiert gegen eine Identifizierung seiner Position mit derjenigen Luthers 11

Zur Unterscheidung jener Humanisten, die Luther schon früh ablehnten, von den Bibelhumanisten, die bis zur Verhängung von Bann und Acht über Luther im Jahre 1521 Interesse an der Reformation zeigten, Augustijn, Erasmus, bes. 166f; ders., Humanismus, 101–107. 12 Vgl. Moeller, Geschichte des Christentums, 211.

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oder der Reformation insgesamt aussprach, war er doch ein harter Kritiker kirchlicher Missstände. Noch posthum wurden seine kirchenkritischen Werke vom Konzil von Trient auf den Index gesetzt.13 Das vielseitige gelehrte Werk, das Erasmus hinterließ, als er 1536 in Basel starb, zeichnet ihn als europäischen Gelehrten aus, den man zu Recht als „Humanistenfürst“ qualifiziert hat.14

13 14

Vgl. dazu Seidel-Menchi, Erasmus als Ketzer, 387–405. Vgl. auch Seebaß, Geschichte des Christentums III, 69–82.

Die Reformation in Wittenberg

Dass ausgerechnet ein kleiner Ort wie Wittenberg im Kurfürstentum Sachsen zu dem wichtigsten Schauplatz der Reformation im Reich wurde, hängt nicht nur mit dem Auftreten Martin Luthers (1483–1546) zusammen. Verschiedene Faktoren kamen zusammen.1 Seit der Leipziger Teilung von 1485, die das Herrschaftsgebiet der Herzöge von Sachsen zwischen den Brüdern Ernst und Albrecht III. aufteilte, war das mit der Kurwürde verbundene Städtchen an der Elbe zur Residenz der aus der ernestinischen Linie der Wettiner stammenden Kurfürsten von Sachsen geworden. Friedrich III., genannt der Weise (reg. 1486–1525), setzte alles daran, Wittenberg zu einem glanzvollen Zentrum auszugestalten. Dem dienten verschiedene Maßnahmen. Er ließ das alte Askanierschloss so umbauen, dass es als Befestigungsbau und Wohnschloss zugleich dienen konnte. Im Zusammenhang damit wurde eine Schlosskirche errichtet. Sie war auch der Ort, an dem die große Reliquiensammlung des Kurfürsten aufbewahrt wurde, und – wie der Vorgängerbau – als Allerheiligenstift mit Einkommen ausgestattet. Die berühmte Reliquiensammlung bot die Möglichkeit, die kursächsische Residenzstadt zu einem Mittelpunkt spätmittelalterlicher Frömmigkeit zu machen. Darüber hinaus gründete Friedrich im Jahre 1502 eine Universität, die Leucorea, um durch geeignete Professorenberufungen in Wittenberg ein Zen1 Vgl. zu diesem Zusammenhang Junghans, Martin Luther in Wittenberg, I. 11–37, II. 723–732.

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Die Reformation in Wittenberg

trum der Bildung zu etablieren. Auch für die Universität hatte die neue Schlosskirche ihre Funktion. Sie war Universitätskirche, Festsaal der Leucorea und Grablege akademischer Würdenträger zugleich. Hier wurden Disputationen abgehalten und Promotionen vollzogen, Antrittsvorlesungen und Andachten gehalten. An ihre Tür, die zugleich als Schwarzes Brett der Universität diente, wurden die zu disputierenden Thesen und allerhand Mitteilungen angeschlagen.2 Im Herbst 1508 kam Martin Luther als Angehöriger des Augustiner-Eremiten-Ordens zum ersten Mal nach Wittenberg.3 Er wurde zu dem zentralen Akteur der von Wittenberg ausgehenden Reformation. Dennoch ist sie, vor allem in ihrer Breitenwirkung, keineswegs auf einen einzigen Urheber zurückzuführen. Vielmehr ist von einem Wittenberger Reformatorennetzwerk auszugehen, dessen Mitglieder in jeweils spezifischer Weise zur theologischen Profilbildung der Reformation und ihrer Ausstrahlung über die Grenzen der Stadt und des Kurfürstentums Sachsen hinaus beitrugen. Neben Luther kam Philipp Melanchthon (1497–1560) eine herausragende Rolle zu. Was die europäische Wirkung der von Wittenberg ausgehenden Reformation angeht, überragte er Luther sogar bei weitem. Ein weiterer einflussreicher Akteur war Johannes Bugenhagen (1485–1558), nach seiner Herkunft aus Pommern genannt Pomeranus, Stadtpfarrer in Wittenberg. Er errang als Kirchenorganisator große Bedeutung. Seine Kirchenordnungen, mit denen er die reformatorische Theologie in kirchliche Praxis umsetzte, wurden zum Vorbild für viele andere, jeweils regional angepasste Ordnungsmodelle. Aber auch die anderen Mitglieder jenes Wittenberger Re2 Vgl. Junghans, Martin Luther und Wittenberg, 9–64; außerdem Lück u.a. (Hg.), Das ernestinische Wittenberg, 2011–2013. 3 Vgl. zu diesem Abschnitt Dingel, Wittenberger Reformation, 12f.

I. Martin Luthers Entwicklung zum Reformator

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formatorennetzwerks trugen auf ihre Weise zur Entwicklung und charakteristischen Ausprägung der Reformation bei. Dabei entwickelten sie durchaus eigenständige theologische Profile. Zu ihnen gehörten Nikolaus von Amsdorf (1483–1565), Justus Jonas (1493–1555), Johann Agricola (1494–1566), Caspar Cruciger (1504–1548), Georg Rörer (1492–1557), Georg Major (1502–1574) und nicht zuletzt der Künstler Lucas Cranach d.Ä. (ca. 1472–1553).

I. Martin Luthers Entwicklung zum Reformator Martin Luther, Sohn von Hans Luder und dessen Frau Margarete, stammte aus bürgerlich-landständischen Verhältnissen.4 Geboren am 10. November 1483 in Eisleben in der Grafschaft Mansfeld, wurde er – wie damals üblich – am darauf folgenden Tag getauft und erhielt den Namen des Tagesheiligen. Nach dem Schulbesuch in Mansfeld und Magdeburg, wo er 1497 ein Jahr lang die Domschule frequentiert und bei den „Brüdern vom gemeinsamen Leben“ gewohnt hatte, ging er nach Eisenach, um dort von 1498 bis 1501 an der Pfarrschule St. Georg zu lernen. Daran schloss sich ein Universitätsstudium in Erfurt an, wo sich der Humanismus bereits etabliert hatte. Auf der Rückreise von einem Besuch in Mansfeld geriet Luther am 2. Juni 1505 bei Stotternheim in ein schweres Gewitter, was ihn zu einem Hilferuf an die Heilige Anna veranlasste, verbunden mit dem Gelübde, Mönch zu werden. Luther trat – gegen den ausdrücklichen Willen 4

Von den zahlreichen neuen Lutherbiographien seien an dieser Stelle nur erwähnt: Arnold, Martin Luther, 2017; Lienhard, Luther, 2017; Schwarz, Martin Luther, 2015; Hendrix, Martin Luther, 2015; Schilling, Martin Luther, 32014. Außerdem Brecht, Martin Luther, 3 Bde., 32013. Vgl. zum Folgenden auch Dingel, Wittenberger Reformation, 7–57.

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seines Vaters – in das Augustiner-Eremiten-Kloster in Erfurt ein und unterwarf sich aus Sorge um sein Seelenheil den strengen Pflichten klösterlichen Lebens. Die von ihm ersehnte Heilsgewissheit jedoch stellte sich nicht ein. Nach seiner Priesterweihe im Jahre 1507 sollte Luther ein Theologiestudium beginnen. Sein Orden unterhielt nämlich in Erfurt ein eigenes „Generalstudium“. Schon im Jahr darauf (1508/09) kam er nach Wittenberg, wo er als Lektor in den Artes an der Leucorea aushalf. Zugleich machte er in seinem Studium rasche Fortschritte, so dass er 1509 in Erfurt zum „baccalaureus biblicus“ und im Herbst desselben Jahres zum „baccalaureus sententiarius“ promoviert werden konnte. In diese Zeit fiel auch Luthers Reise nach Rom (1511), veranlasst durch interne Ordensangelegenheiten.5 Sein Aufenthalt in der heiligen Stadt führte ihm nicht nur das reiche Gnadenangebot der Kirche, sondern auch die damit verbundenen Missstände vor Augen. Aber vorerst verfolgte er seine vorgezeichnete Karriere weiter, in der der Ordensgeneral Johann von Staupitz eine große Rolle spielte. Er war es, der Luther 1511 nach Wittenberg holte und ihn dazu ermutigte, den theologischen Doktorgrad zu erwerben sowie das Predigtamt vor der Klostergemeinde zu übernehmen. Nach seiner Promotion am 19.10.1512 wurde Luther als Professor für biblische Studien Mitglied der theologischen Fakultät und Staupitz‘ Nachfolger. Im Wintersemester Ende Oktober 1513/14 begann er seine Vorlesungen. Außerdem wirkte er von 1515 bis 1518 als sächsischer Distriktsvikar der Reformkongregation seines Ordens. All seine Erfolge und klösterlichen Aktivitäten konnten ihm aber über seine tiefen Anfechtungen in der Frage des Seelenheils nicht hinweghelfen. Was Luther 5

Zu Luthers Romreise vgl. Schneider, Luthers Reise nach Rom, 1–157, bes. 114–116.

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zu innerer Verzweiflung trieb, war die von ihm wahrgenommene Kluft zwischen einem Gott, der die ganze, ungeteilte Liebe seines Geschöpfs einfordert, und dem Menschen, der in seinem Widerstand dagegen in eigennützigem Willen gefangen bleibt. Diese Krise konnte auch sein Beichtvater Staupitz nicht auflösen. Der Mönch Luther blieb umgetrieben von der Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Die biblischen Aussagen über die Gerechtigkeit Gottes versetzten ihn in Schrecken; selbst Jesus Christus begegnete ihm in der Heiligen Schrift wie auf bildlichen Darstellungen stets als der furchtbare, Gerechtigkeit übende Weltenrichter. Weitere Anfechtungen ergaben sich durch seine Beschäftigung mit dem Kirchenvater Augustin und dessen Prädestinationslehre. Denn einen Gott, der nach seinem unerforschlichen Willen und Ratschluss Menschen ohne Rücksicht auf ihre Verdienste entweder zur Verdammnis oder zur Seligkeit vorherbestimmte, oder der ihnen aufgrund der ihnen anhaftenden Erbsünde im Grunde keinen Handlungsspielraum einräumte, konnte Luther nur verabscheuen. Zugleich schien ihm diese Haltung nur allzu deutlich zu belegen, dass er selbst offenbar nicht zu den Erwählten gehören konnte, sondern zu den Verworfenen zählen musste. Diese inneren Anfechtungen begleiteten Luther während seiner Lehrtätigkeit an der Leucorea, so dass sich seine theologische Entwicklung seit dem Wintersemester 1513/14 anhand der von ihm gehaltenen Vorlesungen verfolgen lässt.6 Luthers existenzielles Ringen und seine wissenschaftliche, theologische Arbeit waren miteinander verschränkt. Bereits in seiner ersten erhaltenen Vorlesung, den „Dictata super Psal-

6

Vgl. zu diesem Zusammenhang Brecht, Martin Luther I, 129–137.

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terium“ von 1513–1515,7 wird erkennbar, dass er allmählich neue theologische Überzeugungen entwickelte, die das bestehende kirchliche Lehrsystem jedoch noch nicht in Frage stellten. Die darauf folgenden Vorlesungen und besonders seine Römerbriefauslegung von 1515/16 sind Zeugnisse einer sich allmählich herausbildenden neuen Hermeneutik.8 Im Römerbrief war es Luther vor allem um das Verständnis von Röm 1,17 gegangen, wo von der „iustitia Dei“ die Rede ist: ein Vers, von dem Luther später sagte, dass er ihm zum Schlüssel für das Verständnis der gesamten Heiligen Schrift geworden sei. Bis dahin nämlich hatte Luther die Gerechtigkeit Gottes, im Einklang mit der Tradition, als formale bzw. aktive Gerechtigkeit begriffen, durch welche Gott gerecht ist und die Sünder und Ungerechten straft. Genau dies hatte seine schweren inneren Konflikte hervorgerufen. Denn ein solches Verständnis bedeutete, dass aufgrund der erbsündlichen Verfasstheit, die die Erfüllung der Gebote unmöglich machte, und aufgrund der augenscheinlich sogar im Evangelium angekündigten, strafenden Gerechtigkeit Gottes im Grunde niemand auf seine eigenen, genugtuenden Werke zur Versöhnung mit Gott vertrauen konnte. Vor diesem Verständnishintergrund widmete Luther gerade dieser Stelle des Römerbriefs besondere Aufmerksamkeit, ordnete sie in ihren Zusammenhang ein und versuchte sie philologisch zu durchdringen. Das Ergebnis dieser neuen Quellenlektüre war, dass er die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr als aktiv richtende verstand, sondern als eine dem Menschen geschenkte Gerechtigkeit, die denjenigen, der dies im Glauben gelten lässt, ohne sein Zutun gerecht macht. Der gerechte Gott kam somit als we7 Vgl. WA 55/I und II, 1993 und 2000. Spehr, Luthers PsalmenVorlesung, 18–27, 243f. 8 Vgl. Köpf, Luthers Römerbrief-Vorlesung, 48–55, 253f.

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senhaft barmherziger Gott in den Blick. Diese neue Einsicht in die Gerechtigkeit Gottes wandte Luther fortan auf das gesamte Verständnis der Heiligen Schrift an. Dass Luther diese Einsicht nicht nur in der Bibel, sondern auch in Augustins Schrift „De spiritu et littera“ bestätigt fand, bestärkte ihn in dieser Erkenntnis, die er als Geschenk Gottes wertete. Dies führte aber keineswegs einen sofortigen, abrupten Bruch mit seiner bisherigen theologischen Prägung herauf. In den folgenden Jahren finden sich immer wieder auch solche Äußerungen, die sich aus Luthers vorerst fortbestehender Verankerung im altgläubigen Frömmigkeitskontext ergeben. Ein Beispiel dafür sind seine 95 Thesen vom 31.10.1517, die aber seine neue reformatorische Erkenntnis bereits im Hintergrund mitführen. Dieser Befund hat dazu geführt, dass man sich in der Lutherforschung immer wieder mit der Frage nach der präzisen Datierung der „reformatorischen Wende“ bei Luther beschäftigt hat (Frühdatierung: 1514, Spätdatierung: 1518), die wohl als Ergebnis einer sich über mehrere Jahre hin erstreckenden Entwicklung zu verstehen ist.9 Diese reformatorischen Ansätze Luthers erfuhren durch die 95 Thesen10 eine weit über Wittenberg hinaus strahlende Wirkung. Anlass war die Verkündigung eines Plenarablasses „a poena et culpa“ in den Kirchenprovinzen des soeben neu installierten Mainzer Erzbischofs, Albrecht von Brandenburg. Luther kam zwar nicht direkt mit Ablasspredigt und Ablassvertrieb in Berührung, da sein Landesherr, Friedrich der Weise, dies für sein Territorium untersagt hatte, um keine Konkurrenz zu seiner ebenfalls mit Ablässen ausge9

Vgl. dazu Lohse (Hg.), Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis, 1968, und die Erörterung des Problems bei Brecht, Martin Luther I, 215–230, mit der dort genannten Literatur. Schilling, Martin Luther, 147–152. 10 Vgl. WA 1, 233–238.

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statteten Reliquiensammlung aufkommen zu lassen. Aber Luther war doch bestens über die Abläufe, wenn auch nicht über die Hintergründe des Ablassvertriebs11 informiert. Die auf Latein abgefassten 95 Thesen riefen zu einer Gelehrtendisputation auf, deren Gegenstand jene Ablasspraxis sein sollte, die durch bestimmte Frömmigkeitsübungen oder die Zahlung eines Entgelts, ohne dass die Betreffenden eine nennenswerte Reue zu empfinden brauchten, sowohl Nachlass von göttlichen Sündenstrafen als auch von Sündenschuld zusicherte und bescheinigte. Diese Thesen legte er einem Brief an den Erzbischof von Mainz bei, den er als persönlichen Appell konzipiert hatte.12 Ob Luther die 95 Thesen, d.h. seinen Disputationsaufruf, am 31. Oktober, dem Vorabend des Allerheiligenfestes, zu dem zahlreiche Pilger aus Gründen des Ablasserwerbs in das Wittenberger Allerheiligenstift strömten, an die für universitäre Bekanntmachungen dieser Art dienende Tür der Schlosskirche angeschlagen oder lediglich als Anlage seiner Petition an den Erzbischof von Mainz beigelegt hat, ist nach wie vor umstritten.13 Tatsache aber ist, dass die Thesen von diesem Tag an als Abschriften und Nachdrucke vervielfältigt und wohl auch an weiteren Orten angeschlagen wurden, zusätzlich in deutscher Übersetzung kursierten und sich rasant verbreiteten. Zwar greifen die Thesen insgesamt weder Struktur noch Theologie der alten Kirche dezidiert an, aber an einigen Stellen setzen sie doch neue, auf die alleinige Autorität des Evangeliums verweisende Akzente. Dass das Verhält-nis zwi11

Vgl. dazu die ‚historischen Vorbemerkungen’, in: Fabisch/Iserloh (Hg.), Dokumente zur Causa Lutheri I, 202–211. 12 Vgl. Kolb, Luthers Appell an Albrecht von Mainz, 80–88, 258f. 13 Vgl. Iserloh, Luther zwischen Reform und Reformation, 31968; Bornkamm, Thesen und Thesenanschlag Luthers, 1967; Aland, Die 95 Thesen Martin Luthers, 1983; Ott/Treu (Hg.), Faszination Thesenanschlag, 2008; Moeller, „Thesenanschlag“ und kein Ende, 125–129.

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schen Gott und Mensch nicht durch den Erwerb von Ablass bestimmt werden könne, sondern vielmehr auf Gottes umfassender, dem Menschen entgegenkommender Gnade beruhe, machte Luther wenig später in seinem kleinen, für das einfache Volk verfassten „Sermon von Ablass und Gnade“14 deutlich. Diese weit verbreitete Flugschrift war der Auftakt für die weite, soziale und geographische Grenzen überschreitende Ausbreitung der Wittenberger Reformation. 1. Theologische Grundlegung: Disputationen und reformatorische Hauptschriften Bereits in den frühen Disputationen gewann Luthers Theologie grundlegende Gestalt. An ihnen wird deutlich, wie sehr die von Wittenberg ausgehende Reformation zunächst noch dem akademischen Kontext verhaftet war und zugleich regionale Grenzen überschritt. Richtungweisend für die weitere Entwicklung wurde die Heidelberger Disputation von 1518, die als feierliche Universitätsdisputation aus Anlass der Zusammenkunft des Generalkapitels der Augustiner-Eremiten stattfand. Unter den Anwesenden waren die späteren Reformatoren Martin Bucer (1491–1551, Reformator in Straßburg), damals noch Angehöriger des Dominikanerordens, Johannes Brenz (1499–1570, später Reformator in Schwäbisch-Hall), Erhard Schnepf (1495–1558, beteiligt an der Reformation in Württemberg), Martin Frecht (1494–1556, Reformator in Ulm), Theobald Billicanus (1490/95–1554, Reformator in Nördlingen) sowie der später als Spiritualist mehrfach vertriebene Sebastian Franck (1499–1542). Luther hatte 40 Disputationsthesen aufgestellt: 28 „ex Theo14 Vgl. WA 1, 243–246. Schilling, Sermon von Ablass und Gnade, 108–112, 264f; Moulin, Sermon von Ablass und Gnade, 113–119, 265f.

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logia“ und 12 „ex Philosophia“, zu denen außerdem aus seiner Feder „probationes“, d.h. Beweise bzw. argumentative Ausführungen, überliefert sind.15 Während er sich in den philosophischen Thesen einem im Grunde alten Thema widmete, nämlich der Disparatheit von Philosophie und Theologie, beschritt er in den theologischen Thesen neue Wege. Sie begannen mit Ausführungen zum Verständnis von Gesetz und Werken. Der Mensch ohne Christus, der selbstherrlich auf seine Fähigkeiten vertraut und auf einem ungebrochenen Erkenntnisweg Macht, Weisheit, Gerechtigkeit und das Wesen Gottes zu erfassen glaubt, geht nach Luther einen Irrweg. Jener aber, dessen Selbst- und Wirklichkeitsverständnis an Christus orientiert ist, erkennt unter der Ohnmacht, Torheit und Schmach des gekreuzigten Gottessohns den verborgenen Gott und gelangt so zur rechten Gotteserkenntnis. Diesen beiden Erkenntniswegen entspreche auf der einen Seite die „theologia gloriae“, die die Werte in ihr Gegenteil verkehrt, und auf der anderen die „theologia crucis“, die „die Dinge beim Namen nennt“ (These 21). Diese „theologia crucis“ wurde zur Signatur der von Luther und Wittenberg ausgehenden Reformation. Sie wurde auch zum Maßstab dessen, was Luther über die Liebe Gottes ausführte. Anders als menschliche Liebe – so stellte er fest – richte sie sich nicht auf das, was von sich aus liebenswert ist oder sich als liebenswert zu präsentieren versteht, sondern schafft selbst das Liebenswerte, indem sie sich dem Menschen zuwendet. Die Heidelberger Disputation hatte eine beachtliche Wirkung. Luthers Ordensbrüder stellten sich zum größten Teil auf seine Seite.

15

Vgl. WA 1, 353–374. Die beste Edition liegt vor in der Martin Luther Studienausgabe, Bd. 1, 186–218.

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Die Leipziger Disputation von 1519 dagegen führte der akademischen Öffentlichkeit vor Augen, dass Luther nicht nur die Lehre, sondern auch Struktur und Leben der Kirche veränderte. Anlass für die Disputation war eine Kontroverse, die sich an den „Obelisci“, der Stellungnahme des Ingolstädter Professors Johannes Eck (1486–1543) zu Luthers Ablassthesen, entzündet hatte. Darauf hatte Luthers Wittenberger Universitätskollege und damaliger Dekan der Theologischen Fakultät, Andreas Bodenstein aus Karlstadt (ca. 1480–1541), mit mehreren Thesenreihen reagiert. Eck antwortete zwar mit Gegenthesen, schlug aber vor, die Differenzen in einer Disputation an der Universität Leipzig auszutragen. Da Ecks dafür aufgestellte Disputationsthesen gegen die reformatorische Theologie Luthers gerichtet waren, meldete sich dieser nun mit entsprechenden Gegenthesen zu Wort. Luther und Eck wurden zu den eigentlichen Kontrahenten der Disputation. Anwesend waren auch der soeben (1518) an die Universität Wittenberg berufene, junge Philipp Melanchthon sowie Luthers damaliger Freund und Kollege Johann Agricola. Sogar der altgläubige albertinische Herzog Georg der Bärtige (reg. 1500–1539) folgte zeitweise der Disputation. Zur Debatte stand zunächst der päpstliche Primat. Gegen die von Eck vertretene traditionelle Auffassung, dass der Papst „iure divino“, d.h. nach göttlichem Recht, Haupt der Kirche sei, verwies Luther auf Christus als Haupt der als geistliches Reich zu verstehenden Kirche. Weder das Papsttum noch der von ihm beanspruchte Primat ließen sich seiner Ansicht nach auf ein aus der Heiligen Schrift zu erhebendes „ius divinum“ zurückführen, sondern seien lediglich Produkte menschlichen Rechts. Diese Auffassung hatte weitreichende Konsequenzen. Denn damit entfiel der verpflichtende bzw. heilsrelevante Charakter, den man kirchlichen Geboten oder auch dem Gehorsam dem Papst gegenüber

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beigemessen hatte. Außerdem stellte dies die hierarchische Ämterstruktur der Kirche in Frage, zumal Luther auch die aus göttlichem Recht hergeleitete Höherstellung des Episkopats bestritt. Dies brachte ihn in argumentative Nähe zu John Wyclif und Jan Hus, so dass Eck die Gelegenheit nutzte, Luther unter Verweis auf verschiedene, auf dem Konzil von Konstanz 1415 verurteilte Sätze der beiden Kirchenkritiker als Ketzer zu brandmarken. Luthers Bewertung dieser schon vor ihm geäußerten Kritik am päpstlichen Primat und der Ämterhierarchie als einwandfrei christlich und evangelisch, so dass sie eigentlich von keinem Generalkonzil hätten verurteilt werden dürfen, brachte zusätzlich die Frage der Autorität der Konzilien in die Debatte. Ecks Stellungnahme für die Irrtumslosigkeit eines legitim versammelten Konzils und dessen Grundlegung im göttlichen Recht widersprach Luther dezidiert, indem er nicht nur dem Papst, sondern auch den Konzilien eine solche Autorität bestritt. Seiner Ansicht nach hatte das Konzil von Konstanz geirrt und Aussagen verurteilt, die mit der Heiligen Schrift konform waren. Für den Wittenberger stand fest, dass keine kirchliche Instanz etwas für heilsnotwendig erklären könne, wofür eine biblische Begründung fehlte. Luther hatte auf der Leipziger Disputation die Autorität von Papst, Episkopat und Konzilien in Zweifel gezogen. Grundlage dafür war seine scharfe Unterscheidung von Gotteswort und Menschenwort, von göttlichem Recht und menschlichem Recht. Das Aufeinandertreffen der konträren Positionen wirkte spaltend. Die Fronten verfestigten sich, auch auf politischer Ebene. Herzog Georg von Sachsen z.B. trat fortan als entschiedener Gegner der von Wittenberg ausgehenden Reformation auf, und Eck konnte sowohl den Bischof als auch den Kurfürsten von Brandenburg gegen Luther einnehmen, gegen den bereits ein Verfahren wegen Ketzerei anlief. Denn die Domi-

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nikaner hatten schon im März 1518, noch bevor Luther in Heidelberg und Leipzig öffentlich disputiert hatte, Anklage gegen ihn in Rom erhoben. Diese im Zuge akademischer Disputationen hervortretende reformatorische Theologie fand in den großen Programmschriften Luthers von 1520/21 eine maßgebliche Ausgestaltung. Sie überschritt damit zugleich die Schwelle vom akademischen Raum in den öffentlichen, nachdem der im Jahre 1518 als kleine Flugschrift gedruckte „Sermon von Ablass und Gnade“ bereits breite Bevölkerungsschichten sensibilisiert hatte. Da Luther dem Klerus immer weniger zutraute, Kraft für notwendige Reformen aufzubringen, wandte er sich im Jahre 1520 mit einer Schrift an den Adel und damit an jenen Stand der Gesellschaft, der nach damaliger Auffassung sowohl für das weltliche als auch für das geistliche Wohl der Untertanen Verantwortung zu tragen hatte. Bereits der Titel „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“16 – signalisiert, worum es ihm ging, nämlich um eine aktive, von den politischen Funktionsträgern voranzutreibende Reformation der Christenheit. Dazu galt es, jene von der römischen Kirche aufgebauten Mauern einzureißen, die dies bisher verhindert hatten: (1) die Spaltung der Gesellschaft in einen höherwertigen geistlichen Stand und einen untergeordneten Laienstand; (2) die päpstliche Autorität über die maßgebliche Auslegung der Heiligen Schrift; (3) die beim Papst liegende, ausschließliche Vollmacht zur Einberufung eines Konzils. Demgegenüber entwickelte Luther zunächst den Gedanken eines allgemeinen Priestertums aller Getauften bzw. Gläubigen (zu 1), indem er betonte, dass alle 16

Vgl. WA 6, S. 404–469. Vgl. Kaufmann, An den christlichen Adel, 2014.

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Christen durch Taufe, Evangelium und Glauben gleichermaßen Glieder eines wahrhaft geistlichen Standes seien, den Paulus als den Leib Christi beschreibe. Daher – so Luther – komme allen getauften Menschen priesterliche Vollmacht zu. Das konkrete, mit bestimmten Funktionen betraute kirchliche Amt gründete nach Luthers Konzeption in der Beauftragung eines geeigneten Christen durch die Gemeinde zur öffentlichen Ausübung dieses Amts und einer Vollmacht, die im Prinzip allen Gläubigen gleichermaßen zukomme. Folgerichtig leitete Luther aus diesem allgemeinen Priestertum ab, dass auch die Inhaber weltlicher Gewalt als getaufte Christen das Recht, ja sogar die Pflicht hätten, dafür zu sorgen, dass kirchliche Missstände abgestellt würden, wenn die verantwortlichen kirchlichen Amtsinhaber dies versäumten. Auch der Zugang zur Heiligen Schrift war nach Luther nicht einzelnen, d.h. dem Papst oder den Mitgliedern des Klerus, vorbehalten (zu 2). Nach reformatorischer Überzeugung konnten alle Christen durch den Heiligen Geist zu rechtem Schriftverständnis gelangen. Folglich mussten auch die biblischen Maßstäbe zur Einschätzung der herrschenden Missstände und zur Entwicklung notwendiger Reformen allen Christen zugänglich sein. Die Christen in ihrer Gesamtheit waren nach Ansicht Luthers ebenso in der Verantwortung, wenn sich ein Konzil als notwendig erweise (zu 3). Luther bestritt entschieden den Anspruch der Päpste, allein die Vollmacht zur Einberufung eines Konzils zu haben, zumal eine solche päpstliche Prärogative eine konziliar gestützte Reform des Papsttums verhindere. Im Anschluss an Mt 18,15–18 sah Luther es als Aufgabe aller Christen an, für Abhilfe zu sorgen, besonders wenn der Inhaber eines kirchenleitenden Amtes der Christenheit Schaden zufügte. Mit diesen grundsätzlichen, theologisch untermauerten Überlegungen hatte Luther einen wirksamen Appell

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an die politischen Obrigkeiten gerichtet, die er als „Notbischöfe“ dazu legitimiert sah, einzugreifen. Aber auch in der Kirche selbst musste sich etwas ändern. Luthers Ansicht nach war sie nämlich unter dem Papsttum in eine regelrechte babylonische Gefangenschaft geraten, von der vor allem das Verständnis und die Praxis der Sakramente betroffen waren. Diese Gefangenschaft aufzubrechen, war das Ziel seiner Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae, praeludium“.17 Während er an ihr arbeitete, bereitete man in Rom seine Exkommunikation vor.18 In „De captivitate“ entfaltete Luther – an ein gelehrtes Publikum gerichtet – sein reformatorisches, auf der Relation von Zeichen, Wort und Glaube basierendes Sakramentsverständnis. Eine von Christus selbst gestiftete Zeichenhandlung, ein damit verbundenes, in der Heiligen Schrift verbürgtes Verheißungswort und der die göttliche Verheißung aufnehmende Glaube waren seiner Ansicht nach die Kennzeichen eines Sakraments. Zugleich brachte diese Neubestimmung mit sich, dass Luther nur noch solche Handlungen als Sakramente gelten ließ, die von der Heiligen Schrift her belegbar waren, so dass von den traditionellen sieben Sakramenten nur noch drei übrigblieben: Taufe, Abendmahl und Buße. Streng genommen konnte selbst die Buße kaum noch als Sakrament gelten, da eine spezifische, von Christus eingesetzte Zeichenhandlung nicht belegt war. Bis zum Großen und Kleinen Katechismus von 1529 jedoch ist die auf confessio und absolutio reduzierte Buße bzw. „Beichte“ in Luthers Theologie als Sakrament noch vorhanden. Die Tatsache aber, dass in der von Sünden lossprechenden 17 18

Vgl. WA 6, 497–573. Die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ Papst Leos X. datiert vom 15.6.1520.

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Absolution Zeichenhandlung und Verheißungswort zusammenfielen, führte langfristig dazu, dass Luther nur noch Taufe und Abendmahl als Sakramente gelten ließ. Der Wittenberger hatte in „De captivitate“ also damit begonnen, die Fundamente des traditionellen kirchlichen Heilsverständnisses in Frage zu stellen. Dies legte er ausführlich an der Frage des Abendmahls dar, indem er drei Formen von Gefangenschaft identifizierte. Die erste betraf die Verweigerung des Laienkelchs, die er als neutestamentlich nicht belegbar zurückwies. Die zweite Gefangenschaft erkannte Luther in der Transsubstantiationslehre, die vor dem Hintergrund der aristotelischen Einteilung alles Existierenden in Substanz (Wesen) und Akzidens (äußerliche Zufälligkeiten), eine bei der Konsekration eintretende, dauerhafte Wandlung der Abendmahlselemente ihrer Substanz nach lehrte. Luther lehnte dies als unbiblisch ab und wandte sich strikt gegen all die magischen Vorstellungen, die sich aus der Wandlungslehre und der damit verbundenen rituellen Praxis im Laufe der Geschichte ergeben hatten. Dem stellte er die Betonung des Glaubens an den literalen Sinn der biblischen Einsetzungsworte entgegen. Demnach blieben Brot und Wein im Abendmahl erhalten. Leib und Blut Christi – d.h. der Gottessohn seiner Menschheit nach – seien aber gemäß der in den Abendmahlsworten gegebenen Zusage (Das ist mein Leib) dennoch gegenwärtig, auch wenn sich die Art und Weise dieser Gegenwart menschlichen Erklärungsversuchen entziehe. Die dritte und folgenschwerste Gefangenschaft war nach Luther das Verständnis des Abendmahls als Opferhandlung, was dieses Sakrament selbst zu einem guten Werk machte. Denn nach traditioneller Auffassung brachte der Priester mit den gewandelten Elementen auf dem Altar noch einmal Leib und Blut Christi vor Gott als Opfer für die Sünden der Menschen dar. Dagegen betonte Luther im Anschluss an

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das neutestamentliche Zeugnis die im Abendmahl repräsentierte Testamentshandlung: In seiner kurz vor seinem Kreuzestod gegebenen testamentarischen Zusage der Sündenvergebung wende Christus den Glaubenden als seinen Erben das Heil zu. Der Mensch antworte darauf, indem er sich glaubend auf die ihm gegebene Zusage verlässt. Im Zentrum dieses Sakraments stehen daher die Abendmahlsworte, die deutlich und verständlich gesprochen werden sollten, nicht etwa in leiser und fremder, lateinischer Sprache. Nicht der Priester, sondern Gott bzw. Christus selbst rückte als Handelnder im Sakrament des Altars in den Blick. Dies bestimmte auch Luthers Erklärung des Taufsakraments. Im Vollzug der Taufe, deren Handlung eigentlich im vollkommenen Untertauchen des Täuflings und seinem Herausheben aus dem Wasser bestehe, wird das Hineinnehmen des Menschen in das Sterben Christi und damit ein Absterben des alten Menschen und Wiedererstehen des neuen versinnbildlicht. Deshalb war die Taufe für Luther nicht etwa ein punktuelles Abwaschen von Sünde, sondern vielmehr der Beginn eines inneren Taufwerks Gottes, das den Menschen – in einem lebensumspannenden Prozess – immer mehr der Sünde absterben lässt, bis dies schließlich im leiblichen Tod zum Abschluss kommt und er als neue Kreatur ersteht. Da diese Erneuerung aber während des irdischen Lebens lediglich ein angefangener Prozess sein kann, in dem sich auch die Sünde immer wieder bemerkbar macht, steht der Taufhandlung Gottes bleibende Heilszusage zur Seite. Der sein Leben lang Sünder bleibende Mensch kehrt durch die Buße in das Taufgeschehen zurück, in dem sich das Sterben des alten Menschen und die Auferstehung des Gerechtfertigten mit Christus bereits sakramental ereignet hat. Wahre Buße war für Luther deshalb Rückerinnerung an die Taufzusage Gottes. Damit war das mittelalterliche Verständnis der Buße

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als „zweite Planke nach dem Schiffbruch der Sünde“19 und auch die Interpretation der Klostergelübde als zweite Taufe abgeschafft. Die Buße war als eigenständiges Sakrament bereits auf den Prüfstand gestellt. Mit seiner dritten programmatischen Schrift des Jahres 1520, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“,20 wandte sich Luther an alle Menschen und zugleich an den einzelnen in seinen jeweiligen Verantwortungsbereichen. Sie bietet eine konzise Zusammenfassung der reformatorischen Rechtfertigungslehre. Luther stellte dazu die Frage in den Mittelpunkt, was den Menschen vor Gott zu einer freien und gerechten Person mache, so dass er in der Lage sei, sich in Freiheit und Uneigennützigkeit seinem Nächsten zuzuwenden.21 Dabei orientieren sich seine Ausführungen, ausgehend von 1Kor 9,19, an zwei Kernthesen: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“ und „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“.22 Diesen beiden Aussagen entsprechen die beiden Perspektiven, die Luther seiner theologischen Entfaltung zugrunde legte. Der Mensch rückt dabei einerseits in seiner Gottesbeziehung und andererseits in seiner Beziehung zur Welt sowie in seinem konkreten, verantwortlichen Handeln in der Welt in den Blick. Nicht äußere Lebensbedingungen sind es – so machte Luther klar –, die Gerechtigkeit und Freiheit eines Menschen konstituieren. Vielmehr ist es Gott, 19

Hieronymus hatte von der „secunda tabula post naufragium“, d.h. der zweiten Rettungsplanke nach dem Schiffbruch, gesprochen, vgl. Hieronymus, Ep. 130 ad Demetriadem de servanda virginitate, in: PL 22, 1115. 20 Vgl. WA 7, 20–38. 21 Vgl. dazu Dingel, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 122–131, 266–269; Jürgens, Von der Freiheit eines Christenmenschen, 132–138, 269f. 22 WA 7, 21,1–4.

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der dem Menschen Gerechtigkeit und Freiheit im Evangelium zuerkennt. Denn Gottes Wort begegnet – sowohl im Alten als auch im Neuen Testament – in einer doppelten Weise: einmal als forderndes Gesetz, ein andermal als Zusage des Evangeliums. Die rechte Erfüllung des Gesetzes aber setzt ein Handeln in Freiheit und Uneigennützigkeit und daher die gerechte und freie Person bereits voraus, die der Mensch aber aus eigener Kraft gar nicht sein kann. Am göttlichen Gesetz also erkennt er sein Unvermögen. Gottes Evangeliumszusage dagegen schenkt dem Menschen Gerechtigkeit und Freiheit. Luther verband diese im Spannungsfeld von Gesetz und Evangelium entfaltete, reformatorische Rechtfertigungslehre mit der Christologie. Dazu griff er einen Gedanken der mittelalterlichen Brautmystik auf und erklärte, dass das Vertrauen auf den in Christus Mensch gewordenen Gott und der Glaube an ihn als Vermittler von Gerechtigkeit und Freiheit eine so enge Verbindung des Gläubigen mit Christus herstelle, wie sie zwischen Braut und Bräutigam bestehe. Daraus ergebe sich eine Art Gütergemeinschaft oder Gütertausch, den Luther einen „fröhlichen Wechsel“23 nannte. Der so befreite Mensch könne als ‚freier Herr über alle Dinge‘ tätig sein und Gott „umsonst“ dienen. Damit meinte Luther, dass der Mensch sich seinen Verantwortlichkeiten in weltlichen Bezügen und im Einsatz für den Nächsten zuwenden könne, ohne unter dem Zwang zu stehen, dafür Anerkennung oder eine Gegenleistung für verrichtete gute Werke erhalten zu müssen. Denn in diesem – weltlichen – Bereich ist verantwortungsbewusstes Handeln sogar gefordert und notwendig, so dass Luther in seiner zweiten These drastisch von der Dienstbarkeit des Menschen sprechen konnte, der den sich ergebenden Anforderungen 23

WA 7, 25,34. Vgl. dazu Bayer, Martin Luthers Theologie, 204–207.

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„untertan“ sei. Der Glaube und seine Bindung an Christus aber mache den Menschen unabhängig von eigennützigem Streben und motiviere ihn vielmehr zu freiem Entgegenkommen dem Nächsten gegenüber. Luther hatte herausgestellt, dass der entscheidende Impuls für die Liebe (caritas) aus dem Glauben hervorgeht und dass – wie er es an anderer Stelle ausführte – der Glaube notwendigerweise gute Werke als Früchte des Glaubens hervorbringt. Er hatte den Christen auf diese Weise in die Verantwortung für die Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens, in die Weltverantwortung, hineingestellt. Damit war die evangelische Rechtfertigungslehre, die den Menschen in den Überschneidungsbereich von Gottesbeziehung und Weltbezug stellt, zum Dreh- und Angelpunkt der Reformation geworden. Von den drei sogenannten reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 hatte die Freiheitsschrift den weitestreichenden Erfolg. Durch zahlreiche Übersetzungen wurde sie auch jenseits der Grenzen des Reichs breit rezipiert. Neben diesen drei Schriften wurden für die theologische Grundlegung der Wittenberger Reformation noch zwei weitere aus den Jahren 1520/21 maßgeblich: zum einen Luthers Abhandlung „Von guten Werken“ (1520) und zum anderen seine Schrift „De votis monasticis iudicium“ (1521). Sie bilden den Rahmen der soeben betrachteten „Trilogie“, insofern der Traktat über die guten Werke die Grundlagen für die Freiheitsschrift legte und die Schrift über die Klostergelübde die sich aus der reformatorischen Lehre ergebenden Konsequenzen ansprach. Schon zu Beginn des Jahres 1520, also noch vor der Freiheitsschrift, hatte sich Luther in seiner Abhandlung „Von guten Werken“24 mit dem Thema der Glaubensgerechtigkeit 24

Vgl. WA 6, 202–276.

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beschäftigt. Sein Ziel war, gegen die herrschenden Missverständnisse den Zusammenhang von Glauben und Werken aufzuzeigen. Dazu richtete er seine Argumentation an den Forderungen der beiden Tafeln des Dekalogs (Gebote 1–3, 4–10) aus und begann mit der Feststellung, dass das höchste und edelste Werk der Glaube an Christus sei. Gemessen an ihm relativieren sich die Qualitätsunterschiede, die es zwischen anderen menschlichen Werken geben mag, so dass es sinnlos wird, zwischen besseren oder weniger guten Werken zu unterscheiden und sie für das eigene Heilsstreben zu klassifizieren. Wenn menschliche Werke vor Gott angenehm sind, so führte Luther aus, dann nur, weil Gott sie um des Glaubens der Menschen willen akzeptiert und sie als gute Werke gelten lässt. Der Glaube also ist „der Werkmeister der Werke“.25 Mit der Schrift „Von guten Werken“ hatte sich Luther entschieden gegen die bisherige Werkfrömmigkeit gewandt und den Nutzen guter Werke in Frage gestellt. Ja, er hatte das Verhältnis von Rechtfertigung und Werken regelrecht umgedreht: Erst der von Gott dem Menschen geschenkte Glaube motiviert zum Tun von wirklich guten, uneigennützigen Werken. Dieser Tenor findet sich auch in der Schrift „De votis monasticis Martini Lutheri iudicium“.26 Auch wenn ihre Abfassung in eine spätere Zeit fällt, ist sie doch der theologischen Grundlegung der Wittenberger Reformation zuzurechnen. Denn sie schreitet zu den Wirkungen des zuvor konturierten Reformprogramms fort, nämlich zur Destruktion der Aufgliederung der Gesellschaft in Klerus und Laien, d.h. in einen höherwertigen geistlichen Stand und in einen weltlichen Stand. Die Abschaffung dieses hierarchischen Den25 26

WA 6, 275,22–24. Vgl. WA 8, 573–669. Eine Übersetzung findet sich in: zur Mühlen (Hg.), Martin Luther, Freiheit und Lebensgestaltung, 75–217.

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kens bedeutete zugleich die Aufwertung des weltlichen Standes als Ort der Verwirklichung eines Lebens in gottgewollten Bezügen und Verantwortlichkeiten. In der Schrift „De votis monasticis“ fand Luthers Eintreten für die „Freiheit eines Christenmenschen“ eine praktische Umsetzung. Luther verfasste sein Iudicium, als der Reichstag von Worms 1521 sowie die Exkommunikation und reichsrechtliche Ächtung schon hinter ihm lagen. Sein Aufenthalt auf der Wartburg, wo er sich als Junker Jörg vor Nachstellungen verborgen hielt, hatte bereits begonnen. Äußerer Anlass für die Abfassung der Schrift war eine Debatte, die im Herbst 1521 in Wittenberg von Andreas Bodenstein von Karlstadt und Philipp Melanchthon über die Verbindlichkeit der Gelübde von Pfarrgeistlichen und Mönchen bzw. Nonnen geführt worden war, ohne dass ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden konnte.27 Bei vielen, die ihre Klöster verlassen oder als Pfarrgeistliche in den Ehestand treten wollten, blieben Zweifel und Anfechtungen. Denn ewige Gelübde zu brechen, wurde nach wie vor als folgenreicher Schritt wahrgenommen. Dies veranlasste Luther zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dieser Problematik, in der er mehr als nur einen emanzipatorischen Akt sah. Schon in seinen knappen „Themata de votis“28 hatte er dargelegt, dass Gelübde als Ausdruck von Werkgerechtigkeit in Widerspruch zum Glauben rückten und keineswegs zeitlebens verbindlich seien. In seinem Iudicium „De votis monasticis“ führte er dies weiter aus.29 Gelübde – so urteilte Luther – sind gegen das Wort Gottes. Ihnen liege nämlich eine aus der mittelalterlichen Tradition stammende, nicht schriftgemäße Unterscheidung zwischen Geboten 27 28 29

Vgl. dazu u. S. 105–111. Vgl. WA 8, 323–335. Vgl. dazu Lohse, Mönchtum und Reformation, 356–370.

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einerseits und ethisch noch strengeren Räten (der Bergpredigt, Mt 5,1–7,29) andererseits zugrunde, die nur von wenigen, z.B. im Klosterleben, gehalten werden könnten. Die Gebote Gottes und deren Verschärfung in den sogenannten evangelischen Räten aber gelten nach Luther für alle Menschen gleichermaßen. Sie können von niemandem aus eigener Kraft erfüllt werden. Außerdem – so Luthers nächstes Argument – widersprächen Gelübde dem Glauben. Denn nur im Glauben gründe das Verhältnis des Menschen zu Gott, nicht etwa in selbstgewählten Aktionen und Frömmigkeitsübungen. Hinzu kommt weiter, dass Gelübde seiner Ansicht nach der evangelischen Freiheit entgegenstehen. Denn diese Freiheit hebt jeden gesetzlichen Zwang auf. Dies wiederum bedeutet, dass es nur freie und jederzeit auflösbare Gelübde geben könne. Darüber hinaus erkennt Luther in den Gelübden eine Verletzung der Gebote Gottes. Dies betrifft insbesondere das Liebesgebot, denn die durch Gelübde auferlegte Bindung nimmt den im Kloster Lebenden die Möglichkeit, ihren Verantwortlichkeiten für die ihnen in der Welt anvertrauten Menschen nachzukommen. In den Gelübden sieht Luther daher sogar einen eigenmächtigen Entzug aus gottgewollten, weltlichen Bindungen und damit eine Absage an Aufgaben und Verantwortlichkeiten, in die jeder Mensch hineingestellt sei. Letzten Endes – so schließt Luther – stünden Gelübde auch im Widerspruch zur Vernunft. Denn rational betrachtet, müssten unhaltbar gewordene Versprechen ihre Kraft verlieren, was besonders am Gelübde der Ehelosigkeit zutage trete. Luthers Kritik am Mönchtum und an den Klostergelübden zielte dennoch nicht auf eine grundsätzliche Aufhebung des Klosterwesens. Als freie Lebensform konnte es der Reformator durchaus dulden. Freiwillige Ehelosigkeit oder ein freiwilliges Leben in einer

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christlichen Kommunität waren nicht unbedingt abzulehnen, ebenso wenig wie ein Verlassen dieser Lebensform. Wichtig war lediglich, dass klösterliche Lebensformen nicht als privilegierte Wege zum Heil bzw. zu Gott angesehen wurden. 2. Evangelische Verkündigung: Bibelübersetzung – Predigt – Unterweisung Die Übersetzung der Heiligen Schrift ins Deutsche zählt zu den bedeutendsten Leistungen Martin Luthers.30 Sie entstand während seines Aufenthalts auf der Wartburg 1521/22, wo er sich dem Bibelstudium in den Ursprachen widmete. In rund elf Wochen stellte er die Übersetzung des griechischen Neuen Testaments fertig, das nach seinem Erscheinen im September 1522 „Septembertestament“ genannt wird. Zwar hatte es schon vor Luther Übersetzungen von Teilen oder auch der gesamten Bibel ins Deutsche gegeben, denen der kirchlich rezipierte Text der Vulgata zugrunde gelegen hatte. Aber meist waren sie sprachlich schwerfällig, manchmal sogar unverständlich, da man aus Sorge um den als inspiriert geltenden Wortlaut den Bibeltext ängstlich Wort für Wort ins Deutsche übertragen hatte. Luther dagegen orientierte sich in seiner Übersetzungsarbeit an dem theologischen Gehalt der Texte und berücksichtigte dabei auch hermeneutische Probleme. Dazu zog er die mit Anmerkungen versehene lateinische Übersetzung des Neuen Testaments durch Erasmus von Rotterdam heran,31 ebenso wie andere zeitgenössische lateinische Über30

Zur Geschichte von Luthers Bibelübersetzung vgl. vor allem die Einleitung zu der von Volz herausgegebenen Lutherbibel 1545: D. Martin Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch. ²1973, 33*– 142*; außerdem Volz, Martin Luthers deutsche Bibel, 20–22, 32– 34, 81f, 94–97, 111–113, 154–156, 193f, 203f, 234, 244. 31 Vgl. o. S. 43f.

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tragungen des Alten Testaments. Als Zielsprache für seine Übersetzung wählte er das sächsische Kanzleideutsch, an der man sich schon in der Kanzlei Kaiser Maximilians I. orientiert hatte. Durch die weite Verbreitung der Lutherbibel setzte sich dieser Dialekt überall als Normsprache durch. Luther arbeitete fortlaufend an der Bibelübersetzung weiter. Im Jahre 1534 lag die ganze Bibel in Deutsch vor. Von dieser Vollbibel wurden in den folgenden Jahren immer wieder revidierte Ausgaben veranstaltet. Die letzte, noch vor Luthers Tod erschienene war jene von 1545, deren Text bis in die Zeit der neueren Bibelrevisionen hinein galt. In engem Zusammenhang mit Studium, Kommentar und Übersetzung der Bibel stand Luthers Anliegen, ihre Inhalte angemessen und verständlich zu vermitteln. Und so fand sein Bemühen um einen guten, verständlichen Text und um die rechte Auslegung eine Ergänzung in seinem Wirken als Prediger, Seelsorger und Lehrer. Seit 1514 stand Luther regelmäßig in der Wittenberger Pfarrkirche auf der Kanzel. Hinzu kamen Predigten vor seinen Hausgenossen und außerhalb. Auch während seines Exils auf der Wartburg widmete sich Luther der evangelischen Verkündigung, indem er – auf Anregung seines Landesherrn, Friedrichs des Weisen – eine Sammlung von exemplarischen Predigten erstellte, die den Pfarrern als Anleitung dienen konnte. Das war der Beginn eines umfangreichen Postillenwerks.32 Im Jahre 1522 lag ein erstes Sammelwerk mit Musterpredigten, die „Kirchenpostille“, auch „Wartburgpostille“ genannt, vor. Die Postille sollte in das Evangelium einführen und 32

Die Bezeichnung „Postille“ ist abgeleitet von den lateinischen Worten „post illa verba“ (nach jenen Worten …). Die in einer „Postille“ gesammelten Predigten waren also Musterpredigten.

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den reformatorisch gesinnten Predigern helfen, die bisherige Art der Predigt als Heiligenlegende oder Moralpredigt zu überwinden sowie eine neue Form und neue Inhalte einzuüben. In Luthers Predigten spiegeln sich aber auch aktuelle Probleme und Anlässe. Nicht nur hier, sondern nahezu in seinem gesamten Schrifttum zeigt sich daher ein starkes seelsorgerliches Interesse. Luther war überzeugt von der regelrecht sakramentalen Kraft des Wortes. In Bibelübersetzung und Predigt, in Briefen und zahlreichen (Gelegenheits-)Schriften, erwies er sich nicht nur als Meister der Sprache, sondern auch als einfühlsamer Seelsorger und als engagierter Mahner. Neben Bibelübersetzung und Predigt, neben Seelsorge in Schriften und Briefen kam der Unterweisung in der neuen, reformatorischen Lehre als Pfeiler der evangelischen Verkündigung eine bedeutende Rolle zu. Dem dienten die im Jahre 1529 erschienenen beiden Katechismen Luthers: der Große Katechismus, der sich an Pfarrer, Prediger und Hausväter wandte, und der Kleine Katechismus für die Unterweisung der Kinder. Vorangegangen waren zahlreiche Katechismuspredigten und kleinere katechetische Arbeiten Luthers, die er im Jahre 1520 in der Schrift „Eine kurze Form der Zehn Gebote, eine kurze Form des Glaubens, eine kurze Form des Vaterunsers“33 gebündelt hatte. Luther hatte hier die Fülle des im Mittelalter gelehrten Stoffes drastisch reduziert und den Inhalt der Heiligen Schrift auf drei Hauptstücke – Dekalog, Credo, Paternoster – zurückgeführt. In dieser Reihung sah Luther zudem die evangelische Heilsordnung repräsentiert: „Denn drei Dinge sind für einen Menschen notwendig zu wissen, damit er selig werden möge: Das erste, dass er wisse, was er tun und lassen soll [d.h. auf der Grundlage der Gebote]. Zum 33

Vgl. WA 7, 204–229.

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andern, wenn er nun sieht, dass er es nicht tun noch lassen kann aus seinen [eigenen] Kräften, dass er wisse, wo er‘s nehmen und suchen und finden soll [d.h. in den Glaubensaussagen des Credo], damit er dasselbe tun und lassen möge. Zum dritten, dass er wisse, wie er es suchen und holen soll [d.h. im Gebet]“.34 An der evangelischen Heilsordnung richtete Luther auch seine Auslegung des Glaubensbekenntnisses aus, die er nicht mehr, wie traditionell üblich, in 12 Artikel aufgliederte, sondern an Gottes Handeln in den drei Personen der Trinität orientierte. Die „Kurze Form“ wurde wegweisend und übte auch jenseits der Reichsgrenzen Einfluss auf das Entstehen katechetischer Arbeiten aus. Dass Luther sich dazu entschloss, selbst einen Katechismus zu erstellen, nachdem er zuvor andere damit beauftragt hatte, hängt mit den Erfahrungen der kursächsischen Visitation von 1528 zusammen. Diese hatte nämlich die desolaten Verhältnisse in den jungen reformatorischen Gemeinden vor Augen geführt. So kam kurz nach dem Erscheinen des von Melanchthon abgefassten „Unterrichts der Visitatoren“35 (1528) Luthers Großer Katechismus gedruckt an die Öffentlichkeit. Diesem umfangreichen Werk stellte er mit dem Kleinen Katechismus eine Kurzfassung zur Seite. Dem Katechismus kam eine zentrale Bedeutung zu. Denn er sollte nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch als hermeneutischer Schlüssel für die gesamte Heilige Schrift dienen, deren Aussagen er in knappster Form vermittelte. Die ihm beigeordneten Tauf- und Traubüchlein sowie die Haustafel gaben Richtlinien für das Leben in Kirche und Familie.36 34 35 36

WA 7, 204,13–18. Vgl. CR 26, 29–95. Vgl. zum Katechismus insgesamt Peters, Kommentar zu Luthers Katechismen, 5 Bde, bes. Bd. 1, 17–29.

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II. Philipp Melanchthon als Wittenberger Professor und theologischer Lehrer Als Philipp Melanchthon im Jahre 1518 nach Wittenberg kam, steckte die Reformation noch in ihren Anfängen. Aber Melanchthons Aktivitäten an der Seite Luthers und in der Universität verschaffte ihr erhebliche Breitenwirkung.37 Philipp Schwarzerdt wurde am 16. Februar 1497 in Bretten im Kraichgau geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters besuchte er die Lateinschule in Pforzheim und lebte dort bei der Schwester des Humanisten Johannes Reuchlin.38 Dieser war es, der den Namen „Schwarzerdt“, in Anerkennung der sprachlichen Fähigkeiten des jungen Philipp, zu „Melanchthon“ gräzisierte. Schon nach knapp einem Jahr konnte Melanchthon an die Universität Heidelberg gehen. Am 10. Juni 1511 erwarb er den Grad des „baccalaureus artium“, den ersten akademischen Grad im Studium der „artes liberales“, d.h. der in Trivium (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) aufgeteilten sieben freien Künste. Im Jahre 1512 ging Melanchthon nach Tübingen, um dort sein Studium fortzusetzen und mit dem „magister artium“ zu beenden. Zugleich hatte er auch schon theologische Vorlesungen gehört. Besonderes Interesse aber entwickelte er für die durch den Humanismus neu aufgebrachten Perspektiven. Dazu gehörten mathematisch-naturwissenschaftliche Fragen, die humanistische Dialektik, 37 Vgl. dazu insgesamt Scheible, Melanchthon, 1997; Greschat, Melanchthon, 2010. 38 Eine Blutsverwandtschaft Philipp Melanchthons mit dem berühmten Reuchlin bestand übrigens nicht. Er war nicht sein Großonkel, wie man in der Literatur oft lesen kann, sondern Melanchthons Großeltern waren mit der Schwester Reuchlins, Elisabeth, verschwägert. Vgl. Scheible, Melanchthon, 16.

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das Interesse für die antiken Autoren, die Kenntnis der alten Sprachen Griechisch, Latein und Hebräisch. Melanchthons Präferenz lag auf dem Griechischen. Er zählte zu den besten Gräzisten im deutschen Sprachraum. Als er im Jahre 1518 als Professor für Griechisch nach Wittenberg berufen wurde, war er erst 21 Jahre alt. Am 28. August 1518 hielt Melanchthon seine Antrittsvorlesung an der Leucorea, in der er ein Studienreformprogramm vorlegte. Dazu gehörte u.a., dass er dem überkommenen Fächerkanon der Artes die Beschäftigung mit Poesie und Geschichte hinzufügte. Außerdem betonte er die Bedeutung der Mathematik und die Notwendigkeit des Studiums der alten Sprachen. Denn Sprachenkenntnis bildete die unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der historischen Quellen. In seiner Antrittsrede brachte er die Bedeutung des historischen Denkens und der Fähigkeit, die eigene Gegenwart aus der Geschichte heraus zu verstehen, deutlich zum Ausdruck. Auch er selbst beschäftigte sich intensiv mit der Historie. Als Professor in der Artes-Fakultät studierte Melanchthon – wie damals üblich – in den oberen Fakultäten39 weiter und wählte – wie schon in seiner Tübinger Zeit – die Theologie. Er wurde Schüler Luthers. Am 19. September 1519 erwarb Melanchthon mit dem „baccalaureus biblicus“ den ersten theologischen Grad. Das bedeutete, dass er nun auch mit Vorlesungen über Bücher der Heiligen Schrift begann. Bereits bei seiner Baccalaureatsprüfung aber hatte Melanchthon Thesen vertreten, die nicht mehr in die alte, traditionelle Welt der Theologie hineinpassten. Seine Thesen wurden sogar als regelrecht revolutionär empfunden. Er hatte nämlich gegen die traditionelle päpstliche Autorität die unmittelbare Autorität der Heiligen 39

Theologie – Jurisprudenz – Medizin.

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Schrift gestellt. Nicht der Papst sei die oberste Richtschnur, nicht er setze Normen für Glauben und Lehre, sondern allein die Bibel. Nur sie könne als oberste Richtschnur Geltung beanspruchen. Außerdem hatte Melanchthon die Transsubstantiationslehre angezweifelt. Für ihn war klar, dass im Abendmahl Christus in Gottheit und Menschheit wirklich anwesend sei und sein Leib und Blut mit Brot und Wein ausgeteilt werden. Eine Wandlung der Elemente in Leib und Blut ließ sich seiner Ansicht nach nicht aus der Heiligen Schrift ableiten. Später, seit dem Regensburger Religionsgespräch von 1541, betonte er zusätzlich den stiftungsgemäßen Vollzug des Abendmahls. „Extra usum“, d.h. außerhalb des stiftungsgemäßen Vollzugs, könne es keine Gegenwart Christi im Abendmahl geben.40 Diese Abwendung von der traditionellen Theologie hatte Folgen für Melanchthons weitere theologische Arbeit an der Universität. Normalerweise wäre der nächste zu erwerbende akademische Grad derjenige des „sententiarius“ gewesen, der dazu befähigte, Vorlesungen über die Sentenzen des Petrus Lombardus, das damalige Standardlehrbuch der scholastischen Dogmatik, zu halten. Melanchthon aber sah in den Sentenzen nur theologische Wahrheit aus zweiter Hand. Er wandte sich stattdessen den biblischen Schriften zu. Während sich Luther nach dem Wormser Reichstag von 1521 auf der Wartburg verbarg, hielt Melanchthon in Vertretung für den Freund und Kollegen exegetische Vorlesungen in Wittenberg. Seit 1519 vertrat er außerdem den vakanten Lehrstuhl für Hebräisch und nahm seine Professur für Griechisch an der Artistenfakultät wahr. Den theologischen Doktorgrad, der damals noch ganz vom vorreformatorischen 40

Zu Melanchthons Abendmahlsverständnis vgl. Dingel, Creation of Theological Profiles, 263–281.

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Denken und mittelalterlichen Universitätssystem geprägt war, erwarb Melanchthon nicht mehr. Daher bekleidete er auch kein festes Amt an der Theologischen Fakultät der Leucorea. Aber er führte immerhin den höchsten Grad der Artistenfakultät, den „Magister“. Dennoch versah Melanchthon auch in der Theologischen Fakultät eine reiche Lehrtätigkeit. Zweimal war er Rektor der Universität (1523/24 und 1538), zweimal Dekan der Artistenfakultät (1535/36 und 1546–48). Zudem wirkte er entscheidend an der Neuordnung der Universität sowie des Promotionswesens mit und übte damit weit über die Grenzen Wittenbergs hinaus Einfluss aus. Überhaupt sah man in ihm einen theologisch und politisch versierten Ansprechpartner und Berater in allen mit der Reformation zusammenhängenden Fragen. Außerdem genoss er internationalen Ruf. König Heinrich VIII. von England und König Franz I. von Frankreich versuchten beide – vergeblich –, ihn in ihr Land zu holen, um ihm die Reform der Kirche anzuvertrauen. Melanchthons Zugang zur Heiligen Schrift und die Entwicklung seiner reformatorischen Theologie ergab sich – ähnlich wie bei Luther – über die Lektüre des Römerbriefs. Davon ausgehend entwickelte er ein System der christlichen Lehre, das sich an den Hauptthemen Gesetz – Sünde – Gnade orientierte. Am Gesetz, d.h. an den Forderungen Gottes, erkenne der Mensch, dass er den Erwartungen Gottes aus eigener Kraft nicht entsprechen könne und ein Sünder sei. Darauf hatte die mittelalterliche Kirche mit ihrem Heilsangebot reagiert und über das Verrichten guter Werke und die Sakramente den Weg zur göttlichen Vergebung gewiesen. Melanchthon dagegen betonte das Unvermögen des Menschen, aus eigener Kraft wirklich Gutes zum Ausgleich der Schuld vollbringen

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zu können. Darin, dass Gott den Menschen ihre Schuld nicht anrechne, sondern sie als gerecht gelten lasse, zeige sich das gnadenhafte Handeln Gottes. Diese Gnade bzw. das gnädige Handeln Gottes in seinem Sohn Jesus Christus werde im – gottgewirkten – Glauben angeeignet. Diese in den Leitbegriffen Gesetz – Sünde – Gnade zusammengefasste Theologie wurde die Grundlage für die von Melanchthon 1521 veröffentlichten und nach entsprechenden Hauptabschnitten gegliederten „Loci communes“.41 In den folgenden Jahren überarbeitete Melanchthon seine „Loci“ kontinuierlich. Schon für den ersten Nachdruck 1522 veränderte er sie, jedoch zunächst nur geringfügig. 1535 erschien eine völlige Neubearbeitung (secunda aetas) und 1543 eine weitere grundlegende Bearbeitung der „Loci“ (tertia aetas). Bis zu ihrer Endgestalt 155942 nahm Melanchthon immer wieder weitere Verbesserungen vor. Die ersten beiden Fassungen (1521 und 1522, prima aetas) wurden von Georg Spalatin (1484–1545) und Justus Jonas ins Deutsche übersetzt. 1553 aber erstellte Melanchthon selbst eine deutsche Fassung und widmete sie Anna Camerarius, der Frau seines Freundes Joachim Camerarius.43 Die „Loci communes“ bzw. „Loci theologici“ entwickelten sich zu dem dogmatischen Lehrbuch der Wittenberger Reformation schlechthin. Selbst Luther lobte und empfahl sie. Nicht nur Melanchthon selbst legte sie seinen Vorlesungen zugrunde, sondern auch seine Schüler. Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Methodik waren die „Loci“ richtungweisend. Die gesamte zweite Reformatorengeneration, die überwiegend aus Schülern Melanchthons bestand, wandte diese Me41 Vgl. Melanchthon, Loci communes 1521, lat. und dt., Gütersloh ²1997. 42 Zusammen mit den Loci von 1521, ediert in: MWA II/1–2, ²1978–²1980. 43 Vgl. Melanchthon, Heubtartikel Christlicher Lere (1553), 2002.

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thodik in ihrer wissenschaftlichen Arbeit an, selbst wenn sie langfristig theologisch getrennte Wege gingen. 1. Der Universalgelehrte und sein wissenschaftliches Werk Das theologische Werk Melanchthons ist beachtlich. Nicht nur die wirkmächtigen „Loci communes“ bzw. „Loci theologici“ zählen dazu, sondern auch zahlreiche Kommentare zu neutestamentlichen Schriften und Briefen. Aus dem Alten Testament behandelte Melanchthon allerdings nur die Psalmen, die Sprüche Salomons, den Prediger und Daniel. Erhalten sind außerdem Auslegungen der Sonntagsperikopen auf Lateinisch, die Melanchthon für die vielen ausländischen Studenten in Wittenberg, die des Deutschen nicht mächtig waren, erstellte. Sie wurden mitgeschrieben und in den sogenannten Postillen Melanchthons zusammengefasst.44 Unmittelbaren Einfluss auf das religiöse Leben der Gemeinden gewann Melanchthon durch seine Visitationstätigkeit. Umgekehrt schärften die hier gesammelten Erfahrungen sein Profil als Theologe der Wittenberger Reformation. Obrigkeitlich angeordnet, wurden Visitationen meist von Kommissionen, bestehend aus Theologen und Juristen, durchgeführt. Sie sollten dafür sorgen, dass reformatorische Lehre und ein daran orientiertes Leben in den Gemeinden umfassend gewährleistet waren. Der von Melanchthon zu diesem Zweck verfasste „Unterricht der Visitatoren“ (1528) wurde zu einem wichtigen Dokument für diese Aufeinanderzuordnung von Lehre und Leben.45 Auch mit 44 45

Vgl. Wengert, The Biblical Commentaries, 43–76. Vgl. dazu Michel, Unterricht der Vistatoren, 153–167, und u. S. 199–201.

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seinem „Examen Ordinandorum“, das er der Mecklenburger Kirchenordnung von 1552 beigab, übte er einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung des jungen reformatorischen Kirchenwesens aus, der weit über regionale Grenzen hinausreichte. Hinzu kommen die von Melanchthon verfassten Bekenntnisse, mit denen er die Wittenberger Reformation nachhaltig prägte und im gesellschaftlichen und politischen Raum verankerte. Dazu gehören die Confessio Augustana von 1530, die er im Zusammenhang der Konsensverhandlungen mit den Oberdeutschen und anstehenden Religionsgesprächen kontinuierlich überarbeitete;46 außerdem die Apologie der Confessio Augustana, mit der Melanchthon das Augsburger Bekenntnis gegen den katholischen Einspruch in der Confutatio Johannes Ecks verteidigte, und verschiedene weitere Konsensformulierungen und Bekenntnistexte, wie die mit Martin Bucer ausgehandelte Wittenberger Konkordie (1536) oder die für die beabsichtigte Teilnahme der Evangelischen am Konzil von Trient erstellte Confessio Saxonica (1551). Im Jahre 1560 brachte der Leipziger Buchdruckers Ernst Vögelin (1529–1589) aus eigener Initiative Schriften Melanchthons heraus, um deren Zusammenstellung er den Wittenberger selbst gebeten hatte. Auf diese Weise entstand ein „Corpus Doctrinae“ in deutscher und lateinischer Fassung, das – in einer Zeit größter innerprotestantischer Zerrissenheit47 – auf theologi-

46

Man unterscheidet drei große Überarbeitungsstufen: die prima variata 1533, die secunda variata 1540, die vor allem durch ihren überarbeiteten Abendmahlsartikel (Art. X) charakterisiert ist, und die tertia variata 1542. Diese Fassungen sind ediert in: BSELK QuM I, 108–118, 119–167, 168–218. 47 Nach dem Augsburger Interim (1548) und dem Leipziger Landtagsentwurf, der als Alternative zum kaiserlichen Augsburger Interim gedacht war, brachen zahlreiche Streitigkeiten innerhalb der Anhänger der Confessio Augustana auf, die zu theologischen

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schen Ausgleich und Einheitlichkeit in Bekenntnis und Lehre zielte. Dieses „Corpus Doctrinae Philippicum“ war beispielgebend in Anlage und Inhalt, erreichte aber, trotz weitreichender Rezeption, langfristig dieses Ziel nicht. Melanchthon selbst aber hat sich nie ausschließlich als Philologe und Theologe verstanden. Seine Interessen waren Zeit seines Lebens breit gestreut. Dies spiegelt sich in der Bandbreite der von ihm abgefassten und publizierten Schriften. Im Jahre 1516 brachte er eine Textausgabe des lateinischen Komödiendichters Terenz heraus, die er mit einer Einleitung versehen hatte. Ebenfalls noch in Tübingen erstellte er im Frühjahr 1518 eine griechische Grammatik. In die Wittenberger Zeit fallen Lehrbücher der Rhetorik und Dialektik, die Melanchthon immer wieder überarbeitete (Endgestalt der Rhetorik 1531; der Dialektik 1547). 1521 folgten die „Loci communes“, mit ihren grundlegenden Überarbeitungen und Revisionen. Außerdem verfasste Melanchthon eine philosophische Ethik. Im Hintergrund dafür standen Vorlesungen und Kommentare, die er zu ethischen und politischen Schriften des Aristoteles und Ciceros in den Jahren 1529–1532 gehalten und publiziert hatte, so dass im Jahre 1538 sein eigenes System der Ethik erscheinen konnte, 1550 dann in verbesserter Endgestalt. Auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften war Melanchthon aktiv. Sein Ziel war, seinen Studenten ein Verständnis von den Zusammenhängen der Natur, vom Menschen und den Gestirnen zu vermitteln. Diese Vorstellungen blieben aber vorerst noch von der griechischen Antike bestimmt. 1540 erschien seine Schrift „De anima“, eine Lehre vom Menschen (1553 Klärungen und konfessionellen Abgrenzungen führten. Vgl. dazu Dingel, Historische Einleitung, in: Controversia et Confessio 1, 3–34.

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in endgültiger Gestalt). Im Jahre 1549 brachte er seine Physik heraus, die auch die Astronomie mit behandelte und eine knappe Stellungnahme zum kopernikanischen Weltbild enthielt. Dieses wurde übrigens von Melanchthon, ebenso wie von den meisten seiner Zeitgenossen, abgelehnt, auch wenn er durchaus Hochachtung vor den Messdaten des Kopernikus (1473–1543) hatte. Die beiden Wittenberger Mathematiker Erasmus Reinhold (1511–1553) und Georg Joachim Rheticus (1514–1574) dagegen waren bedeutende Kopernikaner. Dass Melanchthon astronomische Studien betrieb, passte bestens zu seiner Griechischprofessur. Denn die Schriften des aus der klassischen Antike stammenden Astronomen Ptolemaeos waren auf Griechisch verfasst, und Melanchthon übersetzte einige seiner Texte ins Lateinische. Auch mit Astrologie beschäftigte er sich. Sie galt ihm ebenso wie die Astronomie als Wissenschaft, und er betrachtete die Sterne als Zeichenträger göttlicher Vorsehung, deren Konstellationen Rückschlüsse auf das Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen erlaubten. Wie vielseitig und kenntnisreich Melanchthon war, zeigt sich nicht zuletzt in seinen historiographischen Werken. Auf ihn geht das „Chronicon Carionis“ zurück: eine Weltgeschichte, die allerdings den Namen des Berliner Hofastrologen und ehemaligen Tübinger Kommilitonen Melanchthons, Johann Carion (1499–1537), trägt.48 Carion hatte Melanchthon im Jahre 1531 ein Rohmanuskript einer deutschen Chronik zugesandt, das der Wittenberger überarbeitete. Ab 1555 hielt Melanchthon in Wittenberg Vorlesungen über Weltgeschichte, aus denen unter Mitarbeit von Caspar Peucer (1525–1602) ein Buch entstand, das ebenfalls unter dem Namen des damals schon lange verstorbenen

48

Vgl. Prietz, Mittelalter im Dienst der Reformation, 29–198.

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Carion erschien. Nicht selten verfasste Melanchthon auch Gutachten, Reden oder Vorlesungsmanuskripte für Kollegen und Schüler. Der Einfluss dieses Universalgelehrten erreichte ganz Europa. 2. Der Theologe und Reformator In vielen theologischen Fragen stand Melanchthon an der Seite Luthers. Melanchthon sagte selber, dass er von Luther das Evangelium gelernt habe, auch wenn er sich langfristig zu einem von Luther unabhängigen Theologen entwickelte, der z.B. im Blick auf den dritten Gebrauch des Gesetzes, in der Frage nach der Kraft des menschlichen Willens in der Gottesbeziehung des Menschen49 und in der Abendmahlslehre50 eigene Wege ging. In dem aber, was das Zentrum der Reformation ausmachte, in der Rechtfertigungslehre, war er – anders als dies frühere Forschergenerationen meinten – durchaus mit Luther einig.51 Melanchthon betonte, dass der Mensch vor Gott, dem gerechten Richter, in dessen Sohn Jesus Christus einen zuverlässigen Anwalt finde. Es ist die Gerechtigkeit des Gottessohns, die den Menschen von Gott angerechnet werde, so dass sie selbst, die aus eigenen Kräften nichts zu ihrer Rechtfertigung beitragen können, auch nichts beizutragen brauchen. Diese Anrechnung der Gerechtigkeit Gottes vollziehe sich im Glauben. Im Zuge der Visitationen der jungen reformatorischen Gemeinden bemerkte Melanchthon al-

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Vgl. dazu Kolb, Bound Choice, 70–102. Vgl. dazu Dingel, Creation of Theological Profiles, 263–281. Die wissenschaftliche Literatur hat bereits überzeugend nachgewiesen, dass man Luther und Melanchthon keineswegs in Vertreter einer effektiven (Luther) und einer imputativen (Melanchthon) Rechtfertigungslehre auseinanderdividieren kann. Vgl. Flogaus, Luther versus Melanchthon?, 6–46. 50 51

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lerdings, dass die reformatorische Predigt von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden und nicht aufgrund des Tuns guter Werke durchaus auch zu sittlicher Verwahrlosung führen konnte. Er betonte deshalb, dass die Predigt des Evangeliums nicht nur eine Verkündigung der Vergebung sein dürfe, sondern auch immer den Ruf zur Buße, zur Selbstbesinnung, zum Erschrecken angesichts der Forderungen des göttlichen Gesetzes beinhalten müsse. Nicht nur durch die Zusage der Vergebung, sondern auch durch diesen Bußruf wirke der Heilige Geist. Die Dichotomie von Gesetz und Evangelium, die aber im Rechtfertigungsprozess zusammenwirken, findet sich sowohl bei Luther als auch bei Melanchthon. Deutlicher aber als sein Freund und Kollege betonte Melanchthon neben dem „usus politicus“, dem weltlichen Gebrauch des Gesetzes (primus usus legis), und dem „usus theologicus“, der dem Menschen angesichts des göttlichen Gesetzes seine Sünde vor Augen führt (secundus usus legis), einen dritten Brauch des Gesetzes (tertius usus legis), der dem Gesetz eine Orientierungsfunktion für das Leben des Gerechtfertigten zuschreibt (usus paedagogicus/didacticus). Eine deutliche Weiterentwicklung der reformatorischen Theologie zeigt sich überdies in Melanchthons Lehre vom menschlichen Willen. In seinen „Loci communes“ von 1521 hatte er noch die Lehre Luthers vom unfreien Willen, der aus sich heraus nichts Gutes hervorbringen könne, vertreten. Auch in der Kontroverse Luthers mit Erasmus hatte Melanchthon – anders als die alte Forschung lange behauptete – noch auf der Seite des Wittenbergers gestanden.52 Dies än52

Noch in Melanchthons Kolosserbriefkommentar von 1527 findet man Kritik an Erasmus, dem Melanchthon, ganz auf Seiten Luthers, damals entgegentrat. Vgl. Wengert, Human Freedom, Christian Righteousness, 67–109.

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derte sich allerdings in den dreißiger Jahren. Schon in der zweiten Auflage der „Loci communes“ von 1535 hatte Melanchthon seine Position weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund seines ethisch motivierten Anliegens, die Verantwortlichkeit des Menschen für sein eigenes Handeln festzuhalten, führte er aus, dass dem menschlichen Willen eine Entscheidungsfähigkeit bleibe, mit der er auf Affekte, die an ihn herangetragen werden, reagieren könne. Dies brachte ihn zu der Lehre von den „tres causae conversionis“ / „tres causae concurrentes“, die besagt, dass bei der Bekehrung des Menschen drei Wirkkräfte zusammenkommen: das Wort Gottes (verbum Dei), der Heilige Geist (spiritus sanctus) und der menschliche Wille (humana voluntas). Der Wille des Menschen, der das Wort Gottes hört und in dem der Heilige Geist wirkt, könne sich zustimmend verhalten.53 Aber auch diese „synergistische“ Position (gr. synergia = gemeinsame Tätigkeit) war kein Bekenntnis zur Willensfreiheit des Menschen. Vielmehr hielt Melanchthon Zeit seines Lebens daran fest, dass der menschliche Wille aus eigenem Antrieb nichts tun könne und in seinem Verhältnis zu Gott nichts Gutes hervorzubringen vermöge. Auf diese Weise konnte Melanchthon sowohl die Eigenverantwortlichkeit des Menschen als auch die Verderbnis der menschlichen Natur durch die Erbsünde, ebenso wie die Rechtfertigung „sola fide“ lehren. Denn weder das zustimmende noch das sich entziehende Verhalten des Willens geschieht – nach Melanchthon – aus eigenem, freiem Impuls heraus. Ihm kommt daher auch keine Verdienstlichkeit zu. Es lag in der Konsequenz dessen, dass Melanchthon keine Prädestinationslehre entwickelte. Der „Synergismus“ jedoch bot Zündstoff für theologische Diskussionen, die im An-

53

Vgl. Melanchthon, Loci 1559, in: MWA II/1, 270,19–271,1.

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Die Reformation in Wittenberg

schluss an das Augsburger Interim und den Leipziger Alternativentwurf von 1548, an dem Melanchthon mitgearbeitet hatte, in großer Heftigkeit geführt wurden.54 Auch die Abendmahlslehre Melanchthons ist durch Konsens mit Luther und dem Wittenberger Reformatorennetzwerk einerseits wie auch durch eigenständige Weiterentwicklung andererseits gekennzeichnet. Sowohl Luther als auch Melanchthon lehnten die Transsubstantiationslehre ab. Wie Luther betonte Melanchthon die reale Anwesenheit Christi im Vollzug des Sakraments. Die symbolische Auffassung, wie sie Zwingli (1484–1531) vertrat, wenn er lehrte, dass Brot und Wein Zeichen des Leibes und Blutes Christi seien,55 teilte Melanchthon nicht. Allerdings war er in der Formulierung des Realpräsenzgedankens zurückhaltender und konsensbereiter als Luther. Dies wurde vor allem in den Verhandlungen mit Bucer und den Oberdeutschen deutlich, die zur Wittenberger Konkordie von 1536 führten. Hier und auf dem Religionsgespräch von Regensburg 1541 hielt Melanchthon fest, dass der ganze Christus, nicht nur seiner Gottheit nach, sondern auch in seiner Menschheit (Leib und Blut) mit (cum) Brot und Wein, im Vollzug (in usu) des Sakraments wahrhaft anwesend sei.56 Eine die Auslegung der Einsetzungsworte flankierende, zusätzliche christologische Begründung entfaltete er – anders als Luther – nicht. Beide wandten sich übereinstimmend unter Rückgriff auf die Bibel gegen den Kelchentzug. Dass alle Abendmahlsteilnehmer auch den Kelch erhalten sollten, ergab sich für sie aus der Heiligen Schrift, die besagte, dass Jesus all seinen Jüngern im letzten Abendmahl Brot und Wein reichte. 54 55 56

Vgl. dazu Controversia et Confessio 5, 2018. Vgl. u. S. 116–118. Vgl. dazu u. S. 217–220.

II. Philipp Melanchthon als Wittenberger Professor

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Erst in der späteren Weiterentwicklung von Melanchthons Abendmahlstheologie durch einen Teil seiner Schüler ergaben sich im Zuge der innerprotestantischen Streitigkeiten der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts tiefgreifende Differenzen mit dem sich konsolidierenden Luthertum. Denn nun wurde deutlicher noch als zu Lebzeiten Luthers die Frage der Omnipräsenz nicht nur der göttlichen, sondern auch der menschlichen Natur Christi diskutiert und mit dem Abendmahlsverständnis in Verbindung gebracht. Das war eine Lehrentwicklung, die Melanchthon und ein Teil seiner Schüler nicht mitvollzogen. Selbst wenn Melanchthon schon früh zu eigenen, von Luther unabhängigen theologischen Lösungen kam, die sich in der kontinuierlichen Fortschreibung der Confessio Augustana und in den Überarbeitungen seiner „Loci theologici“ niederschlugen, führte dies zunächst nicht zu einem Abgrenzungsprozess innerhalb des Wittenberger Reformatorennetzwerks. Vielmehr konnte man noch die Vielfalt theologischer Ansätze dulden und integrieren. Erst nach dem Tod Martin Luthers (1546), nach dem Erlass des Augsburger Interims (1548) und in den durch den Leipziger Alternativentwurf, das sog. Leipziger Interim, ausgelösten innerprotestantischen Debatten trat deutlich hervor, dass die beiden großen Wittenberger Reformatoren unterschiedliche Profile entwickelt hatten, die man nun unerbittlich gegeneinander abgrenzte. Die oft damit einhergehende Diskreditierung Melanchthons hat das Bild dieses Theologen und vielseitigen Gelehrten zu Unrecht bis heute geprägt. Sein unermüdlicher Einsatz für Ausgleich und Verständigung wurde – in positiver aber auch negativer Weise – als theologische Kompromissbereitschaft oder kompromisslerisches Verhalten ausgelegt. Dabei stand Melanchthon – wie alle seine Zeitgenossen – fest zu seinen

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Die Reformation in Wittenberg

theologischen Überzeugungen, die sich an der reformatorischen Rechtfertigungslehre als unaufgebbares Grundprinzip orientierten.

Die Reformation in Zürich

An der Stadt Zürich, die sich – neben Wittenberg – schnell zu einem frühen Zentrum der Reformation in der Schweiz entwickelte, wird exemplarisch deutlich, wie die Etablierung der Reformation in städtischen Strukturen verlief. Zürich wurde, als Zwingli im Jahre 1519 in der Stadt eintraf, durch zwei Räte regiert. Deren Zusammensetzung ergab sich aus dem Einfluss der zwölf Zünfte und der gehobenen Gesellschaft, der sogenannten Konstaffel.1 Das waren die Patrizier der Stadt, reiche Kaufleute, vornehme Gewerbetreibende und alteingesessene Handwerksgeschlechter. Der Kleine Rat bestand aus 24 gewählten Mitgliedern. Ihnen fielen die Einzelentscheidungen in der Regierungsverantwortung zu. Politisch einflussreicher aber war der Große Rat, der „Rat der 200“. Er bestand aus dem Kleinen Rat und weiteren gewählten Bürgern der Stadt. Hier fielen alle grundsätzlichen und wichtigen Entscheidungen. Die beiden Räte, Bürgermeister und bevollmächtigte Ausschüsse konnten Bürger der Stadt – vornehmlich Mitglieder der Obrigkeit oder auch einen Geistlichen – mit Regierungsaufträgen versehen, die innen- oder außenpolitische Fragen betrafen. Diese Praxis, Verordnungen zu erlassen, wurde für die Durchführung der Reformation ausschlaggebend. Zwingli und die anderen Prediger der Stadt wurden z.B. dann an Verordnungen beteiligt, wenn sie für die jeweils anstehenden Fragen als Experten wichtig waren. Dies betraf u.a. die Religionspolitik der Stadt. 1

Vgl. Illi, Konstaffel, www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10249.php [10.5.2014].

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Die Reformation in Zürich

Dabei griffen kirchlich-religiöse, politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren ineinander. Denn das politische Gemeinwesen, auch das städtische, verstand sich zugleich als Corpus Christianum, als christliche Gemeinde. In Zürich wurde der entscheidende Beschluss, die Evangeliumspredigt zuzulassen und somit die Reformation einzuführen, vom Großen Rat gefasst. Voraufgegangen war eine ebenfalls vom Rat veranstaltete, öffentliche Disputation, deren Ausgang zugunsten Zwinglis diese Entscheidung legitimierte.2

I. Huldrych Zwinglis Weg zur Reformation Huldrych Zwingli wurde am 1. Januar 1484 in Wildhaus in der Landschaft Toggenburg in der Ostschweiz geboren.3 Er war das dritte Kind des Bergbauern und angesehenen Gemeindeammans Ulrich Zwingli und seiner Frau Margarete Bruggmann. Zwar stammte er aus bäuerlichen Kreisen, aber sein Vater nahm als Oberhaupt seines Gemeindedistrikts eine gehobene Stellung ein. Zwingli erhielt den Namen Ulrich. Diesen Taufnamen deutete er später – etymologisch unzutreffend – im Sinne des Adjektivs „huldreich“ und schrieb ihn entsprechend „Huldrych“. Im Jahre 1494 besuchte er in Basel die Lateinschule und wechselte 1496/97 auf die Schule in Bern. Wenig später, im Jahre 1498, nahm er an der Universität Wien das Studium der Artes auf. Im Frühjahr 1502 ging er nach Basel, um an der dortigen Universität zwei Jahre später den Grad des „baccalaureus artium“ und 1506 den des „magister artium“ zu erwerben. Anschließend 2

Vgl. Rogge, Anfänge der Reformation, 267–269. Zu Zwinglis biographischem und theologischem Werdegang vgl. Locher, Huldrych Zwingli in neuer Sicht, 1969; ders., Zwingli und die schweizerische Reformation, 1982; Gäbler, Huldrych Zwingli, 32004. 3

I. Huldrych Zwinglis Weg zur Reformation

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begann er mit dem Studium der Theologie. Bald darauf wurde er als Pfarrer nach Glarus berufen. Im September 1506 erfolgte seine Priesterweihe im Konstanzer Münster. In Glarus amtierte er bis 1516. Während dieser Zeit zog er zweimal als Feldprediger nach Italien. Seit spätestens 1513 widmete sich Zwingli intensiv dem Studium des Neuen Testaments in der griechischen Ursprache, außerdem der Lektüre der Kirchenväter. Dies führte ihn immer mehr in die Nähe der Anschauungen des Erasmus. Im Frühjahr 1516 konnte er den Humanistenfürsten sogar persönlich kennenlernen. Während seiner Zeit als Leutpriester in Einsiedeln (1516–1518), in der er sich der seelsorgerlichen Betreuung der Dorfleute und Wallfahrer zu widmen hatte, sammelte er humanistische Gesinnungsgenossen um sich. Aber Ende 1518 tat sich für ihn ein neues Wirkungsfeld auf: Die Chorherren des Großmünsterstifts in Zürich wählten Zwingli zu ihrem Leutpriester. Der Wechsel in dieses Amt hatte weitreichende Konsequenzen. Seit 1519 setzte er sich in Zürich für die Durchführung der Reformation ein. Das bedeutete, dass sich nun auch in der Schweiz neben dem alten Glauben eine neue religiöse Richtung Bahn brach, die kirchenrechtlich als Häresie galt. Dies führte auch in der Eidgenossenschaft – ähnlich wie im Reich4 – zu einander entgegengesetzten politischen Bündnissen, die dazu dienten, sich im Kriegsfall gegenseitig Hilfe zu leisten. Nachdem der im Jahre 1529 geschlossene Erste Kappeler Landfrieden zunächst militärische Auseinandersetzungen verhindert hatte, kam es im Jahre 1531 aber doch zum Krieg. Die Heere der fünf katholischen Orte, d.h. der Kantone Schwyz, Uri, Unterwalden, Zug und Luzern, konnten Zürich am 11. Oktober 1531 in der Schlacht 4

Vgl. dazu u. S. 212–214.

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Die Reformation in Zürich

bei Kappel eine empfindliche Niederlage zufügen. Zwingli, der als Feldprediger mit in den Krieg gezogen war, fiel auf dem Schlachtfeld. Noch seine Leiche wurde als die eines Häretikers vom Henker gevierteilt und verbrannt. Die Kriegshandlungen endeten mit dem Zweiten Kappeler Frieden von 1531, der der Ausbreitung der Reformation in der Schweiz Grenzen setzte. Nachfolger Zwinglis in Zürich wurde Heinrich Bullinger (1504–1575), dessen Wirken, insbesondere durch die von ihm verfasste Confessio Helvetica posterior von 1566, für den reformierten Protestantismus langfristig bedeutender wurde als dasjenige Zwinglis.

II. Der Beginn der Reformation in Zürich 1. Zwinglis reformatorische Predigt Am 1.1.1519 hielt Zwingli seine erste Predigt in seinem neuen Amt und kündigte an, abweichend von der üblichen Perikopenordnung, sukzessive das ganze Matthäusevangelium predigtweise behandeln zu wollen. Diese Praxis der „lectio continua“, d.h. der fortlaufenden, zusammenhängenden Bibelauslegung, behielt Zwingli auch später bei. Von Anfang an regte sich im Chorherrenkollegium, vor allem von Seiten Konrad Hofmanns (1454–1525), Widerspruch gegen diese Neuerung. Aber Zwingli ließ sich nicht beirren, zumal er in der Alten Kirche Vorbilder für die Praxis der fortlaufenden Bibelexegese fand. Zwingli bot in seinen Predigten dem Inhalt nach zwar noch kein reformatorisches Programm, aber eine in sich geschlossene, erläuternde Auslegung. Ruf zur Buße, Mahnung zur Sündenerkenntnis und Besserung waren die drei Schwerpunkte, die in seiner Predigt zusammenkamen. Predigtmanuskripte hat Zwingli allerdings nicht

II. Der Beginn der Reformation in Zürich

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hinterlassen und wohl auch nicht angefertigt. Selbst Nachschriften von Predigthörern existieren nicht. Informationen lassen sich aber einer Klageschrift entnehmen, die der Chorherr Konrad Hofmann 1521 gegen Zwingli verfasste.5 Offenbar nutzte Zwingli die Bibelauslegung auf der Kanzel dazu, auf ungebührliches Verhalten und Lasterhaftigkeit in der Öffentlichkeit und an geistlichen Orten hinzuweisen. Hofmann warf ihm daher vor, die Predigt für seine eigenen Interessen einzusetzen. Zwingli tadele die Menschen, schimpfe und scherze. Außerdem habe er angeprangert, dass in Zürich die evangelische Wahrheit nur unter Todesgefahr gepredigt werden könne. In und hinter all dem glaubte Hofmann einen Angriff auf die Obrigkeit zu erkennen. Zwingli – so meinte er – halte sich wohl für gelehrter und weiser als andere, indem er sich über überlieferte Gesetze und Ordnungen einfach hinwegsetze.6 Auf welche Inhalte es Zwingli in seinen frühen Predigten ankam, lässt sich zudem aus jenen erhaltenen Themapredigten ableiten, die er später zu Druckschriften umgestaltete. Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass er seine Aussagen im Zuge der Ausarbeitung weiterentwickelte, so dass man auch hier kein unmittelbares, sondern ein durch die Überarbeitung gefiltertes Zeugnis der zwinglischen Predigt erhält. In diesem Zusammenhang entstand Zwinglis erste große Reformationsschrift „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“7 (1522). Sie beschäftigte sich mit der Frage der Fastendisziplin. Hierher gehört auch die Abhandlung „Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit“8 (1523), in der Zwingli seine gesellschaftspolitischen 5 6 7

Vgl. Schindler, Klagschrift des Chorherrn Hofmann, 325–359. Vgl. Rogge, Anfänge der Reformation, 274f. Vgl. CR 88, 74–136; Zwingli, Schriften I, 13–73, 430–433. „Erkiesen“ bedeutet das freie Wählen. 8 Vgl. CR 89, 458–525; Zwingli, Schriften I, 155–213, 438f.

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Die Reformation in Zürich

Vorstellungen darlegte, auch um Gerüchte zu neutralisieren, dass die Reformation Aufruhr gegen die Obrigkeit begünstige. Er sprach sich deutlich für die Legitimität einer weltlichen Obrigkeit aus, die das Recht habe, das Strafamt, ja sogar die Todesstrafe auszuüben. Während sich die göttliche Gerechtigkeit auf den inneren Menschen richte, sei die stets unvollkommen bleibende, menschliche Gerechtigkeit auf Erden durch das Handeln der politischen Gewalt zu gewährleisten, die in die Strukturen der diesseitigen Welt eingebunden ist. Die Obrigkeit muss deshalb, wenn nötig, auch unter Anwendung von Zwang, aber stets im Interesse und zum Wohl der verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft agieren. Auch die im Kontext der zweiten Zürcher Disputation erschienene Schrift „Der Hirt“9 (1524) zählt zu den überarbeiteten Themapredigten. Sie bietet eine der ersten evangelischen Abhandlungen zu den Aufgaben des Seelsorgers und spiegelt Zwinglis Amtsverständnis wider. Drei Eigenschaften stellte er als charakteristisch für den guten Hirten und Seelsorger einer Gemeinde heraus: mutige Verkündigung, untadeligen Lebenswandel und Einsatz für das Wohl der Armen. Ein guter Hirte – so Zwingli – prangere auch ohne Scheu und Rücksichtnahme vorhandenen Egoismus der weltlichen Obrigkeiten an und decke schädliche Einflüsse auf. Erweist sich der Hirte einer Gemeinde jedoch als ungeeignet, so habe die Gemeinde das Recht, ihn durch Mehrheitsbeschluss abzusetzen. Sollte sich dies nicht realisieren lassen, so sei seine Verkündigung zu meiden. Zwinglis Anfänge in Zürich standen im Zeichen seines Bekenntnisses zum reformatorischen Schriftprinzip. Das war die Prämisse, unter der seine Bibelexegese 9

Vgl. CR 90, 1–68; Zwingli, Schriften I, 243–312, 441–449.

II. Der Beginn der Reformation in Zürich

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auch schon vor seiner dezidierten Hinwendung zur Reformation stand. Das Verständnis der Heiligen Schrift einerseits und die Papstgewalt bzw. päpstliche Lehren andererseits rückten für ihn immer mehr in Gegensatz zueinander. Zu welchem Zeitpunkt Zwingli aber über seine vom Humanismus geprägte Haltung hinausging und typisch reformatorische Grundsätze im Sinne der reformatorischen Rechtfertigungslehre vertrat, bleibt schwierig zu ermitteln. Er selbst äußerte einmal, er habe schon 1516 mit der reformatorischen Predigt begonnen. Nach seinem Selbstzeugnis und der sich davon inspirierenden Forschung hätte Zwingli dann schon vor Luther evangelisch gepredigt.10 Es bleibt aber fraglich, was Zwingli in diesem Zusammenhang unter „Reformation“ bzw. „reformatorisch“ verstanden haben mag. Mit der neueren Forschung ist festzuhalten, dass sich Zwingli in den Jahren 1519 bis 1520 allmählich von den humanistischen Grundsätzen löste und stärker reformatorisch geprägte Vorstellungen zu entwickeln begann. Es ist zu vermuten, dass Luther und seine Schriften in jener Zeit, in der sich Zwingli – bis Mitte 1520 – allmählich zum Reformator entwickelte, ein verstärkender, aber kein auslösender Faktor für diese Hinwendung zu reformatorischen Inhalten war. Die lehrmäßige Abhängigkeit Zwinglis von Luther ist zu jenem Zeitpunkt jedenfalls noch relativ gering. Erst ab 1522 lassen sich Spuren Lutherschen Gedankenguts in Schriften Zwinglis gezielt nachweisen. So erinnert die erste und eindeutig reformatorische Schrift Zwinglis „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ von 1522 an vieles, was Luther 1520 in seiner Schrift von der „Freiheit eines Chris10

Dies wurde von der älteren zürcherischen und niederländischen Kirchengeschichtsschreibung aufgegriffen, die Zwingli damit zum Ahnherrn der Reformation stilisierte. Zur Forschungsdiskussion vgl. Neuser, Dogma und Bekenntnis, 167–170; zu Zwingli und seiner Theologie, ebd., 170–197.

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Die Reformation in Zürich

tenmenschen“ dargelegt hatte. Zwinglis Entlehnungen bezogen sich also nicht nur auf kirchenkritische Elemente, sondern auch auf die Luthersche Betonung des „sola fide“ in der Rechtfertigung.11 Allerdings nahm Zwingli Einflüsse Luthers nur zurückhaltend und selektiv auf, obwohl er durchaus Anerkennung für den Wittenberger Reformator hegte und möglicherweise sogar der erste war, der ihn unter dem Eindruck der Leipziger Disputation von 1519 mit dem endzeitlichen Elias identifizierte.12 Diese positiv-anerkennende Haltung endete aber mit dem Beginn der Auseinandersetzung über die Abendmahlsfrage im Jahre 1525. Denn mit dem Abendmahlsverständnis waren die Fragen der Christologie und damit der reformatorischen Heilslehre eng verbunden. Hier gingen die Meinungen beider definitiv auseinander, auch wenn ansonsten viele Gemeinsamkeiten in der reformatorischen Lehre bestanden. Die Entwicklung Zwinglis zum Reformator war also ein allmählicher Prozess, der in den Jahren 1519/20 sein Denken tiefgreifend veränderte, so dass um das Jahr 1522 sowohl sein Bruch mit dem Humanismus als auch erste dezidiert reformatorische Standpunkte offen zutage traten. 2. Der Bruch mit der römischen Kirche Im Jahr 1522 brachen einige Anhänger Zwinglis offen und provokativ das kirchliche Verbot, in der Fastenzeit Fleisch zu verzehren. In der Werkstatt des Buchdruckers Christoph Froschauer (ca. 1490–1564) hatte man sich zusammengefunden, um Würste zu essen. Zwingli war zwar anwesend, aber nicht selbst an der Aktion beteiligt. Nun schritt der Rat ein und ordnete eine Untersuchung des Falls an. Zwingli bezog am 23. 11 12

Vgl. Brecht, Zwingli als Schüler Luthers, 301–319. Vgl. Dingel, Ablehnung und Aneignung, 40f, bei Anm. 22.

II. Der Beginn der Reformation in Zürich

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März 1522 mit seiner Fastenpredigt Position. Der Bischof von Konstanz ließ dem Rat ein Mandat übergeben, das diese Praxis untersagte und die Lösung des Falls für ein zukünftiges Konzil vorsah. Aber es gelang Zwingli, sich vor dem Großen Rat Gehör zu verschaffen. In seiner Antwort an den Bischof bestand der Rat auf der Veranstaltung des in Aussicht gestellten Konzils oder zumindest einer Diözesansynode. Er erließ ein Mandat, das die Verhältnisse bis dahin regeln sollte und alle bis auf Weiteres auf die traditionelle Ordnung verpflichtete. Zugleich verbot es, die Evangelischen mit Schmähungen zu überziehen. Das bedeutete, dass die Entscheidung des Rats unter rechtlichem Gesichtspunkt die alte, herrschende Ordnung respektierte, faktisch jedoch nichts gegen die reformatorischen Anstöße unternahm. Wenige Tage später (16.4.1522) erschien Zwinglis Predigt im Druck unter dem Titel „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“.13 In seinen Ausführungen wertete er Fasten- und Abstinenzgebote als rein menschliche Vorschriften und betonte die christliche Freiheit in der Wahl der Speisen. Allein die Befolgung der Zehn Gebote sei ausschlaggebend. Wie Luther in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) nahm auch Zwingli die paulinische Gnadenlehre zum Ausgangspunkt für seine Argumentation und betonte die Unabhängigkeit des Glaubenden von religiösen Leistungszwängen. Zwinglis Stellungnahme zum Zölibat, die er im Juli 1522 äußerte, lag dieselbe Prämisse zugrunde. Für die Ehelosigkeit, so der Zürcher, finde man keine biblische Begründung. Er selbst war im Frühjahr 1522 eine heimliche Ehe mit der Witwe Anna Reinhart eingegangen. Nun richtete er zusammen mit neun Freunden eine Bittschrift an den Bischof, auch den Priestern 13

Vgl. o. S. 91.

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Die Reformation in Zürich

die Freiheit zur Eheschließung zu gestatten und die evangelische Predigt freizugeben. Damit standen zugleich die Gelübde und die monastische Lebensform zur Debatte. Aber nicht nur dies, sondern auch die Frage der Heiligenverehrung führte zu Kontroversen. Die Reformation gewann immer mehr an Terrain. Der Konstanzer Bischof jedoch wies die Bittschrift, die man an ihn gerichtet hatte, ab. Er rief am 10. August 1522 die eidgenössischen Obrigkeiten zum Schutz des alten, wahren Glaubens auf. Diesem Appell aber verschloss sich das Zürcher Pfarrkapitel. Am 19. August 1522 fasste es den Beschluss, fortan gemäß der Heiligen Schrift zu predigen. Während in den Bistümern Konstanz und Lausanne Exkommunikationen über reformatorisch Gesinnte ausgesprochen wurden, konnten die Evangelischen in Zürich ihre Position durch gezielte Stellenbesetzungen festigen. Obwohl Zwingli mit seiner Haltung dem zuständigen Bischof den Gehorsam verweigert hatte, wurde er vom Rat als Leutpriester bestätigt. Zugleich befreite man ihn von seinen Verpflichtungen als Chorherr. Zwingli war jetzt städtischer Prädikant.

III. Die Zürcher Disputationen 1. Die erste Zürcher Disputation und ihre Wirkung Für die offizielle Einführung der Reformation spielte die erste Zürcher Disputation eine ausschlaggebende Rolle.14 Anlass für diese Veranstaltung war die Tatsache, dass die evangelische Predigt den Zürcher Rat in eine schwierige Lage gebracht hatte. Denn der städtische Frieden, für dessen Garantie sich der Rat nicht nur im bürgerlichen, sondern auch im kirchlichen 14

Vgl. dazu Moeller, Zwinglis Disputationen, 22011.

III. Die Zürcher Disputationen

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Leben verantwortlich sah, wurde durch die reformatorischen Aktivitäten empfindlich gestört. Zudem ging es nicht mehr nur um die bürgerlich-äußerliche Seite des kirchlichen Lebens, sondern auch um Fragen der Lehre. Zwingli verlangte zu deren Klärung ein öffentliches Gespräch. Die vom Bischof in Aussicht gestellte Diözesansynode war nämlich nicht zustande gekommen. So wurde vom Bürgermeister und dem Großen Rat eine Disputation auf den 29. Januar 1523 im Rathaus anberaumt. Einbestellt bzw. eingeladen wurden die Geistlichkeit der Gebiete Zürichs und die Eidgenossen. Der Bischof erhielt eine „Anzeige“, dass er sich vertreten lassen möge. Die Disputation sollte die reformatorische Lehre auf den Prüfstand stellen, um ihren Vertretern, ebenso wie ihren Gegnern, Irrtümer aufzuzeigen. Dies sollte unter Bezugnahme auf die Heilige Schrift geschehen. Der Rat gab also das Kriterium vor, an dem sich entscheiden sollte, ob die evangelische Lehre und damit auch Zwinglis Predigt rechtens sei. Auch die Schiedsrichterrolle und den Vorsitz bei den Diskussionen behielt er sich vor. 600 Personen, nicht nur Theologen, sondern auch politische Räte und Juristen, folgten der Einladung des Rats, darunter der Konstanzer Generalvikar Johann Fabri (1478–1541). Zwingli hatte für die Veranstaltung 67 Artikel verfasst. Diese „67 Schlussreden“15 von 1523 gelten als früheste Zusammenfassung seiner reformatorischen Theologie. Sie lagen der Disputation zugrunde. Zwingli kontrastierte die Autorität des kirchlichen Lehramts auf der altgläubigen Seite mit der Autorität der Heiligen Schrift und derjenigen Jesu Christi als Offenbarer des göttlichen Willens und Erlöser der Menschen auf der anderen, reformatorischen Seite. Das Evangelium Jesu Christi sei die Richtschnur für die Beurteilung aller anderen Lehren und die Stel15

Vgl. CR 88, 458–465.

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Die Reformation in Zürich

lungnahme zu Papsttum, Messe, Heiligenverehrung, Fasten, Mönchtum, Zölibat und Obrigkeit. Der Gehorsam der Obrigkeit gegenüber finde dort sein Ende – so Zwingli –, wo die Obrigkeit gegen den göttlichen Willen handele. Wenn sich eine Obrigkeit nicht an Christus als Maßstab halte, so sei sie unchristlich und solle abgesetzt werden können (Art. 42 der Schlussreden). Wie Luther betonte Zwingli außerdem die Unzulänglichkeit menschlicher Werke, um Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen. Stärker noch als Luther prangerte er den menschlichen Egoismus an. Damit stand in Einklang, dass Zwingli zugleich bestrebt war, soziale Verhältnisse zu schaffen, die dem Willen Gottes und Christus als „Wegführer“ (Art. 6) entsprachen. Die Reformation in Zürich zielte darauf ab, das gesamte Leben des Menschen in den Umgestaltungsprozess einzuschließen. Die Disputation verlief so, dass es, nach dem Urteil des Rats, niemandem gelungen war, Zwingli der Häresie zu überführen oder nachzuweisen, dass seine Artikel nicht dem Inhalt der Heiligen Schrift entsprächen. Der Rat autorisierte ihn daher, seine Verkündigung fortzusetzen. Die übrigen Prädikanten forderte er auf, ab sofort ebenfalls dem Evangelium gemäß zu predigen. Zwingli selbst präzisierte seinen Standpunkt in einem umfangreichen Kommentar zu den 67 Artikeln, den „Auslegen und Gründe der Schlussreden“16 vom 14.7.1523. Er wandte sich in dieser Schrift gegen die Lehre vom freien Willen und das daraus hervorgehende Vertrauen auf menschliche Werke in der Rechtfertigung vor Gott. Auch das Messopfer, die Bilderverehrung und die Anrufung der Heiligen prangerte er an und verwarf sie als Götzendienst. Hinzu kam die Distanzierung von der Praxis der Ohrenbeichte und der im kanonischen Recht festgeschriebenen, 16

Vgl. CR 89, 1–457; Zwingli, Schriften II.

III. Die Zürcher Disputationen

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eigenständigen geistlichen Gerichtsbarkeit der altgläubigen Kirche. 2. Die zweite Zürcher Disputation Der Ausgang der ersten Zürcher Disputation hatte ergeben, dass der Rat die evangelische Predigt ins Recht gesetzt hatte. Dies hatte zur Folge, dass er Maßnahmen zum Schutz der evangelisch Gesinnten vor den rechtlichen Befugnissen des altgläubigen Bischofs von Konstanz ergreifen musste, zu dessen Bistum Zürich gehörte. Nun wurde ein seit 1506 bestehender Vertrag, der dem Bischof das Recht zu Eingriffen einräumte, gekündigt. Damit zog der Rat auch die Streitfälle zwischen Geistlichen und Laien, die in der Zürcher Landschaft entstanden und bisher dem Bischof vorbehalten waren, an sich. Zwingli erhielt die Erlaubnis, schlichtend in Konflikte einzugreifen. Gemeinden im Zürcher Umland erhielten evangelische Pfarrer. Aber das alles verlief nicht reibungslos. Obwohl es in Zwinglis Interesse lag, dass die Durchführung der angestrebten Reformen in geordneten Bahnen, d.h. in Übereinkunft mit dem Zürcher Rat als christlicher Obrigkeit, verlief, kam es zu öffentlichen Ausschreitungen. Der Unmut wandte sich besonders gegen die nun als Götzen qualifizierten Bilder und Heiligenfiguren. Dort, wo die ehemaligen Stifter sie wieder an sich nahmen, vollzog sich die Abschaffung der Bilder und Statuen in Ruhe und ohne weiteres Aufsehen. Aber es kam auch zu unkontrollierten, bilderstürmerischen Aktivitäten, an denen Anhänger Zwinglis beteiligt waren. Das veranlasste ihn, eine zweite Disputation zu verlangen. Diese zweite Zürcher Disputation wurde auf den 26. Oktober 1523 anberaumt. Wieder war der Rat Veranstalter, und er war es erneut, der durch ein Ausschreiben dazu einlud. Gegenstand der Disputation sollten die Bilder und die

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Die Reformation in Zürich

Opfermesse sein. An die 900 Teilnehmer wohnten der dreitägigen Debatte bei. Die Disputation endete am 28.10. mit dem Beschluss, den Problemen durch eine klare, evangeliumsgemäße Unterrichtung der Menschen zu begegnen und den götzendienerischen Umgang mit den Bildern auf diese Weise abzubauen. Das betraf auch das Verständnis der Messe, die – gemäß der Abendmahlslehre Zwinglis – als „Wiedergedächtnis“ des Leidens und Testaments Christi zu feiern sei. Es sollte dem Rat anheim stehen, die Bilder abzuhängen sowie die Messe abzuschaffen und einen geeigneten Zeitpunkt dafür zu wählen. Damit aber wurde auch die Kirchenhoheit des Rats zu einem Diskussionspunkt. Dies führte dazu, dass sich zwei oppositionelle Minderheiten bildeten, die ihre Meinung aber unüberhörbar vertraten. Auf der einen Seite standen die Anhänger der traditionellen, römischen Kirche, die nun die Autorität des Rats im kirchlichen Bereich generell in Frage stellten. Auf der anderen Seite verschafften sich radikale reformatorische Stimmen Gehör,17 die im Namen des Geistes Gottes und der Wahrheit dafür plädierten, unverzüglich die notwendigen Veränderungen einzuleiten und konsequent durchzuführen, ohne das Einverständnis des zögerlichen Rats abzuwarten. Diese Gruppe hatte sehr wohl wahrgenommen, dass der Rat, indem er die evangelische Sache förderte und ihre Umsetzung lenkte, zugleich seine Kirchenhoheit ausbaute. Dies jedoch lag nicht in ihrem Interesse. Aber ihr Votum blieb ein Minderheitenphänomen. Die zweite Zürcher Disputation stärkte eindeutig die Position der Mehrheit, d.h. diejenige Zwinglis und seiner Anhänger, auf deren Seite sich auch die weltliche Obrigkeit gestellt hatte. Damit war der Bruch mit der römischen Kirche 17

Dazu gehörten auch die späteren Täufer Konrad Grebel und Felix Mantz; vgl. zu ihnen u. S. 132–134.

IV. Theologische Grundlegung

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auch unter kirchenrechtlichem und politischem Aspekt vollzogen. Nun war nur noch der Zeitpunkt für die Abschaffung der altgläubigen Institutionen und Zeremonien festzulegen. Die Veränderungen vollzogen sich Schritt für Schritt. Im Winter 1523/24 wurde der traditionelle Festkalender mit seinen Heiligen- und Festtagen abgeschafft, ebenso die damit verbundenen Prozessionen. Die liturgischen Feiern ersetzte man durch Wortgottesdienste. Aber Maßnahmen zur Abschaffung der Messe schob der Rat noch hinaus, bis ein weiteres kleines Gespräch vom 13./14. Januar 1524, das gelegentlich auch als dritte Zürcher Disputation bezeichnet wird, das altgläubige Verständnis der Messe endgültig widerlegte.18 Dagegen beschloss der Rat, Bilder, Kruzifixe, Heiligenstatuen und Wanddarstellungen in der Stadt unverzüglich zu entfernen. Den Gemeinden der Landschaft wurde zugestanden, selbst darüber zu entscheiden, ob man sich diesen Maßnahmen anschließen wolle. Im Sommer 1524 wurden die Beziehungen zwischen Zürich und dem Bischof von Konstanz endgültig abgebrochen.

IV. Theologische Grundlegung und praktische Gestaltung der Reformation Die weitere Entwicklung der Reformation in Zürich ist theologisch durch Zwinglis Hauptwerk, den „Commentarius de vera et falsa religione“ (1525), geprägt.19 Zwingli stellte hier die wahre und die falsche Religion einander gegenüber, um auf diese Weise der reformatorischen Lehre umso mehr Profil zu verleihen. Seine 18 19

Vgl. Locher, Zwingli und die schweizerische Reformation, 29. Vgl. CR 90, 590–912; Huldrych Zwingli, Schriften III, 31–452, 457–477.

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Die Reformation in Zürich

Beschreibung der falschen Religion orientierte sich an Person und Amt des Papstes, den er als „Mensch der Sünde“ (vgl. II Thess 2,3), als Antichrist und Vertreter all derer darstellte, die ihre Hoffnung nicht allein auf Christus setzen. Die falsche Religion selbst lag in seinen Augen im Messopfer, in der Heiligenverehrung, den kirchlichen Riten und den zu verrichtenden Werken. Dazu stand die wahre Religion in scharfem Kontrast. Für sie ist nach Zwingli der Gegensatz von Fleisch und Geist bezeichnend. Nicht durch Werke des Fleisches, d.h. durch äußerliche Werke, könne der Mensch gerecht werden, sondern allein durch den Glauben und die Gnade Gottes. Diese gottgewirkte Rechtfertigung mündet in die ethische Besserung des Menschen. Dezidiert schloss Zwingli jeden Beitrag des menschlichen Willens zur Erlangung des Heils aus. Weitere Ausführungen widmeten sich u.a. der Frage des Abendmahls und dem Obrigkeitsverständnis. Deutlich wird, dass Zwingli die Sakramente, insbesondere das Abendmahl, als menschliches rituelles Handeln definierte. Das Abendmahl verstand er als Gedenken der Gemeinde an den Erlösertod Christi (Erinnerungsmahl), als gemeinschaftliche Verpflichtung (Bekenntnismahl) und als gemeinschaftliches Handeln (Gemeinschaftsmahl). Diese für Zwingli charakteristische Sakramentstheologie wurde für die Entwicklung der Reformation in Zürich ausschlaggebend. Sein Obrigkeitsverständnis erlaubte zudem, den Rat als christliche Obrigkeit in die praktische Umsetzung reformatorischer Neuerungen einzubeziehen. Auf dieser Grundlage wurde die Reformation der Zürcher Kirche durchgeführt. Zwingli zur Seite standen weitere ausgewiesene Theologen wie Konrad Pellikan (1478–1556) und Oswald Myconius (1478– 1556). Sein engster Mitarbeiter aber wurde der gebürtige Elsässer Leo Jud (1482–1542), der aus Einsiedeln an das Stadtpfarramt St. Peter in Zürich kam. Die

IV. Theologische Grundlegung

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wichtigsten reformatorischen Maßnahmen waren die Gründung einer Bibelschule, nach 1Kor 14,26–33 genannt „Prophezei“; die Bibelübersetzung (1529 Zürcher Bibel); die Einrichtung eines Ehegerichts, das wegen der Distanzierung von der Gerichtsbarkeit des Bischofs notwendig geworden war; und die Abschaffung der Messe. Zwinglis reformatorisches Wirken in Zürich war weitreichend. Es zielte darauf, die gesamte Stadt dem biblisch zu erschließenden und durch die Prädikanten auszulegenden Willen Gottes anzupassen. Dazu wirkten die evangelische Geistlichkeit und die politische Obrigkeit in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen zusammen. Der Rat – so die Auffassung Zwinglis und seiner Gesinnungsgenossen – könne dies aber nur dann in angemessener Weise tun, wenn er sich an dem Willen Gottes orientiere. Dessen berufene Ausleger waren die Pfarrer. Vor dem Hintergrund dieser Konzeption entwickelte sich die Kirche in Zürich immer mehr zu einer „Staatskirche“. Kirchliche Gemeinde und bürgerliche Gemeinde waren eins. Im Jahre 1527/1528 wurde eine Synode ins Leben gerufen, der sowohl Mitglieder des Rats als auch Pfarrer angehörten. 1529 wurde außerdem der Gottesdienstbesuch für obligatorisch erklärt und unterlassene Teilnahme mit dem Verlust der Bürgerrechte geahndet. Die Kirchenzucht wurde durch eine eigene Instanz – das Ehegericht – ausgeübt, in der geistliche und weltliche Amtsträger vertreten waren.20 Auf diese Weise ergab sich eine konsequente christliche Durchdringung des gesamten Gemeinwesens und all seiner Lebensäußerungen in Struktur und Kultur. Diese Entwicklung stieß nicht überall auf Akzeptanz. Unter den 20

Vgl. dazu Ley, Kirchenzucht bei Zwingli, 49f; Köhler, Zürcher Ehegericht I, 28–230.

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Die Reformation in Zürich

Gegnern waren Konrad Grebel (ca. 1498–1526) und Felix Mantz (ca. 1498–1527), die diesem engen Konnex von Reformation und obrigkeitlichem Handeln die „freie“ Kirche der Täufer entgegenstellten. Der Bruch vollzog sich im Jahre 1525 mit einer Reihe von Wiedertaufen.21

21

Vgl. dazu u. S. 130–145, bes. 132–134.

Kontroversen und Abgrenzung

Reformatorische Lehrbildung, theologische Klärung und langfristige bekenntnismäßige Konsolidierung waren kein einliniger, widerspruchsfrei verlaufender Prozess. Vielmehr trugen Auseinandersetzungen und Lehrstreitigkeiten erheblich zur Präzisierung und Weiterentwicklung reformatorischer Positionen bei. Ihre Wirkung auf eine theologische, später auch konfessionelle Identitäts- und Gruppenbildung ist nicht zu unterschätzen. Die im 16. Jahrhundert geführten Auseinandersetzungen dürfen deshalb nicht vorschnell als überflüssiges Gezänk abgewertet, sondern müssen vielmehr als ein Entwicklungsprozess auf dem Weg zu eigener Standortbestimmung einerseits und langfristiger Etablierung von Meinungsvielfalt andererseits wahrgenommen werden.

I. Die Wittenberger Bewegung (1521/1522) In der frühen Reformation hatten Fragen von Struktur und Lehre der Kirche im Mittelpunkt gestanden. Im Leben und in ritueller Praxis der Gemeinden allerdings blieb vorerst noch alles beim Alten. Dies änderte sich während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg, wo er sich nach seiner Ächtung auf dem Reichstag zu Worms von 15211 verborgen hielt. Denn bei einigen war der Eindruck entstanden, die so vielversprechend begonnene Reformation sei auf halbem Wege stecken geblieben. So kam es in Wittenberg zu einer Bewe1

Vgl. dazu u. S. 194–197.

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Kontroversen und Abgrenzung

gung, die die Anliegen der Reformation in die Praxis umsetzte und überkommene kirchliche Ordnungen und Gebräuche beseitigte. Das betraf vor allem den Zölibat, den Messgottesdienst und die Bilderverehrung. Maßgebliche Träger dieser „Wittenberger Bewegung“2 waren Gabriel Zwilling (ca. 1487–1558), Konventsprediger der Augustiner-Eremiten, und Andreas Bodenstein von Karlstadt, außerdem die sogenannten Zwickauer Propheten. Zwilling empfahl, den Orden den Rücken zu kehren,3 was zunächst nur wenige, dann aber ganze Gruppen von Mönchen dazu veranlasste, ihre Klöster zu verlassen, ein bürgerliches Leben zu beginnen und zu heiraten. Zwar stellte der Augustinerkonvent in den Provinzen Meißen und Thüringen spätestens im Jahre 1522 seinen Mitgliedern frei, den Orden zu verlassen, aber die Situation eskalierte. Ordensangehörige, die ihre Gelübde nicht brechen wollten, waren bald ihres Lebens nicht mehr sicher; Austritte liefen teilweise tumultuarisch ab. Luther grenzte sich in verschiedenen Briefen dezidiert von dieser Entwicklung ab, verurteilte die dahinter stehende Haltung und betonte, dass zwar niemand in klösterlichen Zusammenhängen zu bleiben brauche, aber ebenso wenig zum Austritt gezwungen werden dürfe. Seine Schrift „De votis monasticis“ diente dazu, die evangelische Positionierung gegenüber dem Mönchtum auf klare theologische Grundlagen zu stellen und Klärung in Gewissensnöten zu ermöglichen.4 Auch die praktische Reform des Messgottesdienstes wurde vorangetrieben, denn Luther hatte sich in sei2 Vgl. dazu die Quellensammlung von Müller, Wittenberger Bewegung, ²1911. 3 Vgl. Lorenz Schlamau u.a. an Kurfürst Friedrich den Weisen, 4.11.1521, in: Müller, Wittenberger Bewegung, 59. 4 Vgl. dazu o. S. 64–68.

I. Die Wittenberger Bewegung (1521/1522)

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nen Schriften deutlich gegen den Messopfergedanken ausgesprochen.5 In Wittenberg wurden nun Seelenund Votivmessen als widersinnig abgeschafft. Gabriel Zwilling forderte stattdessen die Rückkehr zur urchristlichen Mahlfeier. Luther versuchte aufs Neue, publizistisch zur Klärung beizutragen. Anfang November 1521 brachte er eine lateinische Schrift über die Abschaffung der Privatmesse heraus,6 die auch in deutscher Bearbeitung unter dem Titel „Vom Missbrauch der Messe“7 erschien. Darin ermunterte der Reformator die Wittenberger zur Reform, mahnte aber, keinen Zank und Streit entstehen zu lassen und Rücksicht auf die Schwachen zu nehmen, d.h. auf diejenigen, die noch Skrupel gegenüber den Änderungen empfanden. Aber die aus Wittenberg kommenden, ihn alarmierenden Nachrichten rissen nicht ab, so dass Luther, als Junker Jörg getarnt, am 2. Dezember der Stadt einen heimlichen Besuch abstattete. Im Grunde war auch Luther der Ansicht, dass den Worten irgendwann einmal Taten folgen müssten. Aber die Art und Weise, wie in Wittenberg die Reformen durchgeführt wurden, bekümmerte ihn. Auf die Wartburg zurückgekehrt, verfasste er seine Schrift „Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“.8 Hierin machte Luther deutlich, es sei Aufgabe der Obrigkeit als jener Instanz, die für ein geregeltes gesellschaftliches Zusammenleben verantwortlich sei, Veränderungen durchzuführen.

5 6

Vgl. o. S. 60f. De abroganda missa privata Martini Lutheri sententia, in: WA 8, 411–476. 7 WA 8, 482–563 8 WA 8, 676–687.

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Kontroversen und Abgrenzung

Nicht jeder teilte diese Meinung. Andreas Bodenstein aus Karlstadt (gen. Karlstadt)9 sah die Dinge anders. Während Luthers Abwesenheit hatte er sich an die Spitze der Bewegung gesetzt und begann mit der Durchführung praktischer Reformen. Weihnachten 1521 predigte er in der Stiftskirche in Wittenberg über den rechten Sakramentsempfang und reichte danach den Teilnehmern Brot und Kelch in die Hand. Auf den priesterlichen Ornat verzichtete er und versah den Dienst in weltlichen Kleidern. Die Opfergebete hatte er ausgelassen, die Konsekrationsworte auf Deutsch gesprochen. Eine vorausgehende Beichte erklärte er für unnötig. Auch an den folgenden Sonntagen wiederholte er diese Feiern, obgleich der Kurfürst alle den Gottesdienst betreffenden Änderungen untersagt hatte. Weitere Verwirrung stiftete das Auftreten der Zwickauer Propheten. Zu ihnen gehörten zwei Tuchmacher, möglicherweise Thomas Drechsel und Nikolaus Storch (ca. 1500–1536), der in Zwickau in Verbindung zu Thomas Müntzer gestanden hatte, sowie der frühere Student Markus Stübner (gest. 1522). Sie erschienen am 27. Dezember 1521 bei Melanchthon und gaben vor, persönliche Offenbarungen gehabt zu haben. Nicht das Wort der Schrift, sondern die innere, göttliche Erleuchtung war für sie maßgebend. Dies und ihre Ablehnung der Kindertaufe verbreiteten zusätzlich Unsicherheit. Weitere Unruhe kam mit Beginn des Jahres 1522 auf. Jetzt wurden Seitenaltäre abgebrochen, Bilder, Heiligenstatuen und Marienfiguren heruntergerissen, zerschlagen und verbrannt. Auch das geweihte Krankenöl vernichtete man. Karlstadt hatte kurz zuvor die 9

Zu Karlstadt vgl. Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, Bd. I, bes. 311–460; Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 1974; Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae, 1977; Burnett, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 45–51.

I. Die Wittenberger Bewegung (1521/1522)

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Entfernung der Bilder aus den Kirchen verlangt und diese Forderung mit dem Bilderverbot in Ex 20,4 begründet. Durch Storchs Berufung auf Erscheinungen des Erzengels Gabriel, der ihm mitgeteilt habe, dass die weltliche Ordnung umgewandelt, alle Pfaffen erschlagen und die Gottlosen vertilgt werden sollten, erhielt die Situation zusätzliche Brisanz. In dieser verworrenen Lage drängte die Bürgerschaft auf neue kirchenordnende Maßnahmen. Ein aus Universität und Stadt zusammengesetzter Ausschuss erstellte daraufhin eine Kirchenordnung, die teilweise an Forderungen Luthers anknüpfte und den Gottesdienst im Sinne Karlstadts ordnete. Am 24. Januar 1522 wurde sie von der Stadt erlassen.10 Trotz dieser auf Wiederherstellung der Ordnung zielenden Initiative kam es am 6. Februar offenbar zu einem Bildersturm in Wittenberg.11 Weder Karlstadt noch Gabriel Zwilling ließen sich in ihrem Reformeifer behelligen. Hinzu kam, dass nun auch die Universität in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ein Teil der Studenten kehrte ihr unter dem Einfluss Karlstadts den Rücken. Denn die neue Bewegung war bildungsfeindlich. Karlstadt vertrat nämlich die Ansicht, dass sich das Verständnis der Bibel jedermann, auch dem Ungebildeten, erschließe. Er war davon überzeugt, dass in der „Einfalt“ die höchste Erleuchtung liege, zumal Gott – so Karlstadt unter Berufung auf Mt 11,25 – den Unmündigen offenbare, was er den Weisen verschließe. Seinen Studenten konnte er deshalb erklären, dass Gelehrsamkeit überflüssig sei, was zur Folge hatte, dass sie die Universität verließen. Auch Karlstadt selbst legte später – gemäß Mt 23,8 – seinen Doktorti10

Vgl. Lietzmann (Hg.), Die Wittenberger und Leisniger Kastenordnung, ²1935. 11 Dessen Ausmaß stellt Natalie Krentz in Frage, vgl. dies., Ritualwandel und Deutungshoheit, 203–205; außerdem zur Bilderlehre Karlstadts und Luthers Stirm, Bilderfrage in der Reformation, 17–68.

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Kontroversen und Abgrenzung

tel ab und fristete ein einfaches Leben als Pfarrer in Orlamünde, wo er die Reformation nach seinen eigenen Vorstellungen durchführte.12 Luther hielt Karlstadts Lehre für gefährlich, da sie die Menschen dort in Gewissensnot führe, wo eigentlich evangelische Freiheit herrschen sollte. Ende 1524 wurde Karlstadt auf Luthers Veranlassung hin gegen den Willen seiner Gemeinde aus Orlamünde vertrieben. Nach einigen Jahren der Wanderschaft fand er schließlich Zuflucht in der Schweiz. Er starb als Professor in Basel (1541). Luther nannte die Vertreter eines solchen, seiner Ansicht nach weltfremden, unpraktikablen und unbiblischen Christentums „Schwärmer“. Die Tumulte in Wittenberg wirkten sich auch auf politischer Ebene aus. Am 20. Januar 1522 erschien ein Mandat des Reichsregiments in Nürnberg, durch das alle Landesherren aufgefordert wurden, scharf gegen reformatorische Neuerungen vorzugehen. Dass Luther in dieser Situation Ende Februar sein Versteck auf der Wartburg verließ, um nach Wittenberg zurückzukehren, war ein Wagnis und geschah gegen den ausdrücklichen Wunsch des Kurfürsten. Aber durch seine Präsenz in Wittenberg und die sog. Invokavit-Predigten (9.–16.3.1522)13 sorgte er nicht nur für die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung, sondern etablierte auch seine reformatorische Autorität. In dem Bewusstsein, als Reformator die Verantwortung für die Predigt in Wittenberg innezuhaben, mahnte er, dass reformatorische Entscheidungen nicht in bloß äußerlichen Veränderungen bestehen dürften, sondern zuvor innerlich akzeptiert und rational begriffen sein sollten. Dies erfordere Rücksichtnahme auf diejenigen, die diesen Schritt noch nicht hätten 12

Vgl. Pater, Karlstadt, 1984; Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 148–303. 13 Deren späterer Druck nach Mitschriften findet sich in: WA 10/III, 1–58.

II. Der Streit mit Erasmus über den freien Willen (1524/1525)

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tun können, nämlich die Schwachen und Zögerlichen im evangelischen Glauben. Im Zusammenhang mit dieser „Schonung der Schwachen“ stand seine Betonung der evangelischen Freiheit, die einen freien Umgang mit allen äußerlichen Dingen, mit Riten und Zeremonien ermögliche, sofern sie das Verhältnis zwischen Gott und Mensch nicht in Frage stellten. Damit hatte Luther die Frage der „Adiaphora“ angesprochen, d.h. der für das Heil des Einzelnen nicht maßgeblichen, freigelassenen Mitteldinge. Dazu konnten sowohl Fastengebote als auch Bilder in den Kirchen gehören, denen Luther sogar einen pädagogischen Wert zuschrieb. Auch für die Austeilung des Brots in die Hände der Abendmahlsempfänger, die Reichung des Laienkelchs oder die Praktizierung der Beichte sollte christliche Freiheit gelten. Die Auseinandersetzung mit der Wittenberger Bewegung hatte zwei Prinzipien ins Bewusstsein gebracht, die den weiteren Verlauf der Reformation mit bestimmten. Das war zum einen die seelsorgerliche Rücksichtnahme auf die „Schwachen“ und zum zweiten die Freiheit im Umgang mit Riten und Zeremonien, die man als freigelassene Mitteldinge (Adiaphora) klassifizierte.

II. Der Streit mit Erasmus über den freien Willen (1524/1525) Lange hatten Humanismus und Reformation eine Art Interessengemeinschaft gebildet, gleiche Ziele verfolgt und dieselben wissenschaftlichen Methoden angewandt. Doch mit der Kontroverse zwischen Erasmus und Luther war der Bruch perfekt. Dass sich die beiden Strömungen immer mehr auseinanderentwickelten, hatte sich schon im Jahre 1521 angedeutet, als Luther mit seiner Schrift „De captivitate Babylonica

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Kontroversen und Abgrenzung

ecclesiae“ die Lehrgrundlagen der römischen Kirche grundsätzlich in Frage gestellt hatte. Dass er außerdem die Bannandrohungsbulle und die kirchlichen Rechtsbücher im Jahre 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg öffentlich verbrannt und damit den Bruch mit der Papstkirche vollzogen hatte, brandmarkte ihn in den Augen der im allgemeinen romtreuen Humanisten als Häretiker. Zwar konnte sich auch Erasmus nicht der päpstlichen Verurteilung Luthers anschließen und hielt das Wormser Edikt, das über Luther die Reichsacht verhängte,14 für ein Unglück. Aber die reformatorische Bewegung mit ihrer leidenschaftlichen Polemik und den Ausschreitungen an ihren Rändern wurde ihm zunehmend suspekt. Dass er, obwohl er sich eigentlich am liebsten aus allen Spannungen herausgehalten hätte, schließlich doch in der Öffentlichkeit Stellung bezog, hatte verschiedene Gründe. Einer davon war, dass er nicht als Parteigänger der reformatorischen Bewegung missverstanden werden wollte. So war es nicht abwegig, dass Erasmus zu einer Kernaussage der Reformation Stellung bezog, um sich abzugrenzen. Auch ein Brief Luthers an Erasmus vom April 1524, der zwar nicht als Herausforderung gemeint war, trug aber dazu bei, dass der Humanistenfürst seine bisherige Zurückhaltung aufgab.15 Anfang September 1524 erschien Erasmus‘ Schrift „De libero arbitrio diatribe sive collatio“ (Gespräch oder Unterredung über den freien Willen).16 Damit hatte Erasmus ein Thema gewählt, das theologisch, philosophisch und ethisch von zentraler Bedeutung war, da es die anthropologische Grundlage der Theo14 15

Vgl. dazu u. S. 194–197. Vgl. zum Streit über die Willensfreiheit Augustijn, Erasmus von Rotterdam, 121–130. 16 Lat. und dt. in: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften IV, 1–195.

II. Der Streit mit Erasmus über den freien Willen (1524/1525)

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logie schlechthin betraf. Zugleich hatte er eine Fragestellung aufgegriffen, die unter die von römischer Seite verurteilten Sätze Luthers fiel. Auch das Wormser Edikt hatte Luthers Leugnung des freien Willens unter die Häresie des Reformators gerechnet. Erasmus seinerseits hatte 1517 in einer Paraphrase zu Röm 9 im Anschluss an Origenes und Hieronymus dem „liberum arbitrium“, d.h. dem freien Willen des Menschen, gewisse Möglichkeiten zugestanden. Dies wiederum war ihm von reformatorischer Seite vorgehalten worden. Mit seiner Schrift „De libero arbitrio“ wollte er sich genauer erklären. Sein Ziel war es, ausgehend von den Schriftstellen des Alten und Neuen Testaments, menschliche Willensfreiheit und göttliches Heilshandeln in einen Ausgleich zu bringen. Erasmus definierte deshalb das „liberum arbitrium“ als jene Willenskraft, mit der sich der Mensch den Heilsmitteln entweder zuwenden oder sich von ihnen abwenden könne. Zugleich machte er aber deutlich, dass, wenn es um das Heil gehe, die ersten Regungen im Menschen und auch die Vollendung des Heilsprozesses der Gnade Gottes zugeschrieben werden müssten. Dazwischen allerdings, zwischen Anfang und Vollendung, maß Erasmus dem freien Willen durchaus einige Fähigkeiten bei, zumindest dass der Mensch sich durch ihn „der Gnade darbringt oder aber sich ihr entzieht“.17 Luther reagierte auf den theologisch-philosophischen Entwurf des Erasmus mit einer Gegenschrift. Sie erschien erst im Herbst 1525, und zwar unter dem Titel „De servo arbitrio“.18 Dem Erstdruck folgte im Dezember 1525 eine deutsche Übersetzung durch Justus Jonas unter dem Titel „Dass der freie Wille nichts sei“, 17 18

Zit. nach Augustijn, Erasmus, 291. Vgl. WA 18, 600–787.

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Kontroversen und Abgrenzung

die manche Argumente Luthers noch pointierter ausdrückte als die lateinische Vorlage.19 Luther vertrat dezidiert die Unfreiheit des menschlichen Willens in Bezug auf sein Verhältnis zu Gott.20 Im Umgang mit weltlichen Dingen dagegen gestand er dem Menschen durchaus volle Entscheidungsfreiheit zu. Dennoch trennte er nicht grundsätzlich zwischen der weltlichen und der geistlichen bzw. religiösen Sphäre. Denn über dem Willen des Menschen stehe schlechthin der souveräne Gotteswille. Aus dem Gottesverhältnis des Menschen wiederum ergibt sich nach Luther die generelle Ausrichtung des menschlichen Wollens. Darum sei der Mensch in keiner Weise frei. Vielmehr sei er der Ort, an dem sich ein permanentes Ringen zwischen Gott und Teufel vollziehe. Nur dann, wenn der menschliche Wille durch und durch an Gott gebunden sei, könne es überhaupt Heilsgewissheit geben. Für Luther war der absolut selbstbestimmte Wille des Menschen ebenso Illusion wie der absolut selbstbestimmte Mensch. Seine Position war zum einen geleitet durch einen Gottesbegriff, der von einer von Gott herkommenden Heils- und Allmachtserfahrung geprägt war, und zum anderen durch eine Anthropologie, die den Menschen als ein immer in unterschiedliche Kontexte eingebundenes, nie souverän über allem stehendes Wesen versteht. „Du“, so wandte er sich an Erasmus, „Du, der du dir vorstellst, daß der menschliche Wille eine in einer freien Mitte gesetzte Sache und sich selbst überlassen sei, ersinnst zugleich leicht, es gäbe ein Streben des Willens nach beiden Seiten, weil du dir einbildest, daß sowohl Gott als auch der Teufel weit entfernt seien, und gleichsam 19

Vgl. Mennecke, Jonas als Übersetzer, 131–144. Vgl. dazu Kolb, Bound Choice, 11–66, 294–305; Kohls, Luther oder Erasmus II, 62–68. 20

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529)

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nur Zuschauer jenes wandelbaren und freien Willens, daß sie aber Antreiber und Lenker jenes geknechteten Willens sind, wechselseitig im höchsten Maße einander feind, das glaubst du nicht.“21 Erasmus meldete sich daraufhin noch einmal mit einer Verteidigungsschrift zu Wort, dem „Hyperaspistes diatribae adversus servum arbitrium Martini Lutheri“22 (Schutzschrift gegen den ‚unfreien Willen‘ Martin Luthers), auf die Luther allerdings nicht mehr reagierte. Die Auseinandersetzung mit Erasmus hatte den endgültigen Bruch zwischen der älteren Humanistengeneration und den Reformatoren deutlich gemacht. In diesem Streit waren nämlich Positionen formuliert worden, die insofern von erheblicher Tragweite waren, als von ihnen das Verständnis der reformatorischen Rechtfertigungslehre und der Erbsünde abhing, ebenso wie die Beurteilung der guten Werke im Verhältnis zwischen Gott und Mensch.

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529) Neben Wittenberg war Zürich ein zweiter Mittelpunkt der Reformation geworden.23 Hier hatte sich die Reformation unter dem humanistisch geprägten Huldrych Zwingli und seinen Gesinnungsgenossen durchaus eigenständig entwickelt. Aber die Prinzipien evangeliumsgemäßer Lehre waren auf beiden Seiten dieselben. Nur an einem entscheidenden Punkt begannen sich beide Richtungen grundlegend voneinander zu trennen: in der Abendmahlslehre. 21 22

WA 18, 750,5–10. Dt. Mü³ Erg.Bd. I, 194. Vgl. Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften IV, 197– 675. 23 Vgl. dazu o. S. 87–104.

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Kontroversen und Abgrenzung

Anfangs hatten noch keine besonderen Differenzen bestanden. Beide Seiten waren sich grundsätzlich darin einig, dass das Abendmahl ein Erinnerungsmahl sei, dass es ein Unterpfand der Verheißung und der Zugehörigkeit zur Gemeinde Christi sei und dass es die Gaben und Pflichten der Gemeinschaft veranschauliche, vergewissere und lebendig vergegenwärtige. Erste Differenzierungen aber traten in der Haltung zur mittelalterlichen Transsubstantiationslehre auf, auch wenn sie von Luther und Zwingli gleichermaßen abgelehnt wurde. Schon im Jahre 1519 hatte sich Luther gegen die altgläubige Wandlungslehre positioniert. Die Substanz von Brot und Wein werde nicht in jene von Leib und Blut Christi verwandelt. Festgehalten aber hatte er – unter Aufgabe der aristotelischen Kategorien „Substanz“ und „Akzidens“ – an der Überzeugung, dass Leib und Blut Christi im Abendmahl unter und in den Elementen gegenwärtig seien, und zwar gemäß und kraft der in der Heiligen Schrift verbürgten Verheißung Jesu Christi: „Das ist mein Leib“ (Mk 14,22 parr.). Die Bedeutung des Sakraments lag für ihn im Verheißungswort, das in der gläubigen Aufnahme durch die Abendmahlsteilnehmer fruchtbar wird. Über das bloße Wort hinausgehend bot das Sakrament – und so auch das Abendmahl – den Teilnehmern ein verbürgendes, sinnlich erfahrbares Zeichen, auf das sich der angefochtene oder nach Stärkung verlangende Glaube beziehen könne. Innerhalb dieses Verständnishorizonts war die Auslegung der Einsetzungsworte für die Abendmahlslehre Luthers von entscheidender Bedeutung. Sie galten ihm als auf den Glauben hin ausgerichtete Verheißung, Zusage und Testament. Zwingli hatte demgegenüber ein Verständnis des Abendmahls entwickelt, das den symbolhaften Vollzug in den Vordergrund stellte. Auch er lehnte Wandlungslehre und Opfercharakter der Messe ab, betonte

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529)

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dagegen aber das „Wiedergedächtnis“ und die „Sicherung“ der durch Christus gewirkten Erlösung. Obwohl er anfangs den Gedanken der Realpräsenz – wie Luther ihn vertrat – noch keineswegs kritisiert hatte, herrschte bei ihm die Betonung des geistlichen Charakters des Abendmahls vor. Zunächst jedenfalls scheint er sich eines Gegensatzes zu Luther noch nicht bewusst gewesen zu sein und bekannte sogar, dass er die Betonung des „testamentum“– d.h. der im Abendmahl verbürgten Heilszusage Gottes – von Luther übernommen habe.24 Bedeutsam aber wurde bei Zwingli sein Akzent auf der Glaubensgewissheit des Empfängers. Sie erhielt bei ihm einen so zentralen Stellenwert, dass dies die Bedeutung des äußerlichen, rituellen Vollzugs minderte. Denn der Abendmahlsteilnehmer nehme Brot und Wein vergeblich zu sich, wenn er nicht „fest glaubt, daß dies allein eine Speise der Seele sei, wenn er [nicht] gewiß ist, daß der Leib Christi, für uns gegeben und geschlachtet, uns von aller Tyrannei des Teufels, der Sünde und des Todes befreit hat“.25 Zugleich näherte er sich immer mehr der symbolischen Deutung des Abendmahls an. Seine charakteristische Ausgestaltung aber erhielt Zwinglis Abendmahlslehre erst, als er mit der Position des Niederländers Cornelius Honius (Hoen) bekannt wurde.26 Beide betonten im Abendmahl den geistlichen Vorgang, unabhängig von den äußeren Zeichen. Das „est“ der Einsetzungsworte in „Hoc est corpus meum“ (Das ist mein Leib) sei als „significat“ (bedeutet) zu verstehen. Die Berechtigung dieser Interpretation versuchte Honius dadurch zu belegen, dass er andere Bibelstellen heranzog, in denen ein „est“ in vergleichbarem Sinne gebraucht wurde, z.B. in dem Satz des Paulus, „der 24 25

Vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 52. CR 95, 86, 5–9; die Übersetzung zit. nach Lohse, Dogma und Bekenntnis, 52f. 26 Vgl. Köhler, Zwingli und Luther I, 61–117.

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Kontroversen und Abgrenzung

Fels aber war Christus“ (1Kor 10,4).27 Solche und ähnliche Belege für „ist-Worte“ wurden auch in der Kontroverse zwischen Zwingli und Luther immer wieder von beiden Seiten herangezogen. Wichtig wurde dabei vor allem Zwinglis Argumentation mit Joh 6,26– 65.28 Luther hatte diesen Text bereits 1520 als exegetisch nicht zur Frage des Abendmahls zugehörig zurückgestellt. Zwingli aber deutete ihn auf das geistliche Essen hin aus.29 Joh 6 wurde für Zwingli, für seine Anhänger und auch für die späteren Diskussionen um das Abendmahlsverständnis der wichtigste Bibeltext. Der Zürcher betonte durchgehend die geistliche Speisung, die „manducatio spiritualis“, welche er mit dem Glauben schlechthin gleichsetzte. Konsequenterweise musste Zwingli daher eine reale Anwesenheit Christi im Abendmahl ablehnen. Dieses symbolische Verständnis arbeitete er in weiteren Schriften schärfer heraus. Das Abendmahl wurde für ihn Bekenntnismahl, Gemeinschaftsmahl und Gedächtnismahl. Alle, die das Brot bzw. den dadurch symbolisierten Leib Christi essen, gehen zudem die Verpflichtung ein, gemäß dem Gebot Christi zu leben. Auf diese Weise galt das Abendmahl für Zwingli auch als Pflichtzeichen. Die Christen werden, indem sie das Abendmahl feiern und so bekenntnishaft Jesu Tod verkündigen, zu einer christlichen Eidgenossenschaft, die durch den gemeinsamen Glauben und die gemeinsame Nachfolge zusammengehalten wird. Von dieser Lehre Zwinglis grenzte sich Luther dezidiert ab. Der Abendmahlsstreit sorgte für eine theologische Präzisierung auf beiden Seiten. Die Kontroverse, die im Kern die Jahre 1525 bis 1529 durchzog, 27 28 29

Vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 53. Vgl. Gollwitzer, Auslegung von Joh 6, 143–168. „Das Fleisch ist nichts nütze“ (Joh 6,63). Vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, 54f.

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529)

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begann aber im Grunde schon früher und bezog weitere Akteure mit ein.30 Ein entscheidendes Ereignis im Vorfeld war die Begegnung Luthers mit Karlstadt am 12. August 1524 in Jena. Hier hatte Luther seinen Kontrahenten, dessen eigentümliche Abendmahlslehre er missbilligte,31 ermuntert, in eine Auseinandersetzung mit ihm einzutreten und ihm – so die Überlieferung – darauf einen Goldgulden als Pfand gegeben. Als dann im März 1525 ein Brief Zwinglis an Matthaeus Alber (1495–1570) gedruckt an die Öffentlichkeit kam, in dem er seine Abendmahlslehre unter Rekurs auf Joh 6 explizierte, begann ein weit verzweigter Streitschriftenwechsel. Zunächst wurde die Auseinandersetzung hauptsächlich zwischen dem Basler Reformator Johannes Oekolampad (1482–1531) und dem Straßburger Martin Bucer auf der einen Seite und dem in Schwäbisch-Hall wirkenden Johannes Brenz und dem Wittenberger Johannes Bugenhagen auf der anderen Seite geführt. Oekolampad und Bucer traten für das symbolische Verständnis des Abendmahls ein, Brenz und Bugenhagen für die Realpräsenz von Leib und Blut Christi. Von 1526 an konzentrierte sich die Kontroverse auf Luther und Zwingli. Anfang Oktober 1526 erschien Luthers „Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister“. Zwingli brachte im Februar 1527 seine „Amica Exegesis“ heraus. Und darauf erschien wenig später im April 1527 Luthers Schrift „Dass diese Worte ‚Das ist mein Leib‘ noch fest stehen, wider die Schwarmgeister“. Schon im Juni 30 Vgl. dazu Burnett, Karlstadt and the Origins, 2011. Köhler, Zwingli und Luther I, 283–729. 31 Karlstadt hatte die Lehre vertreten, Christus habe bei der Aussage „das ist mein Leib“ auf sich selbst gewiesen, was er aus der Grammatik des Griechischen heraus zu belegen suchte. Brot und Wein betrachtete er daher als Symbole für Leib und Blut Christi. Vgl. dazu Burnett, Karlstadt and the Origins, 54–76.

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Kontroversen und Abgrenzung

1527 antwortete Zwingli darauf mit „Dass diese Worte ‚Das ist mein Leib‘ ewiglich den alten Sinn haben werden“. Luthers Schrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis“32 (1528) bildete Höhepunkt und Abschluss der Kontroverse zugleich, die nicht an den beiden Hauptkontrahenten Halt gemacht hatte. Luther hatte seine Abendmahlslehre auf die mehrfach biblisch bezeugten Einsetzungsworte gegründet und davon ausgehend die reale Gegenwart von Leib und Blut Christi im Vollzug des Sakraments in und unter den Abendmahlselementen gelehrt.33 Die Auslegung von Joh 6 auf das Verständnis des Abendmahls hatte er bestritten. Aber dabei konnte er in der Kontroverse nicht stehen bleiben. Denn Realpräsenz bedeutete für ihn nicht einfach eine Personalpräsenz Christi, sondern die tatsächliche Anwesenheit und Mitteilung des für die Sünden der Welt gestorbenen, auferstandenen und erhöhten Christus auch in seiner Menschheit. In der Auseinandersetzung mit Zwingli war Luther genötigt, diesen Gedanken genauer zu entfalten. Dabei sah er sich mit der kritischen Frage konfrontiert, wie es denkbar sein könne, dass Christus, der sich nach seiner Menschheit seit der Himmelfahrt an einem bestimmten erhöhten Ort befinde – so sahen es Zwingli und später auch Calvin –, zugleich im Abendmahl an vielen Orten gleichermaßen anwesend sei. Damit war die christologische Zwei-NaturenLehre in die Diskussion gebracht, die aussagt, dass in der Person Christi göttliche und menschliche Natur, d.h. Gottheit und Menschheit, aufs engste zusammenkommen – nach den Aussagen des Konzils von Chakedon von 451 unvermischt, ungewandelt, ungetrennt und unzerteilt.34 Luther entfaltete deshalb in 32 33

WA 26, 261–509. Mt 16,26–28, Mk 14,22–24; Lk 22,19–20; 1Kor 11,23–26. Zu Luthers Abendmahlslehre insgesamt vgl. Peters, Realpräsenz, 21966. 34 Vgl. Ritter, Dogma und Lehre, 264f.

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529)

121

der Abendmahlskontroverse zusätzlich seinen christologischen Standpunkt, indem er erklärte, dass die Person Christi durch die Erhöhung zur Rechten Gottes nicht nur nach ihrer Gottheit, sondern auch nach ihrer Menschheit über alle Kreaturen erhoben worden sei und alle Dinge erfülle.35 Anders als die Tradition verstand Luther nämlich die Himmelfahrt Christi nicht in lokalem Sinne als einen Ortswechsel, sondern als Erhöhung in die Allmacht Gottes. Diese Erhöhung ließ auch der Menschheit die Attribute der Gottheit zuteil werden, zu denen außer der Allmacht und Allwissenheit die Allgegenwart gezählt wurde. Die Christologie wurde im Kontext der Abendmahlskontroverse zu einem zusätzlichen Argument für die reale Anwesenheit und Selbstmitteilung nicht nur der Gottheit, sondern auch der Menschheit Christi in und unter den Elementen des Abendmahls. Zugleich aber blieb Luther dabei, dass es die Einsetzungsworte seien, die diese Gegenwart im Abendmahl primär begründeten. Diese durch die Einsetzungsworte garantierte, vom Glauben des Abendmahlsempfängers unabhängige Realpräsenz führte konsequenterweise zu der Lehre von der „manducatio impiorum“, d.h. des Empfangs von Leib und Blut Christi auch durch die Gottlosen, die allerdings den Leib des Herrn – gemäß 1Kor 11,27 – zum Gericht zu sich nehmen. Auch Zwingli sah sich durch die Kontroverse genötigt, seine Abendmahlslehre konsequent auszuformulieren. Wichtiger noch als die Deutung des „est“ im Sinne des „significat“ wurde schließlich sein Verständnis des Abendmahls als Passamahl des neuen Bundes. Dafür zog er Ex 12,11 heran. Hier sei das geschlachtete Lamm ein für allemal als Symbol für die Verschonung vor dem strafenden Handeln Gottes eingesetzt worden, wie einst die Väter der Juden vor 35

Eph 1,20–23.

122

Kontroversen und Abgrenzung

dem Strafgericht Gottes in Ägypten verschont wurden. Zwingli sah das Abendmahl, das Christus als Symbol seines Todes gestiftet habe, in Parallele dazu.36 Diese Parallelisierung von Passa als Symbolhandlung bzw. Sakrament des alten Bundes und Abendmahl als Sakrament des neuen Bundes macht deutlich, dass nach Zwingli die Gemeinde das Subjekt der Abendmahlsfeier ist; sie handelt. Bei Luther dagegen kommt, ebenso wie in der kirchlichen Tradition, Christus als der im Abendmahl eigentlich Handelnde in den Blick. Zudem betonte Zwingli vor allem die biblische Aufforderung: „Dies tut zu meinem Gedächtnis“.37 Auf diese Weise konnte er das Abendmahl als Erinnerung und Vergegenwärtigung des geschehenen Leidens Christi konzipieren. Nicht nur die Realpräsenzlehre Luthers lehnte er ab, sondern auch die von ihm vorgetragenen christologischen Argumente. Für ihn war klar, dass die als Ortswechsel zu verstehende Himmelfahrt jegliches Nachdenken über sakramentale Präsenzvorstellungen ausschloss. Den Gedanken, dass der menschlichen Natur Christi durch die Erhöhung in die Allmacht Gottes die Eigenschaften der Gottheit mitgeteilt würden (communicatio idiomatum), wollte und konnte Zwingli nicht mit vollziehen. Weiterhin kontrovers blieb darüber hinaus, ob die Gegenwart Christi an die vergegenwärtigende Kraft des Glaubens des Abendmahlsteilnehmers gebunden sei oder an den einsetzungsgemäßen Vollzug des Sakraments. Zwingli insistierte darauf, dass Christus im Abendmahl nur für den Glaubenden gegenwärtig sei und der Ungläubige daher auch nichts empfange. Eine „manducatio impiorum“ war für ihn undenkbar, während Luther die in den Einsetzungsworten ver36 Vgl. dazu CR 91, 484,23–25 und Lohse, Dogma und Bekenntnis, 58f. 37 Lk 22,19.

III. Die Abendmahlskontroverse mit Zwingli (1525–1529)

123

heißene Gegenwart Christi allem menschlichen Glauben vorgegeben sah. Zu einer Einigung der Parteien kam es nicht. Dennoch gab es Bemühungen, die Fronten auszugleichen. Denn religiöser Zwiespalt war nicht nur ein theologisches, sondern auch ein politisches Problem. Inzwischen hatten sich nämlich weitere Reichsstände der Reformation zugewandt und damit den Raum des geltenden Reichsrechts verlassen. Nach dem Speyerer Reichstag von 1529, der das Wormser Edikt erneuerte,38 fassten deshalb die oberdeutschen Städte und vor allem der junge Landgraf Philipp von Hessen den Plan, ein evangelisches Verteidigungsbündnis zu schließen, was allerdings an der theologischen Uneinigkeit hätte scheitern müssen. Und so wurde auf Initiative des Landgrafen ein Religionsgespräch anberaumt, das Missverständnisse ausräumen und eine Einigung in der Lehre ermöglichen sollte.39 Das Gespräch fand vom 1. bis 4. Oktober 1529 auf dem Marburger Schloss statt. Beteiligt waren außer Zwingli Johannes Oekolampad und die Straßburger Theologen Martin Bucer und Capar Hedio (1494–1552) sowie der Stättmeister Jakob Sturm (1489–1553). Auf der Seite Luthers waren Philipp Melanchthon, Justus Jonas, der Nürnberger Reformator Andreas Osiander (1498–1552) und Johannes Brenz anwesend. In der Abendmahlsfrage verlief das Gespräch erfolglos. Beide Seiten verharrten auf ihren Standpunkten. Für Luther war das „est“, d.h. die reale Gegenwart von Christi erhöhtem Leib und Blut unaufgebbar, und Zwingli war ebenso wenig bereit, sich Luthers Standpunkt anzunähern. Ein Ergebnis im Sinne einer theologischen Einigung konnte deshalb nicht erzielt werden. 38 39

Vgl. dazu u. S. 202–205. Vgl. Köhler, Zwingli und Luther II, 1–163.

124

Kontroversen und Abgrenzung

Am Ende standen die von Luther verfassten 15 Marburger Artikel, die eine weitreichende Übereinstimmung zwischen beiden Seiten in all jenen Themen erklärten, die die reformatorische Theologie grundsätzlich betrafen.40 In der Abendmahlslehre stellte man immerhin in fünf Punkten Gemeinsamkeit fest: 1. in der Abendmahlspraxis mit Brot und Wein gemäß der Einsetzung Christi; 2. in der Ablehnung des Werkcharakters der Messe, 3. im sakramentalen Charakter der Feier; 4. in der Betonung der Notwendigkeit des geistlichen Genusses von Leib und Blut Christi für jeden Christen; 5. in der heilsamen Wirkung auch auf die schwachen Gewissen. Worüber man aber nicht zu einer Einigung gekommen war, war die zentrale Frage der Realpräsenz.41

IV. Die Antinomistischen Streitigkeiten (1527 und 1537/1538) Nachdem die Praxis des rituellen Handelns, die christliche Anthropologie und die Abendmahlslehre mit ihren Auswirkungen auf das Sakramentsverständnis zur Debatte gestanden hatten, machten die antinomistischen Streitigkeiten die Rolle des Gesetzes (gr. nomos) und damit das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zum Thema. Es handelte sich dabei um Differenzen, die innerhalb des Wittenberger Reformatorennetzwerks selbst ausgetragen wurden. Luther hatte bereits 1517/1518 das Wirken Gottes in Gesetz 40

Folgende Themen wurden in den Marburger Artikeln behandelt: Trinitätslehre, Christologie, Erbsünde, Erlösung, Glaube, das äußerliche Wort, Taufe, die guten Werke, Beichte, Obrigkeit, menschliche Traditionen, Kindertaufe und schließlich das Abendmahl. 41 Vgl. Lohse, Dogma und Bekenntnis, S. 60–64; Hausammann, Marburger Artikel, 288–321; die Quellen bei May (Hg.), Marburger Religionsgespräch, ²1979.

IV. Die Antinomistischen Streitigkeiten (1527 und 1537/1538)

125

und Evangelium thematisiert. Das Gesetz verstand er als das Wort des Zorns und die Stimme des Richters, die den sündigen Menschen zur Buße führt; das Evangelium als Zuspruch der Sündenvergebung und Übereignung der Gerechtigkeit Christi. Insofern waren Gesetz und Evangelium für Luther „zweierlei Wort oder Predigt“,42 nicht aufteilbar auf das Alte Testament einerseits und das Neue Testament andererseits. Vielmehr sah er sie als Gebot und Zusage/Verheißung in beiden Testamenten der Bibel enthalten. Schon 1527 kam es zu Auseinandersetzungen über die Rolle des Gesetzes und der Gesetzespredigt. Damals standen sich Johann Agricola – enger Vertrauter Martin Luthers, seit August 1525 Leiter der Schule in Eisleben und Prediger an der Nicolaikirche – und Philipp Melanchthon als Gegner gegenüber.43 Auslöser für die Kontroverse war das Erscheinen der lateinischen Visitationsartikel im Jahre 1527.44 Diese Anleitung für die Visitatoren zielte darauf, die sittliche Komponente christlichen Lebens, die durch eine undifferenzierte und ausschließliche Evangeliumspredigt verloren zu gehen drohte, im Bewusstsein zu halten. Die Visitationserfahrung zeigte nämlich, dass eine einseitige reformatorische Gnadenpredigt zu Fehlentwicklungen in den jungen Gemeinden führen konnte. Melanchthon betonte deshalb – im Konsens mit Luther –, dass die Predigt der göttlichen Gnade im Grunde ineffektiv sei, wenn nicht zuvor das Bewusstsein für die eigene Sündlichkeit und die erforderliche Buße im Menschen geweckt werde. Daher müsse die christliche Lehre mit einer Gesetzespredigt beginnen,

42 43

WA 10/I/2, 155,22. Zu Agricola und den antinomistischen Streitigkeiten vgl. Wengert, Law and Gospel, 1997; Rogge, Johann Agricolas Lutherverständnis, 98–210; Lohse, Dogma und Bekenntnis, 39–45. 44 Vgl. CR 26, 7–28.

126

Kontroversen und Abgrenzung

die zur Buße anhalte.45 Dieser Akzent auf dem Erfordernis der Gesetzespredigt löste den Streit zwischen Agricola und Melanchthon aus. Agricola beschuldigte Melanchthon, von der reformatorischen Lehre abgefallen zu sein und sich dem alten Glauben wieder anzunähern. Dazu führte er solche Aussagen Luthers ins Feld, die das Evangelium als wirkende Kraft in den Vordergrund stellten. Dies fand Niederschlag in seinem Katechismus, den „130 gemeinen Fragstücken für die jungen Kinder“ (1527), in dem er darlegte, das Gesetz sei ein verfehlter Versuch Gottes, den Menschen durch Drohung und Zwang den Weg zu weisen. Heute gehe die Christen das Gesetz, das als historische Sammlung von Rechtsbestimmungen für die Juden zu betrachten sei, nichts mehr an. Es sei das Evangelium, das die Herzen der Menschen anrühre. Die sich darin äußernde Güte Gottes, die Erfahrung seiner Freundlichkeit und das Ergreifen seiner Gnade führe zu Reue, Buße und innerer Erneuerung. Agricolas Anliegen war, zu vermeiden, dass die menschliche Reue vor oder über der Gnade Gottes rangieren könnte, denn genau dies prangerte er auf Seiten der römischen Kirche an. Melanchthon versuchte die Spannungen zu glätten, indem er auf seine Übereinstimmung mit Luther verwies. Als sich die Lage verschärfte, schaltete sich Kurfürst Johann von Sachsen (reg. 1525–1532) ein und lud zu einem Treffen in Torgau (26.–28.11.1527) ein. Tatsächlich wurde eine Einigung erzielt, die aber im Prinzip die Position Melanchthons bestätigte. Beide Streitparteien betrachteten die Kontroverse fortan als beigelegt, auch wenn Agricola in privater Auseinandersetzung mit Melanchthon daran festhielt, dass der Dekalog in der Kirche keinen Ort habe. Melanchthon seinerseits betonte – von Luther unwidersprochen – den „tertius usus legis“, d.h. 45

Vgl. CR 26, 11 und 28.

IV. Die Antinomistischen Streitigkeiten (1527 und 1537/1538)

127

den dritten Gebrauch des Gesetzes als pädagogischethische Anleitung für das Leben des wiedergeborenen Christen. Die zweite Streitphase spielte sich zwischen Agricola und Luther in den Jahren 1537/1538 ab. Auslöser war Agricolas Auseinandersetzung mit dem Doppelkonvertiten Georg Witzel (1501–1573),46 der seit 1533 in Eisleben wirkte. Sie trieb Agricola, der nach Reibungen mit Graf Albrecht von Mansfeld 1536 wieder nach Wittenberg gekommen war, in eine immer schärfere antinomistische Position, so dass er schließlich lehrte, dass Buße, Sündenerkenntnis und Gottesfurcht aus dem Evangelium, nicht aus dem Gesetz zu lehren seien, wobei er das „Gesetz“ immer mehr auf das mosaische Gesetz einengte. Den Wittenbergern warf er vor, aus Christus einen neuen Moses zu machen, indem sie auf die notwendig aus dem Glauben hervorgehenden Werke pochten. Selbst Luther legte er Abfall von der eigenen Lehre zur Last. Dieser sah zunächst über all dies hinweg und hielt unverbrüchlich an seiner Freundschaft mit Agricola fest, der seine antinomistische Theologie jedoch weiterhin öffentlich und provokativ vertrat. Erst 1537 begann Luther, gegen die „Antinomer“ Stellung zu beziehen und betonte die Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium: Das eine dürfe nicht ohne das andere gepredigt werden.47 Melanchthon sah darin zu Recht eine Bestätigung seiner Position, die ihn ein Jahrzehnt zuvor in die Kontroverse mit Agricola geführt hatte. Nach einer Aussprache zwischen Luther und Agricola schien der Konflikt zunächst behoben zu sein. Aber 46

Witzel war, nachdem er sich zunächst dem evangelischen Glauben zugewandt hatte, wieder zur römischen Kirche zurückgekehrt. Vgl. zu ihm Henze, Aus Liebe zur Kirche Reform, 122–125. 47 Vgl. dazu den Überblick von Kawerau, Antinomistische Streitigkeiten, 585–592; BSELK, 1246–1249, Anm. 117.

128

Kontroversen und Abgrenzung

als dieser unter Hinweis auf Luthers angebliche Approbation seine Lehre in Druckschriften weiter propagierte, gab Luther seine bisherige Zurückhaltung auf. In einer Serie von sechs akademischen Disputationen48 versuchte der Reformator, eine theologische Klärung herbeizuführen. Tatsächlich fanden die beiden Gegner schon nach der zweiten Disputation vom 12.1.1538 in einer feierlichen Versöhnung wieder zusammen. Dennoch konnte die Kontroverse nicht endgültig beigelegt werden. Agricola vertrat seine Meinung in weiteren Thesenreihen. Misstrauen überschattete die alte Freundschaft; Luther meinte, in den „Antinomern“ bewusste Heuchler zu erkennen, die das christliche Leben mit seinen ethischen Normen allmählich untergruben. Agricola, der durch den fortdauernden Konflikt mit Luther auch seine berufliche Existenz bedroht sah, erklärte sich schließlich zum Widerruf bereit. Er ist in Luthers Schrift „Wider die Antinomer“ enthalten, die allerdings erst 1539 herauskam.49 De facto aber waren die Differenzen keineswegs beigelegt. Agricola sah sich zunehmend als Märtyrer unter der „Tyrannis“ Luthers, während Luther und Melanchthon zutiefst von der Schädlichkeit der antinomistischen Lehren für Glauben und Leben der Christen überzeugt waren und sie weiterhin zu unterbinden suchten. Nach der vierten Disputation vom 10.9.1538 erstellte Agricola aufs Neue eine Revokationsschrift, die, wie schon der vorangegangene Widerruf, einer Vorlage Melanchthons folgte. Ob er mit Überzeugung dahinter stand, mag man bezweifeln, denn bald darauf brachte er eine Neuauflage seines Eislebener Katechismus heraus. Die Auseinandersetzungen mit Agricola hatte die Konturen der Wittenberger Theologie in Bezug auf 48 49

Vgl. WA 39/I, 342–358. Vgl. WA 50, 468–477.

IV. Die Antinomistischen Streitigkeiten (1527 und 1537/1538)

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das Verständnis des Gesetzes geschärft. Melanchthon fasste dessen Funktion 1535 in der zweiten Ausgabe seiner „Loci“ und vor allem in der letzten von 1559 in den drei „usus legis“ zusammen:50 „usus politicus“ (Ordnungsfunktion des Gesetzes im gesellschaftlichen Leben), „usus theologicus“ (überführende Funktion des Gesetzes) und „usus pädagogicus“ (orientierende Funktion des Gesetzes für das Leben des Christen).

50

Vgl. MWA II/1, 354–359.

Reformatorischer Dissent

Nicht nur Kontroversen trugen zur theologischen Profilbildung der Reformation bei, sondern auch die Herausforderung, die sich durch dissentierende Strömungen ergab. In der Kirchengeschichtsschreibung ist in diesem Zusammenhang oft von der „radikalen Reformation“1 die Rede gewesen, auch wenn sich zu dem, was man heute unter „Radikalität“ versteht, kaum Parallelen ergeben. Es handelte sich vielmehr um sehr unterschiedliche Gruppierungen, deren Gemeinsamkeit in der Überzeugung bestand, die Reformation sei in den Anfängen stecken geblieben und habe keine dauerhaften Konsequenzen hervorgebracht. Eine ethische Besserung z.B. sei ausgeblieben. Solche Haltungen speisten sich gelegentlich aus Impulsen, die aus spätmittelalterlicher Kirchenkritik entlehnt wurden, so dass die vermeintlich „Radikalen“ durchaus „konservative“ Züge trugen, auch wenn ihr Ziel war, „progressiv“ über die reformatorischen Anfänge hinauszugehen. Luther sah in den Anhängern solcher Bewegungen unterschiedslos „Schwärmer“.2 In wissenschaftlichen Darstellungen findet man die Bezeichnungen „Wildwuchs der Reformation“3 und „linker Flügel der Reformation“.4 Wenn hier von „reformatorischem Dissent“ oder dissentierenden

1

Vgl. Williams, Radical Reformation, 32000, außerdem Goertz (Hg.), Radikale Reformatoren, 1978. 2 Vgl. Burnett, Luther and the Schwärmer, 511–513. 3 Vgl. Lau, Reformationsgeschichte, 17; ihm folgend u.a. Leppin, Reformation, 25. 4 Vgl. Seebaß, Der „linke Flügel der Reformation“, 151–164.

I. Das Täufertum

131

Gruppen die Rede ist,5 dann um politische Konnotierungen und Wertungen zu vermeiden. Auch wenn die Vielfalt des Dissents einer eindeutigen Klassifikation im Wege steht und die Grenzen zwischen den Strömungen fließend sind, können unter der Perspektive des jeweils charakteristischen theologischen Anliegens Täufer, Spiritualisten und Antitrinitarier unterschieden werden. Sie entfalteten bis in die Gegenwart hinein nachhaltige Wirkungen.

I. Das Täufertum Chronologisch betrachtet, führen die Täufer nicht die Reihe derjenigen an, die Kritik am Verlauf der Reformation übten. Schon vor ihnen traten Persönlichkeiten wie Andreas Bodenstein von Karlstadt oder Thomas Müntzer mit ihren spiritualistischen Ansätzen hervor.6 Aber, anders als Spiritualisten und auch Antitrinitarier, sammelten sich die Täufer schon früh in relativ geschlossenen Gruppierungen. Sie entwickelten eine eigene Theologie, die, trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen, langfristig struktur- ja sogar kirchenbildend wirkte.

5

Der Name „Dissenter“ kam eigentlich erst im 17. Jahrhundert in England auf und bezeichnete alle Gruppen, die die Uniformitätsakte von 1662 ablehnten; vgl. Meier, Dissenters, 1055–1057; außerdem Hahn-Bruckart, Dissenter und Nonkonformisten, 1–2, in: Europäische Geschichte Online (EGO) URL: www.ieg-ego.eu/ hahnbruckartt-2016-de, URN: urn:nbn:de:0159-2015120905 [9.4.2017]. 6 Vgl. o. S. 107–110 und u. S. 147–154.

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Reformatorischer Dissent

1. Das frühe Täufertum in Zürich – Konrad Grebel und Felix Mantz Die Wurzeln des Täufertums liegen in Zürich, wo der Rat sukzessive die Reformation einführte. Als es im Dezember 1523 im Blick auf die Abschaffung der Messe zu Spannungen kam, suchte Zwingli aus religionspolitischen Gründen einen Ausgleich mit dem Rat, dem er anheimstellte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Daraufhin distanzierte sich ein Teil seiner Anhänger von ihm, unter ihnen Konrad Grebel und Felix Mantz.7 Sie warfen ihm vor, der erkannten Wahrheit nicht bedingungslos gefolgt, sondern einen Kompromiss mit der Obrigkeit eingegangen zu sein. Daraus ergab sich die Frage, ob eine politische Obrigkeit überhaupt Entscheidungsgewalt in Glaubensfragen beanspruchen könne. Die Gruppe um Grebel und Mantz entwickelte ihren Standpunkt selbstständig weiter: Sollte sich die Obrigkeit weigern, der Wahrheit zu dienen, könne sie sich nicht mehr rechtens eine christliche Obrigkeit nennen; diejenigen, die eine solche Obrigkeit unterstützten, könnten nicht mehr als Vertreter der christlichen Gemeinde gelten. Die bisher selbstverständliche Kongruenz von christlicher Gemeinde und politischem Gemeinwesen wurde brüchig. Die Wahrung dieser Kongruenz aber war Zwinglis Ziel: Er wollte die Reformation in der Einheit von corpus christianum und politischem Gemeinwesen durchführen. Für Grebel, Mantz und ihre Gesinnungsgenossen dagegen tat sich eine Diskrepanz auf, da im Politischen ihrer Erfahrung nach andere Normen galten als diejenigen, die sie als christlich werteten und die für eine christliche Gemeinde leitend sein sollten. Damit verband sich die Überzeugung, dass die Gemeinde Christi in einer solchen Umgebung Kreuz und 7

Vgl. Strübind, Eifriger als Zwingli, 183–202.

I. Das Täufertum

133

Leiden erfahren werde. Man sah die eigene Gruppe als die wahre, in der Kreuzesnachfolge Christi lebende Gemeinde. Vor diesem Erfahrungshintergrund, der die Frage nach der wahren christlichen Gemeinde und wahrhaftigen Nachfolge aufgeworfen hatte, erhielt die Ablehnung der Kindertaufe durch Grebel und Mantz sowie ihre Forderung einer Erwachsenentaufe besonderes Gewicht. Seit 1523 sammelten sich um Grebel und Mantz Fromme zu gemeinsamer Bibellektüre und -auslegung. Hier kannte man weder die herkömmliche Messe noch liturgisches Handeln. Man feierte das Abendmahl im kleinen Kreis Wiedergeborener als Erinnerungsmahl mit Brot und Wein. Dieser Kreis, der wie die urchristliche Gemeinde auf Reinheit der Gruppe und Integrität des Einzelnen achtete, konstituierte sich mit Hilfe der Erwachsenentaufe, die im Anschluss an die Wiedergeburt des Menschen erfolgen sollte. Denn mit der gottgewirkten Wiedergeburt sah man eine sowohl innerliche als auch äußerliche Wandlung des Menschen verbunden, die ihn befähigte, die durch die Wiedergeburt erhaltene Rechtfertigung auch in einem Leben der Heiligung in der Gemeinschaft der Heiligen zu erweisen. Die auf die Wiedergeburt folgende Taufe wurde daher zu einem Merkmal, das die Gemeinde der wahren Gläubigen von der übrigen Welt unterschied. Die Taufe galt nicht als ein sakramentales Zeichen für die göttliche Zusage ewigen Heils, sondern als ein sichtbares, menschliches Bekenntnis der durch den Glauben bereits geschehenen Sündenvergebung und Rechtfertigung. Sie wurde zu einem Eingangsritus für die Aufnahme in die „communio sanctorum“. Die Ablehnung der Kindertaufe begründeten Grebel, Mantz und ihre Gesinnungsgenossen damit, dass ein Kind weder Buße tun noch diesen Glauben haben könne. Die Taufe des bewusst seinen Glauben bekennenden Erwachsenen galt

134

Reformatorischer Dissent

ihnen darum als einzig wahre Taufe. Schon im Frühjahr 1524 stellte man in einzelnen Gemeinden in der Umgebung von Zürich die Kindertaufe ein. Nachdem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden waren, befahl der Zürcher Rat schließlich unter Androhung von Ausweisung, die Taufe der Kinder nachzuholen. Die Bildung von Konventikeln wurde verboten; radikale Gegner der Kindertaufe verbannt. Im Januar 1525 vollzog Grebel an dem Graubündener Weltgeistlichen Jörg Blaurock (ca. 1492–1529) zum ersten Mal die Erwachsenentaufe. Blaurock wirkte fortan als Erweckungsprediger der Taufgesinnten. Als der Rat von der eigenmächtigen Einführung der Glaubenstaufe hörte, schritt er unverzüglich ein. Die meisten der neu Getauften wurden festgenommen. Die Führer der Bewegung flohen und zogen evangelisierend durchs Land. So breitete sich die Bewegung rasch in der nördlichen Schweiz aus und griff auch auf die oberdeutschen Städte, besonders auf Straßburg und Augsburg, über.8 2. Vielfalt des Täufertums – Balthasar Hubmaier, Hans Denck, Hans Hut Großen Erfolg hatte das Täufertum in Waldshut in Österreich. Hier wirkte seit 1520 Balthasar Hubmaier als Pfarrer (1480/85–1528).9 Er war durch den Einfluss humanistischer und reformatorischer Kreise sowie die Lektüre von Schriften des Erasmus, Luthers und Melanchthons zur Reformation gekommen. 1523 trat er in engeren Kontakt zu Zwingli, von dem er sich aber in der Frage der Taufe distanzierte. Während Zwingli an der Kindertaufe festhielt, kam Hubmaier 8 Vgl. den kurzen Überblick bei Fast (Hg.), Der linke Flügel, XIII– XXII. 9 Zu Leben, Wirken und Theologie vgl. Schubert, Balthasar Hubmaier, 133–137; Windhorst, Balthasar Hubmaier, 125–136.

I. Das Täufertum

135

zu der Überzeugung, dass sie nicht schriftgemäß sei. Im Herbst 1524 wurde die Reformation in Waldshut eingeführt. Die Messe wurde reformatorisch umgestaltet und die Bilder aus den Kirchen entfernt. Es kam zu einem regelrechten Bildersturm. Um Ostern 1525, mitten in den Bauernaufständen, konnte sich auch das Täufertum etablieren. Am Ostersonntag ließ sich Hubmaier zusammen mit 60 anderen Bürgern der Stadt taufen. Anschließend taufte er selbst ca. 300 Menschen, darunter die Mehrheit der Ratsmitglieder. Anschließend feierten sie das Abendmahl im Sinne eines Gedächtnismahls. Dies und die Teilnahme der Stadt am Bauernkrieg brachten Waldshut in eine sowohl religiöse als auch politische Isolation. Anfang Dezember 1525 besetzten habsburgische Truppen die Stadt und führten sie wieder dem alten, römischen Glauben zu. Hubmaier floh mit seiner Frau nach Zürich, wo er in Haft genommen und unter Folter zum Widerruf gezwungen wurde. Im April 1526 konnte er Zürich verlassen und ging über Augsburg nach Nikolsburg in Mähren. Wieder wandte sich unter seinem Einfluss eine ganze Stadt dem Täufertum zu. Aber bald schon ergaben sich Schwierigkeiten, die durch die apokalyptische Predigt des Täufermissionars Hans Hut hervorgerufen wurden. Im Juli 1527 ließ Ferdinand von Österreich Hubmaier in Kerkerhaft nehmen. Am 10.3.1528 wurde er in Wien wegen Aufruhr und Ketzerei verbrannt. Seine Frau wurde in der Donau ertränkt.10 Hubmaiers wichtigste täuferische Schriften11 entstanden in Waldshut im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Zwingli. Sie lassen erkennen, dass auch er 10

Seit der Gesetzessammlung Kaiser Justinians (Codex Iustinianus), die später als eines von vier Teilen in das Corpus Iuris Civilis einging, stand die Wiederholung des – theologisch nur einmal vollziehbaren – Sakraments der Taufe unter Todesstrafe. 11 Vgl. Hubmaier, Schriften, 1962.

136

Reformatorischer Dissent

von einer über Wort und Glauben geschehenden Rechtfertigung des Sünders ausging. Diese Wiedergeburt setzte er mit der Glaubens- oder Geisttaufe gleich. Erst danach kommt die Wassertaufe als ein Handeln des Christen und als Bekenntnis des „inwendig und im Glauben“12 gewonnenen neuen Lebens. In seiner Nikolsburger Zeit entwickelte Hubmaier zudem das Konzept der Bluttaufe, die sich in Leidensnachfolge und Buße vollzieht. Dieses prozesshafte Taufverständnis wurde für ihn charakteristisch. Außerdem vertrat er – anders als die meisten Täufer – keinen konsequenten Pazifismus. Durch Hans Denck13 (ca. 1500–1527) und Hans Hut14 (ca. 1490–1527) kamen spiritualistische Akzente in das Täufertum. Denck war von Balthasar Hubmaier in Augsburg getauft worden und taufte seinerseits im Frühjahr 1526 Hans Hut. Denck war ein Anhänger Thomas Müntzers gewesen und brachte dessen spiritualistischen Enthusiasmus, aber auch mystische Vorstellungen mit. Ausschlaggebend für seine Lehre war die Vorstellung von einer göttlichen Immanenz, d.h. der Gegenwart Gottes in aller Kreatur und damit auch im Menschen, als Voraussetzung für Erlösung und Erneuerung. Zudem setzte er einen starken Akzent auf die Präexistenz des Logos, was dazu führte, dass die Menschwerdung Gottes in Christus als Heilstat in den Hintergrund trat. Ihm ging es um die innere Verbindung des Menschen mit dem präexistenten Logos, die im Grunde nie ganz abgebrochen, sondern lediglich verschüttet worden sei. Nach Denck trägt jeder Mensch das Bild und die Offenbarung Gottes in sich. Diese Lehre hatte Auswirkungen auf das Verständnis 12 13 14

Windhorst, Balthasar Hubmaier, 612. Vgl. Packull, Hans Denck, 51–59. Vgl. Seebaß, Müntzers Erbe, 2002.

I. Das Täufertum

137

der Sakramente, die im Grunde ihre Funktion einbüßten. Denck leugnete die Einsetzung der Kindertaufe durch Christus und warnte zugleich davor, ohne Beauftragung durch Gott überhaupt eine andere Art der Taufe einzuführen. Im Jahre 1527 starb Denck an der Pest. Auch der Täuferführer Hans Hut15 war von Müntzer beeinflusst, trug aber andere Akzente als Denck in das Täufertum ein. Hut entwickelte ein mystisch-apokalyptisches Täufertum. Ausgehend von Offb 7,2f verstand er die Taufe als ein Zeichen der Versiegelung, mit dem all diejenigen gekennzeichnet werden sollten, die in dem zu erwartenden, künftigen Gericht Gottes verschont bleiben und dieses Gericht sogar mit vollziehen sollten. Nach Dan 12,6 und Ez 9,2–5 erkannte Hut in sich selbst den Mann, dessen Aufgabe es war, in der kurzen noch verbleibenden Zeit möglichst viele der 144.000 Erwählten mit einem Kreuz an der Stirn zu versiegeln. In diesem Sinne predigte er in Franken, Oberösterreich und Mähren. Schließlich wurde er in Augsburg gefangengesetzt und nach mehrmonatigem Prozess und Folter zum Tode verurteilt. Das Urteil konnte nicht mehr vollzogen werden, denn Hut starb an einer Rauchvergiftung, die er sich bei seinem Fluchtversuch zuzog. 3. Konsolidierung und Abgrenzung In der Gegend um Schaffhausen und im Raum um St. Gallen und Appenzell hatte sich das Täufertum zu einer regelrechten Massenbewegung entwickelt. Mit seinen Idealen war es in die Nähe einer anderen Massenbewegung gerückt, nämlich derjenigen der auf-

15

Vgl. Seebaß, Hans Hut, 44–50.

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Reformatorischer Dissent

ständischen Bauern.16 Den Zeitgenossen gelang es manchmal kaum, zwischen den täuferischen Anliegen und denen der Bauern zu unterscheiden, zumal auch Taufgesinnte an den Aufstandsbewegungen teilnahmen. Aber nachdem die Erhebungen des Bauernkriegs blutig niedergeschlagen worden waren, entwickelte sich das Täufertum immer mehr zu einem Minderheitenphänomen. Ab ca. 1525 schlug es bewusst den Weg in die Absonderung ein. Ausschlaggebend dafür waren verschiedene, theologisch begründete Entscheidungen. Dazu gehörte das Verbot des Eides. Anfangs war diese Forderung in den täuferischen Reihen noch nicht verbreitet gewesen. Nun aber weigerte man sich zu schwören. Grundlage dafür war die für das Täufertum charakteristische Bibeltreue und buchstäbliche Auslegung der Heiligen Schrift, in diesem Fall des 2. Gebots. Die Eidverweigerung brachte die Täuferbewegung politisch ins Abseits. Denn der Eid war in der frühen Neuzeit eine unentbehrliche Rechtsform, die das ganze politische und gesellschaftliche Gefüge funktionsfähig erhielt. Auch die Stellung der Täufer zum Gebrauch des Schwerts hatte sich geändert. Zu Anfang gab es noch – wie das Beispiel Hubmaiers zeigt – eine durchaus offene Einstellung zu einer situationsgebunden legitimen Anwendung von Gewalt. Nun wurde die Forderung eines konsequenten Pazifismus – gestützt durch die Weisungen der Bergpredigt (Mt 5) – immer stärker betont. Ein weiteres Charakteristikum war die Auffassung, ein Christ dürfe keine obrigkeitlichen Ämter übernehmen. Obrigkeitliche Aufgaben ließen sich nämlich nicht mit dem von den Täufern angestrebten, evangeliumsgemäßen Leben vereinbaren, da sich jede Obrigkeit in ihrer Amtsführung immer wieder der Macht- und Gewaltausübung bedienen musste. Ein weiterer, den 16

Vgl. dazu u. S. 231–238.

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Weg in die Absonderung begünstigender Faktor war die Verweigerung von Zins und Zehnten an die als unchristlich gewertete Obrigkeit. Noch im Sommer 1525 hatte es viele taufgesinnte Bauern gegeben, die besonderes Gewicht auf die Verweigerung des Zehnten legten und darin die eigentliche Attraktivität der Täufer-Bewegung sahen, auch wenn die maßgeblichen Täuferführer versucht hatten, sich von diesem Anhang unzufriedener Bauern, denen es mehr um soziale Forderungen als um täuferische Ideale ging, zu distanzieren. Zu den Merkmalen der Täufer gehörte des Weiteren, dass sie versuchten, ihrer Gemeinschaft durch äußere Zeichen ihres Glaubens und ihrer Solidarität Wiedererkennbarkeit zu verleihen. Sie vermieden kostbare Kleider, bevorzugten grobes Tuch vor feinem, kostbarem Gewebe und trugen breite Filzhüte. Sie verachteten teures Essen und Trinken und gaben sogar in ihrem öffentlichen Auftreten ihrer Demut Ausdruck. Auch begann man damit, jeden gesellschaftlichen Umgang mit den Menschen der Welt, den Nicht-Taufgesinnten, zu meiden. Für die ethische Reinheit der eigenen Gemeinschaft sorgte eine konsequente Kirchenzucht. Auch den Bann übten die Täufer wahrscheinlich aus. Dies begünstigte zwar die Konsolidierung der Gruppe, vergrößerte aber den Abstand zur Umwelt, die man als lasterhaft zurückwies. Vom reformatorischen Gottesdienst hielt man sich immer mehr fern. Die erste täuferische Gemeinschaft, in der all diese Merkmale voll ausgebildet waren, entstand im Zürcher Unterland, wo Michael Sattler (ca. 1490–1527) wirkte. Er legte die täuferischen Grundsätze, so wie sie sich nach und nach in der Praxis herausgebildet hatten, in den Schleitheimer Artikeln17 nieder, die 17

Eine modernisierte Fassung bei Fast (Hg.), Der linke Flügel, 60–71.

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daher als Zusammenfassung von Lehre und Leben der Schweizer Brüder gelten können. Sie sind ein Zeugnis für theologische Identitätsbildung im Täufertum und für seine Abgrenzung von den Hauptsträngen der Reformation und anderen Gruppierungen. Die Schleitheimer Artikel erhielten für das Täufertum bekenntnismäßigen Rang. 4. Das Täuferreich in Münster Die Verfolgung der zwanziger Jahre hatte das Täufertum nirgends ganz ausrotten können. Seit 1530/1531 erfuhr es einen erneuten, ungeahnten Aufschwung. Unter Melchior Hoffman (ca. 1495 – ca. 1543) bildete sich eine neue Richtung des Täufertums heraus.18 Hoffman kam aus Schwaben und war dort Kürschnergeselle gewesen. Er hatte zunächst an verschiedenen Orten – bis ins Baltikum reichend – im Sinne der Wittenberger Reformation gepredigt, und dabei auch Bilderstürme ausgelöst. Der Reformation lastete er an, dass sie keine sittliche Besserung in Gang gesetzt habe. Dies näherte ihn den dissentierenden Gruppen an. Auch zu Karlstadt, dessen Abendmahlslehre ihn beeinflusste, und zu dem sich in Straßburg aufhaltenden Caspar Schwenckfeld von Ossig (1490–1561)19 sowie den dortigen Täufern pflegte er Kontakte. Allmählich wurden die Beziehungen zu den oberdeutschen Täufern enger und der Gegensatz zu Luther und den Wittenbergern immer schärfer. Auch antitrinitarische Gedanken entwickelte er. Nach seiner Ausweisung aus Straßburg ließ sich Hoffman im Jahre 1530 in Ostfriesland taufen. Dann zog er nach Emden, wo er an 300 Menschen die Taufe vollzogen haben soll. Ähn18 Vgl. Deppermann, Melchior Hoffman, 155–166. Ders., Melchior Hoffman, 1979. 19 Vgl. u. S. 155–159.

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lich wie die oberdeutschen Täufer stellte er Spekulationen über Geist und Fleisch Christi an. Er verwarf die Ausübung von Gewalt und mahnte zum Leiden in der Nachfolge Christi. All dies kombinierte er mit einer apokalyptisch geprägten Gedankenwelt und verstand sich selbst als Diener des prophetischen Geistes der Schrift sowie als Vermittler von dessen Offenbarungen. Seine Anhänger, die Melchioriten, trugen Hoffmans Ideen in die Niederlande und nach England. Im Jahre 1534/35 gelang es den Melchioriten, in Münster Fuß zu fassen und die Macht in die Hand zu bekommen. Die Stadt war damals eine regelrechte Zufluchtsstätte für Anhänger heterodoxer Glaubensrichtungen. Unterdessen hatte sich in den Niederlanden eine neue Form täuferischer Verkündigung entwickelt. An die Stelle der von Hoffman vertretenen leidensbereiten Erwartung des nahen Endes der Zeiten trat die Prophetie der Gewalt. Ihr Verfechter war der Haarlemer Bäcker Jan Matthys (ca. 1500–1534). Während Hoffman die endzeitliche Aufrichtung des Gottesreichs und Vernichtung der Gottlosen ausschließlich von dem unmittelbaren Eingreifen Gottes her erwartet hatte, trat Matthys dafür ein, dass das Gottesreich durch die Gläubigen selbst und ihren aktiven Griff zu den Waffen gegen die Gottlosen herbeigeführt werden solle. Matthys verstand sich als Prophet und neuer Henoch, sandte in diesem Selbstbewusstsein seine Apostel in alle Richtungen aus und ließ die Taufe praktizieren. Nach einigen Vertreibungen kamen sie nach Münster, wo die Melchioriten bereits eine starke Position innehatten und wo ihre Gedanken auf fruchtbaren Boden fielen. Im Januar 1534 kam Jan Bockelson aus Leiden (1509–1536) zusammen mit Gleichgesinnten in Münster an, dann Jan Matthys selbst. Münster wurde zum neuen Jerusalem erhoben. Am 23. Februar ging die städtische Gewalt in die

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Hände der münsterischen Anhänger des Matthys und seiner Gesinnungsgenossen über. Die nicht täuferisch gesinnte Bevölkerung verließ die Stadt, und neue Gruppen von Täufern aus den Niederlanden, vom Niederrhein und aus dem Münsterland zogen zu. Daraufhin begann der Bischof, die Stadt zu belagern. Die Situation eskalierte. Jene, die man bisher als Propheten verehrt hatte, übten jetzt die Herrschaft aus. Alle Vorräte und das gesamte private Vermögen wurden eingezogen. Matthys übernahm die Verwaltung und machte sich zum eigentlichen Herrn der Stadt. Am 4. April 1534 fiel er. Das Prophetenamt ging an Jan van Leiden über, der durch Matthys für das Täufertum gewonnen worden war.20 Nach einem Befehl, den er von Gott erhalten zu haben glaubte, führte er eine Verfassung nach dem Vorbild der israelitischen Richterzeit ein: Er stand dem Volk als Prophet voran, neben ihm die 12 Richter der 12 Stämme. Sie entschieden über Leben und Tod. Auf jede Übertretung des göttlichen Gesetzes stand Todesstrafe, solange man nicht Gott selbst Gnade ankündigen sah. Um das Volk Gottes zu mehren, wurde die Polygamie eingeführt. Während dessen dauerte die Belagerung an. Nachdem man Anfang September 1534 einen Sturm der Belagerer hatte zurückgeschlagen können, wurde Jan van Leiden durch angeblich prophetische Stimmen zum messianischen König des ganzen Erdkreises über alle Fürsten der Welt berufen. Als Inhaber theokratischer Gewalt umgab er sich mit üppiger Pracht und übte ein entsetzliches Schreckensregiment aus. Anfang Oktober zogen 28 Apostel aus der Stadt, um das Evangelium zu predigen und die Herrschaft ihres Königs aus20

Ursprünglich hatte er das Schmiedehandwerk erlernt, hatte sodann als Kaufmann seinen Lebensunterhalt verdient und Reisen nach Lissabon, London und Lübeck gemacht. Anschließend hatte er in seiner Heimatstadt Leiden als Wirt, Bänkelsänger und Schauspieler gelebt. Vgl. Seebaß, Täuferreich von Münster, 267.

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zubreiten. Sie wurden fast alle hingerichtet. In den Städten, die zum Bistum Münster gehörten, wurde das Täufertum blutig niedergeschlagen. Am 25. Juli 1535 fiel auch Münster. Nach einem furchtbaren Blutbad unter den Täufern wurde die Stadt wieder dem römischen Glauben zugeführt. Alle Versuche der evangelischen Verbündeten des Bischofs, dem reformatorischen Glauben eine Existenz zu sichern, waren vergeblich. Die Erfahrungen mit dem Täufertum in Münster versetzte der gesamten Bewegung einen schweren Schlag. Von nun an galt der aufrührerische Charakter des Täufertums als erwiesen. Jan van Leiden wurde gefangen genommen und im Januar 1536 mit zwei anderen führenden Täufern hingerichtet.21 5. Mennoniten und Hutterer Trotz dieser Entwicklungen konnte sich das Täufertum in den Niederlanden und in Norddeutschland noch einmal im Sinne seiner ursprünglichen Anliegen regenerieren. Dies war das Verdienst des friesischen Priesters Menno Simons (1496–1561) und seiner Anhänger. Er hatte Schriften Luthers gelesen und trat im Jahre 1536 zum Täufertum über. Simons wirkte in Groningen und Emden, im Holsteinischen und in Preußen. Er wandte sich entschieden gegen die revolutionären münsterischen Täufer und wurde zum einflussreichen Repräsentanten einer zurückgezogen lebenden täuferischen Richtung, die die Leidensnachfolge Christi praktizierte. Als Simons 1561 starb, hinterließ er ein Täufertum, das von Amsterdam bis Danzig und von Lübeck bis Köln Anhänger hatte. Zwar lebten sie verstreut, aber fühlten sich – trotz aller Un21

Die neueste Sichtung der Quellen bei Vogler, Täuferherrschaft in Münster, 2014.

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terschiede – zusammengehörig. Bis heute nennen sich seine Anhänger „Mennoniten“. Auch in den altgläubigen, habsburgischen Ländern hatte das Täufertum schwere Kämpfe zu bestehen. 1529 begann die Verfolgung der Täufer in Tirol. Zufluchtsort war Mähren, wo auch Täufergruppen aus der Pfalz, aus Schwaben und Schlesien ankamen. Unter ihnen war der aus Südtirol stammende Jakob Huter (ca. 1500–1536). Er schloss die verschiedenen Täufergemeinschaften zu einem Bund zusammen. Von ihm ging die künftige Entwicklung der mährischen Täufer, der „Hutterer“, aus. Sie bildeten in Mähren gemeinsame Siedlungen, sogenannte Bruderhöfe. Ihr Kennzeichen war die Verwirklichung einer strengen, biblisch begründeten Gütergemeinschaft nach dem Vorbild der Jerusalemer Urgemeinde, womit man zugleich die Absonderung von der heidnischen Welt konsequent verwirklichte. Jedes neu getaufte Mitglied gab seinen Besitz zu Gunsten der Gemeinschaft ab. Hutterisches Leben konnte sich in großen Haushaltungen von mehreren hundert Mitgliedern abspielen. Man betrieb alle Arten von Landwirtschaft, Vieh- und Pferdezucht sowie fast alle Gewerbe. Nur solche Gewerbe, die dem Luxus dienten bzw. der Sünde Vorschub leisten konnten, oder der Handelsverkehr, der sich auf fremde Waren konzentrierte, waren ausgeschlossen. Durch die Schaffung solcher „Großbetriebe“, in denen Einkauf, Verarbeitung und Absatz musterhaft organisiert sowie Solidität, Ordnung und Reinlichkeit gewährleistet waren, hatten die Hutterer nicht wenig Erfolg. Manche Brüder standen als Meier, Kellerer, Müller, Ärzte oder Leiter von Badestuben im Dienste des Adels. Aber der zivilisatorische Fortschritt drängte sie langfristig ins Abseits. Heute existieren hutterische Siedlungen nur noch in Kanada und im Norden der USA.

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Schon im 16. Jahrhundert hatten sie kirchenähnliche Strukturen geschaffen mit Ämtern und einem Bekenntnis, an dem sich ihre konfessionelle Identität festmachte.22 Trotz aller Differenzierungen lassen sich um die Mitte des 16. Jahrhunderts innerhalb des weitverzweigten Täufertums drei Hauptgruppen identifizieren.23 Im oberdeutschen Raum bis hinunter nach Hessen existierten die sogenannten Schweizer Brüder. Ihre Lehrgrundlage waren die Schleitheimer Artikel. Vor allem in Norddeutschland und in den Niederlanden waren die Mennoniten beheimatet. Im oberdeutschen, österreichischen und ostmitteleuropäischen Raum wirkten die Hutterer, deren erhaltene Schriften und Lieder ein eindrucksvolles Zeugnis für Leben und Glauben der Täufer darstellen.24

II. Ausprägungen des Spiritualismus Während sich die Geschichte des Täufertums relativ geschlossen skizzieren lässt, zeichnet sich der spiritualistische Dissent durch eine große Inhomogenität aus. Weder kann eine einheitliche Entwicklung oder Verbreitung noch eine einheitliche Theologie beschrieben werden. Gemeinden oder eine kohärente Bewegung bildeten die Spiritualisten nicht. Sie blieben Einzelpersönlichkeiten, die aber zu ihrer Zeit und über die Jahrhunderte hinweg viele Leser für ihre Schriften fanden. Trotz aller Verschiedenheit in ihrem theologi22 Chudaska, Peter Riedemann, 2003; von Schlachta, Täufergemeinschaften, in: Europäische Geschichte Online (EGO), URL: www.iegego.eu/schlachtaa-2011-de; URN: urn:nbn:de:0159-20110201120 [5.3.2016]. 23 Vgl. Fast (Hg.), Der linke Flügel, XVIIIf. 24 Vgl. Seebaß (Hg.), Katalog der hutterischen Handschriften, 2011.

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schen Denken lassen sich dennoch einzelne, immer wieder anzutreffende Grundkonstanten benennen. So waren die Spiritualisten überzeugt von der Belanglosigkeit alles Äußerlichen, dem sie das Innerliche als höherwertig gegenüberstellten. Die gesamte Lebenswelt des Menschen sahen sie eingebunden in den Dualismus zwischen „äußerlich“ und „innerlich“, Fleisch und Geist. Diese dualistische Denkweise konnte sich zwar im Einzelnen auch auf das Neue Testament berufen; im Wesentlichen aber beruhte sie auf neuplatonischen Voraussetzungen, wie sie dem Christentum durch das Erbe Augustins vermittelt worden waren. Auch spätmittelalterlich-mystische Gedanken verschmolzen damit. Daher konnten die Spiritualisten die Überzeugung vertreten, dass dem Buchstaben der Geist gegenüberstehe, der sichtbaren Kirche die unsichtbare. Der von ihnen wahrgenommenen Veräußerlichung des Heils in den Sakramenten setzten sie den Glauben, das innere Licht oder die Einwohnung Christi entgegen, dem geschichtlichen Jesus den himmlischen Christus, der Verfestigung und Veräußerlichung des Glaubens in Theologie und Lehre die wahre Herzensfrömmigkeit. Mit dieser dualistischen Perspektive beantwortete man auch theologische Fragestellungen. So konnte man z.B. aus dem Gegensatz von Buchstabe und Geist die Berechtigung einer allegorischen Schriftauslegung folgern, die Heilige Schrift als sekundär beiseitelegen und das Recht auf eigene, außerkanonische Offenbarungen ableiten. Ähnliche, alles Äußerliche abwertende Interpretationen durchzogen auch die Christologie, Ekklesiologie und Sakramentenlehre mancher Spiritualisten. Dies konnte sehr unterschiedliche Lehren hervorbringen. Für alle spiritualistischen Bewegungen aber galt, dass eine Gemeindebildung mit Predigt und Sakramenten schon aus Gründen der Abwertung alles Äußerlichen abgelehnt wurde. Für die Spiritualisten verlor die

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historische und damit äußerliche Komponente der Heilsgeschichte an Gewicht. Für sie entstand der Glaube nicht durch das Hören des gesprochenen Wortes, durch die Begegnung mit der Heiligen Schrift oder den Empfang der Sakramente, sondern war abhängig von innerer Erleuchtung.25 1. Thomas Müntzer: Kämpferische Leidensnachfolge Die Rezeption und Verarbeitung sowohl mystischen als auch spiritualistischen Gedankenguts durch Thomas Müntzer legen es nahe, ihn von seinem spiritualistischen Dissent her in den Blick zu nehmen. Die von ihm vertretenen Positionen zeigen darüber hinaus Spuren einer intensiven Lektüre der Kirchenväter und der antiken Philosophen. Dies kombinierte er mit einer apokalyptischen Gegenwartsdeutung und Selbstwahrnehmung, was nicht zuletzt sein Handeln im Bauernkrieg zutiefst beeinflusste. Auch wenn Müntzer von Luther entscheidende reformatorische Anregungen empfangen hatte, so entwickelte er sich doch zu einem eigenständigen Denker, der rasch zu einem scharfen Kritiker des Wittenberger Reformators und des von der Reformation eingeschlagenen Wegs wurde. Über Müntzers Leben gibt es nur wenige gesicherte Daten.26 Um 1489/90 erblickte er in Stolberg am Harz das Licht der Welt. Am 27. Mai 1525 wurde er im Anschluss an den Bauernkrieg hingerichtet. Befriedigende Informationen gibt es nur über seine letzten fünf Lebensjahre. Sie sind gekennzeichnet durch Aufenthalte in Zwickau, Prag, Allstedt und Mühlhausen sowie durch sein Eingreifen in den Bauernkrieg. Die 25 26

Vgl. Fast (Hg.), Der linke Flügel, XXII–XVII. Vgl. Wolgast, Thomas Müntzer, 174–182; Goertz, Thomas Müntzer, 2015; Dingel, Thomas Müntzer, 389–405; Scott, Thomas Müntzer, 1989; Elliger, Thomas Müntzer, 1975.

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Auskünfte über die Zeit davor sind spärlich. So ist z.B. bekannt, dass er nach seiner Priesterweihe in Halberstadt im Jahre 1514 eine Pfründe in Braunschweig übernahm und bis 1521 versah. Hier hatte er Kontakt zu Humanistenkreisen und kam in Berührung mit frühreformatorischen Tendenzen. Im August 1517 ging er nach Wittenberg und blieb dort bis zum Januar 1519. Er besuchte Vorlesungen an der Leucorea und traf auch mit Luther zusammen. Daran schlossen sich Reisen nach Leipzig und Orlamünde sowie eine kurze Predigttätigkeit in Jüterbog an. Hier kam es zu Konfrontationen mit den Franziskanern, die in Müntzer einen Parteigänger Luthers zu erkennen glaubten. Aber schon in den folgenden Monaten 1519/20 wurde die Abwendung Müntzers von Luther deutlich. Dies ging Hand in Hand mit Müntzers Studium der Kirchengeschichte des Eusebius, seiner Lektüre der Kirchenväter und antiker Autoren. Schon damals bildete sich eine Überzeugung heraus, die er später in seinem „Prager Manifest“ bzw. der „Prager Protestation“ (November 1521) deutlich aussprach, nämlich jene, dass mit dem Tod der Apostel ein kontinuierlicher Verfall im Christentum eingesetzt habe. Auch die unter der Führung Luthers von Wittenberg ausgehende Reformation hatte nach Müntzers Ansicht diesen Verfall nicht aufgehalten, sondern ihn – im Gegenteil – perpetuiert. Seit 1520 wirkte Müntzer in Zwickau, zunächst an der Marienkirche, dann an der Katharinenkirche. Bald kam es zu Konflikten. Der Rat, der bisher hinter Müntzer gestanden hatte, distanzierte sich deshalb von ihm. Im April 1521 wurde er entlassen. In Zwickau war er u.a. mit Nikolaus Storch, einem der in der Wittenberger Bewegung agierenden Zwickauer Propheten,27 zusammengetroffen, der seine Lehre von der „lebendigen Offenbarung 27

Vgl. o. S. 105–111.

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Gottes“ wohl von Müntzer übernommen hatte. Darunter verstanden Storch und Müntzer die Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung, die sich unabhängig von der Heiligen Schrift vollziehen könne. Müntzer begann zu jener Zwickauer Zeit, sich selbst im Besitz einer solchen Geist-Offenbarung und als herausragendes Mitglied der Auserwählten zu sehen. Dieses Selbstverständnis gewann in der Folgezeit immer klarere Konturen und bestimmte sein gesamtes Handeln. Nach der Zeit in Zwickau wandte sich Müntzer nach Böhmen. Hier verstärkte sich die mystisch-spiritualistische und apokalyptische Komponente seiner Theologie, möglicherweise unter dem Einfluss hussitisch-taboritischen Gedankenguts.28 Erstes und wichtigstes Zeugnis dieser Ausrichtung ist die bereits genannte Prager Protestation von 1521. Sie zirkulierte in verschiedenen handschriftlichen Fassungen. In diesem bekenntnisartigen Sendbrief wandte sich Müntzer als endzeitlicher Rufer an die Böhmen und schilderte seine sich selbst zugeschriebene Aufgabe, nämlich die Auserwählten von den Gottlosen zu sondern. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, an dem der Betrug derjenigen aufgedeckt werde, die vorgäben, das Volk mit dem toten Wort der Heiligen Schrift zu trösten, die es auf Glaube und Taufe verwiesen und es so um die einzig heilsame „Erfahrung des Glaubens“ brächten.29 „O ho, wie reif sind die faulen Äpfel! O ho, wie mürbe sind die Auserwählten geworden“, rief Müntzer aus. „Die Zeit der Ernte ist da! Darum hat mich Gott selbst in seine Ernte geschickt. Ich habe meine Sichel scharf gemacht, denn meine Gedanken sind heftig auf die Wahrheit und meine Lippen, Haut, Hände, Haar, Seele, Leib, Leben vermaledeien die Ungläubigen. Darum dass ich das füglich tun soll, bin 28 29

Vgl. dazu Schwarz, Apokalyptische Theologie Müntzers, 1977. Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 502.

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ich in euer Land gekommen, meine allerliebsten Böhmen“.30 Nach Müntzer ist es also die „Erfahrung“ des Glaubens, die dem Volk gepredigt werden solle. Christus müsse sein Evangelium selbst in den Menschen hineinsprechen. In der Theologie Müntzers beginnt damit die Leidensnachfolge, die die Voraussetzung für die Entstehung und Erfahrung des Glaubens schafft. Denn in der Tiefe des Leidens ereignet sich nach Müntzer die Selbstoffenbarung Gottes, so dass hier ein „Senfkornglaube“ aufkeimt. Dies führe zur „Furcht Gottes“, die den Menschen von seiner auf die Kreaturen bezogenen Furcht löst.31 Auf diese Weise werde zugleich die ursprüngliche Schöpfungsordnung wieder hergestellt. Eine solche, die Leidensnachfolge in den Mittelpunkt stellende Verkündigung, habe aber seit dem Tod der Apostel in der Kirche nirgends mehr stattgefunden. Das habe dazu geführt, dass Auserwählte und Gottlose nicht mehr voneinander zu unterscheiden seien. Müntzer sah deshalb die Zeit gekommen, in der Gott endlich Spreu und Weizen voneinander trennen und die Verführer der Kirche entlarven würde. Sich selbst sah er als apokalyptischen Propheten und – gemäß Offb 14,17 – als jenen endzeitlichen Gerichtsengel, der bei der Vernichtung der Gottlosen selbst Hand anlegt. Den Wittenbergern gegenüber machte er in einem Brief deutlich, dass die „Schonung der Schwachen“32 und Luthers Nachgiebigkeit dem Volk und der weltlichen Obrigkeit gegenüber dem Ernst der Stunde nicht angemessen sei. Angesichts der in den Augen Müntzers herannahenden, endzeitlichen Konfrontation zwischen Auser-

30 31

Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 504 Vgl. Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 241–263, bes. 246–255. 32 Vgl. dazu o. S. 110f.

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wählten und Gottlosen waren weder Übergangsformen noch Kompromisse zu dulden.33 Anfang 1523 trat Müntzer eine Predigerstelle in Allstedt an, wo sich ihm die Möglichkeit eröffnete, sein Reformprogramm von seinem apokalyptischen Selbstverständnis her zu verwirklichen. Bereits zu Ostern 1523 feierte er die Messe auf Deutsch. In Allstedt wollte Müntzer die endzeitliche, auserwählte Gemeinde heranbilden. Dem dienten u.a. die von ihm aufgerichteten Bundesschlüsse. Sowohl bei dem ersten als auch bei dem zweiten Allstedter Bund handelte es sich um Defensivbündnisse zum Schutz des Evangeliums gegen die Übergriffe der benachbarten altgläubigen Obrigkeiten. Diese hatten nämlich versucht, das „Auslaufen“ ihrer Untertanen zu Müntzers Gottesdiensten zu unterbinden, was zu Tumulten wie der Plünderung und Niederbrennung der Mallerbacher Kapelle durch Anhänger Müntzers geführt und die Situation verschärft hatte. Auch mit dem Kurfürsten von Sachsen kam es zu Konflikten, so dass sich Müntzer genötigt sah, in seiner Schrift „Vom gedichteten Glauben“ und in seiner „Protestation oder Erbietung“ seine Lehre darzulegen.34 Als Herzog Johann von Sachsen am 24.7.1524 auf dem Allstedter Schloss übernachtete, hatte Müntzer zudem die Gelegenheit, seine Gedanken in einer Predigt vor dem Fürsten öffentlich vorzutragen. Diese Fürstenpredigt liegt wahrscheinlich in seiner Schrift „Auslegung des andern Unterschieds Danielis“35 vor. Müntzer trat als neuer Daniel vor die christlichen Fürsten, schilderte ihnen die Verderbnis der Christenheit und mahnte sie, 33 Zur Theologie Müntzers insgesamt vgl. Bräuer/Junghans, Der Theologe Thomas Müntzer, 1989. 34 Vgl. Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 217–224, 225– 240. 35 D.h. des 2. Kapitels des biblischen Buches Daniel. Vgl. Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 241–263.

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ihrer Pflicht zum endzeitlichen Eingreifen nachzukommen. Sie sollten sich nicht länger von den heuchlerischen Pfaffen in die Irre führen lassen, zu denen nach Ansicht Müntzers auch Luther gehörte. Der Wittenberger war zu seinem großen Widersacher geworden, denn Luther verwarf Müntzers Lehre als inkompatibel mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift. Müntzer dagegen warb darum, dass sich die Fürsten unverzüglich für die „Sache des Evangeliums“, wie er sie verstand, einsetzten. Luther habe die Fürsten mit seiner Auffassung, dass sich ihre Verantwortlichkeiten in erster Linie auf die Gewährleistung des weltlichen Zusammenlebens der Menschen beziehe, regelrecht hinters Licht geführt. Daher wolle er, Müntzer, sie nun als endzeitlicher Gottesknecht zu ihrer wahren Aufgabe rufen: „Sollt ihr nun rechte Regenten sein, so müsst ihr das Regiment bei der Wurzel beginnen und wie Christus befohlen hat. Treibt seine Feinde von den Auserwählten, denn ihr seid die Mittler dazu. Lieber, gebt uns keine schale Fratze vor, dass die Kraft Gottes es tun soll ohne euer Zutun des Schwerts, es könnte euch sonst in der Scheide verrosten. Gott geb es!“36 Wenn die Fürsten dieser Aufgabe, die Gottlosen von den Frommen mit dem Schwert zu sondern, nicht nachkämen, so müssten sie damit rechnen, dass ihnen das Schwert genommen werde. Müntzer erkannte sehr bald, dass sich die Fürsten dieser von ihm propagierten, endzeitlichen Aufgabe verweigerten. Daraufhin wandte er sich dem einfachen Volk zu. Luther, der Karlstadt, die Zwickauer Propheten und Müntzer – zu Unrecht – gleichsetzte, sah in all dem eine Gefährdung der reformatorischen Anfänge und gefährliche Ansatzpunkte für Aufruhr und Gewalt. Sein „Brief an die Fürsten zu Sachsen

36

Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 259.

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von dem aufrührerischen Geist“37 brachte dies drastisch zum Ausdruck. Was er Müntzer vor allem anlastete, war sein apokalyptisches Sendungsbewusstsein und die Tatsache, dass er die endzeitliche Scheidung von Gerechten und Ungerechten nicht Gott überlassen wollte, sondern auf eine eigenmächtige und gewaltsame Durchführung dieser endzeitlichen Sonderung drängte. Müntzer rechtfertigte sich mit seiner „Ausgedrückten Entblößung“ und seiner „Hochverursachten Schutzrede“.38 Hier legte er – in schroffer Abgrenzung von Luther – noch einmal seinen Glaubensbegriff dar. Ihm ging es um das „Erleiden“ der Glaubensankunft inmitten tiefster Anfechtung, unabhängig von Predigt oder Sakramenten. Die Reformatoren qualifizierte er als „neue Schriftgelehrte“, die die einfachen Leute in doppelter Weise betrögen, indem sie sie auf das Wort der Schrift hinwiesen, das den Glauben doch gar nicht wecken könne, und sie zugleich an ihre Untertanenpflicht gegenüber der Obrigkeit erinnerten. Noch bevor die „Ausgedrückte Entblößung“ und die „Hochverursachte Schutzrede“ in Nürnberg gedruckt werden konnten, wurden Schritte gegen Müntzer eingeleitet und der Allstedter Bund aufgelöst. In der Nacht vom 7. auf den 8. August 1524 verließ Müntzer heimlich die Stadt und ging in die freie Reichsstadt Mühlhausen. Hier predigte seit 1523 Heinrich Pfeiffer (ca. 1500–1525). Beide, Müntzer und Pfeiffer, wurden wegen ihrer radikalen Tendenzen ausgewiesen. Aber Müntzer kehrte wahrscheinlich im Februar 1525 wieder in die Stadt zurück. Er konnte Einfluss gewinnen und begann seinen Plan, eine theokratisch orientierte Gesellschaft aufzurichten, durch37 38

Vgl. WA 15, 210–221. Vgl. Franz (Hg.), Müntzer, Schriften und Briefe, 265–319, 321– 343.

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zusetzen. Der alte Rat der Stadt wurde aufgelöst und ein neuer „ewiger Rat“ eingesetzt. Im April 1525 rief Müntzer zur Gründung eines „ewigen Bundes“ auf. Sein Zeichen war die Regenbogenfahne. Diesmal handelte es sich nicht mehr um ein Defensivbündnis, sondern um eine militärische Organisation.39 Sie hatte sich den Kampf gegen die Gottlosen zum Ziel gesetzt. Unterdessen hatten auch die aufständischen Bauern begonnen, sich in Haufen zusammenzufinden.40 Müntzer zog am 10. Mai 1525 wie Gideon mit 300 Mann unter der Regenbogenfahne in den Kampf nach Frankenhausen. Dass er dies tatsächlich in Anknüpfung an den biblischen Bericht in Ri 7 tat, belegen Briefe aus dieser Zeit, in denen sich Müntzer mehrmals als „Thomas Müntzer mit dem Schwerte Gideonis“ bezeichnete.41 Bis zuletzt, auch als die Bauern bereits vernichtend geschlagen waren und er Tausende in den Tod geführt hatte, glaubte Müntzer an sein theologisch hergeleitetes, apokalyptisches Konzept. Auch wenn sich sein Eingreifen in den Bauernkrieg mit den säkularen Zielen der Bauern verband, so war doch für ihn sein religiös motiviertes Ziel ausschlaggebend, nämlich die endzeitliche Scheidung der Frommen von den Gottlosen und deren Vernichtung, für die er sich aufgrund prophetischer Sendung verantwortlich sah. Müntzer selbst hat deshalb seine Aktionen nie als Rebellion und Aufruhr verstanden. Am 27. Mai 1525 wurde er nach Gefangennahme und Folter enthauptet.

39 40 41

Vgl. Scott, Thomas Müntzer, 127–180. Vgl. dazu u. S. 231–238. Vgl. Thomas-Müntzer-Ausgabe II, 449, 465, 473.

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2. Caspar Schwenckfeld von Ossig: die Botschaft vom inneren Christus In Caspar Schwenckfeld von Ossig begegnet ein vollkommen anderer Typus des spiritualistischen Dissents. Der im November/Dezember 1489 auf dem Gut Ossig im schlesischen Herzogtum Liegnitz geborene Caspar Schwenckfeld entstammte einem alten Adelsgeschlecht.42 Er studierte die Artes, scholastische Theologie und kanonisches Recht in Köln und Frankfurt/O., erwarb aber keine akademischen Grade. Auch Griechisch und Hebräisch lernte er. Ende 1510/1511 trat er in den Hofdienst ein und lebte u.a. am Hofe Herzog Friedrichs II. von Liegnitz. Hier versah er in den Jahren 1518/1519 als Hofrat die Funktion des Oberlandeshauptmanns. Unter dem Einfluss der Schriften Luthers erlebte Schwenckfeld eine religiöse Wende. Als der Herzog 1524 die Reformation in seinem Gebiet einführte, verhalf ihr Schwenckfeld in Stadt und Herzogtum Liegnitz zum Durchbruch. Er fand Anhänger unter den humanistisch Gebildeten, darunter z.B. Valentin Krautwald (ca. 1490–1545), Stiftsherr in Liegnitz und Lektor am Dom. Zu Anfang sahen sich Schwenckfeld und seine Gesinnungsgenossen durchaus noch im Einklang mit der Wittenberger Reformation. Er war selbst in Wittenberg gewesen und hatte dort Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen und Justus Jonas persönlich kennengelernt. Mit Luther war er durch einen Briefwechsel verbunden. Seit 1522 aber begann Schwenckfeld Kritik an der reformatorischen Bewegung zu äußern. Grund dafür war, dass er einen sittlichen Niedergang beobachtete. Luthers Predigt hatte in seinen Augen offensichtlich 42 Zu Schwenckfeld vgl. Schultz, Caspar Schwenckfeld von Ossig, 1962; ders., Course of Study, 21981; Maron, Individualismus und Gemeinschaft, 1961.

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keine Früchte getragen, wenn diejenigen, die sich begeistert zur Reformation bekannten, ihr Leben nicht änderten. Mit seiner Schrift „Ermahnung des Missbrauchs etlicher vornehmster Artikel des Evangeliums, aus welcher Unverstand der gemeine Mann in fleischliche Freiheit und Irrung geführt wird“ aus dem Jahre 1524 wandte er sich gegen eine solche Entwicklung, ohne damit einen Gegensatz zu Luther heraufbeschwören zu wollen. Dieser brach aber im folgenden Jahr an Schwenckfelds Abendmahlslehre in voller Schärfe auf. Wie Zwingli vertrat Schwenckfeld die Auffassung, dass das Abendmahl Bekenntnis- und Gemeinschaftsmahl sei; Christus teile sich keineswegs unter Brot und Wein den Abendmahlsgästen leiblich erfahrbar mit. Eine solche Lehre, die einen innerlichen, geistlichen Vollzug mit einer äußerlichen Handlung in unzulässiger Weise vermische, wertete er als grobes Missverständnis. Seiner Ansicht nach konnte sich eine Selbstmitteilung Christi nicht an Äußerlichkeiten binden. Erst wenn der äußere Vollzug des Abendmahls parallel zu einem innerlichen Prozess verliefe, hätte die Abendmahlspraxis überhaupt Sinn. Eigentlich mussten seiner Ansicht nach eine innere Berufung, die Wiedergeburt und ein entsprechend integres Leben sowohl bei Spendern als auch bei Empfängern für den Abendmahlsvollzug vorausgesetzt werden. Solange dies nicht gegeben sei, sei es besser, überhaupt nicht mehr am Abendmahl teilzunehmen und einen „Stillstand“ zu praktizieren. Darüber kam es zum Bruch mit den Wittenbergern und deren Theologie. Schwenckfeld verwarf z.B. den Gedanken, dass der Glaube im Hören des Wortes Gottes entstehe, und erkannte auch darin eine unzulässige Vermischung eines äußerlichen mit einem innerlichen Prozess. Dem stellte er seine spezifische Christologie entgegen, die der Gottheit Christi für Rechtfertigung und Erlö-

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sung des Menschen das entscheidende Gewicht zuschrieb und die Menschheit Christi abwertete. Schwenckfeld lehrte, dass die Rechtfertigung des Menschen dadurch geschehe, dass die Gottheit Christi im Menschen Wohnung nehme und ihn so zu einer allmählichen, stetigen Vergottung führe. Das Hören des Wortes Gottes konnte seiner Ansicht nach nichts bewirken. Den reformatorischen Predigern warf Schwenckfeld vor, unberufen, d.h. ohne eine im Innern empfundene göttliche Berufung, ihr – fehlgerichtetes – Werk zu tun. Luther sah in Schwenckfeld einen „Schwärmer“. Er hielt ihn, neben Zwingli und Karlstadt, für den dritten Kopf der gefährlichen, sakramentiererischen Sekte.43 Tatsächlich hatte Schwenckfeld im Jahre 1526 Verbindungen zu den Schweizern und Oberdeutschen aufgenommen, denen er sich in der Abendmahlslehre verbunden sah. Sowohl Johannes Oekolampad als auch Zwingli hatten Schriften Schwenckfelds herausgebracht, was die Einschätzung Luthers begünstigte. Im schlesischen Liegnitz aber stellte man auf Schwenckfelds Empfehlung hin und mit Einverständnis des Landesherrn die Abendmahlsfeiern ganz ein. Dieser Stillstand sollte so lange dauern, bis ein rechtes Verständnis des Sakraments hergestellt und somit eine rechtmäßige Feier wieder gewährleistet sei. Außerdem trat Schwenckfeld in Auseinandersetzung mit der reformatorischen Theologie Luthers und der Wittenberger ein. Zu Schwierigkeiten aber kam es erst, als er in den Verdacht geriet, mit den Täufern, die in Schlesien eine immer stärkere Anhängerschaft fanden, in Verbindung zu stehen. Denn nun griff Ferdinand I. ein, dem als König von Böhmen auch Schlesien unterstand, und erließ Mandate gegen die Sakramentsverächter. 43

Vgl. WA 19,120–125, bes. 122f.

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Dies hatte auch für Schwenckfeld Konsequenzen. Im Jahre 1529 verließ er Schlesien freiwillig. Er zog nach Straßburg, wo sich damals Repräsentanten der unterschiedlichsten reformatorischen Strömungen trafen. Schon bald kam es zu Auseinandersetzungen mit den dortigen Predigern unter Führung Martin Bucers. Wieder ging es um die Frage der Bindung des Heils an äußerliche Vollzüge. Im Jahre 1533 wurde schließlich eine Synode veranstaltet, vor der sich auch Schwenckfeld verantworten musste.44 Er wurde ausgewiesen und begann ein unstetes Wanderleben. Als er im Jahre 1534 nach Straßburg zurückkehrte, kam es erneut zu theologischen Streitigkeiten. Um einer Ausweisung zuvorzukommen, verließ er die Stadt freiwillig und ging nach Ulm (1534), wo sich die Kontroversen allerdings fortsetzten. Der Ulmer Prediger Martin Frecht bezog Position gegen Schwenckfelds Christologie. Dieser hatte nämlich gelehrt, dass Jesus Christus durch sein Leiden einen allmählichen Vergottungsprozess durchlebt habe, der in Auferstehung und Himmelfahrt zum Abschluss gekommen sei. Denn andernfalls könne sein Fleisch nicht spirituell-essentiell genossen werden und so Anteil an der göttlichen Natur vermitteln. Dies fasste Schwenckfeld in 14 Thesen45 zusammen, die Anlass zu einem – die Gegensätze bestätigenden – Kolloquium zwischen Frecht und Schwenckfeld gaben. Der Rat legte Schwenckfeld daraufhin nahe, die Stadt zu verlassen, was dieser, einer Ausweisung zuvorkommend, freiwillig tat. Durch die Verwerfung von Schwenckfelds Christologie auf dem Theologenkonvent zu Schmalkalden im Jahre 1540 stand er endgültig außerhalb der sich bildenden reformatorischen Kirche. Er galt als gefährlicher Ketzer. Von 1547 an lebte Schwenckfeld incognito im Fran44 45

Vgl. dazu u. S. 178f. Vgl. CS VI, 86–94.

II. Ausprägungen des Spiritualismus

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ziskanerkonvent in Esslingen. Er starb im Jahre 1561 in Ulm.46 Ganz im Sinne seiner spiritualistischen Ablehnung aller Veräußerlichung und Institutionalisierung des Christlichen gründete Schwenckfeld keine verfassten Gemeinden oder gar eine Kirche. Aber durch seine reiche Korrespondenz bildete sich ein loses Netzwerk von Anhängern, die sich in kleinen Gruppen trafen, Bibel lasen und Andachten hielten. Dennoch fanden sich die Anhänger Schwenckfelds langfristig zu Lesegemeinden und losen Glaubensgemeinschaften zusammen. Im deutschen Sprachraum hielten sie sich bis ins 18. Jahrhundert. Heute unterhalten sie in Pennsylvania/USA eine kleine Kirche. 3. Sebastian Franck: Konsequenter Individualismus Zu der gleichen Generation wie Müntzer und Schwenckfeld gehörte der im Jahre 1499 in Donauwörth geborene Sebastian Franck.47 Im März 1515 nahm er sein Studium an der Universität Ingolstadt auf, wo er den späteren Täuferführer Hans Denck48 kennenlernte. Dann wechselte er an das Dominikanerkolleg nach Heidelberg, um dort Theologie zu studieren. Unter seinen Kommilitonen waren die späteren Reformatoren Johannes Brenz, Martin Bucer und Martin Frecht. Wie sie erlebte er im April 1518 die Heidelberger Disputation Martin Luthers. Darüber hinaus aber gab es keine Begegnungen mit dem Wittenberger Reformator. Nach dem Studium wurde Franck Priester im Bistum Augsburg. Seit Anfang 1525 amtierte er als Prediger und Pfarrverweser in Buchenbach in der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach. 46 47

Vgl. Weigelt, Schwenckfeld/Schwenckfeldianer, 712–716. Vgl. zum Folgenden Ozment, Sebastian Franck, 201–209; Weigelt, Sebastian Franck, 1972. 48 Zu Denck vgl. o. S. 136f.

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Zwischen 1525 und 1526 wandte er sich der Reformation zu. Zwei Jahre später übernahm er ein evangelisches Pfarramt in Gustenfelden und heiratete Ottilie Beheim, eine Schwester der Nürnberger Maler und Dürerschüler Sebald und Bartel Beheim. Im selben Jahr, 1528, begann er, erste Schriften zu veröffentlichen, in denen allmählich seine Distanz zu Luther und zur reformatorischen Bewegung deutlich wurde. In seinem Sittentraktat „Von dem greulichen Laster der Trunkenheit“ (1528) z.B. polemisierte er heftig gegen sittliche Laxheit und unmoralisches Verhalten, die seiner Ansicht nach aus der reformatorischen Lehre von einem ohne gute Werke, sola fide zu erlangenden Heil hervorgegangen waren. Die sittliche Besserung, die Franck wie viele andere als Konsequenz aus der reformatorischen Lehre erwartet hatten, war in seinen Augen ausgeblieben. 1528/1529 gab er sein Pfarramt in Gustenfelden auf und ließ sich in Nürnberg nieder. Allmählich kam er mit mystisch-spiritualistischen und täuferischen Kreisen in Kontakt. 1530 übersiedelte er nach Straßburg, wo er mit anderen dissentierenden Strömungen und deren Vertretern Bekanntschaft machte, u.a. mit dem Antitrinitarier Michael Servet (1509/1511–1553),49 dem Täuferführer Hans Bünderlin (1499–1533) und dem Spiritualisten Caspar von Schwenckfeld.50 Aber nirgendwo fand Franck eine geistige Heimat. Wie unzufrieden er mit allen Glaubensrichtungen seiner Zeit war, belegt sein „Lied von den vier zwieträchtigen Kirchen“ aus dem Jahr 1530, in dem er gleichermaßen Kritik an der päpstlichen, lutherischen, zwinglischen und täuferischen „Kirche“ übte.51 In dieser Zeit entstand auch Francks „Chronica, Zeitbuch und Geschichtbibel von 49 50 51

Zu Servet vgl. u. S. 165f., 267f. Zu Schwenckfeld vgl. o. S. 155–159. Abgedruckt in: Fast (Hg.), Der linke Flügel, 246f.

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Anbeginn bis in dieses gegenwärtige 1531. Jahr“, eine für seine Zeit beachtliche historiographische Leistung. Franck verstand die Geschichte als Offenbarung des göttlichen Willens und traute ihr deshalb zu, die Heilige Schrift zu erhellen. In den durch die Jahrhunderte hindurch als Häretiker Verfolgten und Verdammten sah er die wahren Christen, die er in einer Ketzerchronik auflistete. Darunter befand sich übrigens auch Erasmus von Rotterdam, dessen Protest zur Ausweisung Francks im April 1530 führte. Er siedelte sich zunächst in Esslingen an. Hier begegnete er 1533 noch einmal Caspar von Schwenckfeld und ging zusammen mit ihm nach Ulm. Nachdem er zunächst als Druckergehilfe gearbeitet hatte, betrieb er schließlich eine eigene Druckerei. Franck brachte u.a. Schriften Valentin Krautwalds heraus und versah sie mit Vorund Nachworten, in denen sich seine eigene Lehre widerspiegelt. Auch für ihn war es inadäquat, das Heil des Menschen mit dem historischen Jesus zu verknüpfen. Seiner Ansicht nach waren historische Konkretisierungen eher ein Hindernis für Geist und Gnade Gottes. Veranlasst durch seine ungewöhnlichen Lehren wurden die Obrigkeiten auf ihn aufmerksam. Landgraf Philipp von Hessen warnte die Ulmer vor Franck (31.12.1534), dem man vorwarf, ein Täufer und Revolutionär zu sein. Nach monatelangen Verhören drohte die Ausweisung aus Ulm. Daraufhin verfasste Franck mit der „Gründliche[n] Anweisung, Erläuterung und Declaration etlicher Punkte und Artikel“ (1535) eine Verteidigungsschrift, in der er seine Lehre erklärte und seine Übereinstimmung mit Religion und Politik sowie Recht und Ordnung der Stadt beteuerte. Als Franck jedoch im Jahre 1538 ohne die Erlaubnis des Ulmer Rats seine Schrift „Guldin Arch“ in Augsburg veröffentlichte, warf man ihm vor, dass er die Heilige Schrift und die Gnadenmittel entwerte und in

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Verbindung mit dem Spiritualisten Thomas Müntzer, dem Täufer und Antitrinitarier Ludwig Hätzer (ca. 1500–1529) und dem Täufer Hans Denck stehe. 1539 wurde er ausgewiesen. Franck starb 1542 in Basel, nachdem der Theologenkonvent von Schmalkalden 154052 seine Lehre offiziell verurteilt hatte. Wie für viele Spiritualisten, so war auch für Francks theologische Position die Enttäuschung darüber ausschlaggebend, dass in der Reformation die Früchte des Glaubens und der Rechtfertigung im ethischen Verhalten der Menschen offensichtlich ausgeblieben waren. Der anfängliche Parteigänger Luthers wandte sich enttäuscht ab und entwarf eine Theologie, die spiritualistisches Denken mit Komponenten aus der spätmittelalterlichen Mystik kombinierte. Seiner Ansicht nach konnte die Bibel nicht als Quelle der Gotteserkenntnis gelten, denn der natürliche Mensch habe die Fähigkeit, von sich aus, nicht etwa aufgrund einer besonderen Gnadenzuwendung, zur wahren Erkenntnis Gottes zu gelangen. Der Einzelne habe das Vermögen, Gott in sich selbst, im verschütteten Seelenfunken, zu finden. Voraussetzung dafür ist nach Franck, die Welt zu „verlassen“ und ihr keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Denn das Getöse der Welt habe den im einzelnen Menschen angelegten Seelenfunken überdeckt. Ihn gilt es durch „Gelassenheit“ wieder freizulegen. Für diese Art von Gotteserkenntnis und Gemeinschaft mit Gott spielte weder der historische Jesus noch seine Identifizierung mit dem Logos, dem Christus und Gottessohn, eine Rolle. Denn das göttliche Wort werde ständig neu ausgesagt und in den Seelenfunken hineingesprochen. In der Lehre Sebastian Francks kam Jesus Christus also nicht

52

Vgl. o. S. 158. Vgl. CR 3, Nr. 1945, 983–986.

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als Inkarnation der göttlichen Gnade und als Erlöser in den Blick, sondern lediglich als Vorbild. Da Frank alle Formen der Veräußerlichung des Christentums verwarf, lehnte er auch alle Lebensäußerungen der Kirche in Predigt, Sakramenten und Zeremonien ab. Nur das noch nicht in institutioneller Verfestigung erstarrte Urchristentum ließ Franck als wahre Kirche gelten. Diese aber sei durch den Einbruch des Antichrist endgültig zerstört worden. Radikaler als alle anderen Spiritualisten setzte sich Franck für ein konfessionsloses Christentum ein, frei von institutionellen Strukturen. Denn auch die Ausbildung bekenntnisgebundener Kirchentümer, von denen jedes seinerseits die rechte Lehre für sich beanspruchte, konnte in seinen Augen nur Veräußerlichung sein. Damit steht Francks Toleranzforderung in Zusammenhang. Sie leitete sich nicht aus humanistischen Erwägungen her, sondern aus der von ihm vertretenen Unmittelbarkeit und Subjektivität der Beziehung zwischen Gott und Mensch jenseits von kirchlichen Strukturen und institutionalisierter Gottesdienstpraxis.53

III. Antitrinitarische Strömungen Während sich Täufer und Spiritualisten wenigstens theoretisch voneinander abgrenzen lassen und – zumindest im Täufertum – Gruppenbildungen stattfanden, stellten die Antitrinitarier, ähnlich wie die Spiritualisten, zunächst keine eigene Gruppierung dar, auch wenn es später, vornehmlich im östlichen Europa, zu Kirchenbildungen kam. Als Antitrinitarier werden diejenigen bezeichnet, die die Lehre von der Trinität anzweifelten, völlig verwarfen oder „korrigier53

Vgl. dazu Séguenny, Le spiritualisme, 87–102.

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Reformatorischer Dissent

ten“.54 Ihr Gedankengut fand sich auch unter Spiritualisten und Täufern und konnte mit deren Kritik an den aus der Reformation hervorgegangenen Entwicklungen interagieren. Dies erklärt zum Teil die schroffe Abwehrhaltung, die die Reformatoren gegenüber allen heterodoxen Strömungen bezogen. Denn die Infragestellung der Trinitätslehre stellte einen Frontalangriff auf das Fundament des Christentums schlechthin dar, der seit alters einen nach weltlichem und kirchlichem Recht gleichermaßen zu ahnenden Straftatbestand schuf. Antitrinitarische Strömungen verliefen daher im Untergrund und sind schwer zu fassen. Schriften der Antitrinitarier wurden nur selten und dann meist anonym oder pseudonym unter fingierten Druckorten publiziert. Meist kursierten sie handschriftlich. Viele davon sind verloren, und man erhält nur aus publizierten Gegenreaktionen Kenntnis von ihrer Existenz. Dennoch entwickelte sich der Antitrinitarismus vor allem ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und besonders im 17. Jahrhundert zu einer langfristig wirkmächtigen Strömung, deren Netzwerke ganz Europa überspannten und die europäische Aufklärung erheblich beeinflussten.55 1. Die Anfänge Die erste öffentliche Kritik an der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes im Zeitalter der Reformation wurde Mitte der 1520er Jahre laut und stand im Zusammenhang mit der Kritik an der Verehrung Marias als „Gottesmutter“. Hans Denck und Ludwig Hätzer z.B., deren Lehre auch täuferische bzw. spiritualistische Elemente aufweist, äußerten zurückhaltende Zweifel. Johannes Campanus, der ebenfalls eine täuferische 54 55

Vgl. Fast (Hg.), Der linke Flügel, XXXII. Vgl. dazu Daugirdas, Anfänge des Sozinianismus, 2016.

III. Antitrinitarische Strömungen

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Position bezog, entwickelte im Stillen eine Lehre von zwei Personen der Gottheit, die kaum in die Öffentlichkeit drang.56 Diese Ansätze waren aber noch weit entfernt von einer fundierten Auseinandersetzung mit dem Trinitätsdogma, wie sie durch den spanischen Arzt Michael Servet57 in seiner Schrift „De trinitatis erroribus“ aus dem Jahr 1531 geführt wurde. Servet vertrat darin eine Lehre, die an altkirchliche Spielarten der Trinitätslehre erinnerte, indem er – dem modalistischen Monarchianismus ähnlich – von einem Gott in drei Erscheinungsformen ausging. Später formulierte er seine Lehre in seinem Hauptwerk „Restitutio Christianismi“ von 1553 noch pointierter. Ja, er titulierte die Trinität sogar als Monstrum mit drei Köpfen. In Jesus Christus sah Servet den menschlichen Sohn Marias, nicht den in Ewigkeit vom Vater gezeugten Logos, und kombinierte diese Sicht mit adoptianischen Elementen. Den Heiligen Geist definierte er als Kraft, nicht als Person des dreieinen Gottes. Aber nicht nur diese Lehren machten ihn verdächtig, sondern auch die gesellschaftlich-politischen Allianzen, die er in Genf mit den Libertinern und gegen Calvin eingegangen war. Er wurde schließlich, auf eine Anzeige hin, in Vienne von der katholischen Inquisition verhaftet und, nach geglückter Flucht, „in effigie“ verbrannt. Allerdings wurde er auf seinem Weg nach Italien, den er über Genf einschlug, dort im Jahre 1553 ergriffen und nach geltender Rechtsordnung zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.58 Servets Gedanken wurden von einer beträchtlichen Anzahl italienischer Humanisten aufgegriffen, die seit ca. 1540 wegen ihrer reformatorischen Haltung aus Italien fliehen mussten. Meist wirkten sie als 56 57

Vgl. Fast (Hg.), Der linke Flügel, XXXI–XXXV. Vgl. Friedman, Michael Servet, 223–230; ders., Michael Servetus, 1978. 58 Zu Servets Kontroverse mit Calvin vgl. u. S. 267f.

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Universitätslehrer oder Prediger im Reich, in der Schweiz und in Polen und sorgten so für die Verbreitung antitrinitarischen Gedankenguts, allerdings im Geheimen. Druckschriften kamen auch später nur selten heraus. 2. Verbreitung Nur im östlichen Europa fanden die Antitrinitarier eine zeitweilige Duldung unter dem Schutz der ansässigen Magnaten, und zwar in Siebenbürgen und in Polen. Dort gelangte die antitrinitarische Richtung durch Giorgio Biandrata (ca. 1515 – ca. 1590) zu öffentlicher Anerkennung. Der aus Saluzzo im Piemont gebürtige Adlige war zunächst ein Anhänger Calvins gewesen, bevor er antitrinitarisches Gedankengut aneignete. Als Leibarzt des Fürsten Johann Sigismund Zápolya (reg. 1570–1571 als Fürst von Siebenbürgen; 1540–1551. 1556–1570 König von Ungarn) setzte er sich für die Duldung der unitarischen Kirche in Siebenbürgen ein. Deren radikale Ablehnung der Trinitätslehre reichte unter seinem und dem Einfluss Franz Dávids bis hin zum Verbot der Anbetung Christi. Die unitarische Gemeinde existiert in Siebenbürgen bis heute. Zu den führenden Repräsentanten des Antitrinitarismus aber entwickelten sich die aus Siena in Italien stammenden Lelio (1525–1562) und sein Neffe Fausto Sozzini (1539–1604). Nach Reisen in West- und Osteuropa wirkten sie vor allem in Polen, wo sich die antitrinitarischen Strömungen zeitweise mit der Täuferbewegung verbanden. Hier hatte Petrus Gonesius (ca. 1530–1573), der Einflüsse sowohl von Servet als auch von den Hutterischen Brüdern in Mähren aufgenommen hatte, ab 1558 entsprechendes Gedankengut eingetragen. Ab 1580 aber löste sich dieser Konnex unter dem Einfluss Fausto Sozzinis allmählich

III. Antitrinitarische Strömungen

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auf. Auf die beiden Sozzinis ist die unitarische Ausprägung des Antitrinitarismus in Polen-Litauen zurückzuführen, der mit dem Siebenbürgener Unitarismus eng verbunden war. Die „beiden Urmanifeste des sozinianischen Unitarismus“59 sind Lelio Sozzinis „Brevis Explicatio“ und Fausto Sozzinis „Explicatio“ zum Johannesprolog aus den Jahren 1561 bzw. 1563. Erst 1568 kam die „Brevis explicatio“ in einem von Biandrata und Franz Dávid herausgegebenen Sammelband (De falsa et vera unius Dei patris, filii et spiritus sancti cognitione) gedruckt in die Öffentlichkeit.60 Die wirksame Rezeption der beiden Schriften, von denen die Explicatio Faustos auch ins Polnische übersetzt wurde, führte dazu, dass sich in Polen-Litauen eine unitarische Kirche bildete, die „ecclesia reformata minor“. 1574 erschien in Krakau ein von Georg Schomann (1530–1591) erstellter unitarischer Katechismus. Dieser und die Werke des unitarischen Gelehrten und Bibelübersetzers Szymon Budny (1530–1593) trugen dazu bei, dass die „ecclesia reformata minor“ ein klares unitarisches Profil herausbildete. Zu dieser sozinianischen Kirchenbildung gehörte auch das Gymnasium in Raków, an dem im Geiste des Unitarismus unterrichtet wurde. Aber schon Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Sozinianer im Zuge der Gegenreformation in Polen vertrieben. Sie fanden Aufnahme in Siebenbürgen, Schlesien, Brandenburg und den Niederlanden. Ihr Gedankengut beeinflusste dort die beginnende Aufklärung. Das reiche schriftliche Werk Fausto Sozzinis wurde erst im 17. Jahrhundert in der achtbändigen Bibliotheca Fratrum Polonorum gedruckt zugänglich.

59 60

Daugirdas, Anfänge des Sozinianismus, 165. Vgl. Daugirdas, Lelio Sozzini und Fausto Sozzini, 239–246.

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Reformatorischer Dissent

Eine Systematisierung der verschiedenen antitrinitarischen Lehren fällt schwer. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts lassen sie sich in ihrer unterschiedlichen Lehrentwicklung, von unitarischen bis hin zu tritheistischen Gotteslehren, präziser fassen.61 Was sie gemeinsam hatten, war die Infragestellung der bereits altkirchlichen, trinitätstheologischen Lehrbildung, die insbesondere in ihrer Auswirkung auf die Christologie für die reformatorische Rechtfertigungslehre grundlegend war. Die antitrinitarische Kritik, die im Grunde von dem reformatorischen „sola-scriptura-Prinzip“ ausging und es, gestützt durch die natürliche Vernunft, konsequent anwendete, richtete sich auf Präexistenz- und Inkarnationsvorstellungen in der Heilsgeschichte. Die unitarische Position ging davon aus, dass die Prädikate, die die Heilige Schrift Jesus beilegte, „stets auf sein geschichtliches Wirken als Mensch zu beziehen seien“.62 Die auf die Erlösung des Menschen bezogene Komponente der Christologie rückte deshalb in den Hintergrund, und die ethische Perspektive gewann an Gewicht. Während die Reformatoren unermüdlich betonten, dass der immer wieder in Sünde und Schuld fallende Mensch nichts selbst zu seiner Erlösung beitragen könne und deshalb des erlösenden Handelns Gottes in seinem Sohn Jesus Christus bedürfe, setzten die unitarisch gesinnten Antitrinitarier die Akzente anders. Sie sahen in Jesus Christus nicht den präexistenten Logos und Gottessohn, sondern den von Gott „adoptierten“ und erhöhten Menschen, den Verkünder des göttlichen Willens, Beispiel und Vorbild für den Christen. Fausto Sozzini hielt die Lehre von dem stellvertretenden Leiden des Gottessohns, das die Reformatoren in den Mittelpunkt ihrer 61

Vgl. dazu Dingel/Daugirdas, Historische Einleitung, in: Controversia et Confessio 9, 3–17. 62 Daugirdas, Anfänge des Sozinianismus, 166.

III. Antitrinitarische Strömungen

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Rechtfertigungslehre „sola gratia“ gestellt hatten, für eine unbiblische, ja sogar moralisch und rechtlich verwerfliche Verkündigung. Jesus Christus galt ihm vielmehr als Überbringer „einer historisch einzigartigen Bundesbotschaft Gottes“.63 Dieser Ansatz hatte weitreichende Konsequenzen, die sich auch auf die von Fausto Sozzini ebenfalls neu formulierte, die Fähigkeit des Menschen betonende Anthropologie auswirkten. Die Einflüsse des Sozinianismus auf die Aufklärer im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts waren erheblich.64

63 64

Daugirdas, Lelio Sozzini und Fausto Sozzini, 242. Vgl. dazu Daugirdas, Anfänge des Sozinianismus, 2016.

Die Reformation in Straßburg

Straßburg gehörte seit dem 13. Jahrhundert zu den mächtigsten Städten im Reichsverband und genoss seit seiner Unabhängigkeit vom Hochstift Reichsunmittelbarkeit. Im Südwesten war die Stadt bis ins 18. Jahrhundert hinein von der Bevölkerungszahl her die größte. Schon früh konnte sich die Reformation in Straßburg etablieren. Seit 1521 predigte Matthäus Zell (1477–1548), Leutpriester am Straßburger Münster, in reformatorischem Sinne. Ab 1523 führte man die Reformation nach und nach ein, begünstigt durch den Rat, der im Jahre 1524 den Bischof entmachtete und die Oberaufsicht über die Kirchen übernahm. Nun war es der Rat, der in den sieben Pfarreien der Stadt die Prediger einsetzte. Zell hatte schon 1523 Unterstützung durch weitere reformatorisch gesinnte Prediger erfahren. Unter ihnen war der humanistisch gebildete Wolfgang Capito (1478–1541), der als Propst am Thomasstift wirkte und auch in Jung-Stankt-Peter predigte, außerdem Capar Hedio, Prediger am Straßburger Münster, und der ehemalige Dominikanermönch Martin Bucer. Er wurde langfristig die tonangebende Persönlichkeit für die Reformation im Südwesten des Reichs. Straßburg wurde zum Zentrum der oberdeutschen Reformation mit europäischer Ausstrahlung.

I. Martin Bucers Weg nach Straßburg Der am 11. November 1491 in der freien Reichsstadt Schlettstadt im Elsass geborene Bucer, der dort auch

I. Martin Bucers Weg nach Straßburg

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wahrscheinlich die berühmte Humanistenschule besucht hatte, trat im Sommer 1507 in den Dominikanerorden ein.1 Später distanzierte er sich von dieser Entscheidung und berichtete: „Also hab ich mich bereden lassen, weil ich zur Lehre sonst von den Meinen keiner Hilfe durfte gewärtig sein, weil ich den Mönchen glaubte, daß, wenn ich im Orden bliebe, ich nicht könnte verdammt werden, und weil ich die Schande und meiner Verwandten Ungunst fürchtete, sowie auch ein unglücklich Leben samt einem elenden Tod, wenn ich wieder austräte. So ist also an mir das Sprichwort wahr geworden: Die Verzweiflung macht einen Mönch. Und das ist meiner Möncherei Anfang“.2 Im Jahre 1515/16 wurde Bucer in Mainz zum Priester geweiht. Der Orden entsandte ihn zum Studium an die Universität Heidelberg, wo er seine akademischen Grade, zunächst den des „magister artium“, dann den des „baccalaureus theologiae“, erwarb. Schon früh erhielt er Kenntnis von den 95 Thesen Martin Luthers. Entscheidend für seine reformatorische Entwicklung aber wurde seine Begegnung mit dem Wittenberger während der Heidelberger Disputation am 26. April 1518 und sein Gespräch mit ihm am folgenden Tag. Bucer las nun Schriften Luthers, insbesondere dessen Galaterbrief-Auslegung, und begann, Briefe mit ihm zu wechseln. Auch mit Georg Spalatin, dem humanistisch gebildeten Hofkaplan Kurfürst Friedrichs des Weisen, trat er in Korrespondenz ein. Ende November 1520 verließ Bucer sein Kloster, fand Aufnahme bei dem humanistisch gesinnten Speyerer Domherrn Maternus Hatten und bemühte sich um Dispens von seinen Ordensgelübden. Tatsächlich entsprach man seinem Gesuch, des1

Zu Bucers Leben und Wirken vgl. Hammann, Martin Bucer, 1989; Greschat, Martin Bucer, 2009; Strohm, Martin Bucer, 65–73. 2 Zit nach Grünberg, Butzer, 603.

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Die Reformation in Straßburg

sen Entscheidung die Kurie an den Bischof von Speyer übertragen hatte. Am 29. April 1521 wurde Bucer aus seinem Orden entlassen und trat damit in den Stand eines Weltpriesters. Er diente kurze Zeit als Kaplan bei Pfalzgraf Friedrich II., bat aber bald um seine Entlassung, um sodann ein Pfarramt in Landstuhl bei dem Reichsritter Franz von Sickingen zu übernehmen. In diese Zeit fiel seine Heirat mit der ehemaligen Nonne Elisabeth Silbereisen. Bucer war einer der ersten, der diesen Schritt in eine Priesterehe tat. In die Geschicke Luthers war er insofern eingebunden, als er auf der Ebernburg Sickingens ein langes Gespräch mit dem Franziskaner und kaiserlichen Beichtvater Jean Glapion (ca. 1460–1522) führte, der sich darum bemühte, Luther zu einem Gespräch auf die Ebernburg zu bringen. Es war Bucer, der dem Wittenberger Reformator am 15. April 1521 in Oppenheim auf der Reise nach Worms die Einladung auf die Ebernburg überbrachte. Aber Luther lehnte ab. Auch in den Diensten des Franz von Sickingen blieb Bucer nicht lange. 1522 bat er um seinen Abschied und ging nach Weißenburg im Elsass (Wissembourg), wo er die Einführung der Reformation förderte und durch seine Predigten in Kontroverse mit den Franziskanern geriet. Dies zog seine Exkommunikation durch den Speyerer Bischof, Georg von der Pfalz, und Papst Hadrian VI. nach sich. Bucer suchte Zuflucht in der freien Reichsstadt Straßburg, wo er Ende April 1523 ankam. Dort existierten bereits erste reformatorische Tendenzen. Der Prediger Matthäus Zell nahm Bucer in sein Haus auf, wo dieser die paulinischen Briefe in gelehrtem Kreis auf Lateinisch auslegte. Das war der Beginn von Bucers reicher exegetischer Arbeit. Als der Bischof von Straßburg Schritte einleitete, um ihn als Exkommunizierten aus seiner Diözese auszuweisen, und auch dem Rat nahelegte, dem zu entsprechen, forderte dieser Bucer auf, seine Position

I. Martin Bucers Weg nach Straßburg

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aus der Heiligen Schrift zu begründen. Bucer reichte daraufhin eine schriftliche „Verantwortung“3 ein. Diese Rechenschaft, die für den Rat die Grundlage bot, ihm auch fortan den Schutz der Stadt zuzusichern, wurde dem Bischof zugestellt. Nun begann Bucer, unter großem Zulauf im Münster zu predigen. Am 1. Dezember 1523 ordnete der Rat per Mandat an, dass sich alle Prediger der Stadt in ihrer Verkündigung an das Evangelium halten sollten. Manche traten wie Bucer in den Ehestand. Am 31. März 1524 wurde er schließlich von den Gartnern (Kleinbauern), die ihre Zunftstube bei der Kirche St. Aurelien in der Straßburger Vorstadt hatten, zu ihrem Pfarrer gewählt. Der Rat bestätigte nicht nur diese Wahl, sondern gewährte ihm – als eingeschriebenes Mitglied in die Zunft der Gartner4 – auch das Bürgerrecht. Bucer, der bisher neben Zell, Capito und Hedio gewirkt hatte, wurde allmählich zu der führenden Persönlichkeit für die Reformation in Straßburg und wirkte weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Seine Schrift „Dass niemand sich selbst, sondern anderen leben soll“5 von 1523 ist ein frühes Zeugnis seiner reformatorischen Gesinnung und zeigt Ähnlichkeiten mit Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Sieben Jahre lang wirkte Bucer an St. Aurelien. 1531 wechselte er an die Kirche St. Thomas und wurde zugleich Präsident des 1530 gegründeten Kirchenkonvents. Seine immer zahlreicher werdenden Verpflichtungen veranlassten ihn jedoch, das Pfarramt an St. Thomas 1540 aufzugeben.

3 4 5

Vgl. BDS 1, 149–184. Vgl. Greschat, Martin Bucer, 69. Vgl. BDS 1, 29–67.

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Die Reformation in Straßburg

II. Einführung und Etablierung der Reformation Der Prozess der reformatorischen Umgestaltung erstreckte sich über die Jahre 1523/1524 (Ratsmandat vom 1.12.1523) bis 1529. Die reformatorisch gesinnten Prediger erfuhren Unterstützung durch Persönlichkeiten des Rats, von denen der Stettmeister Jakob Sturm der einflussreichste und diplomatisch gewandteste war. Ende 1524 war man in der Beseitigung spätmittelalterlicher Formen von Gottesdienst und Frömmigkeit schon recht weit gekommen. Jedenfalls belegt dies Bucers Schrift „Grund und Ursach aus göttlicher Schrift der Neuerungen an dem Nachtmahl des Herrn, so man Meß nennet, Tauf, Feiertagen, Bildern und Gesang in der Gemeinde Christi zu Straßburg vorgenommen“.6 Bucer hatte nämlich mit der konsequenten Neugestaltung des Gottesdienstes begonnen, bei der er sich an Zwingli und den Reformen in Zürich orientierte. Die altgläubige Messe wurde durch Ratsbeschluss vom 20. Februar 1529 abgeschafft. Damit war die Einführung der Reformation besiegelt. Gleichzeitig wurden Klöster geschlossen und auf Anregung Bucers stattdessen in den Pfarrgemeinden Schulen eingerichtet. Schon zuvor hatte er darauf hingewiesen, wie wichtig die Unterrichtung sowohl der Erwachsenen als auch der Jugend sei, und im Dominikanerkloster täglich eine Stunde lang Vorlesungen über die biblischen Bücher gehalten. Ab 1526 kam ein sonntäglicher Katechismusunterricht für die Kinder hinzu. Nun trat auch der Rat in die Bildungsverantwortung ein, denn Bucer betonte, wie Luther, auch den weltlichen Nutzen einer guten Bildung. Die notwendigen Finanzen für die Einrichtung deutscher und lateinischer Schulen wurden aus dem Besitz der Klöster und Stifter genommen. Im Jahre 1525 be6

Die Schrift erschien im Dezember 1524. Vgl. BDS 1, 185–278.

II. Einführung und Etablierung der Reformation

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nannte der Rat drei Scholarchen (Schulherren), unter ihnen den Stettmeister Jakob Sturm. Diese Kommission urteilte über die Notwendigkeit von Neugründungen und wachte über Stellenbesetzungen sowie die Kompetenz der Kandidaten.7 Ihnen standen Visitatoren zur regelmäßigen Überprüfung des Schulwesens zur Seite. Es gelang, die lokale Konzentration von Elementarschulen zu entzerren und sechs Jungenund vier Mädchenschulen möglichst für alle erreichbar in verschiedenen Stadtteilen anzusiedeln. Als im Jahre 1537 der humanistisch gebildete und reformatorisch gesinnte Johann Sturm (1507–1589) auf Initiative des Stettmeisters Jakob Sturm und Martin Bucers nach Straßburg berufen wurde, konzentrierte man die vorhandenen Lateinschulen in einer einzigen Institution. Straßburg entwickelte sich zu einem Zentrum gelehrter Bildung mit großer Strahlkraft. Der in Schleiden in der Eifel geborene Johann Sturm8 wurde der erste und einflussreichste Rektor des 1538 gegründeten Gymnasium illustre, an dem auch der Glaubensflüchtling Calvin während seiner Zeit in Straßburg lehrte. Die reformatorischen Entwicklungen in der Stadt wurden durch eine reiche Publikationstätigkeit begleitet. Reformatorische Schriften – überwiegend von Luther, Bucer und Capito – verließen in hoher Auflage die Druckeroffizinen Straßburgs. Bibeldrucke in Voll- oder Teilausgaben, auch Gesangbücher waren beliebte Druckerzeugnisse. Bucer selbst brachte 1541 ein Gesangbuch heraus. Auch die Straßburger Liedkultur gewann Vorbildcharakter und übte langfristig Einfluss auf den in Genf gepflegten Psalmengesang aus. 7 Vgl. Fournier/Engel (Hg.), Statuts et Privilèges IV, 3, Nr. 1963; außerdem Schindling, Humanistische Bildungsreform, 110. 8 Vgl. zu Sturm Schmidt, Vie et Travaux de Jean Sturm, 1970; Arnold (Hg.), Johannes Sturm, 2009.

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Die Reformation in Straßburg

All dies trug dazu bei, dass sich in Straßburg eine spezifische theologische Identität herausbildete. Ausschlaggebend dafür war vor allem das von Bucer federführend erstellte Bekenntnis, das die Stadt auf dem Augsburger Reichstag von 1530 einreichte.9 Es wurde von den Reichsstädten Konstanz, Lindau und Memmingen mit unterzeichnet und fortan als Vierstädtebekenntnis, Confessio Tetrapolitana, bezeichnet.10 Damit hatte Straßburg ein eigenes Bekenntnis, das sich von der Confessio Augustana vor allem in der Abendmahlslehre unterschied. Während das Augsburger Bekenntnis ganz im Sinne Luthers die wahre Anwesenheit von Leib und Blut Christi unter den Abendmahlselementen lehrte, sprach das Vierstädtebekenntnis davon, dass Christi wahrer Leib und sein wahres Blut den Gläubigen über das Essen und Trinken zu Speise und Trank der Seele dargereicht werde,11 womit der Akzent auf dem geistlichen Genuss lag. Auch wenn die Stadt bereits zwei Jahre später auf dem Schweinfurter Bundestag von 1532 die Confessio Augustana unterzeichnete, um dem als Verteidigungsbündnis gegen eine mögliche altgläubige Bedrohung konzipierten Schmalkaldischen Bund beitreten zu können, trat sie von der Confessio Tetrapolitana nicht zurück und blieb ihrer Lehre im Grunde treu. Man verstand sie als Interpretation der Confessio Augustana und sah sie insofern in Übereinstimmung mit ihr. Vor allem Johann Sturm insistierte in der späteren Auseinandersetzung mit Vertretern der lutherischen Theologie auf der fortdauernden Gültigkeit dieses für Straßburg theologisch identitätsstiftenden Bekenntnisses. Der allmählichen Hinwendung der Straßburger Theologenschaft zum Luthertum, die bereits mit Jo9 10 11

Vgl. dazu u. S. 206–212. Vgl. BDS 3, 13–85. Vgl. Art. 18, in: BDS 3, 123–127

III. Abgrenzung und Konsolidierung

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hannes Marbach (1521–1581) in den 1560er Jahren einsetzte, stellte er auf diese Weise ein retardierendes Element entgegen.

III. Abgrenzung und Konsolidierung Die reformatorische Neugestaltung und die Aktivitäten Bucers verliefen in Straßburg nicht in jeder Hinsicht reibungslos. Denn in den Anfangsjahren der Reformation war die Stadt ein regelrechtes Sammelbecken für die verschiedensten theologischen Richtungen geworden. Sie beherbergte in ihren Mauern auch Vertreter des reformatorischen Dissents, die an anderen Orten ausgewiesen worden waren. Einflussreiche Täufer und Spiritualisten fanden Asyl in der Stadt und konnten hier wenigstens eine Zeitlang unbehelligt leben.12 Manche hatten zeitweise sogar eine beachtliche Anhängerschaft. Es gab täuferische Gemeinden, deren Mitgliederzahl – überwiegend aus Flüchtlingen bestehend – zusammengenommen auf einige Hundert kam. Selbst in städtischen Kreisen waren dissentierende Tendenzen vorhanden. Der Gartner Clemens Ziegler (ca. 1480–1535) z.B. vertrat offen spiritualistische Ansichten. Täuferisches bzw. spiritualistisches Schrifttum, das in Straßburger Offizinen gedruckt wurde, hatte zuweilen besseren Absatz als Schriften der städtischen Prediger.13 Der Rat verhielt sich, solange Ruhe und Ordnung nicht angetastet wurden, zunächst zögerlich. Bucer und Capito versuchten in Disputationen im November und Dezember 1526 die Repräsentanten dieser Richtungen der falschen Lehre zu überführen bzw. sie für die eigene Seite zu gewinnen. Im Juli des folgenden Jahres 12 13

Zu den dissentierenden Strömungen vgl. o. S. 130–169. Vgl. Greschat, Martin Bucer, 84.

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Die Reformation in Straßburg

wurde schließlich ein Mandat gegen die dissentierenden Gruppen in Kraft gesetzt, das der Rat Ende 1526 beschlossen hatte.14 Dennoch kamen in den Jahren 1528 und 1529 weitere taufgesinnte Flüchtlinge in die Stadt, deren Einwanderung auch durch Hunger und Missernten motiviert war. Zum Teil waren sie von den apokalyptischen Vorstellungen des Müntzer-Schülers Hans Hut15 oder von den Endzeiterwartungen Melchior Hoffmans16 geprägt. Immer wieder drängten Bucer und seine Kollegen den Rat, tätig zu werden. Im April 1533 beschloss der Rat schließlich, eine Synode anzuberaumen. Teilnehmen sollten alle Prediger, Lehrer und Kirchspielpfleger, außerdem Repräsentanten des Rats. Die Synode sollte dazu dienen, die reformatorische Lehre zu definieren, um die Funktionsträger der Stadt sodann darauf zu verpflichten. Danach wollte man die Wortführer der dissentierenden Gruppen darüber verhören. Die erste Phase der Synode fand vom 3.–6. Juni 1533 in der Kirche St. Magdalenen unter Vorsitz von vier Ratsmitgliedern statt. Bucer hatte dazu 16 Artikel vorgelegt, die der Stettmeister Jakob Sturm verlesen ließ. Sie wurden ausführlich diskutiert. Vom 11.–14. Juni schloss sich in einer zweiten Phase das Verhör der Wortführer der dissentierenden Strömungen an. Es gelang Bucer nicht, sie für die von ihm vorgeschlagene Lehrgrundlage zu gewinnen. Eine Fortsetzung fand die Synode mit einer dritten und letzten Phase erst im Oktober, nachdem die Prediger die Zwischenzeit genutzt hatten, um einen Kirchenordnungsentwurf zu erarbeiten. Aber auch jetzt wurden keine Entscheidungen getroffen. Erst auf erneuten Druck der Prediger hin und unter dem Eindruck der Machtergreifung der 14 15 16

Vgl. Greschat, Martin Bucer, 85. Zu Hut vgl. o. S. 137. Zu Hoffman vgl. o. S. 140f.

III. Abgrenzung und Konsolidierung

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Täufer in Münster17 verfügte der Rat am 4. März 1534, dass die Confessio Tetrapolitana und die 16 Artikel für Straßburg als Lehrnorm gelten sollten. Es folgten verschiedene Mandate, die von allen Dissentern bzw. ihren Vertretern eidliche Zustimmung forderten oder sie zum Verlassen der Stadt nötigten.18 Caspar von Schwenckfeld, der sich zu jenem Zeitpunkt in Straßburg aufhielt, wandte sich daraufhin nach Ulm. Im Verborgenen aber bestand eine lose Gruppe seiner Anhänger weiter. Dazu gehörte auch Katharina Zell, die Witwe des Reformators Matthäus Zell und Autorin verschiedener reformatorischer Schriften.19 Ebensowenig ließen sich heimliche Täuferversammlungen ganz unterbinden. Diese Entwicklungen hatten die Notwendigkeit der Vereinheitlichung der Lehre in Abgrenzung von heterodoxen Meinungen ebenso wie den Bedarf an kirchenordnenden Maßnahmen deutlich vor Augen geführt. Bucer erstellte 1534 eine Kirchenordnung,20 die auf dem Entwurf von 1533 aufbaute und im Dezember 1534 gedruckt erschien. Sie sollte Lehre und Leben der Straßburger Kirche regeln und ihr eine Verfassung geben. Auch die Kirchendisziplin bzw. Kirchenzucht wurde geregelt. Neben einer im allgemeinen zweimal im Jahr einzuberufenden Synode wurde ein Kirchenkonvent (Convocatz) ins Leben gerufen, der zweimal im Monat zusammentrat. Ihm gehörten alle Pfarrer der Stadt an, außerdem drei Kirchpfleger aus der Gruppe der Ratsmitglieder. Durch sie, die zugleich als Vertreter der kirchlichen Gemeinde galten, sah Bucer das Ältestenamt repräsentiert. Zu den Aufgaben des 17 18 19 20

Vgl. o. S. 140–143. Vgl. Greschat, Martin Bucer, 141–143. Vgl. McKee (Hg.), Katharina Schütz Zell, 2006. Vgl. BDS 5, 15–41.

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Die Reformation in Straßburg

Kirchenkonvents gehörte die Aufsicht über Lehre, Verwaltung und Leben der Kirche, wobei Bucer den Kirchpflegern die Ausübung der Kirchenzucht mit Exkommunikationsgewalt zudachte, was der Rat allerdings verweigerte.21 Eine ähnliche Konzeption findet sich in der Ziegenhainer Zuchtordnung,22 die Bucer 1539 für Landgraf Philipp von Hessen erstellte, auch um der Kritik der Täufer entgegenzuwirken, die sich auf das Fehlen einer inneren Disziplin und den Verzicht auf die Ausübung des Banns in der jungen reformatorischen Kirche bezog. Hier waren es die Ältesten, die zusammen mit den Predigern die Gemeindeglieder zu christlichem Leben und Gemeinschaft ermahnen und die Unbelehrbaren gegebenenfalls ausschließen sollten.23 In der Ziegenhainer Zuchtordnung brachte Bucer darüber hinaus – ebenfalls unter dem Einfluss und in Abgrenzung von der Täuferbewegung – erstmals die Konfirmation als persönliche, mündige Bestätigung der Taufe zur Sprache. Das Bemühen um eine funktionierende Kirchenzucht wurde für Bucer und die Reformation in Straßburg charakteristisch, denn die Kirchenzucht galt ihm, neben Evangeliumspredigt und rechter Sakramentsverwaltung, als konstitutives Kennzeichen der wahren Kirche. Für die Unterweisung in der reformatorischen Lehre verfasste Bucer schon im Frühjahr 1534 einen Katechismus in der damals üblichen Frage- und Antwortform. Ihm folgte – da er zu umfangreich geraten war – 1537 eine kürzere Fassung und im Jahre 1543 ein weiterer, eigenständiger Katechismusentwurf.24 All 21

Vgl. Burnett, Yoke of Christ, 99–121, 163–179. Ediert in: BDS 7, 247–278. Vgl. zu der in der Ziegenhainer Zuchtordnung entfalteten Praxis BDS 7, 247–278; außerdem Strohm, Martin Bucer, 68f. 24 Der Katechismus von 1534 in: BDS 6/III, 51–173; jener von 1537 in: BDS 6/III, 175–223; der von 1543 in: BDS 6/III, 225–265. 22 23

IV. Bucers Wirken außerhalb

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dies trug zur Konsolidierung der Reformation in Straßburg bei, der Martin Bucer als Theologe und Kirchenorganisator seinen eigenen Stempel aufdrückte. Die Konsolidierung der Lehre und Kirchenverfassung grenzte zwar den reformatorischen Dissent aus, tastete aber den Charakter der Stadt als Zufluchtsort für anderwärts Bedrängte nicht an. Seit 1534 suchten die in Frankreich verfolgten Hugenotten in Straßburg Asyl. Zu den damaligen Flüchtlingen, die sich in einer eigenen Gemeinde in Straßburg sammelten, gehörte auch Johannes Calvin. Er hielt sich von 1538 bis 1541 in der Stadt auf, predigte in der Flüchtlingsgemeinde und lehrte am Gymnasium illustre. Diese Straßburger Zeit, in der die zweite Auflage seiner Institutio religionis christianae herauskam,25 prägte Calvin zutiefst. Der Einfluss Bucers und seiner reformatorischen Aktivitäten wirkte sich sowohl auf die von Calvin später in Genf etablierte Ordnung als auch auf die im Psalmengesang praktizierte Frömmigkeit aus.

IV. Bucers Wirken außerhalb Nicht nur die Stadt Straßburg wurde durch das Wirken Bucers geprägt. Auch andernorts waren seine Kompetenzen als Theologe und Kirchenorganisator gefragt. So wirkte er z.B. für die Durchführung der Reformation in den Reichsstädten Ulm und Augsburg. In Ulm hatte der Prediger Konrad Sam (ca. 1483– 1533), der Zwingli nahestand, schon früh im reformatorischen Sinne gepredigt sowie die Abschaffung der Messe und eine kirchliche Neuordnung gefordert. Als der Augsburger Reichstag von 1530 das Wormser 25

Vgl. u. S. 259f.

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Die Reformation in Straßburg

Edikt, d.h. die Maßnahmen gegen Luther, seine Anhänger und die Ausbreitung der Reformation bestätigte,26 veranlasste der Ulmer Rat unter den Zünften eine Abstimmung darüber, ob man sich diesem Abschied beugen wolle oder nicht. Die Mehrheit sprach sich für die Beibehaltung des reformatorischen Wegs aus, und die Stadt trat im Jahre 1531 dem Schmalkaldischen Bund bei.27 Wenig später wurde ein Ausschuss eingesetzt, dessen Aufgabe es sein sollte, unter Hinzuziehung auswärtiger Kompetenzen, die Reformation einzuführen. Die Wahl der auswärtigen Reformatoren – Ambrosius Blarer (1492–1564) aus Konstanz, Johannes Oekolampad aus Basel und Martin Bucer aus Straßburg – dokumentiert, dass man sich weder der in Wittenberg noch der in Zürich gelehrten Theologie anschließen wollte, sondern eine Art Mittelweg anstrebte. Es war Bucer, der im Blick auf Lehre, Organisation der Kirche und Kirchenzucht den größten Einfluss ausübte. Nun sollten regelmäßig Synoden stattfinden und Visitationen durchgeführt werden, ein Ehegericht etabliert, Schulen eingerichtet und Katechismusunterricht abgehalten werden. Für die Kirchenzucht sollte ein Gremium, bestehend aus drei Gemeinderepräsentanten, zwei Predigern und drei Ratsmitgliedern zuständig sein, was der Rat, der eine von ihm unabhängig durchgeführte Disziplin nicht dulden wollte, allerdings ablehnte. Er setzte sich mit dem Vorschlag einer paritätischen Besetzung durch, die aus zwei Gemeindevertretern, zwei Predigern und vier Ratsmitgliedern bestand. Die ursprünglich vorgesehene Befugnis zu exkommunizieren wurde ebenfalls abgelehnt, so dass sich die disziplinären Maßnahmen auf das Ermahnen beschränkten. Die im 26

Zu den Reichstagen von Worms 1521 und Augsburg 1530 vgl. u. S. 194–197 und S. 206–212. 27 Zu diesem Bündnis vgl. u. S. 212–214.

IV. Bucers Wirken außerhalb

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August 1531 publizierte Kirchenordnung verlieh diesen Strukturen wie auch der reformatorischen Lehre offizielle Geltung. Schon am 16. Juni hatte der Rat die altgläubige Messe abgeschafft sowie Bilder und Seitenaltäre aus den Kirchen entfernen lassen. Die am 27. Juni abgehaltene öffentliche Disputation Bucers mit dem altgläubigen Pfarrer Georg Oßwald (1475– 1541) aus Geislingen diente daher nur noch der Legitimation des bereits Entschiedenen.28 Bucers Wirken in Augsburg galt demgegenüber weniger der Einführung der Reformation als vielmehr dem Ausgleich der in der Stadt vorhandenen theologischen Spannungen. Hier hatte Michael Keller (ca. 1490–1548) schon in den 1520er Jahren im Barfüßerkloster reformatorisch gepredigt. Seit 1523 gab es reformatorische Gottesdienste, ohne dass der Rat dagegen einschritt. Ab 1531 betrieb er selbst aktiv die Durchführung der Reformation.29 Theologisch rückte Keller seit dem Abendmahlsstreit immer mehr auf die Seite Zwinglis. Ihm zur Seite stand Bonifatius Wolfhart (ca. 1490–1543), der seit 1531 als Hebräischlehrer an der St. Anna-Kirche wirkte. Gleichzeitig gab es auch täuferische und spiritualistische Tendenzen. Diese theologische Gemengelage führte nicht selten zu Reibungen. Schon im Juni 1531 war Bucer von Ulm nach Augsburg gereist, um mit einer „Friedenspredigt“30 mäßigend einzuwirken, allerdings ohne großen Erfolg. Diese Situation führte dazu, dass die Fürsten zögerten, die Reichsstadt in den Schmalkaldischen Bund aufzunehmen. Auch von Seiten Luthers kam scharfe Kritik an den unklaren kirchlichen Verhältnissen. Im November 1534 hielt sich Bucer erneut für einen Monat in Augsburg auf, dann wieder von Fe28 29

Vgl. Greschat, Martin Bucer, 126–132. Vgl. Seebaß, Augsburger Kirchenordnung, 128; ders., Bucer und die Reichsstadt Augsburg, 479–491. 30 Vgl. BDS 4, 399–408.

184

Die Reformation in Straßburg

bruar bis April und im Mai 1535. Es ging ihm in erster Linie darum, die Augsburger Prediger in der Abendmahlslehre zu einen. Nach anfänglichen Misserfolgen erreichte er tatsächlich, dass sie eine von ihm formulierte Erklärung31 unterzeichneten, die nicht nur die Grundlinien der reformatorischen Theologie formulierte, sondern auch das Verhältnis zur Obrigkeit thematisierte. Dies machte dem Misstrauen, das den Augsburgern entgegengebracht wurde, ein Ende und leitete die Aussöhnung mit Luther und den Anhängern seiner Theologie in Augsburg ein. 1535 holte der Rat mit Johann Forster (1496–1558), einem gebürtigen Augsburger, einen Vertreter der Wittenberger Theologie als Prediger an die St. Moritz-Kirche und signalisierte auch damit die Beilegung der Differenzen. Am 20. Januar 1536 konnte die Stadt dem Schmalkaldischen Bund beitreten.32 Im Sommer 1537 wurde eine neue Kirchenordnung erlassen.33 Eine der wichtigsten Aufgaben Bucers war die „Kölner Reformation“, d.h. der – letztlich gescheiterte – Versuch, der Reformation im Erzbistum Köln die Wege zu ebnen. Initiator war Hermann von Wied (1477– 1552), seit 1515 Kurfürst und Erzbischof von Köln.34 Der an einer Kirchenreform interessierte Erzbischof, zu dessen Theologen auch der an dem Reichsreligionsgespräch von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 beteiligte Johannes Gropper (1503–1559)35 gehörte, hatte sich im Anschluss an den Abschied des Regensburger Reichstags von 1541 darum bemüht, Bucer für sein Anliegen zu gewinnen. Dieser Abschied 31 32 33

Vgl. BDS 6/I, 77–82. Vgl. Greschat, Martin Bucer, 132–136. Vgl. BDS 16, 209–268. Vgl. dazu Seebaß, Augsburger Kirchenordnung, bes. 130–148. 34 Vgl. Greschat, Martin Bucer, 208–221. 35 Vgl. u. S. 224–229.

IV. Bucers Wirken außerhalb

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forderte die geistlichen Herren dazu auf, ‚eine christliche Ordnung und Reformation vorzunehmen und aufzurichten, die zu guter … Administration der Kirche … dienlich sei’.36 Tatsächlich war es dem Erzbischof gelungen, den Straßburger Rat dazu zu bewegen, Bucer vorübergehend zu beurlauben. Ab Mitte Dezember 1542 hielt er sich auf Einladung Hermanns von Wied in Bonn auf; seit Mai 1543 zusammen mit Melanchthon, dessen Hilfe der Erzbischof ebenfalls gewonnen hatte.37 Das Kölner Domkapitel und auch die Universität Köln allerdings bezogen gegen das geplante Reformationswerk Position. Selbst Gropper gehörte zu den Gegnern. Bereits über die Berufung Bucers kam es zum Streit. Er begann seine Tätigkeit daher mit einer Verteidigungsschrift,38 in der er nicht nur die persönlichen Invektiven gegen seine Person aufnahm, sondern auch ausführlich die von ihm vertretene reformatorische Lehre darlegte. Wichtiger aber wurde der Kölner Reformationsentwurf,39 den Bucer seit Januar 1543 und ab Mitte Mai 1543 zusammen mit Melanchthon ausarbeitete. Diese oft „Kölner Reformation“ genannte Schrift lehnte sich teilweise an bereits rechtskräftige Kirchenordnungen an, ohne sich einer bestimmten „konfessionellen“ Theologie anzuschließen. Mit den überkommenen Gottesdienst- und Verfassungsformen ging man schonend um, um die im alten Glauben Verwurzelten, aber Reforminteressierten zu gewinnen.40 Theologisch bewahrte der Reformationsentwurf insofern einen „vorkonfessionellen“ Charakter, als er für die Wittenberger Reformation typische Elemente mit solchen der oberdeutschen, 36 37

Vgl. BDS 11/I, 70, Anm. 300. Vgl. de Kroon, Bucer und die Kölner Reformation, 492–506; Greschat, Martin Bucer, 208–210. 38 Vgl. BDS 11/I, 19–131. 39 Vgl. BDS 11/I, 147–432. 40 Vgl. Strohm, Martin Bucer, 69f.

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Die Reformation in Straßburg

von Straßburg geprägten Reformation kombinierte. Der Reformationsentwurf rief sogleich Einwände von Seiten der Universität Köln hervor, was Bucer und Melanchthon dazu zwang, ihr theologisches und kirchenorganisatorisches Werk zu rechtfertigen. Mit einer zweiten Verteidigungsschrift41 von 1543 wehrte Bucer Verunglimpfungen und Angriffe ab, die sich nicht nur auf seine Person, sondern auch auf die Stadt Straßburg und die protestierenden Stände42 generell bezogen. Seine zahlreichen bekenntnisartigen Formulierungen machten deutlich, dass er sich der göttlichen Legitimation seines Reformationswerks sicher war. Zunächst noch schien Hermann von Wied mit der Durchsetzung der von ihm geplanten, weitreichenden reformatorischen Maßnahmen Erfolg zu haben. Der Landtag stimmte im Juli 1543 dem Reformationsprogramm zu. Das Domkapitel aber verweigerte sich, und Gropper erstellte eine umfassende Widerlegung des Kölner Reformationsentwurfs, auf die Bucer – inzwischen nach Straßburg zurückgekehrt – ebenso umfassend antwortete.43 Letzten Endes scheiterte die Kölner Reformation. Kaiser Karl V., dessen militärische Stärke sich soeben in einem erfolgreichen Zug gegen Herzog Wilhelm von Jülich–Kleve–Berg eindrücklich erwiesen hatte, zwang den Erzbischof, sein Amt aufzugeben. Am 16. April 1546 erfolgte seine Exkommunikation durch Papst Paul III. Neben Luther und Melanchthon, neben Zwingli und später Calvin entwickelte Bucer eigenständige theologische Positionen, die weit über die Grenzen Straßburgs hinaus ausstrahlten. Das spezifische theologische Profil Bucers zeigt sich sowohl in der Lehre und 41 42 43

Vgl. BDS 11/II, 21–247. Vgl. dazu u. S. 202–205. Es handelt sich um die 1545 in Bonn gedruckte „Bestendige Verantwortung“, in: BDS 11/III.

IV. Bucers Wirken außerhalb

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seinem Einsatz für Konsensfindungen als auch in politisch-rechtlichen Fragen. Bucers Abendmahlslehre z.B. war weder mit derjenigen der Wittenberger Reformatoren noch mit derjenigen Zwinglis identisch und wurde charakteristisch für die oberdeutsche Reformation. Unermüdlich setzte er sich für einen Ausgleich der miteinander streitenden Positionen ein, was in der Wittenberger Konkordie von 1536 zumindest teilweise von Erfolg gekrönt war.44 Wichtig wurden darüber hinaus seine Obrigkeitsschriften, in denen er für ein Widerstandsrecht der untergeordneten Obrigkeiten eintrat. Bucers kirchenrechtliche Abhandlungen wurden für die Ablösung des kanonischen Rechts in den reformatorischen Kirchen richtungweisend. Dies wurde vor allem für die neue Ehegerichtsbarkeit ausschlaggebend, für die die Reformation neue Strukturen zu schaffen hatte, zumal sie die Sakramentalität der Ehe zurückwies. Bucer genoss als Theologe und Kirchenorganisator eine Reputation, die über die Reichsgrenzen hinaus wirkte. Im Zuge der Durchsetzung des Augsburger Interims musste er 1549 Straßburg verlassen und lehrte fortan als Professor in Cambridge, wo er 1551 starb.

44

Vgl. dazu u. S. 216–220 und 224–229.

Reformation und Reichspolitik

Die Einbettung der Reformation in die spezifischen Strukturen des Reichs und die Politik des Kaisers und der Stände hatte erhebliche Auswirkungen auf ihre nahezu ungehinderte Entfaltung im Schutze territorialer Grenzen. Die Bedingungen dafür ergaben sich im Kontext der europäischen Konstellationen. Politische Zwänge und Entwicklungen konnten religiöse Freiräume schaffen, aber auch von Fall zu Fall einengen. Die Etablierung der Reformation und die Ausprägung eines bestimmten institutionellen Profils standen in enger Wechselwirkung mit den politischen Gegebenheiten. Sie beeinflussten auch die „causa Lutheri“.

I. Der Römische Prozess gegen Luther und die Lage im Reich Im März 1518 hatte der Dominikanerorden gegen Luther Anklage wegen Ketzerei erhoben. Im Juli 1518 wurde er nach Rom vorgeladen mit der Auflage, innerhalb von 60 Tagen dort zu erscheinen, andernfalls sollte er alle priesterlichen und lehramtlichen Rechte verlieren. Luther wandte sich daraufhin an Georg Spalatin, den Sekretär Kurfürst Friedrichs des Weisen, und bat um dessen Intervention beim Papst. Der Kurfürst möge sich gemeinsam mit dem Kaiser dafür einsetzen, das geplante Verhör Luthers innerhalb der Reichsgrenzen anzuberaumen. Tatsächlich wurde Friedrich zugunsten Luthers aktiv. Schwieriger war es, Kaiser Maximilian (reg. 1508–1519) für den rechtlichen Schutz Luthers zu gewinnen, zumal er dem

I. Der Römische Prozess gegen Luther und die Lage im Reich

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Papst seine Unterstützung beim Vorgehen gegen die neuen Lehren zugesagt hatte. Dennoch gelang es der kursächsischen Seite, den Kaiser, der sich gerade zu einem Reichstag in Augsburg aufhielt, dazu zu bewegen, sich ebenfalls gegen die Bestellung Luthers nach Rom auszusprechen. Die päpstlichen Interessen wurden von Thomas de Vio (1469–1534) aus Gaeta in Italien, genannt Cajetan, vertreten, der damals päpstlicher Legat in Augsburg war.1 Ein Breve vom 23. August 1518 ermächtigte ihn, Luther unverzüglich zu fassen, gegebenenfalls mit Hilfe weltlicher Gewalt. Zugleich wurde Cajetan die Vollmacht übertragen, Luther wieder in die Kirchengemeinschaft aufzunehmen, falls dieser freiwillig vor ihm erscheinen und Reue zeigen würde. Darüber hinaus forderte das Breve Friedrich den Weisen auf, Luther auszuliefern. Cajetan hielt das Breve zunächst noch geheim und erwirkte in Rom die Erlaubnis, Luther zu einem Verhör nach Augsburg vorzuladen. Dem sächsischen Kurfürsten sagte er zu, den Wittenberger Professor nicht nur anhören, sondern ihm auch Wege zu einer gütlichen Beilegung der Angelegenheit aufzeigen zu wollen.2 In Augsburg, wo der Reichstag inzwischen zu Ende gegangen war, kam es zu drei Begegnungen zwischen Luther und Cajetan. Während der ersten am 12. Oktober 1518 in dessen Quartier im Fuggerhaus forderte er Luther auf, seine Irrtümer zu wiederrufen, außerdem zu versprechen, keine Irrlehren mehr zu vertreten, und schließlich von allem Abstand zu nehmen, was Unruhe in der Kirche stiften könne. Luther verharrte auf seinem Standpunkt, sich keiner Irrtümer bewusst zu sein. Die zweite Begegnung fand am 13. Oktober statt. Luther beteuerte, sich stets zur sancta 1 2

Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 1966. Vgl. Schwarz, Luther, 69–73.

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Reformation und Reichspolitik

Romana ecclesia halten zu wollen, versicherte, nicht von der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern und päpstlichen Dekretalen abgewichen zu sein, und stellte fest, den geforderten Widerruf solange nicht leisten zu können, bis er angehört und widerlegt worden sei. Man gestattete Luther, eine schriftliche Stellungnahme vorzulegen. Schon am nächsten Tag fand die dritte Begegnung statt. Luther übergab das Schriftstück, das er ausgearbeitet hatte,3 aber Cajetan beharrte unter Androhung der Exkommunikation auf seiner Forderung, Luther solle widerrufen. Noch in Augsburg appellierte Luther an den Papst. Dies geschah in der Form einer notariell ausgefertigten Appellationsurkunde: ein letzter Versuch, die strittige Angelegenheit auf rechtlichem Wege zu regulieren. Die Appellation wurde dem Legaten zugestellt und am 22. Oktober durch Anschlag am Augsburger Dom bekannt gemacht.4 Luther selbst, dessen Verhaftung zu befürchten stand, verließ noch am selben Abend mit Hilfe seiner Freunde heimlich die Stadt. Theoretisch wäre es der Kurie durchaus möglich gewesen, den mit dem Breve an Cajetan bereits eingeschlagenen Weg konsequent weiterzuverfolgen und Luther in einem Verfahren als erwiesenen Ketzer zu exkommunizieren. Aber in Rom hoffte man noch darauf, die Luthersache auf einem weniger spektakulären Weg aus der Welt zu schaffen. Dazu hatte der päpstliche Kammerjunker Karl von Miltitz bereits im September 1518 Verhandlungen mit dem sächsischen Kurfürsten geführt und trat am 5./6. Januar 1519 auch in Gespräche mit Luther ein, allerdings ohne Erfolg. Wie sehr der Fortgang der Angelegenheit nun von politischen Konstellationen mit bestimmt wurde, zeigte sich bei der anstehenden Kaiserwahl. 3 4

Vgl. WA 2, 9,16–16,21. Vgl. Schwarz, Luther, 74.

I. Der Römische Prozess gegen Luther und die Lage im Reich

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Denn am 12. Januar 1519 starb Maximilian I. Auf dem Reichstag zu Augsburg von 1518 hatte er sich darum bemüht, seinen in Burgund aufgewachsenen Enkel Karl zum römischen König wählen zu lassen. Aber es war ihm nicht gelungen, auf diese Weise Einfluss auf seine Nachfolge auszuüben, so dass nach seinem Tod die Lage wieder vollkommen offen war. Nicht nur Karl, sondern auch König Franz I. von Frankreich bewarben sich um den Thron. Zeitweise hatte auch Heinrich VIII. von England kandidiert. Die beiden Konkurrenten brachten erhebliche Summen Wahlgelder ins Spiel, die in Form von Ehrengeschenken, Pensionen und Bestechungszahlungen an Kurfürsten und deren Räte flossen. Auch der Papst war an der Kaiserwahl interessiert, denn beide Bewerber konnten ihm durch ihre Ansprüche auf Neapel und Mailand in Italien bedrohlich naherücken. Deshalb hielt er Ausschau nach einer dritten Möglichkeit und versuchte in Kurfürst Friedrich dem Weisen einen Verbündeten zu gewinnen oder ihn sogar selbst zu einer Kandidatur zu bewegen. Man bot ihm sogar die Kardinalswürde für einen seiner Freunde an.5 Die Mission des Karl von Miltitz 1518/1519 ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen.6 Diesem Interesse der Kurie an einem Einvernehmen mit Friedrich dem Weisen war geschuldet, dass in der Luthersache zunächst keine weiteren Schritte unternommen wurden und der Prozess nur sehr langsam betrieben wurde. Die Kurie war bemüht, die Kurfürsten zu diesem Zeitpunkt auf keinen Fall zu brüskieren. Es waren also auch die europäischen, politischen Rahmenbedingungen, die den Fortgang der „Luthersache“ beeinflussten. Mehr als ein Jahr lang konnte sich die Reforma5

Dass Luther damit hätte gemeint sein können, ist allerdings nirgends bezeugt. 6 Zu den Verhandlungen des Karl von Miltitz vgl. Brecht, Martin Luther I, 255–263.

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Reformation und Reichspolitik

tion daher ungehindert ausbreiten. Am 28. Juni 1519 wurde der Habsburger Karl einstimmig zum römischen König gewählt. Am 3. Juli 1519 unterzeichnete er eine Wahlkapitulation, die von Friedrich dem Weisen entworfen worden war7. Am Ende des Frankfurter Kaiserwahltags (4.7.1519) vereinbarte der sächsische Kurfürst mit dem Erzbischof und Kurfürsten von Trier, Richard von Greiffenklau, dass Luther auf dem nächsten Reichstag vor ihm als richterlicher Instanz erscheinen solle, was auch in den Gesprächen mit Miltitz bereits Gegenstand der Verhandlungen gewesen war. Zwar gab es dafür keine päpstliche Ermächtigung, aber damit war die „causa Lutheri“ auf die Reichsebene gehoben und die Möglichkeit gegeben, die Rechtspraxis der Kurie auszuschalten. Diese Übereinkunft erhielt durch die Wahlkapitulation des neuen Kaisers Rückhalt, denn hierin sicherte dieser den Reichsständen generell zu, über niemanden die Reichsacht zu verhängen, dessen Fall nicht zuvor durch die Reichsstände geprüft worden sei.8 Während der Kaiserwahl war der römische Prozess gegen Luther ins Stocken geraten. Am 9.1.1520 aber gaben Papst und Kardinäle erneut ihrem Willen Ausdruck, gegen Luther vorgehen zu wollen. Am 15. Juni 1520 wurde die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ ausgefertigt. Der päpstliche Nuntius Hieronymus Aleander erhielt den Auftrag, sie in den Gebieten längs des Rheins und in den Niederlanden bekannt zu machen. Eck, der die Vollmacht erhalten hatte, neben Luther weitere Personen in der Bannandrohungsbulle zu benennen, war für die Promulgation in Süd- und Mitteldeutschland zuständig. Beide waren dafür auf 7 Vgl. DRTA JR 1, Nr. 387; Rogge, Anfänge der Reformation, 160–166. 8 Vgl. Schwarz, Luther, 76–79.

I. Der Römische Prozess gegen Luther und die Lage im Reich

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die Unterstützung der Bischöfe und Territorialherren angewiesen, die Aleander durch Karl V. und die theologische Fakultät Löwen auch erhielt. Eck, der versuchte, die Bulle besonders in den großen Universitätsstädten bekannt zu machen, hatte weniger Erfolg. Der sächsische Kurfürst verweigerte sowohl die Veröffentlichung als auch die Durchführung der Bulle in seinem Gebiet.9 Es war nur konsequent, wenn Luther jetzt öffentlich zur Bannandrohungsbulle Stellung bezog. Er verfasste einen Sendbrief an Papst Leo X., in dem er anbot, künftig zu schweigen, wenn auch seine Gegner dies tun würden. Diesem lateinisch und deutsch abgefassten Schriftstück legte er seinen Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ bei. Aber die weitere Verbreitung der Bannandrohungsbulle provozierte ihn dann doch zu schärferen Tönen. Er sah darin eine Aktion des Antichrists.10 Am 17. November 1520, kurz vor Ablauf der in der Bulle genannten offiziellen Widerrufsfrist, appellierte er aufs Neue an ein christliches, der Heiligen Schrift verpflichtetes Konzil. Er bat Kaiser, Fürsten und Städte des Reichs um Unterstützung, da er sich nicht vor unparteiischen Richtern habe verantworten können. Tatsächlich basierten die Aktionen der Kurie nicht auf einer inhaltlichen Widerlegung der Lehren Luthers, sondern auf kirchenrechtlichen Bestimmungen über die Lehrgewalt des Papstes. Deshalb erkannte Luther im Kirchenrecht, besonders in den päpstlichen Dekretalen, die Konkretisierung eines in die Irre gehenden, kirchlichen Vollmachtstrebens, das er daher als antichristisch wertete. Die geistliche Vollmacht der Evangeliumspredigt, aus der heraus die Kirche eigentlich lebe, war seiner Ansicht nach im Papsttum durch 9

Vgl. Kohnle, Reichstag und Reformation, 45–84. Vgl. die Schriften Luthers in: WA 6, 597–612, und WA 6, 614– 629. Zur Identifizierung des Papsttums mit dem Antichrist vgl. Seebaß, Antichrist, 28–32. 10

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einen jurisdiktionellen und politischen Vollmachtsanspruch überlagert worden. Der Plan, das ganze päpstliche Kirchenrecht öffentlich zu verbrennen, war darum durchaus naheliegend, obwohl Luther anfänglich noch zögerte. Am 10. Dezember 1520 kam es tatsächlich vor dem Elstertor, dem östlichen Stadttor Wittenbergs, zu einer Bücherverbrennung, an der außer Luther und Melanchthon auch Studenten und andere Mitglieder der Universität teilnahmen. Verschiedene Ausgaben des kanonischen Rechts, ein Druckexemplar der Bannandrohungsbulle, ein Beichthandbuch sowie Schriften Ecks und Hieronymus Emsers (1478– 1527) wanderten ins Feuer.11 All dies änderte nichts am Fortgang des Prozesses. Am 3. Januar 1521 wurde in Rom die Bulle „Decet Romanum Pontificem“ ausgestellt, die Luther mit dem Kirchenbann belegte, aber im Reich nur wenig Beachtung fand.

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation 1. Der Wormser Reichstag von 1521 und die Ächtung Luthers Nach der Kaiserwahl in Frankfurt wurde Karl am 23. Oktober 1520 in feierlicher Form im Aachener Dom gekrönt. Nie zuvor hatte er – mit Ausnahme der Niederlande – den Boden des Reichs betreten; des Deutschen war er nicht mächtig. Einige Monate nach seiner Krönung eröffnete er am 27. Januar 1521 seinen ersten Reichstag in Worms.12 Für ihn standen politische Fragen im Vordergrund, so z.B. die Bewilligung einer raschen finanziellen Unterstützung für seine militärischen Projekte u.a. im Konflikt mit dem fran11 12

Vgl. Brecht, Martin Luther I, 403–406. Vgl. Kohnle, Reichstag und Reformation, 85–104; Reuter (Hg.), Reichstag zu Worms, 21981.

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation

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zösischen König, oder zur Niederschlagung von Aufständen in Spanien. Die Reichsstände aber standen solchen Hausmachtinteressen distanziert gegenüber. Sie sahen sich als Hüter der Reichsangelegenheiten. In dieses Tauziehen um ständische Rechte und kaiserliche Macht wurde die „causa Lutheri“ hineingezogen. Unter dem Einfluss des päpstlichen Nuntius Aleander hatte Karl eigentlich den Entschluss gefasst, dem päpstlichen Bann wie üblich die Reichsacht folgen zu lassen, zumal Luther und seine Anhänger in der vorgeschriebenen Frist nicht widerrufen hatten. Dies aber traf auf Widerstand bei den Reichsständen. Friedrich der Weise bemängelte, dass dem römischen Lehrurteil gegen Luther kein Verhör vor unparteiischen Richtern vorausgegangen war und man ihm die angeblichen Irrtümer nicht aus der Heiligen Schrift nachgewiesen habe. Auch andere Reichsfürsten stellten sich dem Automatismus von Bann und Reichsacht entgegen, obgleich die meisten keineswegs von Luthers Rechtgläubigkeit überzeugt waren. Sie forderten die Einhaltung der Wahlkapitulation, in der festgelegt worden war, dass kein Reichsangehöriger unverhört in die Acht erklärt werden dürfe. Wenn die Acht tatsächlich über Luther verhängt und seine Bücher verbrannt würden, wie dies der Entwurf eines entsprechenden kaiserlichen Mandats vorsah, dann – so führten die Stände ins Feld – werde sich Aufruhr im Volk regen, das durch die Predigt Luthers für die Missstände der Kirche sensibilisiert worden sei. Angesichts dieser Lage zitierte der Kaiser Luther unter Zusicherung freien Geleits nach Worms. Luther trat die Reise unverzüglich an. Eine Einladung zu Verhandlungen auf der Ebernburg lehnte er ab.13 Am 17. April 1521 stand er in der Hofstube der bischöflichen Residenz in Worms vor Kaiser und 13

Vgl. dazu o. S. 172.

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Reich. Auf die Frage, ob er sich zu seinen Schriften bekenne, und ob er bereit sei, deren Inhalt zu widerrufen, erbat sich Luther Bedenkzeit und trug am nächsten Tag, zunächst deutsch, dann lateinisch, seine inzwischen erarbeitete Rede vor. Sie endete mit den Worten: „Weil denn Eure kaiserliche Majestät und Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine unanstößige Antwort … geben …: Es sei denn, dass ich durch das Zeugnis der Schrift überwunden werde oder aber durch offensichtliche Gründe (denn ich glaube [weder] dem Papst noch den Konzilien allein, weil es [offen] zutage liegt, dass dieselben zu mehreren Malen geirrt und gegen sich selbst geredet haben) überwunden werde, [so] bin ich überwunden durch die Heilige Schrift, die von mir angeführt wird, und gefangen im Gewissen an dem Wort Gottes. Deshalb mag noch will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln schwer, unheilvoll und gefährlich ist. Gott helfe mir, Amen“.14 Damit war für den Kaiser die Sache entschieden. Schon am nächsten Tag trat er mit einem eigenhändig entworfenen Schriftstück vor die Versammlung, in dem er empfahl, gegen Luther als erklärten Ketzer vorzugehen. Am 25. April wurde Luther entlassen. Man sicherte ihm noch drei Wochen Reisegeleit zu. Dann musste er sich in Sicherheit bringen. Erst gegen Ende des Reichstags ließ sich der Kaiser von den wenigen noch anwesenden Ständen ein Edikt genehmigen, das aber rechtsverbindlich für alle war. Dieses Wormser Edikt verhängte über Luther, den bereits exkommunizierten Ketzer, die Reichsacht. Es befahl jedem, der ihn ergriff, die sofortige Auslieferung. Unterstützung oder Beherbergung des Geächteten waren verboten. Die Acht betraf auch die Beschützer und Anhänger Luthers. Außerdem sollte sein gesamtes 14

WA 7, 876,9–877,6.

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation

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Schrifttum vernichtet werden. Lektüre und Vertrieb wurden verboten. Zusätzlich wurde eine reichsweite Zensur angeordnet. Aber die Durchführung einer solchen Bestimmung erwies sich schon damals als Illusion. Überhaupt hing die Durchführung des Edikts davon ab, in welchem Maße sich die einzelnen Reichsstände dafür einsetzten und wie stark die Bevölkerung bereits von der Lehre Luthers erfasst war. So wurde das Edikt keineswegs in allen Territorien durchgeführt. Dennoch blieb es bis 1555 in Geltung und war ein wichtiges Instrument der kaiserlichen Reichspolitik.15 Der unmittelbaren Gefahr, die sich für Luther durch das Wormser Edikt ergab, kam sein Landesherr, Friedrich der Weise, zuvor. Er ließ Luther auf der Rückreise von Worms nach Thüringen scheinbar überfallen und ergreifen, um ihn auf der Wartburg zu verbergen. Hier lebte Luther vom 4. Mai 1521 bis zum 1. März 1522 inkognito als Junker Jörg.16 2. Der Reichstag von Speyer 1526, die Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments und die Ordnung der Kirche Die Jahre seit 1521 waren bestimmt durch die Auseinandersetzung zwischen Habsburg und Frankreich sowie den Bruch zwischen Kaiser und Papst. Außerdem bestand an den Ostgrenzen des Reichs eine dauerhafte Bedrohung durch die Osmanen, die sich Ungarn näherten. Diese politische Sachlage hatte Rückwirkungen auf die Reformation im Reich. Die Beschäftigung mit dieser Häresie musste hinter die außenpolitischen Herausforderungen des Kaisers zurücktreten. Auch Erzherzog Ferdinand, dem Bruder 15 16

Vgl. dazu Kohnle, Reichstag und Reformation, 99–104. Zum Wartburgaufenthalt vgl. Schwarz, Luther, 130–139.

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und Statthalter Karls, waren durch die Bauernunruhen in Österreich die Hände gebunden Zugleich wuchs bei den Fürsten, angesichts der militärischen Siege Karls, die Sorge vor einer Übermacht des Hauses Habsburg. Wenn unter ihnen die Reformation immer mehr an Terrain gewann, so verband sich dies auch mit einem antihabsburgischen Gegensatz. In dieser Situation trat am 25. Juni 1526 der Reichstag in Speyer zusammen. Man tagte bis zum 27. August. Im Mittelpunkt stand die Durchsetzung des Wormser Edikts von 1521. Gemäß der kaiserlichen Proposition sollte der Reichstag Maßnahmen zur Durchführung des Wormser Edikts und Aufrechterhaltung der alten Ordnung treffen, um auf diese Weise – bis zu einem Konzil – die Eintracht wiederherzustellen. Geleitet wurde der Reichstag von Erzherzog Ferdinand. Aber fast alle Repräsentanten der altgläubigen Stände fehlten, und die anwesenden fürchteten, dass bei einer strikten Durchführung des Edikts neue revolutionäre Ausbrüche zu erwarten seien. Die Städte erklärten es für unmöglich, die evangelische Bewegung zu unterdrücken und die alten Zeremonien wiedereinzuführen. Dem schlossen sich auch einige Fürsten an. Der schließlich formulierte Reichstagsabschied enthielt einen folgenreichen Kompromiss. Er erneuerte die Forderung eines General- oder wenigstens eines Nationalkonzils. Die Durchführung des Wormser Edikts wurde in die Verantwortung der einzelnen Stände gestellt. Diese erklärten, bis zur Veranstaltung des geforderten Konzils „für ihren Teil so zu leben, zu regieren und [es] zu halten, wie ein jeder solches gegenüber Gott, und kaiserlicher Majestät hoffe und vertraue zu verantworten“.17 Allerdings sollte dieser Beschluss nur ein Provisorium sein, der 17

Neue und vollständige Sammlung der Reichs=Abschiede, 274 § 4. Auch zitiert bei Kohnle, Reichstag und Reformation, 269.

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den status quo bis zu jenem zu erwartenden Konzil, das eine endgültige Lösung bringen sollte, festschrieb.18 Diese Verantwortungsformel des Speyerer Reichstags war ein Meilenstein in der Geschichte der Reformation. Denn sie wurde von den reformatorisch gesinnten Ständen dahingehend ausgelegt, dass sie nun von Reichs wegen im reformatorischen Sinne wirken und kirchenordnende Maßnahmen ergreifen dürften. Der Speyerer Reichstag von 1526, dessen Abschied drei Jahre in Geltung blieb, schuf somit die Bedingungen für eine territoriale, obrigkeitlich gelenkte Fürstenreformation, die die Phase der Gemeindereformation ablöste. Dies legte langfristig den Grund für die Ausbildung des Landesherrlichen Kirchenregiments und das Entstehen evangelischer Landeskirchen. An der Spitze dieser Entwicklung stand Kursachsen, dessen Weg für die reformatorische Kirchenverfassung maßgebend wurde. Als nach dem Tod Friedrichs des Weisen (5.5.1525), der erst auf dem Sterbebett das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfing, sein Bruder Johann der Beständige die Regierung antrat, hatte das Land ein Oberhaupt, das sich offen zur Reformation bekannte. 1525 regte Luther bei Kurfürst Johann an, alle Pfarreien im Lande visitieren zu lassen. Im Jahre 1526 begann man damit, den Gottesdienst nach Luthers „Deutscher Messe“ evangelisch umzugestalten. Aber der Reformator sah sich genötigt, den Kurfürsten im Herbst desselben Jahres erneut zu bitten, dem beklagenswerten Zustand der Kirchen und Schulen des Landes ein Ende zu machen, Schulen und Pfarreien in reformatorischem Sinne einzurichten und dazu notfalls das Klostergut zu verwenden. Dass Luther hierfür die weltliche Obrigkeit zu Hilfe rief, stand 18

Vgl. Kohnle, Reichstag und Reformation, 248–276.

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in der Konsequenz jener Vorschläge, die er schon in seiner Schrift „An den christlichen Adel“ von 1520 gemacht hatte.19 Angesichts des Versagens der altgläubigen Bischöfe sollten die weltlichen Obrigkeiten als Notbischöfe die kirchlichen Leitungsaufgaben vorübergehend übernehmen. Melanchthon argumentierte später ähnlich und wies den Obrigkeiten als „praecipua membra ecclesiae“, d.h. als vornehmste Glieder der christlichen Gemeinde, kirchenleitende Befugnisse zu. Sie sollten die „cura religionis“ als Wächter über die beiden Tafeln des Gesetzes (custodia utriusque tabulae) wahrnehmen.20 Kurfürst Johann reagierte im Jahre 1527 mit der Zusammenstellung einer Visitationskommission. Sie bestand aus einem Theologen, nämlich Melanchthon, einem Juristen und zwei Edelleuten. 1528 wirkte auch Luther als Visitator mit. Um dem desolaten Zustand der Gemeinden abzuhelfen, verfasste Melanchthon den „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstentum Sachsen“,21 der – 1528 gedruckt – der Unterweisung der Pfarrer und der Einführung evangelischer Verhältnisse dienen sollte. Er erklärte in einer losen Folge von Artikeln, was die Pfarrer predigen, wie sie Sakramente spenden und welche kirchliche Ordnung sie befolgen sollten. Luther wurde durch die Visitationserfahrungen dazu veranlasst, einen Katechismus für den christlichen Volksunterricht zu erstellen. 1529 lag er in Form des Großen und des Kleinen Katechismus vor. Der Einfluss des „Unterrichts der Visitatoren“ und der Katechismen ging weit über die Grenzen Kursachsens hinaus. Auch in anderen Territorien fanden ähnliche Visitationen zur Neuordnung des Kirchenwesens statt. Von Theologen erstellte Kirchenordnungen wur19 20 21

Vgl. o. S. 57–59. Vgl. Dingel, Kirchenverfassung, 1321. Vgl. CR 26, 29–95.

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den von den Obrigkeiten verbindlich gemacht und standen meist am Ende eines territorialen Reformationsprozesses.22 Einen anderen Weg schlug zu Anfang die Landgrafschaft Hessen ein, wo der obrigkeitlich initiierte Übergang zur Reformation mit einer Kirchenordnung begann: der „Reformatio ecclesiarum Hassiae“23 (1526), erstellt durch Franz Lambert von Avignon. Auf der Synode von Homberg (Efze) wurde sie 1526 in Gegenwart des Landgrafen Philipp angenommen. Dauerhaft eingeführt wurde sie allerdings angesichts der gegebenen Verhältnisse nicht. Aber Landgraf Philipp berief Franz Lambert an seine neugegründete Universität Marburg, die erste reformatorische Universitätsgründung. Auch Pfarrer wurden nun nach reformatorischen Grundsätzen ausgewählt und eingesetzt.24 Ebenfalls im Jahre 1526 erstellte Johannes Brenz für Schwäbisch-Hall und das Hallische Land eine Kirchenordnung, die Gottesdienst und Gemeindeleben im reformatorischen Sinne regelte. Auch im Norden erfuhr die Reformation über Kirchenordnungen eine obrigkeitliche Konsolidierung. Das „Cellesche Artikelbuch“25 Herzog Ernsts des Bekenners von 1527, von Predigern der Stadt Celle erstellt für das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, war solch eine Kirchenordnung – die erste evangelische in Niederdeutschland. Die weitere Entwicklung von kirchenordnenden Regelungen und Kirchenverfassung macht zahlreiche inhaltliche Abhängigkeiten und gegenseitige Beeinflussungen deutlich. Nicht nur die Schriften Luthers und Melanchthons spielten eine große Rolle, sondern auch die Kirchenordnungen des Württembergers Johannes Brenz, des Nürnbergers Andreas Osiander 22 23 24 25

Vgl. dazu insgesamt Wolgast, Einführung der Reformation, 2014. Vgl. EKO 8, 43–65. Vgl. Müller, Franz Lambert von Avignon, 29–52. Vgl. EKO 6/I.1, 492–521.

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und des Wittenbergers Johannes Bugenhagen. Auf Bugenhagen gehen die Braunschweiger Kirchenordnung von 1528, die Hamburger Kirchenordnung von 1529, die Lübecker Kirchenordnung von 1531 und die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542 zurück. Viele weitere wurden den Bugenhagenschen Ordnungen nachgebildet.26 3. Der Reichstag von Speyer 1529 und das Ringen um ein Minderheitenrecht in Glaubensfragen Nur wenige Tage nachdem der Speyerer Reichstag zu Ende gegangen war, wurde bekannt, dass das ungarische Heer am 29. August 1526 bei Mohács dem Ansturm der dem Islam anhängenden Osmanen unterlegen war. Nun sah sich die lateinische Christenheit schutzlos einem Gegner ausgeliefert, den man sowohl auf politischer als auch auf religiöser Ebene fürchtete. Die Niederlage zwang den Kaiser, Nachbesserungen bei der sogenannten „Türkenhilfe“ einzufordern. Diese Kriegssteuer, die der Stärkung der habsburgischen Truppen dienen sollte, hatte bereits in Speyer 1526 zur Debatte gestanden. Nun war für Frühjahr 1528 ein Reichstag für Regensburg geplant, um dies erneut zu verhandeln. Aber der Termin musste wegen neuer kriegerischer Aktionen gegen Frankreich abgesagt und auf einen Reichstag 1529 in Speyer verschoben werden. Grundlage für den zweiten Speyerer Reichstag war eine Proposition, die der Statthalter Karls, Erzherzog Ferdinand, der inzwischen durch Erbfall König von Ungarn und durch Wahl König von Böhmen (1526/1527) geworden war, erstellt hatte. Denn die Proposition des Kaisers, der sich in Spanien aufhielt, war nicht rechtzeitig eingetroffen. Diese Propo26 Vgl. Sprengler-Ruppenthal, Kirchenordnungen, 670–686; Sehling, Kirchenordnungen, 458–460.

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sition legte besonderen Akzent auf die Erfordernisse im Ostteil des Reichs. Die Frage einer sofortigen und möglichst beständigen „Türkenhilfe“ war deshalb prädominant. Danach kam das Missfallen über die sich beständig ausbreitenden Irrlehren zum Ausdruck.27 Weitere reformatorische Eingriffe in fremde Hoheitsrechte wurden untersagt und mit Sanktionen, u.a. der Reichsacht, belegt. Der Abschied des Speyerer Reichstags von 1526 mit seiner Verantwortungsformel sollte wegen willkürlicher und missbräuchlicher Auslegung, aufgehoben werden. Und schließlich sollte es um den Unterhalt und die Verlegung der Reichsbehörden gehen. In dieser politischen Gemengelage lag den evangelischen Ständen vor allem daran, die Beibehaltung der Verantwortungsformel von 152628 zu sichern, während sich die Altgläubigen anschickten, die damit in Anspruch genommene Rechtsgrundlage für die reformatorischen Umgestaltungen zu beseitigen. Tatsächlich lief alles auf die Aufhebung des Speyerer Abschieds von 1526 zu. Der erarbeitete Entwurf für den Abschied sah folgendes vor: Diejenigen, die bisher das Wormser Edikt durchgeführt hatten, sollten dabei bleiben. Alle anderen Stände sollten bis zu einem zukünftigen Konzil alle reformatorischen Umgestaltungen oder Neuerungen einstellen. Sakramentiererische Lehren und Sekten – gemeint waren Zwingli, seine Lehre und Anhängerschaft – sollten verboten werden, ebenso die Abschaffung der Messe. Auch in evangelischen Gebieten sollte freier Zugang zur altgläubigen Messe bestehen. Außerdem wurde ein Mandat gegen die Täufer vorbereitet. Druckerzeugnisse sollten der Zensur unterworfen werden. All dies entsprach den Forderungen der königlichen Proposition. Das Wormser Edikt blieb somit in Geltung. Zwar 27 28

Vgl. Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 60f. Vgl. o. S. 198f.

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waren die bereits evangelisch gewordenen Stände davon ausgenommen, aber weitere reformatorische Neuerungen waren untersagt. Johann von Sachsen, Philipp von Hessen und der Lüneburgische Gesandte, Kanzler Johann Forster, erklärten dies für unannehmbar. Man plante die Eingabe einer Rechtsverwahrung. Am 12. April 1529 kam es zum offenen Bruch zwischen den sich gegenüberstehenden Lagern. Während die Mehrheit der reichspolitischen Linie folgte, verlas der kursächsische Kanzler Gregor Brück eine Beschwerdeschrift, die von Kurfürst Johann dem Beständigen, Philipp von Hessen, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Fürst Wolfgang von Anhalt und Kanzler Forster für die Herzöge Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg unterschrieben worden war. Sie legte dar, dass man sich in Dingen, die Gottes Ehre und das Seelenheil betreffen, nicht an Mehrheitsentscheidungen ausrichten könne. Diese Eingabe lag der wenig später erstellten Protestation der evangelischen Stände zugrunde. Denn Ferdinand ließ sich in seinem politischen Kurs nicht beirren. Am 19. April bestätigte er den Entwurf des Abschieds, der anschließend auf dem Reichstag mehrheitlich angenommen wurde. Das bedeutete die endgültige Aufhebung der Verantwortungsformel von 1526, die Bekräftigung des Wormser Edikts, eine allgemeine Duldung der Messe und ein Verbot künftiger reformatorischer Neuerungen. Daraufhin verließen die Evangelischen kurz den Sitzungssaal, um sich zu beraten und nach ihrer Rückkehr die bereits vorbereitete, auf Vorarbeiten Brücks aufbauende Protestation zu verlesen. Ferdinand jedoch war schon nicht mehr anwesend. Deshalb wurde ihm am folgenden Tag, dem 20. April 1529, eine erweiterte, theologisch begründete Protestation überreicht, die Bekenntnischarakter trug. Mit diesem Schriftstück legten die evangelischen Fürsten Rechtsverwahrung gegen die Aufhebung des

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Speyerer Abschieds von 1526 ein. Aber Ferdinand verweigerte die Kenntnisnahme. In den Reichstagsabschied, der am 24. April gesiegelt wurde, wurde die Protestation daher nicht aufgenommen. Dennoch war die Speyerer Protestation, ebenso wie die Verantwortungsformel von 1526, ein Meilenstein für die weitere Entwicklung der Reformation. Sie war von dem Kurfürsten von Sachsen, dem Landgrafen von Hessen, dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach und dem Fürsten von Anhalt, außerdem von den Herzögen Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg, die bei den Verhandlungen durch den Kanzler Forster vertreten worden waren, unterschrieben. Außerdem traten ihr 14 der insgesamt 44 anwesenden Reichsstädte bei. Im Mai 1529 kam der Text der Protestation gedruckt heraus. Die Exemplare waren zur Verbreitung und für den öffentlichen Anschlag bestimmt. Bedeutend wurde die Speyerer Protestation dadurch, dass sich eine Minderheit unter Berufung auf ihr Gewissen gegen einen Mehrheitsentscheid in der Religionsfrage gewandt hatte. Diese Aufkündigung des reichsrechtlichen Konsenses in der Glaubensfrage teilte das Reich sowohl auf der Ebene des Politischen als auch auf derjenige des Religiösen dauerhaft in zwei unterschiedliche Lager, die sich jeweils in Verteidigungsbündnissen zusammenschlossen.29 4. Der Augsburger Reichstag von 1530 und die reformatorische Bekenntnisbildung Das Jahr zwischen dem Speyerer Reichstag von 1529 und dem Augsburger von 1530 stand im Zeichen evangelischer Bündnisbemühungen. Dies setzte eine Überwindung der theologischen Differenzen voraus, 29

Vgl. Dingel, Ringen um ein Minderheitenrecht, 225–242.

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die zu jenem Zeitpunkt vor allem in der Abendmahlsfrage zwischen Luther und Zwingli schwelten.30 Das Marburger Religionsgespräch von 1529, für das sich Landgraf Philipp von Hessen daher intensiv eingesetzt hatte und das einen Ausgleich zwischen den beiden reformatorischen Zentren Wittenberg und Zürich heraufführen sollte, hatte diese Erwartungen nicht erfüllt. Die Abendmahlsfrage blieb ein theologischer Brennpunkt. Und so hatten sich auch die politischen Bündnispläne des Landgrafen nicht realisieren lassen. Der Kurfürst von Sachsen plante daraufhin ein Sonderbündnis jener Stände, die in Glauben und Lehre übereinstimmten, unter Verzicht auf all diejenigen, die zur zwinglischen Abendmahlslehre tendierten. Dem sollten die 17 Schwabacher Artikel31 zugrunde liegen, die im Nachgang zur Speyerer Protestation auf Initiative des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach federführend von Philipp Melanchthon und Martin Luther erstellt worden waren. Sie wurden auf dem Schwabacher Konvent (16.–19.10.1529) den oberdeutschen Städten unterbreitet. Aber ein Bündnis kam auch auf dieser Grundlage nicht zustande. In diese Situation hinein erging das kaiserliche Ausschreiben für den nächsten Reichstag. Der im Februar 1530 in Bologna von Papst Clemens VII. nachträglich zum Kaiser gekrönte Karl berief ihn noch von Bologna aus auf den 8. April 1530 nach Augsburg ein. Das Ausschreiben benannte als Beratungsgegenstände die Abwehr der Bedrohung durch die Osmanen, die bereits 1529 vor Wien gestanden hatten, und die Beilegung der umstrittenen Religionsangelegenheiten. Es sollte darum gehen „eines jeden Gutdünken und Meinung … zu hören …, um sie zu einer einigen christlichen Wahrheit zu bringen und [die Gegensät30 31

Vgl. dazu o. S. 115–124. Vgl. BSELK, QuM I, 37–42.

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ze] auszugleichen [sowie] alles, was auf beiden Seiten nicht recht ausgelegt oder abgehandelt ist, abzutun“.32 Kurfürst Johann der Beständige von Sachsen trug daher den Wittenberger Theologen auf, sich zu Beratungen über die strittigen Fragen in Lehre und Zeremonien zusammenzufinden. Dabei sollten sie erwägen, wie weit man in den Verhandlungen auf dem künftigen Reichstag gehen könne. Das Ergebnis dieser Beratungen sollte in Torgau vorgelegt werden. Möglicherweise überbrachte Melanchthon am 27. März 1530 diese sogenannten „Torgauer Artikel“. Allerdings ist kein Schriftstück erhalten, das sich mit ihnen identifizieren ließe. Sicher scheint zu sein, dass es einige Stellungnahmen gab, die sich allein auf die Kirchenbräuche bezogen.33 Am 3. April 1530 brachen der sächsische Kurfürst, Martin Luther, Philipp Melanchthon und Justus Jonas gemeinsam nach Augsburg auf. Luther konnte als Geächteter nicht auf dem Reichstag erscheinen und blieb deshalb auf der Veste Coburg, dem nächstgelegenen kurfürstlich sächsischen Grenzort, zurück. Schon dort begann Melanchthon damit, die mitgebrachten Textvorlagen zu bearbeiten. Daraus entstand in mehrfacher Umarbeitung die Confessio Augustana. Dem ersten Teil dieses Bekenntnisses lagen die Schwabacher und die darauf aufbauenden Marburger Artikel Martin Luthers zugrunde, mit denen das Marburger Religionsgespräch einst geendet hatte.34 An der Abfassung des Augsburger Bekenntnisses war Luther nicht beteiligt, erhielt den Text aber vom Kurfürsten zur Begutachtung zugeschickt. Er sandte ihn am 15. Mai 1530 mit anerkennenden Worten nach 32 33

Förstemann (Hg.), Urkundenbuch, 8. So schon Seebaß in einem leider unpublizierten Aufsatz zu dem Thema „Die kursächsischen Vorbereitungen auf den Augsburger Reichstag von 1530 – Torgauer Artikel?“ Vgl. auch BSELK, 66. 34 Vgl. o. S. 123f; BSELK, QuM I, 43–46.

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Augsburg zurück: „Ich hab M. [= Magister] Philipps Apologia [= das Augsburger Bekenntnis] überlesen: die gefällt mir sehr gut, und weiß nichts dran zu bessern noch ändern, würde sich auch nicht schicken; denn ich so sanft und leise nicht treten kann. Christus, unser Herr, helfe, daß sie viel und große Frucht schaffe, wie wir hoffen und bitten. Amen!“.35 In der Tat zielte die Confessio Augustana darauf, die reformatorisch Gesinnten und die Altgläubigen möglichst unter einem Bekenntnis zusammenzubringen. Sie trug weniger abgrenzenden als vielmehr integrierenden Charakter, den Melanchthon in Konzeption und Formulierung der Artikel geschickt abzubilden versucht hatte. Die Confessio Augustana machte deutlich, dass man die von Wittenberg ausgegangene, reformatorische Lehre keineswegs als Abweichung von der alten Kirche verstanden wissen wollte, und man betonte ihre Konformität mit der Heiligen Schrift. Die reformatorische Kritik an der Messe und am Papsttum wurde auf den zweiten Rang verwiesen. Das Bekenntnis versuchte, die Differenzen auf einige wenige Missbräuche zu reduzieren. In diesem Sinne behandelte die Confessio Augustana in ihrem ersten Teil (Artikel 1–21) Glauben und Lehre; in ihrem zweiten (Artikel 22–28) Leben, Riten und Ordnung der Kirche, die man wegen ihrer missbräuchlichen Verwendung geändert hatte.36 Acht Fürsten und zwei freie Reichsstädte unterzeichneten das Bekenntnis, unter ihnen jene, die bereits die Speyerer Protestation ver35 Zit. nach Tschackert, Entstehung, 283. Diese Bemerkung hat zu manchen Missverständnissen Anlass gegeben und dazu geführt, dass man Melanchthon – zu Unrecht – als „Leisetreter“ verunglimpfte. 36 Vgl. zur Erstellung der Confessio Augustana und ihrer Apologie Lohse, Dogma und Bekenntnis, 81–94. Außerdem Maurer, Historischer Kommentar I ²1979, II 1978.

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antwortet hatten: Kurfürst Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, Landgraf Philipp von Hessen, Johann Friedrich von Sachsen, Franz von Braunschweig-Lüneburg, Fürst Wolfgang von Anhalt und Graf Albrecht von Mansfeld, außerdem Nürnberg und Reutlingen. Der Kaiser wäre mit einer einfachen Übergabe des Bekenntnisses auf dem Reichstag durchaus zufrieden gewesen. Aber die evangelischen Stände bestanden auf einer öffentlichen Präsentation des deutschen Textes. Am 25. Juni 1530 verlas der kursächsische Kanzler Christian Beyer die deutsche Fassung vor Kaiser und Reich. Karl V., der wegen mangelnder Deutschkenntnis nicht folgen konnte, nahm sodann das deutsche und das lateinische Exemplar an sich. Das deutsche Autograph Melanchthons wurde in der Mainzer Kanzlei aufbewahrt, galt aber schon bald als verschollen; das lateinische wurde in das kaiserliche Archiv nach Brüssel gebracht und später durch Herzog Alba nach Spanien transportiert, wo es vernichtet werden sollte.37 Die Autographen sind also nicht mehr vorhanden, so dass die erste durch Melanchthon besorgte Druckausgabe von 1531 die früheste Quelle darstellt, die von dem Bekenntnis bis heute erhalten ist.38 Außer der Confessio Augustana wurden auf dem Reichstag noch zwei weitere Bekenntnisse eingereicht, zum einen die Confessio Tetrapolitana,39 zum anderen die Fidei Ratio. Unter der federführend von Martin Bucer verfassten Confessio Tetrapolitana fanden sich die vier oberdeutsche Städte Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau zu einer Bekenntnis37

Philipp II. hatte Herzog Alba am 18.2.1569 beauftragt, für die Vernichtung der Confessio Augustana in Spanien zu sorgen. Das ist vermutlich später auch geschehen. Vgl. BSELK, 1198f, Anm. 63. 38 Ediert in BSELK, 63–225. 39 Vgl. BDS 3, 36–185.

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gemeinschaft zusammen. Sie hatten sich der Confessio Augustana wegen der in Artikel X formulierten Abendmahlslehre nicht anschließen können und dokumentierten mit ihrem Bekenntnis den von der Theologie Bucers geprägten reformatorischen Weg.40 Die „Fidei ratio”,41 die Huldrych Zwingli 1530 als „Rechenschaft des Glaubens“ nach Augsburg sandte, trug gegenüber den beiden jeweils von politisch einflussreichen Reichsständen bzw. Städten unterzeichneten Bekenntnissen eher den Charakter eines Privatbekenntnisses. Es war nämlich den Städten des „christlichen Burgrechts“, d.h. des von Zürich initiierten Bündnisses reformatorisch gesinnter oberdeutscher und schweizerischer Städte, nicht gelungen, sich auf ein gemeinsames Bekenntnis zu einigen. Daher hatte sich Zwingli entschlossen, in eigenem Namen zu sprechen. Seine „Fidei Ratio“ war ein aussagekräftiges Zeugnis seiner Theologie, aus der der Gegensatz zu Luther und Melanchthon in der Abendmahlslehre deutlich hervorging. Die für den Fortgang der Reformation nachhaltigste Wirkung hatte die Confessio Augustana, was nicht zuletzt damit zusammenhing, dass sich eine Reihe einflussreicher Reichsstände durch Unterschrift auf sie verpflichteten. Der Kaiser berief daraufhin die angesehenen altgläubigen Theologen Johannes Eck, Johann Fabri und Johannes Cochläus (1479–1552) zur Ausarbeitung einer schriftlichen Widerlegung. Am 3. August wurde die von ihnen erarbeitete „Confutatio“42 vor den Ständen verlesen. Parallel zu den Beratungen des Reichstags wurden Ausgleichsverhandlungen anberaumt, die jedoch erfolglos verliefen. Mit der von Melanchthon verfassten „Apologie der Confessio 40 41 42

Vgl. dazu o. S. 176f. Vgl. CR 93/II, 753–817; Zwingli, Schriften IV, 93–131, 384f. Vgl. Immenkötter (Bearb.), Confutatio, 73–212.

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation

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Augustana“43 meldeten sich die Evangelischen erneut zu Wort. Sie griff jeden einzelnen Artikel des Augsburger Bekenntnisses auf und bot ausführliche Erläuterungen. Aber auch die Apologie nahm der Kaiser nicht an. Alle Vermittlungsversuche, selbst eine Initiative des Erasmus von Rotterdam, scheiterten. Am 19. November schließlich kam ein Reichstagsabschied zustande, allerdings unter Abwesenheit der meisten reformatorisch gesinnten Stände. Sie hatten nämlich nach der Zurückweisung der Apologie den Reichstag verlassen. Der Abschied bestätigte aufs Neue das Wormser Edikt von 1521. Neuerungen, die in Gottesdienst und äußerer Ordnung der Kirche eingeführt worden waren, sollten wieder rückgängig gemacht werden. Die geistlichen Güter und Einkünfte waren wiederherzustellen. Geistlichen, die inzwischen eine Ehe geschlossen hatten, drohte Strafe. Predigt, Buchdruck und Buchhandel sollten in Zukunft streng überwacht werden. Den altgläubigen Untertanen der reformatorisch gesinnten Stände wurde Schutz und freier Abzug ohne Vermögensnachteil zugesichert. Gegen jene Stände, die geistliche Güter eingezogen hatten oder dies in Zukunft tun würden, sollte das Reichskammergericht anzurufen sein. Das alte Kirchenwesen wurde unter den Schutz des Landfriedens gestellt. Für die an der Confessio Augustana festhaltenden Stände bedeutete dies, dass sie von nun an riskierten, als Landfriedensbrecher durch das Reichskammergericht belangt zu werden. Im Gegenzug versprach der Kaiser, für die Einberufung eines Konzils binnen Jahresfrist zu sorgen. Damit war der religiöse Zwiespalt auf die Ebene des Reichsrechts gehoben worden. Zugleich rückte die Confessio Augustana als Rechenschaft über Glauben und Lehre der protestieren43

Vgl. BSELK, 227–709.

212

Reformation und Reichspolitik

den Stände in die Funktion eines politisch und rechtlich relevanten Dokuments ein, denn sie wurde die Bekenntnisgrundlage des 1531 geschlossenen Schmalkaldischen Bundes und bald auch rechtlicher Bezugspunkt der folgenden Waffenstillstände bzw. Friedensschlüsse. 5. Der Schmalkaldische Bund, das Ringen der Mächte und erste Religionsfriedensschlüsse Selbst wenn wegen der unsicheren außenpolitischen Lage nicht an die Ausführung des Augsburger Reichstagsabschieds zu denken war, war die Gefahr für die reformatorisch gesinnten Stände nicht gebannt. Die alten Bündnispläne lebten wieder auf, ebenso wie die Überlegungen zu einem Widerstands- oder Notwehrrecht, das man bereits in den 1520er Jahren unter Theologen und Juristen erörtert hatte.44 Vom 22. bis 31. Dezember 1530 versammelten sich die evangelischen Stände des ober-, mittel- und niederdeutschen Raums in Schmalkalden, um über ein Verteidigungsbündnis zu beraten. Am 27. Februar 1531 konnte es zwischen Kurfürst Johann von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen, Herzog Philipp von BraunschweigGrubenhagen, Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, Fürst Wolfgang von Anhalt, zwei Grafen von Mansfeld und den Städten Bremen und Magdeburg geschlossen werden.45 Die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und die Städte Nürnberg, Windsheim, Weißenburg, Hall und Heilbronn blieben dem Bündnis fern. Sie vertraten die Auffassung, dass aktiver Widerstand gegen den – gottgesetzten – Kaiser unerlaubt und gefährlich sei. Dagegen traten die oberschwäbischen Städte Straßburg, Ulm, Konstanz, Memmingen, Lindau, Biberach, Isny und das nieder44 45

Vgl. Wolgast, Wittenberger Theologie, 165–200. Vgl. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund, 1–24.

II. Die Bedeutung der Reichstage für die Reformation

213

schwäbische Reutlingen dem Bündnis bei. Es war vor allem Bucers Verhandlungsgeschick zu verdanken, dass die oberdeutschen Städte in den Schmalkaldischen Bund aufgenommen wurden.46 Denn das Bündnis machte die Einheit im Bekenntnis zur Vorbedingung und damit zur Voraussetzung für die politische Einigung, und das bedeutete den Beitritt zur Confessio Augustana. Hauptleute des Bundes waren der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen. Stärke und Einfluss des Schmalkaldischen Bundes standen in Wechselwirkung mit der von der politischen Lage abhängigen Stärke des Kaisers. Anfang Januar 1531 war sein Bruder Ferdinand von der Mehrheit der Kurfürsten zum römischen König gewählt worden. Die Wahl stand im Zusammenhang mit der Absicht Karls, die Kaiserwürde an die Dynastie der Habsburger zu binden, denn es war stets der römische König, der sodann die Kaiserwürde erhielt. Die Wahl war trotz des kursächsischen Protestes zustande gekommen und ließ neue Fronten entstehen, was sich im Oktober 1531 darin äußerte, dass die altgläubigen, aber habsburgfeindlichen Herzöge von Bayern Verbindungen mit dem Schmalkaldischen Bund knüpften. Zusätzliche Stärkung erfuhr er durch den Beitritt weiterer protestantischer Stände. Die reformatorisch gesinnte Opposition gegen den Kaiser versuchte außerdem, Beziehungen zu ausländischen Mächten, wie England und Frankreich, anzuknüpfen.47 Neue Probleme im Ringen der Mächte ergaben sich im Sommer 1532, als ein riesiges osmanisches Heer unmittelbar vor den Grenzen des Reichs stand und die österreichischen Erblande bedrohte. Für den Kaiser kam alles darauf an, dass der im selben Jahr 46 47

Vgl. dazu o. S. 183f. und u. S. 216–220. Vgl. dazu Dingel, Melanchthon und Westeuropa, 105–122.

214

Reformation und Reichspolitik

nach Regensburg geladene Reichstag eine ausreichende „Türkenhilfe“ bewilligte. Aber die im Schmalkaldischen Bund geeinten Fürsten gewährten die dringend notwendige Unterstützung erst, nachdem der Kaiser ihnen in einem in Nürnberg vereinbarten Waffenstillstand das Aussetzen der Reichskammergerichtsprozesse zugestanden und gewaltsame Aktionen gegen die reformatorisch Gesinnten untersagt hatte. Tatsächlich gelang es, die Osmanen abzuwehren, aber die Lage blieb unsicher. Er sah sich deshalb gezwungen, diesen „Nürnberger Anstand“ auszuweiten. Der im April 1539 geschlossene „Frankfurter Anstand“ dehnte den Waffenstillstand auf alle seit 1532 hinzugekommenen Anhänger der Confessio Augustana aus. Er sicherte den evangelischen Ständen für 15 Monate Schutz vor kaiserlichem Zugriff und Maßnahmen des Reichskammergerichts zu und suspendierte die dort anhängigen Prozesse. Die „Augsburger Konfessionsverwandten“ – wie man sie nun nannte – wurden ihrerseits dazu verpflichtet, niemanden mehr in den Schmalkaldischen Bund aufzunehmen und „Türkenhilfe“ zu leisten. Außerdem wurde ein Religionsgespräch in Aussicht gestellt. Diese beiden Verträge, der „Nürnberger Anstand“ von 1532 und der „Frankfurter Anstand“ von 1539, können als die ersten Religionsfrieden im Reichsverband gelten. Sie garantierten den im Schmalkaldischen Bund organisierten Evangelischen eine zeitlich limitierte, beschränkte Duldung.48

48

Zur Definition von „Religionsfrieden“ und zum Frankfurter Anstand vgl. Dingel, Religion in the Religious Peace Agreements, 392f, 394–399.

Ringen um Konsens

Schon die Alte Kirche war bestimmt von der Vorstellung, dass ein enger Zusammenhang zwischen Gemeinwohl und Religionsausübung bestehe. Dies veranlasste die Obrigkeiten immer wieder dazu, Maßnahmen zu ergreifen, um die religiöse Einheit zu wahren. Denn das politische Gemeinwesen verstand sich seit der christlichen Antike als corpus christianum. Dies konnte sich mit der alttestamentlichen Vorstellung verbinden, dass ein Machthaber, der die falsche Religion schützte oder gar propagierte, göttliche Strafen für sich und sein Land riskierte.1 Einheit der Religion war von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Denn Gegensatz in der Religion führte erfahrungsgemäß zu Unruhe und schlimmstenfalls zu Aufruhr und Empörung. Dem trat das religiös motivierte Streben nach Überwindung von Spaltung zur Seite, denn die christliche Wahrheit konnte doch stets nur eine sein und sich in der Einheit der Kirche verwirklichen. Im Ringen um Konsens wirkten theologische und politische Motive zusammen. Konsensverhandlungen und Religionsgespräche durchzogen das gesamte Reformationsjahrhundert.2 Durch sie versuchte man nicht nur die altgläubige und die reformatorische Seite wieder zusammenzuführen, sondern auch Differenzen innerhalb der Reformation auszugleichen.

1 2

Vgl. z.B. 1Kön 22,13–40; Jes 13–19; Hos 6,7–10,15; Mi 1–3. Vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 1982; Müller (Hg.) Religionsgespräche der Reformationszeit, 1980.

216

Ringen um Konsens

I. Die Wittenberger Konkordie (1536) Der Vertrag von Kaaden (1534), der Herzog Ulrich von Württemberg (reg. 1498–1519, 1534–1550) unter der Bedingung, weder Täufer noch Sakramentierer zu dulden, eine Rückkehr in sein Land ermöglicht hatte, ließ eine Verständigung der theologischen Lager vor allem in der Abendmahlslehre notwendiger denn je erscheinen. Voraufgegangen war eine geschickte militärische Aktion Landgraf Philipps von Hessen gegen die Habsburger, um den Württemberger Herzog, der wegen Landfriedensbruch 1519 verbannt worden war, wieder zu restituieren. Ulrich hatte daraufhin unverzüglich damit begonnen, die Reformation einzuführen. Er berief Ambrosius Blarer, der der oberdeutschen, von Martin Bucer vertretenen theologischen Richtung angehörte, und Erhard Schnepf, der die Wittenberger Prägung einbrachte. Auch wenn sich beide Theologen 1534 mit der Stuttgarter Konkordie auf ein gemeinsames Abendmahlsverständnis einigten, blieben Reibungen nicht aus. Klärungsbedürftig war die Situation insofern, als die von Straßburg ausgehende, oberdeutsche Reformation, der sich auch Herzog Ulrich verbunden fühlte, in ihrem Abendmahlsverständnis der Lehre Zwinglis nahekam und deshalb riskierte, als Sakramentierertum gebrandmarkt zu werden. Die Oberdeutschen baten deshalb den Landgrafen, Gespräche mit den Wittenberger Theologen in Gang zu bringen. Dies war der Beginn der Konkordienbemühungen des Straßburger Reformators Martin Bucer.3 Sie verfolgten in erster Linie ein theologisches Ziel, waren aber auch politisch von großer Bedeutung. Denn sie ebneten den Oberdeut-

3

Zu Bucer vgl. o. S. 170–187.

I. Die Wittenberger Konkordie (1536)

217

schen den Weg in den Schmalkaldischen Bund, das Verteidigungsbündnis der Evangelischen.4 Bucer versuchte, auch die seit dem Marburger Religionsgespräch5 eigene Wege gehenden Schweizer Theologen noch einmal ins Gespräch mit Luther und den Wittenbergern zu bringen, allerdings erfolglos. Sie blieben den Konkordienverhandlungen fern und erstellten mit der Confessio Helvetica prior6 von 1536 ein Bekenntnis, das den lehrmäßigen Gegensatz zu Luther klar formulierte. Ansonsten aber hatten die Bemühungen Bucers einen beachtlichen Erfolg. Schon 1534 führte er Vorverhandlungen mit Melanchthon in Kassel, auf denen sich bereits eine Annäherung der beiden Seiten abzeichnete. Daraufhin bereiste Bucer die oberdeutschen Städte, um für eine Konkordie zu werben. Das letzte noch bestehende Hindernis wurde schließlich ausgeräumt, als es ihm gelang, die in der Stadt Augsburg herrschenden Spannungen auszugleichen,7 so dass auch deren Abgesandte an den Konkordienverhandlungen teilnehmen konnten. Im Mai 1536 trafen sich die Wittenberger Theologen unter Führung Luthers und Melanchthons und die oberdeutschen unter Führung Bucers und Capitos zu Verhandlungen in Wittenberg.8 Am Nachmittag des 22. Mai fand das erste Gespräch mit Bucer und Capito statt. Während Bucer deutlich zu machen versuchte, dass die Oberdeutschen keineswegs eine zwinglische Abendmahlslehre verträten, verlangte Luther, der die Dinge anders beurteilte, einen Widerruf. Zwar erklärte sich Bucer grundsätzlich dazu bereit, jene Punkte zu widerrufen, die man womöglich in unzutreffender 4 5 6 7 8

Vgl. dazu o. S. 212–214. Vgl. dazu o. S. 123f. Vgl. Reformierte Bekenntnisschriften 1/2, 33–68. Vgl. dazu o. S. 183f. Zum Kontext und Gang der Verhandlungen vgl. Bizer, Geschichte des Abendmahlsstreits, 11–130.

218

Ringen um Konsens

Weise gelehrt habe, aber bestand zugleich darauf, dass die Oberdeutschen nie – wie die Schweizer – das Abendmahl auf eine einfache Austeilung von Brot und Wein reduziert hätten. Der Straßburger war der festen Überzeugung, dass nur ein Streit um Worte die Wittenberger und Oberdeutschen entzweite, nicht aber ein inhaltlicher Gegensatz im Verständnis des Abendmahlssakraments. Mit dieser Einschätzung versuchte er die tatsächlich bestehenden theologischen Differenzen zu überspielen. Umstritten waren vor allem die „manducatio oralis“, d.h. das mündliche Zusich-Nehmen von Leib und Blut Christi, außerdem der Begriff der „unio sacramentalis“ von Leib und Blut Christi mit Brot und Wein und schließlich die „manducatio impiorum“, der Genuss von Leib und Blut Christi auch durch ungläubige Abendmahlsteilnehmer. Alle drei Punkte hingen aufs engste miteinander zusammen. Nach dem Abendmahlsverständnis Luthers sind Leib und Blut Christi real „in“ und „unter“ den Elementen Brot und Wein anwesend und werden in und mit ihnen ausgeteilt. Daher ereignet sich die sakramentliche Selbstmitteilung Christi in einem vom Abendmahlsteilnehmer leiblich erfahrbaren Vollzug, wie dem Essen und Trinken der Elemente (manducatio oralis). Die Begründung dafür sah Luther darin, dass sich Christus in den Einsetzungsworten an die im Abendmahl auszuteilenden Elemente Brot und Wein nach seiner Gottheit und Menschheit gebunden habe. Auch der Ungläubige empfange daher Christi Leib und sein Blut (manducatio impiorum), jedoch nicht zum Heil. Bucer vollzog insofern eine Annäherung an Luther und die Wittenberger Theologen, als er die Lehre von der Realpräsenz „in“ und „unter“ Brot und Wein auf eine Präsenz von Leib und Blut Christi „mit“ Brot und Wein eingrenzte. Er beschrieb dieses Zusammenkommen der himmlischen Gabe mit den irdischen Elementen als „unio sacramentalis“. Wenn Leib

I. Die Wittenberger Konkordie (1536)

219

und Blut Christi mit Brot und Wein in sakramentlicher Einheit ausgeteilt werden, dann empfängt nur derjenige die heilsame Gabe, für den das Sakrament etwas bedeutet. Bucer blieb daher bei seiner Ablehnung der „manducatio impiorum“, und sprach stattdessen – einem Vorschlag des Wittenberger Theologen Johannes Bugenhagen folgend – von der „manducatio indignorum“: Auch die unwürdig am Abendmahl Teilnehmenden erhalten Leib und Blut Christi, allerdings zum Gericht. Daher ist eine vorherige Selbstprüfung notwendig. Am Freitag, dem 26. Mai, wurde von Melanchthon eine Einigungsformel aufgesetzt, die Wittenberger Konkordie.9 In ihr spiegelt sich die Theologie Bucers. Aber die gewählten Formulierungen waren offen für verschiedene Deutungen. Sie dissimulierten die Gegensätze und ließen Spielraum sowohl für das Luthersche als auch für das Bucersche Verständnis des Abendmahls. Die „unio sacramentalis“ wurde, Irenaeus von Lyon folgend, als ein Zusammenkommen von „res terrena“ und „res coelestis“ definiert, die beide nur unter der Voraussetzung eines rechtfertigenden Glaubens im Abendmahl empfangen würden. Konsequenterweise sprach deshalb die Wittenberger Konkordie nicht davon, dass Christi Leib und Blut „in“, „mit“ und „unter“ den Abendmahlselementen vorhanden seien, sondern lediglich, dass sie „mit“ den Elementen im Abendmahl gereicht werden. Dies ermöglichte die Auslegung, dass nur der Gläubige mit dem leiblichen Genuss von Brot und Wein Christi Leib und Blut, d.h. sein Erlösungswerk, im Glauben, geistlich, empfängt. Zugleich aber erlaubten die Formulierungen der Wittenberger Konkordie Luther und seinen Anhängern, an ihrem realpräsentischen Verständnis festzuhalten. Auch die „manducatio indigno9

Vgl. BDS 6/I, 114–134.

220

Ringen um Konsens

rum“ wurde von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt; von Bucer mit Blick auf die unwürdigen Gemeindeglieder, von Luther als Synonym für die Ungläubigen. Das Einigungspotential der Wittenberger Konkordie steckte in der Interpretationsoffenheit ihrer Formulierungen. Die Konkordie wurde von den Straßburgern Bucer und Capito sowie den Wittenbergern Luther, Melanchthon, Bugenhagen, Justus Jonas und Caspar Cruciger unterzeichnet, außerdem von den abgesandten Theologen der Städte bzw. Ortschaften Ulm, Esslingen, Augsburg, Memmingen, Frankfurt, Fürfeld und Reutlingen. Damit hatte die Wittenberger Konkordie ihr Ziel erreicht, nämlich eine theologische Annäherung von Wittenbergern und Oberdeutschen gebracht, auch wenn sowohl Luther als auch Bucer die Konkordie in jeweils ihrem Sinne verstanden. Keiner von beiden gab seinen spezifischen theologischen Zugang auf.

II. Kaiserliche Konzilspolitik und Schmalkaldische Artikel (1537) Seit Herbst 1532 hatte Kaiser Karl V. die Entwicklungen im Reich nur aus der Ferne verfolgt. Die Hauptlast der Reichsgeschäfte trug sein Bruder Ferdinand. Karls Politik konzentrierte sich auf drei Hauptpunkte: erstens die Herbeiführung eines allgemeinen Konzils zur Lösung der Religionsfrage, zweitens Maßnahmen zur Bekämpfung der Osmanen und drittens die Sicherung des Friedens in Italien. In all diesen Angelegenheiten traf er Vereinbarungen mit der Kurie. Aber die politischen Sympathien Papst Clemens’ VII. gehörten nicht dem Kaiser, sondern dessen Erbfeind Frankreich. Dies äußerte sich in den engen Beziehungen, die er zu Frankreich knüpfte. Von der Einberufung eines Konzils, wie es der Kaiser wünschte, konnte

II. Kaiserliche Konzilspolitik und Schmalkaldische Artikel (1537)

221

zunächst keine Rede sein. Dies änderte sich allerdings unter Clemens’ Nachfolger, Kardinal Alexander Farnese, der als Paul III. den apostolischen Stuhl bestieg. Ab 1535 umgab er sich mit Kardinälen, die reformerische Kräfte in die römische Kirche einbrachten. Das waren der venezianische Staatsmann Gasparo Contarini,10 der aus dem Hause York stammende Reginald Pole, der Bischof von Carpentras Giacomo Sadoleto aus Modena und der Neapolitaner Gian Pietro Carafa. In einem 1537 erstellten Gutachten deckten sie die Schäden der Kirche auf. Nun schien die im Reich immer wieder geäußerte Forderung nach einem Generalkonzil endlich Gehör zu finden. Die evangelischen Stände erklärten sich in Vorgesprächen bereit zu kommen. Die Altgläubigen freilich mochten nicht so recht an diese Initiative glauben. Frankreich trat den Konzilsplänen aus politischen Gründen mit allen Mitteln entgegen, und die Chancen für eine Verwirklichung nahmen wieder ab. Denn inzwischen waren für den Papst eigene Territorialinteressen in Italien wichtig geworden, wofür ihm eine Kooperation mit Frankreich günstig erschien. Karl gelang es allerdings, dem Papst im Jahre 1536 eine Bulle abzuringen, die das Konzil auf Mai 1537 nach Mantua ausschrieb.11 Dies veranlasste die evangelischen Stände zu intensiven Erwägungen. Johann Friedrich der Großmütige von Sachsen, der im Jahre 1532 seinem Vater, Johann dem Beständigen, als Kurfürst (reg. 1532– 1547) gefolgt war, forderte von den Wittenberger Theologen und Juristen Stellungnahmen dazu, ob man das geplante Konzil überhaupt beschicken solle, welche Artikel zu verhandeln seien und wie man sich gegenüber dem päpstlichen Primatsanspruch verhalten solle. Am 11. Dezember 1536 bat der Kurfürst 10 11

Vgl. Gleason, Gasparo Contarini, 129–185. Vgl. Lies, Zwischen Krieg und Frieden, 293–295

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Ringen um Konsens

Luther, Artikel zu erstellen, die die reformatorische Lehre der Wittenberger dokumentieren konnten. Bereits im Frühjahr 1536 hatte er den damals lebensbedrohlich erkrankten Reformator um sein „theologisches Testament“ gebeten. In den nun von Luther erstellten Schmalkaldischen Artikeln kam beides zusammen: das eigene theologische Vermächtnis und die Rechenschaft über die reformatorische Lehre als Vorlage für das Konzil. Luther hatte sie den Wünschen der kursächsischen Regierung entsprechend aufgebaut und in drei Teile gegliedert: einen ersten über das mit den Altgläubigen gemeinsame trinitarische Bekenntnis, einen zweiten mit nicht verhandelbaren Artikeln über das Erlösungswerk Christi, einschließlich der Ablehnung von Opfermesse und Mönchtum sowie der Absage an die Begründung des Papsttums aus göttlichem Recht, und einen dritten Teil, der jene Punkte zusammenstellte, die verhandelbar seien.12 Die Schmalkaldischen Artikel machten deutlich, wo für die Evangelischen die Grenzen des Kompromisses lagen. Gegenüber der im Jahr zuvor erstellten Wittenberger Konkordie mit den Oberdeutschen enthielten sie wieder das für Luther charakteristische, realpräsentische Abendmahlsverständnis und stellten insofern auch eine deutliche Distanzierung von Bucer und seinen Gesinnungsgenossen dar. Ende 1536 / Anfang 1537 wurden die Artikel auf einer Theologenkonferenz in Wittenberg beraten und um einen Artikel zu der von den Reformatoren abgelehnten Anrufung der Heiligen erweitert. Die anschließend von Georg Spalatin angefertigte Reinschrift wurde von allen acht Teilnehmern unterzeichnet: Martin Luther, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Nikolaus von Amsdorf, Georg Spalatin, Johann Agricola und Philipp Melanchthon. Dieser 12

Vgl. BSELK, 711–785.

II. Kaiserliche Konzilspolitik und Schmalkaldische Artikel (1537)

223

wollte jedoch die in den Schmalkaldischen Artikeln enthaltene scharfe Beurteilung des Papsttums nicht mit verantworten und unterschrieb deshalb unter Vorbehalt. Dieses Dokument lag sodann dem Schmalkaldischen Bundestag von 1537 vor, um auch die Angehörigen des Bundes darauf zu verpflichten. Luther selbst konnte wegen einer schweren Erkrankung nicht teilnehmen, und so setzte sich Melanchthon für die Anerkennung der Artikel ein. Aber sie trafen nicht auf einhellige Zustimmung. Der Landgraf von Hessen z.B. hatte Reserven gegenüber den Abendmahlsaussagen. Die Oberdeutschen meldeten überhaupt Bedenken gegen ein neues Bekenntnis an. Während die Bundesgenossen die Schmalkaldischen Artikel nicht annahmen, sondern sich darauf verständigten, bei der Confessio Augustana als einzigem Bekenntnis zu bleiben, wurden sie von den anwesenden Theologen – mit Ausnahme der Oberdeutschen – durch ihre Unterschrift approbiert.13 Zugleich beschloss der Schmalkaldische Bundestag, die Fragen der päpstlichen Autorität und der Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe im Blick auf das geplante Konzil gesondert erwägen zu lassen, zumal sie in der Confessio Augustana und deren Apologie noch nicht ausreichend zur Sprache gekommen seien. Auch wenn zur Ausführung dieser Aufgabe ein dreizehnköpfiger Ausschuss gebildete wurde, war es doch Melanchthon, der die Federführung übernahm. Noch während der Bundesversammlung entstand sein Traktat „De potestate et primatu papae“ als Ergänzung zur Confessio Augustana. Er erhielt die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Theologen und Stände des Schmalkaldischen Bundes und wurde in einer wiederum von Spalatin gefertigten Reinschrift

13

Die Unterschriftenliste mit der Klausel Melanchthons ist ediert in: BSELK, QuM I, 802–809; vgl. auch die Einleitung, ebd., 801.

224

Ringen um Konsens

noch im Februar unterzeichnet.14 Auch im Abschied der Bundesversammlung vom 6. März 1537, in dem man sich erneut zur Confessio Augustana bekannte, fand er Erwähnung. Was allerdings das geplante Konzil anging, so verweigerten die reformatorisch Gesinnten eine Beteiligung. Denn das päpstliche Ausschreiben kündigte an, dass sich das Konzil im Besonderen mit der Beseitigung der von Luther ausgegangenen Häresie beschäftigen werde. Damit war deutlich, dass der Gedanke eines Gesprächs und eines über Verhandlungen zu erzielenden Ausgleichs in weite Ferne gerückt war. Luther veröffentlichte die Schmalkaldischen Artikel im Jahre 1538 als Privatschrift.

III. Das Religionsgespräch von Hagenau, Worms und Regensburg (1540/1541) Bereits beim Abschluss des Frankfurter Anstands 153915 hatte der Kaiser ein Religionsgespräch in Aussicht gestellt. Dessen Ziel sollte es sein, einen Ausgleich zwischen den reformatorisch Gesinnten und den Altgläubigen in die Wege zu leiten und beide Seiten wieder zusammenzuführen.16 Ursprünglich hatte es noch im August 1539 in Nürnberg stattfinden sollen, war aber nicht zustande gekommen. Weitere Planungen verschoben es auf Juni 1540 in Speyer. Es musste aber wegen einer Seuche nach Hagenau verlegt werden. Kaiser Karl ließ sich durch seinen Bruder Ferdinand vertreten, der von dem päpstlichen Nuntius Giovanni Morone begleitet wurde. Als Unterhändler waren Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz, der Erzbischof von Trier (Johann III. von Metzenhausen), Her14 15 16

Vgl. BSELK, 796–837; vgl. auch die Einleitung, ebd., 789–791. Vgl. dazu o. S. 214. Vgl. Dingel, Religionsgespräche, 658–663.

III. Das Religionsgespräch von Hagenau, Worms

225

zog Ludwig von Bayern und der Bischof von Straßburg (Wilhelm III. Graf von Hohnstein) anwesend. Die evangelische Seite war durch die Straßburger Theologen Martin Bucer, Wolfgang Capito und Johannes Calvin vertreten, der sich zu jenem Zeitpunkt gerade als Glaubensflüchtling in Straßburg aufhielt, außerdem durch die Wittenberger Caspar Cruciger, Friedrich Myconius (1490–1546) und Justus Menius (1499–1558). Melanchthon konnte wegen einer Erkrankung nicht dabei sein. Von Seiten der Altgläubigen nahmen die Theologen Johannes Eck, Johann Fabri, Friedrich Nausea (1496–1552) und Johannes Cochläus teil. Die Verhandlungen bezogen sich zunächst auf Verfahrensfragen. Die Evangelischen bestanden auf der Confessio Augustana als Grundlage für die Gespräche, deren Fassung Melanchthon eigens für das Religionsgespräch – unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Wittenberger Konkordie – überarbeitet hatte.17 Außerdem war man sich nicht einig über die Norm, an die man sich im Austausch der Argumente zu halten habe. Die evangelische Seite wollte nur die Autorität der Heiligen Schrift gelten lassen. Kirchenväter und Konzilien wies man als nicht maßgebend zurück. Diese erste Phase des Religionsgesprächs ging am 28. Juli 1540 mit einem Abschied zu Ende, der sich lediglich auf die besprochenen Verfahrensfragen bezog und die Verhandlungen auf den 28. Oktober in Worms vertagte. Die Confessio Augustana und ihre Apologie aber waren als Verhandlungsgrundlage akzeptiert worden, ebenso wie die Verpflichtung der Kollokutoren auf die Heilige Schrift. Außerdem wurde trotz Widerspruchs der Evangelischen festgeschrieben, dass die Ergebnisse des Reli17

Die Überarbeitung liegt in der Confessio Augustana variata von 1540 vor, die in ihrem Art. X den Formulierungen der Wittenberger Konkordie Rechnung trägt. Vgl. BSELK, QuM I, 120–167, bes. 127.

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Ringen um Konsens

gionsgesprächs an die Anerkennung durch Kaiser und Papst gebunden sein sollten. Am 25. November 1540 wurde die Fortsetzung des Gesprächs in Worms eröffnet, wo man bis zum Januar 1541 verhandelte. Unter den Anwesenden waren die päpstlichen Gesandten Lorenzo Campeggio und Giovanni Morone. Zur evangelischen Delegation waren inzwischen Melanchthon aus Wittenberg und Nikolaus von Amsdorf aus Magdeburg, Wenzeslaus Linck (1483–1547) und Andreas Osiander aus Nürnberg, Jakob Sturm aus Straßburg, Erhard Schnepf aus Stuttgart, Johannes Brenz aus Schwäbisch-Hall und Martin Frecht aus Ulm hinzugekommen. Die altgläubige Verhandlungsseite hatte durch Julius von Pflug (1499– 1564), seit 1539 Rat Kardinal Albrechts von Mainz, Ambrosius Pelargus (1493–1561), Theologe an der Universität Trier, und Johannes Gropper, Domherr in Köln, Verstärkung erfahren. Die theologische Diskussion bezog sich, ausgehend von der Erbsündenlehre, vor allem auf die Voraussetzungen für die Rechtfertigungslehre. Wichtiger als die Verhandlungen im großen Kreis waren die separaten Geheimgespräche, an denen Bucer, Capito, Gropper und der kaiserliche Rat Gerhard Veltwyk (1505–1555) teilnahmen. Gropper brachte eine Vorlage ein, die in Zusammenarbeit mit Bucer zu einem Vergleichsentwurf umgearbeitet wurde. Themen, in denen es zu einer Annäherung kam, waren Erbsünde und Rechtfertigung sowie Schrift und Tradition. Heftig diskutiert wurde dagegen die Messe, an der Gropper festhielt. Man erstellte schließlich einen Artikel, der die altgläubige und die reformatorische Abendmahlslehre durch Einschübe miteinander kombinierte. Am 31. Dezember 1540 lag mit dem „Wormser Buch“ ein Vergleichsentwurf vor.18 Die beiden kaiserlichen Bevollmächtigten Nicolas Perrenot 18

Vgl. BDS 9/I, 338–483; vgl. auch die Einleitung, ebd., 223–336.

III. Das Religionsgespräch von Hagenau, Worms

227

de Granvelle und Veltwyk versuchten nun, die Zustimmung möglichst vieler Fürsten zu dem erarbeiteten Text einzuholen. Luther blieb insgesamt skeptisch. Am 18.1.1541 wurde das Wormser Religionsgespräch abgebrochen und auf den bereits ausgeschriebenen Reichstag nach Regensburg vertagt. Am 5. April 1541 begann in Regensburg ein neues Verfahren.19 Der Kaiser hatte nun die Theologen Pflug, Eck, Gropper für die altgläubige und Melanchthon, Bucer sowie Johannes Pistorius (1504–1583) aus Nidda für die evangelische Seite als Verhandlungspartner bestimmt. Dietrich von Manderscheid (Köln), Eberhard Ruden (Mainz), Heinrich Hase (Pfalz), Franz Burckhard (Sachsen), Johann Feige (Hessen) und Jakob Sturm (Straßburg) sollten als Zeugen fungieren. Vorsitzende waren Granvella und Pfalzgraf Friedrich II. Man verhandelte über das Wormser Buch, das in zwei Etappen zum sogenannten „Regensburger Buch“20 umgearbeitet wurde. Zunächst wurden auf Veranlassung Kardinal Gasparo Contarinis21 und in Zusammenarbeit mit dem Nuntius Morone durch Gropper Änderungen eingetragen, die vor allem den Abendmahlsartikel betrafen. Hier kam die Transsubstantiationslehre jetzt wieder deutlich zum Ausdruck.22 Sodann begann man mit der Diskussion der einzelnen Artikel (ab dem 27. April 1541). Einigkeit wurde über die ersten vier Artikel – Urstand, freier Wille, Ursache der Sünde, Ur- bzw. Erbsünde – erzielt. Schwierigkeiten machten dagegen vor allem der Artikel über die Rechtfertigungslehre und jener 19 20

Vgl. Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, 65–101. Vgl. BDS 9/I, 338–483. Die Überarbeitung zum Regensburger Buch ist in den Anm. dokumentiert. Hinzu kommt der für das Regensburger Buch neu konzipierte Rechtfertigungsartikel: BDS 9/I, 397–401. 21 Vgl. Gleason, Gasparo Contarini, 186–256. 22 Vgl. Fraenkel, Les protestants et le problème de la transsubstantiation, 70–115.

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Ringen um Konsens

über die Auslegungsautorität der Kirche. Während die Auseinandersetzung um die kirchliche Auslegungsautorität schließlich ergebnislos abgebrochen wurde, schien man in der Rechtfertigungslehre dagegen eine Annäherung gefunden zu haben. Denn da der Artikel von einer „duplex iustificatio“ sprach, ermöglichte er eine Lektüre im Sinne des evangelischen Verständnisses der Gerechtmachung des Sünders „sola gratia“, aber auch das altgläubige Verständnis, das von einer durch den Heiligen Geist im Menschen gewirkten „iustitia inhaerens“ ausging, die den Menschen sodann zum Wachstum in der Gerechtigkeit befähige. Dies gab zunächst Anlass zu der Hoffnung, den religiösen Gegensatz überbrücken zu können. Aber der Terminus der „duplex iustificatio“ wurde für die überarbeitete Fassung des Regensburger Buches dann doch getilgt.23 Bei allen anderen anstehenden Fragen zeigte sich eine unüberbrückbare Distanz. Das Verständnis von Beichte und Absolution blieb kontrovers, ebenso wie der Artikel von der Kirche, der die hierarchische Ordnung und die päpstliche Autorität festhalten wollte. Außerdem blieben Messe und Heiligenverehrung weiterhin anstößig. Eine Verständigung war nicht in Sicht. Als der Kaiser am 22. Mai das Ergebnis der Beratungen einforderte, wurde offenbar, dass man sich nur in wenigen Punkten geeinigt und das erstrebte Ziel längst nicht erreicht hatte. Am 31. Mai 1541 übergaben die Evangelischen dem Kaiser eine Zusammenstellung jener Artikel, die strittig geblieben waren. Die Artikel zu verabschieden, über die man sich geeinigt hatte, gelang nicht mehr.24 Die Beurteilungen fielen unterschiedlich aus, aber im Ergebnis lehnten beide Seiten das Regensburger Buch ab. 23 24

Vgl. Lexutt, Rechtfertigung im Gespräch, 1996. Alle Akten des Religionsgesprächs von Hagenau, Worms und Regensburg bietet die Edition Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche, 6 Bde., 2000–2007.

III. Das Religionsgespräch von Hagenau, Worms

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Luther sprach sich gegen die letzte Fassung aus, auch wenn er sich gelegentlich etwas milder äußerte. Calvin akzeptierte den Kompromiss. Die altgläubige Seite beurteilte ihn negativ. Die Kurie lehnte ihn schroff ab. Dennoch waren sowohl das Wormser als auch das Regensburger Buch beachtenswerte Dokumente, die den religiösen Ausgleich zumindest eine Zeitlang in greifbare Nähe gerückt hatten.

Krieg und Frieden

Die Reformation stand in einem durch Kriege, Waffenstillstände und Friedensschlüsse gekennzeichneten Spannungsfeld.1 Macht und Gewalt waren Faktoren, die die Geschichte der Reformation mit bestimmten. Die Kriegsgefahr an den Rändern des Reichs, der Gegensatz zwischen den Häusern Habsburg und Valois, politische Rivalitäten und Zwänge wurden nicht selten genutzt, auch um religiöse Interessen durchzusetzen. Religion wiederum konnte zur Legitimation von politischen Aktionen dienen. Die Verwicklungen des Kaisers in europäische Kriege und die Bedrohung der Reichsgrenzen durch die Osmanen hatten eine die Reformation im Reich befördernde Kehrseite, zumal der Kaiser die Unterstützung auch der reformatorisch gesinnten Fürsten brauchte. Aber bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 blieb die Einführung der Reformation ein illegaler Akt. Obrigkeiten, die die Reformation beförderten, standen daher unablässig in Gefahr, zur Rechenschaft gezogen zu werden bzw. durch eine Reichsexekution Land, Macht bzw. städtische Selbstständigkeit zu verlieren. Krieg und Frieden bildeten die beiden Pole, zwischen denen sich die Reformation entfaltete. Hinzu kam, dass die Inhalte reformatorischer Predigt auch dort begierig aufgenommen wurden, wo sich soziale und wirtschaftliche Forderungen mit ihnen verbinden ließen. Das Aufbegehren gegen soziale Missstände konnte aus der Reformation Impulse und Schubkraft erhalten, wie an 1

Vgl. o. S. 188–214. Vgl. Kohnle, Konfliktbereinigung und Gewaltprävention, 1–19.

I. Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers

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den Bauernunruhen der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts deutlich wird.

I. Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers Die in den Bauernkrieg mündenden Unruhen, oft lokale Bauernaufstände, die ab 1524 in Thüringen, in den südlichen Teilen des Reichs, in Österreich und der Schweiz ausbrachen, waren ein vielschichtiges Phänomen.2 Die auslösenden Faktoren ergaben sich überwiegend aus der sozialen Lage und dem rechtlichen Status der Bauern. In Territorien, in denen noch keine organisierte Verwaltung mit festen Regeln existierte oder erst allmählich aufgebaut wurde, waren die Bauern der Unberechenbarkeit der jeweiligen Landesherrschaft ausgeliefert. In den kleinen Territorien des schwäbischen und fränkischen Raums z.B. war der Steuerdruck ins Unermessliche gewachsen. Dort, wo Bauern kleine Betriebe bewirtschafteten und ihr bäuerlicher Rechtsstatus ungesichert war, konnten ihre Grund- und Leibherren die zu leistenden Abgaben immer weiter steigern und Gewinne für sich beanspruchen. Rechtlicher und sozialer Status aber waren eng miteinander verbunden. Eine Verschlechterung des Rechtsstatus bedeutete zugleich einen sozialen Abstieg. Dieser Zusammenhang erklärt, warum die explosive Stimmung im frühen 16. Jahrhundert nicht nur bei jenen Bauern herrschte, die um ihre Existenz ringen mussten, sondern auch bei Bessergestellten, die um ihren gesellschaftlichen und politischen Status fürchteten. Anders verhielt es sich in einem rechtli2

Grundlegende Literatur entstand u.a. in Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbild der ehemaligen DDR. Vgl. Schulze, Bäuerlicher Widerstand, 21–48. Vgl. darüber hinaus Blickle (Hg.), Bauernkrieg, 1985.

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Krieg und Frieden

chen Kontext, der den Bauern erlaubte, ihre Produkte direkt auf den Markt zu bringen und dort Gewinne zu erzielen. Dort, wo die Bauern genügend von dem erwirtschafteten Gewinn behalten konnten, bildete sich kein Konfliktpotential. Rechtliche, wirtschaftliche und politische Bedingungen standen in einem engen Zusammenhang. Während der Wunsch nach dörflicher Selbstverwaltung im 16. Jahrhundert immer bestimmender wurde, versuchten die Obrigkeiten, Lokalrechte aufzuheben und ein einheitliches Recht einzuführen. An die Stelle genossenschaftlicher Selbstverwaltung sollte eine von einem Amtmann gesteuerte, herrschaftlichbürokratische Organisation treten. Dies schürte das Misstrauen derer gegenüber der Obrigkeit, die zu den Verlierern dieser Entwicklung gehörten. Alle waren zudem betroffen, wenn die Landesherren in die kommunale Nutzung von Gebieten eingriffen, indem sie z.B. Gebiete, die der gemeindlichen Nutzung eines Dorfes zustanden, zur Neubesiedlung freigaben. Nicht selten wurden Gewässer und Forsten, die bisher den Bauern zur Fischerei, zur Schweinemast oder zur Jagd offen gestanden hatten, dem Adel vorbehalten. Soziale Spannungen entstanden aber nicht nur innerhalb des Gefälles von Landesherrschaft bzw. Grundherrschaft und Bauern. Auch innerhalb eines Dorfes konnten sie entstehen, wenn ein regelrechtes „Dorfpatriziat“ neben einem „Dorfproletariat“ existierte.3 Alle Schichten rivalisierten um Marktanteile oder um die Beteiligung an dörflicher Selbstverwaltung. Der Bauernkrieg wurde also nicht nur durch eine um sich greifende Verelendung ausgelöst, wie z.B. in Franken, wo es eine starke Beteiligung der unteren Bauernschichten gab. Auch der besser situierte Bauernstand beteiligte sich an den Erhebungen. Ihm lag 3

Schilling Aufbruch und Krise, 145.

I. Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers

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daran, sich politische Geltung bzw. Anerkennung zu sichern bzw. angestammte Rechte zu wahren.4 Insgesamt gesehen ging es also in den Bauernerhebungen um die Abschaffung der sozialen Bedrückung, um die Sicherung der wirtschaftlichen Chancen und um die Wiederherstellung bzw. den Ausbau der Selbstverwaltungsrechte im Dorf als einem kommunalen Gebilde, das sich als weltliche und religiöse Gemeinde zugleich verstand. Die Inhalte der Reformation ließen sich daher mit den Zielen der Bauern verbinden. Der Bauernkrieg war keine zusammenhängende Erhebung, sondern bestand aus verschiedenen einzelnen Revolten, die im Frühsommer 1524 im Schwarzwald, nahe der Schweizer Grenze, ausbrachen. Im Dezember wurde Oberschwaben ein weiterer Schauplatz von Erhebungen, wobei Memmingen in den Mittelpunkt der Ereignisse rückte. Hier entstand im März 1525 die Hauptprogrammschrift der Bauern, die „Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“.5 Der Aufstand ergriff im Frühjahr 1525 ganz Oberdeutschland und Franken und breitete sich sodann über Thüringen, Österreich und die Schweiz aus. Ungefähr ein Drittel des damaligen Reichsgebiets war von den Bauernunruhen betroffen. Durch den Einfluss Thomas Müntzers wurde die Stadt Mühlhausen zu einem Brennpunkt des Bauernkriegs.6 Aber auch im Erzgebirge und in Böhmen kam es zu Aufständen, die hier von Bergknappen getragen waren. In Tirol und Salzburg bildeten Bauern und Bergknappen eine Interessengemeinschaft, angeführt von Michael Gaismair (1490–1532), einem Anhänger Zwinglis. Zu Anfang hatten die Bauernhaufen noch Erfolge zu verzeich4 Vgl. Schilling, Aufbruch und Krise, 140–145; Blickle, Revolution von 1525, 51–71. 5 Abgedruckt bei Blickle, Revolution von 1525, 321–327. 6 Vgl. dazu o. S. 153f.

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Krieg und Frieden

nen. Aber im Mai und Juni 1525 wurden sie durch die Truppen des Schwäbischen Bundes und andere fürstliche Heere vernichtend geschlagen. 1526 wurden auch die Tiroler Bauern besiegt und letzte Erhebungen in Kursachsen niedergeschlagen. Nicht vom Aufstand ergriffen wurden das Herzogtum Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern, Brandenburg, das östliche Sachsen und Schlesien.7 Die Forderungen der Bauern zeigen ein deutliches Ineinandergreifen von bäuerlichen Interessen und reformatorischem Gedankengut. So wie die reformatorische Theologie eine bedingungslose Rückbindung von Glauben und Lehre an die Heilige Schrift forderte, so forderten die Bauern eine radikale Rückbindung ihrer Lebensordnung an das „göttliche Recht“, wie es im Evangelium verbürgt sei. Schon im Juni 1524 erklärten die Bauern in dem Gebiet um Memmingen, dass ihre zu entrichtenden Abgaben dem Wort Gottes widersprächen. Ende Februar 1525 schlossen sie mit dem städtischen Rat eine Vereinigung, dessen Basis das göttliche Recht sein sollte. Als sich die drei großen Organisationen der Bauern, der Allgäuer, der Bodenseer und der Baltringer Haufe, am 6. März 1525 zu einer „christlichen Vereinigung“ zusammentaten, gelang es dem Kürschner Sebastian Lotzer (ca. 1490– 1525), auch bei ihnen das göttliche Recht durchzusetzen. Es war vorläufig in den „Zwölf Artikeln“8 niedergelegt und mit Bibelstellen begründet. Man wollte es später endgültig aufgrund des Wortes Gottes durch schriftgelehrte Richter wie Luther, Melanchthon, Zwingli und andere Häupter der Reformation feststellen lassen. Eine Liste dieser Richter des göttlichen 7 Vgl. Maron, Bauernkrieg, 319–322; Schilling, Aufbruch und Krise, 149–161. 8 Vgl. o. S. 233 mit Anm. 5.

I. Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers

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Rechts ist in der Memminger Bundesordnung enthalten.9 Der erste der „Zwölf Artikel“ forderte für die Gemeinden das Recht, ihre Pfarrer selbst zu wählen. Der zweite Artikel explizierte, dass die Bauern den großen Zehnten – d.h. die Getreideabgabe – durchaus weiter entrichten wollten, obwohl er nur im Alten Testament geboten und im Neuen Testament wieder aufgehoben sei. Er sollte nun aber zum Unterhalt der Pfarrer und Armen dienen. Der kleine Zehnte – d.h. der Zehnte von allem übrigen Ertrag der Wirtschaft – sollte, da er menschliche Erfindung sei, nicht mehr gelten. Auch die Leibeigenschaft machten die Bauern – im dritten Artikel – zum Thema. Sie stehe im Widerspruch zu der allgemeinen Erlösung durch Christi Blut. Der vierte und fünfte Artikel forderten die alten Rechte auf Jagd und Fischerei sowie das Recht, sich Brenn- und Bauholz aus dem Forst zu beschaffen, wieder zurück. Die Abschaffung weiterer Abgaben und Lasten waren Gegenstand der folgenden Artikel. Zugleich erklärten sich die Bauern bereit – so der zwölfte Artikel –, alle Forderungen aufgeben zu wollen, die nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen seien. Jene Rechte der Herren, die rechtmäßig erworben seien, wolle man unangetastet lassen. Zugleich drängten die Bauern Obrigkeiten und Städte, einer christlichen Vereinigung beizutreten. In diesen Zusammenhang gehört die „Memminger Bundesordnung“.10 Als dies nicht gelang, radikalisierten sich die Bauernhaufen immer mehr. Sie begannen, ihre Forderungen mit Gewalt zu erkämpfen und Bauern wie Herren zum Anschluss an die christliche Vereinigung zu zwingen. Im Zuge dessen wurden Schlösser, Burgen, Klöster und Heiligtümer zerstört und allerhand 9

Vgl. Die Memminger (Allgäuer) Bundesordnung, in: Laube/ Seiffert (Hg.), Flugschriften, 32–34, die Liste 33f. 10 Vgl. dazu Seebaß, Artikelbrief, Bundesordnung und Verfassungsentwurf, 1988.

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Krieg und Frieden

Gräueltaten begangen. Dennoch stand die Härte, mit der die Fürsten darauf reagierten, in keinem Verhältnis zum Ausmaß der Aufstände. Dadurch dass sich die Bauernerhebungen in unterschiedlicher regionaler Konzentration abspielten, kam Luther relativ spät mit den Vorgängen in Berührung. Erst Mitte April 1525 erhielt er die „Zwölf Artikel“ zusammen mit der Nachricht, dass die oberschwäbischen Bauern u.a. ihn als Richter göttlichen Rechts benannt hatten. Er reagierte zunächst mit seiner Schrift „Ermahnung zum Frieden auf die Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“.11 Sein Anliegen war eine grundsätzliche Klärung der von den Bauern beanspruchten Rechtsbasis. Zwar sah er darin, dass die Bauern ihre Forderungen mit dem Evangelium begründeten, eine unzulässige Instrumentalisierung der Bibel, würdigte aber, dass sich die Bauern tatsächlich in großer wirtschaftlicher und rechtlicher Not befanden. Er wandte sich deshalb an die Fürsten und Herren, um ihnen vor Augen zu führen, welche Schuld sie sich dadurch aufluden, dass sie den Bauern eine bedrückende Existenz zumuteten, während sie selbst ein prächtiges Leben führten. Den Obrigkeiten legte er eindringlich nahe, einen gütlichen Ausgleich mit den Bauern zu suchen. Aber auch die Bauern ermahnte Luther und empfahl ihnen, ihre Anliegen „mit gutem Gewissen und Recht“12 zu verfolgen. Er sah nämlich in ihrem Verhalten eine Vermischung unterschiedlicher Rechtsbereiche, so z.B. wenn sie sich als „christliche Vereinigung“ ausgaben und sich in ihren Forderungen auf göttliches Recht beriefen, ohne dass ihre Interessen im Einklang mit dem Rechtsverständnis der Bibel stünde. Eine Berufung auf Christus verlange nämlich eigentlich Rechtsverzicht und die 11 12

Vgl. WA 18, 279–334. WA 18, 300,5.

I. Der Bauernkrieg (1524–1526) und die Reaktion Martin Luthers

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Bereitschaft zum Erdulden von Unrecht. Dadurch dass die Bauern Richter in eigener Sache sein und das erlittene Unrecht selbst ahnden wollten, begaben sie sich in den Augen des Reformators zudem in Gegensatz zum natürlichen und allgemeinen weltlichen Recht. Weil sich die Bauern somit über die gesellschaftliche Rechtsordnung hinwegsetzten, warf er ihnen „Rotterei“ und „Aufruhr“ vor, auch wenn er ihre Forderungen als weltliche, allerdings nicht aus der Heiligen Schrift begründbare Anliegen durchaus gelten ließ. Vor diesem Hintergrund wandte sich Luther an beide Seiten. Er erinnerte an die geschichtliche Erfahrung, die zeige, dass Gott Tyrannei ebenso strafe wie Rotterei und Aufruhr. Noch schien der Weg der Verhandlungen ein gangbarer zu sein.13 Kaum hatte Luther diese „Ermahnung zum Frieden“ beendet, erlebte er auf einer mehrwöchigen Reise nach Eisleben in Thüringen den Beginn gewaltsamer Ausschreitungen durch die Bauern. Diese Erfahrung beeinflusste seine Beurteilung der Lage entscheidend. Vor allem in Thomas Müntzer sah er den Anstifter und einen „Mordpropheten“.14 Wahrscheinlich noch während seiner Reise verfasste er die kleine Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“.15 Dass sich die Bauern mit Berufung auf das Evangelium zu offenem Aufruhr hatten hinreißen lassen, versetzte ihn in höchsten Zorn. Luther sah es als legitime Aufgabe der Obrigkeiten als Inhaber der Rechtsgewalt an, offenen Aufruhr niederzuschlagen. Dass die Obrigkeiten schließlich mit unverhältnismäßig harten Strafen gegen die Bauern vorgingen, ist aber nicht nur auf Luthers Parteinahme gegen die Bauern zurückzuführen. Denn sie reagier13 Vgl. Schilling, Martin Luther, 294–317; Brecht, Martin Luther II, 174–178; Maron, Bauernkrieg, 327f. 14 Brecht, Martin Luther II, 183. Zu Müntzer vgl. o. S. 147–154. 15 Vgl. WA 18, 344–361.

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ten in erster Linie auf die Infragestellung politischer und gesellschaftlicher Strukturen, deren Auswirkungen auf ihre eigene Position und ihr Regierungshandeln sie nicht hinnehmen konnten. Aber Luthers Wendung gegen die Bauern erzielte, verglichen mit seiner Warnung an die Obrigkeiten vor unangemessener Härte, doch die größere Wirkung. Dass Luther aber weiterhin an einer möglichst friedlichen Lösung gelegen war, zeigt sich darin, dass er nach seiner Rückkehr aus dem thüringischen Aufstandsgebiet den im April geschlossenen Weingartener Vertrag zwischen dem Schwäbischen Bund und den Bodenseer Bauernhaufen in Wittenberg nachdrucken ließ, dem Text eine eigene Vorrede voranstellte und ein Nachwort anfügte, in denen er einen Weg über vertragliche Einigungen empfahl.16 Im Juli 1525 äußerte er sich mit seiner Schrift „Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern“17 noch einmal. Er blieb dabei, dass es sich bei den Unruhen um offenen Aufruhr und damit um das schwerste Vergehen an der Gesellschaft als Rechtsgemeinschaft handelte. Eine andere Möglichkeit als Niederschlagung des Aufruhrs war für ihn nicht mehr denkbar, auch wenn er die blutige Rache der Fürsten an den Bauern als überzogen tadelte.18

II. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547) und das Augsburger Interim (1548) Ca. zwanzig Jahre nach der Niederschlagung der Bauern standen sich Reichsfürsten und Kaiser in Kriegshandlungen gegenüber. Obwohl noch im Jahre 1546 16 17 18

Vgl. Brecht, Martin Luther II, 178–184. Vgl. WA 18, 375–401. Vgl. Maron, Bauernkrieg, 328f; Seebaß, Evangelium und soziale Ordnung, 44–57.

II. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547)

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in Regensburg ein weiteres, von Reichs wegen initiiertes Religionsgespräch stattfand,19 war das Interesse an einer konsensualen Lösung der Religionsfrage auf kaiserlicher Seite erloschen. Bereits seit Mitte Mai 1545 wurde ein militärisches Eingreifen von Seiten des Kaisers immer wahrscheinlicher, zumal die Voraussetzungen dafür günstig zu sein schienen. Aus dem Krieg mit Frankreich war er siegreich hervorgegangen, und der in Crépy am 14. September 1544 geschlossene Frieden gab ihm die Möglichkeit, sich wieder den Reichsangelegenheiten zuzuwenden. Am 17. Mai 1545 erreichte ihn zudem das Angebot der Kurie, 100.000 Dukaten für den Kampf entweder gegen die Osmanen oder gegen die Häretiker bereitzustellen. Tatsächlich konnte die kaiserliche Seite einen Vertrag mit dem Papst abschließen, der nicht nur finanzielle Hilfe, die allerdings nie ordentlich gezahlt wurde, sondern auch ein Truppenkontingent20 zusagte. Außerdem hatte sich Karl um die Unterstützung des Königs von Polen, Sigismund I., bemüht. Mit Sultan Suleiman war er in Verhandlungen um einen Waffenstillstand eingetreten. Auch unter den reformatorisch gesinnten Fürsten konnte der Kaiser durch Separatabkommen Verbündete finden.21 So schloss er mit Herzog Moritz von Sachsen einen Vertrag, der dem Albertiner einen beachtlichen Territorialgewinn aus den kurfürstlich ernestinischen Landen seines Vetters Johann Friedrich in Aussicht stellte, falls er dem Kaiser militärische Unterstützung gewährte.22 19

Vgl. dazu Vogel, Das zweite Regensburger Religionsgespräch, 2009. 20 Dieses wurde jedoch noch vor Beendigung des Schmalkaldischen Kriegs wieder abgezogen. Zu den Verhandlungen im Vorfeld des Religionsgesprächs vgl. Vogel, Das zweite Regensburger Religionsgespräch, 49f, 141–151. 21 Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, 70f. 22 Vgl. dazu grundlegend Wartenberg, Landesherrschaft und Reformation, 1988.

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Schon 1541 war es dem Kaiser außerdem durch ein Abkommen gelungen, den evangelischen Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg vom Schmalkaldischen Bund fernzuhalten. Auch den reformatorisch gesinnten Markgrafen Hans von Küstrin sowie Erich von Braunschweig-Kalenberg und Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach hatte sich Karl verpflichtet. Durch einen Vertrag mit dem mächtigen, altgläubigen Herzog Wilhelm IV. von Bayern neutralisierte der Kaiser einen weiteren potentiellen Gegner. Im Juli 1546, brach der Krieg gegen die im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen Evangelischen aus, denn am 20. Juli 1546 hatte der Kaiser den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen, die Häupter des Bundes, als Rebellen in die Acht erklärt. Juristisch gesehen führte der Kaiser den Krieg als Reichsexekution gegen Gehorsamsverweigerer, obgleich es ihm zugleich darum ging, die konfessionelle Spaltung wieder aufzuheben. Die erste Phase der Kriegshandlungen verlief im Sommer 1546 an der Donau, während die zweite durch die Aktionen Moritz‘ von Sachsen bestimmt war. Dieser fiel im November 1546 in Kursachsen ein und zwang damit die im Süden liegenden Bundestruppen, in Richtung Norden zu ziehen. Dies verschaffte dem Kaiser militärische Erfolge im südlichen Raum des Reichs. Die dritte und entscheidende Phase verlief in Sachsen in einer direkten Konfrontation der Truppen. In der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe wurde Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen am 24. April 1547 vernichtend geschlagen. Er wurde gefangengenommen, wegen Majestätsbeleidigung und Ketzerei zum Tode verurteilt, dann jedoch zu Gefängnis auf Lebenszeit begnadigt. In der Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai 1547 verzichtete Johann Friedrich auf seine Kurwürde, den Kurkreis (= Wittenberg, Torgau und Eilenburg) und auf weitere territoriale Besitzungen

II. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547)

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zugunsten seines Vetters Moritz. Ihm und seinen Söhnen blieben lediglich einige Gebiete in Thüringen. Auch der Landgraf von Hessen musste sich schließlich ergeben. Er ging nach Halle, um vor dem Kaiser Abbitte zu tun, wurde aber sofort gefangengesetzt. Wie sein sächsischer Verbündeter blieb er bis 1552 in kaiserlicher Haft. Mit der Gefangennahme der beiden Hauptleute des Schmalkaldischen Bundes und der Unterwerfung der süddeutschen Stände war der Krieg, trotz vereinzelter Widerstände im Norden, vor allem in Magdeburg, zu Ende. Nun konnte der Kaiser darangehen, der weitgehenden Selbstständigkeit der Stände ein Ende zu bereiten und erneut eine Reichsreform mit stärker monarchischen Zügen und einer Stärkung des Reichsoberhaupts in Angriff zu nehmen. Maßnahmen zur Reichsreform und – im Zusammenhang damit – zur Wiederherstellung der religiösen Einheit im Reich standen deshalb auf der Agenda des nächsten Reichstags, der als der „geharnischte Reichstag“ von Augsburg (1547) in die Geschichte einging. Denn der Kaiser hob die militärische Besatzung Augsburgs nicht auf, sondern hielt seine im Harnisch stehenden, d.h. bewaffneten, spanischen Truppen innerhalb der Reichsgrenzen und zog sie um die Stadt zusammen. Angesichts dessen kam eine hohe Teilnahme von Reichsfürsten zustande, darunter alle sechs Kurfürsten, während es sonst Gang und Gäbe war, sich durch Bevollmächtigte vertreten zu lassen. Der Kaiser hatte vor, alle Reichsstände zu einem Reichsbund zusammenzufassen, um eine Finanz- und Militärorganisation zu schaffen, die nicht mehr von den einzelnen Fürsten abhängig war. Aber die Widerstände waren beträchtlich. Nur in weniger entscheidenden Fragen gab es Entgegenkommen.23 Mehr Erfolg schien 23

Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, 179–360. Vgl. Engel (Hg.), Handbuch der Europäischen Geschichte III, 536–540.

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die Regelung der Religionsfrage zu haben, obwohl es auch hier zunächst Konflikte gab. Papst Paul III. hatte nämlich 1545 in Trient ein Konzil eröffnet, dies aber bereits im Jahr 1547 nach Bologna, und damit in den Kirchenstaat verlegt. Das führte dazu, dass die Evangelischen, die dem Konzil ohnehin eine zu große Abhängigkeit von der Kurie vorgeworfen hatten, jetzt noch weniger bereit waren, es zu besuchen. Vor diesem Hintergrund gewann die von Karl angestrebte „zwischenzeitliche“ Lösung durch das sog. „Interim“ große Bedeutung.24 Anfang des Jahres 1548 stellte der Kaiser dazu eine Theologenkommission zusammen, bestehend aus dem erasmianisch gesinnten Bischof von Naumburg, Julius von Pflug, und dem Mainzer Weihbischof Michael Helding (1506–1561). Ihnen wurde als Vertreter der evangelischen Seite der Brandenburger Hofprediger Johann Agricola zur Seite gestellt. Später wurden außerdem der Beichtvater des Kaisers, Domingo de Soto, der Hofprediger Pedro de Malvenda, und der Hoftheologe König Ferdinands, M. Saltzer, hinzugezogen. Sie sollten eine Vorlage zur Zusammenführung der Religionsparteien ausarbeiten. Bereits am 15. März 1548 lag die maßgebende Fassung des Interims vor. Zwei Monate später, am 15. Mai 1548, wurde der Text den Reichsständen durch Verlesung der Vorrede offiziell mitgeteilt. Hieraus ging deutlich hervor, dass das Interim nicht für alle Reichsstände gelten sollte, sondern nur für diejenigen, die die Reformation eingeführt hatten. Für die geistlichen Reichsstände erließ Karl am 14. Juni 1548 eine „Formula Reformationis“, die auf eine behutsame Reform von Klerus und Klos-

24 Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, 407–449; ders., Zur Interimspolitik Karls V., 127–146.

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terleben zielte, aber in der Praxis nur an wenigen Orten und zögerlich durchgeführt wurde.25 Das Interim war ein kaiserliches Religionsgesetz, das auf die Rückkehr der evangelischen Stände zum alten Glauben zielte, sowohl in der Lehre als auch im Leben der Kirche. Nur Laienkelch und Priesterehe wurden zugestanden. Entsprechend gering fiel die Zustimmung dazu aus. Dort, wo das Interim zwangsweise eingeführt wurde – dies betraf vor allem die Südhälfte des Reichs, wo die kaiserliche Präsenz bedrohlicher war als im Norden –, mussten die evangelischen Prediger auswandern, sofern sie sich nicht den Bestimmungen des Interims unterwarfen. Allseits wurde Protest laut, der sich in Stellungnahmen, Flugblättern und Spottliedern Luft machte, oder aber in Trostschriften Betroffenen Beistand spendete.26 Solche gedruckt verbreiteten Äußerungen kamen aus allen Himmelsrichtungen des Reichs, hatten aber in der von Moritz von Sachsen belagerten Stadt Magdeburg mit ihren Druckeroffizinen ein produktives Zentrum, was ihr den Ehrentitel „unseres Herrgotts Kanzlei“ eintrug.27 Schon 1547 brachte zudem der Theologe Justus Menius sein Büchlein „Von der Notwehr“ heraus, das zum Widerstand gegen eine politische Obrigkeit ermutigte, die sich in den Augen der Evangelischen offenbar anschickte, die wahre christliche Lehre zu unterbinden.28 Schwierig war die Lage für Moritz von Sachsen, denn er musste einerseits weiterhin ein gutes Verhältnis zum Kaiser wahren und durfte andererseits die ohnehin schwachen Sympathien der kursächsischen Stände, deren Oberhaupt er durch den Sieg an der Seite des Kaisers geworden war (reg. 1547–1553), nicht verspielen. Deshalb verhielt er sich 25 26 27 28

Vgl. Mehlhausen, Interim, 230–237. Vgl. die Texte in Controversia et Confessio 1, 2010. Vgl. dazu Kaufmann, Ende der Reformation, 1–12. Vgl. Schneider (Hg.), Politischer Widerstand, 2014.

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in der Religionsfrage zurückhaltend und signalisierte Ferdinand gegenüber, einen einhelligen Reichstagsbeschluss, der das Interim beinhalte, für seine Person zwar annehmen zu wollen, es aber abzulehnen, daraus bindende Verpflichtungen für seine Länder und deren Bevölkerung abzuleiten.29 Ohne vorherige Verhandlungen mit den Landständen und Theologen könne er nichts Derartiges in seinem Territorium verbindlich machen. Ähnlich ablehnend äußerte er sich am 18.5.1548 auch vor dem Kaiser selbst, zumal er seinen Untertanen in seinem angestammten und dem jetzt neu hinzugewonnenen Territorium bei dem Empfang der Kurwürde (4.6.1547) zugesichert hatte, ihren evangelischen Glauben zu schützen. Bei der Wiedereröffnung der Universität Wittenberg nach dem Schmalkaldischen Krieg war den Theologen zudem volle Lehr- und Bekenntnisfreiheit zugestanden worden. Die Situation gestaltete sich für den neuen Kurfürsten also äußerst prekär. Moritz veranlasste deshalb die Ausarbeitung eines Alternativvorschlags, den man dem kaiserlichen Interim entgegensetzen konnte. Beteiligt daran waren Georg von Anhalt, Philipp Melanchthon sowie Mitglieder der Wittenberger Theologischen Fakultät. Diese Alternative sollte dem Leipziger Landtag vorgelegt werden.30 Sie sah eine Beibehaltung der reformatorischen Lehre vor, machte aber insofern eine Konzession an die kaiserliche Religionspolitik, als man die Wiederaufnahme altgläubiger Riten zugestand. Dies erfolgte unter der Prämisse, dass es sich dabei um „Adiaphora“, d.h. freigelassene Mitteldinge, handele, die dem Glauben und Seelenheil des Einzelnen weder zuträglich noch abträglich seien. Die Formulierung der Lehre wies 29 30

Vgl. Pollet (Hg.), Pflug, Correspondance III, 654. Vgl. Wartenberg, Augsburger Interim, 15–32; ders., Albertinische Kirchen- und Religionspolitik, 163–172, bes. 168–170.

II. Der Schmalkaldische Krieg (1546/1547)

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typisch melanchthonische Akzente auf. Aber diese Vorlage stieß in den Reihen der strengen Anhänger des schon 1546 verstorbenen Luther, die sich um Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) und Nikolaus von Amsdorf scharten, auf noch dezidiertere Ablehnung als das Augsburger Interim. Melanchthon warfen sie vor, sich von dem Lutherschen Erbe der Reformation entfernt zu haben und zu verkennen, dass in einer Krisensituation wie dieser selbst den sogenannten Adiaphora Bekenntnisrelevanz zukomme, es also keine Zugeständnisse in den rituellen Praktiken geben könne. Durch eine unautorisierte und mit polemischen Kommentaren versehene Veröffentlichung der Leipziger Landtagsvorlage durch Flacius und seine Gesinnungsgenossen wurde der Text unter der Bezeichnung „Leipziger Interim“ bekannt und zum Auslöser zahlreicher Kontroversen im evangelischen Lager.31 Eine offizielle Veröffentlichung des sog. Leipziger Interims hat es nie gegeben. Gedruckt wurde im Juli 1549 lediglich eine Kurzfassung, der sogenannte „Auszug“, auch das „Kleine Leipziger Interim“32 genannt, den Kurfürst Moritz auf Anraten Melanchthons hatte erstellen lassen. Auf dieses sollten die sächsischen Pfarrer verpflichtet werden. Es ließ u.a. Christus- und Heiligenbilder sowie Messgewänder zu und verzichtete in der Entfaltung der Lehre auf all jene Fragen, an denen die Abweichung von der römischen Lehre prägnant deutlich wurde. Eine offizielle Einführung des Auszugs aber gelang nicht. Die innerevangelischen Kontroversen, die sich daran anschlossen und die in all ihren thematischen Zuspitzungen im Grunde stets die Frage der authentischen Bewahrung des Erbes der Wittenberger Reformation zum 31

Vgl. Controversia et Confessio 2: Der Adiaphoristische Streit, 354–441. Hier auch weitere Stellungnahmen zur Frage der Adiaphora. 32 Vgl. CR 7, 426–428.

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Gegenstand hatten, mündeten in die lutherische Konfessionsbildung mit Konkordienformel (1577) und Konkordienbuch (1580).33

III. Fürstenkrieg und Passauer Vertrag (1552) Das Augsburger Interim stieß auf große Opposition. Die Mehrheit der evangelischen Pfarrer und Prediger lehnte einen Dienst im „interimistischen“ Sinne ab. Man setzte der kaiserlichen Maßnahme einen zähen, passiven Widerstand entgegen. Zugleich formierte sich eine politische Opposition gegen den Kaiser. Dieser hatte nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes und in Reaktion auf den Widerstand gegen das Interim den neuen Kurfürsten Moritz von Sachsen mit der Vollstreckung der kaiserlichen Acht an der Stadt Magdeburg beauftragt. Die Belagerung begann im Jahre 1550, insgeheim jedoch trat Moritz in Verhandlungen mit Magdeburg ein, um die kampflose Übergabe der Stadt zu erreichen. Am 9. November 1551 konnte er als Reichsfeldherr in Magdeburg einziehen. Seine Truppen waren nun frei für andere Einsätze. Währenddessen hatte sich im Reich der Unmut gegen die Präsenz der kaiserlichen, spanischen Truppen verschärft. Die andauernde Gefangenschaft der Häupter des Schmalkaldischen Bundes empfand man als Demütigung. Zusätzlich kursierten Gerüchte über Pläne Karls, die Kaiserwürde nach dem Ableben seines Bruders Ferdinand auf seinen Sohn Philipp von Spanien übergehen zu lassen. Auch dies verstärkte die Abneigung gegen „die viehische spanische Servitut“.34 Nicht zuletzt machte sich auch bei Moritz von Sachsen Unzufriedenheit breit. Zwar hatte er vom Aus33 34

Vgl. die neue Edition der BSELK. Zit. nach Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte IV, 306.

III. Fürstenkrieg und Passauer Vertrag (1552)

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gang des Schmalkaldischen Kriegs profitiert, fühlte sich aber dennoch politisch betrogen. Denn gegen die ursprüngliche kaiserliche Zusicherung eines Anrechts auf Magdeburg und Halberstadt hatte er auf diese geistlichen Stifter verzichten müssen. Hinzu kam, dass er sich durch sein Agieren generell nicht gerade beliebt gemacht hatte. Unter den Evangelischen galt er als der „Judas von Meißen“.35 In dieser Gemengelage verschiedenster Interessen trat Moritz in Bündnisverhandlungen mit jenen Fürsten ein, die im Schmalkaldischen Krieg noch zu seinen Gegnern gehört hatten. Ziel war, die „Libertät“ der Fürsten sowie das freie Bekenntnis zur Confessio Augustana zu retten und die gefangengehaltenen Häupter des zerschlagenen Schmalkaldischen Bundes zu befreien. Dem Bündnis gehörten – außer Moritz von Sachsen – Johann Albrecht von Mecklenburg, Hans von Küstrin und Landgraf Wilhelm von Hessen an. Hinzu kam Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, dem der Ruf großer Kühnheit vorauseilte. Günstig wirkte sich aus, dass der Kaiser seit 1551 wieder in kriegerischen Auseinandersetzungen mit Frankreich stand, so dass die gemeinsame Gegnerschaft gegen Karl den altgläubigen französischen König Heinrich II. und die evangelischen Fürsten auch über die religiösen Differenzen hinweg zusammenbrachte. Es gelang Moritz sogar, ein Angriffsbündnis mit den Franzosen gegen den Kaiser zu schließen. Im März 1552 griffen die Bündnispartner den Kaiser militärisch an, nachdem Verhandlungen mit König Ferdinand als Vertreter des Kaisers in Augsburg gescheitert waren. Obwohl Karl mehrmals gewarnt worden war, überraschten ihn die Ereignisse. Seine Truppen wurden geschlagen; er selbst musste aus Innsbruck über den Brenner nach Villach fliehen. Der 35

Vgl. Haug-Moritz, Judas und Gotteskrieger, 235–259.

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Sieg der protestantischen Fürsten hatte weitreichende Folgen.36 In Absprache zwischen Moritz und Ferdinand wurde Ende Mai 1552 eine Fürstenversammlung in Passau abgehalten. Anwesend waren 20 Reichsstände, teils persönlich, teils in Vertretung. Auch der Kaiser ließ sich durch zwei Gesandte vertreten. Die Hauptforderungen bezogen sich auf die Beseitigung der die fürstliche „Libertät“ betreffenden Gravamina und die Gleichstellung der beiden religiösen Lager. Der Friedensschluss sollte die Aufhebung des Interims und einen dauerhaften Religionsfrieden garantieren. Außerdem sollten die eingezogenen Kirchengüter bei den neuen Besitzern verbleiben. Im Gegenzug stellten die reformatorisch gesinnten Stände dem Kaiser Unterstützung gegen die osmanische Bedrohung in Aussicht. König Ferdinand schien durchaus bereit, auf die Forderungen einzugehen, und beschwor auch seinen Bruder, zuzustimmen. Aber der Kaiser bezog eine zurückhaltende Position. Vor allem die Forderung nach einem ewigen Religionsfrieden lehnte er aus Gewissensgründen ab. Nach zähen Verhandlungen wurde schließlich am 2. August 1552 der Passauer Vertrag unterzeichnet.37 Durch ihn wurde ein bis zum nächsten Reichstag limitierter Religionsfrieden gewährt und das Interim aufgehoben. Das Problem der fürstlichen Gravamina sollte, ebenso wie die Religionsfrage, auf dem kommenden Reichstag erneut verhandelt werden. Der Landgraf von Hessen wurde begnadigt und erhielt seine Freiheit zurück, nachdem Johann Friedrich von Sachsen schon kurz zuvor aus seiner Haft entlassen worden war. Den Kriegsfürsten wurde Am-

36 Vgl. Engel (Hg.), Handbuch der Europäischen Geschichte III, 542–544. 37 Vgl. Drecoll (Hg.), Passauer Vertrag, 2000.

IV. Der Augsburger Religionsfrieden (1555)

249

nestie gewährt. Gleichzeitig übergaben sie ihre Truppen König Ferdinand.

IV. Der Augsburger Religionsfrieden (1555) Die zurückliegenden Ereignisse hatten deutlich gemacht, dass die Politik Karls V., die auf ein starkes Kaisertum mit monarchischen Zügen auf der Grundlage eines einheitlichen römischen Glaubens zielte, nicht mehr zu verwirklichen war. Er zog sich in die Niederlande zurück und übergab im Jahre 1554 seinem Bruder Ferdinand, dem römischen König, die Führung der Reichsgeschäfte. So kam es, dass Karl auf dem nach Augsburg 1555 einberufenen Reichstag gar nicht mehr selbst anwesend war. Es war Ferdinand, der den Reichstag leitete. Der Reichstagsabschied erging zwar offiziell noch im Namen Kaiser Karls. Aber noch während man in Augsburg verhandelte, hatte er, enttäuscht von der Entwicklung der Dinge, den Entschluss gefasst, die Regierung endgültig niederzulegen. Im Jahre 1556 dankte er ab. In dem Reichstagsabschied, der am 25. September in Augsburg verkündet wurde, fanden sich Kaiser und Stände zu einem Landfrieden zusammen.38 Dieser Landfrieden ruhte auf einer Exekutionsordnung und einem Religionsfrieden. Die Exekutionsordnung gab den in Reichskreisen zusammengefassten Reichsständen Befugnisse zur Wahrung des allgemeinen Landfriedens. Der Religionsfrieden enthielt Bestimmungen, die die reichsrechtliche Grundlage für eine Koexistenz der Anhänger des alten, römischen Glaubens und der Anhänger der Confessio Augustana absteckten.39 Bis 38

Vgl. dazu insgesamt Gotthard, Augsburger Religionsfrieden, 2006; Schilling/Smolinsky (Hg.), Augsburger Religionsfrieden 1555, 2007. 39 Vgl. Walder (Bearb.), Religionsvergleiche I, 41–69. 2

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Krieg und Frieden

zu seiner Ablösung durch den Westfälischen Frieden von 1648 war der Augsburger Religionsfrieden für die konfessionellen Verhältnisse im Reich maßgeblich und beeinflusste auch andere Religionsfriedensregelungen jenseits der damaligen Reichsgrenzen.40 Er löste alle bisherigen, zeitlich limitierten Religionsfrieden oder religionsbezogenen Waffenstillstände ab. Rechtlich gesehen hatte dies zur Folge, dass man vorerst akzeptierte, dass die religiöse Spaltung nicht rückgängig zu machen war. Denn der Augsburger Religionsfrieden bedeutete Verzicht auf die religiöse Einheit des Reichs. Er garantierte die Duldung der bisher rechtlich als Häretiker geltenden reformatorisch Gesinnten, sofern sie sich auf das Augsburger Bekenntnis verpflichtet hatten. Möglich wurde dies dadurch, dass fortan die einzelnen Territorialherren die Religionshoheit ausübten.41 Der Augsburger Religionsfrieden garantierte den sog. „Augsburger Konfessionsverwandten“ reichsrechtliche Duldung. Das bedeutete zugleich, dass alle religiösen Gruppierungen, die vom alten, römischen Glauben oder von der Confessio Augustana abwichen, von dieser Duldung ausgeschlossen waren. Dies betraf die Täufer ebenso wie die zum Reformiertentum tendierenden Richtungen, die sich von der Abendmahlslehre der Confessio Augustana distanzierten. Allerdings sagte der Augsburger Religionsfrieden nichts darüber aus, welche Fassung des inzwischen im Zuge der Konsens- und Religionsgespräche von Melanchthon überarbeiteten Bekenntnisses42 als Grundlage für diese Regelung dienen sollte. Die Frage der Differenzen zwischen Confessio Augustana invariata und 40

Vgl. dazu die am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte betriebenen Forschungen zu den europäischen Religionsfrieden: www.religionsfrieden.de. 41 Vgl. Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 178–203. 42 Vgl. dazu o. S. 225.

IV. Der Augsburger Religionsfrieden (1555)

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variata, die sich in erster Linie auf die Abendmahlslehre bezogen, wurde bewusst ausgespart.43 Den Reichsständen und dem reichsunmittelbaren Adel gewährte der Religionsfrieden das Recht auf freie Bekenntniswahl und gab den Landesherren das „ius reformationis“. Das bedeutete, dass der Religionsfrieden nicht nur rückblickend für diejenigen gelten sollte, die zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung bereits die Reformation auf der Grundlage der Confessio Augustana eingeführt hatten, sondern sich auch auf jene Territorien erstreckte, in denen die Landesherren künftig die Reformation einführen würden. Zugleich beinhaltete diese Regelung, dass den Territorialfürsten das Recht auf freie Wahl der Religion bzw. des Bekenntnisses zugestanden wurde, nicht aber den Untertanen. Diese Rechtslage ist oft in dem Grundsatz „cuius regio, eius religio“ zusammengefasst worden, der sich allerdings nicht im Wortlaut des Religionsfriedens findet. Für die Untertanen bestand die Religionsfreiheit darin, dass sie der religiösen Entscheidung ihres Landesherrn nicht zu folgen brauchten, sondern – wenn sie an ihrem abweichenden Glauben festhalten wollten – das Recht hatten, ihr Hab und Gut zu verkaufen und mit ihrer Familie in ein anderes Territorium zu ziehen. Ihnen wurde das „ius emigrandi“ zugestanden. So restriktiv diese Bestimmungen heute klingen mögen, so bahnbrechend waren sie für die Frühe Neuzeit. Denn mit dieser Regelung waren die Todesstrafe, die auf Ketzerei stand, und das Strafrecht der Inquisition, wie es in altgläubigen Gegenden gegen die Anhänger der Reformation geltend gemacht werden konnte, offiziell aufgehoben. Auch einer zwangsweisen Konfiszierung der Güter war ein Riegel vorgeschoben. Allein in den burgundischen 43

Zur Confessio Augustana variata vgl. BSELK, QuM I, 120–167, bes. 127. Vgl. dazu Dingel, Augsburger Religionsfrieden, 157–176.

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Krieg und Frieden

Erblanden Karls V. galt diese Bestimmung nicht. Für sie hatte Ferdinand die Fortdauer des alten Ketzerrechts, d.h. die Ahndung der Ketzerei mit Todesstrafe, durchgesetzt. Das „ius reformationis“ wurde allerdings nicht allen Reichsständen gewährt. Für die Reichsstädte galt eine Ausnahmeregelung. Dort, wo bisher beide Religionen, die alte und diejenige der Confessio Augustana, nebeneinander existiert hatten, oder wo der alte Glaube durch das Interim wieder Fuß gefasst hatte, sollten beide weiterhin nebeneinander bestehen können. Diese Bestimmung sorgte für eine konfessionelle Parität in den Reichsstädten. Darüber hinaus hob der Augsburger Religionsfrieden in den reformatorischen Gebieten die geistliche Gerichtsbarkeit, das Kirchenregiment der Bischöfe und das Patronatsrecht geistlicher Institutionen auf. Diese Rechte und Pflichten wurden ebenfalls dem Landesherrn übertragen. Eine Ausnahme stellten allerdings die Patronatsrechte reichsunmittelbarer geistlicher Stände, d.h. geistlicher Fürstentümer, dar. Ihnen blieben die Patronatsrechte erhalten. Auch im Blick auf die Besitztümer, Einkünfte und Rechte der reichsunmittelbaren geistlichen Stände in ansonsten evangelischen Territorien gab es eine Ausnahmeregelung, insofern ihnen diese auch weiterhin garantiert wurden. Dagegen sollten alle landsässigen Klöster, Stifter und Güter, die von den evangelischen Landesherren vor 1552, d.h. vor dem Abschluss des Passauer Vertrags, bereits säkularisiert worden waren, im Besitz der jeweiligen Landesherren bleiben. Zu den Ausnahmeregelungen des Augsburger Religionsfriedens gehörte darüber hinaus der sogenannte geistliche Vorbehalt, das „reservatum ecclesiasticum“, der Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen bot. Denn der geistliche Vorbehalt verweigerte den geistlichen Fürsten das „ius reformationis“. Für die altgläubige Seite war diese Regelung von zentraler Bedeutung. Denn

IV. Der Augsburger Religionsfrieden (1555)

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wenn sich ein Stift oder ein geistliches Fürstentum der Reformation anschloss, musste man mit der Wahl eines evangelischen Bischofs, meist eines benachbarten Prinzen, rechnen. Dies barg die Gefahr, dass das geistliche Territorium früher oder später in ein weltliches Fürstentum einging bzw. mit diesem verschmolzen wurde. Der geistliche Vorbehalt zielte deshalb darauf, das Fortbestehen der geistlichen Fürstentümer zu garantieren. Dem diente die Bestimmung, dass ein geistlicher Fürst bei einem Konfessionswechsel all seine Ämter und Einkünfte verlieren sollte. Es war schwer, eine Einigung über diesen Artikel zu erzielen. Die Fürsten, die nach den Bestimmungen des Religionsfriedens eigentlich dazu verpflichtet waren, die Einhaltung der Artikel u.U. mit Zwang durchzusetzen, erklärten in diesem Falle, nicht in der gebotenen Weise für die Durchführung garantieren zu können. Mit der „Declaratio Ferdinandea“, einem Erlass bzw. einer Willenserklärung König Ferdinands, wurde den Evangelischen jedoch zugestanden, dass die Ritter, Städte und Gemeinden in den geistlichen Territorien, die sich bereits seit längerem zur Confessio Augustana bekannten, auch weiterhin unbehelligt bei ihrem Glauben bleiben dürften, so dass eine Form konfessioneller Parität möglich wurde. Die „Declaratio Ferdinandea“ wurde allerdings nicht in die Urkunde des Religionsfriedens aufgenommen, und das Reichskammergericht wurde nicht auf sie verpflichtet.44 Der Augsburger Religionsfrieden war von epochaler Bedeutung. Zum ersten Mal in der Geschichte Europas wurde hier die friedliche Koexistenz zweier religiöser Lager mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen dauerhaft garantiert und ermöglicht. Keiner der vorangegangenen Religionsfriedenslösungen gelang 44

Vgl. Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 188–192.

254

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dies in dieser Weise. Der Gedanke an eine Überwindung der Spaltung und Rückführung der Christenheit zu einem einhelligen Glauben wurde zwar nicht ganz aufgegeben, aber die theologische Wahrheitsfrage spielte in diesem Religionsfrieden keine Rolle mehr. Ein inhaltlich motivierter, theologischer Ausgleich hätte nur über ein Religionsgespräch erfolgen können. Tatsächlich fand im Jahre 1557 das letzte der großen Reichsreligionsgespräche in Worms statt, das allerdings, wie alle anderen zuvor, ergebnislos zu Ende ging. Seit dem Augsburger Religionsfrieden aber genossen die „Augsburger Konfessionsverwandten“ reichsrechtliche Duldung. Die Bestimmungen des Religionsfriedens zum „ius reformationis“ und „ius emigrandi“ führten langfristig zu einer Stärkung der politischen Selbstständigkeit der Fürsten sowie zu einer konfessionellen Homogenisierung der Territorien. Das „ius reformationis“ hatte zugleich Auswirkungen auf die weitere Institutionalisierung der reformatorischen Kirche. Denn in viele Regelungsbereiche, die bisher der altgläubigen Kirche vorbehalten waren, rückten nun die politischen Obrigkeiten ein. So erhielten reformatorisch gesinnte Landesherren die rechtliche Handhabe dafür, Angelegenheiten der Kirche, des Schul- und Gerichtswesen, der Sittenaufsicht und Armenpflege in die Hand zu nehmen.45

45

Vgl. Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 203–206.

Die Reformation in Genf

Schon vor der Reformation war Genf ein wichtiges geistliches Zentrum. Die reichsunmittelbare Stadt lag mitten im Fürstentum Savoyen und unterstand der Regierung eines Fürstbischofs, dessen weltliche Macht sich allerdings seit dem Spätmittelalter im Niedergang befand. Die Reformation, angestoßen durch Predigten Guillaume Farels, fortgeführt und entscheidend geprägt durch Johannes Calvin, wurde zu einem Motor sowohl für die theologische als auch für die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Genf. Der Bischof, Geistliche und Ordensangehörige mussten aus der Stadt weichen, ebenso die Beauftragten des Herzogs von Savoyen. Die Regierung der Stadt lag seitdem ausschließlich in den Händen des Kleinen Rats. Er hatte bereits am 10. August 1535, noch bevor Calvin in der Stadt zu wirken begann, die altgläubige Messe verboten und damit die Weichen für die offizielle Einführung der Reformation gestellt.1

I. Calvins Weg zur Reformation und sein frühes reformatorisches Wirken Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon in der Picardie als Sohn von Gérard Cauvin und Jeanne Lefranc geboren.2 Schon früh erhielt er eine Pfründe 1 2

Vgl. Grandjean, Genf, 148. Das Calvin-Jahr 2009 hat zahlreiche Biographien hervorgebracht, darunter Selderhuis, Johannes Calvin, 2009; Strohm, Johannes Calvin, 2009. Cottret, Calvin, 1998; Crouzet, Jean Calvin, 2000. Vgl. außerdem van’t Spijker, Calvin, 2001.

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Die Reformation in Genf

in Noyon, womit seine geistliche Laufbahn eigentlich vorgezeichnet war. Im Jahre 1523 wechselte er nach Paris, trat in das Collège de la Marche und sodann in das Collège Montaigu ein, wo er im Geist der mittelalterlichen Scholastik erzogen wurde und den Grad des „magister artium“ erwarb. Auf Drängen seines Vaters wandte er sich danach dem Jurastudium zu und ging 1528/1529 als Student der Rechte nach Orléans, dann nach Bourges. In Orléans machte er Bekanntschaft mit dem schwäbischen Humanisten und Lutheranhänger Melchior Volmar (1497–1560), der ihn für die humanistischen Studien begeisterte. Diese setzte Calvin, als er 1530/1531 nach Paris zurückkehrte, an dem von König Franz I. begründeten Collège de France fort. In diese Phase fiel auch Calvins intensive Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, wozu ihn PierreRobert Olivétan (1506–1538) angeregt hatte. In Paris traf er außerdem mit Studenten zusammen, die reformatorisches Gedankengut mitbrachten. Und so beschäftigte er sich zudem mit der Lektüre von Schriften Bucers und Luthers. Wichtig für Calvins weitere Entwicklung wurde ein Besuch in Straßburg im Jahre 1528. Die Stadt war damals bereits evangelisch. All das bereitete seine Hinwendung zum evangelischen Glauben vor. Zwar sprach er selbst später in seinem Vorwort zum Psalmenkommentar von 1557 rückblickend von einer „subita conversio“, d.h. einer „plötzlichen Bekehrung“, aber de facto handelte es sich eher um eine allmähliche innere Wandlung, die um die Zeit 1533/1534 anzusiedeln ist.3 Das wichtigste Zeugnis dafür bietet die berühmte Antrittsrede (über Mt 5,3) des neu berufenen Rektors der Sorbonne, Nicolas Cop, vom Allerheiligentag 1533, die maßgeblich von Calvin mit abgefasst wurde. In dieser Rede kamen nicht nur erasmianische, sondern auch reformatori3

Vgl. van’t Spijker, Calvin, 116f; Cottret, Calvin, 91–94.

I. Calvins Weg zur Reformation

257

sche Gedanken zum Ausdruck sowie eine klare Distanzierung von der althergebrachten scholastischen Theologie, so dass Cop und Calvin fortan der Ketzerei verdächtig waren und fliehen mussten. Calvin verbarg sich unter dem Pseudonym Charles d’Espeville und hielt sich u.a. am Hof der Marguerite d'Angoulême (Margarete von Navarra), der älteren Schwester Franz’ I., in Nérac, auf. Dort lernte er den einflussreichen Humanisten Jacques Lefèvre d’Etaples (Jacob Faber Stapulensis, ca. 1455–1536) und den reformatorisch gesinnten Gérard Roussel (1500–1550) kennen. Aber schließlich musste er Frankreich verlassen. Denn Plakate reformatorischen Inhalts, die gegen die altgläubige Messe polemisierten, waren bis vor das Schlafgemach des Königs gedrungen und bewogen den ansonsten durchaus dem Humanismus zugeneigten Herrscher, gegen jegliche religiöse Abweichung vorzugehen, die ihm, seinem Land und den Beziehungen zum Heiligen Stuhl schaden konnten. Dies war die sogenannte „affaire des placards“, die Plakataffäre von 1534. Sie löste die erste große Verfolgungswelle der reformatorisch Gesinnten in Frankreich aus. Calvin ging im Dezember 1534 nach Straßburg und von dort Anfang 1535 weiter nach Basel. Er wurde zu einem Glaubensmigranten, der für seine Überzeugung Flucht, Ausweisung und Exil auf sich nahm. In Basel, wo er Bekanntschaft u.a. mit Guillaume Farel (1489–1565), Pierre Viret (1511–1571) und Heinrich Bullinger (1504–1575) schloss, verfasste Calvin unter dem Pseudonym Martianus Lucianus eine Vorrede zu Olivétans französischer Bibelübersetzung, die älteste bekannte theologische Veröffentlichung Calvins in französischer Sprache. Basel war auch der Ort, an dem er im Jahre 1536 seine schon früher begonnene „Institutio religionis Christianae“ fertigstellte, die

258

Die Reformation in Genf

katechetische mit apologetischen Zielen kombinierte.4 Als die Institutio herauskam, war Calvin bereits auf dem Weg nach Ferrara, wo er am Hofe der Herzogin Renata deren vom Humanismus inspirierte, reformatorische Bestrebungen unterstützte (1535/1536), bevor er wieder nach Basel zurückkehrte und kurz in seine französische Heimat reiste, um letzte Angelegenheiten zu regeln. Sein Weg von dort zurück nach Straßburg führte ihn über Genf, wo er im Juli 1536 auf Guillaume Farel traf, der Calvin dafür gewinnen konnte, ihm beim Aufbau einer reformatorischen Gemeinde zur Seite zu stehen. Farel hatte nämlich der Reformation in Genf zum Durchbruch verholfen und so einen wichtigen Grundstein für ihre gemeinsame Arbeit gelegt.5

II. Calvins Wirken in Genf (1536–1538) und sein Straßburger Exil (1538–1541) Im September 15366 begann Calvin – als theologischer Autodidakt –, als Lektor in der Kirche Saint-Pierre die Paulusbriefe auszulegen. Wenig später – 1537 – nahm er gemeinsam mit Farel die Neuordnung der Genfer Kirche in Angriff. Dem dienten eine Kirchenordnung,7 ein Katechismus und ein Bekenntnis.8 Die Kirchenordnung enthielt Leitlinien, an denen sich Lehre und Leben der jungen reformatorischen Gemeinde orientieren sollte. So sah man z.B. für das Abendmahl eine monatliche Feier vor. Die Zulassung zum Sakrament sollte durch eine strenge Disziplin geregelt werden, über die zu wachen die Aufgabe von Ältesten bzw. 4 5 6 7 8

Vgl. van’t Spijker, Calvin, 124f. Vgl. dazu auch u. S. 260, 273–275. Vgl. van’t Spijker, Calvin, 129f. Vgl. van Stam, Calvins erster Aufenthalt, 31. Vgl. Calvin-Studienausgabe, 1/I, 109–129. Vgl. Calvin-Studienausgabe, 1/I, 131–207.

II. Calvins Wirken in Genf (1536–1538)

259

Presbytern sein sollte. Weitere Bestimmungen betrafen die Einführung des Psalmengesangs im Gemeindegottesdienst und die Unterweisung der Kinder. Der dafür vorgesehene Katechismus und das Bekenntnis kamen 1537 in einem gemeinsamen Druck heraus. Inhaltlich basierte der Genfer Katechismus auf der Institutio von 1536 und war ein kleines volkssprachliches Kompendium der reformierten Theologie, das abschließend auch Fragen der Kirchenordnung und Kirchenzucht sowie das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen behandelte. Die „Confession de Foi“, die heute Farel zugeschrieben wird, bestand aus 21 Glaubensartikeln und sollte in einer öffentlichen Beeidung am 29. Juli 1537 von allen Bürgern der Stadt angenommen werden. Das aber führte zu erheblichen Reibungen, da sich damit die Forderung nach einer strengen Kirchenzucht verband, die von großen Teilen der Bürgerschaft abgelehnt wurde. Auch der Rat äußerte Bedenken. Zudem war die Verteilung der Kompetenzen umstritten. Bis 1555 blieb die Frage, ob die städtische Obrigkeit oder aber die Kirche für die Sittenzucht verantwortlich sei, Gegenstand von Auseinandersetzungen. Farel und Calvin traten entschlossen für eine unabhängige Zuständigkeit der Kirche ein. Aber als sie Ostern 1538 einigen Unwürdigen das Abendmahl verweigerten, wurden beide aus der Stadt ausgewiesen.9 Farel ging daraufhin nach Neuchâtel, Calvin nach Straßburg. Von 1538 bis 1541 hielt sich Calvin in Straßburg auf, wo er das Predigtamt in der französischen Flüchtlingsgemeinde übernahm. Außerdem unterrichtete er an dem Gymnasium illustre, das unter dem Rektorat

9 Vgl. van Stam, Calvins erster Aufenthalt, 30–37; van’t Spijker, Calvin, 131–141.

260

Die Reformation in Genf

Johann Sturms stand.10 Auch seine Heirat im Jahre 1540 mit der Witwe Idelette de Bure, die neun Jahre später in Genf starb, fiel in die Straßburger Zeit. Diese Phase war eine theologisch sehr fruchtbare, in der Calvin u.a. Kontakte mit Martin Bucer pflegte und Einflüsse von dessen Theologie aufnahm. Auch die in Straßburg geübte liturgische Praxis beeindruckte ihn. Hier erschien zudem die zweite Auflage seiner Institutio (1539 lateinisch, 1541 französisch), die er neu bearbeitet und erweitert hatte,11 sowie sein Römerbriefkommentar (1540). Die exegetischen Kommentare zählen, neben der Institutio, zu den Hauptwerken Calvins.12 Zu jener Zeit fand das große Reichsreligionsgespräch in Hagenau, Worms und Regensburg (1540/41) statt. Calvin zog zusammen mit Bucer nach Hagenau und war auch bei den darauf folgenden Gesprächen in Worms und Regensburg anwesend. Dort unterzeichnete er 1541 die Confessio Augustana variata.13 Das Religionsgespräch gab ihm im übrigen Gelegenheit, mit Philipp Melanchthon in Kontakt zu treten. Beide waren bis zu dessen Tod im Jahre 1560 durch einen reichen, allerdings auch die theologischen Unterschiede nicht verhehlenden Briefwechsel verbunden.14 Wie nah Calvin damals aber tatsächlich noch der Wittenberger Abendmahlslehre stand, zeigt sich in seinem „Petit Traicté de la Saincte Cène“, den er in Straßburg verfasste.15 Luther äußerte sich positiv 10 11 12

Vgl. dazu o. S. 174f. Vgl. dazu u. S. 274f. Vgl. Kolb, The Bible in the Reformation, 104–111; Muller, The Unaccommodated Calvin, 186. Vgl. generell Ganoczy/Scheld, Hermeneutik Calvins, 1983. 13 Nijenhuis berichtet, dass Calvin zuvor in Straßburg auch die Confessio Augustana invariata unterzeichnet habe; vgl. ders., Johannes Calvin, 572. 14 Vgl. Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 803 mit Anm. 168. 15 Vgl. Calvin-Studienausgabe, Bd. 1/II, 431–493.

III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564)

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über diesen kleinen Traktat und wertete ihn als Beitrag zur Lösung des zwischen ihm und Zwingli bestehenden Abendmahlskonflikts.16

III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564) Während Calvins Abwesenheit hatte sich die Lage in Genf verändert. Giacomo Sadoleto, der Bischof von Carpentras, richtete ein Schreiben an die Stadt, mit dem er sie drängte, wieder zum alten Glauben zurückzukehren. Dies veranlasste die Genfer, Calvin um Unterstützung zu bitten, der daraufhin eine entschiedene Absage an Sadolet formulierte.17 In diesem Brief kam zugleich seine tiefe Verbundenheit mit der Stadt zum Ausdruck. Man rief ihn nach Genf zurück, wo er bis zu seinem Tod am 27. Mai 1564 wirkte. Nach seiner Rückkehr am 13. September 1541 verließ er die Stadt nur noch für kürzere Reisen. Die zweite Wirkungsperiode Calvins in Genf war nicht nur durch Predigt- und Lehrtätigkeiten sowie die Arbeit an den großen theologischen Werken bestimmt, sondern auch durch erneute reformatorische Ordnungsinitiativen, die Auseinandersetzungen mit Rat und Bürgerschaft heraufbeschworen, sowie durch den Kampf gegen falsche Lehre.18

16

Zur Straßburger Phase vgl. Arnold, Straßburg, 37–43; van’t Spijker, Calvin, 142–155. 17 Vgl. Calvin-Studienausgabe 1/II, 337–429. Vgl. auch Calvin, Musste Reformation sein?, 2009. 18 Vgl. Naphy, Calvins zweiter Aufenthalt in Genf, 44–57; van’t Spijker, Calvin, 156–202.

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Die Reformation in Genf

1. Neuordnung der Kirche – Struktur, Praxis, Kirchenzucht Direkt nach seiner Rückkehr nahm Calvin die Neuordnung der Kirche in Angriff. Dem diente wiederum eine von ihm erstellte Kirchenordnung (Ordonnances ecclésiastiques, 1541), die 1561 in erweiterter Fassung herauskam19 und in den Folgejahren ständige Neuauflagen erfuhr. Auch der Rat der Stadt identifizierte sich mit dieser Maßnahme und akzeptierte die Ordnung. Ihre Bestimmungen zielten sowohl auf die Struktur der Kirche als auch auf das Leben der Gemeinden und die Kirchenzucht. Unter Rückgriff auf die Heilige Schrift20 setzte Calvin vier Ämter bzw. Funktionen fest: Pastoren, Doktoren bzw. Lehrer, Älteste und Diakone. Diese Ämterstruktur wurde für die reformierte Kirche generell charakteristisch.21 Die Pastoren sollten für Predigt und Sakramentsverwaltung zuständig sein. Ihre Aufgabe war – nach Eph 4,12 – die Erbauung der Gemeinde. Zusammen mit den Ältesten sollten sie auch für die Kirchenzucht sorgen, die in ihrer ersten Stufe ebenfalls als Verkündigung verstanden wurde, da sie, gemäß Mt 18,15–17, mit der Einzelermahnung begann. Im Extremfall konnte sie durchaus mit Exkommunikation, d.h. dem vorübergehenden Ausschluss aus der Gemeinde, enden. Die Einsetzung in das Amt des Pastors erfolgte nicht etwa durch eine „demokratische“ Gemeindewahl, sondern auf Vorschlag der „Vénérable Compagnie des Pasteurs“,22 dem der Rat sodann durch Ernennung der vorgeschlagenen Person entsprach. Erst im Anschluss daran wurde der Pastor der Gemeinde vorgestellt, die sodann Gelegenheit 19 20 21 22

Vgl. Calvin-Studienausgabe 2, 227–279. Vgl. Röm 12,4–8; 1Kor 12,4–6.28, Eph 4,11–14. Vgl. dazu u. S. 275f. Pfarrkapitel; zu ihren Aufgaben vgl. van’t Spijker, Calvin, 158f.

III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564)

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hatte, ihre Zustimmung zur Wahl auszusprechen. Den Doktoren kam die Verantwortung für die Unterweisung der Jugend zu, später auch für die theologische Ausbildung. Ihre Funktion war besonders dort von Wichtigkeit, wo Universitäten, Hohe Schulen oder Gymnasien bestanden. Die Ältesten bzw. Presbyter waren für die Aufsicht über das sittliche Leben der Gemeinden zuständig. Sie übten im Konsistorium (consistoire), das sich aus Pfarrern und Ältesten zusammensetzte, gemeinsam mit jenen die Kirchenzucht aus. Im Amt der Ältesten zeigte sich aber auch der Einfluss der städtischen Obrigkeit in der Kirche. Denn sie „wurden aus den in Genf geborenen Bürgern von der Stadtregierung ausgewählt, und einmal im Jahr nach einer vom Kleinen (exekutiven) Rat in Abstimmung mit den Pfarrern vorbereiteten Kandidatenliste bestimmt“.23 Die Presbyter hatten bei ihrer Ernennung also nur eine beratende Stimme. Nach ihrer Approbation durch den Rat der Zweihundert legten sie – ebenso wie die Pastoren – vor der Obrigkeit einen Eid ab.24 Die Diakone schließlich waren zuständig für die Kranken- und Armenpflege und verwalteten zugleich die für diese Zwecke bestimmten Gelder. Die nach den Prinzipien Calvins organisierte Kirche und das Leben der Gemeinden war also von einer festen Ämterbindung bestimmt und richtete sich keineswegs nach volksnahen Mitsprache-Prinzipien. Eine presbyterial-synodale Struktur, die eine solche Gemeindenähe hätte gewährleisten können, findet sich erst in der Kirchenordnung des unter Verfolgung stehenden und lange im Untergrund lebenden französischen Protestantismus von 1559. In Genf bestand dafür kein Bedarf. 23

Kingdon, Genf, 370, eine zusammenfassende Beschreibung der Genfer Kirchenorganisation, ebd., 369–371. 24 Vgl. van’t Spijker, Calvin, 159f.

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Die Reformation in Genf

Die „Ordonnances ecclésiastiques“ legten nicht nur Strukturen fest, sondern regelten auch die kirchliche Praxis. Sie enthielten Bestimmungen über den Taufund Abendmahlsvollzug, über die Eheeinsegnung, den Besuch bei Kranken und Gefangenen und die Unterweisung der Kinder. Vor allem aber konnte Calvin mit dieser Kirchenordnung ein zentrales Anliegen seiner Theologie verwirklichen: die Ausübung der Kirchenzucht zur Reinerhaltung und Heiligung der christlichen Gemeinde. Dass Calvin so sehr daran gelegen war und die strenge Kirchendisziplin für den späteren Calvinismus insgesamt charakteristisch wurde, war geleitet von dem Ziel, das Leben der gesamten Stadt kontinuierlich zu verchristlichen. Calvin wollte einen umfassenden Wertewandel heraufführen, der dazu dienen sollte, dem am Ende der Zeiten erwarteten Reich Gottes und der Königsherrschaft Christi den Weg zu bereiten. Sowohl die Lehre der Prediger als auch das sittliche Leben der Bürger sollte daher einer konsequenten Kontrolle unterliegen. Diese Vorstellung und mehr noch ihre Durchführung erwiesen sich jedoch als Quellen ständiger Konflikte. Denn da das in der Kirchenordnung niedergelegte Kirchenverfassungsmodell vorsah, dass die christliche Gemeinde und eine sich als christlich verstehende Obrigkeit als getrennte Institutionen im Sinne des gemeinsamen Ziels der Beförderung des Reiches Gottes zusammenwirkten,25 war die Zuständigkeit bei der Ausübung der Sitten- bzw. Kirchenzucht permanent ein Gegenstand der Kontroverse. So machte z.B. der Rat dem Konsistorium die Kompetenz, Bürger vom Abendmahl auszuschließen, immer wieder streitig. Solch ein Fall ereignete sich im September 1553, als der Genfer Bürger Philibert Berthelier den Rat um Aufhebung 25

Anders in Zürich, wo der Rat die Sittenzucht gewährleistete; vgl. o. S. 103f.

III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564)

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der Exkommunikation bat, die das Konsistorium ein Jahr zuvor über ihn verhängt hatte. Der Rat kam der Bitte nach, aber Calvin verwahrte sich gegen diese Kompetenzüberschreitung seitens des Rats. Er drohte in einer Predigt, die Stadt erneut zu verlassen, und konnte sich durchsetzen. Berthelier blieb exkommuniziert. In den „Libertinern“, einer Gruppe, die sich um den wohlhabenden Genfer Bürger Ami Perrin scharte und gegen die strenge Sittenzucht auftrat, hatte Calvin dauerhafte Gegner. Erst nachdem bei den Wahlen 1554 und 1555 die Anhänger Calvins im Rat die Mehrheit errungen hatten, konnte das Konsistorium größere Selbstständigkeit gewinnen.26 2. Konsolidierung der Lehre – Theologische Kontroversen Parallel zu Calvins Bemühungen um eine Verchristlichung der Stadt durch eine stringente Kirchenzucht verlief sein Einsatz für wahre Lehre und reine Verkündigung. Dem diente die von Calvin begründete „Conférence de l’Écriture“, die einmal in der Woche zusammentrat. Hier trafen sich die Genfer Pfarrer und jene der Umgebung, um, ähnlich wie in Zwinglis Prophezei,27 reihum einen Abschnitt der Heiligen Schrift auszulegen und gemeinsam zu diskutieren. Die Teilnahme an dieser „Congrégation“ war verpflichtend. Aber nicht nur Bibellektüre und Auslegung, sondern auch Auseinandersetzungen mit anderen Meinungen trugen dazu bei, dass die von Calvin geprägte reformierte Theologie Konturen gewann. So verwehrte man z.B. Sebastian Castellio (1515–1563), der zunächst Rektor der Lateinschule war, den Zugang zum 26 Vgl. Nijenhuis, Johannes Calvin, 572–574; van’t Spijker, Calvin, 169–175. 27 Vgl. o. S. 103.

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Pfarramt, da sich bei einer Prüfung seiner Lehre ergab, dass seine Kanonizitätsvorstellungen und das Verständnis der Höllenfahrt Christi von der reformatorischen Lehre abwichen.28 Sein sittlich tadelloses Leben aber erkannte Calvin durchaus an, ebenso wie die Tatsache, dass diese theologischen Divergenzen in keiner Weise die zentralen Lehren des christlichen Glaubens in Frage stellten.29 Gewichtiger war die Kontroverse mit dem ursprünglich aus Frankreich stammenden Arzt Hieronymus Bolsec (gest. ca. 1584), die sich an Calvins Prädestinationslehre entzündete. Der Reformator lehrte nämlich in seiner Institutio, dass Gott nach seinem unveränderlichen Ratschluss Menschen zum Heil erwähle und – im Umkehrschluss – andere der ewigen Verdammnis überlasse. An der Erwählung erweise sich – so Calvin – die Gnade und Barmherzigkeit Gottes, an der Verwerfung seine Gerechtigkeit.30 Einen freien Willen zum Guten, mit dem der Mensch die Gnade erringen könnte, lehnte Calvin ab. Darüber hatte es bereits kurz nach dem Erscheinen der Institutio von 1539 eine Auseinandersetzung mit dem altgläubigen Theologen Albertus Pighius (ca. 1490– 1542) gegeben. Pighius hatte Calvin vorgeworfen, mit seiner Lehre Gott zum Ursprung des Bösen zu machen. Aber die Kontroverse ebbte schnell ab. Größere Wirkung hatte der Streit mit Bolsec im Jahre 1551, der seine ähnlich lautende Kritik – Calvin mache Gott mit seiner Prädestinationslehre zum Urheber der Sünde – bei einer Zusammenkunft der Congrégation öffentlich äußerte. Calvin trat unter Rückgriff auf die 28

Castellio sprach dem Hohenlied die Kanonizität ab und verwarf Calvins Interpretation der Höllenfahrt als Ausdruck des Leidens Christi und seiner Gottverlassenheit; vgl. van’t Spijker, Calvin, 167f. 29 Vgl. Nijenhuis, Johannes Calvin, 574. 30 Zur stufenweisen Entwicklung der Prädestinationslehre vgl. Neuser, Prädestination, 307–317.

III. Calvins Rückkehr nach Genf und weiteres Wirken (1541–1564)

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Heilige Schrift und den Kirchenvater Augustin dezidiert für die Verteidigung seiner Lehre ein und warf Bolsec vor, die Heilsordnung zu verkehren und den Glauben in der Verfügungsgewalt des Menschen anzusiedeln. Die Auseinandersetzung verlief so provokativ, dass Bolsec nicht nur aus Sorge um die reine Lehre, sondern auch um Unruhe in der Stadt zu vermeiden, vom Rat festgenommen wurde. Nach Einholung von Gutachten wurde er schließlich ausgewiesen. Bolsec nutzte sein Exil in Bern, um weiter gegen Calvin zu polemisieren, bis man ihn auch dort auswies. Schließlich kehrte er nach Frankreich und auch zum alten Glauben zurück.31 Noch mehr ins Zentrum der Lehre Calvins – und des christlichen Glaubens überhaupt – traf die Kontroverse mit dem spanischen Arzt Michael Servet. Dieser hatte bereits im Jahre 1531 in seiner Schrift „De Trinitatis erroribus“ die Trinitätslehre in Frage gestellt. Eine für 1534 geplante Begegnung mit Calvin in Paris und eine Aussprache über die Gegensätze kam nicht zustande. Servet siedelte sich in Lyon und Vienne an, wo er als Leibarzt des Erzbischofs Pierre Palmier wirkte. In seinem Briefwechsel mit Calvin spiegelt sich die allmähliche Verschärfung des Gegensatzes, den Servet auch öffentlich machte. So brachte er dreißig, seit 1546 an Calvin gerichtete Briefe in seiner Schrift „Restitutio Christianismi“ von 1553 heraus, aus denen hervorgeht, dass er die Trinität als Monstrum mit drei Köpfen bezeichnete. Dieses Werk, in dem er nicht nur die Trinitätslehre, sondern auch das „Christentum als Erlösungsreligion“ ablehnte, ist der reifste Ausdruck seines Denkens.32 Als man Servet von Genf aus bei der Inquisition als Ketzer denunzier31 32

Vgl. van’t Spijker, Calvin, 175f; Cottret, Calvin, 251–257. Friedman, Michael Servet, 175; 174f eine knappe Zusammenfassung des Inhalts der Schrift.

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Die Reformation in Genf

te, wurde er in Vienne verhaftet, verhört und am 17. Juni 1553 zum Tode verurteilt. Aber Servet gelang die Flucht aus dem Gefängnis. Auf dem Weg nach Italien zog er über Genf und wurde hier gefasst. Servets weiteres Schicksal war bestimmt durch die Verschränkung sowohl theologischer als auch rechtlicher und gesellschaftspolitischer Komponenten. Denn auf all diesen Ebenen hatte er sich verdächtig gemacht. Er konspirierte mit den „Libertinern“, die sich um Ami Perrin sammelten und, wie im Fall Berthelier, gegen Calvin agierten. Das verhärtete die Fronten und beschnitt die Entscheidungsspielräume. Man machte Servet den Prozess und verurteilte ihn nach geltendem Recht zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Mit seiner hartnäckigen Leugnung der Trinitätslehre hatte Servet nicht nur gegen das kanonische, sondern auch gegen das weltliche, römische Recht verstoßen. Zwar versuchte Calvin noch vergeblich, eine gegenüber der Verbrennung mildere Form der Hinrichtung mit dem Schwert zu erreichen, aber das Todesurteil als solches und seine legitime Verhängung blieben unwidersprochen und wurden auch von Calvin gebilligt. Am 28. Oktober 1553 wurde Servet in Genf verbrannt. Im Jahr darauf legte Calvin in seiner „Defensio orthodoxae fidei“ (1554) Rechenschaft über seine Lehre ab.33 Etwa gleichzeitig brachte Sebastian Castellio eine Sammlung von Aussagen Luthers, Johannes Brenz‘, Erasmus‘, Sebastian Francks und der Kirchenväter gegen die Hinrichtung von Ketzern heraus: „De haereticis an sint persequendi“. In seinem Vorwort trat er dafür ein, dem nur von Gott zu fällenden Urteil über falsche Lehre nicht vorzugreifen.34

33 34

Vgl. van’t Spijker, Calvin, 178–182. Vgl. Guggisberg (Hg.), Religiöse Toleranz, 86–102.

IV. Der Consensus Tigurinus und der Bruch

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IV. Der Consensus Tigurinus und der Bruch mit dem entstehenden Luthertum Bereits in der ersten Ausgabe seiner Institutio religionis Christianae von 1536 war deutlich geworden, dass sich Calvins Abendmahlslehre von derjenigen Luthers unterschied. So hatte er sich z.B. gegen die Identifizierung von Brot und Wein mit Leib und Blut Christi ausgesprochen und die reale Gegenwart der Menschheit Christi im Abendmahl abgelehnt. Dennoch war Calvin in den Augen der Lutheranhänger damals noch kein theologischer Gegner, von dem es sich abzugrenzen galt, zumal er an der Abendmahlslehre der Zürcher Kritik übte und sich gelegentlich sogar in bemerkenswerter Schärfe über Zwingli äußerte. Die zunächst positive Haltung der Wittenberger Theologen Calvin gegenüber resultierte auch daraus, dass er während seines Aufenthalts in Straßburg von 1538– 1541 an den dortigen Abendmahlsfeiern teilgenommen und sich auf die Wittenberger Konkordie von 1536 verpflichtet hatte. Luther selbst wertete deshalb Calvin als Gesinnungsgenossen Bucers. Melanchthon hatte Calvin im Jahre 1539 in Frankfurt persönlich kennen gelernt. Beide hatten sich anlässlich des Religionsgesprächs in Worms und Regensburg 1540/1541 wieder getroffen und waren fortan in Verbindung geblieben. Calvin gehörte zu den Unterzeichnern der Confessio Augustana variata.35 Luther nahm die Lehrdifferenzen durchaus wahr, hoffte aber, dass Calvin eines Tages auf die Linie der Wittenberger Reformation einschwenken würde. Selbst die streng lutherisch gesinnten Theologen Johannes Brenz und Jacob Andreae (1528–1590) standen mit Calvin in Briefwechsel, ohne dass sich die Differenz in der Abendmahlslehre damals negativ ausgewirkt hätte. Zugleich aber 35

Vgl. dazu o. S. 260 mit Anm. 13.

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Die Reformation in Genf

bestand auch eine Verbindungslinie zwischen Calvin und den Schweizern. Zwar nahmen diese gelegentlich Anstoß daran, dass Calvin seine Verehrung für Luther zum Ausdruck brachte und zu Bucer in freundschaftlicher Verbindung stand, aber Heinrich Bullinger, der Nachfolger Zwinglis in Zürich, hob deutlich hervor, dass er mit Calvin in der Lehre ganz übereinstimme. Trotz dieser Diskrepanzen blieb vorerst sowohl für die Wittenberger als auch für die Zürcher Seite das Verhältnis zu Calvin unproblematisch.36 Aber Calvins Sakramenten- und Abendmahlslehre hatte in den verschiedenen Kontexten seines Wirkens Entwicklungsstufen durchlaufen.37 Er verstand die Sakramente als Heilsmittel, durch die Gott seine Gnade mitteilt. Zunächst hatte er – ähnlich Luther – noch mit Nachdruck vertreten, dass ein schwacher Glaube durch das Sakrament Stärkung erfahren könne. Diesen Gedanken aber verfolgte er später nicht mehr. Das von Calvin – ähnlich Zwingli – räumlich verstandene Sitzen Christi zur Rechten Gottes schloss aber für ihn nicht aus, dass Christus kraft seines Geistes dem Glaubenden präsent sein könne. Dementsprechend wurden das Zeichen und die Zeichenhandlung (Brotbrechen und Austeilung von Brot und Wein) im Abendmahl von Calvin als Unterpfand für das verstanden, was das Sakrament den Gläubigen vermittelte: Gnade und Vergebung der Sünden. Diese von Zwinglis Vorstellungen deutlich verschiedene Abendmahlslehre erfuhr im Austausch mit Bullinger Modifikationen, so dass ein Konsens zwischen Zürich und Genf in greifbare Nähe rückte. Man erstellte zunächst in Genf 20 Artikel, die zur Grundlage für jene 26 Artikel wurden, über die man sich dann in Zürich (lat. Tiguri) einigte. Vom Ort der Beratungen her nannte man das Eini36 37

Vgl. Bizer, Geschichte des Abendmahlsstreits, 244–247. Vgl. dazu Campi, Consensus Tigurinus, 9–19.

IV. Der Consensus Tigurinus und der Bruch

271

gungsdokument „Consensus Tigurinus“ (1549).38 Federführend gewesen war Heinrich Bullinger. Gedruckt erschien die Formel erst im Jahre 1551.39 Der Consensus Tigurinus veränderte die Wahrnehmung der in Genf gelehrten Theologie entscheidend. Denn die Formel enthielt Aussagen, die Calvins Abendmahlslehre derjenigen Zwinglis, Bullingers und der Zürcher anpassten. Zugleich grenzte sie sich sowohl von der Transsubstantiationslehre der römischen Kirche und der dort praktizierten Anbetung der gewandelten Elemente ab, als auch von der Abendmahlslehre Luthers und der Wittenberger, die an der realen Gegenwart von Leib und Blut, d.h. der Gegenwart der Menschheit Christi, unter den Elementen festhielten und dies mit dem literalen Verständnis der Einsetzungsworte begründeten. Auch wenn auf Drängen Calvins später noch ein Artikel hinzugefügt wurde (Art. XXIII), mit dem er den Consensus Tigurinus für sein typisches Abendmahlsverständnis offenhalten wollte, nämlich die reale Vermittlung eines geistlichen Heilsgutes mittels des als Unterpfand und Siegel verstandenen sakramentalen Vollzugs, bildete der Consensus Tigurinus doch fortan den Interpretationsrahmen für die Theologie Calvins ab.40 Das Bekanntwerden des Consensus Tigurinus machte daher mit einem Schlage deutlich, dass es zwischen dem Abendmahlsverständnis Calvins und demjenigen Luthers keine Brücke mehr gab. Seit der Einigung der Genfer mit den Zürchern schauten die Anhänger Lu38

Vgl. Campi/Reich (Hg.) Consensus Tigurinus, 149–158; Bizer, Geschichte des Abendmahlsstreits, 271–273. 39 Die Entstehungszusammenhänge werden entfaltet von Campi in: Campi/Reich (Hg.), Consensus Tigurinus, 9–41. 40 Vgl. dazu Neuser, Dogma und Bekenntnis, 272–274; zum „theologischen Ertrag“ vgl. Campi in: Campi/Reich (Hg.), Consensus Tigurinus, 30–34.

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thers auf Calvin und seine Lehre durch die „zwinglische Brille“. Der sog. Zweite Abendmahlsstreit zwischen Joachim Westphal, einem ehemaligen Schüler Luthers und Melanchthons, Pfarrer an St. Katharinen in Hamburg, und Calvin machte dies deutlich. Er brachte Differenzen zur Sprache, die man bis dahin kaum in voller Tragweite wahrgenommen hatte, und trug daher entscheidend dazu bei, dass sich das entstehende Luthertum und der sich ebenfalls konsolidierende Calvinismus theologisch voneinander abgrenzten. Die scharfen Reaktionen auf beiden Seiten waren getragen von der Sorge, dass man das rechte, reformatorische Verständnis der Heiligen Schrift in einem der zentralsten Punkte des christlichen Glaubens, nämlich in der Abendmahlslehre, einbüßen könnte, wenn man den auf Seiten der jeweiligen Gegner wahrgenommenen Fehlentwicklungen nicht gegensteuern und die eigene Position nicht dezidiert verteidigen würde. Aus dem theologischen Zwiespalt resultierte ein tiefes Misstrauen gegenüber der sich jeweils entgegengesetzt entwickelnden Konfession.

V. Wirkungen auf Lehre und Leben der Reformierten Calvin und seine Theologie wirkten weit über die Grenzen Genfs hinaus. Dazu trugen seine weitreichenden europäischen Kontakte bei, aber auch die Tatsache, dass in der Stadt eine internationale Bevölkerung lebte. Lange war Genf ein regelrechtes Auffanglager für verfolgte Glaubensflüchtlinge, die überwiegend aus Frankreich, aber auch aus Italien und anderen Ländern kamen. Neben der französischsprachigen gab es italienisch-, spanisch- und englischsprachige Gemeinden.41 Hinzu kamen die internationalen 41

Die Zahlenangaben nach Selderhuis, Johannes Calvin, 771.

V. Wirkungen auf Lehre und Leben der Reformierten

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Studenten und die sich in Genf aufhaltenden Reisenden. Sie alle kamen zwangsläufig in der einen oder anderen Weise mit Calvin in Berührung, zumal er regelmäßig predigte, zahlreiche Schriften herausbrachte und einen beachtlichen Schülerkreis um sich sammelte. Genf galt als „protestantisches Rom“. Dazu trug u.a. die 1559 von Calvin gegründete Académie bei, die sich aus einer früheren Ausbildungsstätte ohne akademischen Status heraus entwickelt hatte. Sie wurde zu einem europäischen Anziehungspunkt und entscheidenden Multiplikator für die Theologie des Reformators. Von überall her strömten junge Leute an die renommierte Hohe Schule. Die reformierte Pfarrerschaft Frankreichs, wo der Protestantismus unter Verfolgung litt, hatte ihre Ausbildung überwiegend an der Genfer Académie genossen. Nach Calvins Tod wurde sie von dem französischen Glaubensflüchtling Theodor Beza weitergeführt.42 Bis in die beginnende Aufklärungszeit hinein war sie das Zentrum bedeutender Gelehrsamkeit. Es waren aber vor allem die Schriften Calvins, die eine weitreichende Wirkung auf Lehre und Leben der reformierten Kirche ausübten, darunter besonders die „Institutio Christianae religionis“43 und die „Ordonnances ecclésiastiques“ von 1541 bzw. 1561,44 außerdem seine exegetischen Werke. Mit der Institutio schuf Calvin eine Dogmatik von europäischem Rang, die bis heute als das maßgebliche Dokument für all jene Kirchen gilt, die sich in der Nachfolge des Genfer Reformators sehen. Schon in Straßburg hatte er an der Institutio gearbeitet und ihre erste Fassung in Basel im Jahre 1536 vollendet. Zunächst hatte er die 42

Vgl. dazu Heppe, Theodor Beza, 231–234, sowie zu Leben und Wirken Bezas insgesamt Geisendorf, Théodore de Bèze, 21967. 43 Vgl. Calvin, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis, hg. v. Matthias Freudenberg, 32012. 44 Vgl. o. S. 262 Anm. 19.

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Die Reformation in Genf

Institutio, die eine „summa pietatis“ bieten sollte, als Katechismus konzipiert. Daher war sie in der ersten Ausgabe noch nach der traditionellen Abfolge der fünf Hauptstücke gegliedert: beginnend mit dem in den Zehn Geboten enthaltenen göttlichen Gesetz (I), darauf folgend der Glaube mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis (II), sodann das Vaterunser (III) und schließlich die Sakramente Taufe und Abendmahl (IV und V). Hinzu kamen zwei Kapitel über die fünf „falsa sacramenta“ der altgläubigen Kirche und über die christliche Freiheit.45 Der katechetischen Bestimmung der Institutio aber traten – situationsgebunden – apologetische Ziele zur Seite. Sie sollte auch dazu dienen, die reformatorisch Gesinnten in Frankreich, die als Häretiker verfolgt wurden, gegenüber dem französischen König zu rechtfertigen. Dies geht aus der Vorrede an König Franz I. hervor, die Calvin seiner Institutio voranstellte.46 Eine zweite Auflage der Institutio erschien während Calvins zweitem Aufenthalt in Straßburg (1538–41). Diese erweiterte Neubearbeitung ließ den ursprünglich katechetischen Ansatz in den Hintergrund treten, so dass sie nun nicht mehr den Charakter eines breit ausgeführten Katechismus trug, sondern denjenigen einer in sich konsistenten Dogmatik. Der vorangestellten Einleitung gemäß sollte sie Studenten der Theologie mit der biblischen „doctrina“ vertraut machen. Dieser zweiten Ausgabe folgte 1541 eine französische Übersetzung, die Calvin selbst erstellt hatte.47 Der Reformator überarbeitete die Institutio kontinuierlich, so dass sie in verschiedenen

45

Zu Entstehung und Inhalt der Institutio vgl. Wendel, Calvin. Ursprung und Entwicklung, 91–315. 46 Vgl. die lat. Vorrede der Institutio (1536) in: Joannis Calvini Opera Selecta III, 9–30. 47 Ediert von Millet, Calvin, Institution de la Religion Chrétienne (1541), 2008.

V. Wirkungen auf Lehre und Leben der Reformierten

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Fassungen erhalten ist.48 Zu Recht gilt sie als die Zusammenfassung der Theologie Calvins schlechthin. Hier formulierte er auch die für ihn typische Abendmahlslehre, an der sich Luthertum und Calvinismus trennten. Für die konfessionelle Konsolidierung wurde die Abendmahlslehre wichtiger als die Prädestinationslehre Calvins, die zunächst kaum und erst gegen Ende der achtziger Jahre des 16. Jahrhunderts zu einem relevanten Diskussionsgegenstand zwischen den sich bildenden Konfessionen wurde.49 Calvins Definition des Abendmahls als ein der Heilsvergewisserung dienendes „Unterpfand“ der Gotteskindschaft50 findet sich auch in der „Confession de Foi“ der französischen Protestanten, die 1559 auf deren erster Nationalsynode in Paris erstellt wurde.51 Selbst der federführend auf Zacharias Ursinus (1534–1583) zurückgehende Heidelberger Katechismus von 1563 verstand die Sakramente – ganz ähnlich – als „Wahrzeichen und Siegel“, die dazu eingesetzt seien, die göttliche Verheißung des Evangeliums dem Menschen verständlich zu machen und zu garantieren.52 Das in Analogie zu dem am Kreuz gebrochenen Leib Christi im Abendmahl praktizierte Brotbrechen wurde als vergewissernde Zeichenhandlung gepflegt und entwickelte sich ebenfalls später zu einem konfessionellen Unterscheidungsmerkmal. Neben der Institutio, die Calvins Lehre in theologisch geschlossener Weise bot, aber auch Abgrenzungen zu lutherischen und altgläubigen Positionen vor48

Vgl. die bibliographischen Nachweise der Ausgaben in Joannis Calvini Opera Selecta III, VI–XLVIII. 49 Vgl. – auch für das Folgende – Dingel, Schwerpunkte calvinistischer Lehrbildung, 90–96. 50 Vgl. Institutio IV, 17,1–5. 51 Vgl. Art. 34 der Confession de Foi, in: Evangelische Bekenntnisse II, 192. 52 Vgl. Frage 66 des Heidelberger Katechismus, in: Evangelische Bekenntnisse II, 156f.

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nahm, übte die Genfer Kirchenordnung, die „Ordonnances ecclésiastiques“, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus. Sie entfaltete das calvinische Kirchenordnungsmodell in geradezu exemplarischer Weise und wurde von zahlreichen reformierten Gemeinden aufgegriffen und an ihre jeweiligen Lebensbedingungen angepasst. Die erweiterte Fassung der Kirchenordnung von 1561 behielt die charakteristischen Grundelemente, die schon in der ersten Fassung von 1541 vorhanden waren, bei. Den Kern der Kirchenordnung bildeten die vier Ämter – Pastoren, Doktoren, Älteste, Diakone53 – und die mit dieser Ämterstruktur verbundene Organisation des Lebens der Gemeinde in Lehre, Verkündigung und Seelsorge, Kirchenzucht und Armenpflege. Nicht alle im Gefolge der „Ordonnances ecclésiastiques“ erstellten reformierten Kirchenordnungen sahen vier Ämter vor. Manche begnügten sich mit dreien und verzichten auf dasjenige der Doktoren.54 Von großer Wirkung waren darüber hinaus Calvins exegetische Vorlesungen und Kommentare zu Büchern des Alten und Neuen Testaments. An ihnen wird die Schriftbezogenheit deutlich, die für Calvin in all seinem Wirken leitend war. Seine Auslegungen waren sowohl für eine breite Hörerschaft bestimmt als auch für die Rezeption durch Pastoren und Doktoren. Seine zahlreichen Predigten wurden von 1549 bis 1560 von dem in Genf lebenden französischen Glaubensflüchtling Denis Raguenier mitgeschrieben, so dass sie anschließend gedruckt weite Verbreitung fanden.55

53 54

Vgl. dazu o. S. 262f. So z.B. die Kirchenordnung der französischen Protestanten, vgl. Discipline ecclésiastique (1559), in: Evangelische Bekenntnisse II, 197–205. 55 Moehn, Predigten, in: Calvin Handbuch, 174f.

V. Wirkungen auf Lehre und Leben der Reformierten

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Die Lehre Calvins und die von ihm geschaffenen kirchenorganisatorischen Strukturelemente wirkten langfristig konfessionell identitätsbildend, so dass sich der Calvinismus – ebenso wie das Luthertum und der Katholizismus – als Konfessionskirche etablierte. Aber anders als das Luthertum und der Katholizismus orientierte sich der Calvinismus nicht an einem einzigen grundlegenden Bekenntnis – die Confessio Augustana für das Luthertum; die Professio Fidei Tridentina, zusätzlich die Dekrete des Konzils von Trient für den Katholizismus –, sondern an einer Vielzahl territorial oder „national“ eingebundener „Confessiones“. Auch das Leben der Kirche unterschied die von der Genfer Reformation beeinflussten reformierten Kirchen von anderen. Dies betraf die Praxis der Kirchenzucht ebenso wie rituelle Vollzüge. Althergebrachte, teils noch aus dem Mittelalter stammende Zeremonien ersetzte der Calvinismus durch neue Formen. Man wollte die von Luther und den Wittenbergern in die Wege geleitete Reformation konsequent zu Ende zu führen und sich auch in der rituellen Praxis allein auf die Heilige Schrift gründen. Unter Bezug auf das im Calvinismus als zweites Gebot gewertete Bilderverbot des Alten Testaments entfernte man Bilder und Kruzifixe aus den Kirchen. In Kerzen, Altären und goldenen Abendmahlsgefäßen sah man Reste einer überkommenen und vom eigentlichen Gehalt der biblischen Botschaft ablenkenden Frömmigkeit. Auch sie wurden abgeschafft bzw. durch einfaches Gerät ersetzt. In der Abendmahlspraxis verwendete man ungesäuertes Brot statt der herkömmlichen Oblaten und praktizierte das Brotbrechen. In der Taufliturgie verzichtete man auf den seit der Zeit der Alten Kirche gesprochenen Exorzismus bzw. die Absage an den

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Die Reformation in Genf

Teufel.56 Denn Calvins Verständnis der Taufe als Siegel und Bundeszeichen und seine Opposition gegen alle als magisch eingestuften Riten der altgläubigen Kirche konnte diese zeremoniellen Bestandteile nicht mehr dulden. Auch der Instrumentalmusik im Gottesdienst gegenüber übte man Zurückhaltung. Um so wichtiger wurde der Gemeindegesang, für den der Genfer Psalter charakteristisch war.57 Die hier enthaltenen Psalmen hatten überwiegend der französische Dichter Clément Marot und der Nachfolger Calvins, Theodor Beza, ins Französische übersetzt und mit Reimen versehen. Sie führten den internationalen Calvinismus in einer singenden Gemeinschaft zusammen.

56

Es handelte sich dabei um die Formel „Fahre aus, du unreiner Geist, und gib Raum dem Heiligen Geist“, wie sie gemäß Luthers Taufbüchlein in lutherischen Liturgien gesprochen wurde, vgl. BSELK, 907,22f. 57 Vgl. Grunewald u.a. (Hg.), Genfer Psalter, 2004; Jürgens, Genfer Psalter (EGO) URL: www.ieg-ego.eu/juergensh-2010-de; URN: urn:nbn:de:0159-20100921251 [20.8.2017].

Reformatorische Transformationen

Die Reformation hat nachhaltig gewirkt. Sie hat tiefgreifende Veränderungen in Gang gesetzt, die in Kirche und Frömmigkeit, Politik und Recht, Gesellschaft und Kultur bis heute wahrnehmbare Spuren hinterlassen haben. Insofern wird sie zu Recht der Neuzeit zugerechnet, auch wenn die Reformatoren noch an dem alten geozentrischen Weltbild ebenso festhielten wie an dem bereits im Mittelalter vorhandenen Ordnungsmodell von „politia“, „ecclesia“ und „oikonomia“, demgemäß sich menschliches Leben in den Verantwortungsbereichen von Politik, Kirche und Haus bzw. Familie abspielte. In einen oder gegebenenfalls in mehrere dieser Verantwortungsbereiche sah sich jeder Mensch in der einen oder anderen Weise eingebunden. Auch die Vorstellung, dass sich weltliches Leben stets unter einer von Gott eingesetzten Obrigkeit vollziehe, stürzte die Reformation nicht um. Dennoch änderte sich Entscheidendes. Der Nürnberger Reformator Andreas Osiander brachte die neuen Überlegungen von Nikolaus Kopernikus (1473–1543) zu einem heliozentrischen Weltbild, mit einem Kommentar versehen, gedruckt an die Öffentlichkeit und verbreitete sie, auch wenn er sich selbst noch nicht dazu bekannte und sie als bloßes Rechenexempel deklarierte. Auch die Drei-Stände-Ordnung (ecclesia, politia, oikonomia) erfuhr eine reformatorische Neuausrichtung, die sich an Luthers spezifischem Verständnis von „Beruf“ orientierte, das die Verantwortung für die einem jeden anvertrauten Menschen und für die ihm bzw. ihr übertragenen Aufgaben in den Vordergrund stellte. Obwohl die Reformation die herr-

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Reformatorische Transformationen

schenden obrigkeitlichen Strukturen als göttliche Lebensordnung akzeptierten und respektierten, entwickelte sie eine produktive Kritikfähigkeit, die dazu führte, dass man – wenn nötig – nicht nur in Predigten und Schriften heftige Obrigkeitskritik übte, sondern auch ein Notwehr- und Widerstandsrecht entwickelte. Erste Spuren davon zeigten sich bereits in der von Wittenberg ausgehenden Reformation in den 1520er Jahren, sodann im werdenden Luthertum in der Zeit des Augsburger Interims von 1548.1 Diese Überlegungen zu einem Notwehr- und Widerstandsrecht bis hin zum Tyrannenmord wurden im Reformiertentum Frankreichs und der Schweiz aufgegriffen und schließlich um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert auch im Katholizismus, vor allem in Frankreich, gepflegt.2 All diese Entwicklungen hingen damit zusammen, dass die Reformation trotz der Akzeptanz, die sie den grundlegenden Lebens- und Gesellschaftsstrukturen entgegenbrachte, die Frage nach den Orientierung gebenden Autoritäten neu beantwortete und die Heilige Schrift, d.h. das Wort Gottes, als oberste Instanz in den Mittelpunkt stellte. Bereits der Humanismus hatte mit seinem Ruf „zurück zu den Quellen“ der reformatorischen Abwendung von dem traditionellen, im Mittelalter gepflegten Umgang mit der Heiligen Schrift und ihrer Absage an den päpstlichen Auslegungsprimat den Weg bereitet. Man griff nun auf die Quelle selbst zurück. Für alle Reformatoren wurde die Bibel, die man demzufolge auch in die Volkssprache übertrug, zur Orientierung gebenden Autorität schlechthin. Den bisherigen Übersetzungen Wort für Wort 1

Vgl. Menius, Von der Notwehr, 1547, o. S. 243 mit Anm. 28; außerdem das Magdeburger Bekenntnis, 1550, in: Controversia et Confessio 2, 442–629. 2 Vgl. Wolgast, Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts, 1980.

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stellte Luther Überlegungen zu einer an Verständnis und Inhalt orientierten Übersetzungstechnik entgegen. Dies ging einher mit der Entwicklung einer neuen Schrifthermeneutik und -auslegung, die allerdings erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit den grundlegenden und konfessionsübergreifend rezipierten Werken des Matthias Flacius Illyricus (Clavis Scripturae sacrae, 1567, und Glossa Compendiaria, 1570) zu einem ersten Abschluss kam. Gestützt auf die mit humanistischen Methoden neu erschlossene Heilige Schrift (sola scriptura) unternahm die Reformation eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, das dadurch eine hohe Unmittelbarkeit und individuelle Ausrichtung erhielt, dass die Reformatoren das Gnadenhandeln Gottes in Christus (solus Christus) betonten und die Berufung des Menschen auf eigene gute Werke oder die überschüssigen Verdienste der Heiligen zurückwiesen. Die Rechtfertigung des Einzelnen „sola gratia“ und „sola fide“ war die Grundlage dieses Gottesverhältnisses, aus dem sich zugleich ein Menschenbild ergab, das die Grundlagen dafür legte, den Einzelnen unabhängig von Leistung, Stand und Geschlecht wahrnehmen zu können. Die „Freiheit des Christenmenschen“, die Luther und auch seine Mit-Reformatoren in der individuellen Gottesbeziehung verbürgt sahen und die den Einzelnen zugleich in die verantwortliche Weltgestaltung hineinstellte, wurde zu einem Hauptthema der Reformation. Damit zugleich vollzog sich die Überwindung bzw. Abschaffung von überkommenen Strukturen und Vorstellungen. Im Bereich der Kirche bedeutete dies, dass man die Amtshierarchie und ihren Autoritätsanspruch durch die Autorität der Heiligen Schrift ersetzte. Nicht das Papsttum, sondern die Heilige Schrift galt fortan als normsetzende Instanz bzw. als oberste Norm. Daraus ergab sich, dass schriftgemäße Verkün-

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digung und einsetzungsgemäße Verwaltung der Sakramente, deren Zahl man unter Rekurs auf das Zeugnis der Bibel von sieben auf zwei reduzierte (Taufe und Abendmahl), im evangelischen Bereich zum konstitutiven Merkmal der Kirche wurden.3 Abgeschafft wurde zudem die hierarchische Trennung von Geistlichen und Laien, was mit einer Aufwertung des weltlichen Lebens in Beruf, Ehe und Familie einherging. Ein zölibatäres Leben in Armut und Gehorsam im Kloster konnte nach reformatorischer Ansicht keine größere Gottesnähe hervorbringen als ein weltliches Leben in jenen Aufgaben- und Verantwortungsbereichen, in die der Mensch gemäß der biblisch bezeugten Schöpfungsordnung von Gott hineingestellt worden war. Vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen und politischen Strukturen hatte dies einen durchaus emanzipatorischen Effekt, der auch den Frauen neue Spielräume eröffnete, auch wenn die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft im Zusammenspiel mit den damaligen rechtlichen Grundlagen und wirtschaftlichen Erfordernissen bestehen blieben. Vor allem aber propagierte die Reformation den Gedanken des „Allgemeinen Priestertums der Gläubigen/Getauften“, in dem prägnant der Gedanke des individuellen Gottesverhältnisses des Einzelnen zum Ausdruck kam. Er besagt, dass grundsätzlich jeder Christ, gleich welchen Standes und Geschlechts, aufgrund des im Glauben gründenden Gottesverhältnisses ermächtigt ist, priesterlich zu handeln. Wenn es dennoch in den im 16. Jahrhundert entstehenden evangelischen Gemeinden ein mit bestimmten Funktionen versehenes, kirchliches Amt gab, dann deshalb, weil man, um der öffentlichen Ordnung willen, einen geeigneten Christen mit der Ausübung dieses Amts betraute und ihm eine Vollmacht übertrug, die – nach reformatorischem Denken – im Prinzip allen Gläubi3

Vgl. Confessio Augustana VII, in: BSELK, 102,6–17 und 103,5–11.

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gen gemeinsam zukommt. Zugleich wurden in der Frömmigkeit magische Verständnishorizonte in Frage gestellt und zurückgedrängt. In der religiösen Praxis vollzog sich ein Wechsel vom andächtigen Schauen auf das verstehende Hören und intellektuelle Aneignen der Predigt sowie der Inhalte von liturgischen und rituellen Vollzügen. All dies hatte Rückwirkungen auf das Leben in der Gesellschaft, das sich in hohem Maße veränderte. Die Familie wurde – vor allem im späteren Luthertum – zu einer Gemeinde Gottes „en miniature“, in der Hausvater und Hausmutter mittels des Kleinen Katechismus für die Unterweisung von Kindern und Gesinde sorgten und das interne Zusammenleben regelten. Aber auch jenseits familiärer Strukturen spielten Bildung und Unterweisung für die Reformation eine große Rolle. Denn die Neuentdeckung des Evangeliums von der gnädigen Zuwendung Gottes, die damit in Zusammenhang stehende Einebnung von geistlichem und weltlichem Stand und der Gedanke des Priestertums aller Gläubigen gingen Hand in Hand mit der Neuentdeckung der Bildung. Denn der Zugang zur Heiligen Schrift, die Lektüre des Wortes Gottes und dessen philologisch und hermeneutisch angemessene Auslegung konnten nun nicht länger nur bestimmten Amtsträgern vorbehalten bleiben. Jeder sollte Zugang zur Bibel haben sowie die Möglichkeit, in ihr zu forschen, zumal der Einzelne in seinem Gottesverhältnis auf eine Heilsvermittlung durch Dritte, wie z.B. durch die Heiligen oder die Mutter Gottes, nicht mehr angewiesen war. Das bedeutete aber, dass ein jeder in den Stand versetzt werden musste, sich die Heilige Schrift lesend und verstehend anzueignen. Bildung musste also jedem und jeder zugänglich sein. Dies war zwar nichts prinzipiell Neues, denn auch schon in vorreformatorischer Zeit galten Bildung und Erziehung als ein erstrebenswertes Gut und hatten

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eine lange mittelalterliche Tradition. Aber die Reformation füllte die alten Strukturen mit neuen Inhalten und sorgte dafür, dass Bildung nicht mehr nur wenigen, vornehmlich den Geistlichen, vorbehalten blieb, sondern allgemein erreichbar war. Das Schulwesen wurde neu geordnet. Neue Schulen für Jungen und Mädchen wurden gegründet. Auch die Universitäten wurden – sofern sie sich der Reformation anschlossen – einer von Melanchthon schon bei seiner Antrittsrede in Wittenberg 1518 angestoßenen Bildungsreform unterzogen. Die Bindung von Unterricht und Gradverleihung an päpstliche Autorisierungen wurde gelöst, der Fächerkanon erweitert und die Lehrinhalte verändert. Bildung sollte nicht nur der Vermittlung von Wissen dienen, sondern auch Verantwortungsbewusstsein schulen, sowohl im Blick auf das eigene Leben im Verhältnis zu Gott als auch in verantwortlichem Handeln als Glied des gesellschaftlichen und politischen Gemeinwesens. Die Reformatoren leiteten diesen Einsatz für eine allgemeine Bildung ebenfalls aus der Heiligen Schrift, sogar aus den Geboten Gottes selbst, ab. Luther z.B. legte das vierte Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ in seinem Großen Katechismus nicht nur dahingehend aus, dass Kinder ihren Eltern mit Ehrfurcht und Respekt zu begegnen hätten, sondern er betonte auch, dass eine funktionierende Eltern-Kind-Beziehung auf Gegenseitigkeit zu beruhen habe. Daher seien Eltern verpflichtet, ihren Kindern eine angemessene Erziehung zukommen zu lassen.4 Im reformierten Raum war es der Heidelberger Katechismus von 1563, der sich ähnlich äußerte. In seiner Erklärung zum Gebot der Feiertagsheiligung – nach reformierter Zählung ebenfalls das vierte – führte er aus: „Gott will erstens, daß das

4

Vgl. Luther, Großer Katechismus, in: BSELK, 990,4–992,9.

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Predigtamt und Schulen erhalten werden“.5 Zugleich ging es der Reformation darum, dem Aufkommen bildungsfeindlicher Tendenzen entgegenzutreten. Antiklerikale Strömungen, die das Recht des „gemeinen Mannes“ eingefordert hatten, die Lehre der Alten Kirche am Inhalt der Heiligen Schrift zu überprüfen, hatten nämlich behauptet, dass sie sich auch dem einfachen, ungebildeten Verständnis ohne weiteres erschließen würde. Luthers ehemaliger Kollege an der Universität Wittenberg Andreas Bodenstein aus Karlstadt z.B. stellte die Nützlichkeit von Hochschulstudien für das Schriftverständnis in Frage und legte seinen nach altem Recht erworbenen Doktortitel ab.6 Die Reformatoren bezogen demgegenüber eine andere Position und traten mit ihrem Appell für die Einrichtung von Schulen zugleich der sich neu etablierenden Volksmeinung entgegen, dass die Absage an die Höherwertigkeit des geistlichen Standes, der vor der Reformation als Bildungsträger schlechthin gegolten hatte, auch die Sinnhaftigkeit von Bildung in Frage stelle. Die Reformation hingegen betonte, dass Bildung einem existenziellen Ziel diene, nämlich dem verstehenden Zugang zum Wort Gottes. In diesem Zusammenhang gewann das Erlernen von Sprachen und der korrekte sowie verantwortliche Umgang mit Sprache einen hohen Stellenwert, zumal Gott – so Luther und Melanchthon – sein Evangelium, auch wenn er es täglich aufs Neue den Menschen durch den Heiligen Geist offenbare, doch einzig und allein im Medium der Sprache erschließe. Sprache und ihre angemessene Handhabung wurden von allen Reformatoren als kostbare Träger von Wissen, Inhalten und Erkenntnissen angesehen, die nicht nur die weltliche, sondern auch die geistliche Existenz des Menschen 5

Heidelberger Katechismus, Frage 103, in: Evangelische Bekenntnisse, Bd. 2, 170. 6 Vgl. o. S. 109f.

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betreffen. Bildung diente aber auch dem Erhalt einer „guten Ordnung“, d.h. einer von Gott für das Zusammenleben der Menschen gestifteten Ordnung, die man weiterhin in den drei Bereichen von Kirche (ecclesia), weltlicher Obrigkeit (politia) sowie Haus und Familie (oikonomia) verankert sah. Wenn die in diesen Ständen bzw. Verantwortungsbereichen lebenden und handelnden Menschen in den ihnen jeweils anvertrauten Aufgaben „gelehrt und geschickt“ agierten, entsprach dies dem Willen Gottes, der sie – gemäß der Berufslehre Luthers – in diese Lebensbereiche hineingestellt hatte. Diesen Aspekt der Bildung, der durchaus auch auf weltliche Fertigkeiten zielte, betonte Luther ausdrücklich. Selbst wenn die Ausrichtung des Unterrichts auf die Vermittlung des notwendigen Handwerkszeugs zur Erschließung der Heiligen Schrift und des Handelns Gottes irrelevant wäre, so wäre allein dieser weltliche Aspekt – nämlich die gelehrte und geschickte Leitung des jeweiligen Verantwortungsbereichs – nach Luther Grund genug, um „die allerbesten Schulen für Knaben und Maidlein an allen Orten aufzurichten, dass die Welt auch um ihren weltlichen stand äußerlich zu erhalten, doch bedarf feiner geschickter Männer und Frauen“.7 Auch Politik und Rechtswesen erhielten durch ihre Interaktion mit der Reformation neuartige Impulse. Die sich gegen die Reformation formierenden Oppositionen und Alternativen führten zu einer kritischen Sichtung der Verantwortung der Obrigkeiten, zur Thematisierung von Not- und Gegenwehr sowie, wie bereits erwähnt, langfristig zur Entwicklung eines Widerstandsrechts und zur Einforderung eines Existenzrechts für religiös andersdenkende Minderheiten, freilich stets noch unter Ausgrenzung von Strömungen, die auch die Reformation als ketzerisch oder he7

Luther, An die Ratsherren, in: WA 15, S. 44,26–33.

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terodox einstufte, wie z.B. der Täufer oder Antitrinitarier. Aber die Tatsache, dass sich Luther auf dem Reichstag von Worms 1521 vor dem Kaiser, allen Machthabern und politischen Funktionsträgern als Antwort auf die Forderung, seine Lehre zu widerrufen, auf sein an die Heilige Schrift gebundenes Gewissen berief, leitete die Selbstbehauptung des Einzelnen gegen eine andersdenkende Obrigkeit ein. Der Anspruch auf individuelle Meinungs- und Gewissensfreiheit war damit mutig artikuliert.8 Die wie ein Bekenntnis gestaltete Protestation der evangelischen Fürsten gegen einen, das Wormser Edikt wieder bestätigenden Mehrheitsbeschluss auf dem Speyerer Reichstag von 1529 war ein noch bedeutenderer Meilenstein im Ringen um ein Minderheitenrecht in Glaubensfragen.9 Dass man die Augsburger Konfessionsverwandten schließlich im Augsburger Religionsfrieden von 1555 reichsrechtlich duldete, ohne die religiöse Wahrheitsfrage zu beantworten, war ein Novum im religionsrechtlichen Umgang mit Häresie.10 Von allgemeiner Toleranz war man immer noch weit entfernt, aber erste Weichen waren gestellt. Zugleich verlor das kanonische Recht an Bedeutung, zumindest zunächst für die reformatorisch Gesinnten. Luther hatte sich schon früh gegen die Dominanz des kirchlichen Rechts und die Verrechtlichung theologischer Bezüge, wie z.B. des Bußsakraments, gewandt und im Dezember 1520 bei der inszenierten Bücherverbrennung vor dem Elstertor in Wittenberg auch Exemplare des kanonischen Rechts ins Feuer geworfen.11 Noch deutlicher wurde der neue Umgang mit dem kirchlichen Recht im Blick auf die Ehe. Die Reformation schaffte die unzähligen Rege8 9 10 11

Vgl. o. S. 195f. Vgl. o. S. 202–205. Vgl. o. S. 249–254. Vgl. o. S. 111f, 194.

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lungen über die für eine Eheschließung verbotenen Verwandtschaftsgrade ab, die das kanonische Recht aus dem Alten Testament abgeleitet hatte und die weit über blutsmäßige Verwandtschaften hinausgingen. Dadurch, dass zudem die Ehe den Reformatoren nicht mehr als Sakrament galt, wurde sie zu einer prinzipiell weltlichen Angelegenheit, auch wenn die Trauzeremonie nach wie vor ein kirchlicher Akt war. Rechtliche Fragen aber, die das Zusammenleben von Mann und Frau betrafen, wurden nicht mehr in der kirchlichen Rechtsprechung verhandelt, sondern vor reformatorischen Konsistorien oder sogenannten Ehegerichten, in denen nicht nur Theologen, sondern auch Juristen vertreten waren. Zwar wurden manche Bestimmungen auch aus dem kanonischen Recht übernommen, aber generell galten die Heilige Schrift zusammen mit dem römischen Recht als Richtschnur in Eherechtsfragen, da man das maßgeblich durch den christlichen Kaiser Justinian geprägte römische Recht als mit der Heiligen Schrift übereinstimmend wertete. Auch in anderen Bereichen stellte die Ablösung vom kanonischen Recht die reformatorischen Kirchen vor die Aufgabe, neue rechtliche Normen zu entwickeln, wie sie z.B. schon im 16. Jahrhundert in den Kirchenordnungen niedergelegt wurden. Es waren die weltlichen Obrigkeiten, die die reformatorischen Kirchenordnungen erließen und auf diese Weise in ihrem Gebiet rechtskräftig machten. Dass sich die Obrigkeiten für geistliche Angelegenheiten verantwortlich sahen, ist nicht etwa nur aus machtpolitischen Interessen heraus zu erklären. Vielmehr gab es durchaus theologische Begründungen. Luther hatte schon in seiner Schrift „An den christlichen Adel“ aus dem Jahre 1520 vor dem Hintergrund des Allgemeinen Priestertums der Gläubigen auch von der weltlichen Obrigkeit als „Mitchristen“ und „Mitpriester“ gesprochen. Sie seien „mitgeistlich, mitmächtig in allen Din-

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gen“.12 Angesichts der Reformunwilligkeit der kirchlichen Autoritäten und des Zerbrechens der alten Strukturen hatte er an die Obrigkeiten als „Notbischöfe“ appelliert. Hinzu kam, dass der Speyerer Reichstag von 1526 die Durchführung der Reformation in das Ermessen der jeweiligen Obrigkeiten gestellt hatte, jedenfalls interpretierten die evangelischen Stände den Reichstagsabschied auf dieser Weise.13 Auch Melanchthon sah die christliche Obrigkeit in Verantwortung nicht nur für das weltliche Zusammenleben der Menschen, sondern auch für deren geistliches Wohl. Er sprach (1534) von der „custodia utriusque tabulae“, d.h. dem Wächteramt der Obrigkeit über beide Tafeln der Zehn Gebote. Als „praecipuum membrum ecclesiae“ (vornehmstes Glied der Kirche) komme der Obrigkeit die „cura religionis“ zu. Das bedeutete, dass die Reformation daran appellierte, dass Landesherren und reichsstädtische Räte in ihrem Herrscheramt (politia) und zugleich als Glied der „communio sanctorum“ (ecclesia) in ihre christlichen Pflichten einträten, allerdings ohne ihnen zusätzliche Rechte in der Kirche zuzugestehen.14 Daher verwiesen die Kirchenordnungen auf diese Pflicht der christlichen Obrigkeit, für den Schutz des Predigtamts, die Aufrichtung rechter Zeremonien, den Erhalt der Zucht, d.h. eines ordentlichen Lebens etc., zu sorgen. Im Sinne einer solchen „cura religionis“ wurde im Kurfürstentum Sachsen schon 1527/28 von landesherrlicher Seite eine große Visitation angeordnet, die zum Vorbild und Ausgangspunkt für die Entwicklung einer neuen kirchlichen Verwaltungsorganisation wurde.15 Dennoch waren es erst der Passauer Vertrag von 1552 und der Augsburger Religionsfrieden von 1555, die die rechtliche 12 13 14 15

WA 6,413,30f. Vgl. auch o. S. 58f. Vgl. o. S. 197–202. Vgl. Dingel, Art. Kirchenverfassung II, Sp. 1320f. Vgl. o. S. 199–202.

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Grundlage für das Entstehen eines landesherrlichen Kirchenregiments legten. Denn hier wurde in reformatorischen Gebieten die geistliche Jurisdiktion den Obrigkeiten übertragen, so dass sie sich von da an nicht mehr nur auf göttliches Gebot, sondern zusätzlich auf das Reichsrecht berufen konnten. Damit waren die weltlichen Obrigkeiten fortan die Träger des „ius episcopale“ in ihren Territorien (bis 1918),16 übertrugen dies aber im allgemeinen den von ihnen eingerichteten Konsistorien oder Kirchenräten. Diese Verschränkung von juristischen Komponenten und politischen Konstellationen war allerdings nur auf der Ebene der Strukturen des damaligen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation mit seinen vielen nach Autonomie strebenden und der Reformation positiv gegenüberstehenden Territorien möglich. Für die unter obrigkeitlicher Verfolgung stehenden calvinistischen Kirchen Westeuropas war dieser rechtlich-politische Weg nicht möglich. Der durch die Reformation angestoßene und vollzogene Wandel war fundamental und rief Reaktionen auf allen Ebenen hervor: sowohl positive Aufnahme als auch negative Abgrenzung. In ihren langfristigen und nachhaltigen Wirkungen überschritt die Reformation schließlich auch europäische Grenzen. Denn durch erzwungenes und selbstgewähltes Exil, durch Flucht und Vertreibung sowie Migrationen aller Art verbreiteten sich reformatorisches Gedankengut und reformationsgeschichtlich grundgelegte Strukturen weltweit. Durch Kolonisierung und Mission, welche im Protestantismus allerdings erst im 18. Jahrhundert begann, ergaben sich darüber hinaus tiefgreifende interkulturelle Verschränkungen, die weitere Transformationen in Gang setzen. 16

Das landesherrliche Kirchenregiment wurde durch die Weimarer Reichsverfassung aufgehoben.

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